Wissenschaftlicher und moralischer Realismus [1. ed.] 9783957432827, 9783969752821

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Wissenschaftlicher und moralischer Realismus [1. ed.]
 9783957432827, 9783969752821

Table of contents :
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Wissenschaftlicher und moralischer Realismus
Imprint
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1: Wissenschaftstheorie und Metaethik
Kapitel 2: Realismus und das Konzept der Wahrheit
Kapitel 3: Wissenschaftlicher und moralischer Realismus
3.1 Die analoge Anknüpfung an die Wahrheitstheorie
3.2 Die scheinbar analoge Einbeziehung der Erkenntnistheorie
Kapitel 4: Konvergenter und divergenter Realismus
4.1 Disanalogie (i): Die Neutralität der zweiten Ordnung
4.2 Disanalogie (ii): Optimismus vs. Erfolgstheorie
4.3 Disanalogie (iii): Die Vereinbarkeit mit einem Skeptizismus
Kapitel 5: Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument
Schluss
Backmatter
Literatur

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Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

Leon-Philip Schäfer

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Instituts für Philosophie der Leibniz Universität Hannover

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2023 Brill mentis, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. www.mentis.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-95743-282-7 (paperback) ISBN 978-3-96975-282-1 (e-book)

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kapitel 1: Wissenschaftstheorie und Metaethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 2: Realismus und das Konzept der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Kapitel 3: Wissenschaftlicher und moralischer Realismus . . . . . . . . . . . . 69 3.1 Die analoge Anknüpfung an die Wahrheitstheorie . . . . . . . . . . . . . 75 3.2 Die scheinbar analoge Einbeziehung der Erkenntnistheorie . . . . 103 Kapitel 4: Konvergenter und divergenter Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.1 Disanalogie (i): Die Neutralität der zweiten Ordnung . . . . . . . . . . 133 4.2 Disanalogie (ii): Optimismus vs. Erfolgstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.3 Disanalogie (iii): Die Vereinbarkeit mit einem Skeptizismus . . . . 156 Kapitel 5: Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Vorwort Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Juni 2021 an der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover verteidigt habe. Die Arbeit entstand während meiner Zeit als Doktorand im DFG-Graduiertenkolleg 2073 „Integrating Ethics and Epistemology of Scientific Research“, das gemeinsam von der Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld und dem Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover betrieben wird. Für die Schaffung einer intellektuell anregenden Forschungsatmosphäre – nicht zuletzt auch während erschwerter Pandemiebedingungen – möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen aus beiden Universitäten hiermit meinen aufrichtigen Dank aussprechen! Mein persönlicher Dank gilt außerdem den beiden Betreuern meiner Promotion: Professor Dietmar Hübner und Professor Torsten Wilholt. Ich habe es stets als ein außergewöhnliches Privileg angesehen, dass ich mich in meinem Studium philosophischen Fragen zuwenden durfte, dass mir anschließend sogar die Gelegenheit eröffnet wurde, meinen philosophischen Interessen im Rahmen einer Promotion nachgehen zu können, und dass ich in beiden Lebensabschnitten von ermutigenden Professoren dabei unterstützt wurde, die Faszination für dieses (ansonsten manchmal so „verwünscht[]“ (Kant AA X: 70) erscheinende) Fachgebiet immer wieder aufs Neue zu entfachen. Nichts davon ist selbstverständlich; und darüber bin ich mir sehr wohl im Klaren. Der Victor Rizkallah-Stiftung möchte ich sehr herzlich dafür danken, dass sie meine Arbeit mit einem Sonderpreis ausgezeichnet hat. Genauso verdient Anne Pirschel als Leiterin des zuständigen Promotionsbüros der Philosophischen Fakultät meinen besonderen Dank. Nicht zuletzt möchte ich mich beim Verlag Brill | mentis und seinen kompetenten Ansprechpartnern für die unkomplizierte und freundliche Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken: namentlich bei Stefanie Kemmerer und Stephan Kopsieker. Dass nach all dieser Arbeit die Dissertation nun schließlich als Monographie erscheint, freut mich wirklich ungemein. Ich hoffe, dass das Buch einen Beitrag zur Erhellung der Realismus-Debatten zu leisten vermag. Mein abschließender Dank gebührt natürlich meiner Familie, die mich auf diesem Weg stets unverbrüchlich unterstützt hat und ohne deren Unterstützung ich das intellektuelle Abenteuer, an dessen – vorläufigen (!) – Ende dieses Buch steht, niemals hätte bestreiten können. Hannover im Oktober 2022

Einleitung Die moderne Philosophie hält als Austragungsort für eine Reihe von Debatten her, in denen sich realistische und antirealistische Positionen einander gegenüberstehen. Diese sogenannten Realismus-Debatten verteilen sich auf unterschiedliche Teildisziplinen der Philosophie und weisen einen Realismus folglich als Teil einer Gruppe von philosophischen Auffassungen aus, die zwar dem Namen nach miteinander in Verbindung zu stehen scheinen, dessen ungeachtet aber größtenteils voneinander getrennt ausgearbeitet und diskutiert werden. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, mit dieser fragmentierten Betrachtungsweise des Realismus – zumindest ansatzweise – zu brechen und stattdessen eine integrative Darstellung vorzulegen, die zwei Auffassungen aus ihrer disziplinären Isolation herauszulösen und in einen interdisziplinären Zusammenhang zu stellen vermag – namentlich den wissenschaftlichen und den moralischen Realismus. – Der wissenschaftliche Realismus kann dabei zunächst in die Wissen­ schaftstheorie verortet werden und stellt dementsprechend eine Auffas­ sung dar, die philosophischen Fragen über den Status wissenschaftlicher Forschung nachgeht. Er ist selbst keine wissenschaftliche Theorie erster Ordnung, die darüber Auskunft gibt, welchen konkreten Naturgesetzen die Planeten unseres Sonnensystems unterliegen, aus welchen kleinsten Teilchen die physische Materie aufgebaut ist oder aus welchem Ursprung sich das menschliche Leben entwickelt hat, sondern muss vielmehr als eine wissenschaftstheoretische Auffassung zweiter Ordnung angesehen werden, die nachgeordnete Reflektionen über den grundsätzlichen Status wissenschaftlicher Theoriebildung enthält. – Der moralische Realismus gehört demgegenüber in die Metaethik und erweist sich folglich als eine Auffassung, die philosophische Fragen über den Status moralischen Urteilens in den Blick nimmt. Er ist selbst wiederum kein normativ-ethischer Ansatz erster Ordnung, der konkrete Beurteilungen menschlichen Verhalten vornimmt, indem er Fragen darüber zu beantworten sucht, durch welche höchsten moralischen Prinzipien menschliches Handeln angeleitet werden sollte, welche etwaigen Ausnahmen ein moralisches Lügenverbot zulässt oder welche Allokation von Spenderorganen der Forderung nach distributiver Gerechtigkeit genügt. Vielmehr muss unter einem moralischen Realismus eine metaethische Auffassung zweiter Ordnung verstanden werden, die nachgeordnete Reflektionen über den grundsätzlichen Status moralischer Urteilsbildung anstellt.

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_002

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Einleitung

Vor dem Hintergrund dieser ersten Annäherung kann man bereits ersehen, dass sich das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus als durchaus ambivalent darstellt. Die disziplinäre Abgrenzung, der zufolge der wissenschaftliche Realismus allein die Wissenschaftstheorie betreffe und der moralische Realismus nur die Metaethik etwas angehe, leistet einerseits dem Eindruck Vorschub, dass beide Positionen prima facie wenig miteinander zu tun haben und sich Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker ein je autonomes Verständnis davon erarbeiten, was es für eine philosophische Auffassung heißt, sich als ein Realismus zu qualifizieren. Andererseits zeichnet sich in der obigen Gegenüberstellung ab, dass wissenschaftlicher und moralischer Realismus immerhin eine ähnliche Perspektive auf ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand etablieren und sie deshalb womöglich doch – entgegen dem angesprochenen Eindruck – einer integrativen Darstellung zugänglich sind, die beide Debatten in einem größeren Zusammenhang sichtbar macht und auch beide Disziplinen insgesamt einander entgrenzt. Namentlich ist wissenschaftlichen und moralischen Realisten, wie man sieht, eine Perspektive zweiter Ordnung gemein: Sie reflektieren gleichermaßen von einer höheren Warte aus über den fundamentalen Status einer ihnen vorgeordneten Disziplin erster Ordnung – über Wissenschaft bzw. normative Ethik – und wirken auf diese Weise dem Eindruck entgegen, dass ihre beiden Positionen einer Zusammenführung von Vornherein gar nicht fähig seien. Vielmehr legt diese parallele Einordnung die Hypothese nahe, dass sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus womöglich als Spezifikationen derselben allgemeinen Idee, desselben generischen Realismus, konzipieren lassen, der lediglich auf unterschiedliche Bereiche angewandt wird und dadurch der terminologischen Verwandtschaft beider Auffassungen eine sachliche Grundlage verschafft. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin aufzuzeigen, inwiefern eine solche Integration von wissenschaftlichem und moralischem Realismus gelingen kann, d.h. unter welchen Vorzeichen es möglich ist, sich beide realistischen Positionen, die in Wissenschaftstheorie und Metaethik diskutiert werden, aus einer einheitlichen Perspektive zu erschließen. Eine Untersuchung mit einer so interdisziplinär ausgerichteten Zielsetzung geht sicherlich, wie man zugeben muss, mit einigen Herausforderungen einher, die im vorliegenden Kontext nicht zuletzt dadurch verstärkt werden, dass beide Debatten auf einem durchweg hohen Niveau geführt werden: Wenn man sich einen Überblick über den einen oder anderen Realismus erarbeiten will, dann muss man auf eine umfangreiche Literatur zurückgreifen, sich mit einer Vielzahl an klassischen und modernen Autoren vertraut machen und auf immer subtilere Ausarbeitungen und Differenzierungen achtgeben. So kennen Wissenschaftstheoretiker neben der Standardvariante des wissenschaftlichen Realismus

Einleitung

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mittlerweile zahlreiche Alternativvorschläge, die meist mit dem Anspruch formuliert werden, die in der Literatur übliche Gegenüberstellung von Realismus und Antirealismus abzuschwächen oder sogar radikal zu untergraben.1 In Analogie dazu sind auch Metaethiker typischerweise damit befasst, der Standardvariante des moralischen Realismus einige abweichende Versionen beizustellen, die dessen Kernaussagen soweit modifizieren, dass antirealistische Standardeinwände ins Leere laufen.2 Hinzu kommen außerdem die in den Verläufen beider Debatten immer zahlreicher gewordenen Varianten des wissenschaftlichen und moralischen Antirealismus.3 Auf diese Weise differenziert sich die Realismus-Thematik in Wissenschaftstheorie und Metaethik immer weiter aus und erreicht so eine Komplexität, die es Philosophen zum einen abverlangt, sich entweder auf die Wissenschaftstheorie oder auf die Metaethik zu spezialisieren, und es zum anderen mitunter erschwert, sich überhaupt in einer der beiden Debatten zu orientieren. Für ein integratives Projekt, das darauf abzielt, wissenschaftlichen und moralischen Realismus gemeinsam in den Blick zu nehmen, stellt dieser Umstand freilich ein nicht unerhebliches Hindernis dar. Da es nämlich bereits schwierig ist, auch nur einer der beiden Auffassungen Genüge zu tun, schrecken Realisten üblicherweise wohl nicht zu Unrecht davor zurück, die Grenzen ihrer jeweiligen Debatte zu überschreiten und den Blick auf einen etwaigen übergeordneten Zusammenhang zu richten. Man muss sich allerdings klarmachen, dass es erstens durchaus möglich ist, diese Herausforderungen, mit denen eine Integration von wissenschaftlichem und moralischem Realismus konfrontiert ist, zu meistern, indem man eine 1 In der Wissenschaftstheorie werden neben der Standardvariante des wissenschaftlichen Realismus etwa auch der Entitätenrealismus (vgl. Hacking 1983: 263), der Semirealismus (vgl. Chakravartty 2007: 41f) und der Strukturenrealismus (Worrall 1989: 101) vertreten, welcher seinerseits nochmals die Unterscheidung in eine epistemische und ontische Variante zulässt (vgl. Ladyman 1998: 420). 2 In der Metaethik grenzt man die Standardvariante des (robusten oder non-naturalistischen) moralischen Realismus (Shafer-Landau 2003: 55ff; Enoch 2011: 100ff) vornehmlich von einem naturalistischen Realismus ab (vgl. Railton 1986: 165). Daneben werden in der Literatur aber auch noch andere Varianten diskutiert, wie etwa der schwache Realismus (vgl. McDowell 1985) oder der sogenannte Quasi-Realismus (vgl. Blackburn 1988: 362f), der wiederum mit dem Anspruch auftritt, eine annehmbare Zwischenposition zwischen Realismus und Antirealismus aufzeigen zu können. 3 Während etwa in den anfänglichen Gegenentwürfen zum Realismus, die zu Beginn die beiden Debatten dominiert haben, ein dezidiert sprachanalytischer Schwerpunkt ausgemacht werden kann (Ayer 1936; Stevenson 1937), sind moderne Realisten zusätzlich auch mit metaphysischen (Kuhn 1962; Rawls 1980) und (vermeintlich) epistemischen (van Fraassen 1980; Mackie 1977) Versionen des Antirealismus konfrontiert und sehen sich in diesem Sinne einer stetig anwachsenden Vielfalt an Gegenentwürfen gegenüber (siehe dazu Kapitel 3).

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geeignete Eingrenzung der zu beantwortenden Fragestellung vornimmt. In der vorliegenden Arbeit wird der angesprochenen Schwierigkeit etwa dadurch begegnet, dass der Fokus auf die Konzeptualisierung, dagegen nicht so sehr auf die Legitimation des Realismus gelegt wird. Obwohl im Folgenden also durchaus versucht wird, den Realismus als eine attraktive Auffassung zu präsentieren, die sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Metaethik ernsthafte Erwägung verdient, steht eine argumentative Verteidigung nicht im Zentrum der nachfolgenden Bemühungen, weil eine solche Zielsetzung die Berücksichtigung signifikanter Gegenentwürfe und -argumente verlangen und deshalb den Rahmen einer einzigen Untersuchung in der Tat zu sprengen drohen würde.4 Eine konzeptuelle Klärung, die grundlegender ansetzt und danach fragt, was unter einem Realismus zuallererst verstanden werden sollte, kann demgegenüber jene Diskussionen weitgehend ausklammern und eignet sich daher eher als Thema für eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus. Zudem kann man zweitens dafürhalten, dass eine allzu strikte Trennung beider Debatten auch mit nicht vernachlässigbaren Nachteilen behaftet ist und deshalb eine integrative Perspektive erfordern kann, um etwa gewissen Fehlentwicklungen in der einen oder anderen Debatte entgegenwirken zu können. So birgt die entsprechende disziplinäre Abgrenzung beispielsweise die Gefahr, dass wissenschaftliche und moralische Realisten das Verhältnis ihrer beiden Auffassungen falsch bestimmen, indem sie erhellenden Verbindungen, die zwischen ihnen bestehen mögen, keine ausreichende Beachtung schenken oder vermeintliche Parallelen herstellen, die einer genaueren Prüfung jedoch nicht standhalten und sich somit als irreführend erweisen. Eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus kann in diesem Zusammenhang Abhilfe leisten und verdient es deshalb, – trotz der damit einhergehenden Schwierigkeiten – wenigstens probehalber erkundet zu werden.

4 Die Auseinandersetzung mit den Standardargumenten für und gegen einen Realismus wird in beiden Debatten verständlicherweise mit großem Aufwand betrieben. In der Wissenschaftstheorie kommen beispielsweise die pessimistische Meta-Induktion und die QuineDuhem-These als typische Herausforderungen in Frage, derer sich wissenschaftliche Realisten annehmen müssen (vgl. Laudan 1981: 32f; Quine 1975: 313; vgl. dazu Psillos 1999: 101ff, 162ff). In der Metaethik gehört dagegen etwa die Widerlegung der Argumente aus der Relativität und der Seltsamkeit zum Standardrepertoire der realistischen Apologie (vgl. Mackie 1977: 36, 38f; vgl. dazu Halbig 2007: 191f). Die geplante Ausgrenzung dieser Diskussionen verspricht daher, eine hinreichende Verschlankung des Themas zu bewirken, um beide Debatten aus einer einheitlichen Perspektive in den Blick nehmen zu können.

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Der zentrale Gedanke, der in der vorliegenden Untersuchung artikuliert und näher ausgeführt wird, besagt, dass ein Realismus – sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Metaethik – als eine Auffassung über Wahrheit konzipiert werden sollte. Die grundsätzliche Verbindung der in Rede stehenden Auffassungen wird demnach durch die Wahrheitstheorie vermittelt und kann folglich dadurch offengelegt werden, dass man sich einige Gedanken zum Konzept der Wahrheit macht, die sich gleichermaßen in Wissenschaftstheorie und Metaethik ausdifferenzieren. Insbesondere wird man sehen, dass sich ein Realismus – in beiden Debatten – als eine dezidiert objektivistische Auffassung darstellt, d.h. als eine Auffassung, die die Objektivität der Wahrheit gegen etwaige anderslautende Gegenentwürfe (wie etwa Relativismus oder Konstruktivismus) geltend macht. In diesem Sinne beschäftigen sich wissenschaftliche und moralische Realisten also zwar durchaus mit verschiedenen Bezugsdisziplinen (Wissenschaft bzw. normative Ethik) und sind folgerichtig auch selbst in unterschiedlichen Subdisziplinen der Philosophie (Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik) beheimatet. Aber dennoch ist es möglich, eine genuin realistische Grundüberzeugung zu identifizieren, die beiden Positionen gemein ist, lediglich für die unterschiedlichen Bereiche der Wissenschaft bzw. der normativen Ethik exemplifiziert wird und beide Auffassungen somit – trotz ihrer disziplinären Abgrenzung – letztendlich aus einer einheitlichen Perspektive verständlich macht: Wissenschaftlicher und moralischer Realismus gleichen sich demzufolge darin, dass sie den Propositionen ihres jeweiligen Anwendungsbereichs zuschreiben, Träger von realistisch verstandener und damit objektiver Wahrheit (oder Falschheit) zu sein. Während wissenschaftliche Realisten dies für wissenschaftliche Aussagen, Hypothesen und Theorien geltend machen, arbeiten moralische Realisten dasselbe für normativ-ethische Urteile, Prinzipien und Ansätze heraus. Auf diese Weise sorgen wissenschaftliche und moralische Realisten dafür, dass sich ihre beiden Auffassungen in denselben wahrheitstheoretischen Zusammenhang einfügen, somit auch miteinander in Verbindung stehen und folglich von ihrer wechselseitigen Berücksichtigung profitieren können. Für dieses Ergebnis kann man insofern Relevanz beanspruchen, als jener Bezug zur Wahrheitstheorie manchmal ins Abseits gerät oder sogar gänzlich aus dem Blick verloren wird. Wissenschaftliche und moralische Realisten werden auf diese Weise daran gehindert, die Verwandtschaft ihrer beiden Positionen angemessen zu würdigen, indem sie sich namentlich darauf einlassen, den Realismus von einer rein wahrheitstheoretischen zu einer vornehmlich erkenntnistheoretischen Auffassung zu erweitern: Ein Realismus wird demnach häufig als eine Auffassung über unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit behandelt. Die zentrale These der vorliegenden Arbeit lautet in diesem Kontext,

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dass man von einer solchen Erweiterung absehen sollte, da sich ein Realismus im Gegenteil dadurch auszeichnet, dass er die Wahrheit selbst und unseren kognitiven Zugriff auf dieselbe streng auseinanderzuhalten sucht. Vor diesem Hintergrund ist es fundamental irreführend, von epistemischen Varianten des Antirealismus zu sprechen und einen Realismus mit agnostischen oder gar skeptischen Ansätzen zu kontrastieren – wie es in beiden Debatten bisweilen vorkommt. Ein (epistemischer) Skeptizismus, der uns Menschen die Fähigkeit abspricht, jemals Wissen ausbilden zu können, steht nicht in einem generellen Widerspruch zu einem (alethischen) Realismus, der seinerseits davon ausgeht, dass es objektive Wahrheiten gibt. Zwar ist es durchaus richtig, dass einerseits Realisten typischerweise keine Skeptiker sind, sondern neben objektiver Wahrheit auch objektive Erkenntnis wenigstens für möglich halten, und dass sich andererseits manche Skeptiker vom Realismus abwenden, indem sie ihre skeptische These, dass wir über kein Wissen verfügen, in einer nihilistischen Grundüberzeugung verankern, der zufolge es zudem keine Wahrheiten gibt. Aber erstens ist ein skeptischer Realismus, dem zufolge es objektive Wahrheiten außerhalb unseres Erkenntniszugriffs gibt, keineswegs widersprüchlich und sollte deshalb nicht schon von Vornherein durch eine voreilige Terminologie ausgeblendet werden. Zweitens muss man festhalten, dass eines der zentralen Motive für ein realistisches Verständnis des Wahrheitsbegriffs eine moderate Haltung in Erkenntnisangelegenheiten ist und daher ein Skeptizismus, wenigstens aber ein Fallibilismus, durch einen Realismus nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil sogar eher begünstigt wird. Da man nämlich meinen sollte, dass sich die Einsicht in objektive Wahrheiten als besonders schwierig erweist, eine relativistische Umdeutung des Wahrheitsbegriffs, der zufolge Wahrheit im Auge des Betrachters liegt, unsere epistemischen Erfolgsaussichten dagegen gerade umgekehrt verbessern würde, kann man nicht nur keinen Widerspruch, sondern tendenziell sogar eher eine Allianz zwischen Realismus und Skeptizismus (bzw. Fallibilismus) ausmachen. Und drittens darf abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass eine verfehlte Fokussierung auf die Zurückweisung skeptischer Ansätze, wie man sie in der Literatur bisweilen findet, dazu führt, dass Realisten nachlässig darin werden, sich gegen ihre primären Gegner – namentlich gegen Relativisten und Konstruktivisten – effektiv zur Wehr zu setzen. Manchmal äußert sich dieses Defizit darin, dass eine entsprechende Kritik am Konstruktivismus oder Relativismus lediglich unterschlagen wird und in den Standarddarstellungen keinen nennenswerten Platz mehr einnimmt;5 bisweilen nimmt die epistemische Deformation des Realismus aber 5 So wendet sich Psillos zwar gegen relativistische und (sozial-)konstruktivistische Ansätze in der Wissenschaftstheorie und erklärt einen wissenschaftlichen Realismus mit ihnen

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auch ein derart erhebliches Ausmaß an, dass sich entsprechende Autoren zu der abwegigen These verleiten lassen, ein Realismus sei mit relativistischen und konstruktivistischen Ansätzen vereinbar.6 Nicht zuletzt wegen dieser erheblichen Irritationen, die eine Erweiterung des Realismus um eine epistemische Komponente mit sich bringt, kann sie als der fundamentale Fehler identifiziert werden, gegen den sich der grundlegende Gedanke der vorliegenden Arbeit wendet: Ein wahrheitstheoretischer Realismus sollte nicht mit einem erkenntnistheoretischen Antiskeptizismus verwechselt werden. Stattdessen sollte ein Realismus (primär) als eine Auffassung über Wahrheit, nicht aber (oder jedenfalls nur sekundär) als eine Auffassung über unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit konzipiert werden – nicht zuletzt deshalb, weil nur auf diese Weise die Verbindung zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus sichtbar bleibt. Wie wir allerdings sehen werden, greift eine solche epistemische Defor­ mation des Realismus in beiden Debatten um sich und führt folglich dazu, dass der wahrheitstheoretische Zusammenhang, durch den man sich die Konzeptionen des wissenschaftlichen und moralischen Realismus erschließen kann, unkenntlich wird. Diese Tendenz, den Realismus epistemisch zu verkehren, kann dabei in beiden Debatten nicht gleichermaßen beobachtet werden, sondern hat sich vor allem – vermutlich aufgrund kontingenter Umstände im historischen Verlauf der Debatte – in der Wissenschaftstheorie zur Gewohnheit entwickelt, während sie in der Metaethik ein wesentlich geringeres Ausmaß annimmt. Aus diesem Grund zieht die integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, wie sie im Folgenden in Angriff genommen wird, vornehmlich eine Abweichung von der

ausdrücklich für unvereinbar. Aber eine weiterführende Verteidigung gegen diese Gegenentwürfe nimmt er dennoch nicht vor und unterstreicht dadurch die verschobene Schwerpunktsetzung, die unter wissenschaftlichen Realisten vorherrscht (vgl. Psillos 1999: 301). 6 In der Wissenschaftstheorie schlägt beispielsweise Anjan Chakravartty vor, den wissenschaftlichen Realismus mit einem, wie er es nennt, Pluralismus bzw. Relativismus zu vereinen: „[T]he commonly asserted opposition between realism, on the one hand, and pluralism and relativism on the other, represents an entirely false dichotomy.“ (Chakravartty 2011: 158). Auf ähnliche Weise stellt daneben auch Hasok Chang einen pluralistischen Realismus auf, dem zufolge etwa Phlogiston und andere Entitäten, die von mittlerweile überwundenen Theorien postuliert werden, als real angesehen werden können: „Caloric, phlogiston, ether, or what have you, isn’t simply either-real-or-unreal (or referring/non-referring). Caloric had a high degree of reality in Lavoisierian chemical pracices, and it still is real to anyone who engages in similar practices.“ (Chang 2018: 33). In der Metaethik ist diese Aufgeschlossenheit gegenüber relativistischem Gedankengut sicherlich nicht im selben Ausmaß verbreitet, aber auch hier finden sich vereinzelte Autoren, die die Vereinbarkeit von Realismus und Relativismus behaupten (vgl. Sayre-McCord 1991: 157f).

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wissenschaftstheoretischen Orthodoxie nach sich, verhält sich demgegenüber aber weitgehend konform zur metaethischen Literatur. In der Wissenschaftstheorie wird sich etwa zeigen, dass der wissenschaftliche Realismus nur äußerst selten die Form einer reinen Auffassung über (wissenschaftliche) Wahrheit annimmt, sondern typischerweise mit einem konvergenten Realismus gleichgesetzt wird, der gar nicht mehr sinnvoll von einem epistemischen Optimismus losgelöst betrachtet werden kann:7 Ins Zentrum eines Realismus stellen Wissenschaftstheoretiker dann einen historischen Fortschrittsgedanken, dem zufolge der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt als eine allmähliche Annäherung an die Wahrheit begriffen und modernen Theorien gegenüber ihren historischen Vorläufern ein höheres Maß an Wahrheitsnähe zugeschrieben werden kann.8 Ein Bekenntnis zum Realismus konzentriert sich somit in der Wissenschaftstheorie nicht mehr so sehr darauf, objektive Wahrheiten im Kontext der Wissenschaft zu postulieren, ihre Entdeckung zum primären Ziel wissenschaftlicher Forschung zu erklären und insbesondere relativistische und konstruktivistische Gegenentwürfe in die Schranken zu weisen. Vielmehr geht es wissenschaftlichen Realisten, ihrem üblichen Selbstverständnis zufolge, darum zu zeigen, dass dieser Anspruch von der modernen Wissenschaft auch (zumindest teilweise) eingelöst wird: Sie wollen zeigen, dass wir gute Gründe haben, von der optimistischen Annahme auszugehen, dass unsere modernen Theorien (zumindest approximativ) wahr sind und wissenschaftliches Erkenntnisstreben (zumindest partiell) erfolgreich ist, und kontrastieren einen Realismus folglich vor allem mit epistemischen Ansätzen, die Zweifel an diesem Erkenntniserfolg der Wissenschaften anmelden – wie etwa Skeptizismus und Agnostizismus. In diesem Sinne implementieren Wissenschaftstheoretiker eine dezidiert erkenntnistheoretische Dimension in die Konzeption des wissenschaftlichen Realismus und entfremden sich somit von der rein wahrheitstheoretischen Perspektive, durch die allein dessen systematische Verwandtschaft zum moralischen Realismus ersichtlich bleibt. In der Metaethik wird ein Realismus nämlich nicht im selben Ausmaß zu einer epistemischen Position umgedeutet und lässt sich auch mit keinem äquivalenten Fortschrittsgedanken in Verbindung bringen, der in der Wissenschaftstheorie ja gerade die diskutierte epistemische Verkehrung des 7 Alvin Goldman bemüht damit übereinstimmend etwa die Rede von einem „historischen Progressivismus“, der ab den 1970er Jahren Einzug in die wissenschaftstheoretische RealismusDebatte gehalten hat (vgl. Goldman 1986: 157; für den Begriff „konvergenter Realismus“ vgl. Laudan 1981: 21). 8 Vgl. für das Konzept der approximativen Wahrheit oder der Wahrheitsnähe („truth-likeness“ oder „verisimilitude“): Popper 1963: 332, 337; Niiniluoto 1999: 65ff & Psillos 1999: 261ff.

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wissenschaftlichen Realismus bewirkt. Im Gegenteil dominiert in der Metaethik weiterhin das Motiv der Divergenz oder der Trennung zwischen Wahrheit und Erkenntnis. Moralische Realisten sind zwar freilich keine Kulturpessimisten und machen sich dementsprechend auch keinen historischen Rückschritts- oder gar Verfallsgedanken zu eigen, dem zufolge unsere Bemühungen um ethische Einsichten in einer immer größer werdenden Abweichung von der moralischen Wahrheit resultiert; vielmehr fokussieren sie sich darauf, eine reine Auffassung über (moralische) Wahrheit aufzustellen. Nichtsdestotrotz kann der moralische Realismus aber insofern als ein potentiell divergenter Realismus konzeptualisiert werden, als seine Ausdeutung des Wahrheitsbegriffs gerade darauf ausgerichtet ist, die Möglichkeit eines Auseinanderklaffens zwischen Wahrheit und Fürwahrhalten radikal offenzuhalten. Ein Bekenntnis zum Realismus kulminiert in der Metaethik also meist darin, objektive Wahrheiten im Kontext der normativen Ethik anzunehmen, ihre Erkundung zum primären Ziel ethischer Diskussionen auszurufen und insbesondere relativistische und konstruktivistische Gegenentwürfe zu widerlegen. Dieses Realismus-Verständnis wird von entsprechenden Autoren zwar üblicherweise durchaus um einen Hinweis ergänzt, dass sie außerdem ethische Erkenntnis für möglich halten und folglich skeptischen und agnostischen Ansätzen entgegenstehen; aber diese Selbstverpflichtung, auf die sich moralische Realisten typischerweise einlassen, nimmt in der Literatur erkennbar den Status einer Zusatzthese an, die bereits über den genuin realistischen Kerngedanken jener Auffassung hinausgeht. Auf diese Weise verbleiben moralische Realisten eher im Rahmen einer wahrheitstheoretischen Perspektive und verweigern sich einer erkenntnistheoretischen Überformung der Thematik, durch die sich wissenschaftliche Realisten ja gerade von ihnen entfremden. Die vorliegende Arbeit bildet den Versuch, diese Entfremdung wissenschaftlicher und moralischer Realisten zu korrigieren und eine Rückbesinnung auf den wahrheitstheoretischen Kerngedanken vorzuschlagen, durch den ihre beiden Auffassungen ursprünglich miteinander verbunden sind. Eine solche Selbstbeschränkung des Realismus auf die Wahrheitstheorie erstreckt sich dabei nicht allein darauf, eine alternative Terminologie zu etablieren, die arbiträr befürwortet oder wahlweise auch abgelehnt werden kann. Es geht nicht bloß darum, den Begriff „Realismus“ für wahrheitstheoretische Themen zu reservieren. Vielmehr ergibt sich eine entsprechende Rückbesinnung, die den wahrheitstheoretischen Kern des Realismus wieder ins Zentrum rückt und seiner erkenntnistheoretischen Verkehrung etwas entgegensetzt, bereits aus der Natur der Sache selbst. Insbesondere greift sie nämlich das Motiv der epistemischen Bescheidenheit wieder auf, das mit einem realistischen Verständnis des Wahrheitsbegriffs einhergeht: Die Plausibilität

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eines Realismus speist sich demnach maßgeblich aus der Einsicht, dass eine bescheidene Haltung (in Wissenschaft oder Ethik) das Eingeständnis der menschlichen Fehlbarkeit beinhaltet (Fallibilismus), man aber nur dann fehlbar ist und Irrtümern erliegen kann, wenn es objektive Wahrheiten gibt, die von unseren subjektiven Meinungen verschieden sein können (Realismus). Die epistemische Selbstsicherheit, die Anhänger eines konvergenten Realismus an den Tag legen, indem sie uns dazu ermutigen, unser Erkenntnisstreben als erfolgreich und sogar als im Einklang mit einer historischen Fortschrittsidee zu bewerten, konterkariert eine solche bescheidene Haltung dagegen wenigstens tendenziell und kommt deshalb geradezu als ein Fremdkörper daher, der sich gar nicht aus dem sachlichen Zusammenhang der Thematik ergibt, sondern von außen an den Realismus herangetragen wird. In diesem Sinne stellt die epistemische Umformung des Realismus nicht bloß eine alternative Terminologie, sondern einen inhaltlichen Fehler dar, durch den das zentrale Motiv des Realismus verdeckt und sogar ins Gegenteil verkehrt wird. Diese Spannung zwischen dem Anspruch auf Bescheidenheit und der Gefahr der Anmaßung, die sich in der Konzeption eines konvergenten Realismus auftut, kann demgegenüber im Rahmen eines potentiell divergenten Realismus, der den Fokus auf Wahrheit anstatt auf Erkenntnis legt, abgebaut werden und weist eine Exklusion epistemischer Fragestellungen in diesem Sinne als der Natur der Sache angemessen aus. Aus diesem Grund kann die Zusammenführung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus auch nur in der einen Richtung erfolgen, d.h. nur dadurch, dass man dem wissenschaftlichen Realismus eine epistemische Abstinenz verordnet und ihn dadurch dem moralischen Realismus näherbringt. Die Parallele zwischen beiden Auffassungen dagegen in der anderen Richtung wiederherzustellen, d.h. dadurch, dass man den moralischen Realismus um einen epistemischen Optimismus erweitert und ihn dadurch dem wissenschaftlichen Realismus annähert, ist aus den bereits genannten Gründen nicht statthaft. Die epistemische Deformation des Realismus, die ja vor allem in der Wissenschaftstheorie um sich greift, hat eben nicht allein zur Folge, dass sich wissenschaftliche und moralische Realisten einander entfremden, sondern geht darüber hinaus mit ernsthaften Schwierigkeiten einher (wie etwa der Verkehrung des Motivs der Bescheidenheit), die sich weder Wissenschaftstheoretiker noch Metaethiker einhandeln sollten. Wenn man sich also die Möglichkeit aufrechterhalten will, die wissenschaftstheoretische und metaethische Realismus-Debatte in einem übergeordneten Zusammenhang betrachten zu können, dann muss man sich dazu bereit erklären, den

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Realismus konsequent in die Wahrheitstheorie zu verorten.9 Die Rückbesinnung auf den wahrheitstheoretischen Kern des Realismus sollte deshalb sowohl von wissenschaftlichen als auch von moralischen Realisten ins Auge gefasst werden. In Kapitel 2 hebt die Untersuchung daher zunächst mit einem Exkurs in die Wahrheitstheorie an. Das Konzept der Wahrheit bildet folglich den Ausgangspunkt für eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus. Eine realistische Wahrheitskonzeption oder ein alethischer Realismus besagt dabei im Kern, dass der Umstand, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, allein von der objektiven Beschaffenheit der Realität abhängt. Ob eine Proposition wahr oder falsch ist, hat alethischen Realisten zufolge vor allem nichts damit zu tun, ob wir sie – unter welchen Umständen auch immer – als wahr oder falsch erkennen. In diesem Sinne halten Realisten daran fest, die Möglichkeit einer Divergenz zwischen objektiver Wahrheit und subjektivem Fürwahrhalten radikal offenzuhalten – nicht zuletzt deshalb, weil nur auf diese Weise der menschlichen Fehlbarkeit angemessen Rechnung getragen werden kann. Kapitel 2 arbeitet den grundlegenden Gedanken einer solchen realistischen Wahrheitskonzeption heraus und eröffnet dadurch die Möglichkeit eines universellen Verständnisses von Realismus, das sich gleichermaßen auf die Bereiche der Wissenschaft und der normativen Ethik anwenden lässt. In Kapitel 3 wird daran anschließend überprüft, inwiefern sich dieser grundlegende Gedanke einer realistischen Wahrheitskonzeption in den RealismusDebatten, die in der Wissenschaftstheorie und Metaethik – größtenteils unabhängig voneinander – geführt werden, wiederfindet. Es wird gezeigt, dass 9 Dass man an einer solchen Parallelisierung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus überhaupt ein Interesse haben sollte, mag womöglich bereits mit dem Hinweis bestritten werden, dass es Wissenschaftstheoretikern und Metaethikern zugestanden werden müsse, ein autonomes Verständnis ihrer jeweiligen Realismus-Debatte ausbilden zu dürfen. Sollte sich also herausstellen, dass sich das Realismus-Verständnis aus Wissenschaftstheorie und Metaethik nicht miteinander deckt, sei das, so der hier antizipierte Einwand, noch kein Problem, das behoben werden müsste. Ein solcher Einwand muss aber deshalb zurückzuwiesen werden, weil eine derartige Diskrepanz Anlass für Äquivokationen geben würde (und, wie wir sehen werden, auch tatsächlich gibt): Realisten würden dann nämlich unter der falschen Voraussetzung, die Namensgleichheit ihrer Auffassungen zeige auch eine inhaltliche Verwandtschaft an, dazu verleitet, irreführende Bezugnahmen zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus herzustellen (siehe Kapitel 5). Diese Schwierigkeiten können nur verhütet werden, wenn man beide Auffassungen parallel konzeptualisiert – was seinerseits, so die zentrale These der Arbeit, nur mithilfe eines Rekurses auf die Wahrheitstheorie möglich ist.

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Einleitung

wissenschaftliche und moralische Realisten in einem durchaus ambivalenten Verhältnis zu einer realistischen Wahrheitskonzeption stehen. Auf der einen Seite knüpfen sie gleichermaßen an die Wahrheitstheorie an und machen sich eine realistische Wahrheitskonzeption ausdrücklich zu eigen (Abschnitt 3.1). Auf der anderen Seite gehen sie aber typischerweise über eine rein wahrheitstheoretische Perspektive hinaus und reichern ihren jeweiligen Realismus mit erkenntnistheoretischen Überlegungen an, die z.T. weit über das hinausgehen, was in Kapitel 2 als Kerngedanke eines Realismus identifiziert wurde (Abschnitt 3.2). In Kapitel 4 werden wir dann sehen, dass diese epistemische Deformation des Realismus, d.h. seine Umformung von einer rein wahrheitstheoretischen zu einer vornehmlich erkenntnistheoretischen Auffassung, in der Wissenschaftstheorie ein weitaus größeres Ausmaß als in der Metaethik aufweist. Der wissenschaftliche Realismus nimmt insbesondere die Form eines konvergenten Realismus an, während der moralische Realismus dagegen als ein (zumindest potentiell) divergenter Realismus aufgefasst wird. Kapitel 4 zeigt auf, dass (a) die daraus entstehenden Disanalogien in der Literatur nur selten zur Kenntnis genommen werden und dass (b) die Analogie zwischen beiden Auffassungen wiederhergestellt werden kann, wenn man sich – gegen den Widerstand der philosophischen Orthodoxie – dazu durchringt, den Realismus konsequent auf die Wahrheitstheorie zu beschränken und aus der Erkenntnistheorie herauszuhalten. In Kapitel 5 werden abschließend einige Konsequenzen aus der vorherigen Diskussion gezogen. Insbesondere werden wir diskutieren, welche Auswirklungen die wahrheitstheoretische Konzeptualisierung des Realismus für dessen argumentative Verteidigung hat, d.h. ob sich diejenigen Argumente, die typischerweise für einen Realismus ins Feld geführt werden, weiterhin dazu eignen, denselben argumentativ abzusichern. Es sind dabei namentlich zwei Argumente, die einer kritischen Prüfung unterzogen werden sollen – zum einen das Wunderargument („no miracles argument“) für den wissenschaftlichen Realismus und zum anderen das Unverzichtbarkeitsargument („argument from deliberative indispensability“) für den moralischen Realismus. Kapitel 5 problematisiert dabei zum einen (im Kontext des wissenschaftlichen Realismus) die bislang ungebrochene Dominanz des Wunderarguments und weist zum anderen (im Kontext des moralischen Realismus) eine zu starke Anlehnung des Unverzichtbarkeitsarguments an das Wunderargument zurück. Vielmehr wird Realisten nahegelegt, alternative Argumentationsstrategien zu entwickeln, um den Realismus (in Wissenschaft und Ethik) überzeugend verteidigen zu können.

Einleitung

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Bevor diese Diskussion über den Realismus aufgenommen wird, werden wir aber zuerst in Kapitel 1 damit beginnen, einige allgemeine Betrachtungen zum Verhältnis von Wissenschaftstheorie und Metaethik anzustellen. Diese Überlegungen werden dazu dienen, die interdisziplinäre Perspektive zu motivieren, aus der heraus die beiden realistischen Auffassungen, die in jenen Disziplinen beheimatet sind, zusammengebracht werden können. Es wird sich dabei zeigen, dass sich beide Teildisziplinen der Philosophie erstens in etwa zeitgleich etabliert haben – nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts (historische Parallele). Daneben handelt es sich in beiden Fällen zweitens um Disziplinen zweiter Ordnung, denen jeweils eine Bezugsdisziplin erster Ordnung zugewiesen werden kann (systematische Parallele). Drittens lässt sich diese Darstellung gegen zwei Einwände verteidigen – einen vertikalen Einwand, der die Unterscheidung zwischen erster und zweiter Ordnung unmittelbar in Zweifel zieht, und einen horizontalen Einwand, der dies vermittelt, über eine Ambivalenz innerhalb der Ebenen, unternimmt.

Kapitel 1

Wissenschaftstheorie und Metaethik Historisch gesehen sind Wissenschaftstheorie und Metaethik zwei Teildisziplinen der Philosophie, deren geschichtliche Ausdifferenzierung zu eigenständigen Fachgebieten einen auffällig parallelen Verlauf genommen hat. Auf der einen Seite prägen vereinzelte wissenschaftstheoretische und metaethische Fragestellungen die Philosophie bereits seit ihren Anfängen in der griechischen Antike und bis in die Hochphase der europäischen Aufklärung hinein. Mit Blick auf die Wissenschaftstheorie nehmen beispielsweise Aristoteles in seiner Zweiten Analytik oder Francis Bacon in seinem Novum Organon philosophische Reflektionen über wissenschaftliche Erkenntnis vor und gelten daher als historische Vorläufer der modernen Wissenschaftstheorie.1 Mit Blick auf die Metaethik enthalten etwa Platons Euthyphron oder David Humes Traktat Reflektionen über den fundamentalen Status der Moral und erheben ihre Autoren in den Rang historischer Vorläufer der modernen Metaethik.2 Man kann zwar einwenden, dass die Einordnung der genannten Autoren anachronistisch anmutet und sich deren Untersuchungen lediglich in der Retrospektive als wissenschaftstheoretisch bzw. metaethisch bezeichnen lassen, da sie sich weder ein fachsprachliches Vokabular zu eigen machten, noch das umfassende Selbstverständnis ausbildeten, an Problemen sui generis zu arbeiten. Entsprechend kann man den angeführten Philosophen an der Etablierung von Wissenschaftstheorie und Metaethik als eigenständigen Subdisziplinen der Philosophie allenfalls einen mittelbaren Anteil zusprechen. Nichtsdestotrotz kommt ihnen zumindest die Bedeutung von wegbereitenden Vorläufern zu, deren Beiträge der Sache nach den entsprechenden Fachgebieten zugehören, bis heute in den modernen Disziplinen nachfolgend diskutiert

1 Während Aristoteles bisweilen als „the first philosopher of science“ betitelt wird (Losee 2001: 4), ist Bacon womöglich „der erste Philosoph der neuzeitlichen Naturwissenschaften“ (Carrier 2006: 16). Dass Bacons Novum Organon zudem bereits mit der Titelwahl eine Abkehr vom die Zweite Analytik enthaltenden Organon des Aristoteles ankündigt, unterstreicht die disziplinäre Verwandtschaft beider Werke. 2 Platons und Humes metaethisches Wirken ist freilich nicht in derselben Weise aufeinander bezogen wie die wissenschaftstheoretischen Überlegungen von Aristoteles und Bacon. Da aber die auf Platon bzw. Hume zurückgehenden Konzepte des Euthyphron-Dilemmas und des Sein-Sollen-Fehlschlusses bis heute ihren Platz in der modernen Metaethik haben, dürfte auch ihre Einordnung unstrittig sein. (Vgl. Hübner 2014: 37)

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_003

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Kapitel 1

werden und dieselben dadurch auf Traditionen stützt, die über die Aufklärung bis in die Antike zurückreichen. Auf der anderen Seite gelten Wissenschaftstheorie und Metaethik in ihrer vollen Entfaltung – im Gegensatz zu allgemeiner Erkenntnistheorie und allgemeiner Ethik – als vergleichsweise junge philosophische Teildisziplinen, deren Anfänge nicht selten auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datiert werden, als zwei philosophiehistorische Ereignisse die Entwicklungen beider Fachgebiete zeitgleich initiiert haben: Als Beginn der Wissenschaftstheorie gilt dabei die Formierung des Wiener Kreises des logischen Positivismus, der in seiner bekannten Hochphase um Moritz Schlick gebildet wurde (1924-1936)3 und zuvor aus einem Zirkel um Philipp Frank, Hans Hahn und Otto Neurath sukzessiv hervorgegangen war (1907-1912)4.5 Als Beginn der Metaethik wird hingegen häufig die einschlägige Veröffentlichung von G.  E.  Moores  Principia Ethica (1903) angesehen.6 Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass Wissenschaftstheorie und Metaethik ihre Entwicklungen in erstaunlichem Maße zeitgleich – nämlich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts – aufnahmen und sich in der Folge synchron als eigenständige philosophische Fachgebiete etablierten. Wenn man die Möglichkeit einer unerklärlichen Koinzidenz verwirft, drängt sich die Frage nach gemeinsamen Auslösern dieser parallelen Entwicklungen freilich auf: (i) Die Revolution der formalen Logik durch Frege (1879) liefert sicherlich die nächstliegende Erklärung für das damalige Aufkommen beider Fachgebiete. Die erhoffte Möglichkeit, jedwede Aussage im neuartigen Kalkül einer logischen Formalisierung und damit jedweden (philosophischen) Disput einer rigorosen Analyse unterziehen zu können, versprach, sich zu einer unumkehrbaren Revolution der gesamten Philosophie auszuweiten, und sollte daher als ein zeitnaher Auslöser für die synchrone Etablierung von Wissenschaftstheorie und Metaethik in Betracht kommen. Entsprechend identifizieren Lauth und Sareiter (2005) „die rasche Entwicklung der mathematischen Logik und Statistik“ als einen „Hauptgrund“ für die Etablierung der Wissenschaftstheorie im frühen 20. Jahrhundert,7 während Heinrichs und Heinrichs (2016) die Bedeutung der 3 Vgl. Stöltzner & Uebel 2006: XI, LXXXIX 4 Ebd.: XXIIf 5 So sind es etwa Kuhlmann zufolge „die logischen Empiristen des Wiener Kreises, welche die moderne Wissenschaftsphilosophie begründen“ (Kuhlmann 2017: 18). 6 So führen beispielsweise Heinrichs et al. „die Veröffentlichung von George Edward Moores Principia Ethica“ als „Beginn der Metaethik“ an (Heinrichs & Heinrichs 2016: 9). 7 Lauth & Sareiter 2005: 11; vgl. bereits Schlick 1930: 32

Wissenschaftstheorie und Metaethik

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mit Moore assoziierten Cambridge-Logiker, Russell und Wittgenstein, für Metaethik (sowie Wissenschaftstheorie) hervorheben: Bereits in den frühen Schriften dieser drei [Cambridge-]Philosophen zeichnen sich metatheoretische Zugänge ab, die sich neben der Ethik auch auf die Natur­ wissenschaften und die Mathematik richten: der liguistic turn und die Entwick­ lung der Wissenschaftstheorie.8



Insbesondere der unbestrittene Einfluss Russells und Moores auf die sich herausbildende Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik dürfte daher maßgeblich aus der Logik herrühren und durch die Pionierleistungen Freges vermittelt sein. (ii) Dem Aufkommen der analytischen Philosophie im frühen 20. Jahrhundert kann, damit zusammenhängend, ebenfalls ein Anteil an der Ausdif­fe­ ren­zierung von Wissenschaftstheorie und Metaethik zugeschrieben werden, insofern beide Felder anfangs stark durch sprachanalytische Über­legungen dominiert wurden und sich erst in der Nachfolge allmählich mit metaphysischen und epistemologischen Themen aufweiteten. Die Debatte um das verifikationistische Sinnkriterium und das Projekt, wissenschaftliche Theorien in formalen Sprachen zu rekonstruieren, dienen als Illustrationen für die überragende Bedeutung der Sprachanalyse auf Seiten der frühen Wissenschaftstheorie.9 Gleichfalls lassen etwa Moores Konzept des naturalistischen Fehlschlusses und Stevensons Emotivismus einen sprachanalytischen Schwerpunkt auf Seiten der frühen Metaethik erkennen.10

8 9

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Heinrichs & Heinrichs 2016: 9 Das verifikationistische Sinnkriterium, dem zufolge lediglich prinzipiell verifizierbare Sätze als sinnvoll betrachtet werden können, weist – neben seiner offensichtlichen sprachanalytischen Funktion – darüber hinaus eine besondere Verbindung zur Metaphysik auf, insofern es an prominenter Stelle genutzt wurde, um jegliche Sätze der traditionellen Metaphysik als sinnlos zu entlarven (vgl. insbesondere Carnap 1931: 236; vgl. auch Schlick 1930: 34; Schlick 1931: 556; Schlick: 1932: 193f; sowie Carnap 1956: 39). Das mit der logischen Rekonstruktion einhergehende syntaktische Verständnis von Theorien lässt sich hingegen eindeutiger auf der Ebene der Sprachanalyse verorten. Da es nicht zuletzt mit dem Anspruch auftrat, die logische Analyse sprachlich formulierter Theorien als erschöpfende Aufgabe der Wissenschaftstheorie im Besonderen und der Philosophie im Allgemeinen zu etablieren, unterstreicht das syntaktische Verständnis die Dominanz der Sprachanalyse in der frühen Wissenschaftstheorie deutlich (vgl. Reichenbach 1924: 13; Carnap 1932: 319; vgl. auch Lutz 2015: 3, Winther 2015: Abschnitt 1.1 & Abschnitt 2). Moores Konzept des naturalistischen Fehlschlusses beinhaltet sicherlich ebenso sowohl eine sprachanalytische These über die (verschiedene) Bedeutung deskriptiver und normativer Begriffe als auch eine metaphysische These über die (fehlende) Identität natürlicher und moralischer Eigenschaften (vgl. Moore 1903: 40f). Stevensons Emotivismus

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Kapitel 1

Folgt man der vorgelegten Darstellung, der zufolge sich Wissenschaftstheorie und Metaethik historisch parallel entwickelten, weil ihre Anfänge von gemeinsamen Auslösern beeinflusst wurden, dann fügen sich schließlich die personellen Überschneidungen, zu denen es anfänglich zwischen beiden Subdisziplinen kam, kohärent ins Bild. So verteidigt insbesondere Alfred Ayer in seinem einflussreichen Buch Language, Truth and Logic (1936) einerseits einen wissenschaftstheoretischen Positivismus, dem zufolge sich der Sinn theoretischer Aussagen in ihren Verifikationsbedingungen erschöpft, und andererseits einen metaethischen Nonkognitivismus, dessen Leugnung eines kognitiven Sinns moralischer Urteile nicht zuletzt durch dasselbe verifikationistische Kriterium gestützt wird. Dass sowohl Ayers wissenschaftstheoretische als auch seine metaethische Position damit im Kern eine sprachanalytische These über theoretische Aussagen bzw. moralische Urteile beinhalten, erhärtet nochmals den gewonnenen Eindruck, dass die zeitgleichen Anfänge beider Subdisziplinen durch die Umbrüche in Logik und Sprachphilosophie vermittelt wurden. Diese historische Parallele der synchronen Etablierung von Wissen­schafts­ theorie und Metaethik wirft die Frage nach der systematischen Verwandtschaft beider Subdisziplinen auf. Vor dem Hintergrund, dass sie ihre Eigenständigkeit unter denselben historischen Umständen behaupten konnten, liegt der Eindruck nahe, dass beide Subdisziplinen eine ähnliche Perspektive auf ihren jeweiligen Gegenstandsbereich werfen und deshalb von denselben Umbrüchen profitieren konnten, die ihnen schließlich die kanonische Stellung unter den philosophischen Subdisziplinen sicherten, die ihnen seither zukommt. Im Folgenden werde ich die These, dass sich Wissenschaftstheorie und Metaethik in der Tat systematisch gleichen, aufstellen und gegen zwei naheliegende Einwände verteidigen. Systematisch betrachtet gleichen sich Wissenschaftstheorie und Metaethik insofern, als sie Disziplinen zweiter Ordnung darstellen, die den fundamentalen Status ihrer jeweiligen Disziplin erster Ordnung zum Gegenstand haben. Dabei hält einerseits die Wissenschaft als diejenige Disziplin erster Ordnung her, die den Reflektionsgegenstand der Wissenschaftstheorie bildet, während andererseits die normative Ethik diejenige Disziplin erster Ordnung ist, über deren Status in der Metaethik reflektiert wird.

bewegt sich im Gegensatz zu Moores Intuitionismus aber bereits vollständig auf der Ebene der Sprachanalyse und exemplifiziert dadurch die Dominanz dieses Zugangs in der Anfangszeit der Metaethik (vgl. Stevenson 1937: 117f; vgl. auch Hübner 2014: 37; Rüther 2015: 26f; Heinrichs & Heinrichs 2016: 28).

Wissenschaftstheorie und Metaethik

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Die Wissenschaft ist insofern eine Disziplin erster Ordnung, als sie keinen durch eine ihr vorgeordnete Disziplin geringerer Ordnung vermittelten, sondern einen unmittelbaren Bezug auf innerweltliche Phänomene nimmt.11 Die Phänomene der Natur, der Psyche oder des Sozialen bilden den direkten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ihre Aufgabe besteht folglich nicht so sehr darin, ein vertieftes Verständnis darüber zu erarbeiten, was unter einer wissenschaftlichen Theorie verstanden werden sollte, über die Rolle von Experimenten zu reflektieren oder die etwaige Theoriebeladenheit der Beobachtung zu diskutieren, sondern darin, solche Theorien aufzustellen, entsprechende Experimente durchzuführen und derartige Beobachtungen vorzunehmen. Da die Wissenschaft in diesem Sinne über keine Bezugsdisziplin verfügt, über deren erkenntnistheoretischen und methodologischen Status sie von einer höheren Warte aus reflektieren könnte oder müsste, lässt sie sich auf der Reflektionsebene geringster Stufe verorten, der lediglich die Phänomene selbst untergeordnet sind. Wenn also beispielsweise die Astrophysik das Phänomen der Gravitation oder die Teilchenphysik den Aufbau der Materie zum Gegenstand ihrer Untersuchungen haben; wenn die organische Chemie die Zusammensetzung von Kohlenstoffverbindungen oder die Evolutionsbiologie den evolutionären Stammbaum tierischer Arten entschlüsselt; wenn Humanmedizin und -psychologie die Symptome somatischer bzw. psychischer Krankheiten untersuchen; und wenn Soziologie und Linguistik die Funktionsweise sozialer Institutionen bzw. natürlicher Sprachen adressieren, dann bildet in keinem dieser Fälle eine vorgeordnete Disziplin, deren Methode verständlich gemacht werden sollte, sondern das entsprechende Phänomen selbst den Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. In diesem Sinne nimmt die Wissenschaft durchweg eine unvermittelte Perspektive erster Ordnung ein und zielt auf Erkenntnisse über die Natur, die Psyche und das Soziale. Die Wissenschaftstheorie dagegen verhält sich zur Wissenschaft insofern als deren nachgeordnete Disziplin zweiter Ordnung, als ihr dezidiertes Thema die wissenschaftliche Erkenntnis selbst ist und sie einen Zugriff auf innerweltliche

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Der deutsche Begriff ‚Wissenschaft‘ ist bekanntlich nicht synonym mit dem englischen Begriff ‚science‘, sondern umfasst sowohl Natur- und Sozialwissenschaften (natural science, social science) als auch Geisteswissenschaften (humanities). Da aber die philosophy of science traditionell anglo-amerikanisch geprägt ist, werden auch in der deutschsprachigen Wissenschaftstheorie hauptsächlich Natur- und Sozialwissenschaften in den Blick genommen (vgl. Lohse & Reydon 2017: 9). Eine Anpassung der Wissenschaftstheorie an den Gebrauch des deutschen Begriffs ‚Wissenschaft‘, der auch die Geisteswissenschaften umfasst, findet sich ebenda.

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Kapitel 1

Phänomene allenfalls indirekt nimmt.12 Es sind mithin nicht die wissenschaftlich erforschbaren Phänomene, sondern der fundamentale Status der Wissenschaft, der zum Gegenstand der Wissenschaftstheorie erhoben wird. Es geht der Wissenschaftstheorie folglich nicht um die Überprüfung bestimmter Theorien oder die Durchführung bestimmter Experimente, sondern vielmehr um die zugrundeliegenden Fragen, welche Rolle Theorien und Experimente in der Wissenschaft spielen oder wodurch sich die Wissenschaft von nichtwissenschaftlichen Tätigkeiten abgrenzen lässt. Das Abgrenzungsproblem, das darin besteht, eine philosophisch fundierte Unterscheidung zwischen Wis­senschaft einerseits und Metaphysik und insbesondere Pseudowissenschaft andererseits vorzunehmen, bildet dementsprechend ein klassisches Thema der Wissenschaftstheorie, das sich auf der zweiten Reflektionsstufe verorten lässt.13 Damit verfügt die Wissenschaftstheorie gerade im Gegensatz zur Wissenschaft über eine Bezugsdisziplin, die sich auf einer niedrigeren Reflektionsebene befindet. Da die Wissenschaftstheorie in diesem Sinne einen durchweg metatheoretischen Ausgangspunkt einnimmt, dem zufolge sie wissenschaftliche Arbeit nicht eigenständig ausführt, sondern der philosophischen Reflektion anheimstellt, kann sie als eine der Wissenschaft nachgeordnete Disziplin zweiter Ordnung konzeptualisiert werden: Sie hebt nicht auf Erkenntnisse über innerweltliche Phänomene ab, sondern auf Erkenntnisse über wissenschaftliche Erkenntnis. Diese Bestimmung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und der ihr nachgeordneten Wissenschaftstheorie findet sich in der philosophischen Literatur in besonderer Klarheit von John Losee (2001) ausformuliert:

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Im englischen Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung ‚philosophy of science‘ etabliert, der im Deutschen drei verschiedene Termini korrespondieren: (1) ‚Wissenschaftslogik‘ ist eine veraltete Bezeichnung vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die heute meines Wissens keine Verwendung mehr findet. (2) Als ‚Wissenschaftstheorie‘ wird das Fachgebiet bis heute häufig bezeichnet. (3) ‚Wissenschaftsphilosophie‘ wird von modernen Autoren i.d.R. bevorzugt, um einerseits eine Nähe zur englischen Bezeichnung herzustellen und andererseits ihr Gebiet nicht nur auf theoretische Fragen zu beschränken, sondern für ethische Überlegungen zu öffnen. Ich bevorzuge hier den Begriff ‚Wissenschaftstheorie‘ aus einem offensichtlichen Grund: Wissenschaftsethik ist keine Disziplin zweiter Ordnung, sondern als Teilbereich der angewandten Ethik gänzlich auf der Reflektionsebene erster Ordnung beheimatet (siehe unten). Insofern aber Wissenschaftsphilosophie solche wissenschaftsethischen Themen umfasst, kann sie i.A. nicht als eine Disziplin zweiter Ordnung angesehen werden. Vielmehr droht dieses inklusive Vokabular die profunde Disanalogie zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik zu verdecken (vgl. dagegen Reydon & Hoyningen-Huene 2011: 131) Vgl. Popper 1934: 10ff, vgl. auch Okasha 2002: 11f; vgl. auch Hansson 2017; für einen modernen Versuch, Wissenschaft insbesondere von Alltagswissen zu unterscheiden, vgl. Hoyningen-Huene 2013: 9f, 14

Wissenschaftstheorie und Metaethik

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[…] philosophy of science is a second-order criteriology. […] There is a distinction to be made between doing science and thinking about how science ought to be done. The analysis of scientific method is a second-order discipline, the subjectmatter of which is the procedures and structures of the various sciences […].14

Ähnlich spricht beispielsweise Carrier der Wissenschaftstheorie einen „Zugang zweiter Stufe“ zu,15 Lauth und Sareiter bestimmen als den „Gegenstand der Wissenschaftstheorie“ „die logischen und methodischen Grundlagen der empi­rischen Wissenschaften“16 und Godfrey-Smith bemüht das Konzept einer „philosophical theory of science“.17 Folgt man der hier eingeschlagenen Darstellung, der zufolge sich die Wis­ senschaftstheorie zur Wissenschaft als deren nachgeordnete Disziplin zweiter Ordnung verhält, besteht die systematische Parallele zwischen Wissenschaftstheorie und Metaethik darin, dass auch die Metaethik eine Disziplin zweiter Ordnung ist, die einer Disziplin erster Ordnung – der normativen Ethik – nachfolgt. Die normative Ethik ist dabei insofern eine Disziplin erster Ordnung, als sie über moralische Bewertungen menschlichen Verhaltens nicht durch eine ihr vorgeordnete Disziplin geringerer Ordnung vermittelt reflektiert, sondern solche Bewertungen unmittelbar vornimmt. Die moralische Güte oder Valenz menschlichen Verhaltens bildet folglich den Gegenstand der normativen Ethik. Philosophen in der normativen Ethik versuchen entsprechend, moralische Urteile, in denen bestimmte Verhaltensweisen als moralisch geboten, verboten oder erlaubt bewertet werden, als wahr oder falsch auszuweisen und ihre Thesen zu begründen, indem sie umfassende Ansätze und einzelne Argumente erarbeiten. Sie sind hingegen weniger an nachgeordneten Fragen darüber interessiert, welches semantische Verständnis von moralischen Urteilen zuallererst vorausgesetzt werden sollte, welche metaphysischen Annahmen mit moralischen Urteilen einhergehen oder über welchen epistemischen Zugang ethisches Wissen letztinstanzlich erschlossen wird. In diesem Sinne verfügt die normative Ethik, analog zur Wissenschaft, über keine Bezugsdisziplin, sondern befindet sich auf der Reflektionsebene geringster Stufe, der lediglich das menschliche Verhalten selbst unterstellt ist. Wenn also beispielsweise in der allgemeinen Ethik Deontologen und Teleologen darüber uneinig sind, ob der kategorische Imperativ oder das klassische Nutzenprinzip 14 15 16 17

Losee 2001: 2 (meine Hervorhebung) Carrier 2007: 15; vgl. auch Kuhlmann 2017: 34 und Carrier 2006: 9 Lauth & Sareiter 2005: 13 Godfrey-Smith 2003: 5; ähnlich dazu bereits Popper: „Die Erfahrungswissenschaften sind Theoriensysteme. Man könnte die Erkenntnislogik die Theorie der Theorien nennen.“ (Popper 1934: 36)

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Kapitel 1

als höchstes Prinzip der Moral anzusehen ist; wenn in der angewandten Ethik Abtreibungsbefürworter und -gegner darüber streiten, ob Schwangerschaftsabbrüche moralisch erlaubt oder verboten sind; wenn in der Wissenschaftsethik die Frage danach gestellt wird, ob (Grundlagen-)Wissenschaftler für die Folgen ihrer Forschung Verantwortung tragen; wenn in der Medizinethik die Frage nach der gerechten Allokation von Spenderorganen aufgeworfen wird; wenn in der politischen Philosophie Liberalisten und Marxisten verschiedene Ansichten über die gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vertreten; oder wenn schließlich in der Rechtsphilosophie die Frage danach gestellt wird, inwieweit individuelle Abwehrrechte Vorrang vor sozialen Anspruchsrechten genießen, dann wird in all diesen Fällen individuelles bzw. kollektives Verhalten einer direkten moralischen Bewertung unterzogen.18 In diesem Sinne treten normative Ethiker in Debatten erster Ordnung ein, da sie über die Wahrheit moralischer Urteile streiten und damit durchweg eine legitimatorische Perspektive auf dieselben einnehmen.19 Die Metaethik ist demgegenüber die der normativen Ethik nachfolgende Disziplin zweiter Ordnung, die Reflektionen über normativ-ethische Erkenntnisse anstellt und dabei einen höchstens mittelbaren Bezug zur Aufstellung und Begründung moralischer Urteile beibehält. Die moralische Valenz menschlichen Verhaltens bildet also nicht den Gegenstand metaethischer Untersuchungen; es ist vielmehr der fundamentale Status normativ-ethischer Untersuchungen, der den Gegenstand der Metaethik ausmacht und dieselbe dadurch der normativen Ethik nachordnet. In der Metaethik geht es folglich nicht darum, Verhaltensweisen einer begründeten Beurteilung zu unterziehen, sondern um nachgeordnete Fragen danach, was überhaupt unter einem moralischen Urteil verstanden werden sollte, was moralische Urteile wahrmacht oder wie moralische Erkenntnis gewonnen wird. Der Nonkognitivismus, dem zufolge moralische Urteile keine wahrheitsfähigen Behauptungen sind, sondern als emotive Expressionen der eigenen Gefühle aufgefasst werden, dient folglich als Illustration des metaethischen Zugangs zweiter Ordnung. 18

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Man kann sicherlich darüber uneins sein, ob der Bereich der normativen Ethik hier als zu weit skizziert wurde. Dass insbesondere Politik und Recht in den Gegenstandsbereich normativ-ethischer Erwägungen aufgenommen wurden, mag mit Blick auf die Politik etwa von Machiavellisten und mit Blick auf das Recht von Rechtpositivisten zurückgewiesen werden. Dagegen muss man aber feststellen, dass man sich durchaus auf philosophische Traditionslinien berufen kann, die Politik und Recht ausdrücklich zum Gegenstand moralischer Urteile machen (politische Ethik bzw. Naturrechtsdenken). Vor dem Hintergrund, dass mit der normativen Ethik zumindest eine Teildisziplin der Philosophie auf der ersten Reflektionebene liegt, ist die bisweilen vertretene Ansicht, dass die gesamte Philosophie eine Disziplin zweiter Ordnung sei (vgl. Scholz 2013: 5, 8f, 20f; vgl. auch Albert 1972: 149), nicht überzeugend.

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Wissenschaftstheorie und Metaethik

Metaethikern geht es nicht darum, konkrete Verhaltensbeurteilungen vorzunehmen, sondern über normativ-ethische Beurteilungen zu reflektieren. In der philosophischen Literatur ist diese Einordnung der Metaethik als einer Disziplin zweiter Ordnung ebenfalls weit verbreitet und findet sich beispielsweise bei Alexander Miller (2013) wieder: First, there are first-order questions about which party in the debate, if any, is right, and why. Then, there are second-order questions about what the parties in the debate are doing when they engage in it. Roughly, the first-order questions are the province of normative ethics, and the second-order questions are the province of metaethics.20

Im Einklang mit dieser Darstellung schreibt Markus Rüther (2015), dass „die Metaethik eine Stufe tiefer an[setzt]: Sie formuliert keine moralischen Urteile, sondern trifft Aussagen und stellt Hypothesen über diese spezifische Urteilsklasse auf.“21 Später stellt Rüther dann sogar den Bezug zur metatheoretischen Perspektive der Wissenschaftstheorie explizit her: Ein Metaethiker ist, wie man sagen könnte, ein Wissenschaftstheoretiker der normativen Ethik. Er untersucht die Voraussetzungen, die wir eingehen, wenn wir moralische Urteile treffen. […] Der Metaethiker prüft, was die Natur der Moral ist, also was wir unter moralischen Urteilen, Überzeugungen, Erkenntnissen und Tatsachen verstehen sollten.22

Angelehnt an Losees analoge Unterscheidung zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaft, die Millers Darstellung des Verhältnisses von Metaethik und normativer Ethik nicht nur der Sache nach, sondern sogar bis in das von ihm verwendete Vokabular hinein gleicht, kann die metatheoretische Perspektive von Wissenschaftstheorie und Metaethik folgendermaßen (wie in Tabelle  1) schematisiert werden: Tabelle 1

Theorie

Praxis

Zweite Ordnung

Wissenschaftstheorie

Metaethik

Erste Ordnung

Wissenschaft

Normative Ethik

Phänomenebene

Natur, Psyche, Soziales

Moral, Politik, Recht

20 21 22

Miller 2013: 1; vgl. auch Smith 1994: 2 Rüther 2015: 25 Ebd.: 28 (meine Hervorhebung); vgl. auch von Kutschera 1999: 45f

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Kapitel 1

Die systematische Parallele zwischen Wissenschaftstheorie und Metaethik – ihre metatheoretische Perspektive zweiter Ordnung – wird vor allem dann augenfällig, wenn man sich darüber Klarheit verschafft, dass beide Fachgebiete durch ihre eigentümlichen Untersuchungsgegenstände in einem spannungsreichen Verhältnis zu den ihnen vorgeordneten Disziplinen der Wissenschaft und der normativen Ethik stehen.23 Erstens drohen die Untersuchungen zweiter Ordnung latent auf die erste Ordnung durchzuschlagen, insofern sie insbesondere die Möglichkeit wissenschaftlicher bzw. normativethischer Untersuchungen selbst affizieren können: Sollte sich etwa im Zuge wissenschaftstheoretischer Überlegungen – im Sinne eines Abgrenzungsskeptizismus24 – die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft als willkürlich erweisen oder sollten sich moralische Urteile im Zuge metaethischer Überlegungen – im Sinne eines Nonkognitivismus25 – als bloße Kundgaben von Gefühlen herausstellen, stünden möglicherweise die Projekte der Wissenschaft bzw. der normativen Ethik, die auf intersubjektiv gültige Rechtfertigungen ihrer jeweiligen Aussagen abzielen, insgesamt infrage. Denn, so ließe sich argumentieren, zwischen zwei Parteien, die in ihren theoretischen bzw. praktischen Überzeugungen divergieren, könnte dann nicht länger argumentativ vermittelt werden. Die verschiedenen theoretischen Ansichten von Evolutionstheoretikern und Kreationisten oder die verschiedenen moralischen Urteile von Philanthropen und Misanthropen müsste man vielmehr 23

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Die Frage nach der Neutralität der zweiten gegenüber der ersten Ordnung wurde vor allem in der Metaethik der 1960er Jahre diskutiert: vgl. Gewirth 1960; Sumner 1967; vgl. für eine moderne Diskussion Enoch 2011: 41-49. Eine interessante Parallelisierung zwischen dieser metaethischen und der entsprechenden wissenschaftstheoretischen (Nicht-)Neutralitätsthese findet sich bei Albert 1972: „[E]ine […] Meta-Ethik [kann] nicht neutral sein […] in bezug auf ethische Systeme, ebensowenig wie eine Wissenschaftslehre neutral sein kann in bezug auf wissenschaftliche Theorien.“ (Albert 1972: 157f, vgl. auch Enoch 2011: 114 für eine entgegengesetzte Disanalogie zwischen Metaethik, die hier als nicht-neutral, und Wissenschaftstheorie, die dagegen als neutral eingeordnet wird.) So wirft Popper etwa dem verifikationistischen Sinnkriterium des Wiener Kreises vor, es führe – als Abgrenzungskriterium zwischen Metaphysik und empirischer Wissenschaft verstanden – „nicht zu einer Abgrenzung, sondern zu einer Gleichsetzung der naturwissenschaftlichen und metaphysischen Theoriensysteme […]; nicht zu einer Ausschaltung, sondern zu einem Einbruch der Metaphysik in die empirische Wissenschaft.“ (Popper 1934: 13) So gibt Stevenson etwa zu, dass seinem Nonkognitivismus zufolge ethischer Dissens nicht rational, über das wechselseitige Austauschen von Argumenten, überwunden werden könne, sondern lediglich das Infizieren des Gesprächspartners mit den eigenen Gefühlen dazu geeignet sei. „Das ist häufig der einzige Weg, um zu ethischer Übereinstimmung zu gelangen, falls es überhaupt einen gibt.“ (Stevenson 1937: 124) Stevensons Emotivismus zufolge besteht demnach „zwischen moralischer Argumentation und Propaganda […] kaum ein Unterschied.“ (Albert 1972: 138)

Wissenschaftstheorie und Metaethik

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gleichberechtigt nebeneinander gelten lassen und Versuche, zwischen ihnen auf der jeweils ersten Ordnung argumentativ zu schlichten, für grundsätzlich verfehlt ausgeben. Zweitens scheint dann auch umgekehrt die erste Ordnung Voraussetzungen zu enthalten, die in die zweite Ordnung hineinreichen können. Denn wer Wissenschaft oder normative Ethik betreibt, so ließe sich in die andere Richtung argumentieren, ist strikt auf die Zurückweisung von Abgrenzungsskeptizismus bzw. Nonkognitivismus festgelegt. Man kann dieser Zuspitzung sicherlich entgegenhalten, dass dieser wech­ sel­seitige Einfluss zwischen erster und zweiter Ordnung nicht im selben Ausmaß auf Theorie und Praxis zutrifft, sondern dass das Verhältnis zwischen normativer Ethik und Metaethik ungleich prekärer ist als dasjenige zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie. Der Abgrenzungsskeptizismus betrifft eventuell nur den Sonderstatus, den die Wissenschaft gegenüber gewöhnlichem Alltagswissen innezuhaben scheint. Aber er muss keinesfalls die drastischere These zur Folge haben, dass damit wissenschaftliche Wahrheitssuche insgesamt gegenstandslos wird. Insbesondere wenn man die Abgrenzung nicht auf ideologisch korrumpierte Pseudowissenschaften eingrenzt, sondern die Wissenschaft allgemein von (bisweilen respektablen) nicht-wissenschaftlichen Erkenntniszugängen zu unterscheiden versucht, muss das Fehlgehen einer klaren Abgrenzung auf der zweiten Ordnung keinesfalls die Implikation beinhalten, dass nicht mehr zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten sowie zwischen wahren und falschen Überzeugungen auf der ersten Ordnung unterschieden werden kann. So wird bereits in Poppers klassischer Behandlung des Abgrenzungsproblems dessen Kriterium der Falsifizierbarkeit lediglich als ein „Vorschlag für eine Festsetzung“ eingeführt, die keineswegs eine Abwertung nicht-wissenschaftlicher Tätigkeiten impliziere, sondern ausschließlich der definitorischen Stipulation diene:26 Man kann nicht leugnen, daß es neben metaphysischen Gedankengängen, die die Entwicklung der Wissenschaft hemmten, auch solche gibt (wir erwähnen nur den spekulativen Atomismus), die sie förderten. Und wir vermuten, daß wissenschaftliche Forschung, psychologisch gesehen, ohne einen wissenschaftlich indiskutablen, also wenn man will, ‚metaphysischen‘ Glauben an manchmal höchst unklare theoretische Ideen wohl gar nicht möglich ist.27

Der Nonkognitivismus hingegen betrifft keinen etwaigen Sonderstatus der normativen Ethik, sondern streitet radikaler den Gehalt normativ-ethischer Überlegungen überhaupt ab, d.h. er streitet ab, dass moralische Urteile 26 27

Popper 1934: 13 Popper 1934: 14f; vgl. auch ebd.: 266f

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Kapitel 1

Behauptungen, die wahr oder falsch sind, darstellen. Geht daher in der zweiten Ordnung die Verteidigung gegen den Nonkognitivismus fehl, folgt in der Tat die Konklusion, dass normativ-ethische Wahrheitssuche auf der ersten Ordnung als gegenstandlos angesehen werden muss. Der Notwendigkeit, einem nachgeordneten Skeptizismus zu widersprechen, wie auch der Bedrohung, die für Untersuchungen erster Ordnung von Positionierungen zweiter Ordnung ausgeht, mögen deshalb im Verhältnis zwischen normativer Ethik und Metaethik eine stärkere Rolle zukommen als im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie. Die Bemerkung von Ronald Dworkin (1996), dass der auf die Moral eingeschränkte Skeptizismus gefährlicher sei als dessen allgemeines, auf theoretische Überzeugungen erweitertes Äquivalent, basiert offenbar auf ebendieser Disanalogie zwischen Wissenschaft und normativer Ethik: Selective skepticism about value, under the name of ‚subjectivism‘ or ‚emotivism,‘ […] is also the most dangerous [form of skepticism]. No one – not even the most committed post-modernist or anti-foundationalist – thinks his views should affect how physicists or mathematicians actually work.28

Allerdings muss gegen die Disanalogie zwischen Wissenschaft und normativer Ethik durchaus festgehalten werden, dass auch radikal-skeptische Tendenzen in theoretischen Bereichen wie der Wissenschaftstheorie insofern nicht unterschätzt werden sollten, als etwa radikale Postmodernisten auch hier keinesfalls vor Forderungen nach Änderung der wissenschaftlichen Praxis zurückschrecken. So spricht beispielsweise Ian Hacking (1983) von einer Rationalitätskrise, die ab den 1960er Jahren die Wissenschaftstheorie heimsuchte und modernen Skeptizisten im theoretischen Bereich Auftrieb verschaffte: A few people, perhaps those who already held that morality is culture-bound and relative, suggested that ‚scientific truth‘ is a social product with no claim to absolute validity or even relevance.29

Die relativistischen Gefahren drohen also nicht allein in der Metaethik, sondern können ihren Weg durchaus in die Wissenschaftstheorie finden. In 28 29

Dworkin 1996: 89 Hacking 1983: 1; Harry Collins hält als Beispiel für einen wissenschaftstheoretischen Relativisten (vgl. Collins 1985: 1) her, der Forderungen nach einem veränderten Umgang mit wissenschaftlicher Expertise insofern aufgeschlossen gegenübersteht, als er objektivistische Auffassungen von Wissenschaft als „dangerous for democracy“ bezeichnet und stattdessen eine „practical social science lesson“ vorschlägt, in denen bereits Schüler in der „construction of order in the natural world“ unterwiesen werden (ebd.: 161).

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diesem Fall dient das spannungsreiche Verhältnis zwischen erster und zweiter Reflektionsstufe erst recht dazu, die systematische Parallele zwischen Wissenschaftstheorie und Metaethik zu illustrieren. Vor dem Hintergrund dieser wechselseitigen Abhängigkeit, die zwischen Untersuchungen erster und zweiter Ordnung zu bestehen scheint, kündigen sich naheliegende Einwände gegen die bisherige Darstellung an, die sich sowohl auf der Vertikalen als auch auf der Horizontalen bewegen, insofern sie entweder die prinzipielle Unterscheidbarkeit zwischen beiden Reflektionsebenen in Abrede stellen oder die Ausführungen innerhalb einer Reflektionsebene in Zweifel ziehen. Im Folgenden werde ich auf die – wie mir scheint – nächstliegenden Einwände eingehen und damit die systematische Behandlung beider Subdisziplinen abschließen. Der hier antizipierte vertikale Einwand betrifft die Unterscheidung beider Reflektionsebenen unmittelbar, indem aus dem Aufzeigen strittiger Einzelfälle das Fehlgehen der begrifflichen Unterscheidung insgesamt gefolgert wird. Mit Blick auf die theoretische Seite des Schemas richtet sich der vertikale Einwand gegen die Darstellung von Wissenschaft und Wissenschaftstheorie als zwei voneinander verschiedenen Disziplinen, die Fragestellungen unterschiedlicher Ordnung adressieren: Wissenschaft und Wissenschaftstheorie könnten, so der Einwand, nicht eindeutig voneinander unterschieden und sollten deshalb vielmehr als ein Kontinuum betrachtet werden.30 Einerseits werden in der Literatur dabei spezielle Problemstellungen angeführt, die erkennbar auf der vermeintlichen Grenze zwischen beiden Disziplinen liegen und dadurch die Unterscheidung zu unterlaufen scheinen. So dienen wissenschaftstheoretische Interpretationen der Quantenmechanik als plausible Beispiele disziplinüberschreitender Aufgaben, die nicht eindeutig der Physik oder der Philosophie der Physik zugeschrieben werden können, sondern beide Disziplinen eher derart miteinander vermengen, dass die Beispiele gegen die Unterscheidung im Ganzen zu sprechen scheinen.31 Andererseits wird der Einwand nicht selten von wissenschaftshistorisch motivierten Autoren vorgetragen, die damit eine programmatische Forderung nach engerer Anbindung der Wissenschaftstheorie an die tatsächlich praktizierte Wissenschaft verbinden und sich insbesondere gegen das dargestellte Verständnis von Wissenschaftstheorie als einer Metadisziplin richten. So grenzt etwa Hasok Chang (1999) die Perspektive der Wissenschaftstheorie (und der Wissenschaftsgeschichte) ausdrücklich von einem Zugang zweiter Stufe ab:

30 31

Vgl. Kuhlmann 2017: 31f; vgl. auch Scholz 2013: 11; Reydon & Hoyningen-Huene 2011: 138 Vgl. Kuhlmann 2017: 33; vgl. auch Chang 1999: 420

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Kapitel 1 The important distinction to be stressed, however, is that HPS [= history and philosophy of science] in its complementary mode is not about science; instead, its aims are continuous with the aims of science itself […].32

Man sollte beachten, dass sich der vertikale Einwand, wie er sich zumindest bei Chang darstellt, nicht gegen die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Disziplinen erster und zweiter Ordnung wendet. Vielmehr ebnet Chang das Verhältnis von Wissenschaft und Wissenschaftstheorie ein, indem er beide Bereiche insgesamt auf der ersten Ordnung verortet und dadurch die Unterscheidung beider Ordnungen implizit voraussetzt. Fragestellungen zweiter Ordnung, die dem obigen Schema gemäß der Wissenschaftstheorie vorbehalten sind, finden angeblich überhaupt nicht statt; das Kontinuum, das von Wissenschaft und Wissenschaftstheorie aufgespannt wird, befindet sich stattdessen ganz in den Grenzen der ersten Reflektionsebene: Therefore the desired result of research in HPS in this mode is an enhancement of our knowledge and understanding of nature. […] HPS enlarges and deepens the pool of our knowledge about nature; in other words, HPS increases scientific knowledge.33

Der Einwand im theoretischen Kontext bewegt sich damit insofern auf der Vertikalen, als er das Verhältnis von Wissenschaft und ihr nachgeordneter Wissenschaftstheorie einebnet und beide Disziplinen auf der ersten Ordnung einander gleichstellt. Mit Blick auf die praktische Seite des Schemas besagt der vertikale Einwand analog, dass normative Ethik und Metaethik nicht als zwei Disziplinen verschiedener Ordnung dargestellt werden sollten, sondern graduell ineinander übergehen.34 Einerseits heben in der Literatur entsprechende Autoren auf Implikationen von metaethischen Thesen ab, die, wie oben bereits anges­ prochen, auf die normative Ethik durchschlagen und dadurch wiederum gegen die praktische Hälfte des Schemas zu sprechen scheinen. Skeptische 32 33 34

Chang 1999: 420 (meine Hervorhebungen) Ebd.: 415 (meine Hervorhebungen) Diese Kontinuitätsthese, der zufolge das Verhältnis von normativer Ethik und Metaethik keine diskrete Unterscheidung zulässt, wird vielleicht am deutlichsten von dem an Dworkin anknüpfenden Matthew Kramer (2009) ausformuliert: „As a result, there is no fundamental divide between the meta-ethical and the ethical. Meta-ethical theses are distinctive in the specific issues that they address, and many of those are distinctive in their levels of abstraction, but we should not make the mistake of thinking that their distinctiveness places them outside the domain of substantive ethical principles.“ (Kramer 2009: 5; vgl. auch DeLapp 2013: 7)

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Positionen in der Metaethik gelten als aussichtsreiche Kandidaten für solche Ansätze, deren Implikationen weit in die normative Ethik hineinreichen und sich ihr gegenüber folglich nicht neutral verhalten. So machen, wie bereits erwähnt, insbesondere Ronald Dworkin (1996) und Matthew Kramer (2009) deutlich, dass aus diesen Beispielen die Ununterscheidbarkeit beider Bereiche folgt: They [archimedean skeptics] say that the further claims can be read as metaethical, philosophical claims about value judgments rather than as value judgments themselves. […] [However,] [t]he philosophical sounding proposition that there are moral properties in the universe […] claims that some acts really are unjust, or some people really are good, or something of the sort. So read, the proposition is a (very weak) I-proposition [= normative-ethical], and a skeptic who denied it would hardly be neutral toward substantive morality.35

Andererseits geht der vertikale Einwand nicht selten mit einer Reserviertheit gegenüber metaethischen Reflektionen über normative Ethik einher und beinhaltet dadurch, analog zum theoretischen Kontext, eine programmatische Forderung darüber, wie Ethik betrieben werden sollte. So sind neben Dworkins Argumenten gegen die Nachordnung der Metaethik vor allem Rawls’ metaethische Überlegungen mit der programmatischen Forderung verbunden, normativ-ethische Fragestellungen nicht durch eine Überbetonung der Metaethik ins Abseits geraten zu lassen.36 Der auf die praktische Hälfte angewandte vertikale Einwand gleicht damit insofern mit seinem theoretischen Äquivalent, als er ebenfalls sowohl eine deskriptiv-konzeptuelle als auch eine normativprogrammatische Version zulässt, die möglicherweise nicht klar voneinander unterschieden werden. Die auffälligste Parallele zwischen der theoretischen und praktische Variante des vertikalen Einwands besteht jedoch darin, dass der auf die praktische Hälfte des Schemas angewandte Einwand in der Literatur dieselbe Wendung wie sein theoretisches Äquivalent nimmt: Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Disziplinen erster und zweiter Ordnung erfährt durch den vertikalen Einwand keine Abschwächung, sondern wird im Gegenteil gerade vorausgesetzt. Das Verhältnis von normativer Ethik und Metaethik wird dem Einwand zufolge nämlich dadurch eingeebnet, dass metaethische Problemstellungen, die vermeintlich auf der zweiten Ordnung liegen, auf die erste Ordnung heruntergestuft werden und die Metaethik dadurch insgesamt der

35 36

Dworkin 1996: 99f Vgl. Wenar 2017: Abschnitt 2.5

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Kapitel 1

ohnehin erststufigen normativen Ethik gleichgestellt wird. Entsprechend fasst beispielsweise Shafer-Landau Dworkins Position zusammen: Whether moral judgments are in order, correct, true, legitimate, or justified is entirely a matter of first-order moralizing. [According to Dworkin,] [t]here is no way to distinguish questions of morality’s content from questions about its metaphysical status; all allegedly second-order questions are really first-order ones.37

Zusammenfassend gesagt, kann auch im praktischen Kontext ein Einwand, der sich auf der Vertikalen bewegt, gegen die Unterscheidung von normativer Ethik und ihr nachgeordneter Metaethik formuliert und in der Literatur nachgewiesen werden. Dem Einwand zufolge bilden normative Ethik und Metaethik ein höchstens graduell unterschiedenes Kontinuum, das gänzlich auf die ersten Reflektionsebene beschränkt ist. Es ist aber nicht richtig, die angebliche Ununterscheidbarkeit zwischen Wissenschaft bzw. normativer Ethik einerseits und Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik andererseits zum Anlass zu nehmen, um sämtliche Problemfelder auf die erste Ordnung zu verlagern und das Schema, das die vier Disziplinen in diejenigen erster Ordnung (Wissenschaft und normative Ethik) und diejenigen zweiter Ordnung (Wissenschaftstheorie und Metaethik) unterteilt, dadurch zu diskreditieren. Die deskriptiv-konzeptuelle Version des vertikalen Einwands ist deshalb nicht schlüssig, weil sie lediglich im Stande ist zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Wissenschaft bzw. normativer Ethik einerseits und der ihnen nachgeordneten Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik andererseits bisweilen zu Ungenauigkeiten neigt und Graubereiche zulässt, in denen eine eindeutige Zuordnung nicht vorgenommen werden kann. Dieser Befund allein stellt jedoch keinen hinreichenden Grund dar, die Unterscheidung insgesamt für hinfällig zu erklären, da sämtliche normalsprachliche Unterscheidungen mit Ungenauigkeiten behaftet sind und nichtsdestotrotz sinnvolle Verwendung finden können. Die Akzeptanz dieses Einwands müsste folglich die unplausible Konsequenz nach sich ziehen, jegliche Unterscheidung, die mit an den Rändern unscharfen Begriffen einer normalen Sprache formuliert wird, in Zweifel zu ziehen. Solche Fehlschlüsse erfreuen sich auch in anderen Debatten einer trügerischen Beliebtheit und sind auch dort berechtigter Kritik ausgesetzt. So argumentiert beispielsweise Bas van Fraassen gegen die Versuche früher wissenschaftlicher Realisten, die Unterscheidung zwischen beobachtbaren und unbeobachtbaren Entitäten in Zweifel zu ziehen. Van Fraassen zufolge könne man diese Unterscheidung insbesondere nicht dadurch diskreditieren, 37

Shafer-Landau 2010: 480; vgl. auch Enoch 2011: 47, 129f

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dass man deren Unschärfe anprangert und stattdessen Beobachtbarkeit für ein graduelles Konzept erklärt, dessen Kontinuum von Entitäten, die mit bloßem Auge gesehen werden können, bis hin zu Entitäten, die nur durch Elektronenmikroskopen beobachtbar sind, reicht. predicates in natural language are almost all vague, and there is no problem in their use […]. A vague predicate is usable provided is has clear cases and clear counter-cases.38

Ebenso wenig wie das Auflisten dieser Graubereiche als Einwand gegen die Unterscheidung zwischen Beobachtbarem und Unbeobachtbarem dient, bildet der vertikale Einwand der Ununterscheidbarkeit ein schlüssiges Argument gegen die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie: Der interferometrische Nachweis von Gravitationswellen ist eindeutig eine wissenschaftliche und keine wissenschaftstheoretische Untersuchung; das Abgrenzungsproblem hingegen stellt eindeutig ein wissenschaftstheoretisches und kein wissenschaftliches Problem dar.39 Der analoge Einwand gegen die Unterscheidung zwischen normativer Ethik und Metaethik ist ebenfalls nicht schlüssig: Die Abtreibungsdebatte ist ein normativ-ethisches Thema, während die Debatte um den Nonkognitivismus zur Metaethik gehört. Es genügt, solche klaren Fälle vor Augen zu haben, um die Unterscheidung zwischen denjenigen Disziplinen, die Fragestellungen erster Ordnung adressieren, und denjenigen Disziplinen, die nachgeordnete Themen zweiter Ordnung behandeln, sinnvoll verwenden zu können. Während also die deskriptiv-konzeptuelle These, dass man Wissenschaft bzw. normative Ethik einerseits und Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik andererseits gar nicht voneinander abgrenzen könne, nicht überzeugend ist, leistet auch die normativ-programmatische These, dass man die entsprechenden Disziplinen nicht voneinander trennen sollte, bisweilen Fehlentwicklungen Vorschub. In beiden Bereichen ist zwar die Forderung nach stärkerer Anbindung an die entsprechende Disziplin erster Ordnung aus dem jeweiligen historischen Kontext insofern verständlich, als man sie als Reaktionen auf vorangegangene Fehlentwicklungen in Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik begreifen kann. Im Fall der Wissenschaftstheorie hatte das rekonstruktive Forschungsprogramm des logischen Positivismus mit seiner

38 39

Van Fraassen 1980: 16 Entsprechend schreibt auch Carrier, dass die Wissenschaftstheorie „nicht in Konkurrenz zur Wissenschaft [tritt]“. (Carrier 2006: 9)

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Kapitel 1

Vernachlässigung der Wissenschaftsgeschichte den historical turn provoziert.40 Im Fall der Metaethik behinderte die zeitweilige Dominanz metaethischer und insbesondere sprachanalytischer Reflektionen den Fortschritt in der normativen Ethik.41 Erstens geht aber mit der Nähe, die historisch arbeitende Wissenschaftstheoretiker zu den Einzelwissenschaften suchen, umgekehrt nicht selten eine Ferne zur Philosophie einher, die in extremen Fällen dazu führt, dass philosophische Themen gänzlich aus den Augen verloren werden. Zweitens können analog durch eine übertriebene Verengung der Ethik auf normative Themen philosophische Themen über den Status der Moral ungebührend aus dem Blick geraten. Selbst wenn man also solchen programmatischen Forderungen grundsätzlich aufgeschlossen gegenübersteht, sollte man ihnen, vor dem Hintergrund der skizzierten Gefahren, zumindest nicht allzu unbedarft begegnen. In keinem Fall führen die Forderungen dahin, die Konzeptualisierung von Wissenschaftstheorie und Metaethik als Disziplinen zweiter Ordnung glaubhaft zu untergraben. Der vertikale Einwand gegen das Schema von Wissenschaftstheorie und Metaethik als nachgeordnete Disziplinen zweiter Ordnung ist also weder in seiner deskriptiv-konzeptuellen noch in seiner normativ-programmatischen Version überzeugend. Bevor die Diskussion des Schemas endgültig verlassen und auf den Realismus hingeführt wird, wird abschließend der zweite, sich auf der Horizontalen bewegende Einwand behandelt. Der horizontale Einwand richtet sich im Gegensatz zu seinem vertikalen Äquivalent nicht unmittelbar gegen das Verhältnis zwischen erster und zweiter Ordnung, sondern betrifft dasselbe nur mittelbar über die Charakterisierungen, die innerhalb der ersten und innerhalb der zweiten Ordnung vorgenommen werden. Auf der theoretischen Seite des Schemas betrifft der horizontale Einwand das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie insofern, als er besagt, dass die Wissenschaft keine einheitliche Disziplin darstellt und es deshalb auch angezweifelt werden kann, ob sie der Wissenschaftstheorie als einheitliche Disziplin erster Ordnung zuordenbar ist. Die vielfältigen Einzelwissenschaften der Physik, Medizin, Ökonomik usw. sind vielmehr 40 41

So lehnt etwa Kuhn die Fokussierung der logischen Positivisten auf den Rechtfertigungskontext ab: „To Kuhn this picture of science was more like a photographic negative in which light and dark are reversed.“ (Nickles 2017: Abschnitt 1.1) So richtet sich beispielsweise Rawls gegen eine Priorisierung der Metaethik gegenüber der normativen Ethik: „Indeed, as a methodological presumption Rawls reverses the traditional order of priority. Progress in metaethics will derive from progress in substantive moral and political theorizing, instead of (as often assumed) vice versa.“ (Wenar 2017: Abschnitt 2.5)

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eigenständige akademische Fachgebiete, die sich thematisch und personell sowie in ihrer Ausbildung und Arbeitsweise so sehr unterscheiden, dass eine pauschale Subsumtion all dieser Disziplinen unter den Begriff der Wissenschaft als zu undifferenziert angesehen werden mag. Der Wissenschaftstheorie korrespondiert folglich auf der ersten Ordnung, so der Einwand, überhaupt keine einheitliche Disziplin, sondern eine hochgradig heterogene Menge unterschiedlichster Einzelwissenschaften, die nicht auf einen Begriff gebracht werden kann. Damit lässt sich der Einwand eher auf der Horizontalen verorten, da er das dargestellte Verhältnis zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie nur mittelbar über eines der beiden Relata anzweifelt. Da es in der modernen wissenschaftstheoretischen Literatur üblich ist, die Eigenständigkeit wissenschaftlicher Fachbereiche detailliert hervorzuheben, und der Hinweis auf die tiefliegenden Unterschiede zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen auch nachvollziehbar ist, stellt sich der darauf abhebende Einwand als naheliegend dar.42 Es ist aber festzuhalten, dass trotz des berechtigten Hinweises auf die Verschiedenheit wissenschaftlicher Einzeldisziplinen der horizontale Einwand nicht dazu in der Lage ist, ein schlüssiges Argument gegen die dargestellte Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie zu bilden. Erstens kann die einzelwissenschaftliche Ausdifferenzierung in Physik, Medizin, Ökonomik und weitere Wissenschaften auf der unteren Stufe durch eine korrespondierende Ausdifferenzierung der Wissenschaftstheorie auf der oberen Stufe beantwortet werden. In der speziellen Wissenschaftstheorie wird gerade der Forderung nach disziplinärer Differenzierung entsprochen, indem sich Philosophen in diesen Kontexten auf eine einzige wissenschaftliche Disziplin spezialisieren und dabei eine (teils erhebliche) Nähe zu ihrer jeweiligen Bezugswissenschaft suchen. Es stehen sich dann zwar nicht länger eine Disziplin erster Ordnung – die Wissenschaft – und eine Disziplin zweiter Ordnung – die Wissenschaftstheorie – gegenüber. Die vielfältigen Einzelwissenschaften auf der ersten Stufe – Physik, Medizin, Ökonomik – können aber weiterhin in entsprechenden wissenschaftstheoretischen Disziplinen zweiter Ordnung – Philosophie der Physik, Philosophie der Medizin, Philosophie der Ökonomik – reflektiert werden. Selbst wenn man also an der hervorgehobenen Eigenständigkeit der Einzelwissenschaften festhält, steht weder die Ausdifferenzierung der Wissenschaft in verschiedene Einzelwissenschaften noch die Ausdifferenzierung der Wissenschaftstheorie in verschiedene Philosophien der Einzelwissenschaften einer Konzeptualisierung dieser Bereiche als aufeinander bezogene Disziplinen erster bzw. zweiter Ordnung entgegen. 42

Vgl. etwa Kitcher 2016: 171; vgl. auch De Regt 2017: 8

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Kapitel 1

Zweitens sollte man nicht außer Acht lassen, dass es trotz der tatsächlich bestehenden, interdisziplinären Unterschiede auch disziplinübergreifende Themen gibt, die vielen oder sogar allen Einzelwissenschaften gemein sind und zu deren Vertiefung eine allgemeine Reflektion über die Wissenschaft angebracht ist. Das begründete Aufstellen gemeinschaftlicher Standards für Wissenschaftlichkeit, die kritische Diskussion des Wertfreiheitsideals der Wissenschaft oder die analytische Klärung des in mehreren Einzelwissenschaften verwendeten Kausalitätsbegriffs beschränken sich nicht auf eine einzige wissenschaftliche Disziplin, sondern erstrecken sich verständlicherweise auf die Wissenschaft insgesamt. Der allgemeinen Wissenschaftstheorie, in der derartige Problemfelder behandelt werden, kann man daher auf der ersten Ordnung keine konkrete Einzelwissenschaft zuordnen, sondern muss die Wissenschaft im Allgemeinen als ihren abstrakteren Reflektionsgegenstand ansehen. Da die allgemeine Wissenschaftstheorie dabei lediglich von den Unterschieden zwischen den Einzelwissenschaften abstrahiert, um allgemeinere Fragen adressieren zu können, deshalb aber nicht in Abrede stellt, dass solche Unterschiede dennoch bestehen mögen, ist das horizontale Argument, das auf die einzelwissenschaftlichen Differenzen abhebt, auch in diesem Kontext nicht schlüssig: Obwohl der mit dem horizontalen Einwand einhergehende Hinweis auf die einzelwissenschaftlichen Differenzen richtig ist, steht er einer Zuordnung von Wissenschaft und allgemeiner Wissenschaftstheorie keinesfalls im Wege, da die allgemeine Wissenschaftstheorie lediglich von den zugegebenen Unterschieden abstrahiert und den Einwand damit ins Leere laufen lässt. Die Einteilung von Wissenschaft und allgemeiner Wissenschaftstheorie als aufeinander bezogene Disziplinen unterschiedlicher Ordnung kann also ebenfalls gegen den horizontalen Einwand verteidigt werden. Während sich also in Bezug auf die theoretische Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftstheorie ein sich auf der Horizontalen bewegender Einwand zwar aufdrängt, sich aber nicht weiter erhärtet, erhebt sich in Bezug auf die praktische Unterscheidung zwischen normativer Ethik und Metaethik zuallererst die Frage, ob es hier überhaupt einen äquivalenten Einwand geben kann, der sich auf der Horizontalen bewegt und sich mittelbar gegen die obige Einteilung richtet. Die der Metaethik zugeordnete Disziplin erster Ordnung – die normative Ethik – differenziert sich offenbar nicht in derselben Weise wie die Wissenschaft in unterschiedliche Einzeldisziplinen aus, die es nahelegen würden, das Verhältnis zwischen normativer Ethik und Metaethik mittelbar in Zweifel zu ziehen. Die normative Ethik ist vielmehr selbst eine Subdisziplin der Philosophie und damit weitaus homogener aufgestellt als die Einzelwissenschaften, deren hochgradige Heterogenität auf der theoretischen Seite ja gerade den horizontalen Einwand erst provoziert. Dennoch

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werde ich im Folgenden die praktische Variante des horizontalen Einwands kurz durchsprechen und zeigen, dass selbst wenn man ein entsprechendes Argument gegen die Unterscheidung zwischen normativer Ethik und Metaethik bemüht und auf die Heterogenität normativ-ethischer Subdisziplinen verweist, dieselben Erwiderungen wie oben Anwendung finden. Obwohl sich die praktische Variante des horizontalen Einwands also sicherlich nicht gleichermaßen aufdrängt, kann dennoch der Einwand in Stellung gebracht werden, dass die normative Ethik nicht so homogen sei, wie es prima facie scheint, und deshalb das Verhältnis zwischen ihr und der ihr nachgeordneten Metaethik überdacht werden müsse. Auf der praktischen Seite des Schemas betrifft der horizontale Einwand, analog zur theoretischen Seite, also die Relation zwischen normativer Ethik und Metaethik mittelbar, indem die Ausführungen zu einem der beiden Relata – gleichsam auf der Horizontalen – angezweifelt werden. Das Verhältnis von normativer Ethik und Metaethik könne man, dem Einwand zufolge, deshalb nicht als dasjenige zwischen einer Disziplin erster und einer Disziplin zweiter Ordnung ansehen, weil die normative Ethik von Vornherein gar keine einheitliche Disziplin bilde, sondern in verschiedene Fachgebiete zerfalle, die nicht alle der Metaethik zugeordnet werden könnten. Allgemeine Ethik, Forschungsethik, Bioethik, politische Philosophie und Rechtsphilosophie sind innerhalb der Philosophie eigenständige Subdisziplinen, die voneinander getrennte Debatten aufweisen und deren profunde Verschiedenheit unsachgemäß verdeckt wird, wenn man sie alle unter den Begriff der normativen Ethik subsumiert. Wenn man aber erstens an den Ausdifferenzierungen normativ-ethischer Subdisziplinen auf der ersten Ordnung festhält, dann lässt sich diese durch eine äquivalente Ausdifferenzierung metaethischer Reflektionsdisziplinen auf der zweiten Ordnung beantworten. In Analogie zur speziellen Wissenschaftstheorie korrespondiert dann jeder normativ-ethischen Bezugsdisziplin eine spezielle Metaethik, in der die Reflektion jeweils eines Bereichs erster Ordnung spezialisiert vorgenommen wird. Solche Reflektionsdisziplinen im Sinne einer speziellen Metaethik sind freilich nicht erkennbar als philosophische Subdisziplinen etabliert; aber dennoch ist es denkbar, sprachanalytische Überlegungen der politischen Philosophie oder der Rechtsphilosophie nachfolgen zu lassen, um etwa den Gerechtigkeits- bzw. den Rechtsbegriff einer vertieften Klärung zu unterziehen. Gesteht man zu, dass sich die Metaethik in diesem Sinne in verschiedene Reflektionsdisziplinen systematisch aufteilen lässt, so berührt der horizontale Einwand nicht länger den Kern des Verhältnisses von normativer Ethik und Metaethik als aufeinander bezogene Disziplinen verschiedener Ordnung. Denn obwohl sich im Rahmen einer speziellen Metaethik

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Kapitel 1

nicht länger eine Disziplin erster Ordnung – die normative Ethik – und eine Disziplin zweiter Ordnung – die Metaethik – gegenüberstehen, korrespondiert immer noch jeder normativ-ethischen Disziplin erster Ordnung – allgemeiner Ethik, Wissenschaftsethik, Rechtsphilosophie – jeweils eine als spezielle Metaethik konzeptualisierte Disziplin zweiter Ordnung – Philosophie der allgemeinen Ethik, Philosophie der Wissenschaftsethik, Philosophie der Rechtsphilosophie. Wenn man zweitens von den Unterschieden zwischen normativ-ethischen Teilbereichen abstrahiert und die thematische und terminologische Einheit der normativen Ethik hervorhebt, dann bietet sich die ohnehin gängige Reflektion im Rahmen einer allgemeinen Metaethik an, die, analog zur allgemeinen Wissenschaftstheorie, den Status der normativen Ethik insgesamt zum Gegenstand hat. Die aufgeführten Einzeldisziplinen von der allgemeinen Ethik über die angewandte Ethik bis hin zur politischen Philosophie adressieren allesamt normative oder evaluative Problemstellungen, in denen Aufklärung darüber angestrebt wird, wie sich Menschen – individuell oder kollektiv – verhalten sollen. Diese gemeinsame Perspektive, die in allen normativ-ethischen Einzeldisziplinen erster Ordnung zum Tragen kommt, rechtfertigt zum einen eine Subsumtion dieser Fachgebiete unter den Begriff der normativen Ethik und bedarf zum anderen einer allgemeinen Metaethik zweiter Ordnung, die die Gelegenheit bietet, disziplinübergreifende Themen zu diskutieren – etwa einen Nonkognitivismus, der alle normativen Aussagen affiziert, oder eine Klärung deontischer Grundbegriffe, die in allen normativ-ethischen Bereichen Anwendung finden. Einer allgemeinen Metaethik, die den Status normativer Urteile insgesamt adressiert und nicht nur einen Teilaspekt derselben herausgreift, korrespondiert die normative Ethik als Ganzes, da keine normativethische Einzeldisziplin die thematische Breite auf der ersten Ordnung abdeckt, über die hier auf der zweiten Ordnung reflektiert wird. Da also die Differenzen normativ-ethischer Untersuchungen auf der Horizontalen nicht ins Unendliche gehen, kann der horizontale Einwand auch das Verhältnis von normativer Ethik und allgemeiner Metaethik nicht überzeugend in Misskredit bringen. Der horizontale Einwand, der sich mittelbar gegen die Schematisierung von Wissenschaftstheorie und Metaethik als (einheitliche) Disziplinen zweiter Ordnung richtet, überzeugt daher weder in seiner theoretischen noch in seiner praktischen Variante. ***

Wissenschaftstheorie und Metaethik

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Wissenschaftstheorie und Metaethik sind, zusammenfassend gesagt, zwei Subdisziplinen der Philosophie, deren systematische Parallele in der metatheoretischen Perspektive zweiter Ordnung besteht, die sie auf ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand – den Status von Wissenschaft bzw. normativer Ethik – eröffnen. In diesem Kapitel habe ich die These von dieser systematischen Parallele erstens historisch motiviert, indem ich auf die zeitgleiche Etablierung beider Fachgebiete hingewiesen habe, zweitens systematisch erläutert, indem ich Beispiele und Positionen aus der Literatur angeführt habe, und drittens kritisch diskutiert, indem ich Einwände gegen diese Darstellung zurückgewiesen habe. Das Ergebnis des Abschnitts soll weiterführend die Diskussion der in beiden Subdisziplinen angesiedelten Realismus-Positionen, die Gegenstand des nächsten Abschnitts sein werden, motivieren. Wie wir nun im nächsten Kapitel sehen werden, bildet dabei das Konzept der Wahrheit den Schlüssel für das Verständnis eines Realismus: Wenn man sich aus einer einheitlichen Perspektive klarmachen will, was ein Realismus in Wissenschaftstheorie und Metaethik besagt, dann muss man sich einige Gedanken zum Wahrheitsbegriff machen. Dieser Aufgabe werden wir uns im Folgenden annehmen, indem wir zuerst einen derartigen Exkurs in die Wahrheitstheorie vornehmen und uns klarmachen, worin ein realistisches Verständnis des Wahrheitsbegriffs besteht (Kapitel  2), und diese Überlegungen dann anschließend dahingehend überprüfen, ob sie sich für die Wissenschaftstheorie und die Metaethik fruchtbar machen lassen (Kapitel 3).

Kapitel 2

Realismus und das Konzept der Wahrheit Es ist eine in der modernen Philosophie oftmals bemühte Feststellung, dass das Konzept der Wahrheit in einem einzigartigen Spannungsverhältnis zur Thematik der Erkenntnistheorie steht. Auf der einen Seite handelt es sich beim Wahrheitsbegriff um einen dezidiert nicht-epistemischen Begriff, der lediglich das Verhältnis einer Aussage (oder des in ihr ausgedrückten propositionalen Inhalts) zur Realität betrifft und damit eine Eigenschaft benennt, die unabhängig davon besteht, ob wir um die Wahrheit der Aussage wissen.1 Wahrheit kann einer Aussage selbst dann zukommen, wenn niemand von der ausgesagten Proposition überzeugt ist, wenn niemand gerechtfertigt ist, von der Proposition überzeugt zu sein, oder sogar wenn sich ihre Wahrheit prinzipiell dem menschlichen Erkenntniszugriff entzieht. Umgekehrt kann eine Aussage, zu deren Beurteilung unsere Erkenntnisfähigkeiten durchaus ausreichen, für deren Annahme gute Gründe vorliegen oder die vehement, von einem Individuum oder Kollektiv, für wahr gehalten wird, nichtsdestotrotz falsch sein. In diesem Sinne kann der Wahrheitsbegriff – im Gegensatz zum Begriff der Überzeugung, der Rechtfertigung und des Wissens – nicht als ein erkenntnistheoretischer Grundbegriff angesehen werden, sondern muss vielmehr ins fundamentale Vokabular der Logik und Semantik (sofern er Aussagen betrifft) und der Metaphysik (sofern er deren Verhältnis zur Wirklichkeit aufgreift) verortet werden.2 1 Als Träger von Wahrheitswerten (‚wahr‘ und ‚falsch‘) müssen laut Standarddarstellungen die propositionalen Inhalte von Überzeugungen und Aussagen angesehen werden, um dem Umstand Rechnung tragen zu können, dass mehrere Personen denselben Inhalt, oder (in Freges ursprünglicher Terminologie) denselben Gedanken, fassen können (vgl. Frege 1918: 60f, 68f, 74; vgl. auch Grundmann 2008: 37). Demgegenüber ist es vielleicht gestattet, in Anlehnung an die Alltagssprache auch Überzeugungen und Aussagen selbst als wahr oder falsch zu bezeichnen. Solange damit das, von dem man überzeugt ist bzw. das ausgesagt wird, gemeint ist, enthält dieser alltägliche Sprachgebrauch durchaus keine Absage an Propositionen als den eigentlichen Wahrheitswertträgern, sondern knüpft sogar an den fachlichen Sprachgebrauch an: „obviously, […] this innovation trades on our prior mastery of the application of ‚true‘ and ‚false‘ to the contents of beliefs and statements.“ (Alston 1996: 15) 2 Die Einordnung des Wahrheitsbegriffs in das Vokabular der Logik nimmt beispielsweise Frege vor: „Wie das Wort ‚schön‘ der Ästhetik und ‚gut‘ der Ethik, so weist ‚wahr‘ der Logik die Richtung.“ (Frege 1918: 58) Die Darstellung des Wahrheitsbegriffs als eines Konzepts der Semantik geht dagegen auf Tarski zurück (vgl. Tarski 1935: 265). Obwohl sich Tarski reserviert gegenüber einer metaphysischen Überhöhung des Wahrheitsbegriffs gibt (vgl. Glanzberg 2018: Abschnitt 3.1; Field 1972), hebt er dennoch unmissverständlich den Bezug desselben auf

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_004

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Kapitel 2

Auf der anderen Seite weist der Wahrheitsbegriff unbestreitbar eine ausneh­ mende Relevanz für die Erkenntnistheorie auf und nimmt dementsprechend in modernen Lehrbüchern zur Erkenntnistheorie auch berechtigterweise eine zentrale Stellung ein.3 Im Allgemeinen lässt sich dieser Zusammenhang zwischen dem Wahrheitsbegriff und epistemologischen Themenfeldern durch die These plausibilisieren, dass die menschlichen Versuche, Wissen oder Erkenntnis zutage zu fördern, den Charakter einer Suche nach der Wahrheit haben;4 dass mithin Wahrheit zumindest ein Ziel menschlicher Erkenntnisbemühungen ist, vielleicht sogar ihr zentrales Ziel schlechthin.5 Zwar wird in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie die monistische Auffassung, wonach Wahrheit alleiniges Ziel alltäglichen bzw. professionellen Erkenntnisstrebens sei, bisweilen in Frage gestellt. In der Erkenntnistheorie wird dabei, im Anschluss an Aristoteles‘ Bemerkung, dass „[a]lle Menschen […] von Natur nach Wissen [und nicht nach Wahrheit] [streben]“6, auf den vorgeblich unabhängigen Wert verwiesen, der der Rechtfertigung einer Überzeugung zuzukommen scheint.7 In der Wissenschaftstheorie betont Kitcher analog, dass weder die wissenschaftliche Gemeinschaft noch die Gesellschaft insgesamt ein Interesse an sämtlichen Wahrheiten pflege und Wahrheit deshalb nicht als einziges Ziel wissenschaftlicher Forschung herhalte:

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die Wirklichkeit hervor und stellt damit eine Verknüpfung zum Vokabular der Metaphysik her, die beispielsweise auch aus Davidsons Darstellung deutlich hervorgeht: „the truth of an utterance depends on just two things: what the words as spoken mean, and how the world is arranged.“ (Davidson 1986: 309 (meine Hervorhebung); zitiert nach Kirkham 1992: 165) Vgl. Ernst 2014: Kapitel 4.2 & 4.3; Grundmann 2008: Kapitel 2; Baumann 2006: Kapitel 4; Audi 2003: Kapitel 8; Lehrer 2000: Kapitel 2; Moser et al 1998: Kapitel 4 Es finden sich in Poppers Werken vielfach Ausführungen, die darauf abheben, dass „die Tradition der kritischen Diskussion – nicht als Selbstzweck, sondern im Interesse der Suche nach der Wahrheit“ – „[e]ines der wichtigsten Elemente unserer westlichen Zivilisation“ ausmacht. (Popper 1963: 156 (meine Hervorhebung)) Dabei bedient sich Popper des Konzepts der Wahrheitssuche durchaus geschickt, um den hohen Anspruch der Wissenschaft mit der sich aus dem Eingeständnis ihrer Fehlbarkeit ergebenden Bescheidenheit zu verbinden (vgl. Popper 1934: 269; vgl. Popper 1963: 23, 46, 176f). Die Auffassung, der zufolge es die Wahrheit ist, „deren Erkenntnis der Wissenschaft als Ziel gesetzt ist“, findet sich ganz ähnlich bereits bei Frege 1918: 59. Das Wahrheitsziel würde genauer die beiden nicht aufeinander reduzierbaren Elemente der Erlangung wahrer Überzeugungen und der Vermeidung falscher Überzeugungen umfassen, da man sich andernfalls entweder von allem überzeugen könnte, um die Anzahl wahrer Überzeugungen zu maximieren, oder jeglicher Überzeugung entsagen könnte, um die Anzahl falscher Überzeugungen zu minimieren, und so das Wahrheitsziel trivialerweise erreichbar wäre (vgl. Hofmann 2007: 153f; vgl. auch Lehrer 2000: 26). Aristoteles Metaphysik I: 980a; vgl. auch ähnlich Hayek 1960: 493 vgl. auch bereits Platon Menon 98a; vgl. Grundmann 2008: 198f

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There are […] vast numbers of true descriptions that could be supplied – about temperature, color, spatial relations, the number of objects of specific types – which only the monomaniacal would find interesting. Nor is truth always our concern. Sometimes an approximation, a statement recognized as false but ‚true enough‘ will serve our purposes.8

Gegen eine etwaige Leugnung der epistemischen Relevanz des Wahrheitsbegriffs muss aber zum einen festgehalten werden, dass es Vertretern der stärkeren monistischen These, wonach Wahrheit alleiniges Erkenntnisziel sei, womöglich offensteht, ihre Auffassung gegen den Widerstand der angeführten Einwände zu rehabilitieren;9 dass zum anderen in keiner der beiden Debatten die schwächere pluralistische These, wonach Wahrheit zumindest als ein Ziel unserer epistemischen Bestrebungen in Alltag und Wissenschaft herhalte, geleugnet wird; und dass sich folglich die Beschäftigung mit diesem (ja eigentlich nicht-epistemischen) Konzept innerhalb der Erkenntnistheorie als durchweg nachvollziehbar erweist und sogar angezeigt ist. Im Besonderen reicht diese Ausrichtung auf die Wahrheit so tief in die Thematik der Erkenntnistheorie hinein, dass sich die vorhin erwähnten epistemischen Grundbegriffe ohne Rekurs auf den nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff nicht einmal verständlich machen lassen. So knüpft erstens bereits der Begriff der Überzeugung insofern an den Wahrheitsbegriff an, als er – gemäß Standardauffassungen – den intentionalen Zustand einer Person bezeichnet, die dem propositionalen Gehalt, auf den sie sich bezieht, Wahrheit zuschreibt. Eine Überzeugung ist dieser Standardauffassung zufolge eine Einstellung des Fürwahrhaltens, eine Einstellung, die auf Wahrheit abzielt und deren Begriff damit zumindest ein Minimalverständnis des Wahrheitsbegriffs voraussetzt.10 Der Hinweis auf diese Anknüpfung des Überzeugungsbegriffs an den Wahrheitsbegriff macht die Bezugnahme der Erkenntnistheorie auf das Konzept der Wahrheit verständlich, ohne jedoch dessen nicht-epistemischen Charakter zu unterminieren: Wahrheit ist selbstverständlich etwas anderes als Fürwahrhalten, da es „sonst […] überhaupt keine falschen Behauptungen [gäbe]“ und folglich der menschlichen Fehlbarkeit nicht angemessen Rechnung getragen werden könnte.11 Entsprechend

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Kitcher 2011: 105 Vgl. für einen derartigen Ansatz etwa Hofmann 2007: 150, 162f, 166; vgl. auch Grundmann 2008: 203f Vgl. Baumann 2006: 108, 202; vgl. auch Alston 1996: 24; vgl. etwas anders Lehrer 2000: 13 Boghossian 2006: 19; vgl. auch Popper 1963: 23 (Wissenschaftstheorie) & Shafer-Landau 2003: 1 (Metaethik)

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hebt Frege bereits im Vorwort zu den Grundgesetzen der Arithmetik (1893) auf den nicht-epistemischen Charakter der Wahrheit ab: Wahrsein ist etwas anderes als Fürwahrgehaltenwerden, sei es von Einem, sei es von Vielen, sei es von Allen, und ist in keiner Weise darauf zurückzuführen. […]. [D]as Wahrsein [ist] unabhängig davon […], dass es von irgendeinem anerkannt wird […].12

Zweitens hält der Begriff der (epistemischen) Rechtfertigung einen engen Bezug zum Konzept der Wahrheit aufrecht und illustriert somit die allgemeine Anknüpfung der Erkenntnistheorie an den (nicht-epistemischen) Wahrheitsbegriff. Wenn man Gründe oder Argumente für Überzeugungen anführt, dann besteht – gemäß Standardtheorien der Rechtfertigung – der Zweck dieser teils aufwändigen Bemühungen darin, die Wahrheit der entsprechenden Überzeugungen wahrscheinlich zu machen oder jedenfalls irgendwie nahezulegen. Rechtfertigung ist demnach lediglich ein Mittel, dessen instrumenteller Wert sich dem intrinsisch wertvollen Zweck, dem es zuträglich ist, verdankt – und dieser Zweck ist wiederum die Wahrheit der gerechtfertigten Überzeugungen: Sie liefert „den tieferen Grund für die Bemühung um rationale Überzeugungen […].“13 Entsprechend hebt etwa Laurence BonJour eindrücklich darauf ab, dass es sich bei der (epistemischen) Rechtfertigung um ein wahrheitszuträgliches Mittel handelt, dessen Begriff auf den nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff verweist und damit die Anknüpfung der Erkenntnistheorie an denselben illustriert: [T]he goal of our distinctively cognitive endeavors is truth: we want our beliefs to correctly and accurately depict the world. […] The basic role of justification is that of a means to truth, a more directly attainable mediating link between our subjective starting point and our objective goal. […] If epistemic justification were not conducive to truth in this way, […] then epistemic justification would be irrelevant for our main cognitive goal and of dubious worth. […] Epistemic justification is therefore in the final analysis only an instrumental value, not an intrinsic one.14

Dieser Zusammenhang lässt den nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs wiederum insofern unberührt, als Wahrheit nicht einfach mit Rechtfertigung identifiziert werden kann: Die Rechtfertigung einer Überzeugung ist weder notwendig noch hinreichend dafür, dass dem propositionalen Gehalt 12 13 14

Frege 1893: xvf; vgl. Künne 2003: 173 Baumann 2006: 202 BonJour 1985: 7f; vgl. Grundmann 2008: 196

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der Überzeugung Wahrheit zukommt, da sich erstens gerechtfertigte Überzeugungen bisweilen als falsch herausstellen und zweitens für wahre Überzeugungen eventuell keine Rechtfertigungen gefunden werden. It is important to keep the notions of truth and justification distinct to allow for the possibility of justified false belief (and unjustified true belief). We are sometimes justified in believing statements that are nonetheless false.15

Drittens nimmt der Begriff des (propositionalen) Wissens – vielleicht am deutlichsten – Bezug auf das Konzept der Wahrheit und bringt damit als letzter Grundbegriff der Erkenntnistheorie deren Verbindung zum nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff zum Vorschein. Wissen wird bekanntlich – gemäß Standarddefinition des Wissensbegriffs – als wahre, gerechtfertigte Überzeugung definiert16 und beinhaltet somit den erfolgreichen Abschluss der Wahrheitssuche: Die Wahrheit einer Überzeugung bildet folglich erstens eine notwendige Bedingung, die erfüllt sein muss, um einer Person Wissen zuschreiben zu können, und zweitens einen Teil derjenigen Bedingungen, deren gemeinsame Erfüllung für die Zuschreibung hinreicht. Insbesondere qualifiziert sich damit, in Übereinstimmung mit dem alltäglichen Sprachgebrauch, selbst eine überaus sorgfältig gerechtfertigte, aber nichtsdestotrotz falsche Überzeugung niemals als Wissen. In diesem Sinne knüpft der Wissensbegriff einerseits offensichtlich an den Wahrheitsbegriff an und macht einen Einbezug dieses nicht-epistemischen Konzepts in die Diskussion erkenntnistheoretischer Themen erforderlich.17 Diese Bezugnahme fordert jedoch andererseits den nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs keineswegs heraus, da aus dem Umstand, dass Wissen Wahrheit erfordert, 15

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Moser et al 1998: 74f; vgl. auch BonJour 1985: 158 & Alston 1996: 192f; entsprechend weisen auch Boghossian und bereits Gettier darauf hin, dass Rechtfertigungen fallibel sind (vgl. Boghossian 2006: 21f) bzw. dass es möglich ist, von falschen Propositionen gerechtfertigt überzeugt zu sein (vgl. Gettier 1963: 121). Die Standarddefinition des Wissensbegriffs geht bekanntlich auf Platon zurück (Theaitetos 201c-d; Menon 98a) und erfährt bis in die moderne Erkenntnistheorie viel Aufmerksamkeit (vgl. BonJour 1985: 3f; Moser et al 1998: 14f; Lehrer 2000: 11f; Baumann 2006: 39; Boghossian 2006: 22; Grundmann 2008: 87). Zwar werden heutzutage vermehrt Alternativen zur Standarddefinition in Betracht gezogen, um insbesondere dem GettierProblem begegnen zu können, dem zufolge die drei einzeln notwendigen Bedingungen der Standarddefinition (Überzeugung, Wahrheit und Rechtfertigung) für Wissen zusammen nicht hinreichen (vgl. Gettier 1963: 123). Da dadurch aber die Notwendigkeit jeder einzelnen Standardbedingung keineswegs in Abrede gestellt wird, dienen diese modernen Weiterentwicklungen jedenfalls nicht dazu, die Wahrheitsbedingung und die damit verbundene Anknüpfung des Wissensbegriffs an den Wahrheitsbegriff in Zweifel zu ziehen. Vgl. Baumann 2006: 36

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nicht umgekehrt folgt, dass Wahrheit Wissen voraussetzt. Wahrheit kann Propositionen zukommen, von denen niemand etwas weiß oder wissen kann; Wahrheit ist epistemisch nicht eingeschränkt, sondern verifikations- oder evidenztranszendent: A proposition may be true without being known, just as it may be true without being believed.18

Nimmt man all dies zusammen, dann handelt es sich beim Wahrheitsbegriff also um ein nicht-epistemisches Konzept, das einerseits gar nicht dem Vokabular der Erkenntnistheorie angehört und an das dieselbe andererseits dennoch derart prominent anknüpft, dass sich die zentralen epistemischen Grundbegriffe der Überzeugung, der Rechtfertigung und des Wissens nur über ihre Verweise auf den Wahrheitsbegriff verständlich machen lassen. Auf eine entsprechende Auffassung, die dem nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs insofern Rechnung trägt, als sie Wahrheit lediglich über das Verhältnis zwischen einer Proposition und der Realität konzeptualisiert, entfällt häufig die naheliegende Bezeichnung einer realistischen Wahrheitskonzeption oder eines alethischen Realismus.19 Der grundlegende Gedanke des alethischen Realismus besagt, dass der Umstand, ob eine Proposition wahr oder falsch ist, allein von der Beschaffenheit der Welt anhängt und damit insbesondere unabhängig von den Erkenntnisinhalten und -möglichkeiten einzelner Individuen und ganzer Kollektive besteht. Anhänger des alethischen Realismus versuchen diesem nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs genauer dadurch gerecht zu werden, dass sie eine Zuordnung vornehmen zwischen den propositionalen Inhalten von Überzeugungen oder Aussagen einerseits, als den Wahrheitswertträgern, und den objektiven Tatsachen der Realität andererseits, als den Wahrmachern. Damit richten sie sich vor allem gegen etwaige epistemische Gegenentwürfe, die irgendwie eine Abhängigkeit zwischen dem Bestehen der Wahrheit und unserem kognitiven Zugriff auf dieselbe zu etablieren versuchen. Es ist vielmehr allein die Beschaffenheit der Realität, kraft derer einer jeden Proposition dieser oder jener Wahrheitswert zukommt und deren Tatsachen Propositionen ggf. wahrmachen – namentlich genau dann, wenn das, von dem behauptet wird, der Fall zu sein, auch tatsächlich der Fall ist. In seinem Buch A Realist 18 19

Goldman 1986: 18f; vgl. auch Russell 1940: 23; Alston 1996: 170; Psillos 1999: 14; ShaferLandau 2003: 16 Vgl. Alston 1996: 5, 231; vgl. auch Kirkham 1992: 73ff; Künne 2003: 20; Grundmann 2008: 42; Glanzberg 2018: Abschnitt 4

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Conception of Truth (1996) bringt William Alston diesen realistischen Grundgedanken prägnant zum Ausdruck: What it takes to make a statement true on the realist conception is the actual obtaining of what is claimed to obtain in making that statement. […] Nothing else is relevant to its truth value. This is a realist way of thinking of truth in that the truth maker is something that is objective vis-à-vis the truth bearer. […] This is a fundamental sense in which truth has to do with the relation of a potential truth bearer to a reality beyond itself.20

Die zentrale These, zu der im vorliegenden Kapitel hingeführt werden soll, lautet, dass diese wahrheitstheoretische Auffassung dazu dienlich ist, sich die Realismus-Auffassungen, über die – weitestgehend getrennt voneinander – in Wissenschaftstheorie und Metaethik debattiert wird, aus einer gemeinsamen Perspektive zu erschließen. Insbesondere kann man beide, wissenschaftlichen und moralischen Realismus, als Positionen verstehen, in deren Zentrum eine solche realistische Wahrheitskonzeption gleichermaßen artikuliert und lediglich für unterschiedliche Bereiche spezifiziert wird. Wissenschaftliche Realisten übernehmen demnach die realistische Auffassung des Wahrheitsbegriffs für den theoretischen Bereich der Wissenschaft, insofern sie davon ausgehen, dass wissenschaftliche Aussagen dann und nur dann wahr sind, wenn das, was in ihnen ausgesagt wird, tatsächlich der Fall ist und damit den (natürlichen) Tatsachen der Realität entspricht. Moralische Realisten exemplifizieren in Analogie dazu dasselbe realistische Verständnis des Wahrheitsbegriffs für den praktischen Bereich der normativen Ethik, insofern sie darauf abheben, dass moralische Urteile dann und nur dann wahr sind, wenn das, was in ihnen beurteilt wird, tatsächlich der Fall ist und damit den (moralischen) Tatsachen der Realität entspricht. Den Hintergrund für diese Diskussion bildet ein naheliegender Vorbehalt, der grundsätzlich gegen das Projekt einer Integration von wissenschaftlichem und moralischem Realismus angeführt werden mag – dass nämlich beide Realismus-Auffassungen gar keine sachlichen Bezüge zueinander aufweisen, sondern autonomen Debatten angehören, die zu einer integrativen Beschäftigung von Vornherein keinen Anlass geben und deren disziplinäre Trennung vielmehr aufrechterhalten, statt abgeschwächt werden muss. Die beiden Auffassungen glichen sich dem Vorbehalt zufolge zwar dem Namen nach; da aber Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker ihr jeweiliges Verständnis von Realismus eigenständig entwickelten, bestehe überhaupt kein Grund für die Annahme, dass ein – wie auch immer gearteter – Vergleich 20

Alston 1996: 7f; vgl. auch Goldman 1986: 17

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zwischen beiden Positionen irgendetwas Erhellendes zutage fördern könnte. Die dagegen gerichtete These lautet mithin, dass dieser Vorbehalt falsch ist. Wissenschaftlicher und moralischer Realismus gleichen sich nicht nur dem Namen nach. Vielmehr lassen sie sich aus einer gemeinsamen Wahrheitsauffassung heraus entfalten und verfügen somit über eine systematische Parallele, die ihrerseits Anlass gibt, vertiefend darüber zu reflektieren, ob etwa auch bestimmte Argumente aus der einen für die jeweils andere Debatte fruchtbar gemacht werden können. Diese Ausdifferenzierung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus aus ihrem gemeinsamen Verständnis des Konzepts der Wahrheit wird sich im Folgenden vor allem dadurch nachvollziehen lassen, dass die Darstellung des als Ausgangspunkt dienenden alethischen Realismus weiter vertieft wird. Mit dem vorgestellten Kerngedanken des alethischen Realismus, dem zufolge (potentiell) wahrheitstragende Proposition und (potentiell) wahrmachende Realität einander korrespondieren, stehen nämlich des Näheren drei Charakteristika in Verbindung, deren Darstellung der vorgelegten Skizze etwas mehr Kontur zu verleihen und das Verständnis dieser Auffassung zu schärfen vermag – nämlich (1) die erwähnte Unabhängigkeit der Wahrheit vom menschlichen Erkenntniszugang, (2) die bereits im Ansatz kenntlich gewordene Nachvollziehbarkeit dieser Auffassung und (3) ihre hinsichtlich aller möglichen Propositionen eröffnete, globale Perspektive. Diese drei Charakteristika – die Aspekte der Objektivität, der Plausibilität und der Globalität – werden im verbleibenden Kapitel nacheinander erläutert, wodurch im Gesamtzusammenhang der vorliegenden Arbeit die bereits angedeutete Doppelfunktion erfüllt wird: Erstens wird das Verständnis des alethischen Realismus vertieft und dessen Darstellung als einer wahrheitstheoretischen Auffassung, die jene Aspekte in sich vereinigt, abgeschlossen (Kapitel 2). Zweitens wird sich daran anschließend diskutieren lassen, ob sich diese Charakteristika darüber hinaus auch in den Darstellungen von wissenschaftlichem und moralischem Realismus wiederfinden und dadurch als Evidenz dafür herhalten, dass wissenschaftliche und moralische Realisten an dieselbe Wahrheitskonzeption anknüpfen und über ihre jeweilige Anknüpfung auch systematische Parallelen zwischen ihren beiden Auffassungen hervortreten lassen, die es verdienen, gemeinsam in den Blick genommen zu werden (Kapitel 3). (1) Alethische Realisten bringen durch ihre Einführung von wahrmachenden Tatsachen der Realität also erstens eine Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit zum Ausdruck. Es geht ihnen um die Vorstellung, dass Wahrheiten womöglich zwar entdeckt werden können, es aber nichtsdestotrotz außerhalb der menschlichen Schaffenskraft liegt, eine Proposition wahrzumachen – indem man etwa ganz fest an ihre Wahrheit glaubt. Vielmehr obliegt es allein

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den Tatsachen der Realität, als Wahrmacher wahrer Propositionen herzuhalten und auf diese Weise den Wahrheitswert einer jeden Proposition willkürlichen Entschlüssen eines Menschen, einer Gruppe von Menschen oder sogar der gesamten Menschheit radikal zu entziehen.21 Ob eine Proposition wahr oder falsch ist, stellt sich daher für Realisten nicht als etwas dar, das in unserer Entscheidungsgewalt liegt oder auf das wir Macht ausüben können, sondern muss als etwas begriffen werden, das wir gerade nicht in der Hand haben und dem wir uns vielmehr fügen müssen22 – nicht zuletzt um der Möglichkeit Raum zu geben, dass jeder Mensch und jede Kultur in Bezug auf jede Proposition falsch liegen kann. Die im alethischen Realismus verankerte Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit schlägt sich also genauer darin nieder, dass der objektiven Wahrheit eine durch Einführung von Tatsachen sichergestellte Unabhängigkeit vom subjektiven Fürwahrhalten und Erkennen zugestanden wird. Entsprechend schreibt Frege in Der Gedanke (1918): Was ich als wahr anerkenne, von dem urteile ich, daß es wahr sei ganz unabhängig von meiner Anerkennung seiner Wahrheit, auch unabhängig davon, ob ich daran denke. Zum Wahrsein eines Gedankens gehört nicht, daß er gedacht werde.23 So ist z. B. der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgend jemand ihn für wahr hält. […] Er ist wahr nicht erst, seit er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit andern Planeten in Wechselwirkung gewesen ist.24

Diese für die Objektivität der Wahrheit charakteristische Unabhängigkeit erfährt in der modernen Literatur ihre Standardartikulation durch das Konzept der Geistesunabhängigkeit.25 Die Wahrheit einer Proposition ist demnach objektiv, weil sie in dem umschriebenen Sinne geistesunabhängig besteht, d.h. 21

22 23 24 25

Vgl. dazu Russell: „Man sieht daraus, daß das Bewußtsein Wahrheit oder Falschheit nicht erschafft. Es bringt Urteile und Meinungen hervor; aber wenn es sie einmal hervorgebracht hat, kann das Bewusstsein sie nicht wahr oder falsch machen, außer in den Fällen, wo es um zukünftige Ereignisse geht, deren Eintreten in der Macht der urteilenden Personen steht, etwa wenn es darum geht, einen Zug noch zu erwischen. Was eine Meinung wahr macht, ist eine Tatsache, und diese Tatsache hat (außer in Ausnahmefällen) nichts mit dem Bewusstsein der Person zu tun, die diese Meinung hat.“ (Russell 1912: 115) Entsprechend äußert sich auch Popper: „Kein Satz ist wahr und kein Schluß gültig, weil wir (wie tief auch immer) davon überzeugt sind. […] [O]b [eine Theorie] wahr ist oder nicht, ist nicht eine Frage der Überzeugung, sondern eine Frage der Tatsachen.“ (Popper 1974: 209f) Eine ähnliche Wendung, wonach man sich den Erkenntnissen der Wissenschaft zu fügen habe, bemüht Boghossian (vgl. Boghossian 2006: 12). Frege 1918: 74 (meine Hervorhebung) Ebd.: 69 (meine Hervorhebung) Vgl. Kirkham 1992: 73; vgl. auch BonJour 1985: 160

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weil der Umstand, ob die Proposition wahr oder falsch ist, nicht davon abhängt, ob sie von irgendjemandem – unter welchen Umständen auch immer – für wahr gehalten oder erkannt wird. In diesem und nur in diesem Sinne besteht die Wahrheit einer jeden Proposition geistesunabhängig und damit objektiv.26 Man kann das Konzept der Geistesunabhängigkeit freilich auch in einem weiten Sinne verwenden, dem zufolge der Begriff die Unabhängigkeit von jeglichen Geistesaktivitäten umfassend bezeichnet. So dürfte man vielleicht, in Anlehnung an Frege, sagen, dass die Planeten unseres Sonnensystems insofern geistesunabhängig existieren, als sie faktisch bereits existiert haben, als es noch keine Menschen gab, und kontrafaktisch auch existieren würden, wenn es Menschen niemals gegeben hätte. Diese weite Verwendungsweise des Begriffs der Geistesunabhängigkeit birgt jedoch den Nachteil, die Differenzen zwischen den verschiedenen Bedeutungen, in denen einer Sache Geistesunabhängigkeit zugeschrieben werden mag, unsachgemäß zu verdecken, und kann zudem im Allgemeinen gar nicht von allen Arten von Gegenständen ausgesagt werden: Artefakte wie Telefone sowie künstlich angelegte Gewässer und domestizierte Hunde existieren, im weiten Sinne, offensichtlich bloß geistesabhängig, weil sie ohne Menschen und deren geistige Aktivitäten weder faktisch existiert haben noch kontrafaktisch existieren würden. Da alethische Realisten jedoch für sich in Anspruch nehmen, mit dem Konzept der Geistesunabhängigkeit etwas Allgemeingültiges über alle Arten von Wahrheiten, und im Übrigen nicht Arten von Gegenständen, aussagen zu können, verwenden sie diesen für ihre Auffassung zentralen Begriff nicht in dem illustrierten weiten Sinne. Alethische Realisten legen sich lediglich in einem engen Sinne darauf fest, dass Wahrheiten (oder Tatsachen) geistesunabhängig bestehen, nämlich nur solange damit die Unabhängigkeit vom Glauben an die Wahrheit der entsprechenden Proposition gemeint ist – nur solange „mind-independent“ bedeutet „independent of the way in which they are conceived or apprehended 26

Die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit hängt eng mit der Vorstellung von der Absolutheit der Wahrheit zusammen. Die Wahrheit einer Proposition ist nicht abhängig von irgendjemandes Meinung darüber, ob die Proposition wahr ist oder nicht, (und ist in diesem Sinne objektiv). Die Wahrheit einer Proposition besteht demensprechend auch nicht relativ zu irgendeiner Meinung, die ihr von irgendwem entgegengebracht wird, (sondern ist in diesem Sinne absolut). Die realistische Anerkennung von Tatsachen als alleinigen Wahrmachern garantiert beide Vorstellungen zugleich: „Wenn wir also sagen, diese Meinung sei wahr, dann sieht es so aus, als müsste die entsprechende Tatsache für alle bestehen, ob sie geneigt sind, sie zu glauben oder nicht. Intuitiv wird so die Tatsache, dass [etwa] der Jupiter über dreißig Monde hat, zur universalen Tatsache – sie ändert sich nicht von Person zu Person oder von Gemeinschaft zu Gemeinschaft.“ (Boghossian 2006: 19; vgl. auch Popper 1974: 207f)

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by minds“27 oder „regardless of how we think of it.“28 Im Gegensatz zu der weiten Verwendungsweise kann für diese enge Alternative der Vorteil geltend gemacht werden, den Bedeutungsverschiedenheiten zu anderen Formen von Geistesunabhängigkeit differenziert Rechnung zu tragen, und erlaubt es zudem, etwas Allgemeingültiges über ausnahmslos alle Arten von Wahrheiten auszusagen, da selbst Wahrheiten über (im weiten Sinne) geistesabhängig existierende Gegenstände (im engen realistischen Sinne) geistesunabhängig bestehen. Domestizierte Hunde beispielsweise existieren, im weiten Sinne, insofern bloß geistesabhängig, als sie sich ohne menschliches Eingreifen niemals entwickelt hätten; dass hingegen domestizierte Hunde einen Prozess der eugenischen Züchtung unterlaufen haben, ist eine Proposition, die wahr (oder falsch) ist unabhängig davon, ob sie irgendjemand glaubt, und deren Wahrheit (oder Falschheit) damit, im engen realistischen Sinne, geistesunabhängig besteht. Psychische Erkrankungen existieren, im weiten Sinne, insofern bloß geistesabhängig, als es sie ohne Menschen als Träger mentaler Entitäten nicht gäbe; dass ich hingegen an einer psychischen Erkrankung leide, wird nicht dadurch wahr, dass ich daran glaube – und erst recht nicht dadurch falsch, dass ich es verleugne – und auf diese Weise bestehen auch Wahrheiten über psychische Erkrankungen, im engen realistischen Sinne, geistesunabhängig. Die Werke der Architektur, der bildenden Kunst, der Literatur und nicht zuletzt der Philosophie existieren, im weiten Sinne, ebenfalls bloß geistesabhängig, insofern sie als Produkte menschlicher Kreativität in einer menschenleeren Welt niemals erschaffen worden wären; dass hingegen etwa der Parthenon der Athener Akropolis ursprünglich der griechischen Göttin Athena gewidmet war; dass die auf der Engelsburg thronende Bronzestatue Michaels ein Schwert in der rechten Hand hält; dass Dante alle drei Teile der Göttlichen Komödie mit einem Vers über die Sterne enden lässt oder dass Kant in seiner Religionsschrift gottesdienstliche und moralische Religion einander gegenüberstellt, stellen allesamt Propositionen dar, die wahr (oder falsch) sind unabhängig davon, ob irgendeine dieser Propositionen, von mir allein oder uns allen gemeinsam, für wahr (oder falsch) gehalten wird.29

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BonJour 1985: 160 Alston 1979: 779 Zu einem passenden Beispiel sieht sich auch Kirkham veranlasst, nachdem er den Begriff „mind-independent“ mit dem alethischen Realismus ausdrücklich in Verbindung gebracht hat: „Take the fact that there is a Ford Mustang parked on my street. This fact would not have obtained had some engineer at Ford Motor Co. not had certain thoughts around 1962 about designing a new car model. […] But there are other senses in which, on a realist ontology, the existence of the fact is not dependent on any mind: It is not

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Kapitel 2

Die Geistesunabhängigkeit, auf die sich alethische Realisten insofern festlegen, als sie den Wahrheitswert einer jeden Proposition als allein von den Tatsachen der Realität abhängig ansehen, nimmt also die Form einer Urteils-, Meinungs- oder Erkenntnisunabhängigkeit an.30 Solange man sie auf diesen wahrheitstheoretischen Kontext beschränkt und nicht missdeutend zu einer Unabhängigkeit von sämtlichen Geistesaktivitäten erweitert, können alethische Realisten Allgemeingültigkeit für ihre Kernthese beanspruchen, dass der Wahrheitswert einer jeden Proposition geistesunabhängig besteht. Die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit sowie ihre Analyse durch das Konzept der Geistesunabhängigkeit nehmen also eine zentrale Stellung in der Konzeption des alethischen Realismus ein. Die vorgelegte Diskussion dieses ersten Charakteristikums gestattet daher insgesamt eine erläuternde Verortung des zentralen Kerngedankens des alethischen Realismus: Sie erfüllt den Zweck, das Verständnis des alethischen Realismus zu vertiefen und ihn als eine Auffassung begreiflich zu machen, deren Kerngedanke die Vorstellung befördert, dass Wahrheit in einem Sinne objektiv ist, der durch das Konzept der Geistesunabhängigkeit ausgedrückt werden kann. Darüber hinaus dient diese Darstellung auch dazu, die Evaluierung der oben aufgestellten These vorzubereiten, dass sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus aus eben jenem wahrheitstheoretischen Kerngedanken heraus entwickeln lassen und sich somit über ihre jeweilige Ähnlichkeit zum alethischen Realismus auch einander gleichen. Im nächsten Kapitel wird deshalb untersucht, inwieweit Anhänger beider Positionen – trotz der disziplinären Abgrenzung ihrer Debatten – versuchen, derselben Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit Rechnung zu tragen; inwieweit sie dabei dasselbe Konzept der Geistesunabhängigkeit bemühen; und falls ja, inwieweit sie es dann auch im engen wahrheitstheoretischen Sinne verwenden. Es wird also zu untersuchen sein, inwieweit wissenschaftliche und moralische Realisten im Hinblick auf dieses erste Charakteristikum eine parallele Anknüpfung an eine realistische Wahrheitskonzeption erkennen lassen. Bevor diese Diskussion aufgenommen und der Blick in die Wissenschaftstheorie und Metaethik gerichtet wird, seien aber

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necessary for anyone to believe there is a Mustang parked on my street for that fact to obtain.“ (Kirkham 1992: 76) Boghossian etwa verwendet den Begriff „bewusstseinsunabhängig“, um von Tatsachen auszusagen, dass sie „auch dann noch bestehen [würden], wenn es menschliche Wesen nie gegeben hätte“ (Boghossian 2006: 20). Demgegenüber reserviert er für die hier präferierte Verwendung den Begriff „meinungs[un]abhängig“, der dann die Frage betrifft, „ob eine bestimmte Tatsache […] davon ab[hängt], dass sie jemand für wahr hält“ (ebd.). In dieser Terminologie würde der (alethische) Realismus die Meinungs- nicht aber die Bewusstseinsunabhängigkeit aller Wahrheiten behaupten.

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zunächst die beiden verbleibenden Charakteristika des alethischen Realismus abschließend behandelt. Das nächste Charakteristikum betrifft dabei die Frage nach der argumentativen Verteidigung des alethischen Realismus. Diese Frage schließt sich nicht zuletzt deshalb an, weil sich in der Literatur einzelne Einwände und umfassende Entwürfe finden, die gegen einen alethischen Realismus gerichtet sind und die Nachfrage provozieren, woraus er zuallererst seine Attraktivität – seine Anziehungs- oder Überzeugungskraft – bezieht, um derentwillen seine Anhänger alternativen Entwürfen entgegentreten. Dabei wird sich im Folgenden erstens zeigen, dass alethische Realisten eine derart typische Argumentationsstrategie für ihre Position vorlegen, dass man sie dem Aspekt der Objektivität als ein zweites Charakteristikum dieser Wahrheitskonzeption beistellen kann, und es wird sich zweitens wiederum die Frage anschließen, ob dieses Charakteristikum den wahrheitstheoretisch vermittelten Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus zu offenbaren verhilft. (2) Alethische Realisten können sich zweitens auf die intuitive oder präreflexive Plausibilität berufen, die dem zentralen Kerngedanken einer realistischen Wahrheitskonzeption zukommt.31 Wir sind demnach prima facie gerechtfertigt, uns eine realistische Wahrheitskonzeption zu eigen zu machen, weil wir den Wahrheitsbegriff im Alltag genauso benutzen, wie ihn der alethische Realismus im Nachhinein expliziert: Wenn wir einer Aussage Wahrheit zuschreiben, dann meinen wir damit üblicherweise nichts anderes als das, was auch eine realistische Wahrheitskonzeption im Kern besagt – dass nämlich der propositionale Inhalt der Aussage mit der Realität übereinstimmt; einer Realität, für deren objektive Beschaffenheit unsere subjektiven Meinungen irrelevant sind.32 Eine realistische Wahrheitskonzeption formuliert 31

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Der Ausdruck ‚präreflexiv‘ hat gegenüber ‚intuitiv‘ den Vorteil, keine Ambivalenz zwischen einem fachterminologischen und einem alltagssprachlichen Gebrauch aufzuweisen. Der Begriff der Intuition dagegen hat in der philosophischen Fachsprache eine etwas andere Bedeutung als in der Alltagssprache: In der Fachsprache (etwa im Hinblick auf den ethischen Intuitionismus) bezeichnet der Begriff der Intuition eine logisch unmittelbar (d.h. nicht-inferentiell) gerechtfertigte, wahre Überzeugung. In der Alltagssprache dagegen versteht man unter einer Intuition bisweilen auch eine psychologisch unmittelbare Überzeugung, die dem Nachdenken zeitlich vorhergeht (vgl. Heinrichs 2013: 31, 104, 124, 168). Wenn ich im Folgenden der Einfachheit halber von intuitiver Plausibilität oder realistischen Intuitionen spreche, dann meine ich immer, der alltagssprachlichen Bedeutung gemäß, Intuitionen im Sinne von präreflexiven Überzeugungen und erlaube mir somit eine leichte Abweichung von intuitionistischer Terminologie (ebd.: 36). Entsprechend schreibt etwa Alston: „that a proposition is true when its ‚content‘ is ‚realized‘ in the way things are“ „constitutes another spelling out of the basic intuition of the realist conception of truth“ (Alston 1996: 30 (meine Hervorhebung)).

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somit lediglich explizit aus, was implizit schon von Vornherein in unserem herkömmlichen Alltagsverständnis des Wahrheitsbegriffs verbürgt ist, und weist dementsprechend eine tiefe Verankerung im alltäglichen Denken und Handeln auf, kraft derer sich ihre Plausibilität eben nicht erst im Anschluss an eine philosophische Reflektion einstellt, sondern insofern als präreflexiv bezeichnet werden kann, als sie ihr vielmehr vorausgeht. Anhänger einer realistischen Wahrheitskonzeption können deshalb für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Auffassung der vorphilosophischen Verwendung des Wahrheitsbegriffs prima facie am ehesten gerecht zu werden vermag und deshalb von allen philosophischen Ausarbeitungen präreflexiv am meisten einleuchtet. Dieser Vorteil des alethischen Realismus wird von Alston gegen Ende seiner Darstellung besonders deutlich hervorgehoben: I have not found any arguments that, in my judgment, shake the strong intuitive plausibility of the realist conception. Prima facie, it seems overwhelmingly obvious that the realist conception is the one we express with ‚true‘, when this predicate is applied to propositions, statements, and beliefs. And nothing turned up to disturb, or even qualify that obviousness.33

Eine realistische Position befindet sich, wie etwa auch Boghossian darlegt, im Einklang mit unseren vorphilosophischen Ansichten, da „wir üblicherweise [denken], dass sich die Dinge in einer Weise verhalten, die von uns und unseren Meinungen unabhängig ist […].“34 Eine antirealistische Position dagegen, die unseren „intuitiven und objektivistischen Wahrheits- und Rationalitätsauffassungen“ widerspricht35 – die also etwa nicht davon ausgeht, dass Wahrheit und Fürwahrhalten auseinandergehalten werden müssen, die einer Identifizierung von Wahrheit und Rechtfertigung aufgeschlossen gegenübersteht oder die den Unterschied zwischen nicht-epistemischer Wahrheit und epistemischem Zugang zur Wahrheit abschwächt –, muss sich demgegenüber als „eine prima facie dermaßen kontraintuitive Auffassung“ erweisen,36 als „ein dermaßen bizarrer Standpunkt, dass es kaum zu fassen ist, dass ihn irgendjemand teilt.“37 Es erheben sich sicherlich einige Einwände gegen diese von Realisten ange­ strengte Argumentationsstrategie. Zunächst kann man sich freilich fragen, 33 34 35 36 37

Ebd.: 188 (meine Hervorhebungen); vgl. ähnlich auch Popper 1974: 137f Boghossian 2006: 11 (meine Hervorhebungen); vgl. auch ebd.: 134 Ebd.: 13 (meine Hervorhebung) Ebd.: 35 (meine Hervorhebung); vgl. auch ebd.: 38 Ebd.: 32 (meine Hervorhebung)

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woran die geltend gemachte Plausibilität genauer festgemacht werden kann: Wie kann auf einen Gegner des alethischen Realismus reagiert werden, der die These von der Plausibilität des alethischen Realismus in Abrede stellt und stattdessen darauf verweist, dass unsere Intuitionen bisweilen divergieren – dass mithin das, was Realisten für intuitiv einleuchtend halten, nicht von jedem genauso betrachtet wird? Auf diese Frage, woran man die behauptete Alltagsverankerung eines realistischen Verständnisses des Wahrheitsbegriffs ersehen kann, empfiehlt es sich mit einem Hinweis auf die menschliche Fehlbarkeit zu antworten. Die präreflexive Plausibilität des alethischen Realismus zeigt sich insbesondere an dem Umstand, dass wir im Alltag von der Annahme der menschlichen Fehlbarkeit ausgehen – der Annahme, dass alle Menschen – egal ob man sie individuell betrachtet oder kollektiv zusammennimmt – in allem, was sie beurteilen, stets fehlbar sind und irren können. Diese Annahme der menschlichen Fehlbarkeit qualifiziert sich selbst zumindest in zweierlei Hinsicht als präreflexiv plausibel. Einerseits machen wir vielfältige Erfahrungen, die uns die eigene Fehlbarkeit und die der anderen deskriptiv vor Augen führen. Unsere Prognosen über zukünftige Ereignisse stellen sich bisweilen als falsch heraus und auch unsere Erinnerung an vergangene Ereignisse trübt sich mitunter ein. Wir kennen die Hauptstadt eines fremden Staates nicht; wir bringen den Verlauf historischer Geschehnisse durcheinander; und wir verrechnen uns beim Lösen mathematischer Gleichungen. Andererseits können wir uns dabei beobachten, wie wir das Eingeständnis der je eigenen Fehlbarkeit von jedem Menschen auch normativ einfordern. Wir ermahnen uns gegenseitig dazu, uns der Limitation unserer kognitiven Fähigkeiten und Ressourcen bewusst und entsprechend vorsichtig im Urteil zu sein; wir tadeln Menschen, die sich im unfehlbaren Besitz der Wahrheit wähnen; wir werfen ihnen Anmaßung und Selbstüberhöhung, mithin die Verletzung intellektueller und charakterlicher Tugenden vor; und wir loben umgekehrt Zurückhaltung und Bescheidenheit als Beachtung solcher Tugenden. In diesem Sinne verweisen also die lebensweltlichen Alltagserfahrungen und -praktiken auf die menschliche Fehlbarkeit und qualifizieren die entsprechende Annahme folglich als präreflexiv plausibel. Die entscheidende Überlegung, die alethische Realisten dazu veranlasst, eine Verbindung zwischen Fehlbarkeit und Realismus zu ziehen, besteht darin, dass die Annahme der menschlichen Fehlbarkeit die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit voraussetzt. Um überhaupt falsche Meinungen haben zu können, darf Wahrheit nicht von unserer Meinung abhängen, sondern muss als etwas Objektives konzeptualisiert werden – als etwas, das

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einzusehen man auch verfehlen kann.38 Eine Wahrheitskonzeption, die der Fehlbarkeitsannahme genügen soll, muss also auch der Objektivitätsvorstellung Rechnung tragen, da es ohne objektive Wahrheit auch keine objektive Falschheit gäbe, der zu erliegen man sich eingestehen könnte. Insofern eine realistische Wahrheitskonzeption Wahrheit zu einer Sache von Tatsachen, und gerade nicht von Meinungen, erklärt, verschafft sie der Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit gerade mit besonderem Nachdruck Geltung und kann deshalb auch für sich in Anspruch nehmen, die Annahme der menschlichen Fehlbarkeit in besonderem Maße zu begünstigen. Auf diese Weise kann man also eine Verbindung zwischen Fallibilismus und Realismus etablieren: Wenn unsere Meinungen fallibel sind, dann muss das, was wahr ist, und das, was für wahr gehalten wird, auch stets divergieren können. Wenn Wahrheit dagegen im Auge des Betrachters liegt, dann schafft sich jeder Betrachter seine eigene Wahrheit und erhebt sich über jeden Fehler:39 If truth is relative, say, to your own beliefs, then your prospects for acquiring knowledge are much better than if truth is objective and thus difficult to acquire. Relativism makes truth very easy to get and, correspondingly, it makes knowledge easy to get. […] Skepticism flourishes with a view of truth as entirely objective.40

Ein Realismus ist also vereinbar mit einem Fallibilismus, da jener das Bestehen der Wahrheit selbst in den Blick nimmt und unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit unberührt lässt, dieser aber unsere epistemischen Erfolgsaussich­ ten betrifft, wahre Überzeugungen aus tatsächlich ausbilden zu können. Ein Realismus impliziert allerdings keinen Fallibilismus, da die realistische 38

39 40

Ein radikaler Subjektivismus, der Wahrheit mit individuellem Fürwahrhalten identifiziert, hat sicherlich die größten Schwierigkeiten, der menschlichen Fehlbarkeit gerecht zu werden. Wenn die Proposition, dass Jupiter ein Gasplanet ist, genau dann wahr ist, wenn ich sie für wahr halte, und genau dann falsch ist, wenn ich sie für falsch halte, dann irre ich mich in Bezug auf die Oberflächenbeschaffenheit des Jupiters niemals (vgl. nochmals Boghossian 2006: 19). Ein moderaterer Relativismus, dem zufolge Wahrheit mit kollektiven Setzungen gleichzusetzen sei, kann diesem Problem der individuellen Unfehlbarkeit freilich beikommen. Wenn die Proposition, dass Jupiter ein Gasplanet ist, beispielsweise genau dann wahr ist, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft sie für wahr hält, und genau dann falsch ist, wenn sie sie für falsch hält, dann kann ich mich in Bezug auf die Oberflächenbeschaffenheit des Jupiters durchaus irren. Da aber demnach die wissenschaftliche Gemeinschaft insgesamt niemals darüber falsch liegen kann, ob Jupiter ein Gasplanet ist oder nicht, handelt sich ein solcher Relativismus das Problem der kollektiven Unfehlbarkeit ein: Er erklärt eine Gruppe von Menschen, eine Kultur oder Tradition, für unfehlbar und verschiebt das generelle Problem daher bloß (vgl. – im Kontext des ethischen Relativismus – Harman 1996: 13). Vgl. bereits hier Shafer-Landau 2003: 1 Moser et al 1998: 12f; vgl. auch ebd.: 61f

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Kernthese sowohl mit der These vereinbar ist, dass wir lediglich dazu in der Lage sind, fehlbare Einsichten zu erlangen (Fallibilismus), als auch mit der These, dass wir uns im unfehlbaren Besitz der Wahrheit befinden (Infallibilismus). Wenn man also einen wahrheitstheoretischen Realismus vertritt, dann ist man noch nicht auf einen erkenntnistheoretischen Fallibilismus festgelegt. Das nahegelegte Implikationsverhältnis zwischen beiden Auffassungen verläuft dementsprechend ausschließlich in die andere Richtung: Wenn man sich umgekehrt vom Fallibilismus überzeugt – und das zu tun ist präreflexiv sehr plausibel –, dann ist man in der Tat (zumindest prima facie) auch darauf festgelegt, sich einen Realismus zu eigen zu machen, da die fallibilistische Fehlbarkeitsannahme die realistische Objektivitätsvorstellung voraussetzt. Diese Verbindung macht folglich die präreflexive Plausibilität einer realistischen Wahrheitskonzeption mittelbar verständlich. Ein Realismus ist aus denselben Gründen, wie im obigen Zitat bereits angedeutet, auch vereinbar mit einem Skeptizismus, dem zufolge unsere Erkenntnisbemühungen nicht nur stets fehlbar sind, sondern auch tatsächlich stets fehlgehen, weshalb wir schlussendlich gar nichts wissen. Ein Realismus impliziert aber wiederum keinen Skeptizismus, da jener, im Gegensatz zu diesem, gerade nicht unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit thematisiert, sondern lediglich das Bestehen der Wahrheit selbst betrifft; er ist sowohl mit der These vereinbar, dass sich Wahrheit immer unserem Erkenntniszugriff entzieht (Skeptizismus), als auch mit der These, dass es uns zumindest manchmal möglich ist, Wahrheiten einzusehen (Antiskeptizismus). Es gehört nichtsdestotrotz zum Standardrepertoire antirealistischer Rhetorik, dem Realismus vorzuwerfen, einen Skeptizismus unvermeidlich zu machen.41 Das ist aber zum einen nicht überzeugend, da ein Realismus, wie gesagt, sowohl mit skeptischen als auch mit antiskeptischen Auffassungen vereinbar ist und deshalb einen Skeptizismus eben nicht ohne Weiteres impliziert.42 Der nicht41

42

Hasok Chang etwa scheint eine derartige Befürchtung, der zufolge ein Realismus Erkenntnis unmöglich mache, im Sinn zu haben: „In my previous exposition, I took ‚reality‘ as mind-independent nature […]. But ‚reality‘ in this sense is like the Kantian thing-in-itself, about which we can and should say nothing; it is nonsense to think that we can learn anything expressible about it. So some other notion must be worked out as to what empirical knowledge is about.“ (Chang 2018: 32) Eine realistische Erwiderung, die darauf abhebt, dass die Akzeptanz eines nichtepistemischen Wahrheitsbegriffs nicht dazu verpflichtet, jegliches Erkenntnisstreben für vergeblich zu halten, findet sich beispielsweise bei Alvin Goldman: „A principal reason for rejecting a realist construal of truth is an alleged threat to knowledge. Many philosophers fear that if truth is definitionally prized off from evidence, or justification, it will be impossible for anyone to know the truth. Truth(s) will be epistemically inaccessible, or unknowable. But this dire consequence is not at all indicated, at least not without lengthy

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epistemische Charakter des Wahrheitsbegriffs zeigt lediglich an, dass Wahrheit auch solchen Aussagen zukommen kann, von deren Wahrheit wir nichts wissen (oder wissen können); er zeigt nicht an, dass die Wahrheit einzusehen immer unsere Erkenntnisfähigkeiten übersteigt. Zum anderen ist dieser Vorwurf nicht ohne ein gewissermaßen selbstzerstörerisches Potential: Er provoziert geradezu den entgegengesetzten Vorwurf an die Adresse der Gegner des alethischen Realismus, dass sie sich durch ihre Bemühungen, einen Skeptizismus verhindern wollen, dazu verleiten lassen, Wahrheit als etwas zu konzeptualisieren, das erheblich zu einfach zu erfassen ist, und sie sich dadurch das viel schwerwiegendere Problem einhandeln, von dem oben bis zuletzt die Rede war – nämlich der menschlichen Fehlbarkeit gerade nicht mehr angemessen Rechnung tragen zu können. Wir werden darauf zurückkommen, inwieweit diese Verortung des alethischen Realismus auch in Bezug auf wissenschaftlichen und moralischen Realismus vorgenommen werden kann. Die Berufung auf die präreflexive Plausibilität, den Alltags- oder gesunden Menschenverstand („common sense“), und nicht zuletzt die Möglichkeit, der menschlichen Fehlbarkeit Rechnung tragen zu können, nehmen demnach, zusammenfassend gesagt, eine zentrale Stellung in der Konzeption des alethischen Realismus ein. Die vorgelegte Diskussion dieses zweiten Charakteristikums dient damit einerseits dazu, das Verständnis des alethischen Realismus zu schärfen und seine zentrale Kernthese in den Kontext jener Argumentationsstrategien zu stellen, die auf die präreflexive Plausibilität eines realistischen Verständnisses des Wahrheitsbegriffs Bezug nehmen. Andererseits bereitet die Darstellung dieses Charakteristikums die These von der Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus vor, indem sie einen wichtigen Aspekt jener Wahrheitskonzeption herausgreift, dessen Bedeutung für diese Positionen später thematisiert zu werden verdient: Wissenschaftlichen und moralischen Realisten muss die Frage gestellt werden, inwieweit sie von der Überlegung Gebrauch machen, dass ihre jeweilige Auffassung präreflexiv einleuchtet, und inwieweit sie darauf abheben, dass ihre jeweilige Auffassung der menschlichen Fehlbarkeit gerecht wird und deshalb prima facie attraktiver erscheint als etwaige Alternativen. Es wird also wiederum zu untersuchen sein, inwieweit wissenschaftliche und moralische Realisten im Hinblick auf argumentation. The mere fact that extramental reality is what makes a proposition true (or false), as realists maintain, does not imply that no truths can be known. The mere fact that truth does not (definitionally) require knowledge, or justification, does not mean that it precludes knowledge, or justification.“ (Goldman 1986: 19; vgl. auch ebd.: 148; vgl. auch Volpe 2003: 13ff)

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dieses zweite Charakteristikum eine parallele Anknüpfung an eine realistische Wahrheitskonzeption erkennen lassen. Bevor jedoch Wissenschaftstheorie und Metaethik ins Zentrum der Betrachtungen rücken, soll im verbleibenden Kapitel, wie schon zuvor, der Fokus auf dem alethischen Realismus bleiben. Man kann dieser Besprechung des zweiten Charakteristikums zunächst zwei weitere Nachfragen anfügen, deren Beantwortung sich ebenfalls klärend auf die anschließende Diskussion von wissenschaftlichem und moralischem Realismus auswirken wird – nämlich zwei Fragen darüber, was mit der Berufung auf die präreflexive Plausibilität eigentlich bezweckt wird. Im Anschluss an diese Diskussion werde ich dann auf das dritte und letzte Charakteristikum des alethischen Realismus zu sprechen kommen und damit dessen Darstellung abschließen. (i) Einmal kann die vorgestellte Argumentationsstrategie sicherlich den Einwand provozieren, dass alethische Realisten mit ihrer Berufung auf den „common sense“ übers Ziel hinausschießen, mithin eine zu starke Zurückweisung antirealistischer Wahrheitskonzeptionen anstreben. Da sie nämlich Alternativen zum Realismus als „kontraintuitiv“ und „bizarr“ abtun, weisen sie umgekehrt, so der Einwand, den Realismus selbst gerade nicht als nachvollziehbar oder plausibel aus, sondern gehen unbeabsichtigt eigentlich dazu über, ihn als diskussionsunwürdig und trivial zu entwerten. Der alethische Realismus steht bisweilen auch tatsächlich unter einem latenten Trivialitätsverdacht, dem zufolge er nur deshalb überzeugen kann, weil sich seine zentrale Kernthese in einer letztlich belanglosen Selbstverständlichkeit erschöpft, die von niemandem ernsthaft angezweifelt wird. Demnach biete der alethische Realismus gar keinen Anlass dazu, einer philosophisch reflektierten Verteidigung unterzogen zu werden, da die von ihm deklarierte „Unabhängigkeit der Wahrheit vom Fürwahrhalten“ innerhalb der fachphilosophischen Diskussion ohnehin „unstrittig zwischen allen Positionen ist.“43 Der alethische Realismus stelle vielmehr, wie Alston den Verdacht paraphrasiert, einen „miserable truism“ dar „that no one in his right mind would deny.“44 Es ist aber nicht richtig, die dem alethischen Realismus positiv als Stärke anzurechnende Plausibilität negativ in eine Schwäche umzudeuten. Der Vorwurf ist insbesondere deshalb abzulehnen, weil der realistische Kerngedanke – entgegen dem skizzierten Verdacht – gegen den Widerstand einer fachphilosophischen Gegnerschaft aufgestellt wird und vor diesem Hintergrund gerade nicht unkontrovers ist.

43 44

Grundmann 2008: 41 Alston 1996: 6; vgl. ähnlich auch Künne 1998: 196

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Einerseits versuchen Anhänger von epistemischen Wahrheitstheorien moderate Alternativen zum alethischen Realismus zu etablieren, die zwar den nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs offen leugnen, dabei aber durchaus zu Zugeständnissen bereit sind, um einleuchtende realistische Intuitionen erhalten zu können. Als klassische Vertreter einer solchen epistemischen Wahrheitstheorie gelten vornehmlich Pragmatisten wie Charles Sanders Peirce (1878)45 und William James (1907);46 moderne Vorschläge wurden einflussreich von Jürgen Habermas (1973) und Hilary Putnam (1981) unterbreitet. Putnam etwa hebt in seiner Variante zunächst darauf ab, dass es einen engeren Zusammenhang zwischen Wahrheit und Rechtfertigung gebe, als es eine realistische Wahrheitskonzeption nahelegt. Im diametralen Gegensatz zu einem alethischen Realismus müsse man sich Putnam zufolge auf die These einlassen, dass der Wahrheitsbegriff nicht allein ein Verhältnis zwischen einer Proposition und der Realität betreffe, sondern letztendlich in erkenntnistheoretischem Vokabular expliziert werden könne. Insbesondere lasse sich die Zuschreibung, eine Proposition sei wahr, mit der Behauptung identifizieren, es sei – unter gewissen Umständen – gerechtfertigt, von der Proposition überzeugt zu sein. Das Zugeständnis, zu dem Putnam dabei bereit ist, besteht darin, dass er die Trennung von Wahrheit und Rechtfertigung als eine nachvollziehbare „realist intuition“ bezeichnet, deren Aufrechterhaltung das erklärte Ziel seines Ansatzes ist.47 Da es manchmal gerechtfertigt sein kann, von falschen Propositionen überzeugt zu sein, genauso wie wahre Überzeugungen manchmal ungerechtfertigt sein mögen, können Wahrheit und Rechtfertigung nicht ohne Weiteres miteinander gleichgesetzt werden, sondern bedürfen der Einschränkung einer Idealisierung: Truth cannot simply be rational acceptability for one fundamental reason; truth is supposed to be a property of a statement that cannot be lost, whereas justification can be lost. […] What this shows, in my opinion, is […] that truth is an idealization of rational acceptability. We speak as if there were such things as epistemically ideal conditions, and we call a statement ‚true‘ if it would be justified under such conditions.48 According to my conception, to claim of any statement that it is true, that is, that it is true in its place, in its context, in its conceptual scheme, is, roughly, to claim that it could be justified were epistemic conditions good enough.49 45 46 47 48 49

„The opinion which is fated to be ultimately agreed to by all who investigate, is what we mean by the truth […].“ (Peirce 1878: 300) „You can say of it then either that ‚it is useful because it is true‘ or that ‚it is true because it is useful‘. Both these phrases mean exactly the same thing […].“ (James 1907: 93) Putnam 1981: x Ebd.: 55 Putnam 1990: vii

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Insofern diese Einschränkung, wonach Wahrheit lediglich mit idealisierter Begründbarkeit identifiziert werden könne, dem Ziel dient, realistische Bedenken aufzugreifen, stellt sich Putnams epistemische Wahrheitstheorie als eine moderate Alternative zum alethischen Realismus dar, die dessen zentraler Kernthese zwar widerspricht, aber dennoch bestimmten realistischen Intuitionen gerecht zu werden versucht.50 Andererseits schlagen Vertreter konstruktivistischer und relativistischer Wahrheitstheorien eine radikale Abkehr vom Realismus vor, die gar keine Rücksicht auf im common sense oder gesunden Menschenverstand gegründete Intuitionen nimmt. Als Autoren, die dem wahrheitstheoretischen Konstruktivismus oder Relativismus zuzurechnen sind, gelten dabei Nelson Goodman (1978) bzw. Richard Rorty (1998). Rorty etwa versucht seine Auffassung als eine Alternative zu einer realistischen Wahrheitskonzeption zu etablieren, indem er zunächst im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Charles Taylor den oben angesprochenen Trivialitätsverdacht gegen den Realismus explizit aufgreift. Der realistische Kerngedanke, wonach Wahrheit insofern geistesunabhängig besteht, als wahre Propositionen allein durch die Beschaffenheit der Realität wahrgemacht werden, werde zwar von Taylor als eine vermeintlich unkontroverse Selbstverständlichkeit präsentiert; Rorty aber gibt zu erkennen, dass er selbst dieser Kernthese überaus kritisch gegenübersteht, dass er somit in eine entschiedene Opposition zum alethischen Realismus einzutreten bereit ist und dass er sich deshalb Taylors Darstellung des Realismus als einer allgemein akzeptierten Auffassung nicht anschließen kann: Taylor seems to think that neither I nor any one else would feel any ‘serious temptation to deny that the no chairs claim (‚There are no chairs in this room‘) will be true or false in virtue of the way things are, or the nature of reality.’ But I do, in fact, feel tempted to deny this.51

Die Ablehnung des alethischen Realismus teilt Rorty freilich mit Putnam. Der Unterschied jedoch zwischen Putnams moderater und Rortys radikaler Ablehnung des Realismus wird vor allem an zwei Eckpunkten deutlich. Erstens sucht Rorty – im Gegensatz zu Putnam (und anderen Vertretern epistemischer Wahrheitstheorien) – keine Zuflucht darin, die Differenz zwischen 50

51

Ähnlich verhält sich auch Habermas‘ epistemische Wahrheitstheorie zu realistischen Alternativen. Sie gleicht Putnams Variante dahingehend, dass sie ebenfalls von Idealisierungen Gebrauch macht, um in eine lediglich moderate Opposition zum alethischen Realismus einzutreten. Eine Aussage ist ihr zufolge namentlich genau dann wahr, wenn sie, wie Habermas seine frühere Position im Nachhinein paraphrasiert, „in einer idealen Sprechsituation […] ein argumentativ vermitteltes Einverständnis finden würde.“ (Habermas 1999: 256 (meine Hervorhebung); vgl. auch Habermas 1973: 219) Rorty 1998: 86

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seiner Position und einem Realismus abzuschwächen, indem er beispielsweise das Konzept einer idealen epistemischen Situation (oder etwas ähnlichem) bemüht. Vielmehr scheint Rorty einen durchaus unverhohlenen Relativismus vorzuschlagen, dem zufolge eine Proposition lediglich gemäß einer verwendeten Theorie oder Beschreibung wahr oder falsch ist und die Frage nach theorie- oder beschreibungsunabhängiger Wahrheit gar nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann.52 Zweitens, und damit zusammenhängend, nimmt Rorty Intuitionen zugunsten eines Realismus nicht wie Putnam zum Anlass, um seine Position zu modifizieren und einem Realismus anzunähern, sondern stellt gerade umgekehrt eine durch seine Position induzierte Modifikation unserer Intuitionen in Aussicht. In seiner Auseinandersetzung mit John Searle und dessen Vorwurf, Rorty würde mit seiner post-modernistischen Rhetorik das Fundament der „Western Rationalistic Tradition“ beschädigen – ein Fundament grundlegender Ansichten über Wahrheit und Rationalität, die insbesondere der akademischen Forschung und Lehre in Form von intuitiv akzeptierten Voraussetzungen zugrunde liegen53 –, hebt Rorty auf diese Möglichkeit ab, die Intuitionen zu seinen Gunsten ändern zu können: Searle and I recognize that certain propositions are intuitively obvious, indemonstrable, and taken for granted. But […] [w]hereas he sees conditions of intelligibility, presuppositions, I see rhetorical flourishes designed to make practitioners feel they are being true to something big and strong: the Intrinsic Nature of Reality. […] But we may change our attitudes towards these practices

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53

Rortys Relativismus kann vor allem an seiner Behauptung festgemacht werden, dass keine Aussage wahr sei „simply in virtue of the way things are, quite apart from how we describe them“ (ebd.: 86). Alle Aussagen seien lediglich wahr „in virtue of the way our current descriptions of things are used“ (ebd.: 86 (meine Hervorhebung)). Da aber diese Behauptung keinen beschreibungsunabhängigen Maßstab zulässt, anhand dessen entschieden werden könnte, welche von mehreren und einander widersprechenden Beschreibungen der (beschreibungsunabhängigen) Realität am ehesten entspricht, scheint Rorty auf die These festgelegt zu sein, dass es einen solchen Maßstab und eine solche Realität auch gar nicht gibt. Eine Aussage ist immer nur wahr relativ zu einer gegebenen Beschreibung oder Theorie. Entsprechend interpretiert auch Boghossian Rorty als einen Vertreter eines relativistischen Konstruktivismus (vgl. Boghossian 2006: 48f). Die „Western Rationalistic Tradition“ umfasst dabei nach Searles Darstellung mehrere Ansichten, die zwar über eine realistische Wahrheitstheorie hinausgehen, diese aber zweifellos beinhalten (vgl. Searle 1993: 57, 62f). Rorty betont insbesondere zwei zentrale Thesen, die Searle der „Western Rationalistic Tradition“ zuschreibt: „the claim that ‚knowledge is typically of a mind-independent reality‘ and the claim that knowledge is expressed in ‚propositions which are true because they accurately represent that reality.‘“ (Rorty 1998: 67) An seiner dezidiert antirealistischen Haltung lässt Rorty keinen Zweifel: „I disagree with both claims.“ (Ebd.)

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[…]. Our new sense of what we are doing will be itself as indemonstrable, and as intuitive, as was the Western Rationalistic Tradition.54

In diesem Sinne kann Rortys relativistische Wahrheitstheorie also als eine radikale Gegenposition zum alethischen Realismus eingeordnet werden, die weder abschwächende Konzepte bemüht, um Vertretern einer realistischen Wahrheitskonzeption entgegenzukommen, noch ernsthaft in Erwägung zieht, realistische Intuitionen erhalten zu wollen.55 Epistemische, konstruktivistische und relativistische Wahrheitstheorien bilden also die Gegenentwürfe zu einem alethischen Realismus. Die kurze Darstellung dieser Alternativen leistet freilich keine umfassende Widerlegung sämtlicher Varianten antirealistischer Wahrheitstheorien, sondern dient nur dazu, anhand ihrer exemplarischen Hervorhebung zumindest den Trivialitätsverdacht gegen den alethischen Realismus als unhaltbar auszuweisen. Unabhängig davon, ob man diesen antirealistischen Entwürfen aufgeschlossen oder unaufgeschlossen gegenübersteht, muss man in jedem Fall zur Kenntnis nehmen, dass sie innerhalb der philosophischen Diskussion – teils einflussreich – vertreten werden und folglich den alethischen Realismus zumindest insofern keinem Trivialitätsvorwurf preisgeben, als sie dessen Kernthese ausdrücklich zum Gegenstand einer philosophischen Kontroverse erheben. Man sollte den alethischen Realismus daher nicht als trivial abtun und in Abrede stellen, dass sich aus seiner Kernthese eine informative und diskussionswürde Auffassung über Wahrheit entfalten lasse; vielmehr empfiehlt es sich, ihn als eine präreflexiv plausible Position ernst zu nehmen, die zwar alternativen Ansätzen gegenübersteht, ihnen aber prima facie voraushat, das alltägliche Verständnis des Wahrheitsbegriffs am besten auffangen zu können. Dieses Ergebnis ist insofern interessant für die weitere Diskussion von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, als zu erwarten ist, dass

54 55

Ebd.: 82f (meine Hervorhebung) Ähnlich nimmt auch Goodman seine Abgrenzung zum alethischen Realismus vor. Goodman kann dabei insofern eine „konstruktivistische Orientierung“ nachgesagt werden (Goodman 1978: 13), als er gerade nicht davon ausgeht, dass Wahrheiten oder Tatsachen entdeckt werden, sondern vielmehr „offensichtlich etwas Gemachtes“ sind (ebd.: 116). Wie bei Rorty kann auch Goodmans radikale Opposition zum Realismus daran festgemacht werden, dass er realistischen Intuitionen wie etwa derjenigen, „daß Fakten gefunden und nicht gemacht werden“, eine geringe Bedeutung zumisst (ebd.: 114). Sie seien lediglich „Glaubensartikel“, die uns „gefangen[halten]“: „[S]ie binden und blenden uns so sehr, daß [eine Formulierung wie] ‚die Erfindung von Tatsachen‘ paradox klingt.“ (Ebd.: 114) Doch diese Intuitionen seien offenbar unberechtigt. Man müsse einfach „dazulern[]en, früher erlernten fundamentalen Grundsätzen zu mißtrauen“ (ebd.: 135).

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Konstruktivismus und Relativismus auch dort die primären Gegenpositionen bilden. Wir werden darauf zurückkommen. (ii) Vor dem Hintergrund dieser epistemischen, konstruktivistischen und relativistischen Gegenentwürfe kann sich freilich die umgekehrte Frage erheben, ob die argumentative Stützung, die dem alethischen Realismus durch eine Berufung auf den Alltagsverstand zuteilwird, noch ausreicht, um den Streit zwischen den sich gegenüberstehenden Positionen befriedigend schlichten zu können oder nicht viel eher zu schwach ist. Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil es hochgradig unangemessen erscheint, die Gegenpositionen zum alethischen Realismus allein aus dem Grund abzulehnen, dass sie kontraintuitiv sind und dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Der gesunde Menschenverstand liegt bisweilen falsch und bedarf einer philosophisch informierten Korrektur. Eine solche Korrektur kann aber nicht vorgenommen werden, wenn man jegliche Alternativen von Vornherein als kontraintuitiv ablehnt und stattdessen stets auf den Auffassungen beharrt, die prima facie ohnehin schon einleuchten. Präreflexive Überzeugungen bilden demnach höchstens fehlbare Ausgangspunkte, die zwar am Anfang der philosophischen Reflektion stehen können, nicht aber bereits deren Ende vorgeben. Vielmehr ist es gerade Aufgabe der Philosophie, unsere intuitiv akzeptierten Präkonzeptionen kritisch zu hinterfragen und ggf. zu revidieren. Eine solche metaphilosophische Einordnung der Philosophie, der zufolge präreflexive Überzeugungen die Form von „philosophischen Vorurteilen“ annehmen und als solche insofern zu einem philosophischen Reflektionsgegenstand erhoben werden, als sie der rationalen Kritik unterzogen werden sollten, nimmt beispielsweise Popper vor: Alle Menschen sind Philosophen. Auch wenn sie sich nicht bewußt sind, philosophische Probleme zu haben, so haben sie doch jedenfalls philosophische Vorurteile. Die meisten davon sind Theorien, die sie als selbstverständlich akzeptieren: Sie haben sie aus ihrer geistigen Umwelt oder aus der Tradition übernommen. […] Es ist eine Rechtfertigung der Existenz der professionellen oder akademischen Philosophie, daß es notwendig ist, diese weitverbreiteten und einflußreichen Theorien kritisch zu untersuchen und zu überprüfen.56

Mit Blick auf den alethischen Realismus ließe sich dementsprechend einwenden, dass auch dessen Verankerung im gesunden Menschenverstand kein durchschlagendes Argument zu liefern vermag, sondern lediglich dazu hinreicht, ihn als ein philosophisches Vorurteil auszuweisen.

56

Popper 1987: 201

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Dieser Vorbehalt ist sicherlich insofern richtig, als der Hinweis auf die präreflexive Plausibilität des alethischen Realismus tatsächlich keinen Beweis für eine realistische oder gegen die ein oder andere antirealistische Wahrheitstheorie liefert. Es könnte sich herausstellen, dass Einwände gegen eine realistische Wahrheitskonzeption so schwerwiegend sind und Vorbehalte gegen epistemische Wahrheitstheorien so leicht ausgeräumt werden können, dass unsere präreflexive Festlegung auf den Realismus einer Revision unterzogen werden sollte. Aus diesem Grund kann der Streit zwischen Anhägern realistischer und Anhängern diverser antirealistischer Wahrheitskonzeptionen nicht einfach dadurch geschlichtet werden, dass man jene für präreflexiv einleuchtend und diese für präreflexiv unplausibel erklärt, da man sich ansonsten den Weg hin zu einer solchen reflektierten Überprüfung verstellt und stattdessen lediglich auf seinen philosophischen Vorurteilen beharrt. Es ist daher angezeigt, das von alethischen Realisten angestrebte Argu­men­ tationsziel zu präzisieren und darüber Auskunft zu erteilen, was anstatt eines Beweises damit bezweckt werden soll, eine realistische Wahrheitskonzeption als intuitiv einleuchtend auszuweisen. Dieser Forderung können alethische Realisten durchaus nachkommen. Der Hinweis auf die präreflexive Plausibilität und die Verankerung im alltäglichen Denken und Handeln dient, der naheliegenden Antwort zufolge, wenigstens dazu, eine Beweislastverteilung zugunsten des alethischen Realismus in Aussicht zu stellen. Alethische Realisten verweisen darauf, dass wir den Wahrheitsbegriff immer schon so benutzen, wie sie ihn analysieren, um ihren philosophischen Gegnern eine Beweislast aufbürden zu können: Demnach müssen diese sich dazu erklären, was sie an einer realistischen Wahrheitskonzeption auszusetzen haben, und müssen darlegen, was sie dazu bewegt, eine vom Realismus abweichende Wahrheitstheorie aufzustellen; jene dagegen können es dabei bewenden lassen, die gewissermaßen post-reflexiven Einwände auszuräumen, die ihre Auffassung erst im Zuge philosophischer Reflektion herausfordern. Auf diese Weise nehmen Realisten für sich in Anspruch, die Ausgangsposition einzunehmen, von der aus die philosophische Reflektion ihren Anfang nimmt und deren privilegierte Stellung durch ihre intuitive Plausibilität begründet wird, ohne ihre Auffassung dabei jedoch der rationalen Kritik entheben und dadurch die akademische Philosophie zu einer fragwürdigen Veranstaltung deklassieren zu wollen.57 57

Der Hinweis auf die Plausibilität des alethischen Realismus nimmt somit dieselbe Funktion wie das strafrechtliche Prinzip der Unschuldsvermutung ein, das einen Angeklagten für unschuldig erklärt, solange seine Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen ist, und es folglich den Anklägern auferlegt, Beweise für die Schuld zu präsentieren. Analog wird auch der

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Kapitel 2

Es ist zwar im Allgemeinen nicht ganz unproblematisch, eine Beweislastverteilung zulasten seiner Gegner vorzunehmen.58 Gegner des alethischen Realismus gestehen es dessen Anhängern aber in der Regel zu, ihnen einen solche Beweislast aufbürden zu dürfen, weil auch sie anerkennen, dass unser Alltagsverständnis des Wahrheitsbegriffs prima facie eine realistische Wahrheitskonzeption nahelegt. Sie widersprechen alethischen Realisten lediglich dahingehend, dass sie für sich in Anspruch nehmen, diese Beweislast auch tatsächlich schultern und den alethischen Realismus – entgegen dem ersten Anschein – als falsch ausweisen zu können. Putnam etwa macht deutlich, dass seine epistemische Wahrheitstheorie geradezu darauf ausgelegt ist, realistischen Intuitionen gerecht zu werden, womit er – trotz seiner Ablehnung einer realistischen Wahrheitskonzeption – implizit anerkennt, dass dieselbe in mancher Hinsicht intuitiv plausibel ist.59 Habermas charakterisiert, damit übereinstimmend, einen nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff mit den Worten, derselbe zeige eine „Wahrheitsorientierung“ an, „deren Wurzeln in jenen […] Realismus der Alltagspraxis hinabreichen.“60 Und selbst Rorty, der realistische Intuitionen für abänderbar hält, gesteht zumindest zu, dass eine realistische Wahrheitskonzeption, wie sie die „Western Rationalistic Tradition“ beinhalte, zurzeit als intuitiv angesehen wird.61 Die Beweislastverteilung, die durch den Hinweis auf das Alltagsverständnis des Wahrheitsbegriffs bezweckt wird, kann also innerhalb der wahrheitstheoretischen Realismus-Debatte durchaus vorgenommen werden, ohne dass dadurch der Einwand provoziert wird, alethische Realisten würden in einer Weise übervorteilt, die alethische Antirealisten nicht akzeptieren würden. Vielmehr gestehen selbst radikale Gegner dem alethischen Realismus eine präreflexive Plausibilität zu und eröffnen Anhängern somit die Möglichkeit, ein erreichbares Argumentationsziel zu verfolgen, das dem oben skizzierten Vorwurf nicht ausgesetzt ist.62

58 59 60 61 62

alethische Realismus für gerechtfertigt erklärt, solange keine unausgeräumten Gründe gegen ihn vorliegen. vgl. auch Heinrichs 2013: 15f, Fußnote 20; vgl. auch Ernst 2008: 116 vgl. nochmals Putnam 1981: x Habermas 1999: 262 (meine Hervorhebung) vgl. nochmals Rorty 1998: 82f Es sei an dieser Stelle gestattet darauf hinzuweisen, dass die präreflexive Plausibilität einer realistischen Wahrheitskonzeption ihren Gegnern bisweilen nicht allein abverlangt, eine entsprechende Beweislastverteilung zu ihren Lasten anzuerkennen, sondern dass sie darüber hinaus teilweise sogar ein Umdenken bei ihnen bewirkt. Insbesondere haben mit Putnam und Habermas zwei der prominentesten Vertreter epistemischer Wahrheitstheorien ihre Widerstände gegen den alethischen Realismus in den 1990er Jahren aufgegeben und ihre Auffassungen – auf sehr ähnliche Weise – revidiert. Habermas geht dabei namentlich auf den Umstand ein, dass sich eine epistemische Wahrheitstheorie

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Anhänger des alethischen Realismus machen es in der Regel dementsprechend deutlich, dass sie tatsächlich eine solche Beweislastverteilung bezwecken, wenn sie sich auf den menschlichen Alltagsverstand berufen. Alston etwa verwendet seinen Verweis auf die „strong intuitive plausibility“ gerade nicht dazu, um der Diskussion von antirealistischen Einwänden oder epistemischen Wahrheitstheorien auszuweichen; vielmehr greift er im Gegenteil diese Diskussionen sein gesamtes Buch hindurch auf, setzt sich mit Dummetts und Putnams Einwänden auseinander (Kapitel 3-6) und gibt der kritischen Darstellung von Putnams epistemischer Wahrheitstheorie ausgiebigen Raum (Kapitel  7). Erst in Anbetracht des Ungenügens dieser Alternativen geht Alston dazu über, den alethischen Realismus als diejenige Auffassung auszuweisen, die den Wahrheitsbegriff – dem ersten Anschein gemäß – korrekt expliziert. Dem Hinweis auf die Plausibilität des alethischen Realismus kann deshalb nicht der Charakter eines Beweises zukommen, der die philosophische Kritik am gesunden Menschenverstand entbehrlich machen würde, weil sich Alston andernfalls diese Mühe, antirealistische Gegenargumente und -entwürfe kritisch zu diskutieren, überhaupt nicht machen müsste. Es ist daher viel sinnvoller, Alstons Hinweis den Charakter einer Beweislastverteilung zuzuschreiben. Ein explizites Bekenntnis, dem zufolge diese Berufung auf die intuitive Plausibilität eines alethischen Realismus lediglich dazu dient, demselben eine geringere Beweislast aufzubürden als seinen Gegenentwürfen, findet sich daneben etwa bei Moser et al – namentlich im Zusammenhang mit der bereits eingangs besprochenen Unterscheidung zwischen Wahrheit und Rechtfertigung, an der sich der nicht-epistemische Charakter des Wahrheitsbegriffs ja exemplarisch zeigt: It is important to keep the notions of truth and justification distinct to allow for the possibility of justified false belief (and unjustified true belief). We are sometimes justified in believing statements that are nonetheless false. This intuition could be wrong, but it is one of the firmest common-sense intuitions we find in epistemology; so we should ask whether there is a sound basis for preserving it.63

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als „kontraintuitiv“ darstellt, weil sie es versäumt, der menschlichen „Fallibilität“ Rechnung zu tragen, „die wir im Verlaufe vieler Argumentationen an uns selbst erfahren und bei anderen im historischen Rückblick auf vergangene Argumentationsverläufe beobachten.“ (Habermas 1999: 50; vgl. auch ebd.: 53, 247, 262) „Diese Einwände haben mich zu einer Revision veranlaßt, die den beibehaltenden Diskursbegriff einer rationalen Akzeptabilität auf einen pragmatisch gefaßten, nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff bezieht, ohne dabei ‚Wahrheit‘ an ‚ideale Behauptbarkeit‘ zu assimilieren.“ (ebd.: 51) Aus ähnlichen Gründen wendet sich auch Putnam von einer epistemischen Wahrheitstheorie ab und dem alethischen Realismus zu (vgl. Künne 2003: 423f). Moser et al 1998: 74f (meine Hervorhebungen)

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Kapitel 2

Mit diesem Ergebnis, dem zufolge alethische Realisten insbesondere eine Beweislastverteilung bezwecken, wenn sie darauf verweisen, dass ihre Wahrheitskonzeption im gesunden Menschenverstand verankert und somit präreflexiv plausibel ist, kann schlussendlich eine Zusammenfassung der Diskussion, die zu diesem zweiten Charakteristikum geführt wurde, gezogen werden. Alethische Realisten berufen sich demnach insgesamt nicht nur auf die präreflexive Plausibilität und die menschliche Fehlbarkeit, sondern richten sich, wenn man die Beantwortung der beiden angehängten Nachfragen einbezieht, zudem (i) dezidiert gegen antirealistische Entwürfe, die neben epistemischen Wahrheitstheorien insbesondere Konstruktivismus und Relativismus umfassen, wodurch sie dem Trivialitätsverdacht entgehen, der ihre Argumentationsstrategie als zu stark kritisiert; darüber hinaus nehmen sie (ii) genauer lediglich eine Beweislastverteilung vor, die sie vor dem entgegengesetzten Verdacht bewahrt, sich mit einer zu schwachen Argumentationsstrategie zu begnügen. Dieses letzte Ergebnis ist wiederum interessant für die weitere Diskussion von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, weil es die Frage nahelegt, inwieweit auch Anhänger dieser beiden Positionen genauer eine Beweislastverteilung ins Auge fassen und auf diese Weise die Parallele zwischen ihren beiden Auffassungen manifestieren. Wir werden darauf zurückkommen. Bevor im nächsten Kapitel diese weiterführenden Fragen aufgegriffen werden, wird zunächst, wie bereits angekündigt, das dritte und letzte Charakteristikum des alethischen Realismus abschließend behandelt – die globale Perspektive, die er gegenüber sämtlichen Wahrheiten etabliert und die ihn nicht zuletzt dazu qualifiziert, selbst Auffassungen aus unterschiedlichsten Subdisziplinen – wie etwa Wissenschaftstheorie und Metaethik – miteinander in Verbindung zu bringen. (3) Alethische Realisten etablieren durch ihr Verständnis des Wahrheitsbegriffs also schließlich drittens eine allumfassende oder globale Perspektive, die nicht auf einen einzigen thematischen Bereich beschränkt ist, sondern jegliche Überzeugungen und Aussagen, gleich welchen Inhalts, betrifft. Es macht keinen Unterschied, wovon ich mich überzeuge oder was ich aussage. Sobald ein propositionaler Gehalt identifiziert werden kann – und ein solcher Gehalt liegt Überzeugungen und Aussagen ja als das, von dem man überzeugt ist bzw. das ausgesagt wird, definitionsgemäß zugrunde –, hat meine Überzeugung bzw. Aussage definitiv einen Wahrheitswert. Die Kernthese des alethischen Realismus besagt in diesem Zusammenhang, dass der Wahrheitswert ausnahmslos aller Propositionen gleichermaßen festgelegt ist – nämlich durch die Beschaffenheit der Realität: Die Wahrheit einer jeden wahren Proposition – was immer sie auch zum Gegenstand hat – verdankt sich dem Umstand, dass

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sie der Realität entspricht; die Falschheit einer jeden falschen Proposition – wovon immer sie auch handelt – ist dem gegensätzlichen Umstand geschuldet, dass sie der Realität widerstreitet. In diesem Sinne eröffnet der alethische Realismus eine globale Perspektive, die es erlaubt, einzelne Behauptungen, ganze Theorien oder sogar umfängliche Fachgebiete unterschiedlichster Art in denselben wahrheitstheoretischen Kontext einzuordnen und so einheitlich in den Blick zu nehmen. Es ist abermals Alstons pointierte Darstellung, die diesem Charakteristikum des alethischen Realismus zur Klarheit verhilft: everything we believe can be assessed for truth value. Therefore our interpretation of truth affects the status of everything we believe, whatever the subject matter. And if our concept of truth is a realist one, then all our beliefs owe their truth value to the fact that they are related in a certain way to a reality beyond themselves. Thus alethic realism constitutes a global form of realism, one that is not restricted to any particular domain of reality […].64

Im Anschluss an diese Passage nennt Alston insbesondere zwei lokale Realismen, von denen zumindest prima facie anzunehmen sei, dass sie denselben wahrheitstheoretischen Kerngedanken miteinander teilen und so über den globalen alethischen Realismus auch zueinander in Verbindung stehen: „scientific realism“ und „moral realism“.65 Einerseits stellt Alston damit eine Verbindung her, die zwischen dem alethischen und dem wissenschaftlichen bzw. moralischen Realismus besteht und deren Hervorhebung durch die globale Perspektive des ersteren motiviert ist. Andererseits etabliert Alstons Darstellung insofern auch eine Verbindung zwischen den beiden letzteren Auffassungen, als ihre jeweilige Anknüpfung an dasselbe Verständnis des Wahrheitsbegriffs zwar aus unterschiedlichen Subdisziplinen – Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik – heraus erfolgt, dafür aber dieses Verständnis gleichermaßen in ihrem jeweiligen Bereich implementiert. Die globale Perspektive des alethischen Realismus veranlasst dessen Anhänger folglich dazu, den Einfluss ihrer Auffassung auf die wissenschaftstheoretische und metaethische Realismus-Debatte eigenständig anzusprechen, und trägt somit dazu bei, die zentrale These des vorliegenden Kapitels explizit nahezulegen und den dagegen erwogenen Vorbehalt in seiner Plausibilität deutlich abzuschwächen. Die zentrale These, dass sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus aus einem realistischen Verständnis des Wahrheitsbegriffs entfalten lassen, erfährt durch Alstons Darstellung insofern eine explizite Stützung, als er diese Ausdifferenzierung seines globalen Realismus 64 65

Alston 1996: 8 Ebd.: 8

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Kapitel 2

selbstständig vornimmt oder wenigstens andeutet. Er stellt zumindest in Aussicht, dass in der Tat eine über eine realistische Wahrheitskonzeption vermittelte Parallele zwischen Realismus in Wissenschaftstheorie und Realismus in Metaethik besteht, die über eine bloße Namensgleichheit hinausgeht. Dem antizipierten Einwand, dass es keine aufschlussreichen Gemeinsamkeiten zwischen Realismus in der einen und der anderen Subdisziplin zu entdecken gebe, entzieht Alston folglich einen Großteil von dessen Plausibilität: Die von ihm hervorgehobene globale Perspektive weist ausdrücklich einen Weg, wie beide Debatten miteinander in Verbindung zu bringen sind, und untergräbt auf diese Weise den formulierten Vorbehalt, dass man es eigentlich mit zwei autonomen und voneinander zu trennenden Diskursen zu tun habe. Vielmehr wird die inhaltliche Annäherung der disziplinär verstreuten RealismusDebatten von alethischen Realisten ausdrücklich angestrebt und insbesondere durch die globale Perspektive, die ihre Position auf sämtliche Wahrheiten wirft, – in der einen Richtung – zum Vorschein gebracht. Ob wissenschaftliche und moralische Realisten – in der anderen Richtung – ihre lokalen Positionen mit einem komplementären Verweis auf globale Überlegungen aus der Wahrheitstheorie formulieren, lässt sich an dieser Stelle freilich noch nicht sagen, sondern bedarf eines Blicks in Wissenschaftstheorie und Metaethik, der sich im folgenden Kapitel nun anschließen wird.

Kapitel 3

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus Wissenschaftlicher und moralischer Realismus sind zwei philosophische Auffassungen, die durch ihre offensichtlich gleichnamigen Bezeichnungen zwar zueinander in Verbindung zu stehen scheinen, deren Diskussionen jedoch größtenteils ohne wechselseitige Interferenzen in Wissenschaftstheorie bzw. Metaethik geführt werden. Die Debatte um den wissenschaftlichen Realismus lässt sich dabei genauer in die allgemeine Wissenschaftstheorie – im Gegensatz zur speziellen Wissenschaftstheorie – verorten und handelt somit von einer Auffassung, die nicht allein eine Einzelwissenschaft im Besonderen, sondern den Status wissenschaftlicher Erkenntnis im Allgemeinen betrifft. Die Debatte um den moralischen Realismus gehört insofern analog der allgemeinen Metaethik – im Gegensatz zu einer etwaigen speziellen Metaethik – an, als auch in ihrem Zentrum eine Auffassung steht, die sich nicht bloß einem konkreten Teilbereich der normativen Ethik annimmt, sondern den Status normativ-ethischen Urteilens überhaupt adressiert.1 Im vorliegenden Kapitel wird der Versuch unternommen, beide Positionen, wissenschaftlichen und moralischen Realismus, einer integrativen Darstellung zu unterziehen, die beide Debatten in einem größeren Zusammenhang sichtbar macht und dadurch auch beide Disziplinen insgesamt einander entgrenzt. Eine solche integrative Darstellung wird – abgesehen von allenfalls vereinzelten Verweisen2 – durch die disziplinäre Abgrenzung beider Debatten für gewöhn1 Die Unterscheidung zwischen einer allgemeinen und einer speziellen Metaethik ist zweifellos nicht genauso etabliert wie die gängige Unterscheidung zwischen allgemeiner und spezieller Wissenschaftstheorie. Dennoch lässt sich dafürhalten, dass man der Sache nach auch metaethische Fragestellungen einteilen kann in solche, die den Status der Moral – allgemein – in den Blick nehmen, und solche, die ein einziges normativ-ethisches Teilgebiet (wie etwa die angewandte oder politische Ethik) – speziell – zum Reflektionsgegenstand erheben (siehe Kapitel 1). 2 Wissenschaftliche Realisten stellen manchmal – in der einen Richtung – die Verbindung zum moralischen Realismus her. Ilkka Niiniluoto etwa nimmt insofern kritisch Bezug, als er nur einen wissenschaftlichen Realismus, ausdrücklich aber keinen moralischen Realismus geltend macht (vgl. Niiniluoto 1999: 4, 230; vgl. ähnlich auch Devitt 1997: 29, 57); Richard Boyd dagegen versucht, beide Auffassungen zu verteidigen (vgl. Boyd 1988: 182; vgl. für einen kurzen Vergleich Psillos 2009: 41). Umgekehrt ziehen auch moralische Realisten gelegentlich – in der anderen Richtung – die Analogie zum wissenschaftlichen Realismus (vgl. Sayre-McCord 1988: 2; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 48 & Brink 1984: 111; 1989: 5f). All diese Verweise verbleiben jedoch erkennbar im Kontext der einen oder anderen Debatte und

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_005

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Kapitel 3

lich verhindert: Wissenschaftliche Realisten pflegen meist ein ausschließliches Interesse an der Wissenschaftstheorie und verlieren so die Metaethik aus dem Blick; moralische Realisten beschränken ihre Überlegungen üblicherweise auf die Metaethik und lassen auf diese Weise die Wissenschaftstheorie außen vor. Auch wenn es entsprechenden Autoren nicht zum Vorwurf zu machen ist, dass sie dem Spezialisierungsdruck nachgeben, der auf sie in der akademischen Philosophie ausgeübt wird, muss man doch feststellen, dass sich diese weitgehend strikte Abgrenzung beider Debatten bisweilen nachteilig auswirkt, insofern sie nämlich den Blick auf potentiell erhellende Parallelen und womöglich überraschende Disanalogien verstellt. Philosophen aus Wissenschaftstheorie und Metaethik laufen auf diese Weise Gefahr, falschen Ansichten über das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus Vorschub zu leisten, indem sie es entweder versäumen, bestehende Parallelen zu erkennen, oder sich dazu verleiten lassen, irreführende Bezugnahmen zu anzuschieben. Eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus verspricht daher, zu einem attraktiven philosophischen Projekt anwachsen zu können, das gerade in Aussicht stellt, den skizzierten Schwierigkeiten beizukommen. In den vorhergehenden Kapiteln wurden die Grundlagen für die folgende Diskussion geschaffen, anhand derer bereits an dieser Stelle vorausgesehen werden kann, wie sich beide Auffassungen möglicherweise zusammenführen lassen. Erstens werden die Debatten um wissenschaftlichen und moralischen Realismus in einem ähnlichen – und damit eine Zusammenführung begünstigenden – historischen Horizont geführt (siehe Kapitel 1). Da nämlich Wissenschaftstheorie und Metaethik selbst erst ab dem frühen 20. Jahrhundert als eigenständige Teildisziplinen der Philosophie in Erscheinung treten, steht es auch zu erwarten, dass sich die in ihnen ausgetragenen Debatten vornehmlich auf diesen Zeitraum beschränken. Wissenschaftlicher und moralischer Realismus sind demnach Auffassungen der Moderne, deren Anhänger sich womöglich auf vereinzelte Vordenker aus der antiken und frühneuzeitlichen Philosophie berufen können, deren vollwertige Ausarbeitung aber erst in der modernen Philosophie einsetzt.3 Die Ausgangspunkte beider Debatten bilden etablieren dementsprechend keine integrative Darstellung (vgl. dagegen Miller 2019: 1f; Boghossian 1990: 157). 3 Modernen Philosophen stehen sicherlich vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, um ihre realistischen sowie antirealistischen Auffassungen in der vormodernen Philosophie zu verankern. Es sei hier lediglich darauf hingewiesen, dass sich insbesondere einige Antirealisten aus Wissenschaftstheorie und Metaethik augenscheinlich parallel darauf berufen, das Erbe der Kantischen Philosophie anzutreten. So wird einerseits in der Wissenschaftstheorie Kuhns

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zwar zugegebenermaßen einen Gegenstand kontroverser Diskussionen; bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass sich die historischen Darstellungen, die sich dabei gegenüberstehen, nur marginal voneinander unterscheiden. – Einerseits wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus erst vollständig ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfalten. Als frühe Anhänger des wissenschaftlichen Realismus gelten dabei Herbert Feigl (1950), Grover Maxwell (1962) und J. J. C. Smart (1963).4 Zu den frühen Anhängern des moralischen Realismus werden Iris Murdoch (1970), Mark Platts (1979) und Sabina Lovibond (1983) gezählt.5 Die genannten Autoren knüpfen zwar insofern an schon bestehende Diskurse an, als sie ihre realistischen Auffassungen als dezidierte Gegenentwürfe zu antirealistischen Ansätzen konzipieren, die Wis­senschaftstheorie und Metaethik in ihrer Anfangszeit dominiert haben – insbesondere in Form des logischen Positivismus6 und Nonkognitivismus7.

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Ansatz häufig als ein zwischen Welt an sich und Welt in der Erscheinung differenzierender Kantianischer Konstruktivismus interpretiert (vgl. für eine Kantianische Lesart: HoyningenHuene 1989: 42ff, 52, 257f; vgl. für den Begriff ‚Kantianischer Konstruktivismus‘: Devitt 1997: 73, 156f; vgl. auch ähnlich Boyd 1983: 46, 57ff; 1989: 21; Sankey 2004: 59). Diese Verortung kann insbesondere an Kuhns Bemerkungen festgemacht werden, dass Wissenschaftler nach Revolutionen in einer anderen Welt lebten (vgl. Kuhn 1962: 134, 117f; vgl. auch Hacking 2012: xxviii). Andererseits wird in der Metaethik darauf verwiesen, dass Rawls einen (von ihm selbst so betitelten) Kantianischen Konstruktivismus vertritt, der an Kant angelehnt ist und dem moralischen Realismus ausdrücklich entgegensteht (vgl. Rawls 1980: 516, 519, 554, 564; vgl. auch Korsgaard 1996: 35, 112; vgl. dagegen für eine Lesart der Kantischen Ethik im Sinne des moralischen Realismus: Wood 1999: 157 & Heinrichs 2013: 231f). Vgl. Psillos 1999: 45f, 72; vgl. auch Niiniluoto 1999: v, 6, 112; Dicken 2016: 67 Vgl. Schaber 1997: 14f; vgl. auch Rüther 2013: 17 Der logische Positivismus wird dem wissenschaftlichen Realismus üblicherweise als ein gegnerischer Vorbote gegenübergestellt, was darin begründet ist, dass er dem Realismus zwar historisch vorhergeht und dessen Aufkommen auch maßgeblich zu verantworten hat, dass er dem Realismus aber systematisch insofern entgegensteht, als er bis heute von Realisten vorwiegend kritisch diskutiert wird (Psillos 1999: 3ff; vgl. auch Chakravartty 2007: 11) und seine Dominanz im Zuge eines in den 1960er Jahren eingeleiteten „realist turn“ gerade eingebüßt hat (Psillos 1999: 70). Die Distanzierung vom logischen Positivismus zeigt sich dabei bereits deutlich in den Schriften früher Realisten. So ist insbesondere Maxwells (realistischer) Aufsatz „The Ontological Status of Theoretical Entities“ (1962) schon in der Titelwahl eine direkte Replik auf Carnaps (positivistischen) Essay „The Methodological Character of Theoretical Concepts“ (1956) (vgl. auch Smart 1963: 27, 40). Der Nonkognitivismus hält insofern als Beispiel für einen prägenden Gegenentwurf zum moralischen Realismus her, als er diesem gegenüber einen historischen Vorlauf hatte und dessen nachfolgenden Aufstieg herbeigeführt hat, er aber nichtsdestotrotz in systematischer Konkurrenz zum Realismus steht: Die Aufmerksamkeit, die er noch heute von modernen Realisten erfährt, ist ausschließlich kritischer Natur und auch die Dominanz, die der Nonkognitivismus in der Metaethik im Besonderen und der Ethik im Allgemeinen besaß, ist

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Kapitel 3

Aber subtile Ausarbeitungen, die ihnen nicht nur deshalb zuteilwerden, weil sie als Kontrast für antirealistische Auffassungen herzuhalten haben, sondern weil sie aus eigenem Recht ein Interesse wecken, erfahren wissenschaftlicher und moralischer Realismus, dieser Darstellung zufolge, erst nach der Jahrhunderthälfte. – Andererseits wird manchmal darauf hingewiesen, dass sich wissenschaftliche und moralische Realisten nicht bloß negativ gegen frühe antirealistische Ansätze abgrenzen, sondern darüber hinaus auch affirmativ an frühe realistische Vorarbeiten anknüpfen, welche ihrerseits bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können. In der Wissenschaftstheorie erheben etwa Autoren wie Schlick (1932) und Reichenbach (1938) den Anspruch, den logischen Positivismus – entgegen seiner latent antirealistischen Grundtendenz – mit einem wissenschaftlichen Realismus zu harmonisieren.8 In der Metaethik werden bisweilen die klassischen Vertreter des ethischen Intuitionismus, namentlich Moore (1903), Prichard (1912) und Ross (1930), als Beleg dafür herangezogen, dass auch dem moralischen Realismus mittelbar eine Hochphase vor der Jahrhunderthälfte bescheinigt werden kann.9 mittlerweile zugunsten einer vermehrt inhaltlichen Beschäftigung mit normativ-ethischen Fragen gebrochen (vgl. Brink 1989: 3f; Tarkian 2004: 299). Die Abgrenzung vom Nonkognitivismus findet sich wiederum bereits bei frühen Realisten (vgl. Platts 1979: 282). 8 In der modernen wissenschaftstheoretischen Debatte werden diese Aussöhnungsversuche von Matthias Neuber aufgegriffen, der daran anschließend darauf hinweist, dass die Kontrastierung von Positivismus und Realismus nicht unsachgemäß überspitzt werden sollte (vgl. Neuber 2011: 165, 171; 2018a: Abschnitt 3; 2018b: XIII). Man muss sich allerdings klarmachen, dass an dieser Selbstverortung einiger Positivisten – so erwähnenswert sie ohne Frage ist – durchaus Zweifel aufkommen können, da insbesondere das verifikationistische Sinnkriterium (oder ein liberaleres Bestätigungskriterium) prima facie in einem Spannungsverhältnis zum Realismus steht (vgl. Neuber 2011: 174f). Das verifikationistische Sinnkriterium weist nur solche Aussagen überhaupt als wahrheitsfähig aus, die (zumindest prinzipiell) verifizierbar sind, und etabliert auf diese Weise eine Verbindung zwischen Wahrheit und Erkenntnis, die dem nicht-epistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs zuwiderläuft: „verificationism conflates the issue of what constitutes evidence for the truth of an assertion with the issue of what would make this assertion true.“ (Psillos 1999: 12) Ein alethischer Realismus ist mit einem solchen Sinnkriterium offensichtlich unvereinbar, weshalb der moderne Verifikationismus auch in der Regel als eine Form des alethischen Antirealismus diskutiert wird (vgl. Dummett 1978: 162; vgl. auch Alston 1996: 105f, 109). Es steht deshalb zu befürchten, dass für einen wissenschaftlichen Realismus, der an einen alethischen Realismus anknüpft, dasselbe gilt und es folglich mit den hervorgehobenen Bekenntnissen logischer Positivisten nicht allzu weit her ist. 9 In der modernen metaethischen Debatte spricht etwa Bert Heinrichs von einem „Revival des ethischen Intuitionismus“, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass moderne

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Die unterschiedlichen historischen Darstellungen kommen also bei aller Kontroverse zumindest darin überein, dass wissenschaftlicher und moralischer Realismus hauptsächlich Anliegen der modernen Philosophie sind, die – trotz ambivalenter Ausgangspunkte – gleichermaßen im Horizont des zurückliegenden Jahrhunderts diskutiert werden. Diese historische Ähnlichkeit stellt in jedem Fall eine günstige Ausgangslage für den Versuch dar, beide RealismusPositionen im Zusammenhang zu betrachten, insofern sie ein solch integratives Projekt wenigstens vor Anachronismusvorwürfen bewahrt, mit denen eine Zusammenführung von historisch divergenteren Auffassungen sicherlich konfrontiert wäre. Zweitens zeichnet sich bisher ab, dass wissenschaftlicher und moralischer Realismus durch eine ähnliche – und damit einer integrativen Darstellung zugängliche – systematische Charakterisierung miteinander verbunden sind – namentlich durch ein geteiltes Verständnis des Wahrheitsbegriffs (siehe Kapitel  2). Eine realistische Wahrheitskonzeption versucht ja dem nichtepistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs durch eine Zuordnung von Propositionen (als den Wahrheitswertträgern) und Tatsachen (als den Wahrmachern) Rechnung zu tragen, und besagt dementsprechend im Kern, dass der Umstand, ob eine Proposition wahr oder falsch ist, allein von der objektiven Beschaffenheit der Realität, nicht aber von irgendwelchen subjektiven Besonderheiten der menschlichen Erkenntnissituation abhängt. Dieser grundlegende Gedanke des alethischen Realismus eröffnet, wie wir gesehen haben, eine globale Perspektive, aus der heraus sich wissenschaftliche Aussagen und moralische Urteile gemeinsam in den Blick nehmen lassen und die uns somit dazu in die Lage versetzt, die disziplinäre Abgrenzung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus zu überwinden: Alethische Realisten formulieren ihre Wahrheitskonzeption gerade nicht in der Absicht, etwas über die Wahrheit bestimmter Propositionen zu sagen, sondern gedenken vielmehr, einen Ansatz über propositionale Wahrheit im Allgemeinen vorzulegen, der sich auf die Bereiche der Wissenschaft und der normativen Ethik, wie im Übrigen auf Intuitionisten, wie Robert Audi (2004), mit dem Anspruch auftreten, die Ansätze klassischer Intuitionisten, wie hier denjenigen von W. D. Ross (1930), zu rehabilitieren (vgl. Heinrichs 2013: 11, 21f, 26). Vor dem Hintergrund, dass ein (robuster) moralischer Realismus eine metaphysische Voraussetzung für die epistemologische Position des ethischen Intuitionismus darstellt (ebd.: 70; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 246ff), kann man aus diesem historischen Befund bezüglich des ethischen Intuitionismus durchaus Rückschlüsse für die historische Einordnung des moralischen Realismus ziehen und namentlich der obigen Darstellung, wonach der Realismus bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann, einen Sinn abgewinnen – womöglich eher als im Fall des wissenschaftlichen Realismus.

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Kapitel 3

alle Bereiche des menschlichen Denkens, unmittelbar überträgt. Vor diesem Hintergrund kündigen sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus als Auffassungen an, die sich den Grundgedanken des alethischen Realismus ebenfalls zu eigen machen und denselben lediglich für einen lokaleren Ausschnitt seines globalen Anwendungsfeldes herausarbeiten – nämlich für den speziellen Fall wissenschaftlicher Aussagen bzw. moralischer Urteile als den potentiellen Trägern realistisch verstandener und damit objektiver Wahrheit:10 – Ein wissenschaftlicher Realismus, der an den alethischen Realismus anknüpft, überträgt demnach das nicht-epistemische Verständnis des Wahrheitsbegriffs auf den theoretischen Bereich der Wissenschaft. Er erteilt mithin jeglichen wissenschaftstheoretischen Ansätzen eine Absage, die – in irgendeiner Weise – das Bestehen der Wahrheit und unseren Erkenntniszugriff auf dieselbe miteinander zu vermengen suchen und so den Wahrheitsbegriff im Kontext der Wissenschaft epistemisch überfrachten. Es ist vielmehr allein die Beschaffenheit der Realität, kraft derer eine partikuläre wissenschaftliche Aussage oder eine allgemeine wissenschaftliche Hypothese wahr oder falsch ist und deren (natürliche) Tatsachen allein als Wahrmacher wahrer Aussagen infrage kommen. – Ein moralischer Realismus, der sich dem alethischen Realismus anschließt, übernimmt gleichermaßen das nicht-epistemische Verständnis des Wahrheitsbegriffs für den praktischen Bereich der normativen Ethik. Er weist jegliche metaethischen Ansätze zurück, die – in irgendeiner Weise – das, was wahr ist, auf das, was für wahr gehalten oder als wahr erkannt wird, zurückzuführen beabsichtigen und dadurch den Wahrheitsbegriff im Kontext der normativen Ethik epistemisch verkehren. Was ein partikuläres moralisches Urteil oder ein allgemeines moralisches Prinzip wahrmacht, ist moralischen Realisten zufolge allein die Beschaffenheit der Realität, mit deren (moralischen) Tatsachen sie ggf. übereinstimmen – namentlich genau dann, wenn das, was in ihnen beurteilt wird, auch tatsächlich der Fall ist. Der Grundgedanke des alethischen Realismus kann also zumindest vorläufig für eine erste Annäherung an die zentralen Thesen von wissenschaftlichem 10

Voraussetzung für eine solche Ausdifferenzierung einer realistischen Wahrheitskon­ zep­tion ist sicherlich ein alethischer Monismus – eine Auffassung von der Einheit des Wahrheitsbegriffs. Ein alethischer Pluralismus, dem zufolge der Wahrheitsbegriff bereichs­spezifisch gedeutet werden müsse und so ggf. von Bereich zu Bereich eine andere Explikation erforderlich mache, wird dagegen von Derek Parfit und Thomas Scanlon vertreten (vgl. Parfit 2011: Volume II, 479 & Scanlon 2014: 19; vgl. auch bereits Wright 1992: 58f). Für eine Kritik am alethischen Pluralismus, insbesondere an Parfit und Scanlon, siehe Veluwenkamp 2017: 751ff.

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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und moralischem Realismus fruchtbar gemacht werden und erlaubt es somit, beide Auffassungen – trotz ihrer verschiedenen Verortung – durch ein gemeinsames Thema zu verbinden. Diese systematische Ähnlichkeit prädestiniert sie geradezu dafür, als exemplarische Vergleichsobjekte herangezogen zu werden, die wenigstens versuchsweise im interdisziplinären Zusammenhang erschlossen werden können. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll versucht werden, diese angedeutete Verbindung aus der Wahrheitstheorie im Detail nachzuvollziehen und ggf. kritisch zu diskutieren. Es wird dabei im Folgenden gezeigt, dass die parallele Ausdifferenzierung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus aus ihrem gemeinsamen Verständnis des Wahrheitsbegriffs durchaus ambivalent ausfällt. Es gibt zwar eindrückliche Parallelen zwischen beiden Auffassungen, die auch erkennbar durch den alethischen Realismus vermittelt sind (Abschnitt  3.1). Genauso werden aber auch einige Aspekte der beiden Debatten ins Auge fallen, die sich aus dem Grundgedanken einer realistischen Wahrheitskonzeption nicht herleiten lassen (Abschnitt  3.2). Vielmehr gehen Philosophen, wie wir sehen werden, gleichsam unbemerkt über eine rein wahrheitstheoretische Perspektive hinaus und etablieren eine dezidiert erkenntnistheoretische Dimension in die Konzeption ihres jeweiligen Realismus. Diese Erweiterung des Realismus, d.h. seine Anreicherung mit einer epistemischen Komponente, birgt jedoch die Gefahr einer Entfremdung in sich, da die angesprochene Erweiterung in Wissenschaftstheorie und Metaethik gerade nicht parallel vollzogen zu werden pflegt und auf diese Weise teils erhebliche Disanalogien erzeugt, die in der modernen Literatur üblicherweise vernachlässigt oder sogar gänzlich übersehen werden – und meines Erachtens auch korrekturbedürftig sind (Kapitel 4). 3.1

Die analoge Anknüpfung an die Wahrheitstheorie

In diesem ersten Abschnitt wird der erste Teil dieses ambivalenten Verhältnisses näher beleuchtet. Eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus wird im Folgenden also dadurch ins Auge gefasst, dass der Fokus zunächst auf die parallele Anknüpfung an die Wahrheitstheorie gelegt wird, die beiden Positionen gemein ist und durch die sie miteinander in Verbindung stehen. Das Ziel der folgenden Diskussion besteht darin, ein einheitliches Verständnis von Realismus sichtbar zu machen, das Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker – auf der Vertikalen – gleichermaßen aufgreifen und in ihre jeweilige Debatte implementieren und das ihnen schließlich zu

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Kapitel 3

der Einsicht verhilft, dass ihre beiden Auffassungen gerade deshalb – auf der Horizontalen – auch zueinander parallel liegen und von ihrer wechselseitigen Einbeziehung profitieren können. Die zentrale These, die in diesem ersten Abschnitt, wie bereits angedeutet, aufgestellt wird, lautet, dass für dieses einheitliche Verständnis von Realismus, das sich in Wissenschaftstheorie und Metaethik gleichermaßen ausdifferenziert, genauer der alethische Realismus infrage kommt und die sich abzeichnenden Parallelen folglich wahrheitstheoretisch vermittelt sind. In diesem Sinne haben wir es im vorliegenden Abschnitt also genau genommen mit der Beantwortung einer doppelten Fragestellung zu tun: Erstens geht es um die Frage, ob wissenschaftlicher und moralischer Realismus überhaupt zueinander parallel liegen, d.h. ob sie sich trotz ihrer disziplinären Abgrenzung insoweit ähneln, dass sie sich zu einer generischen Idee von Realismus zusammenführen lassen, die lediglich für die unterschiedlichen Bereiche der Wissenschaft und der normativen Ethik spezifiziert wird. Diese Frage lässt sich insofern auf der Horizontalen verorten, als sie ausschließlich das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus betrifft und noch nicht dazu übergeht, den alethischen Realismus einzubeziehen. Zweitens muss auch die daran anschließende Frage gestellt werden, ob diese Parallelen darüber hinaus genauer wahrheitstheoretisch vermittelt sind, d.h. ob sie dadurch zustande kommen, dass beide Auffassungen an den alethischen Realismus anknüpfen. Diese Frage liegt insofern auf der Vertikalen, als sie über das bloß wechselseitige Verhältnis zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus hinausgeht und deren Stellung zur Wahrheitstheorie in den Blick nimmt. Die zentrale These besagt in diesem Zusammenhang, dass beide Fragen (zumindest prima facie) affirmativ zu beantworten sind (Abschnitt 3.1) – auch wenn dieses Zwischenergebnis anschließend problematisiert werden muss (Abschnitt 3.2). – Der wissenschaftliche Realismus besagt demnach, dass wissenschaftliche Aussagen wahr oder falsch sind und dass der Umstand, ob sie wahr oder falsch sind, nicht davon abhängt, ob wir sie – unter welchen Umständen auch immer – für wahr (oder falsch) halten. Vielmehr sind es allein die (natürlichen) Tatsachen der Realität, die als die objektiven Wahrmacher wahrer wissenschaftlicher Aussagen herhalten. – Der moralische Realismus besagt analog, dass moralische Urteile wahr oder falsch sind und dass der Umstand, ob sie wahr oder falsch sind, wiederum nicht davon abhängt, ob wir sie – unter welchen Umständen auch immer – für wahr (oder falsch) halten. Vielmehr dürfen allein die (moralischen) Tatsachen der Realität als die objektiven Wahrmacher wahrer moralischer Urteile angesehen werden.

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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Es sei noch einmal daran erinnert, dass der Fokus dieser integrativen Darstellung nicht so sehr auf der argumentativen Legitimation des Realismus, sondern auf dessen Konzeptualisierung liegt. Es geht somit auch im Folgenden nicht darum zu zeigen, dass beide Auffassungen im selben Ausmaß plausibel sind, sondern nur darum, dass man sich ihren zentralen Gedanken aus einem übergeordneten Zusammenhang erschließen kann. Ob dieser realistische Grundgedanke im Kontext der Ethik genauso verfängt wie im Kontext der Wissenschaft, muss dabei nicht zwangsläufig bejaht werden. Es könnte sich durchaus herausstellen, dass sich der moralische Realismus als weit weniger plausibel erweist als der wissenschaftliche Realismus – etwa weil sich jener mit Einwänden konfrontiert sieht, die sich auf diesen nicht ohne Weiteres übertragen lassen.11 Ein solches Ergebnis, dem zufolge ein Realismus nur im Bereich der Wissenschaft, nicht jedoch im Bereich der Ethik verteidigt werden könne, spräche indes nicht gegen die These, dass man in beiden Auffassungen nichtsdestotrotz denselben grundlegenden Gedanken identifizieren kann, den wissenschaftliche und moralische Realisten lediglich für diese zwei unterschiedlichen Bereiche herausarbeiten.12

11

12

Derartige Einwände, die den moralischen Realismus ungleich stärker als den wissenschaftlichen Realismus zu diskreditieren scheinen, könnten beispielsweise auf die (vermeintliche) metaphysische Extravaganz des moralischen Realismus abheben und geltend machen, dass die Annahme moralischer Werte, Tatsachen und Eigenschaften ontologisch inflationär (vgl. Harman 1975) oder metaphysisch seltsam (vgl. Mackie 1977) ist. Sowohl Harmans Sparsamkeitsgrundsatz als auch Mackies Seltsamkeitsargument richten sich dabei beide dezidiert gegen den moralischen Realismus, lassen dessen ungeachtet aber prima facie keine Anwendbarkeit auf den wissenschaftlichen Realismus erkennen. Auf diese Weise kann durchaus der (m.E. zweifelhafte) Eindruck entstehen, der moralische Realismus befinde sich in stärkerer argumentativer Bedrängnis als der wissenschaftliche Realismus. Ich möchte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mir die Einwände, die gegen den moralischen Realismus in Stellung gebracht werden, alles andere als überzeugend erscheinen und dass meine philosophische Sympathie folglich beiden realistischen Auffassungen gilt. Einerseits haben moralische Realisten Erwiderungen auf besagte Einwände erarbeitet (vgl. etwa Shafer-Landau 2003: 84ff, 98ff, 191ff; Halbig 2007: 189ff, 296ff; Enoch 2011: 51ff, 134ff). Andererseits verfangen meines Erachtens die allgemeinen Überlegungen zugunsten des Realismus auch im Bereich der Ethik. Wenn man insbesondere der (moralischen) Fehlbarkeit der Menschen Rechnung tragen will, d.h. der Möglichkeit, dass wir in (ethischen) Fragen falsch liegen und irren können, dann müssen wir anerkennen, dass es objektive (moralische) Wahrheiten gibt, die von unseren subjektiven (ethischen) Meinungen verschieden sein können. Im Folgenden werde ich trotzdem versuchen, diese legitimatorischen Fragen – soweit dies möglich ist – auszuklammern und mich auf die Konzeptualisierung des Realismus zu konzentrieren.

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Kapitel 3

Im vorliegenden Abschnitt wird die im letzten Kapitel eröffnete Doppelperspektive wiederaufgegriffen, unter der bereits der alethische Realismus diskutiert wurde. Der grundlegende Gedanke einer realistischen Wahrheitskonzeption wurde dabei mit drei Aspekten in Verbindung gebracht, die für einen alethischen Realismus als charakteristisch ausgewiesen wurden: (1) die durch die Einführung von Tatsachen sichergestellte Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit vom subjektiven Fürwahrhalten, (2) die aus unserem vorphilosophischen Alltagsverständnis herrührende Plausibilität einer solchen Auffassung und (3) ihre hinsichtlich aller möglichen Propositionen eröffnete globale Perspektive. Diese drei Aspekte der Objektivität, der Plausibilität und der Globalität wurden dabei insofern unter einer Doppelperspektive diskutiert, als ihre Darstellung einerseits dazu diente, den grundlegenden Gedanken einer realistischen Wahrheitskonzeption genauer nachvollziehen zu können (Kapitel  2), andererseits aber auch schon die weiterführende These vorbereiten sollte, dass wissenschaftliche und moralische Realisten eine gemeinsame Anknüpfung an die Wahrheitstheorie erkennen lassen (Kapitel 3). Dieser Aufgabe wird nun im vorliegenden Abschnitt nachgegangen. Es soll im Folgenden also aufgezeigt werden, dass jene Aspekte, mit denen der Grundgedanke des alethischen Realismus in Verbindung steht, auch für die Charakterisierung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus einschlägig sind und man beiden Auffassung gerade deshalb nachsagen kann, analog an eine realistische Wahrheitskonzeption anzuknüpfen. *** (1) Der Aspekt der Objektivität. Der erste Anknüpfungspunkt an den alethischen Realismus, durch den die wahrheitstheoretisch vermittelte Verwandtschaft von wissenschaftlichem und moralischem Realismus ausgemacht werden kann, bildet also die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit (siehe Kapitel 2). Der grundlegende Gedanke des alethischen Realismus, dem zufolge man eine Zuordnung von (wahrheitstragenden) Propositionen und (wahrmachenden) Tatsachen vornehmen muss, dient ja insofern dazu, einer Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit Rechnung zu tragen, als er die strikte Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit vom subjektiven Fürwahrhalten sicherstellt. Ob eine Aussage wahr ist, hängt Realisten zufolge nicht davon ab, ob sie als wahr erkannt wird. Eine realistische Wahrheitskonzeption verlangt uns somit das Eingeständnis ab, dass wir Wahrheiten zwar bisweilen entdecken können, dass es uns aber prinzipiell unmöglich ist, Wahrheiten willkürlich zu erschaffen – weder durch unseren subjektiven Glauben noch durch einen intersubjektiven Konsens. Wie fest wir auch immer an die Wahrheit einer Aussage glauben, wie

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überwältigend ihr Zuspruch auch sein mag und wie sehr wir uns auch dazu angehalten fühlen, uns zu ihrer Wahrheit zu bekennen, was eine Aussage ggf. wahrmacht, ist allein eine Tatsache der Realität. In diesem Sinne erweist sich der alethische Realismus als eine dezidiert objektivistische Auffassung, d.h. als eine Auffassung, die die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit geltend macht und sich dementsprechend gegen philosophische Ansätze positioniert, die diese Objektivität – in irgendeiner Weise – in Abrede stellen. Wissenschaftliche und moralische Realisten machen sich eine solche Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit – zugeschnitten auf ihren jeweiligen Bereich – ebenfalls zu eigen und etablieren auf diese Weise eine erste Parallele zwischen ihren beiden Auffassungen, die eindeutig durch die Wahrheitstheorie vermittelt wird. – Wissenschaftlichen Realisten geht es dementsprechend um die Vorstellung, dass wissenschaftliche Wahrheiten von Wissenschaftlern höchstens entdeckt, unter keinen Umständen aber erfunden oder konstruiert werden können; dass wissenschaftliche Hypothesen mithin ihren Wahrheitswert nicht der Evidenz, die für sie spricht, oder der Anerkennung, die sie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft genießen, verdanken, sondern allein ihrer potenziellen Übereinstimmung mit den (natürlichen) Tatsachen der Realität.13 – Moralische Realisten heben gleichfalls darauf ab, dass moralische Wahrheiten von normativen Ethikern nicht beliebig erdacht werden können, sondern uns als etwas gegenübertreten, das unserer ethischen Einsicht vorausgeht; dass normativ-ethische Prinzipien nicht deshalb wahr sind, weil sie von uns anerkannt werden, sondern dass sie umgekehrt von uns anerkannt werden sollten, weil (und insofern) sie wahr sind, mithin weil sie den (moralischen) Tatsachen der Realität entsprechen.14 13

14

Der wissenschaftliche Realismus kann nach diesem Verständnis primär mit unterschiedlichen Versionen des wissenschaftlichen Konstruktivismus und Relativismus kontrastiert werden. Harry Collins beispielsweise erteilt dem oben skizzierten Gedanken, dass wissenschaftliche Aussagen durch die objektive Beschaffenheit der Realität wahrgemacht werden, eine klare Absage und kommt daher – dem skizzierten Verständnis zufolge – als ein wissenschaftlicher Antirealist in Betracht. So schließt er sich etwa Nelson Goodmans Relativismus an, dem zufolge es die wissenschaftliche Erkenntnis lediglich mit der Erfassung von Welten zu tun habe, die sie selbst durch die in ihr vorherrschenden Praktiken und Traditionen konstruiert habe: „Outside of such worlds made by humans there is no reality with enough content to be worth ‚fighting for‘.“ (Collins 1985: 24 (Fußnote 7); vgl. auch Goodman 1983: 104; vgl. dagegen Franklin 1993: 458 & Boghossian 2006: 39, 44ff) Dem moralischen Realismus könnte man dann analog unterschiedliche Versionen des ethischen Konstruktivismus und Relativismus gegenüberstellen. Gilbert Harman etwa kritisiert den oben genannten Gedanken, dass moralische Urteile durch die objektive

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Kapitel 3

Die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit kann dabei des Näheren, wie bereits im letzten Kapitel dargelegt wurde, mithilfe des Konzepts der Geistesunabhängigkeit ausgedeutet werden. Die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen bzw. moralischer Urteile ist demnach objektiv, weil sie geistesunabhängig besteht, d.h. unabhängig davon, ob sie von irgendjemandem anerkannt oder abgelehnt wird. Das Konzept der Geistesunabhängigkeit erwies sich als wichtiger Teil einer realistischen Wahrheitskonzeption, auf das alethische Realisten maßgeblich zurückgegriffen haben, um ihre Auffassung darzustellen. Es erscheint daher vielversprechend zu überprüfen, ob dieses Konzept auch in den Konzeptionen des wissenschaftlichen und moralischen Realismus eine zentrale Stellung einnimmt und dadurch den Eindruck zu bekräftigen vermag, dass beide Auffassungen zueinander parallel liegen. Man muss sich allerdings noch einmal klarmachen, dass das Konzept der Geistesunabhängigkeit, wie wir gesehen haben, eine Ambivalenz zwischen einem weiten und einem engen Verständnis aufweist. Auf der einen Seite kann nämlich – gemäß weitem Verständnis von Geistesunabhängigkeit – von materiellen Gegenständen ausgesagt werden, dass sie geistesunabhängig existieren, insofern sie auch ohne Menschen und deren geistige Aktivitäten faktisch existiert haben oder kontra-faktisch existieren würden. Auf der anderen Seite kann man – gemäß engem Verständnis von Geistesunabhängigkeit – über Wahrheiten behaupten, dass sie geistesunabhängig bestehen, d.h. unabhängig davon, ob irgendjemand – unter welchen Umständen auch immer – an die entsprechende Proposition glaubt oder um ihre Wahrheit weiß. Die Ambivalenz bewegt sich also zwischen einer (weiten) Unabhängigkeit von sämtlichen Geistesaktivitäten und einer (engen) Unabhängigkeit vom Fürwahrhalten und Erkennen. Manche Autoren erwecken in diesem Zusammenhang den Eindruck, das Konzept der Geistesunabhängigkeit im weiten Sinne zu verwenden. Das ist aber aus zwei Gründen problematisch. Erstens verstellen sich jene Autoren dadurch offensichtlich den Blick auf die Verbindung zur Wahrheitstheorie, die ihre jeweilige Realismus-Debatte Beschaffenheit der Realität wahrgemacht werden, und hält daher – nach dem oben skizzierten Verständnis – als beispielhafter Vertreter eines moralischen Antirealismus her. Seine dezidiert anti-realistische Haltung kommt dabei vor allem in seiner These zum Ausdruck, dass die Moral aus Akten der Übereinstimmung („agreement“) und Prozessen der Aushandlung („bargaining“) entstehe und deshalb lediglich kultur- oder traditionsrelative Gültigkeit beanspruchen könne: „There is no single true morality. There are many different moral frameworks, none of which is more correct than the others.“ (Harman 1996: 5; vgl. auch ähnlich Harman 1975: 3 & Mackie 1977: 106; vgl. dagegen Shafer-Landau 2003: 16; Cuneo 2007: 41f & Enoch 2011: 200f)

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aufweist. Die wahrheitstheoretische Einbettung ihres jeweiligen Realismus muss ihnen zwangsläufig verborgen bleiben, da die weite Verwendungsweise überhaupt keinen Bezug zum alethischen Realismus erkennen lässt: Der weite Begriff von Geistesunabhängigkeit hat mit einem realistischen Verständnis des Wahrheitsbegriffs rein gar nichts zu tun und dient höchstens dazu, etwas über materielle Gegenstände auszusagen. Dementsprechend lassen sich Autoren, die das Konzept der Geistesunabhängigkeit weit auslegen, zwar durchaus auf die These ein, dass ein Realismus (hinsichtlich Wissenschaft oder Ethik) behauptet, die Dinge verhielten sich geistesunabhängig; gleichzeitig sehen sie sich aber außer Stande, die Verbindung zwischen Geistesunabhängigkeit und Wahrheitstheorie zu bemerken. In der Wissenschaftstheorie lässt sich dieses Problem besonders eindrücklich am Beispiel von Anjan Chakravartty (2007) beobachten. Chakravartty gesteht dabei ausdrücklich zu, dass der wissenschaftliche Realismus eine Verbindung zum Konzept der Geistesunabhängigkeit aufweist; gleichzeitig wird dieses Konzept von ihm aber keineswegs im Einklang mit dessen enger Verwendungsweise präzisiert, sondern lediglich unspezifisch auf theoretische Entitäten oder die Welt angewandt, deren geistesunabhängige Existenz der wissenschaftliche Realismus angeblich behauptet.15 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Chakravartty offen darüber irritiert ist, dass manche Philosophen den wissenschaftlichen Realismus mit einer realistischen Wahrheitskonzeption in Verbindung bringen und eine wahrheitstheoretische Darstellung desselben vorlegen: Many [scientific] realists […] are uncomfortable with epistemic theories of truth, and adopt instead some version of the correspondence theory […]. But it is doubtful whether one must adopt a correspondence theory to be a [scientific] realist. […] [I]n order to qualify as a [scientific] realist, one must believe that good theories are reasonably successful in describing the nature of a mindindependent world, but whether this is understood in terms of correspondence truth or in some other way (for example, in terms of a theory of reference or representation) is an open question.16

Da es wissenschaftlichen Realisten aber offensteht, das Konzept der Geistesunabhängigkeit in einem engen wahrheitstheoretischen Sinn zu gebrauchen, ist es durchaus fraglich, ob die Realismus-Debatten wirklich derart losgelöst von der Wahrheitstheorie geführt werden können. Geht man nämlich erst einmal dazu über, mit dem Begriff der Geistesunabhängigkeit die Unabhän­ gigkeit der nicht-epistemischen Wahrheit vom epistemischen Zugang zur 15 16

Vgl. Chakravartty 2007: 4, 89; 2011: 163, 168, 171 Chakravartty 2007: 12f (meine Hervorhebungen)

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Kapitel 3

Wahrheit zu bezeichnen, dann stellt sich die Zurückweisung epistemischer Wahrheitstheorien, die ja eine Verbindung zwischen Wahrheit und Erkenntnis zu etablieren versuchen, nicht mehr nur als optional dar, sondern macht vielmehr  – entgegen Chakravarttys Darstellung – das Wesen eines Bekenntnisses zum Realismus aus. Chakravarttys Ablehnung einer derartigen Verbindung zwischen Realismus-Debatte und Wahrheitstheorie lässt deshalb den Verdacht aufkommen, dass er sich gar nicht bewusst zu sein scheint, dass das Konzept der Geistesunabhängigkeit durchaus in einem engen Sinne verwendet werden kann, durch den der Realismus eindeutig in eine Nähe zur Wahrheitstheorie gerückt und die Ablehnung epistemischer Wahrheitstheorien verständlich wird. Zweitens sei erwähnt, dass sich die entsprechenden Autoren, die den Begriff der Geistesunabhängigkeit weit auslegen, ein weiteres ernsthaftes Problem einhandeln, das sogar dafürspricht, dass das Konzept der Geistesunabhängigkeit gar nicht erst in diesem Sinne verwendet werden sollte: Es stellen sich nämlich triviale Gegenbeispiele ein, die gegen die vermeintlich realistische These sprechen, dass die Gegenstände (im weiten Sinne) geistesunabhängig existieren. Für diese These kann somit keine Allgemeingültigkeit beansprucht werden und folglich müssen jene Autoren ihre Haltung zu Gegenständen klären, deren Existenz – im weiten Sinne – offensichtlich als geistesabhängig angesehen werden muss. Angesichts dieses Problems neigen jene Autoren bisweilen dazu, das Konzept der Geistesunabhängigkeit sogar radikal aus ihrer jeweiligen Realismus-Konzeption zu verbannen, da sie dessen Mehrwert für die Diskussion des wissenschaftlichen bzw. moralischen Realismus gar nicht mehr erkennen können. Wissenschaftliche Realisten sehen sich dabei mit notorischen Schwierigkeiten konfrontiert, ihre Haltung zu menschgemachten Werkzeugen oder Artefakten zu klären. Entweder droht ihr Realismus nämlich durch dieses trivial anmutende Gegenbeispiel widerlegt zu werden (denn Artefakte wie Kunstwerke würden ohne Menschen und deren Geistesaktivitäten gerade nicht existieren) oder er muss so eingeschränkt formuliert werden, dass er auf solche Artefakte gar nicht mehr anwendbar ist (was auch als unbefriedigend angesehen werden mag). Michael Devitt (1997) und John Bigelow (1994) ringen etwa erkennbar um diese Frage, ob wissenschaftliche Realisten für die These, dass auch Artefakte geistesunabhängig existieren, Gültigkeit beanspruchen können.17 Während Devitt versucht, dem Problem dadurch beizukommen, dass 17

Devitt stellt diese Frage nach der geistesunabhängigen Existenz von Artefakten explizit: „Should artifacts and tools – hammers, pencils, chairs, and the like – be included in the entities that realism is committed to?“ (Devitt 1997: 17)

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er Gegenständen wie Hämmern und Stiften abspricht, kontextunabhängig den Status von Werkzeugen oder Artefakten innezuhaben,18 nimmt Bigelow diese Schwierigkeiten umgekehrt zum Anlass, den wissenschaftlichen Realismus in einer Weise zu formulieren, die gänzlich auf das Konzept der Geistesunabhängigkeit verzichtet: A belief in the mind-dependence of certain things need not prevent one from being a realist about those things. One should, for instance, be a realist about one’s children, even though their coming into existence was causally mind-dependent.19

In Analogie dazu verstricken sich auch moralische Realisten in ähnliche Probleme, solange sie das Konzept der Geistesunabhängigkeit gemäß weitem Verständnis auslegen. Insbesondere leisten sie der Fehldeutung Vorschub, dass sich ihre metaethische Position um die Frage drehe, ob moralische Werte auch in einer menschenleeren Welt existieren würden – eine Darstellung, die den moralischen Realismus insofern Absurditätsvorwürfen preisgibt, als moralische Urteile ja gerade menschliches Verhalten bewerten und deshalb in Abwesenheit menschlicher Akteure gewissermaßen ihres Bewertungsgegenstands beraubt wären. Terence Cuneo (2007) deutet beispielsweise das Konzept der Geistesunabhängigkeit in diesem Sinne aus,20 nimmt dann aber anschließend – ähnlich wie Bigelow – davon Abstand, dass der moralische Realismus mithilfe dieses Konzepts charakterisiert werden sollte. Der moralische Realismus besage lediglich, dass moralische Urteile ggf. durch moralische Tatsachen wahrgemacht werden; was diese zentrale These des moralischen Realismus mit der skizzierten Form von Geistesunabhängigkeit zu tun habe, sei Cuneo zufolge aber schleierhaft: All moral realists believe that moral facts exist. But many stipulate that to be a realist with respect to these facts, then they must, in some suitable sense, be ‚mind-independent‘. […] I shall argue that moral realists of a paradigmatic sort are committed to neither of [the versions of this claim].21 18 19 20

21

Ebd.: 246f Bigelow 1994: 13 Cuneo unterscheidet namentlich zwischen einer starken und einer schwachen Version von Geistesunabhängigkeit, die er jedoch beide ablehnt. Vor allem die starke Version von Geistesunabhängigkeit kommt dem weiten Verständnis, wie es hier skizziert wurde, ziemlich nahe: „The thought in this case is that moral realism implies that, even if there were no actual or hypothetical human agents exemplifying attitudes at some time or other, some things would still be right or wrong, good or bad, just or unjust, and so forth.“ (Cuneo 2007: 45) Cuneo 2007: 45

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Kapitel 3

Das zweite Problem besteht also, zusammenfassend gesagt, darin, dass Autoren wie Devitt, Bigelow und Cuneo Gefahr laufen, sich ein Dilemma einzuhandeln, solange sie das Konzept der Geistesunabhängigkeit latent weit auslegen: Entweder müssen sie aufwändige Klärungsarbeit leisten und darlegen, inwiefern ihr Realismus die Geistesunabhängigkeit theoretischer Entitäten bzw. moralischer Normen geltend machen kann, obwohl sich offensichtliche Gegenbeispiele aufdrängen und Absurditätsvorwürfe einstellen; oder sie sind genötigt, das Konzept der Geistesunabhängigkeit gleich für gänzlich unbrauchbar zu erklären, um einen Realismus zu charakterisieren. Diese Probleme können freilich umgangen werden, wenn man sich darauf verständigt, das Konzept der Geistesunabhängigkeit im engen Sinne zu verwenden – wenn man also unter Geistesunabhängigkeit so etwas wie Meinungs- oder Erkenntnisunabhängigkeit versteht und damit ausschließlich die Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit vom subjektiven Meinen bezeichnet. Einerseits versetzt man sich mithilfe eines solchen restriktiveren Gebrauchs von Geistesunabhängigkeit in die Lage, die Relevanz der Wahrheitstheorie für die Realismus-Debatten erkennen zu können. Andererseits gelingt es dann auch, das Problem der trivialen Gegenbeispiele schlicht zu umgehen, da selbst Wahrheiten über (im weiten Sinne) geistesabhängig existierende Gegenstände (im engen realistischen Sinne) geistesunabhängig bestehen (siehe Kapitel  2). Menschgemachte Artefakte wie Hämmer oder Schraubenschlüssel existieren etwa (im weiten Sinne) bloß geistesabhängig, da es sie in einer menschenleeren Welt niemals gegeben hätte; dass Hämmer aber zu den ältesten händischen Werkzeugen unserer Zivilisation gehören, die unsere Vorfahren in primitiver Form bereits vor der Sesshaftwerdung erfunden haben, ist eine Aussage, die wahr (oder falsch) ist unabhängig davon, ob sie irgendjemand glaubt, und deren Wahrheit (oder Falschheit) daher (im engen realistischen Sinne) geistesunabhängig besteht. Meine Kinder existieren (im weiten Sinne) bloß geistesabhängig, da sie niemals geboren worden wären, wenn ich sie nicht gezeugt hätte; dass meine Kinder jedoch hochbegabt sind, wird nicht einfach dadurch wahr, dass ich es mir und meinen Bekannten einrede, und diesem Sinne bestehen auch Wahrheiten über meine eigenen Kinder (im engen realistischen Sinne) geistesunabhängig. Moralische Normen existieren (im weiten Sinne) womöglich ebenfalls bloß geistesabhängig, etwa weil die moralische Norm des Lügenverbots in einer menschenleeren Welt niemals befolgt und ihre Befolgung auch von niemandem jemals eingefordert oder durchgesetzt würde; weil die Tugend der Tapferkeit niemals von irgendjemandem tatsächlich ausgeübt, das entgegengesetzte Laster der Feigheit niemals von irgendjemandem ausgebildet würde und weil das moralische Verbrechen eines Genozids niemals von irgendwem begangen, geschweige denn

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geahndet würde; aber dass ich meine Mitmenschen prima facie nicht anlügen sollte, dass mein gestriges Verhalten, als ich der Konfrontation mit einem Rivalen aus dem Weg gegangen bin, feige war, oder dass es moralisch zutiefst verwerflich ist, Völkermord zu begehen, stellen allesamt moralische Urteile dar, die nicht einfach deshalb wahr (oder falsch) sind, weil ich sie für wahr halte oder wir uns alle zusammen darauf einigen, ganz fest an ihre Wahrheit zu glauben. In diesem Sinne bestehen auch Wahrheiten über moralische Normen (im engen realistischen Sinne) geistesunabhängig. Es finden sich in der Literatur einige namhafte Autoren, die dem Konzept der Geistesunabhängigkeit tatsächlich diese enge Verwendungsweise beilegen und ihren jeweiligen Realismus dementsprechend in einer Weise charakterisieren, die seine Anknüpfung an die Wahrheitstheorie deutlich werden lässt. In der Wissenschaftstheorie gelingt es in besonderem Maße Howard Sankey (2004; 2021) und Stathis Psillos (1999; 2005), den wissenschaftlichen Realismus als eine philosophische Auffassung vorzustellen, die Wahrheiten (im Bereich der Wissenschaft) als objektiv und damit als (im engen Sinne) geistesunabhängig auszuweisen sucht. Sankey stellt dabei zunächst – in einem ersten Schritt – heraus, dass der wissenschaftliche Realismus als eine von sechs Komponenten eine These enthält, die er als „the metaphysical doctrine of realism about the external world“ bezeichnet.22 Diese metaphysische Komponente des wissenschaftlichen Realismus besagt, dass es die objektive Realität sei, die der Wissenschaft als Forschungsgegenstand diene: The world investigated by science is an objective reality that exists independently of human thought.23

Während Sankey an dieser Stelle noch offenlässt, ob die deklarierte Unabhängigkeit der objektiven Realität genauer im engen oder weiten Sinne gemeint ist und damit im Einklang oder Konflikt mit der wahrheitstheoretischen Verwendungsweise des Konzepts der Geistesunabhängigkeit steht, fällt die – in einem zweiten Schritt – vorgenommene Präzisierung, zu der sich Sankey veranlasst sieht, in bemerkenswerter Klarheit zugunsten der ersteren Option aus. Es sind demnach laut wissenschaftlichem Realismus nicht Gegenstände, die geistesunabhängig existierten, weil es sie auch ohne menschliches Zutun schon immer gegeben hätte – denn im Allgemeinen ließe sich das von jeglichen Gegenständen gar nicht behaupten. Vielmehr kann im Allgemeinen nur Tatsachen (oder Wahrheiten) zugestanden werden, insofern 22 23

Vgl. Sankey 2004: 57 Ebd.: 57

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Kapitel 3

geistesunabhängig zu bestehen, als sie nicht davon abhängen, ob irgendjemand von ihrem Bestehen auch überzeugt ist: My insistence on the mind-independence of the external world might be taken to suggest that scientific realism is restricted to the objects, properties and facts investigated by the natural sciences. But such a restriction is unnecessary. […] While […] artefacts as cars and tools would not exist if they had not been constructed by humans, the fact that there is, say, a screwdriver in the boot of my car is an objective fact that does not depend on my thinking it to be the case.24

Diese Präzisierung des Konzepts der Geistesunabhängigkeit innerhalb der wissenschaftstheoretischen Realismus-Debatte deckt sich zweifellos mit dem engen Sinne, in dem dieses Konzept innerhalb der wahrheitstheoretischen Realismus-Debatte aufgefasst wird, und lässt dadurch eine Anknüpfung des wissenschaftlichen an den alethischen Realismus erkennen: In beiden Debatten gehen Realisten davon aus, dass Wahrheiten (im Allgemeinen bzw. im Bereich der Wissenschaft) im engen Sinne geistesunabhängig bestehen, d.h. unabhängig von den Überzeugungen, Einstellungen oder Festlegungen, die irgendjemand ihnen gegenüber einnehmen mag.25 Schließlich wird dieses Bild vom wissenschaftlichen Realismus als einer Auffassung, die eine allgemeine realistische Wahrheitskonzeption für die Wissenschaftstheorie konkretisiert, durch Sankeys Darstellung – in einem letzten Schritt – befördert, indem er die von wissenschaftlichen Realisten behauptete Geistesunabhängigkeit in denselben Kontext einordnet, der auch für alethische Realisten bereits nachgezeichnet werden konnte: Durch das Konzept der Geistesunabhängigkeit wird namentlich der Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit Ausdruck verliehen, insofern es dazu verwendet werden kann, die scharfe Differenzierung zwischen objektiver Wahrheit und subjektiver Meinung zu artikulieren. Sankey nimmt diese Verortung ausdrücklich vor: Theoretical claims are made true or false by the way things are in the mindindependent, objective reality investigated by science. Thus, truth is objective in the sense that the truth-value of a claim is determined by the way things stand in the external world, whether or not we believe that it is true.26 Truth is objective in the sense that it does not depend on what we believe. It depends on the way the world is. […] The truth need not be how we believe or 24 25

26

Ebd.: 57 (meine Hervorhebung) Entsprechend hebt auch Psillos auf die Verbindung zwischen wissenschaftlichem und alethischem Realismus ab: „[Scientific] [r]ealism, particularly the independence dimension in it, cannot be properly stated without reference to a non-epistemic conception of truth.“ (Psillos 2005: 393) Sankey 2004: 58 (meine Hervorhebung)

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wish the world to be. It has nothing to do with what we believe and everything to do with how the world is.27

Es ist damit, zusammenfassend gesagt, wenigstens eine prima facie plausible Deutung aufgezeigt worden, mit deren Hilfe man nachvollziehen kann, wie die mit dem alethischen Realismus einhergehende Vorstellung von der Objektivität oder Geistesunabhängigkeit der Wahrheit in die Wissenschaftstheorie einfließen und so zur Entfaltung des wissenschaftlichen Realismus aus einem erweiterten Blickwinkel beitragen kann. Der wissenschaftliche Realismus, der über wissenschaftliche Aussagen reflektiert und ihnen dabei zuerkennt, Träger objektiver Wahrheit (oder Falschheit) zu sein, knüpft an ein allgemeines Verständnis des Wahrheitsbegriffs an und gleicht folglich dem moralischen Realismus, der dasselbe – wie im Folgenden gezeigt wird – hinsichtlich moralischer Urteile unternimmt.28 In der Metaethik unternehmen es dabei Autoren wie Russ Shafer-Landau (2003) und Kevin DeLapp (2013) in bemerkenswerter Analogie zu Sankeys Darstellung des wissenschaftlichen Realismus, den moralischen Realismus als eine philosophische Auffassung zu präsentieren, die Wahrheiten (im Bereich der normativen Ethik) für objektiv und damit für (im engen Sinne) geistesunabhängig erklärt. Zunächst nehmen beide Autoren – in einem ersten Schritt – eine Annäherung an den Grundgedanken des moralischen Realismus vor, indem sie auf dessen namensgebenden Bezug zur Realität abheben und diesen anschließend mit dem Konzept der Geistesunabhängigkeit in Verbindung bringen. So schreibt etwa DeLapp treffend:

27 28

Sankey 2021: 7 (meine Hervorhebung) Das Konzept der Geistesunabhängigkeit wird damit übereinstimmend auch von Psillos in den Zusammenhang der Objektivität eingeordnet: „At stake is a robust sense of objectivity, viz., a conception of the world as the arbiter of our changing and evolving conceptualisations of it. It is this sense of objectivity that realism honours with the claim of mind-independence.“ (Psillos 2005: 392; vgl. auch Psillos 1999: 14) Im Anschluss an diesen Bezug des wissenschaftlichen Realismus zu einer realistischen Wahrheitskonzeption stellt er dabei auch überzeugend die Verwandtschaft zum moralischen Realismus explizit heraus: „Someone who is a realist about morality, for instance, might concede that moral principles wouldn’t exist if people with minds did not exist. […] Yet, she could still be a realist if she thought in terms of the foregoing possibility of a divergence between what we (or people, or communities) take (even warrantedly) moral principles to be and what these moral principles are. Casting this possibility of divergence in terms of a non-epistemic conception of truth about moral principles […] would secure her realism […] and, with it, a certain plausible understanding of the claim that moral principles are mind-independent.“ (Psillos 2005: 393f)

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Kapitel 3 Specifically, moral realists believe that something about our ethical beliefs, actions, and concepts is ‚real‘ in some sense – that a core aspect of morality is ‚not up to us‘ or is ‚independent‘ from us in some way.29 To what kind of independence – and from what – is moral realism committed? A canonical answer is that moral realism recognizes specifically the mindindependence of moral values.30

Zwar ist aus den vorliegenden Passagen wiederum noch nicht ersichtlich, ob das Konzept der Geistesunabhängigkeit von moralischen Realisten in einem weiten oder engen Sinne verwendet wird – und damit mit der wahrheitstheoretischen Verwendungsweise divergiert oder konvergiert. In einem zweiten Schritt, der parallel zu demjenigen Sankeys anmutet, nehmen ShaferLandau und DeLapp aber genau eine solche Präzisierung vor, die eindeutig eine Absage an eine weite Verwendungsweise beinhaltet. Es sind demnach moralische Wahrheiten, die geistesunabhängig bestehen, nicht weil kognitive Fähigkeiten und mentale Aktivitäten generell keine Rolle in der moralischen Beurteilung von menschlichem Verhalten spielten – denn im Allgemeinen tun sie das in erheblichem Maße –, sondern weil die Meinungen der Menschen über die Wahrheit moralischer Urteile für deren tatsächlichen Wahrheitswert irrelevant sind.31 Entsprechend präzisiert Shafer-Landau das von moralischen Realisten verwendete Konzept der Geistesunabhängigkeit: Any first-order, substantive normative theory worth its salt will require attention to the mental states of agents in a variety of quite complex ways. But [moral] realism, being a view about the status of such normative theories, insists that the truth of any first-order normative standard is not a function of what anyone happens to think of it.32

Diese Präzisierung des Konzepts der Geistesunabhängigkeit innerhalb der metaethischen Realismus-Debatte stimmt – in Analogie zu Sankeys Darstellung – mit der engen Verwendungsweise überein, die mit diesem Konzept innerhalb der wahrheitstheoretischen Realismus-Debatte einhergeht, 29 30 31

32

DeLapp 2013: 1; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 13 DeLapp 2013: 12; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 15 Zur Vermeidung von entsprechenden Missverständnissen schlägt Shafer-Landau vor, den Begriff der (Geistes-)Haltungsunabhängigkeit (stance-indepedence) dem Begriff der Geistesunabhängigkeit (mind-independence) vorzuziehen (vgl. Shafer-Landau 2003: 15; vgl. auch DeLapp 2013: 14). Diese alternative Terminologie ist zwar nicht sonderlich üblich, erst recht außerhalb der Metaethik, hat aber durchaus den Vorteil, die enge realistische Verwendungsweise des Konzepts der Geistesunabhängigkeit gegen die diskutierten Fehldeutungen abzugrenzen. Shafer-Landau 2003: 15 (meine Hervorhebung); vgl. auch DeLapp 2013: 14

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und stellt damit eine Anknüpfung des moralischen an den alethischen Realismus in Aussicht: In beiden Debatten legen sich Realisten gleichermaßen darauf fest, dass Wahrheiten (im Allgemeinen bzw. im Bereich der normativen Ethik) im engen Sinne geistesunabhängig bestehen, d.h. unabhängig davon, ob irgendein Erkenntnissubjekt geneigt ist, ihre Wahrheit tatsächlich oder hypothetisch anzuerkennen. Schließlich kann diese Darstellung des moralischen Realismus als einer Auffassung, die eine allgemeine realistische Wahrheitskonzeption für Metaethik spezifiziert, vervollständigt werden, indem man – in einem letzten Schritt – die Einordnung thematisiert, die Shafer-Landau und DeLapp für das Konzept der Geistesunabhängigkeit vornehmen: Durch das Konzept der Wahrheit wird genauer die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit analysiert, insofern es den radikalen Entzug der objektiven Wahrheit vom subjektiven Fürwahrhalten kennzeichnet, wie beide Autoren nachdrücklich erklären: Moral realism is the theory that moral judgments enjoy a special sort of objectivity: such judgments, when true, are so independently of what any human being, anywhere, in any circumstance whatever, thinks of them.33 truth is not ultimately in the ‚eye of the beholder‘: it is determined by the world, not by us, and since the world is not of our making, truth is not of our making.34

Es ist also wiederum eine zumindest prima facie nachvollziehbare Deutung des moralischen Realismus als einer Auffassung nahegelegt worden, die die mit dem alethischen Realismus einhergehende Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit für die Metaethik übernimmt und so die Erfassung des moralischen Realismus aus einem größeren Zusammenhang ermöglicht. Der moralische Realismus, der über moralische Urteile reflektiert und ihnen zuspricht, objektiv wahr (oder falsch) zu sein, knüpft also an eine allgemeine Konzeption des Wahrheitsbegriffs an und gleicht auf diese Weise dem wissenschaftlichen Realismus, der dasselbe – wie gezeigt wurde – hinsichtlich wissenschaftlicher Aussagen ausformuliert.35 Die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit und ihre Analyse durch das Konzept der Geistesunabhängigkeit nehmen also auch eine zentrale Rolle 33 34 35

Shafer-Landau 2003: 2 DeLapp 2013: 18 Interessanterweise stellt DeLapp den moralischen Realismus auch explizit in den allgemeineren wahrheitstheoretischen Kontext und hebt dabei sogar auf die Verbindung zum wissenschaftlichen Realismus ab: „our definition nicely makes our conception of moral reality continuous with how ‚reality‘ is used in other philosophical and nonmoral domains. […] The scientific realist thinks that the truths of science are not determined by what even perfectly informed scientists think.“ (DeLapp 2013: 17f)

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Kapitel 3

in den Darstellungen von wissenschaftlichem und moralischem Realismus ein und erfüllen damit eine wichtige Funktion innerhalb der vorliegenden Diskussion. Der Aspekt der Objektivität hilft uns, zusammenfassend gesagt, dabei, wissenschaftlichen und moralischen Realismus aus einer übergeordneten Perspektive zu betrachten: Namentlich handelt es sich in beiden Fällen gleichermaßen um dezidiert objektivistische Auffassungen, d.h. um Auffassungen, die einer Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit Rechnung tragen: Wissenschaftliche Realisten lassen diese Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit insofern in die Wissenschaftstheorie einfließen, als sie davon ausgehen, dass die Wahrheit (oder Falschheit) wissenschaftlicher Aussagen (im engen Sinne) geistesunabhängig besteht, mithin dass wahre wissenschaftliche Aussagen ausschließlich durch die Tatsachen der Realität wahrgemacht werden. Moralische Realisten übertragen die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit gleichfalls in die Metaethik, indem sie darauf abheben, dass die Wahrheit (oder Falschheit) moralischer Urteile (im engen Sinne) geistesunabhängig besteht, mithin dass wahre moralische Urteile allein durch die Tatsachen der Realität wahrgemacht werden. Diese (horizontale) Parallele, die zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus ausgemacht werden kann, kommt offensichtlich dadurch zustande, dass sich beide Auffassungen (vertikal) hinsichtlich der Wahrheitstheorie als anschlussfähig erweisen und im Kern denselben wahrheitstheoretischen Grundgedanken ausdrücken, nämlich denjenigen einer realistischen Wahrheitskonzeption. Diese wahrheitstheoretische Ausdeutung der Realismus-Debatten, insbesondere ihrer These der Geistesunabhängigkeit, ist in der Literatur sicherlich umstritten. Es gibt Autoren, die den Realismus – in Wissenschaft oder Ethik – höchstens auf die These verpflichten wollen, dass die Welt (die Gegenstände bzw. Normen in der Welt) geistesunabhängig existiert, die dann jedoch keinesfalls dazu bereit sind, dieser These über Geistesunabhängigkeit, wie es hier versucht wurde, eine wahrheitstheoretische Bedeutung abzugewinnen. Die Diskussion über das Konzept der Geistesunabhängigkeit hat deutlich zu machen versucht, dass eine derartige Interpretation der Realismus-Debatten, der zufolge Realismus und Wahrheitstheorie voneinander getrennt werden könnten, nicht überzeugend ist. Der Begriff der Geistesunabhängigkeit hat nur dann eine sinnvolle Bedeutung, wenn man ihn (gemäß engem Verständnis) wahrheitstheoretisch ausdeutet und ihn folglich dazu benutzt, um der Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit Ausdruck zu verleihen – wenn man mit „geistesunabhängig“ (mind-independent) also so etwas wie „(geistes-) haltungsunabhängig“ (stance-independent) meint und darunter den Umstand versteht, dass objektive Wahrheiten unabhängig vom subjektivem Fürwahrhalten und Erkennen bestehen. In diesem Sinne hängt das Konzept der

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Geistesunabhängigkeit mit der Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit zusammen und hilft uns dabei, einen ersten Anknüpfungspunkt an die Wahrheitstheorie aufzudecken, durch den wissenschaftlicher und moralischer Realismus miteinander in Verbindung stehen. Die zentrale These, der zufolge der wissenschaftliche und der moralische Realismus über ihre analoge Anknüpfung an die Wahrheitstheorie miteinander verbunden sind, kann also hinsichtlich des Aspekts der Objektivität durchaus plausibilisiert und soll nun im Folgenden anhand der beiden verbleibenden Aspekte noch weiter untermauert werden – namentlich anhand der Aspekte der Plausibilität und der Lokalität. *** (2) Der Aspekt der Plausibilität. Der zweite Anknüpfungspunkt, an dem die wahrheitstheoretische Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus festgemacht werden kann, betrifft die präreflexive Plausibilität, derer sich alethische Realisten typischerweise bedienen, um ihr Verständnis des Wahrheitsbegriffs gegen etwaige Alternativen argumentativ abzusichern (siehe Kapitel 2). Einer realistischen Wahrheitskonzeption kann dabei ihrerseits zuge­schrie­ ben werden, präreflexiv plausibel zu sein, insofern sie unser vorphilosophisches Alltagsverständnis des Wahrheitsbegriffs revisionsfrei zu übernehmen vermag und deshalb prima facie am ehesten einleuchtet. Alethische Realisten können dabei vor allem geltend machen, dass die scharfe Unterscheidung zwischen nicht-epistemischer Wahrheit und epistemischem Zugang zur Wahrheit, der die Einführung von Tatsachen ja vornehmlich dient, eine tiefe Verankerung in unserem alltäglichen Denken und Handeln aufweist und ihr Verständnis des Wahrheitsbegriffs daher gegenüber epistemischen, konstruktivistischen und relativistischen Alternativen auszeichnet. Der nicht-epistemische Charakter des Wahrheitsbegriffs stellt sich demnach als ein so zentraler Bestandteil unserer vorphilosophischen Verwendung des Wahrheitsbegriffs dar, dass er einen alethischen Realismus als diejenige Auffassung auszeichnet, die unter allen philosophischen Ausarbeitungen prima facie am glaubwürdigsten erscheint. Wissenschaftliche und moralische Realisten machen sich eine solche Argumentationsstrategie – wiederum zugeschnitten auf den Bereich der Wissenschaft bzw. normativen Ethik – bisweilen ebenfalls zu eigen und etablieren dadurch eine weitere Parallele zwischen ihren beiden Ansätzen, die eindeutig durch die Wahrheitstheorie vermittelt wird. Sie nehmen demnach ebenfalls für sich in Anspruch, dass sie unser vorphilosophisches Verständnis von Wissenschaft und normativer Ethik am besten philosophisch verarbeiten

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Kapitel 3

können und dass ihre realistischen Positionen deshalb antirealistischen Gegenentwürfen (zumindest prima facie) überlegen seien. Wissenschaftliche Realisten weisen etwa darauf hin, dass ihre philosophische Auffassung mit dem Anspruch auf intuitive Plausibilität formuliert wird und folglich lediglich explizit macht, was implizit schon von Vornherein im gängigen Selbstverständnis von Wissenschaftlern angelegt ist. Die Aufgabe der Wissenschaft wird demnach meist darin gesehen, sich der unvoreingenommenen Suche nach der Wahrheit zu verschreiben und Erkenntnisse über die Wirklichkeit zutage zu fördern – Erkenntnisse über eine Wirklichkeit, für deren objektive Beschaffenheit unsere subjektiven Meinungen irrelevant sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen folglich wie Entdeckungen, nicht wie Konstruktionen, behandelt werden; wissenschaftliche Wahrheiten haben einen dezidiert nicht-epistemischen Status inne. Der wissenschaftliche Realismus ist geradezu darauf angelegt, diesen vorphilosophisch einleuchtenden Charakterisierungen wissenschaftlicher Forschung revisionsfrei Rechnung zu tragen, und erweist sich somit, wie Psillos schreibt, als eine „intuitively compelling philosophical position“.36 Diese intuitive oder präreflexive Plausibilität des wissenschaftlichen Realismus wird von Psillos dabei genauer mit einem realistischen Verständnis des Wahrheitsbegriffs in Verbindung gebracht. So identifiziert er als grundlegende Intuition namentlich die These „that truthconditions should be taken to be distinct from verification conditions“:37 A non-epistemic account of the concept of truth is motivated as the best way to capture the intuition that scientific discourse is about a ‚mind-independent‘ world, that is a world whose structure and content are independent of the epistemic standards science uses to appraise theories.38

Der wissenschaftliche Realismus hat antirealistischen Ansätzen aus der Wis­ senschaftstheorie somit voraus, dass er gleichsam die Default-Position darstellt, die prima facie am ehesten einleuchtet und deshalb zumindest unter Vorbehalt akzeptiert werden darf.39 36 37 38 39

Psillos 1999: xvii Ebd.: 14 Ebd.: 231 (meine Hervorhebung) Im selben Gestus stellen daneben etwa auch Sokal und Bricmont auf den Wahrheitsbegriff ab, um die präreflexive Plausibilität des wissenschaftlichen Realismus zu unterstreichen. So sprechen sie etwa von einer „intuitive notion of truth“ (Sokal & Bricmont 2004: 34) oder der „customary (‚correspondence‘) notion of truth“ (ebd.: 36), die mit einem (moderaten) wissenschaftlichen Realismus, wie sie ihn vertreten, einhergehe und denselben deshalb im alltäglichen Selbstverständnis von Wissenschaftlern verankert: „In the same way that nearly everyone in his or her everyday life disregards solipsism and

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Moralische Realisten machen analog geltend, dass ihre Auffassung die Phä­ nomenologie moralischen Urteilens revisionsfrei aufzugreifen vermag. Das Aufstellen moralischer Urteile zur Bewertung menschlichen Verhaltens nimmt ebenfalls die Form einer Suche nach der Wahrheit an. Wir reden – sei es in der professionalisierten Ethik oder der alltäglichen Lebensorientierung – von moralischen Einsichten und Irrtümern, streben danach, aus unseren moralischen Fehlern zu lernen, und schreiben sogar ganzen Gesellschaften zu, moralische Fort- oder Rückschritte zu vollziehen. Auf diese Weise scheinen wir uns jedenfalls üblicherweise darauf zu verständigen, dass moralische Erkenntnisse keine bloßen Konstruktionen sind und dass moralische Wahrheiten folglich nicht-epistemisch ausgedeutet werden müssen. Entsprechend schreibt etwa Shafer-Landau, dass der moralische Realismus diese Funktion, unseren Intuitionen gerecht zu werden, erfüllt: Only cognitivism [and, consequently, realism] straightforwardly preserves ordinary talk of moral truth. We appear to take at face value such locutions as ‚it is true that infanticide is wrong‘. We allow for the possibility of moral mistake and often characterize it as a case in which a person speaks falsely, or has a false belief.40

Der moralische Realismus hat antirealistischen Alternativen aus der Metaethik also gleichfalls voraus, dass es, wie Rüther schreibt, legitim sei, „einen Prima-facie-Realismus als metaethische Default-Position anzunehmen“41 und Gegenentwürfe wie einen ethischen Konstruktivismus zumindest vorbehaltlich abzulehnen.42 Wissenschaftliche und moralische Realisten scheinen also gleichermaßen vorzugehen, um ihre philosophischen Auffassungen gegenüber antirealis­tis­ chen Alternativen zu verteidigen: Die antirealistischen Gegenentwürfe, denen sie sich in Wissenschaftstheorie und Metaethik gegenübersehen, vermögen es nicht, grundlegenden Intuitionen über Wissenschaft bzw. Ethik zu genügen und sollten deshalb prima facie zugunsten eines jeweiligen Realismus verworfen werden. Diese Intuitionen hängen darüber hinaus namentlich mit dem Konzept der Wahrheit und einem nicht-epistemischen Verständnis desselben

40 41 42

radical skepticism and spontaneously adopts a ‚realist‘ or ‚objectivist‘ attitude toward the external world, scientists spontaneously do likewise in their professional work.“ (Ebd.: 21) Shafer-Landau 2003: 23 (meine Hervorhebung) Rüther 2013: 170; vgl. auch ähnlich ebd.: 179 Halbig hebt ebenfalls ausdrücklich darauf ab, dass es genauer ein „konstruktivistisches Verständnis der Wahrheitsbedingungen“ ist, das „in unserer moralischen Praxis [fehlt]“, und wir in Fällen moralischen Urteilens eher „die Metaphorik des Entdeckens, nicht des Erfindens [gebrauchen].“ (Halbig 2007: 221)

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Kapitel 3

zusammen und weisen die entsprechende Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus damit als wahrheitstheoretisch vermittelt aus. Allerdings muss man sich wiederum klarmachen, dass der Hinweis auf die intuitive oder präreflexive Plausibilität keinem Beweis gleichkommt, da sich unsere Intuitionen freilich als falsch herausstellen können und es, damit übereinstimmend, im Übrigen ja gerade die Aufgabe der Philosophie auszumachen scheint, unsere unreflektierten Präkonzeptionen einer kritischen Prüfung zu unterziehen und ggf. zu revidieren. Den Realismus kann also trotz seiner tiefen Verankerung im alltäglichen Denken das Schicksal einer Auffassung ereilen, für die zunächst zwar eine gewisse Anfangsplausibilität beansprucht werden kann, die einer kritischen Prüfung aber dennoch nicht standhält, weil sich im Zuge der philosophischen Reflektion derart schwerwiegende Einwände formulieren lassen, dass sie letztendlich doch abgelehnt werden muss. Philosophen geben sich dementsprechend typischerweise nicht damit zufrieden, dass eine Auffassung intuitiv einleuchtet, sondern sehen es, wie beispielsweise auch Chakravartty schreibt, als ihre Aufgabe an, unsere Intuitionen gerade herauszufordern: Outside of philosophy, [scientific] realism is usually regarded as common sense, but philosophers enjoy subjecting commonplace views to thorough scrutiny, and this one certainly requires it.43

Nichtsdestotrotz kann man wissenschaftlichen und moralischen Realisten zugutehalten, dass ihr Hinweis auf die präreflexive Plausibilität eine argumentative Funktion erfüllt. Es ist zwar richtig, dass man mithilfe dieses Hinweises keinen Beweis in Aussicht stellen kann, der jegliche Fortführung der Debatte entbehrlich machen würde; aber man kann ihn wenigstens dafür benutzen, um immerhin eine asymmetrische Verteilung der Beweislast einzufordern: Es bedarf demnach gewichtiger Einwände, um einen Realismus begründet in Zweifel ziehen zu können, während es jedoch umgekehrt in Abwesenheit solcher Gegenargumente wenigstens vorläufig rational ist, sich einen realistischen Ansatz zu eigen zu machen, sodass alles in allem die jeweiligen Antirealisten die gesamte Beweislast schultern. Wissenschaftliche und moralische Realisten schließen sich dieser Klarstellung typischerweise an und erhärten dadurch den Eindruck, dass ihre beiden Positionen, auch hinsichtlich dieses zweiten Aspekts zueinander parallel liegen. Auch sie nehmen für sich in Anspruch, ihren philosophischen Gegnern die Beweislast aufbürden zu dürfen und ordnen ihre Berufung auf 43

Chakravartty 2007: 4

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den gesunden Menschenverstand, dem ihr Verständnis von Wissenschaft bzw. Ethik am nächsten zu kommen scheint, dementsprechend ein. Moralische Realisten machen es besonders deutlich, dass sie eine Beweislastverteilung in der Metaethik vornehmen, wie man bereits daran sehen kann, dass Schaber (1997), Halbig (2007) und Rüther (2013) allesamt ausdrücklich von einer „Beweislastverteilung“ sprechen, die moralische Realisten für sich in Anspruch nehmen können.44 Daneben weist etwa auch Cuneo (2007) auf den Umstand hin, dass die Verankerung des moralischen Realismus derart grundlegend ist, dass man mit notorischen Schwierigkeiten konfrontiert wird, überhaupt Argumente für einen Realismus zu formulieren, durch die er aus Prämissen abgeleitet werden könnte, die noch offensichtlicher sind als er selbst.45 Und schließlich legt beispielsweise auch Enoch (2011) ein entsprechendes Bekenntnis ab: The implicit – and sometimes explicit – assumption of many [moral] realists seems to be that something like Robust Realism is the default view, that the burden of argument is on the shoulders of those putting forward competing views.46

Wissenschaftliche Realisten legen demgegenüber zwar keine vergleichbar große Sorgfalt an den Tag, um diese Funktion einer Beweislastverteilung explizit zu machen, die mit ihrer Berufung auf grundlegende Intuitionen einhergeht, lassen es bisweilen aber dennoch durchblicken, dass sie eine solche asymmetrische Verteilung der Beweislast im Sinn haben. So stellt Psillos im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem semantischen Realismus und dessen Alternativen genauer fest, dass die intuitive Plausibilität des Realismus eine Beweislastverteilung zulasten von Antirealisten etabliert: The burden of proof is clearly on the [scientific] non-realists: they must produce a framework which fulfils the condition of adequacy but does not quantify over [theoretical] entities.47

44 45

46 47

Vgl. Schaber 1997: 36f; Halbig 2007: 219, 222f; Rüther 2013: 170; vgl. auch ähnlich Brink 1989: 24 „According to the realists, so deeply ingressed is this way of viewing reality in our shared world picture, that it is difficult to find propositions more obvious than those constitutive of realism itself that can be employed to formulate a non-question-begging argument in favor of it. […] It is because this way of viewing things is rather firmly entrenched in our shared world picture that it is difficult to formulate arguments for moral or epistemic realism that appeal to premises more obvious than the positions themselves.“ (Cuneo 2007: 10f; vgl. auch ebd.: 40) Enoch 2011: 10 (meine Hervorhebung) Psillos 1999: 46 (meine Hervorhebung)

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Kapitel 3

Die realistische Argumentationsstrategie läuft also nicht auf einen Beweis hinaus, sondern hat in beiden Fällen lediglich die Form einer Beweislastverteilung. In diesem Sinne besteht eine Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus, die genauer durch den alethischen Realismus vermittelt wird. Diese parallele Berufung auf die präreflexive Plausibilität fügt sich im Übrigen in den Zusammenhang der in beiden Debatten beobachtbaren Tendenz ein, einen verstärkten Fokus auf die Zurückweisung von Einwänden zu legen, die gegen den Realismus aufgestellt werden. Die argumentative Verteidigung des moralischen Realismus etwa erschöpft sich beinahe vollständig in der Diskussion weit verbreiteter Gegenargumente und -entwürfe. Moralische Realisten verwehren sich gegen das Argument aus der Seltsamkeit und zeigen auf, dass weder die Supervenienz von moralischen auf natürlichen Eigenschaften noch die motivationale Kraft moralischer Tatsachen Vorbehalte gegen den Realismus rechtfertigen.48 Sie weisen das Argument aus der Relativität zurück und erklären, dass moralischen Realisten vielfältige Erklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die diachronen und synchronen Meinungsverschiedenheiten, die die Menschen in ethischen Fragen haben, mit ihrer Position in Einklang zu bringen.49 Und sie konfrontieren ihrerseits moralische Antirealisten mit Einwänden und bemängeln etwa, dass der Nonkognitivismus nicht dazu in der Lage ist, das Frege-Geach-Problem zu lösen,50 oder dass der Konstruktivismus das Euthyphron-Dilemma heraufbeschwört.51 Die argumentative Verteidigung des wissenschaftlichen Realismus konzentriert sich, in Analogie dazu, ebenfalls zu einem Großteil darauf, auf Gegenargumente zu reagieren und Gegenpositionen zu verwerfen. Wissenschaftliche Realisten reagieren beispielsweise auf die pessimistische MetaInduktion und versuchen zu zeigen, dass ihr realistischer Fortschrittsgedanke, dem zufolge wissenschaftliche Forschung eine Approximation an die Wahrheit vollzieht, mit (vermeintlich) konfligierenden historischen Befunden in Einklang gebracht werden kann.52 Sie wenden sich gegen die Quine-DuhemThese, der zufolge wissenschaftliche Theorie empirisch unterbestimmt sind, und halten etwa dagegen, dass Wissenschaftlern Strategien zur Verfügung stehen, zwischen zwei empirisch äquivalenten Theorien zu entscheiden.53 Wie immer man diese Argumentationsstrategien im Einzelnen auch bewerten mag, sie verbleiben erkennbar in den Grenzen negativer 48 49 50 51 52 53

Vgl. Mackie 1977: 38ff; vgl. dagegen Brink 1984: 118f Vgl. Mackie 1977: 36f; vgl. dagegen Brink 1984: 115f Vgl. Shafer-Landau 2003: 23 Ebd.: 43 Vgl. Laudan 1981: 32f; vgl. dagegen Psillos 1999: 101ff Vgl. Quine 1975: 313; vgl. dagegen Psillos 1999: 162ff

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Zurück­weisungen von Gegenargumenten und -positionen, etablieren dagegen keine Aussicht auf positive Argumente, durch die der Realismus unabhängig von den Unvollkommenheiten seiner Alternativen begründet wird. Diese negative Argumentation, die man in beiden Realismus-Debatten ausmachen kann, mag im Allgemeinen durchaus als problematisch angesehen werden: Indirekte Beweise können zwar in der Mathematik dafür herangezogen werden, um Theoreme durch Widerlegung ihrer Alternativen zu beweisen; aber in der Philosophie kann man sich in der Regel gerade nicht sicher sein, sämtliche Alternativen zu einer gegebenen Position identifiziert zu haben, weshalb man auf das Mittel des indirekten Beweises eigentlich verzichten muss. Allerdings kann man den Bemühungen wissenschaftlicher und moralischer Realisten durchaus einen Sinn abgewinnen, solange man sie vor dem Hintergrund der von ihnen vorgenommenen Beweislastverteilungen betrachtet. Der Fokus auf negative Verteidigungen ergibt nämlich insofern Sinn, als sie den Realismus durch ihre Bemühungen um eine asymmetrische Verteilung der Beweislast lediglich als prima facie gerechtfertigt ausweisen – namentlich in Abwesenheit gewichtiger Einwände. Die Beweislastverteilung gestattet es Realisten somit, auf positive Argumente gewissermaßen verzichten zu können und sich vollständig auf die negative Zurückweisung des Antirealismus zu konzentrieren. Wie wir später sehen werden, gehen wissenschaftliche und moralische Realisten bisweilen trotzdem dazu über, positive Argumente für ihre Positionen zu formulieren (siehe Kapitel 5). Dessen ungeachtet ordnet sich ihr ansonsten starker Fokus auf negative Argumente in den Kontext der präreflexiven Plausibilität ein, die sie für sich geltend machen. Zusammenfassend gesagt, kann das zweite Charakteristikum des alethischen Realismus also dazu benutz werden, um wissenschaftlichen und moralischen Realismus zu charakterisieren. Damit bleibt nur noch übrig, das dritte Charakteristikum in den Blick zu nehmen und dadurch die Diskussion des vorliegenden Abschnitts abzuschließen. *** (3) Der Aspekt der Lokalität. Der dritte und letzte Anknüpfungspunkt an den alethischen Realismus, der wissenschaftlichen und moralischen Realisten die Möglichkeit eröffnet, ihre Positionen wahrheitstheoretisch zu charakterisieren, besteht darin, dass alethische Realisten ihre Wahrheitskonzeption in der Absicht formulieren, eine globale Perspektive über sämtliche Wahrheiten zu etablieren (siehe Kapitel 2). Der Grundgedanke des alethischen Realismus ist nicht thematisch beschränkt, sondern betrifft sämtliche Propositionen – ungeachtet ihres genauen Inhalts.

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Wissenschaftliche und moralische Realisten schließen insofern an dieses letzte Charakteristikum des alethischen Realismus an, als sie – gerade umgekehrt – eine dezidiert lokale Perspektive eröffnen, die sich lediglich auf die Bereiche der Wissenschaft bzw. der normativen Ethik beschränkt und deshalb eine Einbettung ihrer lokalen Positionen in einen globalen Zusammenhang ermöglicht. Wissenschaftliche Realisten etablieren zunächst im Gegensatz zu alethischen Realisten eine dezidiert lokale Perspektive, die gerade nicht sämtliche Propositionen in den Blick nimmt, sondern sich auf die thematischen Inhalte der Wissenschaft beschränkt. Diese lokale Perspektive des wissenschaftlichen Realismus gestattet es, dem Einfluss eines globalen Verständnisses des Wahrheitsbegriffs auf die Wissenschaftstheorie insofern einen Sinn abzugewinnen, als Anhänger jener lokalen Position dazu in die Lage versetzt werden, diese allgemeine Konzeption für ihren spezifischen Bereich unmittelbar zu übernehmen. Wenn nämlich im Allgemeinen alle wahren Propositionen durch Tatsachen der Realität wahrgemacht werden (alethischer Realismus), dann muss auch im Besonderen gelten, dass wissenschaftliche Aussagen dann und nur dann wahr sind, wenn sie die (natürliche) Realität korrekt wiedergeben (wissenschaftlicher Realismus). In diesem Sinne kann man also prima facie nachvollziehen, wie die globale Perspektive des alethischen und die lokale Perspektive des wissenschaftlichen Realismus wechselseitig aufeinander verweisen und zur Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Realismus aus einem größeren Zusammenhang beitragen könnten. In der wissenschaftstheoretischen Literatur findet die Ansicht, nach der der wissenschaftliche Realismus auch tatsächlich in diesem größeren Zusammenhang steht, bisweilen explizite Befürwortung. Unter den wissenschaftlichen Realisten verdeutlicht etwa Stathis Psillos die komplementäre Anknüpfung seiner besonderen Auffassung an die allgemeine realistische Wahrheitskonzeption. Der wissenschaftliche Realismus sollte demnach nicht als eine bloß isolierte Auffassung angesehen werden, die einzig und allein die Wissenschaftstheorie betreffe und auf diese Weise dem Vorbehalt gegen das integrative Projekt Vorschub leiste. Vielmehr sei der wissenschaftliche Realismus – erstens – durchaus einer allgemeineren Betrachtungsweise zugänglich, die ihn über die disziplinäre Grenze der ihn beheimatenden Wissenschaftstheorie hinaus erhebt und dadurch in einen interdisziplinären Zusammenhang zu stellen vermag. Diese allgemeinere Betrachtungsweise hebt – zweitens – insbesondere auf das Konzept der Wahrheit ab, dessen nicht-epistemischer Charakter von alethischen Realisten ja ins Zentrum ihrer allgemeinen Wahrheitskonzeption gerückt wird und der Psillos zufolge nun auch wissenschaftlichen Realisten als Folie für ihre besondere Position dient:

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there is, I think, a broader understanding of the [scientific] realism debate, one that I endorse, which associates [scientific] realism with the view that truth is a non-epistemic concept. This implies two things: first, that assertions have truthmakers; and second, that these truth-makers hinge ultimately upon what the world is like. A non-epistemic account of the concept of truth is motivated to provide the best way to capture the intuition that scientific discourse is about a ‚mind-independent‘ world, that is a world whose structure and content are logically and conceptually independent of the epistemic standards science uses to appraise theories.54

Auf Seiten der Wissenschaftstheoretiker kommt also das Bekenntnis klar zur Geltung, den wissenschaftlichen Realismus so zu konzeptualisieren, dass er sich erstens in der Tat aus einer globalen Perspektive heraus entfalten lässt und in diesem Zusammenhang zweitens auch ausdrücklich auf das nichtepistemische Konzept der Wahrheit Bezug nimmt. Die oben skizzierte Verbindung zwischen alethischem und wissenschaftlichem Realismus, die in der einen Richtung von Anhängern jener allgemeinen Auffassung hergestellt wird, kann also auch in der anderen Richtung von Anhängern dieser besonderen Auffassung nachgewiesen werden: Alethische Realisten, wie etwa Alston, schneiden ihr Verständnis des Wahrheitsbegriffs so zu, dass es einen spezifischeren Realismus innerhalb der Wissenschaftstheorie nahelegt; wissenschaftliche Realisten, wie etwa Psillos, entfalten die Darstellung ihres Ansatzes in einer Weise, die komplementär auf einen allgemeineren Realismus über jegliche Wahrheiten verweist. Diese Anknüpfung des wissenschaftlichen an den alethischen Realismus kann analog auch für den moralischen Realismus nachgezeichnet werden. Moralische Realisten etablieren ebenso im Gegensatz zum alethischen Realismus eine entschieden lokale Perspektive, die nicht jegliche Propositionen ungeachtet ihrer Inhalte umfasst, sondern sich lediglich auf die thematischen Inhalte der (normativen) Ethik erstreckt. Diese lokale Perspektive des moralischen Realismus vermag es, den Einfluss einer allgemeinen Interpretation des Wahrheitsbegriffs auf die Metaethik verständlich zu machen, indem sie Anhängern jener lokalen Position eröffnet, diese allgemeine Konzeption auf ihren spezifischen Bereich direkt anzuwenden. Wenn nämlich im Allgemeinen alle wahren Propositionen durch Tatsachen der Realität wahrgemacht werden (alethischer Realismus), dann muss auch im Besonderen gelten, dass moralische Urteile dann und nur dann wahr sind, wenn sie der (moralischen) Realität adäquat entsprechen (moralischer Realismus). In Analogie zur Wissenschaftstheorie kann man also auch in der Metaethik prima facie nachvollziehen, 54

Psillos 1999: xxi

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wie die globale Perspektive des alethischen und die lokale Perspektive des moralischen Realismus wechselseitig zueinander führen und an der Ausdifferenzierung des moralischen Realismus aus einem allgemeineren Kontext beteiligt sein könnten. In der metaethischen Literatur wird diese Ansicht, der zufolge der moralische Realismus auch tatsächlich aus diesem allgemeineren Kontext erschlossen werden kann, von einigen Autoren nachdrücklich bestätigt. Unter den moralischen Realisten stellt beispielsweise Christoph Halbig den Zusammenhang her, der zwischen dem besonderen moralischen Realismus und der allgemeinen realistischen Wahrheitskonzeption besteht. Der moralische Realismus sollte demnach nicht als eine allein die Metaethik betreffende Position aufgefasst werden, deren disziplinäre Beschränkung einem interdisziplinären Vergleich im Weg stehe und vor diesem Hintergrund den besprochenen Vorbehalt provoziere. Stattdessen könne der moralische Realismus – erstens – durchaus einem Vergleich unterzogen werden, der ihn aus den Grenzen der ihn enthaltenen Metaethik heraus- und in den Horizont anderer Subdisziplinen hineintreten lasse. Dieser Horizont eröffne – zweitens – eine spezifisch wahrheitstheoretische Perspektive, der zufolge sich der moralische Realismus aus einer allgemeinen Klärung des Wahrheitsbegriffs entfalte: Der erfolgstheoretische Kognitivist, als jemand, der meint, daß einige moralische Urteile den Wahrheitswert ‚wahr‘ besitzen, muß Auskunft geben, worin die Wahrheit dieser Urteile eigentlich bestehen soll. Es besteht mithin ein wahrheitstheoretischer Klärungsbedarf. Der [moralische] Realist wird an dieser Stelle argumentieren, daß moralische Urteile objektiv wahr sein können.55 Im Zentrum einer solchen Position [d.h. eines moralischen Realismus] muß eine Theorie der moralischen Realität stehen, die die Wahrheitsbedingungen für unsere moralischen Urteile bildet. Ein moralisches Urteil ist genau dann wahr, wenn das, was in ihm beurteilt wird, auch objektiv der Fall ist.56

Auf Seiten der Metaethiker kommen also wiederum die beiden Vorstellungen zusammen, dass sich der moralische Realismus erstens in einen allgemeinen Kontext einordnen lässt und dass derselbe zweitens genauer durch das nichtepistemische Konzept der Wahrheit vermittelt wird. Die oben skizzierte Verbindung zwischen alethischem und moralischem Realismus, die zum einen im Rahmen der ersteren Auffassung etabliert wird, ist also zum anderen auch inhärenter Bestandteil der Darstellung der letzteren: Alethische Realisten, wie Alston, vertiefen ihre allgemeine Auffassung, indem sie deren Ausdifferenzierung in besondere Realismen vornehmen; moralische Realisten, 55 56

Halbig 2007: 202 Halbig 2007: 237

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wie Halbig, erweitern den Blickwinkel, um ihre lokale Position in einem globalen Zusammenhang sichtbar zu machen. Fasst man all diese Befunde (aus Wahrheitstheorie, Wissenschaftstheorie und Metaethik) zusammen, stellt man also fest, dass die zentrale These, der zufolge wissenschaftlicher und moralischer Realismus eine durch das Konzept der Wahrheit vermittelte Parallele aufweisen, disziplinübergreifende Befürwortung aus der Literatur erfährt. Alethische, wissenschaftliche und moralische Realisten bekennen sich dazu, dass ihre Positionen jeweils so konzeptualisiert sind, dass die gegenseitigen Anknüpfungsmöglichkeiten gewährleistet bleiben und auch wahrgenommen werden. Die Allgemeinheit einer realistischen Wahrheitskonzeption führt bei alethischen Realisten dazu, dass sie – auf der Vertikalen – die Relevanz ihrer Auffassung auf die Wissenschaftstheorie und Metaethik herausstellen und dadurch – auf der Horizontalen – eine Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus etablieren. Die Besonderheit einer realistischen Wissenschaftstheorie oder realistischen Metaethik zeigt sich umgekehrt bei wissenschaftlichen bzw. moralischen Realisten daran, dass sie – auf der Vertikalen – die Entfaltung ihrer jeweiligen lokalen Auffassung aus einem globalen Verständnis des Wahrheitsbegriffs anstreben. Fasst man diese beiden Anknüpfungen zusammen ins Auge, dann etablieren wissenschaftliche und moralische Realisten – auf der Horizontalen – wiederum dieselbe Parallele zwischen ihren beiden Positionen, von der bereits herausgestellt wurde, dass sie von alethischen Realisten nahelegt wird. Diese Darstellung des wissenschaftlichen und moralischen Realismus kommt einer expliziten Zurückweisung des antizipierten Vorbehalts gegen den Versuch, wissenschaftlichen und moralischen Realismus zu integrieren, gleich. Der Vorbehalt besteht ja darin, dass sich Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker angeblich in völlig autonomen Realismus-Debatten engagieren und es deshalb zu erwarten sei, dass das, was sie jeweils Realismus nennen, in keinerlei Zusammenhang zueinanderstehe. Die Erwiderung, die dagegen in Stellung gebracht werden kann, lautet dementsprechend, dass dieser Vorbehalt nicht durch die Eigendarstellungen verschiedenster Realisten bestätigt werden kann. Es stimmt einfach nicht, dass wissenschaftliche und moralische Realisten ihre jeweilige Auffassung ohne den Anspruch formulieren, Parallelen zwischen ihrem eigenen Realismus und dem Realismus anderer zu erhalten. Vielmehr machen sie im Gegenteil sehr deutlich, dass die Einbettung ihres jeweiligen konkreten Realismus in den allgemeinen Kontext des Verständnisses des Wahrheitsbegriffs von besonderer Wichtigkeit für sie ist und jenen daher für Vergleiche mit verwandten Realismus-Positionen geradezu prädestiniert. Nimmt man also all diese Anknüpfungspunkte zusammen, dann kann man festhalten, dass es eindrückliche Parallelen gibt, die zwischen

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Kapitel 3

wissenschaftlichem und moralischem Realismus bestehen und durch den alethischen Realismus vermittelt werden. Ein Realismus scheint demzufolge also eine Auffassung über Wahrheit zu sein. Ein wissenschaftlicher Realismus überträgt das realistische Verständnis des Wahrheitsbegriffs auf den theoretischen Beriech der Wissenschaft, indem er wissenschaftlichen Aussagen zuschreibt, potentielle Träger objektiver Wahrheit zu sein. Wissenschaftliche Wahrheiten werden entdeckt, nicht konstruiert; natürliche Tatsachen sind die Wahrmacher wahrer wissenschaftlicher Aussagen. Ein moralischer Realismus wendet das realistische Verständnis des Wahrheitsbegriffs auf den praktischen Bereich der normativen Ethik an, indem er moralischen Urteilen zuspricht, potentielle Träger objektiver Wahrheit zu sein. Moralische Wahrheiten werden entdeckt, nicht konstruiert; moralische Tatsachen sind die Wahrmacher wahrer moralischer Urteile. Wie wir aber bereits zu Beginn des vorliegenden Abschnitts angekündigt haben, gehen wissenschaftliche und moralische Realisten üblicherweise weiter und weichen von der bisherigen Darstellung des Realismus ab: Geht man von den Konzeptionen des Realismus aus, die in der Literatur vorherrschen, dann belassen sie es meist nicht bei einer rein wahrheitstheoretischen Perspektive, sondern erweitern ihre Positionen um eine erkenntnistheoretische Dimension. Namentlich machen sie sich eine dezidiert antiskeptische Haltung zu eigen, der zufolge objektive Wahrheiten (in Wissenschaft bzw. normativer Ethik) auch kognitiv von uns erfasst werden können, und weisen folglich agnostische und skeptische Ansätze zurück. Ein Realismus wird auf diese Weise von einer reinen Auffassung über Wahrheit zu einer Auffassung über unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit verkehrt. Diese epistemische Umformung des Realismus stellt insofern eine erhebliche Abweichung von der vorgelegten Diskussion dar, als ein alethischen Realismus ja ausdrücklich als mit einem epistemischen Skeptizismus vereinbar angesehen wurde. Zwar wurde ein Skeptizismus keineswegs zu einer notwendigen Bedingung für einen Realismus erhoben; aber dasselbe galt auch nicht für einen Antiskeptizismus. Man muss sich weder auf die eine noch auf die andere epistemische Position festlegen, um sich als Realist zu qualifizieren. In der Wissenschaftstheorie und der Metaethik wird eine solche notwendige Bedingung nun aber – jedenfalls scheinbar – sehr wohl geltend gemacht, indem es als eine notwendige Bedingung betrachtet wird, sich einen Antiskeptizismus zu eigen zu machen und objektive Erkenntnis für möglich zu halten. Diese weit verbreitete Definition von Realismus, die eine solche Einbeziehung der Erkenntnistheorie mit sich bringt, bildet den Gegenstand des nächsten Abschnitts und den Abschluss des vorliegenden Kapitels.

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

3.2

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Die scheinbar analoge Einbeziehung der Erkenntnistheorie

Die integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus wird in diesem zweiten Abschnitt also dadurch fortgesetzt, dass der zweite Teil des ambivalenten Verhältnisses der Realismus-Debatten zur Wahrheitstheorie in den Blick genommen wird und genauer die Standarddarstellungen herangezogen werden, die in der Literatur vorherrschen. Diese weit verbreiteten Standarddarstellungen des Realismus laufen, wie wir sehen werden, auf eine generische Definition hinaus, die sowohl auf den wissenschaftlichen als auch auf den moralischen Realismus anwendbar zu sein scheint. Auf diese Weise ordnet sich die weitere Diskussion insofern in den bisherigen Zusammenhang ein, als sie die herausgearbeitete Parallelität beider Auffassungen zunächst – wenigstens dem ersten Anschein nach – weiter untermauert und in eine einheitliche Definition von Realismus münden lässt. Während die zuvor diskutierten Parallelen zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus jedoch wahrheitstheoretisch vermittelt wurden, d.h. dadurch zustande kamen, dass beide Auffassungen parallel an den alethischen Realismus anknüpften, geht die generische Definition eindeutig über diesen Rahmen, den die Wahrheitstheorie vorgibt, hinaus und verortet den Realismus zumindest teilweise in die Erkenntnistheorie. Die zentrale These, die im vorliegenden Abschnitt aufgestellt wird, lautet dementsprechend, dass die zuvor herausgestellte Behauptung, wonach die Verbindung zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus hauptsächlich durch die Wahrheitstheorie vermittelt wird, in einer entscheidenden Hinsicht eingeschränkt werden muss. Es scheint demnach zwar immer noch so zu sein, dass zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus ein hohes Maß an Parallelität besteht; allerdings scheint die Parallelität zwischen beiden Auffassungen nicht restlos aus der Wahrheitstheorie herzurühren (Abschnitt 3.1), sondern verdankt sich außerdem dem zusätzlichen Umstand, dass beide Realismen die Erkenntnistheorie einbeziehen (Abschnitt 3.2). Diese Einbeziehung der Erkenntnistheorie wird dabei insofern nur scheinbar analog vollzogen, als sich der anfängliche Eindruck, dass wissenschaftliche und moralische Realisten ihre Realismus-Konzeptionen im selben Ausmaß – und damit gemäß der generischen Definition – erkenntnistheoretisch erweitern, schlussendlich nicht erhärten wird (Kapitel 4). Vielmehr gehen mit der generischen Definition einige erhebliche Irritationen einher, die zu dem Ergebnis führen, dass dieselbe einige substantielle Disanalogien vernachlässigt, deshalb streng genommen falsch ist und einer Revision bedarf. Die Diskussion dieser Disanalogien, durch die sich wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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Kapitel 3

einander entfremden, bildet den Gegenstand des nächsten Kapitels und soll durch die Darstellung des vorliegenden Abschnitts vorbereitet werden. Dabei werden wir die generische Definition zuallererst aufstellen und anschließend dazu benutzen, um den Realismus mit seinen antirealistischen Gegenentwürfen zu konfrontieren, die sich in der Wissenschaftstheorie und der Metaethik etabliert haben. *** Die generische Definition von Realismus. Die generische Definition von Realismus, die den Ausgangspunkt für die folgende Diskussion bildet, zeichnet sich also zunächst dadurch aus, dass sie den Realismus in seine Bestandteile oder Komponenten unterteilt, mithin eine Vielzahl an genuin realistischen Thesen auflistet, auf die man als Realist festgelegt sei, um anschließend den Realismus unter Zuhilfenahme dieser Thesen zu charakterisieren. In der einschlägigen Variante, die in der Literatur zumeist – wenngleich mit Ausnahme einiger Alternativen57 – ausgemacht werden kann, stellt sie namentlich auf drei unterschiedliche Thesen ab: – (α) eine sprachanalytische These über die Wahrheitsfähigkeit wissenschaftlicher Aussagen bzw. moralischer Urteile, – (β) eine metaphysische These über die Geistesunabhängigkeit wissenschaftlicher bzw. moralischer Wahrheit und – (γ) eine epistemologische These über unsere Erfolgsaussichten, wissenschaftliche bzw. moralische Wahrheiten einzusehen. (α) Auf der sprachanalytischen Ebene geht es wissenschaftlichen und moralischen Realisten demnach erstens um den Sinngehalt wissenschaftlicher Aussagen bzw. moralischer Urteile, d.h. um die Frage, ob es sich bei solchen Aussagen oder Urteilen überhaupt um Behauptungen handelt, mit denen wir einen Anspruch auf Wahrheit erheben. Wissenschaftliche und moralische Realisten legen sich dabei gleichermaßen auf eine unumwundene 57

Die alternativen Darstellungen weichen insofern nur leicht von den üblichen Standarddarstellungen ab, als sie es ebenfalls dabei belassen, den (wissenschaftlichen bzw. moralischen) Realismus mithilfe seiner Komponenten zu charakterisieren, und sich lediglich dahingehend von Letzteren unterscheiden, dass sie sich nicht auf die drei unten genannten Komponenten beschränken, sondern erweiterte Listen von vier und mehr Komponenten vorlegen. Der wissenschaftliche Realismus wird etwa von Richard Boyd und Howard Sankey mithilfe von vier bzw. sechs Komponenten charakterisiert (vgl. Boyd 1983: 45 & Sankey 2004: 56ff; 2008: 11f; vgl. auch Niiniluoto 1999: 10). Der moralische Realismus erfährt durch Christoph Halbig und Walter Sinnott-Armstrong eine Charakterisierung, die auf vier bzw. fünf Komponenten abhebt (vgl. Halbig 2004: 278f; 2007: 196, 210f & Sinnott-Armstrong 2009: 235).

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Interpretation fest, durch die diese Frage affirmativ beantwortet wird. Wissenschaftliche Aussagen und moralische Urteile müssen demzufolge, ihrer wahrheitsfunktionalen Oberfläche gemäß, als Behauptungen interpretiert werden, die einen propositionalen Gehalt haben, eine Wahrheitsbedingung spezifizieren und dementsprechend auch wahr oder falsch sind. Wissenschaftliche Realisten beziehen sich auf diese Komponente häufig unter dem Titel eines semantischen Realismus, der daran festhält, dass wissenschaftliche Aussagen, selbst wenn sie über das unmittelbar Beobachtbare hinausgehen, eine assertorische Funktion erfüllen. Wissenschaftlicher Diskurs ist folglich insgesamt buchstäblich zu interpretieren – „in a literal fashion as discourse which purports to be about real unobservable entities“58 oder „as having truth-values, whether true or false.“59 Moralische Realisten konzipieren ihre Auffassung dagegen als Variante des sprachanalytischen Kognitivismus, dem zufolge moralische Urteile als Ausdruck wahrheitsfähiger Überzeugungen angesehen werden müssen – „as beliefs, capable of being true or false“60, oder als „truth-apt […] in virtue of possessing propositional content“61. (β) Auf der metaphysischen Ebene bedienen sich wissenschaftliche und moralische Realisten sodann zweitens des Konzepts der Geistesunabhängigkeit, d.h. desjenigen Konzepts, das bereits in Kapitel 2 diskutiert wurde, um den Grundgedanken des alethischen Realismus zu analysieren. Wissenschaftliche Aussagen und moralische Urteile sind demnach nicht allein wahrheitsfähig; vielmehr muss ihre Wahrheit (oder Falschheit) auch genauer im Sinne eines nicht-epistemischen Wahrheitsbegriffs ausgedeutet werden: als alleinige Sache der Realität. Die Wahrheit einer wissenschaftlichen Aussage oder eines moralischen Urteils besteht nach dieser Auslegung also geistesunabhängig, d.h. unabhängig von den – wie auch immer ausgestalteten – epistemischen Standards, anhand derer sie von uns ratifiziert werden.62 Wissenschaftliche Realisten sprechen in diesem Zusammenhang von ihrer Festlegung auf die Annahme einer geistesunabhängigen Welt oder von geistesunabhängigen Entitäten, deren Beschaffenheit von unseren wissenschaftlichen Theorien 58 59 60 61 62

Sankey 2004: 56; vgl. auch Psillos: 1999: xx, 11f Chakravartty 2017: 3; vgl. auch Chakravartty 2007: 9 Shafer-Landau 2003: 17 DeLapp 2013: 24 Es ist zugegebenermaßen fraglich, ob sich ausnahmslos alle Realisten dieser Verknüpfung zwischen Geistesunabhängigkeit und Wahrheitstheorie bewusst sind, da manche von ihnen das Konzept der Geistesunabhängigkeit in einem weiten Sinne gebrauchen (siehe Abschnitt 3.1). Wie wir aber gesehen haben, ist die enge Verwendungsweise nichtsdestotrotz in Wissenschaftstheorie und Metaethik einschlägig: Es finden sich namhafte Autoren in beiden Debatten, die der weiten Verwendungsweise des Begriffs eine klare Absage erteilen und dadurch erkennbar an die Wahrheitstheorie anschließen.

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keinesfalls mitgestaltet, sondern höchstens durch sie entschleiert werden kann. Es geht ihnen mithin um die Vorstellung von einer „already structured and mind-independent world“63 und von „entities […] [that] exist in a mindindependent way“64. Moralische Realisten pflegen dagegen darauf hinauszuwollen, dass die Moral oder die moralische Güte menschlichen Verhaltens geistesunabhängig besteht, d.h. unabhängig von den von uns präferierten normativ-ethischen Ansätzen, mit deren Hilfe wir unser Handeln anleiten und unsere Urteile fällen. Ihnen geht es folglich um die „mind-independence of moral values“65, d.h. um die Vorstellung, dass uns der Umstand, ob eine Handlung richtig oder verwerflich ist, als etwas gegenübertritt, das „unabhängig von uns besteht“ und nicht „von uns geschaffen wird“66. (γ) Auf der epistemologischen Ebene nehmen wissenschaftliche und moralische Realisten schließlich drittens Stellung zu den Erfolgsaussichten unserer Versuche, wissenschaftliche bzw. ethische Erkenntnis auch tatsächlich ausbilden zu können. Die augenscheinliche Gemeinsamkeit, die auf dieser Ebene zutage tritt, besteht darin, dass in beiden Auffassungen eine latent antiskeptische Grundtendenz ausgemacht werden kann, wodurch unser Erkenntnisstreben (in Wissenschaft bzw. normativer Ethik) jedenfalls nicht als prinzipiell vergeblich ausgewiesen wird. Wissenschaftliche Realisten bekennen sich namentlich zu einem epistemischen Optimismus, dem zufolge wir gute Gründe für die Annahme haben, dass unsere modernen Theorien (zumindest approximativ) wahr seien. Das Auffinden der Wahrheit stellt demnach nicht nur ein Ziel der Wissenschaft dar; vielmehr nähert sie sich diesem Ziel auch mit teils beachtlichem Erfolg an und gibt wissenschaftlichen Realisten dadurch Anlass zu der optimistischen Annahme „that we often get close to the truth“67 oder „that it is reasonable, at least occasionally, to believe that science has achieved theoretical truth“68. Moralische Realisten übernehmen demgegenüber eine Erfolgstheorie, die zu implizieren scheint, dass wir (zumindest manchmal) erfolgreich darin sind, moralische Wahrheiten einzusehen. Eine solche Erfolgstheorie beinhaltet zwar zunächst lediglich einen metaphysischen Anti-Nihilismus, dem zufolge es zumindest einige moralische Wahrheiten gibt und nicht alle moralischen Urteile ausnahmslos falsch sind; durch den Begriff des Erfolgs scheint sie aber zudem einen epistemischen Anti-Skeptizismus nachzulegen, der wenigstens einige dieser moralischen 63 64 65 66 67 68

Psillos 1999: xx; vgl. auch Chakravartty 2007: 4, 9, 89; Boyd 1983: 45 Niiniluoto 1999: 26; vgl. auch ebd.: 241; Psillos 1999: 12 & Devitt 1997: 15 DeLapp 2013: 12; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 15 & Kramer 2009: 23ff Schaber 1997: 15; vgl. auch Boyd 1988: 182 Hacking 1983: 21 Psillos 1999: xxi; vgl. auch ebd.: 261, 279; 2009: 5; Chakravartty 2007: 7; Musgrave 1988: 234

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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Wahrheiten innerhalb der Grenzen unseres Erkenntniszugangs verortet. Insgesamt nehmen moralische Realisten damit, genauso wie wissenschaftliche Realisten, „eine grundsätzlich nicht-skeptische Haltung“ ein und verteidigen die Ansicht, „dass es gute Gründe gibt zu glauben, dass wir um die Wahrheit zumindest einiger moralischer Urteile wissen.“69 Es ist nicht zuletzt diese – scheinbar analoge – Einbeziehung der Erkennt­ nistheorie, die einem Realismus, insgesamt betrachtet, eine auffallend ambivalente Form verleiht. Auf der einen Seite nehmen Realisten das Motiv der Bescheidenheit für sich in Anspruch – Bescheidenheit angesichts objektiver Wahrheit. Realisten legen sich darauf fest, dass Wahrheiten womöglich zwar entdeckt werden können, wir aber dennoch unter keinen Umständen dazu in der Lage sind, eine Proposition wahrzumachen. Vielmehr qualifizieren sich allein Tatsachen als Wahrmacher wahrer Propositionen und garantieren dadurch die Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit vom subjektiven Fürwahrhalten (metaphysische These). In diesem Sinne begünstigt, wie bereits in Kapitel  2 herausgestellt wurde, ein Realismus in Erkenntnisangelegenheiten einen Fallibilismus und erweist sich somit als eine philosophische Auffassung, die uns davor bewahrt, epistemisch übermütig zu werden, und uns vielmehr eine bescheidene Haltung im Hinblick auf unser Erkenntnisstreben anrät. Auf der anderen Seite laufen Realisten aber Gefahr, diesem Anspruch nicht gerecht zu werden und ihre Auffassung stattdessen in die Haltung der Anmaßung umschlagen zu lassen – Anmaßung angesichts objektiver Erkenntnis. Denn obwohl Wahrheit von ihnen als geistesunabhängig und evidenztranszendent ausgegeben wird, legen sie sich dennoch darauf fest, dass unsere kognitiven Fähigkeiten für die Erfassung der Wahrheit ausreichen (epistemologische These). In seinem Buch Objectivity and Truth (1992) weist Crispin Wright einflussreich darauf hin, dass eine solche Ambivalenz in der Konzeption eines jeden Realismus ausgemacht werden kann und einen ersten Eindruck von dessen zentralen Kerngedanken vermittelt. Er spricht dabei genauer von einer „reasonable pretheoretical characterisation of realism“, der zufolge ein Realismus als Vereinigung von zwei höchst unterschiedlichen Thesen aufgefasst werden kann – „a fusion of two kinds of thoughts, one kind expressing a certain modesty, the other more presumptuous“70: The modest kind of thought concerns the independence of the external world – for example that the external world exists independently of us, that it is as it is independently of the conceptual vocabulary in terms of which we think about it, and that it is as it is independently of the beliefs about it which we do, will, 69 70

Tarkian 2004: 303; vgl. auch ähnlich Brink 1984: 111f; 1989: 155; Rüther 2013: 45f Wright 1992: 1

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Kapitel 3 or ever would form. […] The presumptuous thought, by contrast, is that, while such fit as there may be between our thought and the world is determined independently of human cognitive activity, we are nevertheless, in favourable circumstances, capable of conceiving the world aright, and, often, of knowing the truth about it.71

Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf Bescheidenheit („modesty“) und der Gefahr der Anmaßung („presumption“) kommt interes­ santerweise sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Metaethik zur Sprache und unterstreicht daher zunächst die oben skizzierten Parallelen zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus, wie sie durch die generische Definition offengelegt werden.72 Allerdings kann diese Ambivalenz auch ein erster Anlass zur Besorgnis sein. Wissenschaftliche und moralische Realisten stehen namentlich im Verdacht, dem zentralen Anliegen, das sie vorgeben zu verfolgen, nicht konsequent nachzukommen und es sogar ins Gegenteil zu verkehren: Sie berufen sich zwar auf das Motiv der Bescheidenheit und versichern nachdrücklich, dass ihr realistisches Verständnis des Wahrheitsbegriffs unsere Aufmerksamkeit auf die Limitation und Fehlbarkeit unserer Erkenntnisfähigkeiten lenkt; gleichzeitig stellen sie aber auch ein erhebliches Selbstvertrauen in diese Fähigkeiten zur Schau, das gerade vor dem Hintergrund ihres nicht-epistemischen Wahrheitsbegriffs und den epistemischen Schwierigkeiten, die damit einhergehen, den Vorwurf der Anmaßung aufkommen lässt. In diesem Sinne stellt sich die skizzierte Ambivalenz des Realismus also als nicht ganz unproblematisch dar, insofern sie nämlich die Frage in den Fokus rückt, ob Realisten tatsächlich gut beraten 71 72

Ebd.: 1f In der Wissenschaftstheorie stellt etwa Psillos explizit heraus, dass der wissenschaftliche Realismus zwischen Bescheidenheit und Anmaßung zu verorten sei und daher von einigen Autoren (fälschlicherweise) für inkonsistent erklärt werde. Dabei hängt er dieses Spannungsverhältnis wie oben an dem Gegensatz zwischen der metaphysischen und der epistemologischen Komponente auf: „The modest claim [of scientific realism] is that there is an independent and largely unobservable-by-means-of-the-senses world that science tries to map. The presumptuous claim is that although this world is independent of human cognitive activity, science succeeds in arriving at a more or less faithful representation of it, that is of knowing the truth (or at least some truth) about it.“ (Psillos 2009: 5) In der Metaethik nimmt Tarkian erkennbar analog eine entsprechende Verortung des moralischen Realismus vor. Auch sie verweist zunächst auf „eine gewisse Bescheidenheit des Realisten“, die mit seiner Postulierung objektiver Tatsachen einhergehe. „Gleichwohl ist es auch ein unbescheidener Wesenszug, der realistische Positionen auszeichnet: […] [U]nter günstigen epistemischen Bedingungen [sind wir] sehr wohl in der Lage, einen angemessenen epistemischen Zugriff auf die objektiven Tatsachen zu haben und zu Wissen über sie zu gelangen.“ (Tarkian 2004: 302; vgl. auch ähnlich Shafer-Landau 2003: 1f)

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sind, sich auf einen epistemischen Antiskeptizismus festzulegen oder ob sie dadurch nicht viel eher ihre genuin realistischen Absichten konterkarieren. Daneben deutet sich in dieser Einbeziehung der Erkenntnistheorie auch eine signifikante Abweichung von der Wahrheitstheorie an. Ein alethischer Realismus wurde ja zuvor als eine Auffassung eingeführt, die dem nichtepistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs Rechnung trägt und demgegenüber Fragen über unseren epistemischen Zugang zur Wahrheit außen vor lässt (siehe Kapitel 2). Wie wir gesehen haben, hat diese Charakterisierung zur Konsequenz, dass ein solcher Realismus als vereinbar mit einem Skeptizismus angesehen werden muss, weil dieser zwar eine erkenntnistheoretische, jener aber lediglich eine wahrheitstheoretische Auffassung ist, die keinerlei Aussagen über unsere Erkenntnismöglichkeiten enthält. Genau diese Vereinbarkeit von Realismus und Skeptizismus scheint allerdings – nach Maßgabe der generischen Definition – für wissenschaftlichen und moralischen Realismus nicht mehr zu gelten. Sie beinhalten eine epistemologische Komponente und sind folglich mit skeptischen Ansätzen ausdrücklich unvereinbar. Zwar ist es durchaus richtig, dass auch alethische Realisten in der Regel keine Skeptiker sind, dass sie es mithin für möglich halten, Realismus und Antiskeptizismus konsistent miteinander vereinbaren zu können. Aber dennoch gehen sie keinesfalls dazu über, einen epistemischen Antiskeptizismus als eine notwendige Bedingung für einen Realismus auszuweisen, sondern bestehen vielmehr darauf, dass sich Skeptiker und Antiskeptiker gleichermaßen zum Realismus bekennen können.73 Diese Allianz zwischen Realismus und Skeptizismus, die in der Wahrheitstheorie namentlich gegen epistemische und konstruktivistische Wahrheitskonzeptionen gebildet wird, ist demgegenüber in Wissenschaftstheorie und Metaethik (jedenfalls scheinbar) gebrochen. Die oben erwähnten Bedenken gegenüber der generischen Definition lassen sich dadurch noch einmal erhärten und die Frage aufkommen, ob sie vor dem Hintergrund dieser Diskrepanz dazu geeignet ist, die wahrheitstheoretisch vermittelten Parallelen zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus offenzulegen. 73

Alston setzt sich beispielsweise mit epistemischen Einwänden gegen den alethischen Realismus auseinander und versucht zu zeigen, dass ein Realismus nicht (wie von Antirealistischen befürchtet) einen Skeptizismus nach sich zieht. Allerdings macht er auch deutlich, dass diese epistemischen Einwände letztendlich am Inhalt einer realistischen Wahrheitskonzeption vorbeiführen und gar nicht gegen sie gerichtet sind: „even if its claims [i.e. the claims of the epistemic objection] are true they have no force against a realist theory of truth; for the theory aims only at saying what truth is – not at providing a way of determining what is true and what is false.“ (Alston 1996: 86f; vgl. auch Goldman 1986: 148)

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Kapitel 3

Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung werden sich diese Irritationen intensivieren und schlussendlich zu substantiellen Disanalogien hinführen, die sich zwischen beiden Positionen auftun und eine Revision der generischen Definition von Realismus erforderlich machen (siehe Kapitel  4). Bevor wir uns dieser Diskussion annehmen, soll im verbleibenden Abschnitt aber nicht unerwähnt bleiben, dass die generische Definition, neben den skizzierten Vorbehalten, auch einige beachtenswerte Vorzüge bereithält, die die Behandlung beider Auffassungen erleichtern und sicherlich nicht zuletzt dazu beitragen, dass sich die generische Definition einer ausnehmenden Popularität erfreut – sowohl in der Wissenschaftstheorie74 als auch in der Metaethik75. Erstens kann man durch die generische Definition mehrere RealismusDebatten, die in unterschiedlichen philosophischen Teildisziplinen geführt werden, zusammenführen. Die generische Definition eignet sich folglich, mit anderen Worten, beispielgebend dazu, eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, wie sie in diesem Kapitel angestrebt wird, in den Blick zu nehmen, da sich das Schema der drei Komponenten sowohl auf die Wissenschaftstheorie als auch auf die Metaethik anschaulich anwenden lässt. In einem Fall hebt ein Realismus darauf ab, dass wir mit wissenschaftlichen Aussagen, Hypothesen und Theorien (α) einen Anspruch auf Wahrheit erheben, dass diese Aussagen (β) allein durch die (natürlichen) Tatsachen der Realität wahrgemacht werden und dass unser Erkenntnisstreben (γ) (zumindest manchmal) diese Wahrheiten erfolgreich approximiert. Im anderen Fall wird ein Realismus analog dadurch konzeptualisiert, dass moralische Urteile, Prinzipien und Ansätze (α) wahrheitsfähig sind, dass solche Urteile (β) allein durch die (moralischen) Tatsachen der Realität wahrgemacht werden und dass uns (γ) (zumindest manchmal) Erfolg darin beschieden wird, moralische Wahrheiten korrekt zu erfassen. Die integrative Darstellung, die durch die generische Definition in Aussicht gestellt wird, ist im Übrigen noch nicht einmal auf Wissenschaftstheorie und Metaethik beschränkt, sondern 74

75

Die skizzierte Aufteilung des wissenschaftlichen Realismus hat in der Literatur beinahe schon einen kanonischen Status (vgl. Psillos 1999: xix; 2005: 385; 2009: 3f; Ladyman 2002: 158f; Chakravartty 2007: 9; 2011: 157; 2017: Abschnitt  1.2; für eine strukturenrealistische Variante siehe Lyre 2012: 382). In der Literatur um den moralischen Realismus ist es gleichfalls üblich, zunächst einen minimalen Realismus, bestehend aus den beiden letztgenannten Komponenten (Kognitivismus und Erfolgstheorie), voranzustellen (vgl. dafür Sayre-McCord 1988: 5, 12f; 1991: 157, 160) und diesen dann anschließend, durch Hinzuziehung der metaphysischen Komponente, zu vervollständigen (vgl. FitzPatrick 2009: 746f; Enoch 2011: 3f; vgl. auch Boyd 1988: 182).

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kann prima facie etwa auch auf einen ästhetischen Realismus ausgedehnt werden – insofern sie einen ästhetischen Realismus nämlich als eine Auffassung vorstellt, die ästhetischen Urteilen über die Schönheit von Kunstwerken zuschreibt, äquivalenten Bedingungen zu (α), (β) und (γ) zu genügen. Diese weiterführende Aufgabe wird in der vorliegenden Arbeit zwar nicht weiter verfolgt; aber der Hinweis verdeutlicht dennoch die grundlegende Attraktivität einer solchen generischen Definition, indem er aufzeigt, wie fruchtbar sie die philosophische Reflektion zu Transferleistungen anregt.76 Obwohl die generische Definition dabei, wie oben diskutiert, über einen alethischen Realismus insofern hinausgeht, als sie eine epistemologische Komponente einbezieht, schaffen es Autoren, die sich ihrer bedienen, eine Einbettung ihrer lokalen Realismus-Debatten in einen globalen Kontext vorzunehmen. Diese Einbettung ist zwar nicht mehr so eindeutig durch die Wahrheitstheorie vermittelt wie die Parallelen, die im letzten Abschnitt besprochen wurden. Nichtsdestotrotz kann aber dieser Vorzug, der sich aus dem generischen Charakter der Definition ergibt, durchaus für die vorgelegte Darstellung geltend gemacht werden: Das Schema der drei Ebenen kann sowohl von Wissenschaftstheoretikern als auch von Metaethikern dazu benutzt werden, um einen entsprechenden Realismus zu charakterisieren und anderen Debatten gegenüber anschlussfähig zu halten. Zweitens eröffnet die generische Definition die Möglichkeit, eine bestimmte Realismus-Debatte nahezu vollständig auszuleuchten. Die generische Definition liefert ja einzeln notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen, die eine Auffassung erfüllen muss, um sich als ein Realismus zu qualifizieren: Eine jede Auffassung, die alle der in der Definition aufgelisteten Thesen akzeptiert, gilt definitorisch als ein entsprechender Realismus und in diesem Sinne werden jene Thesen zusammen als hinreichend ausgewiesen; sie sind darüber hinaus, einzeln betrachtet, insofern notwendig, als es einer jeden Auffassung, die auch nur eine einzige These ablehnt, verwehrt bleibt, zu einem Realismus erhoben zu werden. Vielmehr kann in Bezug auf jede Komponente genau eine Art von Antirealismus identifiziert werden, die die entsprechende realistische These 76

Es geht hier freilich nur um die äquivalente Konzeptualisierung, nicht um die gleichwertige Legitimation dieser Realismen. Obwohl es natürlich prima facie legitim sein mag, sich einen Realismus in all diesen Bereichen zu eigen zu machen, verstößt etwa eine Kombination von wissenschaftlichem Realismus und moralischem (oder ästhetischem) Antirealismus nicht gegen die generische Definition. Vielmehr wird sie ja auch von Vertretern solch gemischter Kombinationen vorausgesetzt. Erst in Kapiteln  5 wenden wir uns der legitimatorischen Frage zu, indem wir zwei positive Argumenttypen auf ihre globale Anwendbarkeit hin prüfen.

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Kapitel 3

ablehnt und dem Realismus allein deshalb bereits insgesamt entgegensteht. Eine Auffassung etwa, die die sprachanalytische und metaphysische These des Realismus übernimmt und lediglich Bedenken hinsichtlich der epistemologischen These anmeldet, gilt demnach bereits eindeutig als ein vollwertiger Antirealismus. Auf diese Weise erlaubt die generische Definition, Realismus und Antirealismus ausgesprochen elegant einander gegenüberzustellen, die Gegenentwürfe zum Realismus danach zu ordnen, auf welcher Ebene sie dem Realismus widersprechen, und so den Horizont der entsprechenden Realismus-Debatten umfänglich abzustecken. Ausgehend von der generischen Definition kann so die gesamte Debatte, die über einen Realismus geführt wird, ausgeleuchtet werden, sodass man die generische Definition auch als eine Orientierungshilfe begreifen kann, mit der man sich in einer bisweilen unübersichtlichen Literatur, sei es zum wissenschaftlichen oder moralischen Realismus, leichter zurechtfinden kann. Dieser Vorzug, der sich aus dem definitorischen Charakter dieser Darstel­ lungsweise ergibt, wird im Folgenden dadurch geklärt, dass die generische Definition genauer anhand dieser antirealistischen Gegenentwürfe, die dem wissenschaftlichen bzw. moralischen Realismus auf der (α) sprachanalytischen, (β) metaphysischen und (γ) epistemologischen Ebene widersprechen, vertieft wird. Dabei kann zwar freilich keine vollständige Würdigung sämtlicher Alternativen zum Realismus vorgenommen werden, sondern lediglich ein schematischer Überblick, der wenigstens die hauptsächlichen Gegner des Realismus benennt; aber dennoch wird sich ein solcher Überblick als eine hilfreiche Illustration erweisen: Zum einen dient diese Diskussion dazu, innerhalb der einen oder anderen Debatte das Verständnis des Realismus zu schärfen, indem man ihn mit seinen einflussreichsten Alternativen kontrastiert. Zum anderen können dadurch auch die Parallelen zwischen beiden Debatten weiter bekräftigt (bzw. problematisiert) werden, indem man wissenschaftliche und moralische Antirealismen einander gegenüberstellt und auf ihre Parallelität hin prüft. *** (α) Die Ablehnung des sprachanalytischen Antirealismus. Wissenschaftliche und moralische Realisten kommen also, wie wir gesehen haben, (α) auf der sprachanalytischen Ebene darin überein, dass sie den ihre jeweilige Bezugs­ disziplin betreffenden Diskurs als wahrheitsfähig ausweisen. Wissenschaftliche Realisten interpretieren wissenschaftliche Aussagen und Theorien als Träger von Wahrheitswerten, d.h. als Behauptungen, mit denen wir den Anspruch erheben, etwas Wahres zu sagen – nicht zuletzt auch über unbeo­ bachtbare Sachverhalte. Moralische Realisten sehen analog moralische Urteile

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und normativ-ethische Ansätze als Träger von Wahrheitswerten an, d.h. als Behauptungen, die wir ebenfalls mit dem Anspruch formulieren, etwas Wahres zu sagen – namentlich über die moralische Güte menschlichen Verhaltens. Diese sprachanalytische These, die sich analog im wissenschaftlichen und moralischen Realismus findet, bildet der generischen Definition zufolge eine Komponente, die für sich genommen freilich noch nicht dafür hinreicht, um einen Realismus zu charakterisieren. Vielmehr kann sich jemand, der einen semantischen Realismus oder einen sprachanalytischen Kognitivismus akzeptiert, unter Umständen als ein entsprechender Antirealist herausstellen – nämlich dann (und nur dann), wenn er dem Realismus anschließend entweder (β) auf der metaphysischen oder (γ) auf der epistemologischen Ebene widerspricht. Nichtsdestotrotz kann die sprachanalytische Komponente allein sehr wohl dazu benutzt werden, um umgekehrt einen sprachanalytischen Antirealismus zu charakterisieren. Da nämlich die generische Definition jede einzelne Komponente zu einer notwendigen Bedingung für einen Realismus erklärt, offenbart sich jemand, der die sprachanalytische Komponente zurückweist, zweifelsfrei als Antirealist. Die Ablehnung des sprachanalytischen Antirealismus gehört somit untrennbar zur Konzeption eines Realismus und stellt deshalb mittelbar ein tieferes Verständnis desselben in Aussicht. Der sprachanalytische Antirealismus, der wissenschaftlichem und moralischem Realismus dabei entgegensteht, umfasst genauer Positionen, die  – in irgendeiner Weise – die skizzierten realistischen Interpretationen wissenschaftlicher bzw. ethischer Diskurse in Zweifel ziehen. Insbesondere geraten dabei Auffassungen in den Fokus, die theoretischen Aussagen und moralischen Urteilen radikal absprechen, überhaupt einen propositionalen Gehalt zu haben und eine Wahrheitsbedingung zu spezifizieren – wie etwa der Instrumentalismus in der Wissenschaftstheorie und der Nonkognitivismus in der Metaethik. Der wissenschaftstheoretische Instrumentalismus, zu dessen klassischen Vertretern Ernst Mach (1883) und Pierre Duhem (1906) gehören,77 besagt dabei im Kern, dass wissenschaftliche Theorien als formale Instrumente oder Werkzeuge angesehen werden müssen, deren Aufgabe sich in der Systematisierung und Koordinierung empirischer Beobachtungen erschöpft. Theorien dienen demnach dazu, aus Beobachtungen überprüfbare Vorhersagen zu generieren, haben darüber hinaus aber keinen zusätzlichen Sinngehalt; vielmehr könne man sie, wie Mach es ausdrückt, lediglich als „mathematische Hülfsmittel gelten lassen“, die in der Wissenschaft „eine ähnliche Function [erfüllen], wie 77

Vgl. für einen modernen Ansatz Rowbottom 2011

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Kapitel 3

gewisse mathematische Hülfsvorstellungen“.78 So ließe sich beispielsweise der heliozentrische Kopernikanismus, der, im Gegensatz zum geozentrischen Ptolemaismus, nicht die Erde, sondern die Sonne als ruhendes Zentrum unseres Planetensystems ansetzt, in ein mathematisches Modell umdeuten, das allein den Charakter eines formalen Werkzeugs hat – eines Werkzeugs, das aus einem Beobachtungsinput (wie astronomischen Anfangsbedingungen) einen Beobachtungsoutput (wie die Stellung der Planeten nach einem bestimmten Zeitintervall) ableitet und die Frage nach seiner buchstäblichen Wahrheit gar nicht erst aufkommen lässt.79 Diese sprachanalytische Umdeutung wissenschaftlicher Theorien ist mit einem semantischen Realismus offensichtlich unvereinbar, da sie gerade in Abrede stellt, dass Theorien wahr oder falsch sein können. Wie Duhem schreibt, könne man Theorien zwar unter dem Gesichtspunkt beurteilen, ob sie geeignet oder ungeeignet dafür sind, die empirischen Phänomene systematisch zu ordnen; sie aber unter der Differenz von wahr und falsch zu betrachten, beruhe letztendlich auf einem Missverständnis ihres Sinngehalts: As for the propositions introduced by a theory, they are neither true nor false, they are only convenient or inconvenient.80

Der metaethische Nonkognitivismus, zu dessen klassischen Vertretern Alfred Ayer (1936), Charles L. Stevenson (1937) und Richard Hare (1952) zählen,81 schlägt einen ähnlichen Weg ein und kann dem Instrumentalismus deshalb als 78 79

80 81

Mach 1883: 463f Eine solche instrumentalistische Umdeutung des Kopernikanischen Weltbildes in ein bloßes kalkulatorisches Hilfsmittel ohne Wirklichkeitsanspruch wurde einflussreich von Andreas Osiander im Vorwort zu De revolutionibus orbium coelestium vertreten (vgl. Duhem 1908: 66; zitiert nach Psillos 1999: 28) – bekanntlich nicht zuletzt deshalb, um einer Kollision von religiösem Dogma und wissenschaftlicher Hypothese vorzubeugen. Diesen ja durchaus unrühmlichen historischen Ursprung des modernen Instrumentalismus legen ihm dem wissenschaftlichen Realismus nahestehende Autoren bis heute oftmals zur Last und nehmen ihn zum Anlass, dem Instrumentalismus im Besonderen und dem wissenschaftlichen Antirealismus im Allgemeinen ein gestörtes Verhältnis zur Wissenschaft selbst nachzusagen (vgl. Albert 1968: 126ff (Fußnote 5) & Musgrave 2018: 60; 1988: 246). Insbesondere führe die Substitution der Suche nach der Wahrheit mit der Suche nach Anwendungserfolgen zu einer „selbstgefälligen Zufriedenheit mit dem Erfolg von Anwendungen“, die der „kritischen Einstellung“ des Wissenschaftlers diametral zuwiderlaufe (Popper 1963: 175); darüber hinaus sei etwa auch die von Antirealisten behauptete Signifikanz der Unterscheidung zwischen Beobachtbarem und Unbeobachtbarem letztendlich nur als eine Form von „Anthropozentrismus“ einordbar (vgl. Smart 1963: 15 & Musgrave 1988: 245). Duhem 1906: 334; vgl. Psillos 1999: 30 Vgl. für einen modernen Ansatz Gibbard 1986

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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Äquivalent gegenübergestellt werden. Er besagt seinerseits, dass moralische Urteile nicht buchstäblich interpretiert werden dürfen als Äußerungen unserer kognitiven Überzeugungen (wie es der Kognitivismus vorschlägt), sondern dass sie als Ausdruck unserer nonkognitiven oder affektiven Einstellungen betrachtet werden müssen. Ihr Sinn erschöpft sich etwa in der Kundgabe von Gefühlen (Emotivismus) oder in der Erteilung von Befehlen (Präskriptivismus), weshalb man sie, in Stevensons Worten, lediglich als „Instrumente“ zu verstehen habe, „die in dem Wechselspiel und der Wiederanpassung menschlicher Einstellungen benutzt werden.“82 Wer beispielsweise das Urteil aufstellt, dass Diebstahl moralisch verwerflich ist, erweckt durch dessen grammatikalische Form zwar den Eindruck, eine indikative Aussage zu formulieren, mit der einer gewissen Handlung (Diebstahl) eine moralische Eigenschaft (Verwerflichkeit) zugeschrieben wird. Dem Nonkognitivismus zufolge täuscht diese grammatikalische Form aber über den wahren Sinn moralischer Urteile hinweg. Tatsächlich geht es beim Urteilen darum, das Gefühl des Abscheus oder der Empörung mitzuteilen, das mit der Äußerung des Urteils einhergeht (Emotivismus), oder darum, die Aufforderung aufzustellen, dem Urteil gemäß zu verfahren (Präskriptivismus). Diese sprachanalytischen Umdeutungen moralischer Urteile haben wiederum zur Folge, dass moralische Urteile – entgegen einer kognitivistischen Interpretation – weder wahr noch falsch sein können. Besonders deutlich geht aus Ayers Darstellung hervor, dass man von der Vorstellung Abstand nehmen müsse, moralische Urteile sinnvoll auf ihre Wahrheit hinterfragen zu können, da sie keinen propositionalen Gehalt haben: Thus if I say to someone, ‚You acted wrongly in stealing that money,‘ I am not stating anything more than if I had simply said, ‚You stole that money.‘ I adding that this action is wrong I am not making any further statement about it. I am simply evincing my moral disapproval of it. […] If now I generalise my previous statement and say, ‚Stealing money is wrong,‘ I produce a sentence which has no factual meaning – that is, expresses no proposition which can be either true or false.83

Wissenschaftliche und moralische Realisten lehnen diese Umdeutungsversuche grundsätzlich ab und untermauern dadurch den aus der generischen Definition gewonnenen Eindruck, dass sie sich auf der sprachanalytischen Ebene auf analoge Feststellungen einlassen. Wissenschaftliche Realisten machen diese Haltung deutlich, indem sie es explizit bevorzugen, wissenschaftliche Theorien als „echte Vermutungen“ zu konzeptualisieren, als „höchst 82 83

Stevenson 1937: 111 Ayer 1936: 30f

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Kapitel 3

informative Mutmaßungen über die Welt“, die mit dem Anspruch formuliert werden, „etwas Wirkliches zu beschreiben“, und dementsprechend auch „wahr sein […] [können].“84 Moralische Realisten setzen sich ebenfalls ausführlich mit dem Nonkognitivismus auseinander und halten ihm entgegen, dass man moralische Urteile, im Sinne des Kognitivismus, als echte Behauptungen begreifen muss, mit denen wir menschliches Verhalten wahrheitsgemäß oder wahrheitswidrig bewerten und in intersubjektive Auseinandersetzungen eintreten, die die typischen Anzeichen kognitiver Tätigkeiten aufweisen: we seem to hold moral beliefs, have moral disagreements, seek evidence for our opinions; we act as if there were something to discover, as if we could be mistaken, as if there is a fact of the matter; and we even talk of moral claims being true or false, and of people knowing the better (even while doing the worse). […] These characteristics of moral discourse are not merely flukes of our language; they reflect the phenomenology of moral experience – a phenomenology that represents obligation as a constraint on, and virtue as giving direction to, our actions independently of what we might happen to desire.85

Zusammenfassend gesagt, liegen wissenschaftlicher und moralischer Realismus damit (α) auf der sprachanalytischen Ebene bemerkenswert parallel, insofern sie erstens Interpretationen von wissenschaftlichen Aussagen und moralischen Urteilen anschieben, die deren wahrheitsfunktionale Oberfläche revisionsfrei zu erhalten suchen, und sie dabei zweitens insbesondere gegen Positionen argumentieren, die die Wahrheitsfähigkeit wissenschaftlicher Aussagen und moralischer Urteile radikal infrage stellen.86 Wissenschaftliche Realisten richten sich gegen einen Instrumentalismus; moralische Realisten positionieren sich gegen einen Nonkognitivismus. Auf diese Weise 84 85 86

Popper 1963: 177ff Sayre-McCord 1988: 9 Es sei darauf hingewiesen, dass in beiden Debatten freilich auch Auffassungen ausgemacht werden können, die einer realistischen Semantik zwar ablehnend gegenüberstehen, dabei jedoch die Wahrheitsfähigkeit theoretischer Aussagen bzw. moralischer Urteile nicht vollends aufgeben. In der Wissenschaftstheorie kann neben dem klassischen Instrumentalismus der reduktive Empirismus identifiziert werden, dem zufolge theoretische Aussagen über unbeobachtbare Entitäten (wie Elektronen) wahr oder falsch sein können, solange man sie in Aussagen über beobachtbare Phänomene (wie Galvanometer) übersetzt (vgl. Carnap 1936; 1956; vgl. für eine kritische Diskussion Psillos 1999: 3f, 40f & Dicken 2016: 36f). In der Metaethik werden neben dem klassischen Nonkognitivismus auch Ansätze wie der sogenannte Quasi-Realismus diskutiert, der daran festhält, dass moralische Urteile wahr oder falsch sein können, die dabei ins Spiel kommenden Wahrheitswerte aber lediglich als Projektionen unserer Gefühle auffasst (vgl. Blackburn 1988: 362f; vgl. für eine kritische Diskussion Halbig 2007: 224ff & Rüther 2013: 171ff).

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kann ihre Parallele auf der sprachanalytischen Ebene also auch negativ über ihre Ablehnung solch antirealistischer Gegenentwürfe verständlich gemacht werden. Wie es sich auf der (β) metaphysischen und (γ) epistemologischen Ebene verhält, gehen wir jetzt an. *** (β) Die Ablehnung des metaphysischen Antirealismus. Die Gemeinsamkeit zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus, die (β) auf der metaphysischen Ebene herausgestellt wurde, besteht ja darin, dass beide Auffassungen das Konzept der Geistesunabhängigkeit benutzen, um dem nichtepistemischen Charakter des Wahrheitsbegriffs Ausdruck zu verleihen. Diese metaphysische Komponente ist der generischen Definition zufolge wiederum nicht hinreichend für einen Realismus. Sie kann aber dafür verwendet werden, um einen metaphysischen Antirealismus näher zu bestimmen. Der metaphysische Antirealismus läuft dabei zunächst in beiden Debatten auf Auffassungen hinaus, die den realistischen Grundgedanken über die Geistesunabhängigkeit wissenschaftlicher bzw. moralischer Wahrheit ableh­ nen. Es sind Auffassungen, die bestreiten, dass die Wahrheit selbst und unser Erkenntniszugriff auf die Wahrheit strikt voneinander zu trennen sind, und stattdessen davon ausgehen, dass Wahrheiten (in Wissenschaft oder Ethik) nicht entdeckt, sondern – in irgendeiner Weise – geschaffen oder konstruiert werden. Wissenschaftliche und moralische Realisten identifizieren demnach gleichermaßen einen Konstruktivismus als die primäre Antithese zu ihrer Position, die häufig, wenngleich nicht immer, die Form eines Relativismus annimmt. Wissenschaftliche Realisten üben Kritik an konstruktivistischen Ansätzen, die die Geistesunabhängigkeit wissenschaftlicher Wahrheiten in Abrede stellen. Die Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit von subjektiven Annah­men, die wissenschaftliche Realisten im Bereich der Wissenschaft dadurch zu garantieren suchen, dass sie (natürliche) Tatsachen der Realität als Wahrmacher wissenschaftlicher Aussagen einführen, weicht in diesen Ansätzen der Vorstellung, dass wissenschaftliche Wahrheiten lediglich geistesabhängig bestehen, d.h. in Abhängigkeit dazu, was in der Wissenschaft für wahr gehalten oder erkannt wird. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben folglich nicht den Charakter von Entdeckungen, sondern nehmen vielmehr die Form von gestalterischen Schöpfungen an, wodurch die Realität selbst zu einem Artefakt unserer Forschungspraktiken deklassiert zu werden droht. In der wissenschaftstheoretischen Literatur identifizieren Realisten einen

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Kapitel 3

Konstruktivismus als einen primären Gegenentwurf zu ihrer Auffassung und grenzen sich dementsprechend deutlich von ihm ab. Psillos etwa erklärt: It is implicit in its metaphysical stance that scientific realism is incompatible with much-in-fashion social constructivism (or constructivist anti-realism).87

Diese kritische Haltung wissenschaftlicher Realisten gegenüber konstruktivistischen Ansätzen erhält daneben in Devitts Darstellung eine besonders eindrückliche Artikulation. Er nennt den Konstruktivismus „the most influential bad idea in philosophy“88 und „a candidate for the most dangerous contemporary intellectual tendency“89: Constructivism has led to a veritable epidemic of ‚worldmaking‘. It attacks the immune system that saves us from silliness.90

Sie wenden sich dabei namentlich gegen eine ganze Reihe von Autoren, deren Einordnung als Anhänger eines wissenschaftlichen Konstruktivismus allerdings aufgrund notorischer Interpretationsprobleme den Gegenstand einer kontroversen Diskussion abgeben kann. Nichtsdestotrotz lassen sich jedenfalls die „üblichen Verdächtigen“91 benennen, deren Ansätze als Kandidaten für einen Konstruktivismus infrage kommen – allen voran die Ansätze Thomas Kuhns und (des späteren) Paul Feyerabends. Kuhn legt diese Lesart durch seine wiederkehrende Bemerkung nahe, dass gesagt werden könne, Wissenschaftler lebten nach wissenschaftlichen Revolutionen in einer anderen Welt.92 Feyerabend zieht die kritische Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Realisten dadurch auf sich, dass er freiheraus bekennt, „die Menschen von der Tyrannei philosophischer Obskuranten und abstrakter Begriffe wie ‚Wahrheit‘, ‚Realität‘ oder ‚Objektivität‘ befreien“ zu wollen.93 Michael Devitt ordnet beide Autoren entsprechend als „radical philosophers of science“94 ein, deren Ansätze man als „profoundly anti-realist“95 anzusehen habe. Die Alternative zum wissenschaftlichen Realismus, die in ihren Schriften ausgemacht werden kann, 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Psillos 1999: 301 Devitt 1997: 236 Ebd.: viii Ebd.: ix Vgl. Sokal & Bricmont 2004: 19 Vgl. Kuhn 1962: 117f, 134 Feyerabend 1994: 246; vgl. auch Feyerabend 1975: 223ff; 1987: 76; vgl. dagegen Devitt 1997: 155 & Niiniluoto 1999: 237 Devitt 1997: 235 Ebd.: 157

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wird dabei von ihm als ein relativistischer Kantianismus oder Konstruktivismus bezeichnet, dem zufolge eine geistesunabhängige Realität niemals den Gegenstand unserer Erkenntnis abgeben könne und deshalb eine Substitution erforderlich sei, durch die die epistemisch unzugängliche Realität durch eine epistemisch erfassbare Konstruktion abgelöst wird: According to this doctrine, all that exists independently of us and our theories are things-in-themselves beyond reach of knowledge or reference. On these we are thought to ‚impose‘ a theory to yield an ontology-relative-to-theory. Theorists make the worlds they live in and study; as theories change, so do worlds […]. […] Constructivists blur the crucial distinction between theories and the world.96

Eine ähnliche Einordnung erfahren in der Literatur daneben Autoren wie Nelson Goodman und Richard Rorty97 sowie Bruno Latour98. Auch ihre Ansätze beförderten die dezidiert antirealistische Idee „that scientific reality is an artefact, created by selective, contextual, and socially situated laboratory practices and negotiations.“99 Moralische Realisten richten sich demgegenüber gegen metaethische Entwürfe, die die Geistesunabhängigkeit moralischer Wahrheiten in Zweifel ziehen. Die Unabhängigkeit der objektiven Wahrheit von subjektiven Meinungen, die moralische Realisten im Bereich der normativen Ethik dadurch sicherstellen, dass sie (moralische) Tatsachen der Realität als Wahrmacher moralischer Urteile identifizieren, wird also in diesen Entwürfen durch Vorstellung abgelöst, dass moralische Wahrheiten geistesabhängig bestehen, d.h. abhängig vom Fürwahrhalten und Erkennen. Moralische Wahrheiten werden also auch hier nicht entdeckt, sondern irgendwie gemacht oder konstruiert. In der metaethischen Literatur kontrastieren Realisten ihre Auffassung ausdrücklich mit einem Konstruktivismus, wie etwa Brink: Constructivism agrees with moral realism that there are moral facts and true moral propositions but disagrees with realism about the nature or status of these moral facts and truths. A constructivist in ethics claims that moral facts or truths are constituted by some function of those beliefs that are our evidence in ethics.100

96 97 98

Ebd.: 299; vgl. auch Hoyningen-Huene 1989: 44 vgl. Devitt 1997: ix; 235f, 241, 299; Niiniluoto 1999: 209f, 272; Boghossian 2006: 39f, 48f vgl. Devitt 1997: 240, 256 (Fußnote 4); Niiniluoto 1999: 269f; Sokal & Bricmont 1998: 96; 2004: 19; Boghossian 2006: 33 99 Niiniluoto 1999: 271 100 Brink 1989: 19f; vgl. auch DeLapp 2013: 15f & Shafer-Landau 2003: 14

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Die Autoren, gegen die sie sich namentlich richten, können in der Metaethik durchaus einfacher identifiziert werden als in der Wissenschaftstheorie, da es sich bei ihnen in der Regel um Philosophen handelt, die ihre Ansätze explizit als konstruktivistisch oder relativistisch ausweisen – wie beispielsweise John Rawls und Gilbert Harman. Harmans Relativismus zeichnet sich dabei genauer durch die These aus, dass die Moral aus denjenigen Vereinbarungen entsteht, die die Menschen, unter realen Bedingungen, miteinander eingehen;101 Rawls‘ Kantianischer Konstruktivismus hebt dagegen darauf ab, dass sie aus denjenigen Übereinkünften konstruiert wird, die Personen, unter idealen Bedingungen, miteinander eingehen würden.102 Dementsprechend wird Harman häufig als ein subjektivistischer Konstruktivist, Rawls dagegen als ein objektivistischer Konstruktivist interpretiert. Eine ähnliche Einordnung erfahren in der Literatur daneben Autoren wie David Wong, Christine Korsgaard und Thomas Scanlon.103 Auch ihre Entwürfe ließen sich demnach unter die entschieden antirealistische Idee subsumieren „that moral reality is constituted by our attitudes, actions, responses, or outlooks of persons, possibly under ideal conditions.“104 Zusammenfassend gesagt, liegen wissenschaftlicher und moralischer Realismus also auch (β) auf der metaphysischen Ebene parallel, insofern sie erstens gleichermaßen die Geistesunabhängigkeit wissenschaftlicher bzw. moralischer Wahrheiten herausstellen und sich dabei zweitens insbesondere 101 Dieser ethische Relativismus wird von Harman bisweilen etwas unverbrämt vorgetragen: „morality derives from an agreement among people of varying powers and resources.“ (Harman 1975: 12) „it makes no sense to ask whether an action is wrong, period, apart from any relation to an agreement.“ (Ebd.: 4) 102 Dieser ethische Konstruktivismus, den Rawls im Anschluss an seine Vertragstheorie aus Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971) ausarbeitet, stellt sich im Vergleich zu Harmans Ausführungen als ein durchaus raffinierterer Entwurf dar. Er knüpft namentlich an den bekannten Gedanken an, dass eine gerechte Gesellschaft durch Grundsätze reguliert wird, auf die sich Personen in ihrem rationalen Eigeninteresse einigen würden, wenn sie sich in einer fairen Ausgangslage befänden (vgl. Rawls 1971: 27f). Wie Rawls in seinem Aufsatz „Kantian Constructivism in Moral Theory“ (1980) darlegt, werden die Gerechtigkeitsgrundsätze, die dabei von den Teilnehmern des Urzustandes ausgewählt werden, nicht als wahr erkannt, sondern lediglich als rational ausgewiesen – „in terms of a suitably constructed social point of view“: „Apart from the procedure of constructing the principles of justice, there are no moral facts.“ (Rawls 1980: 519) Obwohl Rawls dieses Konstruktionsverfahren durchweg für die politische Ethik entwickelt, lässt er durchblicken, dass er es auf die normative Ethik insgesamt für anwendbar hält (vgl. Rawls 1971: 34) und er somit einen vollwertigen moralischen Antirealismus im Sinn hat, dessen Opposition zum moralischen Realismus, und insbesondere zum ethischen Intuitionismus, von ihm auch nachdrücklich herausgestellt wird (vgl. Rawls 1980: 557, 564). 103 Vgl. Shafer-Landau 2003: 39; vgl. auch Brink 1989: 20 104 Shafer-Landau 2003: 14

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vom wissenschaftlichen bzw. ethischen Konstruktivismus abgrenzen. In diesem Sinne kann die Parallele auf der metaphysischen Ebene also auch negativ über ihre Ablehnung dieser skizzierten Gegenentwürfe illustriert werden. Somit bleibt es nur noch übrig, wissenschaftlichen und moralischen Realismus (γ) auf der epistemologischen Ebene einander gegenüberzustellen und die epistemischen Gegenentwürfe in den Blick zu nehmen, gegen die sie sich verteidigen müssen. *** (γ) Die Ablehnung des epistemischen Antirealismus. Die generische Definition von Realismus identifiziert als dessen dritte und letzte Komponente eine antiskeptische Grundtendenz, die unser Erkenntnisstreben im Bereich der Wissenschaft und Ethik grundsätzlich positiv bewertet. Diese epistemische These allein reicht, genauso wie im Fall der beiden anderen Thesen, freilich nicht hin, um einen Realismus vollständig zu charakterisieren, sondern muss durch die beiden anderen Thesen ergänzt werden. Ein Philosoph, der die epistemische Komponente akzeptiert und sich darauf einlässt, dass es wissenschaftliche oder moralische Erkenntnis gibt, kann unter Umständen nichtsdestotrotz ein Antirealist sein – nämlich dann (und nur dann), wenn er entweder (α) die Wahrheitsfähigkeit wissenschaftlicher Aussagen bzw. moralischer Urteile oder (β) die Geistesunabhängigkeit wissenschaftlicher bzw. moralischer Wahrheiten leugnet. Umgekehrt kann die epistemische Komponente allerdings dazu benutzt werden, um einen epistemischen Antirealismus auszuleuchten. Da nämlich die epistemische Komponente für sich betrachtet eine notwendige Bedingung darstellt, ist jede Auffassung, die ihr entgegensteht, bereits ein vollwertiger Antirealismus. Diese Ablehnung eines epistemischen Antirealismus ist damit nach Maßgabe der generischen Definition ein inhärenter Bestandteil der Konzeption eines Realismus und stellt damit in Aussicht, das Verständnis desselben zu schärfen. Der epistemische Antirealismus, mit dem sich wissenschaftliche und moralische Realisten auf dieser Ebene konfrontiert sehen, läuft dementsprechend, sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Metaethik, auf Auffassungen hinaus, die unsere Hoffnungen auf epistemischen Erfolg – in irgendeiner Weise – dämpfen. Im Mittelpunkt der realistischen Kritik steht hier also ein epistemischer Skeptizismus oder Agnostizismus, dem zufolge wissenschaftliche und moralische Wahrheiten unserem Erkenntniszugriff prinzipiell entzogen sind. In der Wissenschaftstheorie kann vor allem Bas van Fraassens konstruktiver Empirismus als Beispiel für einen agnostischen Ansatz herangezogen

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Kapitel 3

werden, der dem wissenschaftlichen Realismus insofern als ein epistemischer Antirealismus entgegentritt, als er – im Gegensatz zum Instrumentalismus und Konstruktivismus – weder sprachanalytisch leugnet, dass theoretische Aussagen buchstäblich wahr oder falsch sind, noch metaphysisch der These widerspricht, dass wissenschaftliche Wahrheiten durch objektive Tatsachen wahrgemacht werden. Vielmehr schließt sich van Fraassen dem wissenschaftlichen Realismus auf beiden Ebenen an und meldet lediglich Zweifel hinsichtlich des epistemischen Optimismus an, der mit einem Realismus einherzugehen pflegt. Dabei stellt van Fraassen insbesondere den Unterschied zwischen einem Instrumentalismus und seinem konstruktiven Empirismus heraus. Konstruktive Empiristen und wissenschaftliche Realisten kommen demnach – sprachanalytisch – darin überein, dass wissenschaftlichen Aussagen propositionale Inhalte zugestanden werden müssen, die buchstäblich wahr oder falsch sein können. Im Gegensatz zu diesen machen jene allerdings Zweifel darüber geltend, ob wir – erkenntnistheoretisch – auch dazu in der Lage sind, die entsprechenden Wahrheiten, nicht zuletzt im Bereich des Unbeobachtbaren, einsehen zu können. Auf diese Weise gelingt es van Fraassen, seinen Ansatz trotz seiner Übernahme einer realistischen Semantik letztendlich als einen Gegenentwurf zum wissenschaftlichen Realismus zu etablieren. Denn aus dem Umstand, dass im Bereich der Wissenschaft Wahrheitsansprüche erhoben werden, folgt nicht, dass diese Ansprüche auch erfolgreich eingelöst werden können: After deciding that the language of science must be literally understood, we can still say that there is no need to believe good theories to be true, nor to believe ipso facto that the entities they postulate are real.105

In diesem Sinne kann man van Fraassens konstruktiven Empirismus also als einen agnostischen Ansatz einordnen. Wissenschaftliche Theorien sind zwar wahrheitsfähig; ob unsere modernen Theorien aber auch wahr sind, kann daraus noch nicht abgeleitet werden. Vielmehr sei es rational, sich eines Urteils darüber zu enthalten und sich damit zu begnügen, Theorien als empirisch adäquat zu akzeptieren. Diese Unterscheidung zwischen der Akzeptanz einer Theorie, d.h. der Annahme ihrer empirischen Adäquatheit im Bereich des Beobachtbaren, und der Überzeugung von einer Theorie, d.h. der Annahme ihrer Wahrheit im Beobachtbaren und Unbeobachtbaren, führt dazu, dass viele Autoren van Fraassen eine „agnostic attitude towards anything unobservable“106 nachsagen und seinen Ansatz insgesamt als einen epistemischen 105 van Fraassen 1980: 11f 106 Chakravartty 2017: Abschnitt 4.1

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Antirealismus einordnen. Entsprechend charakterisiert beispielsweise Psillos den konstruktiven Empirismus als einen epistemischen Antirealismus: Agnostic empiricists take theoretical discourse to be truth-conditioned. But they also note that when it comes to claims that putatively refer to unobservables one can never be in a position to assert that they are true (or likely to be true). Hence, they recommend suspension of judgment.107

In der Metaethik kann man dem konstruktiven Empirismus zumindest prima facie John Mackies Irrtumstheorie als ein äquivalenter Ansatz zuordnen, der dem moralischen Realismus scheinbar analog als ein epistemischer Antirealismus, mithin als ein ethischer Skeptizismus, gegenübergestellt werden kann. Mackies Irrtumstheorie gleicht van Frassens konstruktiven Empirismus dabei dahingehend, dass auch sie – im Gegensatz zum Nonkognitivismus und Konstruktivismus – weder sprachanalytisch bestreitet, dass moralische Urteile wahrheitsfähig sind, noch metaphysisch leugnet, dass moralische Wahrheit nicht-epistemisch verstanden werden muss. Die Irrtumstheorie stellt sich vielmehr als die Antithese zu einer Erfolgstheorie dar, die im Rahmen der generischen Definition als die epistemische Komponente des moralischen Realismus eingeordnet wurde. Ebenso wie van Fraassen den Unterschied zum sprachanalytischen Instrumentalismus hervorhebt, kann auch Mackies Ansatz insbesondere durch die Abgrenzung zum Nonkognitivismus illustriert werden. Irrtumstheoretiker und moralische Realisten kommen demnach – sprachanalytisch – darin überein, dass sie moralische Urteile buchstäblich als wahrheitsfähig interpretieren und nicht dazu übergehen, ihren Sinn umzudeuten. Im Gegensatz zu Realisten weigern sich Irrtumstheoretiker aber einzugestehen, dass wir – erkenntnistheoretisch – dazu in der Lage sind, moralische Wahrheiten zu erfassen. Aus dem Umstand, dass wir im Bereich der normativen Ethik Wahrheitsansprüche erheben, folgt nämlich wiederum nicht, dass wir diese Ansprüche auch erfolgreich einlösen können: The assertion that there are objective values or intrinsically prescriptive entities or features of some kind, which ordinary moral judgments presuppose, is, I hold, not meaningless but false.108 If second order ethics were confined, then, to linguistic and conceptual analysis, it ought to conclude that moral values or at least objective […]. But it is precisely for this reason that linguistic and conceptual analysis is not enough. The claim to objectivity, however ingrained in our language and thought, is not selfvalidating. It can and should be questioned. But the denial of objective values will have to be put forward not as the result of an analytic approach, but as an 107 Psillos 1999: 186; vgl. auch Chakravartty 2007: 11f 108 Mackie 1977: 40

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Kapitel 3 ‚error theory‘, a theory that although most people in making moral judgments implicitly claim, among other things, to be pointing to something objectively prescriptive, these claims are all false.109

In diesem Sinne lässt sich Mackies Irrtumstheorie also als ein skeptischer Ansatz verorten. Moralische Urteile sind ihr zufolge zwar wahrheitswertig;110 sie aber auch als wahr auszuweisen und uns im Besitz ethischer Erkenntnis zu wähnen, ist Mackie zufolge stets zum Scheitern verurteilt. Vielmehr müssen wir uns eingestehen, dass wir jedes Mal, wenn wir ein moralisches Urteil aufstellen, einen Irrtum begehen: Nach Auffassung des Kognitivismus beanspruchen wir mit unseren moralischen Aussagen, wahre Urteile zu fällen. Auch der Vertreter einer Irrtumstheorie […] bestreitet dies nicht – er leugnet lediglich, daß es uns auch gelingt, wahre Urteile zu fällen; wenn wir unterstellen, daß dies der Fall ist, befinden wir uns im Irrtum.111

Vor diesem Hintergrund kann man also auf den Gedanken kommen, dass der konstruktive Empirismus aus der Wissenschaftstheorie und die Irrtumstheorie aus der Metaethik eine ähnliche Strategie verfolgen und dem Realismus auf derselben Ebene widersprechen. Obwohl sie nämlich gleichermaßen das Zugeständnis an wissenschaftliche bzw. moralische Realisten machen, dass der jeweilige Diskurs wahrheitsfunktional interpretiert werden muss, verweigernd sie sich der epistemischen Annahme, dass die von uns erhobenen Wahrheitsansprüche auch eingelöst werden können. Vielmehr werden sie in der Literatur übereinstimmend als epistemische Auffassungen charakterisiert  – namentlich als Agnostizismus bzw. Skeptizismus. Während van Fraassen inso­fern als ein Agnostiker eingeordnet werden kann, als er uns eine Urteilsenthal­tung darüber anrät, ob die modernen Theorien der Wissenschaft (approximativ) wahr sind, verwendet Mackie sogar selbst die Bezeichnung eines ethischen Skeptizismus für seine Position.112 Diese augenscheinliche Ähnlichkeit zwischen beiden antirealistischen Entwürfen wird von manchen Autoren zudem ausdrücklich herausgestellt. So geht etwa Geoffrey Sayre-McCord (1988) dazu über, eine Verbindung zwischen van Fraassens und Mackies Opposition 109 Mackie 1977: 35 110 Die bisweilen vorgetragene Einschätzung, dass Mackie nicht ohne weiteres als Anhänger des Kognitivismus eingeordnet werden könne (vgl. Brink 1989: 18 (Fußnote 6); Hoffmann 2008: 50; Heinrichs 2013: 43f), ist vor diesem Hintergrund nicht überzeugend (siehe Abschnitt 4.2). 111 Halbig 2007: 197; vgl. auch Shafer-Landau 2003: 19f; Rüther 2013: 53; DeLapp 2013: 65f 112 Vgl. Mackie 1977: 16, 18, 35

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zum Realismus zu etablieren, indem er den konstruktiven Empirismus als eine wissenschaftstheoretische Irrtumstheorie konzeptualisiert: What all error theorists [= in metaethics and philosophy of science] recognize is that granting cognitivism to a disputed discourse doesn’t by itself secure the legitimacy for its claims.113

Zusammenfassend kann man also sagen, dass wissenschaftlicher und moralischer Realismus (γ) auf der epistemologischen Ebene insofern parallel zu liegen scheinen, als sie erstens mit einer latent antiskeptischen Haltung einhergehen und zweitens skeptische oder agnostische Positionen als diskussionswürdige Antithesen zu ihrem jeweiligen Realismus ausmachen – namentlich den konstruktiven Empirismus in der Wissenschaftstheorie und eine Irrtumstheorie in der Metaethik. Somit kann auch auf der letzten der drei Ebenen die Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus negativ über die antirealistischen Gegenentwürfe illustriert werden. *** Sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Metaethik kann der Realismus also mithilfe einer generischen Definition charakterisiert werden: Wissenschaftlicher und moralischer Realismus besagen demnach analog, dass (α) wissenschaftliche Aussagen bzw. moralische Urteile wahrheitsfähig sind, dass (β) wissenschaftliche bzw. moralische Wahrheiten geistesunabhängig und damit objektiv bestehen und dass (γ) wissenschaftliche bzw. ethische Erkenntnis zumindest manchmal möglich ist (siehe Tabelle  2). Die Eleganz dieser generischen Definition ergibt sich zum einen daraus, dass sie die beiden Realismus-Debatten, die in Wissenschaftstheorie und Metaethik geführt werden, miteinander in Verbindung bringt und denkbar analog darstellt. Tabelle 2

wissenschaftlicher Realismus

moralischer Realismus

sprachanalytische Ebene

semantischer Realismus

Kognitivismus

metaphysische Ebene

metaphysischer Realismus

Realismus (engerer Sinn)

epistemologische Ebene

epistemischer Optimismus Erfolgstheorie

113 Sayre-McCord 1988: 11

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Kapitel 3

Zum anderen hilft sie uns dabei, uns innerhalb der Debatten zu orientieren, die antirealistischen Gegenentwürfe zu sortieren und die Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus auf diese Weise zu bekräftigen: Wissenschaftlicher und moralischer Realismus richten sich demnach gleichermaßen gegen (α) sprachanalytische, (β) metaphysische und (γ) epistemische Varianten des Antirealismus (siehe Tabelle 3). Tabelle 3

wissenschaftlicher Antirealismus

moralischer Antirealismus

sprachanalytische Ebene

Instrumentalismus

Nonkognitivismus

metaphysische Ebene

wiss. Konstruktivismus

eth. Konstruktivismus

epistemologische Ebene

Konstruktiver Empirismus

Irrtumstheorie

Zieht man abschließend noch einmal insgesamt Bilanz und fasst die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen, dann ergibt sich also das folgende Bild. Man kann eine integrative Darstellung vorlegen, die beide Realismus-Debatten aus ihrem jeweiligen disziplinären Zusammenhang herauslöst und stattdessen in einem interdisziplinären Zusammenhang sichtbar macht. Auf diese Weise lassen sich der wissenschaftliche und der moralische Realismus zueinander ins Verhältnis setzen und als philosophische Auffassungen ausweisen, die nicht allein die Wissenschaftstheorie bzw. die Metaethik etwas angehen. Vielmehr lassen sich in beiden Auffassungen einige genuin realistische Grundüberzeugungen identifizieren, die sich in Wissenschaftstheorie und Metaethik analog ausdifferenzieren und somit die Verwandtschaft von wissenschaftlichem und moralischem Realismus begründen. Das Hauptanliegen dieses Kapitels bestand darin, diese Verbindungen mithilfe der Darlegungen aus den vorherigen Kapiteln aufzudecken, d.h. mithilfe der vorangegangenen Diskussionen über die beiden Subdisziplinen (Kapitel 1) und die Wahrheitstheorie (Kapitel 2). Es wurde dabei insbesondere versucht, den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus als wahrheitstheoretisch auszuweisen. Ein Realismus (in Wissenschaft und Ethik) übernimmt demnach den grundlegenden Gedanken einer realistischen Wahrheitskonzeption. Diese wahrheitstheoretisch vermittelte Verbindung wurde zunächst vertiefend diskutiert und konnte insofern nahegelegt werden, als in den Konzeptionen beider Auffassungen dieselben Aspekte ausgemacht werden konnten, die zuvor schon mit dem alethischen Realismus in Zusammenhang gebracht wurden. Anschließend wurde dieses

Wissenschaftlicher und moralischer Realismus

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Zwischenergebnis jedoch kritisch problematisiert und musste im Lichte der Literatur entscheidend eingeschränkt werden, da wissenschaftliche und moralische Realisten ihr wahrheitstheoretisches Bekenntnis aufzuweichen scheinen und stattdessen vermehrt erkenntnistheoretische Schwerpunkte setzen. Diese in der Literatur festgestellte Tendenz, den Realismus epistemisch zu verkehren, scheint der Analogie zwischen beiden Auffassungen aber keinen Abbruch zu tun, sondern im Gegenteil sogar eher zu vertiefen: Die epistemische Deformation des Realismus, die in der Literatur beobachtet werden kann, wird in beiden Debatten augenscheinlich parallel vollzogen, insofern sich wissenschaftliche und moralische Realisten gleichermaßen dazu verpflichten, einen epistemischen Antiskeptizismus zu verteidigen und folglich skeptische und agnostische Positionen zurückzuweisen. Die zentrale These des vorliegenden Kapitels lautet dementsprechend, dass der wissenschaftliche und der moralische Realismus – auf der Horizontalen – zueinander parallel zu liegen scheinen, dass die Vermittlung dieser Parallelen durch die Wahrheitstheorie jedoch – auf der Vertikalen – notorisch ambivalent ausfällt. Auf der einen Seite gehen wissenschaftliche und moralische Realisten zunächst von einer wahrheitstheoretischen Perspektive aus und ordnen ihre beiden Auffassungen parallel in den Zusammenhang eines realistischen Verständnisses des Wahrheitsbegriffs ein (siehe Abschnitt 3.1). Auf der anderen Seite verbleiben sie aber nicht restlos innerhalb der Grenzen einer solchen Perspektive und nehmen stattdessen eine dezidiert erkenntnistheoretische Erweiterung ihres jeweiligen Realismus vor (siehe Abschnitt 3.2). Diese Ambivalenz zwischen der (zunächst reinen) Anknüpfung an die Wahrheitstheorie und der (hinzukommenden) Einbeziehung der Erkennt­ nistheorie betrifft dabei also vor allem die Frage, ob die Parallelität von wissenschaftlichem und moralischem Realismus primär durch den alethischen Realismus vermittelt wird. Während diese Frage im ersten Abschnitt zunächst affirmativ beantwortet wurde, musste dieses Zwischenergebnis anschließend im zweiten Abschnitt problematisiert werden, weil neben der alethischen nun offenbar auch eine epistemische Dimension Einzug in die Konzeptionen des wissenschaftlichen und moralischen Realismus hält – namentlich in Form der dritten Komponente der generischen Definition von Realismus. Demgegenüber wurde die Frage, ob diese epistemische Erweiterung des Realismus überhaupt parallel vollzogen wird, bisher noch nicht aufgeworfen: Erstens kann jene latent antiskeptische Grundhaltung, wonach unser Erkenntnisstreben (in Wissenschaft und normativer Ethik) grundsätzlich positiv bewertet werden muss, nämlich in beiden Auffassungen ausgemacht werden. Wissenschaftliche Realisten bekennen sich zu einem epistemischen Optimismus, dem zufolge unsere modernen Theorien (zumindest approximativ) wahr

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Kapitel 3

sind; moralische Realisten verteidigen augenscheinlich analog eine Erfolgstheorie, die zu implizieren scheint, dass wir (zumindest manchmal) Erfolg im Ausbilden ethischer Einsichten haben. Zweitens sind auch die antirealistischen Gegenentwürfe, die dem Realismus auf der epistemologischen Ebene gegenübergestellt werden, ähnlich gelagert. Wissenschaftliche und moralische Realisten wenden sich gleichermaßen gegen Ansätze, in denen ihrerseits eine dezidiert skeptische Grundtendenz ausgemacht werden kann. In der Wissenschaftstheorie sehen sich Realisten mit dem konstruktiven Empirismus konfrontiert, der eine agnostische Haltung gegenüber modernen Theorien anrät und vorsieht, dass sie lediglich als empirisch adäquat oder inadäquat bewertet werden, man sich aber eines Urteils darüber zu enthalten habe, ob jene Theorien auch buchstäblich wahr oder falsch sind. In der Metaethik grenzen sich Realisten scheinbar analog von einer Irrtumstheorie ab, die ihrerseits eine skeptische Haltung gegenüber moralischen Urteilen verteidigt und uns das Eigeständnis abverlangt, dass der Wahrheitsanspruch, der mit der Aufstellung moralischer Urteile einhergeht, letztendlich nicht eingelöst werden kann. In diesem Sinne wird die Festlegung auf einen epistemischen Antiskeptizismus in beiden Debatten – jedenfalls scheinbar – parallel vollzogen. Wie wir allerdings im nächsten Kapitel sehen werden, ist diese Einschätzung falsch. Die Deformation des Realismus von einer wahrheitstheoretischen zu einer vornehmlich erkenntnistheoretischen Auffassung wird in beiden Debatten – entgegen dem hier vermittelten Eindruck – gerade nicht parallel vollzogen, sondern nimmt in der Wissenschaftstheorie ein ungleich größeres Ausmaß an als in der Metaethik.

Kapitel 4

Konvergenter und divergenter Realismus Ein Realismus stellt sich, insgesamt betrachtet, als eine philosophische Auffassung dar, in der Überlegungen aus Wahrheits- und Erkenntnistheorie zusammenfließen und miteinander zu verschmelzen scheinen. Wissenschaftliche und moralische Realisten knüpfen zwar insofern an die Wahrheitstheorie an, als sie ein deutliches Bekenntnis zu einer realistischen Wahrheitskonzeption ablegen und sich insbesondere gegen relativistische und konstruktivistische Gegenentwürfe positionieren (Abschnitt  3.1). Gleichzeitig scheinen Anhänger beider Auffassungen jedoch latent über die Wahrheitstheorie hinauszugehen, insofern es sie in die Erkenntnistheorie verschlägt und sie ihren jeweiligen Realismus gegen skeptische und agnostische Ansätze in Stellung bringen (Abschnitt 3.2). In diesem Sinne kann in der Literatur so etwas wie eine epistemische Deformation des Realismus beobachtet werden, d.h. eine sich beinahe unmerklich vollziehende Umformung des Realismus von einer (rein) alethischen zu einer (vornehmlich) epistemischen, von einer wahrheits- zu einer erkenntnistheoretischen Position.1 Diese latente Ausbreitung der Realismus-Debatten, ihr Hineinstreben in das Gebiet der Erkenntnistheorie und die sich daraus ergebene ambivalente Einordnung des Realismus kommen zunächst durchaus als eine Parallele daher, durch die die Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus lediglich um einen weiteren Aspekt ergänzt zu werden scheint. Allerdings wurde diese Entwicklung auch bereits kritisch beleuchtet. Insbesondere wurde im letzten Kapitel darauf hingewiesen, dass der Einbezug epistemischer Fragestellungen dazu führt, dass der Realismus (in beiden Debatten) zu einer auffällig zwiespältigen Auffassung verfremdet wird – zu einer Auffassung, in der ein eigenartiges Spannungsverhältnis angelegt ist. Einerseits machen sich wissenschaftliche und moralische Realisten nämlich das Motiv der Bescheidenheit zu eigen, insofern sie uns Menschen radikal die Befugnis absprechen, wissenschaftliche Aussagen bzw. moralische Urteile eigenmächtig 1 Diese These von der epistemischen Deformation des Realismus konnte im letzten Kapitel ja daran festgemacht werden, dass der Realismus gemäß generischer Definition ausdrücklich über eine epistemische Komponente verfügt und dementsprechend mit vermeintlich epistemischen Varianten des Antirealismus kontrastiert wird. Darüber hinaus sei bereits erwähnt, dass man – zumindest für die Wissenschaftstheorie – auch eine entsprechende historische Entwicklung feststellen kann, in deren Verlauf der epistemische Schwerpunkt des Realismus sukzessiv überhandnimmt (vgl. Goldman 1986: 157; siehe Kapitel 5)

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_006

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Kapitel 4

wahrzumachen; vielmehr werden von ihnen allein Tatsachen als Wahrmacher wahrer Propositionen akzeptiert, sodass die Wahrheit aller Propositionen geistesunabhängig besteht (metaphysische These). Andererseits laufen wissenschaftliche und moralische Realisten allerdings auch Gefahr, dieses Motiv nur mangelhaft umzusetzen und ihre beiden Auffassungen stattdessen dem Vorwurf der Anmaßung preiszugeben; denn obwohl sie anerkennen, dass es besonders schwierig ist, objektive Wahrheiten einzusehen, bewerten sie unsere Aussichten auf (wissenschaftlichen bzw. normativ-ethischen) Erkenntniserfolg nichtsdestotrotz durchweg positiv (epistemologische These).2 Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass die Ambivalenz zwischen Bescheidenheit und Anmaßung, die in der generischen Definition des Realismus angelegt ist, wenigstens parallel vollzogen wird. Wissenschaftliche und moralische Realisten verschaffen sich demnach – so scheint es jedenfalls – die Möglichkeit, ihre beiden Auffassungen als Spezifikationen derselben generischen Idee von Realismus interpretieren zu können, müssten dafür jedoch in Kauf nehmen, dass sich diese Analogie nicht mehr restlos aus dem alethischen Realismus herleiten lässt, dass ein Realismus (in Wissenschaftstheorie und Metaethik) nicht länger unter einer rein wahrheitstheoretischen Perspektive betrachtet werden kann, sondern außerdem mit einer erkenntnistheoretischen Dimension versehen werden muss. In diesem Kapitel werde ich demgegenüber zeigen, dass dieser Eindruck trügt. Die generische Definition, die uns dazu verleitet, die Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus wie skizziert zu ziehen, ist irreführend und sollte korrigiert werden, weil sie über einige substantielle Disanalogien zwischen beiden Auffassungen hinwegtäuscht – Disanalogien, die namentlich mit der epistemischen Deformation zusammenhängen. Die Umformung des Realismus von einer rein wahrheitstheoretischen zu einer erkenntnistheoretischen Auffassung wird in beiden Debatten nämlich nicht gleichermaßen vollzogen. Vielmehr weist die epistemische Deformation des Realismus – aus nicht ganz geklärten Gründen (siehe Kapitel 5) – in der Wissenschaftstheorie ein erheblich größeres Ausmaß als in der Metaethik auf. Der wissenschaftliche Realismus nimmt insbesondere die Form eines konvergenten Realismus an, während der moralische Realismus dagegen als ein (zumindest potentiell) divergenter Realismus aufgefasst wird: – Der wissenschaftliche Realismus kann dabei insofern als ein konvergenter Realismus charakterisiert werden, als er wissenschaftliche Theorien nicht allein zu potentiellen Trägern von objektiver Wahrheit erklärt, sondern 2 Vgl. nochmal Wright 1992: 1f; Psillos 2009: 5 (für die Wissenschaftstheorie); Tarkian 2004: 302 (für die Metaethik)

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ihnen darüber hinaus auch noch zuschreibt, einer historischen Fortschrittsidee zu genügen, der zufolge für moderne Theorien ein immer höheres Maß an Wahrheitsnähe geltend gemacht werden kann. Ein wissenschaftlicher Realismus kann auf diese Weise gar nicht mehr losgelöst von einem epistemischen Optimismus betrachtet werden, sondern zeichnet sich vielmehr im Kern dadurch aus, dass er die optimistische Annahme geltend macht, dass unsere modernen Theorien approximativ wahr sind. In diesem Sinne greift in der Wissenschaftstheorie eine Entwicklung um sich, durch die sich der gesamte Fokus der Debatte massiv verschiebt und der Realismus zu einer Auffassung umgedeutet wird, deren Hauptanliegen ganz erheblich in die Erkenntnistheorie hineinreicht. Der epistemische Optimismus bildet keinen bloßen Randaspekt, dessen Diskussion an der Peripherie der Debatte ausgetragen wird, sondern steht unangefochten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das vorrangige Argumentationsziel, das wissenschaftliche Realisten – ihrem gängigen Selbstverständnis nach zu urteilen – verfolgen, besteht darin, die epistemischen Erfolgsaussichten der Wissenschaft gegen skeptische und agnostische Ansätze sicherzustellen. So stellt Psillos etwa unmissverständlich heraus, dass seine Diskussion des wissenschaftlichen Realismus primär auf eine Verteidigung des mit ihm einhergehenden epistemischen Optimismus hinausläuft: The main aim of this book is to defend the epistemic optimism associated with scientific realism.3

– Der moralische Realismus verbleibt demgegenüber meist im konzeptuellen Rahmen eines potentiell divergenten Realismus, dessen Fokus nicht auf unserem Erkenntniszugang zur Wahrheit, sondern auf der Wahrheit selbst liegt. Moralische Realisten unterscheiden sich von wissenschaftlichen Realisten freilich nicht dahingehend, dass sich jene einen historischen Rückschrittsoder gar Verfallsgedanken zu eigen machten und modernen Moralvorstellungen zuschrieben, sich gegenüber ihren historischen Vorläufern stetig von der Wahrheit zu entfernen. Dennoch kann in der metaethischen Realismus-Konzeption aber insofern das Motiv der Divergenz festgemacht werden, als es Anhängern des moralischen Realismus gerade darum geht, dass die (nicht-epistemische) Wahrheit und der (epistemische) Zugang zur Wahrheit auch im Kontext der normativen Ethik streng auseinandergehalten werden müssen – nicht zuletzt, um der Möglichkeit Rechnung zu 3 Psillos 2009: xiv; vgl. auch Psillos 1999: 70, 279. Damit übereinstimmend spricht Psillos auch von einer „realist epistemology of science“ (ebd.: 78, meine Hervorhebung).

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Kapitel 4

tragen, dass das, was (moralisch) wahr ist, und das, was für (moralisch) wahr gehalten wird, stets voneinander abweichen kann. Die Frage nach unseren Erfolgsaussichten auf Erkenntnis, die sich in der Wissenschaftstheorie ja zum bestimmenden Faktor der entsprechenden Realismus-Debatte entwickelt, nimmt in der Metaethik folglich lediglich die Form einer Zusatzkontroverse an, die sich erkennbar am äußeren Rand der Realismus-Debatte befindet und ihren inhaltlichen Kern allenfalls mittelbar tangiert. Das vorliegende Kapitel zeigt auf, dass (a) die daraus entstehenden Disanalogien in der Literatur nur selten zur Kenntnis genommen werden und dass (b) die Analogie zwischen beiden Auffassungen wiederhergestellt werden kann, wenn man sich – gegen den Widerstand der philosophischen Orthodoxie – dazu durchringt, den Realismus konsequent auf die Wahrheitstheorie zu beschränken und aus der Erkenntnistheorie herauszuhalten. Eine derartige Selbstbeschränkung auf die Wahrheitstheorie, die Philoso­ phen auferlegt werden soll, zielt offensichtlich auf eine Abkehr von Gepflo­ genheiten ab, die sich genauer in der Wissenschaftstheorie herausgebildet haben. Wenn man ein Interesse daran hat, die wechselseitige Anschlussfähigkeit von wissenschaftlichem und moralischem Realismus zu bewahren, dann – so der hier unterbreitete Vorschlag – liegt es nahe, die Parallele zwischen beiden Auffassungen dadurch (wieder-)herzustellen, dass man sich eine alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus zu eigen macht – eine Formulierung, die stärker auf die Verankerung des Realismus in der Wahrheitstheorie achtgibt und eine übertriebene Hinzuziehung der Erkenntnistheorie vermeidet. Eine solche Konzeptualisierung mutet zugegebenermaßen unorthodox an, weil es sich in der Wissenschaftstheorie bereits zur Gewohnheit entwickelt hat, den wissenschaftlichen Realismus epistemisch zu verkehren und mit einem konvergenten Realismus gleichzusetzen. Ich werde aber versuchen dafürzuhalten, dass es tatsächlich das Beste ist, diesen Bruch mit der wissenschaftstheoretischen Orthodoxie zu riskieren. Erstens erscheint dieser Vorschlag nämlich gar nicht mehr so abwegig, wenn man erst einmal ein kritisches Bewusstsein für die epistemische Deformation des (konvergenten) wissenschaftlichen Realismus entwickelt und denselben insbesondere mit dem (divergenten) moralischen Realismus abgeglichen hat. Zweitens gibt es auch in der Wissenschaftstheorie vereinzelte Autoren, die einer solch alternativen Formulierung des wissenschaftlichen Realismus offen gegenüberstehen und auf die man sich folglich berufen kann, um eine Rückbesinnung auf die Wahrheitstheorie zu plausibilisieren. Und drittens muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Reformulierung des wissenschaftlichen Realismus das Potential besitzt, eine längst überfällige Auseinandersetzung in den Fokus zu rücken, die durch die epistemologischen Scherereien um van Fraassens

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konstruktiven Empirismus offenbar überstrahlt wird – namentlich die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichem Relativismus und Konstruktivismus. Im Folgenden werden die angekündigten Disanalogien, anhand derer man den Unterschied zwischen dem konvergenten Realismus aus der Wissenschaftstheorie und dem divergenten Realismus aus der Metaethik deutlich machen kann, nacheinander entwickelt. Es wird sich zeigen, dass alle diese Disanalogien eng miteinander zusammenhängen und allesamt durch eine Rückabwicklung der epistemischen Deformation, mithin durch eine Fokussierung auf den alethischen Kern des Realismus, beseitigt werden können. 4.1

Disanalogie (i): Die Neutralität der zweiten Ordnung

Die erste Disanalogie kann hinsichtlich der Neutralität formuliert werden, die wissenschaftliche und moralische Realisten gegenüber wissenschaftlichen Theorien bzw. normativ-ethischen Ansätzen einnehmen. Diese Disanalogie betrifft den anfangs diskutierten Umstand, dass die Realismus-Debatten in Reflektionsdisziplinen zweiter Ordnung ausgetragen werden und folglich in einem spannungsreichen Verhältnis zu ihren jeweiligen Bezugsdisziplinen erster Ordnung stehen (siehe Kapitel 1). Der moralische Realismus fügt sich in diesen Zusammenhang insofern ein, als er keinen normativ-ethischen Ansatz abgibt, dem es auf der ersten Ordnung darum zu tun ist, bestimmte Handlungen als gut oder schlecht zu beurteilen, sondern eine metaethische Auffassung, die auf der zweiten Ordnung Reflektionen über den Status normativ-ethischer Beurteilungen anstellt. An dieser Verortung des moralischen Realismus ist entscheidend, dass sie denselben als eine Auffassung ausweist, die von normativ-ethischen Ansätzen nicht nur verschieden ist, sondern sich ihnen gegenüber auch dezidiert neutral verhält. Die Wahrheit moralischer Urteile verdankt sich, dem moralischen Realismus zufolge, ihrer Übereinstimmung mit den moralischen Tatsachen der Realität und besteht folglich geistesunabhängig; welche konkreten Urteile aber wahr oder falsch und welche bestimmten Handlungen richtig oder verwerflich sind, ist eine andere Fragestellung, die nicht mehr in den Aufgabenbereich der Metaethik fällt und von moralischen Realisten daher aus ihrer Debatte ausgelagert wird. Aus diesem Grund ist der moralische Realismus beispielsweise (hinsichtlich der allgemeinen Ethik) kompatibel mit einer Deontologie, die den kategorischen Imperativ als höchstes Prinzip der Moral ausweist, wie auch mit einem Utilitarismus, der das Nutzenprinzip anerkennt; er ist (hinsichtlich der angewandten Ethik) vereinbar sowohl mit der Forderung nach Abtreibungserlaubnis als auch mit derjenigen nach einem Abtreibungsverbot,

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Kapitel 4

(hinsichtlich der politischen Ethik) sowohl mit egalitaristischen als auch mit liberalistischen Ideen zur Verteilungsgerechtigkeit. Natürlich beziehen moralische Realisten bisweilen Stellung in diesen normativ-ethischen Debatten und bekennen sich etwa zu einer Deontologie oder zu einem Utilitarismus.4 Aber erstens gibt es unter Realisten keine einheitliche Haltung in diesen Fragen, sondern ein breites Meinungsspektrum. Und zweitens treten diese Positionen ausdrücklich zum Realismus hinzu und werden nicht als inhärente Bestandteile desselben verstanden. Der moralische Realismus gehört in die Metaethik und nimmt deshalb gegenüber all diesen moralischen Urteilen, die den Gegenstand der normativen Ethik ausmachen, eine neutrale Haltung ein.5 Der wissenschaftliche Realismus wird in der Wissenschaftstheorie dagegen in einer Weise konzeptualisiert, die sich dezidiert nicht neutral gegenüber vorgeordneten wissenschaftlichen Theorien verhält. Auch der wissenschaftliche Realismus tritt freilich nicht als eine wissenschaftliche Theorie erster Ordnung in Erscheinung, die in direkter Konkurrenz zu anderen Theorien steht, sondern wird als eine wissenschaftstheoretische Auffassung zweiter Ordnung verstanden, die philosophisch über den Status wissenschaftlicher Theoriebildung reflektiert. Diese Verortung ändert aber nichts daran, dass das Bekenntnis zu einem wissenschaftlichen Realismus – nach Maßgabe der gängigen Darstellungen – weitreichende Implikationen darüber enthält, welche wissenschaftlichen Theorien man auf der ersten Ordnung zu akzeptieren habe. Wissenschaftliche Realisten legen sich darauf fest, dass unsere modernen Theorien, d.h. die Theorien, die heutzutage in der Wissenschaft vorherrschen, approximativ wahr sind und dass die durch sie postulierten Entitäten existieren; sie glauben an Elektronen, nicht aber an Phlogiston. Sie 4 Diese Vereinbarkeit von metaethischen Auffassungen mit diversen normativ-ethischen Ansätzen sticht besonders deutlich im Kontext des ethischen Intuitionismus ins Auge, der ja eine epistemische Variante des (robusten) moralischen Realismus ist. Unter klassischen Intuitionisten gibt es namentlich eine ausgewogene Verteilung von Deontologen und Teleologen (oder genauer Utilitaristen): Prichard (1912) und Ross (1930) vertreten bekanntlich eine deontologische, Moore (1903) und Sidgwick (1907) dagegen eine teleologische Variante des Intuitionismus (vgl. Heinrichs 2013: 222f). 5 Es sei an dieser Stelle allerdings erwähnt, dass es in der Literatur durchaus kontrovers ist, ob die Metaethik als vollständig neutral gegenüber der normativen Ethik angesehen werden sollte. Insbesondere schlägt David Enoch ein Argument für den moralischen Realismus vor – das Argument aus den moralischen Implikationen –, das den moralischen Realismus unter Verweis auf die unplausiblen Implikationen erster Ordnung stützt, die antiobjektivistische Alternativen zum Realismus nach sich ziehen (vgl. Enoch 2011: 16). Enoch schließt sich dadurch einer Tradition an, die die Metaethik nicht als umfänglich neutral ansieht (ebd.: 41f). Nichtdestotrotz denke ich, dass die spezielle Neutralität, von der oben die Rede ist, in der Literatur unbestritten ist.

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halten Krümmungen der Raumzeit für real, glauben aber nicht an die Existenz des Planeten Vulkan. Und sie machen sich evolutionistische Konzepte, wie dasjenige der natürlichen Auslese, zu eigen, lehnen aber kreationistische Alternativen, wie diejenige des intelligenten Designs, ab. Obwohl all diese Fragen über die Gültigkeit des Standardmodells der Teilchenphysik, der Allgemeinen Relativitätstheorie oder der Evolutionstheorie der Sache nach nicht in die Philosophie, sondern in die einzelnen Wissenschaften gehören, treffen wissenschaftliche Realisten eine dezidierte Auswahl, welche Theorien sie qua Realismus für wahr und welche sie für falsch halten.6 In diesem Sinne weisen sie ihren wissenschaftstheoretischen Standpunkt gerade nicht als neutral gegenüber wissenschaftlichen Theorien aus und etablieren dadurch die erste Disanalogie zum moralischen Realismus. – Disanalogie (i): Der wissenschaftliche Realismus verhält sich wissenschaftlichen Theorien gegenüber nicht neutral; der moralische Realismus gegenüber normativ-ethischen Ansätzen dagegen schon. Man kann natürlich einwenden, dass diese disanaloge Haltung nicht besonders verwunderlich daherkommt und dass insbesondere die Festlegungen wissenschaftlicher Realisten im Einzelnen hochgradig plausibel anmuten. In der Wissenschaft gibt es immerhin einen Konsens zugunsten etablierter Theorien – einen Konsens, der sich aus einem langanhaltenden Prozess rigoroser Kritik herauszubilden pflegt und den entsprechenden Theorien daher nicht bloß den Status willkürlicher Dogmen, sondern bewährter Hypothesen zu verleihen vermag. Dieser Konsens geht bisweilen so weit, dass diskussionswürdige Alternativen zur Oxidations- oder Evolutionstheorie innerhalb der Wissenschaft gar nicht mehr ausgemacht werden können. Die Phlogiston-Theorie oder der Kreationismus werden schließlich von keinem lebenden Wissenschaftler ernsthaft für vertretbar gehalten. In der normativen Ethik sehen sich Ansätze dagegen einer ungleich kontroverseren Diskussion ausgesetzt. Hier gibt es 6 Diese Nicht-Neutralität des wissenschaftlichen Realismus nimmt in der Literatur bisweilen radikale Ausmaße an. So macht etwa Anjan Chakravartty eine Modifikation des wissenschaftlichen Realismus geltend, der zufolge nicht allein ganze Theorien, sondern sogar einzelne Teile von Theorien als Gegenstände der philosophischen Beurteilung herzuhalten haben: „Not all aspects of scientific theories are to be believed. […] Only some aspects of theories are likely to be retained as the sciences march on […]. The primary motivation for modification to realism simpliciter is to pick out, from among the numerous claims embedded in theories, the ones that are most epistemically secure and thus likely to survive over time.“ (Chakravartty 2007: 29) Es ist demnach nicht allein die Aufgabe von Philosophen, darüber zu befinden, welche Theorien als approximativ wahr zu gelten haben, sondern auch diejenigen Aspekte der Theorien zu identifizieren, die am wahrscheinlichsten eine zukünftige wissenschaftliche Revolution überdauern würden, was einer weiteren Verschärfung der Disanalogie zum moralischen Realismus gleichkommt.

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Kapitel 4

keinen Konsens zugunsten des kategorischen Imperativs oder unanfechtbare Argumente für ein Abtreibungsverbot. Vor diesem Hintergrund mag es fraglich erscheinen, ob überhaupt ein Klärungsbedarf besteht, d.h. ob Anhänger der generischen Definition es wirklich versäumen, einer substantiellen Disanalogie Rechnung zu tragen, an der sich wissenschaftliche und moralische Realisten scheiden. Stattdessen kann man den Einwand erheben, dass diese disanalogen Haltungen, die Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker hinsichtlich ihrer vorgeordneten Bezugsdisziplinen an den Tag legen, lediglich das unterschiedliche Maß an Einigkeit reflektieren, das in der Wissenschaft und der normativen Ethik vorherrscht. Wenn es demnach unter normativen Ethikern größere Einigkeit gäbe, dann würden moralische Realisten ihre Neutralität vermutlich ebenfalls aufgeben, ihre Auffassung an den wissenschaftlichen Realismus wieder angleichen und auf diese Weise dafür sorgen, dass Vorbehalte gegen die generische Definition des Realismus ausgeräumt wären. Erstens muss man sich aber klarmachen, dass man durch diesen Einwand die disanaloge Haltung lediglich plausibilisieren, nicht jedoch annihilieren kann. Man kann dadurch lediglich verständlich machen, weshalb es wissenschaftliche Realisten bevorzugen, ihre Position in einer Weise zu konzeptualisieren, die von dem abweicht, was moralischen Realisten vorschwebt. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Realismus in beiden Fachgebieten unterschiedlich konzeptualisiert wird: Wodurch sich die Disanalogie manifestiert, ist der Umstand, dass die Festlegungen auf Theorien oder Ansätze erster Ordnung einmal als Teil der Realismus-Konzeption selbst begriffen werden (wissenschaftlicher Realismus) und einmal die Form von optionalen Zusatzpositionierungen annehmen (moralischer Realismus). Selbst wenn man also akzeptiert, dass hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien größere Einigkeit herrscht als hinsichtlich normativ-ethischer Ansätze, bleiben die Disanalogie und das Problem, das sie für die generische Definition darstellt, bestehen. Zweitens sei erwähnt, dass man durchaus Zweifel darüber anmelden kann, ob der Konsens unter Wissenschaftlern wirklich derart vom Konsens unter normativen Ethikern verschieden ist, dass er für die Disanalogie aufkommen kann. Es stimmt zwar, dass die diskutierten Festlegungen wissenschaftlicher Realisten, durch die sie ihre philosophische Auffassung mit einer nicht-neutralen Haltung gegenüber wissenschaftlichen Theorien verbinden, hochgradig plausibel anmuten und deshalb kaum der Rede wert zu sein scheinen. Kein moderner Wissenschaftler hält schließlich Phlogiston für real. Aber dasselbe kann auch von einigen moralischen Urteilen behauptet werden. Kein moderner Ethiker hält etwa die Sklaverei für moralisch legitim; und dennoch beharren moralische Realisten darauf, diese Fragen erster Ordnung strikt von ihrem realistischen Anliegen zweiter Ordnung abzugrenzen. Vor diesem Hintergrund kann

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man die Disanalogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus also nicht ohne Weiteres herunterspielen oder gar abstreiten – erst recht nicht, wenn man bedenkt, wie persistent sie sich durch die Literatur zieht. Vielmehr muss man anerkennen, dass wissenschaftliche und moralische Realisten ihre beiden Auffassungen unterschiedlich konzeptualisieren und dass dieser Umstand prima facie ein Problem für die generische Definition darstellt, da sich diese Disanalogie in ihr nicht erkennbar niederschlägt und von ihr sogar verdeckt zu werden scheint. Die Standardformulieren von wissenschaftlichem und moralischem Realismus weichen also offensichtlich voneinander ab: Während in der Metaethik der moralische Realismus unmissverständlich als neutral konzeptualisiert wird, dominiert in der Wissenschaftstheorie weitgehend unangefochten die nicht-neutrale Konzeptualisierung des wissenschaftlichen Realismus. Wenn man folglich an der Einheit des Realismus festhalten will, d.h. an der Vorstellung, dass wissenschaftliche und moralische Realisten denselben grundlegenden Gedanken (wie etwa denjenigen des alethischen Realismus) lediglich für unterschiedliche Bereiche spezifizieren, dann muss man nach alternativen Formulierungen Ausschau halten, durch die sich entweder der moralische an den wissenschaftlichen Realismus (Nicht-Neutralität) oder der wissenschaftliche an den moralischen Realismus (Neutralität) angleichen lässt. Es erscheint dabei vielversprechend, die zweite Alternative zu verfolgen und dementsprechend die Parallele zwischen beiden Auffassungen dadurch wiederherzustellen, dass man die Nicht-Neutralität des wissenschaftlichen Realismus kritisch hinterfragt: Zum einen finden sich in der Literatur nämlich einige Autoren, die eine derartige alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus vorschlagen und an deren Vorarbeiten man somit anknüpfen kann, um die Disanalogie zum moralischen Realismus zu beseitigen. Zum anderen lässt sich auch ein zentrales Problem identifizieren, das mit der nichtneutralen Konzeptualisierung des wissenschaftlichen Realismus einhergeht und gegen dieselbe spricht: Man handelt sich dadurch nämlich eine seltsame Vermischung von philosophischen und wissenschaftlichen Fragestellungen ein, die der Verortung des wissenschaftlichen Realismus als einer wissenschaftstheoretischen Auffassung zweiter Ordnung latent entgegensteht und Wissenschaftstheoretiker dazu verleitet, zu inhaltlichen Fragen, die der Sache nach in die Einzelwissenschaften gehören, Stellung zu nehmen und folglich ihre Fachkompetenz zu überschreiten. So lässt beispielsweise Bas van Fraassen in dem dialogisch verfassten Artikel „What is Scientific Realism?“ (2018), in welchem ein Streitgespräch zwischen ihm und Anjan Chakravartty festgehalten ist, durchblicken, dass er die in der Literatur übliche Konzeptualisierung des wissenschaftlichen Realismus für

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kritikwürdig hält. Im Fokus von van Fraassens Kritik steht dabei namentlich die erwähnte Vermischung von philosophischen und wissenschaftlichen Themen, die in der Konzeption des wissenschaftlichen Realismus vollzogen wird, mithin das Verhältnis des wissenschaftlichen Realismus zu konkreten wissenschaftlichen Theorien. Wissenschaftliche Realisten nehmen van Fraassen zufolge mittels ihrer philosophischen Position Stellung in wissenschaftlichen Debatten, indem sie ein Bekenntnis zu modernen Theorien – wie etwa der Bohrschen Atomtheorie – ablegen und ausdrücklich als inhärenten Teil ihres Realismus ausweisen: Wer nicht davon überzeugt ist, dass die Bohrsche Atomtheorie wenigstens approximativ wahr ist, kann sich nach dieser üblichen Konzeptualisierung nicht als ein wissenschaftlicher Realist qualifizieren. Diese Vermischung einer philosophischen Debatte (über den wissenschaftlichen Realismus) mit einer wissenschaftlichen Debatte (über die Atomtheorie), die in der Literatur typischerweise stattfindet, bewegt van Fraassen dazu, wissenschaftlichen Realisten zu attestieren, ihre Auffassung in einer Weise darzustellen, die ernsthafte Verwirrung stiftet: I find this very puzzling […]. Is it appropriate for a philosophical position to include answers to the sort of questions that scientists investigate? […] Could such a belief [in a specific scientific theory] really be a matter of philosophical debate, or of metaphysical argument?7

Van Fraassens Antwort auf die Frage, ob es Aufgabe der Philosophie sein könne, über Wahrheit oder Falschheit einer konkreten Theorie zu entscheiden, fällt eindeutig aus: Es sei gerade nicht Aufgabe der Philosophie, derartige Überlegungen anzustellen, die in den Aufgabenbereich der Wissenschaft fallen. Vielmehr müsse es Wissenschaftlern selbst überlassen werden, Theorien und Hypothesen der Kritik zu unterziehen und in Anbetracht der gesammelten Evidenz entweder als gesichert anzusehen oder ggf. zu verwerfen. Philosophen sollten sich demgegenüber aus diesen Diskussionen heraushalten und sich nicht die Expertise anmaßen, in diesen Prozess eingreifen und substantielle Beiträge auf der ersten Ordnung leisten zu können. Genau dieser Anmaßung machen sich, van Fraassen zufolge, wissenschaftliche Realisten aber schuldig, insofern sie Fragen nach der approximativen Wahrheit dieser oder jener Theorie nachgehen. Dadurch überschreiten sie eindeutig ihre Fachkompetenz und offenbaren ein verfehltes Selbstverständnis hinsichtlich ihrer Rolle als Philosophen:

7 Chakravartty & van Fraassen 2018: 12f

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I suspect quite strongly that the typical scientific realist self-image is confused.8

Die alternative Konzeptualisierung, für die van Fraassen stattdessen plädiert, hat zum Ziel, dieser latenten Anmaßung ein Ende zu machen. Der wissenschaftliche Realismus sollte demnach als eine rein philosophische Auffassung begriffen werden, die sich aus wissenschaftlichen Fragestellungen konsequent heraushält. Genauer geht van Fraassen davon aus, dass der wissenschaftliche Realismus Wahrheit zwar als das genuine Ziel wissenschaftlicher Forschung ausgeben mag,9 jedoch nicht darüber spekulieren sollte, ob dieses Ziel im Einzelnen auch erreicht wird und wir uns folglich – einem optimistischen Fortschrittgedanken gemäß – nach und nach darauf zubewegen: Could someone be a scientific realist and not have such beliefs to the effect that certain unobservable entities are real, or that certain theories […] are actually true? The answer is yes, on my understanding of scientific realism as the view that the aim, the criterion of success in science is to arrive at true theories, rather than merely empirically adequate ones. This has no implication for whether that criterion is met in any particular case, or whether even our best theories today are successful by that criterion.10

Drei Bemerkungen sind angezeigt. (1) Dieser Vorschlag läuft offensichtlich auf eine Exklusion des epistemischen Optimismus hinaus, dem zufolge wir gute Gründe für die Annahme haben, dass unsere modernen Theorien approximativ wahr sind. Dieser epistemische Optimismus kann van Fraassen zufolge dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich der wissenschaftliche Realismus gegenüber wissenschaftlichen Theorien nicht neutral verhält. Wenn wissenschaftliche Realisten demgegenüber davon Abstand nähmen, die epistemischen Erfolgsaussichten wissenschaftlicher Forschung bemessen zu können, und sich stattdessen darauf konzentrierten, das Auffinden der Wahrheit zum Ziel wissenschaftlicher Forschung zu erklären, dann würden sie damit auch sicherstellen, dass mit ihrer Auffassung eine neutrale Haltung bezüglich konkreter Theorien einherginge. Auf diese Weise versucht van Fraassen gegen die skizzierte Vermischung von philosophischen und wissenschaftlichen Themen zu plädieren und macht sich stattdessen für eine alternative Formulierung des wissenschaftlichen 8 9

10

Ebd.: 17 Van Fraassen argumentiert hier freilich nicht für den wissenschaftlichen Realismus, sondern nur dafür, den wissenschaftlichen Realismus so aufzufassen, dass er Wahrheit zum zentralen Ziel wissenschaftlicher Forschung erklärt. Die realistische Behauptung selbst lehnt er bekanntlich ab (siehe unten). Ebd.: 17

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Kapitel 4

Realismus stark als einer rein philosophischen Auffassung, die sich aus wissenschaftlichen Fragestellungen erster Ordnung vollständig heraushält: Der wissenschaftliche Realismus ist dann im Endergebnis lediglich eine Auffassung über Wahrheit, nicht aber über unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit – er beinhaltet keine epistemologische These mehr. Somit haben wir hier also einen Gegenvorschlag zur populären Standarddarstellung vor uns, der exakt darauf abzielt, die epistemische Deformation des Realismus rückgängig zu machen und den wissenschaftlichen Realismus nicht länger auf einen konvergenten Realismus zu verengen. Der wissenschaftliche Realismus würde dann zwar wie bisher (α) die sprachanalytische These beinhalten, dass wissenschaftliche Theorien grundsätzlich wahrheitsfähig sind, genauso wie (β) die metaphysische These, dass wissenschaftliche Wahrheiten (im engen wahrheitstheoretischen Sinne) geistesunabhängig bestehen; demgegenüber würde er aber (γ) keine epistemologische These darüber implizieren, dass wir berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass die wissenschaftliche Wahrheitssuche erfolgreich verläuft, sondern lediglich (δ) eine axiologische These darüber, dass die (objektive, realistisch ausgedeutete) Wahrheit das zentrale Ziel wissenschaftlicher Forschung abgibt – oder jedenfalls abgeben sollte.11 Der wissenschaftliche Realismus erhielte auf diese Weise die Form eines (zumindest potentiell) divergenten Realismus, dessen zentrales Motiv darin besteht, die objektive Wahrheit und das subjektive Fürwahrhalten streng auseinanderzuhalten, konzeptuell voneinander abzugrenzen und somit der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass alles, was von einem einzelnen Wissenschaftler oder der wissenschaftlichen Gemeinschaft insgesamt für wahr gehalten wird, nichtsdestotrotz falsch sein und sich als (wissenschaftlicher) Irrtum herausstellen kann. (2) Es sei erwähnt, dass van Fraassen selbst keinerlei Anstalten macht, den Vergleich zum moralischen Realismus zu ziehen. Das erklärte Ziel seines 11

Die Darstellung des wissenschaftlichen Realismus mithilfe einer derartigen axiologischen, anstelle der sonst üblichen epistemologischen Komponente deckt sich im Übrigen damit, wie Alston den alethischen Realismus charakterisiert, und steht deshalb, wie mir scheint, im Einklang mit der hier aufgestellten Forderung nach einer Rückbesinnung auf die Wahrheitstheorie. Der alethische Realismus beinhaltet dabei, Alstons Darlegungen zufolge, neben einer realistischen Wahrheitskonzeption auch eine axiologische These darüber, dass Wahrheit als das Ziel unserer epistemischen Bemühungen herhält: „Truth is important. It is often a matter of considerable import whether a particular bearer of truth value is true or false.“ (Alston 1996: 1; siehe auch ebd.: 231, 235f) Auch wenn van Fraassen seinen Gegenvorschlag somit nicht ausdrücklich mit einem Bekenntnis versieht, dass der wissenschaftliche Realismus wieder in die Wahrheitstheorie verortet werden sollte, lässt sich diese Verbindung zur Wahrheitstheorie durch seine Ausführungen doch denkbar unkompliziert herstellen.

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Konvergenter und divergenter Realismus

alternativen Verständnisses des wissenschaftlichen Realismus besteht nicht darin, die Analogie zum moralischen Realismus wiederherzustellen, und eine solche Programmatik soll ihm hier nicht fälschlicherweise unterstellt werden. Nichtsdestotrotz eignet sich sein Ansatz aber zweifellos für ein solch integratives Projekt und kann dahingehend weiterentwickelt werden. Da man van Fraassens Analyse zufolge nämlich den epistemischen Optimismus dafür verantwortlich machen muss, dass sich der wissenschaftliche Realismus nicht neutral gegenüber vorgeordneten wissenschaftlichen Theorien verhält, führt eine Exklusion des Optimismus nicht nur dazu, dass der wissenschaftliche Realismus eine neutrale Haltung zu wissenschaftlichen Debatten annimmt. Vielmehr ebnet sie auch einer Wiederherstellung der Analogie zum moralischen Realismus den Weg, insofern die oben aufgestellte Disanalogie zwischen beiden Auffassungen dann schlicht keinen Bestand mehr hat: Sowohl der wissenschaftliche als auch der moralische Realismus würden dann eine neutrale Haltung gegenüber ihren jeweils vorgeordneten Bezugsdisziplinen einnehmen; beiden Auffassungen würde man die Gestalt eines potentiell divergenten Realismus geben, dem ein optimistisches Konvergenzdenken grundsätzlich abgeht. Aus diesem Grund vermag man das Potential von van Fraassens Ansatzes womöglich erst dann vollumfänglich zu würdigen, wenn man sich klargemacht hat, dass er die Einheit der verschieden RealismusDebatten befördert. Man kann sich natürlich fragen, ob zur Wiederherstellung der Analogie nicht noch etwas mehr als die alternative Konzeptualisierung des wissenschaftlichen Realismus vonnöten ist, ob man namentlich nicht auch noch zusätzlich eine alternative Konzeptualisierung des moralischen Realismus vorlegen müsste. Die Exklusion des epistemischen Optimismus hinterlässt nämlich insofern eine Lücke, als der metaethischen Erfolgstheorie kein wissenschaftstheoretisches Äquivalent mehr zugewiesen werden kann (siehe Tabelle 4). Tabelle 4

wissenschaftlicher Realismus

moralischer Realismus

sprachanalytisch

semantischer Realismus

Kognitivismus

metaphysisch

metaphysischer Realismus

Realismus

epistemologisch

---

Erfolgstheorie

Optimismus und Erfolgstheorie werden ja in der generischen Definition gleichermaßen als epistemische Komponente des jeweiligen Realismus

142

Kapitel 4

eingeordnet, sodass die Exklusion des Optimismus aus der Konzeption des wissenschaftlichen Realismus – zumindest nach Maßgabe der generischen Definition – eine äquivalente Exklusion der Erfolgstheorie aus der Konzeption des moralischen Realismus erforderlich zu machen scheint. Wenn wissenschaftliche Realisten keine Optimisten mehr sein müssen, dann sollte es auch nicht länger als eine notwendige Bedingung für den moralischen Realismus betrachtet werden, eine Erfolgstheorie zu akzeptieren. Der moralische Realismus würde demnach weiterhin (α) eine sprachanalytische These darüber enthalten, dass moralische Urteile prinzipiell wahrheitsfähige Behauptungen sind, sowie (β) eine metaphysische These darüber, dass moralische Wahrheiten (im engen wahrheitstheoretischen Sinne) geistesunabhängig bestehen. Statt (γ) einer epistemologischen These darüber, dass wir zumindest manchmal erfolgreich darin sind, ethische Erkenntnis korrekt auszubinden, müsste man dem moralischen Realismus jedoch eigentlich nur noch (δ) eine axiologische These darüber zuschreiben, dass die (objektive, realistisch ausgedeutete) Wahrheit das Ziel ethischer Diskussionen darstellt – oder wenigstens darstellen sollte. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob eine derartige Konzeptualisierung, die dem moralischen Realismus gar keine epistemologische, sondern lediglich eine axiologische These zukommen lässt, tatsächlich eine Alternative zu dem darstellt, was in der metaethischen Literatur üblicherweise unter einem Realismus verstanden wird. Der moralische Realismus weist nämlich ohnehin gar nicht die Form eines konvergenten Realismus auf, sondern wird von Vornherein als ein potentiell divergenter Realismus konzipiert, der ausdrücklich darauf ausgerichtet ist, der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass alles, wovon wir uns in Fragen der Moral überzeugen oder worauf wir uns gemeinsam einigen mögen, falsch sein und sich als (ethischer) Irrtum herausstellen kann. Dieser Befund spricht grundsätzlich gegen den in der generischen Definition erweckten Eindruck, man könne eine robuste Analogie zwischen Optimismus und Erfolgstheorie herstellen (siehe Abschnitt 4.2). (3) Man sollte sich schließlich nicht davon beeinflussen lassen, dass sich van Fraassen selbst nicht als Anhänger des wissenschaftlichen Realismus sieht, sondern im Gegenteil als sein womöglich exponiertester Gegner gilt. Diese Gegnerschaft zum wissenschaftlichen Realismus kann natürlich Verdacht erregen und Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Anliegens wecken: Van Fraassen bemängelt das klassische Verständnis des wissenschaftlichen Realismus womöglich nicht bloß deshalb, weil es ihm ernsthaft darum zu tun ist, unser Realismus-Verständnis zu vertiefen. Vielmehr kann der Verdacht aufkommen, dass diese Beanstandungen lediglich als Teil seiner antirealistischen Rhetorik einzuordnen sind, als Teil seiner Versuche, gegen wissenschaftliche Realisten

Konvergenter und divergenter Realismus

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zu polemisieren und ihnen vorzuwerfen, sie seien noch nicht einmal dazu in der Lage, ihre eigene Auffassung sinnvoll zu formulieren. Damit macht man es sich allerdings zu einfach. Denn erstens ist van Fraassens Kritik sachlich nicht von der Hand zu weisen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Nicht-Neutralität des wissenschaftlichen Realismus eine substantielle Disanalogie zum moralischen Realismus etabliert. Es ist schlicht nicht ersichtlich, weshalb sich Wissenschaftstheoretiker dazu berufen fühlen sollten, bestimmte wissenschaftliche Theorien zu beurteilen, zumal sich Metaethiker ja im Vergleich eine strikte Selbstbeschränkung ihrer Kompetenzen auferlegen. Und zweitens muss man festhalten, dass van Fraassen nicht der einzige ist, dem eine alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus vorschwebt. Selbst wenn man also Bedenken anmeldet und sein Realismus-Verständnis ungern an der Darstellung eines einflussreichen Antirealisten orientieren möchte, stehen einem noch andere Vorarbeiten zur Verfügung, auf die man zurückgreifen kann. So schlägt namentlich bereits Peter Godfrey-Smith (2003) vor, den wissenschaftlichen Realismus alternativ zu konzeptualisieren und dabei insbeson­ dere, ähnlich wie van Fraassen, eine neutrale Haltung zu unseren modernen wissenschaftlichen Theorien anzustreben: A scientific realist position is compatible with a variety of different attitudes about the reliability of our current theories.12

Dieser Vorschlag stellt insofern eine Abweichung vom klassischen Verständnis des wissenschaftlichen Realismus dar, als er Realisten gerade eine Bandbreite an verschiedenen Einstellungen überlässt und sie nicht dezidiert auf eine optimistische Einstellung verpflichtet. Godfrey-Smiths Vorschlag läuft demnach darauf hinaus, die Neutralität des wissenschaftlichen Realismus und damit implizit auch die Analogie zum moralischen Realismus zu gewährleisten, indem er wiederum den epistemischen Optimismus aus der Konzeption des Realismus ausschließt. Der Optimismus ist demnach zwar weiterhin vereinbar mit einem Realismus, stellt aber nicht mehr eine der einzeln notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen dar, die eine Auffassung erfüllen muss, um sich zu einem Realismus zu qualifizieren. Entsprechend stellt Godfrey-Smith heraus, dass seinem alternativen Verständnis zufolge optimistische und pessimistische Versionen des wissenschaftlichen Realismus möglich sind: 12

Godfrey-Smith 2003: 175

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Kapitel 4 No part of my statement of scientific realism endorses our current particular scientific theories. In some areas of science, it’s hard to imagine that we could be wrong in believing that tuberculosis is caused by a bacterium and that chemical bonding occurs via the interactions of outer-shell electrons in atoms. Still, my statement of scientific realism is intended to capture the possibility of both optimistic and pessimistic versions.13

Diese alternative Konzeptualisierung des wissenschaftlichen Realismus, die Godfrey-Smith in den angeführten Passagen skizziert, weist erhebliche Gemeinsamkeiten mit van Fraassens Kritik an dessen Standarddarstellung auf: Erstens stellen beide Vorschläge in Aussicht, die erwähnte Disanalogie zum moralischen Realismus zu überwinden und beide Realismen neutral zu formulieren. Zweitens enthalten beide Vorschläge einen klaren Ratschlag darüber, wie diese Parallelisierung umgesetzt werden könnte – nämlich indem man den epistemischen Optimismus, der üblicherweise mit dem wissenschaftlichen Realismus assoziiert ist, aus der Debatte ausschließt. Wenn wissenschaftliche Realisten agnostisch gegenüber modernen Theorien bleiben können, dann hätte ihre Auffassung keinerlei Implikationen erster Ordnung mehr und wäre an den moralischen Realismus in dieser Hinsicht angeglichen. Godfrey-Smith stellt zudem explizit heraus, dass diese alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus mit dem in Einklang steht, was van Fraassen erklärt: I agree with Bas van Fraassen, and others, who argue that it is a mistake to express the scientific realist position in a way that depends on the accuracy of our current scientific theories.14

Vor dem Hintergrund, dass der Diskussion des epistemischen Optimismus innerhalb der wissenschaftstheoretischen Realismus-Debatte viel Raum gege­ ben wird, stellt die alternative Formulierung, die sich aus van Fraassens und Godfrey-Smiths Darlegungen ergibt, sicherlich einen unorthodoxen Standpunkt innerhalb der Wissenschaftstheorie dar. Nichtsdestotrotz hoffe ich, gezeigt zu haben, dass eine Abkehr von der Standardformulierung des wissenschaftlichen Realismus einiges für sich hat und der Alternativvorschlag, den die beiden Autoren unterbreiten, attraktiv ist. Insbesondere kann man dadurch die globale Perspektive aufrechterhalten und die Parallele zum moralischen Realismus bewahren – wie wir sehen werden, auch im Kontext der noch zu besprechenden Disanalogien.

13 14

Ebd.: 176f Ebd.: 175

Konvergenter und divergenter Realismus

4.2

145

Disanalogie (ii): Optimismus vs. Erfolgstheorie

Die zweite Disanalogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus, die durch die generische Definition vernachlässigt wird, betrifft den Umstand, dass die (vermeintlich) epistemischen Komponenten beider Auffassungen, d.h. der Optimismus des wissenschaftlichen und die Erfolgstheorie des moralischen Realismus, nicht parallel zueinander liegen. Die Diskussion dieser Disanalogie ist vor allem deshalb interessant, weil der Zusammenhang zur epistemischen Deformation des Realismus hier besonders deutlich zutage tritt – weil der Unterschied zwischen dem konvergenten Realismus (in der Wissenschaftstheorie) und dem divergenten Realismus (in der Metaethik) so nachdrücklich ins Auge fällt. Die Disanalogie besteht genauer darin, dass eine Erfolgstheorie – im Gegensatz zu einem Optimismus – keine epistemische Auffassung ist und dass folglich der moralische Realismus insgesamt – im Gegensatz zum wissenschaftlichen Realismus – keine epistemische Komponente beinhaltet. In der generischen Definition wird diese Disanalogie dabei insofern übersehen, als hier die Akzeptanz einer Erfolgstheorie (im Rahmen des moralischen Realismus) eine dezidiert epistemologische Einordnung erfährt und auf diese Weise ähnlich daherkommt wie die Akzeptanz des epistemischen Optimismus (im Rahmen des wissenschaftlichen Realismus): Die moralmetaphysische Kernthese des moralische Realismus, der zufolge die Wahrheit moralischer Urteile geistesunabhängig besteht, geht demnach mit der moralepistemologischen Ansicht einher, dass jedenfalls nicht sämtliches Wahrheitsstreben im Bereich der Moral vergebens sei, sondern dass es uns wenigstens manchmal gelinge, wahre Urteile über die Güte menschlichen Verhaltens einzusehen. Das Problem dieser Darstellung, wonach der moralische Realismus als Variante einer Erfolgstheorie angesehen werden kann, liegt darin, dass die Dichotomie zwischen Erfolgs- und Irrtumstheorien eine Ambivalenz beinhaltet und deshalb schiefzuliegen scheint. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich vielmehr, dass der moralische Realismus eine Erfolgstheorie nur insofern voraussetzt, als diese gerade keine epistemische Ausdeutung erhält. Man muss sich dafür zunächst klarmachen, dass das Konzept einer Erfolgstheorie in der Metaethik als Antonym zum Begriff einer Irrtumstheorie eingeführt wurde.15 Während an einer Irrtumstheorie aber durchaus eine epistemologische Dimension ausgemacht werden kann, lässt sich dasselbe aufgrund einer grundsätzlichen Asymmetrie nicht von einer Erfolgstheorie 15

Vgl. Sayre-McCord 1988: 10; vgl. auch Halbig 2007: 198

146

Kapitel 4

behaupten. Eine kurze Gegenüberstellung beider Auffassungen verspricht daher am ehesten, die Disanalogie zur Wissenschaftstheorie herauszustellen. Eine Irrtumstheorie, die all unsere moralischen Urteile als verfehlt ausweist, stimmt ja zunächst mit dem Nonkognitivismus dahingehend überein, dass es keine moralischen Wahrheiten gibt. Während der Nonkognitivist aber zu dieser Konklusion gelangt, indem er moralischen Urteilen von Vornherein den Status von wahrheitsfähigen Behauptungen abspricht, gesteht der Irrtumstheoretiker in einem ersten Schritt zu, dass moralische Urteile, im Sinne des Kognitivismus, als Tatsachenbehauptungen über moralische Normen interpretiert werden müssen, die wahr oder falsch sind.16 Erst in einem zweiten Schritt konstatiert er jedoch, dass wir mit ausnahmslos jeder dieser Behauptungen falsch liegen, weil die Normen, von denen wir reden, nicht existieren oder, wie Mackie es ausdrückt, weil sie keinen Teil der Struktur der Welt („part of the fabric of the world“17) ausmachen.18 Diese Darstellung zeichnet ein ambivalentes Bild von einer Irrtumstheorie: Auf der einen Seite beinhaltet eine Irrtumstheorie eine metaphysische These darüber, dass es keine moralischen Wahrheiten gibt. Auf 16

17 18

Diese Einordnung, der zufolge eine Irrtumstheorie als Variante des Kognitivismus angesehen werden muss, ist in der Literatur zugegebenermaßen nicht ganz unumstritten. So macht etwa Bert Heinrichs darauf aufmerksam, dass eine Irrtumstheorie nur schwierig einordbar sei, weil das Konzept einer Irrtumstheorie die Unterscheidung zwischen Kognitivismus und Nonkognitivismus zu unterlaufen scheine. Auf der einen Seite könne man die Irrtumstheorie nämlich nicht ohne weiteres dem Kognitivismus zuordnen; denn obwohl Mackie davon ausgehe, dass moralische Urteile als Behauptungen verstanden werden müssten, seien sie gerade keine „Wahrheitsträger“ (Heinrichs 2013: 43). Auf der anderen Seite könne man die Irrtumstheorie aber auch nicht unter den Nonkognitivismus subsumieren, da moralische Urteile keine emotive oder präskriptive Ausdeutung erführen (ebd.: 44). Diese Analyse ist aber nicht überzeugend. Irrtumstheoretiker glauben zwar, dass moralische Urteile, strenggenommen, keine Wahrheitsträger sind; aber es erschließt sich nicht, weshalb man ihre Auffassung allein deshalb nicht mehr dem Kognitivismus zuordnen könne, da moralische Urteile weiterhin nichtsdestotrotz als Wahrheitswertträger anzusehen sind. Moralische Urteile sind, irrtumstheoretisch betrachtet, Behauptungen, haben einen propositionalen Gehalt, werden mit dem Anspruch auf Wahrheit formuliert und haben auch definitiv einen Wahrheitswert. Eine Irrtumstheorie ist deshalb eindeutig als eine (entschieden antirealistische) Variante des Kognitivismus anzusehen (vgl. dazu ähnlich Shafer-Landau 2003: 19f, 30; Halbig 2007: 198; Rüther 2013: 44f). Mackie 1977: 15f Genaugenommen ist es nicht ganz klar, welchen Wahrheitswert eine Irrtumstheorie moralischen Urteilen zuschreibt, da man mit zwei Lesarten an eine Irrtumstheorie herantreten kann: (1) Entweder weist sie moralische Urteile ausdrücklich als falsch aus (starke Interpretation, vgl. ähnlich Russell 1905). (2) Oder sie erklärt moralische Urteile für weder wahr noch falsch (schwache Interpretation, vgl. ähnlich Strawson 1950). (Vgl. Ernst 2008: 85f; Radtke 2009: 104f) Ich schließe mich im Folgenden der straken Lesart an, denke aber, dass der Unterschied für meine Argumentation unerheblich ist.

Konvergenter und divergenter Realismus

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der anderen Seite deutet sich im Begriff des Irrtums aber auch die erwähnte epistemologische Dimension an, der zufolge wir über kein ethisches Wissen verfügen, sondern uns in unseren moralischen Beurteilungen stets irren. In einer Irrtumstheorie fallen also ein metaphysischer Nihilismus und ein epistemischer Skeptizismus zusammen: – Ethischer Nihilismus: Es gibt keine moralischen Wahrheiten. Kein moralisches Urteil ist wahr. – Ethischer Skeptizismus: Es gibt kein ethisches Wissen. Keine ethische Meinung qualifiziert sich als Erkenntnis. Dass beide Ansichten in einer Irrtumstheorie zusammenkommen, mutet dabei durchaus natürlich an, da der Skeptizismus als ein Korollar des Nihilismus begriffen werden kann: Die Wahrheit einer Überzeugung bildet ja im Allgemeinen eine notwendige Bedingung, die erfüllt sein muss, um einer Person Wissen zuschreiben zu können, sodass sich eine falsche Überzeugung niemals als Wissen qualifiziert. Wenn es also im Besonderen keine moralischen Wahrheiten gibt (Nihilismus), dann können wir per definitionem auch nicht über ethisches Wissen verfügen (Skeptizismus). Aus diesem Grund bilden nihilistische Vorbehalte gegenüber moralischen Normen, Tatsachen oder Eigenschaften eine übliche Quelle skeptischer Bedenken gegenüber ethischer Erkenntnis.19 Gleichwohl müssen beide Thesen aber nicht immer miteinander einhergehen: Ein Skeptizismus impliziert umgekehrt offensichtlich keinen Nihilismus und ist deshalb auch nicht auf einen derartigen Hintergrund beschränkt. Vielmehr können Skeptiker durchaus zugestehen, dass es moralische Wahrheiten gibt (Anti-Nihilismus), solange sie anschließend erklären, dass sich diese Wahrheiten außerhalb unseres Erkenntniszugriffs befinden. Denn obwohl Wahrheit zwar eine notwendige Bedingung für Wissen bildet, stellt Wissen umgekehrt, gemäß nicht-epistemischem Wahrheitsbegriff, keine notwendige Bedingung für Wahrheit dar, sodass Wahrheiten auch dann noch bestehen mögen, wenn sich ihrer niemand vergewissern kann. Dieses einseitige Implikationsverhältnis, das den Skeptizismus an den Nihilismus knüpft, kommt in Shafer-Landaus Diskussion des moralischen Realismus prägnant zur Sprache: 19

Auf diesen Umstand geht beispielsweise Brink ein: „Moral scepticism claims that we have no moral knowledge and this claim is compatible with the existence of objective moral facts and true moral propositions. But while moral realism and moral scepticism are compatible (we may just have no cognitive access to moral facts), the standard and most plausible reason for claiming that we have no moral knowledge is the belief that there are no moral facts.“ (Brink 1984: 111f, vgl. auch Brink 1989: 155) Dass Brink in diesem Zitat außerdem die Vereinbarkeit von Realismus und Skeptizismus herausstellt – und dadurch implizit die ausgeprägten antiskeptischen Ambitionen wissenschaftlicher Realisten konterkariert –, wird noch zu diskutieren sein (siehe Abschnitt 4.3).

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Kapitel 4 A classic case against moral realism begins from the assumption that any moral truths there are must be accessible to us, and maintains that realists have no plausible account of such accessibility. […] Moral scepticism is the view that […] no moral claims can be known or justifiably believed. Such scepticism sometimes originates in moral nihilism: if a domain of enquiry contains no truths, then it can yield no knowledge. But one can be sceptical about an area of enquiry even if one acknowledges that there are truths within it.20

Vor diesem Hintergrund ergibt die Subsumption von Nihilismus und Skeptizismus unter das Konzept einer Irrtumstheorie nur Sinn, solange man den Nihilismus zur Kernthese einer Irrtumstheorie deklariert, der der Skeptizismus in Form einer Zusatzthese lediglich anhängig nachfolgt. Irrtumstheoretikern geht es primär um die Nicht-Existenz moralischer Tatsachen und nur sekundär um unser Unvermögen, ethische Erkenntnis auszubilden. Dass Mackie seine Auffassung als einen ethischen Skeptizismus bezeichnet, ist deshalb zwar durchaus verständlich und der Sache nach auch sicherlich nicht falsch;21 seine Terminologie birgt aber die Gefahr, Verwirrung zu stiften. Erstens lenkt er dadurch nämlich die Aufmerksamkeit vom metaphysischen Kern des Irrtumstheorie weg und rückt die epistemische Folgerung ungebührend in den Fokus. Zweitens verwischt Mackie unwillkürlich den Unterschied zwischen nihilistischem und anti-nihilistischem Skeptizismus, d.h. zwischen einem solchen Skeptizismus, dessen epistemische Bedenken in ontologischen Vorbehalten gründen (nihilistischer Skeptizismus), und einem Skeptizismus, der seine epistemischen Zweifel unabhängig von ontologischen Überlegungen vorträgt (anti-nihilistischer Skeptizismus). Eine Irrtumstheorie kann offensichtlich nur dann als ein Skeptizismus bezeichnet werden, wenn man damit genauer einen nihilistischen Skeptizismus meint. Mackie macht das durch seine Terminologie allerdings nicht ausreichend klar und leistet so dem falschen Eindruck Vorschub, dass eine Gegnerschaft zur Irrtumstheorie darauf hinauslaufe, dass man einen ethischen Skeptizismus per se ablehnt.22 Wie man 20 21 22

Shafer-Landau 2003: 231 Vgl. Mackie 1977: 16, 35 Im Anschluss an seine Feststellung, dass ein Nihilismus meist als Quelle für einen Skeptizismus herhält, zieht Brink entsprechend den Schluss, dass Mackies Haltung, einen ethischen Skeptizismus als eine antirealistische These zu konzipieren, durchaus verständlich ist: „This must be why Mackie construes moral scepticism as an anti-realist thesis. I shall follow Mackie in this and treat moral scepticism as a denial of the existence of objective values.“ (Brink 1984: 111f). Diese Terminologie ist aber, wie gesagt, insofern problematisch, als sie den Blick auf die angesprochene Ambivalenz zwischen Nihilismus und Skeptizismus verstellt. Für eine Einordnung von Mackies Irrtumstheorie als einer nihilistischen Auffassung vgl. Radtke 2009: 104f.

Konvergenter und divergenter Realismus

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aber bereits erahnen kann, ist das nicht der Fall – und genau darin besteht das entscheidende Merkmal einer Erfolgstheorie. Eine Erfolgstheorie ist dezidiert als ein Gegenentwurf zu einer Irrtumstheorie konzipiert, um diejenige Komponente des moralischen Realismus positiv zu charakterisieren, durch die sich derselbe negativ von der irrtumstheoretischen Auffassung abgrenzt, dass wir mit unseren moralischen Urteilen stets falsch liegen. Erfolgs- und Irrtumstheorien kommen demnach in einem ersten Schritt dahingehend überein, dass sie beide als Varianten des Kognitivismus verstanden werden können, insofern wir ihnen zufolge mit unseren moralischen Urteilen gleichermaßen einen Anspruch auf Wahrheit erheben.23 Erfolgstheoretiker unterscheiden sich jedoch von Irrtumstheoretikern darin, dass sie in einem zweiten Schritt die These nachlegen, dass es uns bisweilen auch gelingt, diesen Wahrheitsanspruch erfolgreich einzulösen. In diesem Sinne deutet sich wiederum die diskutierte Ambivalenz in der Konzeption einer Erfolgstheorie an: Auf der einen Seite leugnen Erfolgstheoretiker metaphysisch, dass sämtliche moralischen Urteile falsch sind und es folglich keine moralischen Wahrheiten gibt; zumindest einige Urteile sind wahr. Auf der anderen Seite scheinen sie zudem – was nicht zuletzt durch den Begriff des Erfolgs nahegelegt wird – epistemisch zu leugnen, dass wir über kein ethisches Wissen verfügen; zumindest manchmal gelingt es uns, ethische Erkenntnis auszubilden. Eine Erfolgstheorie würde diesem Verständnis zufolge also einen 23

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Einordnung von Irrtums- und Erfolgstheorie als zwei Varianten des Kognitivismus bisweilen widersprochen wird. Hoffmann verortet Mackies Irrtumstheorie etwa „innerhalb der nonkognitivistischen Tradition“ (vgl. Hoffmann 2008: 50; vgl. auch Brink 1989: 18) – nicht zuletzt deshalb, weil er den Kognitivismus auf die starke These verpflichtet, dass moralische Urteile nicht nur wahrheitswertfähig sind, sondern dass es darüber hinaus auch ethisches Wissen gibt (vgl. Hoffmann 2008: 45). In diesem Sinne stellt der Kognitivismus, Hoffman zufolge, „primär eine erkenntnistheoretische bzw. epistemologische Position in der Metaethik dar“ (ebd.: 43), die „per definitionem [mit] eine[r] nicht-skeptische[n] Epistemologie der Moral“ (ebd.: 52) einhergeht. Eine Irrtumstheorie, die die „Existenz moralischen Wissens“ in Abrede stellt, „würde […] den Namen ‚Kognitivismus‘ nicht verdienen“ (ebd.: 52). Diese Analyse beruht auf einer – nach meinem Verständnis – zu starken Verflechtung von sprachanalytischen und erkenntnistheoretischen Aspekten. Es erscheint mir sinnvoller, den Begriff ‚Kognitivismus‘ für die sprachanalytische These zu reservieren, dass moralische Urteile wahrheitswertfähig sind, und die erkenntnistheoretische These, dass es ethisches Wissen gibt, mit Begriff ‚Anti-Skeptizismus‘ zu bezeichnen – und nach diesem Verständnis ist eine Irrtumstheorie definitiv ein Kognitivismus. Diese Terminologie entspricht zudem dem üblichen Gebrauch in der Literatur, wie man beispielsweise daran festmachen kann, dass Halbig ausdrücklich von „irrtumstheoretischen Kognitivisten“ und „Vertreter[n] eines erfolgstheoretischen Kognitivismus“ spricht (Halbig 2007: 198; vgl. bereits SayreMcCord 1988: 10).

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Kapitel 4

metaphysischen Anti-Nihilismus mit einem epistemischen Anti-Skeptizismus verknüpfen: – Ethischer Anti-Nihilismus: Es gibt moralische Wahrheiten. Zumindest einige moralische Urteile sind wahr. – Ethischer Anti-Skeptizismus: Es gibt ethisches Wissen. Zumindest einige moralische Überzeugungen qualifizieren sich als Erkenntnisse. Aufgrund der angesprochenen Asymmetrie, die zwischen Erfolgs- und Irrtumstheorien besteht, erscheint diese Konzeptualisierung allerdings ausgesprochen unplausibel. Denn während die Subsumption von Nihilismus und Skeptizismus unter das Konzept einer Irrtumstheorie nur insofern natürlich anmutete, als die epistemologische Zusatzthese aus der metaphysischen Kernthese folgte, folgt in einer Erfolgstheorie die epistemische Komponente gerade nicht aus ihrem metaphysischen Kern. Vielmehr dreht sich hier das Implikationsverhältnis zwischen beiden Komponenten offenkundig um: Der Anti-Skeptizismus ist nicht aus dem Anti-Nihilismus ableitbar, da aus der Auffassung, dass es wahre moralische Urteile gibt (Anti-Nihilismus), nicht die Ansicht folgt, dass diese wahren Urteile auch innerhalb unseres Erkenntniszugriffs liegen (Anti-Skeptizismus). Der erfolgstheoretische Anti-Nihilismus ist somit sowohl mit einem Skeptizismus als auch mit einem Anti-Skeptizismus vereinbar und setzt, im Gegensatz zum irrtumstheoretischen Nihilismus, keine der beiden Positionen voraus. Umgekehrt impliziert in einer Erfolgstheorie der epistemische Anti-Skeptizismus aber durchaus einen metaphysischen AntiNihilismus. Da sich nämlich selbst eine gerechtfertigte Überzeugung von einer falschen Proposition niemals als Wissen qualifiziert, der Anti-Skeptizismus aber davon ausgeht, dass es ethischen Wissen gibt, muss ihm zufolge auch die anti-nihilistische Auffassung zutreffen, dass zumindest einige moralische Urteile, von denen wir uns gerechtfertigt überzeugt haben, wahr sind. Aufgrund dieses umgedrehten Implikationsverhältnisses scheint also in einer Erfolgstheorie nicht länger die metaphysische, sondern vielmehr die epistemologische Komponente im Zentrum zu stehen: Der Anti-Skeptizismus würde demnach die Kernthese der Erfolgstheorie bilden; dem Anti-Nihilismus käme lediglich der Status einer impliziten Voraussetzung zu. Diese Darstellung, der zufolge der Nihilismus im Zentrum einer Irrtumstheorie und der Anti-Skeptizismus im Zentrum einer Erfolgstheorie steht, erscheint aber wiederum ausgesprochen unattraktiv. Erstens gerät durch diese Konzeptualisierung die Dichotomie zwischen Irrtums- und Erfolgstheorie in eine erhebliche Schieflage, weil in ihrem Rahmen dann eine metaphysische These – Nihilismus als Kernthese der Irrtumstheorie – mit einer epistemologischen These – Anti-Skeptizismus als Kernthese der Erfolgstheorie – kontrastiert

Konvergenter und divergenter Realismus

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wird. Insbesondere wird dadurch die insinuierte Exklusivität der Unterscheidung zwischen Irrtums- und Erfolgstheorien insgeheim aufgegeben, da sich skeptische Anti-Nihilisten, die wahre moralische Urteile außerhalb unseres Erkenntniszugriffs vermuten, weder in der einen noch in der anderen Theorie wiederfinden. Zweitens und schließlich ist die so verstandene Erfolgstheorie, entgegen verbreiteten Darstellungen, nur teilweise eine Implikation der metaphysischen Kernthese des moralischen Realismus: Die realistische Kernthese, dass die Wahrheit moralischer Urteile geistesunabhängig besteht, setzt nicht die Auffassung voraus, dass wir epistemischen Erfolg darin haben, diese geistesunabhängigen Wahrheiten auch zu erfassen. Im Gegenteil hebt die Idee der Geistesunabhängigkeit ja gerade darauf ab, die nicht-epistemische Wahrheit und den epistemischen Zugang zur Wahrheit scharf voneinander abzugrenzen, und setzt somit durch die Annahme einer solchen Kluft keinesfalls voraus, dass unsere Erkenntnisbemühungen von Erfolg gekrönt sein müssen. Vielmehr betonen moralische Realisten nachdrücklich die Fehlbarkeit selbst gerechtfertigter moralischer Urteile. Ein epistemischer Skeptizismus über unsere Erkenntnismöglichkeiten im Bereich der Moral ist mit dem moralischen Realismus folglich (mindestens) genauso vereinbar wie ein epistemischer Anti-Skeptizismus, sodass keine der beiden Auffassungen eine implizite Voraussetzung für den moralischen Realismus bilden kann. Will man die Unterscheidung vor einer solchen Schieflage bewahren und an ihrer Exklusivität festhalten, dann muss man die Irrtumstheorie als einen metaphysischen Nihilismus und die Erfolgstheorie als einen metaphysischen AntiNihilismus konzeptualisieren. Auf diese Weise werden beide Auffassungen auf derselben Ebene einander entgegengesetzt und betreffen dieselbe Fragestellung – nämlich, ob es moralische Wahrheiten, Tatsachen oder Eigenschaften gibt. Irrtumstheoretiker beantworten diese Frage negativ, Erfolgstheoretiker hingegen affirmativ. Die Unterscheidung zwischen Irrtums- und Erfolgstheorie erhält dadurch offensichtlich ihre Exklusivität zurück, da skeptische Anti-Nihilisten dann eindeutig der Erfolgstheorie zuzuordnen wären. Und schließlich lässt sich die so konzipierte Erfolgstheorie auch eindeutiger als Komponente des moralischen Realismus ausweisen: Die Kernthese des moralischen Realismus, dass moralische Wahrheiten geistesunabhängig bestehen, setzt augenscheinlich durchaus voraus, dass es überhaupt so etwas wie moralische Wahrheiten gibt und nicht sämtliche moralischen Urteile falsch sind. Aus diesem Grund kann der moralische Realismus als eine (besonders robuste) Variante des ethischen Anti-Nihilismus aufgefasst werden und stellt sich folglich, solange man sie auf ihren anti-nihilistischen Kern einschränkt, als eine Erfolgstheorie dar.

152

Kapitel 4

Abb. 1

Asymmetrie von Irrtums- und Erfolgstheorie. (Eigene Darstellung)

Tabelle 5

Nihilismus

Anti-Nihilismus

Skeptizismus

Irrtumstheorie

Erfolgstheorie

Anti-Skeptizismus

---

Die Kehrseite dieser Konzeptualisierung besteht freilich darin, dass eine Erfolgstheorie dann – im Gegensatz zu einer Irrtumstheorie – über keinerlei epistemologische Implikationen mehr verfügt; sie beschränkt sich allein auf einen metaphysischen Anti-Nihilismus und lässt die Frage nach dem epistemischen Anti-Skeptizismus unbeantwortet (siehe Abbildung  1 & Tabelle  5). Aus diesem Grund legen sich moralische Realisten auf keine epistemologische These fest, insofern sie eine Erfolgstheorie befürworten. Es geht ihnen lediglich um ein anti-nihilistisches Bekenntnis, das ihren moralischen Realismus als eine Auffassung ausweist, die einer Irrtumstheorie wegen ihrer nihilistischen Ausrichtung widerspricht, ihren skeptischen Konsequenzen jedoch nicht notwendigerweise ablehnend gegenüberstehen muss. Erfolgstheoretiker (im Allgemeinen) und moralische Realisten (im Besonderen) stimmen mit diesem Verständnis typischerweise überein und grenzen ihre Auffassung strikt von erkenntnistheoretischen Kontroversen ab: Ihnen geht es allein um moralische Wahrheit. Entsprechend erklärt sich etwa Christoph Halbig (2007): Gerade weil er – im Gegensatz zu Nihilisten – an der Möglichkeit moralischer Wahrheit festhält und diese Wahrheit – im Gegensatz zum Konstruktivisten – nicht als Produkt subjektiver Einstellungen versteht, droht die Gefahr des Skeptizismus, der bezweifelt, daß unsere epistemischen Fähigkeiten ausreichen, um diese Wahrheiten zugänglich zu machen. Selbst wenn aber im Bereich der Moral ein solcher epistemologischer Skeptizismus nicht vermieden werden könnte, würde er den moralischen Realismus an sich nicht in Frage stellen – er zeichnet sich ja

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gerade dadurch aus, daß er die Frage nach der Wahrheit von der epistemischen Zugänglichkeit einer solchen Wahrheit getrennt hält.24

Diese strikte Auslagerung erkenntnistheoretischer Kontroversen aus der Debatte um den moralischen Realismus stimmt nicht mit der generischen Definition überein, in der eine Erfolgstheorie gerade als die epistemologische Komponente eingeordnet wurde. Zudem konterkariert diese epistemische Abstinenz moralischer Realisten die anti-skeptischen Ambitionen wissenschaftlicher Realisten. Wissenschaftliche Realisten geben sich typischerweise nicht damit zufrieden, es mit der Vereinbarkeit von Realismus und Skeptizismus bewenden zu lassen, sondern legen sich auf einen epistemischen Optimismus fest, dessen Hauptanliegen darin besteht, skeptischen und sogar agnostischen Ansätzen in der Wissenschaftstheorie Einhalt zu gebieten. In diesem Sinne besteht also eine substantielle Disanalogie zwischen Erfolgstheorie und Optimismus – und mithin zwischen moralischem und wissenschaftlichem Realismus: – Disanalogie (ii): Der wissenschaftliche Realismus enthält mit seinem Optimismus eine epistemische Komponente; der moralische Realismus mit seiner Erfolgstheorie dagegen nicht. Diese Disanalogie wird in der Literatur insofern häufig übersehen, als Optimismus und Erfolgstheorie als zwei Auffassungen behandelt werden, die im Grunde genommen parallel liegen. Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass sich manche Autoren dazu verleiten lassen, die Verbindung zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus – ähnlich wie in der generischen Definition – zu ziehen und dem substantiellen Unterschied zwischen beiden realistischen Komponenten keine ausreichende Beachtung zu schenken. So schickt sich etwa Geoffrey Sayre-McCord an, eine robuste Analogie zwischen dem konstruktiven Empirismus (in der Wissenschaftstheorie) und der Irrtumstheorie (in der Metaethik) herzustellen (siehe Kapitel 3). Wie bereits herausgestellt wurde, geht Sayre-McCord dabei sogar so weit, den konstruktiven Empirismus als eine Irrtumstheorie für den Bereich der Wissenschaft zu bezeichnen: An anti-realist can perfectly well acknowledge that the disputed claims have a truth-value, and even that these truth-values depend on something external, while going on to say that none of the claims is true. An anti-realist might, in other words, advance an error theory. […] Constructive empiricists in the philosophy of science take a similar line about all claims concerning unobservable

24

Halbig 2007: 296

154

Kapitel 4 entities, arguing that while such claims may have truth-values, we have no good reason for thinking of any of them that they have the truth-value true.25

Zwar gesteht Sayre-McCord durchaus zu, dass die Einordnung des konstruktiven Empirismus „as an example of an error theory“26 fraglich erscheinen könne, weil uns van Fraassen zum einen nicht dazu auffordere, wissenschaftliche Aussagen über unbeobachtbare Sachverhalte für falsch zu halten, sondern lediglich dazu rate, uns eines Urteils darüber zu enthalten, ob diese Aussagen wahr oder falsch sind. Zum anderen ließe sich anmerken, dass van Fraassen lediglich einen partikularen Agnostizismus geltend macht, der nicht sämtliche wissenschaftlichen Aussagen betrifft, sondern lediglich auf solche beschränkt ist, die über das unmittelbar Beobachtbare hinausgehen, während Mackie durchaus auf einen universellen Skeptizismus abhebt, der auf sämtliche moralischen Urteile Bezug nimmt. Abgesehen von dieser marginalen Unterschieden, die Sayre-McCord vermutlich nicht leugnen würde, könne man aber, so muss man seinen Vergleich offenbar verstehen, denselben irrtumstheoretischen Grundgedanken in beiden Positionen ausmachen: In einem ersten Schritt kämen van Fraassen und Mackie dahingehend überein, dass sie Aussagen ihres jeweiligen Bereichs (Wissenschaft bzw. Ethik) als wahrheitsfunktionale Behauptungen interpretieren; in einem zweiten Schritt meldeten sie jedoch Zweifel darüber an, ob der von uns erhobene Wahrheitsanspruch auch jemals begründet eingelöst werden kann. Diese Analogie zwischen konstruktivem Empirismus und Irrtumstheorie besteht allerdings nur zum Schein. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass der konstruktive Empirismus einen Agnostizismus abgibt, der sich offenkundig nicht allein aufgrund irgendwelcher nihilistischer Hintergrundannahmen aufdrängt, während Mackies Skeptizismus hingegen ganz erheblich davon abhängt, dass man sich einen (ethischen) Nihilismus zu eigen macht. Van Fraassen trägt keine ontologischen Vorbehalte gegenüber unbeobachtbaren Entitäten vor, die von unseren modernen Theorien postuliert werden, sondern argumentiert lediglich aus einer epistemologischen Perspektive heraus. Es geht ihm nicht darum, dass es mikroskopische Entitäten wie Bakterien, Atomen oder gar Elementarteilchen überhaupt nicht gibt – etwa weil sie einem etwaigen ontologischen Argument aus der Seltsamkeit ausgeliefert wären. Vielmehr gibt van Fraassen lediglich epistemisch zu bedenken, dass das erhebliche Selbstvertrauen in unsere kognitiven Fähigkeiten, das konvergente Realisten exemplifizieren, fehl am Platz sei und uns eine bescheidenere Haltung 25 26

Sayre-McCord 1988: 10f Ebd.: 11

Konvergenter und divergenter Realismus

155

hinsichtlich solcher Sachverhalte, die sich unserer direkten Beobachtung entziehen, besser zu Gesicht stünde. Mackie äußert demgegenüber primär ontologische Bedenken gegenüber moralischen Werten, Tatsachen und Eigenschaft und kommt nur sekundär auf davon abgeleitete epistemologische Vorbehalte zu sprechen. Er stellt bekanntlich ein Argument aus der Seltsamkeit auf, das maßgeblich darauf abzielt, objektive moralische Werte als metaphysisch dubios auszuweisen; die skeptischen Zweifel hinsichtlich ethischer Erkenntnis speisen sich vollständig aus diesen nihilistischen Grundüberlegungen.27 In diesem Sinne kann man van Fraassen womöglich als einen anti-nihilistischen Agnostikers (oder agnostischen Anti-Nihilisten) einordnen, während Mackie eher die Rolle eines nihilistischen Skeptikers (oder skeptischen Nihilisten) einnimmt – und diesem Unterschied schenkt Sayre-McCord nicht ausreichend Beachtung. Aus diesem Grund liegen auch umgekehrt die beiden (vermeintlich) epistemischen Komponenten, die den wissenschaftlichen Realismus gegen den konstruktiven Empirismus und den moralischen Realismus gegen eine Irrtumstheorie abgrenzen, nicht parallel. Ein epistemischer Optimismus kann nicht als eine auf den Bereich der Wissenschaft bezogene Erfolgstheorie eingeordnet werden, genauso wenig wie eine Erfolgstheorie einen auf den Bereich der Moral angewandten Optimismus abgibt. In der Wissenschaftstheorie argumentieren Optimisten gegen eine primär epistemologische Auffassung (van Fraassen), zeichnen den wissenschaftlichen Realismus somit mit einem entschieden anti-skeptischen Anliegen aus und verkehren ihn in einen konvergenten Realismus. In der Metaethik richten sich Erfolgstheoretiker hingegen primär gegen eine metaphysische Auffassung (Mackie), lassen den moralischen Realismus weitgehend unberührt von epistemologischen Kontroversen und belassen es folglich dabei, denselben als einen divergenten Realismus darzustellen. Der Versuch, Optimismus und Erfolgstheorie gleichermaßen als epistemische Komponenten des Realismus darzustellen, trägt dieser substanziellen Disanalogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus nicht Rechnung und ist deshalb zutiefst irreführend. Wenn man sich die Möglichkeit beibehalten will, die in Rede stehenden Realismus-Debatten aus einer gemeinsamen Perspektive zu verstehen, dann muss man sich stattdessen darauf einlassen, eine alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus wenigstens in Betracht zu ziehen. Folgt 27

Das Argument aus der Seltsamkeit hat bekanntlich eine ontologische und eine epistemische Komponente (vgl. Mackie 1977: 38). Die epistemischen Bedenken hinsichtlich moralischer Erkenntnisfähigkeiten sind allerdings offensichtlich sekundär und leiten sich aus den ontologischen Vorbehalten gegenüber moralischen Werten ab.

156

Kapitel 4

man nämlich (in der Wissenschaftstheorie) van Fraassen und Godfrey-Smith und verordnet dem wissenschaftlichen Realismus – entgegen der philosophischen Orthodoxie – eine epistemische Abstinenz, dann können wir (in der Metaethik) daran festhalten, dass der moralische Realismus keinen Anti-Skeptizismus impliziert. Die Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus ist dann wiederhergestellt im Sinne des divergenten Realismus. 4.3

Disanalogie (iii): Die Vereinbarkeit mit einem Skeptizismus

Die dritte Disanalogie, mit deren Hilfe die Entfremdung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus herausgearbeitet werden kann, ergibt sich als eine direkte Implikation aus der zweiten Disanalogie, d.h. aus dem zuvor diskutierten Umstand, dass die vermeintlich epistemischen Komponenten beider Auffassungen nicht parallel zueinander liegen. Genauer geht es dabei um die Frage, in welches Verhältnis Realismus und Skeptizismus zueinander gesetzt werden. Wissenschaftliche und moralische Realisten beantworten diese Frage diametral verschieden und unterstreichen dadurch einmal mehr, dass sie unter einem Realismus unwillkürlich etwas anderes als der jeweils andere verstehen – nämlich einmal einen konvergenten und einmal einen divergenten Realismus. In der Metaethik herrscht zunächst die Auffassung vor, dass der moralische Realismus ausdrücklich als vereinbar mit einem ethischen Skeptizismus angesehen werden muss. Diese Vereinbarkeit von Realismus und Skeptizismus ergibt sich daraus, dass der Realismus in der Hauptsache ein wahrheitstheoretisches Anliegen darstellt, während der Skeptizismus eine primär erkenntnistheoretische Überlegung abgibt. Moralischen Realisten geht es vordringlich um die Objektivität moralischer Wahrheit, d.h. um die Vorstellung, dass die Wahrheit moralischer Urteile geistesunabhängig besteht, mithin unabhängig davon, ob sie von irgendjemandem akzeptiert wird. Ethischen Skeptikern geht es demgegenüber um die (Un-)Möglichkeit ethischer Erkenntnis, d.h. um das Eingeständnis, dass unsere Bemühungen um ethische Einsichten letztendlich dazu verdammt sind, fruchtlos zu bleiben, und keine Aussicht auf Erfolg haben. Realismus und Skeptizismus liefern somit Antworten auf unterschiedliche Fragen: Der Realist erörtert die Frage nach moralischer Wahrheit; der Skeptiker untersucht die Frage nach ethischem Wissen. Da man selbst dann noch daran zweifeln kann, ob unsere Fähigkeiten dazu ausreichen, um moralische Wahrheiten zuverlässig einsehen zu können (Skeptizismus), wenn man sich bereits davon überzeugt hat, dass jene Wahrheiten objektiv

Konvergenter und divergenter Realismus

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bestehen (Realismus), stehen beide Auffassungen in keinem generellen Widerspruch zueinander und können ohne weiteres miteinander kombiniert werden. In der Wissenschaftstheorie findet man demgegenüber ein davon grundsätzlich abweichendes Selbstverständnis vor. Der wissenschaftliche Realismus gilt gemeinhin als ein dezidiert anti-skeptisches Projekt und wird folglich als unvereinbar mit skeptischen wie auch agnostischen Ansätzen angesehen. Die Unvereinbarkeit von Realismus und Skeptizismus, die in der wissenschaftstheoretischen Literatur kenntlich wird, ist eine Folge der epistemischen Deformation, der zufolge der wissenschaftliche Realismus zu einer erkenntnistheoretischen Auffassung umgedeutet wird – zu einer Auffassung, der ganz entschieden daran gelegen ist, die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis sicherzustellen. Wissenschaftlichen Realisten geht es somit nicht allein um die Objektivität wissenschaftlicher Wahrheit, d.h. um die Vorstellung, dass die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen geistesunabhängig besteht. Vielmehr rücken sie die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis in den Fokus und bemühen einen historischen Fortschrittsgedanken, dem zufolge wir gute Gründe für die optimistische Annahme haben, dass moderne Theorien die Wahrheit besser approximieren als ihre historischen Vorläufer und die Wissenschaft somit insgesamt im Verlauf der Jahrhunderte der Wahrheit sukzessiv näherkommt. Realismus und Skeptizismus liefern somit unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage: Beide Auffassungen kreisen gleichermaßen um die Frage nach wissenschaftlicher Erkenntnis. Da der Skeptizismus diese Frage grundsätzlich negativ beantwortet und wissenschaftliche Wahrheitssuche als vergeblich ausweist, der Realismus hingegen eine grundsätzlich positive Bewertung vornimmt, sind beide Auffassungen augenscheinlich miteinander inkompatibel. In diesem Sinne besteht also eine substantielle Disanalogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus, die mit den beiden zuvor diskutierten Disanalogien insofern zusammenhängt, als sie wiederum auf die epistemische Deformation des wissenschaftlichen Realismus zurückgeführt werden kann. – Disanalogie (iii): Der moralische Realismus ist vereinbar mit einem Skep­ ti­zismus; der wissenschaftliche Realismus ist dagegen sogar mit einem Agnos­ti­zismus inkompatibel. Man sollte sich nicht dazu verleiten lassen, diese Disanalogie mit dem Hinweis herunterzuspielen, dass auch moralische Realisten bisweilen gegen einen ethischen Skeptizismus argumentieren.28 28

Shafer-Landau widmet etwa die letzten drei Kapitel seines Buches der Verteidigung einer dezidiert anti-skeptischen Moralepistemologie. Moralische Realisten müssten sich

158

Kapitel 4

Zwar ist es erstens zweifelsohne richtig, dass sich Realisten in der Metaethik typischerweise nicht als Skeptiker verstehen, sondern durchaus zuversichtlich sind, dass es uns wenigstens möglich ist, einige moralische Wahrheiten verlässlich aufdecken zu können. Diese epistemologischen Exkurse, auf die sich moralische Realisten zuweilen einlassen, stehen aber erkennbar nicht im Zentrum der Debatte, sondern bilden höchstens einen peripheren Randaspekt – eine zusätzliche Kontroverse, die über den inhaltlichen Kern des moralischen Realismus bereits hinausgeht. Man kann das daran festmachen, dass moralische Realisten die Möglichkeit eines skeptischen Realismus konzeptuell offenhalten: Sie lassen durchblicken, dass es Skeptikern ausdrücklich offensteht, sich zu einem Realismus zu bekennen, und weisen somit ihre eigenen antiskeptischen Ausführungen erkennbar nicht als genuinen Teil des Realismus aus. Selbst wenn sich also der Skeptizismus als stichhaltig erweisen sollte und erhebliche Zweifel in unsere ethischen Erkenntnisfähigkeiten angezeigt wären, wäre dies noch nicht das Ende des Realismus, da moralische Wahrheiten trotz alledem objektiv und geistesunabhängig bestehen mögen.29 Diese Randstellung von epistemologischen Fragestellungen, durch die sich die Diskussion des moralischen Realismus auszeichnet, stellt einen erheblichen Unterschied zur Diskussion des wissenschaftlichen Realismus dar. Die Disanalogie lässt sich zweitens sogar noch weiter verschärfen, wenn man bedenkt, dass der moralische Realismus einen ethischen Skeptizismus nicht nur nicht ausschließt, sondern tendenziell sogar eher heraufbeschwört – ganz ähnlich wie der alethische Realismus (siehe Kapitel 2). Es gibt demnach eine Allianz zwischen Realismus und Skeptizismus, die sich insbesondere aus der Einsicht speist, dass man Zweifel an der Möglichkeit von ethischer Erkenntnis vor allem dann ernsthaft anmelden (Skeptizismus) und sich die eigene moralische Fehlbarkeit sinnvoll eingestehen kann (Fallibilismus), wenn es objektive moralische Wahrheiten gibt, die von unserem subjektivem Fürwahrhalten

29

demnach mit besonderer Sorgfalt der Aufgabe annehmen, einen ethischen Skeptizismus zu widerlegen, da ihr Wahrheitsbegriff geradezu darauf ausgelegt zu sein scheint, unsere Erkenntnisaussichten zu schmälern: „Realists […] will insist on the existence of truths that do not depend on the attitudes we have towards the propositions they express. This opens the door to the possibility that our cognitive abilities may be too limited to capture the nature of a moral reality not of our making.“ (Shafer-Landau 2003: 231f) Im Anschluss an das oben angeführte Zitat macht Shafer-Landau dementsprechend deutlich, dass sich seine eigenen anti-skeptischen Ansichten nicht einfach aus seinem Bekenntnis zum moralischen Realismus ergeben, sondern zum Realismus hinzukommen: „Even if moral scepticism does little to threaten moral realism, living with scepticism would cast a pall over much of our moral thinking and practice. It would be best were we able to refute it.“ (Ebd.: 235; vgl. auch noch einmal Halbig 2007: 296; vgl. ähnlich auch Alston 1996: 86f)

Konvergenter und divergenter Realismus

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grundsätzlich verschieden sind (Realismus). Realisten und Skeptiker bilden demnach (in der Metaethik) eine gemeinsame Front gegen solche philosophischen Gegner, die ihren beiden Auffassungen zugleich entgegenzuwirken drohen – nämlich insbesondere gegen ethischen Relativismus und Konstruktivismus.30 Moralische Realisten werden dementsprechend nicht müde zu betonen, dass eine bescheidene und tolerante Geisteshaltung nicht nur zuweilen mit einem Realismus einhergehen kann, sondern eine realistische Grundüberzeugung zwingend voraussetzt. Bescheidenheit (im eigenen Denken) und Toleranz (gegenüber Andersdenkenden) werden von ihnen geradezu zum zentralen Leitmotiv des moralischen Realismus erhoben – immer mit dem Hinweis vor Augen, dass beides die Bereitschaft verlangt, die eigene Fehlbarkeit einzugestehen, man aber nur dann fehlbar ist, wenn es überhaupt objektive Wahrheiten gibt. Entsprechend schreibt Nicholas Sturgeon: only a moral realist can be a genuine moral fallibilist. By fallibilism about an area of thought I understand the view that any of one’s views about that area might in principle be mistaken. This is not scepticism […]. But fallibilism has seemed to many philosophers an important and attractive form of epistemological modesty. And my claim is that this form of modesty, as applied to one’s own moral views, is genuinely available only to the moral realist, and not to the noncognitivist.31

In vergleichbarer Weise spricht auch Peter Schaber davon, dass „gerade der moralische Realist über einen emphatischen Begriff des ‚moralischen Irrtums‘ [verfügt].“32 Moralische Realisten erklären es somit zu ihrem Hauptanliegen, dafür Sorge zu tragen, dass Fehlbarkeit und Irrtumsanfälligkeit unseres Denkens 30

31

32

Diese gemeinsame Front bildet sich offensichtlich deshalb, weil man auch umgekehrt eine Allianz zwischen Anti-Realismus und Anti-Skeptizismus ausmachen kann: Wer einen epistemischen Skeptizismus um jeden Preis vermeiden will, wird womöglich geneigt sein, auch einen alethischen Realismus abzulehnen, da man auf diese Weise die Aussichten auf Erkenntniserfolg handstreichartig zu verbessern scheint (vgl. Moser et al 1998: 12f; vgl. auch Chang 2018: 33). Es stellt sich allerdings die Frage, wie überzeugend ein solches Manöver wirklich ist (siehe Kapitel 2). Sturgeon 1986: 127f. Entsprechend deutlich wendet sich Sturgeon gegen den populären Vorbehalt, dass ein moralischer Realismus eine intolerante Geisteshaltung begünstige: „Perhaps the most popular first reaction to moral realism […] is that realism underwrites intolerance, since it permits the thought that one’s opponents in a moral disagreement are objectively mistaken […]. It is striking, therefore, to note that in published discussions […] the most prominent question, by contrast, is whether anyone but a realist can be a genuine moral fallibilist: can entertain, that is to say, the modest, undogmatic and no doubt admirable thought that her own moral views, also, might be objectively mistaken.“ (Ebd.: 116) Schaber 1997: 222; vgl. auch ebd.: 221f, 226; vgl. auch Brink 1989: 29f, 92ff

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Kapitel 4

auch im Bereich der Ethik angemessene Berücksichtigung erfahren, und schlagen deshalb einen von epistemischer Bescheidenheit zeugenden Ton an, der ethischen Skeptikern, wenn auch nicht notwendigerweise entspricht, doch wenigstens entgegenkommt. Diese Allianz zwischen Realismus und Skeptizismus (bzw. zwischen Realismus und Fallibilismus) ist in der Wissenschaftstheorie unzweifelhaft gebrochen – und genau darin besteht die Disanalogie zum wissenschaftlichen Realismus. In der Literatur wird diese Disanalogie nichtsdestotrotz bisweilen ignoriert – und das, obwohl sie eine erhebliche Signifikanz besitzt. Wissenschaftliche und moralische Realisten geben diametral entgegengesetzte Antworten auf die nicht unerhebliche Frage, ob der Realismus mit einem Skeptizismus vereinbar ist oder nicht. Dieses gravierenden Unterschieds scheinen sich manche Autoren nicht bewusst zu sein, da sie sich stattdessen dazu verleiten lassen, die (durchaus vielfach gehegten) anti-skeptischen Ambitionen, die in der Metaethik zu Buche schlagen, zu einem integralen Bestandteil des moralischen Realismus auszuweisen und denselben folglich ebenfalls – wie den wissenschaftlichen Realismus – zu einem konvergenten Realismus zu verkehren. So attestiert beispielsweise Tatjana Tarkian dem moralischen Realismus per se eine „nicht-skeptische Haltung“33 und schreibt mit Blick auf dessen Anhänger: Sie meinen, dass es gute Gründe gibt zu glauben, dass wir um die Wahrheit zumindest einiger moralischer Urteile wissen. Moralische Sensibilität und Einsicht, Überlegung und Argumentation stelle gewöhnlich eine verlässliche Methode dar, zu moralischem Wissen zu gelangen.34

Auf ähnliche Weise versucht auch Richard Boyd, dem moralischen Realismus gewisse optimistische Grundannahmen nachzusagen: It is a commonplace, I think, that moral realism is an optimistic position (or, perhaps, that it is typically an optimist’s position). […] [I]t quite obviously rests upon optimistic claims about human potential.35

Dieses Vokabular erinnert wohl nicht ohne Grund an den epistemischen Optimismus des wissenschaftlichen Realismus. Die optimistischen Grundannahmen, die Boyd mit dem moralischen Realismus assoziiert, betreffen nämlich ausdrücklich die Frage nach der Möglichkeit verlässlichen Wissens 33 34 35

Tarkian 2004: 303 Ebd.: 303 Boyd 1988: 202

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(„the possibility of reliable knowledge“s36) und haben folglich einen dezidiert epistemischen Charakter. Boyd lässt keinen Zweifel daran, dass er diesen epistemischen Optimismus für eine notwendige Bedingung hält, die erfüllt sein muss, damit man sich als ein moralischer Realist qualifizieren kann. Wer pessimistische oder gar skeptische Bedenken im Bereich der Ethik anmeldet, dem bleibt es demzufolge grundsätzlich verwehrt, sich zu einem moralischen Realismus bekennen zu können. Nur wer sich eine anti-skeptische Haltung zu eigen macht und an einer optimistischen Grundeinstellung festhält, kann ein moralischer Realist sein. Entsprechend versieht Boyd den moralischen Realismus ausdrücklich mit einer epistemologischen These, die er folgendermaßen formuliert: Ordinary canons of moral reasoning – together with ordinary canons of scientific and everyday factual reasoning – constitute, under many circumstances at least, a reliable method for obtaining and improving (approximate) moral knowledge.37

Man kann Autoren wie Tarkian und Boyd zwar zugutehalten, dass sich ihre Darstellung des moralischen Realismus durchaus mit dem vorherrschenden Verständnis des wissenschaftlichen Realismus im Einklang befindet – dass ihre Darstellung mithin ein Bild von der Analogie beider Auffassungen zeichnet. Allerdings wird diese Parallelisierung gerade nicht im Sinne eines divergenten, sondern im Sinne eines konvergenten Realismus vollzogen: Es ist nicht der wissenschaftliche Realismus, der sich nach dem Vorbild des moralischen Realismus richten und die Form eines divergenten Realismus annehmen muss. Vielmehr schicken sich beide Autoren an, den moralischen Realismus an den wissenschaftlichen Realismus anzugleichen, indem sie beide Auffassungen gleichermaßen zu einem konvergenten Realismus umformen. Das ist aber außerordentlich misslich. Denn dadurch handelt man sich all die Probleme im Kontext der Metaethik ein, die der konvergente Realismus bereits im Kontext der Wissenschaftstheorie verursacht. Man konterkariert das zentrale Leitmotiv der Bescheidenheit und verkehrt es ins exakte Gegenteil. Man zerschlägt die Allianz zwischen Realismus und Skeptizismus und raubt dem Realismus so ohne Not einen natürlichen Verbündeten. Schließlich verstellt man sich infolgedessen den Blick auf die primären Gegner des Realismus und läuft Gefahr, sich nur noch mit epistemologischen Nebenkriegsschauplätzen zu beschäftigen. Aus diesen Gründen sollte man dringend davon absehen, diese Tendenz zur epistemischen Aufladung des Realismus auch noch auf die 36 37

Ebd.: 217 Ebd.: 182

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Kapitel 4

Metaethik auszuweiten und die Analogie dadurch (wieder-)herzustellen, dass man beide Auffassungen zu einem konvergenten Realismus verdreht. Darüber hinaus hat es nicht gerade den Anschein, dass Tarkian und Boyd offen für eine alternative Formulierung des moralischen Realismus werben und diese bewusst gegen die vorherrschende (metaethische) Orthodoxie durchsetzen wollen. Vielmehr scheinen sie den Umstand einfach zu ignorieren, dass der moralische Realismus – wenn überhaupt – in weitaus geringerem Ausmaß als der wissenschaftliche Realismus einer epistemischen Deformation unterzogen wird. Sie behandeln den moralischen Realismus so, als ob auch er mit einem epistemischen Anti-Skeptizismus einhergeht, und nehmen die epistemische Verkehrung des moralischen Realismus somit gleichsam unter der Hand vor. Vor diesem Hintergrund drängt sich der Verdacht auf, dass Tarkian und Boyd die Disanalogie womöglich deshalb übersehen, weil ihr RealismusVerständnis maßgeblich aus der Wissenschaftstheorie herrührt. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sie (richtigerweise) von der Beobachtung ausgehen, dass sich der Realismus in der Wissenschaftstheorie als eine dezidiert antiskeptische Auffassung darstellt, und anschließend diese Erfahrungen (fälschlicherweise) auf die Metaethik projizieren.38 Diese Einschätzung verkennt aber, dass wissenschaftlicher und moralischer Realismus nicht parallel liegen und ein anderes Verhältnis zum Skeptizismus haben. Wenn man die Parallele wiederherstellen möchte, dann ist es also weder statthaft, so zu tun, als ob beide Positionen in der Literatur gleichbehandelt werden (denn das werden sie einfach nicht), noch ist es ratsam, nach einer epistemisch engagierteren Formulierung des moralischen Realismus Ausschau zu halten (denn dadurch handelt man sich die besprochenen Probleme ein). Vielmehr sollte man sich fragen, ob eine Revision des wissenschaftlichen Realismus angezeigt ist, d.h. eine neuartige Formulierung, die dessen Unvereinbarkeit mit dem Skeptizismus kritisch hinterfragt, seine Verkehrung zu einer primär epistemischen Auffassung korrigiert und ihm schlussendlich die Form eines divergenten Realismus verleiht. Eine derartige Revision des wissenschaftlichen Realismus, die ihn aus seinen epistemischen Verflechtungen herauslöst und so dem moralischen Realismus näherbringt, muss insbesondere, wie bereits besprochen, darauf verzichten, 38

Insbesondere Boyds Darstellung lädt zu solchen Spekulationen ein: Erstens ist er selbst ein namhafter Vertreter nicht nur des moralischen, sondern auch des wissenschaftlichen Realismus. Zweitens charakterisiert er den moralischen Realismus ausdrücklich als Analogon zu einem (konvergenten!) wissenschaftlichen Realismus. So schreibt er etwa nach einer kurzen Darstellung des wissenschaftlichen Realismus: „By ‚moral realism‘ I intend the analogous doctrine about moral judgments, moral statements, and moral theories.“ (Ebd.: 182, meine Hervorhebung)

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dem wissenschaftlichen Realismus eine epistemische Komponente beizulegen; sie muss, mit anderen Worten, den epistemischen Optimismus aus der Konzeption des wissenschaftlichen Realismus ausschließen. Wenn man es nicht länger als eine notwendige Bedingung für den wissenschaftlichen Realismus betrachtet, dass man einen optimistischen Ausblick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt etabliert, dann müssen auch pessimistische, agnostische und skeptische Ansichten nicht mehr als epistemische Varianten des wissenschaftlichen Antirealismus angesehen werden. Der wissenschaftliche Realismus ist dann vereinbar mit einem Skeptizismus; die Disanalogie zum moralischen Realismus hat folglich keinen Bestand mehr. Godfrey-Smiths Darstellung des wissenschaftlichen Realismus zielt genau darauf ab: Die Opposition zwischen Optimismus und Pessimismus wird von ihm ja nicht als ein Streit zwischen Realisten und Antirealisten angesehen, sondern als eine Kontroverse, in der sich Realisten untereinander gegenüberstehen – nämlich optimistische und pessimistische Realisten. Zwar meldet Godfrey-Smith Bedenken hinsichtlich der Frage an, ob auch besonders radikale Formen des Skeptizismus mit dem wissenschaftlichen Realismus vereinbar sind, da er befürchtet, dass die epistemischen Zweifel, die in ihnen zum Ausdruck kommen, so stark werden könnten, dass sie die axiologische These des wissenschaftlichen Realismus ad absurdum führen: Wenn man grundsätzliche Zweifel daran habe, dass die Methoden der modernen Wissenschaft dazu hinreichen, zumindest einige Wahrheiten zuverlässig einsehen zu können (Skeptizismus), dann könne man Wahrheit auch nicht länger sinnvoll als Ziel wissenschaftlicher Forschung ausweisen (Realismus): My statement of scientific realism says that giving us accurate representations of the world is a reasonable aim of science. If someone thought it was just about impossible for us to get to the right theories, then it is hard to see how it could be a reasonable aim of science to try to do so. So there is a limit to the pessimism that is compatible with scientific realism as I understand it; extreme pessimism is not compatible.39

Allerdings muss man Godfrey-Smith hierin nicht folgen. Es ist nicht von Vornherein klar, dass man Handlungen, mit denen wir prinzipiell unerreichbare Ziele verfolgen, uneingeschränkt als sinnlos betrachten muss. Das unablässige Streben nach künstlerischer, literarischer oder musischer Perfektion, die Kultivierung unserer geistigen Talente, die Formung eines starken Charakters, einer moralischen Gesinnung oder einer gerechten Gesellschaft bilden allesamt Unterfangen, deren Ziele wir niemals hoffen können, endgültig 39

Godfrey-Smith 2003: 177

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Kapitel 4

und unverbesserlich erreicht zu haben. Daraus folgt keineswegs, dass diese Unterfangen sinnlos sind. Warum sollte dasselbe also nicht auch für die unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit (insbesondere im Kontext wissenschaftlicher Forschung) gelten? Aus diesem Grund ist es zumindest fraglich, ob ein epistemischer Skeptizismus tatsächlich der axiologischen These des wissenschaftlichen Realismus widerspricht. Ein (divergenter) wissenschaftlicher Realismus ist womöglich mit einem Skeptizismus vereinbar. Andere Autoren haben dementsprechend keinerlei Berührungsängste mit skeptischen Zweifeln. So schlägt etwa John Bigelow in seinem Aufsatz „Skeptical Realism“ (1994) vor, eine scharfe Unterscheidung zwischen einem Realismus und einem Antiskeptizismus vorzunehmen und beides nicht miteinander zu verwechseln. Der wissenschaftliche Realismus stelle sich nicht als eine epistemische Auffassung dar und sei deshalb auch nicht generell mit einem Skeptizismus unvereinbar: It is possible for a skeptic to be a [scientific] realist. In this context, what I mean by a skeptic is simply someone who suspends judgment about something […]. And yet such a skeptic can nevertheless be a scientific realist. […] Realism is a metaphysical stance, and this is not to be conflated with the epistemological stance adopted by the opponent of skepticism.40

Bigelows Analyse trifft den Kern der Sache ziemlich genau. Zwar verortet er den wissenschaftlichen Realismus nicht hinreichend klar in die Wahrheitstheorie und spricht sich sogar ausdrücklich dagegen aus, das Konzept der Geistesunabhängigkeit dafür zu verwenden, um den wissenschaftlichen Realismus zu charakterisieren.41 Nichtdestotrotz muss man ihm jedoch mit Blick auf den Skeptizismus recht geben: Ein Realismus ist keine epistemische Auffassung und sollte sich deshalb auch nicht generell in einer Gegnerschaft zum Skeptizismus befinden. Es ist dabei namentlich die Analogie zum moralischen Realismus, die Bigelow zu seinem Vorschlag motiviert: In der Metaethik wird nämlich, wie Bigelow korrekt konstatiert, ein Realismus in einer Weise konzeptualisiert, die mit skeptischen Ansätzen vereinbar ist.42 In diesem Sinne stellt der Ansatz Bigelows erkennbar in Aussicht, die hier besprochene

40 41

42

Bigelow 1994: 5 Wie bereits besprochen, sieht sich Bigelow vor allem deshalb veranlasst, das Konzept der Geistesunabhängigkeit aus der Konzeption des wissenschaftlichen Realismus auszuschließen, weil er es im weiten Sinne verwendet und feststellt, dass sich offensichtliche Gegenbeispiele aufdrängen (Abschnitt 3.1). Ebd.: 18, vgl. auch Devitt 1997: 303f

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Disanalogie zu überwinden und die Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus wiederherzustellen.43 *** Wenn man sich also, zusammenfassend gesagt, den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus erschließen und beide Auffassungen aus einer gemeinsamen Perspektive verstehen will, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass die epistemische Deformation, d.h. die Erweiterung des Realismus von einer wahrheits- zu einer erkenntnistheoretischen Position, in Wissenschaftstheorie und Metaethik nicht parallel vollzogen wird. Die generische Definition, die in Abschnitt 3.2 aufgestellt wurde und beide Auffassungen analog darstellt, ist deshalb denkbar ungeeignet, weil sie den Umstand vernachlässigt, dass es einige substantiellen Disanalogien zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus gibt:

43

Eine weitere Traditionslinie, auf die man sich womöglich berufen kann, um einen ‚skeptischen Realismus‘ in der Wissenschaftstheorie starkzumachen, bildet der Kritische Rationalismus (vgl. noch einmal Godfrey-Smith 2003: 177). Kritische Rationalisten, wie Popper und Albert, können deshalb in die Nähe des Realismus gerückt werden, weil sie erstens eine nicht-epistemische Ausdeutung des Wahrheitsbegriffs vornehmen (vgl. Popper 1963: 343ff; Albert 1968: 242f, 262f). Popper schreibt etwa, dass es „keine Autorität gibt, die über jede Kritik erhaben ist“ und dass deshalb auch „die Wahrheit selbst jenseits aller menschlichen Autorität ist.“ (Popper 1963: 46) „Denn ohne sie gibt es keine objektiven Maßstäbe der wissenschaftlichen Forschung […].“ (Ebd.) Zweitens etabliert Popper explizit die bereits mehrfach angesprochene Verbindung zwischen der Möglichkeit, sich seine eigene Fehlbarkeit eingestehen zu können (Fallibilismus), und der Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit (Realismus): „Die Lösung besteht in der Erkenntnis, daß wir alle, als Individuen wie als Gesamtheit, irren können und in der Tat oft irren, daß aber die Idee des menschlichen Irrtums und der menschlichen Fehlbarkeit die Idee der objektiven Wahrheit in sich schließt: sie ist die Norm, die regulative Idee, die wir eben oft verfehlen.“ (Popper 1963: 23) Im Gegensatz zu Bigelow, der die Analogie zum moralischen Realismus herausstellt, machen sich Popper und Albert jedoch keinen moralischen Realismus zu eigen, sondern äußern eher Sympathie für konstruktivistische (vgl. Popper 1945: 73f) und non-kognitivistische Ansätze (vgl. Albert 1972: 138). Dennoch lesen sich manche Passagen aus ihren Schriften zumindest als implizite Zugeständnisse an die hier aufgemachte Analogie zwischen wissenschaftlichen Hypothesen und moralischen Prinzipien. So spricht etwa auch Albert von einer „kritischen Moralphilosophie“, der zufolge man „ethische Aussagen und Systeme nicht als Dogmen, sondern [in Analogie zur Wissenschaft] Hypothesen zu behandeln“ habe (Albert 1968: 90), und erklärt damit übereinstimmend, dass die „unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit“ (Albert 1968: 7, 130, 148f), die ja vornehmlich in der Wissenschaft am Platz ist, auch „ethische und darüber hinaus politische Bedeutung [hat]“ (ebd.: 49).

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Kapitel 4

(i) Moralische Realisten legen sich eine neutrale Haltung gegenüber normativ-ethischen Ansätzen auf der ersten Ordnung zu; wissenschaftliche Realisten tun dies gegenüber wissenschaftlichen Theorien erster Ordnung nicht. (ii) Wissenschaftliche Realisten machen sich eine dezidiert epistemische These zu eigen, indem sie ein optimistisches Fortschrittsdenken in ihre Realismus-Konzeption integrieren; moralische Realisten tun dies nicht, insofern sie eine Erfolgstheorie akzeptieren. (iii) Wissenschaftliche Realisten weisen ihren Realismus als ein dezidiert anti-skeptisches Projekt aus und halten somit selbst moderat agnostische Auffassungen für anti-realistisch; moralische Realisten tun dies nicht, sondern halten ihr Realismus-Verständnis offen für Skeptiker. Dass diese Disanalogien zwischen beiden Auffassungen bestehen, muss allerdings, nicht zur Folge haben, dass der wissenschaftliche und der moralische Realismus überhaupt nicht zusammengeführt werden können, sondern nur dass ihre Zusammenführung nicht über die generische Definition gelingen kann. Die generische Definition verdeckt den Umstand, dass der wissenschaftliche Realismus typischerweise die Form eines konvergenten Realismus annimmt, während der moralische Realismus üblicherweise als ein (potentiell) divergenter Realismus angesehen wird. Wenn man ein Interesse daran hat, die Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus aufrechtzuhalten, dann, so die These des vorliegenden Kapitels, bietet es sich an, davon abzusehen, den wissenschaftlichen Realismus zu einem konvergenten Realismus zu überformen. Im nächsten und letzten Kapitel werden wir nun abschließend einige Konsequenzen in Betracht ziehen, die eine solche alternative Formulierung des wissenschaftlichen Realismus mit sich bringt.

Kapitel 5

Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument Im vorliegenden Kapitel werden wir nun die integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus abschließen, indem wir einige Konsequenzen in den Blick nehmen, die sich aus der interdisziplinären Perspektive und dem Bekenntnis zum wahrheitstheoretischen Kern des Realismus ergeben. Insbesondere werden wir uns der Frage annehmen, weshalb die ausgemachten Disanalogien zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus überhaupt von Vornherein bestehen, d.h. weshalb der Realismus in der Wissenschaftstheorie eine stärker ausgeprägte epistemische Deformation durchläuft als in der Metaethik. Die grundlegende Antwort, die darauf in diesem Kapitel gegeben werden soll, lautet, dass die Einführung des Wunderarguments in die wissenschaftstheoretische Realismus-Diskussion dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass sich Wissenschaftstheoretiker und Metaethiker in der zuvor beschriebenen Weise voneinander entfremden. Das Wunderargument wird demnach in der Wissenschaftstheorie nicht allein dafür benutzt, um den wissenschaftlichen Realismus gegen etwaige Gegenentwürfe zu verteidigen, sondern wird bisweilen auch dazu herangezogen, um den wissenschaftlichen Realismus – als diejenige Auffassung, die durch das Wunderargument gestützt wird, – zu charakterisieren. Da das Wunderargument aber nur dann sinnvoll auf den wissenschaftlichen Realismus angewandt werden kann, wenn er als ein konvergenter Realismus aufgefasst wird, der ein epistemisches Bekenntnis zum Optimismus erhält, leistet dessen Einführung jener epistemischen Deformation erheblichen Vorschub und lässt auf diese Weise die Disanalogien zum moralischen Realismus entstehen. Die vorgeschlagene Charakterisierung, der zufolge wissenschaftlicher und moralischer Realismus als Spezifikationen einer realistischen Wahrheitskonzeption anzusehen sind, hat vor diesem Hintergrund zur Folge, dass das Wunderargument nicht länger für den wissenschaftlichen Realismus aufgestellt werden kann. Das Wunderargument ist darauf ausgelegt, die (vermeintlich realistische) Annahme von der Erfassbarkeit der Wahrheit zu rechtfertigen; sobald man aber erst einmal dazu übergegangen ist, unter einem Realismus eine potentiell divergente Auffassung zu verstehen, die lediglich die Wahrheit selbst betrifft, fällt die Konklusion des Wunderarguments nicht mehr mit dem wissenschaftlichen Realismus zusammen.

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_007

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Kapitel 5

Für dieses Ergebnis kann man insofern Relevanz für die Metaethik beanspru­ chen, als es bisweilen vorkommt, dass Anhänger des moralischen Realismus den Versuch unternehmen, das Wunderargument – in abgewandelter Form – für den moralischen Realismus fruchtbar zu machen. So schlägt etwa David Enoch in seinem Buch Taking Morality Seriously (2011) zwei positive Argumente für den moralischen Realismus vor, die beide hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf den wissenschaftlichen Realismus überprüft werden – namentlich das Argument aus den Implikationen moralischer Objektivität und das Argument aus der deliberativen Unverzichtbarkeit. Das Argument aus den Implikationen besagt dabei, dass (zumindest radikale) Gegenentwürfe, die dem moralischen Realismus innerhalb der Metaethik – mithin auf der zweiten Ordnung – entgegenstehen, falsche moralische Urteile innerhalb der normativen Ethik – mithin auf der ersten Ordnung – nach sich ziehen und deshalb abgelehnt werden müssen.1 Genauer hat das Argument die Form einer reductio ad absurdum und fügt sich somit in den Zusammenhang der Frage nach der Neutralität der Metaethik ein: Für Enoch stellt sich die Metaethik insgesamt als eine Disziplin zweiter Ordnung dar, deren Überlegungen sich gerade nicht (vollständig) neutral gegenüber der vorgeordneten normativen Ethik verhalten, sondern vielmehr Implikationen beinhalten, die weit in die erste Ordnung hineinreichen.2 Diese Nicht-Neutralität der Metaethik schlägt sich Enoch zufolge genauer darin nieder, dass namentlich der moralische Anti-Realismus (bzw. Anti-Objektivismus) fragwürdige Implikationen enthält und deshalb zugunsten eines moralischen Realismus (bzw. Objektivismus) zurückgewiesen werden muss: Metaethical positions that are not objectivist in some important, intuitive sense have – in the context of interpersonal disagreement and conflict – implications that are objectionable on first-order, moral grounds, and should therefore be rejected.3 1 Wie Enoch in einem späteren Aufsatz darlegt, sieht er ein striktes Implikationsverhältnis zwischen Antirealismus und falschen moralischen Urteilen nur für einen karikierten Subjektivismus als gegeben an, der ethische Überzeugungen mit subjektiven Präferenzen gleichsetzt. Nichtsdestotrotz könne man aber, daran anschließend, auch anderen Versionen des Antirealismus (wie etwa der Expressivismus) anlasten, dass sie es nicht hinreichend plausibel zu erklären vermögen, inwieweit es ihre Positionen vermeiden, sich jene unplausiblen Implikationen einzuhandeln: „I certainly agree that such views are not logically inconsistent with the desired point about Impartiality […]. But what my argument does, if it succeeds, is to show that such views cannot accomodate this claim sufficiently plausibly […].“ (Enoch 2018: 603; vgl. auch Enoch 2011: 35) 2 Ebd.: 49; vgl. auch ähnlich Kramer 2009: 5 & Dworkin 1996: 99f 3 Enoch 2011: 16

Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument

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In der Literatur zum moralischen Realismus bildet dieser Rückgriff auf die Relevanz der Metaethik für die normative Ethik ein durchaus weit verbreitetes Motiv: Realisten werden nicht müde zu betonen, dass (zumindest radikale) Versionen des moralischen Antirealismus nicht allein falsche Thesen auf der Ebene der Metaethik aufstellen – Thesen über den Status moralischer Wahrheit –, sondern dass sich diese metaethischen Irrtümer darüber hinaus fortsetzen und auf falsche Thesen auf der Ebene der normativen Ethik hinauslaufen – Thesen darüber, welche moralischen Urteile wahr oder falsch, akzeptabel oder inakzeptabel sind.4 Entsprechend wendet sich etwa bereits Brink (1989) gegen antirealistische Einwände, denen zufolge der moralische Realismus aufgrund seiner praktischen Konsequenzen für die normative Ethik abgelehnt werden müsse. Insbesondere nimmt er dabei die Einwände ins Visier, dass der moralische Realismus wegen seiner Festlegung auf objektive Wahrheit Intoleranz und Dogmatismus begünstige, und hält ihnen entgegen, dass Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Dogmatismus in Bezug auf die eigenen Überzeugungen mit einem Realismus nicht nur nicht einhergehen, sondern dass sogar umgekehrt Toleranz und Fallibilismus eine realistische Perspektive voraussetzen:5 The truth of moral realism does seem to matter: It matters to the way in which moralists can and should respond to actual or potential amoralists; it matters to the moral judgments we can accept; it matters to the way in which we can defend certain kinds of moral theories (e.g., utilitarianism); and it matters to the appropriateness of certain sorts of attitudes to our own moral beliefs and those of others.6

Enochs Implikationsargument präzisiert diese populäre Argumentations­ strategie dahingehend, dass er sie genauer am Beispiel interpersonaler Konflikte ausarbeitet. Interpersonale Konflikte aufgrund verschiedener moralischer Überzeugungen dürfen demnach insbesondere nicht unparteiisch aufgelöst werden, sondern verlangen uns ab, einen Standpunkt zu beziehen („to stand one’s ground“). Enoch zeichnet demgegenüber für verschiedene Varianten des moralischen Antirealismus nach, dass sie ein Prinzip der Unparteilichkeit („impartiality“) implizieren und aufgrund dessen abgelehnt werden müssen.7

4 5 6 7

Vgl. etwa Schaber 1997: 220; vgl. auch Enoch 2020: 1f Vgl. Brink 1989: 94f; vgl. auch noch einmal Sturgeon 1986: 116, 119f, 127f Ebd.: 83 Vgl. Enoch 2011: 24ff

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Kapitel 5

Das Argument aus der Unverzichtbarkeit besagt dagegen, dass wir gerechtfertigt darin sind, von der Existenz moralischer Normen auszugehen, weil solche Normen deliberativ unverzichtbar sind, d.h. weil sie für das Austauschen von Gründen in ethischen Diskursen benötigt werden. Das Unverzichtbarkeitsargument kann dabei am ehesten als ein transzendentales Argument interpretiert werden, da es darauf abhebt, dass wir uns durch die Praxis ethischer Deliberation implizit dazu verpflichten, von der Existenz moralischer Wahrheiten und Gründe auszugehen, weil wir uns andernfalls in performative Widersprüche verstricken würden:8 Indem wir in ethischen Diskussionen Gründe und Argumente miteinander austauschen, verbürgen wir uns von Vornherein für die Annahme, dass es moralische (bzw. normative) Wahrheiten gibt, die durch unsere Deliberationen entdeckt werden können. Es ist eine Bedingung der Möglichkeit ethischen Diskutierens, dass es moralische (bzw. normative) Wahrheiten gibt. Deshalb sind wir darin gerechtfertigt, uns einen moralischen (bzw. normativen) Realismus zu eigen zu machen: Deliberative indispensability, I argue, justifies belief in normative facts, just like explanatory indispensability of theoretical entities like electrons justifies belief in electrons.9 Deliberation – unlike mere picking – is an attempt to eliminate arbitrariness by discovering (normative) reasons, and it is impossible in a believed absence of such reasons to be discovered. […] So, by deliberating, you commit yourself to there being relevant reasons, and so to there being relevant normative truths […]. Normative truths are thus indispensable for deliberation.10

Man kann womöglich dafürhalten, dass eine solche Argumentationsstrategie wiederum in der metaethischen Literatur verankert ist, insofern etwa auch Apel im Rahmen seiner Transzendentalpragmatik transzendentale Reflektionen bemüht, um die „Geltung moralischer Normen überhaupt“ als „eine ‚paradigmatische‘ Bedingung der Möglichkeit des zur Rechtfertigung von Normen gehörenden Sprachspiels“ ausweisen zu können.11 Apel selbst kann dabei aber freilich nicht als ein Vertreter des moralischen Realismus eingeordnet werden, da er – im Gegensatz etwa zu Enoch – nicht die Redeweise von der Objektivität der Moral verwendet, sondern es vorzieht, von der intersubjektiven Geltung moralischer Normen zu sprechen. Nichtsdestotrotz lässt er aber eine Gemeinsamkeit zum moralischen Realismus erkennen, indem er sich immerhin in Gegnerschaft zu subjektivistischen Auffassungen in der Ethik positioniert und transzendentale Argumentationen dafür fruchtbar zu machen 8 9 10 11

Ebd.: 79 (Fußnote 71) Ebd.: 50 Ebd.: 74f Apel 1973: 394

Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument

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sucht.12 Enochs Unverzichtbarkeitsargument schließt erkennbar an diese transzendentalphilosophische Tradition an und arbeitet die entsprechende Argumentationsstrategie genauer für die moderne Realismus-Debatte aus. Die Relevanz für eine integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus besteht dabei, zusammenfassend gesagt, darin, dass Enoch für beide metaethischen Argumente einen Bezug zur Wissenschaftstheorie ausdrücklich herstellt: Während er dem Implikationsargument explizit abspricht, auf die Wissenschaftstheorie anwendbar zu sein, weil wissenschaftstheoretische Überlegungen (auf der zweiten Ordnung) gegenüber wissenschaftlichen Theorien (auf der ersten Ordnung) weniger sensitiv seien,13 entwickelt er das Unverzichtbarkeitsargument für den moralischen Realismus erkennbar vor dem Hintergrund des Wunderarguments für den wissenschaftlichen Realismus. Der Zusammenhang zwischen Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument wird von Enoch dabei namentlich dadurch hergestellt, dass er beide Argumente gleichermaßen unter das Konzept der Unverzichtbarkeit subsumiert: Das Wunderargument für den wissenschaftlichen tritt demnach bei Enoch in Form eines explanatorischen Unverzichtbarkeitsargument auf, dem zufolge wir deshalb gerechtfertigt von der Existenz unbeobachtbarer Entitäten ausgehen dürfen, weil solche Entitäten unverzichtbar dafür sind, den empirischen Erfolg der modernen Wissenschaften zu erklären. Das Argument für den moralischen Realismus wird von ihm dann daran anschließend als ein deliberatives Unverzichtbarkeitsargument konzipiert, dem zufolge wir analog gerechtfertigt von der Existenz (irreduzibler) moralischer Normen ausgehen dürfen, weil solche Normen unverzichtbar dafür sind, in ethischen Diskussionen Gründe auszutauschen. In diesem Sinne macht Enoch also eine Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus auf und stellt in Aussicht, dass beide Auffassungen mithilfe derselben argumentativen Herangehensweise verteidigt werden können: My argument […] is modelled after arguments from explanatory indispensability common in the philosophy of science and the philosophy of mathematics. I argue that irreducibly normative truths, though not explanatorily indispensable, are nevertheless deliberatively indispensable – they are, in other words, indispensable for the project of deliberating and deciding what to do – and that this kind of indispensability is just as respectable as the more familiar explanatory kind.14

12 13 14

So macht es sich Apel etwa zur Aufgabe, dem „Bedürfnis nach einer universalen Ethik“ nachzukommen (ebd.: 359) und eine „universale, d.h. intersubjektiv gültige Ethik solidarischer Verantwortung“ gegen subjektivistische Positionen zu verteidigen (ebd.: 363). Vgl. Enoch 2011: 114 Ebd.: 50 (meine Hervorhebung)

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Kapitel 5

In diesem Kapitel möchte ich abschließend darlegen, weshalb ich davon überzeugt bin, dass Enoch in beiden Fällen falsch liegt und man ihm widersprechen muss: Weder kann das deliberative Unverzichtbarkeitsargument als ein metaethisches Äquivalent zum wissenschaftstheoretischen Wunderargument betrachtet werden; noch steht es unabweislich fest, dass das Implikationsargument gar keine Relevanz für die Wissenschaftstheorie entfalten kann. Der Grund für Enochs Fehleinschätzungen muss dabei darin gesucht werden, dass er sich der zuvor diskutierten Disanalogien zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus nicht bewusst zu sein scheint. Um das sehen zu können, muss man zunächst einen Blick auf das Wunderargument werfen und die Frage danach stellen, weshalb die Disanalogien zwischen den beiden realistischen Auffassungen überhaupt bestehen. (1) Das Wunderargument für den wissenschaftlichen Realismus besagt dabei bekanntlich in Putnams ursprünglicher Formulierung, dass der wissenschaftliche Realismus die einzige philosophische Position sei, die nicht darauf zurückgreifen muss, den empirischen Anwendungs- und Vorhersageerfolg der modernen Wissenschaften zu einem unerklärlichen Wunder zu deklarieren: The positive argument for realism is that it is the only philosophy that does not make the success of science a miracle.15

Das Wunderargument nimmt somit gemäß Standardinterpretationen die Form eines abduktiven Arguments oder eines Schlusses auf die beste Erklä­ rung an. Die beste Erklärung für den Erfolg der Wissenschaft besteht in der (vermeintlich realistischen) Annahme, dass unsere modernen Theorien (zumindest approximativ) wahr sind. Wissenschaftliche Realisten, die sich auf das Argument berufen, gehen somit von der Feststellung aus, dass die Theorien der modernen Wissenschaft – im Bereich des Beobachtbaren – erfolgreich darin sind, zukünftige Ereignisse vorherzusagen und mit den experimentellen Beobachtungen übereinzustimmen, und schließen daraus – via abduktivem Argument –, dass wir folglich gute Gründe haben, davon auszugehen, dass uns die Theorien auch im Bereich des Unbeobachtbaren etwas buchstäblich Wahres über die Beschaffenheit der Natur offenbaren. Wissenschaftliche Realisten gestehen dabei ausdrücklich zu, dass sich im historischen Verlauf der Wissenschaft durchaus auch falsche Theorien als erfolgreich erwiesen haben, machen aber auch in diesen Fällen geltend, dass selbst der Erfolg dieser Theorien einer Erklärung bedarf – einer Erklärung, die der wissenschaftliche Realismus durch das Konzept der approximativen Wahrheit zu liefern versucht: Der 15

Putnam 1975: 73

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Erfolg vergangener Theorien, die sich als falsch herausgestellt haben, kann Realisten zufolge demnach dadurch erklärt werden, dass auch ihnen bereits eine gewisses Maß an Wahrheitsnähe zugeschrieben werden kann, insofern sie als Grenzfall in modernen Theorien wieder aufgegriffen werden. Entsprechend macht etwa Chakravartty geltend, dass es wissenschaftlichen Realisten nicht um Wahrheit überhaupt geht, sondern dass sie vielmehr auf einen historischen Fortschrittsgedanken abheben, dem zufolge moderne Theorien approximativ wahr sind: Realists are generally keen to respond [to historical counter-examples] that not even they believe that theories are true simpliciter. […] It is the progress sciences make in describing nature with increasing accuracy that fuels realism. Good theories, they say, are normally ‚approximately true‘, and more so as the sciences progress.16

Der interessante Aspekt, auf den im vorliegenden Kontext hingewiesen sei, besteht darin, dass das Wunderargument eindeutig ein Argument für den epistemischen Optimismus darstellt und somit die epistemische Deformation des wissenschaftlichen zum konvergenten Realismus bereits voraussetzt. Dieser Umstand wird vor allem daran deutlich, dass die Konklusion, auf die das Wunderargument hinführt, darin besteht, wissenschaftliche Theoriebildung letztendlich für epistemisch erfolgreich zu erklären, dagegen aber in keiner Weise von der Überlegung Gebrauch macht, dass der Wahrheitsbegriff ein nicht-epistemischer Begriff ist. Der Grundgedanke des alethischen Realismus, dem zufolge allein Tatsachen als Wahrmacher wahrer Propositionen infrage kommen und dem zufolge Wahrheiten geistesunabhängig und damit objektiv bestehen, spielt für die Erklärung des wissenschaftlichen Erfolgs und folglich auch für das abduktive Wunderargument keine Rolle mehr. Im Gegenteil sind diese wahrheitstheoretischen Überlegungen dem vorliegenden Erklärungsversuch tendenziell sogar eher entgegengesetzt. Ein Konstruktivist etwa, der auf der metaphysischen Ebene die Geistesunabhängigkeit der Realität infrage stellt und stattdessen davon ausgeht, dass die Wissenschaft durch ihre eigenen Forschungspraktiken erst zur Konstitution einer geistesabhängigen Realität beiträgt, verbessert seine Aussichten darauf, den empirischen Erfolg der Wissenschaften mühelos zu erklären: Die wissenschaftlichen Theorien sind empirisch erfolgreich, weil es von Vornherein gar keine objektive Realität gibt, mit der sie in Konflikt geraten könnten, sondern die Realität selbst als das Produkt unserer Theoriebildung aufgefasst werden muss. Das Wunderargument dient also dazu, den wissenschaftlichen Realismus allein auf der Ebene des 16

Chakravartty 2007: 7 (meine Hervorhebungen)

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Kapitel 5

epistemischen Optimismus zu verteidigen. Es weist agnostische, pessimistische oder skeptische Ansätze in die Schranken, die die wissenschaftliche Erfassbarkeit der Wahrheit in Zweifel ziehen, kann demgegenüber aber nur schwerlich dafür benutzt werden, um einen Realismus gegen konstruktivistische oder relativistische Gegenentwürfe zu verteidigen, die die Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit selbst herausfordern. Es ist wichtig, diesen Punkt zu verstehen: Man kann das Wunderargument nicht dazu verwenden, um einen divergenten Realismus zu verteidigen. Insbesondere darf man sich nicht zu dem Einwand verleiten lassen, dass das Wunderargument deshalb für einen divergenten Realismus fruchtbar gemacht werden könne, weil es sich gewissermaßen transitiv übertragen lasse. Ein solcher Einwand könnte etwa die folgende Form annehmen: Das Wunderargument könne dafür verwendet, um einen konvergenten Realismus zu begründen. Wenn das Wunderargument auf einen (starken) konvergenten Realismus (bestehend aus drei Komponenten) anwendbar sei, dann müsse es ipso facto auch für einen (schwachen) divergenten Realismus (bestehend aus zwei der zuvor drei Komponenten) Relevanz haben. Aus der Wahrheit einer Konjunktion folgt schließlich die Wahrheit der Teilaussagen. Also sei das Wunderargument auch für einen divergenten Realismus einschlägig. Diese Übertragung kann nicht gelingen. Das Wunderargument ist nämlich kein Argument für den konvergenten Realismus insgesamt, d.h. für das gesamte Paket aus sprachanalytischer, metaphysischer und epistemischer Komponente, sondern eignet sich einzig und allein dazu, Letztere zu verteidigen – den epistemischen Optimismus. Der Grund dafür, dass man das Wunderargument nur für den epistemischen Optimismus fruchtbar machen kann, besteht darin, dass die Komponenten, die im konvergenten Realismus zusammengefasst sind, eben nicht unabhängig voneinander sind, sondern in dem bereits mehrfach angesprochenen Spannungsverhältnis stehen. Es sind namentlich die metaphysische und die epistemische Komponente, die den konvergenten Realismus gleichsam in zwei verschiedene Richtungen ziehen. Dies zeigt sich auch am Wunderargument, das den (konvergenten) Realismus ja als die beste Erklärung für den empirischen Anwendungs- und Vorhersageerfolg der modernen Wissenschaft heranzieht und dadurch – via Schluss auf die beste Erklärung – begründet. Die epistemische Komponente des Realismus ist einer solchen Erklärung auch tatsächlich zuträglich: Die optimistische Annahme, dass unsere Theorien (zumindest approximativ) wahr sind, erklärt, warum unsere Theorien Phänomene (zumindest weitgehend) korrekt vorhersagen. Die metaphysische Komponente des Realismus trägt zur Erklärung hingegen nichts bei; im Gegenteil ist sie einer solchen Erklärung sogar tendenziell abträglich: Die metaphysische Annahme, dass der Forschungsgegenstand der

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Wissenschaft eine geistesunabhängige Realität ist und theoretische Wahrheit in der Übereinstimmung mit einer derartigen Realität besteht, erklärt nicht, weshalb unsere Theorien empirisch erfolgreich sind; vielmehr erschwert sie eine Erklärung, weil sie Wahrheit als objektiv und damit als besonders schwierig zu erfassen ausweist. Aus diesem Grund ist das Wunderargument lediglich auf den epistemischen Optimismus bezogen und kann nicht transitiv auf den divergenten Realismus übertragen werden. Diese Stellung des Wunderarguments innerhalb der wissenschaftstheore­ tischen Realismus-Debatte kann dabei beispielsweise in Psillos‘ Darstellung vor Augen geführt werden. So führt Psillos, wie eben besprochen, das Wunderargument zunächst als einen Schluss auf die beste Erklärung ein, mit dessen Hilfe der wissenschaftliche Realismus insgesamt verteidigt werden kann; namentlich hebt er aber allein die optimistische Annahme hervor, dass unsere modernen Theorien approximativ wahr sind: As stated by Putnam, NMA [= no miracles argument] is intended to be an instance of inference to the best explanation (henceforth IBE, or abduction). What needs to be explained, the explanandum, is the overall empirical success of science. NMA intends to conclude that the main theses associated with scientific realism, especially the thesis that successful theories are approximately true, offer the best explanation of the explanandum.17

Es ist also keine wahrheitstheoretische, sondern vielmehr eine erkenntnistheoretische Konklusion, auf die das Wunderargument abzielt. Es geht um unsere Fähigkeiten, wissenschaftliche Wahrheiten einzusehen, nicht darum sie als objektiv oder geistesunabhängig auszuweisen: So, what makes NMA distinctive as an argument for realism is that it defends the achievability of theoretical truth. […] As I have noted, it suggests that the best explanation of the instrumental reliability of scientific methodology is that background theories are relevantly approximately true.18

Dieser Zusammenhang zwischen dem Wunderargument und dem konvergenten Realismus ist dabei insofern interessant, als er die historische Hypothese nahelegt, dass das Wunderargument nicht allein einen konvergenten Realismus voraussetzt, sondern darüber hinaus sogar maßgeblich dafür Verantwortung trägt, dass der Realismus in der Wissenschaftstheorie – im Gegensatz zu demjenigen in der Metaethik – jene epistemische Deformation aufweist. Die Disanalogien zwischen wissenschaftlichem und moralischem 17 18

Psillos 1999: 71 (meine Hervorhebung) Ebd.: 79f (meine Hervorhebung)

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Kapitel 5

Realismus könnten demnach das Resultat der Einführung des Wunderarguments in die wissenschaftstheoretische Realismus-Debatte sein. Diese Hypothese kann dabei durch drei Überlegungen gestützt werden. Erstens muss man festhalten, dass die Debatte um den wissenschaftlichen Realismus historisch weiter zurückreicht als dessen Verteidigung durch das Wunderargument. Wie wir gesehen haben, gibt es eine latente Uneinigkeit hinsichtlich der exakten Bestimmung desjenigen Zeitpunkts, an dem die Realismus-Debatten ihren Anfang genommen haben. Einige Autoren machen dabei geltend, dass sie um die vergangene Jahrhunderthälfte einsetzen; andere Autoren erklären dagegen bereits den Beginn des vergangenen Jahrhunderts zum Startpunkt der Realismus-Kontroversen in Wissenschaftstheorie und Metaethik (siehe Kapitel 3). Welche historische Darstellung man dabei für die Wissenschaftstheorie auch immer als zutreffend bewerten mag, man muss in jedem Fall zu dem Ergebnis kommen, dass die Diskussion um den wissenschaftlichen Realismus bereits im Gange war, als Putnam (und Boyd) in den 1970er Jahren das Wunderargument eingeführt und ausgearbeitet haben.19 Vor diesem Hintergrund kann man der historischen Hypothese, der zufolge das Wunderargument die epistemische Deformation des wissenschaftlichen Realismus nach sich gezogen hat, eine gewisse Anfangsplausibilität einräumen: Da das Wunderargument nämlich erst zu einem späteren Zeitpunkt auf den wissenschaftlichen Realismus angewandt wurde, hatten die besagten Autoren wenigstens die Gelegenheit dazu, der Konzeption des wissenschaftlichen Realismus eine neue Richtung zu geben. Zweitens kann man beim Betrachten der Literatur den Eindruck gewinnen, dass Wissenschaftstheoretiker latent dazu neigen, den wissenschaftlichen Realismus mithilfe des Wunderarguments nicht allein zu rechtfertigen, sondern zudem auch noch zu charakterisieren. Wissenschaftliche Realisten machen sich in der Regel freilich eine Variante der generischen Definition zu eigen und versuchen dementsprechend zu zeigen, dass sich der Realismus dadurch auszeichnet, dass er eine sprachanalytische, eine metaphysische und eine epistemologische Komponente beinhaltet. Sobald diese Charakterisierung aber abschlossen ist, gehen Autoren in der Wissenschaftstheorie notorisch dazu über, das Wunderargument anzuführen und in die Darstellung oder 19

Als frühe Realisten, die sich noch nicht des Wunderarguments bedient haben, kommen vor allem Grover Maxwell (1962) und J. J. C. Smart (1963) infrage. Bisweilen wird bekanntlich auch Feigl (1950) als ein historischer Vordenker es wissenschaftlichen Realismus eingeordnet (vgl. nochmals Neuber 2011). Man muss sich aber wiederum klarmachen, dass die Selbstverpflichtung auf ein verifikationistisches Sinnkriterium in einem latenten Widerspruch zum wissenschaftlichen Realismus steht.

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gar Definition desselben einzubeziehen.20 Diese Vorgehensweise, den wissenschaftlichen Realismus dadurch zu definieren, dass man ihn als diejenige Auffassung charakterisiert, die durch das Wunderargument gestützt wird, wird von manchen Autoren dabei sogar ausdrücklich befürwortet. So gibt etwa Musgrave (1988) zu erkennen, dass es ihm primär darum geht, Klarheit darüber zu erhalten, was das Wunderargument, das er als das ‚Ultimative Argument‘ für den wissenschaftlichen Realismus bezeichnet, genau besagt. Diese Klärung könne darüber hinaus aber auch noch dafür benutzt werden, um den wissenschaftlichen Realismus selbst verständlicher zu machen: [T]he first task is to find out exactly what this Ultimate Argument is. Surprisingly, this is not an easy task. Clarifying the argument will simultaneously clarify what the realism is for which it is an argument.21

Diese Übertragung ist aber gleich doppelt problematisch. Im Allgemeinen kommt diese Vorgehensweise einem latenten Missbrauch von Argumenten gleich, weil Argumente schlicht nicht dazu dienen, unsere Auffassungen und Theorien zu charakterisieren, sondern sie zu begründen. Darüber hinaus ist der vorliegende Fall insofern besonders misslich, als das Wunderargument, wie wir gesehen haben, vor allem ein Argument für einen konvergenten Realismus ist und deshalb für einen potentiell divergenten Realismus gar keine Relevanz entfalten kann. Vor diesem Hintergrund kann man also der historischen Hypothese einen Sinn abgewinnen, wonach die Einführung des Wunderarguments als die Ursache zu identifizieren sei, die die epistemische Deformation des Realismus in der Wissenschaftstheorie forciert hat und dadurch auch die Disanalogien zum moralischen Realismus ursprünglich hervortreten ließ. Drittens kann man abschließend dafürhalten, dass man bisweilen explizite Unterstützung für die historische Hypothese aus der Literatur ableiten kann. Auf der einen Seite kann man sich in diesem Zusammenhang auf Alvin Goldman berufen, der in seinem Buch Epistemology and Cognition (1986) einen kurzen Exkurs über den wissenschaftlichen Realismus vornimmt. Goldman ordnet den wissenschaftlichen Realismus dabei zunächst in den 20

21

Diese Vorgehensweise kann beispielsweise an Chakravarttys Darstellung beobachtet werden. So führt er zwar ausdrücklich die drei Komponenten eines wissenschaftlichen Realismus an und versucht demnach zumindest im Ansatz eine Definition vorzulegen, die allein auf eine sprachanalytische, eine metaphysische und eine epistemische These abhebt (Chakravartty 2007: 9). Gleichzeitig geht seine Erwähnung des Wunderarguments dieser Auflistung bereits voraus (ebd.: 4) und erweckt dadurch den angesprochenen Eindruck, dass moderne Autoren das Wunderargument maßgeblich in die Definition des wissenschaftlichen Realismus einfließen lassen (vgl. auch ähnlich Dicken 2016: 1). Musgrave 1988: 229 (meine Hervorhebung)

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Kapitel 5

übergeordneten Zusammenhang eines nicht-epistemischen Wahrheitsbegriffs ein und erklärt ihn somit zu einer philosophischen Auffassung, die eine realistische Wahrheitskonzeption auf den theoretischen Bereich der Wissenschaft anwendet. Anschließend geht er jedoch dazu über, dieses Verständnis des wissenschaftlichen Realismus ausdrücklich von modernen Ansätzen abzugrenzen, in denen der wissenschaftliche Realismus über den wahrheitstheoretischen Kerngedanken hinausgeht und zu einem konvergenten Realismus transformiert wird: In the writings of (early) Putnam, Richard Boyd and W. H. Newton-Smith, SR [= scientific realism] has been given a new twist, rendering it a stronger doctrine than the core view I presented above. […] Not only do scientists aim to describe the world with their theories, but they succeed in doing so. […] This brand of SR is sometimes called ‚convergent realism‘, or ‚historical progressivism‘. What I wish to emphasize about this doctrine is that it is an addition to the core of SR; one can therefore embrace SR’s core without embracing convergent realism.22

Diese Einordnung kann dabei insofern als Stützung der historischen Hypothese angesehen werden, als gerade Hilary Putnam und Richard Boyd für die Einführung des Wunderarguments in die Realismus-Debatte verantwortlich waren. Auf der anderen Seite kann man daneben auch aus den Entwürfen früher Anhänger des wissenschaftlichen Realismus direkt ablesen, dass sie sich keineswegs dazu verpflichten, einen konvergenten Realismus zu unterstützen und die Wahrheitsnähe moderner Theorien zu behaupten. So stellt insbesondere J. J. C. Smart in seinem Buch Philosophy and Scientific Realism (1963) heraus, dass sein Verständnis des wissenschaftlichen Realismus keinerlei Implikationen darüber enthalte, welche wissenschaftlichen Theorien als (approximativ) wahr oder falsch angesehen werden müssen. Vielmehr grenzt sich Smart insbesondere von instrumentalistischen und positivistischen Gegenentwürfen ab, die wissenschaftliche Theorien nicht buchstäblich interpretieren als echte Behauptungen über unbeobachtbare Entitäten und sie stattdessen auf ihren Beobachtungsgehalt zu reduzieren versuchen. Im Gegensatz dazu positioniert Smart den wissenschaftlichen Realisten zunächst nur als jemanden, der überhaupt davon ausgeht, dass es unbeobachtbare Aspekte der Realität gibt, die wissenschaftliche Theorien versuchen zu entdecken: At present I wish to consider the question of whether we have to regard the submicroscopic particles postulated in physical theory as part of the ‚furniture of the world‘, or whether we have to regard such theoretical entities as in some sense 22

Goldman 1986: 157 (meine Hervorhebungen)

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fictions, convenient ways of organising our talk about tables and chairs, trees and stars. I shall try to uphold a realistic view of such entities, and will try to establish that the elementary particles of physics are just as respectable entities as tables and galvanometers.23

Wie Smart daran anschließend betont, meint er dabei aber nicht zwangsläufig die unbeobachtbaren Entitäten, die von unseren heutigen Theorien postuliert werden, sondern hält sich ausdrücklich die Möglichkeit offen, dass sich unsere modernen Theorien als falsch herausstellen und dereinst mit anderen Theorien ersetzt werden können: By ‚just as respectable‘ here I mean ‚philosophically just as respectable‘. Unicorns are philosophically just as respectable as cows: it is for the zoologist, not the philosopher, to decide that there are no unicorns. Similarly, the physicist may come to replace his present theory of elementary particles with some other theory of what goes on at the sub-atomic level. Nevertheless, he will presumably postulate some new set of theoretical entities to replace the old ones. It is not for the philosopher to decide between one physical theory and another any more than it is up to him to become a zoologist and decide for or against the existence of unicorns. My problem is concerned with the ontological status of the physicist’s theoretical entities, whatever they are.24

Diese Charakterisierung des wissenschaftlichen Realismus, die es offenlässt, ob unsere modernen Theorien approximativ wahr sind, stimmt mit den gängigen Standarddarstellungen, die die heutige Realismus-Debatte dominieren, augenscheinlich nicht überein. Vielmehr läuft Smarts Darstellung wiederum darauf hinaus, den wissenschaftlichen Realismus gerade keiner epistemischen Deformation zu unterziehen. Dieses Ergebnis ordnet sich in den vorliegenden Kontext ein, insofern es die historische Hypothese nochmals nahelegt: Es scheint plausibel zu sein, die Einführung des Wunderarguments als Treiber jener Entwicklung anzusetzen, in deren Folgen der wissenschaftliche Realismus epistemisch überformt wurde, da nicht zuletzt solche Autoren wie Smart den Realismus vor jener Einführung ohne einen epistemischen Optimismus formuliert haben. Nimmt man all diese Überlegungen über den zeitlichen Verlauf der Realismus-Debatte, über die überragende Rolle des Wunderarguments innerhalb der Standarddarstellungen und über die Zeugnisse zeitgenössischer Autoren zusammen, dann kann man der historischen Hypothese also durchaus einen Sinn abgewinnen: Das Wunderargument, das in den 1970er Jahren vor 23 24

Smart 1963: 27 (meine Hervorhebungen) Ebd. (meine Hervorhebungen)

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Kapitel 5

allem durch Hilary Putnam und Richard Boyd in die Diskussion eingebracht wurde, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der wissenschaftliche Realismus eine epistemische Deformation vollzogen hat und infolgedessen seine Parallelen zum moralischen Realismus abhandengekommen sind. (2) Diese Überlegungen zum Wunderargument haben insofern eine Relevanz für die Metaethik, als Enochs deliberatives Unverzichtbarkeitsargument ja gerade als eine Anwendung des Wunderarguments auf den moralischen Realismus konzeptualisiert wird. Enoch versucht diese Parallele zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus herzustellen, indem er beide Argumente unter das Konzept der Unverzichtbarkeit subsumiert: Das Wunderargument für den wissenschaftlichen Realismus nimmt ihm zufolge die Form eines explanatorischen Unverzichtbarkeitsarguments an, dem zufolge wir gerechtfertigt darin sind, von der Existenz unbeobachtbarer Entitäten auszugehen, weil diese Annahme unverzichtbar dafür ist, den empirischen Erfolg der Wissenschaften zu erklären. Enochs eigenes Argument nimmt in vermeintlicher Analogie dazu die Form eines deliberativen Unverzichtbarkeitsarguments an, dem zufolge wir gerechtfertigt darin sind, von der Existenz (irreduzibler) moralischer Normen auszugehen, weil diese Annahme unverzichtbar dafür ist, dass wir in ethischen Diskussionen Gründe miteinander austauschen können. Wie man vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussionen sieht, hängt diese Parallele aber schief: Enochs Unverzichtbarkeitsargument etabliert gerade keine Analogie zum Wunderargument. Zu diesem Befund kann man freilich bereits dadurch hingeführt werden, wenn man bedenkt, dass beide Argumente – trotz ihrer Subsumption unter das Konzept der Unverzichtbarkeit – eine unterschiedliche logische Form aufweisen. Das Wunderargument kann gemäß Standardinterpretationen als ein Schluss auf die beste Erklärung interpretiert werden; Enochs Unverzichtbarkeitsargument kommt dagegen eher einem transzendentalen Argument gleich. Da abduktive und transzendentale Argument aber erheblich voneinander abweichen, kann dieser Befund bereits Zweifel daran aufkommen lassen, ob sich die von Enoch in Aussicht gestellte Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus tatsächlich bewahrheitet. Diese Zweifel erhärten sich sogar noch weiter, wenn man sich die vorherige Diskussion des Wunderarguments noch einmal vor Augen führt. Das deliberative Unverzichtbarkeitsargument kann keine Parallele zum Wunderargument etablieren, weil das Wunderargument vornehmlich ein Argument für einen epistemischen Optimismus oder einen konvergenten Realismus ist, der moralische Realismus dagegen aber über gar keine äquivalente Komponente verfügt, sodass sich letztendlich ein Dilemma ergibt: Entweder konzeptualisiert

Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument

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man den wissenschaftlichen Realismus als einen konvergenten oder als einen divergenten Realismus. Wenn man ihn als einen konvergenten Realismus konzipiert und folglich an der epistemischen Erweiterung festhält, kann das Wunderargument deshalb nicht für den moralischen Realismus fruchtbar gemacht werden, weil der moralische Realismus keine äquivalente epistemische Komponente aufweist, für die das Argument aber nun mal gerade vorgesehen ist. Wenn man den wissenschaftlichen Realismus dagegen als einen potentiell divergenten Realismus auffasst und der epistemischen Deformation eine Absage erteilt, kann das Wunderargument ebenfalls nicht analog auf den moralischen Realismus übertragen werden, weil es von Vornherein gar nicht mehr auf den wissenschaftlichen Realismus selbst zugeschnitten ist. Diese Feststellung ist freilich kein Einwand gegen das deliberative Unverzichtbarkeitsargument selbst, sondern richtet sich nur gegen Enochs explizite Behauptung, dass sein Unverzichtbarkeitsargument (für den moralischen Realismus) eine Analogie zum Wunderargument (für den wissenschaftlichen Realismus) herzustellen vermag. Es mag durchaus aussichtsreich sein, den Versuch zu unternehmen, den moralischen Realismus unter Verweis auf die deliberative Unverzichtbarkeit irreduzibler moralischer Normen für das ethische Diskutieren zu verteidigen. Eine solche Argumentationsstrategie aber in Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Realismus und seiner Verteidigung mittels des Wunderarguments zu bringen, übersieht die substantiellen Disanalogien zwischen beiden Auffassungen: Das Wunderargument ist kein Argument für objektive Wahrheit, sondern für die Erfassbarkeit der Wahrheit und einen entsprechenden Fortschrittsgedanken; deshalb ist es für den moralischen Realismus, der eine Auffassung über objektive Wahrheit darstellt und mit keinem äquivalenten Fortschrittsgedanken in Verbindung gebracht werden kann, unbrauchbar. Die bislang ungebrochene Dominanz des Wunderarguments lässt diese Aussicht freilich nicht gerade verheißungsvoll erscheinen und kann womöglich eine gewisse Resignation auslösen. Das Wunderargument kommt gemeinhin, wie man etwa an Musgraves Terminologie sieht, als das ultimative Argument für den Realismus daher – als das überzeugendste Argument, das Realisten ins Feld führen können, um ihre Auffassung gegen die zahlreichen Gegenentwürfe abzusichern, mit denen man in der Literatur unweigerlich zu tun bekommt. Deshalb mag es schwerfallen, das Wunderargument – sei es in seiner ursprünglichen Form in der Wissenschaftstheorie oder in abgewandelter Form in der Metaethik – loszulassen und gänzlich darauf zu verzichten, da man dann die Befürchtung aufkommen lässt, dass Realisten sämtlicher argumentativer Ressourcen beraubt seien, mit denen sie ihre Auffassung (in der Wissenschaftstheorie oder Metaethik) verteidigen können. Ich möchte das

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Kapitel 5

Kapitel aber mit einem positiven Ausblick schließen – nicht zuletzt deshalb, weil ich tatsächlich denke, dass ein solcher Verzicht die Realismus-Thematik bereichern könnte und den Blick auf anderweitige Argumentationsstrategien zu lenken vermag, die bisher durch die übertriebene Fokussierung auf das Wunderargument ins Hintertreffen geraten sind. Es ist namentlich das von Enoch aufgestellte Argument aus den Implikationen, das einen aussichtsreichen Kandidaten abgibt, mit dessen Hilfe die Möglichkeit eröffnet werden kann, eine argumentative Erneuerung in den Realismus-Debatten zu bewerkstelligen. Enoch selbst gibt zwar an, dass er – im Gegensatz zum Unverzichtbarkeitsargument – keine Möglichkeit sehe, das Implikationsargument für den wissenschaftlichen Realismus anwendbar zu machen. Vielmehr bescheinigt er dem Implikationsargument eine ausschließliche Relevanz für die Metaethik. Der Grund dafür besteht darin, dass er der Wissenschaftstheorie anlastet, weniger sensitiv gegenüber wissenschaftlichen Theorien zu sein: The crucial difference is that nothing in science is, as far as I know, sensitive to such views about science. This is why no problematic scientific statement follows from constructive empiricism. […] Normative discourse – and more certainly moral discourse – most certainly is sensitive to such as-if thoughts about it […]. Hence the disanalogy.25

Enochs Analyse ist in diesem Punkt allerdings außerordentlich fragwürdig, weil sie wiederum im Verdacht steht, die Disanalogien, die zwischen dem (konvergenten) wissenschaftlichen und dem (divergenten) moralischen Realismus bestehen, nur ungenügend zu berücksichtigen (siehe Kapitel  4). Dieser Verdacht drängt sich vor allem deshalb auf, weil Enoch in der angeführten Passage ausdrücklich auf den konstruktiven Empirismus van Fraassens abhebt und denselben als paradigmatische Gegenposition zum wissenschaftlichen Realismus einordnet. Diese Einordnung entspricht zwar durchaus den herkömmlichen Darstellungen in der Wissenschaftstheorie; allerdings beruhen diese Darstellungen, wie dargelegt wurde, auf der epistemischen Deformation des Realismus, d.h. auf seiner beinahe unmerklichen Verkehrung zu einer im Kern anti-skeptischen Auffassung. Der konstruktive Empirismus kann dem wissenschaftlichen Realismus lediglich auf der epistemologischen Ebene entgegengesetzt werden und nimmt folglich die Form eines epistemischen Agnostizismus an, dem zufolge wir uns eines Urteils darüber enthalten sollten, ob unsere modernen Theorien buchstäblich wahr sind. Wenn man den Realismus dagegen unter einer rein wahrheitstheoretischen Perspektive betrachtet und erkenntnistheoretische Problemstellungen außen vor lässt, ist 25

Enoch 2011: 114

Wunder- und Unverzichtbarkeitsargument

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van Fraassens Opposition zum wissenschaftlichen Realismus nicht mehr so offensichtlich, wie es zunächst scheint. Mit anderen Worten: Enoch mag zwar damit recht haben, dass der konstruktive Empirismus keine falschen Implikationen auf der ersten Ordnung nach sich zieht und dass deshalb auch prima facie kein analoges Implikationsargument für den wissenschaftlichen Realismus aufdrängt. Allerdings liegt das lediglich daran, dass der wissenschaftliche Realismus ja ohnehin gar kein Analogon zum moralischen Realismus bildet, wenn man ihn primär mit agnostischen Ansätzen kontrastiert. Stellt man die Analogie zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus hingegen wieder her und konzipiert beide Auffassungen im Sinne eines divergenten Realismus, sodass auch der wissenschaftliche Realismus nicht länger erkenntnistheoretischen Positionen, sondern wahrheitsthetischen Auffassungen gegenübersteht (insbesondere solchen, die die Objektivität der Wahrheit leugnen), dann büßt Enochs Absage an ein wissenschaftstheore­tis­ ches Implikationsargument erheblich an Plausibilität ein. Ein wissenschaftstheoretischer Konstruktivismus, dem zufolge der Forschungsgegenstand der Wissenschaft gerade keine geistesunabhängige, sondern eine geistesabhängige Realität abgibt, die durch wissenschaftliche Theoriebildungen und Forschungspraktiken überhaupt erst konstituiert wird, kann viel eher in den Verdacht geraten, in einem problematischen Verhältnis zu wissenschaftlichen Theorien erster Ordnung zu stehen. Ein wissenschaftstheoretischer Relativismus, dem zufolge wissenschaftliche Wahrheiten im Auge des Betrachters liegen, verfügt womöglich nicht über die konzeptuellen Ressourcen, um wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten auf eine Weise aufzulösen, die nicht auf das Prinzip der Unparteilichkeit hinausläuft, und kann auf diese Weise ebenfalls anfällig für ein Implikationsargument sein. Aus diesem Grund bildet van Fraassens konstruktiver Empirismus ein denkbar ungeeignetes Vergleichsobjekt, an dem sich nachvollziehen ließe, ob das Implikationsargument für wissenschaftlichen und moralischen Realismus gleichermaßen fruchtbar gemacht werden kann, sodass es zumindest prima facie denkbar ist, dass ein entsprechender Vorwurf – ein wissenschaftstheoretisches Äquivalent zum metaethischen Implikationsargument – für den wissenschaftlichen Realismus formuliert werden kann. Autoren, die dem wissenschaftlichen Realismus nahestehen, müssen dann (zumindest radikalen) Versionen des wissenschaftlichen Antirealismus vorwerfen, dass sie in einem gestörten Verhältnis zur Wissenschaft selbst befinden – und es gibt Anhaltspunkte dafür, dass dies in der Literatur bisweilen geschieht.26 26

Entsprechend legt etwa Alan Musgrave dem wissenschaftlichen Antirealismus zur Last, in einem spannungsreichen Verhältnis zur Wissenschaft selbst zu stehen. So spricht er

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Kapitel 5

Damit ergibt sich abschließend das Bild, dass Enochs Bezug zur Wissenschaftstheorie, den er sowohl für das Implikations- als auch für das Unverzichtbarkeitsargument aufmacht, in beiden Fällen fehlerhaft anmutet, weil er die Disanalogien zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus übersieht. Auf der einen Seite hat Enoch dahingehend unrecht, dass sich das deliberative Unverzichtbarkeitsargument nicht als ein metaethisches Äquivalent zum wissenschaftstheoretischen Wunderargument konzeptualisieren lässt. Auf der anderen Seite versäumt er es, das Potential des Implikationsarguments für die Wissenschaftstheorie angemessen zu würdigen. In diesem letzten Kapitel konnte somit, zusammenfassend gesagt, zweierlei erreicht werden. (1) Zum einen wurde die erhebliche Dominanz des Wunderarguments im Rahmen der wissenschaftstheoretischen Realismus-Debatte kritisch hinterfragt: Der wissenschaftliche Realismus kann, sofern er die Form eines divergenten Realismus annimmt, nicht länger mithilfe des Wunderarguments verteidigt werden, da das Argument ausschließlich für den epistemischen Optimismus fruchtbar gemacht werden kann; darüber hinaus wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Einführung des Wunderarguments sogar als entscheidender Faktor dafür identifiziert werden kann, dass der wissenschaftliche Realismus überhaupt erst zu einem konvergenten Realismus verkehrt wurde und sich vom moralischen Realismus entfremdet hat. (2) Zum anderen wurde moralischen Realisten nahegelegt, die argumentative Auseinandersetzung weniger am Wunderargument auszurichten: Der moralische Realismus kann ebenso wenig mithilfe des Wunderarguments – und sei es in abgewandelter Form – verteidigt werden. Enochs Argumente haben deshalb ein diametral anderes Verhältnis zur Wissenschaftstheorie, als er es darstellt. Das Argument aus der deliberativen Unverzichtbarkeit bildet kein Analogon zum Wunderargument; das Argument aus den Implikationen stellt hingegen in Aussicht, eine Parallele zum wissenschaftlichen Realismus etablieren zu können.

etwa von einer „unholy alliance (forgive the pun) between religion an antirealism about science“ (vgl. Musgrave 2018: 55, vgl. ähnlich auch Popper 1963: 175; vgl. auch Albert 1968: 126f (Fußnote 5)). In diesem Sinne scheint Musgrave also durchaus ein Implikationsargument für den wissenschaftlichen Realismus im Sinn zu haben, dem zufolge sich philosophische Auffassungen über Wissenschaft gegenüber wissenschaftlichen Theorien selbst nicht neutral verhalten und mit ihnen bisweilen in Konflikt stehen können: „[scientific] antirealism is a human chauvinistic philosophy that is at odds with some of the basic teachings of science.“ (Musgrave 2018: 60, meine Hervorhebung)

Schluss In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, den wissenschaftlichen Realismus aus der Wissenschaftstheorie und den moralischen Realismus aus der Metaethik einer gemeinsamen Untersuchung zu unterziehen. Die zentrale Fragestellung, die in der Arbeit aufgeworfen wurde, lautet, ob man eine genuin realistische Grundüberzeugung identifizieren kann, die sich in beiden Auffassungen gleichermaßen wiederfindet und sich folglich nur in unterschiedlichen Bereichen ausdifferenziert. Die Antwort, die darauf gegeben wurde, besagt, dass dies durchaus möglich ist – jedenfalls solange man sich dazu bereit erklärt, einige liebgewonnene Gewissheiten der philosophischen Orthodoxie kritisch zu hinterfragen. Folgt man der zentralen These der Arbeit, dann kann man sich den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem und moralischem Realismus genauer mithilfe eines Rekurses auf die Wahrheitstheorie klarmachen. Ein Realismus (in Wissenschaft und Ethik) stellt sich demzufolge als eine Auffassung über Wahrheit dar – und genauer als eine Auffassung, die eine Vorstellung von der Objektivität der Wahrheit geltend macht. Der Umstand, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, erweist sich Realisten zufolge als etwas dezidiert Objektives, als er allein von der objektiven Beschaffenheit der Realität, nicht aber von irgendwelchen subjektiven Besonderheiten der menschlichen Erkenntnissituation abhängt. Damit eine Aussage wahr ist, muss sie insbesondere nicht als wahr erkannt werden, da es durchaus Wahrheiten außerhalb des menschlichen Erkenntniszugriffs geben mag. Demgegenüber sollte man davon absehen, den Realismus primär in die Erkenntnistheorie zu verorten und ihn infolgedessen als eine Auffassung zu begreifen, die nicht mehr mit Ansätzen kontrastiert wird, die die Objektivität der Wahrheit in Abrede stellen (wie ein Relativismus), sondern mit Ansätzen, die unsere Ansprüche, Erkenntnis ausbilden zu können, in Zweifel ziehen (wie ein Skeptizismus). Eine solche Umdeutung des Realismus zu einer erkenntnistheoretischen Auffassung führt nicht nur zu einer Verschleierung seines eigentlich wahrheitstheoretischen Grundgedankens, sondern auch zu einer Entfremdung von wissenschaftlichen und moralischen Realisten untereinander, deren Einordnung in einen übergeordneten Zusammenhang unkenntlich wird. Die in der Arbeit unterbreitete integrative Darstellung hat insgesamt das Potential, diese Fehlentwicklung in der modernen Philosophie aufzudecken, und zu korrigieren, indem sie eine Rückbesinnung auf den wahrheitstheoretischen Kern vorschlägt, durch den wissenschaftlicher und moralischer Realismus ursprünglich miteinander verbunden sind.

© Brill mentis, 2023 | doi:10.30965/9783969752821_008

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Schluss

In Kapitel 1 wurden zunächst die beiden philosophischen Subdisziplinen, in denen die in Rede stehenden Realismus-Debatten beheimatet sind, näher untersucht und miteinander abgeglichen. Es wurde herausgearbeitet, dass beide Fachgebiete eine ähnliche metatheoretische Perspektive eröffnen und sich als Disziplinen zweiter Ordnung erweisen, die nachgeordnet über den grundsätzlichen Status einer Bezugsdisziplin erster Ordnung reflektieren – namentlich über den Status von Wissenschaft bzw. Ethik. Durch diesen Hinweis konnte bereits eingangs eine systematische Parallele etabliert werden, durch die sich die weitere Untersuchung motivieren ließ. In Kapitel 2 wurde dann ein Exkurs in die Wahrheitstheorie unternommen, in dessen Rahmen genauer der alethischer Realismus als Grundlage für die nachfolgende Diskussion herangezogen wurde. Der grundlegende Gedanke des alethischen Realismus besagt dabei, dass der Umstand, ob eine Proposition wahr oder falsch ist, allein von der Beschaffenheit Realität abhängt und damit insbesondere unabhängig davon besteht, ob sich irgendjemand unter irgendwelchen Umständen von der entsprechenden Proposition überzeugt. Vielmehr werden wahre Propositionen allein durch Tatsachen wahrgemacht, sodass die Wahrheit oder Falschheit aller Propositionen (im engen Sinne) geistesunabhängig besteht. Eine realistische Wahrheitskonzeption, die sich dadurch auszeichnet, dass eine strikte Abgrenzung von nicht-epistemischer Wahrheit und epistemischem Zugriff auf die Wahrheit vorgenommen wird, diente daran anschließend als Hintergrund für die integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, wie sie in Kapitel  3 ins Auge gefasst wurde. Ein wissenschaftlicher Realismus kann demnach prima facie als eine Auffassung vorgestellt werden, die den grundlegenden Gedanken des alethischen Realismus übernimmt und auf den theoretischen Bereich der Wissenschaft überträgt, indem er wissenschaftlichen Aussagen und Theorien zuschreibt, Träger von objektiven Wahrheitswerten zu sein. Der moralische Realismus kann, in Analogie dazu, prima facie als eine Auffassung dargestellt werden, die denselben Grundgedanken des alethischen Realismus übernimmt und auf den praktischen Bereich der normativen Ethik anwendet, indem er moralischen Urteilen und normativ-ethischen Ansätzen zuschreibt, Träger von objektiven Wahrheitswerten zu sein. Diese integrative Darstellung von wissenschaftlichem und moralischem Realismus, die ihren Anfang in der Wahrheitstheorie hat, konnte dabei auf der einen Seite durch die Beobachtung gestützt werden, dass beide Auffassungen an die drei Charakteristika des alethischen Realismus anknüpfen und somit jeweils – auf der Vertikalen – in eine Nähe zu einer realistischen

Schluss

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Wahrheitskonzeption gebracht werden können, die sie – auf der Horizontalen – wechselseitig miteinander verbindet (Abschnitt 3.1). Auf der anderen Seite kündigt sich in den populären Standarddarstellungen, mit denen ein Realismus in Wissenschaftstheorie und Metaethik typischerweise versehen wird, eine epistemische Deformation an, die aus einem Realismus eine Auffassung über unseren Erkenntniszugang zur Wahrheit zu machen droht und sich zunächst – innerhalb der generischen Definition – in beiden Debatten ausmachen lässt (Abschnitt 3.2). Dieser Eindruck, dem zufolge die epistemische Deformation des Realismus in beiden Debatten gleichermaßen um sich greift, konnte aber anschließend in Kapitel 4 nicht bestätigt werden. Während der wissenschaftliche Realismus in der Wissenschaftstheorie nämlich dezidiert die Form eines konvergenten Realismus annimmt, behält der moralische Realismus in der Metaethik den Status eines potentiell divergenten Realismus, der auf die Trennung von Wahrheit und Erkenntnis setzt, tendenziell bei. Die Unterscheidung zwischen konvergentem und divergentem Realismus resultiert dabei in einigen Disanalogien, die zwischen beiden Auffassungen ausgemacht werden können, von der generischen Definition jedoch übersehen oder verdeckt werden und dieselbe dadurch in Misskredit bringt. Schließlich haben wir in Kapitel 5 einige abschließende Reflektionen darüber vorgenommen, ob auch ein ähnlicher argumentativer Zugriff auf beide philosophischen Auffassungen entwickelt werden kann. Wie wir gesehen haben, erfordert ein entsprechender Versuch, Argumente aus der einen für die jeweils andere Realismus-Debatte fruchtbar zu machen, ein Bewusstsein von den substantiellen Disanalogien, die zwischen den Standarddarstellun­gen von wissenschaftlichem und moralischem Realismus bestehen – ein Bewusstsein, das in der Literatur typischerweise nicht vorhanden ist und dazu führt, dass einerseits irreführende Bezugnahmen hergestellt (Unverzichtbar­keitsargument) und aussichtsreiche Parallelen verschmäht werden (Implikationsargument). Damit kann als Ergebnis der vorliegenden Arbeit festgehalten werden, dass eine Integration von wissenschaftlichem und moralischem Realismus darauf achtgeben muss, den wahrheitstheoretischen Grundgedanken des Realismus ins Zentrum zu rücken und einer erkenntnistheoretischen Überdehnung der Thematik vorzubeugen. Wenn man verstehen will, was ein Realismus – in Wissenschaftstheorie oder Metaethik – besagt, dann muss man davon absehen, einen konvergenten Realismus als Ausgangspunkt anzusetzen, und sollte stattdessen einen divergenten Realismus ins Auge fassen, der sauber zwischen Wahrheit und Erkenntnis unterscheidet. Ausblickend erhoffe ich mir, dass diese integrative Darstellung einen Beitrag zur Rehabilitierung des Realismus

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Schluss

gegen weitverbreitete Vorbehalte zu leisten vermag, welche bisweilen darauf hinauslaufen, objektive Wahrheiten höchstens im Bereich der Wissenschaft gelten zu lassen, den Bereich der Ethik aber lediglich auf subjektive Meinungen zu beschränken. Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, dass sich ein Realismus sowohl im Kontext der Wissenschaft als auch im Kontext der Ethik als eine zutiefst plausible Auffassung erweist, die in beiden Bereichen verdient, ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Die unvoreingenommene Suche der der Wahrheit stellt sich nicht allein als Leitmotiv der Wissenschaft dar, sondern kann auch in der Ethik eine entsprechende Bedeutung entfalten. Wer diese Idee der Wahrheitssuche in einem größeren Zusammenhang begreifen will, ist gut beraten, auf die Realismus-Debatten in der modernen Philosophie abzustellen – und ihre oftmals vernachlässigten Verbindungen in den Blick zu nehmen.

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