Wirtschaftssysteme: Vergleiche — Theorie — Kritik 9783540174967, 9783642718632

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Wirtschaftssysteme: Vergleiche — Theorie — Kritik
 9783540174967, 9783642718632

Table of contents :

Content:
Front Matter....Pages I-VIII
Grundprobleme der gegenwärtigen Wirtschaftssysteme....Pages 1-58
Entwicklung der Idee einer volkswirtschaftlichen Planung....Pages 59-75
Sozialistische Plan-Markt-Koppelungen....Pages 77-108
Quantitativer Ausdruck der sozialistischen Rückständigkeit....Pages 109-128
Reformerfordernisse im marktwirtschaftlichen System....Pages 129-171
Alternative sozial-ökonomische Modelle....Pages 173-217
Back Matter....Pages 219-232

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Ota Sik

Wirtschaftssysteme Vergleiche - Theorie - Kritik

Springer-Verlag Berlin Heide1berg New York London Paris Tokyo

Professor Dr. Ota Sik Gatterstraße 1 CH-9010 St. Gallen

ISBN -13:978-3-540-17496-7 e- ISBN-13:978-3-642-71863-2 DOI: 10.1007/978-3-642-71863-2 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek. Sik. Ola: Wirtschaftssysteme : Vergleiche, Theorie, Kritik I Ota Sik. - Berlin: Heidelberg; NewYork; London; Paris; Tokyo: Springer, 1987. ISBN-I3'978-3-540-17496-7 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervieltältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervieltältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepuhlik Deutschland vom 9. September 1965 in der Fassung vom 24. Juni 1985 zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

2142/3140-543210

Vorwort

In diesem Buch versuche ich, möglichst leicht verständlich, die bei den heute existierenden Wirtschaftssysteme, das kapitalistisch-marktwirtschaftliche und das sozialistisch-planwirtschaftliche System, in ihren Grundzügen darzustellen und miteinander zu vergleichen. Auch wenn es mir zuerst einmal darum geht, die systembedingte Unterschiedlichkeit der wichtigsten Prozesse, aus welchen sich eine Wirtschaft zusammensetzt, möglichst objektiv näherzubringen, so wird diese Darstellung dennoch immer von meiner Bewertung der Systeme beeinflußt sein. Selbstverständlich geht es um die Bewertung von empirisch erfaßbaren Erscheinungen, die mit den Grundzügen dieses oder jenes Wirtschaftssystems inhärent verbunden sind. Meine Einstellung zu beiden Systemen geht davon aus, daß keine Wirtschaftsbzw. Gesellschaftsordnung von ewiger Dauer ist. Während der geschichtlichen Entwicklung haben sich alle Gesellschaftssysteme verändert und zwar in der Weise, daß sich mehr oder weniger einzelne Systemgrundzüge verändert haben. Es ist meine Überzeugung, daß früher oder später auch verschiedene Grundzüge der heute existierenden Systeme eine Wandlung erfahren werden. Die Völker strebten immer - bewußt oder unbewußt - nach solchen Gesellschaftsänderungen, die sie von immer schwerer ertragbaren Leiden, von Ängsten, Unterdrückungen und Krisen befreien sollten. Manchmal dauerte es sehr lange, bevor sie einen richtigen Weg aus ihren Nöten fanden - oft irrten sie auch und folgten falschen Propheten. Trotz solcher Rückschläge setzte sich jedoch langfristig eine fortschreitende Humanisierung der gesellschaftlichen Ordnungen durch. Nie wird es zwar ein absolut humanes System geben, und jede neue Epoche wird ihre neuen Probleme und Schwierigkeiten zu überwinden haben. Dennoch sind die Menschen heute wesentlich freier, als sie es noch vor einigen Jahrhunderten waren, und sie werden in Zukunft auch wieder freier sein, als sie es heute sind. Die Aufdeckung von Ursachen unnötiger Schwierigkeiten, die sich in der Wirtschaft und Gesellschaft wiederholen oder sogar anwachsen sowie das Suchen nach Wegen ihrer Vermeidung, sollten daher erste Aufgabe von Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftern sein. Dieser Aufgabe habe ich mich verschrieben und ihr soll auch dieses Buch dienen. In der Entstehung des sowjetischen kommunistischen Systems sehe ich einen Irrweg, der den Völkern schwer ertragbare Verluste und Unterdruckungen gebracht hat. Auch die anwachsenden Schwierigkeiten des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems und vor allem seine periodisch wiederkehrenden Erscheinungen von Massenarbeitslosigkeit sollten mit Hilfe von Reformen überwunden werden. Zum Unterschied von vorangehenden Arbeiten, in welchen ich ein denkbares Modell eines neuen Wirtschaftssystems vorzustellen versuchte, soll diese Arbeit in vermehrtem Maße der Analyse bei der existierenden Systeme sowie auch unterV

schiedlicher systembezogener ökonomischer Theorien gewidmet sein. Gleichzeitig versuche ich, mich auch mit verschiedenen Einwänden in Richtung meiner früheren Arbeiten zu befassen. Hoffentlich werden auch einige neue Aspekte in der Erklärung dieses oder jenes ökonomischen Problems Beachtung bei meinen Fachkollegen finden. Für die Hilfe meiner beiden Mitarbeiter bei der Bearbeitung dieses Buches, Rene Höltschi und Christian Rockstroh, will ich mich hier herzlich bedanken. St. Gallen, Frühjahr 1987

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Ota Sik

Inhal tsverzeichnis

I.

Grundprobleme der gegenwärtigen Wirtschaftssysteme

1 Wesen der Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . 2 Ökonomische Problematik der Bedürfnisse . . . . 3 Charakterzüge von Wirtschaftssystemen im Vergleich. 3.1 Begriff "Wirtschaftssystem" . . . . . . . . . 3.2 System der Güterverteilung und Eigentumsverhältnisse 3.3 System der ökonomischen Interessen und Wirtschaftsmotivation 3.4 System der technischen und ökonomischen Wissensbildung 3.5 System der Leitung und Koordination . . . . . . . . 3.6 System der Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat. 4 Die Theorie der Wirtschaftssysteme . . . . . . . . . 11. Entwicklung der Idee einer volkswirtschaftlichen Planung 1 2 3 4 5 6 7

Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung der marxistischen Planungstheorie . . . . . Kriegswirtschaftlich bedingte Planungspraxis und -theorie Entstehung der sozialistischen Planwirtschaft . . . . . . Die Planungsdiskussionen in der UdSSR der zwanziger Jahre Die Wirtschaftsrechnungsdebatte . . . . . . Planung in kapitalistischen Marktwirtschaften .

111. Sozialistische Plan-Markt-Koppelungen . . . . 1 Kurzer historischer Exkurs . . . . . . . . . . . . .

2 3 4 5 6 7 8

Mängel des sowjetischen dirigistischen Planungssystems Systemerhaltende Verbesserungsversuche . . Systemverbesserungsversuche in der UdSSR Die jugoslawische Systemreform . . . . . Tschechoslowakische Reformvorstellungen Reformentwicklung in Ungarn Reformentwicklung in China . . . . . .

IV. Quantitativer Ausdruck der sozialistischen Rückständigkeit 1 2 3 4 5

Problemeinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der sowjetischen und finnischen Entwicklung . . Vergleich der vorsozialistischen Tschechoslowakei und Deutschlands Vergleich des relativen Verbrauchs von Produktions gütern Vergleich der Arbeitsproduktivität . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 7 17 17 18 27 35 39 47 52 59 59 60 62 64 65 70 72

77 77

78 82 85 91 99 101 104 109 109 110 112 114 116 VII

6 Vergleich des Wachstums tempos und der Investitionseffektivität 7 Vergleich der privaten Konsumtion . . . . . . . . . 8 Vergleich der gesellschaftlichen Bedarfsbefriedigung . . . . . 9 Vergleich der Vorratsbildung bzw. Produktion auf Lager . . . 10. Zusammenfassung der quantitativerfaßten sozialistischen Mängel

119 120 123 125 126

V. Reformerfordernisse im marktwirtschaftlichen System . . .

129

1 2 3 4

5 6 7 8

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Theoretische Voraussetzungen einer Systemreform . . . . Arbeitslosigkeit in der neoliberalen ökonomischen Theorie Hindernisse unternehmungsbezogener Lohnentwicklung Hindernisse konstanter Lohn- und Gewinnquotenentwicklung Entstehung der Massenarbeitslosigkeit . . . . . . . . Beschränkte Wirkung keynesianischer Fiskalpolitik Zusammenfassende Darstellung sowie Perspektiven der Massenarbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . Vollbeschäftigungsbedingungen . . . . . . . . . . . Maßnahmen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit

129 132 134 138 144 150 153 159 164

VI. Alternative sozial-ökonomische Modelle . . . . . . . .

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Illusionen über Durchsetzungsmöglichkeiten von Volksinteressen . Bedeutung der funktionellen Verteilung des Volkseinkommens Wesen der makroökonomischen Verteilungsplanung Bedeutung der einzelnen geplanten Zielprozesse . . . . . . Anmerkungen zum Recht auf ein Sozialeinkommen . . . . Einwände gegen die Möglichkeit makroökonomischer Prognosen Voraussetzung erfolgreicher Verteilungsplanung . . . . Vorteile der Gewinnbeteiligung für eine Marktwirtschaft . Kapitalbeteiligung und Mitbestimmung . . . . . . . . Sozioökonomische Bedeutung der komplexen Partizipation Ökonomische Theorie und Politik . . . . . . . Ideologische Basis unwissenschaftlicher Kritiken . 13· Konfliktstoff sozialistischer Reformentwicklungen 14 Humanisierungserfordernisse

173 176 177 178 180 181 183 186 188 190 192

Literaturverzeichnis . . . .

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Namen- und Sachverzeichnis

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VIII

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1. Grundpro bleme der gegenwärtigen Wirtschaftssysteme

1 Wesen der Volkswirtschaft Bevor die beiden existierenden Wirtschaftssysteme, das kapitalistische marktund das sozialistische planwirtschaftliche System verglichen werden können, soll zuerst ein volkswirtschatliches System ganz allgemein gültig charakterisiert werden. Auf die Frage, was ist "Volkswirtschaft"? welcher Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaft gemeint ist, wird üblicherweise als naheliegendster Bestandteil die Produktion genannt werden. Die Produktion bildet ohne Zweifel die Grundlage einer Volkswirtschaft. Aber die Produktion hat immer zwei Seiten, von welchen nur eine zum eigentlichen Untersuchungsobjekt der ökonomischen Wissenschaft gehört. Eine Seite der Produktion kann allgemein als die technische Seite bezeichnet werden. Mit dieser Seite, d. h. damit, wie die Produkte technologisch entstehen, wie sich die Produktionstechnologie entwickelt, welche chemischen, physikalischen, biologischen u. a. Naturgesetzmäßigkeiten in der Produktion ausgenützt, welche technischen Gesetzmäßigkeiten angewandt werden, welche Eigenschaften die Produkte haben u. ä., mit diesen Fragen befaßt sich die Ökonomie nicht. Die Entwicklung der technischen Produktions seite muß zwar bei volkswirtschaftlichen Untersuchungen eine gewisse Beachtung finden, bildet aber nicht das eigentliche Untersuchungsobjekt der Ökonomen. Aber mit einer anderen Seite der Produktion haben sich die Ökonomen dennoch zu befassen. Die Ökonomen müssen z. B. solche Fragen beantworten: wodurch sind die Mengen der Produktion einzelner Produkte bestimmt, wodurch werden diese Quantitäten innerhalb des Betriebes, wodurch in der ganzen Volkswirtschaft bestimmt, wodurch wird die Produktivität bestimmt, wie wird sie gemessen und wie muß sie sich entwickeln, wie werden der Arbeitsaufwand, die sachlichen Kosten, insgesamt die Produktionskosten bestimmt, wie wird die Arbeit für die Produktion abgesichert und wodurch werden die Arbeitenden zur Leistung motiviert, gibt es spezielle Motivationen für die Leitungs- und Gründungstätigkeit? Wie entsteht das Kapital für die Produktion, was ist überhaupt Kapital? Dies alles sind nun Fragen, die in den Mittelpunkt der ökonomischen Betrachtung gehören. Die Ökonomen befassen sich also doch mit der Produktion, aber sozusagen mit einer anderen Seite als der technischen Produktionsseite, sie befassen sich mit der gesellschaftlichen Seite der Produktion. Dies ist allerdings noch nicht die ganze Problematik. Die Ökonomen müssen weiter untersuchen, wie die Produkte zu den Verbrauchern gelangen. Die eigentliche ökonomische Problematik ist erst mit der Arbeitsteilung in der Gesellschaft entstanden, mit einer Situation, in welcher diejenigen, die die Produkte erzeugen, sie nicht mehr allein direkt verbrauchen.

In einstigen Urgemeinschaften war die Beziehung zwischen Bedarf und der Anschaffung von Gütern direkt und durchsichtig, und meist waren die, die etwas in ihrer Umgebung fanden oder auf der Jagd erlegten, auch die direkten Verbraucher dieser ersten Arbeitstätigkeit. Mit der Entwicklung der Arbeitsteilung ist es zur Trennung von Produktion und Bedürfnisbefriedigung gekommen. Es ist ein Austausch von Gütern innerhalb der Gesellschaft entstanden, zuerst ein direkter Güteraustausch, später dann der Austausch mit Hilfe von Geld. Die Probleme, vor die das Wirtschaften gestellt wird, sind wegen des direkten oder indirekten Güteraustausches nun nicht mehr so unmittelbar durchsichtig. Die Bedürfnisse sind bei der Produktion oder in der Zeit der Produktion nicht mehr so verläßlich bekannt. Es sind Bedürfnisse anderer, meist völlig fremder Menschen, Bedürfnisse, die als Nachfrage auftreten, als Marktnachfrage. Und diese Nachfrage ist bereits von weiteren Faktoren abhängig, nicht nur mehr vom Bedürfnis selbst, sondern von dem Vorhandensein von Geldeinkommen, von bestimmten Preisen und Preisentwicklungen usw. Erst jetzt entstehen die wirklichen Probleme der Ökonomie, Probleme, die mit dem Austausch von Gütern, mit der Verteilung von Gütern in der Gesellschaft und schließlich mit dem Entstehen gesellschaftlicher Gruppen bzw. Schichten als Form sozial-wirtschaftlicher Differenzierungen, bestimmter ökonomischer Beziehungen zwischen den Gruppen, verbunden sind. Es geht also um spezifische, gesellschaftliche Probleme. Mit dem Auftreten dieser Probleme entstehen auch die ersten Versuche, Lösungsmöglichkeiten für sie zu finden. Die Aufgabe der Wissenschaft nun ist, kompliziertere Problemkreise zu erkennen, aufzunehmen und sie zu verstehen versuchen, zu erklären, zu lösen. Es ist eine Tätigkeit, die darauf aus ist, schwierige Fragen zu beantworten, welche durch einfache oberflächliche Betrachtungen nicht zu beantworten sind. Es ist der Versuch, eine Antwort meist auf folgende Fragen zu geben: warum existieren bestimmte Gruppen von Phänomenen, bestimmte Prozesse, wie entstehen und entwickeln sich diese Prozesse? Es geht also nicht um eine konkrete Beschreibung dessen, wie einzelne Phänomene an der Oberfläche in Erscheinung treten, wie sie konkret in jedem Augenblick der Entwicklung verlaufen, sondern es ist der Versuch, Phänomene mit gleichen oder ähnlichen Wesenszügen aus der Masse aller Erscheinungen herauszufiltern, in Gruppen zu ordnen und zu erklären, warum sich diese Gruppen wiederholen, warum sie öfter oder seltener, aber doch immer wieder in ihrem Grundwesen auftreten. Hier sprechen wir von der Aufdeckung von Gesetzmäßigkeiten bestimmter Phänomene. Auch wenn sich ein jedes einzelne konkrete Phänomen im Detail von allen anderen immer wieder unterscheidet, so sind doch Gemeinsamkeiten zu beobachten. Es ist dementsprechend z. B. nicht die Aufgabe der Volkswirtschaftslehre, die konkrete Bewegung einzelner Preise an jedem Tag in jedem einzelnen Land zu erfassen und zu beschreiben. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, warum überhaupt Preise existieren? Was stellen sie dar? Was verbirgt sich hinter den Preisen? Warum gibt es wesentliche Unterschiede zwischen unterschiedlichen, sich relativ lange haltenden Preisgruppen ? Sind Gesetzmäßigkeiten der Preis bewegung vorhanden, und wenn ja, welche? "Der Wirtschaftsprozeß ist ein Komplex sich ständig wiederholender menschlicher Handlungen. Unter bestimmten, aus der gegebenen historischen Entwick2

lung der Gesellschaft hervorgehenden Bedingungen wiederholen sich diese Handlungen auf eine bestimmte Weise, zeichnen sich also durch eine ihnen innewohnende Gesetzmäßigkeit aus. Diese Gesetzmäßigkeit kann man in gewisse Elemente sich ständig wiederholender Beziehungen (oder Relationen) zwischen den einzelnen Handlungen oder Verrichtungen untergliedern, aus denen sich diese Handlungen zusammensetzen. Solche Beziehungen (oder Relationen) bezeichnen wir als ökonomische Gesetze"l. Soweit uns heute bekannt ist, entstammen die ersten Versuche, auf solche ökonomischen Fragen zu antworten, dem alten Griechenland und sind mit den Namen der bekanntesten Philosophen, wie Plato und Aristoteles, verbunden. Aber in dieser Zeit waren die ökonomischen Probleme doch noch relativ klein. Die Arbeitsteilung war noch nicht sehr weit entwickelt, meist wurde für einen nahen, bekannten Markt produziert, ein Großteil der Produzenten kannte auch seine Abnehmer, d. h. die Konsumenten; es entwickelte sich so etwas wie ein einfacher, überwiegend örtlicher Markt. Aber die damit verbundenen Probleme erforderten noch nicht die Entstehung einer speziellen Wissenschaft. Es waren also Philosophen, die sich allgemein mit gesellschaftlichen Problemen befaßten und nun auch eine gewisse Aufmerksamkeit diesen erst entstehenden ökonomischen Problemen widmeten. Erst mit der Ausweitung des Warenaustausches tauchten die schwierigen Fragen auf. Es entwickelte sich eine weitgehende wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Menschen, es entstand eine komplizierte Güterverteilung - verbunden mit einer Einkommensverteilung - an der alle gesellschaftlichen Schichten teilhatten, und auch der Staat wird in die Entwicklung der Wirtschaft einbezogen. Erst die Entwicklung der sogenannten kapitalistischen Produktion jedoch, das Wachsen einer Großproduktion in Manufakturen, später in maschinell betriebenen Fabriken im 17., 18., 19. Jahrhundert führt zu einer reichen Entfaltung der Wirtschaftswissenschaft. Noch früher, im 16. Jahrhundert, entstanden bereits neue ökonomische Probleme und Theorien, verbunden mit einem sich ausdehnenden Handel, vor allem dem Überseehandel von Spanien, Frankreich, England und anderen Nationen. Dieser Handel entwickelte sich überwiegend noch auf der Basis der mittelalterlichen Produktion, der mittelalterlichen Landwirtschaft und des Gewerbes in den Städten. Zu einem ausgedehnten wirtschaftlichen Verkehr (über die Landesgrenzen hinaus) kam es durch eine grundlegende Verbesserung der Transportmittel, des Schiffbaus, der Erfindung des Kompasses u. ä. und damit der Entdeckung weitentlegener, fremder, hochinteressanter Märkte, die zugleich zu Lieferanten völlig neuer Rohstoffe und anderer Güter wurden. Es war die Zeit des sogenannten Merkantilismus, der im 16.-18. Jahrhundert in Europa mit der Existenz absolutistischer Staaten einherging. Merkantil heißt den "Handel betreffend". Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, die diese absolutistischen Staaten zu treiben begannen, galt vor allem der Förderung des Außenhandels, des Überseehandels und der Heranschaffung von Rohstoffen. Die Staatslenkung war in dieser Zeit in erster Linie daran interessiert, Edelmetalle, d. h. Silber und Gold, anzuhäufen, so daß sich eine allmählich aus1

Vgl. Lange, 0., Politische ... S. 80.

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weitende planmäßige Einwirkung des Staates auf die Wirtschaft mit dem Ziel durchsetzte, seine Einkünfte zu vergrößern. Abgesehen von der verschwenderisch luxuriösen Lebensweise der damaligen Herrscher, brauchte der Staat schnell steigende Einkünfte, um seine Riesenheere und seinen schnell wachsenden Beamtenapparat aushalten zu können. Dazu war es erforderlich, Steuern und Zölle zu erheben und die Währungen zu regulieren. Man beanspruchte Staatsmonopole, um die Einkünfte des Staates exklusiv in bestimmten Bereichen zu vergrößern. Man setzte aber auch schon Lohn- und Preislimiten, Import- und Exporterlasse u. ä. ein. All das bildete den Inhalt der staatlichen Wirtschaftspolitik und hier entstand zum ersten Mal der Versuch, bessere Methoden und Instrumente für diese merkantilistische Politik des Staates zu entwerfen. Es war die Zeit der ersten ausgebauteren ökonomischen Theorien, der sogenannten merkantilistischen Theorie. Erst im 18. Jahrhundert kam es zu einem Umschwung in der Produktion selbst. Die kleinbäuerliche und gewerbemäßige Produktion reichte nicht mehr aus; man erkannte die Möglichkeit der schnellen Produktion und Produktivitätssteigerung, welche große Manufakturen und Fabriken boten. Einher mit dieser wirtschaftlich-technischen Entwicklung ging die Entfaltung einer ausgedehnten wirtschaftswissenschaftlichen Theorie, die wir heute als klassische politische Ökonomie bezeichnen. Diese Wissenschaft hat öfters ihre eigene Bezeichnung geändert, einige Ökonomen bevorzugten die eine, andere wiederum eine andere Bezeichnung. Noch zu Beginn der klassischen Theorieentwicklung durch John Stuart Mill, Adam Smith und andere sprach man von Politischer Ökonomie. Der Name selbst stammt jedoch von Antoine de Montchrestien, einem französischen Dramatiker und Wirtschaftstheoretiker, welcher zu den frühen Merkantilisten zählt und in seinem Werk "Traite de l'economie politique" aus dem Jahre 1615 zum ersten Mal diese Bezeichnung einführt 2 • Mit "politique" sollte die Beziehung zum Staat ausgedrückt werden, wobei das griechische Wort "politikos" soviel wie "gesellschaftlich" bedeutet. Daher wurde oft auch von "Sozialökonomie" gesprochen. Dann ging man über zur Bezeichnung Nationalökonomie. In Deutschland benutzte man zuerst die Bezeichnung Kameralistik, später, unter dem Einfluß vor allem englischer Arbeiten verbreitete sich die Bezeichnung Politische Ökonomie, als deren Bestandteil die Volkswirtschaftslehre verstanden wurde. Die Politische Ökonomie wurde eine zeitlang als Überbegriff verwendet, der dann in National- und Staatsökonomie zerlegt wurde 3 . Heute wird im deutschen Sprachraum allgemein die Bezeichnung Volkswirtschaftslehre benutzt, welche der sogenannten Politischen Ökonomie gleichgestellt ist. Dies waren nicht nur terminologische Probleme, sondern vor allem ein Zeichen dessen, wie sich das Eigenverständnis dieser Wissenschaft selbst immer wieder änderte. Es hängt zusammen mit einer Präzisierung des eigenen Forschungsobjektes bzw. auch damit, daß die Betonung auf diese oder jene Seite der ökonomischen Entwicklung gelegt wird. Zusammenfassend soll das Objekt der Wirt-

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Vgl. Lange, 0., ebd. S. 42. Vgl. Lexis, W., Systematisierung, Richtungen und Methoden der Volkswirtschaftslehre.

schaftsforschung allgemein folgendermaßen beschrieben werden: Das Objekt der Wirtschaftsforschung ist die Erforschung gesellschaftlicher Prozesse, die mit der Beschaffung von Gütern zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse verbunden sind. Gesellschaftliche Prozesse, verbunden mit der Beschaffung solcher Güter, sind wirtschaftliche Prozesse. Die Wirtschaftswissenschaft hat im Laufe der Zeit eine eigene innere Arbeitsteilung entwickelt, da es für die Ökonomen immer schwerer wurde, sich mit dem gesamten Bereich aller ökonomischen Probleme zu befassen. Hier ist vor allem die bis heute wichtigste Arbeitsteilung hervorzuheben, nämlich die zwischen der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre. Es gibt zwar bestimmte grundlegendste ökonomische Zusammenhänge, die eine Allgemeingültigkeit für die ganze Wirtschaft haben; jedoch entdeckte man später, daß innerhalb der Betriebe bzw. Unternehmen eigene spezifische Vernetzungen und Gesetzmäßigkeiten existieren und andere wiederum in der ganzen volkswirtschaftlichen Einheit. Wir befassen uns jetzt also weitgehend mit der Volkswirtschaftslehre bzw. mit der Volkswirtschaft als ihrem Objekt. Die volkswirtschaftliche Einheit ist immer eine nach außen abgegrenzte Einheit. Es ist die Einheit eines Volkes, einer Nation oder auch, von anderer Sicht, eines Staates. Wenn wir nun aus Gewohnheit im deutschen Sprachraum von der Volkswirtschaftslehre sprechen, ist darunter nichts anderes zu verstehen als das, was anderswo z. B. als Nationalökonomie bezeichnet wird. Wichtig ist das Forschungsobjekt und damit natürlich auch das Objekt der Lehre. Das Objekt der volkswirtschaftlichen Forschung und Lehre besteht erstens aus der Erforschung der Austauschbeziehungen, die durch die fortgeschrittene Arbeitsteilung innerhalb der politischen Einheit des Staates entstanden sind. Zweitens geht es um die damit verbundene Güter- und Einkommensverteilung, besonders um die Verteilung von Produktionsmitteln, innerhalb dieser staatlichen Gesellschaftseinheit. Es geht auch um die Frage, inwieweit und auf welche Weise die Austausch- und Verteilungsprozesse miteinander zusammenhängen. Drittens befaßt sich die volkswirtschaftliche Forschung und Lehre damit, den interdisziplinären Zusammenhang dieser Austausch- und Verteilungsprozesse mit der technischen Seite der Produktionsentwicklung zu untersuchen. Hier berühren wir also wieder die Technik der Produktion, aber in einem sehr zusammengefaßten Sinn, als technischen Stand der Produktion innerhalb einer Volkswirtschaft. Diesen technischen Produktionsstand hat zwar der Ökonom selbst nicht zu erforschen, kann ihn aber nicht einfach beiseite lassen. Er hat zu ergründen, welchen Einfluß die Produktionstechnik auf die Entwicklung der Austausch- und Verteilungsprozesse hat und wie rückwirkend diese Prozesse die Entwicklung der Produktionstechnik beeinflussen. Als viertes wird der Zusammenhang zwischen den Austausch- und Verteilungsprozessen und den politischen Institutionen, dem Staat, der staatlichen Politik und dem Recht betrachtet. Von der wirtschaftlichen Seite her sind nämlich Einflüsse auf die politische Entwicklung und auch umgekehrt Rückwirkungen der politischen Entwicklung auf die ökonomischen Prozesse festzustellen. Wichtig aber ist zu erkennen, daß die ökonomischen Prozesse sowohl innerhalb der Produktionssphäre als auch innerhalb der ganzen Volkswirtschaft Ergebnisse menschlicher Verhaltensweisen und Tätigkeiten sind. Die Menschen können sich 5

Güter beschaffen, die sie zur Bedürfnisbefriedigung brauchen, indem sie auf diese oder jene Weise ihre spezifische Arbeitsfähigkeit (Arbeitskraft) vorbereiten. Diese Arbeitskräfte können sie anbieten bzw. verkaufen, eigene Betriebe gründen und leiten. Die Menschen können Einkommen schaffen bzw. erhalten, Waren verkaufen bzw. diese auswählen und kaufen, Ersparnisse bilden bzw. abheben, Kredite vergeben bzw. aufnehmen, Zinsen einnehmen oder bezahlen, Steuern vorschreiben, eintreiben, zahlen usw. usw. Durch solche und eine große Menge anderer Tätigkeiten entstehen Arbeitsteilungen, Kooperationen, Güteraustausch und Einkommens- sowie Güterverteilungen, welche die Substanz der Wirtschaft darstellen. Die Tätigkeiten selbst stellen daher wirtschaftliche bzw. ökonomische Tätigkeiten dar. Eine ökonomische Tätigkeit ist das Ergebnis einer menschlichen Entscheidung, sei es des Tätigen selbst und/oder anderer, ihm machtmäßig übergeordneter Menschen. Entscheidungen über ökonomische Tätigkeiten, kurz ökonomische Entscheidungen, sind immer interessenbedingt motiviert, d. h. sie werden durch bestimmte erwartete Bedürfnisbefriedigungen, die sich die Menschen stark wünschen, hervorgerufen. Es können Interessen an bestimmten ökonomischen Tätigkeiten selbst bzw. an ihren Ergebnissen (Einkommen, knappen Gütern) sein solche bezeichnen wir als ökonomische Interessen. Durch Arbeitsteilung und unterschiedlich gelagerte Einkommensverhältnisse der Menschen, deren ökonomische Tätigkeit, Einkommensart und Einkommensgröße sich wesentlich differenziert, entwickeln sich in der Wirtschaft auch dementsprechend unterschiedliche ökonomische Interessen. So gibt es z. B. das Interesse an der Lohn-, an der Gewinn-, Zins- oder Rentenentwicklung sowie an dieser oder jenen ökonomischen Tätigkeit. Eine durch Arbeitsteilung bzw. Einkommens- und Güterverteilung hervorgerufene Differenzierung der Menschen führt zur Entstehung von Menschengruppen, welche sich einkommensmäßig sowie ihrer Lebensführung nach unterscheiden. Diese Gruppen verfolgen meist auch unterschiedliche ökonomische Interessen und bilden dadurch die jeweils für eine zeitlang anhaltende sozialökonomische Struktur der Gesellschaft. Ökonomische Entscheidungen und Tätigkeiten sind nicht nur durch spezifische ökonomische Motivationen, sondern auch immer durch spezifische Kenntnisse, Erfahrungen und Informationen bestimmt. Wir wollen im breiten Sinne des Wortes von Wissen sprechen, das sowohl auf technischem als auch ökonomischem Gebiet benützt werden kann. Das technisch-ökonomisch anwendbare Wissen der Menschen wird gesellschaftlich vermittelt als vergangenes, angehäuftes und auch als gegenwärtiges, neu sich entwickelndes Wissen. Dieses Wissen wird von den Menschen individuell unterschiedlich angeeignet, was sozial und/oder subjektiv bedingt sein kann. Das jeweils gegebene allgemeine Wissensniveau in einer Volkswirtschaft ist stark bestimmt durch die vorangegangene technisch-ökonomische, bildungsmäßige und kulturelle Entwicklung, besitzt aber auch eine relativ autonome Veränderungsfähigkeit und kann die technisch-ökonomische Weiterentwicklung mehr oder weniger beschleunigen. Die relativ autonome Veränderungsfähigkeit hängt mit möglichen Änderungen von äußeren Einflüßen und/oder plötzlichen Änderungen des Gesellschaftssystems, der sozial-ökonomischen Struktur u. ä. zusammen. Auch wenn das Bildungswesen und die Wissensvermittlung selbst von den Ökonomen nicht analysiert wird, darf aber der Zusammen6

hang zwischen dieser und der ökonomischen Entwicklung nicht außer acht gelassen werden, denn gerade dieser Zusammenhang wird in unterschiedlichen Wirtschaftssystemen auch seine Eigenarten haben. Die Substanz und Entwicklung ökonomischer Prozesse zu untersuchen, bedeutet also zu untersuchen, wie die Menschen in bestimmten technisch-ökonomischen Bedingungen und innerhalb bestimmter sozial-ökonomischer Strukturen zu ökonomischer Tätigkeit motiviert werden, ein bestimmtes Wissen erlangen, dieses technisch-ökonomisch anwenden können und mit ihren ökonomischen Entscheidungen und Tätigkeiten die Bedürfnisbefriedigung absichern sowie die technisch-ökonomischen Bedingungen wieder weiterentwickeln. Der bekannte Ökonom P.A. Samuelson versuchte eine Definition der Volkswirtschaftslehre zu geben, die in umfassenderer Weise solche grundlegenden Zusammenhänge ausdrückt: "Volkswirtschaftslehre ist die Analyse der Entscheidungen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder, wie knappe Produktionsmittel mit alternativer Verwendbarkeit - sei es mit oder ohne die Hilfe des Geldes - für die Produktion verschiedener Güter verwendet werden und wie diese Güter für den gegenwärtigen und künftigen Konsum der einzelnen Individuen und Gesellschaftsgruppen aufgeteilt werden. Sie analysiert die Kosten und Nutzen, die mit einer Verbesserung des Systems der Verwendung der Produktionsmittel verbunden sind"4. Die hier bereits angesprochene "Knappheit" von Gütern, deren Verwendung und Verteilung die Ökonomen untersuchen, soll im weiteren eingehender erklärt werden. 2 Ökonomische Problematik der Bedüdnisse Es wird betont, daß die Wirtschaft nicht alle menschlichen Bedürfnisse befriedigt und daß daher durch die Ökonomie nicht alle Wege und Mittel der Bedürfnisbefriedigung erforscht werden, sondern daß sie sich lediglich mit der Befriedigung eines bestimmten Bereichs aller Bedürfnisse befaßt. Die Problematik der Bedürfnisse, ihres Wesens, ihrer Entwicklung selbst, ist nun nicht das spezielle Forschungsinteresse der Ökonomen. Sie gingen bisher davon aus, daß Bedürfnisse stets vorhanden sind, diese sich jedoch beständig wandeln. Aber ihr Interesse war nicht auf die Erforschung dieser Bedürfnisse gerichtet, sondern eben auf die ökonomischen Prozesse, mittels welcher die Bedürfnisse befriedigt werden. Aber in letzter Zeit merkt man, daß die Bedürfnisentwicklung selbst auch stärker in die Betrachtung der Ökonomen eingebracht werden muß, zumindest bestimmte Grundprobleme der Bedürfnisentwicklung. Es sind vor allem folgende Fragen, die in jüngerer Zeit im Westen als auch im Osten aufgeworfen worden sind: Hat die Wirtschaft alle Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, in welchem Ausmaß können diese befriedigt werden und vor allem: wer entscheidet, welche Bedürfnisse befriedigt werden sollen und welche nicht? Eine weitere Frage, die im Westen insbesondere von bestimmten linken Gruppierungen aufgeworfen wird, ist: Werden die Bedürfnisse nicht unnötig von

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Vgl. Samuelson, P.A., Volkswirtschaftslehre, Bd. I, S. 21.

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den Produzenten aus einem Gewinntrieb heraus hervorgerufen, und ist es nötig, daß die Produktion aus Gewinngründen immer neue Bedürfnisse hervorruft? Es gibt natürlich eine unendliche Menge konkreter Bedürfnisse der Menschen. Eine konkrete Aufzählung dieser Bedürfnisse wäre wohl unmöglich, besonders, da sie sich in ständiger Weiterentwicklung und Bewegung befinden. In meinem Buch "Ein Wirtschaftssystem der Zukunft" habe ich eine mögliche Kategorisierung der Bedürfnisse in 12 Einzelgruppen dargestellt. Sie soll hier in aller Kürze wiederholt werden, da sie zu verstehen hilft, mit welchen Bedürfnissen sich die Ökonomie zu beschäftigen hat und welche außerhalb ihres Bereiches liegen.

Bedürfnisarten 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Materielle Grundbedürfnisse Reserve- und Gesundheitsbedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Bedürfnisse geistiger Entwicklung Bedürfnisse gesellschaftlicher Dienstleistungen Bedürfnisse abwechslungsreicher physischer Tätigkeit Umweltbedürfnisse Bedürfnisse physisch-psychischer Selbstbefriedigung Soziale Bedürfnisse Ruhebedürfnisse Bedürfnisse der Selbstbestätigung Bedürfnisse gesellschaftlicher Aktivität

An erster Stelle werden die materiellen Grundbedürfnisse erwähnt, wie z. B. das Bedürfnis nach Nahrung, Bekleidung, Behausung, Beheizung u. ä. Als zweites die Reserve- und Gesundheitsbedürfnisse. In der Kindheit, im Alter, bei Krankheit etc. hat der Mensch das Bedürfnis, abgesichert zu sein und medizinische, soziale u. ä. Hilfe zu erhalten. Als drittes die sogenannten Sicherheitsbedürfnisse. Es gibt das Bedürfnis nach Verteidigung nicht nur jedes einzelnen Menschen gegenüber Verbrechen u. ä., sondern auch das Bedürfnis nach Verteidigung einer ganzen Gemeinschaft gegen Angriffe von außen, wozu die Justiz, das Militär und andere Institutionen benötigt werden. Als viertes die Bedürfnisse geistiger Entwicklung, d. h. nach Bildung, nach Information, das Bedürfnis nach einem Glauben, nach Kunst, Wissenschaft, Unterhaltung etc. Die fünfte Gruppe betrifft Bedürfnisse gesellschaftlicher Dienstleistungen. Man benötigt gemeinschaftliche Verwaltungen, eine Siedlungsorganisation, die Wasserversorgung, Kanalisation, den öffentlichen Verkehr und die Kommunikation u. ä. Als sechstes sind die Bedürfnisse nach abwechslungsreicher physischer Tätigkeit zu nennen, d. h. das Verlangen, nicht nur die gewohnte Arbeit am Arbeitsplatz zu verrichten, sondern z. B. handwerklich tätig zu sein, zu spielen, Sport zu treiben u. ä. Kategorie Sieben beinhaltet die Umweltbedürfnisse, die in letzter Zeit immer wichtiger geworden sind. Hierher gehören die Bedürfnisse nach Vermeidung von Immissionen in allen Bereichen der Umwelt, nach gesünderer Nahrung und Wohnung, ungefährlicheren Medikamenten, Erhaltung der natürlichen Pflanzen und Tierarten u. ä. Zu der achten Gruppe gehören die Bedürfnisse physisch-psychischer Selbstbefriedigung. 8

Es sind solche Bedürfnisse wie die Befriedigung der Sexualität, das Bedürfnis nach Phantasie und allem, was daraus hervorgeht, sowie nach Macht, was auch eine ganz bestimmte Art der Eigenbefriedigung darstellt. An neunter Stelle dann die Gruppe sozialer Bedürfnisse, in die die Bedürfnisse zusammengefaßt sind, für andere Gutes zu tun oder sich für andere aufzuopfern, für andere nützlich zu sein; hier gehören auch Bedürfnisse nach Liebe, Freundschaft, Gemeinschaft, Gemeinwohl etc. hinein. An zehnter Stelle seien die sogenannten Ruhebedürfnisse genannt. Der Mensch hat das Bedürfnis nach Schlaf, Erholung, Entspannung, Arbeitsbefreiung u. ä. An elfter Stelle stehen die Bedürfnisse der Selbstbestätigung: Der Mensch braucht Achtung, Anerkennung, Lob, Bewunderung, Ansehen bei anderen Menschen und bei der Gesellschaft. Und schließlich als zwölftes: Bedürfnisse der gesellschaftlichen Aktivität. Der Mensch hat das Bedürfnis, sich in der Gemeinschaft zu betätigen, seine Ansichten ausdrücken zu können. Er hat das Bedürfnis nach Wahlmöglichkeit, nach öffentlicher Initiative, öffentlicher Kritik, Mitbestimmung, Mitentscheidung über gemeinschaftliche Probleme u. ä. Schon im vornherein ist klar, daß die Ökonomie nicht die Wege und Mittel der Befriedigung aller dieser Bedürfnisgruppen zu erforschen hat und sich nicht mit allen befassen kann. Sie betrachtet nur solche, die mittels Gütern vor sich gehen und zwar Gütern im weitesten Sinne, d. h. materieller Güter und auch Dienstleistungen. Es versteht sich, daß das Bedürfnis nach Liebe, Gemeinschaft oder Selbstbestätigung, Achtung, Lob usw. nichts mit einer Befriedigung zu tun hat, die mit Hilfe von Gütern geschieht. Eine weitere Charakterisierung ist, daß es sich nicht um Güter handeln muß, die verkauft werden, da es eine Menge von Dienstleistungen gibt, die staatlich und unentgeltlich verteilt werden. Und doch gehören auch diese Dienstleistungen in das Gesichtsfeld der ökonomischen Forschung. Um es daher doch etwas konkreter ausdrücken zu können, erscheint in vielen Definitionen des Objektes der Volkswirtschaftslehre die Betonung, daß sie sich mit der Verteilung knapper Güter, d. h. Bedürfnisbefriedigung mittels knapper Güter, befaßt. Die Hervorhebung der Knappheitsüberwindung innerhalb einer Wirtschaftsordnung, als einem der Hauptprobleme der Volkswirtschaft, findet sich z. B. in der Arbeit von A.Weber wieder 5 . Dies bedeutet in erster Linie, daß es sich um Güter handelt, die im Verhältnis zu den latenten Bedürfnissen der Menschen in ungenügender Menge vorhanden sind und zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ. Auch bei einem Wachstum der Produktion wachsen die Bedürfnisse in ihrer Quantität im allgemeinen schneller; außerdem wandeln sich die Bedürfnisse der Menschen auch ständig in ihrer Qualität, so daß die Menschen immer neue und immer noch andere Güter verlangen außer denen, die schon vorhanden sind und die sie bereits besitzen. Dies bedeutet also, daß die Bedürfnisse beständig quantitativ größer sind als der Umfang zur Verfügung stehender Güter und qualitativ nie voll durch die vorhandenen Güter befriedigt werden können. In diesem Sinne sind die Güter quantitativ und qualitativ knapp, was bedeutet, daß es eine ökonomische Begrenzung der Bedürfnisbefriedigung gibt.

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Vgl. Weber, A., Allgemeine Volkswirtschaftslehre, S. 5.

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Aus der vorangehenden Aufteilung der Bedürfnisse wurde deutlich, daß nur die ersten sieben Gruppen der aufgezählten Bedürfnisse mit knappen Gütern befriedigt werden. Also folgende Gruppen: erstens die materiellen Grundbedürfnisse; zweitens die Reserve- und Gesundheitsbedürfnisse - es können Reserven angelegt, Arzneimittel zur Verfügung gestellt oder Krankenhäuser u. ä. in dem Ausmaß gebaut werden, in welchem die Produktion fähig ist, diese Güter zu liefern. Genau so ist es bei den Sicherheitsbedürfnissen - es ist in erster Linie von dem Vorhandensein knapper Güter abhängig, wie weit diese befriedigt werden. Aber auch die Bedürfnisbefriedigung geistiger Entwicklung braucht nicht nur Bücher und andere Lehrmittel, sondern auch die Lehrer brauchen wieder selbst knappe Güter, um ihre Lehrtätigkeit durchführen zu können u. ä. Die Kunst kann sich nur entfalten, soweit ihr bestimmte knappe Güter zur Verfügung stehen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die gesellschaftlichen Dienstleistungen, die abwechslungsreiche körperliche Arbeit und die Bedürfnisse gegenüber der Umwelt. Die Bedüfnisbefriedigung ist natürlich abhängig von der Wirtschaftsentwicklung. Je mehr knappe Güter die Wirtschaft der Bevölkerung zur Verfügung stellen kann, desto weniger knapp sind sie, desto weniger ökonomisch begrenzt muß die Bedürfnisbefriedigung mit Hilfe dieser Güter sein. Aber ein Ende der Knappheit ist bisher nicht voraussehbar, da die Zahl der Menschen auf der ganzen Welt immer noch sehr schnell wächst und die Bedürfnisse sich ständig ändern. Wenn man also auch allgemein sagen kann, daß sich in hochentwickelten Wirtschaften die Menge an Gütern im Vergleich zu weniger entwickelten Wirtschaften relativ stark vergrößert hat, so kann man dennoch nicht behaupten, daß es für diese Länder keine knappen Güter mehr gäbe. Auch hier ist der Umfang der Bedürfnisse noch weiter quantitativ und noch mehr qualitativ gewachsen, und das wird wahrscheinlich auch in absehbarer Zukunft so weitergehen. Doch dabei taucht wieder die Frage auf, die anfangs gestellt wurde: Wer schafft die Bedürfnisse? Entstehen die Bedürfnisse unabhängig von der Produktion? Oder ist es die Produktion, die die Bedürfnisse weckt? Oder ist es gar wahr, daß die kapitalistische Produktion in ihrer Jagd nach Gewinnen immer neue und, wie man manchmal sagt, auch unnötige Bedürfnisse schafft? Bedürfnisse in Form allgemeinster Lebensbedürfnisse entstehen unabhängig von der Produktion. Der Mensch hat als Grundvoraussetzung seiner Existenz das Bedürfnis des Austausches von Stoffen zwischen sich und der ihn umgebenden Natur. Ohne diesen Stoffaustausch könnte er, ebenso wie andere Lebewesen, nicht existieren. Jede Unterbrechung dieses Stoffaustausches bzw. eine unnatürliche Mengeneinschränkung in diesem Stoffaustausch verspürt der Mensch als lebensbedrohlichen Mangel. Hunger, Durst, Kälte, Hitze ergeben Situationen, in welchen seine Existenz bedroht wird und welche bis zu seinem Untergang führen können. Insofern müssen wir diese Bedürfnisse als Ausdruck von Mangelerscheinungen begreifen. Mangel an Nahrung, Bekleidung, Behausung, Beheizung sind Mängel, die der Mensch eben als Hunger und Durst oder Kälte etc. verspürt. Solche Mängel zwingen den Menschen zu einer Tätigkeit mit dem Ziel, sie zu überwinden und die Befriedigung der Lebensbedürfnisse zu sichern. Da die Befriedigung immer nur eine kurze Zeit anhält, muß diese Tätigkeit immer wiederholt werden. Daraus ergibt sich also zuerst das Suchen der Menschen nach etwas, was die Natur fertig gab, und erst viel später zwingt sich die 10

Produktion, also die künstliche Herstellung von Gütern, auf. Aber mit der Produktion entsteht ein neues Phänomen: Es geht nicht mehr nur einfach um das Bedürfnis, den Hunger irgendwie zu stillen, sondern es entsteht nun ein ganz konkretes Bedürfnis nach Erhalt eines konkreten Produktes, mit welchem der Hunger gestillt werden soll. Es entsteht z. B. das Bedürfnis nach Brot, nach einer bestimmten Fleisch- oder Wurstsorte oder nach einem bestimmten Gericht usw. Die Menschen sind bestrebt, nicht nur mehr allgemein etwas zum Essen, etwas zum Wärmen, sondern bestimmte Lebensmittel, bestimmte Textilien, bestimmte Schuhe etc. zu erlangen. Diese konkreten Bedürfnisse existieren nicht vor der Produktion. Vorher besteht nur das Bedürfnis, etwas Neues, etwas Besseres, etwas Nützlicheres für die individuelle Bedürfnisbefriedigung zu erhalten. Aber es konnte nicht zuerst die Vorstellung eines Brotes sein und erst dann die Produktion des ersten Brotes. Zuerst treten zufällige Erkenntnisse auf, eine Menge von Zufällen und Erfahrungen, Experimenten - die zufällige Erfahrung, daß aus bestimmten Körnern ein vielleicht besser schmeckender Brei gemacht werden kann als vorher nur aus rohen Körnern. Oder die zufällige Erkenntnis, daß dieser Brei sich über dem Feuer oder im Ofen verdichtet, später erhärtet und länger erhalten bleibt. Oder die Erfahrung, daß aus tierischen Haaren, pflanzlichen Fasern etc. etwas gewoben werden kann, woraus sich die Textilproduktion hat entwickeln können. Also das erste Brot, der erste Wollstoff, das erste Haus, das erste Radio usw. rufen erst die konkreten Bedürfnisse von Brot, Stoff, Haus, Radio etc. hervor 6 • Zuerst ist das Suchen nach etwas Besserem, Neuem vorhanden, dann kommt auf diese oder jene Weise das erste Produkt zustande. Dieses erste Produkt ruft nun das allgemeine Bedürfnis nach diesem Produkt hervor, was wiederum die Produktionsentwicklung beeinflußt. Es ist aber nicht nur die Produktion allein, die neue konkrete Bedürfnisse schafft, sondern die gesamte Umwelt der evolutionären Menschheit. Die sich ändernde Erziehung, die ständig neuen Informationen, Leitbilder und Vorbilder in der Gesellschaft, die Entwicklung der Künste, die Wandlungen der Unterhaltungsmöglichkeiten usw. beeinflussen in einem breiten Lernprozess die Entstehung neuer konkreter Bedürfnisse. Einige sozial-ökonomische Verhaltensforscher 7 haben vorgeschlagen, den Unterschied zwischen den Bedürfnissen als allgemeinen Gefühlen eines Mangels an lebenserhaltenden Gütern (Nahrung, ungeachtet ihrer konkreten Art, Bekleidung, Behausung, usw.) und den Bedürfnissen nach konkreten Gütern bestimmter Art auch terminologisch auszudrücken und zwar so, daß die letzteren als Bedarf bezeichnet werden. Die Bedürfnisse werden also durch die Produktion und im Zuge des Lernprozesses in Bedarfverwandelt. Während das Bedürfnis an Nahrung, Kleidung, Behausung

u. ä. ein dauerndes Bedürfnis der Menschen ist und bleibt, unterliegt der Bedarf einer ständigen Wandlung, wobei er sowohl quantitativ wächst als sich auch qualitativ ändert. Der Bedarf ist sodann bei den meisten Menschen beständig größer als durch die Produktion gedeckt werden kann. Daher muß er ökonomisch beschränkt werden. Dies geschieht in den heutigen Wirtschaftssystemen 6 7

Vgl. Marx, K., Grundrisse, S. 13 ... Vgl. Schmölders, G., S. 104 ...

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überwiegend durch geldmäßige Verteilungsprozesse, d. h. mit Hilfe von geldmäßigen Einkommen und Preisen der Marktgüter. In diesen Bedingungen verwandelt sich also der eingeschränkte Bedarf in die effektive Nachfrage der Menschen am Markt. Die effektive Nachfrage ist immer kleiner als der Bedarf, wobei die meisten Menschen beständig bestrebt sind, ihren größeren Bedarf mit Hilfe wachsender Einkommen in eine effektive Nachfrage zu verwandeln. Somit ist es richtig, daß die Produktion ständig neue konkrete Bedürfnisse bzw. einen immer neuen Bedarf hervorruft und zwar heute auch international, so daß nicht nur die Produktion für den heimischen Markt, sondern über die Grenzen hinaus, neuen Bedarfhervorruft. Verallgemeinert kann gesagt werden: je intensiver der Austausch zwischen einzelnen Volkswirtschaften ist, desto mehr internationalisiert sich auch der Bedarf. Wenn man daraus jedoch die Schlußfolgerung ziehen möchte, nur die kapitalistische Profitgier sei es, die unnötigen Bedarf hervorrufe, wenn man behauptet, die Menschen wären glücklicher ohne sovie1e Produkte oder gar die Schlußfolgerung: "es ist ja gut, daß im Osten nicht so viele unnötige Produkte vorhanden sind", dann wäre dies ungemein vereinfachend und nicht richtig. Es muß betont werden, daß die Produktion nur deshalb beständig einen neuen Bedarfhervorrufen kann, weil dies dem allgemeinen menschlichen Bedürfnis nach Neuem, nach Abwechslung entspricht. Dieses Bedürfnis nach Neuem existiert natürlich zugleich neben und mit dem Bedürfnis nach Erhaltung, nach Konservierung bestimmter Prozesse, Dinge, Zustände. Bei bestimmten Menschen überwiegt stärker die eine, bei anderen Menschen stärker die andere Seite. Aber allgemein kann gesagt werden, daß ein mehr oder weniger starkes Innovationsbedürfnis ein allgemeiner psychischer Zug der Menschen ist und die Produktion deshalb neue Produkte, neue Techniken, kurzum Innovationen bringen muß, wenn die Bevölkerung nicht unzufrieden werden soll. Selbstverständlich muß sie daneben auch verschiedene Produkte erhalten und ihre Produktion konservieren. Die Menschen werden also neben althergebrachten Güterarten auch beständig neue, bessere oder einfach abwechselnde Güter verlangen, was z. B. die sogenannte psychologische Anreiztheorie zu erklären versucht 8 . Man könnte diese Theorie sehr verkürzt folgendermaßen darstellen: jedes Bedürfnis drückt sich als Gefühl des Unbehagens, der Unzufriedenheit des Menschen aus. Aber ein solches Unbehagen entsteht sowohl infolge zu starker Erregung des Menschen aus dem Gefühl der Entbehrung bestimmter Objekte (Objekte können Sachen, Personen, Beziehungen, Tätigkeiten, Impressionen etc. sein) als auch infolge ungenügender Erregung, welche beim Menschen durch Überbefriedigung, durch Sattheit oder auch durch langweilige, eintönige Bedürfnisbefriedigung hervorgerufen wird. Der Mensch strebt nach Überwindung dieses oder jenes Unbehagens; er strebt immer nach einem optimalen Erregungszustand. Das heißt also, er strebt sowohl nach Senkung einer zu starken Erregung, die aus der Entbehrung entsteht als auch nach Steigerung der Erregung, in der Situation völlig ungenügender Erregung, also einer Langeweile. Das heißt, daß er sich nach einer Erregung sehnt, die ihm durch neue Bedürfnisbefriedigungen gebracht würde. Man kann sich dies mit folgendem vereinfachten Schema näherbringen : 8

Vgl. Scitovsky, T., Psychologie ...

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Skala der Entbehrungen

Abnahme der Entbehrungen (Erregungsabnahme)

Steigende Erregung (durch steigende Entbehrungen)

Optimaler Erregungszustand

Zunahme der Langeweile (durch übermäßige Sättigung und Innovationsabnahme)

Abnahme der Langeweile (durch Innovationszunahme )

Skala der Sättigung

Sobald der Mensch also an eintöniger Bedürfnisbefriedigung und Sattheit leidet, braucht er die Überwindung dieses Langeweile-Zustandes in der Form von neuen Anreizen, neuen Bedarfsentstehungen sowie Bedarfsbefriedigungen, kurz, Abwechslungen in seinem eintönigen Leben. Diese Fakten können als der grundlegende Antrieb für eine beständige, qualitative Produktionsentwicklung angesehen werden, als Antrieb für Innovationen in der Produktion, für das Hervorrufen neuen Bedarfes und neuer Bedarfsbefriedigungen. Das Streben der Menschen nach neuen Erkenntnissen und neuen Produktionsmöglichkeiten wird wohl nie aufhören. Daher sind Innovationen und die Schaffung eines immer neuen Bedarfs durch die Produktion, Entwicklungen, die dem menschlichen Wesen entsprechen. 13

Es gäbe natürlich die Möglichkeit einer Produktion von Gütern mit einer ungemein langen Lebensdauer; man kann sich z. B. die Produktion von fast unverwüstlichen Autos vorstellen, deren Material und ganze Beschaffenheit Jahrzehnte überdauern würde. Aber dagegen spricht nicht nur ein Gewinninteresse kapitalistischer Unternehmen und auch nicht nur das Interesse der Arbeiter an beständig neuen Produkten, um dadurch langfristig Arbeitsplätze zu erhalten. Es ist vor allem der menschliche Trieb nach Neuerungen der Produkte, nach der Aneignung von Produkten mit völlig neuen Eigenschaften, mit neuem Aussehen, mit neuen technischen Vorteilen usw. Ausdruck dieses menschlichen Triebes ist schließlich auch die Modeentwicklung, die man sich schwerlich aus der Gesellschaft wegdenken kann. Es gibt Gesellschaften, die glaubten, mit einer Uniformierung der Menschen und ohne jeglicher Änderungen ihrer Bekleidung jahrelang auskommen zu können, z. B. die chinesische Gesellschaft in der Zeit von Mao Tse-tung. Hier gerade hat es sich gezeigt, daß die Menschen langfristig mit der gleichen Kleidung, der gleichen Farbe der Anzüge, den gleichen Uniformen immer unzufriedener werden und sich nach Abwechslung sehnen, nach freudigeren, farbigen Kleidungen. Schließlich mußte unter dem Druck der Unzufriedenheit der Menschen auch in dieser Hinsicht das politische Regime diesem Druck weichen und eine Produktion anstreben, die eine stärkere Produktdiversifizierung erlaubt und das Streben der Menschen nach Änderungen und Innovationen in größerem Maße respektiert. Selbstverständlich kann das Streben der Menschen nach Innovationen in Widerspruch zu dem Bedürfnis nach einer gesunden Umwelt kommen. Die beständig wachsende Produktion mit ihrem riesigen Rohstoff- und Energieverbrauch, mit der Entstehung enorm angewachsener Industrieagglomerationen kann solche Umweltverpestungen mit sich bringen. In einem bestimmten Moment erschweren diese nicht nur das Leben der Menschen, sondern können direkt lebensgefährdend werden. In solchen Bedingungen entsteht ein völlig neues Bedürfnis an Umweltschutz und Umweltverbesserung, welches in den hochentwickelten Industrieländern der Gegenwart immer schneller und stärker wächst. Wenn die Innovationsentwicklung weitere Umweltverpestungen hervorrufen sollte, kann dieses in einem gewissen Sinne in Widerspruch kommen zu dem Bedürfnis an Umweltschutz der Menschen. Dieser Widerspruch erzwingt sich Lösungen und Regulierungen der Produktionsentwicklung, die möglicherweise auch an bestimmten Orten, in bestimmten Produktionen zu einer Abbremsung der Innovationsentwicklung führen, aber er kann und wird nicht zur Abschaffung der Produktinnovationen als solcher führen. Dies wäre gegen die Natur der Menschen und in diesem Sinne Utopie. Es geht also zur Zeit vielmehr um die Auffindung von Mitteln, mit welchen das Produktionswachstum besser mit den Bemühungen um die Umweltverbesserung koordiniert werden könnte. Auch dies wird aber bei weiterer qualitativer Entwicklung menschlicher Bedürfnisse und ihrer Befriedigung mit Hilfe von Produktinnovationen vor sich gehen. Damit ist auch die Frage beantwortet, ob es die kapitalistische Profitgier sei, die neuen menschlichen Bedarf überflüssigerweise schaffe: Die Innovationsentwicklung entspricht einem allgemein gültigen Grundbedürfnis der Menschen. Das Streben nach Gewinnvergrößerung bei privaten Unternehmern kann nur die 14

Existenz dieses allgemeinen Innovationsbedürfnisses für bestimmte subjektive Zwecke ausnützen, d. h. es verbindet sich hier ein allgemeines gesellschaftliches Interesse mit dem privaten Unternehmerinteresse. Dies bedeutet nicht, daß die private Unternehmertätigkeit und die aus ihr hervorgehende Produktionsentwicklung nicht dann bestimmte Einschränkungen bzw. Regulierungen verlangt, wenn die Resultate dieser Tätigkeit in Widerspruch zu den gesellschaftlichen Interessen kommen. Diese Fälle können jedoch nicht gelöst werden, indem man die Innovationsentwicklung bzw. die qualitative Weiterentwicklung des menschlichen Bedarfes einfach verurteilt oder diese Bedarfsentwicklung ignoriert und durch eine autoritär geleitete Produktion abstoppt. In dem realsozialistischen System wurde eine theoretische Vorstellung entwikkelt und zum Teil praktiziert, gemäß welcher der Staat die Bedarfsentwicklung der Bevölkerung zu bestimmen hat. Folglich entscheidet er, welcher Bedarf als bedeutend eingereiht wird und wie er mit Hilfe einer geplanten Güterproduktion befriedigt werden soll. Es gibt auch im Westen ähnliche "sozialistische" Theorien, wie z. B. bei Herbert Marcuse 9 , gemäß welcher man die Bedürfnisse der Menschen differenzieren sollte auf "wahre" und "falsche" Bedürfnisse. Nur die wahren wären anzuerkennen, und "das optimale Ziel wäre die Ersetzung der falschen Bedürfnisse durch wahre". Niemand kann jedoch konkret unterscheiden, was wahre und falsche Bedürfnisse sind. Alle Bedürfnisse, also auch die Grundbedürfnisse, sind durch die gesellschaftliche Produktion geprägt, d. h. mit Gütern, die im Produktionsprozeß künstlich entwickelt und erzeugt werden. Niemand kann auf objektive Weise festsetzen, eine einzelne Wurstsorte als Lebensmittel würde dem richtigen und wahren Bedürfnis entsprechen, hingegen fünf oder zwanzig andere Wurstsorten wären Ausdruck eines falschen Bedürfnisses. Man kann nicht sagen, dieser oder jener Autotyp entspreche dem wahren Bedürfnis; alle anderen würden dann falsche Bedürfnisse ausdrücken. Dies wäre eine Vergewaltigung der menschlichen Individualität, ganz abgesehen davon, daß sich einfach niemand zum allwissenden Gott aufspielen kann, der die Entscheidungsmacht und -fähigkeit darüber besitzt, welche Bedürfnisse die wahren und welche die falschen sind. Das bisher Gesagte bedeutet nicht, daß es keine Manipulation der Bedarfsschaffung durch die Produktion in einer Marktwirtschaft gäbe. Es bedeutet nicht, daß nicht unnötiger Bedarf durch Produkte hervorgerufen wird, die keinesfalls besser und nützlicher sind als die bereits bestehenden. Es kann nicht bestritten werden, daß Konsumenten durch Werbung zur Konsumtion verführt werden. Fälle von Produzenten, die die Lebensdauer ihrer Produkte künstlich verkürzen, um mehr produzieren und verkaufen zu können, existieren natürlich, sind allerdings nur Folge monopolistischer Produktionsentwicklung und der damit verbundenen Beschränkung des Wettbewerbs. Bei funktionierendem Wettbewerb mehrerer Unternehmen in jeder Branche haben die Konsumenten eine bestimmte Auswahlmöglichkeit, so daß sich Erfahrungen längerfristig durchsetzen können, welche Produkte, verglichen mit anderen, wirklich höheren Nutzen haben im Verhältnis zum Preis. Es wird immer Irrtümer bei diesen Bewertungen und Produktvergleichen geben, die jedoch bei 9

Vgl. Marcuse, H., Der eindimensionale Mensch, S. 25fT.

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funktionierendem Wettbewerb eher in kurzfristiger, vorübergehender Art auftreten werden. Eine längerfristige Manipulierung der Konsumenten, eine über längere Zeit verzerrte, falsche, einseitige Werbung, ohne genügende Möglichkeit der Konsumenten, Erfahrungen zu sammeln, ist eigentlich nur denkbar bei einer starken Makromonopolisierung. Makromonopolisierung kann aber dann durch wirtschaftliche und politische Maßnahmen wirksam bekämpft werden.

Schlußfolgerungen Erstens: Die Wirtschaft dient der Bedarfsbefriedigung mit knappen Gütern. Sie muß beständig versuchen, diese Knappheit zu verkleinern bzw. die Divergenz zwischen latentem und real zu befriedigendem Bedarf zu überwinden. Zweitens: Bedürfnisse werden in ihrer Konkretheit durch konkrete Produkte hervorgerufen. Sie verwandeln sich so zum Bedarf, welcher sich selbst relativ unabhängig von der Produktion als latenter Bedarf entwickelt. Dieser latente Bedarf kann und wird die Produktion beständig quantitativ übersteigen, da von verschiedenen Produkten mehr gefordert wird, als im jeweils gegebenen Moment produziert werden kann. Die Produktion wird durch die beständige Forderung nach neuen und besseren Produkten auch zur qualitativen Entwicklung angetrieben.

Drittens: Wo in einem Wirtschaftssystem der Abstand zwischen latentem Bedarf der Menschen und der realen Bedarfsbefriedigung zu groß ist oder gar noch anwächst, dort entstehen Unzufriedenheit der Bevölkerung, Spannungen, Konflikte bis hin zu politischen Widerständen und Aufständen und schließlich bis zur Änderung bzw. Ablösung des Wirtschaftssystems. Viertens: Ein Wirtschaftssystem, das sich langfristig erhalten soll, muß Wege und Mechanismen finden, mittels welcher die Entwicklung der Bedarfsbefriedigung in Richtung der Entwicklung des latenten Bedarfes verläuft. Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß der latente Bedarf der Völker sich heute immer mehr internationalisiert und die Wirtschaftsentwicklung sich in allen Ländern in ihrer Tendenz langfristig und allmählich ausgleichen wird. Diese Tendenz hat bereits als langfristiger Prozeß begonnen. Fünftens: Um den Bedarf immer besser und konsequenter zu befriedigen, müssen sich in der Wirtschaft folgende ökonomische Grundtendenzen der Produktionsentwicklung durchsetzen: 1. eine optimale Wirtschaftlichkeit der Produktion, d. h. eine optimal wirtschaftliche Ausnützung aller Produktionsfaktoren; 2. eine optimale Nachfrageausrichtung der Produktion, d. h. die Produktionsstruktur und Produktionsproportionen sollen der Struktur und den Proportionen der Nachfrage entsprechen; 16

3. eine optimale Innovation von Technik und Gütern, also der qualitative Fortschritt in der Produktion; 4. eine optimale Steigerung der Produktivität der Produktionsfaktoren.

3 Charakterzüge von Wirtschaftssystemen im Vergleich

3.1 Begriff" Wirtschaftssystem " Wenn die ökonomischen Prozesse der Produktion, des Austausches und der Verteilung knapper Güter als ein Merkmal der Wirtschaft schlechthin anzusehen sind, so können sich diese in ihrer qualitativen Art und Gesamtheit unterscheiden und somit unterschiedliche Wirtschaftssysteme bilden 1o . Allgemein gilt daher: Qualitativ und quantitativ spezifische ökonomische Prozesse in ihrer gesamten Komplexität und Wechselbeziehung bilden die Charakteristik eines Wirtschaftssystems. Wirtschaftssysteme unterscheiden sich vor allem in den voneinander abweichenden ökonomischen Entwicklungen der Produktion. Sie wurden in den vorangehenden Schlußfolgerungen (Punkt 5) allgemein aufgezählt. Es handelt sich also um die unterschiedliche wirtschaftliche Ausnützung von Produktionsfaktoren, um die Bedarfsausrichtung der Produktion, um die Struktur-, Innovations- und Produktivitätsentwicklung in der Produktion. Diese Unterschiede in Form und Entwicklung der Produktionsprozesse werden auch eine unterschiedliche Befriedigung der Bedürfnisse in der Gesellschaft in ihrer Quantität und Qualität mit sich bringen. Auch wenn die Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung langfristig entscheidend von der Produktionsentwicklung abhängt, wird sie ebenfalls von der Art der Güterverteilung und des Austausches in der Gesellschaft beeinflußt. Durch Änderungen des Wirtschaftssystems können und werden gewöhnlich auch wesentliche Änderungen des Verteilungssystems und anderer ökonomischer Prozesse eintreten. So kann allein durch die Änderung des Verteilungssystems kurzfristig die Befriedigung von Bedürfnissen bestimmter Bevölkerungsteile verbessert werden. Wenn sich durch die Systemänderung jedoch die ökonomische Entwicklung der Produktion verschlechtert, dann werden diese partiellen Verbesserungen wirklich nur kurzfristig sein. Langfristig wird sich aufgrund der schlechteren ökonomischen Entwicklung der Produktion auch die Bedürfnisbefriedigung von Bevölkerungsmehrheiten relativ oder auch absolut verschlechtern. Man kann dies auch umgekehrt ausdrücken: eine schlechtere, weniger konsequente Bedürfnisbefriedigung bei Bevölkerungsmehrheiten ist meist Ausdruck einer ökonomisch ungenügenden Produktionsentwicklung . Wie können nun konkreter als bisher die Bestandteile eines Wirtschaftssystems dargestellt werden? Wie jedes komplizierte System setzt sich auch das Wirtschaftssystem aus mehreren Teilsystemen zusammen. Um also ein Wirtschaftssystem besser begreifen zu können, müssen wir es analysieren, d. h. vor allem in seine Subsysteme zerlegen 10

Vgl. Thieme, H.J., S. 12 ...

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und sie mit den Subsystemen anderer Wirtschaftssysteme vergleichen. Folgende Subsysteme mit ihren spezifischen Eigenschaften und ihrer gegenseitigen Vernetzung sind für ein Wirtschaftssystem charakteristisch: 1. Das Subsystem der Güterverteilung und damit hauptsächlich der Verteilung von Produktionsmitteln. 2. Das Subsystem der ökonomischen Interessen und der Motivation. 3. Das Subsystem der ökonomischen Informationsverbreitung und Wissensbildung. 4. Das Subsystem der Leitung und Koordination der Wirtschaftstätigkeit. 5. Das Subsystem der Beziehung zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Diese Subsysteme werden im folgenden einzeln näher untersucht und gleichzeitig soll die Unterschiedlichkeit dieser Subsysteme und damit der zwei existierenden Wirtschaftssysteme der Gegenwart - des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen und des sozialistisch-planwirtschaftlichen Systems - aufgezeigt werden. 3.2 System der Güterverteilung und Eigentumsverhätnisse

Mit dem System der Güterverteilung befassen sich vor allem die Ökonomen. Die Güterverteilung hat jedoch auch ihre rechtliche Komponente, da sie immer zu juristisch geprägten Eigentumsverhältnissen führt. Es handelt sich hier um die Betrachtung zweier Seiten eines einzigen Prozesses, der nur aufgrund einer Arbeitsteilung zwischen Juristen und Ökonomen unterschiedlich untersucht wird. Die Ökonomen untersuchen das eigentliche Wesen, den Charakter, die Spezifik einer bestimmten Art der Güterverteilung. Sie versuchen auf die Fragen zu antworten, wie und warum diese oder jene Verteilung von Gütern in der Gesellschaft vor sich geht. Die Juristen hingegen untersuchen die rechtliche Ausdrucksform dieser Güterverteilung und ihrer eigentumsmäßigen Resultate, sei es nun das Eigentum von Personen oder Institutionen. In arbeitsteilig fortgeschrittenen Gesellschaften werden produzierte Güter größtenteils nicht von den Produzenten selbst verbraucht. Immer existiert also aufgrund der Arbeitsteilung auch ein System der Verteilung von Gütern in der Gesellschaft. Durch die Aufteilung kommen die Güter von den Produzenten zu jenen Personen, die über sie verfügen, über ihre Benützung entscheiden können. Hier besteht wieder die Verbindung mit dem juristischen Aspekt des Prozesses. Es handelt sich um ein Aneignungs- bzw. Verfügungsrecht über bestimmte Güter. Wichtig for den Ökonomen ist, daß diese Personen als Eigentümer die Güter nach eigenem Gutdünken benutzen bzw. verbrauchen können. Die Verteilung bestimmt demnach feste Eigentumsverhältnisse, damit aber auch bestimmte Verbrauchsverhältnisse. Dadurch, daß sich die Verteilung der meisten Güter in relativ ähnlicher Form, historisch während längerer Etappen ständig wiederholt, werden auch die Eigentumsverhältnisse immer wieder reproduziert. Das Recht fixiert diese Eigentumsverhältnisse als langfristig gegebene quasi starre Verhältnisse, auch wenn es sich in Wirklichkeit um immer wieder neu ablaufende Prozesse der Produktion, der Verteilung, der Aneignung und des 18

Verbrauchs von Gütern handelt. Alle Güter werden früher oder später verbraucht. Sie müssen also erneut hergestellt werden, um immer wieder neu zum Eigentum bestimmter Menschen zu werden. Dies bedeutet für den Ökonomen, daß sich auch der Prozeß der Produktion und der Verteilung ständig wiederholt. Im weiteren folgenden Subkapitel wird gezeigt, wie jeweils bestimmte Systeme der Güterverteilung, aus welchen auch dementsprechende Eigentumsverhältnisse erwachsen, immer die Entstehung spezifischer sozialer Differenzierungen, und damit verbunden auch unterschiedlicher Gruppeninteressen, hervorrufen. Es kann also gesagt werden, daß mit bestimmten Verteilungssystemen jeweils auch bestimmte soziale Strukturen sowie Interessenstrukturen verbunden sind. Da wie noch gezeigt wird - ökonomische Interessen die stärksten Antriebe ökonomischer Tätigkeiten darstellen, sind also langfristig sich wiederholende Verteilungsprozesse die Grundlage ebenso langfristig gegebener Interessen- und Motivationsstrukturen in der Gesellschaft. Die sogenannte "Property Right-Theorie" 11 hat neben anderem die Bedeutung des Zusammenhanges zwischen bestimmten gegebenen Eigentumsrechten und bestimmten Motivationsstrukturen hervorgehoben. Das Eigentumsrecht ist jedoch nichts anderes als eine rechtliche Fassung, eine Kodifizierung gegebener Eigentumsverhältnisse, die jeweils durch diese oder jene Art von Güterverteilungen entstanden sind bzw. durch historisch langfristig sich wiederholende Arten einer Güterverteilung immer wieder entstehen. Zwischen den ökonomischen Verteilungsprozessen und ihrer eigentums bedingten, rechtlichen Fassung besteht eine wechselseitige Beziehung: Einerseits führen spontan entstehende Verteilungssysteme zu langfristig sich reproduzierenden Eigentumsverhältnissen, die durch folgend hervorgerufene Rechtssysteme geschützt und gesichert werden. Umgekehrt können aber auch vorerst politisch hervorgerufene Änderungen des Eigentumsrechtes sowie folgende Änderungen des Verteilungssystems zu neuen, langfristig sich reproduzierenden Eigentumsverhältnissen führen. Mit jeweils unterschiedlichen Verteilungs- und Eigentumssystemen sind auch unterschiedliche soziale und interessen bedingte Strukturen verbunden. Auf jeden Fall ist es jedoch nicht das Recht selbst, das bestimmte Interessen- und Motivationsstrukturen hervorruft, sondern die realen Verteilungs- und Eigentumsverhältnisse, ohne welche das Recht inhaltslos bliebe. Die klare Sicht der Zusammenhänge ist deshalb von Bedeutung, da ein ökonomisches Verteilungssystem durch andere ökonomische Subsysteme bedingt ist und nicht ohne Schaden für die Gesellschaft willkürlich geändert werden kann. Nur bestimmte Verteilungsprozesse können auf einer jeweils gegebenen Stufe der Arbeits- und Produktionsentwicklung auch jene Interessen- und Motivationsstrukturen hervorrufen, die zu einer optimalen Produktion und Bedürfnisbefriedigung führen. Rein politisch erzwungene Änderungen der Eigentumsrechte können dagegen solche Änderungen von Verteilungs- und Eigentumsverhältnissen hervorrufen, die falsche, den Arbeits- und Produktions bedingungen nicht ent-

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Vgl. Furubotn, E.G.,/Pejovich, So, Property Rights Vgl. dsl: The Economics of Property Rights Vgl. Leipold Ho, Theorie der Property Rights 0

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sprechende Interessen- und Motivationsstrukturen zur Folge haben und zu großen Verlusten in der Produktion sowie bei der Bedürfnisbefriedigung führen. Die negativen Folgen solcher rein politisch und rechtlich erzwungener Änderungen von Verteilungs- und Eigentumsverhältnissen, bei welchen die objektiv gegebenen Zusammenhänge zwischen ökonomischen Subsystemen, zwischen den Produktions-, Verteilungs-, Interessen-, Koordinationssystemen sowie den dadurch bestimmten Verhältnissen der Bedürfnisbefriedigung ignoriert wurden, werden im weiteren noch klarer hervortreten. In früheren Wirtschaftssystemen gab es direkte Güterverteilungen entweder in den Urgemeinschaften oder später durch die Sklavenhalter auf ihren Latifundien, dann durch die feudalen BodeneigentÜffier mittels Naturalrentenabschöpfung von den hörigen Bauern. Mit der Entfaltung der Marktwirtschaft wurde die direkte Güterverteilung ersetzt durch die indirekte Verteilung mittels Warenverkauf und -einkauf. Jeder konnte einen solchen Teil der insgesamt produzierten Güter erwerben, soviel seinem Einkommen entsprach, das er durch den Verkauf von Gütern, inkl. Dienstleistungen, und das heißt auch durch den Arbeitsverkauf, erlangt hatte. Natürlich gab es immer einen Abzug von den Einkommen, sei es einst in der Form der Geldrente von den hörigen Bauern durch die Feudalherren oder später in der Form von Steuern aus allen Einkommen durch den Staat. Unabhängig davon kann man aber sagen, daß ab einer Stufe der Entwicklung die direkte Güterverteilung ersetzt wurde durch die indirekte, marktmäßige Güterverteilung. Besonders wichtig bei der Verteilung von Gütern ist die der Produktionsmittel. Eine Aufteilung aller Güter nach ihren wesentlich unterschiedlichen Funktionen führt zur Unterscheidung von zwei Gütergruppen. Erstens die Gruppe der Produktionsgüter (oder Produktionsmittel), die auch als Güter höherer Ordnung bezeichnet werden: Es handelt sich um Güter, die in der Produktion verbraucht werden und durch deren Verbrauch wieder neue Güter entstehen. Zweitens die Gruppe der Konsumgüter: sie werden nicht in der Produktion, sondern von den Menschen direkt verbraucht, so daß durch diesen direkten Verbrauch nicht unmittelbar neue Güter entstehen. Warum ist die Untersuchung der Verteilung von Produktionsmitteln in einer Gesellschaft wichtig? Durch diese Verteilung entsteht das Eigentum an ihnen; dies ist einer der wichtigsten Faktoren für die erwähnte Entstehung und beständige Wiederholung eines spezifischen Produktionsprozesses. Wer also Produktionsmittel besitzt, kann allein oder mit fremden Arbeitskräften die Produktion in Gang bringen und wieder neue Güter produzieren. Da also Eigentumsrechte immer auch das Recht über die Verwendung von Gütern zu entscheiden beinhalten, stellen bestimmte rechtlich kodifizierte Eigentumsverhältnisse auch immer entsprechende Entscheidungsverhältnisse dar. Spezifische Verteilungssysteme, durch welche auch spezifische Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln in der Gesellschaft entstehen, sind daher auch immer mit dementsprechenden spezifischen Entscheidungsstrukturen über die Benützung der Produktionsmittel, also die Produktion, verbunden. Die Konsequenzen aus dem bisher Gesagten seien anhand der unterschiedlichen Güteraufteilung im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen und im sozialistisch-planwirtschaftlichen System dargestellt.

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Im marktwirtschaftlichen System bilden sich die Preise aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage am Markt. Immer wieder setzt sich im System der Marktpreise die Tendenz zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei einzelnen Güterarten durch, also eine Gleichgewichtstendenz zwischen der angebotenen und der nachgefragten Menge einzelner Güterarten. Die Verkäufer sind bestrebt, erstens die einzelnen Güterarten auf dem Markt so anzubieten, daß sie sie alle verkaufen können, der Nachfrage also entsprechen, und zweitens dabei solche Preise zu erzielen, daß ihre Verluste minimiert und ihre Gewinne maximiert werden. Die Käufer bzw. die Nachfrager sind bestrebt, für ihr Einkommen ein Maximum an Nutzen, also eine höchste Bedürfnisbefriedigung, zu erreichen, so daß sich bei gegebenen Preisen der angebotenen Güter und den unterschiedlichen individuellen PräferenzskaIen aller Käufer die gesellschaftliche Nachfragestruktur herausbildet. Die beiden Verhaltensweisen der Nachfrager und Anbieter haben somit den entscheidenden Einfluß auf die Preisgestaltung. Die Preisgestaltung wiederum ist entscheidend für die Entwicklung der Einkommen und über diese für die Güteraufteilung in der Gesellschaft. Da das Einkommensinteresse noch immer eines der stärksten menschlichen Interessen ist, werden die Verkäufer immer an der Maximierung der Preise ihrer Güter (inkl. Arbeit) interessiert sein, während die Einkäufer ein Interesse an der Minimierung der Preise haben, da dies zu einer Steigerung ihres Nutzens führt. Sobald es bei einem Gut zum Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage kommt, z. B. ein Nachfrageüberschuß entsteht, kommt es zu Preissteigerungen und Gewinnanstiegen beim Verkauf dieses Gutes. Dies hat zur Folge, daß die Motivation und auch die finanziellen Mittel entstehen, dieses Gut vermehrt herzustellen. Die Erweiterung der Produktion führt bei diesem Gut zu steigendem Angebot und dadurch früher oder später wieder zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Umgekehrt führt ein überschüssiges Angebot zu Preissenkungen mit sinkenden Gewinnen. Dies ruft die Reduktion von Produktion und Angebot hervor und damit wieder früher oder später den Ausgleich von Angebot und Nachfrage. So kommt es zu einer beständigen Anpassung der Produktionsstruktur, d. h. der produzierten Menge einzelner angebotener Güterarten an die Nachfragestruktur, wobei gleichzeitig die Güter in unterschiedlichen Mengen unter die Käufer, gemäß ihrer unterschiedlichen Einkommenshöhen und PräferenzskaIen, verteilt werden. Durch den Verkauf entweder materieller Güter oder Dienstleistungen (bzw. der Arbeit) entstehen unterschiedliche Einkommen, was nicht nur Unterschiede beim Einkauf von Konsumgütern und damit einen differenzierten Konsum in der Gesellschaft hervorruft, sondern auch ungleiche Möglichkeiten zum Sparen begründet. Dies wiederum schafft unterschiedliche Voraussetzungen für den Einkauf von Produktionsmitteln zusätzlich zu den erforderlichen Konsumgütern. Nicht jede Einkommenshöhe ermöglicht die Bildung erforderlicher Ersparnisse als Voraussetzung für den Einkauf von Produktionsmitteln für eine private Unternehmungsgründung. Die marktmäßige Einkommensdifferenzierung schafft also auch die Voraussetzung zu einem Übergang der Produktionsmittel in die Hände eines Teiles der Bevölkerung, nämlich jenes Teiles, der die Möglichkeit hat und der es versteht, aus den angehäuften und ersparten Einkommensteilen neue

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Unternehmungen zu gründen und dazu auch die benötigten Produktionsmittel einzukaufen. Dabei muß natürlich betont werden, daß die einkommensmäßige Möglichkeit einer Ersparnisbildung und damit des Einkaufes weiterer Produktionsmittel zwar eine wichtige Voraussetzung, nicht aber der alleinige Faktor für private Unternehmungsgründungen ist. Diese wären zwar ohne vorausgehende Ersparnisbildung und - damit verbunden - ohne Entwicklung des Kreditwesens nicht möglich, aber gleichzeitig verlangt eine private Unternehmungsgründung viel mehr als nur das Vorhandensein einer genügenden Geldanhäufung (ob aus eigenen oder fremden Ersparnissen stammend). Private Gründer brauchen z. B. erfolgreiche Ideen, Initiative, spezifische Informationen, Risikofreudigkeit etc. Gerade diese Seite der privaten Unternehmertätigkeit wird von der marxistischen ökonomischen Theorie völlig unterschätzt und vernachlässigt, was schwerwiegende Folgen für die Produktionsentwicklung im sozialistischen Wirtschaftssystem hat. Das sozialistisch-planwirtschaftliche System entstand aus der Kritik an der Tatsache, daß es im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System zu einer Aufteilung der Bevölkerung auf Eigentümer der Produktionsmittel und Nichteigentümer an Produktionsmitteln kommt. Aus der Behauptung von Marx, daß diese kapitalistischen Verhältnisse ab einem Entwicklungsmoment keine weitere effektive Entwicklung der Produktivkräfte zulassen würden, wurde die Schlußfolgerung gezogen, daß das kapitalistische Eigentum sowie der Marktmechanismus mit ihren - marxistisch simplifizierten - Wirkungen und Folgen durch sozialistische Produktions- und Eigentumsverhältnisse ersetzt werden müssen. Anstelle des privaten Eigentums an Produktionsmitteln und der damit angeblich verbundenen Ausbeutung der Proletarier, d. h. der Nichteigentümer an Produktionsmitteln, sollte ein staatliches bzw. teilweise genossenschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln eingeführt und die marktmäßige durch eine direkte, planmäßige Güterverteilung ersetzt werden. Mit dieser revolutionären Änderung der Verteilungs- und Eigentumsverhältnisse sollten Bedingungen für eine schnellere und effektivere Entwicklung der Produktivkräfte, d. h. der technischen Seite der Produktion, und damit auch eine schnellere und gerechtere Konsumtionsentwicklung für die Arbeiter geschaffen werden. In den sozialistischen Ländern, in welchen an dieser Doktrin festgehalten wird, darf der Marktmechanismus nicht mehr dazu dienen, die Produktionsfaktoren in der Produktion zu verteilen, und er darf auch nicht als Mechanismus der Entstehung von Einkommen sowie der Güterverteilung innerhalb der Bevölkerung dienen. Es gibt ein striktes Verbot des Verkaufes von Produktionsmitteln an Privatleute. Die Zuteilung der Produktionsmittel nur an sozialistische Betriebe wird als eines der Grundprinzipien angesehen. Der Staat allein, als Eigentümer des Großteiles von Betrieben (und daneben - noch geduldet - ein begrenzter Umfang von Genossenschaften), darf sich Produktionsmittel aus der Produktion aneignen. Der Markt ist zwar formell vorhanden, aber der Marktmechanismus wurde liquidiert. Dies wurde durch folgendes erreicht: Erstens gibt es keine freie Marktpreisbildung - das ist der entscheidende Faktor der Beseitigung des Marktmechanismus. Zweitens gibt es keine ökonomische Selbständigkeit der Betriebe und keinen Marktwettbewerb. Man will nicht, daß einzelne Betriebe unabhängig voneinander

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im Wettbewerb um den Verkauf ihrer Produkte und den Einkauf anderer Produkte stehen. Drittens wurde die Einkommensbildung von den Marktresultaten getrennt. Man will nicht, daß die Einkommen der Bevölkerung, d. h. vor allem der in den Betrieben arbeitenden Menschen, gemäß des Güterverkaufes am Markt bestimmt werden. Die Betriebe haben also nicht die Freiheit, über die Verteilung ihrer Einkommen und über die Lohnentwicklung ihrer Mitarbeiter zu bestimmen. Die Einkommensverteilung, die Lohnentwicklung sowie auch verschiedene Lohnnebenformen werden planmäßig und unabhängig von den unterschiedlichen Einkommen, die die Betriebe durch den formellen Verkauf von Gütern erzielen, bestimmt. Die Motivation zur produktiven Entwicklung wird also nicht durch Markteinkommen gegeben. Die offizielle Verteilung der Güter, d. h. diejenige Verteilung, die nicht auf den ausgedehnten Schwarzmärkten stattfindet, geht nur planmäßig vor sich. Dabei kommt man ohne Preise nicht aus. Die ehemalige Vorstellung, daß überhaupt keine Preise existieren sollen und direkt in Naturalgrößen verteilt würde 12 , ist an der Riesenmenge produzierter Güterarten, die es in einem industriell entwickelten Land nun einmal gibt, gescheitert. Die Preise, und damit das Geld, dienen hierbei vor allem als Aggregierungs- und Rechenmittel, aber auch als Mittel einer geplanten Verteilung der Konsumgüter unter die Bevölkerung. Da die Preise sich jedoch nicht am Markt gemäß Angebot und Nachfrage bilden, sondern überwiegend zentral und administrativ fixiert werden, verlangt dies bei den hunderttausenden von Produkten und Preisen natürlich einen riesigen bürokratischen Aufwand, zumal sich die Güterarten und Produktionskosten ständig ändern. Es gibt eine Unmenge von Preislisten, und damit notwendigerweise verbunden, eine langfristig unveränderte Erhaltung einmal fixierter Preise, so daß sie nicht die im Marktmechanismus grundlegende Funktion von Gleichgewichtspreisen haben können bzw. auch nicht in der Lage sind, als die für die Produktion unerläßliche Signalwirkung für mögliche oder wirkliche Nachfrageverschiebungen zu dienen. Das Steigen oder das Sinken von Preisen bzw. die Bildung übermäßiger oder ungenügender Lager mit zu erwartenden Preisbewegungen sind also im Sozialismus keine entscheidende Signale für die Produktion, sich den geänderten Nachfrageverhältnissen rechtzeitig anzupassen. Die Produktion wird direkt mit Hilfe zentraler, verbindlicher Pläne bestimmt. Da es jedoch, wie erwähnt, hunderttausende von Produktarten gibt (in der Tschechoslowakei wurde einst berechnet, daß es dort ungefähr 1,5 Millionen Produktarten gab), ist es natürlich nicht möglich, den Produktionsumfang jedes einzelnen Gutes für sich zentral zu planen. Die Aufstellung eines Planes, in welchem die Menge eines jeden Produktes konkret enthalten wäre, würde auch mit Hilfe modernster Computersysteme länger dauern als die Zeit, für welche der Plan bestimmt ist. Die Unmöglichkeit, einen so konkreten Produktionsplan aufzustellen, ist als das erste entscheidende Versagen des Realsozialismus gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen von Marx und Engels über die zukünftige Planung zu werten.

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Vgl. Marx, K., Kritik des ... , S. 20.

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Der Output muß also aggregiert geplant werden, d. h. statt für eine Menge einzelner Güterarten wird das Produktionswachstum für breite Gruppen von Gütern bestimmt. Innerhalb dieser Gruppen gibt es jeweils einige Güterarten, deren Produktion bevorzugt behandelt wird. Zu solchen Präferenzprodukten zählen alle Rüstungsgüter sowie wichtige Inputfaktoren wie Energie, spezielle Rohstoffe, einige der wichtigsten Maschinenarten, Transport etc. Außerdem werden die erforderlichsten Grundnahrungsmittel einzeln und zentral geplant. Klar ist, daß es neben den Rüstungsgütern vor allem politisch bedeutsame sowie Engpaßgüter sind, deren Produktion präferiert wird. Im Vergleich zur Gesamtheit aller Güter ist die Palette der Präferenzgüter relativ gering. Das geplante Wachstum des aggregierten Outputs sowie der Präferenzgüter ist für die Betriebe verbindlich. Ebenso wird der Input geplant, also die von den einzelnen Betrieben für ihre Produktion benötigten Produktionsfaktoren. Die wichtigsten Rohstoffe, Halbfabrikate, Maschinen und Einrichtungen sowie auch Arbeitskräfte werden den Betrieben zugeteilt. Auch die Löhne für die Arbeitskräfte, spezielle Entlohnungen, Prämien für die Planerfüllung und -übererfüllung werden mittels Plan festgelegt. Es gibt unterschiedliche Kriterien für die Planung von Produktionsgütern und Konsumgütern. Die Produktion von Produktionsgütern muß im Verhältnis zum geplanten Input festgelegt werden, was durch die Aufstellung sogenannter Produktbilanzen und Verbrauchsnormen durch das Zentrum bei seiner Planaufstellung geschieht. Die Erfassung des benötigten Inputs in jeder Branche und in jedem Betrieb im Verhältnis zum geplanten Output gemäß erstellter Verbrauchsnormen sowie die Ausbilanzierung von Input und Output, all dies geschieht in den breiten Aggregaten,- mit Ausnahme der Präferenzprodukte. Die Konkretisierung dieser Planungsaggregate wird in den Betrieben durchgeführt, so daß diese allein die detaillierte Mikrostruktur der Produktion, bei Einhaltung der vorgeschriebenen Aggregate und Präferenzprodukte, bestimmen. Wie sich die Betriebe die konkreten Produktionsfaktoren innerhalb des in Aggregaten geplanten Inputs beschaffen, bleibt grundsätzlich ihnen überlassen (mit Ausnahme der zugeteilten Präferenzprodukte). Die Konsumgüterproduktion wird nach anderen Gesichtspunkten gehandhabt. Auch hier werden überwiegend Aggregate sowie einzelne Präferenzprodukte geplant, deren Mengen gemäß der prognostizierten Nachfrageentwicklung bestimmt werden. Diese sogenannten Prognosen der Nachfrageentwicklung unterliegen jedoch einer Vielzahl willkürlicher bürokratischer Entscheidungen. Abgesehen davon, daß schon das Wachstum der Gesamtnachfrage durch die verbindliche Planung des Lohnwachstums wesentlich bürokratisch bestimmt wird, diktiert die Planungsbürokratie auch, welche Konsumgüter von erstrangiger Bedeutung sind und als Präferenzprodukte konkret geplant werden und welche Konsumgüter als überflüssig oder luxuriös einzustufen und dementsprechend niedrig zu bewerten sind. Dies bedeutet: Die Bürokratie bestimmt, welche Bedürfnisse als wichtig und richtig oder falsch und weniger wichtig anzusehen sind. Durch eine derart bürokratisch verzerrte Erfassung der sogenannten zukünftigen Nachfragestruktur wird also die Struktur der Konsumgüterproduktion geplant. Über den formell vorhandenen Markt gelangen die Güter in den Konsumtionsbereich, und aus den geplanten Geldeinkommen entsteht die konkrete,

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marktmäßige Nachfrage, d. h. die Nachfrage der Bevölkerung nach bestimmten Gütermengen bei administrativ fixierten Preisen. Auf diese Weise entsteht der zumindest formell existierende Marktaustausch. Der Güteraustausch in den sozialistischen Ländern sowjetischen Planungstyps verläuft überwiegend über den Staatshandel, in beschränktem Ausmaß über den Genossenschaftshandel und in einigen Ländern noch über einen Rest von privatem Handel. Privater Handel existiert nur als sogenannter landwirtschaftlicher Markt, auf welchem Bauern Überschüsse aus ihrem kleinen, privat bewirtschafteten Hofland verkaufen können, dies jedoch auch nur beschränkt und vom Staat kontrolliert. Da es im Staats- bzw. Genossenschaftshandel keine Preisbewegungen gemäß Angebot und Nachfrage gibt, entstehen immer wieder Angebotsmängel, also Nachfrageüberschüsse nach einzelnen Produktarten, ebenso wie Angebotsüberschüsse, also große Mengen nicht verkaufter Waren. Die Preisstarrheit und das Desinteresse der Produzenten an flexiblen Änderungen der Produktionsstruktur führt dazu, daß Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage, wenn überhaupt, nur sehr schleppend überwunden werden. Vor Verkaufsläden bilden sich immer wieder lange Einkaufsschlangen, die Bevölkerung muß sogar verschiedensten Alltagsgütern von einem Geschäft zum andern nachjagen, muß Wochen, Monate, jahrelang auf verschiedene, ungenügend vorhandene Produkte warten, und dennoch bleibt ein großer Teil des Bedarfs unbefriedigt. Damit ist notwendigerweise die Entstehung des Schwarzhandels verbunden, da sich erfahrungsgemäß dort, wo es einen Mangel im offiziellen Angebot gegenüber der Nachfrage gibt, illegale Schwarzhändler finden, die versuchen, diese Waren durch Beziehungen und Korruption aufzukaufen und zu höheren Preisen weiterzuverkaufen. Preisänderungen gibt es nur sehr selten und auch nur administrativorganisiert. Es hat sich gezeigt, daß die Preisbewegungen umso größer sein müssen, je länger die Zentralorgane mit Anpassungen warten. Wenn sich zu große Lager unverkäuflicher Produkte gebildet haben, müssen die Preise sehr stark gesenkt werden, und auch dann wird meist nicht mehr alles verkauft. Oft wird versucht, solche Lager auch durch einen ungemein verlustreichen Export abzubauen. Man ist bestrebt, verbliebene Waren, um sie überhaupt loszuwerden, auf zugänglichen Außenmärkten zu enormen Verlustpreisen abzusetzen. Gelingt dies nicht vollständig, werden überschüssige Lager einfach administrativ liquidiert, abgeschrieben, verschrottet, d. h. wertvolle Ressourcen werden ständig vergeudet. Preissteigerungen sind im allgemeinen ebenfalls ungewöhnlich groß, je länger sie hinausgezögert werden. Bei zu niedrigen Preisen müssen viele Waren subventioniert werden, was zu wachsenden Defiziten im Staatsbudget führt. So ist die Beobachtung erklärbar, daß die Preise verschiedener Güter von einem Tag auf den andern sogar bis 50% und mehr steigen. Diese plötzlichen Verschiebungen der Preisrelationen bergen, wie die Erfahrung gezeigt hat, großes Konfliktpotential in sich. So ist z. B. der Aufstand der Bevölkerung in Polen genau durch solche Preiserhöhungen ausgelöst worden. Die Produktionsproportionen werden zwar immer wieder im nächsten Jahresplan - als Reaktion auf die Ungleichgewichte des vergangenen Jahres - geändert. Einige Mangelprodukte, die politisch besonders provoziert haben, werden auch

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zu konkret geplanten Präferenzprodukten ernannt; dennoch ist abzusehen, daß dann wieder von etwas anderem zu wenig produziert wird, da die Betriebe im Vergleich zur geplanten Gesamtproduktion nur unzureichende Produktionskapazitäten aufweisen. Der Plan wird zwar vorschreiben, von den - in einer politischen Kritik erwähnten - Produkten mehr zu produzieren. Da die zentrale Führung jedoch nie die konkrete Mikrostruktur, d. h. alle einzelnen Güter, planen kann, werden die Betriebe Produkte, die für sie entweder bei der Planerfüllung unattraktiv sind oder für welche sie nicht über genügend Rohstoffe, Halbfabrikate etc. verfügen, aus der Produktion auslassen, obwohl der Bedarf seitens der Bevölkerung durchaus vorhanden ist. Die - im Verhältnis zu den ~achsenden Planaufgaben - unzureichenden Produktionskapazitäten sind Ausdruck des zu langsamen technischen Fortschrittes bzw. auch starker Veralterung vieler Betriebe, vor allem in nicht präferierten Produktionsbranchen. Wie bei einzelnen Güterarten gibt es auch eine von der Planungsbürokratie bestimmte Präferenzskala bei der Zuteilung von Investitionsmitteln. Die auf der unteren Stufe dieser Skala sich befindenden Branchen bekommen jahrelang zu wenig oder auch fast überhaupt keine Investitionsmittel zugesprochen, so daß ihre Produktionseinrichtungen stark veralten. Wie noch deutlich werden wird, erhalten aber auch die bevorzugten Betriebe für ihre Finanzgelder überwiegend technisch zurückgebliebene, die Produktivität nur ungenügend steigernde Maschinen und Einrichtungen. Ungeachtet dessen, verlangen die zentralen, verbindlichen Produktionspläne von den Betrieben eine jährliche Steigerung der Produktivität der Arbeit. Dies hat zur Folge, daß der planmäßige Umfang der Produktion im Verhältnis zur geplanten Zahl der Arbeitskräfte beständig schneller hochgetrieben wird, als die technischen Bedingungen der meisten Betriebe tatsächlich zulassen. Die Planungsbürokratie steht selbst unter politischem Druck, muß Pläne mit wachsenden Aufgaben durchsetzen und erzwingt von den Betrieben Produktivitätssteigerungen ohne Rücksicht auf deren technische Voraussetzungen. Das Ergebnis dieser Politik ist jene Praxis der Betriebe, die Produktionsumfänge mit Produkten hochzuschrauben, für deren Herstellung sie relativ wenig Arbeit brauchen bzw. die geringsten Inputschwierigkeiten haben. Dagegen schränken sie die Produktion solcher Güter ein, bei welchen sie die Produktionsund Produktivitätspläne schwer erfüllen würden. Daraus resultieren dann eben die immer wieder entstehenden Engpässe im Angebot verschiedenster Güterarten und im Überangebot anderer, weniger benötigter Güter. Die "sozialistische" Praxis zeigt, daß die Vorstellung eines Ersatzes des Marktmechanismus als Mittel der Güterverteilung durch eine direkte, planmäßige Güterverteilung nicht genügend durchdacht war und der Gesellschaft riesige Verluste gebracht hat. Die Güterverteilung im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System ist wesentlich effektiver als im sozialistisch-planwirtschaftlichen System. Dies wird noch klarer hervortreten bei der Behandlung der Interessenproblematik.

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3.3 System der ökonomischen Interessen und Wirtschaftsmotivation Bei der Behandlung der ökonomischen Interessen und Wirtschaftsmotivationen soll gleich anfangs einer der grundlegendsten Fehler der marxistischen Ideologie erwähnt werden. In der marxistischen ökonomischen Theorie kommt es zu einer völligen Unterschätzung der ganzen Interessenproblematik. Die Rolle der ökonomischen Interessen als eine der wichtigsten Wirtschaftsmotivationen wird hier ignoriert. In dieser Theorie sind die kapitalistischen Unternehmer nur die Ausbeuter, während die Interessen, die Motivation und die Fähigkeiten, die für eine Unternehmungstätigkeit benötigt werden, übersehen werden. Aufgrund dieses fundamentalen Fehlers einer Wirtschaftstheorie erscheint dann die sozialistische Produktion eben nur als das Ergebnis der Vernunft, der Erkenntnis, der Informationen, die sich im Sozialismus besser sollen entfalten können. Man glaubt, daß es einfach nur nötig wäre zu erkennen, welche und wieviele Produkte die Gesellschaft benötigt. Die einzelnen Mengen unterschiedlicher Produktarten brauchen mit einem zentralen Plan nur abgesichert zu werden. An dieser Vorstellung wird bis heute festgehalten. Man hat immer nur das Ziel, mit Hilfe der modernsten Technik, mit Hilfe von Computersystemen und modernsten Bilanzierungsverfahren, rational erfaßbare Ziele aufzustellen und diese dann durch eine geplante Produktion abzusichern. Probleme bestehen für die Planungsvertreter nur im Informations- und Berechnungssystem. Selbstverständlich existieren Schwierigkeiten des Planungszentrums in der Erlangung verläßlicher Informationen von Seiten der Wirtschaftsbetriebe. Trotzdem kann in diesem Informationsproblem nicht das Hauptproblem dieses Systems gesehen werden. Es ist durchaus vorstellbar, daß mit noch leistungsfähigeren Computern, Datenerfassungs- und -vermittlungstechnikenjene Informationsfülle erreicht werden könnte, die für eine detaillierte Planung gebraucht würde und daß daher die Idee einer vollkommenen Planung auf einer technisch noch weiter fortgeschrittenen Basis zu verwirklichen wäre. In erster Linie aber wurLelt das Nichtfunktionieren des ganzen Planungssystems nicht in ungenügender Informationstechnik, sondern in einem tiefliegenden Desinteresse der Betriebe gegenüber wirtschaftlicher Effektivität. Nun zu dieser Interessenproblematik : wir sagten schon, daß bei einer hochentwickelten Arbeitsteilung die Produzenten nicht für sich selbst, sondern in erster Linie für unbekannte Menschen arbeiten. Bei den Produzenten muß also ein Interesse vorhanden sein, eine Arbeit für andere auszuführen, die sie für sich selbst in dieser Art und Menge nicht ausführen würden. Zugleich muß es eine Arbeit sein, die wieder den Interessen der anderen, der Konsumenten, in Form der Arbeitsresultate entsprechen soll. Sie muß also bedarfsgerecht ausgerichtet sein, sie muß höchst wirtschaftlich verlaufen, sie soll sich innovativ entwickeln das alles sind die Interessen der anderen, für welche produziert wird. Eine solche Interessenentwicklung muß möglichst durch einen automatischen Mechanismus in der Gesellschaft hervorgerufen werden. Die Produzenten sollen über ihre eigenen Interessen dazu geführt werden, daß ihre Tätigkeit den Interessen der Konsumenten bzw. der ganzen Gesellschaft entspricht. Sie müssen verlieren, wenn die Konsumenten auch verlieren, sie müssen gewinnen, wenn die Konsumenten gewinnen. Nur dann werden sich Produzenten aus eigenem Interesse 27

bemühen, auf eine Art tätig zu sein, daß ihre Produktion der Gesellschaft einen möglichst hohen Nutzen bringt. Die Grunderkenntnis der Interessenproblematik finden wir schon bei Adam Smith. Im weiteren Verlauf der Volkswirtschaftstheorie wurde sie dann von den Ökonomen nicht mehr sonderlich beachtet bzw. nicht mehr weiter vertieft. Bei Marx war eine völlige Unterschätzung dieser Problematik der Produktionsinteressen zu verzeichnen; er hat sie als ein rein kapitalistisches Phänomen abgetan. Dagegen haben sich die nichtmarxistischen Ökonomen deshalb nicht weiter mit der Interessenproblematik befaßt, weil sie dies als eine rein psychologische Problematik betrachteten. Viele Ökonomen sind bis heute bei dieser Betrachtungsweise geblieben. Man begnügt sich also in der Ökonomie mit einer sehr allgemeinen Wertlehre als Voraussetzung zur Erklärung ökonomischer Bewertungen und beschränkt sich auf die Feststellung, daß die Menschen immer irgendwelche Werturteile entwickeln und aus diesen Werturteilen heraus dann Motivationen für ihre Tätigkeit entstehen. Dies ist zwar richtig, impliziert jedoch, Werte entständen bei den Menschen rein willkürlich. Man beachtet nicht, daß hinter der Werturteilsentwicklung Interessen stehen. Wer diese Interessen hinter den Werturteilen nicht zu sehen vermag, kann auch nicht erklären, warum unter bestimmten wirtschaftlichen Verhältnissen auch ganz bestimmte Werturteile entstehen und überwiegen. Es wird nicht wahrgenommen, daß sie Ausdruck bestimmter Interessenentwicklungen sind. Nur bei deren Kenntnis jedoch kann man auch die ökonomischen Motivationen verstehen und erklären. Ökonomische Motivationen sind Impulse, Anreize für eine wirtschaftliche Tätigkeit (Arbeit) der Menschen, ausgeführt für andere Menschen, auch dann, wenn die Tätigkeit selbst für die Ausführenden nicht interessant ist. Sie wird aber vollbracht, weil sie Voraussetzung für die Befriedigung von Bedürfnissen bzw. für die Durchsetzung von Interessen der wirtschaftlich Tätigen selbst ist. Es geht darum, durch die Tätigkeit etwas zu erreichen, das dem eigenen Interesse entspricht und daher für den Menschen wertvoll ist. Manchmal kann es die ökonomische Tätigkeit selbst sein, die zum Interesse der Menschen wird - z. B. eine Unternehmertätigkeit, eine Bankierstätigkeit usw. Allerdings trifft dies auf der heutigen Stufe der Entwicklung nur beschränkt zu. In den meisten Fällen ist die zu verrichtende Arbeit nicht das eigentliche Interesse der Menschen. Sie haben eine Menge anderer Bedürfnisse und Interessen; Voraussetzung für ihre Befriedigung ist die Arbeit für andere. In diesem Sinne ist der Mensch zur Arbeit, zur ökonomischen Tätigkeit indirekt motiviert. Diese ökonomische Motivation allein war der Motor für die Entwicklung von Märkten. Die Märkte entstehen aufgrund der Entfaltung der Arbeitsteilung sowie aus dem Interesse der Menschen heraus, jene Güter erwerben zu können, die sie selbst nicht fähig sind zu produzieren oder die sie nicht fähig sind, in einer bestimmten Qualität bzw. zu niedrigeren Kosten als andere Menschen zu produzieren. Dies bedeutet also: Der Wunsch, Güter von anderen Menschen zu erhalten, wirkt als Impuls für die eigene Tätigkeit, durch welche wieder Güter, Sachen oder Dienstleistungen für andere Menschen erstellt werden. Mit der Entstehung von Geld verwandelte sich dieses Interesse an Gütern anderer in ein Interesse an Geld bzw. an Geldeinkommen. Mit Geld kann man relativ leicht alle gewünschten

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materiellen Güter anderer erwerben und somit eine Befriedigung eigener Bedürfnisse erreichen. Das ökonomische Interesse ist also ein Interesse besonderer Art, das Interesse an der Erlangung höchstmöglicher Geldeinkommen als Voraussetzung ständiger und wachsender Bedarfsbefriedigung mit ökonomisch begrenzten Gütern. Was ist nun ein Interesse überhaupt, also ein Interesse ganz allgemein gesehen? Ein Interesse ist immer Ausdruck starker positiver Gefühle der Menschen, Gefühle, die durch eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung hervorgerufen werden. Die Bedürfnisbefriedigung, also die Erlangung bestimmter Objekte, seien es nun Güter, Dienstleistungen, Beziehungen, Tätigkeiten, Zustände, die Erlangung solcher Objekte ruft bei den Menschen unterschiedlich positive Gefühle, Gefühle des Behagens, der Zufriedenheit, der Lust, des Glücks hervor. So wie die Bedürfnisse, der Mangel negative Gefühle wie Unbehagen, Unzufriedenheit, Verzweiflung, Trostlosigkeit, bis hin zur Selbstvernichtung hervorrufen, so ruft umgekehrt die Befriedigung der Bedürfnisse positive Gefühle hervor. Besonders starke Gefühle, überwiegend Lustgefühle, rufen dann auch eine sehr starke Ausrichtung und willensstarke Aktivität der Menschen hervor, mit dem Ziel der Erreichung, Wiederholung bzw. Steigerung dieser Bedürfnisbefriedigung. Diese psychische Ausrichtung bezeichnen wir als Interesse. So wie die Bedürfnisse immer individuelle physisch-psychische Regungen sind, die aber, wie ich schon sagte, immer gesellschaftlich geformt und bedingt sind, so ist dies auch bei den Interessen der Fall. Immer sind die Interessen eines Individuums in ihrer konkreten Ausrichtung, in ihrer konkreten Hierarchie, in der Intensität der Gefühle und der Aktivität, in ihrer Entwicklung usw. bei jedem Individuum einzigartig. Es wird wohl nicht gesagt werden können, daß die konkreten Interessen bei zwei Menschen gleich sind. Und doch muß wieder gesehen werden, daß Bedürfnisse und Interessen, geformt durch die Gesellschaft, bedingt durch die Produktion, durch die Wirtschaftsstellung der Menschen, die Art ihrer Einkommensschaffung, durch die Erziehung der Menschen, durch die Moral, durch das Recht, durch die Religion usw., kurz also gesellschaftlich bedingt und geformt, für viele Menschen etwas Gemeinsames haben. Mit anderen Worten: In der ;fhnlichkeit der Interessen vieler Individuen äußert sich ihr ähnliches gesellschaftliches Wesen.

Obwohl also die Interessen der Individuen in ihren Einzelheiten und ihrer Konkretheit unterschiedlich sind, werden bei Zugehörigen bestimmter sozialer Gruppen vor allem ähnliche ökonomische Interessen vorzufinden sein. Bei Menschen mit ähnlicher Stellung in der Wirtschaft oder Gesellschaft, mit ähnlicher Arbeit, mit ähnlicher Einkommensart und -höhe, mit ähnlicher Erziehung, werden vor allem die ökonomischen Interessen ähnliche Züge aufweisen. Damit wird aber gleichzeitig ausgedrückt, daß unterschiedliche soziale Gruppen auch unterschiedliche ökonomische Interessen haben, es also innerhalb der ökonomischen Interessen sozial strukturierte Differzierungen gibt. Wir wollen noch einmal zu den allgemein charakterisierten, also unterschiedslosen ökonomischen Interessen zurückkehren. Wir sagten schon: Ökonomische Interessen allgemein sind die Interessen an einer maximal möglichen Erlangung knapper, d. h. ökonomisch begrenzter Güter bzw. an der Erlangung von maximalen Geldeinkommen als Hauptmittel zur Erreichung knapper Güter. Da nun die Erlangung maximaler Geldeinkommen - das heute noch am deut-

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lichsten ausgeprägte allgemeine ökonomische Interesse - nur dann realisiert werden kann, wenn die Tätigkeit für die anderen von den anderen als nützlich anerkannt wird, bildet das Einkommensinteresse die wichtigste Motivation für eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit. So wie kurz das Einkommensinteresse als allgemeines ökonomisches Interesse bezeichnet werden kann, gibt es innerhalb dessen unterschiedliche spezifische ökonomische Interessen, die unterschiedlichen Einkommensarten entsprechen. Ein solches spezifisches Einkommensinteresse ist vor allem das Lohninteresse, der spezifischen Einkommensart, dem Lohn entsprechend. So wie die Arbeitstätigkeit für die anderen unterschiedlich nützlich sein kann, so muß diese Tätigkeit auch differenziert entlohnt werden - nur dann wird das Lohneinkommen auch unterschiedlich nützliche Arbeitstätigkeiten motivieren. So wie die Arbeitstätigkeit professionell aufgeteilt und unterschiedlich nützlich ist, so wird sie also auch gemäß des unterschiedlichen Nützlichkeitsgrades durch unterschiedlich hohe Lohneinkommen motiviert. Trotz dieser quantitativen Lohnunterschiede geht es hier jedoch um die gleiche Art der Einkommenserzielung, nämlich um Einkommen durch Arbeitsverkauf. Der Lohn (im breiten Sinne des Wortes - also alle Formen der Arbeitsentlohnung) stellt eine bestimmte Art der Geldeinkommen dar und alle Menschen, die ihr Einkommen durch den Verkauf ihrer Arbeit erzielen (ungeachtet der quantitativen und qualitativen Arbeitsund Lohndifferenzen) haben im Grunde das gleiche ökonomische Interesse, nämlich das Interesse an einer Lohnmaximierung. Das Lohninteresse ist also ein spezifisches ökonomisches Interesse. Bei einer fortgeschrittenen Arbeitsteilung und bei der Entstehung der industriellen Großproduktion sind die Güter nicht mehr Ergebnis der Tätigkeit einzelner individueller Produzenten, nicht mehr wie im Mittelalter Ergebnis einzelner Handwerker oder einzelner kleiner Bauern, sondern überwiegend Ergebnis großer Produktionskollektive. Damit nun auch diese großen Kollektive, die Betriebe bzw. Unternehmen so produzieren, wie es die Konsumenten fordern, müssen auch sie durch ein spezifisches Einkommen gemäß des Nutzens ihrer Güter für die Gesellschaft motiviert werden. Notwendig ist also nicht nur ein quantitativ differenziertes Lohneinkommen als Arbeitsmotivation für die einzelnen individuellen Verkäufer von Arbeit, sondern auch ein differenziertes spezifisches Einkommen für ganze Betriebe oder Unternehmen, das sie zu einer optimal nützlichen und effektiven Produktionstätigkeit motiviert. Diese Aufgabe erfüllt vor allem das Gewinneinkommen. Der Gewinn ist zuerst einmal grob gesagt, die Differenz zwischen den Gesamterlösen für den Güterverkauf und den Gesamtkosten. Dieser Gewinn wird immer von denen angeeignet, denen die Produktion und die Produktionsmittel gehören und die daher über die mit diesen Produktionsmitteln verbundene Arbeit verfügen. In diesem Sinne sind Eigentümer der Produktionsgüter auch immer Aneigner der Gewinne. Gewinne hängen also auf der einen Seite von der Kostenentwicklung inkl. Lohnentwicklung und auf der anderen Seite von der Entwicklung der Erlöse ab, so daß gilt: Der Gewinn bildet ein spezifisches ökonomisches Einkommen, das sowohl objektiv für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung erforderlich ist als auch gleichzeitig die spezifische Einkommensmotivation kapitalistischer Unternehmer darstellt.

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Unter den Bedingungen des Marktmechanismus ist die Gewinnentwicklung in erster Linie konzentrierter Ausdruck des gesellschaftlichen Nutzens der Produktion. Erstens ist für die Gesellschaft von Nutzen, wenn bei der Produktion die Produktionsfaktoren möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden. Für den Unternehmer bedeutet dies: Der Gewinn wächst mit der Wirtschaftlichkeit des Produktionsfaktoreneinsatzes. Je besser die Produktionsfaktoren verwendet werden, desto niedriger sind die Produktionskosten und desto höher daher auch der Gewinn. Zweitens hat die Gesellschaft Interesse an einer bedarfsgerechten Produktion, was eine der Nachfrage möglichst angepaßte Produktionsstruktur erfordert. Und auch hier gilt wieder für den Unternehmer: Je konsequenter die Menge der einzelnen Produktarten der Menge der Naclifrage nach diesen Produktarten entspricht, desto höhere Erlöse gibt es für den Produzenten und damit auch wieder im Verhältnis zu den Produktionskosten höhere Gewinne. Und schließlich drittens hat die Gesellschaft ein Interesse an einer beständigen Innovation und Verbesserung sowohl der Produktionstechnik als auch der Produkte. Und wieder gilt: Je innovativer die Produktionsentwicklung ist, desto relativ niedriger die Produktionskosten,je innovativer die Produkte, desto höher die Erlöse, so daß sich die Innovationsentwicklung auch in steigenden Gewinnen widerspiegelt. Von diesen Aspekten her ist die Gewinnentwicklung objektiv im Einklang mit dem gesellschaftlichen Interesse an einer hocheffektiven Produktionsentwicklung und an einer maximalen Bedürfnisbefriedigung. Gleichzeitig gibt es in einem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System auch das subjektive Gewinninteresse der Eigentümer von Produktionsmitteln. Die kapitalistischen Unternehmer haben ein subjektives Interesse an einer Maximierung des Gewinnes. Ihnen dient der Gewinn erstens zur Deckung ihrer eigenen persönlichen Bedürfnisse, zweitens zu einer qualitativen und quantitativen Weiterentwicklung des Unternehmens. Damit entsteht unter bestimmten Bedingungen eine Übereinstimmung der subjektiven Gewinninteressen und des gesellschaftlich objektiven Gewinninteresses. Von bestimmten Aspekten her gesehen gibt es aber auch Widersprüche zwischen dem subjektiven Gewinninteresse und dem gesellschaftlichen Interesse an einer maximalen Bedürfnisbefriedigung. Der Gewinn kann nämlich auch durch Herabdrücken der Löhne oder durch Intensivierung des Arbeitseinsatzes ohne

eine entsprechende Lohnsteigerung vergrößert werden. In diesem Fall wird der Gewinn auf Kosten der Lohnentwicklung vergrößert. Von daher entsteht die Möglichkeit des Widerspruches zwischen den Gewinninteressen und Lohninteressen. Es ist bereits gesagt worden, daß ein differenzierter Lohn auch das Interesse an unterschiedlicher Arbeit schafft. Unterschiede der Belohnung sowie generelle Bewegungen der Löhne können auch gesellschaftlich erforderliche Bewegung von Arbeit und Arbeitskräften hervorrufen. Lohnbewegungen können z. B. die Bereitschaft wecken, eine bestimmte Lehre oder ein ausgesuchtes Studium zu absolvieren oder aber attraktivere Berufe, vielleicht in anderen Branchen als bisher, zu wählen. Sie können somit ein gewisses Maß an Mobilität hervorrufen und aufrecht erhalten. Dieses Lohninteresse ist also genau so nötig für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion wie das Gewinninteresse. Durch das Gewinninteresse wird die notwendige Unternehmungsgründung, Unternehmungsentwicklung, die flexible Anpassung der Produktionsentwicklung an die Bedarfsentwicklung, die beständige Innovation der Produktion usw. 31

stimuliert. Das Lohninteresse trägt zu der Absicherung der benötigten unterschiedlichen Arbeitstätigkeiten in der Gesellschaft bei. In dem Sinne ergänzen sich beide Interessen. Ohne diese beiden Motivationen wäre die kapitalistischmarktwirtschaftliche Produktion nicht denkbar. Andererseits gilt jedoch: Lohn und Gewinn sind zwei Teile eines Ganzen, d. h. zunächst Teil des primären Einkommens eines Wirtschaftsunternehmens. Das Gesamteinkommen des Unternehmens wird in erster Linie aufgeteilt in Löhne und Gewinne im Sinne von unverteilten Brutto-Löhnen und Brutto-Gewinnen. Jeder dieser zwei Teile kann auf Kosten des andern gesteigert werden. Daher ist das Interesse an Lohnsteigerungen meist zugleich indirekt ein Interesse an Beschneidung der Gewinne und umgekehrt. Um die Lohnhöhe gab es bisher in der ganzen Entwicklung immer Kämpfe. Die Bestimmung der Lohnhöhe geschah entweder auf eine rein marktmäßige Weise innerhalb eines jeden einzelnen Unternehmens gemäß Angebot und Nachfrage nach bestimmter Arbeit. Oder sie war Ergebnis organisierter Verhandlungen und Übereinkünfte von Lohnempfängern und Unternehmern, mit oder ohne kampfmäßigen Mitteln. Wie auch immer der Lohn ausgehandelt wird, bleibt dennoch zu konstatieren: Innerhalb eines einheitlichen Interesses an der Einkommensmaximierung des Unternehmens gibt es auch einen Widerspruch zwischen den Lohn- und Gewinninteressen. Wir wollen jetzt zu den Widersprüchen zwischen objektiven und subjektiven Gewinninteressen zurückkehren: 1. Gewinnsteigerungen müssen nicht nur Ausdruck gesellschaftlich nützlicher Produktionsentwicklung sein. Sie können unter Umständen auch auf Kosten der Einkommenszuwüchse der Arbeitnehmer durchgesetzt werden, so daß bestimmte Gewinnsteigerungen gegen die Interessen der Lohnempfänger und damit gegen einen erheblichen Teil der Gesellschaft erfolgen. 2. Der Gewinn kann auch durch monopolistisches Verhalten der Produzenten oder des Handels, d. h. durch monopolistische Preisdiktate vergrößert werden. Die dadurch erzielten Mehrgewinne werden auf Kosten der Konsumenten erreicht, was u. a. wieder einen Großteil der Gesellschaft schädigt. Auch dies ist also eine Möglichkeit einer den gesellschaftlichen Bedürfnissen nicht entsprechenden Gewinnsteigerung. Dies bedeutet schließlich für den Ökonomen: Die gesellschaftlich positive Wirkung der Gewinne muß erhalten bleiben. Es gibt kein objektiveres Kriterium der gesellschaftlichen Nützlichkeit der Produktionsentwicklung als den Gewinn und es gibt auch keinen besseren, erfolgreicheren Harmonisierungsweg von subjektiven und objektiven Interessen an der Produktionsentwicklung, als eben durch den Gewinn. Dabei ist es nicht unbedingt nötig, daß nur private Unternehmer ein Gewinninteresse entwickeln, sondern auch kollektive Kapitaleigentümer (Genossenschaften, Mitarbeitergesellschaften etc.) können durch Gewinne motiviert werden. Gleichzeitig bleibt das Suchen von besseren Wegen zur Überwindung negativer Folgen der privaten Gewinnmotivation eine vordringliche Aufgabe der ökonomischen Systemforschung. Im sozialistischen Wirtschaftssystem wurde das Gewinninteresse als sozusagen charakteristisch kapitalistisches Interesse zunächst abgeschafft. Der Gewinn mußte zwar formell erhalten bleiben, denn man merkte schon in den ersten Jahren

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der sozialistischen Entwicklung in der Sowjetunion, daß man ohne eine geldmäßige Buchhaltung, ohne eine Verfolgung der Entwicklung von Kosten und Erlösen, ohne also auch eine Verfolgung der Effektivität des Wirtschaftens nicht auskommt. So blieb zwar der Gewinn als Unterschied zwischen Kosten und Erlösen in Preisen berechnet erhalten, jedoch ohne direktes Interesse der Produzenten an der Gewinnentwicklung. Auch wenn dies bis heute im sowjetischen Wirtschafts system gilt (abgesehen von den Reformentwicklungen in einigen Ländern), konnte das ökonomische Interesse als solches dennoch keineswegs beseitigt werden. Lenin hat schon bald erkennen müssen, daß man ohne ökonomische Motivation oder wie er es bezeichnet hat, ohne materielle Interessiertheit, die Produktion nicht so entwickeln kann, wie es die Gesellschaft braucht. Er hat daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß eine differenzierte Arbeitsentlohnung notwendig sei. Später wurde man sich bewußt, daß noch spezielle Prämien für die Erfüllung und Übererfüllung unterschiedlicher Planaufgaben auszusetzen sind, z. B. für die Erfüllung der geplanten Bruttoproduktion, Nettoproduktion, Produktivitätsentwicklung, Kostensenkung usw. Mit der eingeführten Lohndifferenzierung, mit den plangebundenen Lohnsteigerungen und Prämien wurde zwar tatsächlich ein gewisses Maß an Motivation hervorgerufen, dennoch blieb die Einkommensentwicklung unabhängig von den Marktresultaten. Im sozialistischen System gibt es keine Marktpreise, keinen Marktwettbewerb, keine Gewinnaneignung der Produzenten gemäß wirklicher Markterfolge. Die Betriebe haben daher keinen Anreiz, konsumentengerecht zu produzieren, sondern sind nur interessiert daran, ihre aggregierten und allgemeinen PlanzifJern zu erfollen. Zuallererst zeigt sich dies darin, daß die Betriebe die Informationen für das Zentrum zu ihren Gunsten manipulieren, um später relativ leicht ihren Plan erfüllen zu können. Zweitens können sie, für das Planungsamt unkontrollierbar, ihre Produktion auf Kosten der Konsumenten manipulieren und damit erhöhte Gewinne einstreichen. Drittens können die Betriebe Einkommenssteigerungen auch durch fiktive Innovationen von Produkten erzielen. Mit Hilfe kleiner formeller Änderungen an einigen Produkten, die dem Preisamt zu melden sind, können erhöhte Preise gefordert werden. In Wirklichkeit aber bringen diese sogenannten Neuerungen den Konsumenten keinen höheren Nutzen. Durch solche Änderungen entsteht quasi ein neues Produkt mit neuem Preis. Aufgrund von angehobenen Kalkulationen der sachlichen Produktionskosten und vermehrter Vergeudung der Ressourcen werden Preissteigerungen erzielt und über diese Strukturverschiebungen wiederum ungerechtfertigte Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen. Hier liegt also ein Systemdefekt der Planwirtschaft vor: Wenn es im kapitalistischen System für einzelne Unternehmen die Möglichkeit gäbe, ohne wesentliche Anstrengungen geistiger oder physischer Art, ohne reale Leistungssteigerungen höhere Einkommen zu erzielen, dann würden diese Unternehmen solche Möglichkeiten ebenfalls ausnützen. Dies aber läßt das Marktsystem aus beschriebenen Gründen nicht zu. Diese Diskussion ist keineswegs akademisch, denn der größte Teil der Bevölkerung sozialistischer Staaten weiß heute - aus eigener Erfahrung oder durch Beobachtung - daß die Beseitigung des Marktmechanismus im östlichen System auf

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Kosten der Bedürfnisbefriedigung der breiten Massen der Bevölkerung erfolgt ist. In beschränktem Ausmaß kann man oben beschriebene Tendenzen auch in der Marktwirtschaft in monopolistischen Situationen erfahren. In dem Augenblick, in welchem der Wettbewerb geschwächt wird und somit die Monopolisten erstarken, werden auch sie versuchen, z. B. mit nur formellen Änderungen von Produkten, die keine oder geringe Nutzensteigerungen bringen, Preissteigerungen durchzusetzen. Man kann dies aber nur als Tendenzen, als Momente in einer allgemein anderen Gesamtentwicklung bezeichnen, denn im großen und ganzen gibt es einen Wettbewerb, der diese Praktiken im breiterem Maßstabe nicht zuläßt. Durch die Beseitigung des Marktmechanismus kommt es also für die Bevölkerung zu einer Diktatur der ökonomischen Interessen der Produzenten. Diese systembedingte Einseitigkeit der Produzenten kann mit moralisch-politischen Einwirkungen nicht beseitigt werden. Die Betriebe können noch so sehr ermahnt werden, besser, billiger und mehr zu produzieren, es können noch so viele politische Funktionäre in ihren Referaten die Arbeiter auffordern, effektiver zu arbeiten, es wird dies keinen Einfluß auf die Effektivität der Produktion haben. Mit moralisch-politischen Einwirkungen kann man nicht das ersetzen, was durch die Unterdrückung des Marktmechanismus verhindert wird. Das ökonomische Interesse kann so lange nicht beseitigt werden, solange erstens alle Bedürfnisse nicht genügend befriedigt werden können, solange bei den meisten Gütern eine Knappheit existiert und eine ökonomische Beschränkung der Bedürfnisbefriedigung erforderlich ist. Zweitens wird dies so lange anhalten, solange zwischen den Arbeitstätigkeiten der Menschen so große Unterschiede wie heute existieren: Unterschiede in der physischen und geistigen Anstrengung, der Qualifikation, der Kreativität, im sozialen Status etc. Solange es daher wenig attraktive Arbeiten in großem Ausmaß geben wird, werden diese Arbeiten für einen großen Teil der Menschen nicht zu ihrem eigentlichen Bedürfnis, nicht als eigentlicher Zweck, sondern nur als Mittel zum Zweck, zur Einkommenssicherung und -steigerung betrachtet. Solange die genannten Bedingungen existieren, können auch die ökonomischen Interessen nicht beseitigt werden. Dann kommt es eben darauf an, in welcher Richtung diese ökonomischen Interessen in unterschiedlichen ökonomischen Bedingungen tendieren, ob sie zugunsten der Gesellschaft oder in wachsendem Maße gegen die Interessen der Gesellschaft wirken. Wie gezeigt, ruft im sozialistisch-planwirtschaftlichen System die dirigistische Planung bei Beseitigung des Marktmechanismus starke Interessen absolut monopolisierter Betriebsleitungen an Produktionsentwicklungen hervor, die in relativ hohem Ausmaß wirtschaftliche Verluste für die Gesellschaft mit sich bringen. Noch schädlicher wirken sich jedoch spezifisch bürokratische Machtinteressen aus, die einen entscheidenden Einfluß auf die Wirtschaftsentwicklung haben. Die Partei- und Staatsbürokratie, deren Einkommen von Gewinnen oder Verlusten in der Produktion nicht unmittelbar betroffen werden, kann Planziele durchsetzen, die in der Wirtschaft immense Effektivitätsverluste hervorrufen. Vor allem die Entscheide über das Wachstums tempo der Produktion, über die Höhe der Investitionsquoten, über die Entwicklung der Produktionsstruktur und Investitionsverteilung, über den Anteil der Schwerindustrie in der Wirtschaft, über die Preis- und Lohnentwicklung, über die Kaderauswahl und personelle 34

Besetzung von Leitungsfunktionen usw. sind Entscheidungen, in welchen sich die vorrangigen Interessen der Bürokratie an der Erhaltung und Ausweitung ihrer Machtstellung, wenn nötig auch zuungunsten der wirtschaftlichen Effektivität, am stärksten geltend machen. Bei dem absolut monopolisierten Machtsystem können diese Verluste jedoch nicht aufgedeckt und gegen solche Entscheidungen vom Volk keine Alternativen ausgearbeitet und durchgesetzt werden. Im weiteren werden diese Verluste eingehender dargestellt.

3.4 System der technischen und ökonomischen Wissensbildung Jede Produktion baut auf technisch-ökonomischem Wissen auf. Zu dem technischen Wissen gehört natürlich nicht nur das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten der Technik im engeren Sinne, sondern auch grundlegend das Wissen über das Wesen der Natur und die Naturgesetze sowie Wege und Möglichkeiten ihrer Ausnützung bei der technischen Entwicklung. Es ist außerdem das Wissen über ökonomische Zusammenhänge, über die verschiedenen Wirtschaftsordnungen sowie darüber, wie Einkommen am ehesten erhöht und Bedarf am besten befriedigt werden kann, natürlich bei möglichst geringem Einsatz von Arbeit und Produktionsmitteln. Das Niveau und der Umfang des technischen und ökonomischen Wissens sowie das Tempo seines Wachstums innerhalb einer Volkswirtschaft hängen einerseits eng mit dem Stand und dem Wachstum der technischen und industriellen Entwicklung zusammen. Andererseits aber ist dieses Wissen auch relativ autonom und kann der Entwicklung vorauseilen oder hinter ihr zurückbleiben. Deshalb muß das System der Wissens bildung auch als ein relativ selbständiger Bestandteil eines Wirtschaftssystems analysiert werden. Dabei müßte nicht nur der Umfang, die Qualität, die Ausstattung u. ä. von technischen und ökonomischen Forschungsinstitutionen, Lehranstalten und anderen kommunikativen Anlagen eines Landes untersucht werden, sondern auch die - schwer meßbare - Anhäufung von technischen und ökonomischen Erfahrungen und Wissen in den Köpfen qualifizierter Kräfte. Die leichter zu erfassende Zahl von Fachkräften und Spezialisten kann einen analytischen Behelf darstellen. Aber auch die Erfassung all dieser Wissens begründer und Wissensträger sagt noch wenig darüber aus, wie dieses Wissen sich erstens in produktive Technik und Bedarfsbefriedigung umwandelt und wie zweitens seine eigene Weiterentwicklung und Innovation verläuft. Die Untersuchung dieser Prozesse sowie Erkenntnis ihrer Spezifik in diesem oder jenem Wirtschaftssystem wird dazu beitragen, dieses komplexe System besser zu verstehen. Die relative Autonomie der Wissensentwicklung ist vor allem daraus ersichtlich, daß z. B. ein Import auch der modernsten Technik in ein Entwicklungsland allein nicht genügt, um diese auch vernünftig einzusetzen, wenn das dazu erforderliche Wissen in diesem Land nicht vorhanden ist. Da die Erlangung von Wissen eines bestimmten Niveaus ein ungemein komplizierter Prozeß ist, der immer bestimmte vorangehende Stufen erfordert, in welchen Erfahrung und mithin Wissen angesammelt werden kann, braucht dieser Prozeß auch eine bestimmte Zeit, die nicht einfach übersprungen werden kann. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit

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einer bestimmten stufenweisen Entwicklung der in der Produktion eingesetzten Technik. Umgekehrt kann beobachtet werden, daß das Vorhandensein einer relativ umfangreichen Zahl von Wissensträgern, Fachkräften, Spezialisten u. ä. einem Land ermöglicht, auch nach praktisch völliger Zerstörung durch einen Krieg, in relativ kurzer Zeit den Wiederaufbau der industriellen Produktion auf ein noch höheres technisch-ökonomisches Niveau als vor der Vernichtung zu bringen. Das Nachkriegsdeutschland ist dafür der beste Beweis. Aber auch auf die Frage, warum z. B. die DDR innerhalb der Ostblockstaaten den höchsten Produktions- und Konsumtionsstandard erreicht hat, muß vor allem auf das relativ hohe und erhaltene Wissensniveau aus der Vorkriegszeit hingewiesen werden, ein Wissensniveau, das damals höher als in fast allen heute zum Ostblock gehörenden Ländern (mit Ausnahme der CSSR) lag. Obzwar das sozialistische Wirtschaftssystem in der DDR eben solche Effektivitätsnachteile und Mängel wie in den anderen sozialistischen Ländern aufweist und damit auch ein wesentliches Zurückbleiben der Produktion und der Konsumtion hinter der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland verursachte, hat doch der Faktor "höherer Wissensstandard" dazu geführt, daß die DDR fast alle anderen Ostblockstaaten, mit Ausnahme der CSSR, wesentlich überholt hat. Trotz dieser relativen Autonomie der Wissensentwicklung, muß die Bedeutung des Zusammenhanges zwischen dem Wissensbildungsprozeß und dem Produktionsprozeß innerhalb eines Wirtschafts systems in erster Linie hervorgehoben werden. Zwischen der Produktion und der Wissensbildung existiert eine wechselseitige Beziehung. Die Produktionsentwicklung erfordert immer neue Produktionsmethoden, neue Erfahrungen und Entdeckungen, aus denen neues Wissen hervorgeht. Aber gleichzeitig gilt umgekehrt, daß eine relativ autonome Wissenschaftsentwicklung, d. h. die Forschung und Lehre, die aus sich heraus neue Erkenntnisse, neue Wissensbildungen hervorruft, wieder die Produktion vorantreibt. Sie schafft Voraussetzungen für eine schnellere und effektivere Produktionsentwicklung. Ohne entsprechende Wissensentwicklung und dem neuesten Wissen der Produzenten gibt es keine technisch und ökonomisch fortschrittliche Produktion. Das Wissen und die erfahrungsgemäße Geschicklichkeit fördert die Qualifikation der Produzenten. Umgekehrt ist der Mangel an hochqualifizierten Arbeits- und Fachkräften die Hauptursache der zurückbleibenden Produktionsentwicklung in Entwicklungsländern. Zwischen der Produktions- und Wissensentwicklung gibt es spezifische Zusammenhänge innerhalb unterschiedlicher Wirtschaftssysteme. Je stärker der Druck eines Wirtschaftssystems auf die qualitative Produktionsentwicklung ist, also auf die Innovation von Gütern und Technik, desto schneller wird auch die allgemeine Wissensentwicklung verlaufen, die Vorbereitung qualifizierter Arbeitskräfte. Je schwächer dieser Druck in diesem oder jenem Wirtschaftssystem ist, je konservativer sich die Produktion verhält, desto langsamer wird auch die Entwicklung des technischen und ökonomischen Wissens und die Vorbereitung qualifizierter Arbeitskräfte vor sich gehen. Zur Wissensentwicklung im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System ist folgendes zu sagen: Die Entstehung der Marktwirtschaft und besonders dann später der kapitalistischen Marktwirtschaft hat die Entfaltung eines starken Wettbewerbes hervorge-

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bracht. Wettbewerb ist Kampf um Marktvorteile. Es geht darum, die Konkurrenten durch neue, bessere Produkte, durch eine flexiblere Strukturänderung, durch wirtschaftlichere, produktivere und billigere Produktion auszustechen. Dieser Kampf um Marktvorteile ruft einen starken Druck auf die Qualität der Produktion, auf Innovationen hervor. Daraus resultieren dann beständig wachsende Forderungen an Forschung, Wissenschaft und Schule. Aus dem Wettbewerb aber entsteht auch die Produktions- und Kapitalkonzentration und aus der Kapitalkonzentration wächst die Monopolbildung. Eine starke Monopolisierung, die immer auch eine Wettbewerbseinschränkung darstellt, kann zu einer bestimmten Abbremsung der qualitativen, innovativen Entwicklung führen. Je stärker die Monopolisierung, je schwächer der Wettbewerb ist, desto langsamer geht auch die qualitative, innovative Entwicklung vor sich. Starke Monopolisierungen der Produktion und des Handels in bestimmten Ländern haben immer eine Abbremsung der Innovationen mit sich gebracht und haben damit eine Verlangsamung, ja oft Stagnation der Produktions- und Wissensentwicklung hervorgerufen. Betrachten wir z. B. England, das im 18. und 19. Jahrhundert zu einer Kolonialweltmacht geworden war. Am Anfang nahm dieses Land in der Industrialisierung und im technischen Fortschritt Weltspitze ein. Auch die Erziehung seiner ökonomischen Führungskader verlief in den hervorragenden englischen Universitäten und war gut abgesichert. Natürlich war es vor allem eine politische Erziehung, eine politisch-ökonomische Erziehung von zukünftigen Herrschern, von Kolonialherren. Aber auch das technische Wissen entwickelte sich hier sehr schnell. Mit der Zeit aber führte die ökonomische Entwicklung innerhalb des britischen Weltreiches zu einer immer stärkeren Monopolisierung der Produktion und des Handels. Der Absatz auf den eigenen, monopolistisch beherrschten Märkten war relativ leicht und sicherte gleichzeitig eine billige Rohstoffbasis. Monopolistische Preisdiktate und damit die Erzielung monopolistischer Gewinne ermöglichten einen starken Anstieg des Reichtums im eigenen Land. Unter diesen Bedingungen kam es zu einer immer stärkeren Abschwächung der Konkurrenz. Es entstand eine Behäbigkeit der Kaufleute und Industriellen, ein Selbstgefallen, ein immer stärkerer Konservatismus in Wirtschaft und Politik und aus dem heraus auch ein ungenügender Druck auf technische Innovationen in der Produktion. Diese Entwicklung führte schließlich auch zu einem Zurückbleiben der technischen Erziehung in England. Während in den meisten anderen europäischen Industriestaaten bereits im 19. Jahrhundert spezielle technische Hochschulen entstanden sind, die viel zur Erziehung einer technischen Intelligenz, einer technischen Elite beigetragen haben, blieb diese Entwicklung in England fast völlig aus. Dies ist mit ein gewichtiger Faktor, warum England im 20. Jahrhundert die Spitzenführung im industriellen und ökonomischen Fortschritt verloren hat. Als man dann noch das monopolistisch abgeschirmte Weltreich mit seinen abgesicherten Märkten und Rohstoffbasen verlor, büßte England allmählich auch seinen Reichtum ein und fiel z. B. in der Produktion des Bruttosozialproduktes pro Kopf der Bevölkerung in der Weltliste ungemein zurück. So berechnet, steht es heute sogar hinter der östlichen DDR, hat also ein niedrigeres Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung als diese. 37

Je stärker daher der Wettbewerb ist, desto stärker wird auch die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Know How sein. Heute verbreiten sich zwar Ansichten, daß dieser Fortschritt der Menschen Feind sei. Ich bin der Überzeugung, daß Wissenschaft und Technik an und für sich dem Menschen nicht feindlich sind. Sie bringt den Menschen Arbeitserleichterungen, Arbeitszeitverkürzungen, bessere Bedürfnisbefriedigungen; der Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Produktion führte zur Überwindung von Hunger, Not, Elend, Krankheit usw. Wissen und Technik kann aber auch zu Krieg, Vernichtung, Unterdrückung mißbraucht werden. Es ist also nicht Sache der Wissenschaft und Technik selbst, sondern der gesellschaftlichen Verhältnisse, der unterschiedlichen Interessen und Motivationen, wie und in welcher Richtung der Fortschritt der Wissenschaft und Technik eingesetzt wird. Es hängt vor allem davon ab, welche demokratischen Kontrollen über die Wissenschaft und Technik vorhanden sind. Der Kampf gegen die Wissenschaft und Technik und ihren weiteren Fortschritt ist heute genau so naiv wie in den Zeiten der Maschinenstürmer. Der Kampf sollte nicht der Technik gelten, sondern es sollte ein Kampf um Verbesserung der gesellschaftlichen Kontrolle, um weitere Demokratisierung der Entscheidungen in der Wirtschaft sein, um Mißbräuche der Wissenschaft und Technik zu verhindern. Eine Verlangsamung des wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes wendet sich jedoch letzten Endes immer gegen die Bevölkerung. Das beste Beispiel dafür ist der Sozialismus. Im sozialistischen Wirtschaftssystem ist eine Wettbewerbsbeschränkung und völlige Monopolisierung der Produktion charakteristisch. Der Wettbewerb in der Produktion und am Markt wurde ziel bewußt ausgeschaltet. Eine jede Wettbewerbsbeschränkung und Monopolisierung führt - wie gesagt - zur Abbremsung bzw. Stagnation des technischen und ökonomischen Fortschrittes. Im Sozialismus können Einkommenssteigerungen leicht ohne Innovation und technischen Forschritt erzielt werden. Im Gegenteil, allzu viele Änderungen, technische Neuerungen, Änderungen der Technologie, der Produkte, der Produktionsorganisation, das alles behindert die Planerfüllung. Je mehr Änderungen die Direktoren während des Jahres durchführen, desto schwerer wird für sie die Planerfüllung. Deshalb versuchen sie, solche Entwicklungen zu meiden. Eine ungenügende Innovation in der Produktion, ja ein Desinteresse an Innovation bremst natürlich auch die Entwicklung der technischen Wissens bildung. In sozialistischen Ländern wird zwar viel getan für Wissenschaft, Forschung und Schulbildung. Da jedoch von der Produktion wenig Impulse, wenig Forderungen nach Neuem, nach technischem Fortschritt kommen, wirkt sich dies auch bremsend auf die Qualität der Wissensbildung aus. Es wird viel Geld für Forschung ausgegeben und diese zentral stark gefördert. Vor allem gilt dies für die sogenannte Grundlagenforschung in speziellen großen Instituten der Akademie der Wissenschaft, wo tausende von Mitarbeitern in den Instituten arbeiten. Sehr schwach allerdings im Vergleich zu dieser Grundlagenforschung ist die applizierte Forschung entwickelt. Ausgesprochen große Hindernisse gibt es bei der Einführung neuer technischer Erkenntnisse in die Produktion. Die Betriebsleitungen wehren sich dagegen. Es dauert Jahre, ja oft Jahrzehnte, bevor bestimmte Erfindungen von den Betrieben angenommen und in der Produktion eingeführt werden. Hier könnte man unzählige konkrete Beispiele nennen. So wurde z. B. in der CSSR die moderne Düsen-

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webmaschine zwar erfunden, jedoch jahrelang in der Produktion nicht eingesetzt, da die staatlichen Betriebe nicht daran interessiert waren. Dann wurde diese Erfindung einige Jahre später in den westlichen kapitalistischen Ländern in die Produktion eingeführt, früher als im Land der Erfindung. Nur in sozialistischen Präferenzproduktionen, vor allem in der Rüstungsproduktion, in welcher es konkrete, qualitative Planaufgaben sowie auch eine qualitative Kontrolle gibt, besteht auch ein Druck auf technischen Fortschritt und auf neue Wissensbildung. Dies zeigt deutlich, daß die sowjetische Rüstung eigentlich unter Wettbewerbsdruck steht - es ist der Wettbewerb mit der anderen Großmacht in der Welt, die man einzuholen und zu überholen versucht. In diesem Sektor gibt es auch qualitative Erfolge und eine schnellere Wissensbildung. In der ganzen übrigen Produktion ist das typische Verhalten der absoluten Monopolisten ohne Konkurrenzbedrohung zu sehen, ohne Innovationsanstrengung und ohne Impulse für die Forschung und Wissensbildung. Wenn dann noch eine politische Abkapselung der Forschung und der Gelehrten von der westlichen Wissenschaft und Bildung dazukommt, zu wenig Literaturaustausch, zu wenig Reisen, zu schwache Sprachkenntnisse usw., dann ist einfach ein Zurückbleiben in der Informationsgewinnung und Wissensbildung unausweichlich. 3.5 System der Leitung und Koordination

In jedem Wirtschaftssystem muß die Wirtschaftstätigkeit bei stark fortgeschrittener Arbeitsteilung geleitet werden. Was heißt nun leiten? Es heißt in erster Linie, daß Entscheidungen über die Ziele und den Ablauf vieler Wirtschaftstätigkeiten, der produktiven Tätigkeit, Handelstätigkeit, Transport-, Verkehrs-, Finanztätigkeit u. ä. nötig sind. Einzelnen Menschen müssen ihre Tätigkeiten qualitativ und quantitativ vorgeschrieben werden, die Tätigkeiten müssen mit dem Lauf von Maschinen und anderer Technik koordiniert und auch sogenannte Routinetätigkeiten müssen von Zeit zu Zeit korrigiert werden. Sobald dann potentielle Krisensituationen eintreten, sobald Veränderungen der Arbeitsbedingungen oder Innovationen entstehen, sind zweckmäßige Änderungen der betreffenden Wirtschaftstätigkeiten anzuordnen. Die Leitungstätigkeit ist also eine sehr komplizierte Tätigkeit und erfordert eine hohe Qualifikation der leitenden Menschen. Es geht um die Leitung Einzelner innerhalb von Arbeitsgruppen, die Leitung und Koordinierung dieser Arbeitsgruppen und Abteilungen innerhalb des Betriebes, die Leitung und Koordinierung von Betrieben innerhalb großer Unternehmen und Konzerne. Das System der Leitung ist immer verbunden mit dem System des Eigentums an Produktionsmitteln. Wer die Produktionsmittel rechtlich besitzt, hat auch immer das Recht, über ihren Einsatz und damit die gesamte Produktion zu entscheiden. Natürlich beinhaltet dieses Recht des Eigentümers, daß er entweder selbst die Produktion leiten oder die Leitung auf eine oder mehrere andere Personen übertragen kann. Aus diesem Grund ist auch die Organisation und das System der Leitung und damit verbunden auch das System der Planung unterschiedlich bei unterschiedlichen Eigentums- und Wirtschaftssystemen. Worin besteht der Unterschied zwischen Leitung und Planung der Wirtschaft? Unter Leiten oder Lenken verstehen wir die unmittelbare Bestimmung von Tätig-

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keiten in der Gegenwart bzw. in einer kurzfristigen Zukunft von Tagen, Wochen oder auch Monaten. Es genügt aber nicht, die Wirtschaftstätigkeit bzw. die wirtschaftlichen Prozesse nur für eine so kurze Zeit vorauszubestimmen. Die meisten dieser Tätigkeiten und Prozesse sind heute in einer breiten Volkswirtschaft so kompliziert ineinander verflochten, daß nur eine sehr langfristige Vorbereitung rechtzeitig die Voraussetzungen dazu schaffen kann, eine spätere Realisierung dieser Wirtschaftstätigkeiten zu ermöglichen. Ohne langfristige Vorbereitungen könnten die meisten Tätigkeiten also gar nicht durchgeführt werden; dies bedeutet, daß eine Planung der zukünftigen Wirtschaftstätigkeiten und Wirtschaftsprozesse, oft für Jahre im voraus vorgenommen werden muß, auch wenn diese langfristige Vorausbestimmung nicht völlig konkret und verläßlich sein kann. Je länger die Zeitspanne für im voraus zu entscheidende Tätigkeiten, bzw. ihre Vorbereitung ist, desto weniger verläßlich wird die zukünftige Tätigkeit vorausbestimmbar sein. Sie ist von vielen nicht voraussehbaren und nicht exakt einschätzbaren Variablen abhängig, die somit alle Vorausbestimmungen und Planungen immer mit Risiken behaften. Planen heißt also, zukünftige, relativ langfristige Ziele zu bestimmen und die zu ihrer Realisierung erforderlichen Mittel rechtzeitig im voraus zu schaffen. In allen heutigen Wirtschafts systemen ist eine Wirtschaftsplanung - verbunden mit der kurzfristigen Leitung - nötig. Die Planung und Leitung selbst, ihr Charakter und ihre Entwicklung ebenso wie die Organisation und der Charakter der Planungsund Leitungsorgane sind jedoch in den einzelnen Wirtschaftssystemen wesentlich unterschiedlich. Zur Planung und Leitung im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem ist folgendes zu sagen: Zuerst einmal muß hervorgehoben werden, daß innerhalb des kapitalistischmarktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems die Produktion im Grunde nur innerhalb einer einzelnen Wirtschaftseinheit geleitet und geplant werden kann und zwar innerhalb einer solchen Wirtschaftseinheit, die durch ein bestimmtes Eigentum zusammengefaßt und damit gegen andere Wirtschaftseinheiten abgegrenzt ist. Innerhalb solcher Eigentumseinheiten kann der private Eigentümer bzw. die private Eigentümergruppe die Leitung selbst übernehmen oder diese Leitung auf bestimmte Leitungsorgane, die von ihm/ihr eingesetzt werden, übertragen. Im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem befindet sich die große Mehrheit der Wirtschaftseinheiten in privatem Eigentum und dieses bildet im Grunde bestimmte Grenzen für die Leitung und Planung der Produktion. Nur innerhalb dieser privaten Wirtschaftseinheiten kann man sich sowohl kurzfristige als auch längerfristige Produktionsziele geben und Pläne aufstellen, d. h. langfristige Mittel bestimmen, mittels welcher langfristige Ziele erreicht werden sollen. Kurzfristige Leitungsdirektiven werden dann zur konkreteren und präziseren Realisierung der Ziele erstellt. Innerhalb der privaten Wirtschaftseinheiten werden die technisch-ökonomischen Zusammenhänge berechnet und alle zusammenhängenden Tätigkeiten direkt gelenkt und koordiniert. Die Tätigkeiten der einzelnen unabhängigen und privaten Wirtschaftseinheiten hängen jedoch auch untereinander innerhalb der ganzen Volkswirtschaft zusammen bzw. sind heute sogar über die Volkswirtschaft hinausgehend im Rahmen der

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Weltwirtschaft voneinander abhängig. Jedes Unternehmen bezieht Produkte in einem großen Ausmaß von vielen anderen Unternehmen bzw. bietet große Mengen von Konsumgütern an die breiten Schichten der Bevölkerung im In- und Ausland an. Das bedeutet, daß die Produktion einzelner privater Unternehmen in der Menge als auch in der Art und Qualität in einer bestimmten Zeit aufeinander abgestimmt sein muß. Wenn die Produktion der einzelnen Unternehmen nicht beständig durch Störungen in der Zulieferung von benötigten Produkten aufgehalten werden soll, wenn nicht beständig Unterbrechungen entstehen sollen, muß es eine Koordination zwischen den einzelnen unabhängigen privaten Einheiten geben, eine gegenseitige Abstimmung, damit ihre Produktion möglichst störungsfrei verlaufen kann. Jede Produktmenge und -qualität eines bestimmten Unternehmens erfordert zeitlich abgestimmt wieder ganz bestimmte Produktmengen und -qualitäten anderer Unternehmen. Und jede quantitative und qualitative Änderung der Produktion in einem Unternehmen erfordert entsprechende Änderungen sowohl bei vielen Zulieferern als auch Abnehmern. Diese gegenseitige Abstimmung von Mengen und Qualitäten in bestimmten Zeitabständen kann aber in einer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Volkswirtschaft nicht mit Hilfe einer Vorausberechnung der ganzen Produktion bzw. eines einheitlichen volkswirtschaftlichen Planes abgesichert werden. Es gibt eine solche Menge nicht vorausbestimmbarer Variablen, eine solche Menge konkreter Produkte, Tätigkeiten, Interessen, innovativer und organisatorischer Änderungen, daß jeder Versuch, die Produktion aller einzelnen Unternehmen mit Hilfe eines riesigen Planes vorauszubestimmen, zu einer Abtötung der freien Initiative der Menschen führen muß. Aus diesem Grunde wird im kapitalistischen Wirtschaftssystem am Prinzip der freien Entscheidung privater Unternehmer über ihre Produktionsentwicklung festgehalten und die dennoch nötige Koordination zwischen der Produktion einzelner Unternehmen dem Marktmechanismus überlassen. Der Marktmechanismus ist ein natürlich gewachsenes kybernetisches System, in welchem sich mittels "trial and error" eine beständige Korrektur von Fehlentscheidungen einzelner privater Unternehmer durchsetzt und so eine Aufeinanderabstimmung dieser Entscheidungen ergibt. Mit anderen Worten: ein Mechanismus, in welchem Fehler immer wieder aufgrund von Erfahrungen so schnell wie möglich korrigiert werden, ohne jemals Fehler in den Entscheidungen der einzelnen selbständigen Unternehmen völlig vermeiden zu können. Warum sind z. B. die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung nicht verläßlich voraussehbar? Sie sind deshalb so schwer vorauszusehen, weil sie sich beständig ändern und weil ihre Änderungen vor allem von der nicht voraussehbaren Entwicklung der realen Einkommen abhängen. Die realen Einkommen sind ihrerseits wieder abhängig von der Entwicklung der nominalen Einkommen und der Preise. Dies sind die entscheidenden Faktoren der primären Einkommensverteilung. Da vor allem dieser Verteilungsprozeß unter kapitalistischen Bedingungen schwer zu prognostizieren ist, ist auch die Voraussicht des zukünftigen Wachstums des Bedarfs sowie der Bedarfsstruktur sehr schwierig. Die Konsumgüter müssen aber trotzdem schon zu jener Zeit am Markt sein, zu welcher die Konsumten sie fordern, d. h. die Unternehmen haben im vornherein für einen relativ unbekann41

ten Markt und eine Entwicklung der marktmäßigen Nachfrage zu produzieren, die nicht genügend genau und verläßlich vorausbestimmt werden kann. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Voraussicht des Produktionsgüterbedarfes. Diese Güter höherer Ordnung müssen nämlich noch weit früher produziert werden als die reale Endnachfrage nach Konsumgütern in Erscheinung tritt. Diese Produktion im vornherein ist einfach immer ein "trial", ein Versuch und wird immer mit Fehlern verbunden sein. Aber ein jeder Fehler eines Unternehmens wird aus dem eigenen Interesse des Unternehmens so schnell und flexibel wie möglich korrigiert, da eine Fehlproduktion dem Unternehmen sofort starke Wirtschaftsverluste bringt. Ob zuviel oder zuwenig produziert wird, ob die Produktequalität der Bedürfnisentwicklung entspricht oder nicht, der Produzent muß aus eigenem Interesse heraus beständig seine im vornherein entschiedene Produktion mit dem realen Absatz vergleichen, aufgetretene Fehler aufdecken, neue Entscheidungen fällen, die Produktion ändern und aus wiederum neuen Fehlern lernen. Dies ist ein unersetzlicher Marktmechanismus. Dieser Marktmechanismus, mit seinen Bewegungen der Marktpreise und Gewinne als Ausdruck der Bewegung von Angebot und Nachfrage, wird also mit beständigen Mikroungleichgewichten behaftet sein. Immer wird von bestimmten Produkten zuviel, von andern zu wenig produziert werden. Und immer wird sich die Notwendigkeit durchsetzen, die Mikroungleichgewichte so schnell wie möglich zu überwinden und Umfang und Struktur der Produktion zu ändern, um so Verluste für das Unternehmen möglichst minimal zu halten. Damit wird die sich verändernde Produktionsstruktur möglichst flexibel, wenn auch als beständige Korrektur von vorangehenden Fehlentscheidungen, der erkannten Nachfrage angepaßt. Ich halte diesen Mechanismus auf der heutigen Stufe der Entwicklung für einen unersetzlichen Mechanismus, einen Mechanismus, der für die Erhaltung einer nachfrageorientierten und dabei höchst effektiven Entwicklung der Mikrostruktur der Produktion notwendig ist. Die Fehler sind zwar nicht auszumerzen, aber die interessenbedingte und flexible Anpassung ist die effektivste Art der Aktion und Reaktion der Produktionsseite. Marx hat diese "a posteriori-Wirkung der Produktion" als einen der größten Mängel des Kapitalismus angesehen, der angeblich die Anarchie der kapitalistischen Produktion hervorrufe 1 3. Ihr hat er die "a priori-Entwicklung" einer planmäßig verlaufenden sozialistischen Produktion entgegengestellt, bei welcher die Koordination zwischen den Betrieben im vornherein mittels eines gesamtwirtschaftlichen Planes vor sich gehen würde. Wie wir weiter sehen werden, war dies eine ungemeine Simplifizierung. Während Mikroungleichgewichte mittels des Marktmechanismus am flexibelsten überwunden werden können, kann man dies von Makroungleichgewichten nicht sagen. Mit Makroungleichgewichten wird das Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtangebot von Konsumgütern und der Gesamtnachfrage nach Konsumgütern auf der einen Seite sowie dem Gesamtangebot von Produktionsgütern und der Gesamtnachfrage nach Produktionsgütern auf der anderen Seite verstanden. Während die Produktion dieser zwei großen Gruppen von Gütern ohne 13

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Vgl. Marx, K., Kapital ... , S.377.

Kenntnis der zukünftigen Nachfrageentwicklung auf Grund von vagen Erwartungen vorausbestimmt werden muß, wird die Nachfrage nach Konsumgütern (konsumtive Endnachfrage) sowie die Nachfrage nach Produktionsgütern (produktive Endnachfrage) vor allem von der Verteilung der Gesamteinkommen auf Lohneinkommen und Gewinne sowie der Höhe der Sparquote aus diesen beiden Einkommensgruppen abhängen. Sobald die Einkommensaufteilung sowie die Entwicklung der Sparquoten dazu führt, daß entweder die konsumtive Endnachfrage hinter der Produktion von Konsumgütern zurückbleibt und dagegen verhältnismäßig zu viel potentielle Mittel für die produktive Endnachfrage vorhanden sind oder die konsumtive Endnachfrage zu schnell gewachsen ist und demzufolge zu wenig Mittel für die produktive Endnachfrage vorhanden sind, bedeutet dies die Entstehung eines Makroungleichgewichtes. Ein Makroungleichgewicht kann jedoch nicht auf die gleiche Weise wie Mikroungleichgewichte behoben werden. Ist die konsumtive Endnachfrage relativ zu langsam gewachsen, so daß große Absatzschwierigkeiten für die gesamte Konsumgüterproduktion entstehen, wird diese mit einer Produktionssenkung reagieren. Diese Produktionssenkung hat zur Folge, daß die Nachfrage nach Produktionsgütern von Seiten der Konsumgüterproduzenten stark zurückgeht. Eine Produktionssenkung bei der gesamten Konsumgüterproduktion kann also nicht durch eine Steigerung der Produktion von Produktionsgütern ausgeglichen werden. Im Gegenteil, sie hat ein Überangebot auch an diesen Gütern sowie Überschußkapazitäten zur Folge und führt schließlich zur Wachstumsverlangsamung bzw. Senkung der gesamten Produktion, was als Rezession bzw. Wirtschaftskrise bezeichnet wird. Auch ein relativ zu langsames Wachstum der Gewinneinkommen und damit ungenügende produktive Endeinkommen führen zu Rezessionen bzw. Wirtschaftskrisen. Zu langsam wachsende Gewinne - bzw. ein sinkender Gewinnanteil am Gesamteinkommen (sinkende Gewinnquote) - äußern sich auch in sinkenden Kapitalrenditen und einer sinkenden Rentabilität der Investitionen. Kommt es dann in bestimmten Momenten dazu, daß die Investitionsrentabilität niedriger als die Zinsen für Kredite liegt, wird weniger investiert bzw. die Investitionen gehen ruckartig zurück. Dies hat ein Sinken der Produktion von Produktionsgü-

tern und schließlich auch der Konsumgüterproduktion, also ebenfalls eine Wirtschaftskrise, zur Folge. In den Rezessionen bzw. Wirtschaftskrisen kommt es jeweils zu einer Änderung der Einkommensaufteilung auf Löhne und Gewinne bzw. auf konsumtive und produktive Endeinkommen in der Weise, daß vorübergehend ein Gleichgewicht zwischen diesen Endeinkommen und eine erneute Steigerung der Konsumgüter- und Produktionsgüterproduktion eintreten kann. Die Rezessionen bzw. Krisen werden vorübergehend durch einen Boom abgelöst, in welchem es jedoch erneut zu einem Makroungleichgewicht kommt, und so immer fort weiter. Diese beständige Aufeinanderfolge von Boom und Rezession bezeichnet man als die zyklische Entwicklung der kapitalistischen Produktion 14. Diese zyklische Produktionsentwicklung kann man mit Hilfe einer antizyklischen Wirtschaftspolitik des Staates zwar lindern, nicht aber völlig verhindern. 14

Vgl. Sik, 0., Zur Zyklusproblematik ...

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Durch steuermäßige Einkommensabschöpfungen und die Wiederausgabe der Beträge für unterschiedliche Zwecke kann der Staat entweder konsumtive oder produktive Endeinkommen vergrößern bzw. verkleinern (und umgekehrt) und so durch Umverteilungen entstehende Makroungleichgewichte verringern. Da aber die Änderung von Staatseinnahmen und -ausgaben nur einen sehr begrenzten Spielraum hat und meist auch ziemlich verspätet vor sich geht, können auf diese Weise die Makroungleichgewichte wirklich nur verringert, nicht aber beseitigt werden. Dabei ist es noch relativ leichter, ein Makroungleichgewicht, das durch ein zu langsames Wachstum von konsumtiven Endeinkommen entsteht, mit Hilfe einer Erhöhung von staatlichen Ausgaben für Konsumzwecke zu verringern. Wesentlich schwieriger ist es jedoch für den Staat, zu niedrige Gewinnraten und Investitionsrentabilitäten und damit sinkende produktive Endeinkommen dadurch zu erhöhen, daß z. B. Steuereinnahmen aus den Gewinnen gesenkt und staatliche Ausgaben für Sozialzwecke und andere konsumtive Zwecke verringert werden. Auf sozialpolitische Hindernisse stoßende Umverteilungen machen es dem Staat fast unmöglich, die Entstehung solcher Makroungleichgewichte und somit Wirtschaftskrisen zu verhindern. In der kapitalistischen Marktwirtschaft sind also die zyklisch wiederkehrenden Rezessionen bzw. Wirtschaftskrisen ein schwer zu beseitigendes Phänomen. Sie sind das erforderliche Mittel, mit welchem ungleichgewichtige Lohn- und Gewinnquoten sowie die daraus hervorgehenden ungleichgewichtigen Konsumtions- und Investitionsquoten vorübergehend in ein Gleichgewicht gebracht werden. Es sind die zu starren Preise, mit eingeschlossen die Löhne, bei existierenden gegensätzlichen Einkommensinteressen von Lohnempfängern und Kapitalgebern, die einen rechtzeitigen Ausgleich von konsumtiven und produktiven Endeinkommen vor Eintritt der Makroungleichgewichte verunmöglichen. In den gegebenen Bedingungen kann eine vorausberechnete Einkommensverteilung, in welcher sich die konsumtiven und produktiven Endeinkommen in beständigem Gleichgewicht entwickeln, nicht existieren. Deshalb sind auch zyklische Makrogleichgewichtsstörungen unvermeidbar. Das bedeutet jedoch gleichfalls, daß in dem gegebenen Wirtschaftssystem immer wieder eintretende Phasen großer Arbeitslosigkeit, die besonders in Zeiten sinkender Gewinnraten und tiefgehender Wirtschaftskrisen auftreten, nicht vermeidbar sind. So wie der Marktmechanismus also relativ flexibel zur Überwindung von Mikroungleichgewichten beiträgt, kann er nicht als der beste Mechanismus zur Überwindung von Makroungleichgewichten betrachtet werden. Die relative Starrheit der Preise sowie der sozialökonomisch bedingte Kampfum die Einkommensverteilung kann ohne bestimmter Systemreformen nicht beseitigt werden. Deshalb muß auch die Existenz von zyklisch wiederkehrenden Makrogleichgewichtsstörungen, mit all ihren sozialökonomischen Folgen, als notwendige Begleiterscheinung des kapitalistischen marktwirtschaftlichen Systems angesehen werden. Im Sozialismus existiert neben einem kleinen Teil des genossenschaftlichen Eigentums das Staatseigentum der Produktionsmittel als die führende Form des sozialistischen Eigentums. Das Staatseigentum repräsentiert eine Form von Eigentum, bei welcher die Grenzen zwischen den einzelnen Unternehmungen, was das Eigentum betrifft, verschwunden sind. Sehr viele Unternehmen sind hier 44

durch ein Staatseigentum zusammengefaßt: sie wurden schon von Marx und später von Lenin als Teile oder Abteilungen innerhalb eines riesigen Staatsunternehmens angesehen, ähnlich wie es einzelne Betriebe und Abteilungen innerhalb eines großen kapitalistischen Unternehmens gibt. Es war das marxistische Ziel, die Eigentumsgrenzen zwischen den Unternehmen zu beseitigen. Damit sollte der hochvergesellschafteten Produktion auch ein gesamtgesellschaftliches Eigentum der Produktionsmittel entsprechen. Die Überwindung der privaten Eigentumsgrenzen sollte dann die Beseitigung der Marktbeziehungen zwischen den Unternehmen ermöglichen. Man wollte also zielbewußt statt des Marktmechanismus eine einheitliche Leitung und Planung der Produktion aller Betriebe innerhalb des ganzen Staatseigentums erreichen und die Koordination mittels des Marktmechanismus durch eine planmäßige Koordination aller Betriebe ersetzen. Um eine einheitliche Leitung der gesamten Produktion in der großen Menge von Staatsbetrieben zu ermöglichen, wurde ein riesiger bürokratischer, hierarchisch organisierter Apparat aufgebaut. Es mußte eine Leitung mit streng zentralisierter Zielaufstellung und einer einheitlichen politischen Willensdurchsetzung von oben nach unten bis in die Produktion hinein eingeführt werden. Erforderlich war auch eine einheitliche Kaderpolitik, mittels welcher alle leitenden Personen nach politischen Kriterien der Partei ausgesucht und eingesetzt werden. Das entscheidende Kriterium für die Auswahl der Kader ist die politische Verläßlichkeit, die im Grunde Vorrang vor fachlichen Fähigkeiten hat. Die Direktoren der einzelnen Betriebe sind den Direktoren von Betriebsvereinigungen untergeordnet, die unterschiedliche Bezeichnungen haben, in der DDR z. B. VVB, Vereinigung volkseigener Betriebe. Diese Betriebsvereinigungen bewirtschaften monopolistisch eine ganze Produktionsbranche. Die Direktionen dieser Betriebsvereinigungen sind wieder den zuständigen Ministern untergeordnet. Die Ministerien bewirtschaften dann ihrerseits monopolistisch einen breiteren Produktionssektor und sind in der konkreten Ausgestaltung ihres Produktionsplanes dem Planungszentrum untergeordnet. So werden Produktions- und Verteilungsdirektiven mit Hilfe des Planes von einem Planungszentrum zu den einzelnen Ministerien, von dort zu den einzelnen Direktionen der Betriebsvereinigungen und von diesen zu den Direktoren der einzelnen Betriebe weitergeleitet. Das Planungsministerium versucht mit einem System von kurzfristigen (einjährigen), mittelfristigen (fünfjährigen) und langfristigen (10-20-jährigen) Plänen die Entwicklung der gesamten Produktion zu bestimmen und zu koordinieren. Geplant werden die Mengen und Arten von Produkten, die Verteilung aller wichtigen Produktionsmittel, die Verteilung von Arbeitskräften, die Einkommensbildung und Einkommensverteilung, die Investitionstätigkeit, Indikatoren des technischen Fortschrittes, die Handelsstruktur und der Handelsumsatz, dasselbe beim Außenhandel und schließlich alle wichtigen Finanzströme und Finanztätigkeiten. Mit dieser Menge von AufgabensteIlungen soll also die gesamte Produktion von Gütern, ihre Verteilung, ihr Austausch im Innen- und Außenhandel, die Entstehung von Einkommen, die Ausgabe von Einkommen, die Konsumtionsentwicklung, kurz alle diese Aufgaben sollen als ständiger Reproduktionsprozeß erfaßt werden. Dazu braucht man ein riesiges System von Verbrauchsnormen (technischökonomische Koeffizienten), Normen also, mit welchen der Verbrauch von Roh45

stoffen, Energie und anderem Material für einzelne Produktgruppen festgelegt wird, Normen auch des Maschinen- und Arbeitseinsatzes für diese Produktgruppen. Auf diese Weise wird die Planung des ganzen Inputs realisiert. Außer diesen Verbrauchsnormen braucht man ein Bilanzsystem, um die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Produktion einzelner Güter oder Gütergruppen festzuhalten. Eine Bilanz zeigt das gesamte Aufkommen eines bestimmten Produktes, d. h. seine Produktion, seinen Import sowie seine Reserven. Eine Bilanz also zeigt auf, wieviel auf der einen Seite zur Verfügung stehen wird, auf der anderen Seite steht die geplante Verwendung in der Produktion, im Export, in der individuellen und/oder öffentlichen Konsumtion und auch wieviel für die Reserve übrigbleibt. Die Bilanz muß ausgeglichen sein, d. h. die Quantität (der preismäßig ausgedrückte Umfang) des Aufkommens muß der Quantität der Verwendung entsprechen. Neben Güterbilanzen gibt es verschiedene Bilanzen von Einkommensströmen (Einnahmen und Ausgaben), gesamtwirtschaftliche Bilanzen u. ä. Mit Hilfe des Bilanzensystems und aufgrund der Verbrauchsnormen soll die gesamte Produktion einer riesigen Anzahl von Betrieben im vornherein koordiniert werden. Kein zentral erstellter volkswirtschaftlicher Plan kann jedoch die Menge jeder einzelnen Güterart bestimmen. Dies ist auch mit Hilfe modernster Computersysterne nicht möglich. Man rechnet damit, daß heute in entwickelten Industrieländern weit über 2 Millionen konkreter Güterarten produziert werden, wobei allerdings diese Zahl in unterschiedlich großen Volkswirtschaften stark differieren wird. Bei solchen Mengen an konkreten Produkten gibt es eine solche Unmenge an wechselseitigen Zusammenhängen zwischen der Produktion einzelner Güter, daß ihre Berechnung auch mit modernsten Computern jahrzehntelang dauern würde, wobei man noch überdies mit einer völlig statischen, unveränderbaren Produktion rechnen müßte. Der sowjetische Ökonom, N.P. Fedorenko, hat einmal folgendes festgestellt 15 : Wenn man annehme, daß in der UdSSR zwei Millionen Produkte hergestellt würden, (wobei er der Überzeugung war, daß es in Wirklichkeit noch weit mehr sind) und davon wären eine Million Produktionsgüter, die wieder in die Produktion als Input eingingen, dann würde man für die Errechnung eines detaillierten Produktionsplanes arithmetische Operationen in der Größenordnung von 10 18 benötigen. Um diese Menge, d. h. ungefähr eine Trillion Rechenoperationen zu bewältigen, würde ein sowjetischer Computer BESM-G, mit der Produktivität von einer Million Operationen in der Sekunde, 30000 Jahre brauchen. Daraus ist klar ersichtlich, daß ein zentral fixierter Produktionsplan nicht die konkrete Produktionsentwicklung bestimmen kann, sondern mit sehr breiten Gruppen von Produktenarten, sogenannten Aggregaten, arbeiten muß. Nur ein ganz kleiner Umfang (einige tausend) der ökonomisch und politisch wichtigsten Produkte, die sogenannten Präferenzprodukte (dazu gehören auch die Waffen), 15 Die Information erhielt ich seinerzeit bei einer persönlichen Unterhaltung mit N.P. Fedorenko in Moskau, wobei mir nicht bekannt ist, ob er sie in irgendeiner Publikation veröffentlicht hat. In der tschechischen Emigrantenzeitung "Listy" wurde im Oktober 1984 (Nr. 5) ein Artikel eines nichtemigrierten tschechischen Ökonomen aus Prag (anonym) publiziert, in welchem dieser Ausspruch N.P. Fedorenkos wieder ohne Literaturhinweis zitiert wird. Scheinbar kursiert diese wichtige Feststellung mündlich innerhalb der ökonomischen Gemeinde in den Ostblockstaaten.

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können sowohl qualitativ als auch quantitativ zentral konkret geplant und kontrolliert werden. Alles andere geht in die breiten Güteraggregate ein, die im Planungszentrum jeweils ungefähr 1000 Güterarten (im Durchschnitt - bei Existenz von breiteren und engeren Aggregaten) zusammenfassen. Die volkswirtschaftlichen Pläne müssen also, bis auf wenige Ausnahmen, mit Aggregaten arbeiten. Das Planungszentrum hält die Produktion aller breiten Aggregate in seinen Plänen fest, die teilweise Aufschlüsselung geht in den Sektorenministerien vor sich, eine weitere Aufschlüsselung und Konkretisierung in den Betriebsvereinigungen und die letzte Konkretisierung dann in den Betrieben. Auf dieser untersten Stufe muß konkret festgesetzt werden, wieviel von jedem einzelnen Produkt und in welcher Qualität produziert werden soll; dies ist dann mit den bereits dargestellten Manipulationen in den Betrieben verbunden. Da mit diesem Planungssystem erstens die konkrete Nachfragestruktur der Bevölkerung nicht vorausgesehen werden kann, zweitens die Änderungen der Mikrostruktur in der Produktion (Menge und Qualität aller konkreter Produkte) nicht geplant werden können, drittens die in der Planung verwendeten Verbrauchsnormen nie mit den realen Verbrauchsgrößen übereinstimmen, viertens die Pläne auch in den aggregierten Größen nie gänzlich erfüllt werden undfünftens schließlich die Betriebe aus ihrem einseitigen Produzenteninteresse heraus zu nicht geringem Teil am realen Bedarf vorbeiproduzieren, sind die Diskrepanzen zwischen dem gesamten Angebot und der gesamten Nachfrage wesentlich größer als in einem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System. Die sogenannte "a priori" bestimmte und koordinierte Produktion erweist sich als wesentlich anarchischere Produktion als die "a posteriori" bestimmte Marktproduktion. Was die Sache aber noch schlimmer macht, ist die Tatsache, daß die nachträgliche Korrektur der Produktionsfehler und Disproportionen wesentlich schleppender und inkonsequenter als in der Marktwirtschaft verläuft, da die staatlichen Betriebe nicht über entsprechende Einkommensverluste zu solchen Korrekturen gezwungen werden und an einer möglichst flexiblen Deckung der realen Nachfrageentwicklung nicht interessiert sind. Die Produktionskoordinierung mittels des Marktmechanismus hat sich demnach als die vorteilhaftere Koordinierung für die Bevölkerung erwiesen, da sie eine bedarfsgerechte re Produktion mit einer wesentlich höheren Wirtschaftlichkeit und Faktorenproduktivität absichert. Dies bedeutet jedoch nicht - wie bereits gezeigt - daß die Koordinierung in einem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System, besonders was die Makrozusammenhänge betrifft, nicht auch wesentliche Mängel aufweisen würde. Ein effektiveres Koordinierungssystem wäre durchaus denkbar. 3.6 System der Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat

Die vom Staat abstrahierende Betrachtung ökonomischer Zusammenhänge ist zum Verständnis des Systems "Wirtschaft" unbefriedigend, da die Wirtschaftsordnung selbst wesentlich durch staatliche Eingriffe beeinflußt und geprägt wird. Erstens gibt der Staat mit seinen rechtlichen Normen der wirtschaftlichen Tätigkeit und Handlungsweise einen Rahmen, innerhalb dessen sich die ökonomischen Prozesse bewegen. Nur mit Hilfe dieses rechtlichen Rahmens können die ökonomischen Tätigkeiten und Prozesse in jenen Grenzen gehalten werden, die

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ausufernde Konflikte verhindern und damit die Einheit der Gesellschaft absichern sollen. Dieser rechtliche Rahmen verstärkt und prägt das Ordnungsgefüge der Wirtschaft. Zweitens hat der Staat seit jeher in die Wirtschaft direkt eingegriffen und hat damit substantielle Änderungen der Produktions-, Verteilungs- und Austauschprozesse hervorgerufen. Folgende Formen direkter Eingriffe des Staates sind zu unterscheiden: a) In unterschiedlichen historischen Zeiten und Systemen gab und gibt es staatliche Unternehmen, die z. T. sogar als Monopolisten am Markt sind und somit auch die gesamtwirtschaftliche und/oder sektorale Produktionsentwicklung stark beeinflußten und immer noch beeinflussen. b) Der Staat konnte in unterschiedlicher Intensität und in bestimmten Zeiten auch als Verteiler von wichtigen Rohstoffen, Energieressourcen bzw. auch der Arbeitskräfte auftreten. c) Der Staat hat mittels staatlicher Investitionszuschüsse und Investitionslenkungsmaßnahmen Einfluß auf die Investitionsentwicklung genommen. d) Der Staat hat oft als Preis- und Qualitätsüberwacher fungiert und z. T. Güterpreise gelenkt. e) Der Staat hat mittels des Staatsbudgets aktive Umverteilungspolitik betrieben. f) Der Staat hat mittels Zollpolitik und anderer protektionistischer Maßnahmen Einfluß auf den Außenhandel genommen. g) Der Staat hat aktive Währungspolitik betrieben und damit zur Stabilität und auch Destabilität des Geldwertes sowie der Wechselkurse beigetragen. Die staatlichen Wirtschaftseingriffe im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System zeigen in einzelnen Ländern solche Unterschiede, daß vor allem dies die Ursache für die je nach Land unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung darstellt. Es gibt zwar gemeinsame Grundzüge des Wirtschaftssystems, die uns überhaupt von einem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem sprechen lassen, gleichzeitig jedoch existieren zwischen den Volkswirtschaften einzelner Länder, und besonders durch die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat, derartige Unterschiede, daß sie einen unterschiedlichen Ordnungscharakter erhalten. Wenn wir als erstes Beispiel die Schweiz nehmen, so ist dies eine kapitalistische Marktwirtschaft mit extrem niedrigem staatlichen Interventionismus. Trotzdem gibt es natürlich auch hier staatliche Eingriffe, vor allem im Bereich der Währungs- und Zollpolitik, generell der Außenwirtschaft. Des weiteren existiert eine ausgebaute Subventionspolitik vor allem für die Landwirtschaft, für das Transportwesen u. ä. sowie eine Überwachung einiger Güterqualitäten und Preise. Der Anteil der staatlichen Unternehmen ist dagegen im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern minimal. Auch eine gesetzlich verankerte Konjunkturpolitik des Staates fehlt. Dennoch muß betont werden, daß die Schweiz mit Bestimmtheit kein Wirtschaftssystem des "laissez-faire" ist, in dem sich die Wirtschaft völlig frei entwickeln kann, da dazu die Stärke und Breite der staatlichen Eingriffe zu groß ist. Wenn wir als zweites Beispiel die Bundesrepublik Deutschlandwählen, so ist dies ein Land mit einer bereits wesentlich stärkeren Beeinflussung der Wirtschaftsent48

wicklung durch den Staat. Man bezeichnet diese Wirtschaft als "soziale Marktwirtschaft" mit folgenden staatlichen Interventionen: a) eine staatliche, im Gesetz verankerte Konjunkturpolitik, b) staatliche Maßnahmen zur Wettbewerbsförderung, c) eine staatliche Strukturpolitik, der sogenannte Anpassungsinterventionismus, d) eine ausgebaute staatliche Sozialpolitik, e) eine Raumplanungspolitik usw. Diese Eingriffe des Staates berühren die Wirtschaft in ihrer Entwicklung schon sehr stark und beeinflussen somit entscheidend den Charakter des hier vorhandenen kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems. Nun zu einem Land, in welchem die staatlichen Wirtschaftseingriffe noch stärker sind, zu Frankreich. Es ist eine Marktwirtschaft, in welcher der Sektor des staatlichen Eigentums größer ist als in der Bundesrepublik oder auch in England. In Frankreich ist der Staat mit Hilfe einer besonderen Art von Planung bereits bestrebt, die Entwicklung der Produktionsstruktur zu beeinflussen. Frankreich ist der erste Staat, der nach dem zweiten Weltkrieg eine sogenannte indikative volkswirtschaftliche Planung, gekoppelt mit einer Marktwirtschaft, eingeführt hat. Mit Hilfe dieser Planung versucht man - mit teilweisem Erfolg - auch die Modernisierung der Wirtschaft zu beschleunigen und die Strukturentwicklung entsprechend zu beeinflussen. Der Marktmechanismus ist also nicht mehr alleiniger Koordinator der Produktion, sondern wird durch einen Volkswirtschaftsplan ergänzt. Schweden. Dies ist eine Wirtschaft, die zwar immer noch zur kapitalistischen Marktwirtschaft gezählt werden kann, sich jedoch bereits an der äußersten Grenze dieses Systems befindet. Der Sektor des staatlichen Eigentums ist zwar nicht so groß wie in Frankreich, aber im Rahmen des sogenannten Wohlfahrtsstaates wurde relativ konsequent eine sozialistisch inspirierte Wirtschaftspolitik verfolgt, im Rahmen derer ungefähr 1/3 des Bruttosozialproduktes vom Staat umverteilt wird. Im weiteren wird eine antizyklische und wachstumsorientierte Geld- und Fiskalpolitik und eine spezifische Arbeitsmarktpolitik realisiert. Schließlich wurden Gewinnumverteilungen mit Hilfe überbetrieblicher, stark gewerkschaftlich beeinflußter Investitionsfonds eingeführt 16 . Auf diese Weise hat Schweden seine Marktwirtschaft sehr stark in Richtung einer geplanten und überwachten Wirtschaft bewegt. Aber trotz dieser starken staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft haben diese den Grundcharakter des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems nicht liquidiert. Denn erstens existiert noch überwiegend privates Eigentum an Produktionsmitteln, auch wenn die Verfügung darüber relativ eingeschränkt ist. Zweitens werden die Einkommen grundsätzlich durch Kapitaleigentum, Lohnarbeit und die Marktverhältnisse verteilt. Drittens wird die Existenz des Marktmechanismus als Hauptregulator der Produktion aufrecht erhalten. Viertens besteht in beschränktem Ausmaße noch ein freier Arbeitsverkauf und eine nicht staatlich dirigierte Aushandlung der Lohntarife zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern. Fünftens ist trotz einer sehr differenzierten Sozialstruktur der Interessengegensatz zwischen Kapital- und Gewinninteressen auf 16 Vgl. Sik, 0., Ein Wirtschaftssystem ... , S. 66. Zur Wirtschaftspolitik in Schweden siehe vor allem Lundberg, E., The Rise and Fall ...

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der einen Seite und Arbeits- und Lohninteressen auf der anderen Seite noch ausschlaggebend vorhanden. Wenn also ein kapitalistisch-marktwirtschaftliches System nicht liquidiert werden soll, darf der Staat nicht: a) die Existenz des freien privaten Unternehmertums, also der freien Unternehmungsgründung und der privaten Unternehmungsführung aufheben; b) den Unternehmen die Produktions- und Investitionstätigkeit vorschreiben; c) den privaten Verkauf von Produkten und die Bildung freier Marktpreise verhindern; d) die freie Auswahl des Arbeitsplatzes für die Gesellschaftsmitglieder und den freien Verkauf von Arbeit an private Unternehmer verhindern; e) die Aneignung von Gewinnen durch private Unternehmer beseitigen. Nun zu der Beziehung von Staat und Wirtschaft im Sozialismus. Die in den Punkten a) bis e) aufgezählten Negationen, die all das beschreiben, was der Staat in der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht verordnen darf, wenn das System erhalten bleiben soll, sind im Sozialismus vom Staat zielbewußt vollzogen worden. Die Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft ist ungemein gestiegen, und seine ersten Eingriffe hatten die Beseitigung des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems zum Ziel, so daß z. B. im klassischen, nämlich sowjetischen System in der Wirtschaft heute nichts Wesentliches vor sich gehen kann ohne vorangehender staatlicher Entscheidung. Lenin hat dies als Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft im Sozialismus umschrieben. Allerdings muß in den planwirtschaftlich-sozialistischen Systemen, ebenso wie in westlichen Systemen, zwischen den einzelnen Ländern unterschieden werden. Das sozialistische System an sich existiert nicht mehr; vielmehr haben die Staaten des Ostens jeder für sich unterschiedliche Verhältnisse zwischen Wirtschaft und Staat geschaffen und damit ebenfalls unterschiedliche Wirtschaftsordnungen innerhalb eines allgemeinen sozialistischen Systems hervorgebracht. Am konsequentesten in Richtung einer Marktwirtschaft hat sich die Wirtschaft Jugoslawiens entwickelt, die man heute auch als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet. In diesem System wurde die zentrale, dirigistische Planung der Pro-

duktion und der Investitionen voll beseitigt. Jugoslawien hat damit ordnungsmäßig ein System aufgebaut, das man nicht mehr zum sowjetischen sozialistischen System zählen darf und das sozusagen heute eine Zwischen stellung zwischen dem sowjetisch-sozialistischen und dem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System einnimmt. An zweiter Stelle, nicht so weitgehend und dennoch schon eine gewisse Ordnungsänderung durchführend, muß die Wirtschaft Ungarns genannt werden. Auch hier wurden die jährlichen dirigistischen Produktionspläne beseitigt. Es wurde eine marktausgerichtete sowie gewinnorientierte Produktion in stark verselbständigten Unternehmen realisiert. Das ungarische System muß trotzdem noch zu der breiten Gruppe des sozialistisch-planwirtschaftlichen Systems gezählt werden, auch wenn seine spezifische Ordnung wieder an der äußersten Grenze dieses Systems - zum Vorteil der Bevölkerung -liegt. An dritter Stelle könnte die Wirtschaft der DDR bis zum Anfang der 70er Jahre eingereiht werden. In der DDR sind bis dahin während einer Reihe von Jahren 50

relativ starke Dezentralisierungsbemühungen unternommen worden, die jedoch vor allem in den Jahren 1972/73 ganz zielbewußt zum großen Teil rückgängig gemacht wurden. Einige Momente einer marktausgerichteten ökonomischen Interessiertheit der Betriebe, vor allem in Richtung Außenhandel, sind in der DDR jedoch noch geblieben und haben in Einklang mit der erwähnten Industrietradition Deutschlands diesem sozialistischen Land den höchsten Entwicklungsstand im Osten gesichert. Polen kann zur Zeit nicht bewertet werden; es befindet sich momentan in dem Stadium einer möglichen Reform. Wie weit, wie konsequent und ob sie überhaupt durchgeführt wird, ist heute noch nicht ersichtlich. Jedoch wird das polnische System ohne eine Reform, als System mit dirigistischer, zentralistischer Planung, keine Steigerung der Wirtschaftseffektivität und bedarfsgerechteren Produktionsentwicklung erreichen und daher seine heutigen großen Probleme nicht bewältigen können. In Rumänien existiert die alte zentralistische Planungsform, in welche man sehr inkonsequent - versucht, verschiedene neue Motivationsformen, z. B. auch gewinnabhängige Prämien, einzubauen. Aber die Inkonsequenz, die Nichteinführung eines Marktmechanismus, verwandeln auch hier die Gewinninteressiertheit eigentlich in einen negativen Stimulus und verhindern Strukturentwicklungen und Effektivitätssteigerungen, wie sie eben mit einem Marktmechanismus möglich wären. Die Tschechoslowakei, nach der gewaltsam niedergeschlagenen Reformbewegung des Jahres 1968, bewegt sich heute in entgegengesetzten Bahnen. Hier werden nicht Dezentralisierungen angestrebt, sondern es wird vergeblich versucht, durch immer weitergehende und anwachsende Zentralisierungen von Produktionsentscheidungen mit Hilfe von Computerberechnungen, einem immer komplizierteren Motivations-(Prämien-)system und mehr und mehr Plankennziffern, die anwachsenden Produktionsmängel zu bewältigen. Die Sowjetunion wurde bisher am wenigsten reformiert und hat das dirigistische, zentralistische Planungssystem am konsequentesten realisiert. Zum Unterschied von der Chruschtschewzeit haben sich in der Sowjetunion unter Breschnew und vor allem seit ungefähr 1973 innerhalb der Parteiführung die dogmatischen stalinistischen Kräfte wieder durchgesetzt und alle Reformbestrebungen in der Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Auch während der kurzen Ära der AndropowHerrschaft kam es zu keinen Reformen, obzwar solche mit seinem Machtantritt vielerorts erwartet wurden. Mit der Wahl von Tschernenko, als Nachfolger von Andropow, war es erneut zur Stärkung der alten, konservativen Kräfte gekommen, von welchen wesentliche Änderungen im zentralistischen Wirtschaftssystem nicht zu erwarten sind. Ob nun Gorbatschov das System wirklich reformieren will und in welcher Richtung sich diese Reformen bewegen werden, kann heute noch nicht gesagt werden. Bis zu diesem Augenblick stellt jedoch das sowjetische Wirtschaftssystem das rigideste System einer dirigistischen Produktionsplanung mit dem weitestgehenden staatlichen Wirtschaftsinterventionismus dar. Später werden wir dann sehen, zu welchen Effektivitätsverlusten ein solches System führt. Zusammenfassend können wir sagen: die Entwicklung des sozialistischen Wirtschaftssystems zeigt sehr überzeugend, daß es auf der heutigen Stufe der Entwicklung nicht möglich ist, eine hocheffektive, bedarfsgerechte und flexibel innova51

tive Produktionsentwicklung bei Ausschaltung des Marktmechanismus zu erzielen. Aufgrund bisheriger praktischer Wirtschaftserfahrungen und der überwiegenden theoretischen Entwicklung sind sich die meisten nichtmarxistischen Ökono- . men darüber einig, daß ein Wirtschaftssystem mit funktionierendem Marktmechanismus Vorteile gegenüber dem Planungssystem ohne Marktmechanismus aufweist. Dies soll aber nicht heißen, daß in ihm nicht Widersprüche und Probleme vorhanden wären. In der modernen theoretischen ökonomischen Entwicklung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß nicht alle ökonomischen Interessen der Gesellschaft am verläßlichsten durch den spontan wirkenden M'arktmechanismus gewahrt werden können. Eine Menge wichtiger Faktoren z. B. Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, ausgeglichene Zahlungsbilanz und möglichst gleichgewichtiges Wirtschaftswachstum können durch den Markt allein nicht garantiert werden. Eine große Anzahl von Ökonomen glaubt jedoch noch immer an die Absicherung solcher Ziele mit Hilfe eines konsequenteren Marktmechanismus, bei minimalem Staatsinterventionismus. Andere, keynesianisch ausgerichtete Ökonomen, glauben weiterhin, daß eine besser durchdachte Wirtschaftspolitik, konform mit dem Marktmechanismus, eine allseitig gleichgewichtige Entwicklung am besten sichern könnte. Nach meiner Überzeugung gibt es aber noch sehr viele Probleme, die auch mit Hilfe der bisher bekannten Wirtschaftspolitik nicht gelöst werden können. Hier ist in erster Linie die große Arbeitslosigkeit zu nennen, deren Überwindung in absehbarer Zeit nicht erwartet werden kann.

4 Die Theorie der Wirtschaftssysteme Der kurzgefaßte Vergleich der beiden Wirtschaftssysteme, des kapitalistischmarktwirtschaftlichen und des sozialistisch-planwirtschaftlichen Systems, sollte den grundlegenden Unterschied zwischen ihnen klargestellt haben. Gleichzeitig versuchte ich jedoch aufzuzeigen, daß es innerhalb jeden Systems wieder ziemlich wesentliche Unterschiede in einzelnen Ländern gibt. Diese gehen so weit, daß von unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen innerhalb eines Systems gesprochen werden kann. Die Existenz solcher Differenzen innerhalb des sozialistischen Wirtschaftssystems wird im weiteren noch eingehender behandelt. Es zeigt sich, daß man neben allgemeineren auch spezifischere Kategorien bei der Charakterisierung der Grundzüge volkswirtschaftlicher Komplexitäten braucht. So wie wir bei der Erfassung z. B. der uns umgebenden Natur nicht ohne solcher Kategorisierungen auskommen, brauchen wir diese auch bei einer tiefergehenden Erklärung der Volkswirtschaften. Niemandem würde einfallen, die Bedeutung solcher Sammelbegriffe wie Blume und Baum anzuzweifeln. Es wird für selbstverständlich genommen, daß die botanische Wissenschaft bzw. viele Zweige dieser Wissenschaft sowohl zu einem tieferen Verständnis der Unterschiede zwischen den zwei genannten bzw. auch anderen Pflanzengattungen als auch der Unterschiede zwischen spezifischen Arten innerhalb dieser Gattungen, also z. B. zwischen einzelnen Baumarten innerhalb der Gattung Baum, beitragen. Ebenso brauchen wir aber Sammelbegriffe wie "kapitalistisch-marktwirtschaftliches Sy-

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stern" oder "sozialistisch-planwirtschaftliches System", die die Existenz grundsätzlicher Unterschiede zwischen zwei Gruppen von Volkswirtschaften ausdrükken, trotz existierender Unterteilungen (spezifischer Arten) innerhalb dieser Gruppen. So gibt es zur Zeit etwas grundlegend Gemeinsames der Volkswirtschaften in der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, USA, Frankreich, Schweden usw., das sie von den Volkswirtschaften in der Sowjetunion, CSSR, DDR, Rumänien usw. unterscheidet. Die eine wird eben als Gruppe mit einem kapitalistischmarktwirtschaftlichen, die andere als Gruppe mit einem sozialistisch-planwirtschaftlichen System bezeichnet. Nichts ändert daran die Tatsache, daß die Unterschiede innerhalb dieser beiden Gruppen, zwischen den Volkswirtschaften einzelner Länder oder zwischen kleineren Gruppen von Volkswirtschaften so wesentlich sein können, daß von spezifischen Ordnungen des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen bzw. sozialistisch-planwirtschaftlichen Systems gesprochen werden kann. Zum Beispiel sind die Besonderheiten der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart gegenüber der schwedischen Volkswirtschaft so wesentlich, daß sie ohne weiteres zu zwei unterschiedlichen Ordnungen erklärt werden können. Gleichzeitig gibt es jedoch immer noch bestimmte Grundzüge dieser beiden Volkswirtschaften, die es ermöglichen, sie einem Wirtschaftssystem zuzuordnen, die sie verbinden sowie vor allem von den sozialistischen Volkswirtschaften unterscheiden. Es ist dies die Tatsache, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch in Schweden - Unternehmungen auf der Basis von privatem Kapitaleigentum überwiegen, der Marktmechanismus entscheidend die Allokation der Produktionsfaktoren bestimmt (trotz relativ stärkerer politischer Beeinflussung dieser Allokation in Schweden), private Unternehmensgründungen möglich sind und vom Staat nicht bekämpft werden, die primäre Aufteilung der Unternehmungseinkommen auf Bruttolöhne und Bruttogewinne überwiegend von Verhandlungen zwischen sogenannten Tarifpartnern (Lohnempfängern und Unternehmern bzw. Gewerkschaften und Unternehmerverbänden) abhängen, die Preise überwiegend Marktpreise sind, die von den Unternehmen gemäß ihrer Marktmöglichkeiten bestimmt werden, es einen Kapitalmarkt und Geschäftsbanken mit relativ selbständiger Kredittätigkeit gibt. Bestimmt existieren noch weitere gemeinsame Grundprozesse; sie alle ermöglichen es, vom gleichen Wirtschaftssystem in der Bundesrepublik und in Schweden zu sprechen. Spezifische Formen, in welchen diese Grundprozesse in einzelnen Ländern dann auftreten bzw. vom Staat eingeschränkt oder verändert werden, wesentliche Spezifiken in der Einkommensumverteilung durch den Staat oder durch andere politische Institutionen, mehr oder weniger breite staatliche Eigentumssektoren, unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Güter-, Geld- und Arbeitsmarktes usw., alle diese Formen tragen zur Unterteilung des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems in einzelne Arten dieses Systems bei. Es ist vor allem die Aufgabe der systemvergleichenden Ökonomie, diese Kategorisierung darzulegen bzw. weiter auszubauen und zu entwickeln. Daher ist es begreiflich, wenn sich W. Eucken, ein bedeutender Theoretiker von Wirtschafts systemen und -ordnungen, dagegen wehrte, mit dem Allgemeinbegriff

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"Kapitalismus" die wesentlichen Unterschiede zwischen einzelnen Volkswirtschaften sowie ihre konkret-historische Bedingtheit und Spezifik zu verwischen 17 • Er plädierte für eine differenziertere Betrachtung und Darstellung einzelner, historisch gewachsener Wirtschaftsordnungen und versuchte selbst, eine neue Klassifizierung zu begründen. Meiner Ansicht nach ging jedoch Eucken in seiner Abstraktion, die ihn zur Formulierung der Kategorie "Zentralgeleitete Wirtschaft" führte, welche er dann in die "Zentralgeleitete Eigenwirtschaft" und die "Zentralverwaltungswirtschaft" unterteilte, zu weit. Diese Abstraktion, bei welcher Naturalwirtschaften des Mittelalters und Altertums, z. B. feudale Landgüter mitsamt den Wirtschaften leibeigener Bauern, die Wirtschaftsordnung der Inkas, das jesuitische Gemeinwesen in Paraguay, die altägyptische Sklavenwirtschaft usw., zusammen mit der sozialistischen Wirtschaft der Gegenwart, einem Wirtschaftssystem, dem "Zentralgeleiteten Wirtschaftssystem" zugeordnet werden, kann schwerlich aufrecht erhalten werden. Auch wenn er betont, daß es sich um die Formulierung eines idealtypischen Wirtschaftssystems, mit den angeführten Unterteilungen handelt, besteht zwischen den Untergruppen zu wenig Gemeinsames. Die Unterschiede zwischen dem gegenwärtigen sozialistischen planwirtschaftliehen System und den verschiedenen Wirtschaftsordnungen des Altertums und Mittelalters sind so groß, daß auch ihre Gemeinsamkeit, sich nämlich alle nach einem zentralen Willen und einer hierarchischen Leitungsanordnung entwickelt zu haben, die existierenden wesentlichen Unterschiede ökonomischer Prozesse nicht überbrücken kann. Eine solche Abstraktion führt nicht mehr zur Erkenntnis der charakteristischen Grundprozesse (in ihrer gegenseitigen Verflechtung) eines Wirtschaftssystems, sondern eher zur Überdeckung vieler grundlegender ökonomischer Prozesse durch einen einzigen. Eine solche Abstraktion hilft nicht die Komplexität wichtiger Systemgrundzüge zu erfassen und kann daher nicht als systemcharakterisierende Abstraktion anerkannt werden. Auch wenn mit dem Namen eines Wirtschaftssystems nicht alle seine Grundzüge ausgedrückt werden können, so sollte er doch auf die spezifisch charakteristischsten hinweisen. Dies ist bestimmt der Fall bei der Bezeichnung "Sozialistisch-planwirtschaftliches System". Die Bezeichnung "sozialistisch" für verstaatlichte Produktionsmittel durch die "Diktatur des Proletariats", entspricht der Leninschen Auffassung des Sozialismus. Dieser Charakterzug einer sozialistischen Wirtschaft kann schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner mit anderen kollektivistischen Wirtschaftssystemen gebracht werden. Die Planmäßigkeit in der Wirtschaft gibt es zwar in fast allen Wirtschaftssystemen, doch ist der Versuch, in einem Plan komplex alle entscheidenen volkswirtschaftlichen Prozesse in ihren Zusammenhängen zu antizipieren, wohl einmalig in der Geschichte. Dies wird im weiteren noch eingehender behandelt werden. So ist die Bezeichnung "Sozialistisches planwirtschaftliches System" eine charakteristischere Bezeichnung für eine enger gefaßte Gruppe von Volkswirtschaften als Euckens "Zentralgeleitetes Wirtschaftssystem ". Aber auch Euckens Bezeichnung "Verkehrswirtschaft" für ein Wirtschaftssystem, das als ein ideal-typisches System im Gegensatz zu dem "Zentralgeleiteten 17

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Vgl. Eucken, W., Die Grundlagen ... , S. 64ff.

Wirtschaftssystem" stehen soll, ist nicht gerade glücklich gewählt. Einen Verkehr zwischen den Betrieben und den Haushalten, sogar mit Hilfe von Geld und Preisen, gibt es auch im sozialistischen Wirtschaftssystem. Was jedoch im "Sozialistisch-planwirtschaftlichen System" nicht oder nur am Rande existiert, ist die Verteilung der Güter mit Hilfe des Marktmechanismus. Dies ist dagegen gerade der charakteristische Wesenszug einer Marktwirtschaft. Wenn ich dann von einem "Kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System" spreche, dann drücke ich damit aber einen weiteren Wesenszug dieses Systems aus, welcher es von altertümlichen und mittelalterlichen Marktwirtschaften unterscheidet und seine Spezifik ausdrückt. Die Existenz von großen, in Privateigentum sich befindlichen Industriebetrieben, die mit Hilfe von Lohnabhängigen für einen weiten Markt produzieren, ist derart spezifisch für das gegenwärtige marktwirtschaftliche System, daß dieses schwerlich in eine Systemkategorie zusammen mit den mittelalterlichen Marktwirtschaften gebracht werden kann. Der Gegensatz von Lohn- und Gewinninteressen, die primäre Aufteilung von Unternehmenseinkommen auf Löhne und Gewinne, die Nichtkenntnis der zukünftigen volkswirtschaftlichen Verteilung und daher der Marktentwicklung in den Betrieben usw., sind alles grundlegende ökonomische Prozesse, die in den früheren Marktwirtschaften nicht existierten und die in dem "Kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System" wesentliche Probleme hervorrufen. Diese und andere gehören noch bis heute zu den schwierigsten Forschungsproblemen der Ökonomen. Von solchen Prozessen bei der Bildung des Begriffes "Verkehrswirtschaft" zu abstrahieren, bedeutet ein Nichtberücksichtigen von Grundprozessen eines Wirtschaftssystems und ist deshalb eine wissenschaftlich unzuläßige Abstraktion. In der Gegenwart stehen sich also zwei reale Wirtschaftssysteme, das kapitalistisch-marktwirtschaftliche und das sozialistisch-planwirtschaftliche System gegenüber. Ihre Gegensätzlichkeit ist grundlegender Art, die eine beiderseitige Vermischung unmöglich macht. In dieser Hinsicht stimme ich der Formulierung von K.P. Hensel zu, der den Kern der Gegensätzlichkeit in der unterschiedlichen Art der gesamtwirtschaftlichen Knappheitsermittlung sieht. "Die Knappheitsdifferenzen der Güter können sichtbar werden durch Preise, die sich auf Märkten bilden, oder durch Plansaldi, die sich in zentralen Güterbilanzen ergeben 18 ". Ich denke eben an diese Gegensätzlichkeit, wenn ich sage: entweder wird die Produktionsentwicklung durch den Marktmechanismus oder durch eine dirigistische, den Marktmechanismus ausschaltende Planung bestimmt. Und dennoch gibt es nicht nur dieses "entweder-oder", denn dieses gilt nur für jene Art der volkswirtschaftlichen Planung, bei welcher die Bildung von Marktpreisen und der Wettbewerb zwischen selbständigen, an Markteinkommen interessierten Produktionsbetrieben ausgeschaltet wurde. Zwischen dieser Art von Planmäßigkeit und der marktorientierten Produktionsentscheidung von Betrieben gibt es keine Vermischungsmöglichkeit. Wird jedoch die volkswirtschaftliche Planung als Rahmenplanung bzw. als makroökonomische Verteilungsplanung verstanden, bei welcher unterschiedliche sozial-ökonomische Ziele auf diese oder jene Weise kombiniert und mit Hilfe von wirtschaftspolitischen, marktkonformen 18

Vgl. Hensel, K.P., Wirtschaftssystem ... , S. 7.

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Instrumenten implementiert werden, der Marktmechanismus also nicht nur erhalten, sondern eventuell vervollständigt wird, besteht die Möglichkeit einer Koppelung von Marktmechanismus und volkswirtschaftlicher Planung. Dies käme der Entstehung eines neuen, besonderen Wirtschaftssystems gleich, das nicht einfach eine Vermischung des marktwirtschaftlichen und planwirtschaftlichen Systems bedeuten würde. Man kann also schwerlich mit einer spontanen Konvergenzentwicklung beider gegenwärtiger, gegensätzlicher Wirtschaftssysteme nur aufgrund einer planungstechnischen 19 bzw. einer technologisch-organisationellen20 Annäherung rechnen. Die Wirtschaftssysteme sind zu stark mit der Politik und dem Staat verbunden, als daß sie sich, unabhängig von diesen, grundsätzlich wandeln könnten. Es darf aber angenommen werden, daß die Mängel beider Wirtschaftssysteme politische Kräfte und Interessen hervorrufen können, die zielbewußt auf die Reform beider Wirtschaftssysteme hinarbeiten werden, deren Ergebnis ein neues PlanMarkt-System sein könnte. Im weiteren wird eingehender aufgezeigt, daß die illusionäre Vorstellung, ein dirigistisches Planungssystem könnte den Marktmechanismus mit Erfolg ersetzen, zu wachsenden politischen Bestrebungen um die Einführung des Marktmechanismus in eine sozialistische Wirtschaft führt. Gleichzeitig könnte die Erkenntnis, daß mit einer Makroverteilungsplanung, bei Beibehaltung des Marktmechanismus, und gestützt auf eine Kapital- und Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter, die kapitalistische Entwicklung sich auf demokratisch fixierte sozial-ökonomische Ziele hin sowie im Makrogleichgewicht entwickeln könnte, zu dementsprechenden politischen Reformbestrebungen führen. Wird also das wichtige Zwischenglied, nämlich die politische Entwicklung, aufgrund bestimmter erkannter Grundmängel dieses und jenes Wirtschaftssystems, eingeschaltet, so kann die Wirtschaftsentwicklung, langfristig gesehen, zu derjenigen Reform beider Systeme drängen, die der Entstehung eines, in den Grundzügen einheitlichen Wirtschaftssystems, mit unterschiedlichen Arten von Wirtschaftsordnungen innerhalb desselben, gleichkäme. Das neue System wäre dann weder eine sozialistische noch eine kapitalistische Marktwirtschaft. Ich habe sie als "Humane Wirtschaftsdemokratie" bezeichnet. Allerdings hängt eine politische Entwicklung in dieser Richtung sehr stark davon ab, ob sich die ökonomischen Wissenschafter über die humanen Vorteile einer solchen Entwicklung in ihrer Mehrheit einigen und einen größeren Einfluß als bisher auf eine dementsprechende politische Entwicklung gewinnen können. Neue Wirtschaftssysteme entstehen immer aufgrund der Entwicklung von Interessen, Ideologien und Wertvorstellungen jener politischen Kräfte, die genügend wirtschaftliche und politische Macht erlangen, um das neue Wirtschaftssystem entscheidend zu prägen 21 • Die unmittelbaren, aus der sozial-ökonomischen Struktur hervorgehenden ökonomischen Interessen und ökonomischen Verhaltensweisen, die rechtlich kodifizierten Gemeinschaftsinteressen, die Machtinteressen sowie die ideologisch geprägten Gesellschaftsvorstellungen politisch einflußreicher Gruppen, hatten bisher einen stärkeren Einfluß auf die Gestaltung 19 20

21

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Vgl. Tinbergen, J., Kommt es ... Vgl. Galbraith, J.K., Die modeme .. . Vgl. Eucken, W., Grundsätze der ... , S. 24.

eines Wirtschaftssystems als die ökonomische Wissenschaft. Der Einfluß der letzteren auf das Wirtschaftsverhalten des Staates, der Unternehmer, Manager und anderer ökonomisch einflußreicher Entscheidungsorgane wächst zwar zusehendst während der geschichtlichen Entwicklung, ist jedoch gehemmt durch die überwiegend systemkonforme und ungenügend systemkritische Einstellung der Ökonomen selbst. Sie hilft also diesen oder jenen Zug eines Wirtschaftssystems zu verbessern, selten jedoch ein System grundlegend zugunsten von langfristigen Interessen von Bevölkerungsmehrheiten zu ändern. Dieses Problem wird im weiteren noch eingehender behandelt. Würden jedoch die Ökonomen die Herausforderung der real existierenden Wirtschaftssysteme annehmen und zielbewußter über Reformmöglichkeiten nachdenken, mit welchen gegenwärtige systemimmanente Mängel überwunden werden könnten, würden sie in weitaus stärkerem Maße an der Kreierung neuer, besserer Wirtschaftssysteme teilhaben. Der Fehler von Marx lag nicht darin, daß er versuchte, das kapitalistische Wirtschaftssystem ganzheitlich zu erfassen, durch seine Analyse grundlegende Entwicklungswidersprüche und -hindernisse aufzudecken und über ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nachzudenken. Sein entscheidender Fehler bestand darin, daß er eben zu wenig Ökonom als auch Sozialpsychologe war und die Problematik des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems ideologisch ungemein simplifizierte. Marx konzentrierte sich auf die Aufdeckung großer historischer Gesetzmäßigkeiten. Er ignorierte die konkreten erkenntnismäßigen und auch interessenbedingten Antriebe der menschlichen ökonomischen Verhaltensweisen und Tätigkeiten. In dieser Hinsicht hatte er z. B. überhaupt kein Verständnis für die Bedeutung der Unternehmerinitiative und -tätigkeit. Seine Vereinfachung des Marktmechanismus, der Interessenwidersprüche zwischen Produzenten und Konsumenten, welche nur mittels einer flexiblen Preisbewegung innerhalb eines möglichst vollkommenen Marktwettbewerbes zugunsten der Gesellschaft laufend überwunden werden können, seine - aus dieser Vereinfachung hervorgehende Vorstellung über eine planmäßige ex-ante-Berechnung des Arbeitswertes in einer sozialistischen Wirtschaft, die ideologisierte Vorstellung einer ohne Interessenwidersprüche entstehenden, proportionalen, bedarfsausgerichteten Produktion in dieser Wirtschaft usw. usf., das waren die grundlegenden Fehler von Marx, die sich in der sozialistischen Wirtschaft verheerend auswirken sollten. Wenn weniger ideologisierte Ökonomen, aus diesen Fehlern lernend, sich um realitätsnähere Analysen der Mängel des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems bemühen, aber dabei vor der Aufdeckung auch solcher Ursachen, die mit diesen oder jenen Grundzügen des Systems verbunden sind, nicht zurückschrekken würden, könnten sie Marxens Fehler positiv überwinden. Die bisher übliche Art, Marx einfach vom Tisch zu wischen, systemkritische Theorien als "marxistisch aufgebauschte" Ideologien im vornherein abzulehnen und sich nur in systemkonformem Denken zu üben, kann der wirklichen Überwindung systemimmanenter Mängel nicht dienen. Dasselbe gilt natürlich in noch weitaus stärkerem Maße für die systemkonformen Ökonomen des sozialistisch-planwirtschaftlichen Systems. Die begründete Aversion vieler bürgerlicher Ökonomen gegen die marxistische, ideologisierte Auffassung einer volkswirtschaftlichen Planung, führte sie jedoch 57

zu einer ebenso ideologisierten Ablehnung jeglicher Idee einer planmäßigen Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Lieber nehmen sie immer wiederkehrende Konvulsionen des marktwirtschaftlichen Systems in Kauf, idealisieren die Möglichkeiten des Marktmechanismus und denken sich Modelle aus, in welchen die störenden Gruppeninteressen und Machtinstitutionen einfach wegabstrahiert werden, als daß sie die Idee einer planmäßigen Einwirkung auf die volkswirtschaftliche Entwicklung zulassen würden. Es ist daher nötig, im weiteren der Entwicklung von Planungsideen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

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II. Entwicklung der Idee eIner volkswirtschaftlichen Planung

I Einführung Seit es den Menschen gibt, plant er, entwirft erstrebenswerte Zukunfts bilder und richtet sein Handeln danach aus. Hauptsächlich geht es dabei um die Sicherstellung seiner Ernährungsbasis, sowohl individuell als auch kollektiv, in Stammes-, Dorf-, Stadt- oder Staatsgemeinschaften. Der Begriff Plan oder Planung drückt daher immer eine menschliche Zielverfolgung während einer relativ längeren Zeit aus, die mit bestimmten, ebenfalls im voraus fixierten Mitteln, Handlungen bzw. Maßnahmen erreicht werden soll. Immer beinhalteten solche Pläne Ziele, die man sich als positive Ergebnisse der zukünftigen Entwicklung wünschte. Gleichzeitig bedeutete dies sehr oft, Entwicklungen vorzubeugen, von denen angenommen werden konnte, daß sie bei nichtgeplanten Schritten (bei spontaner Entwicklung), zu unerwünschten, negativen Ergebnissen führen würden. So wie die Menschen also seit jeher versuchten, die zukünftige Entwicklung in allen Lebensbereichen mit Hilfe von Plänen zu ihren Gunsten zu beeinflussen, so brachten aber auch ihre Pläne nicht immer die erwünschten Ergebnisse und schlugen oft fehl. Ob dies deshalb geschah, weil sie viele Ereignisse nicht vorhersehen oder diesen nicht vorzubeugen vermochten, oder sei es, weil sie nicht die richtigen Maßnahmen bzw. diese nicht rechtzeitig, nicht im richtigen Umfang u. ä. anwendeten - dieses oder jenes führte zu Mißerfolgen. Trotzdem haben die Pläne bzw. Planungsversuche mit der Zeit nicht ab-, sondern zugenommen, wobei man beständig aus den Fehlschlägen der Vergangenheit zu lernen und die Methoden der Planaufstellung zu verbessern suchte. Da die Wirtschaftstätigkeit der Menschen zu den wichtigsten Aktivitäten gehört und von ihrer Entwicklung das zukünftige Leben jeweils entscheidend geprägt wird, hat sich auch die Planung in der Wirtschaft am stärksten verbreitet. Wenn jedoch von Wirtschaftsplanung gesprochen wird, muß in erster Linie die Planung einzelner Unternehmen und die Planung ganzer Volkswirtschaften unterschieden werden. Bei der Unternehmungsplanung werden wirtschaftlich angestrebten Zielen der Unternehmung die Wirtschaftstätigkeiten innerhalb des Unternehmens angepaßt bzw. untergeordnet. Mit dem Plan sollen gleichzeitig die Tätigkeiten einzelner Unternehmungsteile (Subsysteme) im voraus koordiniert und rechtzeitig Voraussetzungen, z. B. Investitionen, für spätere Wirtschaftsprozesse geschaffen werden. Die Erfüllung einzelner Unternehmungspläne ist jedoch stark von der Entwicklung der ganzen Volkswirtschaft abhängig, welche von einer einzelnen Unternehmung nicht geplant, sondern höchstens prognostiziert werden kann. Bei einer volkswirtschaftlichen Planung geht es um die Aufstellung von Zielen für die ganze Volkswirtschaftsentwicklung sowie um die Festlegung von Mitteln,

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mit welchen ein zielgemäßer Verlauf aller wichtigen Wirtschaftsprozesse erreicht werden soll. Zum Unterschied von einer Prognose, mit welcher der höchstwahrscheinliche Verlauf der zukünftigen volkswirtschaftlichen Entwicklung vorausgesehen werden soll, versucht ein Plan im vornherein die angestrebten Ziele durch festgelegte Wirtschaftsprozesse abzusichern. Eine Prognose wird zwar fast immer Bestandteil eines Volkswirtschaftsplanes sein, kann jedoch auch ohne Planung ausgearbeitet werden. Es gibt viele Länder, in welchen eine Volkswirtschaftsplanung abgelehnt, jedoch eine Wirtschaftspolitik durchgeführt wird. Mit einer Wirtschaftspolitik wird versucht, gemäß bestimmter Zielverfolgungen, einzelne volkswirtschaftliche Prozesse mit festgelegten Mitteln zu beeinflussen. Der Unterschied zwischen einer Volkswirtschaftsplanung und einer Wirtschaftspolitik liegt vor allem darin, daß die erstere um eine komplexe Erfassung aller wesentlichen Wirtschaftsprozesse in ihren wechselseitigen Zusammenhängen ex ante bestrebt ist, während die zweite nur die Entwicklung bestimmter, herausgegriffener Wirtschaftsprozesse zu beeinflussen versucht. Die Wirtschaftspolitik wird überwiegend kurzfristiger als eine Planung angelegt sein. Wiederum kann jedoch die Wirtschaftspolitik Bestandteil einer Volkswirtschaftsplanung sein und zwar im Sinne einer Planimplementation. Hier tritt jedoch bereits der Unterschied verschiedener Planungsauffassungen (überhaupt wesentlich unterschiedliche Wirtschaftsverständnisse) in unterschiedlichen Systemen hervor.

2 Entstehung der marxistischen Planungstheorie Die Theorie von der Notwendigkeit einer volkswirtschaftlichen, den Marktmechanismus ersetzenden Planung, entstand zuerst bei Marx und Engels. Ihre kritische Analyse des kapitalistisch marktwirtschaftlichen Systems brachte sie zur Erkenntnis, daß die Koordination der in privaten, selbständigen Unternehmen verlaufenden Produktion durch den Marktmechanismus sehr mangelhaft sei und wachsende ökonomische Verluste und Wirtschaftskrisen herbeiführen müsse. Schließlich würde dies zur revolutionären Ersetzung des kapitalistischen durch ein sozialistisches Wirtschaftssystem beitragen 1. Gemäß Marx und Engels bekommt die Arbeit im Laufe der kapitalistischen Entwicklung einen höchst gesellschaftlichen Charakter (durch die ungemein entwickelte Arbeitsteilung und Großproduktion), welcher immer stärker nach einer planmäßigen Verteilung und Lenkung der Arbeit innerhalb der ganzen Volkswirtschaft ruft. Das private Eigentum an den Produktionsmitteln und die individuellen kapitalistischen Interessen verhindern jedoch einen solchen planmäßigen Einsatz der Arbeit innerhalb der Volkswirtschaft und stehen damit auch einer direkten ex ante Koordinierung der Produktionsabläufe in den selbständigen kapitalistischen Unternehmen im Wege. In jedem einzelnen kapitalistischen Unternehmen, so meint Marx, wird die Produktion (qualitativ und quantitativ) und somit auch die Menge dafür eingesetzter Arbeit und Produktionsmittel, unabhängig von der Produktion in allen 1

Vgl. Marx Bd. 17, S. 343, Engels Bd. 20, S. 258, 261.

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anderen Unternehmen bestimmt. Kein einzelner kapitalistischer Unternehmer kann gemäß dieser Theorie Kenntnis davon haben, wie die Produktion der Gesamtwirtschaft verlaufen wird, welche Gesamteinkommen dabei entstehen werden, wie sich aufgrund dessen die gesamte Nachfrage und gleichzeitig das gesamte Angebot entwickeln werden. So wird aufgrund der interessenbedingten und informationsmäßigen Hindernisse immer wieder ein Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktion bzw. des Angebotes auf der einen Seite und den Bedürfnissen bzw. der Nachfrage auf der anderen Seite entstehen, der nur im Nachhinein (ex post) mit Hilfe des Marktmechanismus überwunden werden könne. Durch wachsende bzw. sinkende Preise gemäß unterschiedlicher Nachfrageund Angebotsverhältnisse werden erst im Nachhinein die Produktionsstrukturen und -proportionen den Nachfrageproportionen angepaßt, um jedoch beständig von neuem in Widerspruch zu diesen zu kommen. In einzelnen Branchen entstehen immer wieder Überschüsse, was zur unnötigen Vergeudung von Produktionsmitteln und Arbeit führt, während auf der anderen Seite viele menschliche Bedürfnisse nicht genügend befriedigt werden. Konkurse und die Liquidierung einer wachsenden Zahl von Unternehmungen, zunehmend verbunden mit - von Massenarbeitslosigkeit begleiteten - Wirtschaftskrisen wären im kapitalistischen Wirtschaftssystem unausweichlich. Dies wurde von Marx und Engels als Anarchie der kapitalistischen Volkswirtschaft im Unterschied zur hoch organisierten und geplanten Produktion innerhalb der einzelnen Unternehmen bewertet. Erst durch die revolutionäre Beseitigung des kapitalistischen Eigentums und durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sollten die Bedingungen für die Überwindung der kapitalistischen volkswirtschaftlichen Anarchie und die Entstehung einer volkswirtschaftlichen Planung geschaffen werden. Damit würde nicht mehr der Marktmechanismus die Produktionsentwicklung bestimmen, sondern der Markt würde durch eine Planung ersetzt werden. Die Produktionsstruktur und -proportionen würden sich nicht immer nur ex post nach den Preis- und Gewinnschwankungen ändern und so im Nachhinein der Nachfrageentwicklung anpassen, sondern könnten mit Hilfe der Gesamtplanung im voraus auf die erwünschte Bedarfsentwicklung ausgerichtet werden. Gemäß Engels würde ein solcher Plan sehr einfach zu erstellen sein, so daß die gesellschaftlich benötigte Arbeitsmenge für die einzelnen Produkte nicht erst auf dem Umweg über den Markt festgestellt werden müßte 2 . Marx und Engels sahen also in der nicht voraussehbaren Nachfragestruktur, bei Existenz einer, in ungemein viele private Einzelbetriebe zersplitterten Produktion, die Ursache einer fehlgeleiteten Verteilung (Allokation) von Produktionsfaktoren zwischen einzelne Branchen und somit der Entstehung einer "anarchisehen" Produktion. Die Nichtkenntnis in den Privatunternehmen der zukünftigen Nachfrageentwicklung, die nicht nur durch Bedarfsänderungen, sondern auch durch Änderungen der Produktionstechnik und Güterarten, Änderungen von Preisen und Einkommensentwicklungen hervorgerufen wird sowie die Nichtkenntnis in den Privatunternehmen der Produktions- und Angebotsentwicklung in den jeweils anderen Privatunternehmungen, würde die kapitalistische Produktionsanarchie hervorrufen. Für Marx und Engels war also die "Nichtkenntnis" 2

Vgl. Engels, Bd. 20, S. 288, Marx, Das KapitallII, S. 197.

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des zukünftigen Marktes vor allem durch die Begrenztheit des privaten Produktionsmitteleigentums und daher Erkenntnisgrenzen der Privatunternehmen gegeben. Würden diese Eigentumsgrenzen beseitigt und ein einziges sozialistisches Eigentum an Produktionsmitteln entstehen, sollte auch die Erkenntnismöglichkeit der zukünftigen Bedarfsentwicklung durch ein gesellschaftliches Planungsorgan, welches dann die Arbeit und Produktionsmittel gemäß des vorausgesehenen Bedarfs allozieren würden, erheblich steigen. Bei dieser simplifizierten Vorstellung über die zukünftige Erkenntnismöglichkeit der Bedarfsentwicklung wurde nicht nur die riesige Menge konkreter Nutzwerte in einer Industriegesellschaft, die unzähligen Substitutionsmöglichkeiten in der Konsumtion, Produktion sowie bei der Investitionsentwicklung und die damit verbundenen unterschiedlichsten Knappheitsüberwindungsmöglichkeiten völlig unterschätzt, sondern noch mehr wurde das Problem der Interessenwidersprüche zwischen unmittelbaren Produzenten - und langfristigen Konsumenteninteressen, auch bei einer sozialistischen Produktionsentwicklung, ignoriert. Diese grundlegenden Simplifizierungen in der marxistischen Planungs theorie haben das Denken vieler Generationen von Ökonomen beeinflußt. Sie sind bis in die Gegenwart in den Köpfen der meisten Planungs theoretiker wiederzufinden, auch wenn diese glauben, in der modernen Rechen-, Kommunikations- und Speichertechnik den Weg gefunden zu haben, um die Probleme mit der Erfassung der Bedarfsentwicklung lösen zu können. Für dieses Denken ist charakteristisch, daß in dem Plan immer wieder ein Ersatz für die marktmäßige Allokation der Produktionsfaktoren gesehen wird, mit welchem diese - und vor allem die Investitionsmittel - bedarfsgerechter zwischen die Branchen und Unternehmen aufgeteilt werden sollen. Es wird nur an die "bessere" Voraussicht und Koordinierung bei der Allokation der Produktionsfaktoren bzw. der Investitionen durch volkswirtschaftliche Planung gedacht. In dem Plan wird also in erster Reihe ein Mittel zur Bestimmung der Produktionsstruktur (weniger oder mehr aggregiert) und daher immer wieder ein "Marktersatz" gesehen. Daß aber ein solcher Plan den Markt nicht ersetzen kann, weil er eben nicht jene Motivation der Produzenten schafft, den die Marktpreis- und Gewinnbewegung innerhalb eines funktionierenden Wettbewerbes hervorruft, daß also nicht die Informations-, sondern die Interessenproblematik von größter Bedeutung ist, wird von den meisten Plantheoretikern geflissentlich übersehen.

3 Kriegswirtschaftlich bedingte Planungspraxis und -theorie Interessanterweise sollte jedoch eine volkswirtschaftliche Lenkung zum ersten Mal nicht in einer sozialistischen, sondern in der kapitalistischen Wirtschaft Deutschlands während des Ersten Weltkrieges entstehen. Mit dem entscheidenden Ziel, den Krieg zu gewinnen, wurde vom deutschen Staat schrittweise die gesamte Wirtschaft einer immer zentralisierteren Lenkung unterworfen. Mit Hilfe von verbindlichen Vorschriften und Aufgaben sowohl für die Produktion als auch für die Verteilung von Produktionsressourcen und Produktionsresultaten wurde die Privatwirtschaft militarisiert. Es wurden eine Mengenplanung für die wichtigsten Güter, eine Planung der Zuteilung von Rohstoffen, Energie,

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Transportmitteln, Arbeitskräften u. ä. für die Produktion (besonders der Rüstungsindustrie) sowie eine Rationierung von Konsumgütern für die Bevölkerung eingeführt. Eine ähnliche Kriegswirtschaft entwickelte sich in den meisten europäischen Staaten während des Zweiten Weltkrieges. Mit der ersten praktischen Entwicklung einer volkswirtschaftlichen Planung ging auch eine Entwicklung der Planungstheorie Hand in Hand, die zum großen Teil von nichtmarxistischen Ökonomen getragen war. Hier traten vor allem solche Ökonomen wie Neurath, Schmied, loffe, Rathenau und andere hervor. Dabei entwickelte sich zum Teil schon während des Ersten Weltkrieges, und besonders dann nach dem Krieg, eine lebendige Planungsdiskussion. Vor allem zwei verschiedene Gründe sind zu nennen, warum die Debatte um das Problem der volkswirtschaftlichen Planung nach dem Ersten Weltkrieg so relativ intensiv geführt wurde. Der erste Grund liegt im Krieg und den mit ihm verbundenen kriegswirtschaftlichen Maßnahmen, wie sie die KriegsrohstoffAbteilung unter der Führung von Rathenau erließ. Die positiven Erfolge der naturalen, marktlosen Bewirtschaftung wurden vor allem ihm zugerechnet und fanden somit Eingang auch in die damalige politische Praxis. Nach dem Kriege war insbesondere Rudolf Wissell als Reichswirtschaftsminister (bis 1919) und sein Unterstaatssekretär v. Möllendorff von ihm beeinflußt. Der zweite, ergänzende Grund für die Entstehung der Planungsdebatte findet sich in der russischen Entwicklung. Von den inländischen politischen Ideen inspiriert und motiviert durch die beginnende sowjetische wirtschaftsplanende Erfahrung, entwickelte sich eine vor allem theoretisch arbeitende Gruppe von Ökonomen, die eine antimarktliche und plan sozialistische Konzeption verfolgten. Für sie lag das Hauptziel der Planung vornehmlich darin, den wirtschaftlichen Fortschritt durch technologische Innovationen sicherzustellen und vermeintlich technikfeindliche Industriemonopolisierungen und -kartellisierungen somit planmäßig zum Fortschritt zu zwingen. Interessant an diesen Entwürfen ist, aus der Kenntnis eines Teils der heutigen "grünen" Theorieentwürfe, der stark hervorgehobene Hang zur Askese, zur planmäßig verfolgten selbstgenügsamen Moraldoktrin. So wurde z. B. Walther Rathenau von sozialdemokratischer Seite vorgeworfen, er verfolge "gefühlssozialistischen Utopismus", da er immer wieder Luxussymptome verketzerte und sich über den zunehmenden Sittenzerfall in der Gesellschaft beklagte. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Heil dieser Theorierichtung der Plansozialisten wurde in der naturalmäßigen Lenkung der Volkswirtschaft gesehen. Geld- und marktmäßige Transaktionswirtschaft begründeten ihrer Ansicht nach subjektive und allein auf die einzelne Person bezogene Konsumorientierung und Verfolgung individueller Saturierung von Bedürfnissen. Sie setzten die Wissenschaft dagegen, die es ermöglichen würde, die "objektiven, wissenschaftlich prüfbaren und nachweisbaren" Bedürfnisse zu bestimmen 3 und die entsprechenden Güter planmäßig zu verteilen. Dies bezog sich konsequenterweise sowohl auf die Regulierung und Zuteilung von Arbeitskräften nach "sachlichen Bedürfnissen" als auch auf Verbrauchsgüter und Industrieanlagen.

3

Vgl. Rathenau 1918, S. 53.

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Neben der völligen Ignorierung der Bürokratie- und Interessenproblematik (s. u.) bestand als weiteres wichtiges Merkmal bei allen diesen Ansätzen eine ausgesprochen unkritische Technologiegläubigkeit und die stark verwurzelte mechanistische, ja maschinelle Auffassung des Staats- und Wirtschaftssystems. Zwei gute Illustrationen, wie weit diese naturalwirtschaftlichen Vorstellungen gingen, bieten (der späte) Ungern-Sternberg sowie Otto Neurath, die beide, im Gegensatz zu den dezentralistisch orientierten politischen Theoretikern wie Rathenau, Wisseil und v. Möllendorff, staatszentralistisch argumentierten. Ungern-Sternberg verlangte die Mitbestimmung der Staatszentrale über unternehmerische Politik und Neurath ging sogar so weit, dem planenden Staat die wirtschaftliche Entscheidungsfallung praktisch voll zu übertragen. Er meinte, ein "ausgebildeter gesellschaftstechnischer Apparat"4 würde einen vom Volk gewählten Wirtschaftsplan rein natural erfüllen können und auch die Arbeit gegen Geldlohn durch Arbeit gegen Naturalgüter ersetzen. So warnte er weiter vor der "Zersplitterung der kommenden Verwaltungswirtschaft"5 und postulierte die Sozialisierung von oben, um der Gefahr der Verzettelung zu entgehen. Im Betrieb waren es vor allem "Techniker, Ärzte und Volkswirte", die "das Glück aller zu fördern haben"6. Objektiv feststellbare Grenzkosten sowie staatliche Höchstrenditen würden das gesamte wirtschaftliche Leben regulieren und mit wissenschaftlicher Erkenntnis absichern.

4 Entstehung der sozialistischen Planwirtschaft Während im westlichen Europa nach dem Ersten Weltkrieg die erste Ära von Planungspraxis zu Ende ging und sich nur noch eine Planungstheorie, begleitet von Antiplanungstheorien entwickelte, wurden im nachrevolutionären Rußland die Fundamente für eine sozialistische Wirtschaftsplanung gelegt. Während die marxistische theoretische Vorbereitung für eine volkswirtschaftliche Planung minimal war, hatte Lenin sehr starke Inspirationen aus Praxis und Theorie der deutschen kriegswirtschaftlichen Planung gewonnen, die er bei der Einführung der sowjetischen Planung ausnützte. Immer wieder hob Lenin das Beispiel Deutschlands für die sozialistische Planwirtschaft hervor: "Deutschland. Hier haben wir das letzte Wort moderner großkapitalistischer Technik und planmäßiger Organisation, die demjunkerisch-bürgerlichen Imperialismus unterstellt sind. ... Sozialismus ist undenkbar ohne großkapitalistische Technik, die nach dem letzten Wort modernster Wissenschaft aufgebaut ist, ohne planmäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung und Verteilung der Produkte anhält" 7.

4 5 6

7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

64

Neurath 1979, Neurath 1979, Neurath 1979, Lenin 1918, S.

S. 242-261. S. 249. S. 257. 332.

Sowohl Marxen's Vorstellungen über die Beseitigung der Geldwirtschaft im zukünftigen Sozialismus als auch die naturalwirtschaftlichen Ideen verschiedenster deutscher Plantheoretiker hatten bei den russischen Kommunisten die ursprüngliche Ausrichtung auf eine geplante Wirtschaft ohne Geld mit einer direkten Verteilung von Gütern in Naturaleinheiten hervorgerufen. Diese Vorstellungen lagen auch der Wirtschaftsentwicklung während der Phase des sogenannten Kriegskommunismus bis 1921 zugrunde. Die Produktionsmittel wurden den Betrieben und die Konsumgüter der Bevölkerung rationiert zugeteilt, und bei einer völligen Geldentwertung wurden allmählich die Preise für verschiedenste Dienstleistungen und Güter abgeschafft. Doch diese Wirtschaftspraxis scheiterte schon nach wenigen Jahren, da ohne leistungsentsprechende Entlohnung weder die privaten Bauern noch die Arbeiter in den verstaatlichten Betrieben gewillt waren, die für die Gesellschaft benötigte Arbeit zu verrichten. Die landwirtschaftliche Produktion kam fast völlig zum Erliegen. Mit Zwangsrequirierungen von Agrarprodukten konnte die Versorgung der Städte nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Produktion in der Industrie ging immer mehr zurück und wurde immer unwirtschaftlicher. Alle moralischpolitischen Aufrufe der Partei halfen nichts. 1921 stand die Wirtschaft Sowjetrusslands vor einer Katastrophe. In dieser Situation wurden die Vorstellungen von einem naturalwirtschaftlichen Planungssystem aufgegeben. Lenin setzte die Rückkehr zu einer Geldwirtschaft mit geldmäßiger Leistungsentlohnung und Preisen für alle Güter durch (Neue Ökonomische Politik - NEP). Trotz dieser Wendung wurde jedoch die sozialistische planmäßige Entwicklung keineswegs aufgegeben. Es wurde eine extrem zentralisierte Planungsorganisation aufgebaut, die bereits mit dem ersten Plan einer Elektrifizierung Rußlands Grundsteine für die weitere Entwicklung der sowjetischen Planung legte. Das Neue an dieser Planung war der Übergang von den Naturalplanungsvorstellungen zu einer Planung sowohl der Produktion als auch der Güterverteilung mit Hilfe von Preiskategorien. Es begann auch eine neue Theorieentwicklung, an welcher sich viele fähige Ökonomen beteiligten, die auf originelle Weise versuchten, Plan-Markt-Verbindungen in einer sozialistischen Wirtschaft auszuarbeiten.

5 Die Planungsdiskussionen in der UdSSR der zwanziger Jahre

Nicht alle kommunistischen Theoretiker gaben während der NEP die Idee einer sozialistischen naturalen Planung ohne Geld- und Preisinstrumente auf. Vor allem solche ökonomische Theoretiker wie E.A. Preobraschenskij und L.N. Kricman, die politisch L.D. Trotzkij nahestanden und später als Trotzkisten verfolgt bzw. verurteilt wurden, haben die Theorie einer sozialistischen Naturalplanung stark ausgebaut. Sie sahen in der Neuen Ökonomischen Politik nur eine vorübergehende Rückzugsphase, die vor allem als Zugeständnis an die Existenz der noch privatwirtschaftenden Bauern angesehen wurde. Ihrer Ansicht nach sollten jedoch die, mit der NEP wieder entfalteten Marktinstrumente nur bis zum Zeitpunkt der Sozialisierung der Landwirtschaft existieren. Nach völliger Sozialisierung aller Produktionsmittel hätten das Geld und die Preise beseitigt werden und 65

die Produktion sowie auch die Verteilung der Güter mit Hilfe eines naturalen Planes vor sich gehen sollen. Die noch vor der Einführung der NEP, in der Zeit des sogenannten Kriegskommunismus entstandene Naturalplanung wurde von den Trotzkisten nicht in ihrer Substanz kritisiert. Sie kritisierten sie nur ihrer ungenügend wissenschaftlichen Methoden wegen. Gemäß Kricman war es ein ungenügender Plan, mit dessen Hilfe man versuchte, die produzierten Güter zu erfassen und ihre Verteilung an die Verbraucher zu organisieren. Dies war nicht deshalb der Fall, weil der Plan sich keiner Preise bediente und die Zuteilung von jedem Gut, sei es Produktionsmittel oder Konsumgut, in naturalen Einheiten (Stück, Kilo, Liter etc.) an einzelne Verbraucherinstitutionen (Betriebe, Verbraucherkommunen etc.) zu organisieren versuchte, sondern weil er nicht genügend den wirklichen Bedürfnissen, vor allem der Betriebe als Verbraucher, entsprach. "Und so ist in der erforschten proletarisch-naturalen Gesellschaft die Verteilung organisiert, aber die Versorgung ist unorganisiert. Die Anarchie, die dies charakterisiert, ist die Anarchie der Versorgung" 8 • In Bedingungen der riesigen wirtschaftlichen Unterentwicklung im Nachkriegsrussland, mit der ungemein beschränkten Zahl von Güterarten, mag die Art des Denkens über eine volkswirtschaftliche Planung in Naturalgrößen ebenso praxisrelevant gewesen sein, wie sie es 46 Jahre zuvor noch Friedrich Engels zu sein schien. In seinem Buch "Antidühring" sprach Engels die Überzeugung aus, daß es einmal im Sozialismus sehr einfach sein würde, festzustellen, wie groß der Bedarf eines jeden Gutes in der Gesellschaft sei und wieviel an Produktionsmitteln und Arbeit für seine Herstellung benötigt würden. "Sie (die Gesellschaft) wird - schrieb Engels - den Produktionsplan einzurichten haben nach den Produktionsmitteln, wozu besonders auch die Arbeitskräfte gehören. Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände, abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmengen, werden den Plan schließlich bestimmen. Die Leute machen alles sehr einfach ab, ohne Dazwischenkunft des vielberühmten ,Werts'''9. Ebensowenig wie Engels, kamen auch Kricman sowie anderen trotzkistischen Theoretikern damals Bedenken betreffend die riesige Menge konkreter Bedürfnisse, die in einer industriell entwickelten Wirtschaft existieren und sich ständig wandeln, Bedenken betreffend die sich unautbörlich ändernden Produktionseffektivitäten und -kosten als Ergebnisse des technischen Fortschrittes, Bedenken betreffend die unzähligen Substitutionsmöglichkeiten, die als Ausdruck völlig unterschiedlicher Nutzeffekte für jede Investitionserwägung auftauchen müssen usw. All diese Bedenken hätten die Unausweichlichkeit einer marktmäßigen Messung des Nutzeffektes mit Hilfe von Marktpreisen aufzeigen und die Naturalplanung ohne Marktpreise als Illusion erscheinen lassen müssen. Doch solche Bedenken entstanden damals nicht - weder die primitiven Produktionsbedingungen noch die simplifizierte marxistische Werttheorie, die das Denken der trotzkistischen Theoretiker beherrschte, haben solche Bedenken gefördert. Und diese marxistischeWerttheorie hindert bis heute, trotz der formellen Beibehaltung von 8 9

Vgl. Kricman, Geroitscheskoj period. Vgl. Engels, Bd. 20, S. 288.

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Geld und Preisen in der Sowjetunion (aufgrund der pragmatischen Entscheidung von Stalin), die Erkenntnis der Bedeutung von Marktpreisen. Kricman und seinesgleichen glaubten, daß die Planung nur Sache einer möglichst genauen Berechnung sei, daß man den Bedarf an Produktionsmitteln und Arbeit für alle benötigten Endprodukte in einem komplexen volkswirtschaftlichen Plan ebenso feststellen und bestimmen könne, wie dies bei einer Planung der Produktion innerhalb eines großen Unternehmens der Fall sei. Die Produktion in einem riesigen, die gesamte Industrie umspannenden Staatsunternehmen, innerhalb dessen dann die einzelnen Betriebe nurmehr wie Abteilungen innerhalb eines privaten Unternehmens figurieren würden, müßte gemäß des komplexen Planes verlaufen. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen einst selbständigen Unternehmen würde sich in eine technische Arbeitsteilung zwischen völlig subordinierten Abteilungen des einheitlichen Staatsunternehmens verwandeln. Die ganze Wirtschaft müßte streng hierarchisch, nach militärischem Muster organisiert sein, mit der staatlichen Plankommission an der Spitze. Diese Vorstellung führte dann konsequenterweise auch zu der Forderung Trotzkijs, daß die staatliche Planungskommission eine gesetzgeberische Funktion haben solle 10 . Zum Unterschied von dieser trotzkistischen Theorieentwicklung einer Naturalplanung, ging während der ersten Hälfte der 20er Jahre in der UdSSR auch eine völlig andere Theorieentwicklung vor sich. Es waren Theorien über eine Verbindung von Plan und Markt in einer sozialistischen Wirtschaft, und sie wurden nicht nur von Ökonomen Theoretikern, sondern auch von Wirtschaftspraktikern, vor allem solchen, die mit der sich entwickelnden neuen Planungspraxis verbunden waren, entwickelt. Für diese Ökonomen bestand eben in der Periode der NEP die Notwendigkeit, ein Planungssystem zu entwickeln, bei welchem die Existenz des Marktes, Geldes und der Preise berücksichtigt werden mußte. In den öffentlich geführten Diskussionen zu dieser Problematik nahmen sowohl kommunistische als auch nichtkommunistische Ökonomen teil. Am aktivsten beteiligten sich solche Ökonomen wie J.T. Smilga, G.J. Sokolnikov, V.A. Bazarov, V.G. Groman, N.D. Kondratjev, J.Ch. Repsche, V.V. Novoschilov, A.S. Mendelson, A.A. Sokolov, L.N. Litoschenko, N.N. Schaposchnikov, S.G. Strumilin, N.A. Kovalevskij u. a. Bei diesen Diskussionen ging es nicht nur um die Erkenntnis von Möglichkeiten einer Plan aufstellung in Preisen, sondern vor allem darum, ob der Plan, zum Unterschied von einer Prognose, mit seinen Produktionsaufgaben verbindlich und der Marktentwicklung übergeordnet sein sollte oder nicht. Man bezeichnete dies damals als die Beziehung zwischen dem Prinzip Planmäßigkeit und der Spontanität des Wertgesetzes. Dabei schien so manchen Ökonomen bereits damals klar gewesen zu sein, daß geplante Produktionsentwicklungen in Widerspruch zu der - im Detail unvorhersehbaren - Entwicklung der Bedürfnisse kommen können und daß daher der Markt als Korrektor der Produktionstätigkeit funktionieren müsse. V.A. Bazarov drückte dies so aus: "Die Existenz des Marktes erlaubt in den gegenwärtigen Bedingungen eine automatische Kontrolle der Richtigkeit aller Tätigkeiten. Es ist ein automatischer Mechanismus, der die

10

Vgl. Lenin, Das Vermächtnis, S. 54.

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Tätigkeitsresultate eines jeden Wirtschaftszweiges, eines jeden einzelnen Betriebes aufzeigt" 11 . Einige Ökonomen sahen auch bereits, daß es ohne Marktpreise keine Messung und Vergleiche von Wirtschaftsphänomen geben könne. N.D. Kondratjev sagte auf einer Sitzung des Präsidiums des Gosplans (Planungsamt) am 21. 11.23: "Ich stimme mit der Behauptung von Bazarov überein, daß die Existenz der NEP nicht nur eine Planung nicht ausschließt, sondern die Voraussetzung einer Planaufstellung ist, und dies schon deshalb, weil wir andernfalls jede Möglichkeit einer Messung von Wirtschaftsphänomenen verlieren"l1. In der Diskussion kam auch klar zutage, daß der Plan nicht einfach eine Summe von subjektiv erwünschten Zielen zusammenfassen könne, sondern daß er bestimmte grundlegende objektiv determinierte Entwicklungstrends respektieren müsse (genetische Seite der Planung). Es müssen dabei jedoch immer gewisse Freiräume vorhanden sein, innerhalb welcher politisch erwünschte Ziele verfolgt werden können (teleologische Seite der Planung). N.D. Kondratjev druckte dies auf der Gosplansitzung so aus: "Wir müssen bei der Formulierung der Ziele nicht nur unsere Aufgaben in Betracht ziehen, sondern auch: 1) die objektiv gegebene Konjunktursituation der Wirtschaft 2) ihren höchstwahrscheinlichen Entwicklungstrend 3) unsere höchstwahrscheinlichen Quellen und Möglichkeiten für die Beeinflussung der ökonomischen Entwicklung 4) die höchstwahrscheinlichen Resultate dieser unserer Beeinflussung"12.

Alle diese Theoretiker einer Planentwicklung, welche bei Existenz von Marktbeziehungen vor sich gehen sollte, waren sich nicht nur einig, daß die planmäßige Beeinflussung eine Beeinflussung der Marktentwicklung selbst sein müsse, sondern daß sie auch nur mit marktkonformen Mitteln vor sich gehen könne. Deshalb wurden auch die dirigistischen Produktionsvorschriften und andere Reglementierungen der Produktion aus der Zeit des Kriegskommunismus abgelehnt. Bei der Verfolgung der Planziele und der planmäßigen Beeinflussung des Wirtschaftsverlaufes wurde die Rolle des Kredites, der Lohn- und Preispolitik sowie der Finanztätigkeit des Staates hervorgehoben. In den Zwanzigerjahren entwickelte sich auch die praktische Plantätigkeit aufgrund der inspirierenden theoretischen Entwicklung relativ erfolgreich. Sie brachte eine Menge neuer, wissenschaftlich hoch zu bewertender Methodologien hervor. Es wurde ein Netz von Konjunkturinstituten und eine koordinierende Konjunkturforschung im Gosplan selbst (unter der Leitung von V.G. Groman) entfaltet. Dabei wurden auch neue Bilanzierungsverfahren entwickelt, wobei bereits Ansätze zu der später von W.W. Leontief ausgearbeiteten Input-OutputMethode vorhanden waren. Jedoch diese Plan-Markt-Koppelung, bei welcher die Produzenten den Markt in ihren konkreten Produktionsentscheidungen respektieren mußten, wenn sie nicht Einkommensverluste erleiden wollten, entsprach Ende der Zwanzigerjahre 11 12

68

Zitiert aus S.G. Strumilin 1958. Zitiert aus S.G. Strumilin 1958.

nicht mehr den politischen Zielen von Stalin. Nicht die bedarfsgerechte und effektive Produktionsentwicklung, die möglichst schnelle Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung, waren die vorrangigen politischen Ziele, sondern die möglichst schnelle Entwicklung der Schwerindustrie, vor allem auf Kosten der Landwirtschaft. Bei der zielbewußten Ausbeutung der Bauern bekamen nun diese vorrangigen Ziele politische Priorität. Die Bekämpfung von "kapitalistischen Elementen" war vorab wichtiger als eine flexible und höchsteffektive Produktionsentwicklung und Versorgung der Bevölkerung. Zugleich mit dieser Entwicklung wurde der Marktmechanismus liquidiert (Beseitigung von Marktpreisen, der Marktkonkurrenz und der marktgebundenen Einkommensentwicklung). Die Produktionsplanung bekam verbindlichen, dirigistischen Charakter. Die Lohnentwicklung wurde geplant und an die Erfüllung von Planaufgaben gebunden. Die formell beibehaltenen Preise wurden zu staatlich administrativ fixierten Größen. Die Produktion der gewaltmäßig geschaffenen Kolchose sowie ihre Lieferungen an die staatlichen Einkaufsorganisationen wurden verbindlich geplant, die staatlichen Einkaufspreise auf ein Minimum herabgesetzt, während die Preise industrieller Güter wesentlich erhöht wurden. Die Preise hörten auf, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage am Markt zu reflektieren und sollten fortab auch nicht mehr die politisch bestimmten Planaufgaben für die Produktion korrigieren. Nach Stalins Willen wurde das Prinzip Planung der Marktspontanität übergeordnet; diesem politischen Willen hatte sich auch die ökonomische Theorie zu beugen. Das Wertgesetz sollte planmäßig ausgenützt werden, und das hieß, daß weder die Produktionskosten noch die relative Knappheit der Güter die Preise bestimmen sollten. Die Preise wurden zu Mengenverrechnungsgrößen der dirigistischen Planung degradiert und die Preisdifferenzierung wurde teils politischen Zielen untergeordnet (niedrigere Preise für landwirtschaftliche und höhere Preise für industrielle Güter, höhere Preise für Konsum- und niedrigere für Produktionsgüter u. ä.), teils wurde sie zum Ergebnis einer bürokratisch-willkürlichen Preisfixierung. Die Vertreter einer Plan-Markt-Koppelung wurden zu Antisozialisten abgestempelt, die Diskussion in dieser Richtung abgebrochen, und fortan beherrschten die theoretische Szene nurmehr parteikonforme Apologeten der "sozialistischen Planmäßigkeit" . Vor allem die Ansichten, daß der Markt die subjektiven Fehler der Planung korrigieren sollte, wurden als bürgerlicher Antimarxismus angeprangert und verfolgt, denn der von der Partei gebilligte Plan konnte keine Fehler aufweisen. Der Parteitheoretiker S.G. Strumilin sagte dazu: "Dieser Kampf, den wir um den Plan und gegen die bürgerlichen Einflüsse führten, die den Triumph der Marktspontanität in unserer Volkswirtschaft anstrebten, zieht sich wie ein roter Faden durch alle unsere 'methodologischen' Diskussionen und praktischen Erfahrungen der ersten Jahre auf dem Gebiet der Planung" 13. Die Unvereinbarkeit des Marktmechanismus mit der sozialistischen Planmäßigkeit wurde zum Axiom der stalinistischen Theorieentwicklung erhoben; dieses Dogma gilt bis heute als höchstes ökonomisches Gebot in der Sowjetunion. Die 13

Vgl. Strumilin, S. 202.

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Problematik der Wirtschaftseffektivität wurde lange Jahre völlig übersehen, allein wichtig waren die Wachstumszahlen, ohne Beachtung ihrer Produktionskosten und der wachsenden technologischen sowie qualitativen Zurückgebliebenheit. Die Unersetzbarkeit der Marktmotivation und des Marktdruckes auf die Betriebe für eine Steigerung der Produktionseffektivität wird darum bis heute in der Sowjetunion ignoriert.

6 Die Wirtschaftsrechnungsdebatte Unabhängig von der sowjetischen theoretischen Diskussion, kam es auch außerhalb der Sowjetunion zu einer Diskussion um die Planungsproblematik. Bereits die Theorien der deutschen Vertreter einer geplanten Naturalwirtschaft sowie die sich nun mehrenden marxistischen Planungstheorien, hatten Gegner einer solchen Planwirtschaft mit gewichtigen Stellungnahmen zu Wort kommen lassen. Es entwickelte sich eine langjährige Diskussion zwischen Vertretern und Gegnern einer Planwirtschaft, die vor allem durch Ludwig von Mises mit seinem Artikel "Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen" im Jahre 1920 eingeleitet wurde. Später traten u. a. als Planungsgegner F.A. von Hayek und L. Robbins in diese Debatte ein. Die extremen sozialistischen Planungskonzepte sowie die russische Entwicklung vor Augen, formulierte 1920 Ludwig von Mises seine Kritik am Planungsgedanken und leitete damit die berühmt gewordene Wirtschaftsrechnungsdebatte ein. Er ging davon aus, daß in "der sozialistischen Gemeinschaft ... alle Produktionsmittel Eigentum des Gemeinwesens" sind 14 und die Verteilung der Produkte unabhängig von der Produktion durchgeführt werden. Unabhängig insofern dies war die hauptsächliche Stoßrichtung der Kritik von Mises - als daß eine knappheitsgerechte Wertrechnung durch freie Preisbildung im Sozialismus nicht möglich sein würde. Wenn die freie Preisbildung über konkurrenzierende Märkte abgeschafft würde, so hätte die Wirtschaft auch keine objektiven Maßstäbe für effiziente und nachfragegerechte Produktion. "Sobald man die freie Geldpreisbildung der Güter höherer Ordnung (d. h. Produktionsgüter) aufgibt, hat man rationelle Produktion überhaupt unmöglich gemacht"15. Da dieser objektive Produktionsmaßstab der freien Preise fehlen würde, müsse jede Preisbildung dirigistisch vorgenommen werden. Die gesamte Produktion würde dadurch staatlich gelenkt und jedes verantwortungsvolle unternehmerische Handeln, überhaupt jedes Verantwortungsgefühl und alle Initiative zerstört 16 . Diese Mängel, so argumentierte v. Mises, rührten nicht von mangelhafter Organisation der Volkswirtschaft her, sondern seien dem Sozialismus systemimmanent 17. Hayek setzte diese Kritik fort 17a und zeigte die Zwangsläufigkeit auf, mit der sozialistische, markt- und preissystemaufbebende Planung in die Unfreiheit und Despotie führen müßte, 14 15 16 17 17.

70

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

v. Mises 1920/21, v. Mises 1920/21, v. Mises 1920/21, v. Mises 1920/21, vor allem Hayek,

S. 87. S. 99. S. 109. S. 113. F.A., v., The Nature and History of the Problem ...

wenn die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft einem autoritär vorgegebenen Gesamtziel folgen müßte 17b . Zum Teil als Reaktion auf die extremen naturalwirtschaftlichen sozialistischen Ansätze und zum Teil wegen der polemisch vorgetragenen Kritik von v. Mises, entwickelten sich in den 20er und 30er Jahren alternative Theoriewege. Einerseits nahmen Leute wie Heimann, Landauer und Lederer die Mises'schen Vorwürfe an und distanzierten sich von den rein naturalwirtschaftlichen Ansätzen, andererseits versuchten sie weiter - zum Teil unter Beibehaltung einer Naturalplanung für Güter des Grundbedarfs - marktverbundene Planungskonzeptionen zu entwikkeln. So verwendeten sie statt des totalitären Sozialismusbegriffs, auf den sich v. Mises bezog, einen gespaltenen Ansatz. Während die Investitionen der Produktionsseite sozialistisch geführt, d. h. planmäßig gelenkt werden sollten, verlangte z. B. Emil Lederer die weitgehende Marktabhängigkeit der Konsumseite. Die Verteilung der Konsumgüter sollte nicht planmäßig vorgenommen, sondern den Marktsignalen überlassen werden. So würde ein nivellierender Eingriff des Staates auf die Einkommensverteilung Nachfrageströme ändern und über Preisänderungen auch die Umstellung von Produktionsstrukturen bewirken. Die planmäßige Regulierung der Investitionsentwicklung sollte dagegen den Zweck erfüllen, die volkswirtschaftlich richtigen Proportionen zwischen den Produktivkräften und Produktionsmitteln sowie die Verbindungen zwischen Investitions- und Konsumgütersektor abzusichern, da auf diese Weise "für irgendein ,endogenes' Moment, das zu allgemeiner Wirtschaftserschütterung führen könnte, kein Raum" mehr bleibt 18 . Instrumente zur Durchführung der Investitionslenkung waren die Einkommenspolitik (zu der bei Landauer noch eine Gewinnbeteiligungspolitik hinzukommt), vor allem die planmäßige Kapitallenkung über Banken bzw. ein staatliches Kreditmonopol sowie über Gewinnbesteuerung eine strikte Kontrolle von Überprofiten seitens wirtschaftlicher Monopole, und andererseits die Lenkung von Investitionsmitteln "aufgrund einer Art volkswirtschaftlicher Dringlichkeitsliste" 19. Auch Oskar Langes ursprüngliches Modell einer sozialistischen Marktwirtschaft stammt aus dieser Zeit der Wirtschaftsrechnungsdebatte. Die Elemente seines Modells waren die vollkommene Sozialisierung der Produktionsmittel, welche mit wirtschaftlichem Optimierungskalkül zu leiten wären sowie die Aufspaltung der Volkswirtschaft in einen geplanten und einen dem Marktmechanismus unterworfenen Teil. Dem Plan unterlag der gesamte Produktions- und Investitionsbereich über einen trial-and-error-Prozeß, um auf diese Weise im Produktionssektor ein Gleichgewicht zu erhalten. Andererseits waren die Verteilung der Konsumgüter sowie die Allokation von Arbeitskräften dem Markt überlassen. Auf dem Modell von Lange aufbauend und die schlechten Erfahrungen des sowjetischen Planungssystems nutzend, konzipierte Brus 20 nach dem Zweiten Weltkrieg ein ähnliches, aber weitergehendes Modell, in dem er den Markt-Plan-

17b

18 19 20

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hayek, F.A., v., Der Weg zur Knechtschaft ... Landauer 1931, S. 123. Naphtali 1931, S. 477. Brus, Funktionsprobleme ...

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Bereich nicht mehr durch die Unterscheidung Produktionssektor/Konsumtionssektor definiert, sondern als Differenzierungskriterium die Wichtigkeit der ökonomischen Eingriffe in das Wirtschaftsleben heranzieht. Entscheide, die grundsätzlich makroökonomische Gebiete betreffen, sollten zentral gefällt werden, während die täglichen betriebswirtschaftlichen Probleme dezentralisiert zu behandeln sind. Bei Lange und Brus findet die Interessenproblematik in sozialistischen Betrieben nicht genügend Beachtung und daher bleibt auch die theoretisch erwogene Beziehung zwischen zentraler Planung und Wirkung des Marktes in einer sozialistischen Wirtschaft problematisch. Die Frage, wie die Mitarbeiter der Betriebe an höchsteffektiver Produktionsentwicklung interessiert werden, war damit weiterhin unbeantwortet.

7 Planung in kapitalistischen Marktwirtschaften Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Thema "gesamtwirtschaftliche Planung" in den westlichen Volkswirtschaften erneut aktuell. Diesmal erfolgte weniger eine theoretisch-wissenschaftliche Diskussion, sondern erstmals in der Geschichte der kapitalistischen Industrieländer wurden in größerem Umfang nicht kriegs bedingte praktische Planungsversuche durchgeführt. Dabei handelte es sich immer um eine Verbindung von Markt und Plan. Die Einführung einer makroökonomischen Planung in einigen westlichen Ländern hatte vor allem pragmatische Gründe: Planung war ein Instrument zum wirtschaftlichen Wiederaufbau und zur Krisenüberwindung, z.T. unter Weiterführung gewisser kriegswirtschaftlicher Elemente. Weiter forderte der Marshallplan einen planmäßigen Einsatz seiner finanziellen Leistungen. Die theoretische Basis dieser Versuche war meist recht schmal, denn in der Theoriediskussion der marktkonformen Planung war seit den Dreißigerjahren eine Pause eingetreten. Zwar erschienen nun wieder einige Werke (z. B. Kromphardt, Sering), doch hatten diese nur wenig Einfluß auf die Praxis der Planung. Vielmehr begnügte man sich mit pragmatischen, selbst entwickelten, auf die jeweiligen Verhältnisse zugeschnittenen Planungsmodellen. Basis der Versuche war die keynesianische Theorie, die damals herrschende nationalökonomische Doktrin, mit welcher Staats eingriffe in die Wirtschaft gerechtfertigt wurden. Erst mit der zweiten Planungswelle (Sechzigerjahre) und der Investitionslenkungsdebatte in der BRD erlebte auch die Planungstheorie einen gewissen Aufschwung. Diese verschiedenen praktischen und theoretischen westlichen Planungsansätze können nach ihren Grundzügen in folgende Typen eingeteilt werden 21 : 1. Der Masse'sche Planungstyp (nach dem Franzosen Masse)22 ist von korporatistisch-staatsinterventionistischen Vorstellungen geprägt. Sein Hauptziel ist die mittel- bis langfristige Entwicklung des Produktionspotentials. Darüberhinaus beinhaltet er oft eine umfassend sozio-ökonomische Planung. Die Planziele werden durch Gespräche zwischen den betroffenen Parteien - Planungs21 22

72

Vgl. den Überblick bei Betschart 1983, S.20ff. Vgl. Masse 1965, S. 144ff.

organen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden - bestimmt ("economie concertee'). Dies soll einen Interessenausgleich zwischen den Sozialpartnern erlauben. Mittels ökonometrischer Modelle werden nun Prognosen gewonnen, die mit den Planzielen zu mittelfristigen (meist fünfjährigen) Plänen verbunden werden. Für die Planimplementation wird ein Arsenal wirtschaftspolitischer Maßnahmen verwendet. Besonders wichtig sind staatliche Kredite, Subventionen und Steuern sowie die Aufsicht über die Staatsbetriebe. Auch dirigistische Maßnahmen wie Preiskontrollen sind anzutreffen (die für diesen Typ gebräuchliche Bezeichnung "indikative Planung" wird damit unzutreffend). Plankontrolle und -revision sind meist mangelhaft, weil ein konsequentes Kontrollsystem fehlt. Wichtigste Voraussetzungen dieses Planungstyps sind: - Konstanz der Wirtschaftspolitik - dominierende Stellung des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft - möglicher Interessenausgleich, insbesondere in der Einkommenspolitik (in der Praxis schwierig). Der Masse'sche Planungstyp wurde in Frankreich kreiert, das ihn auch erstmals in die Praxis umsetzte (1947). In der Folge diente er immer wieder als Vorbild für andere Staaten. Besonders eng daran angelehnt sind die belgische und die spanische Planung (beide seit 1959). Ein erster britischer Planungsversuch nach Kriegsende scheiterte bald. Seit 1962 wird ein Plan nach französischem Vorbild angestrebt. In Japans Planung (seit 1949) hat nicht der Staat, sondern die Wirtschaft größeren Einfluß. Bei der italienischen Planung schließlich (seit 1967) handelt es sich um nur für die Regierung verbindliche mittelfristige politische Programme. 2. Der Friseh- Tinbergen 'sehe Planungstyp ist der Versuch, die Wirtschaftspolitik technisch-wissenschaftlich zu fundieren. Initiatoren waren dann auch meist Wissenschafter wie Tinbergen in den Niederlanden 23 und Frisch in Norwegen. Die Planung soll weniger politische Ziele erreichen und dem Interessenausgleich dienen, sondern ist eher ein Kind der Ökonometrie. Sie ist eng mit einer keynesianischen Politik verknüpft und verwendet vorwiegend fiskalische Instrumente (Staats budget). Hauptaufgabe der Planungsorgane ist die Erarbeitung von Projektionen mittels hochentwickelter ökonometrischer Methoden. Dazu kommen grob skizzierte Alternativvorschläge zur Wirtschaftspolitik. Der Plan ist meist kurzfristig (ein Jahr) und enthält als Kern eine Projektion des Nationalbudgets. Zur Implementation wird das herkömmliche keynesianische Instrumentarium empfohlen. Oft können die Planungsorgane die Maßnahmen nicht vorschreiben, sondern nur vorschlagen. Die Plankontrolle beschränkt sich auf periodische Berichte; für Revisionen ist der Plan zu kurzfristig. Voraussetzung dieser Planung ist ein gewisser Technikglaube. Ungelöst ist das Demokratieund Bürokratieproblem unter anderem, weil eine Beteiligung der Sozialpartner fehlt.

23

Vgl. Tinbergen 1964 und 1967.

73

Praktisch angewandt wird dieser Typ seit 1945 in Norwegen und den Niederlanden. Die schwedische Planung unterscheidet sich davon etwas in der Implementation: Sie kennt die solidarische Lohnpolitik, d. h. Gewerkschaft und Arbeitgeberverband handeln die gesamtwirtschaftliche Lohnerhöhungssumme aus. 3. Zum Beveridge-Zinn 'sehen Planungstyp, der eine Investitionslenkung anstrebt, gibt es bis heute keine praktischen Versuche. Bekannt wurde er durch die Investitionslenkungsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland Mitte der Siebzigerjahre. Seine historischen Wurzeln liegen jedoch weiter zurück: Bereits 1944 hatte Lord Beveridge ähnliche Vorschläge gemacht 24 • Kernstück dieses Modells ist ein langfristiges Infrastrukturprogramm des Staates, in dem dieser seine Investitionsabsichten darlegt. Nebst ökonomischen Zielen (besonders Struktur- und Konjunkturpolitik) soll das Programm mittels mittelfristiger, gesamtwirtschaftlicher Rahmenpläne auch soziale und gesellschaftliche Verbesserungen erreichen. Die eigentliche Diskussion ging nun darum, inwiefern diese Pläne auch private Investitionen beeinflussen sollten. Eine indirekte Investitionslenkung vor allem über finanzpolitische Anreize forderten beispielsweise die Theoretiker Voigtländer und Noe 25 . Zur direkten Investitionslenkung seien zwei der bekanntesten Positionen aufgeführt: Zinn schlug eine Lenkung gemäß einer Bedarfsrangskala vor, d. h. Investitionen von gewisser Bedeutung sollten nicht profit-, sondern bedarfsorientiert getätigt werden. Dazu wären sie genehmigungspflichtig, wobei eine Kontrollbehörde gemäß dieser Bedarfsrangskala entscheiden würde 26 • Steger dagegen forderte eine zentrale Planung für strukturbestimmende Aufgaben oder für die Investitionen der 500 größten Unternehmen eines Landes 2 7. All diese Planungstheorien und Planungspraktiken haben die gemeinsame Idee, daß mit Hilfe des Planes gewisse wirtschaftspolitische Ziele konsequenter zu erreichen seien als ohne einen Plan. Man sieht jedoch in der Planung nicht - wie in der marxistischen Theorie - ein Mittel, mit welchem der Marktmechanismus ersetzt, sondern ergänzt werden soll, um bestimmte Ziele besser zu erreichen. Wirtschaftspolitische Ziele können unterschiedlicher Art sein bzw. mit unterschiedlichen Prioritäten eingestuft werden. Im Vordergrund können globale Wachstumsziele oder Modernisierungsbeschleunigungen, mit großen Produktionsstrukturwandlungen verbunden, oder Krisenüberwindungen und Gleichgewichtsschaffungen u. ä. stehen. Immer aber wird eine volkswirtschaftliche Planung von deren Vertretern als ein Instrument gesehen, mit dessen Hilfe eine größere Anzahl verschiedener Ziele im vornherein koordiniert werden kann. Zur Erreichung dieser Ziele könnten nötige wirtschaftspolitische Maßnahmen im voraus erwogen und berechnet werden, um so die volkswirtschaftliche und soziale Entwicklung verläßlicher auf die Realisierung der fixierten Ziele auszurichten.

24 25 26 27

74

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Beveridge 1944, S. 177f. Voigtländer 1975 und No€: 1975. Zinn 1973. Steger 1973.

Dies unterscheidet natürlich die Planungs theoretiker ganz grundsätzlich von den Antiplanern, den konsequenten Markttheoretikern, die in jeder Art einer volkswirtschaftlichen Planung eine Gefährdung der marktwirtschaftlichen Ordnung sehen. Von den Vorteilen einer Marktwirtschaft ohne Planung gegenüber einer solchen mit Planung sind sie so überzeugt, daß sie meist nicht gewillt sind, zwischen unterschiedlichen Arten einer volkswirtschaftlichen Planung zu differenzieren und dem Begriff Plan-Markt-Koppelung mit ebenso viel Vorurteilen begegnen wie die dogmatischen marxistischen Planungstheoretiker von der anderen Seite. Wir wollen im folgenden zeigen, wie sich die Theorie einer sozialistischen Plan-Mark-Koppelung nach dem zweiten Weltkrieg weiterentwickelt hat und welche praktischen Reformen sich in dieser Richtung durchzusetzen beginnen.

75

III. Sozialistische Plan-Markt-Koppelungen

1 Kurzer historischer Exkurs Das Ziel dieses Kapitels ist nicht eine Darstellung des Wirtschafts systems und seiner Entwicklung in jedem einzelnen sozialistischen Land, sondern die Hervorhebung unterschiedlicher Reformwandlungen und ihrer wichtigsten Charakterzüge. Im Grunde werden nur die tatsächlich realisierten Änderungen aufgezeigt. Eine Ausnahme bilden die Reformvorstellungen, welche einst in der CSSR realisiert werden sollten, jedoch durch die militärische Intervention der anderen kommunistischen Staaten vereitelt wurden. Ich werde auch versuchen, die einzelnen Reformentwicklungen zu bewerten bzw. vom Standpunkt meiner heute erreichten theoretischen Erkenntnisse kritisch zu beleuchten. Leser, die eine Gesamtübersicht über die Entwicklung der Wirtschaftssysteme in einzelnen sozialistischen Ländern erlangen wollen, werden auf die im weiteren zitierten Arbeiten hingewiesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist in einer Anzahl von Ländern mit kommunistischen Regierungen ein sozialistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden. Im Grunde haben alle diese Länder, unter politischem Einfluß der UdSSR stehend, in den Anfängen das sowjetische Wirtschaftssystem kopiert. Damit haben sie auch in erster Linie das sowjetische, dirigistische Planungssystem mit all seinen Mängeln und Fehlern kritiklos übernommen. In allen sozialistischen Ländern gibt es jedoch Anfangsphasen, in welchen die Mängel des sowjetischen Planungssystems nicht so stark und augenscheinlich hervortreten, wie dies in der späteren Entwicklungsphase der Fall ist. Die Anfangsphase kann auch als Phase der extensiven Entwicklung bezeichnet werden, zum Unterschied von der nachfolgenden Phase, welche eine intensive Wirtschaftsentwicklung erfordert!. Als extensive Entwicklungsphase wird jene Wachstumsetappe der sozialistischen Wirtschaft bezeichnet, in welcher das Wachstum der Industrieproduktion vorwiegend mit Hilfe einer schnellen Erweiterung der Produktionsfaktoren erreicht wird. Durch eine Abschöpfung der Gewinne sowie auch eines Großteils der Kapitalabschreibungen aus allen Betrieben und ihrer Zentralisierung in den Händen des Staates, können diese zugunsten einer planmäßigen Investitionsentwicklung in der Industrie (mit Vorrang der Schwerindustrie) verwendet werden. Auf diese Weise wachsen die Produktionsmittel (Produktionskapazitäten) der Industrie, besonders der Schwerindustrie außerordentlich schnell, vor allem auf Kosten der Landwirtschaft und der Dienstleistungen. Auch die Arbeitskräfte werden mit Hilfe planmäßiger, dirigistischer Maßnahmen zugunsten der Industriepro1

Vgl. Sik, 0., 1967, S. 73 ff.

77

duktion umverteilt. Die Arbeitskräfte für die Industrie werden vor allem aus der Landwirtschaft und aus den Reihen der Hausfrauen gewonnen. Diese planmäßige, extensive Erweiterung der Produktionsfaktoren in der Industrie ermöglicht eine zeitlang ein sehr schnelles Wachstum der Industrieproduktion. In dieser extensiven Wachstumsphase werden von der offiziellen Propaganda nur die Vorzüge des sowjetischen Planungssystems hervorgehoben, während seine von Anfang an bestehenden Mängel geflissentlich übersehen werden. Die Vorzüge bestehen darin, daß eben eine politisch erwünschte, präferierte Produktionsentwicklung mit Hilfe staatlicher, planmäßiger Umverteilungen schneller erwirkt werden kann, als dies eine Wirtschaft ohne zentraler Planung zustande bringt. Ein solches extensives Wachstum hält aber nur so lange an, solange die Arbeitskräfte und Investitionsmittel in der Industrie schnell erweitert werden können. Von einem bestimmten Augenblick an sind jedoch nicht mehr weitere Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abzuschöpfen (wenn diese nicht völlig zusammenbrechen soll), und andere Reservoirs von Arbeitskräften sind dann ebenfalls erschöpft. Auch die Investitionen können nicht mehr nur zugunsten der Industrie verwendet werden; ihr extensives Wachstum ist einzuschränken. Um jedoch ein weiteres Wachstum der gesamten Produktion aufrecht erhalten zu können, werden die intensiven Wachstumsfaktoren immer wichtiger. Intensive Wachstumsfaktoren sind vor allem der technische Fortschritt, der die Grundlagen einer schnellen Produktivitätssteigerung bildet. Es sind auch Wege, die zu einer effektiveren Ausnützung aller bestehenden Produktionsfaktoren und zur Senkung unnötiger Wirtschaftsverluste führen. Ist in den sozialistischen Ländern der Zeitpunkt gekommen (in den einzelnen Ländern unterschiedlich eintretend), in welchen das Wachstum auf extensive Weise immer schwieriger wird und die intensiven Wachstumsfaktoren eine entscheidende Bedeutung erlangen, beginnen die Mängel des sowjetischen, dirigistischen Planungssystems ungemein stark hervorzutreten. Es zeigte sich, daß der Staat mit Hilfe dieses Planungssystems nicht imstande ist, ein intensiveres Wachstum abzusichern und daß der technische Fortschritt und die Wirtschaftseffektivität weit hinter der Entwicklung in marktwirtschaftliehen Industriestaaten zurückbleibt. Die folgende kurze Kritik der Mängel des dirigistischen Planungssystems sowie die Ausrichtung der meisten Reformversuche sollen eingehender belegen, daß die dirigistische Produktionsplanung den Marktmechanismus nicht mit Erfolg zu ersetzen vermag.

2 Mängel des sowjetischen dirigistischen Planungssystems Die Aufzählung der Mängel muß mit der Darstellung der beschränkten Informationen beim zentralen Planungsamt beginnen, welches eine entscheidende Stellung in der dirigistischen Planung einnimmt. Das zentrale Planungsamt ist gezwungen, mit Informations- und Erkenntnismängeln zu arbeiten. Diese entstehen daraus, daß es nicht imstande ist, eine riesige Menge an Daten über die zukünftige Produktionsentwicklung ohne Hilfe der Betriebs- und Branchenorgane zu erlangen, daß es diese überwiegend nur in hochaggregierter Form ohne ins Detail 78

gehende Überprüfungsmöglichkeiten sammeln muß und bis auf Ausnahmen auch nur hochaggregierte Planaufgaben erstellen kann. Im weiteren wird dann gezeigt, warum auf der anderen Seite die Betriebe bzw. Betriebsvereinigungen kein Interesse haben, den zentralen Wirtschafts- und Planungs organen realistische Informationen über ihre optimalen Produktionsmöglichkeiten zuzuführen. Das zentrale Planungsamt muß bei seiner Planaufstellung wegen unverläßlicher bzw. verzerrter Informationen aus den Betrieben mit folgenden Erkenntnismängeln arbeiten: 1. Es kann nicht erkennen, welche potentiellen qualitativen Änderungen der Technik und Produktionstechnologie in einzelnen Betrieben und Branchen von Vorteil wären, um eine Steigerung der Effektivität in der Produktion (Verhältnis von Produktionsumfang zu investiven, materiellen und arbeitsmäßigen Kosten) zu erreichen; 2. Es kann nicht die Rentabilität der ungemein großen Anzahl einzelner Investitionsmöglichkeiten errechnen und miteinander vergleichen. Die Investitionspläne werden ohne Rentabilitätsberechnung, nur mit Hilfe von Bedarfsbilanzierungen, aufgestellt. Ohne Investitionsrentabilitätsberechnung werden für einen gegebenen Nutzenzuwachs wesentlich höhere Investitionen auf Kosten des Konsumtionswachstums verbraucht; 3. Es kann bei Existenz von vielen hunderttausenden Güterarten nicht den Produktionsumfang einer jeden Güterart planen, die für eine konkrete Bedarfsbefriedigung erforderlich ist. Mit Ausnahme einer beschränkten Anzahl wichtigster Güterarten (Präferenzgüter) wird in den Plänen nur das Wachstum von breiten Güteraggregaten (Gütergruppen) festgelegt, was die konkrete Bedarfsdeckung nicht absichert; 4. Es kann den optimalen Bedarf an Produktionsfaktoren (Produktionsmitteln und Arbeit) für die Produktion einzelner Güter bzw. Gütergruppen und daher auch die optimalen Produktionskosten nicht erkennen. Der Verbrauch an Material, Energie und Arbeit für die Erlangung eines bestimmten Konsumtionsumfanges ist daher unnnötig hoch. Zusammenfassend kann gesagt werden: ein volkswirtschaftlich zentrales Planungsorgan ist nicht imstande, die optimale Entwicklung der Produktion einzelner Güterarten zur Bedürfnisbefriedigung der Verbraucher (Individuen, Betriebe, Institutionen), bei möglichst effektiver Ausnützung und qualitativer Entwicklung der Produktionsfaktoren, abzusichern 2 . Die Betriebe, für welche die Produktion dann ganz konkret zu bestimmen ist, sind aber an einer bedarfsgerechten, möglichst effektiven und innovativen Produktionsentwicklung nicht interessiert. Sie können zur Produktion auch nicht gedrängt werden, da das Planungszentrum die konkreten Kenntnisse gar nicht besitzt. Es wird zwar versucht, die Betriebe nicht nur mit politisch-moralischen Anfeuerungen, sondern auch mit materiellen Entlohnungen für eine optimale Produktionsentwicklung zu motivieren. Da jedoch das zentrale Planungsorgan die optimalen Produktionsentwicklungsmöglichkeiten einzelner Betriebe nicht kennt, kann es die Betriebe nur für die Erfüllung jener Produktionsaufgaben 2

Vgl. Sik, 0., 1973, S. 130rr.

79

entlohnen, welche aufgrund der Informationen aus den Betrieben selbst in den Plan eingebracht wurden. Die Planaufgaben werden jedoch vom Planungsamt, aus Mißtrauen gegenüber den Informationsvermittlern, erhöht bzw. intensiviert, ohne sie an reale Möglichkeiten anzupassen. Die Betriebe sind an einer optimalen Entwicklung deshalb nicht interessiert, weil die Motivation, die aus dem Marktmechanismus entsteht, beseitigt wurde, während die geplanten Anreize diese nicht ersetzen können 3 • Die Beseitigung des Marktmechanismus wurde aus ideologischen Gründen durch folgendes erreicht: 1. Statt Marktpreisen wurden staatlich administrierte Preise eingeführt. Preise, die durch eine zentrale Preisbehörde fixiert werden, können das sich ständig ändernde Verhältnis von Angebot und Nachfrage nicht reflektieren. Sie entstehen nicht als Ergebnis einer Konfrontation von Produzenten- und Konsumenteninteressen und motivieren die Produzenten auch nicht über die Gewinnbewegung zu einer flexiblen Nachfragedeckung. 2. Die Einkommensentwicklung wurde von den Marktergebnissen getrennt. Die Einkommen in den Betrieben (Löhne und Gewinne) sind nicht von Marktresultaten abhängig, sondern von der formellen Erfüllung der Pläne. Die Betriebe können aber die globalen Planaufgaben auch bei einer Produktion, die der Nachfrage ungenügend entspricht, erfüllen. Bei einem starken Überhang an ungedeckter Kaufkraft ist es einfach, alle Produkte, auch die nichtbenötigten sowie qualitativ nicht entsprechenden, ohne Schwierigkeiten abzusetzen. 3. Es gibt keinen Wettbewerb zwischen Betrieben der gleichen Branche. Die Produktion wurde absolut monopolisiert, denn Betriebe der gleichen Branche sind immer einem Branchenorgan untergeordnet, welches die Produktionsaufgaben zwischen ihnen aufteilt. Unter diesen Bedingungen werden die Betriebe weder zu einer Effektivitätssteigerung noch zu einem qualitativen und technologischen Fortschritt in ihrer Produktion gedrängt. Sie versuchen im Gegenteil, mit einem Minimum an Änderungen und innovativen Anstrengungen, auch mit Hilfe reiner Lagerproduktion, ein maximales Einkommen zu erzielen.

Das Gesamtergebnis dieses Planungssystems ist eine Produktionsentwicklung, die nicht imstande ist, die Nachfrage genügend zu befriedigen und Angebotslükken zu schließen. Dies äußert sich in Käuferschlangen, in großen Konsumverlusten, in der Entwicklung von Schwarzmärkten, Korruption und Massendiebstählen in den Betrieben. Die niedrige Wirtschaftseffektivität hat zur Folge, daß sowohl die private als auch die soziale Konsumtion pro Kopf der Bevölkerung in den sozialistischen Ländern immer mehr hinter der Entwicklung jener Länder zurückbleibt, welchen sie vor der sozialistischen Revolution gleichgestellt waren. Sogar in den offiziellen Referaten hoher sozialistischer Funktionäre, die im allgemeinen die reale Entwicklung stets zu beschönigen versuchen, müssen viele der angeführten Mängel zugegeben werden. So sagte z. B. der neue Ministerpräsi-

3

Vgl. Sik, 0., 1973, S. 69ff.

80

dent der UdSSR, Nikolaj Ryschkov, in seinem Referat am XXVII. Parteitag der KPdSU: "Die Struktur, das technische Niveau und die Qualität der Maschinen und Einrichtungen haben nicht den Bedürfnissen der Volkswirtschaft entsprochen .... Bereits chronisch werden die Aufgaben betreffend die Effektivität nicht erfüllt und der wissenschaftlich-technische Fortschritt hat sich nur langsam durchgesetzt. ... Infolgedessen konnte eine Reihe von Aufgaben zur Steigerung des Lebensstandards, wie z. B. die Höhe der Realeinkommen und des Handelsumsatzes, nicht erfüllt werden. Der Stand der Finanzen und des Geldumschlages hat sich kompliziert" 4 . Solche sehr gemäßigt ausgesprochenen Kritiken werden auch nur deshalb vorgebracht, weil sie eine Entwicklung in der Breschnew-Ära betreffen, für welche sich die neue Führung nicht verantwortlich fühlt und die sie zu ändern gewillt ist. Die wirklichen Verluste der ganzen bisherigen Entwicklung sind jedoch wesentlich größer, ja sie können als katastrophal bezeichnet werden, was im weiteren in Kap. IV bewiesen werden soll. Diese negativen Ergebnisse dringen - trotz der Informationsunterdrückungen - ins Bewußtsein der Bevölkerung, rufen Unzufriedenheit hervor und erzwingen sich unterschiedliche Reformversuche in einzelnen Ländern. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen wirklichen System-Reformen und nur System-Ausbesserungsversuchen. Mit einer Reform des Wirtschafts systems sollen bisherige systemimmanente Ursachen der großen Effektivitätsverluste beseitigt werden. Dagegen bei Versuchen, nur einzelne Verbesserungen des Systems zu erreichen, geht es meist um das primäre Ziel, das gegebene Wirtschaftssystem in seinen Grundzügen zu erhalten. Die Beweggründe dafür sind in den Interessen der herrschenden Schichten und vor allem des Parteiapparates zu suchen, da ihnen die Erhaltung ihrer mit dem gegebenen System verknüpften Machtpositionen und Privilegien entscheidend wichtig ist 5 • Aber nicht nur solche Interessen, sondern auch ein dogmatisches, ideologisches Denken, das gerade die gegebenen Systemgrundzüge für Wesenszüge des Sozialismus hält, unterstützt die Ablehnung von Systemreformen durch die Parteibürokratie. Bei den meisten Reformvertretern ist dagegen die Auffassung sozialistischer Systemzüge wesentlich unterschiedlich. Es ist klar, daß Reformentwicklungen und Systemverbesserungsversuche sowohlInteressenunterschiede als auch Ideendivergenzen reflektieren, die sich innerhalb der kommunistischen Parteien und innerhalb ganzer Völker in allen sozialistischen Ländern feststellen lassen. Auf der einen Seite stehen Kräfte, die existentiell mit dem gegebenen System verbunden sind und deshalb befürchten, in einem wesentlich geänderten System keine privilegierte Stellung mehr zu erhalten bzw. genießen zu können. Dieses Interesse selbst und auch die Unfähigkeit, komplizierte ökonomische und soziale Zusammenhänge zu erfassen und zu verstehen, führt sie zu einem vereinfachten und dogmatischen Denken, dessen voreingenommenes Ziel die Systemerhaltung ist. Im Grunde bedeutet das nichts anderes als die Erhaltung der Wesenszüge des 4

5

Vgl. Ryschkov, N., Bericht über ... Jahre 1986-1990. Vgl. Sik, 0., Machtsystem

81

Systems, so wie sie unter Stalins Herrschaft entstanden sind, d. h. die Erhaltung der führenden Rolle der kommunistischen Partei auch der Wirtschaft gegenüber, bei Nichtexistenz einer pluralistischen Demokratie. Zusammenfassend heißt das: die Beibehaltung der hierarchisch organisierten, auf Befehlsgewalt und Disziplin sich stützenden Planung und Leitung der gesamten Wirtschaft, bei Ablehnung des Marktmechanismus und nur formeller Beibehaltung des Marktes, ohne seiner Wirkung auf die Produktion. Da jedoch die wachsenden Effektivitätsverluste und Mißstände der Wirtschaft immer größer werden und die Unzufriedenheit der Völker derart steigt, daß auch die Herrschaft dieser Parteibürokratie zunehmend gefährdet wird, ist sie gezwungen, nach Verbesserungen zu suchen, jedoch nur nach solchen, die die Systemgrundzüge nicht verändern. Auf der anderen Seite stehen Kräfte, die nicht befürchten, daß sie durch Systemänderungen ihre Stellung gefährden würden, sondern eher, zusammen mit dem Großteil der Bevölkerung, sowohl ökonomisch als auch geistig und politisch, gewinnen könnten. Meist sind auch intellektuelle Vertreter dieser Kräfte fähig, komplizierte gesellschaftliche Probleme tiefergehend und komplexer zu erfassen bzw. lösen zu können. Diese reformerischen Kräfte kommen meist zu ähnlichen Plan-Markt-Ideen, welche bereits in den sowjetischen 20er Jahren entstanden waren. Oft hatten Reformer in den nichtsowjetischen sozialistischen Ländern keine Kenntnis der sowjetischen Plan-Markt-Vorstellungen, da die betreffende Literatur seit Stalins Zeiten unter Verschluß gehalten wurde. So erfuhren z. B. die tschechoslowakischen Reformer von der Existenz der betreffenden sowjetischen Theorien erst viel später, nachdem sie selbst mit Mühe "Amerika wieder entdeckt hatten". Die Tatsache, daß sie in vielem zu den gleichen oder ähnlichen Schlußfolgerungen gekommen waren, bestätigt nur die Logik der Plan-Markt-Vorstellungen für eine sozialistische Wirtschaft. Die Ähnlichkeit besteht allerdings nur in den Grundideen, also z. B. in der Erkenntnis, daß ein Marktmechanismus existieren und mit einer volkswirtschaftlichen Planung gekoppelt werden kann. Konkretere Vorstellungen über die Art der Planung, über die Art und Weise ihrer Verbindung mit dem Marktmechanismus, über Voraussetzungen eines funktionierenden Marktes usw., sind dann allerdings in den verschiedenen Reformentwicklungen sehr unterschiedlich vorhanden. Sowohl diese unterschiedlichen Erkenntnis- und Ideenentwicklungen bei den Reformern als auch politisch unterschiedlich stark wirkende bzw. bremsende konservative, dogmatische Kräfte, bilden die Ursachen sehr unterschiedlicher Reformentwicklungen bzw. auch eines unterschiedlich konsequent eingeführten Marktmechanismus in einzelnen sozialistischen Ländern. Bevor jedoch diese Unterschiede aufgezeigt werden, soll zuvor kurz etwas zu den Systemverbesserungsversuchen gesagt werden.

3 Systemerhaltende Verbesserungsversuche Diesen Verbesserungsbestrebungen können nur einige kritische Bemerkungen gewidmet werden, da sie in ihrer detaillierten Vielfalt hier gar nicht wiedergegeben werden können. Es handelt sich um eine riesige Menge kleiner Änderungen in den Planmethoden und -techniken, in Stimulierungsarten, in der Organisation der

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Planungsämter, Ministerien und Betriebe, in Plankennziffern, Leitungsvorschriften, Kontrollarten usw. Am meisten wird mit Änderungen von Anreizen experimentiert, mit welchen die Betriebsführungen und -kollektive zu einer besseren Planerfüllung stimuliert werden sollen. Man übersieht dabei geflissentlich, daß der vom Zentrum kommende Plan weder die konkrete Struktur des Bedarfs noch die effektivsten Produktionstechnologien, -organisationen und Innovationen für jeden Betrieb enthalten kann. Ob Lohnsteigerungen bzw. Prämien an das Wachstum der Bruttoproduktion, Nettoproduktion, Produktivität oder des Gewinnes gebunden sind, ohne Marktdruck werden die Betriebe immer Wege finden, den Plan bei kleinster Anstrengung auf Kosten der Konsumenten und der Effektivität zu erfüllen. In der CSSR wurde z. B. im Jahre 1980 ein Maßnahmenkatalog für die Verbesserung der planmäßigen Leitung der Volkswirtschaft angenommen 6 . Da er jedoch nicht zu einer Beseitigung der alten Planungs- und Planrealisierungsmängel geführt hat, wurde im Jahre 1984 von der Partei und Regierung ein weiteres Dokument zur Fortentwicklung des Maßnahmenkomplexes 7 verabschiedet. Doch auch dieses wird keine grundlegende Änderung bringen, denn es beinhaltet wieder nur eine Riesenmenge kleiner Änderungen von Plankennziffern und Stimulierungsvorschriften, ohne die Grundprobleme des sozialistischen Planungssystems, nämlich die Informationsmängel im Planungszentrum und die unökonomische Interessenausrichtung in den Betrieben, beseitigen zu können. Im weiteren soll ein Beispiel solcher wirkungsloser Planungs- und Stimulierungsänderungen angeführt werden. So wurde z. B. in der CSSR bei der Einführung des sogenannten "Maßnahmenkomplexes des Systems der planmäßigen Leitung" im Jahre 1980 als Hauptkennziffer für das Wachstum der Produktion und Produktivität statt der früheren Größe "Bruttoproduktion" die Größe "Nettoproduktion" mit der Bezeichnung "Eigenleistung" angenommen. Da in der Bruttoproduktion auch die Materialkosten und Abschreibungen enthalten sind, haben die Betriebe früher, im Bestreben nach Erfüllung der ständig höheren Planaufgaben für das Wachstum der Bruttoproduktion (bzw. der mit ihrer Hilfe berechneten Arbeitsproduktivität), Produkte mit hohen Materialkosten präferiert und unnötig Material und Investitio-

nen verbraucht. Mit der neuen Kennziffer "Eigenleistung" , in welcher die Materialkosten und Abschreibungen aus dem Bruttoprodukt abgezogen werden, glaubt das Planungsamt solche Betriebspraktiken verhindern zu können. Mit Hilfe der Eigenleistungs- bzw. Nettoproduktberechnung wird zwar die Vergeudung von Material nicht mehr direkt stimuliert, aber es wird trotzdem kein Interesse an einer bedarfsentsprechenden Produktionsstruktur geschaffen. Die Betriebe werden vorrangig solche Produkte produzieren, in deren Preisen höhere Gewinnspannen enthalten sind, denn Löhne und Gewinne bilden Bestandteile des Nettoproduktes (des neu geschaffenen Wertes). Da jedoch die Preise keine Marktpreise sind, die Gewinnspannen willkürlich differenzieren und nicht Nachfrageentwicklungen reflektieren, werden die Produzenten wieder Produkte mit höhe-

6 7

Auszug aus Maßnahmekatalog es SR ... 1980. Hauptrichtungen Maßnahmekomplex es SR ... 1984.

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ren Gewinnspannen präferieren, um so den Plan der Nettoproduktsteigerung leichter erfüllen zu können, völlig unabhängig vom realen Bedarf. Bei Existenz des Verkäufermarktes werden sie mit dem Absatz ihrer Produktion keine Schwierigkeiten haben. Würden echte Marktpreise existieren, könnte sich das Konsumenteninteresse den Produzenteninteressen gegenüber durchsetzen. Auch in der westlichen Marktwirtschaft beginnt bei starken Monopolen und Oligopolen die Durchsetzungskraft der Produzenteninteressen den Konsumenteninteressen gegenüber sofort anzusteigen. Jedoch bei Existenz einer absoluten Monopolisierung im Sozialismus, in Bedingungen eines Verkäufermarktes, bei Nichtexistenz von Marktpreisen und bei wachsenden Planauflagen, werden die monopolistischen Betriebe bzw. Betriebsvereinigungen immer voll nach ihrem einseitigen Interesse produzieren, ohne daß jemand die gesellschaftlichen Interessen ihnen gegenüber durchsetzen könnte. Darin besteht das eigentliche Dilemma, welches bisher keine Planreorganisation bei fortbestehender Unterdrückung des Marktmechanismus beseitigen konnte. So haben eine Menge kleiner Reorganisationen der Planungspraktiken zwar hie und da zu kleinen Verbesserungen geführt, das Zurückbleiben der sozialistischen Wirtschaft in Effektivität und flexibler Nachfragedeckung hinter einer Marktwirtschaft haben sie nicht verhindert. Deshalb mußte der Ministerpräsident, L. Strougal, am 17. Parteitag der KPC im März 1986 erneut feststellen, daß "das gegenwärtige System der Planung und Leitung nicht voll den Erfordernissen und Bedürfnissen für eine Intensivierung der Volkswirtschaft entspricht"8. Seine Kritik des Planungs- und Leitungssystems bewegte sich in der gleichen Richtung wie die Kritik in den Jahren 1957/58 bei dem ersten Reorganisationsversuch der Planung, dann erneut im Jahre 1963/64 beim Tätigkeitsbeginn der ökonomischen Reformkommission unter meiner Leitung, dann während des Prager Frühlings, anfangs April 1968, bei der Annahme des neuen Aktionsprogrammes, dann bei der Annahme des Maßnahmenkataloges im Jahre 1980 und schließlich bei seiner Weiterentwicklung im Jahre 1984. Immer wieder wird in fast gleicher Weise konstatiert, daß die Planung und Leitung nicht eine effektive Wirtschaftsentwicklung absichert, daß ~ Strougal wörtlich ~ der "Zentralismus, der sich nicht abgeschwächt hat, eine weitergehende, unübersichtliche Administration hervorgerufen hat, welche die schöpferische Aktivität und sozialistische Unternehmerinitiative unterbindet", daß man ein Leitungssystem braucht, bei welchem die Interessen der Werktätigen mit den Interessen der ganzen Gesellschaft harmonisiert würden usw. usw. Strougal forderte eine Verbesserung des Planungs- und Leitungssystems, bei welchem die "Wertinstrumente flexibel mit der Planung verbunden werden sollten, die Selbständigkeit und Verantwortung der Wirtschaftsorganisationen (Betriebe und Betriebsvereinigungen) erhöht werden, die Preise besser den Bedarf an Produktionsfaktoren, objektiviert durch Niveau und Struktur der gesellschaftlich notwendigen Kosten widerspiegeln sollten". Alles nur "vielversprechende" Worte, hinter welchen sich aber zu wenig neuer Inhalt verbirgt. Solange die Preise

8

Vgl. Strougal, L., Referat, S.4.

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zentral fixiert bleiben und es keinen Wettbewerb zwischen mehreren Warenanbietern gibt, können die Preise nicht die Nutzenbewertung durch die Konsumenten auf der einen Seite und eine effektive Kostenentwicklung bei den Produzenten auf der anderen Seite ausdrücken. Sie können also nicht zu einer Nutzenmaximierung und Kostenminimierung beitragen. Kein zentrales Preisorgan kann eine solche Preisentwicklung realisieren. Daher werden die administrierten Preise auch keine wirkliche Effizienzberechnung der Investitionen und der Produktion zulassen. Nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" ist in der Partei ein Tabu entstanden, das Strougal nicht anrühren darf. Alle Versuche, das Planungs- und Leitungssystem zu verbessern, sind auch für die Zukunft zum Scheitern verurteilt. Es ist schlicht verboten, vom unbedingt erforderlichen Marktmechanismus zu sprechen. Es dürfen daher auch die Voraussetzungen seines Funktionierens, die Bildung von Marktpreisen, die Einführung einer Gewinnbeteiligung, die Beseitigung der zentralen Produktionsplanung und die Einführung eines Wettbewerbsdruckes auf die Betriebe nicht in die Praxis vorgeschlagen werden. Solange jedoch dies nicht geschieht, so lange werden auch die Betriebe nicht gezwungen, nachfragegerecht, hocheffizient und innovativ zu produzieren und so lange wird die tschechoslowakische Wirtschaft in ihrer Effektivität immer mehr zurückfallen. Was für die Wirtschaft der Tschechoslowakei gesagt wurde, gilt für fast alle anderen Ostblockstaaten, ausgenommen Ungarn. Die Betriebe haben erst dann begonnen, sich rationaler zu verhalten, wenn durch bestimmte Teilmaßnahmen wenigstens teilweise ein Marktinteresse und Marktdruck entstanden ist. So führt z. B. in der DDR die eingeführte Umrechnung von Devisenerträgen für Westexporte sowie die Gewährung von Devisenanteilen für exportierende Betriebe bei Exportsteigerungen 9 zur Entstehung eines teilweisen Marktinteresses und zu einer etwas effektiveren Marktproduktion. Gleichzeitig hat dies allerdings zur Folge, daß die Produktion für den Binnenmarkt, auf welchem der Marktmechanismus weiterhin nicht funktioniert, vernachläßigt wird und die alten Versorgungs- und Qualitätsmängel weiter existieren. Auch mit dem letzten Beispiel bestätigt sich die Erkenntnis, daß immer dort, wo ein Markt real auf die Betriebe wirkt, sich auch ihr Interesse in Richtung gesellschaftlicher Interessen bewegt. Nur ein möglichst vollkommener Marktmechanismus kann zu einer Effektivitätssteigerung und Bedarfsausrichtung der sozialistischen Produktion führen. Gleichzeitig müßte jedoch eine makroökonomische Rahmen- bzw. Verteilungsplanung mit der dazugehörenden Wirtschaftspolitik dazu beitragen, die zyklischen Krisenstörungen, Massenarbeitslosigkeit und inflationären Entwicklungen, die die kapitalistische Marktwirtschaft plagen, vermeiden zu helfen. Nur auf diese Weise könnte auch eine sozialistische Planung eine ökonomische und soziale Berechtigung erlangen. 4 Systemverbesserungsversuche in der UdSSR Ohne Zweifel würde eine wirkliche Reformentwicklung in der UdSSR eine entscheidende Wirkung auf die gesamte sozialistische Entwicklung haben. Doch 9

Vgl. Thalheim et al. 1984, S. 72ff.

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gerade in der Sowjetunion scheinen bis jetzt die zentralistischen Vorstellungen noch sehr stark zu sein. Sowohl tief eingewurzeltes dogmatisches Denken als auch starke konservative Interessen einer breiten bürokratischen Herrscherschicht werden schwerlich unter Gorbatschevs' Führung genügend überwunden werden können. Außerdem ist unklar, ob seine eigenen Vorstellungen sich in Richtung einer wirklichen Reform bewegen. So sind in der UdSSR eher Entwicklungen zu erwarten mit dem Ziel organisatorischer und kadermäßiger Verbesserungen, jedoch bei Beibehaltung der alten Systemgrundzüge. Die Erkenntnis, daß die Sowjetunion in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung hinter dem Westen ungemein zurückgeblieben ist und daß sie mit der völlig veralteten Produktionsbasis keine genügende Steigerung der Arbeits- und Kapitalproduktivität mehr erreichen kann, hat nun unter der neuen Führung von Gorbatschev zur Ausarbeitung einer neuen Generallinie geführt. Das Ziel "beschleunigtes Wachstum der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, Intensivierung und Effektivitätssteigerung der Produktion aufgrund einer völligen Modernisierung und eines strukturellen Umbaues der Produktionsbasis" ist daher völlig verständlich. Wenn man die einzelnen Aufgaben und Zahlen betrachtet, die auf dem XXVII. Parteitag als Direktiven des 12. Fünfjahresplanes angeführt wurden, so kann man sie nur als gewaltig bezeichnen. Etwas problematisch wirkt sich jedoch die Tatsache aus, daß die dem heutigen System eigenen Mittel zur Realisierung der angestrebten Ziele des 12. Fünfjahresplanes grundsätzlich im Widerspruch stehen zu den wirklich benötigten. Die Zielrealisierung bleibt daher, wie bei allen vorangehenden Fünfjahresplänen, ungemein fraglich. Natürlich kann das nicht so aufgefaßt werden, daß kein Fortschritt in der angeführten Richtung erzielt werden könnte. Auch gibt es in beiden Referaten, sowohl von M. Gorbatschev als auch von N. Ryschkov 10 , einige Passagen betreffend die "Verbesserung der Leitungsmethoden der Produktion und Erhöhung der Selbständigkeit der Betriebe". Diese sind aber so vage formuliert, daß daraus bislang keine konkreten Schlußfolgerungen gezogen werden können. Das Schwergewicht aller Mittel und Maßnahmen zur Erreichung der fixierten Ziele liegt jedoch in der Sphäre zentraler Umorganisation von Ministerien und anderer Staatsorgane, in ihrer Ausrichtung auf die neue Aufgabenerfüllung und in der Umverteilung des Volkseinkommens sowie der Investitionsmittel in Richtung der neuen Aufgaben. Damit können natürlich einige Erfolge erzielt werden, bei weitem aber nicht die angestrebte Steigerung der Produktionseffektivität. Wenn z. B. das Hauptgewicht zur Erreichung einer moderneren Produktionstechnologie und Automatisierung der Produktion in der Sphäre der Maschinenproduktion gesehen wird, mit deren Hilfe auch die Elektroenergetik, die elektronische, chemische und petrochemische Industrie schneller entwickelt werden soll, so werden zur Erreichung dieses Zieles vor allem folgende Hauptmaßnahmen ergriffen: 1. wird ein neues zentrales Leitungsorgan geschaffen, ein sogenanntes Büro des Ministerrates der UdSSR für die Maschinenproduktion;

10

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Vgl. Referate von Gorbatschev, M. und Ryschkov, N.

2. soll die Maschinenindustrie um 90% schneller wachsen als die ganze übrige Industrie; 3. werden die Investitionsmittel insgesamt ungemein erhöht und zugunsten der nun präferierten Branchen stark umverteilt. Sicherlich wird damit eine Steigerung der Maschinenprodukte und darunter auch ein bestimmter Anteil modernerer Produkte erreicht. Als Planziel wurde die Steigerung einer Innovation der Maschinenprodukte von bisher 4,5% auf 13% bestimmt. Aber gerade in der qualitativen und innovativen Entwicklung der Produktion sowie in ihrer Effektivität, ist im zentralistischen und administrativen System die totale Unfähigkeit festzustellen, die reale Zurückgebliebenheit gegenüber einer marktwirtschaftlich stimulierten und unter Wettbewerbsdruck stehenden Produktion zu überwinden. Kein zentrales Organ und überhaupt kein absolut monopolisiertes Leitungsorgan, dessen Entscheidungsresultate konkurrenzlos sind und nicht in Frage gestellt werden können, wird wirkliche Spitzenprodukte hervorbringen. Betrachten wir doch einmal die Aussage N. Ryschkovs' in seinem Referat, daß z. B. das Ministerium der Metallurgie (für Nichteisenmetalle) im Jahre 1985 69 Investitionsprojekten aus den Jahren 1965-1975 die Anerkennung eines hohen technischen Niveaus zubilligte oder daß das durchschnittliche Alter von gegenwärtigen Investitionsprojekten in der Automobilproduktion 20 Jahre und mehr ausmacht, so spricht dies Bände über die Innovationsunfähigkeit dieses Systems. Was nützt es, wenn dies nun von höchster Ebene kritisiert wird und der Staatsausschuß der UdSSR für Anlageinvestitionen ermahnt wird, daß "er vieles für die Verbesserung der Projektierungsarbeiten in Zukunft tun muß"? Was kann ein zentrales Organ oder ein Ministerium für die Anhebung der Güterqualität, der Güterinnovation bzw. des Nutzwertes von Gütern hunderter ihm untergeordneten Unternehmen tun, wenn die Unternehmungsleitungen selbst sowie deren Forschungs- und Entwicklungsabteilungen genau das, was sie selbst hervorgebracht haben, für genügend befinden? Das zentrale Organ kann doch nicht bei zehn - ja hunderttausenden von Gütern seines Machtbereiches ihre Nutzenbewertung durch eine Riesenmenge von Verbrauchern ersetzen. Und die Verbraucher selbst, sei es die Bevölkerung bei Konsumgütern oder die Betriebe wieder als Abnehmer von Produktionsmitteln, können überhaupt nicht beurteilen, ob und wie die Nutzwerte, die Qualität, die Parameter der Produkte verändert bzw. verbessert werden könnten. Auch wenn sich die Abnehmer darüber klar sind, daß die Qualität verschiedener Güter schlecht ist, daß sie veraltet sind, daß sie ihnen nicht gefallen usw. usw., haben sie doch keine Auswahlmöglichkeit, keine Möglichkeit eines Übergangs zu Produkten anderer Produzenten. Die Produktion ist absolut monopolisiert, jeder Anbieter ist alleiniger Anbieter in seiner Branche, der Überhang der Nachfrage gegenüber dem Angebot ist in jeder Branche riesengroß (Verkäufermarkt). Der Anbieter ist daher den Abnehmern gegenüber alleiniger Herr. Er wird immer nur so viel an Mehrleistung = Mehrarbeit hervorbringen, als unbedingt nötig ist, um auch ein höheres Einkommen zu erzielen. Da aber ein sozialistischer Betrieb weder über höhere Preise besserer Produkte ein höheres Einkommen erzielen kann noch für schlechtere oder veraltete Produkte über niedrigere Preise ein niedrigeres Einkommen erzielt, 87

ist er an einer flexiblen und innovativen Struktur seiner Produktion nicht interessiert und arbeitet eben nur so viel, wozu ihn ein übergeordnetes administratives Organ direkt zwingen kann. Dies ist das Grundproblem dieses Wirtschaftssystems. Es ist bis heute äußerst fraglich, ob die neue Führung daran etwas ändern will. M. Gorbatschev sagte zwar in seinem Referat wörtlich: "Wir sind dabei, den Wirtschaftsmechanismus in der Leichtindustrie umzubauen. Das Ausmaß von Aufgaben, die den Betrieben von oben genehmigt werden, wird durchgreifend eingeschränkt; ihre Pläne werden vor allem aufgrund von Verträgen mit den Handelsorganisationen zusammengestellt werden, und diese sind wieder dafür verantwortlich, daß ihre Bestellungen der realen Nachfrage der Bevölkerung entsprechen. Mit anderen Worten, das wichtigste für die Produktionsbetriebe wird nicht die Bruttoproduktion, aber die Menge, das Sortiment und die Qualität der Waren sein, also das, was die Menschen brauchen. Außerdem planen wir die Einrichtung von industriell-hande1smäßigen Vereinigungen für die Produktion und den Verkauf von Waren der Leichtindustrie sowie eine Erweiterung des firmenmäßigen Handels" (des direkten Handels von Produktionsfirmen). Ohne Zweifel können solche Änderungen eine gewisse Verbesserung in der Versorgung der Bevölkerung bringen. Es geht nun nur darum, ob solche Maßnahmen nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Werden die Käufer auch weiterhin keine Auswahlmöglichkeit haben, wird sich auch wenig an dem Verhalten der Produzenten ändern. Wie alle bisherigen Erfahrungen aus Reformentwicklungen zeigen, sind halbe, inkonsequente Änderungen (wie im weiteren noch zu lesen sein wird) oft ärger als keine Änderungen; denn es wird dann weder die Logik des einen noch des anderen Systems erreicht. Und die Logik einer marktmäßigen Ausrichtung der Produktion besteht eben darin, daß die Produktionsbetriebe gewinnen, wenn sie optimal zugunsten der Konsumenten produzieren und daß sie verlieren, wenn sie nicht nachfragegerecht, nichtinnovativ und unwirtschaftlich produzieren. Um nun eine solche Produktionsentwicklung zu erreichen, genügt es nicht, eine direktere Verbindung zwischen den Produktionsbetrieben der Leichtindustrie und dem Handel mit Konsumgütern zu schaffen. Soll sich etwas ändern, müßten die Produzenten von Konsumgütern: 1. über direkte Preisbestimmungsmöglichkeiten und Gewinnbeteiligungen an einer optimalen Versorgung der Konsumenten interessiert sein; 2. unter einem Wettbewerbsdruck stehen und nicht monopolistische Anbieter sein, so daß die Konsumenten eine Auswahlmöglichkeit haben; 3. die Möglichkeit haben, sich aufgrund direkter Einflußnahme auf die Lieferanten der von ihnen benötigten Produktionsgüter und Investitionen (auch wieder über direkte Preisabmachungen) jene Produktionsgüter zu verschaffen, die sie selbst für ihre flexible Produktion benötigen. Ohne Wettbewerbsdruck und ohne marktmäßige Preisbewegungen, werden also die Produzenten von Konsumgütern auch bei direkter Verbindung mit dem Handel nicht zu wirklich flexibler, nachfragegerechter und innovativer Produktion gezwungen werden. Es hilft auch nicht das Versprechen Gorbatschevs "das System der Preisbildung, der Finanzierung und des Kreditwesens zu verbessern".

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Die Vorstellung, daß ein zentrales Preisorgan die Preise besser gestalten könnte, eine Vorstellung, die übrigens auch Oskar Lange einst für den Sozialismus entwikkelt hat l l , beachtet nicht die Interessenbeziehungen, die hinter der Preisbewegung stehen. Oskar Langes Idee, ein sozialistisches Preisamt könne die Knappheit der Konsumgüter anhand der Lagerentwicklung verfolgen - und gar besser als zersplitterte kapitalistische Kaufleute und Produzenten - geht nur von der Ratio aus und ignoriert die Interessen der Akteure. So betrachtet, könnte ein zentrales Preisorgan also tatsächlich verfolgen, wie sich die Lager einzelner Güterarten entwickeln, wo Mängel und wo Überschüsse entstehen und aufgrund dessen, bestimmte Preise hinauf- oder hinabsetzen. Übrigens auch manche westliche Preistheorien betonen oft nur die informative Rolle der Preise, womit sie solch vereinfachte Vorstellungen zentraler Preisgestaltungen gemäß der Marktentwicklung noch unterstützen. Wichtig ist jedoch, im Preis immer das Resultat von Interessenkonfrontationen zu sehen. Die Käufer mit ihrer Tendenz nach Preissenkungen und die Verkäufer nach Preissteigerungen, aus dem Interesse nach Nutzenmaximierung der ersteren und der Einkommensmaximierung der zweiten, müssen in ihrer gegenseitigen Interessenkonfrontation den Preis bestimmen. Damit der Preis tatsächlich zu einem Optimum hinstrebt, hat er sich aber in den Bedingungen einer vollkommenen Konkurrenz zu bewegen. Schon monopolistische und oligopolistische Bedingungen im Kapitalismus verhindern, wie allgemein bekannt, eine optimale Bildung von nutzenmaximierenden Gleichgewichtspreisen. Ein administratives sozialistisches Preisorgan, das selbst weder Einkommensgewinne noch Einkommensverluste aus der Preisbewegung trägt, kann nie und nimmer die Interessen von Abnehmern und Anbietern substituieren. Es wird unnötig große und/oder verspätete Preissenkungen bzw. zu hohe oder zu niedrige und/oder verspätete Preissteigerungen anordnen - kurzum, es wird bürokratisch, desinteressiert amtieren. Solche Preisbewegungen können bei ihrer Wirkung auf die Produktion noch unheilvollere Produktionsreaktionen und größere Widersprüche zwischen Angebot und Nachfrage schaffen als starre, administrative Preise. Bleibt jedoch die Preisbestimmung die bisherige, ohne Wettbewerb innerhalb jeder Branche und noch dazu bei einer administrativ geplanten Produktion von Produktionsgütern, dann werden die Konsumgüterproduzenten zwar in einer solchen Struktur produzieren, bei welcher sie das höchste Einkommen erzielen (vorausgesetzt, daß sie überhaupt an ihrem Verkauf ökonomisch interessiert sind), aber das wird dann eben nicht die Produktionsstruktur und die Innovationsentwicklung sein, die den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen würde, sondern eine solche, die den Produzenten ein maximales Einkommen bei minimaler Arbeitsanstrengung verschafft, also ein leichtes Leben ermöglicht. Es zeigt sich klar aus allen Erfahrungen, daß das Ziel, eine nachfragegerechte und hocheffektive Produktionsentwicklung auch sozialistischer Betriebe anzustreben, nur mit konsequent zu Ende gedachten Reformentwicklungen zu erzielen ist. Mit halbherzigen Schritten, welche dem dogmatischen Denken Konzessionen einzuräumen haben, werden nicht jene Effektivitätsentwicklungen erreicht, die das sozialistische Wirtschaftssystem benötigt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß in 11

Vgl. Lange, 0., S. 72ff.

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der UdSSR nicht einige Teilerfolge gegenüber dem bisherigen System erzielt werden könnten. Ein besonders wichtiges Instrument ist auch die Möglichkeit des zentralistischen Systems, die Einkommensverteilung dirigistisch zu planen und z. B. die Investitionsquote stark hinab- oder hinaufzusetzen. Die gesteigerten Investitionen können dann vorzugsweise in jene Branchen gelenkt werden, welche eine politische Priorität genießen. So wird auch jetzt in der UdSSR die Investitionsquote (Anteil der Nettoinvestitionen am Volkseinkommen) von bisherigen 18% auf25% angehoben. Die in den Jahren 1981-1985 investierten 125 Mrd. Rubel sollen in den kommenden fünf Jahren auf 170 Mrd. Rubel anwachsen. Nur zum Vergleich: in der Bundesrepublik machte die Investitionsquote der Unternehmen (gleiche Berechnungsmethode wie in der UdSSR) im Jahre 1983 nur 9.73% aus. Aufgrund der Investitionen soll die Arbeitsproduktivität in der UdSSR um 20-23% steigen. Die Anhebung der Investitionsquote auf eine solch enorme Höhe wird es natürlich ermöglichen, teils zentrale Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in Richtung neuer Technik und teils geplante Modernisierungen und Umstrukturierungen in der Produktionsbasis durchzuführen. Es darf nicht übersehen werden, daß auch die westlichen Industriestaaten gewaltige Summen aus dem Staatsbudget für kostspielige Forschungsvorhaben und Hochtechnologieentwicklungen ausgeben, um konkret fixierte Ziele zu erreichen. Sie erwarten davon eine Beschleunigung der technischen Erkenntnisse in solchen Bereichen, in welchen die Forschung und Entwicklung für das private Kapital zu kostspielig und risikovoll ist und daher nicht oder sehr verspätet realisiert würde. Die staatlich finanzierten Vorhaben bringen erstens sofort Auftragsankurbelungen für die private Wirtschaft und zweitens können neue technische Erkenntnisse zur Anwendung und Weiterentwicklung in der privaten Produktion entstehen. Daher kann auch die sowjetische staatliche Konzentration von gewaltigen Investitionsmitteln in speziellen zentralen Institutionen, mit dem Ziel, neue Techniken zu entwickeln bzw. sich auch im Westen entwickelte Techniken und Technologien anzueignen und für die Anwendung in der Produktionspraxis vorzubereiten, ohne Zweifel bestimmte Erfolge bringen. Ähnlich wie in der präferierten militärischen Entwicklung, können auch andere zentral finanzierte Aufgaben mit erster Priorität die technische Entwicklung beschleunigen. Das entscheidende Problem bleibt jedoch weiterhin, daß alle diese riesigen Mittel, vom Staat für solche Aufgaben aus der Wirtschaft abgeschöpft, aus einer Wirtschaft kommen, die eine verhältnismäßig niedrige Effektivität aufweist. Die Effektivitätssteigerung, die dann von der neuen Technik erwartet wird, läßt erstens noch sehr lange auf sich warten, und zweitens wird sie keine solche Effektivitätssteigerung in der Produktion hervorrufen, wie dies in der westlichen Wirtschaft der Fall ist. Solange sich nämlich das dirigistische Planungssystem nicht ändert und die Betriebe kein eigenes Interesse an höchsteffektiver Produktion entwickeln, wird auch die wirtschaftliche Ausbeute zentraler Anstrengungen in Richtung neuer Technik verhältnismäßig kleiner sein. Aus diesen Gründen müssen über viele Jahre hinweg die gesteigerten Investitionen für die zentral beschleunigte technische Entwicklung mit Hilfe einer Anhebung der Investitionsquote auf Kosten der Konsumtionsquote gewonnen werden. Das bedeutet also, daß in den nächsten Jahren das Wachstum der Kon90

sumtion wesentlich geringer als das Wachstum der Investitionen sein wird. Wenn daher von 1986-1990, gemäß Plan, das Volkseinkommen um 19-22% wachsen soll und die Investitionsquote, wie angegeben, auf 25% angehoben wird, dann wird natürlich das Lohnwachstum ein wesentlich langsameres sein als das Volkseinkommenswachstum. Dies ist auch der Grund, warum in keinem der beiden Referate Daten über das perzentuelle Wachstum der Löhne angegeben wurden. Die planmäßige Veränderung der Konsumtions- und Investitionsquote ist kein Nachteil der sozialistischen Entwicklung, denn - wie später eingehend behandelt wird - würde eine planmäßige Regulierung des Lohnwachstums und der Lohnquotenentwicklung und auf diese Weise indirekt auch der Konsumtions- und Investitionsquote, dem marktwirtschaftlichen System ebenfalls zugute kommen. Der große Nachteil besteht nur in der so ungemein niedrigeren Effektivität der sozialistischen Investitionsentwicklung, welche durch ein riesiges Quantum an Investitionen und eine derart hohe Investitionsquote ersetzt werden muß. In Kapitel IV. wird dann gezeigt, daß pro Investitionseinheit das Produktionswachstum in den sozialistischen Ländern wesentlich niedriger als in den kapitalistischen Ländern ist. Diese großen Effektivitäts- und Konsumtionsverluste könnten in der UdSSR nur mit Hilfe einer wirklich konsequenten und durchdachten Reform in Richtung eines sozialistisch-marktwirtschaftlichen Systems überwunden werden. Im weitem werden wirkliche Reformentwicklungen behandelt, wobei hier auch auf verschiedene Inkonsequenzen und schwerwiegende Fehler hingewiesen werden soll. 5 Die jugoslawische Systemreform Jugoslawien war das erste sozialistische Land, welches eine grundlegende Reform des - ursprünglich von der UdSSR kopierten - Wirtschaftssystems und damit auch des dazu gehörenden Planungssystems durchführte. Diese Reform war nicht das Ergebnis einer längerfristigen theoretischen Vorbereitung, sondern ist aufgrund des plötzlichen politischen Bruches der KPdSU sowie einer Mehrheit anderer kommunistischer Parteien mit der Kommunistischen Partei Jugoslawiens im Jahre 1948 erzwungen worden. Nach Abbruch aller Wirtschaftslieferungen (Waren, Kredite, Fachleute etc.) an Jugoslawien von Seiten der sozialistischen Länder, sah sich die jugoslawische politische Führung gezwungen u. a. auch eine Reform des Wirtschaftssystems einzuleiten, welche die Mobilisierung aller eigenen Kräfte und die Entfaltung einer breiten Initiative der Betriebe und ihrer Mitarbeiter hervorrufen sollte 12 • Aufgrund einer gezielten, vorwiegend politischen Kritik des stalinistischen Sozialismus, entwickelte sich allmählich die eigene Vorstellung eines sozialistischen Systems, welches - im Gegensatz zu dem kritisierten "etatistischen" System - ein auf Selbstverwaltung und Marktbeziehungen beruhendes sozialistisches System darstellte. Die Jugoslawen fanden in Marxens Arbeiten über die Pariser Kom-

12

Vgl. Drulovic, M. 1976, S. 36ff.

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mune Anhaltspunkte für ihre Vorstellungen über dezentralisierte und selbstverwaltete Arbeiterassoziationen. Diese wurden als Gegensatz zu den staatlich und bürokratisch von oben nach unten verwalteten Betrieben und zu der noch von Lenin durchgesetzten hochzentralisierten, hierarchischen Wirtschaftsorganisation (vorwiegend auf Engels Verstaatlichungsideen gestützt) aufgefaßt. Das System der assoziierten Arbeit, oft verkürzt auch als Sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet, übte in seinen Anfängen - trotz starker Anfeindungen durch die stalinistischen Kräfte in den anderen sozialistischen Ländern - eine starke Anziehungskraft auf alle reformwilligen Kräfte in diesen Ländern aus. Im jugoslawischen System wurde die zentralistische, dirigistische Planung abgeschafft. Es wurde erkannt, daß sie keine hocheffektive sowie nachfragegerechte Produktion zuläßt und daß sie die Initiative der Produktionskollektive drosselt. Versucht wurde, den Marktmechanismus mit Marktpreisen und einer marktgebundenen Einkommensentwicklung in den Betrieben wieder einzuführen. Dabei sollte das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln Gedoch nicht in seiner etatistischen Form) erhalten bleiben. Die Produktionsmittel aller Betriebe (mit Ausnahme der kleinen Privatbetriebe bis zu fünf Angestellten 13) sind gemäß Verfassung gesamtgesellschaftliches Eigentum. Sie werden den selbstverwalteten Betriebskollektiven zur Verfügung und Nutzung überlassen 14 • Die Betriebe sollen nicht nur ihrer Pflicht entsprechend arbeiten, sondern sie sollen auch ein Eigeninteresse an einer effektiven Nutzung der Produktionsmittel dadurch entwickeln, daß sie sich das erzielte Einkommen aus der Marktproduktion aneignen und darüber verfügen können. Statt der dirigistischen Planung wurde eine Art indikativer Planung eingeführt, mit deren Hilfe geglaubt wurde, die Produktions- und Bedarfsentwicklung besser koordinieren und großen Ungleichgewichten sowie Krisenstörungen vorbeugen zu können. Die volkswirtschaftlichen Pläne werden gleichzeitig von den Betrieben bzw. Selbstverwaltungsorganisationen und von den staatlichen Organen (Gemeinden, Republiken, Bund), den sogenannten primären Trägern von Planverpflichtungen, mit Hilfe sekundärer Planträger (Wirtschaftskammern und -zweige, politischen Organisationen und Gewerkschaften u. ä.) ausgearbeitet 15 . Die Pläne erfüllen die Funktion sowohl von Prognosen als auch von Koordinationsinstrumenten aufgrund von Verträgen und Absprachen zwischen den Planteilnehmern. Sie bilden gleichzeitig die verbindliche Grundlage für die Wirtschaftspolitik der Regierungen (des Bundes und der Republiken). Die Einführung des Marktsystems in die jugoslawische Wirtschaft hat zu einer Entfaltung der Initiative und des Marktinteresses der Betriebe geführt, was sich in einer wesentlich stärkeren Produktionsdiversifikation als in den Ländern mit dirigistischem Planungssystem äußerte. In der weiteren Entwicklung entstanden jedoch in Jugoslawien große Wirtschaftsschwierigkeiten, die teils durch spezifische Fehler des jugoslawischen Systems und teils durch falsche Wirtschaftspolitiken der Regierungsorgane, vor allem der Republiken, hervorgerufen wurden. Die ungenügende analytische Vorbereitung und auch alte ideologische Vorurteile bei 13

14 15

92

Vgl. Dobias P., 1969, S. 76. Vgl. HorvatjMarkovicjSupek 1975, S. 258ff. Vgl. Kleinewefers 1985, S. 236ff.

der Entstehung des jugoslawischen Systems haben zu schwerwiegenden Fehlern geführt. Diese Fehler konnten später nicht mehr beseitigt werden, weil erstens die entstandenen Systemzüge zu unantastbaren Dogmen erstarrten und zweitens sich spezifische, mit dem entstandenen System verbundene Machteliten ausbildeten, die eine jede Systemänderung zu verhindern suchten und suchen. Als entscheidender, systeminhärenter Fehler ist eine solche Auffassung des Selbstverwaltungssystems zu sehen, bei welchem den Betrieben auch das Entscheidungsrecht über die Aufteilung ihrer Einkommen, auf betrieblich benützte Fonds (Investitionen, Reserven u. ä.) und auf Fonds, die unter die Mitarbeiter individuell verteilt werden, übergeben wurde. Die Betriebe sollen nicht nur die Pflicht sehen, sondern auch ein Eigeninteresse an einer effektiven Nutzung der Produktionsmittel und Maximierung der Einkommen entwickeln, indem sie sich das erzielte Einkommen aus der Marktproduktion aneigenen und darüber verfügen können. Das ideologisch begründete Recht ("das Produktionskollektiv als Einkommensschöpfer habe auch über die Einkommensbenützung zu entscheiden")16 ignoriert erstens die Stärke kurzfristiger Einkommens- und Konsumtionsinteressen von Mitarbeitern kollektiver Betriebe und übersieht zweitens den Zusammenhang zwischen der Einkommensverteilung in einzelnen Betrieben und der Produktionsentwicklung in der ganzen Volkswirtschaft. Die Regierungen können den Betrieben weder Produktions- bzw. Investitionsaufgaben noch bestimmte Einkommensverteilungen bzw. -verwendungen aufzwingen. Außerbetriebliche Organe, die kommunalen Behörden, der Kontrolldienst SDK, die Partei u. ä. können zwar bestimmte Entwicklungen empfehlen, die Selbstverwaltungsorganisationen sind jedoch allein verantwortlich für die Produktions- und Verteilungsentscheidungen. Auch sogenannte Absprachen zwischen Unternehmen des gleichen Wirtschaftszweiges bzw. der gleichen Region über Lohnentwicklungen sowie gewerkschaftliche Einwirkungen können sehr unterschiedliche Einkommensaufteilungen in einzelnen Betrieben nicht beseitigen. Das heißt, daß letztendlich die Selbstverwaltungsorganisationen darüber entscheiden, wieviel sie aus ihren Nettoeinkommen (nach Abzug von Steuern und anderen Abgaben) für kollektive Zwecke (Investitionen, Rücklagen, gemeinschaftlichen Verbrauch) und wieviel für individuelle Arbeitsentlohnungen einsetzen 17 . Bevor die Folgen dieses ersten Fehlers gezeigt werden, soll noch ein zweiter, mit dem ersten zusammenhängender Fehler, erwähnt werden. Ebenfalls aus ideologischen Gründen wurde der Unterschied zwischen dem Lohn und dem Gewinn innerhalb der Betriebe beseitigt ("in der sozialistischen Wirtschaft Jugoslawiens gäbe es keinen Verkauf von Arbeitskräften und daher könne es auch keinen Lohn und Gewinn mehr geben")18. Dies bedeutet jedoch, daß die spezifische Lohnfunktion zum Unterschied von der spezifischen Gewinnfunktion in einer Marktwirtschaft völlig übersehen wird. Der Lohn bzw. die Lohndifferenzen (relative Löhne) zwischen veschiedenen Berufen und Arbeitstätigkeiten wirken entscheidend auf die Ergreifung dieses 16 17

18

Vgl. Leman, G., S. 155ff. Vgl. Drulovic, M., S. 94ff. Vgl. Leman, G., S. 156.

93

oder jenes Berufes durch die Individuen bzw. auf ihren Entschluß, sich dieser oder jener Arbeitstätigkeit zu widmen. Die Menschen vergleichen ganz spontan verschiedene Anforderungen, die eine Arbeitstätigkeit von ihnen verlangt, Anforderungen wie: die erwartete physische und geistige Anstrengung, die Qualifikationsanforderungen, die Verantwortungsbelastung, die gesundheitlichen Arbeitsbedingungen usw. Sie vergleichen diese mit der erwarteten Entlöhnung für die Arbeit, mit der Arbeitsbefriedigung, auch mit dem Berufsstatus. Wenn die existierenden Lohndifferenzen und Lohnentwicklungen nicht den Arbeitsbewertungen durch große Menschenmengen entsprechen bzw. für gleiche Arbeitstätigkeiten in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen sogar wesentlich unterschiedliche Individualeinkommen einbringen, wie dies in Jugoslawien der Fall ist (für die gleiche Arbeit Einkommensunterschiede von 1: 5 bis oft sogar 1: 8, 1: 9 und 1 : 10) 19, so muß dies die Arbeitsmotivationsfunktion des Lohnes völlig untergraben und große Unzufriedenheit bei den arbeitenden Menschen hervorrufen. Ein Lastwagenchauffeur, der für die gleiche Arbeit in seinem Betrieb z. B. nur einen Fünftel des Lohnes bekommt, den sein Kollege im Betrieb nebenan für die gleiche Arbeit erhält, wird nicht nur äußerst unzufrieden sein, sondern energisch auch um Lohnsteigerungen kämpfen. Mitarbeiter von weniger effektiven Betrieben werden im Hinblick auf die wesentlich höheren Entlohnungen für gleiche Arbeitstätigkeiten in effektiveren Betrieben einen starken Druck auf ihre Betriebsleitung und Arbeiterselbstverwaltung um Lohnanpassungen ausüben. Diesem Druck können diese selten standhalten. So kommt es zu starken Lohnsteigerungen, die nicht der realen Produktivitätsentwicklung entsprechen und inflationsfördernd wirken. Statt einer horizontal ausgleichenden Lohnpolitik nach dem Prinzip "für gleiche Arbeit gleichen Lohn", mit klar davon abgesonderten Gewinnbeteiligungen der Mitarbeiter einzelner Betriebe, wurde also ein fehlerhaftes Prinzip der individuellen Beteiligung an den Bruttoeinnahmen der Betriebe geschaffen. In der Gewinnentwicklung drückt sich - zum Unterschied von individueller Arbeitsleistung - die Produktionseffektivität eines ganzen Produktionskollektives aus (die Marktausrichtung der Produktion, die Wirtschaftlichkeit der Faktorenausnützung, die Flexibilität, Innovation und Qualität der Produktion ete.). Die kollektive Marktleistung eines Unternehmens ist nicht das gleiche wie die Summe individueller Arbeitsleistungen. Eine klar erfaßte Gewinnentwicklung ermöglicht nicht nur eine relativ verläßliche Effektivitätsmessung und Effektivitätsvergleiche unterschiedlicher Betriebe, sondern hilft auch, monopolistische, leistungsnichtgerechte Gewinnentwicklungen zu erkennen und konsequente Maßnahmen gegen diese zu ergreifen. Eine Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter würde dann das Interesse an der Effektivitätsentwicklung der Betriebe hervorrufen, ohne die Lohnentwicklungen im ganzen Land durcheinander zu bringen. Natürlich müssen sich die Lohndifferenzen auch ändern gemäß sich ändernder Verhältnisse zwischen Angebot und Nachfrage bei dieser oder jener Berufskategorie bzw. Arbeitstätigkeit. Deshalb sollte auch in einer sozialistischen Wirtschaft ein Lohnkatalog flexibel (z. B. jährlich) geändert werden und auf sich ändernde Berufsergreifungen und Arbeitsangebote im Verhältnis zu ihrem Bedarf in der 19

94

Vgl. Vasilev, K.R., S. 5

Wirtschaft reagieren. Dies bedeutet jedoch nicht, daß für dieselbe Arbeit in unterschiedlichen Unternehmen bzw. Branchen auch so große Unterschiede in der Entlohnung wie in Jugoslawien existieren sollten - soweit man unnötigen inflationsfördernden Druck auf Lohnsteigerungen ausweichen will. Unterschiede in der Entlohnung von Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen und Branchen sollten in der Form von Gewinnbeteiligungen existieren. In einer sozialistischen Marktwirtschaft könnte eben klarer unterschieden werden zwischen dem Lohn (nach dem Gerechtigkeitsprinzip "für gleiche Arbeit gleichen Lohn") und der Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter (nach dem Effektivitätsprinzip "für höhere Marktleistung des Betriebskollektives höhere Entlohnung für alle Beteiligten"). Diese Gewinnbeteiligung dürfte jedoch nicht einfach in der individuellen Entlohnung aufgehen, wie derzeit in Jugoslawien, sondern sollte klar getrennt die differenten und öfter schwankenden Gewinnentwicklungen der Unternehmen und Branchen wiedergeben. Die horizontale Ausgleichswirkung des Lohnes sowie die differenzierende Wirkung der Gewinnbeteiligung würde bestimmt von den arbeitenden Menschen - weil klar begründet - als gerecht empfunden werden. Meines Erachtens wird dieses Kriterium noch von vielen Ökonomen unterschätzt2°· Ein dritter großer Fehler besteht schließlich darin, daß im Zuge von fortschreitenden Dezentralisierungen ein einheitliches Kreditsystem für das ganze Land praktisch aufgelöst wurde. Es wurden verschiedene Geschäfts-, Wirtschafts- und Kommunalbanken gegründet, die weitgehende Rechte in der Vergabe von kurzfristigen Betriebs- als auch Investitionskrediten hatten. Besonders die Geschäftsbanken, die von den Gebietskörperschaften und/oder Betrieben gegründet2 1 und von den Gründern auch selbstverwaltet werden, sind in ihrer Tätigkeit von diesen Gründern entscheidend abhängig. Obwohl die zentrale Nationalbank Vorschriften für die Kreditvergabe ausgab, konnte sie eine inflationäre Kreditentwicklung nicht verhindern 22 • Die Bedeutung einer volkswirtschaftlich streng gesteuerten Geldmengenpolitik wurde völlig unterschätzt. Neben diesen drei grundlegenden Fehlern des Wirtschaftssystems muß noch ein Entwicklungsfehler in der Sphäre der Politik bzw. Wirtschaftspolitik aufgezeigt werden. Es wird festgestellt, daß in Jugoslawien die angestrebte Einschrän-

kung der Wirtschaftsreglementierung durch den Staat, gemäß des ideologisch begründeten Abganges vom "Etatismus" sowjetischer Provenienz zwar zu einer Schwächung der Wirtschafsmacht der Bundesorgane führte, aber gleichzeitig die wirtschaftspolitische Macht der staatlichen Organe und Bürokratie der einzelnen Republiken und Provinzen stark förderte. Die fortschreitenden Dezentralisierungen haben einen Etatismus neuer Art hervorgerufen, der das Selbstverwaltungssystem nicht stärkt, sondern schwächt2 3 . Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen (Steuerentwicklung, Auslandverschuldungen, Devisenbewirtschaftung u. ä.) sind in starkem Ausmaß auf die Republikregierungen übergeganVgl. Horvat, B., The Pricing . .. S.294ff. Vgl. Drulovic, M., Arbeiterselbstverwaltung, S.97. Dobias, P., Das jugoslawische ... S.118ff. 22 Vgl. Dietz R., et al., Die Wirtschaft.. S. 263. 23 Vgl. Iversen, H.Ch., Die jugosl. ... S. 13f.

20

21

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gen, was verheerende Folgen für die jugoslawische Wirtschaft hatte. Diese sollen kurz zusammenfassend gezeigt werden. In einem Wirtschaftssystem, in welchem der Gegensatz zwischen Lohninteressen der Arbeitnehmer und Gewinninteressen der Kapitaleigentümer fehlt, kann die Entscheidung über die Aufteilung der Betriebseinkommen nicht in die Hände der kollektiven Betriebsorgane gelegt werden. Schon in einem kapitalistischmarktwirtschaftlichen System zeigen sich sehr oft die unmittelbaren gewerkschaftlich vertretenen Lohninteressen so stark, daß die Lohnsteigerungen ein volkswirtschaftlich erträgliches Maß übersteigen und zu Krisenentwicklungen führen. Um vieles stärker hat sich das unmittelbare Interesse an den individuellen Einkommen in Jugoslawien, wo die entgegengesetzten Gewinninteressen einer besonderen sozialen Gruppe fehlen, erwiesen. In fast allen Betrieben haben die individuellen Einkommensfonds das volkswirtschaftlich vertretbare Maß überschritten, was auch durch politische Maßhalteaufforderungen nicht verhindert werden konnte. Da dies aber nicht auf Kosten der erforderlichen Investitionen gehen darf, werden die Investitionsmittel in den Betrieben auf folgende Art inflationär beschafft: 1. Mit Hilfe von zielbewußten Preissteigerungen werden Einkommen gebildet, die sowohl überhöhte Individualeinkommen als auch erforderliche Investitionsmittel zustande kommen lassen; 2. Bei eventuell noch immer fehlenden Investitionsmitteln werden diese auf leichte Weise durch Kredite aus betriebsabhängigen Banken beschafft. Diese Methoden führen zu einer galoppierenden Inflation, die zur Zeit an die 80% 24 und in manchen Jahren noch weitaus mehr ausmachte. Die inflationären Preissteigerungen sollten zwar mit Hilfe von staatlichen Preiseinfrierungen bzw. einzelner Preisreglementierungen durch Bund und Republikorgane gebremst werden. Jedoch all diese - marktnichtkonformen - Maßnahmen können den Preisanstieg nicht verhindern, da bei einer stark monopolisierten Produktion, möglichen Preisabsprachen zwischen Produzenten und Abnehmern, bei der Existenz von hunderttausenden von Güterarten und dem beständigen Nachfrageüberhang, ein Preisauftrieb nicht aufgehalten werden kann 25 . Abgesehen davon, verzerren alle administrativ fixierten Preise die Knappheitsrelationen und untergraben den Marktmechanismus. Die einst richtig angestrebte positive Wirkung des Marktmechanismus wird durch unzählige marktnichtkonforme und wettbewerbsbeschränkende Eingriffe vor allem der Republikorgane liquidiert. Die erwähnten monopolistischen Entwicklungen, bei nicht erkennbaren monopolistischen Einkommenssteigerungen, werden noch enorm durch wirtschaftspolitische Praktiken der Republikorgane verstärkt. Sie versuchen die Ausfuhr knapper Güter in andere Republiken Jugoslawiens abzubremsen, während sie die Zufuhr von Konkurrenzgütern aus anderen Republiken auf den eigenen Markt zu verhindern trachten, um den Absatz und die Beschäftigung eigener Betriebe zu schützen. Derartige protektionistische

24 25

96

Vgl. R.St., NZZ, 24.12.85. Vgl. Iversen, H.Ch., ebd. S. 15 u. 24.

Maßnahmen innerhalb eines Landes 26 verringern natürlich den Wettbewerb und fördern die negative, effektivitätseinschränkende monopolistische Entwicklung. Zu den gleichen Praktiken der Republikorgane, die das Leistungs- und Effektivitätsinteresse der Betriebe untergraben, gehören die Subventionstätigkeit bzw. die Steuernachlässe 27 . Wenig leistungsfähige und zurückbleibende, in die roten Zahlen gekommene Betriebe erhalten Steuernachlässe und Subventionen, werden saniert und lange nicht fallengelassen. Diese für selbstverständlich angesehene Praxis, bei welcher mit gemeinschaftlichen Mitteln die Trägheit und Lässigkeit einzelner Betriebe sanktioniert wird, wirkt sich natürlich verheerend auf den Wettbewerb aus. Eine solche Abschwächung des Marktdruckes und der Marktmotivation auf die Betriebe wirkt sich am negativsten auf den technischen Fortschritt und die Produktinnovation aus. Betriebe mit gesicherten Einkommenssteigerungen, ohne sich technisch und qualitativ besonders anstrengen zu müssen, bleiben auch in der Leistungsentwicklung immer mehr zurück. Ohne technischen Fortschritt kann es keine Produktivitätssteigerung, keine genügende Beschäftigungserweiterung, keinen Anstieg, ja Senkungen der Reallöhne 28 und daher auch kein Wachstum des Lebensstandards der Bevölkerung geben. Die Kapitalproduktivität (Verhältnis von Sozialprodukt zu den Anlagevermögen) ist von 1955 (0,63) bis 1982 (0,43) ständig gesunken 29 . In dieser Hinsicht kommt die jugoslawische Produktion in immer größere Nähe der ineffektiven und verlustreichen Produktion des sowjetischen Planungssystems. Auch die Konkurrenzfähigkeit der jugoslawischen Güter auf den westlichen Auslandsmärkten läßt nach. Der Abbau westlicher Verschuldung von 20 Mrd. Dollar sowie der unerhört großen Schuldenlast (40% der Deviseneinnahmen) wird immer schwieriger 30 . In den jugoslawischen Betrieben werden in breitem Ausmaß überflüssige Arbeiter weiter beschäftigt, während die reale Investitionstätigkeit in Richtung eines arbeitssparenden technologischen Fortschrittes völlig ungenügend verläuft. Dennoch gelingt es nicht, eine große Arbeitslosigkeit zu überwinden. Hauptursache dieser Arbeitslosigkeit sind ungenügende Erweiterungsinvestitionen zur vermehrten Arbeitsplatzbeschaffung sowie auch ungenügender technischer Fortschritt zur besseren Konkurrenzfähigkeit der jugoslawischen Produktion. Die jugoslawische Wirtschaftspraxis ist nicht imstande, ein höheres Einkommen, somit größere Investitionsmittel und dementsprechend auch eine höhere Beschäftigung, abzusichern 31 . Die Ursachen der ungenügenden, quantitativen als auch qualitativen Investitionsentwicklung liegen aber in den beiden erwähnten - scheinbar entgegengesetzten - Systemmängeln : 1. Zu wenig volkswirtschaftliche Planung und Lenkung der funktionalen Einkommensverteilung (Aufteilung auf Löhne und Gewinne sowie Umverteilungen, aus welchen konsumtive und investive Endeinkommen entstehen); 26 27 28 29

30 31

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

R.St., NZZ 24.12.85. Iversen, H.Ch., ebd. S. 51. Iversen, H.Ch., ebd. S. 3. Iversen, H.Ch., ebd. S. 11. Kohlschütter, A., Weltwoche, Zürich, 16.1.86. Kohlschütter, A., ebd.

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2. Zu wenig Markt- und Wettbewerbsdruck auf die Betriebe (Inkonsequenzen bei der Einführung des Marktmechanismus). Als letztes muß schließlich noch die negative Einstellung der politischen Organe zu einer privaten Unternehmertätigkeit erwähnt werden, die ebenfalls nur ideologischen Motiven entspringt. Existierende private Unternehmen dürfen nicht mehr als 5 Angestellte beschäftigen. Eine Ausweitung des privaten Sektors wurde bis vor kurzem mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Damit beraubte sich der Staat natürlich nicht nur der privaten Initiative und möglicher Verbesserungen in der Versorgung der Bevölkerung, sondern ebenfalls der Schaffung neuer Arbeitsplätze für tausende von arbeitslosen Jugoslawen. In der Gegenwart beginnt sich in einigen Teilrepubliken eine neue Einstellung zu privaten U nternehmen und eine Unterstützung ihrer Gründungen durchzusetzen. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Fehler und Mängel des jugoslawischen Systems nicht als Argument gegen den Versuch einer marktmäßigen Reform des dirigistischen Planungssystems sowjetischer Prägung benützt werden können. Im Gegenteil, die meisten hier institutionalisierten Fehler sind Ausdruck einer ungenügenden Überwindung des alten dogmatischen marxistischen Denkens sowie eines zu halbherzigen Versuches, den Marktmechanismus zugunsten einer effektiven sozialistischen Entwicklung auszunützen. Um die schwerwiegendsten Mängel des jugoslawischen Systems zu überwinden, ist auf der einen Seite die Zentralisierung wichtiger wirtschaftspolitischer Entscheidungen erforderlich, um die Förderung eines einheitlichen jugoslawischen Marktes zu ermöglichen. Das beinhaltet nicht nur die Vereinheitlichung der Geldmengen- und Kreditpolitik, der Devisenbewirtschaftung (in dieser Hinsicht wurde bereits einiges unternommen) und der Steuerpolitik, sondern vor allem auch eine einheitliche Einkommensverteilungspolitik (planmäßige Lohnregulierung, Gewinnbeteiligungsregeln u. ä.). Gleichzeitig sollten auf der anderen Seite alle Praktiken beseitigt werden, die den Marktwettbewerb einschränken und monopolistische Entwicklungen unterstützen (Beseitigung inländischer Protektionspolitiken, ziel bewußte antimonopolistische Maßnahmen und Wettbewerbsförderungen, starke Einschränkung der Subventionstätigkeit usw.). Nur so könnte Jugoslawien die Effektivität seiner Wirtschaft erhöhen und dazu beitragen, die Lebensfähigkeit und Vorteile einer sozialistischen Marktwirtschaft gegenüber einem dirigistischen Planungssystem zu beweisen. Eine Rückkehr zur dirigistischen Planung sowjetischer Prägung würde die Effektivitätsverluste nur noch vergrößern, da sich die Informationsgewinnung und das Effektivitätsinteresse in den Betrieben verschlechtern würden. Die erforderliche Stärkung der zentralen Wirtschaftspolitik auf Bundesebene hat nichts zu tun mit einer zentralen Produktionsplanung. Sie soll vor allem mit Hilfe einer Geld-, Kredit- und Einkommenspolitik die Überwindung der Inflation und eine gleichgewichtige Entwicklung der Konsumtion mit arbeitsschaffenden Investitionen absichern. Gleichzeitig muß jedoch die Stärkung des Marktmechanismus (Marktpreise, Wettbewerb und Gewinnmotivation) das Effektivitätsinteresse in den Betrieben steigern. Trotz der aufgezeigten grundlegenden Mängel hat die jugoslawische Reformentwicklung als erste neue Entwicklungsmöglichkeiten für ein sozialistisches

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Wirtschaftssystem aufgezeigt. Die Fehler haben zwar verhindert, daß das jugoslawische System zu einem beispielhaften sozialistischen Alternativmodell wurde, aber die offensichtlich richtige Wiedereinführung des Marktmechanismus sowie eines Selbstverwaltungssystems, bei Beseitigung der dirigistischen Planung, hatten die Wirkung einer Initialzündung für Reformversuche in vielen anderen sozialistischen Ländern.

6 Tschechoslowakische Reformvorstellungen Die Entwicklung der Reformvorstellungen in der eSSR ist vor allem charakterisiert durch eine sehr lange theoretische Vorbereitungszeit. Leider sollte es dann nicht erlaubt sein, die Richtigkeit der Theorie in der Praxis unter Beweis zu stellen. Die theoretische Vorbereitung eines neuen sozialistischen Wirtschaftsrnodelles begann im Grunde bereits im Jahre 1958 und wurde ab 1963 mittels einer Reformkommission bis zum Jahre 1968 weitergeführt. Auch nach der militärischen Invasion in die es SR und der folgenden politischen Unterdrückung der ersten Reformschritte, bei einer Restaurierung des alten dirigistischen Planungssystems, wurde die Reformtheorie von tschechischen emigrierten Ökonomen weitergeführt. Die tschechoslowakischen Reformvorstellungen gehen mit der jugoslawischen Reform in dem Sinne konform, als sie auch eine Koppelung von Plan und Markt, bei Beibehaltung von überwiegend sozialistischen Eigentumsformen, anstrebten. Die tschechoslowakischen Reformer versuchten jedoch von Anfang an, aus den Mängeln der jugoslawischen Entwicklung zu lernen und systeminhärenten Fehlentwicklungen auszuweichen. Es ist aber zu betonen, daß die heutige Kritik der jugoslawischen Systemmängel wesentlich tiefer geht, als sie noch im Jahre 1968 gehen konnte und daß man bei einer praktischen Entwicklung der Reform in der es SR im Jahre 1968 höchstwahrscheinlich diese oder jene Fehler der jugoslawischen Reform auch nicht vermieden hätte. Wichtig war jedoch das entscheidende Bestreben, ein offenes System zu errichten und eine pluralistische politische Demokratie einzuführen. was die Kritik und Überwindung aufgedeckter Fehler im Wirtschafts system erleichtert hätte. Die wichtigsten Ideen der tschechoslowakischen Wirtschaftsreformer waren und sind folgende 32 :

1. Nach Beseitigung der dirigistischen Planung soll eine demokratisch wählbare (aus einigen Alternativen) Orientierungsplanung, bezeichnet auch als makroökonomische Verteilungsplanung, eingeführt werden; 2. Die Einführung von Marktpreisen kann nicht von heute auf morgen geschehen, sondern muß stufenweise und mit Hilfe von einigen Preisbildungsarten (zentralfixierte, limitierte und freie Preise), bis zum Übergang zu allgemein freien Preisen vor sich gehen; 3. Es soll ein Marktwettbewerb mit konsequenten antimonopolistischen Maßnahmen und eine Vertiefung der Markttransparenz eingeführt werden; 32

Vgl. Sik 0., 1985 b.

99

4. Der Außenhandel soll stufenweise liberalisiert werden mit dem Ziel, eine konvertible Währung und einen freien Devisenhandel einzuführen; 5. Die Einkommensverteilung, Kredit- und Geldmengenentwicklung soll zentral reguliert werden, um Inflation und Krisenstörungen zu vermeiden; 6. Selbstverwaltungsorgane in den Betrieben, bei pluralistischen Wahlverhältnissen und bei einem Übergang zu demokratischen Leitungsmethoden mit autonomen Arbeitsgruppen, sollen zur Entfaltung kommen; 7. Gewinnbeteiligungsfonds für die Mitarbeiter sollen durch Allgemeinregeln reguliert werden. Zugleich sollen übersichtliche Gewinnzentren in den Betrieben geschaffen werden; 8. Private Unternehmertätigkeit ohne Begrenzung der Angestelltenzahl, aber bei indirekt regulierter Gewinnentnahme aus den Betrieben durch die Unternehmer, soll gefördert werden. Die wichtigste Neuerung ist ohne Zweifel die Makroverteilungsplanung mit der regulierten Einkommensverteilung und Kreditentwicklung. Ihr Hauptziel ist die Verhinderung von Makrogleichgewichtsstörungen bzw. zyklischen Konjunkturschwankungen mit Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit 33 • Gleichzeitig soll damit die Möglichkeit einer demokratischen Auswahl eines mittelfristigen Planes der sozioökonomischen Entwicklung durch die Bevölkerung aus zwei bis drei Alternativplänen gegeben werden. Verschiedene Entwicklungskonstellationen wären auszuarbeiten, bei welchen unterschiedliche sozioökonomische Ziele, wie eine Steigerung der privaten Konsumtion, ein Wachstum öffentlicher Bedarfsbefriedigungen, ein bestimmtes Wachstum der Investitionen und Produktion, eine Verkürzung der Arbeitszeit und Neugestaltung der Freizeit, eine Sicherung und Verbesserung der Umweltentwicklung u. ä., unterschiedlich kombiniert wären. Sie sollten der Bevölkerung - in Verbindung mit politischen Wahlen - als Alternativpläne, von verschiedenen politischen Parteien initiiert und unterstützt, zur Auswahl vorgelegt werden. Die Makroverteilungsplanung hätte für die Betriebe nur indikativen Charakter und könnte mit Hilfe einer zielbewußt koordinierten Wirtschaftspolitik, Fiskal-, Einkommens-, Kredit-, Währungs- und Außenwirtschaftspolitik realisiert werden. Der Marktmechanismus würde durch diese Wirtschaftspolitik nicht einge-

schränkt werden. Die Selbständigkeit der Betriebe in Investitions- und Produktionsentscheiden bliebe voll erhalten, und eine strikte Wettbewerbsförderung mit antimonopolistischen Maßnahmen sollte den Marktmechanismus noch funktionsfähiger gestalten. Nur die Entwicklung der durchschnittlichen Löhne, der Mitarbeitergewinnbeteiligungen und der Unternehmerlöhne (Gewinnentnah~ men) sowie die Aufteilung der Bankenkredite auf investive und konsumtive Kredite würden einer planbedingten Regulierung, gemäß des demokratisch erwählten Makroverteilungsplanes, unterliegen (Einkommens- und Kreditpolitik). Dieses Modell einer demokratischen, humanen, sozialistischen Marktwirtschaft kann als theoretisches Resultat der tschechoslowakischen Reformentwicklung angesehen werden. Eine mögliche Entwicklung in dieser Richtung wird auch als "Dritter

33

Vgl. Sik 0., 1986 c.

100

Weg"34 bezeichnet. In den letzten Jahren entwickelten sich in andern Ländern Reformen, die den Zielen dieses Modelles nahe kommen bzw. von diesen zum Teil beeinflußt werden. Es handelt sich um die Reformentwicklungen in Ungarn und China.

7 Reformentwicklung in Ungarn Die ungarische Reform strebt ein ähnliches Wirtschaftsmodell an, wie es einst die Reformer in der CSSR bis zur Unterdrückung des Prager Frühlings, verfolgten. Der wichtigste Unterschied ist jedoch darin zu sehen, daß in Ungarn, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus der CSSR, keine wesentlichen Änderungen des politischen Systems sowie keine Selbstverwaltungsordnung angestrebt wurden. In Bedingungen des alten kommunistischen Einparteiensystems werden ziemlich grundlegende Änderungen des Wirtschaftssystems realisiert, die aber eben wegen der politischen Schranken in manchen Bereichen inkonsequente Kompromisse mit dem vorangehenden dirigistischen Planungssystem aufweisen. Aufgrund der politischen Entwicklung muß der Unterschied zwischen angestrebten bzw. offiziell beschlossenen Reformzielen und der realen Praxis, die andauernd auch von bürokratischen Kräften beeinflußt wird, vor Augen gehalten werden 35 . Die dirigistische Produktions planung wurde offiziell aufgehoben. Die Betriebe sollen ihre Produktion und Investitionen selbständig nach dem Markt ausrichten. Die selbständige Investitionsentwicklung aus den Betriebseinkommen wird allerdings noch zu sehr durch relativ hohe Einkommensabschöpjungen aus den Betrieben durch den Staat gebremst. Staatliche Investitionsentscheide betreffen nicht nur Investitionen in der Sphäre staatlicher Dienstleistungen, sondern auch im Bereich der marktwirtschaftlichen Produktion. Dies wird von Reformern als Übergangserscheinung angesehen, solange das Preissystem die Marktverhältnisse noch ungenügend reflektiert 36 . Damit wird aber die Verantwortung der Betriebe für die eigene marktausgerichtete und effektive Produktionsentwicklung eingeschränkt. Eine weitgehende Selbständigkeit haben die landwirtschaftlichen Genossenschaften erlangt, und daher bleiben viele Bereiche der LPG (landwirtschaftliche Genossenschaften) völlig frei von Planauflagen; insbesondere naturale Produktions- und Absatzmengen werden nicht mehr vorgeschrieben. Die landwirtschaftliche Produktion und das Lebensniveau der Landbevölkerung ist stark angestiegen 37. Der allmähliche Übergang zu Marktpreisen wird mit Hilfe eines Systems unterschiedlicher Preisbildungsgruppen verfolgt (staatlich fixierte Preise, limitierte Preise, freie Preise): Das entscheidende Kriterium für die staatliche Preisbildung, die einen Großteil der Preise betrifft, sind die Preisrelationen auf den westlichen Märkten. Bei diesem "kompetitiven Preissystem" werden die Preise zwar wesentlich flexibler als im alten administrativen System geändert, die staatliche Preisbe34 35 36

37

Vgl. Sik, 0., Humane ... und Sik, 0., Ein Wirtschaftssystem ... Vgl. Friedländer M., 1984, S.74ff. NZZ 9.2.85, Ungarnartikel. NZZ 7.12.82, Ungarnartikel.

101

stimmung kann jedoch das reale Verhältnis von Nachfrage- und Angebotsentwicklung am heimischen Markt nicht genügend wiedergeben. Auch der Wettbewerb am Binnenmarkt wird als Folge der alten, nur zum Teil aufgelösten staatlich-monopolistischen Organisation zu wenig gefördert 38 . Die Beschränkungen im Bereich der Investitionen, der Preis bildung und des Wettbewerbes haben zur Folge, daß die nachfrageentsprechenden Strukturwandlungen, die Innovationstätigkeit und das Effektivitätsbestreben in der Produktion noch nicht befriedigend entwickelt sind. Auftretende Versorgungslücken, Effektivitätsverluste und besonders Exportschwierigkeiten sowie Auslandsverschuldung rufen immer wieder Rückfälle in alte bürokratische Leitungsmethoden und staatlich-administrative Gängelungen der Betriebe hervor. Sie sind gleichzeitig Ausdruck der bürokratischen Machtinteressen, die sowohl im Bereich des Staats- als auch Parteiapparates noch nicht ganz überwunden wurden 39 . Die reformerischen Kräfte suchen und entfalten jedoch Wege und Maßnahmen vor allem zur Wettbewerbsförderung, um den Marktdruck auf die Effektivitätssteigerung in der Produktion zu stärken. Wichtige Neuerungen auf dem Gebiet des Kreditwesens und der Kapitalallokation sind teilweise bereits durchgeführt bzw. befinden sich in Vorbereitung. Das Bankensystem wird durch die Entwicklung selbständiger effektivitätsinteressierter Geschäftsbanken modernisiert, mit dem Ziel, die Kapitalmobilität zu erhöhen 40 . Es werden Leasing-Gesellschaften gegründet; auch kommen bestimmte Aktiengesellschaftsformen, wie z. B. die GmbH, zur Mobilisierung von Ersparnissen für die Produktionsentwicklung zur Anwendung. Das Wechselkurssystem wurde flexibilisiert. Solche und weitere Maßnahmen sollen zum besseren Funktionieren des Marktmechanismus beitragen. Der Wettbewerbsförderung dienen auch die Unterstützung privater Unternehmungstätigkeit sowie verschiedene Formen genossenschaftlicher und gemischtwirtschaftlicher Betriebsentwicklung. Auch die Kooperation von heimischen und ausländischen Unternehmen wird mit Erfolg ausgeweitet41 . Im gleichen Maß, wie der Marktdruck und die Marktmotivation in der ungarischen Produktion wachsen, sollten die nichtmarktmäßigen staatlichen Reglementierungen der Betriebe zurückgehen. Besonders wichtig wäre die Einschränkung staatlicher Subventionstätigkeit für zurückbleibende Betriebe. Subventionen haben in Ungarn noch immer ein breites Ausmaß. Das bislang eingewurzelte Bewußtsein der Betriebe, bei Unrentabilität vom Staat nicht fallengelassen zu werden, untergräbt ihr Effektivitätsbestreben. Es wird heute jedoch bereits ein Gesetz vorbereitet, das Konkurse regeln und die Schließung von unrentablen Unternehmen erleichtern so1l42. Die Planung in Ungarn mit Hilfe langfristiger Programme und mittelfristiger Pläne ist auf die Bestimmung von makroökonomischen Niveaugrößen (Wachstum des Volkseinkommens, der privaten und öffentlichen Konsumtion, der Inve38

39 40 41 42

Vgl. Czege 1984, S. 15 und Friedländer 1984, S. 40ff. NZZ 28.5.83, Ungarnartikel. NZZ 9.2.85, Ungarnartikel. NZZ 21.11.84, Ungarnartikel. NZZ 21.11. 84, Ungarnartikel.

102

stitionen, des Außenhandels etc.) ausgerichtet, deren Realisierung mit Hilfe von wirtschaftspolitischen Instrumenten (abgesehen von den administrativen Überbleibseln) erreicht werden soll. Im Unterschied zur jugoslawischen Planung wird in Ungarn versucht, die Erreichung der angestrebten Konsumtions- und Investitionsentwicklung mit Hilfe zentral geplanter Regeln zur Einkommensverteilung in den Betrieben abzusichern. Das Lohnwachstum ist durch eine Berechnungsformel an die Leistungsentwicklung der Betriebe gebunden. Die Betriebe können ihre erwirtschafteten Nettogewinne - nach Abzug aller Steuern und Abgaben sowie der Lohnzuschläge - für Reserven und Investitionen verwenden43 . Eine solche indirekte Absicherung der Investitionsentwicklung durch die Regulierung des Lohnwachstums (und damit auch indirekt des privaten Konsumtionswachstums), ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine planmäßige Wirtschaftssteuerung und Krisenvorbeugung. Fraglich bleibt jedoch die mangelhafte Unterscheidung von Löhnen und Gewinnbeteiligungen in Ungarn, da berechnete Gewinnteile den Löhnen direkt zugerechnet werden (nach der Lohnformel) und das Lohnniveau daher in unterschiedlichen Betrieben von Jahr zu Jahr mehr auseinanderdriften muß. Hier wird nicht unterschieden zwischen erforderlichen Lohndifferenzen für unterschiedliche Berufe bzw. Tätigkeiten und den Marktleistungen der Betriebe. Damit wird ein berechtigtes Arbeitsentlohnungsprinzip "für gleiche Arbeit gleichen Lohn" negiert, was zukünftige, große Wirtschaftsschwierigkeiten mit sich bringen kann. Eine vom Grundlohn klar getrennte und jedes Jahr nach der Gewinnentwicklung berechnete Gewinnbeteiligung würde die erforderliche Motivation der Mitarbeiter an der Effektivitätssteigerung der Betriebe, ohne Verletzung des Arbeitsentlohnungsprinzips, besser absichern. Zu den Reformzielen in Ungarn gehört auch eine Demokratisierung in den Betrieben in Richtung einer Beteiligung der Mitarbeiter an der Auswahl der Betriebsdirektoren, einer Mitbestimmung der lang- und mittelfristigen Geschäftspolitik u. ä. Betriebsmitarbeiter, die durch Gewinnbeteiligung die Folgen grundlegender Entscheide bzw. Leitungsfähigkeiten der Manager direkt materiell zu spüren bekommen, müssen auch die Möglichkeit haben, bei der Auswahl bzw. Abwahl dieser Manager, bei grundlegenden Entscheiden über die Betriebsentwicklung etc. mitzusprechen. Dessen sind sich die ungarischen Reformer bewußt. Erste Schritte in dieser Richtung in Form von gewählten Betriebsräten mit Mitbestimmungsrechten bzw. gewählten Betriebsleitungen in Betrieben bis zu 500 Mitarbeitern wurden auch schon realisiert44 • Allerdings ist der Widerstand der alten ministeriellen Bürokratie gegen diese Entwicklung besonders stark. Trotz aller bürokratischer Bremsversuche, politischer Inkonsequenzen und verschiedenster Überbleibsel der alten dirigistischen Planung ist die ungarische Weiterentwicklung eines sozialistischen Plan-Markt-Modelles als erfolgreichstes praktiziertes Modell zu bewerten. Die Schwierigkeiten, welche die ungarische Wirtschaft in der Gegenwart zu bewältigen hat, sind wesentlich kleiner als diejenigen Jugoslawiens; sie werden nicht so sehr durch Fehler des erwählten Systems, sondern durch die erwähnten Inkonsequenzen und besonders durch den noch zu stark beschränkten Marktwettbewerb, als auch durch die allgemein schwierigeren 43 44

Vgl. Friedländer M., 1984, S. 24ff. NZZ 28.5.84 und 25.1.85, Ungamartikel.

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Absatzbedingungen auf den Außenmärkten in der Gegenwart hervorgerufen. Die reformbeteiligten Ökonomen Ungarns aus Theorie und Praxis gehen sehr zielbewußt bei der Vervollkommnung des reformierten Systems vorwärts 45 . Es ist zu erwarten, daß sie imstande sein werden - wenn keine politischen Rückschläge eintreten - viele der erwähnten Schwierigkeiten zu überwinden. 8 Reformentwicklung in China

In die Nähe der ungarischen Reform rückt mit einigen Zielprozessen die Reformentwicklung in China, auch wenn sie noch vieles in dieser Hinsicht im unklaren läßt. Sie kann hier nicht eingehender behandelt werden, obgleich sie nicht nur für China, sondern für die ganze sozialistische Weltentwicklung und über diese hinaus von größter politischer Bedeutung ist. Eine wirkliche Durchsetzung marktorientierter Selbständigkeit der Industriebetriebe hat die Reform bislang erst ungenügend gebracht. Ein solches Ziel wird jedoch angestrebt. Der dirigistische Charakter eines naturalen Planes soll in chinesischen Betrieben allmählich abgebaut werden, während die Warenproduktion zu Marktpreisen immer stärker gefördert werden so1l46. Gleichzeitig wird jedoch ein geld- und kreditmäßiges Verteilungs- und Kontrollsystem derart ausgebaut, daß die finanzielle Selbständigkeit der Betriebe stark beschnitten bleibt. Neben steuerlich abgeschöpften Gewinnen sollen auch alle Abschreibungen und Umlaufmittel über ein neugebildetes System von Regional-, Orts- und Fabrikbanken aus den Betrieben konzentriert und gemäß zentraler sowie dezentraler Strukturpläne in Form von Krediten umverteilt werden. Die Strukturpläne werden nicht mehr den Charakter von verbindlichen Produktionsaufgaben in Naturalform haben, sondern werden in Wertgrößen ausgearbeitet. Auf diese Weise können Effektivitätskriterien, wie die Kreditrückflußdauer, Zinsverpflichtung u. ä. die Kreditvergabe beeinflussen 47 . Die Strukturpläne sollen - ähnlich wie in Jugoslawien - durch ein System von Verträgen zwischen Güterproduzenten und wirtschaftlichen Organen in Verwaltung, Handel, Banken und Finanzwesen unterlegt werden. Bei diesem Vertragssystem können sich jedoch verschiedene machtpolitische, regionale, örtliche, institutionelle Interessen gegenüber marktmäßigen Effektivitätskriterien als die stärkeren erweisen 48 . Wenn die Banken nicht über Gewinnbeteiligungen ihrer Mitarbeiter an der höchsteffektiven Kreditvergabe interessiert sein und nicht selbst in gegenseitigem Wettbewerb stehen werden, besteht die Gefahr, daß die Kreditverteilung und daher die Strukturentwicklung in der Produktion wieder auf Umwegen durch bürokratische Entscheidungen marktentfremdet verzerrt werden kann.

45 46 47 48

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

104

Richtlinien 1985. Beschluß des Zentralkomitees .... vom 20.10.84. Pillath C.H., 1985, S. 27[f. Pillath C.H., 1985, S.40f.

Abgesehen von diesem noch sehr unklaren planungsfinanziellen System hat die Entwicklung von Marktverhältnissen in China starke objektive Hindernisse 49 • Ohne genügender Markttradition der - im Realsozialismus entstandenen - großen industriellen Betriebe wird es relativ lange dauern bis diese imstande sein werden, selbständig eine marktorientierte, flexible Produktion zu entwickeln. Auch die Entfaltung des Wettbewerbes am Markt bei den sehr beschränkten Transport- und Kommunikationsbedingungen sowie bei dem einstweilen sehr geringen Anteil des Außenhandels am Marktangebot, wird sehr lange Zeit benötigen. Aus diesen Gründen wird auch ein verhältnismäßig großer Anteil der Produktion noch mit Hilfe verbindlicher Planauflagen und bei staatlich fixierten Preisen abgesichert werden müssen. Als sehr positiv und marktfördernd muß die in China stark unterstützte private Unternehmertätigkeit in der Kleinproduktion, den Dienstleistungen und im Handel angesehen werden. Dies trägt nicht nur zur besseren Marktversorgung bei, sondern schafft auch neue Arbeitsplätze. Besonders erfolgreich war die Auflösung der Kommunen in der Landwirtschaft und die zur Verfügungstellung des Bodens an einzelne Bauernfamilien zur Nutzung und Bebauung nach eigener Entscheidung. Allerdings müssen die Bauernfamilien festgelegte Produktemengen an die staatlichen Handelsorganisationen zu fixierten Preisen abliefern. Sie dürfen jedoch die Überschußproduktion nicht nur selbst verbrauchen, sondern auch zu freien Preisen auf Bauernmärkten bzw. an Handelsorganisationen verkaufen. Breiter Raum wird der Unternehmerinitiative der Bauern und der Entwicklung ihrer Nebenerwerbstätigkeit gegeben. Dies führt rasch zu schnellen Steigerungen ihrer Einkommen 5o . Auch für China gilt - in noch stärkerem Maße als für die osteuropäischen Länder - daß die Weiterentwicklung der Reform nicht nur von erkenntnismäßigen, technisch-ökonomischen und kadermäßigen Bedingungen, sondern vor allem von der weiteren politischen Entwicklung abhängig sein wird. Der Widerstand alter, bürokratischer Kräfte ist dort noch nicht ganz gebrochen, und die höchstwahrscheinlich nicht völlig vermeidbaren Schwierigkeiten beim Übergang zur Marktproduktion könnten von diesen Kräften politisch ausgenützt werden. Außerordentlich wichtig werden daher die Maßnahmen sein, mit welchen z. B. inflationären Schüben sowie der Entstehung größerer Arbeitslosigkeit vorgebeugt werden kann, ohne dabei in alte bürokratische Praktiken zurückzufallen. Auf keinen Fall können Bewertungen der chinesischen Reform mancher "Chinaexperten" akzeptiert werden, gemäß welcher die Bemühungen der chinesischen Parteiführung, einer Ausartung dieser Reform in kapitalistische Entwicklungen entgegenzuwirken, als Rückkehr zum orthodoxen Marxismus-Leninismus charakterisiert werden 51. Auch wenn die in China versuchte Art, einer kapitalistischen Entwicklung gegenzusteuern, oft Ausdruck der alten, dogmatischen Denkweise ist, kann dies allein nicht als Rückkehr zum orthodoxen System verstanden werden. Für Theoretiker, die sich durch ihr starres "schwarz-weiß-", "entweder-oder"-Denken auszeichnen, gibt es keine andere Entwicklungsmög49

50 51

Vgl. Scharping Th., 1984. NZZ November 1984, Chinaartikel. Vgl. Meissner, A.

105

lichkeit als entweder die kapitalistische oder die "realsozialistische". Daß sie damit nur den maoistischen Dogmatikern in die Hände spielen, dessen werden sie sich meist nicht bewußt. Es gibt jedoch - wie gezeigt - sowohl in der Theorie (und so manche praktische Wirtschaftsordnung war lange vor ihrer Realisierung nur eine theoretische Ordnung) als auch heute schon in der Realität, Wirtschaftsordnungen, die man weder dem kapitalistischen noch dem sowjetisch-sozialistischen System zuordnen kann. Zu wesentliche Grundprinzipien unterscheiden diese neuen Ordnungen sowohl von dem kapitalistischen als auch von jenem sozialistischen System, das sich gerne selbst als "realsozialistisch" bezeichnet. Eine solche Differenzierung werden auch die "Chinaexperten" zur Kenntnis nehmen müssen. Selbstverständlich bleibt es noch eine offene Frage, ob es der chinesischen Führung gelingt, die Reform so zielbewußt zu leiten, daß sie weder zur Entstehung einer kapitalistischen noch einer realsozialistischen Ordnung sowjetischer Provenienz führt. Um dem ersteren vorzubeugen, wird es vor allem wichtig sein, die Einkommensverteilung so zu beeinflussen, daß zwar eine private Unternehmermotivation angefacht und erhalten bleibt, aber nicht ein sozialer Gegensatz zwischen Lohn- und Gewinninteressen zu Einkommensverteilungen führt, die in Makroungleichgewichten zwischen Konsumtions- und Investitionsentwicklung, in Inflations- und Krisenentwicklungen resultieren müssen. Um der "realsozialistischen" bzw. sowjetischen Entwicklung vorzubeugen, sollte erreicht werden, daß auch die großen sozialistischen Betriebe sich in Zukunft bei ihrer Produktions- und Investitionsbestimmung selbständig nach Marktkriterien entscheiden können und daß der Markt ein unter Wettbewerbsdruck stehender Käufermarkt wird. Das wirtschaftspolitische Ziel der gegenwärtigen chinesischen Parteiführung ist es jedenfalls, eine solche, marktausgerichtete Selbständigkeit der sozialistischen Betriebe zu erlangen. Dies hat Ministerpräsident Zhao Ziyang auf der 4. Tagung des VI. Nationalen Volkskongresses am 25. 3. 86 in seinem Bericht erneut hervorgehoben. In den nächsten fünf (7. Fünfjahresplan) oder mehr Jahren soll im wesentlichen das Fundament für ein neuartiges sozialistisches Wirtschaftssystem chinesischer Prägung gelegt werden. In Richtung Wirtschaftsreform wird im 7. Fünfjahresplan das Grundprinzip "Mikroökonomische Flexibilität bei makroökonomischer Kontrolle" hervorgehoben 52 . Die makroökonomische Steuerung soll immer stärker mit Hilfe von ökonomischen Hebeln wie Zinssätzen, Steuersätzen, Wechselkursen, Geldpolitik u. ä. erzielt werden 53 . Als wichtiges Ziel wird die Steigerung der Effizienz der Betriebe, der Warenqualität und der Devisenrentabilität der Exporte angestrebt. Ministerpräsident Zhao Ziyang sagte ausdrücklich 54, daß bis Ende des 7. Fünfjahresplanes fast alle Firmen und Betriebe zu relativ unabhängigen wirtschaftlichen Einheiten, für Gewinne und Verluste eigenverantwortlichen sozialistischen Stätten der Produktion von Waren werden sollten. Die Märkte für Konsumgüter und Produktionsmittel sollen ständig erweitert werden. Allmählich, aber ziel be52

53

54

Vgl. Information Schweizerische Botschaft, Beijing. Vgl. Vorschläge für 7. Fünfjahresplan. Vgl. Zhao Ziyang, Zitat... S. 6.

106

wußt, sollen die Preise sich in Marktpreise verwanoeln, wobei jedoch eine zeitlang die Preise für verschiedene wichtigste Waren und Dienstleistungen vom Staat festgelegt würden. Ein schrittweiser Übergang zu Marktpreisen ist völlig verständlich. Bei plötzlicher Freigabe aller Preise müßte sonst ein riesiger Inflationsschub, ähnlich wie in Jugoslawien, entstehen. Die im alten administrativen System entstandene Produktionsstruktur, die nur sehr ungenügend der realen Nachfragestruktur entspricht und die auch nicht von einem Tag zum anderen zu ändern ist, hätte bei sofortiger Freigabe der Preise zur Folge, daß bei einem großen Teil von Mangelwaren die Preise sehr stark nach oben getrieben würden. Dies würde nicht nur allgemein die Inflation anheizen, sondern hätte auch schwerwiegende soziale Folgen. Die Unzufriedenheit der am härtesten betroffenen schwächsten sozialen Schichten könnte die Reformentwicklung politisch geflihrden. Gleichzeitig würde dieser Preisauftrieb einen schwer zu bremsenden Druck auf die Löhne hervorrufen und so eine Inflationsspirale in Bewegung bringen. Deshalb besteht die wichtigste Aufgabe der Übergangsperiode darin, auf der einen Seite die administrative Fixierung der wichtigsten Preise nicht gleich aufzugeben, sondern diese allmählich der Angebots- und Nachfragesituation anzupassen, um dabei sich kettenartig fortpflanzende Preissteigerungen zu vermeiden. Ein Teil der Preise kann sich innerhalb bestimmter Spannen (von - bis) bewegen. Ein Eigeninteresse der Betriebe an der Produktion von Gütern mit administrativ zu niedrig gehaltenen Preisen, kann natürlich nicht erwartet werden. Deshalb muß auch ihre Produktion eine zeitlang mit Hilfe von verbindlichen Plandirektiven angehoben werden. Dies bedeutet jedoch gleichzeitig die starke Aufrechterhaltung administrativer Produktionsaufgaben, deren riesiger Mangel darin besteht, daß sie nicht imstande sind - bei der ernormen Menge an Gütern und Betrieben - die bedarfsentsprechenden Produktionsproportionen auch wirklich abzusichern. Deshalb muß auf der anderen Seite das ökonomische Eigeninteresse der Betriebe, d. h. das Interesse der Betriebsleitungen und Betriebskollektive, an der Gewinnentwicklung durch Gewinnbeteiligung, geweckt werden. Dies wird sie natürlich zur Förderung jener Güterproduktion führen, bei welcher Höchstgewinne durch relativ hohe, freie Preise erzielt werden können. Bei Mangelwaren wäre diese Haltung nicht falsch. Das größte Problem besteht aber darin, daß der Wettbewerbsdruck auf die einzelnen Betriebe nicht oder fast nicht vorhanden ist. Entweder sind sie Monopolisten im ganzen Land oder beherrschen zumindest regionale bzw. lokale Märkte, gegen welche auswärtige Anbieter gar nicht ankommen. Bei fehlendem Konkurrenzdruck aber fördern monopolistische Anbieter Fantasiepreise und entwickeln auch kein Interesse an Qualitätsverbesserungen, Innovationen und Kostensenkungen. Eine zielbewußte Übergangspolitik muss daher vor allem auf die Entwicklung eines Wettbewerbes in möglichst allen Branchen bedacht sein. Auch der Zugang von Gütern auf die Märkte anderer Regionen soll landesweit gefördert werden (zum Unterschied z. B. von der Zufuhrsperre von Konkurrenzgütern in die eigene Region, wie es die Republiksorgane in Jugoslawien zum Teil praktizieren). Wenn Zhao Ziyang in seinem Referat die Bildung von horizontalen Verbindungen zwischen Betrieben und Betriebsvereinigungen verschiedener Regionen fordert, dann 107

soll dies sowohl den Zugang einzelner Betriebsprodukte auf den gesamten chinesischen Markt erleichtern als auch unnötige Parallelentwicklungen und daher die Vergeudung von Geldmitteln und Ressourcen verhindern. So richtig dieses Anliegen ist, so gefahrlich könnte es sich auswirken, wenn dadurch der Monopolismus gefördert und die Entwicklung des Wettbewerbes gehemmt würde. Darin bestehen die Widersprüche der Übergangspolitik, die nur bei zielbewußter Beachtung der Grundzüge des Endmodelles richtig gelöst werden können. Zu den Grundzügen des Endmodelles muß eben auch ein möglichst vollkommen funktionierender Wettbewerb gehören, sonst könnte sich das Markteinkommensinteresse von Monopolisten letzten Endes gegen die Interessen der Bevölkerung richten. Auf der einen Seite sollte also eine bessere Marktinformation und gegenseitige Information zwischen gleichartigen Produzenten unnötige Investitionen und Ressourcenverschwendung verhindern. Auf der anderen Seite sollten jedoch einzelne Betriebe bzw. Betriebsvereinigungen nie einen Markt allein beherrschen. Sie sollten sich stets dessen bewußt sein, daß andere, gleichartige Betriebe bzw. auch ein Import aus dem Ausland, ihren Marktanteil gefährden kann. Nur so werden sie ständig an einer optimalen Wirtschaftlichkeit, Nachfragebefriedigung und Innovation in der eigenen Produktion interessiert bleiben. Größte Beachtung ist dann der möglichst strengen Kontrolle der Entwicklung der Löhne und Gewinnbeteiligungen sowie der Kreditentwicklung zu schenken. Sobald die Löhne und Gewinnbeteiligungen über ein volkswirtschaftlich erträgliches Maß hinauswachsen würden und aus monopolistischen Preissteigerungen sowie aus übermäßiger Kreditentwicklung finanziert werden könnten, müßte dies zum Hauptantrieb einer Inflation werden und gleichzeitig der Erhaltung eines Verkäufermarktes dienen (analog zu Jugoslawien). Deshalb ist wieder die Förderung des Wettbewerbes und auch einer planmäßig regulierten Lohnsteigerung und Kreditentwicklung enorm wichtig. Mit anderen Worten, gerade aus den Fehlern der jugoslawischen Entwicklung, in welcher die Wettbewerbsförderung, Einkommensregulierung und Kreditkontrolle so unterschätzt wurden, sollten die chinesischen Reformer lernen. Eine erfolgreiche allmähliche Eindämmung der administrativen Eingriffe politischer (ob zentraler oder dezentraler) Organe in die Produktion, bei zielbewußter Förderung des Marktinteresses in den Betrieben und des Wettbewerbsdruckes auf dieselben sowie bei einer Entwicklung der makroökonomischen Verteilungsplanung und Wirtschaftspolitik, kann die chinesische Reformentwicklung zu einem wichtigen Erfolg werden lassen.

108

IV. Quantitativer Ausdruck der sozialistischen Rückständigkeit

1 Problemeinführung Trotz der zahlreichen Kritiken und Aufdeckungen von Mängeln des sowjetischen "realsozialistischen" Systems und ungeachtet der überzeugendsten Systemkritik durch die zahlreichen Reformbewegungen in den sozialistischen Ländern, beharrt die dogmatische Propaganda auf der Behauptung, daß das sozialistische Wirtschafts system seine Vorzüge gegenüber dem kapitalistischen System durch die schnellere Entwicklung der Produktivkräfte bewiesen hat. Diese Propaganda fußt auf der marxistischen Ideologie, gemäß welcher die neuen, höher stehenden Produktionsverhältnisse (bzw. ökonomischen Verhältnisse) jeweils nur deshalb zum Tragen kommen, weil sie eine schnellere und effektivere Entwicklung der Produktivkräfte (bzw. technische Seite der Produktion) als die alten ökonomischen Verhältnisse herbeiführen können. Und da nun die sozialistischen ökonomischen Verhältnisse die höherstehenden Verhältnisse sein müssen, eo ipso sollen sich auch die Produktivkräfte in diesen Verhältnissen schneller als im Kapitalismus entwikkeIn. Aber dies ist und bleibt nur ein ideologischer und politischer Wunsch, der immer wieder aufs neue von der Realität widerlegt wurde. Bereits Lenin beschwor die Notwendigkeit der schnelleren Entwicklung der Produktivkräfte und von daher der Produktivität im Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus. "Die Produktivität der Arbeit ist letztlich das Wichtigste und Hauptsächlichste für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung. Der Kapitalismus hat eine im Feudalismus nicht gesehene Arbeitsproduktivität geschaffen. Der Kapitalismus kann und wird damit definitiv besiegt werden, daß der Sozialismus eine neue viel höhere Arbeits-

produktivität schafft" 1 . Bekannt sind auch die Versprechungen Chruschtschevs, aufgrund des schnelleren Wachstums der Produktivität in der UdSSR, bis zum Jahre 1970 die Produktion der USA pro Kopf der Bevölkerung zu überholen 2 . Auch dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Im Gegenteil, die Produktivitätsentwicklung in der UdSSR sowie in den anderen sozialistischen Ländern ist in den letzten 20 Jahren immer mehr hinter der Produktionsentwicklung vergleichbarer kapitalistischer Industrieländer zurückgeblieben. Dies zu beweisen, ist aufgrund der mehr als unzulänglichen statistischen Angaben in den meisten sozialistischen Ländern sowie der völlig unterschiedlichen statistischen Größen und Methoden in beiden Systemen sehr schwierig. Dennoch werde ich mit Hilfe der folgenden Berechnungen und Vergleiche versuchen, einen Beweis für diese Behauptung zu erbringen. 1 2

Lenin, W.I., Die große Initiative, Juni 1919, Werke Bd. 29. Medwedjew, R., Chruschtschev, StuttgartjHerford 1984, S. 251.

109

Die Entwicklung der Produktivkräfte ist qualitativ als auch quantitativ aufzufassen, wobei die erstere wichtigste Grundlage der zweiten ist. Neue Produktionsanlagen, Maschinen und andere technische Einrichtungen, neue Rohstoffe, Energieträger, Technologien sowie höhere Qualifikationen der produzierenden Menschen, ihre stärkere Motivation, effektivere Produktionsorganisationen und Führungskräfte usw., all dies sollte im Sozialismus zu einer qualitativ höheren Entwicklung der Produktivkräfte als in den veralteten kapitalistischen Produktionsverhältnissen führen. Entscheidender meßbarer Ausdruck der qualitativen Entwicklung der Produktivkräfte ist die Arbeitsproduktivität. In der marxistischen Ökonomie wird sie verstanden als das Verhältnis der Menge produzierter Gebrauchswerte (Nutzwerte) zu dem - für ihre Produktion ausgegebenem - Arbeitswert. Mit Arbeitswert ist dann nicht nur die geleistete Arbeit einer bestimmten Anzahl produktiv Tätiger mal Arbeitszeit, sondern auch die sogenannte vergangene Arbeit in den verbrauchten Produktionsmitteln steckend, gemeint. Eine höhere Produktivkräfteentwicklung muß sich also auch in einem größeren Umfang produzierter Güter im Verhältnis zur Arbeitsmenge und zum Umfang verbrauchter Produktionsmittel ausdrücken, wobei dieses Verhältnis beständig wachsen soll. Von der offiziellen Propaganda in den Ostblockstaaten wird nun auch andauernd der Versuch unternommen, die höhere Produktivität ihres Wirtschaftssystems zu betonen, auch wenn dies ungemein schwer fällt, da überzeugende Beweise fehlen und man sich deshalb mit wortreichen Behauptungen begnügen muß. Vor allem weist man dann daraufhin, daß das sozialistische Wirtschaftssystem in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern entstanden sei und deshalb erst eine längere Zeit brauche, um die industriell entwickelten Länder einzuholen. Alle Propaganda in dieser Richtung bleibt jedoch nur Ausdruck leerer Behauptungen, fiktiver Angaben und zielbewußter Verschleierungen. Der theoretisch angestrebte Beweis für die Vorteile des sozialistischen Wirtschaftssystems konnte in der Praxis nicht erbracht werden. Dieses Wirtschaftssystem hat keine höhere Produktivkräfteentwicklung erreicht. Natürlich hat man im sowjetischen Rußland eine höhere Produktivkräfteentwicklung als im zaristischen Rußland erzielt. Dies ist aber kein Beweis für die Vorteile des realsozialistischen Systems gegenüber dem kapitalistischen, denn auch das kapitalistische System hätte eine Weiterentwicklung der Produktivkräfte in Rußland gebracht. Es bleibt dahingestellt, ob diese Entwicklung von damals bis heute nicht schneller verlaufen wäre.

2 Vergleich der sowjetischen und finnischen Entwicklung Die vorangehende Behauptung braucht keine leere Vermutung zu bleiben. Finnland liefert den Beweis dazu. Es gehörte vor 1917 zum russischen Zarenreich, spaltete sich jedoch nach der Oktoberrevolution ab, hat sich staatlich verselbständigt und ein kapitalistisches Wirtschaftssystem entwickelt. Der Vergleich der Produktivitätsentwicklung in beiden Ländern, in der Sowjetunion und Finnland, wird zeigen, ob diese Entwicklung in diesem oder jenem System schneller verläuft. Ein solcher Vergleich gestaltet sich allerdings als etwas schwierig, da erstens die Angaben über die Ausgangsbasis beider Länder nur sehr allgemeiner Natur und 110

Ergebnis von verschiedensten Schätzungen sind; da zweitens die Methode und Art von statistischen Aggregatserfassungen in beiden Ländern unterschiedlich sind; und da drittens die sowjetische Statistik mehr zu verschleiern als aufzudekken bzw. mitzuteilen versucht. Im sowjetischen statistischen Jahrbuch gibt es fast überhaupt keine absoluten Zahlen, sondern nur relative Angaben, d. h. Angaben darüber, um wieviele Prozente die Produktion, die Konsumtion, die einzelnen Branchen usw.usw. gewachsen sind, ohne Angabe einer absoluten Ausgangsbasis. Die einzige absolute volkswirtschaftliche Zahl, die dieser Statistik entnommen werden kann, ist die Angabe über die Größe des Volkseinkommens (nach marxistischer Methode berechnet), und so wollen wir auf dieser Grundlage und mit Hilfe anderer Informationen und Quellen doch einen Vergleich über die Produktivitätsentwicklung in diesen beiden Ländern wagen. Das Entwicklungsniveau von Finnland und Rußland, dessen Teilgebiet Finnland vor der Revolution war, unterschied sich nur wenig. Auch Finnland war damals ein unterentwickeltes, überwiegend landwirtschaftliches Land, das jedoch bereits etwas mehr Industrieproduktion, als dem Durchschnitt des russischen Reiches entsprach, aufwies 3 . Nach einer ex post-Schätzung von Gregory und Stuart4 entsprach das russische per capita Einkommen i. J. 1913 ungefahr 35% des schwedischen per capita Einkommens. Das finnische per capita Einkommen aus dieser Zeit wurde von Hjerppe und Pihkala s auf etwa 45% des schwedischen geschätzt (Finnland 440 FMK per capita, Schweden 980 FMK per capita). Aus diesen Angaben geht hervor, daß das finnische per capita Einkommen i. J. 1913 um ungefahr 28% höher als das russische lag. Auch der Anteil der Industriearbeiter an der Bevölkerung lag in beiden Ländern nur wenig auseinander. In Finnland waren es nach Harmaja6 etwa 107000 von 3,05 Mio. Einwohnern, also 3,5%. In Rußland ungefahr 4 Mio. von 170 Mio. Einwohnern 7 , also 2,35%. Die Quote liegt also in Finnland um ungefahr 30% höher. Nach zusammenfassender Schätzung von V.Reinikainen kann der Wirtschaftsentwicklungsstand in Finnland im Jahre 1913 sehr realistisch um ungefähr 25 - 30% höher als jener von Rußland angesehen werden. Nach ungefahr 55-jähriger Entwicklung der Produktion in beiden unterschiedlichen Wirtschaftssystemen kann der Unterschied des Volkseinkommens pro Kopf der Bevölkerung (nach marxistischer Berechnung auch in Finnland) mit Hilfe des offiziellen Wechselkurses (der immer zugunsten der sozialistischen Staaten überhöht ist) folgendermaßen verglichen werden: 3 Alle Angaben über den Stand der finnischen und russischen Wirtschaft verdanke ich den Informationen des bekannten finnischen Ökonomen, Veikko Reinikainen, aus Turku, der sich seinerseits auf weiter angeführte Quellen stützt. 4 Gregory, Paul R./Stuart, Robert C.: Soviet Economic Structure and Performance. Second Edition. New York 1981. - Sutela, Pekka: Grundzüge der Sowjetwirtschaft (in finnisch). Porvoo/Helsinki 1982. 5 Hjerppe, Riitta/Pihkala, Erkki: Volkseinkommen in Finnland 1860-1913 (in finnisch). The Finnish Economic Journal 3/1977. 6 Harmaja, Leo: Die Einwirkung des Weltkrieges auf die Wirtschaftliche Entwicklung Finnlands (in finnisch). Porvoo/Helsinki 1940. 7 The Cambridge History of Europe. VII. The Industrial Economies: Capital, Labour and Enterprise. Part 2. Edited by Peter Mathias and M.M. Postan.

111

UdSSR 8

1978 1980 1981 1982

Volkseinkommen in Mrd. Rubel

Einwohner in Mio.

Volkseink. per capita in Rubel

422,5 462,5 486,7 523,4

260,1 264,5 266,6 268,8

1624,38 1747,45 1824,21 1947,17

Finnland 9

1979 1980 1981

Volkseinkommen in Mrd. FIM

Einwohner in Mio.

Volkseink. per capita in FIM

102715 118399 131498

4,771 4,788 4,812

21529,03 24728,28 27327,10

Wechselkurs Rubel:FIM

Volkseink. per capita in Rubel

1 :5,741 1 :5,986

4307,31 4565,17

Es ist ersichtlich, daß in Finnland die Produktivkräfteentwicklung um so vieles schneller verlaufen ist, daß im Jahre 1980 das Volkseinkommen per capita in Finnland um 146,49% und im Jahre 1981 bereits um 150,25% höher als in der Sowjetunion lag. Auch wenn wir den anfänglichen Vorsprung von ungefähr 30% abziehen, war die per capita Produktion (Nettoprodukt = Volkseinkommen) im Jahre 1981 noch immer um 120% höher als in der UdSSR. Nach all meinen Erfahrungen mit realsozialistischen Statistiken, wird jedoch der wirkliche Unterschied noch viel größer sein. Leider ist die sowjetische Statistik so ungenügend und rein propagandistisch aufgebaut, daß keine weiteren Analysen und Vergleiche mit ihrer Hilfe durchgeführt werden können. Das statistische Jahrbuch der CSSR hat eine lange und wissenschaftlich basierte Tradition hinter sich (die auch im Sozialismus nicht völlig unterdrückt wurde) und ermöglicht daher viel aussagekräftigere Vergleiche. Wir wollen deshalb nun einen auf diese Weise objektivierten Vergleich zwischen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Bundesrepublik

Deutschland vorstellen.

3 Vergleich der vorsozialistischen Tschechoslowakei und Deutschlands Es handelt sich um zwei gut vergleichbare Länder, da sich die Produktivkräfte vor Entstehung des sozialistischen Systems in der Tschechoslowakei ungefähr auf der gleichen Entwicklungsstufe wie im damaligen Deutschland befanden. Sowohl vor 8 Quelle: Narodnoje Chozjajstvo SSSR im Jahre 1982. Statistitscheskij Jeschegodnik, Moskva 1982, 1983, S. 5, 378. 9 Quellen: Volkseinkommen in Finnland (Berechnung nach marxistischer Auffassung = Nettowertschöpfung zu Faktorkosten in Produktion, Handel, Verkehr) aus National Accounts. Timeseries for 1960-1981, Helsinki 1984. Bevölkerung: Jahrbuch Finnlands, Wechselkursdaten: Bank of Finland.

112

dem Zweiten als auch Ende des Zweiten Weltkrieges war das Produktionsniveau in der Tschechoslowakei und in Deutschland ungefähr gleich. Die technische Entwicklung hatte schätzungsweise das gleiche Niveau erreicht; auch die Struktur der Produktion war in beiden Ländern sehr ähnlich. Die Tschechoslowakei hatte sogar Ende des Zweiten Weltkrieges einen relativ höheren Anteil der Industrieproduktion an der gesamten Produktion als Deutschland und auch in den meisten Branchen eine höhere Arbeitsproduktivität. Siehe dazu folgende Tabellen: Anteile der wichtigsten Wirtschaftssektoren am Bruttoinlands- bzw. Nettomaterialprodukt 10

es SR 1948 BRD 1950

Landwirtschaft

Industrie, Handwerk

Baugewerbe

Verkehr, Nachrichten

Handel

20% 10%

59% 44%

7% 5%

4% 7%

8% 13%

Vergleich der Produktivität in den wichtigsten Wirtschaftssektoren l l

eSSR 1947/48 BRD 1950

Landwirtschaft

Industrie, Handwerk

20 -=053 37,7 ' 10 -=045 22,2 '

59 - = 1,69 34,9 44 -=140 31,5 '

Baugewerbe

5 -=060 8,4 '

Verkehr, Nachrichten

Handel

4 -=082 4,9 '

8 - = 125 6,4 '

7 - = 132 5,3 '

13 - = 131 9,9 '

Auch das Bildungsniveau und das Schulsystem waren in der Tschechoslowakei sehr hoch entwickelt, so daß kein anfänglicher Qualifikationsmangel der tschechoslowakischen Bevölkerung im Vergleich zur Bevölkerung von Deutschland festgestellt werden kann. Die Tatsache, daß in der Tschechoslowakei die vorangehende kapitalistische Entwicklung jäh unterbrochen und hier ein sozialistisches Wirtschaftssystem, ganz nach dem Muster der Sowjetunion, durchgesetzt wurde, hatte zur Folge, daß die Entwicklung der Produktivkräfte weit hinter oder Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zurückblieb. Im tschechoslowakischen sozialistischen Wirtschaftssystem kam es zu einer enormen Verlangsamung der Produktivkräfteentwicklung. Aufgrund dessen

10 Borchardt, K., (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 5, Die europäischen Volkswirtschaften im 20. Jahrhundert, Stuttgart/NewYork 1980, S. 488, 491. Die von B.R. Mitchell zusammengestellte Statistik enthält nur die wichtigsten Sektoren und deshalb ergänzen sich die Prozentzahlen nicht auf 100%. 11 Der Produktivitätsvergleich setzt den Output (BIP-Anteil) pro Sektor in Relation zum Anteil der Erwerbstätigen je Sektor. Eigene Berechnungen aufgrund von Mitchell's Tabellen zur Verteilung von Erwerbstätigen auf die Wirtschaftssektoren, aus Mitchell, B.R., European Historical Statistics, London & Basingstoke, 1975, S. 155f.

113

blieb die Arbeitsproduktivität im breiten Sinne des Wortes, und demzufolge noch mehr der Konsum und gesamte Lebensstandard des Volkes, hinter der deutschen Entwicklung zurück. Diese Tatsache soll nun durch bestimmte grundlegende Vergleiche bewiesen werden.

4 Vergleich des relativen Verbrauchs von Produktionsgütern Die Untersuchung beginnt mit dem Vergleich des Verbrauches von Produktionsmitteln in der Produktion. Um einen bestimmten Umfang des Konsums abzusichern, müssen bestimmte Mengen an Rohstoffen, Energie, Maschinen, Industriebauten etc. verbraucht werden. Je mehr solcher Produktionsmittel jährlich verbraucht werden, also auch jährlich wieder produziert werden müssen, umso weniger hat eine Gesellschaft Arbeitskräfte und Produktionskapazitäten zur Verfügung, um Konsumgüter zu produzieren. Sie muß zuviel Produktionsressourcen für die Produktion von Produktionsmitteln verwenden, und es bleiben zuwenige für die direkte Produktion von Konsumgütern übrig. Mit dem Vergleich des Produktionsmittelverbrauches wird man ebenfalls der marxistischen Auffassung der Arbeitsproduktivität gerecht, gemäß welcher das Produktionsresultat auch im Verhältnis zu dem Umfang der verbrauchten Produktionsmittel gemessen werden muß. Der Verbrauch an Produktionsmitteln soll im weiteren kurz "produktiver Verbrauch" genannt werden. Damit wird folgendes in der Statistik der Bundesrepublik zusammengefaßt: Wert der gesamten Vorleistungen plus Wert der Bruttoinvestitionen. Dieser gesamte produktive Verbrauch wird in der enger gefaßten Produktion nach marxistischem Verständnis in der Bundesrepublik ermittelt. Es handelt sich also um den Verbrauch im produktiven Unternehmensbereich (ohne Staat und ohne Kredit- und Versicherungsunternehmen). Damit wird die Produktion vergleichbar mit der Produktionserfassung in der Tschechoslowakei. Der produktive Verbrauch in der Produktion wertmäßig zusammengerechnet, wird in ein Verhältnis zu der gesamten Konsumtion gebracht. Der Konsum umfaßt sowohl den privaten als auch den öffentlichen Verbrauch. Diese Ausgaben sind ungefähr vergleichbar; es kann lediglich Verschiebungen zwischen privatem und öffentlichem Konsum geben. Wenn z. B. in der Bundesrepublik ein Teil der Dienstleistungen als verkaufte Dienstleistungen in den privaten Konsum eingehen, so daß sie automatisch nicht von den öffentlichen Ausgaben erfaßt werden, so können dieselben Dienstleistungen in der Tschechoslowakei unter den öffentlichen Konsum fallen. Bei einer Zusammenfassung des Gesamtkonsums ist dieses statistische Aggregat somit zwischen beiden Ländern vergleichbar. Ich habe, aufgrund der mir zugänglichen letzten kompleten statistischen Daten, das Jahr 1981 für die meisten Vergleiche herangezogen. Im folgenden wird zuerst der produktive Verbrauch im Verhältnis zur Konsumtion in diesem Jahre in der Bundesrepublik Deutschland angegeben (alle Angaben in laufenden Preisen, in Mio.DM):

114

Vorleistungen Bruttoinvestitionen

2253740.278450.-

Vorleistungen + Bruttoinvestitionen

2532190.-

Private Konsumtion Staat!. Konsumtion

874080.319750.-

Gesamtkonsumtion

1193830.-

.. l . Produktiver Verbrauch Das Verha tms . GesamtkonsumtJon

=

2532190.1193830.-

212

= ,

Stat. Jahrbuch 1983, S. 531, 541, 542. Dieselben Angaben für die Tschechoslowakei für 1981: Hier muß betont werden, daß eine Umrechnung der Konsumgüterpreise durchgeführt werden mußte, da in der Tschechoslowakei die gesamte Umsatzsteuer nur in die Preise der Konsumgüter ein berechnet wird. Damit werden diese gegenüber den umsatzsteuerfreien Preisen der Produktionsmittel künstlich erhöht. Im Gegensatz dazu ist die indirekte Steuer in der Bundesrepublik Deutschland auf alle Güter verteilt. Um zu objektiven Vergleichen zu kommen, wurde die gesamte Umsatzsteuer in der Tschechoslowakei von den Konsumgüterpreisen abgezogen und sodann proportional sowohl zu den Produktionsmittelpreisen als auch zu den Konsumgüterpreisen hinzugerechnet. Dieses Vorgehen gestattet eine objektivere Übersicht über das Verhältnis des produktiven Verbrauches und der Konsumtion. Produktiver Verbrauch in der Tschechoslowakei (Vorleistungen plus Abschreibungen plus Nettoinvestitionen) in Kcs Vorleistungen + Abschreibungen Nettoinvestitionen (Akkumulation)

786784.91827.-

Vorleistungen + Abschreibungen + Nettoinvestitionen

878575.-

Alles in laufenden Preisen in Mio. Kcs Private Konsumtion Öffentliche Konsumtion

220591.143858.-

Gesamtkonsumtion

364449.-

Stat. Jahrbuch der CSSR 1983, S. 132, 152. Produktiver Verbrauch (nach Preisberichtigung) Gesamtkonsumtion (nach Preisberichtigung)

936759,28 ---=306 306264,74 '

Für eine Konsumeinheit werden also in der CSSR um 44,34% mehr Produktionsmittel verbraucht als in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten: . produktiver Verbrauch. . d er CSSR run d 44°/ h··h D a h er 1st . d as uver h··l a tms K t· 1st In /0 0 er. onsum IOn auch in der CSSR der Anteil der Konsumgüterproduktion an der ganzen Produktion um 30% niedriger als in der Bundesrepublik. Wenn aus dem ganzen Produk115

tionsumfang um 30% weniger Konsumgüter produziert werden als in der Bundesrepublik, dann ist dies schon eine erste Erklärung, warum die Konsumtion in der Tschechoslowakei so stark hinter der westlichen Entwicklung zurückbleibt. Dabei muß noch betont werden, daß dieser Stand in der Tschechoslowakei wesentlich besser ist als in den meisten anderen sozialistischen Staaten.

5 Vergleich der Arbeitsproduktivität Wir kommen jetzt zu einem weiteren Vergleich der CSSR und der Bundesrepublik. Es geht um den Vergleich der eigentlichen Arbeitsproduktivität im engeren Sinne des Wortes und zwar mittels des Verhältnisses von Nettoprodukt zur Zahl der Arbeitskräfte in der Produktion. Während wir zuvor also den relativen Verbrauch an Produktionsmitteln anführten, soll hier gezeigt werden, wie hoch die Produktion ist, die im Durchschnitt auf eine Arbeitskraft kommt. Es wurde wieder das Nettoprodukt nach marxistischer Methode, wie oben dargestellt, (alle Wirtschaftsbereiche ohne Staat und Kredit- und Versicherungsunternehmen) in der Bundesrepublik erfaßt. Das Nettoprodukt ist also die enger gefaßte Produktion (zu Marktpreisen) minus Vorleistungen und minus Abschreibungen. Um nun die beiden Nettoprodukte, dividiert durch die jeweilige Zahl der produktiv Tätigen, vergleichen zu können, mußte das tschechoslowakische Nettoprodukt auf DM umgerechnet werden. Dazu wird vorerst der offizielle tschechoslowakische Kurs der Krone zur DM im Jahre 1981 benützt: 1 DM = 2,85 Kcs

Natürlich äußert sich schon in dem offiziellen Wechselkurs in vieler Hinsicht der unterschiedliche Nutzwert der deutschen und tschechoslowakischen Güter. Auch wenn wir beispielsweise annehmen würden, daß für Kcs 100.- die gleiche Menge bestimmter Güter wie für DM 100.- zu bekommen wäre, so würde sich der durchschnittlich von den Konsumenten viel höher bewertete Nutzwert der meisten deutschen Güter und Dienstleistungen (höhere Qualität, Modernität, elastische Angebotsstruktur, völlig neue Güterarten, besserer Service, ständige Ersatzteillieferungen etc.) eben nicht in einem Wechselkurs 1 DM = 1 Kcs, sondern in entsprechend höherem Kurs der DM äußern. So drückt der Wechselkurs sowohl unterschiedliche Mengen als auch Qualitäten von Gütern und Dienstleistungen aus, die für die jeweilige Währung zu erhalten ist, was einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage nach den jeweiligen Währungen und ihren gegenseitigen Wechselkurs hat. Für einen jeden Kenner der Materie ist jedoch bekannt, daß der offiziell angegebene Kurs durch die tschechoslowakische Staatsbank den westlichen Währungen gegenüber nicht realistisch ist und immer zugunsten der CSSR überzogen wird. Es ist bekannt, daß schon bei einem sogenannten touristischen Kurs sowie Kurs für nichtkommerzielle Transaktionen für eine DM mehr Kronen getauscht werden als bei dem offiziellen Handelskurs. Der in der CSSR, wie in allen Ostblockländern, vor sich gehende Schwarzmarkt mit Devisen zeigt dann noch klarer, wie wesentlich höher eine DM von der tschechischen Bevölkerung bewertet wird. Trotz dieser ungenügenden Realität des offiziellen Kurses wurde dieser 116

vorerst benützt, um zu zeigen, daß schon bei diesem Kurs die Arbeitsproduktivität wesentlich hinter jener der Bundesrepublik zurückbleibt. Wir geben nun wieder zuerst die Arbeitsproduktivität in der Bundesrepublik Deutschland in 1981 an. Nettoprodukt (n. marx. Methode) zu laufenden Marktpreisen in Mio. DM 993360.-

Stat. Jahrbuch 1984, S. 538/539. Tschechoslowakei: Nettoprodukt (benütztes Volkseinkommen) zu laufenden Preisen in Mio. Kcs 456276.-

Stat. Jahrbuch der CSSR 1983, S. 132. Umrechnung des tschechoslowakischen Nettoproduktes zum Kurs: 1 DM

=

2,85 Kcs (offizieller Kurs in der Mitte des Jahres 1981)12.

Nach Umrechnung macht das Nettoprodukt in der Tschechoslowakei Mio. DM

196096,84

Berechnen wir nun das Nettoprodukt im Verhältnis zur Zahl der Erwerbstätigen in der Produktion, dann bekommen wir in der Bundesrepublik 993360.- Mio. DM Nettoprodukt

-~-c----,-----:-----,------,----=---.,.-:--:-- =

17572 000 Erwerbstätige in der Produktion

56530,84 DM

Dieselbe Berechnung in der Tschechoslowakei ergibt ein Nettoprodukt im Verhältnis zur Zahl der Erwerbstätigen von 160096,84 Mio. DM Nettoprodukt

- - - - - - - - - - = - - - - = 28417,45 DM

5633751 Erwerbstätige in der Produktion

Es zeigt sich, daß bei einer Umrechnung zu offiziellem Wechselkurs die Arbeitsproduktivität im engeren Sinne des Wortes in der Bundesrepublik Deutschland um 98,93% höher als in der Tschechoslowakei ist. Nun wurde im Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche im Jahre 1983 eine vergleichende Berechnung der Kaufkraftparität der tschechoslowakischen Krone und des österreichischen Schillings ausgearbeitet 13 , die zur Fixierung eines wesentlich realeren Wechselkurses führen kann, als es der offizielle Wechselkurs darstellt. Diese Berechnung wurde zwar für das Jahr 1980 erstellt, während der hier vorgelegte Vergleich das Jahr 1981 betrifft. Der Unterschied zwischen den beiden Jahren wird jedoch so klein sein, daß wir von ihm siehe auch Stat. Beihefte der Deutschen Bundesbank, Reihe 5, Mai 1981, Nr. 2. Havlik, P.: A Comparison of Purchasing Power Parity and Consumption Level in Austria and Czechoslovakia, Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, Nr. 87/1983, S.6ff. 12

13

117

absehen können. Auf jeden Fall wird der Wechselkurs, von dieser Kaufkraftparität abgeleitet, der Realität viel näher liegen als der offizielle, von der tschechoslowakischen Regierung bestimmte Wechselkurs. Die Analyse des Wiener Instituts ergibt einen Wechselkurs von 1 Kcs

=

1,912 ö. Schilling

Im Jahre 1980 betrug dann aer jahresdurchschnittliche Wechselkurs zwischen dem ö. Schilling und der bundesdeutschen Mark 1 ö. Schilling = 0,1405 DM

Aus diesem Verhältnis können wir nun einen relativ realistischen Kurs der DM zur Kcs ableiten. 1,912 ö. Schilling = 0,26864 DM

und daher ist 1 Kcs = 0,26864 DM

oder 1 DM

=

3,72 Kcs

Mit diesem wesentlich realistischeren Kurs werden nun der Arbeitsproduktivitätsvergleich als auch die weiteren Vergleiche berechnet, wobei aber immer Vergleiche zu beiden Kursen nebeneinander gestellt werden, um aufzuzeigen, wie hoch das Zurückbleiben der CSSR schon bei dem offiziellen, unrealistischen Wechselkurs ausfällt. Bei dem Kurs 1 DM = 3,72 Kcs macht das Nettoprodukt pro Kopf des Erwerbstätigen in der CSSR-Produktion 21771,43 DM

was bedeutet, daß die ArbeItsproduktivität in der Bundesrepublik um 159,66% höher als in der CSSR ist! Die höhere Arbeitsproduktivität bei gleichzeitig niedrigerem produktiven Verbrauch in der Bundesrepublik bedeutet, daß in der gesamten Produktion bei einer - wie wir später noch sehen werden - wesentlich höheren Konsumtion, die Zahl der Beschäftigten in der Produktion um vieles kleiner als in der Tschechoslowakei sein kann. Mit anderen Worten: mit weniger Arbeitskräften in der enger gefaßten Produktion kann in der Bundesrepublik ein wesentlich höherer Konsumtionsstandard abgesichert werden. In der Bundesrepublik Deutschland waren in der Produktion nur 28,5% der Bevölkerung beschäftigt 14 . Das heißt, daß in der CSSR der Anteil der produktiv Tätigen an der Bevölkerung um rund 29% höher als in der Bundesrepublik lag. 14

siehe Stat. Jahrbuch 1983, S. 100, 190.

118

Dies hat in erster Linie zur Folge, daß die Tschechoslowakei viel weniger Arbeitskräfte für die sogenannte Nicht-Produktion, also für den breiten Sektor der staatlichen Dienstleistungen zur Verfügung hat. Bei einem höheren Niveau der materiellen Konsumtion kann die Bundesrepublik viel mehr Arbeitskräfte für die Entwicklung der staatlich finanzierten Dienstleistungen benützen, die in einer hochentwickelten Gesellschaft der Gegenwart für die Bevölkerung eine immer größere Bedeutung erlangen. Es ist nicht möglich, exakt zu berechnen, wie viele der produktiv Tätigen in der Tschechoslowakei überflüssig in der Produktion gehalten werden. Meine eigene Schätzung, aufgrund eigener Erfahrung, deutet darauf hin, daß ungefähr 12-15% der Arbeitskräfte in der enger gefaßten Produktion ungenügend ausgenützt sind und bei einer hocheffektiven marktwirtschaftlichen Produktion in der Produktion nicht gehalten würden. Diese ungenügend ausgenützten Arbeitskräfte in der Produktion stellen de facto eine verdeckte Arbeitslosigkeit dar, da eben die sozialistischen Betriebe die Arbeitskräfte auch dann halten müssen, wenn sie nicht voll ausgelastet werden bzw. manchmal völlig überflüssig in der Produktion sind. Aufgrund dieser Schätzung muß man also die Schlußfolgerung ziehen, daß die getarnte Arbeitslosenzahl in der Tschechoslowakei rund 800000 bis 840000 ausmacht, was einer Arbeitslosenquote von 11-12% gleichkommt. Daß man die überflüssigen Arbeitskräfte in den Betrieben hält und diese nicht entlassen darf, ist kein Vorteil des sozialistischen Wirtschaftssystems, denn dies verteuert nicht nur ungemein die Produktion, sondern es senkt auch die Arbeitsleistung aller Beschäftigten und verringert so noch weiter die Arbeitsproduktivität.

6 Vergleich des Wachstumstempos und der Investitionseffektivität Wir wollen jetzt noch das Wachstum der Produktion in beiden Systemen vergleichen, denn vor allem mit den "Wachstumserfolgen" wird in den Ostblockstaaten am meisten Propaganda getrieben. Das Wachstum soll mit Hilfe des NettoInlandproduktes verfolgt werden, um Doppelzählungen auszuweichen, welche bei der Wachstumsentwicklung des Bruttoproduktes unausweichlich sind. In den 5 Jahren von 1975 -1979 wuchs das N etto-Inlandprodukt (enger gefaßte Produktion in konstanten Preisen von 1976) in der Bundesrepublik um 16,61 %. (Stat. Hinweise siehe Investitionsquotenberechnung.) In der Tschechoslowakei wuchs das Netto-Inlandprodukt (benütztes Volkseinkommen) in konstanten Preisen (Preise von 1977) in denselben Jahren um 8,56%. Man sieht, daß das Nettoprodukt in der Bundesrepublik um 94% schneller als in der Tschechoslowakei wuchs. Es wäre nun noch zu beachten, mit welchem Einsatz von Kapital das jeweilige Wachstum erreicht wurde. Je größer der Anteil der Investitionsgüterproduktion für die Bruttoinvestition an der gesamten Produktion ist, desto kleiner muß der Anteil der Konsumgüterproduktion sein. Deshalb ist immer das Land bzw. das System im Vorteil, welches für ein bestimmtes Wachstum relativ weniger Bruttoinvestitionen als ein anderes Land bzw. System braucht. Werden nun die Bruttoinvestitionen in der enger gefaßten Produktion der Jahre 1975 -1979 in bei den Ländern zusammengezählt und im Verhältnis zu dem ad119

dierten Nettoprodukt dieser Jahre betrachtet, so wird klar ersichtlich, zu welch enormem Preis die CSSR ihr Produktionswachstum absicherte (zudem ein wesentlich langsameres Wachstum als in der Bundesrepublik). Das viel höhere Verhältnis der Bruttoinvestitionen zum Nettoprodukt in der CSSR bedeutet, daß jedes Jahr ein riesiger Verlust an Konsumtion entgegengenommen werden mußte, um mit einem übermäßigen Quantum an Investitionen das angestrebte Wachstum zu erreichen. In der Bundesrepublik machte das Verhältnis von 1975-1979 in konstanten Preisen (Mio. DM) Bruttoinvestitionen Nettoprodukt

~ ~::~::= = 26,68 %

Stat. Jhb. 82, S. 519 Stat. Jhb. 83, S. 530, 541/2. In der Tschechoslowakei machte dieses Verhältnis in der gleichen Zeit (konstante Preise, Mio Kcs) Bruttoinvestitionen 711 583.-----:----=--- = = 34 50 % Nettoprodukt 2062460.'

Stat. Jhb. der CSSR 82, S. 148, 151. In der Tschechoslowakei war das Verhältnis der Bruttoinvestitionen zum Nettoprodukt, zusammengefaßt für die fünf Jahre, um rund 29% höher als in der Bundesrepublik. Dies war nicht nur Ausdruck der unwirtschaftlichen Ausnützung von Investitionsgütern, sondern vor allem der immer größeren Zurückgebliebenheit der Technik und Technologie in der Produktion des sozialistischen Wirtschaftssystems. Der Produktionsoutput, der im Durchschnitt auf eine Investitionseinheit in der Produktion der CSSR entfällt, ist wesentlich kleiner als in der Bundesrepublik. Die Folgen der riesigen Unwirtschaftlichkeit und der produktiven und technischen Zurückgebliebenheit im sozialistischen System sind

natürlich immense Verluste an Konsumtion und Bedarfsdeckung der Bevölkerung. Wir wollen dies nun eingehender betrachten.

7 Vergleich der privaten Konsumtion Die Preise von Konsumgütern in der CSSR wurden so bereinigt, daß die Umsatzsteuer nicht nur in die Konsumgüterpreise, sondern - ebenso wie in der Bundesrepublik - proportional in alle Preise involviert wurde. Aufgrund dessen machte im Jahr 1981 die private Konsumtion in der Tschechoslowakei (in laufenden Preisen, Mio. Kcs) 220591.-.

Stat. Jhb. der CSSR 1983, S. 100, 139. 120

Bei einer Umrechnung nach erwähntem, offiziellem Wechselkurs macht dies in Mio.DM 77400.-.

Dies gibt auf einen Einwohner eine Privatkonsumtion von 77400.- Mio. DM = 5044,23 DM 15344 346 Einwohner

In der Bundesrepublik betrugen in diesem Jahr die privaten Verbraucherausgaben auf einen Einwohner berechnet 874080.- Mio. DM 61682000 Einwohner

=

14170,75 DM

Stat. Jhb. 1984, S. 528, 537. Das bedeutet, daß schon bei der Berechnung zum offiziellen Kurs die private Konsumtion pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland um 180,93% höher als in der Tschechoslowakei ist. Nun soll wieder der realistischere Wechselkurs von 1 DM: 3,72 Kcs zur Umrechnung benützt werden. Bei diesem erhalten wir eine private Konsumtion pro Kopf der Bevölkerung von 3864,53 DM

was bedeutet, daß die private pro-Kopf-Konsumtion in der Bundesrepublik um 266,69% höher als in der CSSR lag. Dabei ist zu bedenken, daß in diesem Vergleich, auch bei dem realistischeren Wechselkurs, die riesige Zurückgebliebenheit, was die Qualität und die Struktur der Konsumgüter betrifft, nicht voll ausgedrückt werden kann. Wie groß noch der qualitative Unterschied zwischen den jeweils angebotenen Konsumgütern ist, kann zum Teil daraus ersehen werden, wieviel die Bürger der CSSR im Durchschnitt gewillt sind, auf dem Schwarzmarkt Kronen für DM anzubieten. Durchschnittlich werden auf dem Schwarzmarkt 5mal mehr Kronen für eine DM angeboten, als dem offiziellen Wechselkurs entspricht. Da man für die DM, wie auch für andere harte westliche Währungen, in speziellen Läden (in der CSSR Tusex genannt) westliche Waren einkaufen kann, d. h. Waren, die normal auf dem Markt nicht zu haben sind, zeugt auch dies von der Höherbewertung der westlichen Güter im Vergleich zu den im Handel normal angebotenen tschechoslowakischen Waren. Nun ist natürlich der große Unterschied zwischen der privaten Pro-KopfKonsumtion der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei zum Teil beeinflußt durch die größeren Einkommensdifferenzen und vor allem durch die existierenden Kapitaleinkommen in der Bundesrepublik, aus welchen zum Teil eine relativ sehr hohe private Konsumtion resultiert. Es sei hier erwähnt, daß zwar die private Konsumtion der kommunistischen Spitzenfunktionäre auch ungemein hoch ist und in nichts der kapitalistischen Konsumtion nachsteht. Dennoch ist der Anteil der kapitalistischen Konsumtion an der gesamten Konsumtion wesentlich größer 121

als der Anteil der kommunistischen Spitzenfunktionäre. Um daher möglichst objektiv zu bleiben, will ich auch noch die realen Löhne der Arbeitnehmer bzw. abhängig Erwerbstätigen vergleichen, aus welchen die Einkommen und Konsumtion der Kapitalisten ausgeschieden sind. Bei Umrechnung der durchschnittlichen Löhne der tschechoslowakischen Erwerbstätigen auf DM zu dem realistischen Wechselkurs von 1 DM = 3,72 Kcs in den Jahren 1980 und 1983, kommt man zu den nachfolgend aufgeführten Größen. Dabei muß stets beachtet werden, daß mit Hilfe dieses Wechselkurses (berechnet nach der Kaufkraftparität) verglichen werden kann, was und wieviel sich ein durchschnittlicher Lohnbezieher ungefähr kaufen kann, ungeachtet der unterschiedlichen Preisdifferenzen in bei den Ländern. Der nach Kaufkraftparität berechnete Wechselkurs ermöglicht einen ungefähren qualitativen Vergleich des Lebensstandards von Lohnbezügern, denn wenn ein bestimmtes Gut in einem Land zu teuer ist, ist dafür das andere entsprechend billiger. So kann der in DM umgerechnete durchschnittliche reale Lohn am besten Aufschluß darüber geben, wie unterschiedlich sich der Lebensstandard von Lohnabhängigen in beiden Ländern entwickelt hat. CSSR

durchschnittlicher Monatslohn in Kcs durchschnittlicher Monatslohn in DM

1980

1983

2637.708,87

2789.749,73

Stat. rocenka 1984 (Stat. Jhb. der CSSR 1984) S. 193 Bundesrepublik Deutschland

durchschnittlicher Monatslohn in DM

1980

1983

1929,80

2109,55

Stat. Jhb. 1983 der Bundesrepublik Deutschland, S. 104, 528. Der durchschnittliche Monatslohn in der Bundesrepublik wurde errechnet aus der Summe der Nettoeinkommen der Arbeitnehmer dividiert durch die Zahl der Arbeitnehmer, während in der CSSR nur die Bruttolöhne publiziert wurden. Bei Benützung der Nettolöhne in der Bundesrepublik wurde eher eine Bevorteilung der CSSR, auf keinen Fall ihre Benachteiligung erreicht. Dennoch ist aus dem Vergleich ersichtlich, daß der durchschnittliche Lohnempfänger in der Bundesrepublik im J. 1980 einen um 172,24% höheren Lohn bezog oder 2,72 mal so viel kaufen konnte, wie der tschechoslowakische Lohnempfänger. Im Jahre 1983 war es dann bereits um 181,37% mehr oder 2,81 mal so viel. Die riesige quantitative und qualitative Zurückgebliebenheit der privaten Konsumtion sowie der Reallöhne ist eines der traurigsten Ergebnisse der ineffektiven sozialistischen Wirtschaft in der Tschechoslowakei. Nun wird immer wieder von links orientierten Menschen im Westen eingewendet, daß zwar die private Konsumtion in den Ostblockstaaten zurückbleibt, aber dafür die öffentliche (gesell122

schaftliehe) Konsumtion im Sozialismus viel höher als im Kapitalismus sei. Doch auch dies ist eine Illusion, die nicht aufrecht erhalten werden kann.

8 Vergleich der gesellschaftlichen Bedarfsbefriedigung Betrachten wir nun die sogenannte gesellschaftliche Bedarfsbefriedigung in beiden Ländern, d. h. jene Bedarfsbefriedigung, die im Grunde aus dem Staatsbudget finanziert wird. Dazu ist es am wichtigsten, jene staatlichen Ausgaben zu vergleichen, die für die Sparten Bildung, Wissenschaft, Kultur, Sozialwesen, Gesundheit, Sport ausgegeben werden. Mit den Ausgaben für diese gesellschaftlichen Dienstleistungen wird am klarsten die Befriedigung der für die Bevölkerung unmittelbar wichtigsten gesellschaftlichen Bedürfnisse ausgedrückt. Gleichzeitig ist hier der Vergleich erleichtert, da diese Angaben in beiden Staatsbudgets gleichermaßen erfaßt werden. Da jedoch die Höhe des Staatsbudgets sowohl absolut als auch relativ in beiden Ländern wesentlich unterschiedlich ist (das Staatsbudget in den sozialistischen Ländern nimmt einen wesentlich höheren Anteil am Sozialprodukt ein als im kapitalistischen System), wollen wir die Ausgaben für die erwähnten Sparten der öffentlichen Bedarfsbefriedigung nicht im Verhältnis zum Staatsbudget, sondern zum Nettoprodukt berechnen. Der Vergleich muß allerdings für das Jahr 1980 durchgeführt werden, da nur bis zu diesem Jahr die Ausgaben des Staates in der Tschechoslowakei nach einzelnen Ausgabensparten aufgeteilt sind. Höchstwahrscheinlich waren diese Angaben für das tschechoslowakische Regime derart negativ, daß auf eine solche Aufteilung im statistischen Jahrbuch 1981 verzichtet wurde. Die Ausgaben für die einzelnen Sparten bzw. Ressorts, werden hier nurmehr aggregiert angegeben, aufgeteilt auf Personalausgaben, laufende sachliche Ausgaben, Investitionsausgaben u. ä., ohne zu erwähnen, für welchen Sektor, bzw. für welches Ressort diese Ausgaben getätigt wurden. Es ist wieder eine neue Art der Verdeckung von Ausgabenproportionen zwischen Bildung, Sozialwesen, Gesundheit u. ä. auf der einen Seite und Recht, Sicherheit, Verteidigung sowie wirtschaftlichen Ausgaben auf der anderen Seite. Aus diesem Grund unternehmen wir den Vergleich für das Jahr 1980, wobei dieser im Jahr 1981 im wesentlichen nicht anders ausgefallen wäre. Im folgenden zuerst die Ausgaben in der Bundesrepublik Deutschland (in laufenden Preisen, in Mio. DM) Bildung, Wissenschaft, Kultur, Sozialwesen, Gesundheit, Sport 459850.= 971160.- = 47,35% . . P d k' N ettopro du k t zu Mark tprelsen In ro u bon

Stat. Jhb. 1984, S. 427, 538/539. In der Tschechoslowakei machte das Verhältnis der beiden Aggregate (in laufenden Preisen, Mio.Kcs) Bildung, Wissenschaft, Kultur, Sozialwesen, Gesundheit, Sport Nettoprodukt zu Marktpreisen

----~------------~------~--------~~=

144265.=3019% 477917.'

Stat. Jhb. der CSSR 1982, S. 113, 144, 162. 123

Wie ersichtlich, sind die Ausgaben des Staates in der Bundesrepublik für die angegebenen Sparten Bildung, Kultur, Sozialwesen etc. im Verhältnis zum marxistisch berechneten Nettoprodukt um rund 56,84% höher als in der Tschechoslowakei. Wir wollen jetzt diese staatlichen Ausgaben (kurz als Sozialausgaben bezeichnet) in ein Verhältnis zur Bevölkerungszahl setzen und dieses aufgrund der offiziellen Wechselkursberechnung für das Jahr 1980 mit dem gleichen Verhältnis in der Tschechoslowakei vergleichen. In der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1980 machten diese Sozialausgaben pro Kopf der Bevölkerung staatl. Sozialausgaben

459850.- Mio. DM

Bevölkerungszahl

61566000 Einw.

------- =

=

746922 DM '

während die gleichen Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung in der CSSR staatl. Sozialausgaben Bevölkerungszahl

144256.- Mio. Kcs - - - - - - = 9435,84 Kcs 15289460 Einw.

betrugen. Gemäß des offiziellen Wechselkurses für Mitte 1980 1 DM = 2,94 KCS 15

machten die staatlichen Sozialausgaben pro Kopf der Bevölkerung in DM umgerechnet in der CSSR 3209,47 DM.

Die staatlichen Sozialausgaben pro Kopf der Bevölkerung bei Umrechnung zum offiziellen Wechselkurs waren also in der Bundesrepublik um 132,72% höher als in der Tschechoslowakei. Benützen wir jetzt den realistischen Wechselkurs von 1 DM = 3,72 Kcs, so erhalten wir ein Verhältnis der staatlichen Sozialausgaben pro Kopf der Bevölkerung in der CSSR von 2536,52 DM

Damit lagen die betreffenden Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik um 194,47% höher als in der CSSR. Wir sehen, daß sowohl die private Konsumtion als auch die unmittelbar sozial ausgerichtete gesellschaftliche (staatlich finanzierte) Konsumtion pro Kopf der Bevölkerung in der Tschechoslowakei in einem so enormen Verhältnis hinter der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zurückgeblieben ist, daß dies als eine der schärfsten Anklagen gegen das sozialistische Wirtschaftssystem bezeichnet werden muß.

15

siehe Stat. Beihefte, Deutsche Bundesbank, Reihe 5, August 1980, Nr. 3, S.41.

124

9 Vergleich der Vorratsbildung bzw. Produktion auf Lager Mit dem Vergleich der Produktion und Konsumtion pro Kopf der Bevölkerung können wir die Vergleiche noch nicht beenden. Eine weitere volkswirtschaftlich aggregierte Größe drückt die wesentlich unterschiedliche Effektivität der beiden Wirtschaftssysteme aus. Es handelt sich um die Bildung von Vorräten in der gesamten Volkswirtschaft. Dabei werden Vorräte sowohl bei den Lieferanten als auch bei den Abnehmern erfaßt. Selbstverständlich braucht eine jede Volkswirtschaft einen bestimmten Umfang an Vorräten, um kurzfristige Widersprüche zwischen Produktion und Bedarf laufend zu überbrücken. Sowohl eine ungestörte Produktionsentwicklung als auch eine laufende Befriedigung des Bedarfes der Bevölkerung verlangt eine optimale Bildung von Vorräten an Produktionsmitteln als auch an Konsumgütern. Sind die Vorräte zu klein, entstehen unnötige Unterbrechungen in der produktiven als auch nicht-produktiven Bedarfsbefriedigung. Gleichzeitig muß jedoch gesehen werden, daß alle für die Vorräte bestimmten Güter, der unmittelbaren Bedarfsbefriedigung entzogen werden. Daher führt eine jede übermäßige Vorratsbildung und besonders ein ständiges Anwachsen der Vorräte zu einer unnötigen Konsumtionseinschränkung. Unnötig große und wachsende Vorräte sind vor allem Ausdruck einer der Bedarfsentwicklung unangebrachten Produktion, d. h. einzelne Güterarten entsprechen qualitativ oder auch quantitativ nicht dem effektiven Konsumbedarf. Beides ist Zeichen einer ungenügend koordinierten bzw. ungenügend bedarfsausgerichteten Produktionsentwicklung. Die marxistische Theorie drückt einen wachsenden Widerspruch zwischen der Produktionsstrukturentwicklung und der Entwicklung der Bedarfsstruktur als wachsende Anarchie eines Wirtschaftssystems aus. Betrachten wir nun die Vorratsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Tschechoslowakei. Bundesrepublik Deutschland (in laufenden Preisen, Mio. DM)

Gesamte Vorräte in d.Wirtschaft 1978

1980 1981

316400.-

345900.361120.-

Nettoprodukt in engerer Produktion

Vorräte

858230.-

36,87%

971160.993360.-

Nettoprodukt 35,62% 36,35%

Stat. Jhb. 84, S. 538/9 Angaben des Wirtschaftsministeriums, Bonn 1984 Tschechoslowakei (in laufenden Preisen, Mio. Kcs)

1978 1980 1981

Gesamte Vorräte in d.Wirtschaft

Nettoprodukt

443260.534359.540304.-

438015.486281.472003.-

Vorräte Nettoprodukt 101,20% 109,89% 114,47%

Stat. Jhb. der CSSR 1979, S. 165 Stat. Jhb. der CSSR 1982, S. 182, 185. 125

Wir sehen, daß die Vorräte im Verhältnis zum Nettoprodukt in der Tschechoslowakei wesentlich höher sind. Das Verhältnis der Vorräte zum Nettoprodukt ist im Jahre 1981 in der CSSR um 214,91 % größer als in der Bundesrepublik. Wie auch ersichtlich, vergrößert sich dieses Verhältnis in der Tschechoslowakei beständig, während es in der Bundesrepublik ungefähr gleichbleibt. Das bedeutet, daß die relativ anwachsenden Vorräte in der Tschechoslowakei Ausdruck einer Produktion sind, welche in wachsendem Ausmaß Güter liefert, die unmittelbar niemand braucht. Wir stellen fest, daß die Disproportionalität der sozialistischen Produktion größer als diejenige der kapitalistischen Produktion ist. Die marxistische Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsanarchie und die Forderung nach ihrer Überwindung mit Hilfe einer planmäßigen Proportionalität der Produktion im Sozialismus klingt daher absurd. In der sozialistischen Produktion werden auf der einen Seite in wachsendem Ausmaß Güter produziert, mit welchen die Betriebe den Plan leichter erfüllen können, ungeachtet der real benötigten Anzahl Güter. Auf der anderen Seite werden dann tatsächlich benötigte Güter in ungenügender Menge produziert, weil mit deren Herstellung die Planerfüllung zu schwierig wird. Nichtbenötigte Güter werden auf Lager produziert. Erstaunlicherweise werden die überschüssig produzierten Güter nicht bei den Produzenten bzw. Lieferanten gelagert, sondern bei den Abnehmern. Die Existenz eines beständigen Verkäufermarktes, also eines Marktes, bei welchem die kaufkräftige Nachfrage sowohl der Produktions- als auch der Handelsbetriebe schneller als das entsprechende Angebot wächst, führt dazu, daß die nicht befriedigte Kaufkraft der Abnehmer dazu benutzt wird, auch im Augenblick unbenötigte Produkte abzunehmen, die nur ihre Lager vergrößern. Dies geschieht mit der erfahrungsgemäß gewachsenen Vorstellung, daß nicht unmittelbar gebrauchte Güter später eventuell zur Verwendung kommen könnten und daß die Lagerbildung auf jeden Fall vorteilhafter sei, als der Verlust an ungenützten Erlösen, die Ende des Jahres abgeschöpft werden. Die wachsenden Lager bei den Abnehmern sind also von der Sicht der Abnehmer gesehen verständlich, bilden aber gleichzeitig wieder eine Kritik der ungenügend bedarfsausgerichteten Produktionsentwicklung. Die Schaffung von wachsenden Lagern nichtbenötigter Güter drückt sich auf der anderen Seite durch einen steigenden; nicht befriedigten Bedarf aus, was zu einem beständigen Nachjagen der Konsumenten nach Mangelwaren, zur ständigen Bildung von Käuferschlangen bzw. zur Entwicklung von Schwarzmärkten führt. Dieser wachsende Widerspruch zwischen der Produktions- und der Bedarfsentwicklung kann durch keine moralischen und politischen Aufforderungen in Richtung Produktion beseitigt werden, da er Ausdruck systeminhärenter Ursachen ist.

10 Zusammenfassung der quantitativ erfaBten sozialistischen Mängel Es zeigt sich, daß die dirigistische Planung nicht imstande ist, die großen Mängel der sozialistischen Produktionsentwicklung zu beseitigen. Wir wollen sie hier noch einmal zusammenfassend aufzählen. Es sind dies: 126

1. eine unwirtschaftliche Produktion, verbunden mit einer riesigen Vergeudung von Produktionsressourcen ; 2. eine Produktion mit einem zu niedrigen Anteil der Konsumgüterproduktion an der gesamten Produktion; 3. eine nicht genügend bedarfsgerecht verlaufende Produktionsstruktur ; 4. eine Produktionsentwicklung mit zu langsam verlaufendem technischem Fortschritt und daher mit einer zu langsam wachsenden Arbeitsproduktivität bzw. sinkenden Kapitalproduktivität. All dies sind die Grundursachen riesiger Versorgungslücken, die am Beispiel der Tschechoslowakei klar demonstriert wurden. Die Tschechoslowakei diente hier nur als Beispiel für diese Lücken, die in allen sozialistischen Ländern zu verzeichnen sind und fast in allen noch größer als in der Tschechoslowakei sind. Es ist nicht so, daß die Betriebsleitungen in den sozialistischen Ländern nicht fähig wären, eine effektivere und bedarfsgerechtere Produktionsentwicklung abzusichern. Der Großteil der existierenden Betriebsleitungen verhält sich rational und realisiert eine solche Produktionsentwicklung, bei welcher das jeweilige Betriebskollektiv mit relativ geringster Anstrengung eine höchstmögliche Einkommensentwicklung erreicht. Bei dem gegebenen Planungssystem wird eben eine höchstmögliche Einkommensentwicklung nicht mit wirtschaftlicherer, sondern eher mit einer umgekehrten Produktionsentwicklung erzielt, bei welcher jedoch der dirigistische Plan erfüllt bzw. übererfüllt wird. Es ist nicht vor allem die Sache eines ungenügenden Wissens bei den Betriebsleitungen bzw. bei der technischökonomischen Intelligenz in der Produktion, sondern Sache einer falschen, antigesellschaftlichen Motivationsbildung, die das dirigistische Planungssystem hervorruft. Es werden nicht jene Betriebe, Betriebskollektive und Betriebsleitungen am höchsten entlohnt, die ihre Produktion optimal wirtschaftlich, bedarfsgerecht und technisch fortschrittlich gestalten, sondern jene Betriebe, denen es gelungen ist, einen möglichst weichen (leicht erfüllbaren) Plan von oben her zu erhalten und ihn auf leichte Weise, auch bei Vergeudung von Produktionsressourcen, bei Strukturmanipulation und bei nur minimaler Innovationsentwicklung bzw. sogar Qualitätsverschlechterung ihrer Produkte zu erfüllen und überzuerfüllen. Solange konservative Partei führungen das rationale Verhalten der Betriebe nicht erkennen können bzw. wollen, so lange wird sich an der Wirtschaftsentwicklung in den Ostblockstaaten auch nichts ändern. Die beständigen politischen Aufforderungen der meisten Parteiführungen an die Betriebe stellen nichts anderes als Alibiübungen dieser Partei führungen dar. Sie müssen wissen, daß sich damit nichts Grundlegendes in der Produktionsentwicklung ändern wird. Sie glauben aber, daß mit den sich ständig wiederholenden Beschwörungen, die Produktion bedarfsgerechter, billiger und qualitativ besser zu entwickeln, ihre Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung am besten zum Ausdruck gebracht wird. Auch mit der polizeilichen Verfolgung von Resultaten der schlechten Wirtschaftsentwicklung, wie z. B. des Schwarzmarktes, der Unterschlagungen, der Korruption, der niedrigen Arbeitsmoral u. ä., werden nicht die Ursachen dieser negativen Erscheinungen beseitigt. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß alle angeführten Mängel des sozialistischen Wirtschaftssystems so lange nicht beseitigt werden, 127

1. solange Betriebe ihre Produktion und Investitionen nach bürokratischen Planauflagen und nicht nach der wirklichen Nachfrageentwicklung am Markt ausrichten werden; 2. solange die Produktion in absolut monopolisierten Branchenkonzernen verlaufen wird, deren Tätigkeit durch keinen Konkurrenten in Frage gestellt und objektiviert werden kann; 3. solange die Preise keine Marktpreise sein werden, in welchen sich die Entwicklung des Angebot- und Nachfrageverhältnisses am Markt widerspiegelt; 4. solange die Einkommen der Betriebe und daher auch ihre Löhne und Gewinne nicht von Marktresultaten, bei Existenz von Marktwettbewerb und Käufermarkt abhängig sein werden; 5. solange die Betriebsleitungen nicht nach marktwirtschaftlichen Leistungen der von ihnen geführten Betriebe, statt nach politischen Kriterien, bewertet und äusgewählt werden. Solange diese Systemzüge nicht geändert werden, so lange wird die Produktion in den sozialistischen Ländern die angeführten Mängel und Verluste aufweisen. Sie wird einen unnötig niedrigen und unbefriedigenden Lebensstandard der Bevölkerung verursachen, mit all seinen anderen negativen und bedrückenden Folgen, mit den Schwarzmärkten, Privilegien, Unterschlagungen, Massendiebstählen, mit Korruption und einer völligen Entfremdung der Menschen von ihrer Wirtschaft. In all den Ländern, in welchen das Wirtschaftssystem sowjetischen Types mit Hilfe einer repressiven Staatsmacht aufrecht erhalten wird, machen sich die Parteiführungen ihren Völkern gegenüber und vor der Geschichte immens schuldig. Diese Schuld kann durch keine noch so oft sich wiederholenden alibistischen Mobilisationen und Beschwörungen der Völker wettgemacht werden, denn es gibt heute bereits genügend negative Erfahrungen aus dem sowjetischen Wirtschaftssystem, die eine Systemreform als notwendig erscheinen lassen.

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V. Reformerfordernisse im marktwirtschaftlichen System

1 Theoretische Voraussetzungen einer Systemreform Die Notwendigkeit einer Reform des "realsozialistischen" Systems muß nicht die Rückkehr zum kapitalistischen marktwirtschaftlichen System bedeuten. Obzwar dessen Produktion - wie gezeigt - wesentlich effektiver als die sozialistische Produktion ist und aufgrund dessen auch eine weit höhere private und soziale Bedarfsbefriedigung als im Sozialismus sichern kann, hat das marktwirtschaftliche System andere, schwerwiegende Mängel, die ohne Änderung bestimmter Systemzüge nicht beseitigt werden können. Einer der ernstesten, systemimmanenten Mängel sind die lang- und auch kurzfristigen Schwankungen der Produktions- und Investitionsentwicklungen, die besonders in den langen Abstiegsphasen zu Massenarbeitslosigkeiten führen. Das bedeutet, daß trotz relativ schnell wachsender und hocheffektiver Produktion immer wieder Perioden von vielen Jahren auftauchen, in welchen große Mengen von Menschen ihre Arbeit langfristig verlieren und viele Leute bis ans Lebensende, keine neue Beschäftigung erlangen können. Noch schwerwiegender sind diese Perioden für junge Menschen, von welchen sehr viele nach dem Schulabgang überhaupt nicht Eingang in das Berufsleben finden und oft nicht wieder gut zu machenden psychischen Schaden davontragen. Soziale Unsicherheit, Ängste, Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen und andere seelische Leiden hunderttausender von Menschen breiten sich in diesen Zeiten aus. Sie können weder mit Arbeitslosenunterstützungen noch mit sozialen Aushilfen beseitigt werden. Die Existenz solcher sozialen Folgen von beständig wiederkehrenden Makrogleichgewichtsstörungen kann nicht bestritten werden. Sie sollten auch nicht als unausweichlich dargestellt werden, ebenso wenig wie die Makrogleichgewichtsstörungen selbst nicht unausweichlichen Naturkatastrophen gleichgestellt werden können. Sie entstehen als Ausdruck von gesellschaftlich nicht bewältigten Prozessen der Verteilung des Volkseinkommens, die periodisch in Divergenz zur Kapitalproduktivitätsentwicklung kommen und zu starken Schwankungen der Investitionsentwicklung führen. Nicht die Natur ist daher für diese Schwankungen verantwortlich, sondern die Menschen selbst bzw. bestimmte Institutionen (Gewerkschaften, Unternehmerverbände, der Staat u. ä.), die mit dem gegebenen System verbunden sind und die in ihrer jeweils spezifischen kurzfristigen Interessenverfolgung, besonders was die Erreichung von Einkommensanteilen betrifft, die Folgen dieser Aktivität nicht wahrnehmen. Solange es gegensätzliche kurzfristige Einkommensinteressen (gegensätzliche Lohn-, Gewinn-, Zins-, Steuerinteressen etc.) geben wird, wird es schwerlich vernunftsmäßige Einkommensaufteilungen geben, d. h. Einkommensaufteilungen, bei welchen zukünftige Folgen dieser oder jener voraussehbaren Einkom129

mensaufteilung (dazu später mehr) in Betracht gezogen werden. Zu solchen schwerwiegenden Folgen zählen jedoch nicht nur Investitions- und Beschäftigungsschwankungen, sondern auch Umweltschädigungen, ökonomisch unnötige soziale Differenzierungen u. ä. Solche langfristigen ökonomischen Störungen und sozialökonomischen Folgen entstehen nicht deshalb, weil sie nicht voraussehbar wären, sondern weil die gegensätzlichen kurzfristigen Interessen großer sozialer Gruppen und Institutionen wesentlich stärker als alle ihre langfristigen Interessen sind. Außerdem haben die längerfristigen Resultate auch sehr unterschiedliche sozialökonomische Auswirkungen - bei bestimmten sozialen Gruppen leichter, bei anderen schwerer zu ertragende Folgen - was auch zu unterschiedlich starken Verfolgungen nur kurzfristiger sowie zur Ignorierung langfristiger Interessen führt. Die Überwindung von schicksalsschweren und zukunftsblinden Einkommensverteilungen verlangt daher vor allem nach solchen Änderungen der Verteilungsprozesse und womöglich auch bestimmter Einkommensquellen (z. B. Ergänzung des Lohneinkommens durch Gewinnbeteiligungen u. ä.), aufgrund welcher die Einkommensverteilungen besser den zukünftigen Gleichgewichtsforderungen, Umweltbedürfnissen u. a. angepaßt werden könnten. Solche Änderungen kommen natürlich Änderungen bestimmter Systemzüge gleich und müssen daher als Reformen angesehen werden. Sie müssen jedoch derart durchdacht sein, daß mit ihnen die früher geschilderten Effektivitätsvorteile der Marktwirtschaft nicht nur erhalten bleiben, sondern womöglich noch vertieft werden. Es gibt durchaus Möglichkeiten solcher Reformen des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems, bei welchen nicht nur der Marktmechanismus vervollkommnet würde, sondern auch private Unternehmer - Gründerinteressen und dementsprechende Aktivitäten - erhalten blieben. In einigen meiner Bücher 1 habe ich ein solches Modell dargestellt. Auch wenn es dieses Modell bisher nur in der Theorie gibt, bedeutet dies nicht, daß es damit als Utopie abgetan werden kann. Viele der heute in der Praxis existierenden Wirtschaftsordnungen haben jahreund jahrzehntelang zuvor nur als theoretische Ideen in diesen oder jenen wissenschaftlichen Abhandlungen existiert (neben anderem z. B. auch die Soziale Marktwirtschaft 2 ). Immer gab es dann konservative Anhänger des alten Systems - ob aus interessenbedingten oder ideologischen Gründen - die sich eine neue Ordnung nicht vorstellen konnten oder wollten und versuchten, diese als Utopie abzutun. Über die Realisierbarkeit dieses oder jenes Modells einer neuen Wirtschaftsordnung und daher auch des Modells einer Humanen Wirtschaftsdemokratie sollte sachlich diskutiert werden. Es kann nur aufgrund der im Modell real vorgeschlagenen Änderungen erwogen werden, ob die neue Interessenentwicklung und Einkommensverteilung Vorteile im Hinblick auf die angestrebten langfristigen Ziele gegenüber der alten Einkommensverteilung bringen und ob dabei der Marktmechanismus weiter bzw. nicht sogar besser funktionieren kann. Kritiken

Vgl. Sik, 0., Humane Wirtschaftsdemokratie, ... Ein Wirtschaftssystem der Zukunft ... Vgl. Müller-Armack, A., Wirtschaftsordnung ... oder Vgl. auch Eucken, W., Die Grundlagen ... 1

2

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und Polemiken dagegen, die solche Reformvorschläge falsch auslegen bzw. gänzlich verzerren (später wird dies konkreter aufgezeigt), können nicht ein wirkliches Bemühen um Überwindung von Systemmängeln ausdrücken, sondern unterscheiden sich nicht wesentlich von ideologisch motivierten Verzerrungen von Reformvorschlägen in realsozialistischen Ländern. Solche interessenbedingte und erkenntnismäßige Hindernisse von Systemreformen gibt es natürlich auch innerhalb der Länder mit marktwirtschaftlichem System. Sie bilden die ernstesten Barrieren für eine erfolgreichere Entwicklung der volkswirtschaftlichen Theorie. Überall dort bleibt diese Theorie auf halbem Wege stehen, wo sich z. B. die ökonomische Theorie damit begnügt, festzustellen, daß bestimmte zu Gleichgewichtsstörungen führenden Einkommensverteilungen durch diese oder jene mächtigen und dem Marktmechanismus widersprechenden Institutionen hervorgerufen werden. Diese Theorie zeigt jedoch keine Wege zur Änderung solcher Institutionen auf, weil dies ohne Systemreformen nicht zustandegebracht werden könnte. Sobald bestimmte Systemzüge als unabänderlich aufgefaßt werden, da sie als Bedingung einer freien und effektiven Wirtschaftsentwicklung betrachtet werden, dabei aber geflissentlich übersehen wird, daß sie auch andere, negative Prozesse hervorrufen, nähert sich ein solches theoretisches Denken an eine Dogmatisierung heran, die anderenorts vehement verurteilt wird. Zum Beispiel die private Aneignung von Gewinnen als Voraussetzung einer privaten Unternehmertätigkeit ist ohne Zweifel eine Bedingung der freien und effektiven Entwicklung der Marktwirtschaft. Wenn jedoch in diesem Denken die Überlegung fehlt, ob bei Einführung einer Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter nicht andere Interessenentwicklungen und damit auch andere Einkommensverteilungen entstehen könnten, die die Gleichgewichtserhaltung erleichtern würden, ohne dabei die Gewinnmotivation der Unternehmer zu verlieren, so ist dies eben ein eng begrenztes und wissenschaftlich ungenügendes Denken. Solche Theoriebegrenzungen, Einseitigkeiten und Vereinfachungen werden zu immer schwerwiegenderen Mängeln der gegenwärtigen wirtschaftlichen und überhaupt gesellschaftlichen Theorieentwicklung führen. Jahrzehntelang brachte die immer detailliertere analytische Arbeit viele neue Erkenntnisse; in der Gegenwart wird jedoch das ganzheitliche, synthetische Denken vorrangig wichtig und bildet die entscheidende Voraussetzung für die Lösung anstehender gewaltiger gesellschaftlicher Probleme. Theoretische Begrenzungen, Einseitigkeiten und Vereinfachungen können sowohl mit konservativen, antireformerischen als auch mit reformfreudigen Einstellungen verbunden sein. Immer bilden sie jedoch Hemmnisse für ein mögliches, wissenschaftliches Suchen von Lösungen herangereifter, gesellschaftlicher Probleme. Die bevorstehende mächtige technische Entwicklung bringt auch dem marktwirtschaftlichen System so große sozialökonomische Probleme, daß ihre Lösung mit den Methoden und Begrenzungen der alten theoretischen Schulen nicht mehr denkbar sind. Realisierbare Reformtheorien sind erforderlich - jedoch werden sich nur solche durchsetzen, die an die Probleme ganzheitlich, synthetisch herantreten. Rein konservative, ökonomistische Theorien, die die sozialökonomischen, umweltbedingten und humanisierenden Probleme beiseite lassen, werden ebenso wenig Lösungen bringen wie so manche Arbeiten, die nach neuen Entwicklungs131

wegen suchen,jedoch die ökonomische Problematik ungenügend beachten und in ihren Reform- oder Lösungsvorschlägen oft Jahrzehnte überspringen.

2 Arbeitslosigkeit in der neoliberalen ökonomischen Theorie Ein Großteil bürgerlicher Ökonomen hat sich im letzten Jahrzehnt von der bis dahin stark verbreiteten post-keynesianischen, der neoklassischen bzw. neoliberalen Theorie zugewandt. Es war die Reaktion auf das angebliche Versagen der keynesianischen Theorie bzw. der aus dieser Theorie hervorgehenden Wirtschaftspolitik in vielen Industrieländern im letzten Jahrzehnt. Die Stärkung der neoliberalen ökonomischen Denkweise bedeutet auch eine Rückkehr zu der Auffassung, daß der Marktmechanismus allein, bei einer antiinflationären Geldpolitik sowie bei einer Überwindung der Preis- und Lohnrigiditäten, großen Gleichgewichtsstörungen vorbeugen könnte. Es herrscht die Ansicht, daß es die Fehler der Wirtschaftspolitik sowie monopolistische Verhaltensweisen vor allem der Gewerkschaften waren bzw. teilweise noch sind, die nicht nur starke Inflationen, sondern letztendlich auch die große Arbeitslosigkeit hervorgerufen haben. Somit hat auch wieder die neo klassische Theorie Auftrieb erhalten, gemäß welcher es zu keiner größeren Arbeitslosigkeit (ausgenommen die friktionelle Arbeitslosigkeit) kommen müßte, wenn die Löhne sich flexibler gemäß der Grenzproduktivität der Arbeit entwickeln würden. Die in den 70er Jahren angestiegene und in die 80er Jahre hineinreichende große Arbeitslosigkeit sei angeblich Ausdruck der Mißachtung dieser Marktregel durch die Gewerkschaften, welche im Gegensatz zu der sinkenden Grenzproduktivität der Arbeit, weiter wachsende Löhne erkämpft hätten. Damit wäre es zu - für die Unternehmer - unerträglichen Lohnkostensteigerungen gekommen, bei welchen sich der Ersatz der Arbeit durch modernere Technik und andere Rationalisierungsmaßnahmen als erforderlich erwiesen und rentiert hätte. Somit hätte die der Produktivitätsentwicklung nicht entsprechende Lohnsteigerung zu einer steigenden Arbeitslosenzahl geführt. Sehr ausgeprägt hat dies in der Bundesrepublik z. B. Wolfram Engels in Anlehnung an die neoklassische Grenzproduktivitätstheorie ausgedrückt 3 . Gemäß Engels haben sich die Arbeitnehmer mit der Durchsetzung überhöhter Löhne selbst die zunehmende Arbeitslosigkeit zuzuschreiben. Die Abnahme dieser Arbeitslosigkeit kann nur durch eine relative bzw. auch absolute Senkung der durchschnittlichen Löhne und im weiteren durch ihr Ansteigen nur im Verhältnis zum Wachstum des Grenzproduktes der Arbeit erfolgen. In dieser Theorie gibt es neben richtigen Erkenntnismomenten auch viele realitätsferne Vereinfachungen, so daß das Festhalten an dieser Theorie unerklärlich bleibt. Ich will mich mit diesen Vereinfachungen im weiteren kurz befassen. Nehmen wir zuerst an, daß sich die durchschnittlichen Lohnsätze in der ökonomischen Mikrosphäre, d. h. in allen Unternehmen, tatsächlich gemäß des Grenzproduktes der Arbeit entwickeln würden. Dies würde also bedeuten, daß die

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Vgl. Engels, W., Arbeitslosigkeit ...

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durchschnittlichen Löhne jeweils dem Wertzuwachs der Produktion, den eine letzte zusätzliche Arbeitseinheit hervorbringt (eben der Grenzproduktivität), zu entsprechen hätten. Gemäß der neoklassischen Theorie gibt es die Möglichkeit, in den Unternehmen den Wertzuwachs zu berechnen, der von den Produktionsfaktoren Arbeit oder Kapital geschaffen wurde, wenn dieser oder jener Faktor jeweils um eine Einheit vergrößert wird. Lassen wir einmal das Problem der praktischen Anwendbarkeit dieser Theorie beiseite und nehmen wir an, daß in jedem Unternehmen gemessen werden kann, wie das Grenzprodukt der Arbeit wächst und wie sich daher die durchschnittlichen Löhne (die Lohnsätze) zu entwickeln hätten. Je nachdem, ob das Grenzprodukt der Arbeit wachsen oder sinken würde, würde auch das Nettoprodukt des Unternehmens im Verhältnis zur steigenden Zahl der Arbeitskräfte wachsen oder sinken. Das heißt also, daß auch die Durchschnittsproduktivität (bei gleichbleibender Elastizität der Produktionsfaktoren, d. h. dem Verhältnis ihres Ertragsbeitrages) proportional zum Wachstum der Grenzproduktivität wachsen oder sinken würde. Könnten daher die durchschnittlichen Löhne auch gemäß der Grenzproduktivität wachsen oder sinken, würde sich die Summe der Löhne in gleichem Maße wie das Nettoprodukt entwickeln. Der Anteil der Lohnsumme am Nettoprodukt und daher auch der Anteil der Gewinnsumme am Nettoprodukt (die Lohn- und Gewinnquote) würden dann gleichbleiben. Das Ganze kann auch einfacher ausgedrückt werden: würden die durchschnittlichen Löhne gleich schnell wie die durchschnittliche Arbeitsproduktivität (Nettoprodukt dividiert durch die Arbeitsmenge) wachsen, würde auch die Lohn- und Gewinnquote konstant bleiben. Dies ist nun die grundlegende Vorstellung über die Gleichgewichtserhaltung des Marktmechanismus bei völlig flexiblen Lohnentwicklungen gemäß der Angebots- und Nachfrageentwicklung für den Faktor Arbeit. Sobald aus dieser Entwicklung sich Lohnsteigerungen ergäben (bei Arbeitsangebotsknappheit), die die Grenzproduktivitätsentwicklung übersteigen und daher zu Senkungen der Gewinnquote führen würden, käme es zu Substitutionen der Arbeit durch Kapital und dementsprechenden Senkungen der Nachfrage nach Arbeit. Dies würde eine Entstehung der Arbeitslosigkeit, dementsprechendes Wachstum des Arbeits-

angebotes und schließlich auch wieder eine erforderliche Senkung der Durchschnittslöhne hervorrufen. Und umgekehrt - bei Überangebot der Arbeit und dementsprechend niedrigen Löhnen würde es sich für die Unternehmer lohnen, Kapital durch billige Arbeit zu ersetzen, die Nachfrage nach Arbeit würde wachsen und die Durchschnittslöhne könnten ansteigen. Schließlich sollten sie sich auf die Höhe des Grenzproduktes der Arbeit einpendeln. Aus dieser neoklassischen Theorie der Grenzproduktivität geht selbstverständlich hervor, daß jede nichtmarktmäßige Steigerung der durchschnittlichen Löhne, die z. B. aufgrund einer monopolistischen Machtstellung von Gewerkschaften über die Grenzproduktivitätssteigerung hinaus erzwungen wird, zur allgemeinen Senkung der Arbeitsnachfrage bzw. zur schnellen Substitution der Arbeit durch Kapital und wachsender Arbeitslosigkeit führen muß. Dies ist auch der kurze Sinn der Arbeitslosigkeitserklärung von W. Engels. Die große Arbeitslosigkeit der 70er und 80er Jahre ist also das Ergebnis von Lohnsteigerungen, die das Wachstum der Grenzproduktivität der Arbeit überstiegen haben, zu sinkenden 133

Gewinnquoten führten und daher entsprechende Arbeitssubstitutionen bzw. Rationalisierungen zur Folge hatten. Tatsache ist, daß in der Bundesrepublik ab Ende der 60er Jahre die Gewinnquote - bei kurzfristigen Schwankungen -langfristig bis in die Anfänge der 80er Jahre gesunken ist. Noch schneller ist die Kapitalrendite (Gewinne im Verhältnis zum produktiven Kapital) und die Investitionsrentabilität (Gewinnzuwachs im Verhältnis zu den Nettoinvestitionen) gesunken. Dies ist auch aus meiner Analyse der Zyklusentwicklung in der Bundesrepublik4 ersichtlich. Nach W. Engels' Auffassung könnte ein solches Ergebnis nun einfach als Folge übermäßiger Lohnsteigerungen dargestellt werden, welche eine schnell wachsende Arbeitslosigkeit nach sich gezogen hat. Es ist zwar auch meine Überzeugung, daß in einer kapitalistischen Marktwirtschaft sinkende Gewinnquoten sowie sinkende Kapitalrenditen und Investitionsrentabilitäten nicht nur kurzfristige Wirtschaftskrisen mit schnell ansteigender Arbeitslosigkeit, sondern als längerfristige Prozesse auch eine längerfristig anhaltende und stark anwachsende Arbeitslosigkeit hervorrufen. Aufgrund dieser Arbeitslosigkeit können im kapitalistischen System die Löhne so herabgedrückt werden, daß die Lohnquote sinkt und die Gewinnquote wieder jene Höhe erreicht, die für eine schneller wachsende Investitionstätigkeit erforderlich ist. Jedoch zum Unterschied von der neoklassischen Theorie bin ich nicht der Auffassung, daß das kapitalistisch-marktwirtschaftliche System bei Beibehaltung seiner Grundzüge eine Lösung des Problems bringen könnte. Der Marktmechanismus allein würde nie so funktionieren, daß es nicht zu immer wiederkehrenden Krisen und Massenarbeitslosigkeit käme. Die Beseitigung dieser Erscheinungen, die ich als Systemkrankheiten auffasse, bleibt eines meiner Grundanliegen. Meine Zweifel können folgendermaßen konkretisiert werden: 1. bezweifle ich, daß sich die Löhne in jedem Unternehmen nach der Grenzproduktivität entwickeln können; 2. bezweifle ich, daß es in den gegebenen Bedingungen gelingen kann, die Lohnund Gewinnquote konstant zu erhalten; 3. bezweifle ich, daß eine volkswirtschaftlich konstante Lohn- und Gewinnquote in allen Bedingungen und zu allen Zeiten erforderlich und wünschbar ist. Diese Zweifel sollen in den folgenden Subkapiteln näher erklärt werden.

3 Hindernisse unternehmungsbezogener Lohnentwicklung Es muß als selbstverständlich angenommen werden, daß die Grenzproduktivität sich in jeder Branche und jedem Unternehmen unterschiedlich entwickelt, da sich nie alle Faktoren der Produktivitätsentwicklung überall gleich entwickeln können. Die neoklassische Theorie vereinfacht natürlich die Realität in dem Sinne, daß sie die ausgleichende Wirkung eines vollkommenen Marktes annimmt. Danach müßten die Unternehmen, die in ihrer Produktivitätsentwicklung zurückge-

4

Vgl. Sik, 0., Zur Problematik ...

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blieben sind, sich entweder möglichst schnell den vorneliegenden Unternehmen anpassen, oder sie werden früher oder später vom Markt verdrängt. Auch wenn eine Tendenz zum Ausgleich der Grenzproduktivität durch den Marktmechanismus angenommen wird, so kann dies wirklich nur als eine sehr vage, langfristige Tendenz verstanden werden, bei immer wieder neu entstehenden und daher beständig existierenden kleineren oder größeren Unterschieden 5 . Würden sich daher die Löhne gemäß der Grenzproduktivitätsentwicklung in jedem einzelnen Unternehmen entwickeln, müßte es beständig größere bis sehr große Unterschiede zwischen den Löhnen für die gleiche Arbeit in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen geben. Die neoliberale Theorie unterschätzt völlig die Bedeutung von Gewerkschaften als Faktor bei der Lohnentwicklung, da sie die Löhne nur vom Standpunkt der Produktions- und Produktivitätsentwicklung betrachtet und von den kurzfristigen Interessen der Arbeitsverkäufer abstrahiert. Weder große Differenzen zwischen Löhnen für die gleiche Arbeit noch Lohnsenkungen bei sinkender Grenzproduktivität entsprechen den kurzfristigen Interessen der Arbeitsverkäufer. Aus Arbeits- und Lohninteressen, aus Interesse an Lohnmaximierungen, an Verhütung von Lohnsenkungen und an Lohnausgleich für gleiche Arbeit haben sich Gewerkschaften entwickelt; sie sind Ausdruck dieser Interessen. Solange diese existieren werden, sind Gewerkschaften auch als systemimmanenter Faktor des kapitalistischen Systems präsent, ungeachtet dessen, ob man dies für erfreulich oder unerfreulich hält. Die Neoliberalen können die Existenz dieser kurzfristigen Interessen der Arbeitsanbieter nicht einfach wegleugnen und quasi mit der Notwendigkeit flexibler und differenzierter Lohnentwicklungen gemäß der Grenzproduktivität, als den langfristigen Interessen der Arbeitenden entsprechend, argumentieren. Sie begeben sich in die gleiche Rolle wie die systemtragenden Ökonomen in den sozialistischen Ländern, die auch von den unmittelbaren Interessen der arbeitenden Menschen abstrahieren und ihnen beständig einprägen wollen, daß die geplante Steigerung der Produktivität und der Nutzwertschaffung in ihrem langfristigen Interesse läge. Es ist das gleiche, systemkonforme Wunschdenken. Die Vorstellung der Neoliberalen, die Gewerkschaften sollten die Lohnentwicklung dem Marktmechanismus überlassen und ihre Tätigkeit aufgeben, ist bestimmt utopischer als der Vorschlag einer Kapital- und Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter von Unternehmen als Weg zu einer neuen Entwicklung der AUfteilungsprozesse in den Unternehmen. Die unmittelbaren Interessen der Menschen sind nun einmal entscheidend für ihr ökonomisches Verhalten. Dieses hat sich auch als unmittelbares Lohninteresse die Existenz und Tätigkeit von Gewerkschaften erzwungen. Damit zeigt die Realität aber auch eine andere Lohnentwicklung als jene, die der neoliberalen Theorie entsprechen würde. Natürlich wird dann das Argument der Neoliberalen lauten: die Notwendigkeit von Lohnsenkungen bzw. Lohndifferenzierungen wird sich eben durch Ar5 Auch Vertreter der monetaristischen Theorie sehen in der technischen Entwicklung das entscheidende Hindernis für die Entstehung eines vollen Gleichgewichtes. Vgl. Bork, R.H., The Antitrust ... S. 98.

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beitssubstitutionen und Wachstum der Arbeitslosigkeit durchsetzen. Sie werden auch darauf hinweisen, daß in dem Augenblick, in dem die Löhne in diesem oder jenem Land auf das erforderliche Maß gesunken sind bzw. sich in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen stärker differenziert haben, die Beschäftigung auch wieder schneller gewachsen ist. Aber dies bedeutet nichts anderes, als daß das kapitalistische System nicht ohne immer wiederkehrende große Arbeitslosigkeit existieren kann. Nur durch den Druck dieser Arbeitslosigkeit können die Löhne immer wieder auf jenes Niveau gebracht werden, die das gleichgewichtige Wachstum verlangt. In Zeiten großer Arbeitslosigkeit verlieren auch die Gewerkschaften etwas an Macht; relative bzw. auch absolute Lohnsenkungen setzen sich durch. Der neoliberale Ökonom wird auch diese Entwicklung begrüßen, denn sie ist nach seiner Ansicht Ausdruck der Marktgesetze. Dies gilt aber nur für jene Bedingungen, in welchen die Lohnentwicklung durch den Markt bestimmt und eine volkswirtschaftlich erforderliche Lohnquote nur durch den Druck großer Arbeitslosigkeit durchgesetzt werden kann. Wäre der Ökonom imstande, über dieses System hinaus zu denken und würde er Systemreformen erwägen, aufgrund derer sich auch die unmittelbaren Interessen der Arbeitsanbieter ändern würden, könnte er auch andere Wege einer volkswirtschaftlich erforderlichen Lohn- bzw. Lohnquotenentwicklung finden, welche die Entstehung von Massenarbeitslosigkeit nicht als Voraussetzung in sich trägt. Die Art der Bewertung für den Ökonomen ist entscheidend: ist er überzeugt, daß eine volkswirtschaftlich erforderliche Lohnentwicklung nur unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit oder auch aufgrund einer Änderung der Interessenausrichtung und eines geänderten Entscheidungssystems gesichert werden kann? W. Engels kommt in seiner theoretischen Erklärung zumindest teilweise der Realität nahe, indem er die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit als Ergebnis von Entlassungen infolge massenweiser Ersetzung von Arbeit durch kostengünstigeres Kapital darstellt. Als völlig wirklichkeitsfern betrachte ich allerdings jene Theorien, die aufgrund vereinfachter Gleichgewichtsmodelle auf walrasianischer Basis in der Realität nur eine freiwillige Arbeitslosigkeit kennen, da sie sie in ihrem Modell nicht endogen erklären können. M. Friedman hat den Begriff der "natürlichen Arbeitslosigkeit" geprägt, in welcher er sich aber meines Erachtens sowohl auf eine "freiwillige" als auch unfreiwillige Arbeitslosigkeit bezieht. Kurzfristige Änderungen des AngebotNachfrageverhältnisses auf den Gütermärkten, strukturelle Veränderungen, führen zu Änderungen der Beschäftigungsstruktur und rufen eine unfreiwillige friktionelle Arbeitslosigkeit hervor. Auch Unvollkommenheiten des Marktes und damit zusammenhängende Informationsschwierigkeiten sowie Kosten der Arbeitsmobilität, die eine entsprechende Arbeitsbeschaffung erschweren bzw. freiwillige Annahme von Arbeit verzögern, werden von Friedman in den Begriff der natürlichen Arbeitslosigkeit einbezogen 6 . Im Grunde ist aber Friedman selbst der Auffassung, daß die "natürliche Arbeitslosigkeit" durch die Arbeitssuchenden selbst hervorgerufen wird, vor allem durch eine "freiwillig" entschiedene Suche

6

Vgl. Friedman, M., The Role ... S. 8.

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nach Arbeit, d. h. Vergleich der Arbeit mit der Arbeitsentlohnung sowie Vergleich der Lohnverluste mit den Suchkosten. Nur diese Arbeitslosigkeit ist der Marktwirtschaft - nach Friedman - eigen, während eine unfreiwillige Massenarbeitslosigkeit nur durch - der Marktwirtschaft - fremde, die gleichgewichtige Entwicklungstendenz störende Eingriffe hervorgerufen sein kann. K. Brunner hat eine weitere Erklärung für "freiwillige Arbeitslosigkeit". Bei einem Absinken der laufenden Löhne unter ein bestimmtes Lohnniveau, das von den Arbeitsanbietern als permanent betrachtet wird, entscheiden sie sich statt für Arbeit lieber für die Muße 7 • Ob es diese oder jene Begründung sei, immer ist es der Versuch, die Arbeitslosigkeit nur als freiwilligen Verzicht auf Arbeit unter bestimmten "unabänderlichen" Bedingungen darzustellen; denn aus den grundsätzlich akzeptierten Gleichgewichtsmodellen heraus entsteht die Überzeugung, daß das marktwirtschaftliche System ohne systemfremde Eingriffe zu einer Vollbeschäftigung hin tendiert. Es soll nicht bestritten werden, daß eine Reihe von Arbeitssuchenden wegen Informationsschwierigkeiten bei der Suche nach besser bezahlter Arbeit längere Zeit benötigen und auch damit verbundene Kosten sowie Lohnverluste in Kauf nehmen 8 . Solche in die Arbeitslosenstatistik aufgenommenen Arbeitssuchende müssen natürlich als "freiwillig" Arbeitslose verstanden werden. Mit derartigen Such- und Informationstheorien konnte auch die Situation einer relativ geringen Zahl von Arbeitslosen erklärt werden, die es sich erlauben konnten, während einer langen wirtschaftlichen Aufstiegsperiode eines langfristig schnell wachsenden Arbeitsangebotes ihren Arbeitsplatz aufzugeben, um eine ihren Fähigkeiten besser angepaßte oder besser bezahlte Arbeit zu finden. Diese Theorien der Arbeitslosigkeit können jedoch meiner Ansicht nach nicht die in den 70er und 80er Jahren entstandene Massenarbeitslosigkeit erklären, denn der überwiegende Teil dieser Arbeitslosen hat weder die bisherige Arbeit freiwillig aufgegeben noch hält er die Arbeitslosigkeit freiwillig aufrecht. Natürlich wird es innerhalb des großen Arbeitslosenheeres immer auch eine Anzahl von Menschen geben, die es verstehen, aus der Arbeitslosigkeit einen Vorteil (z. B. durch Bezug von Arbeitslosenunterstützung und gleichzeitiger Schwarzarbeit) zu erzielen. Dennoch können diese Einzelfälle nicht zu einem

Charakteristikum der überwiegenden Zahl von Arbeitssuchenden umgewandelt werden. Der Großteil der Arbeitssuchenden kann eine - auch weniger bezahlte Arbeit deshalb nicht finden, da einfach das gesamte Angebot an freien Arbeitsplätzen langfristig wesentlich niedriger als die gesamte Arbeitsnachfrage ist. Diese Situation ist nicht das Ergebnis von Informationsschwierigkeiten, sondern von langfristig ungenügender Investitions- und Kapitalentwicklung, bei einer technisch und strukturell gegebenen Arbeitsintensität sowie einer gegebenen Arbeitszeit. Die Zeit erfordernde Umqualifizierung von Arbeitskräften in Richtung der neuen technischen Entwicklung wird zwar zur Entstehung von Arbeitslosigkeit in einem begrenzten Umfang beitragen, kann aber auch nicht das insgesamt ungenügende Angebot von Arbeitsplätzen erklären.

7 8

Vgl. BrunnerjCukiermanjMeltzer, Stagflation ... S.470f. Vgl. Stigler, G.J., Information ... S. 94ff.

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Wenn in bestimmten politischen Kreisen die große Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre als strukturelle Krise sowie die damit verbundene Arbeitslosigkeit als strukturelle Arbeitslosigkeit dargestellt wird, so stellt dies eine wesentliche Simplifizierung dar. Gemäß dieser Theorie gibt es die Arbeitslosigkeit deshalb, weil der Bedarf an bestimmten herkömmlichen Berufen und spezifischen Arbeitstätigkeiten stark gesunken ist, während für neu entstandene Berufe und Arbeitstätigkeiten nicht genügend Arbeitskräfte gefunden werden können. Arbeitslosigkeit also deshalb, weil die Umstellung vieler Arbeitssuchender auf neue, gesuchte Berufe zu langsam verläuft und der Arbeitsnachfrage nicht nachkommt. Ohne Zweifel gehen in den 80er Jahren große strukturelle Änderungen vor sich, die selbstverständlich mit Änderungen der Berufsstruktur verbunden sind. Die langsamer verlaufende Umqualifizierung von Arbeitskräften bzw. Berufsvorbereitung hat zur Folge, daß ein bestimmter Umfang von Arbeitsangeboten der Unternehmen, trotz großer Arbeitslosigkeit nicht angenommen werden kann. Mit dieser Tatsache allein kann jedoch die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit nicht erklärt werden. Auch wenn die erforderliche Arbeitsqualifizierung schneller vor sich gehen würde und die Arbeitsnachfrage der Unternehmen nach neuqualifizierten Arbeitskräften voll gedeckt werden könnte, würde eine Massenarbeitslosigkeit weiter existieren. Die Tatsache, daß der Umfang der Arbeitssuchenden wesentlich größer als der Umfang der Arbeitsangebote ist, zeigt an, daß es sich in der Gegenwart um ein graduell anderes als um ein einfaches, strukturelles Problem handelt. Weder mit Theorien der freiwilligen Arbeitslosigkeit noch mit Theorien der strukturellen Arbeitslosigkeit können die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit erklärt werden. Wenn ich also mit W. Engels grundsätzlich übereinstimme, daß die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit durch eine arbeitsersetzende Kapitalentwicklung hervorgerufen wurde, so kann ich aber in der Lohnentwicklung nicht die einzige und auch nicht die erste Ursache dieses Prozesses sehen. Schon überhaupt sehe ich dann nicht die reale Möglichkeit, daß die Löhne sich gemäß der Grenzproduktivität der Arbeit ändern würden. Diesen Zweifel habe ich im Grunde mit der Entwicklung der unmittelbaren Interessen der Arbeitsverkäufer erklärt. Diese sind nicht gewillt, unterschiedliche Löhne für gleiche Arbeit hinzunehmen und schon überhaupt nicht freiwillig auf allgemeine Senkungen der Reallöhne, aufgrund einer kostengünstigeren technischen Entwicklung, einzugehen. Sie wehren sich mit Hilfe gewerkschaftlicher Organisationen gegen solche theoretisch erdachten Lohnsenkungen und werden nur unter dem Druck großer Arbeitslosigkeit gezwungen, bestimmte Lohnsenkungen hinzunehmen. Soviel zum ersten Zweifel und nun zu den weiteren.

4 Hindernisse konstanter Lohn- und Gewinnquotenentwicklung Aufbauend auf dem Vorangesagten kann ich zur Erklärung meines zweiten Zweifels kommen. Ich bezweifle, daß die Lohn- bzw. Gewinnquote konstant erhalten werden kann in einem System, in welchem die unmittelbaren Interessen der Lohnempfänger sich gegen die Interessen der Gewinnaneigner entwickeln und die Aufteilung der Einkommen auf Löhne und Gewinne überwiegend das Ergebnis 138

von Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sein muß. Sobald die Löhne sich nicht völlig differenziert gemäß der Grenzproduktivität einzelner Unternehmen entwickeln können - und dies widerspricht, wie gezeigt, der Arbeitsbewertung und dem Lohninteresse der Arbeitsverkäufer - gibt es im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System keinen Mechanismus, der die Erhaltung einer konstanten Lohnquote garantieren könnte. Keiner der beiden Partner kann die zukünftige Entwicklung der Arbeitsproduktivität voraussehen und daher mit einer volkswirtschaftlich erforderlichen Lohnentwicklung argumentieren. Jeder der beiden Partner wird seine eigenen Kriterien für die erforderliche Lohnentwicklung benützen. Das Ergebnis kann immer nur einen machtbedingten Komprorniß darstellen, der nicht eine konstante, sondern eine beständig schwankende Lohnquote hervorbringen muß. Die Gewerkschaften werden sich bei ihren Lohnforderungen überwiegend nach der vergangenen Entwicklung der Arbeitsproduktivität und der Preise richten und gleichzeitig versuchen - je nach Konjunktursituation - bestimmte Umverteilungen zugunsten der Löhne auf Kosten der Gewinne zu erzielen. Die Unternehmer werden vorrangig an die zukünftig erforderlichen Gewinnraten denken, um die angestrebten Investitionen abzudecken. Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Kriterien und Bestrebungen wird immer von der konkreten Situation abhängig sein, in welcher die Verhandlungen stattfinden, wobei die Lohnquote umgekehrt zur jeweiligen Konjunkturphase schwanken wird. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß in den Phasen des beschleunigten Wachstums, die ich als Boomphasen bezeichne und die in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik ein bis zwei (nur ausnahmsweise drei) Jahre dauerten, die Lohnquote gesunken ist. Der Boom wurde immer durch eine starke Erweiterung der Investitionstätigkeit, aufgrund der in der Rezession beseitigten Überschußkapazitäten, hervorgerufen. Sobald keine Überschußkapazitäten mehr vorhanden sind und die voll ausgelasteten Kapazitäten die weiter wachsende Nachfrage nicht mehr befriedigen können, beginnt allgemein eine starke Erweiterung der Investitionstätigkeit. So wie vor allem Produktionsgüter erzeugende Unternehmen durch die ansteigende Investitionstätigkeit ihre Produktion stark anheben können, wächst auch diese Produktion schneller als die Produktionskosten, wodurch die Gewinnquote steigt. Die Lohnsteigerungen erfolgen stets später; meist setzen sie sich erst in der folgenden Rezessionsphase durch. Es ist dieser Zeitfaktor, den die Grenzproduktivitätstheorie ebenfalls außer acht läßt. So wie die Gewinnquoten im Boom also wachsen, sinken die Lohnquoten. Hand in Hand damit wachsen auch die Investitionen schneller als die Konsumtion. Die Lohnsteigerungen und damit auch Steigerungen der Konsumtion verzögern sich gegenüber der Produktionsentwicklung. Damit kann das Absinken der Lohn- und Konsumtionsquoten im Boom erklärt werden. In der Folge müssen daher von einem gegebenen Zeitpunkt an wieder Überschußkapazitäten entstehen. Ist dieser Zeitpunkt erreicht, gehen die Investitionen wieder zurück, und das Wachstum der ganzen Produktion verlangsamt sich. Demgegenüber werden die Löhne verspätet, im Hinblick auf die vorangegangene Steigerung der Arbeitsproduktivität, anwachsen. Nur so ist zu erklären, warum gerade in den Rezessionsphasen, also den Phasen des verlangsamten Produktionswachstums (welche in 139

der Bundesrepublik zwei bis drei Jahre dauerten) die Lohn- und mit ihr auch die Konsumtionsquoten steigen, während die Gewinn- und Investitionsquoten sinken. Diese Schwankungen der Lohnquote kann man mit keinem Marktautomatismus beseitigen - dazu wären schon wesentlichere Änderungen des Systems nötig. Es geht nun um die Frage, warum nicht nur kurzfristig während zwei, drei Jahren, sondern ab Ende der 60er Jahre bis heute die Arbeitslosigkeit ungemein stark angestiegen ist, so daß man von einer Massenarbeitslosigkeit sprechen muß, obzwar die Boom- und Rezessionsphasen sich ebenso kurzfristig abwechselten wie in den 50er und 60er Jahren. Gemäß der neoliberalen Theorie hätte eigentlich in den Rezessionsphasen der 50er und 60er Jahre das schnellere Wachstum der durchschnittlichen Löhne gegenüber dem Nettoprodukt (deshalb Anstieg der Lohnquote) die Arbeitslosigkeit jeweils anwachsen lassen müssen. In Wirklichkeit hat jedoch bis 1967 die Beschäftigung beständig zugenommen und die wachsende Lohnquote in allen vorangehenden Rezessionen ohne große Arbeitslosigkeit jeweils folgend ein Ansteigen der Investitionen und damit die Boomphasen hervorgebracht. Mit der Theorie des schnelleren Lohnwachstums gegenüber der Grenzproduktivität kann also das plötzliche Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit in den 70er und 80er Jahren schwerlich erklärt werden. Es fehlt da die Begründung, weshalb die gleiche Entwicklung bis gegen Ende der 60er Jahre keine Massenarbeitslosigkeit hervorgerufen hat. Was hat sich denn so grundlegend geändert, daß wachsende Lohnquoten (als Ausdruck eines schnelleren Wachstums der Löhne als der Arbeitsproduktivität) plötzlich zu Massenarbeitslosigkeit führen sollten, obzwar dies früher nicht der Fall war? Ein Neoliberaler könnte darauf antworten, daß die Löhne in den 70er Jahren wesentlich schneller im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität als in den 50er und 60er Jahren gewachsen sind. Tatsächlich lag die Lohnquote in den 50er Jahren bei zyklischen Schwankungen unter 50% 9 und ist bis 1967 nur auf 51 % gestiegen. Ab 1968 begann sie sich jedoch schneller anzuheben und erreichte bis 1982 bereits die Höhe von 56,3% 10. Diese Entwicklung hat bestimmt einen starken Einfluß auf die Entstehung von Wirtschaftskrisen 11 und Massenarbeitslosigkeit ausgeübt. Aber warum ist die Lohnquote plötzlich so stark gestiegen? Wir sehen da bereits, daß die Theorie "schnelleres Wachstum der Löhne gegenüber der Arbeitsproduktivität" allein noch nichts erklärt. Bei den neoliberalen Begründungen der Massenarbeitslosigkeit fehlt völlig die Erklärung einer unterschiedlichen Entwicklung der Kapitalproduktivität in den 50er und in der ersten Hälfte der 60er Jahre, zum Unterschied von der folgenden Periode bis in den Anfang der 80er Jahre. Die Kapitalproduktivität, die durch das Verhältnis des Nettoproduktes zum sachlichen Kapitalvermögen (Anlagen und Vorräte) ausgedrückt wird, ändert sich insbesondere aufgrund der qualitativen Entwicklung der Produktionsmittel als Ausdruck der technischen Entwicklung. Die rein quantitative Erweiterung des sachlichen Kapitals, welche durch wach9 Die Lohnquote wie auch die Gewinnquote wurden hier und im weiteren aus dem Bruttosozialprodukt berechnet. 10 Vgl. Sik, 0., Zur Problematik ... S. 40/41. 11 Vgl. Sik, 0., ebd., S. 38, zum Unterschied von Rezessionen und Krisen ...

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sende Investitionen erreicht wird, geht fast immer Hand in Hand mit einer qualitativen Entwicklung vor sich. Das heißt, daß nicht nur die Erweiterungsinvestitionen, die sogenannten Nettoinvestitionen, sondern auch die Ersatzinvestitionen, mit welchen die laufend verbrauchten Produktionsmittel ersetzt werden (insgesamt die Bruttoinvestitionen), aus neuen qualitativ besseren Produktionsgütern bestehen. Es gibt jedoch Perioden, in welchen dieser qualitative, technische Fortschritt stärker und schneller vor sich geht sowie Perioden, in welchen er schwächer und langsamer verläuft bzw. überhaupt stagniert. Im weiteren werde ich vereinfacht von schnellerem, langsamerem bzw. auch stagnierendem technischen Fortschritt sprechen. Diese unterschiedliche Entwicklung des technischen Fortschritts hat entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Kapitalproduktivität. Eine wachsende Kapitalproduktivität drückt sich darin aus, daß das Nettoprodukt schneller als das sachliche Kapital (also der Wert der Produktionsgüter) wächst. Natürlich kann die Kapitalproduktivität auch konstant bleiben, d. h. das Nettoprodukt wächst gleich schnell wie das sachliche Kapital, und die Kapitalproduktivität kann schließlich sinken, mit anderen Worten, das Nettoprodukt kann langsamer wachsen als das sachliche Kapital. Wichtig für das hier behandelte Problem ist nun die statistisch erfaßte Tatsache, daß in der Periode ab Anfang der 50er Jahre bis ungefähr Mitte der 60er Jahre in der Bundesrepublik die Produktion bzw. das Nettoprodukt schneller als das sachliche Kapital gewachsen ist (abgesehen von kurzfristigen Schwankungen), hingegen von da an, bis in die Gegenwart, das Nettoprodukt langsamer als das sachliche Kapital wächst (wieder mit Schwankungen). Vor allem aufgrund dieser Entwicklung habe ich in dem erwähnten Artikel von zwei Phasen einer langen Welle gesprochen 12. Den Hintergrund dieser unterschiedlichen Kapitalproduktivitätsentwicklung habe ich natürlich nicht erfassen, sondern nur in einem wesentlich unterschiedlichen Tempo des technischen Fortschritts vermuten können. In seinem jüngsten Buch wendet daher A. Jöhr 13 mit Recht ein, daß sich bisher "keine gleichbleibende Ursachen bzw. Ursachenkonstellation der (langen Welle) ermitteln" lassen und daß man daher auf diesen Begriff verzichten sollte. Es geht mir nun nicht in erster Linie um den Begriff "lange Welle", auch wenn ich - im Einverständnis mit vielen anderen - überzeugt bin, daß es solche langfristige Konjunkturschwankungen, die durch grundlegende technologische Wandlungen hervorgerufen werden, gibt 14 . A. Jöhr, wie auch manche andere Ökonomen, ist der Überzeugung, daß die technische Entwicklung beständig, fortlaufend vor sich geht. Dies ist sicher richtig, was einzelne Erfindungen und Produktionsverbesserungen betrifft - laufend werden einzelne neue Produkte in die Produktion eingeführt, diese oder jene neue Maschine, neues Produktionsverfahren u. ä. benützt. Aber gleichzeitig kommt es immer wieder in längeren Abständen zu großen, bahnbrechenden Erkenntnissen und Erfindungen, welche zwar durch viele einzelne, vorangehende Erfahrungen Vgl. Sik, 0., ebd., S. 34ff. Vgl. Jöhr, W.A., Zur Arbeitslosigkeit ... S. 72ff. 14 Vgl. dazu zwei gute, zusammenfassende Studien: Eklund, K., Long Waves '" und Ewijk, C.A. V., A Spectral Analysis ... 12

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und Erkenntnisse vorbereitet werden, die aber dann doch so grundsätzlicher Natur sind, daß sie die ganze bisherige Produktionstechnologie einfach umwälzen. Es sollen hier nur stichwortartig solche großen technischen Sprünge, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, angeführt werden: die Erfindung und Anwendung der Dampfmaschine, des Hochofenprozesses, des Gußstahles, der Maschinen, der Elektrotechnik, des Fließbandes, der Dampf- und Gasturbinen, des Dieselund Benzinmotors, der Hochfrequenztechnik, der chemischen Kunststoffe, der Elektronik und nun schließlich der Mikroelektronik, der Kernenergie, der Biound Gentechnologie etc. Es kann schwerlich bestritten werden, daß solche und ähnliche großen Entdeckungen die Produktionstechnologie in bestimmten Zeiten revolutionierten und jeweils folgend zu einem enorm starken Auftrieb der Kapitalproduktivität bzw. der Gesamtproduktivität führten. Gleichzeitig sollte jedoch gesehen werden, daß solche Umwälzungen der Produktionstechnologie nicht laufend vor sich gehen, sondern immer eine längere Vorbereitungszeit brauchen. Sie erfordern meist nicht nur völlig andere Produktionshallen und -einrichtungen, den völligen Abgang von bisheriger Technik, aber auch grundlegende Verschiebungen der Produktionsstrukturen sowie der menschlichen Qualifikationen. Solche Wandlungen brauchen für ihre Durchsetzung nicht nur entsprechende Kapitalanhäufungen, sondern müssen auch im kapitalistischen System durch einen vorangehenden ökonomischen Abstieg erzwungen werden. Kein Unternehmen entschließt sich, ein Gros der bisher benutzten Fabrikgebäude, Maschinen und Einrichtungen, die evtl. nur zum Teil abgeschrieben und abgenutzt sind, auszustoßen und durch eine völlig neue Technik zu ersetzen, wenn es nicht durch die Androhung, vom Markt verdrängt zu werden, dazu gezwungen wird oder sich nicht ein wesentlich besseres wirtschaftliches Ergebnis seiner Produktion verspricht. Da solche großen technologischen Wandlungen fast immer die gesamte Produktion betreffen, werden sie auch immer ihren - im nachhinein - klar erfaßbaren, langzeitigen ökonomischen Ausdruck haben. Er ist eben damit charakterisiert, daß die überwiegende alte Technologie von einem bestimmten Zeitpunkt an keine oder fast keine Produktivitätssteigerung des Kapitals mehr bringen kann, daß das Wachstum der Produktion sich immer mehr verlangsamt, daß schließlich damit die Kapital- und Gesamtproduktivität zu sinken beginnt, die Produktionskosten relativ ansteigen, die Investitionseffektivität und -rentabilität sinkt und sich die Konkurrenz auf den Märkten sehr verstärkt. Der so charakterisierte ökonomische Abstieg ist gleichzeitig die Periode der Vorbereitung einer neuen Aufstiegsperiode bezüglich technischer Vorbereitung und neuer Kapitalanhäufung. Starke Rationalisierungsentwicklungen, mit massenweisem Ausstoß von Arbeitskräften, gehören auch zu diesem langen technologischen, kapitalmäßigen und qualifikationsmäßigen Vorbereitungsprozeß. Während der langen Abstiegsperiode und der ökonomischen sowie technologischen Vorbereitung einer neuen langen Aufstiegsperiode verliert die - in der Ökonomie übliche - Aufteilung der Nettoinvestitionen auf Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen 15 an Bedeutung. Fast alle Netto- wie auch Ersatz15

Vgl. Basseler, U.jHeinrich, J.jKoch, W., Grundlagen ... S.290.

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investitionen sind dann überwiegend Rationalisierungsinvestitionen, zielgerichtet auf die möglichst schnelle Einführung neuer, konkurrenzfahiger Produktionstechniken. In dieser Periode des verlangsamten Wachstums bzw. auch Stagnation vieler Märkte, geht es nicht darum, die Produktion vor allem zu erweitern, sondern in erster Linie die Produktionskosten mit Hilfe eines Überganges zu völlig neuen Technologien stark zu senken. Ein Hand in Hand damit einhergehendes erneutes Ansteigen der Gewinnquoten ist dann Voraussetzung für die Überhandnahme der meist sehr kapitalanspruchsvollen Aufstiegstechnologien. Auch wenn ein Beweis der Existenz einer historischen Wiederholung solcher langen Wellen, eine fundierte, langfristige technisch-ökonomische Analyse benötigen würde, die ich nicht imstande bin, allein zu erbringen, so kann zumindest aufgrund der nicht allzu weit zurückliegenden Entwicklung sowie der bisherigen ökonomischen Theorien der langen Wellen, auf ihre Existenz deduktiv geschlossen und der Begriff der "langen Welle" als Hypothese benützt werden. Es wird also angenommen, daß wesentliche, langfristige Unterschiede in der Kapitalproduktivitätsentwicklung insbesondere langfristig unterschiedliche Geschwindigkeiten des technischen Fortschrittes ausdrücken. Das langsamere Wachstum der Produktion im Verhältnis zum Wachstum des Kapitalstocks, also die sinkende Kapitalproduktivität in der langen Abstiegsphase, kann als langfristiger Prozeß (1965-1982) nicht nur durch eine ungenügende Auslastung der Produktionskapazitäten, bei zu langsamem Wachstum des Produktionsabsatzes erklärt werden. Dies kann zwar kurzfristig Rezessionsphasen auslösen, wozu es auch in den Rezessionen der langen Aufstiegsphase (1950-1964) tatsächlich kam. In der langen Abstiegsphase würde jedoch eine Verlangsamung des Produktionswachstums aufgrund wachsender Absatzschwierigkeiten auch zu einem entsprechend langsameren Wachstum des Kapitalstocks, also langsameren Wachstum der Investitionen, führen. Die Kapitalproduktivität würde damit aber langfristig gleich bleiben. Zu einem kleineren Teil kann sich zwar die geringere Kapazitätsauslastung in den Krisen der Abstiegsphase (1965/67, 1974/75 und 1980/82) auf die sinkende Kapitalproduktivität auswirken, die langfristig sinkende Kapitalproduktivität kann damit jedoch nicht entscheidend erklärt werden. Diese muß daher vor allem auf der stagnierenden technischen Entwicklung basieren. Dabei geht es natürlich um einen volkswirtschaftlich zusammenfassenden Aspekt (eine makroökonomische Aggregation), bei welchem einzelne Abweichungen von der Gesamtentwicklung in einzelnen Unternehmen oder auch Branchen nicht ausgeschlossen werden. Auch die Bedeutung anderer Faktoren für Änderungen der Kapitalproduktivität sind nicht außer acht zu lassen. Obwohl die Entwicklung der Produktion (sei es nun des Brutto- oder Nettoproduktes) sowie die Entwicklung des sachlichen Kapitalbestandes in konstanten Preisen verfolgt wird, werden dennoch bestimmte Preisentwicklungen auch die Kapitalproduktivität beeinflussen. In Statistiken kann das Mengenwachstum der Güter von qualitativen Änderungen der Produkte, die sich in relativ höheren oder auch niedrigeren Preisen ausdrücken können, nicht unterschieden werden. Die Erweiterung des sachlichen Kapitals, bei dieser oder jener qualitativen Entwicklung, erfolgt durch Erweiterung der Investitionen über die Ersatzinvestitionen hinaus, also mit Hilfe der Nettoinvestionen. Gelingt es, aufgrund der qualitativen Entwicklung eine Steigerung der Kapitalproduktivität zu erlangen, 143

werden die Investitionen langsamer als das Produktionsresultat, das Nettoprodukt, wachsen. Mit anderen Worten, jede Investitionserweiterung, d. h. jedes 1% Wachstum der Nettoinvestitionen wird ein um mehr als 1% wachsendes Nettoprodukt erhalten. Das Verhältnis des Zuwachses des Nettoproduktes zu den Investitionen bezeichne ich als InvestitionsetTektivität. Ein Wachstum dieses Verhältnisses druckt also eine wachsende InvestitionsetTektivität aus. Da mit den wachsenden Investitionen der sachliche Kapitalstock nicht nur erweitert, sondern auch qualitativ verbessert wird, führt eine wachsende Investitionseffektivität auch zu einer wachsenden Kapitalproduktivität. Wie wir im weiteren deutlicher sehen werden, kann nun die Entstehung und Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit nicht ohne Beachtung der Entwicklung der Kapitalproduktivität und InvestitionsetTektivität erklärt werden. Die Tatsache, daß in bestimmten langen Perioden, trotz kurzfristig wachsender Lohnquoten, nicht nur keine Massenarbeitslosigkeit eintritt, sondern die Beschäftigung stetig, bis hin zur Vollbeschäftigung, wächst, während in einer anderen langen Periode, bei kurzfristigen Schwankungen der Lohn- und Gewinnquote, eine Massenarbeitslosigkeit entsteht und anwächst, zeigt eindrücklich, daß mit dem Verhältnis von Lohn- und Arbeitsproduktivitätsentwicklung allein das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit nicht erklärt werden kann. Das Augenmerk ist auf die qualitative Entwicklung der Investitionen und des Kapitals zu richten.

5 Entstehung der Massenarbeitslosigkeit Die qualitative Entwicklung der Investitionen und des sachlichen Kapitals hat aber auch entscheidenden Einfluß auf den Umfang an Arbeit, die für die Produktion benötigt wird. Je nachdem, wie sich vor allem der Maschinenpark, die innerbetrieblichen Transport- und Kommunikationsmittel u. ä. qualitativ ändern, wird sich auch der Umfang an Arbeit, die zur Bedienung bzw. für die Produktion gebraucht wird, ändern. Bei einer gegebenen Arbeitszeit wird sich dies auch in einer Entwicklung des Verhältnisses von sachlichem Kapital zur Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte, der sogenannten Kapitalintensität äußern. Im allgemeinen wird ein technischer Fortschritt auch zu einem schnelleren Wachstum des sachlichen Kapitals gegenüber den Arbeitskräften, also zu einem Wachstum der Kapitalintensität, führen. Hin und wieder ist auch ein kapitalsparender technischer Fortschritt zu vermerken, bei welchem das sachliche Kapital langsamer als die benötigten Arbeitskräfte wachsen kann. Von der Entwicklung der Kapitalintensität und von dem Wachstum der Investitionen wird vor allem die Entwicklung der Beschäftigung abhängen. Je nachdem, welche qualitative Kapitalentwicklung und damit zusammenhängende Kapitalintensität die Investitionen herbeiführen können und wie stark sie wachsen werden, wird auch in starkem Maße die Nachfrage nach Arbeitskräften davon abhängen. Mit einer bestimmten, arbeitssparenden Investitionsentwicklung kann zwar die Kapitalintensität wachsen, ein relativ starkes Wachstum des Investitionsumfanges kann jedoch auch zum absoluten Wachstum der Beschäftigung führen. 144

Es ist aber auch eine solche qualitative Investitionsentwicklung möglich, mit welcher bewußt eine außerordentlich starke Arbeitsersparnis, also auch dementsprechende Erhöhung der Kapitalintensität, angestrebt wird. Dies kann zur Folge haben, daß auch bei einer Investitionserweiterung nicht nur keine zusätzlichen Arbeitskräfte eingestellt, sondern vorhandene Arbeitskräfte eingespart werden. Zielgerichtete Rationalisierungen, bei von Jahr zu Jahr langsamererm Wachstum der Produktion und der Investitionen, werden eine schnell wachsende Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Dies zeigt bereits andere als überwiegend technischökonomische investitionsabhängige Zusammenhänge auf. Andere, Investitionsentwicklung bestimmende Zusammenhänge, sind die Verteilungsprozesse, das heißt insbesondere die Aufteilung des Nettoproduktes auf die Bruttolöhne und Bruttogewinne. Nicht zu vergessen ist, daß das realisierte Nettoprodukt das Einkommen der Unternehmen schafft. Die neoklassische Theorie versucht zwar die Aufteilung des Einkommens als das Ergebnis der Grenzproduktivitätsentwicklung der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital darzustellen. Aufgrund der vorangehenden Erklärung muß aber diese Theorie als realitätsfremd abgelehnt werden. Die Aufteilung des Einkommens auf Bruttolöhne und Bruttogewinne wird, wie gezeigt, vor allem von der Machtstellung der Lohnempfänger und Gewinnaneigner bzw. der Gewerkschaften und Unternehmerverbände abhängen. Die unterschiedlichen Kriterien, nach welchen sich diese bei den Seiten in den Verteilungskämpfen orientieren, wurden bereits vorangehend gezeigt, wobei das Verteilungsergebnis jeweils einen bestimmten Komprorniß darstellt. Während also das Wachstum des Nettoproduktes und damit das Wachstum des Einkommens von der quantitativen und qualitativen Entwicklung der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, also auch von der Entwicklung der Arbeits- und Kapitalproduktivität, abhängt, ist die Aufteilung des produzierten Einkommens abhängig vom genannten Verteilungskampf. Diese Aufteilung wird zu Schwankungen der Lohn- und Gewinnanteile am Einkommen, also der Lohnund Gewinnquote, führen. Die Änderungen der Quoten sind aber nicht nur willkürliches Ergebnis des Verteilungskampfes; in ihnen äußern sich auch Änderungen im Wachstumstempo des Nettoproduktes, bei zeitlicher Verzögerung der Lohnsteigerungen im Verhältnis zum vorangehenden Wachstum der Arbeitsproduktivität. Aufgrund dieses Verteilungsprozesses wird sich also eine Gewinnentwicklung ergeben, die sehr unterschiedlich zum Nettoprodukt wachsen kann - die Gewinnquote kann wachsen oder auch sinken. Die Gewinnentwicklung wird also sowohl vom Wachstum des Nettoproduktes als auch von der Aufteilung des Nettoproduktes bzw. des Einkommens abhängen. Das Verhältnis der realisierten Gewinne zum gesamten produktiven Kapital drückt die Kapitalrendite (auch Gewinnrate) aus. In einer marktwirtschaftlichen Produktion ist eine langfristige Maximierung der Gewinne, und das bedeutet auch der Kapitalrendite, nicht nur subjektives Ziel der Kapitaleigentümer, sondern objektiv notwendiges Kriterium der Produktionseffektivität. Die Entwicklung der Rendite wird daher entscheidenden Einfluß auf die Investitionsentwicklung, auf ihr quantitatives Wachstum als auch ihre qualitative Ausrichtung und somit auf die Kapitalentwicklung haben. 145

Es ist daher nicht nur so, daß die Investitionen das Wachstum des Nettoproduktes entscheidend bestimmen, sich also in einer bestimmten Investitionseffektivität äußern. Rückwirkend wird auch das Wachstum des Nettoproduktes sowie seiner Aufteilung und demzufolge der Gewinne wieder die Investitionsentwicklung bestimmen. Das heißt mit anderen Worten: der Gewinnzuwachs, den eine Investition einbringt, stellt ein entscheidendes Maß sowie Motivation für die Entwicklung der Investitionen selbst dar. Das Verhältnis des Gewinnzuwachses zum Investitionszuwachs, d. h. zu den Nettoinvestitionen bezeichne ich als Investitionsrentabilität. Die Investitionsrentabilität ist also sowohl abhängig vom Zuwachs des Nettoproduktes im Verhältnis zur Investition (der Investitionseffektivität) als auch vom Gewinnanteil aus diesem Nettoprodukt. Die Investitionsrentabilität ist entscheidendes Kriterium für die Entwicklung der Investitionstätigkeit. Erst nach der klaren Erkenntnis, daß die Investitionsrentabilität nicht nur von der Aufteilung der Einkommen auf Löhne und Gewinne, sondern in erster Linie von der Investitionseffektivität, also vom Wachstum des Nettoproduktes im Verhältnis zu den Investitionen abhängt, kann auch deutlicher werden, wie sich die Investitionen und mit ihnen die Beschäftigung entwickeln werden. Nehmen wir an, daß die Investitionseffektivität jedes Jahr zunimmt (also das Nettoprodukt schneller als die Investitionen wächst) und der Anteil der Gewinne am Nettoprodukt (Gewinnquote) sowie der Anteil der Nettoinvestitionen an den Gewinnen jedes Jahr gleich bleibt (der Einfachheit halber kann man sich vorstellen, daß die ganzen Gewinne für Nettoinvestitionen benützt werden). Bei dieser Entwicklung wird die Investitionsrentabilität wachsen (also der Gewinnzuwachs wird schneller als die Investitionen wachsen). Auch wenn die Aufteilung der Einkommen auf Löhne und Gewinne sich nicht ändert (d. h. die Löhne so schnell wie die Arbeitsproduktivität wachsen), aber die Investitionseffektivität wächst, wird auch die Investitionsrentabilität zunehmen. Schon bei einer solchen volkswirtschaftlichen Entwicklung würde sich das Wachstum des Volkseinkommens ständig beschleunigen (exponentielles Wachstum). Wenn dann aber kurzfristig die Lohnsteigerung noch hinter der Produktivitätsentwicklung hinterherhinkt, die Gewinnquote wächst und damit auch die Investitionen schneller als die Konsumtion wachsen, müssen kurzfristige Überschußkapazitäten in der Produktion entstehen. Dies hat dann einen Rückgang der Investitionen zur Folge und es entsteht eine Rezession. Der verspätete Anstieg der Löhne, mit einem weiteren Wachstum der Konsumtion verbunden, führt jedoch nach zwei, drei Jahren zu einer Beseitigung der Überkapazitäten, und es kommt wieder zu Investitionserweiterungen. Bei anhaltendem Wachstum der Investitionseffektivität wird im Boom wieder die Investitionsrentabilität wachsen und so fort. Eben dies war die Entwicklung der 50er und Anfang der 60er Jahre in der Bundesrepublik. Die Investitionseffektivität (und daher auch die Kapitalproduktivität) ist langfristig, bei kurzfristigen Schwankungen, gewachsen, die Kapitalrendite und Investitionsrentabilität ist ebenfalls langfristig (bei Schwankungen) leicht gewachsen. Obzwar die Lohnquote in der Rezessionsphase jeweils gewachsen ist und sie auch langfristig leicht, von 46,1 % im Jahre 1955 auf 50,3% im Jahre 1964 anstieg, hat dies nie zu einer größeren Arbeitslosigkeit geführt. Jede Investitionserweiterung in den kurzen Boomphasen hat eine schnell wachsende 146

Beschäftigung hervorgerufen. Die Kapitalerweiterung durch die Investitionstätigkeit war so stark, daß - trotz wachsender Kapitalintensität - die Beschäftigung langfristig wuchs. Der Anteil der Bruttoinvestitionen am Bruttosozialprodukt stieg von 22,6% im Jahre 1955 auf 28,5% im Jahre 1964 an. Diese Investitionsund Beschäftigungsentwicklung wurde also nicht durch kurzfristige bzw. auch langfristige Senkungen der Gewinnquote abgebremst, denn entscheidend war die jeweils in Aussicht stehende Investitionseffektivität und -rentabilität. Die Situation änderte sich jedoch von dem Zeitpunkt an, von welchem die Investitionseffektivität und Kapitalproduktivität zu sinken begann. Der in der Rezessionsphase jeweils erfolgende Anstieg der Durchschnittslöhne und der Lohnquote aufgrund des vorangegangenen Wachstums der Arbeitsproduktivität erfolgte ab Ende der 60er Jahre in Bedingungen einer langfristig sinkenden Kapitalproduktivität. Bei geringen Schwankungen sank die Kapitalproduktivität, gemessen in konstanten Preisen, als Verhältnis des Volkseinkommens zu den Bruttoanlagevermögen (Kapital stock) von 0,208% im Jahre 1970 bis auf 0,167% im Jahre 1984 16 , das heißt um rund 20%. Auf jeden Prozentsatz der Kapitalerweiterung folgte ein immer niedrigerer Zuwachs des Volkseinkommens. Für die Unternehmer äußerte sich diese Entwicklung in zunehmenden Produktionskosten und sinkenden Kapitalrenditen. Die Kapitalrendite sank von 1965 bis 1982 um 49,54% 17. Diese negative Entwicklung wurde noch verstärkt durch stark ansteigende Ölpreise, die bei immer langsamerem Wachstum der Konsumtion nicht mehr voll auf die Konsumgüterpreise überwälzt werden konnten. (Es ist jedoch mehr als simplifiziert, in dieser Preissteigerung die alleinige und noch dazu entscheidende Ursache der Krise zu sehen, wie es meist die Politiker darstellten.) Die Unternehmer reagierten auf diese Entwicklung mit Rationalisierungen und Kosteneinsparungen. Dazu gehörte natürlich als erstes die Einsparung an Arbeit, da die Löhne und die Lohnquote Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zu stark gestiegen waren. Die Rationalisierungsinvestitionen brachten im allgemeinen noch keine durchdringenden technischen Wandlungen. Es ging eher um kleine Verbesserungen des innerbetrieblichen Transportwesens, bessere Produktionsorganisation und Ausnützung aller Produktionsfaktoren, kurz: um die Intensivierung der Produktion. Die größten Arbeitseinsparungen wurden aus volkswirtschaftlicher Sicht allerdings durch den beginnenden strukturellen Wandel und den Abbau des Anteiles verschiedener weniger gefragten Branchen mit hohen Arbeits- und Kapitalbeständen und geringer Produktivität durchgesetzt. Mit wachsenden Arbeitseinsparungen wurde zwar noch kein Wachstum der Gesamtproduktivität erreicht, da die wachsende Arbeitsproduktivität die Verluste aus der stärker sinkenden Kapitalproduktivität nicht wettmachen konnte. Die Gesamtproduktivität, gemessen als Verhältnis des realen Bruttosozialproduktes zu den realen Bruttoanlagevermögen plus realen Bruttolöhnen, sank von 1965 bis 1982 um 23,4% 18. Gleichzeitig stieg jedoch mit den absoluten Arbeitsersparnissen (wachsender Arbeitslosigkeit) bei - wenn auch verlangsamtem - Wachstum des Nettoproduktes die Arbeitsproduktivität relativ schnell. Aufgrund dieser 16 Vgl. Stat. Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1980, S. 507, 524, und 1985, S. 536, 556. 17 Vgl. Sik, 0., Zur Problematik ... S. 35. 18 Vgl. Sik, 0., ebd. S. 35.

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Entwicklung, bei gleichzeitig starkem Inflationswachstum, erkämpften sich die Gewerkschaften dementsprechend stärkere Lohnsteigerungen, so daß vor allem in den Jahren 1968 bis 1975 die Lohnquote von 51 % bis auf 57,1 % 19 anstieg. Die sinkende Kapitalproduktivität und Investitionseffektivität (im Verhältnis zum Kapitalwachstum immer kleineres Wachstum des Nettoproduktes), bei gleichzeitig sinkendem Gewinnanteil am Nettoprodukt (Gewinnquote), hatte eine schnell sinkende Investitionsrentabilität zur Folge. Der Gewinnzuwachs auf jede Investitionseinheit wurde immer kleiner und kam in wachsenden Widerspruch zu den Zinssätzen für Kredite. Je langsamer das Eigenkapital aufgrund der immer langsamer wachsenden Gewinne wuchs, um so schneller stieg die Nachfrage der Unternehmen nach Krediten. Bei gleichzeitig schnell wachsendem Kreditbedarf der Staaten, führte dies zu noch schneller wachsenden Zinsen. Gelegentlich kam es zur Überlappung der Investitionsrentabilität durch die Zinssätze, d. h. geliehenes Kapital kam teurer zu stehen als die Gewinne, die in der Produktion aus diesen Krediten erzielt werden konnten. Tritt eine solche Situation ein, kommt es zu starken Rückgängen der Investitionstätigkeit. Kapitalschwächere Unternehmen, die aus ihrem Gewinnzuwachs nicht einmal die Zinsen bezahlen können, reagieren mit Senkungen der Kreditaufnahmen und Investitionen. Unternehmen mit freiem Geldkapitallegen dieses lieber zinstragend an, als es produktiv zu investieren. Solche starken Investitionssenkungen führten zu absoluten Rückgängen der realen Produktion und Krisenentstehung in den Jahren 65/67, 74/75 und 80/82. Diese beschleunigten natürlich die Rationalisierungsmaßnahmen und Arbeitsentlassungen. Das Verhältnis des sachlichen Kapitals zur Arbeitsmenge stieg immer stärker zuungunsten der Arbeit an - die Kapitalintensität (Kapitalstock je Erwerbstätigen in konstanten Preisen) wuchs von 98900.- DM im Jahre 1970 auf 241400.- DM im Jahre 1984. Immer größere Produktionskapazitäten benötigten absolut immer weniger Arbeitskräfte, so daß die Arbeitslosigkeit bis 1984 auf fast 2,3 Mio. Personen anstieg. Die Arbeitslosenquote (Verhältnis der Arbeitslosen zu den abhängigen Erwerbspersonen in Prozenten) entwickelte sich von 1971 bis 1984 folgendermaßen 20: 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977

0,8% 1,1 % 1,2% 2,6% 4,7% 4,6% 4,5%

1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984

4,3% 3,8% 3,8% 5,5% 7,5% 9,1% 9,1%

Obwohl unter dem Druck der Arbeitslosigkeit die Lohnquote in den Jahren 1983 und 1984 stark gesunken ist - von 74% im Jahre 1981 auf 69,3% im Jahre 1984 21 , ging die Arbeitslosenquote nicht zurück. Schon dies allein zeugt davon, 19 20 21

Vgl. Sik, 0., ebd. S. 41. Vgl. auch Abrahamsen, Y., Kaplanek, K., Schips, B. S.210f. Vgl. Stat. Jahrbücher 1980, S. 107 und 1985, S. 113. Vgl. Stat. Jahrbuch 1985, S. 536, 544.

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daß die Lohnentwicklung im Verhältnis zur Arbeitsproduktivitätsentwicklung nicht entscheidend für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist. Entscheidend ist, wie gezeigt, die Entwicklung der Kapitalintensität, d. h. des Verhältnisses von Kapital zur Arbeit auf der Basis einer bestimmten technischen Entwicklung. Zu schnell ansteigende Löhne werden zwar die arbeitssparende technische Entwicklung und damit die Kapitalintensität beschleunigen, aber auch bei gleichbleibender oder sogar sinkender Lohnquote wird von den Unternehmen ein technischer Fortschritt, verbunden mit einer Steigerung der Kapitalintensität, realisiert werden, wenn dieser zum Wachstum der Kapitalrendite führt. In einem kapitalistisch-marktwirtschaftlichen System ist also für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit das quantitative und qualitative Wachstum der Investitionsumfänge sowie die damit verbundene Entwicklung der Kapitalintensität entscheidend; dies, bei einer gegebenen Arbeitszeit, im Verhältnis zum Wachstum der abhängigen Erwerbspersonen. In dem gegebenen Wirtschaftssystem gibt es keinen Mechanismus, der ständig eine optimale Investitionsentwicklung mit Vollbeschäftigung absichert. Die technische Entwicklung, Kapitalintensität, das Investitionsvolumen und die Arbeitszeit können nicht so aufeinander abgestimmt werden, daß beständig eine Vollbeschäftigung bei einer optimalen Konsumtionsentwicklung erreicht wird. Die neoliberale Vorstellung, daß dies bei einer flexiblen, der Arbeitsproduktivitätsentwicklung entsprechenden Lohnentwicklung (also konstanten Lohnquote) möglich wäre, ist aus vielen Gründen illusionär. Nicht nur, daß diese Theorie von der Existenz der kurzfristigen Interessen der Lohnempfänger und der Gewerkschaften, also system-inhärenten Prozessen absieht, daß sie eine vollkommene Konkurrenz sowie allgemein und sofort verfügbare Information voraussetzt und von nicht behebbaren "time lags" abstrahiert2 2 , ignoriert sie auch die Wirkungen langfristiger Änderungen der Kapitalproduktivität. Da die letzteren auch bei konstanten Lohn- und Gewinnquoten zu Änderungen der Kapitalrenditen und Investitionsrentabilitäten führen, also z. B. eine sinkende Kapitalproduktivität auch bei konstanter Gewinnquote ein kleineres Wachstum der Gewinne als des Kapitals hervorruft, wird es auch dann zu Investitionsreaktionen und Gleichgewichtstörungen kommen. Soll es bei einer sinkenden Kapitalproduktivität nicht zu einem immer langsameren Wachstum der Produktion kommen, müßte rechtzeitig die Lohn- und Konsumtionsquote sinken und die Gewinn- bzw. Investitionsquote ansteigen. Umgekehrt wäre bei einer wachsenden Kapitalproduktivität ein sich beschleunigendes Produktionswachstum bei konstanter Lohn- und Gewinnquote nicht immer die ideale Entwicklung. Eine sich ändernde Produktionsfunktion kann nur ex post in der Theorie diese oder jene erforderliche Änderung der Verteilung erklären, nicht aber ex ante gesellschaftlich unerwünschte Produktions- und Verteilungsentwicklungen absichern. Die einzigen Prozesse, die falsche, der Gesamtproduktivitätsentwicklung nicht entsprechende Verteilungsentwicklungen im nachhinein (und sehr verspätet) korrigieren können, bleiben die Wirtschaftskrisen und die konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Nur unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit kann der Marktmecha22

Vgl. Rothschild, K.W., Einführung ... S. 23ff.

149

nismus solche Änderungen in der Einkommensverteilung erzwingen, die bei sinkender Kapitalproduktivität einer wirtschaftlichen Abstiegsperiode entgegenwirken können. Dies drückt z. B. auch C.C. Weizsäcker ganz klar aus 23 , wenn er ähnlich wie W. Engels in der höheren Arbeitslosigkeit jenen natürlichen Weg sieht, der gegen ein zu rasches Wachstum der Löhne wirkt. Es ist anzunehmen, daß er in diesem Prozeß den Weg auch zum schnelleren Wachstum der Investitionen und damit später wieder Überwindung der Massenarbeitslosigkeit sieht. Ungeachtet nun unserer Unkenntnis, wie sich weiterhin die Kapitalintensität entwikkein wird und welche Investitionsumfänge wie lange nötig wären, um eine Vollbeschäftigung z. B. in der Bundesrepublik wieder herzustellen, bleibt das noch größere Risiko, daß der Marktmechanismus allein keine Verteilungsentwicklung absichern kann, bei welcher in bestimmten Zeitabständen nicht immer wieder Massenarbeitslosigkeit entstehen müßte.

6 Beschränkte Wirkung keynesianischer Fiskalpolitik Zum Unterschied von den Neoliberalen, sehen die Postkeynesianer ein, daß eine Vollbeschäftigung nur durch das Funktionieren des Marktmechanismus nicht gesichert werden kann und daß der Markt durch fiskalische Umverteilungsprozesse ergänzt werden muß. Die ganze reiche Theorieentwicklung, die Menge komplizierter Wachstumsmodelle, die von einer stattlichen Zahl keynesianisch orientierter Ökonomen ausgearbeitet wurden, kann hier nicht abgehandelt werden. Es werden Fragen aufgeworfen im Zusammenhang mit meinem dritten Zweifel, ob eine konstante Lohn- und Gewinnquote unter allen Bedingungen die optimale Verteilungsentwicklung darstellen würde. Hier soll nur kurz aufgezeigt werden, warum ich auch fiskalische Umverteilungen für ungenügend halte, um einer Entstehung von Krisen und Massenarbeitslosigkeit vorzubeugen. Die Möglichkeit, mit Hilfe einer keynesianischen Fiskalpolitik großen Überproduktionskrisen entgegenzuwirken und Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten, wurde Ende der 60er und auch noch Anfang der 70er Jahre von vielen Ökonomen überschätzt. Auch ich selbst war noch 1974 überzeugt, daß mit Hilfe einer solchen Wirtschaftspolitik der Entstehung großer Krisen wirksam begegnet werden könnte, da ich aufgrund aller vorangehenden Erfahrung die Krise nur als Ergebnis einer relativ zurückbleibenden konsumtiven Endnachfrage gegenüber der schneller wachsenden investiven Endnachfrage und den daraus folgenden Rückschlägen in der Investitionsentwicklung sah. Die Möglichkeit, einem solchen Zurückbleiben der konsumtiven Entwicklung mit Hilfe schnellerer, gewerkschaftlich erzwungener Lohnsteigerungen sowie mit staatlichen Umverteilungsprozessen vorzubeugen, führte mich zu der Schlußfolgerung, daß es nicht mehr zu schwerwiegenden Krisen mit Massenarbeitslosigkeit wie im alten, zurückliegenden Kapitalismus kommen müsse. Die größte Gefahr in diesen Jahren sah ich in der grassierenden Inflationsentwicklung, in welcher ich mit Recht ein bedrohliches Hindernis für die Entwick-

23

Vgl. Weizsäcker,

150

c.e., V., Die Schweiz vor ... S. 98.

lung des technischen Fortschrittes und der weiteren Produktivitätssteigerung sah. Gegen eine solche Inflationsentwicklung und die sie hervorrufende Entwicklung der Verteilungsprozesse war auch mein damals geschriebener Artikel "Der Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktionsstruktur und den Verteilungsprozessen im marktwirtschaftlichen System", der im Kyklos 24 veröffentlicht wurde, gerichtet. Die wichtigste, bis zur Krise 1974/75 nicht genügend beachtete Erkenntnis, war die der sinkenden Kapital- und Gesamtproduktivität, mit ihrer Wirkung auf anders geartete Krisenursachen. Ich kam zu der Schlußfolgerung, daß bei sinkender Kapital- und Gesamtproduktivität, mit veranlaßt auch durch die vorangehende, inflationäre Verteilungsentwicklung, eine zu schnelle Entwicklung der konsumtiven Endeinkommen zu bedrohlichen Senkungen der Kapitalrendite (Gewinnrate) führen und dies schließlich auch schwerwiegende Krisen hervorrufen müsse. Die Erkenntnis zusätzlicher Krisenursachen habe ich dann in meinem Buch "Humane Wirtschaftsdemokratie" dargelegt. Weitere Analysen der Krisenentwicklung auf empirischer Grundlage 25 ermöglichten mir dann, die begrenzten Möglichkeiten der keynesianischen Wirtschaftspolitik aufzuzeigen. Meines Erachtens hat weder die monetaristische Kritik der keynesianischen Theorie noch die - aus vielen theoretischen Komponenten entstehende - angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in den USA, die Grundursache der langen Abstiegsperiode der 70er Jahre genügend aufgedeckt. Sowohl in den theoretischen Arbeiten der Monetaristen, z. B. jenen von M. Friedman 26 , als auch in den wirtschaftspolitischen Begründungen der angebotsorientierten Politik 26a , werden die zunehmenden negativen Wirkungen des Staates auf die Wirtschaft und die damit zusammenhängenden Behinderungen privater Unternehmerinitiative als Ursachen der Wachstumsverlangsamung in den 70er Jahren nur sehr einseitig angegeben. Bestimmt hat dies die Wirtschaftsentwicklung negativ beeinflußt, die entscheidende Ursache aber kann damit nicht erklärt worden sein. Eine tiefergehende Analyse müßte auch die Entwicklung der Kapitalproduktivität, Investitionseffektivität, Kapitalrendite und Investitionsrentabilität im Verhältnis zur Zinssatzentwicklung einbeziehen. Investitionsbehinderungen sollten immer von zwei möglichen, unterschiedlichen Faktorenkomplexen ausgehend, untersucht werden: 1. von jenen Faktoren, die zu relativen Senkungen der Investitionsimpulse führen, wie z. B. die sinkende Investitionseffektivität, die sinkende Investitionsrentabilität im Verhältnis zu den Zinssätzen, die wachsenden Gewinnbesteuerungen, wachsende administrative Behinderungen u. ä. ; 2. von jenen Faktoren, die das gleichgewichtige Wachstum der konsumtiven Nachfrage, aufgrund gleichgewichtsstörender Einkommensverteilungen, verhindern, ungenügende Absatzperspektiven für die Investitionsgüterproduktion schaffen und damit Investitionen abbremsen. Vgl. Sik, 0., Der Widerspruch ... Vgl. Sik, 0., Zwei Wirtschaftskrisen ... und: Zur Problematik ... 26 Vgl. z. B. die Argumentation von M. und R. Friedman in: Chancen die ich ... 26. Vgl. Stockman, D., Die Argumente zur angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der USA aus seinem Buch "Der Triumph der Politik", Vorauszüge in: "Der Spiegel" Nr. 16-20. 24 25

151

In einer langen Aufstiegsphase, in welcher die Kapitalproduktivität und Investitionseffektivität wächst, hat auch die keynesianische Fiskalpolitik die besten Chancen, einer Entstehung von Krisen und Massenarbeitslosigkeit vorzubeugen. In einer langen Aufstiegsphase besteht nämlich die Möglichkeit der Entstehung kurzfristiger übermäßiger Gewinn- und Investitionsentwicklungen und relativ stark zurückbleibender Lohn- und Konsumtionsentwicklungen, wie dies frühere Entwicklungen beweisen. Zu spät sich durchsetzende Lohnsteigerungen könnten aber bei purer Wirkung des Marktmechanismus zu relativ großen Überschußkapazitäten und starken Investitionsrückgängen und Krisenentstehungen sowie zu großer Arbeitslosigkeit führen. Gegen solche nachfragebedingten großen Ungleichgewichte hat die keynesianische Fiskalpolitik gute Wirkung gezeigt. Staatliche progressive Besteuerungen vor allem der Gewinneinkommen und ihre Umverteilung zugunsten konsumtiver Endeinkommen, haben in der Nachkriegspraxis vieler Industrieländer der Entstehung großer Überproduktionskrisen vorgebeugt. Diese Umverteilungspolitik kann zwar die Entstehung zyklisch wiederkehrender Rezessionen in Form von Verlangsamungen des Produktionswachstums nicht verhindern. Sie kann, wie gezeigt, der primären Verteilung des Einkommens zugunsten einer Steigerung der Gewinnquote und gleichzeitig damit der Schaffung übermäßiger Investitionen und Produktionskapazitäten nicht voll entgegenwirken. Durch Verringerung dieser Gewinnentwicklung und Verstärkung der Konsumtionsentwicklung ist es jedoch möglich, die Ungleichgewichtssituation in ihrem Umfang zu verringern und zeitlich zu verkürzen. Wenn die Kapitalproduktivität sinkt, wird es jedoch wesentlich schwieriger, mit staatlichen Umverteilungen Gleichgewichtsstörungen entgegen zu wirken. Genau dann, wenn die Lohn- und Konsumtionsquoten gesenkt werden sollten, um bei sinkender Investitionseffektivität dennoch wachsende Gewinn- und Investitionsquoten und eine Vollbeschäftigung zu erhalten, erweisen sich die staatlichen Umverteilungsmöglichkeiten als zu schwach. Diese haben in vielen Ländern dann immer noch zuungunsten der Gewinn- und Investitionsentwicklung gewirkt, als sie längst hätten geändert werden sollen. Zum Zeitpunkt des sich verlangsamenden Produktionswachstums und der sinkenden Investitionsrentabilität werden die bis dahin gewohnten Lohnsteigerungen und die alte Fiskalpolitik nur zu schnelleren Steigerungen der nominalen konsumtiven Endeinkommen gegenüber dem realen Wachstum der Produktion, und daher zu Inflationsschüben, führen. Die zwangsläufige Krisenentstehung mit Massenarbeitslosigkeit in solchen Bedingungen wurde bereits dargestellt. Eine umgekehrte, zur Änderung der Verteilungsprozesse beitragende Fiskalpolitik in den gegebenen Bedingungen, ist die sogenannte angebotsorientierte Fiskalpolitik. Durch Steuersenkungen vor allem in Richtung von Gewinneinkommen sowie Senkungen staatlicher Sozialausgaben u. ä. soll die Verteilung zugunsten der privaten Investitionsentwicklung geändert werden. Meines Erachtens ist diese Maßnahme erstens zu schwach und zweitens hinkt sie immer der Ungleichgewichtsentstehung nach. Besonders schwierig ist es, rechtzeitig zu erkennen, wann die Förderung der investiven Endeinkommen einen gewissen Punkt überschreitet, in welchem wieder eine ungenügende konsumtive Nachfrage zum Haupthindernis einer stärkeren Investitionsentwicklung wird. 152

Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik hätte überhaupt allein eine ungenügende Wirkung, wenn sich die primäre Aufteilung auf Löhne und Gewinne zugunsten der letzteren nicht unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit ändern würde. Viele Neoliberale verhalten sich daher aus ihrer Sicht logisch, wenn sie in der angebotsorientierten Fiskalpolitik nur ein vorübergehendes Mittel gegen die vorangehende umgekehrte Fiskalpolitik sehen und im weiteren einen Abgang von jeglicher Konjunkturpolitik verlangen. Das bedeutet allerdings, sich weiterhin mit der immerwährenden Entstehung von Krisen und Massenarbeitslosigkeit abzufinden. Wenn man sich mit der Massenarbeitslosigkeit als Mittel der Überwindung von gleichgewichtsstörenden Verteilungsprozessen nicht zufrieden geben will, ist es erforderlich, neue Wege für gleichgewichtssichernde Verteilungsprozesse zu gehen. Es geht um die Schaffung von Bedingungen, in welchen vor allem die primäre Aufteilung der Einkommen auf Löhne und Gewinne bzw. auch eine Umverteilung der Gewinne, wesentlich wirksamer gegen die Entstehung von U ngleichgewichten ausgerichtet werden könnte. Solche Bedingungen sehe ich in der Entstehung von anders gearteten Regulierungen der Entwicklung durchschnittlicher Löhne, als durch rein machtmäßig gegebene Lohnverhandlungen zwischen interessenbedingt gegensätzlich ausgerichteten Tarifpartnern, bei welchen die zukünftig erforderlichen volkswirtschaftlichen Bedürfnisse überhaupt nicht entscheidendes Kriterium für die Lohnabkommen sein können. Auch eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer würde gegen die Störungen des Gleichgewichtes zwischen konsumtiver und investiver Entwicklung wirken. Schon allein die Vorstellung, daß das jeweils politisch Machbare bei den jährlichen Lohnabkommen, durch welches die zukünftige Verteilungsentwicklung entscheidend bestimmt wird, zu einer optimalen Wirtschaftsentwicklung führen könnte, ist typischer Ausdruck eines rein politischen, machtmäßigen Denkens, übertragen in die Wirtschaftssphäre. Daß es überhaupt völlig unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklungsalternativen in jedem Ausgangspunkt gibt, bei welchen dennoch gleichgewichtserhaltende Verteilungsprozesse abgesichert werden könnten, wird aus dem kurzfristig ausgerichteten politischen Denken völlig verdrängt. Dies wird aber auch von den neo liberalen Ökonomen ignoriert, die nicht sehen wollen, daß die Vorstellung einer unternehmungsgebundenen Lohnentwicklung gemäß der Entwicklung der Grenzarbeitsproduktivität in den systemgebundenen Bedingungen ein Wunschtraum bleibt. Sie weichen dabei gerne der immer aktuelleren Frage aus, ob denn eine von ihnen gewünschte Lohnentwicklung immer jene Wirtschaftsentwicklung bringen kann, die den entscheidenden Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht und ob eine Konsumtionsmaximierung immer die einzige Alternative der Wirtschaftsentwicklung darstellt. 7 Zusammenfassende Darstellung sowie Perspektiven

der Massenarbeitslosigkeit

In diesem Subkapitel sollen die vorangeschilderten Ursachen der Massenarbeitslosigkeit in verkürzter und übersichtlicher Form verdeutlicht werden. Zu diesem Zwecke werde ich auch die einzelnen Faktoren und Zusammenhänge mit Hilfe 153

von Symbolen und algebraischen Verhältnissen ausdrücken, ohne jedoch zu komplizierten und für Nichtökonomen schwer verständlichen Modellen überzugehen. Eine übersichtlichere Darstellung soll auch die Hindernisse einer Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit innerhalb des Systems anschaulicher machen. Im folgenden werden diese Symbole benützt: A Al E

y a

Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte (abhängig Erwerbstätige) Arbeitslosenzahl = Zahl der abhängigen Erwerbspersonen (Menschen im Erwerbsalter, die vom Arbeitsverkauf leben müssen) = Bruttogewinne (nichtverteiltes Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapital) = Nettoinvestitionen (Gesamtinvestitionen minus Abschreibungen bzw. Erweiterungswert der Produktionsanlagen und -vorräte) = Kapitalstock (Produktionsanlagen und -vorräte) = Kreditkapital = Bruttolöhne (nichtverteiltes Einkommen abhängig Erwerbstätiger bzw. Arbeitnehmer) = Nettoprodukt bzw. Volkseinkommen (vereinfacht) = Arbeitsintensitätsquotient

e

=

Inves ff 1 lonsrentabT" 1 Itat (ßG) -1-

q

=

Kapitalintensitätsquotient

z

=

Zinssatz

= =

G I K Kr L

(~r)

= Wachstumsindikator y = Wachstumsrate des Volkseinkommens t, t - 1 = Zeitperioden Es kann als sicher angenommen werden, daß der Prozeß der wachsenden Kapitalintensität

(~) bzw. sinkenden Arbeitsintensität (~) der Produktion auch in

dem kommenden Jahrzehnt aufgrund eines schnellen technischen Fortschrittes noch wesentlich stärker als in den 70er und ersten Hälfte der 80er Jahre verlaufen wird. Die bisherige Entwicklung betrachte ich nur als den Anfang einer starken Automatisierung und Roboterisierung der Produktion (inkl. Dienstleistungen). Mit einem vereinfachten Beispiel, aufgrund rein theoretischer Annahmen, sollen unterschiedliche Möglichkeiten von Zielkombinationen aufgezeigt werden, mit welchen einer immens wachsenden Arbeitslosigkeit entgegengewirkt werden könnte. Gleichzeitig damit soll jedoch verdeutlicht werden, wie realitätsfremd die neoklassische bzw. neoliberale Vorstellung ist, der Marktmechanismus könne selbst dem weiteren Wachsen einer Massenarbeitslosigkeit vorbeugen. Zuerst soll die Entwicklung der Kapital- bzw. Arbeitsintensität in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1970 bis 1984, welche durch starke Rationalisierungsmaßnahmen charakterisiert ist, aufgezeigt werden. Die Entwicklung der Kapital- bzw. Arbeitsintensität wird mit Hilfe des Kapitalstocks (K) in konstan154

ten Preisen von 1976 27 sowie der Zahl der abhängig Erwerbstätigen (A)28 in ihrem gegenseitigen Verhältnis aufgezeigt. Die Kapitalintensität wuchs folgendermaßen: 1970

K 3473800 Mio. DM q=- = = 155775,80 Mio. A 22,3 Mio. =

1984

155775,80 MiojErwerbstätiger

K 5978140 Mio. DM q= - = A 21,9 Mio. =

= 272 974,40 Mio.

272 974,40 MiojErwerbstätiger

Im umgekehrten Verhältnis wird die sinkende Entwicklung der Arbeitsintensität dargestellt: 1970

22,3 Mio = 0 64.10-5 a=~= K 3473800 Mio. DM '

1984

a= - =

A K

21,9 Mio. 5 = 0 37 . lO5978140 Mio. DM '

Wie ersichtlich, ist die Kapitalintensität (q) während der angegebenen Zeit um ungefähr 75% gewachsen. Die Arbeitsintensität (a) ist um fast 43% gesunken. Da es im Jahre 198424,2 Mio. abhängige Erwerbspersonen (E)29 gab, waren bei 21,9 Mio. Erwerbstätigen (A) - wie bereits erwähnt - 2,3 Mio. Erwerbspersonen arbeitslos (Al). Würde nun die technologische Entwicklung und mit ihr das Wachstum der Kapitalintensität bzw. Sinken der Arbeitsintensität in den kommenden 10 Jahren weiter so vorsichgehen, würde es auch nicht gelingen, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Wenn die Arbeitsintensität statt um 43% nur um 24% weiter sinken würde und die Zahl der abhängigen Erwerbspersonen unverändert 24,2 Mio. bliebe, könnte auch ein relativ schnelles Wachstum des Volkseinkommens, durchschnittlich um 3% jährlich, die Arbeitslosenquote von 1984 (9.1 %) nicht senken. Die Zahl der Erwerbstätigen würde nämlich im Jahre 1994 nur rund 22 Mio. betragen. Diese Annahme hat natürlich nur theoretischen Charakter - die Arbeitsintensität kann weniger stark oder auch noch stärker sinken. Es sollte nur hervorgehoben werden, welch großen Einfluß die Entwicklung der Kapital- bzw. Arbeitsintensität auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat. Von neoliberalen Theoretikern kann allerdings eingewendet werden, daß bei entsprechenden Lohnsenkungen die Rationalisierungen und die Steigerung der Kapitalintensität nicht so schnell verlaufen würden und die Arbeitslosigkeit daher nicht weiter wachsen bzw. sogar zurückgehen könnte. Gerade dies muß aber bezweifelt werden. 27

28 29

Vgl. Stat. Jahrbuch 1985, S. 100, 556. Vgl. Stat. Jahrbuch 1980, S. 96, 1985, S. 100. Vgl. Stat. Jahrbuch 1985, eigene Berechnung aus S. 100, 112.

155

Erstens ist zu bezweifeln, daß bei wachsender Arbeitsproduktivität die Löhne der Beschäftigten weiter gesenkt werden können, denn die Gewerkschaften werden - bei Unterstützung durch die Mehrheit der Lohnempfänger - um Lohnsteigerungen im Verhältnis zum Arbeitsproduktivitätswachstum kämpfen. Zweitens muß angenommen werden, daß durch den internationalen Konkurrenzdruck ein maximal möglicher technischer Fortschritt erzwungen wird, da er den Hauptfaktor für die Steigerung der Gesamtproduktivität und der Konkurrenzfähigkeit bildet. Drittens werden Arbeitskräfte nur in dem Ausmaß zusätzlich angestellt, in welchem sie für die neue Technik erforderlich sind. Wird die ständig erweiterte technisch-produktive Basis weniger Arbeitskräfte benötigen (sinkende Arbeitsintensität), wird die Beschäftigung auch dementsprechend langsamer wachsen oder sogar weiter sinken. Viertens wird bei konstanter Gewinn- und Investitionsquote das Kapital nur so schnell wachsen können, wie das Nettoprodukt wächst. Eine Wachstumsbeschleunigung ist nur möglich, wenn das wachsende Kapital sich qualitativ und technisch noch schneller entwickeln würde. Auf der heutigen Stufe der Entwicklung bedeutet dies aber höchstwahrscheinlich auch eine noch schnellere Steigerung der Kapitalintensität. Es ist ersichtlich, daß - von einer großen Arbeitslosigkeit ausgehend - bei einem bestimmten Stand des technischen Fortschritts, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit vor allem von dieser technischen Entwicklung und der von ihr bestimmten Arbeitsintensität abhängen wird. Wenn drei Roboter zwölf Arbeitskräfte ersetzen, dann werden für die betreffende Produktion keine weiteren Arbeitskräfte angestellt, auch wenn sie gewillt wären, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Die drei Roboter würden nur in dem Fall nicht in die Produktion eingeführt, wenn die zwölf Arbeitskräfte in der Zeitspanne der Roboterabnützung, sagen wir z. B. in 10 Jahren, nicht nur das gleiche Wachstum des Nettoproduktes bringen würden wie die Roboter, sondern wenn ihr Gesamtlohn insgesamt niedriger als der Preisunterschied zwischen den drei Robotern und den bis dahin benützten Maschinen zu liegen käme. Sobald jedoch die Roboter selbst mit niedrigeren Kosten produziert werden können als die Lohnkosten der von ihnen ersetzten zwölf Arbeitskräfte (also zwölfmal die betreffenden Löhne für 10 Jahre) ausmachen, wird die Anschaffung von Robotern bevorzugt. Für die neoliberale Theorie ist eine solche Entwicklung völlig in Ordnung, denn ihr Grundziel ist die maximale Steigerung der Produktivität und Effektivität der Produktion, als Voraussetzung für die Steigerung der Konsumtion. Für die abhängig Erwerbstätigen entsteht jedoch die berechtigte Forderung: wenn dieses Ziel nur dadurch erreicht werden kann, daß entweder ein sehr großer Teil der Erwerbstätigen für lange Zeit arbeitslos wird oder alle abhängig Erwerbstätigen starke Senkungen der Reallöhne hinnehmen müssen, dann kann eine solche technische Entwicklung nicht den Interessen des Volkes dienen. Es müssen noch andere Ziele (darunter die Vollbeschäftigung) dem Ziel der Konsumtionsmaximierung gleichgestellt werden. Das neoliberale Argument, daß die Arbeitslosen in anderen Branchen und Bereichen wieder eine Beschäftigung finden können, verlagert das ganze Problem nur auf die volkswirtschaftliche Ebene. Wenn also bei allgemeinem potentiellem 156

technischem Fortschritt die durchschnittlichen Löhne zwar bereits gesenkt wurden, aber weitere Senkungen nicht mehr durchsetzbar sind und daher eine große Arbeitslosigkeit bestehen bleibt, wird aus der Sicht der Neoliberalen nur ein starkes Produktionswachstum zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen können. Die Beschäftigung kann aber nur in dem Umfang wachsen, in welchem der Kapitalstock, welcher Arbeitskräfte kostensparend ersetzt, so schnell wächst, daß die für ihn benötigten Arbeitskräfte ebenfalls anwachsen können. Wie immer daher die Produktion erweitert wird, immer wird die Beschäftigung nur gemäß der Arbeitsintensität mal Kapitalstock wachsen. Der Kapitalstock kann jedoch nur so schnell wachsen wie das Volkseinkommen wächst, bei der Annahme, daß die Gewinn- und Investitionsquote konstant bleibt. Das Wachstum des Volkseinkommens kann dann nur beschleunigt werden, wenn die technische Entwicklung und das Wachstum der Gesamtproduktivität noch schneller wächst. Ein erhöhter Einsatz an Arbeit kann nur bei vorher unausgenützten Produktionskapazitäten (also ihrer volleren Ausnützung) zu einem Wachstum des Volkseinkommen führen. Gehen wir jedoch von voll ausgenützten Produktionskapazitäten aus, werden weitere Arbeitskräfte nur in dem Verhältnis angestellt, in welchem sie für das wachsende Kapital benötigt werden. Wenn jedoch die technische Entwicklung und das Wachstum der Kapitalproduktivität noch beschleunigt werden soll, muß mit Recht angenommen werden, daß auch die Arbeitsintensität weiter sinken wird. Während das schnellere Wachstum der Investitionen also zu einer Erweiterung der Beschäftigung führen könnte, wird wieder die schnellere qualitative (technische) Entwicklung die Beschäftigung reduzieren, so daß die Entwicklung der Beschäftigung letzten Endes wieder von dem Wachstum des Kapitalstocks mal der Arbeitsintensität abhängen wird. Dabei darf nie vergessen werden, daß der Kapitalstock sich nicht nur durch die Netto-, sondern auch durch die Ersatzinvestitionen qualitativ wandelt, so daß sich das Verhältnis von Arbeit zum ganzen Kapitalstock ändert. Es stimmt natürlich, daß sich in einer Aufstiegsphase Dienstleistungsbranchen entwickeln können, in welchen die Arbeitsintensität relativ höher liegt. Aber auch in vielen Dienstleistungsbranchen wird der technische Fortschritt Einzug halten und daher muß auch hier eher mit einer sinkenden als steigenden Arbeitsintensität gerechnet werden. Es kann also im gesamten, marktausgerichteten Wirtschaftsbereich schwerlich mit einem Beschäftigungswachstum gerechnet werden, das parallel zum Wachstum des sachlichen Kapitals verlaufen könnte. Einige einfache Gleichungen sollen die Gesamtübersicht über alle Faktoren, von deren unterschiedlicher Kombination die Entwicklung der Arbeitslosigkeit abhängig ist, geben: Die Nettoinvestitionen (I) sind zuerst einmal in der betrachteten Periode t abhängig vom Wachstum des Volkseinkommens (Y), d. h. von der Größe des Volkseinkommens in der vorangehenden Periode t - 1 und der Wachstumsrate y in der Periode t 1 Y.=Y.- 1 ·(1 +Y.)

Die Wachstumsrate y ist eine Funktion sowohl der quantitativen Erweiterung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit als auch ihrer qualitativen Entwick157

lung (technischer Fortschritt, Qualifikation der Arbeitskräfte, technologische und organisatorische Produktionsentwicklung etc.). Es wird sodann vereinfachend angenommen, daß die Nettoinvestitionen (I) nur aus den Gewinnersparnissen bzw. Gewinnumverteilungen finanziert, die Löhne daher voll für Konsumtion benützt werden 30 . Einen Teil des Volkseinkommens bilden also die Gewinne (G), aus welchen die Nettoinvestitionen (I) finanziert werden können. Wichtig ist daher erstens der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen in der Periode t

und zweitens der Anteil der Nettoinvestitionen an den Gewinnen

Wenn man die beiden Verhältnisse miteinander multipliziert und sodann das Ergebnis mit dem gewachsenen Volkseinkommen multipliziert, erhält man die Größe der Nettoinvestitionen in der Periode t

Fügt man nun diese Nettoinvestitionen dem Kapitalstock der Vorperiode zu, erhält man den vergrößerten und natürlich auch qualitativ gewandelten Kapitalstock der Periode t

Dieser Kapitalstock der Periode t setzt sich nun aus qualitativ wesentlich geänderten Produktionsmitteln zusammen, die eine Steigerung der Kapitalintensität, also eine relative Ersparnis an Arbeit ermöglichen. Das heißt, daß sich also das Verhältnis von Kapital zu Arbeit in der Periode t gegenüber der vorangegangenen Periode t - 1 erhöht hat,

was auch bedeutet, daß die Zahl der abhängig Erwerbstätigen (A) langsamer als der Kapitalstock (K) wächst.

30 In meinem Artikel "Zwei Wirtschaftskrisen" habe ich gezeigt, daß die Nettoersparnisse aus den Löhnen, welche für Investitionen benützt werden können, so klein sind, daß man in einer theoretischen Vereinfachung tatsächlich von ihnen abstrahieren kann.

158

Die Zahl der Erwerbstätigen in t ist also abhängig von dem gewachsenen Kund der neuen Kapitalintensität (umgekehrten Arbeitsintensität) 31.

Ist nun die Zahl der abhängigen Erwerbspersonen in t weiterhin größer als die Zahl der abhängig Erwerbstätigen

wird weiterhin eine Arbeitslosigkeit existieren

Es zeigt sich nun vielleicht klarer, daß bei einer gegebenen Zahl von abhängigen Erwerbspersonen die Zahl der Arbeitslosen vom Wachstum der Beschäftigung abhängig ist. Dieses ist dann wieder abhängig vom Wachstum des Volkseinkommens, von der Größe der - vor allem - gewinnabhängigen Nettoinvestitionen und von der quantitativen und qualitativen Entwicklung des Kapitals, die gleichzeitig die Arbeitsintensität bestimmt.

8 Vollbeschäftigungsbedingungen Wenn man von Bedingungen der Vollbeschäftigung ausgeht, an die sich eine Phase des technischen Fortschrittes mit stark sinkender Arbeitsintensität anschließt, so kann die Vollbeschäftigung nur erhalten bleiben, wenn der Kapitalstock (K) so schnell wächst, daß er alle Erwerbsfähigen absorbieren kann und die Zahl der abhängigen Erwerbspersonen identisch ist mit der Zahl der abhängigen Erwerbstätigen (E = A). Natürlich darf diese Gleichheit nicht absolut aufgefaßt werden, da es geringe Arbeitslosigkeit durch laufend strukturelle Änderungen in der Produktion sowie wegen des Suchens von neuen bzw. besseren Arbeitsplätzen immer geben wird (friktionelle Arbeitslosigkeit). Anders sieht die Sache allerdings aus, wenn man von Bedingungen ausgeht, die durch eine Massenarbeitslosigkeit charakterisiert sind, wie es z. B. in der bundesdeutschen Gegenwart der Fall ist, um zu Bedingungen einer Vollbeschäftigung zu 31 Bei rein formaler Betrachtung könnte fälschlicherweise argumentiert werden, daß diese Gleichung tautologisch sei:

1 1 A, A =K ·-=K ·-=K ·-=A

,

'q,

'K, A,

'K,

'

Da jedoch q, eine technische Größe ist, ist es nicht zulässig, q, durch

~', zu

ersetzen und

anschließend Ku herauszukürzen. Denn in der Größe qu ist eine qualitative Komponente enthalten; sie bezeichnet die technologisch in einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Kapitalintensität.

159

gelangen. Im allgemeinen (und auch in der Bundesrepublik) führt die Massenarbeitslosigkeit zu einer Senkung der Lohnquote

(~)

sowie einer Steigerung der

(~). Dies schafft auch Voraussetzungen für eine höhere Investitionsquote (~). Es kann jedoch nicht angenommen werden, daß das zukünftige

Gewinnquote

Wachstum des Kapitalstocks (K) durch eine weitere Anhebung der Investitions.. 1·IC h sem . WIr. . d D·Ie G · (G) . .. f ( I) ewmnquote y un d I nvestItItIOnsquote y quote (yI) mog sollten möglichst konstant bleiben, so daß das Wachstum des Kapitalstocks nur aufgrund eines Wachstums des Volkseinkommens gesichert werden kann. Die Erhaltung einer konstanten Gewinn- und Investitionsquote entspricht auch der makroökonomischen Vorstellung der Neoliberalen, da sie überzeugt sind, daß damit das makroökonomische Gleichgewicht erhalten werden kann. Dazu ist es allerdings nötig, einen Zusammenhang, den ich bereits im Vorangehenden erwähnt habe, hier noch einmal zu verdeutlichen und hervorzuheben. Eine konstante Gewinnquote

(~) kann nicht in Bedingungen einer längerfristig y

sinkenden Kapitalproduktivität (K) gleichgewichtshaltend wirken. In solchen Bedingungen wird sie zur Entstehung von Krisen beitragen. Wenn die Kapitalproduktivität sinkt, wird das Kapital (K) schneller als das Nettoprodukt (Y) wachsen.

Bleibt nun die Gewinnquote konstant, heißt dies, daß die Gewinne so schnell wie das Nettoprodukt wachsen, Gt

-

Gt -

Gt -

1

1

Yt

-

Yt -

Yt -

1

1

und daher wachsen die Gewinne ebenfalls langsamer als das Kapital.

Das bedeutet nichts anderes, als daß die Kapitalrendite

(~) sinkt,

also in jeder

folgenden Periode niedriger als in der vorangehenden Periode ist.

Mit dieser Entwicklung ist auch eine sinkende Investitionsrentabilität .. (AG t -- e) ver bun den, denn d·Ie InvestItIOnen wachsen parallel zum KapitalIt - 1 160

wachstum, während der Zuwachs der Gewinne immer niedriger ist.

Daher wird auch die Investitionsrentabilität in jeder folgenden Periode niedriger als in der vorangehenden sein.

Eine solche Entwicklung wird bereits die Investitionsmotivation der Unternehmer verringern. Da jedoch eine längerfristig sinkende Kapitalrendite

(~)

auch

eine negative Wirkung auf die Entwicklung der Zinssätze für Kreditkapital hat, und dies in bestimmten Momenten die Krisenentstehung direkt hervorruft, muß auch diese Entwicklung noch kurz erklärt werden. Wenn die Kapitalrendite sinkt, aber der Bedarf an Kapital für ein jedes Prozent des Produktionwachstums mehr als um ein Prozent wachsen muß

wird aus den relativ sinkenden Gewinnen immer weniger Eigenkapital für das notwendige Wachstum des Nettoproduktes (Y) gewonnen. Vor allem die kapitalschwächeren Unternehmen werden nicht genügend wachsendes Eigenkapital für das Wachstum ihrer Produktion, welches durch die kapitalstärkere Konkurrenz erzwungen wird, gewinnen können. Sie werden in wachsendem Ausmaß auf Kredit angewiesen sein. Hier ist schon der erste Grund für eine schneller wachsende Nachfrage nach Krediten gegenüber einer langsamer wachsenden Bildung von Ersparnissen (Kreditmitteln) zu suchen. Gleichzeitig haben die sinkenden Kapitalrenditen zur Folge, daß die Steuereinnahmen der Staaten aus den Gewinnen langsamer wachsen. Wie sich in Zeiten einer allgemein sinkenden Kapitalproduktivität

(i? das Verhältnis der Staatsein-

nahmen zu den Staatsausgaben verschlechtert, kann hier nicht weiter behandelt werden, denn es würde zu sehr vom Thema wegführe~. Das Problem wurde nur deshalb angeschnitten, da gerade in Zeiten sinkender Eigenkapitalbildung in der Wirtschaft und ihres wachsenden Kreditbedarfes, auch die Staaten meist wachsende Budgetdefizite aufweisen und daher selbst einen wachsenden Kreditbedarf haben. Diese schneller wachsende Kreditnachfrage gegenüber dem Wachstum von Ersparnissen (Bildung von Kreditmitteln) in Zeiten sinkender Kapitalproduktivität und sinkender Kapitalrenditen hat ein schnelles Wachstum der Zinssätze für Kredite (z

=~) zur Folge. Die wachsenden Zinssätze verringern zusätzlich die

Kr Investitionsmotivation in der Wirtschaft. Auch Unternehmer mit relativ höherem 161

Eigenkapital, beginnen ihre Gewinnteile, die sie gewöhnlich für Nettoinvestitionen benützen, lieber in zinstragenden Wertpapieren anzulegen. AG Wenn diese gegensätzliche Entwicklung der Investitionsrentabilität ( e = -1-) und der Zinssätze (z = :r) in einem bestimmten Moment zur Überlappung beider Größen führt und die Zinssätze höher als die Investitionsrentabilität zu liegen kommen, z>e

gehen die Investitionen plötzlich sehr stark zurück. Meist verschwinden nicht nur die Nettoinvestitionen, sondern auch die Ersatzinvestitionen sinken teilweise. Dies ist der Beginn einer größeren Wirtschaftskrise, welche die Rationalisierungen beschleunigt und die Arbeitslosigkeit stark vergrößert. Aus dem Ganzen ist ersichtlich, daß in Bedingungen einer langfristig sinkenden Kapitalproduktivität auch eine konstante Lohn- und Gewinnquote ein Absinken der Kapitalrenditen und Investitionsrentabilitäten und damit den Ausbruch von Makrogleichgewichtsstörungen nicht verhindern kann. Immer wieder tritt also hervor, daß die Entstehung der Massenarbeitslosigkeit ohne Beachtung der Entwicklung von Kapitalproduktivität

(~)

J),

bzw. Investitionseffektivität (A

nur

mit Begründungen der Verteilung des Volkseinkommens auf Löhne und Gewinne allein nicht erklärt werden kann. Wenn aber zu der sinkenden Kapitalproduktivi.. (Y) .. ffiek tlvltat . . .. (A Y) noch· . kende G ewmn. tat K und· smkenden Investltlonse -1eme sm quote (~) hinzukommt, wird die Investitionsrentabilität (A~) viel stärker herabgedrückt. Es entstehen nicht nur tiefere Wirtschaftskrisen, sondern auch die durch die sinkende Kapitalproduktivität

(~)

eingeleiteten Rationalisierungen

werden verstärkt und die Massenarbeitslosigkeit vergrößert. Jetzt wollen wir aber zu der Erklärung zurückkehren, wie aus den Bedingungen einer Massenarbeitslosigkeit hervorgehend, Entwicklungen in Richtung Vollbe-

schäftigung vor sich gehen können. Es wurde bereits gesagt, daß die Lohnquote nicht weiter gesenkt und daher die Investitionsquote nicht durch eine Steigerung der Gewinnquote angehoben werden kann. Die Lohn- und Gewinnquote sollen daher im weiteren als konstant angenommen werden, auch wenn damit nicht gesagt werden soll, daß dies in der realen Entwicklung möglich wäre. Wird die Gewinnquote

(~) und Investitionsquote (~) als konstant angenom-

men, können die Investitionen (I) und der Kapitalstock (K) nur so schnell wie das Volkseinkommen (Y) wachsen. Der Kapitalstock wächst aber nicht nur quantitativ, sondern wandelt sich auch qualitativ, womit auch eine wachsende Kapitalintensität (q =

~)

verbunden ist. Das heißt, daß die Zahl der Beschäftigten (A)

nicht parallel zum Wachstum des Kapitalstocks, sondern langsamer ansteigt. Dennoch könnte das Volkseinkommen und der Kapitalstock so schnell wachsen, daß trotz steigender Kapitalintensität die Beschäftigung wachsen könnte. 162

Es hängt also von dem Verhältnis des Wachstum des Volkseinkommens zum Wachstum der Kapitalintensität ab, wie schnell die Beschäftigung wachsen kann. Wenn das Volkseinkommen schneller als die Kapitalintensität (die wir einfach mit q bezeichnen können) wachsen wird, also Y, - Y'~l > q, - q'~l Y,~ 1

q'~l

:x:

so daß das Verhältnis von in jeder folgenden Periode größer als in der vorhergehenden ist q Y, Y'~l ->-q, q'~l

dann wird die Zahl der Erwerbstätigen zunehmen. Wenn K so schnell wie Y wächst, aber schneller wie A wächst,

also die Kapitalintensität wächst

sollte eigentlich die Beschäftigung sinken. Da aber der Zuwachs von Y und K größer als der Zuwachs der Kapitalintensität ist, kann die Beschäftigung wachsen. Das schnell wachsende K wird weitere Arbeitskräfte (A) absorbieren, auch wenn K schneller als A wächst und daher qt größer als qt - 1 ist. Wenn also K so schnell wächst, daß 1 K,·-> q,

1

K'~l·~ q'~l

wird die Beschäftigung wachsen. Wird das Volkseinkommen gleich schnell wie die Kapitalintensität wachsen, so daß

dann wird die Beschäftigung gleich bleiben. Mit anderen Worten: der parallel zum Volkseinkommen wachsende Kapitalstock würde zwar weitere Arbeitskräfte aufnehmen, aber die gleichermaßen wachsende Kapitalintensität blockiert wieder einen weiteren Zuwachs der Arbeitskräfte, so daß die Beschäftigung unverändert bleibt. Schließlich wird ein langsameres Wachsen des Volkseinkommens als der Kapitalintensität, so daß Y, Y'~l -