Wirtschaftspolitik: Eine praxisorientierte Einführung [2. Aufl.] 9783658304188, 9783658304195

Dieses Lehrbuch befasst sich eingehend mit den Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Die Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist

823 116 14MB

German Pages XVIII, 526 [538] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Wirtschaftspolitik: Eine praxisorientierte Einführung [2. Aufl.]
 9783658304188, 9783658304195

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Einleitung (Christian A. Conrad)....Pages 1-2
Grundlagen der Wirtschaftspolitik (Christian A. Conrad)....Pages 3-22
Markt und Wettbewerb (Christian A. Conrad)....Pages 23-96
Ordnungspolitik (Christian A. Conrad)....Pages 97-141
Marktversagen (Christian A. Conrad)....Pages 143-214
Politikversagen (Christian A. Conrad)....Pages 215-237
Wettbewerbspolitik (Christian A. Conrad)....Pages 239-334
Industriepolitik (Christian A. Conrad)....Pages 335-359
Konjunkturpolitik (Christian A. Conrad)....Pages 361-435
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (Christian A. Conrad)....Pages 437-470
Außenwirtschaft (Christian A. Conrad)....Pages 471-506
Lösungen zu den Übungsaufgaben (Christian A. Conrad)....Pages 507-518
Back Matter ....Pages 519-526

Citation preview

Christian A. Conrad

Wirtschaftspolitik Eine praxisorientierte Einführung 2. Auflage

Wirtschaftspolitik

Christian A. Conrad

Wirtschaftspolitik Eine praxisorientierte Einführung 2. Auflage

Christian A. Conrad Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes Saarbrücken, Deutschland

ISBN 978-3-658-30418-8 ISBN 978-3-658-30419-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2017, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Nora Valussi Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur zweiten Auflage

Die zweite Auflage wurde grundlegend überarbeitet, was sich auch in der deutlich gestiegenen Seitenzahl zeigt. Insbesondere flossen die Erkenntnisse aus den zwischenzeitlich gehaltenen Veranstaltungen in Wirtschaftspolitik und aus meinem Forschungssemester im Sommersemester 2019 ein. Das Forschungssemester widmete sich den Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften (Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie und Behavioral Economics) und ihrer Bedeutung für die Wirtschaft. Hieraus entstanden viele neue Impulse für die Wirtschaftspolitik. Saarbrücken im Februar 2020

Christian A. Conrad

V

Vorwort

Das vorliegende Buch entstand als Resultat meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestellter an der Eberhard Karls Universität Tübingen sowie von über zwölf Jahren beruflicher Tätigkeit in einer großen deutschen Bank, die mich als Unternehmenskundenberater immer wieder in Kontakt zum Management von vielen deutschen Unternehmen gebracht hat. Die Periode meiner Berufserfahrung beinhaltete auch den Börsenboom und -crash am Anfang des neuen Jahrtausends und die Finanzkrise. Diese praktischen Eindrücke beeinflussten die Veranstaltungen Wirtschaftspolitik der anwendungsorientierten Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken. Diese Lehrerfahrung floss in dieses Buch ebenso ein wie ein umfangreiches Literaturstudium. Schließlich danke ich noch Herrn Prof. Starbatty sowie Herrn Prof. Hartherz für ihre Unterstützung. Saarbrücken, Deutschland im Oktober 2016

Christian A. Conrad

VII

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2

Grundlagen der Wirtschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.1 Warum Wirtschaftspolitik?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.2 Werturteilsproblematik und Zielkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.3 Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3

Markt und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1.1 Das klassische Menschenbild: Der Homo Oeconomicus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.1.2 Der falsch verstandene Egoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.1.3 Individualismus versus Kollektivismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.4 Gerechtigkeitsempfinden oder wie tickt der Mensch?. . . . . . . . 34 3.1.5 Der Mensch als Gruppenlebewesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1.6 Kulturelle Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1.7 Ökonomische Verhaltensmotivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.1.8 Weitere Abweichungen von rationalem Verhalten. . . . . . . . . . . 60 3.1.9 Fazit und Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.2 Grundvorstellungen des Marktes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.3 Wettbewerbsfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.3.1 Statische Wettbewerbsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.3.2 Dynamische Wettbewerbsfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.4 Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft . . . . . . . . 79 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

IX

X

Inhaltsverzeichnis

4 Ordnungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.1 Gerechtigkeitstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.2 Konzeption der Ordnungspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3 Bausteine einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung . . . . . . . . . . 108 4.4 Institutionsökonomik: Bausteine der Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.5 Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft). . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.6 Case Study: Russlands Transformation zu einer Marktwirtschaft mit einer mangelhaften Wirtschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.7 Soziale Marktwirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5 Marktversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.1 Marktversagen wegen externer Effekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5.2 Marktversagen bei öffentlichen Gütern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 5.3 Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas. . . . . . . . . . . . . . 153 5.3.1 Das Umweltdilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.3.2 Das ethische Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5.3.3 Geschlechterkampf und Vertrauensspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.3.4 Konfliktäre Strategien: das Chicken Game . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.4 Marktversagen wegen fehlender Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.4.1 Meritorische und demeritorische Güter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5.4.2 Risikoaverses oder risikofreudiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . 171 5.4.3 Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.5 Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen . . . . . . . . . . . . . . 171 5.6 Marktversagen wegen Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5.7 Marktversagen wegen fehlender Markttransparenz. . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5.8 Marktversagen wegen natürlicher Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.8.1 Räumliches Monopol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.8.2 Natürliches Monopol aufgrund sinkender Stückkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.8.3 Natürliche Monopole bei Internet und Software. . . . . . . . . . . . 187 5.8.4 Unteilbarkeit der Produktionsfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.9 Marktversagen aufgrund von Korruption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.10 Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.10.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.10.2 Geschichte der Gewerkschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.10.3 Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.10.4 Der zweite Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6 Politikversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.1 Die Neue Politische Ökonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.2 Das Stimmenmaximierungsmodell von Downs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Inhaltsverzeichnis

XI

6.3 Interessengruppen (Lobbying). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 6.4 Ökonomische Theorie der Bürokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.5 Abstimmungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.5.1 Einstimmigkeitsregel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6.5.2 Mehrheitsregeln (absolute oder relative, Pluralitätswahl). . . . . 229 6.5.3 Borda-Regel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6.6 Politische Manipulationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7 Wettbewerbspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 7.1 Wettbewerbskonzeptionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 7.1.1 Der Ordoliberalismus und die Workability-Konzeption der Industrial Organization: die Wettbewerbspessimisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 7.1.2 Die Konzeption des freien Wettbewerbs, die Chicago School, die Theorie der Contestable Markets und die Österreichische Schule: die Wettbewerbsoptimisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 7.1.3 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.1.4 Neuere Entwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 7.1.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 7.2 Kartelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 7.2.1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. . . . . . . . . . . . . . . . 259 7.2.2 Unterscheidung der Kartelle nach der Form der Vereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 7.2.3 Unterscheidung der Kartelle nach dem Zweck der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 7.2.4 Unterscheidung der Kartelle nach dem Inhalt der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7.2.5 Kartelle als Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 7.3 Vertikale Vereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.4 Case Study Co-opetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 7.4.1 Das Wertenetz von Nalebuff und Brandenburger. . . . . . . . . . . . 275 7.4.2 Case Study: Wettbewerbspolitische Bewertung von Co-opetition anhand der Kooperationskombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 7.4.3 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 7.5 Marktmacht durch Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7.5.1 Konzentrationsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7.5.2 Konzentrationsursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 7.5.3 Marktabgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 7.5.4 Konzentrationsmesskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

XII

Inhaltsverzeichnis

7.6 Missbrauchsaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 7.6.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 7.6.2 Erläuterung des Ablaufs der Missbrauchsaufsicht. . . . . . . . . . . 296 7.7 Fusionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 7.8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 7.9 Internationale Wettbewerbspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 7.9.1 Internationale Fusionskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 7.9.2 Subventionen und Antisubventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 314 7.9.3 Dumping und Antidumpingmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 8 Industriepolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 8.1 Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem Forschungs- und Technologiesubventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 8.1.1 Case Study: Charakteristika der Forschungsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 8.1.2 Die Vergabepraxis von Forschungs- und Technologiesubventionen am Beispiel der EU . . . . . . . . . . . . . 341 8.1.3 Sind Forschungs- und Technologiesubventionen von nationalem Vorteil?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 8.2 Reaktive Industriepolitik mithilfe von Erhaltungssubventionen. . . . . . . 350 8.3 Erklärungsansätze für die Verbreitung von Subventionen. . . . . . . . . . . . 353 8.3.1 Das Verhalten von politischen Entscheidungsträgern . . . . . . . . 353 8.3.2 Ein subventionsfreier Markt als öffentliches Gut . . . . . . . . . . . 355 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 9 Konjunkturpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 9.1 Das Konjunkturphänomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 9.2 Gründe für Konjunkturschwankungen aus der Konjunkturtheorie und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 9.2.1 Dynamische keynesianische Ansätze: Der Hicks’sche Supermultiplikator. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 9.2.2 Neoliberale versus Keynesianer, eine Synthese. . . . . . . . . . . . . 370 9.2.3 Technischer Fortschritt: Der schumpeterische Konjunkturzyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 9.2.4 Überinvestitionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 9.2.5 Verteilungskämpfe zur Erklärung von Konjunkturschwankungen: Das GOODWIN-Modell . . . . . . . . 377 9.2.6 Politische Konjunkturzyklen: das politische Konjunkturmodell von Nordhaus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 9.2.7 Geldpolitik als Konjunkturursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9.2.8 Spekulative Blasen als Konjunkturauslöser. . . . . . . . . . . . . . . . 398

Inhaltsverzeichnis

XIII

9.2.9

Schocks und Preisrigiditäten: Die Neue Keynesianische Makroökonomik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 9.2.10 Preisanpassungskosten und Informationsasymmetrien: die neukeynesianische Makroökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 9.2.11 Adaptive Erwartungsbildung in monetaristischen Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 9.2.12 Exogene Änderung der Politikvariablen: Die Neue Klassische Makroökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 9.2.13 Wachstumsdeterminanten als Konjunktur auslösende Faktoren: Die Neue Wachstumstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 9.3 Fazit Determinanten des Konjunkturzyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 10 Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 10.1 Vorteile eines einheitlichen europäischen Währungsraumes. . . . . . . . . . 437 10.2 Die Gründung der EZB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 10.3 Die nationale Haushaltspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 10.4 Probleme einer einheitlichen Zinspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 10.5 Die fehlende politische und wirtschaftliche Einigung Europas. . . . . . . . 444 10.6 Organe der EZB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 10.7 Grundlagen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank . . . . . . . . . . 450 10.7.1 Politische Unabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 10.7.2 Ziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 10.7.3 Der Geldschöpfungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 10.7.4 Prozess der finanziellen Intermediation durch die Geschäftsbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 10.7.5 Die geldpolitischen Instrumente der EZB. . . . . . . . . . . . . . . . . 460 10.7.6 Quantitative Easing, die neue Geldpolitik am Kapitalmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 11 Außenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 11.1 Gründe für Außenhandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 11.1.1 Absolute Kostenunterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 11.1.2 Relative Kostenunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 11.1.3 Unterschiedliche Ausstattung von Produktionsfaktoren als Ursache von Außenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 11.1.4 Das Leontief-Paradoxon und das Neofaktorproportionentheorem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 11.1.5 Produktlebenszyklus-Hypothese bzw. Theorie des Technological Gap Trade. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 11.1.6 Außenhandel aufgrund von Spezialisierung . . . . . . . . . . . . . . . 481 11.1.7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482

XIV

Inhaltsverzeichnis

11.2 Die Zahlungsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 11.3 Wechselkurse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 11.3.1 Zinsparitätentheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 11.3.2 Kaufkraftparitätentheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 11.3.3 Der Reale Wechselkurs als Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 11.4 Wirtschaftspolitik in der offenen Volkswirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 11.4.1 Wirkungsketten außenwirtschaftlicher Transaktionen. . . . . . . . 497 11.4.2 Expansive Geldpolitik in der offenen Volkswirtschaft. . . . . . . . 499 11.4.3 Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der offenen Volkswirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 12 Lösungen zu den Übungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 2.3 Abb. 2.4 Abb. 2.5 Abb. 2.6 Abb. 2.7 Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 4.1 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 5.4 Abb. 5.5 Abb. 5.6 Abb. 5.7 Abb. 5.8 Abb. 5.9 Abb. 5.10 Abb. 5.11 Abb. 5.12 Abb. 5.13 Abb. 5.14 Abb. 5.15 Abb. 5.16

Aufbau der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Lohnkosten, Produktivität und Lohnstückkosten im Ost-West-Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Effiziente Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Indifferenzkurven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Tauschoptimum in der Edgeworth-Box. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Pareto-effiziente Tauschpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Das Wohlfahrtsoptimum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Stabile Markträumung beim Gleichgewichtspreis. . . . . . . . . . . . . . . . 68 Das Angebots- und Nachfragekreuz von Marshall. . . . . . . . . . . . . . . . 69 Soziale Interventionen und Produktivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Negative externe Effekte bei der Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Positive externe Effekte bei Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Formen von Gütern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Private Bereitstellung öffentlicher Güter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Auszahlungsmatrix Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Entwicklung der Erderwärmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Bilanz der Weltklimapolitik 1990–2007. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Entscheidungssituation der globalen Umweltpolitik. . . . . . . . . . . . . . 159 Auszahlungsmatrix fairer Wettbewerb im ethischen Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Auszahlungsmatrix Entscheidungen zu Lasten Dritter im ethischen Gefangenendilemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Auszahlungsmatrix Geschlechterkampf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Auszahlungsmatrix Hirsch Jagd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Auszahlungsmatrix Chicken Game . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Gebrauchtwagenmarkt Situation 1 (G: guter PKW, S: schlechter PKW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Gebrauchtwagenmarkt Situation 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Gebrauchtwagenmarkt Situation 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 XV

XVI

Abb. 5.17 Abb. 5.18 Abb. 5.19

Abb. 5.20

Abb. 5.21 Abb. 5.22

Abb. 5.23 Abb. 5.24 Abb. 5.25 Abb. 5.26 Abb. 5.27 Abb. 6.1 Abb. 6.2 Abb. 6.3 Abb. 6.4 Abb. 6.5 Abb. 6.6 Abb. 6.7 Abb. 6.8 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 7.4 Abb. 7.5

Abb. 7.6 Abb. 7.7 Abb. 7.8 Abb. 7.9 Abb. 7.10

Abbildungsverzeichnis

Gebrauchtwagenmarkt Situation 4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Räumliches Monopol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Ruinöse Konkurrenz Ausgangssituation. (PP [Polypolpreis]: Der Wettbewerbspreis deckt nicht die Stückkosten, ruinöse Konkurrenz!! P  B und B > C auch A > C. Ferner unterscheidet man deduktive und induktive Schlussfolgerungen. Schließt man vom Allgemeinen aufs Spezielle so nennt man dies deduktiv und vom Speziellen aufs Allgemeine induktiv. Beispielsweise sind alle Bäume im Sommer grün. Wenn man hieraus schließt, dass ein bestimmter Baum, den man nicht gesehen hat, auch grün sein muss, weil es ein Baum im Juli ist, wäre dies deduktiv. Induktiv wäre von einem grünen Baum im Juli zu schließen, dass alle anderen Bäume auch grün sind. Die deduktive Methode ist wissenschaftlich anerkannter, weil die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein Objekt vielen gleichen entspricht als dass ein einzelnes Objekt so repräsentativ ist, dass es allen anderen entspricht. Nach Karl Popper, der die Denkrichtung des Kritischen Rationalismus begründete, müssen wissenschaftliche Hypothesen in ihrer Allgemeingültigkeit (sog. Allsätze) widerlegbar, also falsifizierbar sein. Beispielsweise ist die Aussage, alle Schwäne sind weiß, ein Allsatz. Durch die Sichtung eines schwarzen Schwanes ist diese Hypothese widerlegt. Deshalb können Hypothesen auch prinzipiell nicht verifiziert werden. Es ist nicht möglich, alle Schwäne auf ihre Farbe zu prüfen, erst recht nicht die zukünftigen, noch nicht geborenen. Als wissenschaftlichen Aussagen sind ferner Tautologien nicht zulässig. Tautologien sind Aussagen, die immer wahr sind, weil sie alle Möglichkeiten einschließen. Eine Tautologie wäre beispielsweise: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.“ Die Wirtschaftspolitik muss ihre Ziele eindeutig und operational (also quantifizierbar) definieren und mögliche Zielkonflikte benennen und deren Beeinträchtigung ggf. offenlegen, damit ein gesellschaftlicher Nettonutzen erkennbar wird.2 Case Study Deutsche Wiedervereinigung 1990

Aufgabe: Lesen Sie den folgenden Artikel. Welche Konflikte zwischen politischen und wirtschaftlichen Zielen bzw. Regeln können Sie hier erkennen? 2Fritsch,

M. et al. (2007); Klump, R. (2013), Koch, W. S. et al. (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

2.2  Werturteilsproblematik und Zielkonflikte

7

Case Study: Das Billionen-Projekt „Blühende Landschaften“ HANDELSBLATT online 01.10.2010 14:38:31 Teure Wiedervereinigung Das Billionen-Projekt „Blühende Landschaften“ 20 Jahre Deutsche Einheit: Die Sanierung der neuen Länder ist Realität geworden. Doch der Aufbau-Ost wurde dramatisch teurer als erwartet. Aktueller Kostenstand: 2,1 Billionen €. Eine Bilanz des „Aufbaus Ost“. DÜSSELDORF. Der Sommer 1990 war der Sommer der großen Versprechungen. Es werde gelingen, die fünf neuen Bundesländer „schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt“, versprach der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl am 1. Juli 1990 in seiner Fernsehansprache zur Wirtschafts- und Währungsunion. Schon im Mai hatte er gesagt, dass das Ganze die Westdeutschen nicht direkt belasten werde: „Wir sehen keinen Grund zu Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit“, sagte er im Bundestag. Heute, 20 Jahre später, ist klar, dass sich Kohls erstes Versprechen erfüllt hat: Die Lebensverhältnisse in Ostdeutschland sind heute viel besser als vor der Wende – auch wenn einzelne Regionen sich nach wie vor schwertun, Anschluss zu finden. 60 % der Ostdeutschen glauben nach einer aktuellen Umfrage, dass das Leben für die meisten Menschen in den neuen Bundesländern heute besser sei als früher in der DDR. Doch die fiskalischen Versprechen erwiesen sich als unhaltbar: 2,1 Billionen € haben die Sanierung der maroden DDR-Wirtschaft und die Einbeziehung der Ostdeutschen in die Sozialsysteme der Bundesrepublik bis Ende 2010 gekostet – und die Rechnung wächst weiter. Rund 400 Mrd. € sind als Steuern und Sozialbeiträge zurückgeflossen – bleiben netto rund 1,7 Billionen. Der dadurch bewirkte Anstieg der Staatsverschuldung und die Überlastung der Sozialkassen haben zu höheren Steuern, Gebühren und Sozialabgaben geführt. Mit solchen gigantischen Kosten hatte selbst Kohls Widersacher bei den gesamtdeutschen Wahlen im Dezember 1990, der SPD-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine, nicht gerechnet. Er musste sich damals wegen einer Schätzung von 100 Mrd. DM pro Jahr als Schwarzmaler schelten lassen. Heute wissen wir, dass die Rechnung fast doppelt so hoch ausfiel. Doch trotz der Billionenausgaben für die Sanierung des Ostens stehen die Deutschen heute noch immer solider da als ihre Nachbarn: Zwar verdreifachten sich die Staatsschulden in den vergangenen 20 Jahren von knapp 500 auf fast 1700 Mrd. €, aber im kleineren Frankreich vervierfachten sie sich ohne solche Sonderlasten von knapp 400 auf ebenfalls fast 1700 Mrd. €. „Äußerungen wie die über die blühenden Landschaften künden vor allem vom Aufbruchspathos dieser Jahre“, urteilt der Münchener Politologe Werner Weidenfeld. „Wie schlecht es um die Wirtschaft im Osten wirklich stand, hatte 1990 noch keiner begriffen“, sagt er.

8

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

In der Tat: Der Einigungsvertrag enthielt die Klausel, dass die Einnahmen aus der Privatisierung der ostdeutschen Industrie ausschließlich den neuen Bundesländern zugutekommen sollten. Auf 600 Mrd. DM bezifferte der erste Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, im Oktober 1990 das Nettovermögen der DDR – vier Jahre später beendete die Treuhand ihre Tätigkeit mit einem Minus von 204 Mrd. DM. Studien schreiben erfolgreiche Bilanz Vor dem Hintergrund der gewaltigen Altlasten kann sich die Bilanz der Wiedervereinigung sehen lassen. Das zeigen mehrere ausführliche Studien zum 20. Jahrestag. Die Angleichung der ostdeutschen Lebensverhältnisse an den Westen – auch das ein Versprechen von Bundeskanzler Helmut Kohl – sei beeindruckend fortgeschritten, aber noch längst nicht abgeschlossen, urteilt etwa der Wirtschaftsforscher Joachim Regnitz von Ifo Dresden. Auch Klaus Schroeder, Wirtschaftswissenschaftler an der Freien Universität Berlin, schreibt: „Die materielle Situation hat sich für die meisten ehemaligen ­DDR-Bürger stark verbessert.“ Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Arbeitnehmer verdreifachte sich im Osten von 16.000 € im Jahr 1991 auf 49.000 € 2009, während es im Westen von gut 45.000 auf 62.000 € stieg. War die Wirtschaftsleistung je Erwerbstätigen also kurz nach der Wende im Westen noch 2,8-mal so hoch wie im Osten, so ist sie jetzt nur noch ­1,3-mal so hoch. Der durchschnittliche Stundenlohn stieg im Osten von 10,02 auf 21,57 €, im Westen von 18,19 auf 27,13 €. Die Lohnangleichung kam zunächst dank kräftiger tariflicher Erhöhungen schnell voran, blieb dann aber unterhalb von 80 % der ­West-Gehälter hängen. Dafür lag die Durchschnittsrente in den neuen Bundesländern 2008 mit 811 € deutlich höher als im Westen, wo sie nur 698 € betrug. Das Nettovermögen der privaten Haushalte, also Ersparnisse und Immobilienbesitz minus Schulden, ist allerdings im Osten mit 54.600 € nicht einmal halb so hoch wie im Westen, wo es 132.000 € beträgt. Das Gesamturteil der Experten: Von gleichen Lebensverhältnissen kann man nicht reden, aber das Glas ist eher halb voll als halb leer. Immerhin ist der Anteil der neuen Bundesländer am gesamtdeutschen BIP von sieben Prozent 1991 auf zwölf Prozent 2008 gestiegen. Die Aufholjagd der Ost-Wirtschaft begann mit einem herben Rückschlag Die wirtschaftliche Aufholjagd des Ostens verlief in mehreren Phasen – und begann mit einem herben Rückschlag. In den ersten Nachwendejahren erlitten die Ostdeutschen den fast vollständigen Zusammenbruch ihrer Industrie. Er war die Folge der politischen Entscheidung, die Löhne eins zu eins von Ost-Mark in D-Mark umzutauschen. Noch dazu vereinbarten die Tarifpartner Lohnerhöhungen, die eine schnelle Angleichung an das Westniveau ermöglichen sollten. Beides zusammen war zu viel

2.2  Werturteilsproblematik und Zielkonflikte

9

für die völlig heruntergewirtschafteten volkseigenen Betriebe: Sie hatten plötzlich Kosten fast auf Westniveau bei einer Produktivität, die im Schnitt einem Drittel des Weststandards entsprach. Das konnte nicht gut gehen: Die Leistung der Industrie brach bis 1992 um drei Viertel ein, die der Gesamtwirtschaft im Osten um ein Drittel. Das Ökonomen-Ehepaar Gerlinde und Hans-Werner Sinn geißelt die aus dem Westen betriebene Lohnangleichung in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt als den Kardinalfehler der Wendejahre. „Ohne den Westeinfluss auf die Löhne wären die Investoren in Scharen gekommen. Vermutlich wären die Löhne in den neuen Ländern heute höher, sicherlich gäbe es sehr viel mehr Arbeitsplätze“, schreiben sie. In der zweiten Phase bis Mitte der neunziger Jahre boomte der ostdeutsche Bausektor dank der massiven, staatlich finanzierten Investitionen in die Modernisierung der Infrastruktur von Straßen über Kläranlagen bis zu Glasfasernetzen und dank einer mit Steuervergünstigungen angeheizten Sanierung des Wohnungsbestandes. Die ­Ost-Industrie wurde in diesen Jahren von der Treuhand privatisiert und erholte sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre von niedrigem Niveau aus – dank der ebenfalls mit hohen Subventionen gestützten Erneuerung des Anlagenparks. Auch der private Dienstleistungssektor expandierte kräftig. Den Strukturwandel, der sich im Westen seit den sechziger Jahren entwickelt hatte, vollzogen die neuen Bundesländer im Zeitraffer. Seit Mitte der neunziger Jahre wächst die ostdeutsche Wirtschaft auf Basis einer modernen Infrastruktur und einer auch durch Massenentlassungen und Lohnzurückhaltung erreichten Wettbewerbsfähigkeit. In dieser dritten Phase jedoch holte der Osten kaum noch den Rückstand zum Westen auf. Zur Verlangsamung des Wachstumstempos hat auch beigetragen, dass viele junge Ostdeutsche in den Westen abgewandert sind. Rund 1,8 Mio. Menschen haben die neuen Bundesländer auf Dauer verlassen. Sie haben ganz wesentlich dazu beigetragen, den Fachkräftemangel der westdeutschen Industrie in Bayern, ­Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu mildern. Auch wenn die Wiedervereinigung insgesamt als wirtschaftlicher Erfolg gilt, so hätte man sie nach Ansicht vieler Ökonomen und Politiker besser betreiben können. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, einst Beauftragter der Treuhand für die Privatisierung ostdeutscher Kombinate, bedauert heute, dass es nicht gelungen ist, im Osten nennenswerte Konzernzentralen zu erhalten. Die Eile bei der Wiedervereinigung verursachte wirtschaftspolitische Fehler „Die Regierung hat den Fehler gemacht, die ökonomische Vereinigung bürokratisch anzugehen“, moniert auch der Münchener Politologe Werner Weidenfeld. „Sie hat den Aufbau einer neuen Infrastruktur im Osten finanziert, hat aber versäumt, die vitalen Kräfte der Wirtschaft zu wecken, zum Beispiel durch die Schaffung von Sondersteuerzonen, wie es etwa China getan hat.“ Karl-Otto Pöhl trat 1991 von seinem Amt als Bundesbankpräsident zurück, um gegen die Unvernunft des Umtauschkurses von eins zu eins zu protestieren. Heute

10

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

sieht er aber ein, dass ein anderer Kurs politische Verwerfungen verursacht hätte. „Die politische Realität war damals stärker als die ökonomische Logik“, sagte er in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“. Michael Heise, damals Generalsekretär des Sachverständigenrates und heute Chefökonom des Allianz-Konzerns, sagt: „Es war damals populär, die neuen Mitbürger mit großzügigen Umtauschgeschenken zu begrüßen. Die Transferzahlen wurden umso höher, je stärker die Löhne stiegen – und die wuchsen losgelöst von der Produktivität der Beschäftigten.“ So schwächte die Regierung die Industrie, stärkte aber den Konsum und machte die Transformation für die Ostdeutschen weniger schmerzlich als für die anderen ehemaligen Ostblockbewohner. Doch 20 Jahre später sind die ökonomischen Fehler der Wiedervereinigung Geschichte und die blühenden Landschaften vielerorts Realität. „In Ostdeutschland ist eine moderne, leistungsfähige Industrie entstanden, qualitativ hochwertig, aber insgesamt noch nicht stark und breit genug aufgestellt“, sagt Johannes Ludewig, damals Kohls Koordinator für die neuen Länder. Die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren politische Karriere in den Wendejahren im Osten begann, weist Kritiker in die Schranken. Die Regierung Kohl habe 1989/1990 die richtigen Entscheidungen getroffen, schreibt sie in einem Beitrag für die Zeitschrift „trend“ des Wirtschaftsrates der CDU. Ihr Fazit für die ostdeutsche Wirtschaft ist zuversichtlich: „Die industrielle Basis ist gewachsen. Sie hat an Stabilität gewonnen. Der Produktivitätsstand schrumpft, die Umorientierung vom Binnenhandel hin zum Export verläuft stetig. Die ostdeutsche Wirtschaft ist auf einem guten Weg!“ Autoren: Dirk Heilmann, Norbert Häring, Dorit Hess, Axel Schrinner © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. ◄ Fazit Case Study Die Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, der Politik vor deren Entscheidungen Zielkonflikte aufzeigen. Zum Beispiel gab es im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung den Konflikt des Zieles gleicher Löhne in Ost- und Westdeutschland mit dem Ziel Beschäftigung. In Ostdeutschland verlangten die Menschen „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, allerdings ohne zu berücksichtigen, dass die Arbeitsproduktivität unter 60 % des westlichen Niveaus lag. Da die ostdeutschen Unternehmen noch nicht privatisiert waren, wurden sie durch die staatliche Treuhand vertreten und die ostdeutschen Arbeitnehmer von den westlichen Gewerkschaften, die im Osten neue Mitglieder gewinnen wollten. Die hohen Erwartungen der ostdeutschen Arbeitnehmer wurden von der Politik nicht gebremst. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl versprach am 1. Juli 1990 in seiner Fernsehansprache zur Wirtschafts- und Währungsunion blühende Landschaften versprochen.3 Die deutlich über der Produktivität liegenden Löhne führten in den folgenden 3http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/teure-wiedervereinigung-das-billionen-projekt-

bluehende-landschaften/3552370.html. Abruf 14.12.12 um 12.52 Uhr.

2.2  Werturteilsproblematik und Zielkonflikte

11

Jahren zu einer hohen Arbeitslosigkeit, die hohe Transfers von West- nach Ostdeutschland (Stand 2010 2,1 Billionen €) notwendig machten. Der Nettonutzen für die Gesellschaft war negativ, weil letztlich die ostdeutschen Arbeitnehmer von den hohen Löhnen aufgrund der Arbeitslosigkeit wenig hatten. Letztlich ist anzunehmen, dass mit dem Übergang des Wahlrechts auf die ostdeutschen Bürger die westdeutschen Regierenden ihre Wiederwahl als vorrangig einstuften. So gesehen befand sich hier die Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld zwischen Politik und Wirtschaft. In der Regel setzen sich politische Überlegungen durch. Allerdings holen später die wirtschaftlichen Zwänge die politischen Vorgaben ein und bringen neue politische Probleme, von denen dann allerdings andere Politiker betroffen sein werden. Das Gleiche gilt für Griechenlands Beitritt zur EU in 2001 (vgl. die Case Study am Ende des Buches in Abschn. 11.4.3). Die goldene Regel, dass die Lohnzuwächse dem Produktivitätszuwachs plus einen Inflationsausgleich entsprechen sollen, wurde in Deutschland überwiegend eingehalten wie die Abb. 2.2 des Statistischen Bundesamts zeigt. Nur im Rahmen des Wiedervereinigungsbooms stiegen die Löhne stärker als Produktivität und Preise. Ursache war die kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik. Über eine starke Verschuldung wurde die private und staatliche Nachfrage in Ostdeutschland finanziert. Die Nachfrage war so groß, dass Lohnkosten keine Rolle zu spielen schienen. Die Arbeitgeber akzeptierten die zu hohen Lohnerhöhungen, um ohne Streiks weiter produzieren zu können und erhöhten stattdessen die Preise. Löhne und Preise stiegen bis Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig war. Dies sieht man in dem Schaubild an den steigenden Lohnstückkosten. Wären Löhne, Preise und Produktivität im gleichen Verhältnis gestiegen, wären auch die Lohnstückkosten gleichgeblieben. Sie sind ein Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit, sofern sich die Relation zum Ausland nicht verändert, weil dort die Lohnstückkosten sinken. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, der verschleppte Strukturwandel

Abb. 2.2   Lohnkosten, Produktivität und Lohnstückkosten im Ost-West-Vergleich. (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [BMWi], Wirtschaftsdaten Neue Bundesländer, Berlin 2014)

12

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

und auch der Wegfall der Nachfrage aus der ehemaligen Sowjetunion waren die wesentlichen Gründe für die darauf folgende hohe ostdeutsche Arbeitslosigkeit. Die hohe Verschuldung der Regierung Kohl, die nach der Wiedervereinigung stark gestiegenen Sozialleistungen samt Rentenzahlungen, das als Folge der verringerten Wettbewerbsfähigkeit gefallene Wirtschaftswachstum sowie die gestiegene Arbeitslosigkeit zwangen die Regierung Schröder zur Agenda 2010. Die Sozial- und Arbeitsmarktreformen wurden von sinkenden Reallöhnen (vgl. Abb. 2.2) und höheren Arbeitszeiten in der Wirtschaft begleitet. Die Wirtschaftspolitik muss ihre Ziele so definieren, dass ihre Erreichung überprüft werden kann. Anderenfalls lässt sich keine Erfolgskontrolle durchführen und Kosten und Nutzen der Politik werden nicht transparent. Politiker, die sich nicht überprüfen lassen wollen, neigen hingegen dazu, diese Werturteilsregeln nicht zu befolgen, also Aussagen zu treffen, die nicht eindeutig oder operationalisierbar sind. Zur Veranschaulichung diene die folgende Diskussionsübung. Gruppenarbeit Ziele moderner Demokratien Stellen Sie sich vor, ein Politiker verspricht Ihnen die folgenden Ziele: 1) Freiheit, 2) Gleichheit, 3) Sicherheit, 4) Wohlstand und 5) Gerechtigkeit. • Würden Sie ihn wählen? • Was haben Sie unter diesen Zielen verstanden? • Wie würden Sie sie für sich definieren? Ergebnis Eine Möglichkeit die Ziele zu definieren wäre wie folgt: Freiheit = Selbstbestimmung. Die Freiheit des Einzelnen wird durch die Rechte der anderen begrenzt. Wohlstand = materielle Handlungsfreiheit Sicherheit = keine Veränderungen, kein Risiko Gerechtigkeit = Gleichheit? Was ist Gerechtigkeit? In der Regel fordern die Menschen immer dann Gerechtigkeit ein, wenn es ihnen schlechter als anderen geht. Fazit: Als politische Wahlversprechen eignen sich diese Ziele sehr gut, da sie von allen angestrebt werden, aber nicht klar definiert sind. Jeder versteht etwas anderes unter den Begriffen. Die Ziele sind nicht operationalisierbar. Deshalb kann man sie versprechen, ohne dass das Erreichen der Ziele überprüfbar ist.  Definition Zielkonflikte  Ein Zielkonflikt liegt vor, wenn die Verwirklichung eines Ziels nur auf Kosten eines oder mehrerer anderer Ziele möglich ist.

2.3  Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele

13

Die Lösung dieses Konflikts wird häufig nur durch wirtschaftspolitische Kompromisse möglich. Gruppenarbeit Diskutieren Sie die folgenden Zielkonflikte: 1. Gleichheit versus Gerechtigkeit 2. Sicherheit versus Wohlstand 3. Freiheit versus Sicherheit 4. Leistungsgerechtigkeit versus Bedürfnisgerechtigkeit Lösungsansätze: zu 1. Nicht alle Menschen und auch nicht ihre Leistungen in der Wirtschaft sind gleich. Deshalb wäre hier eine gleiche Bezahlung nicht gerecht. zu 2. Ohne Veränderungen und der Bereitschaft, Risiken einzugehen gibt es zwar Sicherheit, aber kein Wachstum aus technischen Fortschritt und generell keine Verbesserungen. Wenn man Neues ausprobiert, geht man das Risiko ein, dass es nicht funktioniert. Der Unternehmer, der in ein neues Produkt oder in ein neues Produktionsverfahren investiert, läuft Gefahr, sein Kapital zu verlieren. zu 3. Freiheit heißt, die Verantwortung für sich zu übernehmen; dann verliert man aber auch die Sicherheitsgarantie von Dritten. Denken Sie an Ihre Eltern als Sie noch als Kind zu Hause lebten. Hatten Sie Sicherheit? – Ja. Hatten Sie Freiheit? – Nur sehr begrenzt, weil Ihre Eltern nur die Verantwortung für Sie übernehmen wollten, wenn sie als Eltern Ihnen sagen konnten, was Sie durften (z. B. nicht länger als 2.00 Uhr nachts weg zu bleiben). zu 4. Soll man nach seinen Bedürfnissen oder nach seinen Leistungen bezahlt werden? Fazit: Die Wirtschaftspolitik befindet sich im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik.

2.3 Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele Was soll das Ziel einer Wirtschaftspolitik sein? Welche Ziele soll ein Staat für seine Bürger erreichen? Das Glück der Menschen zu maximieren wäre die naheliegende Antwort, weil unser Glück das oberste Ziel unseres Lebens ist. Jeder Mensch strebt dies mit der Geburt an und somit wäre dies auch das Maximalziel für einen Staat. Hier setzt die moderne Glücksforschung an. Sie versucht, durch Befragungen und medizinische Tests das subjektiv empfundene Glück der Menschen zu messen. Das Problem an diesem

14

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

Ansatz ist allerdings, dass das menschliche Glücksempfinden starken Schwankungen unterliegt und vielen Einflussfaktoren ausgesetzt ist, von denen die Ökonomie nur wenige beeinflussen kann.4 Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die Maximierung des Bruttoinlandsprodukts, also Wachstum, zu einem entsprechenden Einkommenszuwachs und damit auch Glückgewinns führt. Doch das muss nicht so sein, wie es das Easterlin-Paradox zeigt. In den letzten 50 Jahren stieg das reale Sozialprodukt in den Vereinigten Staaten aber die Zufriedenheit der Bevölkerung als das durchschnittliche Glücksgefühl der Amerikaner ist annähernd konstant geblieben.5 Dieser Zusammenhang wurde von anderen Studien überprüft. Unbestritten ist, dass bei zunehmendem Einkommen die Zufriedenheit zunimmt, aber mit abnehmender Tendenz.6 Hier kann man jetzt sehr viele Erklärungen für dieses Ergebnis anführen. Zum Beispiel könnte die Einkommensverteilung ungerechter geworden sein, die Umweltverschmutzung oder das Arbeitsplatzrisiko gestiegen sein, aber auch nicht ökonomische Einflüsse wie eine geringere innere bzw. äußere Sicherheit oder geringere soziale Kontakte könnten ursächlich sein. Objektiv geht es den Menschen gemessen an der Größe BIP durchschnittlich besser. Oder ist es das relative Einkommen in Relation zu den Mitbürgern wichtiger als das absolute? Man spricht hier von einem Status-Effekt. Luttmer zeigte, dass das Glücksempfinden sinkt, wenn das Einkommen der Nachbarn steigt.7 Oder wir sind nicht dafür gemacht, dauerhaft glücklich zu sein? Vom Güterkonsum ist bekannt, dass der Glücksmoment nach dem Kauf nur kurz anhält. So scheint es sich auch mit unserem Einkommen zu verhalten. Wir fühlen uns kurzfristig besser und glücklich, gewöhnen uns aber daran, sodass wir noch mehr Einkommen benötigen, um das Glücksempfinden aufrechtzuerhalten. Studien zeigten an Lottogewinnern, dass der Gewinn nicht zu einem dauerhaft höheren Glücksempfinden verglichen mit ­ Nicht-Lottogewinnern führt.8 Clark, Frijters und Shields fanden heraus, dass ein von dem durch ein gestiegenes Einkommen hervorgerufenen Glücksanstieg nach zwei Jahren nur noch rd. 40 % übrig sind und nach zwei, nur 13 % des Glücksgefühls längerfristig Bestand haben.9

4Vgl.

Diener, E. (1984). Subjective well‐being. Psychological Bulletin, 95, 542–575 and Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung. 1 Aufl.; Wiesbaden: Springer, S. 300 ff. 5Vgl. Easterlin, Richard (1974, 2001). 6Vgl. Deaton, Angus (2010), Income, Aging, Health and Well-Being around the World: Evidence from the Gallup World Poll, in: David A. Wise (ed.): Research Findings in the Economics of Aging; The University of Chicago Press, S. 235–263. 7Vgl. Luttmer, Erzo (2005), Neighbours as negatives, relative earnings and ­well-being, Quarterly Journal of Economics, 120 (3), August 2005, S. 963–1002. 8Vgl. Brickman, Philip et al. (1978), Lottery Winners and Accident Victims: Is Happiness Relative?, Journal of Personality and Social Psychology, 36(8), S. 917–927. 9Vgl. Clark, Andrew E. et al. (2008), Relative Income, Happiness, and Utility: An Explanation for the Easterlin Paradox and Other Puzzles, Journal of Economic Literature 2008, 46:1, S. 95–144 und sowie Beck, H. (2014). S. 308 ff.

2.3  Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele

15

Immerhin hat das Königreich Bhutan, einen Bruttonational-Glücksindex (gross national happiness) mit 33 gewichteten Indikatoren in neun verschiedenen Bereichen eingeführt, um das Wohlempfinden seiner Bürger zu erfassen.10 Allerdings übertreibt Bhutan mit seinen Bemühungen, seine Bürger glücklich zu machen. So ist bspw. der Verkauf von Tabak und das Rauchen in N ­ ichtraucher-Bereichen verboten und wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.11 Es besteht somit die Gefahr, dass es zu einer „Glücksdiktatur“ kommt, bei der die Glückforscher und der Staat entscheiden, was die Bürger glücklich macht.12 Ferner gilt es zu bedenken, dass ausschließlich Glücklichsein als zivilisatorisches und als evolutionäres Ziel ungeeignet ist. Damit wird uns weiterentwickeln, muss es einen Drang zu Veränderung geben und damit ein gewisses Maß an Unzufriedenheit. Kurzfristig kann Glück als politisches Ziel sogar gefährlich sein, wenn langfristig wichtige unbeliebte Reformen unterbleiben und hier ist der Mensch – wie es die Behavioral Economics zeigt – von Natur aus angelegt, nicht an die Zukunft zu denken, sondern eher an sein kurzfristiges Glück. Und wer will nach einem gelebten Leben nicht gerne auch auf etwas Geleistetes zurückblicken, das mit eigenen Opfern verbunden war? Der Sinn des Lebens ist also mehr als Glücklichsein. Letztlich muss jeder für sich selbst sein Glück in Bezug auf eine Lebensspanne unter Rücksichtnahme auf andere finden. Ein Glücksempfinden ist subjektiv. Ein Nutzenzugewinn ist nur objektiv nachprüfbar, was wir noch später diskutieren werden. Das Glück bleibt damit für die VWL eine zu diffuse Größe. Überlegen Sie: Was ist das menschliche Ausgangsproblem auf dieser Welt? Antwort: Die Ressourcen auf dieser Welt sind begrenzt und wir Menschen haben unbegrenzte Bedürfnisse. Selbst wenn es bei uns Menschen nicht mehr um die Sicherung des Überlebens geht, finden wir dennoch immer neue Bedürfnisse. Wir ertappen uns dabei, dass wir nachdem wir ein Produkt, das wir schon lange begehrt haben, endlich besitzen, schon wieder überlegen, welches Produkt wir danach als nächstes haben wollen. Menschen sind eigentlich nicht zum Glücklichsein gemacht. Dies hat aber andererseits den Vorteil, dass wir nie ruhen, um unser Dasein zu verbessern und wir uns so technologisch und auch zivilisatorisch weiterentwickeln.  Definition Allokation  (lateinisch: platzieren): Zuweisung der knappen Ressourcen auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten in der Produktion

10Vgl.

Ura, Karma et al. (2012), Case Study: Bhutan. Gross National Happiness and the GNH Index, in: John Helliwell, Richard Layard and Jeffrey Sachs (eds.): World Happiness Report, Columbia University. 11Vgl. Wangdi, Kencho (2011), Do Bhutan’s Anti-Smoking Laws Go Too Far?, Time Magazine, http://content.time.com/time/world/article/0,8599,2057774,00.html (11.05.2019). 12Vgl. Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung. 1 Aufl.; Wiesbaden: Springer, S. 310 ff.

16

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

 Definition Distribution  Verteilung der produzierten Güter direkt oder indirekt über die Einkommen auf Personen Deshalb ist die wirtschaftliche Aktivität des Menschen notwendig. Wir müssen versuchen, aus den gegebenen knappen Ressourcen möglichst viele hochwertige Güter zu produzieren. Um die Wohlfahrt zu maximieren, müssen wir darüber hinaus versuchen, die Produkte zu produzieren, die den Nutzen der Gesellschaft maximieren. Unser Ziel ist die sogenannte allokative Effizienz, worunter wir den Einsatz der Ressourcen in der Form verstehen wollen, dass sie den höchsten Nutzen für die Gesellschaft stiften. Wir stellen uns folgende Fragen: 1. Welche und wie viele Produkte sollen für wen produziert werden? (Allokations- und Distributionsproblem) 2. Wie produziere ich möglichst viele und hochwertige Güter, (Produktionsproblem) 3. um den größtmöglichen Nutzen für die gesamte Gesellschaft zu erhalten? (Ziele in allen Wirtschaftssystemen bzw. Gesellschaftssystemen). So ist auch der Begriff „wirtschaftlich“ auf den optimalen Einsatz der Ressourcen zurückzuführen.  Definition  Wir definieren wirtschaftlich (effizient): a) als ein gegebenes Ziel mit dem minimalen Aufwand zu erreichen oder b) mit gegebenem Aufwand ein maximales Ziel zu realisieren. Bezogen auf die gegebenen Ressourcen maximieren wir den Output der Produktion, um den Nutzen der Gesellschaft zu maximieren. Diese sogenannte produktive Effizienz ist das menschliche Ziel, unabhängig von der Staatsform und Epoche. Wie kann man den gesellschaftlichen Nutzen messen? Unser Ziel soll es sein, den Nutzen aller Menschen so weit zu erhöhen, dass er nicht mehr gesteigert werden kann, ohne dass sich der Nutzen anderer Menschen verringert. Wir streben also die sogenannte Pareto-Effizienz an.  Definition  Eine Situation ist Pareto-effizient, wenn der Nutzen von niemandem erhöht werden kann, ohne den Nutzen anderer zu verringern. Weiter gehen wir als Wirtschaftswissenschaftler nicht. Den Nutzen von Personen auf Kosten anderer zu erhöhen, ist eine gesellschaftliche Entscheidung und keine marktwirtschaftliche, die auf Freiwilligkeit beruht.  Definition  Die allokative Effizienz ist der Einsatz der Ressourcen, sodass sie den maximalen Nutzen stiften.

2.3  Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele

17

Abb. 2.3   Effiziente Produktion

Anhand der Abb. 2.3 und 2.4 wird die allokative volkswirtschaftliche Produktion ­verdeutlicht. Die nach außen maximierte Transformationskurve zeigt uns in Abb. 2.3 die effiziente volkswirtschaftliche Produktion, d. h. die Transformationskurve stellt die maximal mögliche Produktionsmenge der Güter X oder Y unter optimalem, also effizientem Einsatz der vorhandenen Ressourcen dar. D. h. die Ressourcen werden optimal auf die Unternehmen verteilt und optimal in der Produktion eingesetzt. Als Beispiel könnte man die Produkte Wein für Y und Bier für X nehmen. Ausgehend vom Ursprung stellt die grüne Kurve die maximal mögliche Kombination von Wein und Bier dar. Es wird also effizient produziert. In der Tangente ergibt sich die Grenzrate der Transformation dY/dX als negative Steigung, d. h. wie viel Y muss ich für ein X hergeben. Die Krümmung der Kurve zeigt, dass man, je mehr man von einem Produkt möchte, auf immer mehr relativ von dem anderen verzichten muss. Die negative Grenzrate der Transformation steigt. I1 und I2 sind im nächsten Schaubild (Abb. 2.4) Indifferenz- oder Isonutzenkurven von A.

Abb. 2.4   Indifferenzkurven

Alle Güterkombinationen von X (z.B. Bier) und Y (z.B. Wein) auf den Indifferenzkurven sind für A gleichwertig, wobei I2 für A höherwertig ist, weil er von X und Y in jedem Punkt mehr hat.

18

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

Für A stellt sich die Frage: Mit welcher Güterkombination erlangt er den höchsten Nutzen? Im marktwirtschaftlichen System wird das Wohlfahrtsoptimum durch freiwilligen Tausch erreicht. Die Menschen tauschen über Märkte ihre Güter oder Leistungen so lange bis niemand mehr seinen Nutzen erhöhen kann, ohne den Nutzen eines anderen zu verringern. Auf diese Weise wird die Pareto-Effizienz erreicht. Es wird so lange getauscht bis ein Pareto-effizienter Zustand erreicht wurde. Dieser hängt allerdings von der Ausgangsverteilung des Einkommens und Vermögens ab. Je mehr Einkommen oder Vermögen eine Person hat, desto mehr Güter kann sie erwerben. Kauft man ein Gut gegen Geld als freiwilligen Tausch, so muss der Nutzen aus diesem Gut höher sein als der alternative Nutzen aus dem Konsum eines anderen Gutes (Opportunitätsnutzen). Der Käufer erwartet einen höheren Nutzen als den Opportunitätsnutzen. Möchte man etwas verkaufen, so ist es so gesehen zielführend, dem Käufer klar zu machen, dass der Nutzen aus dem Gut höher ist als der Opportunitätsnutzen des herzugebenden Geldes in Form des Kaufpreises, als dem Nutzen aus einem anderen Gut, auf das er jetzt verzichten muss. Um eine gute Kundenverbindung langfristig zu erhalten, muss der Kunde den Nutzenzugewinn aus dem Geschäft auch langfristig haben. Viele Verkaufsseminare sehen nur den Abschluss als das Ziel an und nicht die langfristige Nutzenerhöhung des Kunden durch den Kauf des Produkts, also seine Kundenzufriedenheit. Wird der erwartete Nutzen nicht nachhaltig erreicht, fühlt sich der Kunde betrogen, da er mit dem Geld auf mehr Opportunitätsnutzen verzichtet hat als er durch das Gut bekommen hat. Er wird dem Verkäufer dies übelnehmen und nächstes Mal woanders kaufen. Aus diesem Grund legen manche Unternehmen den Produkten auch noch Werbebroschüren nach dem Kauf bei, die den Kunden von dem hohen Nutzen langfristig überzeugen sollen. Betrug ist so gesehen wohlfahrtsverringernd, weil die Nutzenerwartungen des betrogenen Tauschpartners nach dem Tausch nicht erreicht werden und damit auch nicht die Pareto-Effizienz. In der Edgeworth-Box in Abb. 2.5 sind die Mengen X und Y vorgegeben und werden zwischen A und B aufgeteilt. A und B verfügen über verschiedene Güterkombinationen, die sich auf unterschiedlichen Indifferenz- oder Isonutzenkurven befinden. ➊ Der Nutzen von B kann, bei gleichbleibendem Nutzen von A, erhöht werden, wenn A von Gut X B gibt und dafür von B mehr Y bekommt. Es kommt zum Tausch. In ➋ liegt ein ­Pareto-effizienter Zustand, da der Nutzen von A nicht mehr erhöht werden kann, ohne dass sich der von B verringert und umgekehrt. Freiwilliger Tausch: beide haben Vorteile (Free lunch). Hier hätte bspw. A relativ zu B viel Bier und wenig Wein gehabt. Gibt jetzt A dem B etwas Bier und B dem A dafür etwas Wein, so verschlechtert sich A nicht, B hingegen verbessert sich. Hier wäre jetzt der A Altruist und würde dem B unentgeltlich helfen. Es wäre aber auch denkbar, dass der A etwas weniger Bier für die gleiche Menge Wein tauscht. Dann würde sich seine Isonutzenkurve leicht nach oben verschieben. Ergebnis von Abb. 2.5: Paretoeffizienz. Indifferenzkurven von A und B tangieren sich. Der Nutzen von A kann nicht erhöht werden, ohne dass der Nutzen von B verringert wird. Dies entspricht einem

2.3  Das Glücklichsein und das Wohlfahrtsoptimum als wirtschaftspolitische Ziele

19

Abb. 2.5   Tauschoptimum in der Edgeworth-Box

Zur Verdeutlichung der Grafik: B hat relativ viel von Y und wenig X. A hat relativ viel X und wenig Y. A und B tauschen solange freiwillig auf dem Markt bis beide Ihren maximalen Nutzen erlangen.

Pareto- effizienten Tausch: Beide haben so lange die Güter getauscht bis beide nicht mehr durch einen Tausch einen Vorteil erlangen können. Die Tangente im Schnittpunkt hat dann als Steigung die Grenzrate des Tausches, der Substitution dY/dX. Dies sagt aber nichts über die Nutzenverteilung (Distribution) zwischen A und B aus. Schauen wir uns Abb. 2.6 an. Von Pareto-Kombination ➊ hat B einen relativ höheren Nutzen als für A und ➋ ist für A besser als ➊, umgekehrt für B. Dies liegt an der unterschiedlichen Ausgangsverteilung der Güter X und Y. Auch in unserer Wirtschaft sind Vermögens- und Einkommensverteilung unterschiedlich. A könnte bspw. ein Arbeiter in einer russischen Wodkafabrik sein und B der Eigentümer der Fabrik. Bei K ist die Kontraktkurve aller möglichen Pareto-effizienten Tauschpunkte. K = Kontraktkurve: alle Pareto-effizienten Tauschpunkte. Abb. 2.6   Pareto-effiziente Tauschpunkte

K = Kontraktkurve: alle Pareto-effizienten Tauschpunkte

20

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

Abb. 2.7   Das Wohlfahrtsoptimum

In Abb. 2.7 hat sich ein beliebiger Pareto-effizienter Zustand eingestellt. Es kann nicht besser getauscht werden. Eine Kurve hat in jedem Punkt eine unterschiedliche Steigung. Auf einer Kurve hat jeder Punkt eine andere Tangentensteigung. Nur wenn die Steigung der Tangente der Transformationskurve gleich der Steigung der Tangente der Indifferenzkurven ist, wird aber genau die zum Tausch benötigte Menge X und Y produziert. Das Gesellschaftliches Allokationsoptimum oder Wohlfahrtsoptimum (allokative Effizienz, gesamtwirtschaftliche Effizienz), liegt also vor, wenn die ➊ Grenzrate des Tausches dY/dX gleich der ➋ Grenzrate der produktions-technischen Transformation dY/dX ist, weil dann das Verhältnis von X und Y als X2 und Y2 produziert wird, das den Bedürfnissen von A und B entspricht, also Pareto-effizient ist. Es wird effizient die Pareto-optimale Menge produziert. Es kann weder besser produziert noch besser getauscht werden. Der Nutzen der Gesellschaft kann nicht mehr erhöht werden. Dieses Tausch- und Produktionsoptimum stellt sich am Markt bei Vorliegen von Wettbewerb ein, wie wir im nächsten Kapitel zeigen werden. Die Kombination X1 und Y1 wird zwar effizient produziert, ist aber nicht die Menge, die A und B benötigen, um ihr Pareto-effizientes Tauschoptimum zu realisieren. In diesem Fall würde ein Unternehmen eine Menge am Markt anbieten, welche nicht den Bedürfnissen der Nachfrager A und B entspricht und könnte sie nicht absetzen. Es gäbe bspw. zu viel Bier und zu wenig Wein.13 Zusammenfassung Die Wirtschaftspolitik versucht die gesellschaftlichen Ziele unter Nutzung der wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten umzusetzen. Sie befindet sich damit automatisch im Spannungsfeld

13Vgl.

Bender, D. et al. (2003); Berg, H. et al. (2003); Fritsch, M. (2011); Klump, R. (2011); sowie Koch, W. A. et al. (2008).

Literatur

21

zwischen Wirtschaft und Politik. Glücklichsein ist als zivilisatorisches und als evolutionäres Ziel ungeeignet. Nur ein Nutzenzugewinn ist objektiv nachprüfbar Verständnisfragen 1. Was ist das grundlegende menschliche Problem in dieser Welt? 2. Erklären Sie das Wohlfahrtsoptimum. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein? 3. Was versteht man unter dem Easterlin-Paradoxon und dem Status-effect? 4. Warum ist das Glücklichsein als zivilisatorisches und als evolutionäres Ziel ungeeignet?

Literatur Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung (1. Aufl.). Wiesbaden: Springer. Bender, D., Berg, H., Cassel, D., Claasen, E.-M., Gabisch, G., Hübl, L., et al. (2003). Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik (Bd. 1). München: Vahlen. Berg, H., Cassel, D., & Hartwig, K.-H. (2003). Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik (Bd. 2). München: Vahlen. Brickman, P., Coates, D., & Janoff-Bulman, R. (1978). Lottery winners and accident victims: Is happiness relative? Journal of Personality and Social Psychology, 36(8), 917–927. Clark, A. E., Frijters, P., & Shields, M. A. (2008). Relative income, happiness, and utility: An explanation for the easterlin paradox and other puzzles. Journal of Economic Literature, 46(1), 95–144. Deaton, A. (2010). Income, aging, health and well-being around the world: Evidence from the gallup world poll. In D. A. Wise (Hrsg.), Research findings in the economics of aging (S. 235– 263). Chicago: The University of Chicago Press. Diener, E. (1984). Subjective well-being. Psychological Bulletin, 95, 542–575. Easterlin, R. (1974). Does economic growth improve the human lot? In P. A. David & M. W. Reder (Hrsg.), Nations and households in economic growth: Essays in honor of moses abramovitz (S. 89–125). New York: Academic. Easterlin, Richard. (2001). Income and happiness: Towards a unified theory. Economic Journal, 111(473), 465–484. Feld, L. P., & Köhler, E. (2011). Ist die Ordnungsökonomik zukunftsfähig? Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 12(2), 173‒195. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168ssoar-349165. Fritsch, M. (2011). Marktversagen und Wirtschaftspolitik (8. Aufl.). München: Vahlen. Fritsch, M., Wein, T., & Ewers, H.-J. (2007). Marktversagen und Wirtschaftspolitik. München: Vahlen. Klump, R. (2011). Wirtschaftspolitik – Instrumente, Ziele und Institutionen (2. Aufl.). München: Pearson Studium. Klump, R. (2013). Wirtschaftspolitik, Instrumente, Ziele und Institutionen. München: Pearson Studium. Koch, W. A., Czogalla, C., & Ehret, M. (2008). Grundlagen der Wirtschaftspolitik (3. Aufl.). Stuttgart: Lucius & Lucius. Luttmer, E. (2005). Neighbours as negatives, relative earnings and well-being. Quarterly Journal of Economics, 120(3), 963–1002.

22

2  Grundlagen der Wirtschaftspolitik

Ura, K., Alkire, S., & Zangmo, T. (2012). Case study: Bhutan. Gross National Happiness and the GNH Index. In J. Helliwell, R. Layard, & J. Sachs (Hrsg.), World Happiness Report. New York: Columbia University. Wangdi, K. (2011). Do Bhutan’s anti-smoking laws go too far?, Time magazine. http://content. time.com/time/world/article/0,8599,2057774,00.html. Zugegriffen: 11. Mai 2019. Weinmann, J. (2006). Wirtschaftspolitik: Allokation und Kollektiv Entscheidungen. Berlin: Springer.

3

Markt und Wettbewerb

Was folgt warum?

Nachdem wir die Grundlagen und gesellschaftlichen Ziele der Wirtschaftspolitik kennengelernt haben, wollen wir im Folgenden die Funktionsweise von Markt und Wettbewerb als die Basis unseres marktwirtschaftlichen Systems analysieren. Wir werden zeigen, dass Markt und Wettbewerb ein allokationseffizientes Ergebnis und damit ein Wohlfahrtsoptimum bereitstellen. Lernziele Sie sollen in der Lage sein, 1. zu erläutern, warum Markt und Wettbewerb ein allokationseffizientes Ergebnis bereitstellen und 2. die Wettbewerbsfunktionen anhand von Beispielen zu erklären.

3.1 Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften Dieses Kapitel untersucht das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften und ergänzt es durch neuere interdisziplinäre Forschungsergebnisse. Zunächst wird die wirtschaftswissenschaftliche Annahme des Homo Oeconomicus als nutzenmaximierendes egoistisches Individuum analysiert und die Annahme der egoistischen Nutzenmaximierung anhand der „Invisible hand“ von Adam Smith hinterfragt. Anschließend wird der Mensch als Gruppenlebewesen anhand neuerer experimenteller Erkenntnisse dargestellt und sowohl die wirtschaftswissenschaftliche Verhaltensannahme des Egoismus als auch die der Nutzenmaximierung hinterfragt. Schließlich werden in einem Fazit die Ergebnisse der neueren Forschung den Verhaltensannahmen der Wirtschaftswissenschaft gegenübergestellt und zu einem neuen Menschenbild zusammengefasst. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_3

23

24

3  Markt und Wettbewerb

3.1.1 Das klassische Menschenbild: Der Homo Oeconomicus Die Volkswirtschaftslehre wählte sich als vereinfachtes Menschenmodell ebenfalls ein egoistisches Wesen, den Homo Oeconomicus, der für die Wirtschaftsakteure stellvertretend sein soll.1 Laut F. A. Hayek geht der Begriff auf John Stuart Mill und den Utilitarismus2 zurück.3 Der Homo Oeconomicus ist wie ein Computer, wie eine Maschine, ein ausschließlich rational handelndes Wesen (Rationalitätsprinzip). Er verfügt über gegebene Präferenzen, also über eine Nutzenfunktion, die konstant ist. Diese Annahme hat den Vorteil, dass sich das menschliche Verhalten nur ändert, wenn sich die Rahmenbedingungen seiner Entscheidung ändern.4 Ausgehend von einem gegebenen Informationsstand entscheidet sich dieses Wesen immer für die Handlungsalternative, die seinen Nutzen maximiert (Individualprinzip) und wird damit mathematisch berechenbar. Sein Verhalten und die Entscheidungsergebnisse werden determinierbar und damit auch prognostizierbar.5 Andererseits bedeutet dies auch, dass der Homo Oeconomicus nicht nur nicht den Nutzen anderer bei seinem Verhalten berücksichtigt, sondern auch alles Unmoralische unternimmt, um seine Ziele zu erreichen bzw. seinen Nutzen zu maximieren. Dazu gehören Lügen, Betrügen und andere sittenwidrige Mittel.6 Der Ansatz des Homo Oeconomicus wird aber verkürzt ohne gesellschaftliche Einflüsse, also psychologisch und nicht soziologisch dargestellt. Allerdings sah schon Mill den Menschen soziologisch.7 Berücksichtigen wir gesellschaftliche Vorgaben 1Weber

erklärt die Reduktion auf das zweckrationale Handeln als vereinfachende Verhaltensannahme, indem er explizit Beispiele für Ausnahmen vom rationalen Verhalten nennt, wie z. B. eine „Börsenpanik“. Vgl. Weber, Max (1922, S. 16). 2„It is concerned with him solely as a being who desires to possess wealth, and who is capable of judging of the comparative efficacy of means for obtaining that end. It predicts only such of the phenomena of the social state as take place in consequence of the pursuit of wealth. It makes entire abstraction of every other human passion or motive;“ Mill, John Stuart (1844, S. 38). 3Vgl. Hayek, F. A. (1971, S. 77). 4Vgl. Franz, Stephan (2004); sowie Göbel, Elisabeth (2010, S. 52). 5Vgl. Erlei, Mathias et al. (1999, S. 2 f.). Marktversagen als menschliches Versagen wird von der derzeitigen Wirtschaftswissenschaft nur am Rande behandelt, wenn das Rationalitätspostulat des „homo oeconomicus“ aufgegeben wird. Aber selbst dann wird das Handeln der Menschen aufgrund der Annahmen, wie sie sich nicht-rational verhalten wieder deterministisch. 6Vgl. Milgrom, Paul und Roberts, John (1992, S. 42). 7„The deeply rooted conception which every individual even now has of himself as a social being, tends to make him feel it one of his natural wants that there should be harmony between his feelings and aims and those of his fellow creatures. If differences of opinion and of mental culture make it impossible for him to share many of their actual feelings- perhaps make him denounce and defy those feelings- he still needs to be conscious that his real aim and theirs do not conflict; that he is not opposing himself to what they really wish for, namely their own good, but is, on the contrary, promoting it. This feeling in most individuals is much inferior in strength to their selfish feelings, and is often wanting altogether. But to those who have it, it possesses all the characters of a natural feeling.“ Mill, John Stuart (2010, S. 267 f.).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

25

für menschliches Handeln, so ändern sich die Entscheidungsergebnisse. Gesellschaftliche Vorgaben bedeuten hierbei, dass die Gesellschaft ihren Mitgliedern mittels gesellschaftlicher Normen vorgibt, wie sie sich verhalten sollen, damit sie der Gesellschaft nicht schaden, sondern nutzen. Gesellschaftliche Normen und Werte können von den Individuen bewusst gewählt, aber auch gesellschaftlich anerzogen werden. Die gesellschaftlichen Sanktionen bei Normenverletzungen können dann Entscheidungsalternativen als nutzenmaximierend erscheinen lassen, die weniger individuellen Nutzenzugewinn bringen als andere.8 Der Begriff Nutzen ist als individueller Nettonutzen zu verstehen: Nutzenzugewinn, verringert um die Nutzeneinbuße durch die gesellschaftlichen Sanktionen. Umgekehrt verhindern die Sanktionen Entscheidungsalternativen, die den Nutzen des Einzelnen auf Kosten der Gesellschaft maximieren würden. Hier spricht die Soziologie von Motiv-Norm-Konflikten, weil das individuelle Bedürfnis der Norm widerspricht. Gesellschaftliche Normen wurden in der Wirtschaftswissenschaft bisher, wenn überhaupt, dann nur sehr wenig berücksichtigt. Das Gleiche gilt für ethische Werte, allerdings passt hier der Begriff Nutzen noch weniger. Das bei vielen Menschen vorhandene Bedürfnis, etwas Gutes für andere zu tun, befriedigt nur indirekt einen Nutzen, weil es ein vorhandenes subjektives Bedürfnis befriedigt. Natürlich lässt sich alles, was ein Mensch will und bekommt als Nutzenzugewinn beschreiben.9 Aber ein Nutzenzugewinn muss immer objektiv also auch von außen, von Dritten nachvollziehbar sein. Wie bei dem Volksmärchen „Hans im Glück“ kann sich der Mensch subjektiv besser fühlen, obwohl sich sein objektiver Nutzen verringert hat. Hier greift der Begriff Nutzen zu kurz, weshalb man nur noch von Bedürfnisbefriedigung sprechen kann. Die wirtschaftswissenschaftliche Entscheidungstheorie müsste deshalb erweitert werden. Etwas für andere zu opfern, ist ein vielleicht zu seltenes aber dennoch bekanntes menschliches Phänomen. Opfern würde dann bedeuten, das Bedürfnis, anderen zu helfen, zu verfolgen, jedoch dabei seinen individuellen objektiven Nutzen zu verringern. Gerade das ist aber das, was uns gemeinhin Bewunderung abverlangt und was viele Religionen (u. a. das Christentum) von den Menschen einfordern, wie beispielsweise das Motto „Geben ist seliger denn nehmen.“ Hans minimiert in diesem Märchen seinen objektiven Nutzen und maximiert sein subjektives Glück. Das ist das, was den Kern des Märchens ausmacht. Wir müssen also bei menschlichen Motivationen allgemeiner von Glücksmaximierung sprechen.10 Jeremy Bentham, James Mill und sein Sohn John Stuart Mill, die Hauptbegründer des Utilitarismus, wurden über die Zeit immer mehr verfremdet. Nutzenmaximierung wird heute ausschließlich in Bezug auf den materiellen Nutzen verstanden. Glück wird Benthams Ansatz gerechter, ging es doch allgemeiner um „pain and pleasure“, also

8Vgl.

Föhr, Silvia und Lenz, Hansrudi (1992, S. 153). Hausmann, Daniel M. und McPherson, Michael (2006, S. 79 f.). 10Conrad, Christian A. (2016). 9Vgl.

26

3  Markt und Wettbewerb

Leid und Freude.11 Glück ergibt sich für Bentham beispielsweise aus Sinnesfreuden, einem guter Ruf, Reichtum, Macht, Mildtätigkeit aber auch aus negativ besetzen Eigenschaften wie Missgunst. Leiden ergeben sich aus Entbehrungen, einem schlechten Ruf, Feindschaft sowie Leiden aus Mildtätigkeit, Frömmigkeit und Missgunst. John Stuart Mill sieht in dem Glücksstreben nicht nur Lust, sondern auch das Streben nach Würde, Tugend und Sittlichkeit. Wer den Utilitarismus ablehne, weil er das Glückstreben ablehnt, unterschätze den Menschen. Nicht in der Lust suche der Mensch in der Regel sein Glück, sondern in der Würde.12 Das Selbstinteresse des Menschen, also die Basis, um glücklich zu werden, liegt in den Freuden des Verstands und der Sittlichkeit. Nach Mill gibt es moralische und unmoralische Freuden oder Glücksempfindungen. Deshalb müsse sich der Mensch seine Interessen hinterfragen und seine Motive auf ihren ethischen Standpunkt kontrollieren.13 Nutzenmaximierung ist somit als Glücksmaximierung zu verstehen und nicht lediglich als Maximierung des materiellen Nutzen. Im Gegensatz zum wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz des Homo Oeconomicus sieht die Sozialpsychologie die Menschen nicht als Informationsverarbeiter, sondern als Simplifizierer von Entscheidungsproblemen. Hierzu verwendet der Mensch Schemata, die er aus Eindrücken und Erfahrungen sammelt. Die Sozialpsychologie beweist mit einigen interessanten Experimenten den Einfluss von Schemata. Vorgefertigte Denkstrukturen und Problemlösungswege (Heuristiken) helfen dabei, die Schemata und Informationen schnell abrufen zu können. Hinzu kommt die Overconfidence beim Denken. Es zeigt sich, dass der Mensch nicht die Fähigkeiten eines Homo Oeconomicus besitzt.14 Zu dem gleichen Ergebnis kommt die New Behavioral Finance.15 Kulturelle, also gesellschaftliche Einflüsse, prägen gemäß der Sozialpsychologie das menschliche Verhalten, was damit vom Homo Oeconomicus als einem Stereotyp

11„Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do. On the one hand the standard of right and wrong, on the other the chain of causes and effects, are fastened to their throne. They govern us in all we do, in all we say, in all we think: every effort we can make to throw off our subjection, will serve but to demonstrate and confirm it. In words a man may pretend to abjure their empire: but in reality he will remain subject to it all the while. The principle of utility recognizes this subjection, and assumes it for the foundation of that system, the object of which is to rear the fabric of felicity by the hands of reason and of law.“ Bentham, Jeremy (1996), first chapter. 12„… but its most appropriate appellation is a sense of dignity, which all human beings possess in one form or other, and in some, though by no means in exact, proportion to their higher faculties, and which is so essential a part of the happiness of those in whom it is strong…“ Mill, John Stuart (2010, S. 10). Vgl. Mill, John Stuart (1992, S. 86 ff.). 13Vgl. Mill, John Stuart (1992, S. 86 ff., sowie 90 f.). 14Vgl. Jonas K. et al. (2007, S. 374 ff.); Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 786); sowie Fehr, Ernst et al. (2001); Frank, Robert H. (1988, 2004); sowie Gürerk, Özgür et al. (2006). 15Vgl. Conrad, Christian A. (2005, S. 391 ff.)

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

27

abweicht. Als Beispiele werden unterschiedliche Körpergesten und die im Gegensatz zu den asiatischen Kulturen starke Ichbezogenheit westlicher Kulturen angeführt. Wichtig ist auch die Anpassung der Menschen an kognitive Dissonanzen, die beispielsweise durch eine unmoralische Umwelt erzeugt werden. Mit dem Asch Conformity Experiment konnte nachgewiesen werden, dass sich Individuen auch an falsche Gruppenmeinungen anpassen, wenn die Gruppe diese selbstsicher vertritt.16 In Gruppen übernehmen die Menschen Rollen, die ihr Verhalten beeinflussen. Die Einstellung der Gruppe und der Individuen beeinflussen sich gegenseitig. Die Individuen passen sich der Gruppe an, um sozial anerkannt zu werden (soziale Vergleichsprozesse oder das Streben nach Konformität). Normen bewirken moralisches Verhalten, wie in Experimenten nachgewiesen werden konnte.17 Der Homo Oeconomicus unterstellt hingegen ein ausschließlich individuell beeinflusstes Handeln. Das Individuum geht im Kollektiv unter, sobald es eine gesellschaftliche Rolle übernimmt. Die Deindividuation durch Rollenzuweisungen und soziale Normen zeigt das „Stanford Prison Experiment“ von Haney, Banks und Zimbardo.18 Die Forscher der Stanford University bauten im Keller des Psychologischen Instituts ein Gefängnis nach und wiesen 24 „normalen, durchschnittlichen und gesunden“ Studenten die Rollen von Gefängniswärtern und – insassen zu. Das Experiment sollte 2 Wochen dauern, musste allerdings schon nach 6 Tagen abgebrochen werden, weil die die Wärter die Gefangenen zu sehr quälten. Wärter und Gefangene trugen unterschiedliche Kleidung und gingen so stark in ihren Rollen auf, dass das Gefühl für individuelle Identität und Verantwortung abhandenkam (Deindividuation). Es entwickelten sich neue Verhaltensnormen, obwohl es keinen expliziten Einfluss vonseiten der Versuchsleiter gegeben hatte. Das Experiment erinnert an die die Behandlung irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib im Jahre 2003.19 Das vereinfachte Menschenbild des Homo Oeconomicus ist legitim. Nicht zuletzt bringt rationales, also fundiertes abgewogenes Vorgehen, den Menschen in der Regel Vorteile. Problematisch wird die Annahme des Homo Oeconomicus allerdings, wenn die Wirtschaftswissenschaft vergisst, dass es sich um eine Annahme handelt20, sondern den Homo Oeconomicus als Realität ansieht.21

16Vgl. Asch,

Solomon E. (1951). Jonas K. et al. (2007, S. 374 ff.); Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 786); sowie Fehr, Ernst et al. (2001); Frank, Robert H. (1988, 2004); sowie Gürerk, Özgür et al. (2006). 18Vgl. Haney, C. et al. (1973); Zimbardo, P. G. (2006); sowie Zimbardo, P. G. et al. (2000). 19Vgl. Hewstone, Miles et al. (2014, S. 278). 20„Not that any political economist was ever so absurd as to suppose that mankind are really thus constituted, but because this is the mode in which science must necessarily proceed.“ Mill, John Stuart (1844, S. 38). 21So wurde ein interessantes neurologisches Experiment 2003 vor allem für die Erkenntnis von der Presse gefeiert, dass der Homo oeconomicus eine Fiktion ist. Das sogenannte Ultimatum Game 17Vgl.

28

3  Markt und Wettbewerb

3.1.2 Der falsch verstandene Egoismus Vielleicht liegt auch eine Ursache für die mangelnde Ethik und Moral vieler Manager in einem falschen Verständnis der Bibel der Wirtschaftswissenschaftler, der „Wealth of Nations“ von Adam Smith, oder zumindest einer sehr verkürzten und damit missverständlichen Darstellung seiner Ideen in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung. Betont wird immer der geniale Gedanke von Adam Smiths, wie aus dem menschlichen Eigennutz durch die „invisible hand“ des Marktes gemeinnütziger Wohlstand wird. Selbst schlechte Menschen dienen so dem Gemeinwohl wie schon Hume anmerkte. Auf diese Weise wirken die Marktgesetze als ethische Regel:22 It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.23 By pursuing his own interest he frequently promotes that of the society more effectually than when he really intends to promote it.24

Es scheint fast so, als ob viele Manager dies als Freibrief für die unbeschränkte Entfaltung ihres Eigennutzes, also eines Egoismus auf Kosten anderer verstanden hätten.25 Das zweite Hauptwerk des schottischen Moralphilosophen Adam Smith, die „Theorie der ethischen Gefühle“ wird hingegen in der Regel nicht erwähnt. Hier finden wir noch andere Zitate: How selfish soever man may be supposed, there are evidently some principles in his nature, which interest him in the fortune of others, and render their happiness necessary to him, though he derives nothing from it except the pleasure of seeing it.26

wurde im Labor der Princeton University von Alan Sanfeys durchgeführt. Vgl. Sanfey, Alan et al. (2002); sowie Handelsblatt vom 23.03.2006, S. 11. 22Vgl. Starbatty, Joachim (1999, S. 17 ff.). 23Smith, Adam (1776), Paragraph I, S. 82. Die Idee der unsichtbaren Hand geht wohl auf Mandeville Bienenfabel zurück. „The worst of all the Multitude Did something for the Common Good.“ Mandeville, Bernard de (1732, S. 9). Bereits Mandeville sah die Gefahr, dass sich das Selbstinteresse gegen die Gesellschaft richten kann: „So vice is beneficial found, when it’s by justice lopt, and bound; Nay the people would be great; as necessary to the state; As hunger is to make them eat; Bare virtue can’t make nations live; In Splendor; they, that would revive A Golden Age must be as free For Acorns, as for Honesty.“ Mandeville, Bernard de (1732, S. 24). 24Smith, Adam (1776), Book IV, Chapter II, S. 489. 25So kann bspw. der Slogan von Gordon Gekko „Greed is good“ in dem Film Wall Street verstanden werden. 26Smith Adam (1759), Part I, Chapter I.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

29

Nach Smith besitzt der Mensch ein ausgeprägtes Gewissen als inneren moralischen Richter. Wie auch Schopenhauer und Hume27 spricht er den Menschen die Fähigkeit des Mitleids und der Sympathie mit anderen Menschen zu. Er kann damit die Interessen und Bedürfnisse seiner Mitmenschen nachempfinden, die er in seinem Gewissen mit seinen eigenen Interessen abwägen muss. Hierbei hilft ihm die imaginäre Vorstellung einer objektiven dritten Meinung gemäß der Fragestellung, wie ein unbeteiligter Dritter entscheiden würde. Basis zur Abwägung aller Interessen ist das Vernunftprinzip. Diese Anlage eines menschlichen Gewissens führt er auf Gott oder allgemein die menschliche Vernunft zurück. Der Mensch ist ein Teil des natürlichen Ganzen. Der Mensch ist verantwortlich für sein Handeln. Verantwortung und Freiheit sind natürlich und gottgegeben. Um jedoch letztlich beurteilen zu können, ob eine Handlung moralisch und ethisch einwandfrei ist, bedarf es nach Smith immer einer wirklich unbeteiligten und damit objektiven dritten Meinung. Dieser unparteiische Beobachter übernimmt bei Smith die Aufgabe des gesellschaftlichen Korrektivs, die mit dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant vergleichbar ist. Handele stets so, dass die Entscheidungsgrundlage das Prinzip einer allgemeinen Rechtsprechung sein könnte, die Handlung also jederzeit von allen zum Nutzen der Gesellschaft ausgeführt werden könnte.28 Empathie konnte inzwischen als menschliches Mitgefühl in der Hirnregion Insula nachgewiesen werden. Sie führt in der Regel auch zu einer altruistischen Hilfsbereitschaft.29 Dass die Invisible Hand allein nicht ausreicht, um das Gemeinwohl vor Schädigungen durch Einzelne zu schützen, war auch Adam Smith bewusst. Er betonte die Notwendigkeit eines Wirtschafts- und Ordnungssystems einschließlich Interventionen zum Schutz des Gemeinwohls. Eine individuelle Bereicherung auf Kosten des Gemeinwohls kann eine Gesellschaft aus verschiedenen Gründen nicht dulden. Abgesehen von dem Schaden, der für die Volkswirtschaft entsteht, wirkt ein solches Verhalten systemzersetzend. Nur wenn die Rechtsordnung funktioniert und Vertrauen in die Obrigkeit des Staates besteht, kann sich – so Smith – der Handel auf den Märkten zum Wohle der Menschen entfalten, also Wohlstand schaffen.30

3.1.3 Individualismus versus Kollektivismus Die Trigger- oder Tit-for-tat-Spiele beschreiben den grundlegenden Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität. Die individuelle Nutzenmaximierung auf Kosten Dritter steht dem kollektiven Nutzen gemeinschaftlicher Erträge wie bei

27„We

are certain, that sympathy is a very powerful principal in human nature.“ Hume, David (1739, S. 667). Vgl. Schopenhauer, Arthur (2006, § 15–18). 28Vgl. Nass, Elmar (2003, S. 47). 29Vgl. Singer, T. und Lamm, C. (2009, S. 81–96). 30See Smith, Adam (1776), chapter III, first paragraph.

30

3  Markt und Wettbewerb

der Bereitstellung und Nutzung von Kollektivgütern (z. B. saubere Umwelt) beim Gefangenendilemma (vgl. Abschn. 5.3) gegenüber. In den sechziger Jahren zeigten Anatol Rapoport und Albert Chammah experimentell, dass bei Wiederholungen von Spielen des Typs Gefangenendilemma Kooperationen entstehen. Auf der Basis von Computersimulationen hat später Robert Axelrod die Bedingungen für das Auftreten von Kooperationen analysiert. Hierbei erwies sich die von Rapoport vorgeschlagene Tit-for-Tat-Strategie als ergebnismaximierend. Diese Strategie ist gewissermaßen ­ schwach und stark zugleich. Die Strategie lautet, spiele fair und übervorteile oder schädige nie Deinen Gegenspieler. Nur, wenn er sich unkooperativ verhält, verhalte Dich ebenso. Diese Strategie beinhaltet für den Gegenspieler immer die Möglichkeit, mehr zu gewinnen, wenn er sich kooperativ verhält und weniger, wenn er sich unkooperativ verhält. Sie beinhaltet somit Anreize, sich kooperativ zu verhalten und Sanktionen bei unkooperativen Verhalten. Die geregelten Sanktionen wären dann die Normen des Spiels. Ausbeuterischen Strategien schaden sich selbst und gegenseitig, weil dann die Kooperationsgewinne fehlen. Die Individuelle Nutzenmaximierung auf Kosten Dritter bringt am Ende weniger Nettoerträge. Rapoport nennt das Prinzip der Strategie auch „In weakness is strength“ und empfiehlt es als ein Leitmotiv in seinen Studien über Rüstungswettlauf und Konfliktvermeidung.31 Das Tit-for-tat-Verhalten wurde auch in der Tierwelt beobachtet. Forscher der Universität Bern (Schweiz) fanden beispielsweise heraus, dass Ratten selbstlos auch unbekannten Artgenossen helfen, wenn ihnen in der Vergangenheit selbst einmal geholfen wurde. Dies lässt vermuten, dass sich diese Hilfsbereitschaft im Lauf der Evolution als vorteilhaft erwiesen hat. Je mehr Hilfe die Ratten erfahren hatten, desto hilfsbereiter wurden sie.32 Auch das Problem der Kooperationsgewinne durch öffentliche Güter kann nachgespielt werden. Ein sogenanntes Öffentliches-Gut-Spiel besteht darin, dass z. B. fünf Personen jeweils 10 € in eine Kasse zahlen müssen. Zahlen alle ein, wird das Geld in der Kasse verdoppelt, was den Zusatznutzen des öffentlichen Guts darstellen soll. Zahlt nicht jeder ein, kommt das öffentliche Gut nicht zustande und der Betrag wird durch fünf dividiert und wieder ausgezahlt. Der Worst Case ist also, dass ein Spieler 10 € einzahlt und nur 2 € zurückbekommt. Die Experimente zeigten, dass bei der Bereitstellung öffentlicher Güter das anfängliche Vertrauen bei Spielen über mehrere Runden aufgrund der Trittbrettfahrerproblematik nachlässt.33 In einem Öffentlichen-Gut-Spiel (vgl. zum Marktversagen bei öffentlichen Gütern auch Abschn. 5.2) verhalten sich in der Ausgangssituation 40 bis 60 % der Spieler

31Vgl.

Rapoport, Anatol und Chammah, Albert M. (1970); Axelrod, Robert (1987); sowie Schwaninger, Markus (2008). 32Vgl. Rutte C. und Taborsky M. (2007); sowie Dolivo, V. und Taborsky, M. (2015). 33Vgl. Holzmann, Robert (2015, S. 131).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

31

kooperativ. Erst mit der Zeit lässt dieses Verhalten nach, wenn sie merken, dass sie sich damit schaden und das kooperative Gut nicht zustande kommt. Sie spielen dann bei anonymen Spielen bis zehn Runden kooperativ und danach unkooperativ.34 Es gibt immer einen Basissatz von Spielern, der sich konsequent unkooperativ und nutzenmaximierend auf Kosten der anderen Spieler verhält. Diese Trittbrettfahrer sind rd. ein Drittel der Spieler. Altruistische Belohnungen und Bestrafungen, die also auch auf Kosten des Durchführenden gegen, können die Trittbrettfahrer hingegen zum kooperativen Verhalten disziplinieren, wodurch die öffentlichen Güter zum Vorteil aller realisiert werden.35 Fehr, Fischbacher, Gürerk u. a. betonen die Rolle von sog. „strong reciprocators“, also Spielern, die unkooperatives Trittbrettfahren bestrafen, obwohl sie davon Nachteile haben.36 Emotionen motivieren dabei die „strong reciprocators“ die Normen zu setzen, obwohl sie dadurch Nachteile haben. Motive für die altruistische Bestrafung von unkooperativen Verhalten sind z. B. Dankbarkeit, Rachegelüste und das Streben nach Vergeltung. Ohne diese Gefühle würde niemand zu seinen eigenen Nachteilen andere bestrafen. Sich über unkooperatives Verhalten zu ärgern bewirkt eine Genugtuung und damit auch einen Nutzen bei einer durchgeführten Bestrafung und ermöglichen so altruistische Bestrafungen, weil sich ein positiver Nettonutzen ergibt.37 Fehr und Fischbacher zeigten, dass über 60 % unbeteiligter Dritter bei als ungerecht empfundenen und unkooperativem Spielverhalten eingreifen und sogar auf eigene Kosten versuchen, Gerechtigkeit und Kooperation als Norm durchzusetzen.38 Hier kann man somit auch das Gerechtigkeitsgefühl einordnen, das uns Menschen auszeichnet. Dieses Gefühl ist die Basis für die Durchsetzung von kooperativem Verhalten in der Gruppe. Sanktionen finden statt, obwohl dies mit Aufwand verbunden ist, und das Gerechtigkeitsgefühl einigt die Gruppe in ihrem Verhalten. Diese Spiele zeigen auch die Bedeutung von gesellschaftlichen Sanktionen (Normen) und Lernen bzw. Sozialisation. Der überwiegende Anteil der Spieler ist von vorne herein kooperativ eingestellt, gibt aber das kooperative Verhalten auf, wenn es keine Kooperationsvorteile, sondern -nachteile gibt. Auch diese Erfahrung wird verarbeitet. Hier spielt Reputation eine Rolle. Besteht die Option zu einem Spiel mit Sanktionsmöglichkeiten zu wechseln, wird sie genutzt, um in den Genuss von den öffentlichen Gütern zu kommen. Mit der Zeit gelingt es den Spielern, Normen zu etablieren, sodass

34Vgl.

Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 786). Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 786); sowie Fehr, Ernst et al. (2001). 36„Strong reciprocators bear the cost of rewarding or punishing even if they gain no individual economic benefit whatsoever from their acts.“ Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 785). Vgl. Gürerk, Özgür et al. (2006). 37Vgl. Föhr, Silvia und Lenz, Hansrudi (1992, S. 153 ff.); sowie Frank, Robert H. (1988); sowie Frank, Robert H. (2004). 38Vgl. Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003). 35Vgl.

32

3  Markt und Wettbewerb

die Bestrafungen stark sinken.39 Bei diesen Spielen konnte auch die Tit-for-tat-Strategie beobachtet werden. So stieg bei der Mehrheit der Spieler der eigene kooperative Beitrag mit dem Beitrag der anderen Spieler an.40 Somit ist es nutzenmaximierend, sich bei Spielen mit einer Runde unkooperativ und bei Spielen mit mehreren Runden kooperativ zu verhalten. Oder anders ausgedrückt kann sich der andere nicht wehren oder revanchieren, lohnt es sich, ihn zu übervorteilen, sich also unethisch zulasten Dritter zu verhalten und im anderen Fall nicht. Es erstaunt deshalb wenig, dass im Finanzsektor in den letzten Jahren viele ethische Verfehlungen auftraten, da hier die Spiele mit einer Runde überwiegen. An der Börse kennt man seinen Geschäftspartner nicht einmal (Anonymität). Die schlechten Subprimekredite wurden überwiegend über die Börse verkauft. Wenn der Käufer den Verkäufer hätte belangen können, wäre es nicht zu dem Ausmaß an wertlosen Verkäufen gekommen, weil dies nicht nutzenmaximierend gewesen wäre. Überall wo es aber um eine langfristige Geschäftsbeziehung geht, oder rechtliche Schadensersatzmaßnahmen einfach durchsetzbar sind, ist es nicht nutzenmaximierend, den Geschäftspartner zu schädigen. Allerdings kann man auch beobachten, dass es Geschäftsabschlüsse gibt, die diesen nutzenmaximierenden Strategien widersprechen. So gibt es Äcker mit einem Blumenverkauf oder in der Stadt Zeitungskästen zum Selbstbedienen. Man kann Blumen schneiden oder Zeitungen dem Kasten entnehmen, ohne zu bezahlen. Das wäre die nutzenmaximierende Strategie, da der Käufer keine Vergeltungsmaßnahmen befürchten muss. Trotzdem gibt es diese Angebote, was bedeutet, dass sich viele Menschen nicht nutzenmaximierend rational, sondern ethisch sozial verhalten. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen zu menschlichem Verhalten bei verlorenen Briefen. Frankierte Briefe wurden zu annähernd 80 % in den Postkasten geworfen. Enthielten die Briefe Geld wurden immerhin noch mehr als 50 % der Briefe weitergeleitet.41 Bei einem Experiment, bei dem in dem Brief eine Geldbörse gelegt wurde, ergab sich bei Passanten in New York eine Weiterleitungsquote mit unversehrter Geldbörse von annähernd 50 %.42 Ein Sender Receiver Game Experiment von Gneezy mit Studenten zeigt43, dass viele Menschen einen Hang zur Wahrheit haben, auch wenn sie sich dadurch verschlechtern. Asymmetrische Informationen werden deshalb nicht immer ausgenutzt. Man kann diese Ergebnisse mit Altruismus, Ehrlichkeit als menschliche Charaktereigenschaft oder mit entsprechenden gesellschaftlichen Normen erklären. Für die

39Vgl.

Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003). Falk, Armin (2003, S. 147); Sowie Fischbacher et al. (2001). 41Vgl. Lück, Helmut E. und Manz, Wolfgang (1973). 42Vgl. Hornstein, Harvey A. et al. (1968). 43Vgl. Gneezy, Uri (2005, S. 387 f.). 40Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

33

Erklärung, dass das moralische Verhalten durch Normen hervorgerufen wurde, spricht, dass die Adressaten der Briefe nicht bekannt waren und die Finder sich folglich nicht mit den Adressaten identifizieren konnten.44 Andererseits fehlten hier die Sanktionen, um Normen zu schaffen, da das Verhalten unbeobachtet war. Reiner Altruismus lässt sich in Verbindung mit Empathie feststellen (Empathie-Altruismus-Hypothese). Abgesehen von anderen Studien, die dies schon ­ belegten experimentierten 1981 Batsons u. a. mit Mitleid bei einem Elektroschockexperiment. Sie testeten, inwieweit weibliche 44 Probanden bereit waren, die Elektroschocks stellvertretend für eine Versuchsperson Elaine entgegenzunehmen, wenn dieses extremes Leiden signalisierte. Die Probanden wurden in vier Gruppen unterteilt, zum einen wurde bei einem Teil der Probanden eine Ähnlichkeit mit der Versuchsperson konstruiert und dann noch unterschieden, ob man nach zwei Runden Zusehen bei den Elektroschocks das Experiment verlassen durfte oder noch länger zuschauen musste. Die Fluchtmöglichkeit wirkte sich nur bei den Probanden aus, die sich nicht mit Elaine identifizierten. Verspürten die Probanden eine starke Ähnlichkeit mit Elaine, blieben sie und waren zu einem großen Teil bereit, die Elektroschocks stellvertretend entgegenzunehmen. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die Empathie nicht egoistisch motiviert war, weil die Probanden mit Empathie auch halfen, wenn es eine Fluchtmöglichkeit gab. 45 Anscheinend können Menschen das Leid anderer Personen nachempfinden (empathische Emotion), wenn sie die Perspektive einer leidenden Person übernehmen oder sie sich der anderen Person als ähnlich wahrnehmen. Dann wollen sie deren Situation verbessern. Dieses Verhalten zeigt den Menschen als soziales Wesen. Da sich dieses Verhalten evolutorisch behauptet hat, muss es nicht nur in der Gruppe Vorteile erzeugt haben, sondern auch das Individuum nicht zuletzt auch in der Fortpflanzung begünstigt haben. 46 Studien zeigen, dass altruistisches Verhalten mit spezifischen intrinsischen Belohnungen einhergeht, weil verschiedene Studien zeigten, dass bei Spenden für wohltätige Zwecke Hirnareale aktiviert werden, die ein hohes Maß an Überlappung mit Arealen (z. B. Striatum) aufweisen, die aktiviert werden, wenn Menschen positive soziale oder finanzielle Belohnungen erhalten. 47

44Vgl.

Hausmann, Daniel M. und McPherson, Michael (2006, S. 86). Batson, C. D. et al (1981); sowie Batson, C. D. und Shaw, L. L. (1991, S. 107–122). 46Vgl. Campbell, D. T. (1965); sowie Brewer, M. B. und Caporael, L. R. (2006, S. 143–161); sowie Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018), 2018, S. 99. 47Vgl. Moll, J. et al. (2006); Harbaugh, W.T. et al. (2007); Fehr, E. und Camerer, C. F. (2007, S. 419–427); sowie Levine, Mark und Manning, Rachel (2014, S. 392). 45Vgl.

34

3  Markt und Wettbewerb

3.1.4 Gerechtigkeitsempfinden oder wie tickt der Mensch? Case Study und Diskussion: Gerechtigkeitsempfinden oder wie tickt der Mensch? Das sogenannte Ultimatum Game wurde im Labor der Princeton University von Alan Sanfeys durchgeführt. Zwei Versuchskandidaten sollen 10 $ untereinander aufteilen. Der erste (Proposer) erhält alles und kann bestimmen, wie viel er dem zweiten abgibt. Der zweite (Responder) kann dann entscheiden, ob er die Gabe annimmt oder zurückweist. Wenn er das Geld nicht annimmt, bekommen beide nichts. Aufgabe Ultimatum Game Spielen Sie das Spiel nach. Wie interpretieren Sie die Ergebnisse? Interpretation Rationales Verhalten unterstellt, müsste der zweite Proband jeder Gabe zustimmen. Unabhängig davon wie viel er bekommt, er stellt sich immer besser als wenn er nichts annimmt und beide leer ausgehen. Menschen verhalten sich aber anscheinend anders: Wenn das Angebot als zu niedrig angesehen wurde, schlugen viele Versuchsteilnehmer die Offerte ganz aus, bekamen also lieber gar nichts.48 Die neurologischen Gehirnauswertungen (Magnetresonanztomografie) zeigten, dass je schlechter die Angebote waren, desto mehr wurde der für rationales Denken zuständige präfrontale Cortex (PFC) durch Gedankenaktivitäten im Emotionszentrum Insula überlagert. Die Interpretation dieses Versuchs unterstellt, dass die positive Geldgewinnentscheidung durch das negative Gefühl, von dem anderen Versuchsteilnehmer schlecht behandelt zu werden, immer mehr überlagert wurde.49 Zwar wurde dieses interessante neurologische Experiment 2003 vor allem für die Erkenntnis von der Presse gefeiert, dass der Homo Oeconomicus eine Fiktion ist. Dieses Experiment lässt sich aber noch anders interpretieren, wenn man berücksichtigt, dass der Mensch ein an der Gemeinschaft orientiertes Lebewesen ist, wie schon Aristoteles festgestellt hat.50 Zunächst einmal kann man die Ablehnung des zweiten Versuchsteilnehmers eines als zu gering empfundenen Angebots als Ausdruck eines Gerechtigkeitsempfindens

48Das Ultimatum Game wurde abgewandelt unter Wettbewerbsbedingungen durchgeführt, wobei es einen Proposer und viele Responder gab. Nur der Responder erhielt eine Auszahlung, der als erster das Angebot des Proposers annahm. Es zeigte sich, dass die Responder auch sehr niedrige Angebote annahmen. Vgl. Holzmann, Robert (2015, S. 130); sowie Roth, A. E. et al. (1991). Allerdings ist eine solche Etwas-oder-Nichts-Situation nicht mit dem Leistungswettbewerb nach dem Do-ut-des-Prinzip der Märkte vergleichbar. 49Vgl. Sanfey, Alan et al. (2002). Das Ultimatum Game selbst gibt es schon seit Anfang der 80er Jahre. Vgl. Güth, W. et al. (1982). 50Vgl. Aristoteles (1944), 1253a.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

35

interpretieren. Schließlich sollen ja 10 $ unter offensichtlich Gleichwertigen aufgeteilt werden, weshalb jedem eigentlich 5 $ zustehen würden. Wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch ein gruppenorientiertes Lebewesen ist, das vom Affen abstammt, ist das Verhalten zwar nicht rational aber zielführend und effektiv zu nennen. Denn wie würde sich dieses Experiment in einer Gruppe im realen Leben abspielen? Mit der Ablehnung signalisiert der zweite Versuchsteilnehmer, dass er das gesellschaftliche (soziale) Verhalten des ersten als unfair ablehnt. Damit bedeutet er ihm gleichzeitig, dass dies für ihn in der Gruppe negative Konsequenzen haben kann, falls die anderen Gruppenmitglieder dies auch so sehen, er also gegen eine Norm verstoßen hat, nämlich die Regel, wie man in der Gruppe Nahrung verteilt. Dieses Verhalten ist in uns Menschen angelegt und wird auch in einem Experiment mit anderen Rahmenbedingungen nicht abgelegt. Alternativ kann die Ablehnung auch bedeuten, dass der zweite Versuchsteilnehmer dem ersten signalisieren will, dass er sich mit einer geringeren Nahrungszuteilung in der Gruppe nicht herabsetzten lassen will und sich der erste Versuchsteilnehmer mit seinem Angebot in eine Konfliktsituation manövriert hat, in der der zweite Versuchsteilnehmer – Experiment hin oder her – dem ersten bei nächstbester Gelegenheit eins auswischen wird.51 Bei dem Ultimatum Game ist das Wissen des Proposers über die Verteilung entscheidend für das Gerechtigkeitsempfinden des Responders. Es konnte gezeigt werden, dass der Responder geringere Angebote akzeptiert, wenn er glaubt, dass der Proposer ihn unbewusst unfair behandelt.52 Keinen Einfluss hat hingegen die Höhe der zu verteilenden Beträge auf das Verhalten der Probanden, da die gleichen Experimente in ärmeren Kulturen nicht zu substanziell anderen Ergebnissen geführt haben. Vielmehr hingen die Beiträge von der zivilisatorischen Entwicklung der Kulturen ab. Je interaktiver, abhängiger und arbeitsteiliger die Gesellschaft war, desto mehr wurde abgegeben.53 Aufgabe Diktator Game Eine Abwandlung des Ultimatum Games ist das Diktator Game. Hierbei hat der zweite Versuchsteilnehmer keinen Einfluss auf die Endverteilung, sondern muss das akzeptieren, was der erste Versuchsteilnehmer ihm zuweist. Spielen Sie das Spiel mit Bonbons oder Kaugummies nach. Wie kann man das Ergebnis erklären? Rational nutzenmaximierend wäre hier, dass der erste Versuchsteilnehmer alles für sich behält. In den Experimenten zeigt sich aber, dass im Durchschnitt immerhin noch rd. 30 % an den zweiten Teilnehmer weitergegeben werden. Auch dieses Spiel zeigt somit ein uneigennütziges Gerechtigkeitsempfinden. 54

51Vgl.

Conrad, Christian A. (2010, S. 135); sowie Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003, S. 785 f.). 52Vgl. Kagel, John H et al. (1996, S. 100–110). 53Vgl. Henrich, Joseph et al. (2005); sowie Beck, H. (2014, S. 279 ff.). 54Vgl. Holzmann, Robert (2015, S. 129).

36

3  Markt und Wettbewerb

Auch die Primatenforschung kommt zu dem Ergebnis, dass Gerechtigkeit ein zentrales Prinzip ist, um Kooperation in der Gruppe herzustellen. Frans de Waal und Sarah Brosnan an der Emory University in Atlanta führten Experimente mit Kapuzineraffen durch, wobei es für gleiche Leistung als unterschiedliche Belohnung Weintrauben oder Gurke gab. Bei gleicher Leistung verweigerten die Affen die Gurken als geringwertige Belohnung, woraus De Waal und Brosnan schließen, dass Primaten über ein ursprüngliches Gerechtigkeitsgefühl verfügen, das sie im Laufe der Evolution zum Zweck der Kooperation entwickelt haben. Auch Susan Perry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig führte mit Kapuzineraffen Experimente durch und kam zu ähnlichen Ergebnissen. 55 Das Experiment zeigt darüber hinaus noch den bisher in der Wirtschaftswissenschaft zu wenig berücksichtigten Einfluss von Gruppenverhalten auf die wirtschaftlichen Entscheidungen.56 Gerechtigkeit beschäftigt die Menschen als ethischer Wert schon seit ihrer Existenz. Gerechtigkeit ist objektiv das grundlegende normative Prinzip des menschlichen Zusammenlebens (Sozialprinzip).57 Für das Individuum ist dies die Voraussetzung um sich an der Arbeitsteilung der Gruppe zu beteiligen. Nur, wenn der Anteil, den es aus der Arbeitsteilung bekommt von ihm als gerecht empfunden wird, passt es sich an die Gruppenvorgaben an und arbeitet mit. So gesehen gibt es ohne Gerechtigkeit auch keinen Mehrwert aus der Arbeitsteilung unserer Gesellschaft und Zivilisation. So gesehen ist es die Aufgabe einer Führungskraft im Unternehmen Gerechtigkeit herzustellen und die Verteilung des Unternehmenserfolgs den Mitarbeitern zu erklären, damit sie diese als gerecht empfinden und bereits sind, sich für das Unternehmen zu engagieren. Subjektiv wird Gerechtigkeit als ethischer Wert verstanden. Die Antike sieht in ihr neben dem ethischen Handlungsprinzip auch eine fundamentale Tugend, die jede Übervorteilung der Mitmenschen verhindert. Obwohl es keine sanktionierten Normen gibt, verhält sich ein gerechter Mensch ethisch, indem er andere nicht übervorteilt, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet. Vielmehr gibt er ihnen das, was ihnen zusteht. Die Bereitschaft zu teilen wurde weiter untersucht. Yaari und Bar-Hillel58 ließen junge Probanden 12 Grapefruits und 12 Avocados zwischen Jones und Smith verteilen. Berücksichtigt wird nur, wie viel Vitamine beide aus den Früchten gewinnen können. Aufgrund unterschiedlicher Veranlagung kann Jones laut den Ärzten aus jeder Grapefruit 100 mg Vitamine gewinnen aber keine aus Avocados, aber Smith aus beiden Früchten jeweils 50 mg. Wenn man bei der Verteilung die Wohlfahrt maximieren wollte, müsste

55Vgl.

Brosnan, Sarah F. und de Waal, Frans B. M. (2003); Perry, Susan (2003); sowie Brosnan, Sarah F. und de Waal, Frans B. M. (2014). 56Vgl. auch Conrad, Christian A. (2016). 57Vgl. Höffe, Otfried (1997, S. 91 ff.). 58Vgl. Yaari, M. E. und Bar-Hillel, M. (1984).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

37

Jones alle Grapfruits und Smith alle Avokados bekommen (Jones): 1200 mg + Smith 600 mg = 1800 mg Vitamine. Hierzu entschieden sich nur 2 % währen 82 % der Probanden beiden den gleichen Nutzen geben wollte: Jones bekommt 8 Grapefruits (800 mg) und Smith 4 Grapefruit sowie alle 12 Avokados (800 mg, also zusammen 1600 mg Vitamine). Menschen scheinen nicht nach Wohlfahrtsmaximierung, sondern nach Gleichverteilung zu streben. Als Kompromiss bietet sich als primäres wirtschaftspolitisches Ziel die Bruttoinlandsproduktmaximierung an, um daraus dann über die sekundäre Einkommensverteilung eine höhere Masse für die Umverteilung zu haben. Der Wunsch nach Gerechtigkeit ist bei Menschen so stark ausgeprägt, dass sie bereit sind, dafür Opfer zu bringen. Das zeigt das Third-Party-Punishment-Spiel von Fehr und Fischbacher. A bekommt eine Summe und soll sie zwischen sich und B aufteilen. C bekommt ebenfalls eine Summe und kann damit gegen eine Einheit die Aufteilung um drei Einheiten nach unten korrigieren, wenn er der Meinung ist, dass A nicht fair aufgeteilt hat. Er kann somit As sich selbst zugeteilten Betrag um 3 reduzieren, wenn er dafür bereit ist, auf eine Einheit zu verzichten. Ungefähr 60 % der Probanden machen bei unfairer Verteilung davon Gebrauch und bringen somit zum Nutzen Dritter für die Gerechtigkeit Opfer.59 Es gibt Weiterentwicklungen des Ultimatum Game und des Dictator Game, die die menschlichen Vorstellungen von fairen Verteilungen genauer erforschen. Bolton und Ockenfels stellen hierbei eine Orientierung der Probanden an einer durchschnittlichen Ausschüttung fest, d. h. de Menschen möchten sich nicht schlechter stellen als der Durchschnitt. Fehr und Schmidt sowie Engelmann und Strobel ermittelten, dass nur die gleiche Ausschüttung akzeptiert wird.60 Andere Studien zeigten, dass es bei dem Ultimatum Game auf den relativen Anteil an dem zu verteilenden Betrag ankommt. Je mehr der Betrag sich an die Hälfte annähert, also als fair betrachtet wird, desto positivere Reaktionen lassen sich im Gehirn (ventral striatum) nachweisen.61 Das Ultimatum Game zeigt Sanktionen bei Ungleichverteilung und das Diktator Game die Bereitschaft abzugeben. Sie würden also die Gleichverteilung bevorzugen.62 Diese Spiele beziehen sich allerdings alle auf willkürliche Verteilungen unter objektiv Gleichberechtigten. Fershtman, Gneezy und List testen die Tendenz zur Gleichverteilung anhand des Diktatorspiels. Der Diktator sollte entscheiden, ob er sich 11 $ und dem zweiten Spieler

59Vgl.

Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2004). Bolton, Gary E und Ockenfels, Axel (2000); Fehr, Ernst und Klaus M. Schmidt (1999, S. 275); sowie Engelmann, Dirk und Strobel, Martin (2000); sowie Beck, H. (2014, S. 275). 61Vgl. Bolton, Gary E. und Ockenfels, Axel (2000); Fehr, Ernst und Klaus M. Schmidt (1999, S. 275); Engelmann, Dirk und Strobel, Martin (2000); sowie Beck, H. (2014, S. 275 ff.). 62Vgl. Bolton, Gary E und Ockenfels, Axel (2000, S. 166–193); Fehr, Ernst und Klaus M. Schmidt (1999, S. 817–868); sowie Engelmann, Dirk und Strobel, Martin (2000); sowie Beck, H. (2014, S. 275). 60Vgl.

38

3  Markt und Wettbewerb

2 $ gibt oder ob jeder Spieler 8 $ bekommt. 75 % bevorzugten eine Gleichverteilung, obwohl sie dabei auf 3 $ verzichteten. Dies könnte man als Bedürfnisgerechtigkeit interpretieren, da die Probanden von gleichen Bedürfnissen ausgehen mussten. Fershtman, Gneezy und List führten dann eine Leistungs- und Wettbewerbskomponente ein. Die Probanden mussten einen GMAT-Test machen oder aber aus einer Reihe von Buchstaben einzelne Buchstaben ankreuzen. Wenn der Diktator den Test gewann, bekam er elf Dollar und der zweite Spieler nur zwei Dollar, wenn er verlor bekam jeder Spieler wieder die gleichen 8 $, er hätte also ohne Anstrengung die Gleichverteilung erreicht. Die Probenden strengten sich jedoch an, um zu gewinnen und die 11 $ zu bekommen, lehnten also eine Gleichverteilung ohne Anstrengung ab.63 Um sicher zu gehen, dass der Entlohnungsanreiz und nicht der Spaß am Wettbewerbsspiel die Motivation war, drehten Fershtman, Gneezy und List die Entlohnungsregel in einer Kontrollgruppe um, indem der Diktator wie der zweite Spieler 8 $ bekamen, wenn der Diktator gewann. Dann strengten sich allerdings die Probanden nicht mehr an. Scheinbar lehnten sie eine Gleichverteilung auf der Basis unterschiedlicher Leistung ab. Die Vorstellung von Leistungsgerechtigkeit wurde schon 1987 von Yamagishi gezeigt. ­ Demnach werden Ungleichverteilungen akzeptiert, wenn die Auszahlungen für alle von der insgesamt erbrachten Leistung abhängt, aber nicht, wenn sei unabhängig von der Leistung ist.64 Fershtman, Gneezy und List erklären das Verhalten mit sozialen Normen, einmal zur Gleichverteilung und einmal zur leistungsorientierten Entlohnung. Was für ihre Hypothese spricht sind die Ergebnisse bei anonymen Diktator Games. Wissen die Spieler, dass weder die Mitspieler noch die Spieleiter wissen, wie viel sie abgeben, sinkt die Rate des Teilens (von 23,3 %) auf 10,5 %.65 List simulierte das Verhalten auf Märkten als Gift Exchange Game durchgeführt. Er ließ zuerst im Labor und dann auf einem anonymen Markt den Verkauf von ­Baseball-Karten durchspielen. Die Verkäufer sollten gewinnmaximierend die niedrigste Qualität liefern und die Käufer nutzenmaximierend den niedrigsten Preis bezahlen. Im Labor wurden die Probanden beobachtet, auf dem Markt nicht. Das Ergebnis war, dass die Verkäufer im Labor eine bessere Qualität boten und die Kunden mehr bezahlten. Auf den Märkten fühlten sie sich unbeobachtet und verkauften den Kunden niedrige Qualität zu hohen Preisen.66 Dieses soziale Verhalten ist überwiegend angeboren, da bereits kleine Kinder mehr teilen, wenn sie sich beobachtet fühlen.67 Gleichheit bleibt trotz allem ein menschliches Bedürfnis, wenn auch ein geringes. Es wurde nachgewiesen,

63Vgl.

Fershtman, Chaim et al. (2012, S. 131–144). T. (1987). 65Vgl. Smith, Vernon (2002). 66Vgl. List, John A. (2006); sowie Beck, H. (2014, S. 283 f.). 67Vgl. Leimgruber, Kristin L. et al. (2012). 64Vgl. Yamagishi,

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

39

dass steigende Ungleichheit zu weniger Glücksempfinden führt, allerdings mehr Europa als in den USA.68 Entscheidend für die Bereitschaft zu teilen, ist abgesehen von der Beobachtung durch Dritte auch, ob man das Geld verdienen musste. Cherry, Frykblom und Shogren verteilten 10 und 40 $ erst ohne Arbeit und dann ließen sie die Diktatoren dafür arbeiten. Danach wurden die Diktatoren wieder gefragt, ob und wie viel sie an den zweiten Spieler abgeben würden, der nicht gearbeitet hatte. Nur der Spielleiter bekam mit, wie viel sie abgeben, die Spieler nicht. Die Diktatoren, die nichts abgaben stiegen von 19 % (bzw. 15 % bei 40 $) auf 79 % (70 % bei 40 $) Prozent. Stellte man nun noch sicher, dass auch der Leiter des Experiments nicht erfuhr, ob der Diktator geteilt hat, so stieg der Prozentsatz der Diktatoren, die nicht teilten, auf 95 % bei 10 € und 97 % bei 40 $.69 Levine u. a. testeten inwiefern die Gruppenzugehörigkeit bei der Hilfe eine Rolle spielt, indem sie unterschiedliche sozialen Identitäten betonten. Einmal ließen die die Fußballfans von Manchester United einen Aufsatz schreiben, wie gern sie Fans von Manchester United sind und einmal warum sie gerne Fußballfans sind. Dann ließen sie die Fans verletzten Zuschauern helfen und stellten fest, dass beim ersten Aufsatz eher den Zuschauern mit Trikos geholfen wurde, die den Aufdruck Manchester United hatten und nach dem zweiten Aufsatz überhaupt Trikos mit Clubnamen, also auch Liverpool Fans, wohingegen Zuschauern mit Trikos ohne Clubzugehörigkeit weniger geholfen wurde. Die soziale Identität ist also entscheidend und die kann beeinflusst werden.70 Hein et  al. fanden heraus, dass die Bereitschaft, dem Eigengruppenmitglied zu helfen, mit der Aktivierung in der vorderen Insula korreliert, einer Hirnregion, die gemäß Singer und Lamm bei Empathie aktiviert wird, wohingegen der Nucleus accumbens aktiviert wurde, wenn Fremdgruppenmitgliedern nicht geholfen wurde. Dieser Gehirnteil ist dafür bekannt aktiviert zu werden, wenn Menschen Freude am Unglück anderer haben. Hein et al. stellten auch fest, dass die empathiebasierte Insula aktiviert wurde, wenn ein Fremdgruppenmitglied positiv bewertet wurde (Identifikation), und es wahrscheinlich war, dass es trotz seiner Fremdgruppenmitgliedschaft Hilfe erhielt.71 Singer u. a. testeten die Reaktion von Probanden auf faires und unfaires Verhalten in Zusammenhang mit Bestrafungen. Bestrafungen von sich fari verhaltenden Personen erzeugte Empathie (Mitleid) in den entsprechenden Gehirnbereichen (fronto-insular and anterior cingulate cortices), wohingegen dieses Mitleid bei der Bestrafung von sich unfair verhaltenden Personen bei Männern stark nachließ und vielmehr Gehirnhälften aktiviert wurden, die für belohnende Rachegefühle bekannt waren. Damit wurden die

68Vgl. Alesina, A.

et al. (2004). Cherry, Todd L. et al. (2002); sowie Beck, H. (2014, S. 277 ff.). 70Vgl. Levine, M. et al. (2005, S. 443–453). 71Vgl. Hein, G. et al. (2010, S. 149–160); Singer, T. und Lamm, C. (2009); Singer, T. et al. (2006); sowie Jonas, Klaus/Stroebe, Wolfgang/Hewstone, Miles (Hrsg.), S. 393 ff. 69Vgl.

40

3  Markt und Wettbewerb

empirischen Studien über altruistische Bestrafer (strong reciprocators) bestätigt.72 Auch andere Studien zeigten mit Hilfe von fMRI-Gehirnscannern neurale Belohnungen bei Bestrafungen von unfairem Verhalten.73 Je größer die Identifikation, desto eher und stärker neigt man dazu, das Gruppenverhalten anzunehmen und die eigenen Gruppenmitglieder bei Ressourcenverteilungen zu bevorzugen.74 Nach Tajfel wird die Identifikation mit einer Gruppe definiert als social identity is „that part of an individual’s self-concept which derives from his knowledge of his membership of a social group (or groups) together with the emotional significance attached to that membership“.75 Umgekehrt steigert somit eine Identifikation die Bereitschaft, sich für die Gruppe einzusetzen und mit den Gruppenmitgliedern zu teilen. Dies gilt es bei der Besteuerung und Umverteilung innerhalb von nationalen Gruppen zu berücksichtigen. Ein Land, das bei dem sich die Bürger stark miteinander identifizieren, kann stärker umverteilen, weil die Bereitschaft mit den anderen Gruppenmitglieder zu teilen größer ist. Somit ist davon auszugehen, dass bei Staaten wie den USA, die eine relativ inhomogene Gesellschaft haben, die Bereitschaft ein Sozialsystem über Steuern mitzufinanzieren geringer sein wird. Soziale Marktwirtschaft. Fazit Es gibt Altruismus und Mitgefühl. Ein begrenztes Maß an Umverteilung lässt sich somit rechtfertigen, weil es wohlfahrtsteigernd ist. Wie die Unterschiede zwischen öffentlichem und nicht-öffentlichem Verhalten zeigen, sind hier auch die sozialen Normen entscheidend, die sich auch kulturell unterscheiden können. Bei leistungslosem Einkommen tendieren die Menschen dazu, eine Gleichverteilung als fair anzusehen. Die Bereitschaft von erarbeitetem Einkommen etwas abzugeben, ist allerdings viel geringer. Und es gibt einen Zielkonflikt zur Leistungsbereitschaft. Die Bereitschaft bei Gleichverteilung für das Einkommen zu arbeiten ist sehr gering. Menschen streben nach Gleichverteilung, insbesondere, wenn sie sich mit den anderen Gruppenmitgliedern identifizieren. Sie lehnen aber eine Gleichverteilung bei unterschiedlicher Leistung der Gruppenmitglieder ab. Die Leistungsmotivation nimmt bei Gleichverteilung ab. Eine Umverteilungspolitik muss dies berücksichtigen. Es gilt somit nicht durch Leistung verursachte Einkommensunterschiede auszugleichen. Hierzu dient die Maximierung des Bruttoinlandsprodukts als Verteilungsmasse. Eine progressive Einkommensbesteuerung darf hierbei die Leistungsmotivation nicht soweit verringern,

72Vgl.

Singer, T. et al. (2006). DeQuervain, D. et al. (2004); Singer, T. et al. (2006, S. 466–469); sowie Fehr, E. und Camerer, C. F. (2007). 74Vgl. Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 167 ff.). 75Vgl. Tajfel, H. (1978, S. 69). 73Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

41

dass Wohlfahrteinbußen entstehen. Dies würde nicht nur als nicht fair angesehen, sondern auch die Umverteilungsmasse verringern. Verständnisfragen 1. Welche Experimente belegen Altruismus und Mitgefühl? 2. Welche Verteilung halten Menschen für gerecht? Was beeinflusst ihre Haltung? Begründen Sie Ihre Einschätzung mit den oben dargestellten Experimenten. 3. Welche Aufgaben kommt bezüglich der Gerechtigkeitsvorstellungen der Mitarbeiter in einem Unternehmen den Vorgesetzen zu? 4. Warum sind Regeln mit Sanktionen wichtig für das menschliche kooperative Zusammenleben? 5. Welche Funktion haben strong reciprocators? Welche Aufgaben muss ein Vorgesetzter im Unternehmen übernehmen, damit der Kooperationserfolg realisiert werden kann?

3.1.5 Der Mensch als Gruppenlebewesen Volkswirtschaftlich relevant sind Gruppen sowohl als Unternehmen aber auch als Gesellschaften von Staaten. Gruppen entstehen, wenn sich mehrere Menschen untereinander zugehörig fühlen (Definition). Nur ein gemeinsamer Aufenthalt wie bspw. in einem Wartesaal reicht hierzu nicht aus. Kommt es jedoch zu einer Verspätung eines Flugzeuges, kann es aber zu einem solidarisierenden Effekt über die gemeinsame Verspätung kommen. Gruppen verfügen über ähnliches Wissen, beschreiben sich ähnlich und orientieren sich an ähnlichen Regeln, Normen.76 Die soziobiologische Auffassung hebt in Anlehnung an Darwins Evolutionstheorie den adaptiven Wert, also den mehrwertgenerierenden Wert der Gruppenbildung hervor. In der Gruppe konnten die Menschen besser jagen, Kinder aufziehen und sich gegenseitig in Notsituationen unterstützen. Der evolutionäre Vorteil begünstigte Menschen, die sich sozial in Gruppen einfinden konnten und erzeugte hierfür als Stimulus das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Sie überleben und pflanzten sich fort, die Gruppenorientierung wurde weitervererbt. Und tatsächlich findet sich die Gruppenorientierung in allen menschlichen Kulturen, was ein Hinweis auf einen evolutionären Zusammenhang ist.77

76Vgl.

Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018). Bowlby, J. (1958); Baumeister, R. F. und Leary, M. R. (1995); sowie Jonas, Klaus et al. (Hrsg.), S. 441 ff. 77Vgl.

42

3  Markt und Wettbewerb

Gemäß der Theorie des sozialen Austauschs leben Menschen in Gruppen, um sich gegenseitig Bedürfnisse zu befriedigen. Hierzu gehört der Austausch materieller Güter (man leiht sich etwas) oder interpersonelle Hilfe (man hilft beim Umzug), aber auch der Austausch psychologischer „Güter“ wie Liebe (z. B. in der Familie), Freundschaft oder Zustimmung. Je stabiler die Gruppe, desto effizienter ist der soziale Austausch. Utilitaristisch begründet, wird das Individuum die Gruppe verlassen, wenn der Aufwand größer als der Nutzen einer Gruppenteilnahme ist.78 Gruppen dienen ihren Mitgliedern ferner dazu, eine Identität zu erlangen und Unsicherheit zu reduzieren.79 Bei starker Identifikation mit einer Gruppe verhalten sich ihre Mitglieder zunehmend konform. Man spricht hier von Selbststereotypisierung (self-sterotyping). Individuen gehen zumindest teilweise im Kollektiv auf, indem sie sich gemäß den Prototypen der Gruppe verhalten, die die Eigenschaften, Regeln, Standards und Ideale der Gruppe vorleben. Durch Ansprache einer Gruppenzugehörigkeit wird dieses Verhalten bestärkt.80 Die Identifikation der Individuen mit der Gruppe kann durch Initiationsriten gesteigert werden. Gerard und Mathewson teilten vier Gruppen ein. Zwei bekamen schwache und zwei starke Stromstöße. Der Hälfte der Gruppe wurde darüber hinaus mitgeteilt, dass die Stromstöße eine Bedingung sind, um in eine Diskussionsgruppe aufgenommen zu werden. Es zeigte sich, dass die Probanden, die starke Stromschocks erhielten, um in die Diskussionsgruppe zu gelangen, diese am positivsten bewerteten und die anderen Mitglieder am attraktivsten fanden.81 Je härter oder teurer die Aufnahmen in die Gruppe ist, desto höher bewertete das Individuum die Gruppenzugehörigkeit. Gangs oder Religionen haben deshalb in der Regel harte Aufnahmerituale, weil sie einen starken Gruppenzusammenhalt und eine Unterordnung des Individuums unter die Gruppennormen erreichen wollen. Rituale, gemeinsame Gebete und Tanz verstärken zudem das Zusammengehörigkeitsgefühl bei Religionen und die Koordination der Gruppe. Je höher die Identifikation der Individuen mit der Gruppe ist, desto reibungsloser erfolgt die Koordination gemeinsamer Aktionen. Erwartungen als Vertrauen auf das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder werden stabilisiert.82 Welche Sanktionsmöglichkeiten stehen Gruppen zur Verfügung, um das Individuum zur Einhaltung der Gruppennormen zu zwingen? Sie reichen vom Entzug der Anerkennung durch die Gruppe, über Mobbing bis zum Ausschluss aus der Gruppe. Der Ausschluss ist die härteste Sanktion. Bei simuliertem Ausschluss konnten sogar

78Vgl.

Thibaut, J. W. und Kelley, H. H. (1959, S. 21 ff.); sowie Rusbult, C. E. und Farrell, D. (1983, S. 429–438). 79Vgl. Hogg, M. A. und Abrams, D. (1993); Nijstad, Bernard A. und Van Knippenberg, Daan (2007, S. 442 ff.). 80Vgl. Turner, J. C. et al. (1994); sowie Hogg, M. A. und Turner, J. C. (1987); sowie Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 117 ff.). 81Vgl. Gerard, H. B. und Mathewson, G. C. (1966). 82Vgl. Platow, M. J. et al. (2012); sowie Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 119 ff.).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

43

Reaktionen im Schmerzzentrum des Gehirns nachgewiesen werden.83 Schachter simulierte Gruppensozialisationsprozesse, indem er Meinungsabweichler einschleuste. Da diese ihre Meinung nicht an die Gruppe anpassten, wurden sie zuerst ausgegrenzt, es wurde nicht mehr mit ihnen gesprochen und ihre Meinung ignoriert. Schließlich wurden sie von den Gruppen ausgeschlossen.84 Menschen sind auf sozialen Kontakt angewiesen, um glücklich zu sein. Sie benötigen sozialen Zuspruch. Gemäß diverser Studien hebt die Anwesenheit von anderen Menschen die Stimmung, insbesondere wenn es vertraute Menschen sind, zu denen bereits eine soziale Beziehung besteht. Es gibt ein Bedürfnis an sozialer Zugehörigkeit. Es gibt diverse Studien, die zeigen, dass positive soziale Beziehungen sogar die Gesundheit fördern. Berkman und Syme ermittelten bspw. mit einer Zufallsstichprobe aus der Bevölkerung (knapp 7000 Einwohner von Alameda, Californien) für Menschen mit positiven sozialen Beziehungen nach neun Jahre eine zwei- bis dreimal (2,3 bei Männer und 2,8 bei Frauen) größeren Überlebenswahrscheinlichkeit.85 Dies wird in der Literatur derzeit durch einen evolutorischen Vorteil begründet. Menschen, die auf die Unterstützung andere zurückgreifen konnten, haben eher überlebt als andere und konnten sich fortpflanzen.86 Man unterscheidet hier emotionale und instrumentelle soziale Unterstützung.87 Berkowitz zeigte schon 1954 in einem Experiment, dass die Durchsetzung von Normen hier konkret Motivation und damit die Leistungsfähigkeit positiv von dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe, der sog. Gruppenkohäsion, abhängt. Vier Gruppen sollten mit je drei Probanden in Arbeitsteilung (Zuschneiden, Bemalen und Zusammenkleben) Aschenbecher herstellen. Er manipulierte das Gruppenzugehörigkeitsgefühl, indem er den Gruppen suggerierte, dass die psychologischen Tests gezeigt hätten, dass sie gut oder nicht gut zusammenpassten und maß jeweils die Leistung nach zwölf Minuten. Im nächsten Schritt fingierte er Mitteilungen von Gruppenmitgliedern, um Normen zu etablieren. Es gab Normen mit hohen Leistungsstandards: „Lasst uns einen neuen Rekord aufstellen!“, „Lasst uns so schnell wie möglich arbeiten!“ („Let`s try to set a new record!“, „Let’s keep up a fast, steady clip!“) und schwache Leistungsnormen: „Ihr seid zu schnell, entspannt Euch!“, „Wir sollten das locker sehen, ich bin schon müde!“ („You are getting way ahead of me relax“, „Take it easy, I’m tired!“). Beide Normentypen beeinflussten die Gruppenleistung relativ zur Basisleistung,

83Vgl.

Richman, L. und Leary, M. R. (2009); Eisenberger, N. I. et al. (2003); Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018). 84Vgl. Schachter, S. (1951); sowie Karremans, Johan C. und Finkenauer, Catrin (2014, S. 451). 85Vgl. Berkman, L. F. und Syme, S. L. (1979); sowie Karremans, Johan C. und Finkenauer, Catrin (2014, S. 403 ff.). 86Vgl. Baumeister, R. F. und Leary, M. R. (1995, S. 499). 87Vgl. Karremans, Johan C. und Finkenauer, Catrin (2014, S. 403).

44

3  Markt und Wettbewerb

allerdings nur, wenn die Gruppe hoch kohäsiv war. Bei geringer Kohäsion gab es keinen Einfluss.88 Welche Entlohnung motiviert Gruppen am besten? Rosenbaum et al. zeigten, dass Wettbewerb innerhalb von Kleingruppen kontraproduktiv wirken kann. Sie ließen Dreierteams Türme mit Bauklötzen bauen und variierten die Entlohnung von kooperativ (alle bekommen gleich viel) und nur der Beste bekommt eine Belohnung. Entscheidend war die Menge der verbauten Bauklötze. Bei kooperativer Entlohnung bekamen die Gruppenmitglieder gleich viel und bei reinem Wettbewerb der Beste die Belohnung für alle verbauten Bauklötze. Eine Zwischenlösung wäre bspw., dass 50 % der Bauklötze allen und 50 % dem Besten angerechnet werden. Es zeigte sich, dass je mehr Wettbewerb in die Gruppe gebracht wurde, desto schlechter das Ergebnis wurde. Die Gruppenmitglieder kooperierten nicht mehr, indem sie sich bei dem Setzen der Bauklötze abwechselten und bekamen negative Einstellungen gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern. Schließlich stürzten die Türme bei Zunahme des Wettbewerbs öfter ein.89 Bei individuell erkennbaren und nicht voneinander abhängigen Aufgaben wurde aber auch ein produktivitätserhöhender Wettbewerb festgestellt. Die Individuen versuchen, sich in der Gruppenleitung gegenseitig zu übertreffen (sozialer Wettbewerb, interpersonal competition).90 Hüffmeier und Hertel zeigten dies anhand vom Staffelschwimmen. Hier ist die Einzelleistung sehr transparent und ihre Bedeutung nimmt zu je später man in der Gruppe startet. Es zeigt sich, dass die Gruppenleistung Dank dieser Motivationsgewinne deutlich über der Summe der Einzelleistungen liegt.91 Es gibt bei Leistungstransparenz auch den Köhler-Effekt, bei dem die schwächeren Gruppenmitglieder sich stärker anstrengen, um nicht für die schlechte Gruppenleistung verantwortlich zu sein.92 Und schließlich gibt es die soziale Kompensation, bei der die stärkeren Gruppenmitglieder versuchen, die geringere Leistung der schwächeren Gruppenmitglieder zu kompensieren. Zur sozialen Kompensation kommt es vor allem, wenn die Gruppenziele von allen akzeptiert werden wie Williams und Karau gezeigt haben.93 James und Greenberg widmeten sich dem Wettbewerb zwischen Gruppen. Sie fanden heraus, dass sich die Leistung bei Wettbewerb erhöht. Sie ließen Gruppen von verschiedenen Universitäten Anagrammaufgaben lösen, einmal unabhängig voneinander und dann, indem sie den direkten Vergleich und die Gruppenzugehörigkeit betonten.

88Vgl.

Berkowitz, L. (1954). Rosenbaum, M. E. et al. (1980, S. 626–642). 90Vgl. Stroebe, W. et al. (1996). 91Vgl. Hüffmeier, J. und Hertel, G. (2011). 92Vgl. Köhler, O. (1926, S. 274–282); sowie Witte, E. H. (1989). 93Vgl. Williams, K. D. und Karau, S. J. (1991). 89Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

45

Die Gruppenleistung ohne diese Betonung fiel wesentlich geringer aus.94 Dies entspricht dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Unternehmen als Gruppen. Unternehmen können somit ihre Produktivität steigern, indem sie den Gruppenzusammenhalt erhöhen und für die Akzeptanz der Unternehmensziele sorgen. Die Anwesenheit von anderen Menschen kann auf die Leistung stimulierend (sog. Soziale Erleichterung) oder hemmend wirken. Wie Studien zeigten, hängt dies davon, ob es eine Bewertungserwartung gibt, der Handelnde sich also von dem Urteil der anderen abhängig fühlt. Sind die Arbeiten schwierig, wirkt sich die Beobachtung durch andere eher negativ auf die Leistung aus, bei einfachen Tätigkeiten jedoch eher stimulierend.95 Die Leistung von Gruppen wird durch Koordination und Motivation beeinflusst. Die Motivation wird neben dem Gefühl des Gruppenzusammenhalts (vgl. oben) durch das Bewusstsein der eigenen Bedeutung für die Gruppenleistung beeinflusst. So kann eine deutlich niedriger eingestufte Fußballmannschaft gegen den Favoriten gewinnen, weil hier die Spieler denken, ihre Leistungsbeiträge wären entbehrlich (Trittbrettfahren). Von sozialem Faulenzen spricht man hingegen, wenn die Gruppenmitglieder ihre Leistung einschränken, weil sie sich in der Gruppe verstecken können. Entscheidend ist es hier den Beitrag des Einzelnen in der Gruppe transparent zu machen und Trittbrettfahren wie in den Öffentlichen Gut Spielen gezeigt wurde (vgl. oben) zu sanktionieren. Koordinationsverluste entstehen, wenn die Leistung der einzelnen Gruppenmitglieder nicht optimal aggregiert werden kann, wie bspw. beim Tauziehen, wenn nicht alle gleichzeitig ihre Kraft einsetzen. Die Art der Gruppenleistung ist aber ebenfalls entscheidend für die optimale Organisation der Gruppe. Es gibt Aufgaben mit einer positiven Interdependenz der Gruppenleistung, weil man nur zusammen als Gruppe Erfolg haben kann wie bspw. bei einer Fußballmannschaft. (man gewinnt oder verliert gemeinsam), was Kooperation fördert, oder sie können negativ interdependent, weil der Beitrag des Einzelnen ohne das Team den Erfolg bringt. So handelt es sich beim Tauziehen oder das oben diskutierte gemeinsame Bauen eines Turmes aus Bauklötzen eine additive Leistung, während bei konjunktiven Aufgaben das schwächste Gruppenmitglied die Gruppenleistung bestimmt (Beispiel Bergsteigen). Hier empfiehlt es sich soweit möglich keine einheitliche große Gruppe zu bilden, sondern mehrere kleine. Bspw. könnte beim Bergsteigen eine Gruppe der Leistungsstarken vorrangehen. Und es bei disjunktiven Aufgaben auf die Leistung eines Gruppenmitgliedes in der Spitze ankommt wie bspw. bei der Lösung von Mathematikaufgaben.96

94Vgl.

James, K. und Greenberg, J. (1989, S. 604–616). Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 123). 96Vgl. Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 125 ff.); sowie Karremans, Johan C. und Finkenauer, Catrin (2014, S. 474). 95Vgl.

46

3  Markt und Wettbewerb

Am Beispiel von Brainstorming-Gruppen kann man sehr gut den Einfluss auf die Gruppenleistung darstellen. Gemäß Osgood u. a. stellten 1957 die Hypothese auf, dass Gruppen effektiver Ideen generieren können als Individuen, weil sie sich gegenseitig kreativ anregen. Experimente zeigten jedoch, dass die Gruppenmitglieder einzeln ungefähr doppelt so viele Ideen generieren können als in der Gruppe. Diel und Stroebe zeigten, dass die Leistungsverringerung multikausal sowohl durch die Motivation als auch durch die Koordination bedingt ist. Sie stellten soziales Faulenzen fest als sie einer Gruppe sagten, nur die Gruppenleistung zählt und diese mit einer Gruppe verglichen, bei der die Einzelleistung erfasst wurde. Ferner untersuchten sie den Einfluss von Bewertungsangst, indem sie eine Gruppe beim Brainstorming filmten und mitteilten, dass sie den Film andern Kommilitonen zeigen würden. Die gefilmte Gruppe kreierte deutlich weniger Ideen als die nicht gefilmte. Diel und Stroebe untersuchten anschließend Koordinationseffekte indem sie schrittweise die Bedingungen der Individuen (Nominalgruppe) denen der Brainstorming- Gruppe im Rahmen einer Kommunikation über Mikrofone anpassten. Als sie mit ihren Ideenbeiträgen warten mussten bis die anderen ihre Beiträge genannt hatten, glich sich das Ergebnis der ­Brainstorming-Gruppe deutlich an, was zeigt, dass sich die Beiträge der Gruppe letztlich gegenseitig behindern und man bei Brainstorming lieber eine Phase mit individueller Ideengenerierung vorschieben sollte, ehe man die Ergebnisse in der Gruppe diskutiert. Diel und Stroebe stellten vielmehr fest, dass bei Brainstorming der Eindruck einer hohen gegenseitigen kreativen Stimulation entsteht, weil die Gruppenmitglieder sich in der Diskussion die Ideen von anderen auch selbst zurechnen.97 Stimmungen und Emotionen werden in Gruppen übertragen. Barsade ließ einen Schauspieler in einer Gruppe Stimmungen durch Gesichtsausdruck und Betonungen übertragen. Bei der Übertragung von positiven Emotionen zeigte, verhielt sich die Gruppe kooperativer, und es traten weniger Konflikte auf. Zum gleichen Ergebnis kamen Sy, Coté und Saavedra, die einen Gruppenleiter Emotionen übertragen ließen. Hier erhöhe sich die Gruppenleistung, wenn der Gruppenleiter positive Emotionen übertrug.98 Wie wirkt sich Wettbewerb auf das Verhältnis von Gruppen zueinander aus? Sherif und Campbell entwickelten die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts (realistic group conflict theory). Diese Theorie geht von Nutzenmaximierung und rationalem Verhalten bei den Individuen aus, die spezifischen Eigenschaften der Individuen eher eine untergeordnete Rolle. Um seinen Nutzen über öffentliche Güter, über Arbeitsteilung oder bei Konflikten zu maximieren, benötigt das Individuum Gruppen. Hier hängt die Zielerreichung von anderen Individuen ab (Interdependenz).

97Vgl. Osgood, C. E. et al. (1957); Diehl, M. und Stroebe, W. (1987); Stroebe, W. und Diehl, M. (1994); Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 127 ff.). 98Vgl. Barsade, S. G. (2002); sowie Sy, T. et al. (2005, S. 295 ff.).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

47

Es gibt eine positive Interdependenz, wenn die anderen Individuen zur Erreichen der eigenen Ziele positiv beitragen oder sogar notwendig sind und eine negative, wenn andere Individuen gegen die eigenen Ziele stehen, weil sie andere konfliktäre Ziele verfolgen. Aus diesen Interdependenzen entwickeln sich Einstellungen zu den anderen Individuen und Gruppen. Nutzen die Individuen einem bei der eigenen Zielverfolgung entwickelt man positive Einstellungen zu ihnen und im umgekehrten Fall negative. Sherif und andere testeten die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts im Rahmen von Feriensommerlagern mit Kindern im Alter von 10 bis 12. Sie bildeten Gruppen aus Kindern, die sich nicht kannten bzw. schlossen Einflüsse von Herkunft, Persönlichkeit oder interpersonale Attraktion aus. In den Gruppen bildeten sich schnell Gruppennormen, Strukturen, Loyalität und positive Einstellungen zu den anderen Gruppenmitgliedern aus. In der bekanntesten Robbers Cave Studie setzen sie die Gruppen einer konfliktären Wettbewerbssituationen aus, in dem ein Preis für die beste Gruppe ausgeschrieben wurde. Damit waren alle Handlungen die gut für den Erfolg der eigenen Gruppe waren schlecht für den Erfolg der anderen Gruppen. Die Spannungen zwischen den Gruppen wurden so stark, dass sich die Gruppen gegenseitig beschimpften und sich mit Äpfeln bewarfen oder die Zelte der anderen Gruppe einrissen. Dann gaben die Spielleiter den Gruppen Aufgaben, die sie nur zusammen, also kooperativ lösen konnten. So sollten sie bspw. gemeinsam einen Lastwagen mit Lebensmitteln, der angeblich im Matsch stecken geblieben war, wieder herausziehen oder die Leitungen für die Wasserversorgung reparieren. In der Folge verringerten sich die Konflikte und negativen Einstellungen zwischen den Gruppen und es bildeten sich sogar Freundschaften zwischen den Gruppen.99 Dies zeigt die Bedeutung von gemeinsamen ökonomischen Interessen und Projekten bei der Völkerverständigung. Globaler Handel und insbesondere Zoll- und Wirtschaftsunionen können die negativen Einstellungen zwischen den nationalen Gruppen reduzieren. Hier ist es wichtig, dass die Vorteile den Gruppenmitgliedern auch mitgeteilt werden. Die europäische Integration wäre ein Beispiel für einen solchen Ansatz zur Völkerverständigung. Henri Tajfel et al. untersuchten die Gruppenbeziehungen ohne eine Interdependenz, indem sie willkürlich Gruppen bildeten und die Gruppenmitglieder nicht über die anderen Gruppenmitglieder informierten. Es gab auch keine Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern. Die Probanden sollten nun Geld unter den Versuchsteilnehmern verteilen. Schon bei dieser Konstellation bevorzugten die Probanden die Mitglieder der eigenen Gruppe. Schon das Wissen um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe führt zu Verhaltensänderungen, indem die eigenen Gruppenmitglieder bevorzuget werden. Die Probanden waren sogar bereit, auf Geld für ihre eigene Gruppe zu verzichten, wenn sie ihre Gruppe dadurch stärker von der anderen Gruppe positiv abgrenzen konnten. Die

99Vgl.

Sherif, M. (1961, 1966, S. 71).

48

3  Markt und Wettbewerb

Zuteilung von Belohnungen an die Probanden wurde nicht von dem Gewinn für alle Beteiligten, sondern nur von dem Gruppengewinn beeinflusst.100 Experimente zeigten, dass Menschen ein Bedürfnis zur Selbstbestimmung haben. Sie möchten die Freiheit haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und reagieren auf Einschränkungen dieser Freiheit mit Widerstand (sog. Reaktanz).101 Zanna und Cooper ließen eine Gruppe von Studenten freiwillig einen Aufsatz gegen die freie Meinungsäußerung zu schreiben, eine andere Gruppe zwangen sie. Die Beurteilung eines Verbots der freien Meinungsäußerung fiel bei der freiwilligeren Gruppe deutlich positiver aus. Das bedeutet, dass der Widerstand (Reaktanz) etwas gegen die eigene Meinung zu schreiben aufgrund der Freiwilligkeit geringer war. Bei dem Schreiben des Aufsatzes entstand aufgrund der kognitiven Dissonanz, also des Handelns entgegen der eigenen Meinung ein unangenehmes Gefühl, das die Versuchsteilnehmer durch die Anpassung ihrer Einstellung ausglichen. Die Gruppe, die eine Plazebo-Tablette vorher bekommen hatte, die angeblich negative Emotionen hervorrufen sollte, passte die Einstellung nicht an, weil sie das negative Gefühl der kognitiven Dissonanz auf die Tablette zurückführte.102 Der Staat hat somit die Freiheit seiner Bürger zu gewährleisten. Freiheit wird auch bei der wirtschaftlichen Betätigung zu einem eigenständigen Wert. Das Individuum geht im Kollektiv unter, sobald es eine gesellschaftliche Rolle übernimmt. Die Deindividuation durch Rollenzuweisungen und soziale Normen zeigt das Stanford Prison Experiment von Haney, Banks und Zimbardo.103 Die Forscher der Stanford University bauten im Keller des Psychologischen Instituts ein Gefängnis nach und wiesen 24 „normalen, durchschnittlichen und gesunden“ Studenten die Rollen von Gefängniswärtern und –insassen zu. Das Experiment sollte 2 Wochen dauern, musste allerdings schon nach 6 Tagen abgebrochen werden, weil die Wärter die Gefangenen zu sehr quälten. Wärter und Gefangene trugen unterschiedliche Kleidung und gingen so stark in ihren Rollen auf, dass das Gefühl für individuelle Identität und Verantwortung abhandenkam (Deindividuation). Es entwickelten sich neue Verhaltensnormen, obwohl es keinen expliziten Einfluss vonseiten der Versuchsleiter gegeben hatte. Das Experiment erinnert an die die Behandlung irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib im Jahre 2003.104 Muzafer Sherif führte bereits 1935 ein Experiment zu Gruppenanpassungsprozessen durch. Probanden sollten die Entfernung eines Lichts von ihren Augen schätzen. Aufgrund des sogenannten autokinetischen Effekts schätzten alle Probanden unterschiedlich.

100Vgl.

Tajfel, H. et al. (1971); sowie Kessler, Thomas und Fritsche, Immo (2018, S. 161 ff.). Brehm, S. S. und Brehm, J. W. (1981). 102Vgl. Zanna, M. P. und Cooper, J. (1974, S. 140 ff.). 103Vgl. Haney, C. et al. (1973, S. 69–97); Zimbardo, P. G. (2006, S. 47 ff.); Zimbardo, P. G. et al. (2000). 104Vgl. Hewstone, Miles und Martin, Robin (2014, S. 278). 101Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

49

Bei einem zweiten Durchlauf konnten sich die Probanden ihre Einschätzungen gegenseitig mitteilen. Das Ergebnis war, dass sie ihre Meinung im Zeitablauf aneinander anglichen.105 Solomon E. Asch zeigte 1955 in einem Experiment, bei dem Individuen in einer Gruppe sagen sollten, welcher von drei Strichen länger ist, dass sich rd. 37 % für die falsche Gruppenmeinung entschieden, wenn sie nur ausreichend sicher und dominant vorgetragen wurde. Mit dem Asch Conformity Experiment konnte von Solomon E. Asch nachgewiesen werden, dass sich Individuen auch an falsche Gruppenmeinungen anpassen, wenn die Gruppe diese selbstsicher vertritt.106 Es wurde mit fMRI-Gehirn-Scannern nachgewiesen, dass Menschen negative Emotionen empfinden, wenn sie sich anders als die Gruppe verhalten. Bei dem Experiment von Gregory Berns u. a. sollten die Probanden sagen, ob zwei Figuren identisch sind. Helfer gaben sich als Probanden aus und teilten 2/3 der Probanden vorab falsche Ergebnisse mit. Die restlichen 1/3 Probanden, die die falschen Ergebnisse nicht kannten, strengten die Gehirnbereiche an, die für das Sehen und Wahrnehmen zuständig sind. Ebenso die Probanden, die die falsche Antwort kannten, aber diese Meinung übernahmen. Nur bei den Probanden, die sich mit ihrem Urteil gegen die Gruppenmeinung stellten, wurde zusätzlich der Gehirnbereich aktiv, der für negative Emotionen und für das soziale Verhalten relevant ist.107 Menschen sind so gesehen auf Gruppenkonformität angelegte soziale Lebewesen, die bereits eine soziale Nichtakzeptanz als Strafe empfinden (Normativer Sozialer Einfluss).108 In einem Experiment von Robert Cialdini, Raymond Reno und Carl Kallgren wurden zwei verschiedene Bereiche vor einer Bibliothek geschaffen: ein sauberer Bereich und ein schmutziger. Anschließend wurden den Probanden Flugblätter an die Windschutzscheibe geheftet und beobachtet wie sie sich verhalten. Im sauberen Bereich warfen nur etwas mehr als 10 % der Probanden die Flugblätter auf den Boden und im schmutzigen Bereich waren es um die 30 %. Die Soziologie spricht hier von deskriptiven (beschreibenden oder wahrgenommenen) Normen, da sie erst durch das Verhalten anderer in konkreten Situationen wahrgenommen werden, unabhängig davon, ob das Verhalten gesellschaftlich erwünscht ist. Die Umgebung war durch andere verschmutzt worden, obwohl dies der Norm widersprach. Also handeln die meisten Menschen so. Im zweiten Versuchsteil räumten die Forscher einmal als Vorbild sichtbar für die Probanden allen Dreck wie Papier vor ihren Augen weg und einmal schmissen sie demonstrativ Papiere u. a. auf den Boden. Angesichts des guten Vorbilds schmissen

105Vgl.

Sherif, M. (1935); Aronson E. et al. (2008, S. 234 f.); sowie Bierhoff, H. W. (2006, S. 414 f.). 106Vgl. Asch, Solomon E. (1951); sowie Jonas K. et al. (2007, S. 9 ff., 379 ff.). 107Vgl. Aronson E. et al. (2008, S. 244). 108Vgl. Aronson E. et al. (2008, S. 241 ff.); sowie Jonas K. et al. (2007, S. 379 f.).

50

3  Markt und Wettbewerb

dann in der sauberen Umgebung nur noch rd. 8 % das Flugblatt auf den Boden und in dem schmutzigen Bereich sogar weniger als 5 %. Anscheinend wirkte die schmutzige Umgebung hier noch moralisch verstärkend. Bei dieser sogenannten injunktiven (auffordernde) Norm orientieren sich die Menschen daran, welches Verhalten von anderen tatsächlich in einer Situation gewünscht ist. Hier setzt auch die Bedeutung des Vorbilds und der Kultur für das Verhalten der Mitarbeiter im Unternehmen an. Injunktive Normen wirken stärker als deskriptive Normen.109 Wir Menschen neigen somit auch dazu, die Art wie etwas vorgetragen wird über zu bewerten. Dies erklärt auch warum Manager, die sich nicht hinterfragen und nie Fehler zugeben erfolgreicher sind als solche, die sich korrigieren. Dies hat allerdings auch mehr Fehlentscheidungen zur Folge. Je größer die Gruppe ist, desto stärker ist ihr Meinungseinfluss, wenn sie die Mehrheit darstellt. Asch zeigte später noch, dass der Konformitätsdruck nachlässt, sobald der Mehrheitsmeinung eine widersprechende Meinung gegenübergestellt wird. Hierbei ist auch nicht die soziale Unterstützung des Probanden mit seiner richtigen Mindermeinung entscheidend, sondern, dass es überhaupt noch andere Meinungen gibt. Bspw. hat Asch einen Assistenten eine zweite falsche Meinung vortragen lassen, was dazu führte, dass sich die Probanden wieder mehr trauten zu ihrer richtigen Meinung zu stehen.110 Allen und Levine stellten fest, dass bei es der Meinungsbeeinflussung auch auf die Akzeptanz der Meinungsträger in der Gruppe (social support) ankommt und Bond und Smith (1996) ermittelten im Rahmen einer Metastudie, dass kollektivistische Kulturen stärker zur Meinungskonformität neigen als individualistische Kulturen.111 Für die Tendenz der Individuen ihre Einschätzung der Gruppenmeinung anzupassen werden drei Gründe angeführt. Erstens kann die Gruppe nur effektiv ein Ziel verfolgen, somit müssen sich die Gruppenmitglieder in ihrer Einschätzung einigen. Zweitens könnte das Individuum aufgrund von Unsicherheit die eigene Meinung anzweifeln (informativer Einfluss) und korrigieren und drittens sich anpassen, um von den Gruppenmitgliedern akzeptiert zu werden (normativer Einfluss).112 All die Einflüsse bei Gruppenentscheidungen, die dazu führen, dass der informative Austausch beeinträchtigt wird, sodass nicht informationell sondern normativ entscheiden wird, nennt man Gruppendenken (Groupthink). Die Gruppenmitglieder streben nach Konformität auf Kosten einer realistischen Bewertung alternativer Handlungsverläufe.113 Der Einfluss von Autoritäten auch als negative Vorbilder lässt sich mit dem bekannten Experiment von Stanley Milgram von 1961 belegen. Probanden sollten anderen

109Vgl.

Aronson E. et al. (2008, S. 259 ff.); Jonas K. et al. (2007, S. 414 f.); sowie http://www. cobocards.com/pool/de/card/4emnb0513/online-karteikarten-injunktive-und-deskriptive-norm/. 110Vgl. Asch, S. E. (1987, S. 477 ff.). 111Vgl. Allen, V. L. und Levine, J. M. (1971); sowie Bond, R. und Smith, P. B. (1996). 112Vgl. Hewstone, Miles und Martin, Robin (2014, S. 283). 113Vgl. Hewstone, Miles und Martin, Robin (2014, S. 302).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

51

­ robanden als Lehrer etwas beibringen und bei schlechter Leistung die Schüler mit P Stromschlägen bestrafen. Sie wurden hierzu vom Spielleiter in einem weißen Kittel als Autorität aufgefordert. Sie vergaßen dabei die gesellschaftliche Norm, anderen keinen Schaden zuzufügen. 62,5 % gingen bis zum Maximum von 450 V.114 2012 wurde ein Experiment von und auf Facebook durchgeführt, bei dem die Posts der Anwender manipuliert wurden. Es zeigte sich, dass negative Post die Anwender zu mehr negativen Posts veranlassten und umgekehrt. Somit wird der Mensch moralisch stark von anderen Menschen beeinflusst, was sich auf den Einfluss der Unternehmenskultur als das Verhalten von vielen Menschen auf den einzelnen Mitarbeiter übertragen lässt.115 Unmoralisches Verhalten verstärkt in einer Kultur unmoralische Einstellungen. Judson Mills überprüfte an einer Grundschule die Einstellung der Schüler zum Schummeln und lies sie danach an einer Prüfungsarbeit schreiben, die so schwer war, dass sie nur durch Mogeln bestanden werden konnte. Er erklärte den Schülern, dass sie beim Schummeln nicht ertappt werden können, was aber nicht korrekt war. Einige Schüler schummelten, andere nicht. Dann wurden die Schüler wieder zu ihrer Einstellung zum Schummeln befragt. Die Schüler, die gemogelt hatten, hatten nun eine nachsichtigere Einstellung zum Schummeln und die, die nicht gemogelt hatten, lehnten Schummeln noch mehr ab.116 Moral und Sitten der Manager sind auch ein Produkt der jeweiligen Gesellschaft. Die Moral des Einzelnen ist teils angeboren und teils anerzogen durch den gesellschaftlichen und familiären Sozialisierungsprozess.117 Gemäß David Hume, Stinchcombe und Friedrich A. von Hayek gibt es auch einen kulturellen Entwicklungsprozess. Die Soziologie nennt dies den Prozess der natürlichen Selektion. Die ungeeigneten Verhaltensmuster und Regeln (Institutionen) werden mit den Gruppen, die sie ausgewählt haben, untergehen. Die kulturelle Entwicklung ist somit ein Trial-and-Error-Prozess mit ungewissem Ausgang. Rechtskonstruktionen (institutionelle Regelungen) wie das Privateigentum sowie Geld und Kredit, aber auch die Marktwirtschaft selbst, sind Entdeckungen, die den Gruppen, die sie eingeführt haben, Vorteile brachten. Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Organisation werden ausprobiert und bei wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlicher Akzeptanz übernommen oder anderenfalls wieder verworfen. Verhält sich eine Gesellschaft nicht so, riskiert sie mit der schlechteren Organisation im Wettbewerb mit den anderen Gesellschaften unterzugehen,

114Vgl. Aronson

E. et al. (2008, S. 261 ff.); sowie Jonas K. et al. (2007, S. 400 ff.). http://www.chip.de/news/Manipulation-Facebook-Experiment-im-Eigenbau_70849545. html; http://www.spiegel.de/netzwelt/web/facebook-experiment-aerger-um-manipulierte-newsfeedsa-978147.html#js-article-comments-box-pager sowie http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ netzwirtschaft/der-facebook-boersengang/facebook-managerin-sheryl-sandberg-entschuldigt-sichfuer-psycho-experiment-13024578.html (Abruf am 24.07.2014). 116Vgl. Aronson, E. et al. (2008, S. 171 f.). 117Vgl. Wiswede, Günther (1985, S. 195). 115Vgl.

52

3  Markt und Wettbewerb

womit sich ebenfalls ein kultureller Entwicklungsprozess erklären lässt.118 Beispielsweise könnte man argumentieren, dass sich mit dem Zusammenbruch der sozialistischen und kommunistischen Systeme die Eigentumsform Privateigentum durchgesetzt hat. Allerdings vollzieht sich der Prozess der natürlichen Selektion durch Auslese nur sehr langsam. Entscheidender ist die Selektion durch menschliches Denken und Lernen aus Erfahrungen (Trial and Error). Dies gilt gerade für die Gestaltung von Wirtschafts- und allgemein von Gesellschaftsordnungen. Fazit Das menschliche Verhalten wird vom Gruppenverhalten stark beeinflusst. In Gruppen übernehmen die Menschen Rollen, die ihr Verhalten beeinflussen. Gruppen bewirken mit eigenen Normen ein gruppenangepasstes Moralverhalten. Gruppen können die Produktivität erhöhen, beispielsweise durch Kontrolle oder kognitive Stimulation. Umgekehrt können die falschen Normen einer Gruppe auch zu Opportunismus, Konformität und Anpassung der Gruppenmitgliedern führen und damit ­Herding-Verhalten in eine ethisch falsche Richtung bewirken wie es bei den Gruppennormen der Banker im Rahmen der Finanzkrise der Fall war (Groupthink-Effekt). Deindividuation fördert soziales Faulenzen, wenn die Leistung des Einzelnen in der Gruppe nicht kontrolliert werden kann. Eine individuell identifizierbare Leistung steigert über sozialen Wettbewerb die Leistung. Die Einstellung der Gruppe und der Individuen beeinflussen sich gegenseitig. Die Individuen passen sich der Gruppe an, um sozial anerkannt zu werden (soziale Vergleichsprozesse oder das Streben nach Konformität). Normen können moralisches Verhalten bewirken, wie in Experimenten nachgewiesen werden konnte.119 Wir haben anhand der Beispiele herausgearbeitet, dass das Individuum einerseits im Konflikt mit der Kollektiv, also den anderen Menschen stehen kann und andererseits auch von ihnen abhängig ist bei der Verfolgung der eigenen Interessen, wenn diese nur in der Gruppe realisiert werden können. Die Abhängigkeit von anderen Menschen beinhaltet aber auch automatisch eine Begrenzung der eigenen Freiheit. Ohne eine Berücksichtigung der Interessen von anderen Gruppenmitgliedern können die gruppenabhängigen Ziele nicht erreicht werden. Das Individuum muss sich so gesehen zu einem gewissen Maß der Gruppe, dem Kollektiv, unterordnen, um an den Gruppengütern beteiligt zu werden. Die Attraktivität der Güter aber auch die Notwendigkeit der Anpassung des Individuums wird tendenziell mit der zivilisatorischen Arbeitsteilung (Emergenz) zunehmen.

118Vgl. Wiswede, Günther (1985, S. 195); Hayek, Friedrich August von (1976, S. 39, 40 und 59, 1979, S. 154 ff., 167); sowie Noll, Bernd (2002, S. 29). 119Vgl. Aronson E. et al. (2008, S. 241 ff., 285 ff.); Jonas K. et al. (2007, S. 374 ff.); sowie Bierhoff, H. W. (2006, S. 413 ff.).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

53

Gruppenanpassungsverhalten kann marktrelevant werden, wenn die Marktteilnehmer sozialen Kontakt haben und sich als Gruppe identifizieren. Denkbar ist so etwas bei Finanzzentren oder Online-Chat-Plattformen, bei denen die Marktteilnehmer ihre Meinungen austauschen und aneinander anpassen könnten. Auch hier können dann im Sinne von Groupthink falsche dominante Marktmeinungen entstehen. Dies nennt die New Behavioral Finance Herding-Verhalten. Verständnisfragen 1. Wann orientieren Menschen ihr Verhalten an Gruppen? 2. Welche Entlohnungskriterien funktionieren in und zwischen Gruppen? 3. Wie kann man soziales Faulenzen (Trittbrettfahren) in Gruppen verhindern? 4. Warum verringert Brainstorming die Gruppenleistung?

3.1.6 Kulturelle Einflussfaktoren Ein Artikel im Handelsblatt mit der Überschrift: „Ökonomische Kulturrevolution“ beschrieb die Selbsterkenntnis der Wirtschaftswissenschaften, dass sie „lange Zeit gegenüber kulturellen Faktoren ignorant war.“ Stellvertretend für die ignorante „traditionelle“ Ökonomie werden die Nobelpreisträger George Stigler und Gary Becker zitiert, die Ende der 70er Jahre die Behauptung aufstellten: „Ökonomen, die mit kulturellen Faktoren argumentieren tarnen damit nur das Scheitern ihrer Analyse.“ Dieses Verdikt wäre dann – so der Artikel – bis Ende der 90er Jahre die herrschende Meinung gewesen. Nun sei es aber den amerikanischen Forschern mit einem erheblichen methodischen Aufwand gelungen, den Einfluss von Kultur wissenschaftlich valide nachzuweisen. So ist es der Professorin Raquel Fernández von der New York University zusammen mit ihrer Kollegin Alessandra Fogli gelungen, kulturelle Faktoren von klassischen ökonomischen Einflussfaktoren zu separieren. Sie haben sich hierbei eines medizinischen Forschungsansatzes bedient, dem sogenannten „epidemiologischen Ansatz“. Wenn amerikanische Ärzte Umwelteinflüsse als Ursache wie beispielsweise bei Herzinfarkten von Japanern herausfiltern wollen, vergleichen sie die Herzinfarkte von den Japanern, die in die USA eingewandert sind, mit den in Japan lebenden genetisch gleichen Menschen. Die Wirtschaftswissenschaftler verglichen hingegen die Neigung zur Erwerbstätigkeit bei Frauen, die in den USA geboren wurden, deren Eltern aber aus unterschiedlichen Herkunftsländern kamen. Die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen waren bei allen gleich, trotzdem unterschied sich die Erwerbsneigung: je höher die Erwerbsbeteiligung der Eltern in den Herkunftsländern war, desto eher waren später die in den USA geborenen Töchter erwerbstätig.120 Einer anderen Forschungsgruppe (Guiso, Sapienza

120Vgl.

Fernández, Raquel und Fogli, Alessandra (2005, S. 552–561).

54

3  Markt und Wettbewerb

und Zingales) gelang der Nachweis, dass die normative positive Prägung von Sparsamkeit eine genauso hohe Bedeutung für die Erklärung von länderspezifischen Unterschieden in der Sparsamkeit hat, wie die ökonomischen Einflussfaktoren.121 Eine andere Studie von Andrea Ichino und Giovanni Maggi bestätigt, dass regionale Kulturunterschiede das wirtschaftliche Verhalten von Menschen prägen. Im Auftrag einer großen italienischen Bank untersuchten sie, warum der Krankenstand der Süditaliener höher war als in Norditalien. Sie stellten fest, dass der Geburtsort eines Angestellten erheblichen Einfluss auf die Krankmeldung hat. Italiener, die im Süden zur Welt kamen, wiesen deutlich höhere Fehlzeiten auf. Selbst dann, wenn sie schon seit Jahren in Norditalien arbeiteten.122 Was kann man nun aus diesen neuen Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft schließen? Zunächst muss man feststellen, dass dies keine neuen Erkenntnisse sind, sondern bestenfalls neue statistische Belege. Der Soziologe Max Weber hat bereits in seinem Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ 1905 die Bedeutung kultureller Prägung für die wirtschaftliche Entwicklung herausgestellt.123 Und auch schon vorher gab es solche Hinweise. Kulturelle Einflüsse waren und sind die Basis für Kulturwissenschaften wie die Soziologie oder die Verhaltensforschung. Max Weber sah in der protestantischen bzw. calvinistischen Prägung eine Ursache für die positive wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz, den Niederlanden, Englands und Teilen Deutschlands.124 Die Sekundärtugenden (wie Treue, Tüchtigkeit, Ehrlichkeit, Ordnungsliebe, Sparsamkeit, Verlässlichkeit, Sauberkeit und Pünktlichkeit) werden in ihrer Bedeutung als Arbeitsethos als die Grundvoraussetzung für den Erfolg der industriellen Entwicklung von Europa und Nordamerika und als die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg der asiatischen Schwellenländer gesehen.125 Die Einstellungen von Menschen einer Gesellschaft zu ökonomisch relevanten Dingen wurden allerdings bisher von der Wirtschaftswissenschaft ebenso wenig berücksichtigt, wie das Vorhandensein ökonomischer Kenntnisse. Was hilft es, wenn wie im Fall Russlands das System Marktwirtschaft eingeführt wird, die Menschen sich aber noch wie im alten kommunistisch-planwirtschaftlichen System verhalten? Was hilft es, wenn die Rahmenbedingungen wie ein Rechtssystem mit Legislative und Exekutive aufgebaut werden, die Richter aber mangels ethischer Prinzipien (und vielleicht auch mangels adäquater Bezahlung) bestechlich sind? Was hilft es, wenn demokratische Rahmenbedingungen wie in Russland Ende der 80er Jahre und in Deutschland in den 20er Jahren geschaffen werden, die Menschen sich aber politisch passiv verhalten und eine starke Führung

121Vgl.

Guiso, Luigi et al. (2006, S. 23–48). Ichino, Andrea und Maggi, Giovanni (1999, S. 1057–1090); sowie Handelsblatt vom 19.02.2007, S. 9. 123Vgl. Weber, Max (1922). 124Vgl. Weber, Max (1905); Ulrich, P. (1993, S. 1168 f.); sowie Noll, Bernd (2002, S. 166). 125Vgl. Leisinger, Klaus M. (1997, S. 144). 122Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

55

wünschen, die ihnen alle Probleme abnimmt? Wenn ein System (eine Ordnung) weder verstanden noch akzeptiert wird, hat es keine Zukunft. Kultur sind alle Normen, Werte und Einstellungen, die das Verhalten von Menschen als Gruppe definieren (Definition). Kultur vereint die Mitglieder eines sozialen Systems miteinander in Bezug auf die Bedeutung und Interpretation dessen, was um sie herum vor sich geht, was zu ähnlichen Verhaltensweisen führt. Kultur gibt somit Identität für die Gruppenmitglieder. Das Konzept der Kultur kann auf Familien, Teams, Organisationen und Länder angewandt werden. Kultur bildet sich Gesellschaft als Gruppe durch äußere Einflüsse heraus, auf die die Gesellschaft versucht, durch optimale Anpassung zu reagieren. Klima, Landschaft, natürliche Ressourcen führen zu wirtschaftlichen Aktivitäten wie Landwirtschaft, Jagd, Bergbau und Konflikte mit anderen Gruppen als Gesellschaften zu militärische Aktivitäten. Hieraus ergeben sich gesellschaftliche optimale Praktiken als Familienstruktur, Intergruppenbeziehungen, Geschlechterrollen, die über Sozialisationsprozesse wie Kindererziehung, Schulbildung und berufliche Sozialisation vermittelt werden, die wiederum Psychologische Ergebnisse hinterlassen wie kognitive Stile, Wertvorstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen als die Gesellschaft verbindende Kultur.126 Wie wirkt sich Kultur auf das wirtschaftliche Verhalten von Menschen aus? Weber beschrieb den wirtschaftlichen Aufstieg nach der Reformation als Folge einer protestantischen Ethik, die sich als Leistungsmotivation auswirkte, indem sie die Einstellungen von Unternehmern und Arbeitern nachhaltig prägte. Diese Form von Mann „gets nothing out of this wealth for himself, except the irrational sense of having done his job well“127 McClelland wurde von Weber inspiriert und vermutet, dass protestantische Werte in der Erziehung, das Leistungsmotiv gefördert haben. Werte wie Eigenverantwortung und harte Arbeit führen zu mehr unternehmerischer Aktivität und damit zu wirtschaftlichem Aufschwung. McClelland enwickelte 1961 einen Leistungsmotivindex, indem er historische Textquellen unterschiedlichster Art auf Leistungsmotive auswertete (z. B. Märchen, Gedichte, Reden oder Schulbuchtexte) und mit der wirtschaftlichen Entwicklung der jeweiligen Kulturen verglich. Für das antike Griechenland, Spanien im späten Mittelalter, England im 15. bis 19. Jahrhundert sowie den USA für die Zeit zwischen 1800 und 1950 konnte er zeigen, dass Perioden des wirtschaftlichen Aufschwungs ein Anstieg im nationalen Leistungsmotiv-Index vorausgegangen war, dem wirtschaftlichen Niedergang hingegen eine Abnahme. Damit ist ein Zusammenhang aber nicht unbedingt auch eine Kausalität bewiesen.128 2009 gab es eine vergleichbare

126Vgl.

Smith, P. B. et al. (2006); sowie Smith, Peter B. (2014, S. 569 ff.). Weber, M. (1905). 128Vgl. McClelland, D. C. (1961); Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 35 ff.). 127Vgl.

56

3  Markt und Wettbewerb

Analyse in Bezug auf zwei deutsche Bundesländer, die das Ergebnis von McClelland bestätigte.129 Earley testete mit 45  Israelis, 60  Festlands-Chinesen und 60  Amerikanern die kollektivistische und individuelle Orientierung und anschließend die Leistungsfähigkeit individuell und innerhalb von Gruppen, wobei eine Gruppe den Teilnehmern als homogen und ihnen ähnlich (Eigengruppe) und eine Gruppe als unterschiedlich (Fremdgruppe) angegeben wurde. Die Individualisten waren überwiegend Amerikaner und lösten signifikant weniger Aufgaben in einer der kollektiven Umgebung als individuell. Umgekehrt waren die Kollektivisten – überwiegend Chinesen – deutlich produktiver, wenn sie meinten in einer Eigengruppe zu arbeiten.130 Fazit Kultur ist als Identität der Gesellschaft ein produktiver Faktor. In kollektivistischen Kulturen funktionieren andere Anreize als in individualistischen Kulturen. Max Weber (protestantische Ethik) wurde bestätigt. Kulturelle Leistungsmotive (z. B. Märchen, Gedichte, Reden oder Schulbuchtexte) beeinflussen die wirtschaftlichen Entwicklung. So gesehen sollte eine Wirtschaftspolitik darauf ausgerichtet sein, Leistung in der Gesellschaft positiv zu bewerten bzw. als Gruppennorm zu setzen. Hier gibt es anderseits Grenzen durch die individuelle Freiheit und allgemein die Menschenrechte des Individuums die zu respektieren sind. Soziale Anerkennung und Identität, die eine Gesellschaft als Gruppe geben kann stehen andererseits den negativ wirkenden Gruppensanktionen bei Normverletzung gegenüber.

3.1.7 Ökonomische Verhaltensmotivation Was motiviert Lebewesen ökonomisch aktiv zu werden und Leistung zu erbringen? Perin (1942); Williams (1938) erforschten dies an Ratten. Je länger ihnen die Nahrung (Esstrieb) entzogen wurden (zwischen 0 und 22 h) und je häufiger sie danach einen Hebel drücken mussten, um an Futter (Anreiz) zu kommen (zwischen 5 und 90 Mal) desto stärker war die Löschungsresistenz als Verhaltenstendenz (reaction potential) bei Weglassen der Belohnung für das Hebeldrücken. Gemessen wurde wie oft der Hebel noch gedrückt wurde bis die Versuchstiere mindestens fünf Minuten ohne jegliche Reaktion in der Versuchsapparatur verharrten.131 Das bedeutet, dass Lebewesen durch Entzug ihrer Grundbedürfnisse motiviert werden, was erklären würde, dass Kulturen, die sehr starke Entbehrungen erlitten,

129Vgl.

Engeser, S. et al. (2009). Earley, P. C. (1993); Smith, Peter B. (2014, S. 591 ff.). 131Vgl. Perin, C. I. (1942); sowie Williams, S. B. (1938). 130Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

57

mussten hinterher sehr ökonomisch engagiert waren. Vorausgesetzt, sie hatten mit dem ökonomischen Verhalten die positive Erfahrung gemacht, dass sie ihre Not lindern können. Ausgehend von den Experimenten von Perin und Williams stellte Hull 1952 fest, dass die Motivation auch von der Qualität der angebotenen Belohnung als Anreiz positiv abhängig ist. Die Verhaltenstheorie bestimmt ausgehend von Hull eine Verhaltenstendenz wie folgt. Verhaltenstendenz = Gewohnheit × Trieb × Anreiz (engl.: reaction potential = habit str ength × drive × incentive).132 Bedürfnisbedingte Triebe erzeugen einen Handlungsdruck (engl. „push“; Verhaltensauslöser: Hunger), während situative Anreize, die durch die Umwelt des Individuums geschaffen werden, ein bestimmtes Verhalten auslösen, um dem Handlungsdruck zu genügen und eine Befriedigung auszulösen (engl. „pull“; Verhaltensauslöser).133 Die Ökonomie kann die Anreize beeinflussen. Die Spielregeln, die zu Belohnungen oder Sanktionen führen, bilden den institutionellen Rahmen für das Verhalten. Es gibt drei Anreizklassen, die sich drei Motivthemen zuordnen lassen und in späteren Kapiteln separat behandelt werden. Diese Anreizklassen sind: 1. Leistungsmotivation, also Herausforderungen zu meistern Bei Verhalten, das auf eine Leistung ausgerichtet ist, ist es das Ziel des Handelnden wirtschaftlich produktiv zu sein (Definition). Leistungsmotivation (achievement motive) spiegelt das Bedürfnis nach einem fairen Leistungswettbewerb in der Marktwirtschaft wider. 2. Anschlussmotivation (affiliation motive), also soziale Kontakte knüpfen und pflegen.134 Das Streben nach zwischenmenschlich befriedigenden Beziehungen (Anschlussmotivation Definition) war evolutionsbiologisch von hoher Bedeutung. Die Bindung an Bezugspersonen und das Zusammenleben in Gruppen war zentral, um das Überlegen des Individuums zu sichern. Dies stellt eine besondere Herausforderung im Computerzeitalter dar. Der Arbeitsplatz des Menschen sollte nach wie vor soziale Kontakte ermöglichen, um die Bedürfnisse des Menschen abzudecken. 3. Machtmotivation, also andere Menschen beeinflussen oder beeindrucken.135  Das Machtmotiv wird definiert als die Neigung, Befriedigung aus der physischen, mentalen

132Vgl.

Hull, C. L. (1952, S. 140 ff.). Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 18 ff.). 134Vgl. Atkinson, J. W. et al. (1954, S. 405–410). 135Vgl. Schultheiss, O. C. (2008). 133Vgl.

58

3  Markt und Wettbewerb

oder emotionalen Einflussnahme auf andere zu ziehen.136 Dies spielt eine Rolle bei der Motivation von Politikern und Managern. Bei der Motivforschung zeigte sich, dass mittels Bildgeschichten indirekt also unbewußt gemessene und über den Selbstbericht offen erfasste Motive voneinander abwichen, also nicht miteinander korrelierten.137 Dies liegt daran, dass es unbewusste (impliziete) und bewusste Motive „selbstzugeschriebene Motive“ (explizite Motive oder self-attributed motives) für das menschliche Handeln gibt. Die implizierten Motive entstehen aus vergangenen affektiven Erfahrungen (affektgesteuerte Bedürfnisse), die ins Unterbewusstsein eingehen, wohingegen bei den explizierten Motiven bewusst die Vorteilhaftigkeit des eigenen Handelns hinterfragt wird, weshalb sie weniger spontan sind. Hier fließen dafür die sozialen Strukturen in Form von sozialen Anreizen ein. Beim Machtmotiv sind die positiven affektiven Erfahrungen als das Gefühl über andere bestimmen zu können, sich stark zu fühlen entscheidend. Bei der Anschlussmotivation sind es die Gefühle sozialer Harmonie, wenn man Zuwendung und Sympathie von anderen Personen erfährt. Aus diesen Erfahrungen bilden sich Handlungspräferenzen.138 Darüber hinaus unterscheidet man noch intrinsische und extrinsische Motive. Bei intrinsischen Motiven kommt der Anreiz für das Handeln von innen heraus, während bei extrinsischer Motivation äußere Anreize wie Belohnungen oder Sanktionen verhaltensauslösend sind.139 Die Theorie der Basisbedürfnisse erklärt wie intrinsische Motivation entstehen. Sie unterscheidet drei psychologische Basisbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit. Diese wurden universell für verschiedene Personentypen (Frauen, Männer, Arbeiter, Manager etc.) und Kulturen (individualistischen westlichen und kollektivistischen östlichen Kulturen) nachgewiesen. • Autonomie kann man als Selbstbestimmung charakterisieren. Sie ist als das Bedürfnis definiert. Der Mensch will sich selbst als autonom in seinen Handlungen erleben, sodass er sie seinen Werten und Interessen anpassen kann. Studien zeigen, dass Instrumente der extrinsischen Motivation wie Kontrolle, Sanktionen, Belohnungen aber auch subtilere Manipulationen wie kontrollierende

136Vgl.

deCharms, R. et al. (1955); sowie McClelland, D. C. et al. (1953). McClelland, D. C. et al. (1989, S. 690–702); sowie Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 81 ff.). 138Vgl. Schultheiss, O. C. (2008); McClelland, D. C. et al. (1989); sowie Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 81 ff.). 139Vgl. Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 113); sowie Deci, E. L. und Ryan, R. M. (2000, S. 233). 137Vgl.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

59

Sprache („Du sollst“ statt „Du kannst“) und die Erzeugung von Schuldgefühlen die intrinsische Motivation verringern. • Kompetenzerleben meint das Bedürfnis, sich als kompetent und effektiv bei der Verfolgung von Zielen zu erleben. Das beinhaltet das Bedürfnis nach übersichtlichen Strukturen, die die Wirkung des eigenen Handelns erkennen lassen. • Soziale Eingebundenheit ist das Bedürfnis nicht nur sozial anerkannt zu werden, sondern auch anderen Personen oder Gruppen (Partner, Familie, Freunde, Arbeitskollegen) zugehörig und verbunden zu fühlen. Um soziale Eingebundenheit zu erwirken, ist ein warmes und integrierendes soziales Umfeld wichtig. Eine distanzierte und gleichgültige Umgebung bewirkt das Gegenteil. Erlebte emotionale soziale Unterstützung wirkt sich positiv aus, weil sie ein darauf ausgerichtetes Verhalten stimuliert. Die Basisbedürfnisse gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie Essen und Schlafen. Werden sie bedient, führt dies zu intrinsischer Motivation, Wohlbefinden und persönlicher Entwicklung. Werden sie nicht befriedigt, sind Demotivation und Unwohlsein die Folge.140 Hieraus lassen sich volkswirtschaftliche Ziele ableiten: Der Staat muss die wirtschaftliche Freiheit des Individuums gewährleisten, muss aber auch den sozialen Kontakt ermöglichen. Darüber hinaus müssen die staatlichen Strukturen, insbesondere bei den Behörden mit Bürgerkontakt übersichtlich gehalten werden. Meyer et al. testeten mit zwei Studien die Theorie der Basisbedürfnisse an professionellen Mode- und Foto-Modellen. Ihre Hypothese war, dass sie unzufrieden sein müssten, weil sie wenig Einfluss auf ihren Erfolg haben (Kompetenz), sie nach oberflächlichen Werten (ihrer Schönheit) beurteilt werden (Autonomie) und sie aufgrund des berufsbedingten Reisens relativ wenig Gelegenheiten haben, tiefgehende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Die Models berichteten über geringere Lebenszufriedenheit, geringeres emotionales Wohlbefinden und ein geringeres Selbstwertgefühl.141 Lebewesen werden durch Entzug ihrer Grundbedürfnisse motiviert, was erklärt würde, dass Kulturen, die sehr starke Entbehrungen erlitten mussten hinterher sehr ökonomisch engagiert waren. Die Motive Autonomie und Kompetenzerleben zeigen, dass der Mensch sich vor allem aktive mit den Herausforderungen des Lebens auseinandersetzen und die Wirkungen seines Tuns nachvollziehen will.

140Vgl. Deci, E. L. und Ryan, R. M. (2000, 227–268); sowie Brandstätter, Veronika et al. (2018, S. 117 ff.). 141Vgl. Meyer, B. et al. (2007, S. 2–17).

60

3  Markt und Wettbewerb

Gestaltungsfreiheit und Leistungsmotivation sind zentrale menschliche Bedürfnisse. Sie sind somit übergeordnete Ziele des Staates, die der Staat im Rahmen seiner Organisation und Institutionen berücksichtigen muss. Hieraus ergibt sich zwangsläufig der Wunsch nach marktwirtschaftlicher Freiheit und einer dezentralen Organisation der Wirtschaft. Das Ziel des Handelnden, wirtschaftlich produktiv zu sein spiegelt das Bedürfnis nach einem fairen Leistungswettbewerb in der Marktwirtschaft wider. Bedürfnisbedingte Triebe erzeugen einen Handlungsdruck (engl. „push“; Verhaltensauslöser: Hunger), während situative Anreize, die durch die Umwelt des Individuums geschaffen werden, ein bestimmtes Verhalten auslösen. Die Ökonomie kann die Anreize beeinflussen. Die Spielregeln, die zu Belohnungen oder Sanktionen führen bilden den institutionellen Rahmen für das Verhalten. Der Staat muss die wirtschaftliche Freiheit des Individuums gewährleisten, muss aber auch den sozialen Kontakt ermöglichen, um die Anschlussmotivation zu berücksichtigen (Motiv soziale Eingebundenheit). Darüber hinaus müssen die staatlichen Strukturen, insbesondere bei den Behörden mit Bürgerkontakt übersichtlich gehalten werden und möglichst auf Regulierungen und Besteuerungen verzichtet werden, insofern sie die wirtschaftlichen Prozesse für den Handelnden verkomplizieren und damit unübersichtlich machen (Soziale Eingebundenheit). Die Neigung, Befriedigung aus der physischen, mentalen oder emotionalen Einflussnahme auf andere zu ziehen (Machtmotivation) muss bei der Beurteilung von dem Verhalten von Politikern berücksichtigt werden.

3.1.8 Weitere Abweichungen von rationalem Verhalten Heuristiken sind vereinfachte Verhaltensregeln, die die Menschen nützen, um schnell und ohne großen Aufwand reagieren zu können. Sie bilden sich vor allem aufgrund von Erfahrungen. Man könnte von Vorurteilen sprechen. Bspw. schließen Menschen auf eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Ereignissen, wenn sie sich daran erinnern können oder Dinge öfters sehen. Man spricht von Verfügbarkeitsheuristiken. Auch die Anstrengung, um an die Informationen zu gelangen beeinflusst die Einschätzung. So fanden Schwartz und Vaughn a. o. (2002) heraus, dass sich Probanden als weniger durchsetzungsstark einschätzen, wenn sie anstatt 6 Situationen 12 niederschreiben mussten, bei denen sie sich durchgesetzt haben. Sie empfanden dann die Situationen, an die sie sich erinnern konnten zu wenig.142

142Vgl.

Schwarz, Norbert und Vaughn, Leigh Ann (2002), The availability heuristic revisited: Ease of recall and content of recall as distinct sources of information, in: Thomas Gilovich, Dale W. Griffin, Daniel Kahneman (eds.) Heuristics and Biases: The Psychology of Intuitive Judgment; Cambridge University Press, S. 103–119.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

61

Als Antwort auf diese Beobachtung wurde das Konzept der begrenzten Rationalität (bounded rationality) entwickelt, das im Gegensatz zu vollständigen Rationalität begrenzte Informationsverarbeitungskapazitäten unterstellt. Eine Entscheidung ist dann begrenzt rational, wenn unter Einbeziehung des Informationszugangs und Verarbeitungsaufwands die Entscheidung gewählt wird, die nutzenmaximierend ist.143 Hiervon wurden die sogenannten Nudges als Instrument zur Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens abgeleitet (Definition). Die Entscheider sollen durch vereinfachten Zugang zu einem höheren Nutzen gebracht werden, indem bspw. gesundes Essen in Augen- und Greifhöhe und ungesundes Essen unten im Regal in Supermärkte präsentiert werden soll.144 Die Prospect Theorie von Kahnemann und Tversky liefert nicht nur einen empirischen Ansatz, wie man den subjektiven Nutzen messen kann, sondern baut auch irrationale Verhaltensweisen ein. Nach der Verwendung von Heuristiken werden verschiedene irrationale Verhaltensweisen einbezogen, die empirisch festgestellt wurden. Wahrscheinlichkeiten als auch die Auszahlungen werden nicht linear bewertet. So wird die Bewertung von Gewinnen und Verlusten durch vorherige Gewinne und Verluste als Referenzpunkte verzerrt. Der empfundene Gewinn oder Verlust sinkt mit seiner Höhe, was einen abnehmenden Grenznutzen oder – schaden bedeutet. 1981 stellten Kahnemann und Tversky eine Verlustaversion fest. Verluste werden damit stärker bewertet als vergleichbare Gewinne. Auch fanden sie eine nicht-lineare Wahrscheinlichkeitseinschätzung. Kleine Wahrscheinlichkeiten werden höher eingeschätzt als große. Kahnemann und Tversky stellten ferner neben der Verlustaversion und der Referenzpunkte fest, dass sich die Präsentation und Formulierung von Fragestellungen auf die Entscheidung von Probanden auswirkt. Die Beeinflussung der Entscheidungen durch die Darstellung des Entscheidungsproblems wird seitdem als Framing (Definition) bezeichnet.145

143Vgl.

Simon, Herbert A. (1959), Theories of Decision-Making in Economics and Behavioral Science. In: The American Economics Review. Band 49, Nr. 3, 1. Januar 1959, S. 262 f. 144Vgl. Thaler, Richard H. und Sunstein, Cass R. (2008); Thaler, Richard H. et al. (April 2, 2010). Choice Architecture. https://doi.org/10.2139/ssrn.1583509. SSRN 1583509 sowie Sunstein, Cass (2009). Going to Extremes: How Like Minds Unite and Divide. Oxford University Press. ISBN 9780199793143; Wright, Joshua; Ginsberg, Douglas (February 16, 2012). „Free to Err?: Behavioral Law and Economics and its Implications for Liberty“. Library of Law & Liberty. https://www.lawliberty.org/liberty-forum/free-to-err-behavioral-law-and-economics-and-itsimplications-for-liberty/. 145Vgl. Kahneman, Daniel et al. (1981), The Framing of Decisions and the Psychology of Choice, in: SCIENCE, VOL. 211, 30 JANUARY 1981, S. 453–457; Kahneman, Daniel und Tversky, Amos (1982), The psychology of preferences, Scientific American, 146, S. 160–173. Kahneman, Daniel und Tversky, Amos (1984); Choices, Values and frames, American Pschologist, 39:4, S. 342–350. Kahneman, Daniel und Tversky, Amos (1986); Rational Choice and the framing of decisions, Journal of Business, 59:4, S. 5251–5278.

62

3  Markt und Wettbewerb

Am besten kann man Framing anhand des Asian-Desease-Problems von Kahnemann und Tversky erläutern. Es gibt eine Epedemie und 600 gefährdete Menschen. Die Probanden sollen zwischen zwei alternativen Therapien entscheiden, die unterschiedlich dargestellt werden: 1. Darstellung Bei Therapie A sterben 200 Menschen. Bei Therapie B werden mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel 600 Menschen gerettet. Mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln wird niemand gerettet. 2. Darstellung Bei Therapie A werden 400 Menschen gerettet. Bei Therapie B wird mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel niemand sterben. Mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln werden 600 Menschen sterben. Obwohl beide Darstellungen in ihrem Ergebnis gleichwertig sind, entschied sich bei der Darstellung 1 die Mehrheit (72 %) für A und bei der zweiten Darstellung eine Mehrheit (78 %) für B. Kahnemann und Tversky erklären dies mit einem positiven Referenzpunkt bei der ersten Darstellung, da hier in den Vordergrund gestellt wird, dass Menschen gerettet werden. Im positiven Bereich seien Menschen risikoavers. Sie wollen die geretteten Menschen nicht gefährden und entscheiden sich für die sichere Rettung. Bei der zweiten Darstellung wird beides Mal der Verlust betont. Hier wollen die Menschen den Verlust minimieren (Verlustaversion), Alternative A als Worstcase Referenzpunkt abwenden und sind zu höheren Risiken bereit. Framing kann als Entscheidungsmanipulation zum Vor- oder Nachteil des Entscheiders genutzt werden. Zum Beispiel kann man Menschen eher dazu bewegen, zu gesundheitlichen Vorsorgeuntersuchung zu gehen, wenn man ihnen die Risiken der Erkrankung bei einer Unterlassung der Vorsorgeuntersuchung aufzeigt als wenn man die Chancen einer früheren Entdeckung und Heilung in den Vordergrund stellt.146 Die Prospect Theorie wurde inzwischen relativiert. So ist die Entscheidung der Probanden im Asian Disease Problem auch auf unvollständige Informationen zurückzuführen. Kühberger zeigte, dass die Entscheidungen ausgewogen werden, also der Framing-Effekt verschwindet, wenn man bei der Alternative A die fehlenden Informationen ergänzt: „200 Menschen werden gerettet, 400 Menschen werden nicht gerettet“ für Variante A und „400 Menschen werden sterben und 200 Menschen werden nicht sterben“ für Variante C. Kühberger änderte die Formulierung in der ersten Darstellung bei A in „400 Menschen werden nicht gerettet“ für Variante A und in der

146Vgl.

Meyerowitz, Beth E. und Chaiken, Shelly (1987), The effect on message framing on breast-self-examination attitudes, intentions and behavior, Journal of Personality and Social Psychology 52, (1987, S. 500–510); Beck, H. (2014, S. 154).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

63

zweiten Darstellung in „200 Menschen werden nicht sterben“ für Variante A. Jetzt entschieden die Probanden genau umgekehrt. In der ersten Darstellung wurde B bevorzugt und in der zweiten Darstellung A. Der Framing-Effekt drehte sich um. Es gab Risikofreude bei der Gewinnformulierung und Risikoaversion bei der Verlustformulierung. Was bestehen bleibt ist der Framing Effekt generell, da die Entscheidungsalternativen nach wie vor gleichwertig waren.147 Overconfidence bezeichnet die menschliche Selbstüberschätzung, die mit zahlreichen Experimenten schon in den 70er Jahren nachgewiesen wurde. Hier kann man eine subjektive für sich selbst wohlwollende Urteilskraft feststellen. So überschätzen Probanden regelmäßig sowohl ihr eigenes Wissen, ihre Kontrollmöglichkeiten, ihre Fähigkeiten aber auch ihre Leistungen.148 Lichtenstein und Fischhoff fanden heraus, dass die Überschätzung abnimmt, je mehr Aufgaben richtig gelöst wurden. Je schwieriger die Aufgaben sind, desto größer ist die Overconfidence.149 Weinstein testete Studenten und stellte fest, dass diese in Bezug auf ihre Person positive Ergebnisse überschätzen und negative unterschätzen. Sie schätzten die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Anfangsgehalt mehr als 10.000 $ verdienen, 41,5 % höher als ihre Kommilitonen ein und die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarktes vor dem 40. Lebensjahr mit 38,4 % niedriger als die ihrer Kommilitonen.150 Der Overconfidence steigt mit dem Schwierigkeitsgrad der Aufgaben. Ihr unterliegen auch Experten, die meinen, besser informiert zu sein.151 Dies ist auch ein Problem wirtschaftswissenschaftlicher Beratung, was Hayek als Anmaßung von Wissen bezeichnet hat. Der Confirmation Bias verstärkt das Problem. Der Confirmation Bias beschreibt, dass Menschen Fakten so verarbeiten, dass sie ihre eigene Meinung bestätigen. Widersprechende Fakten werden nicht oder untergeordnet berücksichtigt.152 Hierzu zählen bspw.: 147Vgl.

Kühberger, Anton (1995), The framing of decisions: A new Look at old Problems, Organizational Behaviour and Human Decision Processes, Vol. 62, No. 2, May, S. 230–240 sowie Beck, H. (2014, S. 162). 148Vgl. Metcalfe, Janet (1998), Cognitive Optimism: Self-Deception or memory-based processing heuristic?, Personality and Social Psychology Review, Vol. 2, No. 2, S. 100–110. 149Vgl. Lichtenstein et al. (1982), Calibration of probabilities: The state of art to 1980, in: Daniel Kahneman; Paul Slovic; Amos Tversky (Eds.): Judgment under uncertainty: Heuristics and biases, Cambridge, England: Cambridge University Press, S. 306–334. file:///C:/Eigene%20Dateien2016/ Political%20Economy/Material/callibration_probabilities_lichtenstein_fischoff_philips.pdf. 150Vgl. Weinstein, Neil D. (1980), Unrealistic optimism about future life events, Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 39, S. 806–457. 151Vgl. Angner, E. (2006). Economists as experts: Overconfidence in theory and practice. Journal of Economic Methodology. Vol. 13. S. 1–24 und Russo, J. et al. (1992), Managing Overconfidence, Sloan Management Review, vol. 33, S. 7–17. 152Vgl. Wason, Peter C. (1960), On the Failure to Eliminate Hypothesis in a Conceptual Task, Quarterly Journal of Experimental Psychology 1960, S. 129–140; Nickerson, Raymond S. (1998), Confirmation bias: an ubiquitous phenomen in many guises, Review of general Psychology 1998,

64

3  Markt und Wettbewerb

• Pseudodiagnostizität: Menschen neigen dazu ihre eigenen Hypothesen zu bevorzugen und nicht objektiv kritisch gegen andere abzuwägen. Ärzte sollten sich bspw. nicht so früh mit ihrer Diagnose festlegen.153 • Belief Perservance: Um nicht die Meinung ändern zu müssen, wird an Hypothesen festgehalten, obwohl sie schon längst widerlegt sind.154 Hinzu kommt die Illusion of Control als Überschätzung des eigenen Einflusses auf Abläufe, wie bspw. das Werfen eines Würfels, um das Ergebnis zu beeinflussen oder die Auswahl eines Gewinnloses. Experimente zeigten, dass Probanden ihre Fähigkeiten beim Würfeln überschätzen, wenn sie am Anfang Glück gehabt haben155 und, dass sich Probanten die Lose teurer abkaufen lassen, wenn sie sei selber ausgesucht haben.156 So gibt es die Tendenz teurere Produkte als qualitativ hochwertiger einzuschätzen, obwohl die Korrelation sehr schwach ist. Und die Bereitschaft für ein Produkt einen höheren Preis zu zahlen steigt, wenn es einem Qualitätsprodukt äußerlich ähnelt. Menschen scheuen Veränderungen, wenn sie nicht einschätzen können, wie sie betroffen sind. Der Status quo wird gegenüber einer anderen Alternative bevorzugt (Status quo bias). Samuelson und Zeckhauser stellten bei Probandentests fest, dass die Anlageform bei Erbschaften mehrheitlich nicht geändert wird. Die Probanden behielten die Aktien, die sie geerbt hatten bzw. kauften bei Bargeld keine Aktien.157 Prinzipiell kann das Festhalten am bekannten Staus quo eine rationale und effiziente Heuristik sein. Boxall, Adamowicz und Moon stellten fest, dass der Status quo bias zunimmt je komplexer und aufwendiger die Entscheidungsfindung ist.158 Ein weiterer Erklärungsansatz ist die Regret Aversion. Eine bereits getroffene Entscheidung zu revidieren,

Vol. 2, No. 2, S. 175–220; Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung. 1 Aufl.; Wiesbaden: Springer, S. 62 ff. 153Vgl. Doherty, Michael E. et al. (1979), Pseudodiagnosticitiy, Acta Psychologica 1979, S. 111– 121. 154Vgl. Ross, Lee et al. (1975), Perseverance in Self Perception and Social Perception: Biased Attributional Processes in the Debriefing Paradigm, Journal of Personality and Social Psychology, 1975, S. 880–892. 155Vgl. Langer, Ellen J. und Roth, Jane (1975). 156Vgl. Langer, Ellen J. (1982), The illusion of control, in: Daniel Kahneman; Paul Slovic; Amos Tversky (eds.): Judgment under unceratinty: Heuristics and biasses, Cambridge University Press 1982, S. 231–238; Beck, H. (2014, S. 51 ff.). 157Vgl. Samuelson, William und Zeckhauser, Richard (1988), Status Quo Bias in Decision making, Journal of Risk and Uncertainty, 1, S. 7–59. 158Vgl. Boxall, Peter et al. (2009), Complexity in choice experiments: choice of the status quo alternative and implications for welfare measurement, The Australian Journal of Agricultural and Resource Economics, 53, S. 503–519.

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

65

bedeutet, zum einen, dass man sich eingestehen muss, einen Fehler gemacht zu haben. Dies erzeugt Bedauern und negative Emotionen.159 Der Status quo Bias wird durch den Omission Bias verstärkt.160 Menschen bewerten negative Resultate aus aktiven Handlungen höher als negative Resultate, die sich aus Nichthandeln, also Unterlassung ergeben. Kahneman und Tversky zeigten schon 1982, dass die Verluste aus einer Aktienanlage negativer eingeschätzt werden, wenn man sie durch aktiven Kauf als durch unterlassenen Verkauf entstanden sind.161 Und Ritov und Baron zeigten, dass Eltern auf eine Impfung verzichten auch wenn das Erkrankungsrisiko mit 5/10.000 geringer ist als das bei Nichtimpfung mit 10/10.000.162 Menschen neigen durch den Besitz von Gütern den Nutzen höher einzuschätzen als wenn sie sie nicht besitzen, was einen Verkauf erschweren kann. Man spricht von einem Endowment Effect (Besitztumseffekt).163 Der Effekt ist ausgeprägter bei langlebigen Gebrauchsgütern, die selten gekauft werden. Der Einsatz von Beratern (bspw. Immobilienmaklern) kann diesen Effekt verringern.164 Entscheidungen werden nicht immer logisch rational miteinander verknüpft bzw. ihre Ergebnisse untereinander verrechnet. Die Menschen bilden für Entscheidungssituationen in Gedanken Konten auf denen sie Verluste und Gewinne verrechnen (Mental Accounting).165 Experimente zeigen, dass sich der zukünftige Nutzen nicht kontinuierlich verringert. Dies nennt man Hyperbolisches Diskontieren. Thaler befragte Studenten nach dem Gegenwert den sie verlangen, um einen Zeitraum auf einen Betrag zu verzichten. Es zeigte sich, dass sie bei kurzen Zeiträumen einen sehr viel höheren Gegenwert verlangten als bei langen Zeiträumen: Bei 15 $ verlangten sie für einen Monat 20 $, für ein Jahr 50 $ und für zehn Jahre 100 $. Bei großen Beträgen verlangten sie anteilig weniger.

159Vgl.

Bell, David E. (1982), Regret in Decision Making Under Uncertainty, Operations Research, September/October 1982, 30, S. 961–981; Loomes, Graham et al. (1982, S. 805–824). 160Vgl. Ritov, Illana et al. (1992), Status-quo Bias and Omission-Bias, Journal of Risk and Uncertainty, 1992, 5, 49–61; Spranca, Marc et al. (1991), Omission and commission in judgment and choice, Journal of Experimental Social Psychology, S. 27 ff, 76–105. 161Vgl. Kahneman, Daniel und Tversky, Amos (1982), The psychology of preferences, Scientific American, 146, S. 160–173; Beck, H. (2014, S. 164 ff.). 162Vgl. Ritov, Illana et al. (1992), Status-quo Bias and Omission-Bias, Journal of Risk and Uncertainty, 1992, 5, 49–61; Beck, H. (2014, S. 169). 163Vgl. Kahneman, Daniel et al. (1991), Anomalies: The Endowment effect, Loss Aversion and Status Quo Bias, in: The Journal of Economic Perspectives, Vol.5, No. 1, S. 193–206. 164Vgl. Marshall, J.D. et al. (1986), Agents evaluations and the disparity in measures of economic loss, Journal of Economic Behavior and Organization, 7, S. 115–127; Beck, H. (2014, S. 171 ff.). 165Vgl. Kahneman, Daniel und Tversky, Amos (1984), Choices, Values and frames, American Pschologist, 39:4, S. 342–350.

66

3  Markt und Wettbewerb

Dies kann man als Warteaufwand interpretieren, der absolut kompensiert wird und relativ bei großen Beträgen weniger ins Gewicht fällt.166 Man kann auch erklären, dass sich Menschen viele gute Dinge langfristig vornehmen, sie dann aber nicht umsetzen, wenn die Zeit gekommen ist. Wir wollen z. B. abnehmen oder fürs Alter sparen, kommt es dann aber zum Zeitpunkt der Umsetzung werden wir wieder schwach und essen oder konsumieren. Um diese Schwäche zu überwinden entwickelte der Mensch Selbstbindungen. Beck nennt als Beispiel die sog. Christmas Clubs in den USA, in denen man Geld einzahlen konnte, das erst wieder kurz vor Weihnachten ausgezahlt wurde. Man konnte so gesehen vorher nicht der Versuchung erliegen, es vorher für andere Dinge auszugeben.167 Fazit Der Mensch ist ein soziales Wesen. Soziale Belohnungen wirken sich positiv im Gehirn aus (dorsal or ventral striatum).168 Der Entzug sozialer Integration, Anerkennung und Zuwendung erzeugt Schmerzen bis hin zu gesundheitlichen Schäden. Die Prospect Theorie ergänzt die bisherigen, auf rationalem Verhalten aufbauenden Verhaltensmodelle und kommt damit der Realität einen Schritt näher. Allerdings erhöht sich wie zu erwarten war dadurch die Komplexität der Modelle. Hierin lag ja gerade der ursprüngliche Grund für die vereinfachende Annahme des homo oeconomicus. Das Problem besteht allerdings in dem unterschiedlichen Risikoverhalten und irrationalem Verhalten von Menschen, weshalb sich keine eindeutige reproduzierbare Nutzenfunktion ergeben kann. Menschliches Verhalten bleibt nicht deterministisch. Warum sollten aber Märkte rational sein, wenn ihre menschlichen Teilnehmer es nicht sind?

3.1.9 Fazit und Zusammenfassung Es gibt viele Menschen, die selbstlos etwas Gutes tun und sich dadurch nicht schlechter, sondern besser fühlen. Hier haben wir also zunächst ein selbstloses Motiv, das dem Ansatz der Nutzenmaximierung oder dem Ansatz des Homo Oeconomicus widerspricht. Dass dies nicht unrealistisch ist, zeigt uns die Tatsache, dass es selbstlose oder sogar aufopfernde Hilfe gibt. Man denke beispielsweise an viele ehrenamtliche Tätige oder sogar an Mutter Teresa. Dieses Verhalten lässt sich durch einen allgemeineren Ansatz der Glücksmaximierung erklären, wie er beispielsweise auch dem Happiness-Ansatz

166Vgl. Thaler, Richard H. (1981), Some empirical evidence on dynamic inconsistency, Economic Letters, 8, S. 201–207. 167Vgl. Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung. 1 Aufl.; Wiesbaden: Springer, S. 214 ff., 234. 168Vgl. Fehr, E. und Camerer, C. F. (2007).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

67

von Bentham und Mill zugrunde liegt. Viele Menschen haben eine tendenziell gute, also ethische Gesinnung. In der Regel gewinnt man durch selbstlose Tätigkeit Ansehen in der Gesellschaft. Dies ist ein weiteres Motiv für ethisches Verhalten. Beide Motive sind gemäß dem Ansatz der Bedürfnispyramide von Maslow169 Verhaltensgrundlagen, die für die Menschen nach der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse relevant werden. Hinzu kommt das Bedürfnis dem Leben einen Sinn zu geben, der jenseits der Nutzenmaximierung liegt. Es gibt Menschen, die gerade ihren Nutzen oder Wert als Mensch darin sehen, wie nützlich sie anderen Menschen sind. Bei den bisherigen Verhaltensansätzen werden viel zu wenig intrinsische Motivationen berücksichtigt. Wir haben es hier mit einem aufgeklärten menschlichen Ethos zu tun. Menschen verhalten sich bewusst ethisch, weil sie die Sinnhaftigkeit eines solchen Verhaltens für die Gesellschaft nachvollziehen können oder mit anderen Menschen Mitleid haben. Auch dieses Motiv gewinnt in der Regel erst nach der Befriedigung der primären menschlichen Grundbedürfnisse an Bedeutung und kann nicht für jeden Menschen vorausgesetzt werden. Trotzdem darf ein solches Motiv bei Menschen nicht ausgeschlossen werden. Gerade unsere repräsentative Demokratie setzt aber ein altruistisches Verhalten von Menschen voraus, wenn sie Abgeordnete zur Vertretung der Interessen der Wähler vorsieht. Mit diesem erweiterten Ansatz lassen sich auch Altruismus, Hilfe für Dritte sowie Mitleid erklären. Die Gruppenorientierung des Menschen als Lebewesen und die Unterschiede der Menschen ermöglichen als Kombination einen arbeitsteiligen, zusammengehörenden komplexen Arbeitsprozess. Verbunden mit der Fortschrittlichkeit des menschlichen Gehirns ist dies ein Hauptgrund für die zivilisatorische Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Lebewesen. Der gesellschaftliche Mehrwert von Moral als Sozialkapital besteht in der Verringerung der Transaktions- und Kontrollkosten aller gesellschaftlichen Aktivitäten.170 Die beschriebene genetische Veranlagung zu kooperativem Verhalten reicht allerdings leider nicht aus. Schon Hobbes erkannte, dass sich kooperatives Verhalten für den Einzelnen lohnen und er darauf vertrauen können muss, ansonsten herrscht Anarchie. Luhmann sieht in Vertrauen ein Mittel, um die Komplexität sozialer Interaktionen zu reduzieren.171 Wie kann das gewährleistet werden? Nur, indem die Gesellschaft kooperatives Verhalten fördert, indem sie es belohnt und nicht-kooperatives Verhalten sanktioniert. Ohne Kontrollen und Sanktionen gibt es keine Gewähr für faires, also wirtschaftsethisches Verhalten.

169Vgl.

Maslow, A. H. (1943). Conrad, Christian A. (2010). 171Vgl. Luhmann, Niklas (2000). 170Vgl.

68

3  Markt und Wettbewerb

Abb. 3.1   Stabile Markträumung beim Gleichgewichtspreis

Bei p* gilt: Grenzzahlungsbereitschaft des Nachfragers = Preis in Geldeinheiten = Produktionsgrenzkosten

Vor diesem Hintergrund sind nicht ausreichend regulierte Finanzmärkte und Moral Hazards172 sehr gefährlich. Beispielsweise wurden in der Finanzkrise die amerikanischen Vermittler von Subprimekrediten nach Kreditvolumen bezahlt. Die Folge war, dass ihnen die Rückzahlbarkeit der Kredite egal war. Es wurden immer größere Kredite an immer schlechtere Kreditnehmer vermittelt. Boni nach kurzfristiger Aktienkurssteigerung führten beispielsweise bei den Unternehmen ENRON und Worldcom dazu, dass die Bilanzen manipuliert wurden, um durch höhere Gewinne Aktienkurssteigerungen herbeizuführen. Eine risikoadäquate, also ausgewogene Entlohnung gemäß dem Chancen- und Risikoprofil der jeweiligen Position ist wichtig, um Verzerrungen bei den Entscheidungsanreizen des Managers zu vermeiden, wie ebenfalls empirisch nachgewiesen werden konnte.173 Wenn sich alle Marktteilnehmer aufgrund falscher Verhaltensanreize zum Schaden des Systems verhalten, ist dies allein schon ausreichend, um eine Krise hervorzurufen. Die falschen Anreize in Form der kurzfristigen überzogenen Boni sind deshalb eine Hauptursache der Subprimekrise. Die Konsequenz war ein unmoralisches Verhalten der Manager zulasten der Unternehmen, Kunden und der Gesellschaft. Die Sichtweise der Welt beeinflusst auch das Verhalten der Menschen. Vorstellungen und Einstellungen, also auch moralische Werte müssen vorgelebt und anerzogen werden. Insofern kommt den Wirtschaftsakademien besondere Bedeutung zu. Mittlerweile gibt es Stimmen, die die Managementausbildung für die Unternehmenskrisen mitverantwortlich machen. So verweist Thomas Lindsay, der frühere Dekan der University of Dallas auf Studien, die schon vor Enron nachgewiesen haben, dass Führungskräfte selten aufgrund eines Mangels an Fachwissen wirtschaftlich oder moralisch versagen. Es fehle ihnen vielmehr an dem, was Aristoteles „Klugheit“ nennt, worunter er zwischenmenschliche Fähigkeiten und praktisches Wissen versteht. Nach Lindsays Meinung ist

172Bei den sog. Moral Hazards („sittliche Gefährdung“) handelt es sich um einen Anreiz für den Einzelnen sich gegen oder auf Kosten vieler, der Gesellschaft oder seinem Unternehmen zu verhalten. 173Vgl. Conrad, Christian A. (2015).

3.1  Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften

69

Abb. 3.2   Das Angebots- und Nachfragekreuz von Marshall

die amerikanische Managementausbildung übertrieben fachorientiert. Ferner gehen vor lauter Gewinnmaximierungsstreben die moralischen Fähigkeiten der Studenten fast unter. Laut Aristoteles beruht echte Führung aber auf der Fähigkeit, das Gute für die Gemeinschaft zu erkennen und ihr zu dienen. Um diese Fähigkeiten zu trainieren, so Lindsay, benötigt man aber viel mehr als eine fachliche Ausbildung wie beispielsweise die Unterweisung in Geschichte, Philosophie, Literatur, Theologie und Logik.174 Die moderne Wirtschaftswissenschaft hat sich von der Moral losgelöst und verfolgt mit der Gewinnmaximierung ein ausschließlich materielles Ziel, das durchaus unmoralisch sein kann. Dies entspricht auch generell den amoralischen Wissenschaften, insofern auch die Naturwissenschaften forschen, ohne die Forschung moralisch zu bewerten oder gar zu reglementieren. Maximieren die Haushalte ihren Nutzen und die Unternehmen ihre Gewinne, ist dieses Verhalten zugleich wirtschaftlich effizient und gilt deshalb auch als Orientierungsmaßstab in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung. Unternehmer verhalten sich immer gewinnmaximierend. Wer ein erfolgreicher Unternehmer werden will, soll sich demnach so verhalten. Haushalte verhalten sich nutzenmaximierend. Das ist die Welt, die die Wirtschaftswissenschaft den jungen Studenten in den westlichen Industrieländern vermittelt. Viele werden sagen, die Welt sei so, und die Menschen seien so, nutzenmaximierend rücksichtslos. Was aber, wenn die Menschen weder ausschließlich gut noch schlecht wären und man ihnen aber sagt, sie sollen sich schlecht verhalten? Dann würde die Welt schlechter sein als sie sein müsste. Verständnisfragen

1. Beschreiben Sie den Homo Oeconomicus? 2. Warum ist dieses Menschenbild als Vereinfachung sinnvoll, aber unzureichend, um den Menschen zu beschreiben? 3. Welche volkswirtschaftlichen Vorteile und Nachteile ergeben sich aus einem emotionalen Menschen?

174Vgl.

Bennis, Warren G. und O’Toole, James (2005, S. 95).

70

3  Markt und Wettbewerb

3.2 Grundvorstellungen des Marktes Mit Adam Smith (1723–1790) setzt sich auch im wirtschaftlichen Bereich ein die individuelle Freiheit und Verantwortlichkeit betonendes Weltbild durch, das dem einzelnen Menschen die Verfolgung seines Eigeninteresses zugesteht. Arbeitsteilung steigert die Produktivität, eine strenge Wettbewerbsordnung verhindert Monopolmacht. Dass sich das Eigeninteresse im Rahmen des Wettbewerbs in gesamtwirtschaftliches Interesse umsetzt (Invisible Hand), ist die verbindende Idee der klassischen Schule und des durch die Aufklärung beeinflussten Liberalismus. Die gesellschaftspolitischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen des Liberalismus sind: 1. Demokratie 2. Rechtsstaat 3. Marktwirtschaft In der sogenannten Freien Marktwirtschaft handeln selbstbestimmte, selbstverantwortliche, über Privateigentum verfügende Individuen im Eigeninteresse und verfolgen individuelle Ziele (Streben nach Glück). Jeder versucht, seine Wohlfahrt zu erhöhen. Sofern am Markt Wettbewerb vorliegt, gelingt dies nur durch eine überdurchschnittliche Leistung zu unterdurchschnittlichen Kosten. Möchte der Mensch sein Schicksal verbessern, muss er sich somit anstrengen und dem Markt eine Leistung zur Verfügung stellen, die dieser haben will. Somit wird der Eigennutz der Menschen über den Markt als Institution zu einer produktiven Kraft für die Gemeinschaft. Gemäß David Hume, Stinchcombe und Friedrich A. von Hayek gibt es auch einen kulturellen Entwicklungsprozess. Die Soziologie nennt dies den Prozess der natürlichen Selektion. Die ungeeigneten Verhaltensmuster und Regeln (Institutionen) werden mit den Gruppen, die sie ausgewählt haben, untergehen. Die kulturelle Entwicklung ist somit ein Trial-and-Error-Prozess mit ungewissem Ausgang. Rechtskonstruktionen (institutionelle Regelungen) wie das Privateigentum sowie Geld und Kredit, aber auch die Marktwirtschaft selbst, sind Entdeckungen, die den Gruppen, die sie eingeführt haben, Vorteile brachten. Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Organisation werden ausprobiert und bei wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlicher Akzeptanz übernommen oder anderenfalls wieder verworfen. Verhält sich eine Gesellschaft nicht so, riskiert sie mit der schlechteren Organisation im Wettbewerb mit den anderen Gesellschaften unterzugehen, womit sich ebenfalls ein kultureller Entwicklungsprozess erklären lässt.175 Beispielsweise könnte man argumentieren, dass sich mit dem

175Vgl. Wiswede, Günther (1985, S. 195); Hayek, Friedrich August von (1976, S. 39, 40 und 59, 1979, S. 154 ff., 167); sowie Noll, Bernd (2002, S. 29).

3.2  Grundvorstellungen des Marktes

71

Zusammenbruch der sozialistischen und kommunistischen Systeme die Eigentumsform Privateigentum durchgesetzt hat. Allerdings vollzieht sich der Prozess der natürlichen Selektion durch Auslese nur sehr langsam. Entscheidender ist die Selektion durch menschliches Denken und Lernen aus Erfahrungen (Trial and Error). Dies gilt gerade für die Gestaltung von Wirtschafts- und allgemein von Gesellschaftsordnungen. Gruppenarbeit Übertragung des wirtschaftlichen Denkens von Adam Smith in unsere Zeit • Wer vertritt von den deutschen Parteien am ehesten die Position des Liberalismus? Lösung Die FDP macht sich stark für die gesellschaftspolitischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen (Basis) des Liberalismus. Das Primat der Freiheit, der Selbstbestimmung und der Eigenverantwortung wird im Parteiprogramm betont.176 • Was verstehen Sie unter Demokratie und Rechtsstaat? Lösung In der Demokratie herrscht Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit. Die Politik wird maßgeblich durch das Volk (Demos) bestimmt. Sei es direkt über Abstimmungen oder in der repräsentativen Demokratie durch gewählte Volksvertreter. Der Rechtsstaat benötigt ein Recht, also Gesetze, denen sich alle unterordnen, also auch der Staat. Die Bürger müssen vor Übergriffen des Staates durch ein Verfassungsorgan geschützt werden, bei uns das Bundesverfassungsgericht. Die Richter müssen unabhängig und unbestechlich sein. Darüber hinaus muss Gewaltenteilung vorliegen, also von sich unabhängige Judikative, Legislative und Exekutive. In Deutschland ist die Gewaltenteilung durch die Ernennung bzw. Beförderung der Richter durch das Justizministerium leicht eingeschränkt. • Gibt es Länder, in denen alle drei Kriterien existieren und Länder, in denen dies nicht der Fall ist? Nennen Sie Beispiele. Wir halten also als die Grundvorstellungen der Freien Marktwirtschaft Folgendes fest:  Definition  Unter freier Marktwirtschaft verstehen wir, wenn selbstbestimmte, selbstverantwortliche, über Privateigentum verfügende Individuen im Eigeninteresse handeln und individuelle Ziele (Streben nach Glück) verfolgen sowie ihre Entscheidungen anonym und machtfrei über Märkte, auf denen Vertragsfreiheit herrscht, koordinieren.

176Vgl.

pdf.

https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2016/01/28/brgerprogramma5online2013-07–23.

72

3  Markt und Wettbewerb

Im Allgemeinen wird das Polypol als vollkommener Markt angeführt. Hier gelten spezielle Bedingungen. Annahmen des Polypols als vollkommener Markt 1. Homogenes Gut 2. Vollkommene Information 3. Preise passen sich unendlich schnell an 4. Anbieter und Nachfrager sind nicht in der Lage, den Preis zu beeinflussen (Preisnehmer). ⇒ Dann wird das Angebot der Unternehmen so lange ausgeweitet, bis der Preis den Grenzkosten entspricht. Der Markt koordiniert die Pläne von Angebot und Nachfrage. Das Steuerungsinstrument ist der Preis. Er signalisiert Knappheiten als Gewinnpotenziale und Überproduktion als Verlustpotenzial (Informationsfunktion) und ermöglicht so den Unternehmen, das gewünschte Angebot zur Verfügung zu stellen. Die Gleichgewichtspreise spiegeln als Grenzkostenpreise die Effizienz von Markt und Wettbewerb wider. Sie führen zu dem maximalen sozialen Überschuss in Form der Produzenten- und Konsumentenrente als gesellschaftlichen Nutzen. Der Marktmechanismus erzeugt bei Vorliegen von Wettbewerb Gleichgewichtspreise und -mengen, die Pareto- und produktionseffizient sind, weil beim Gleichgewichtspreis im Polypol der Grenznutzen gleich den Grenzkosten ist. Günstiger bzw. effizienter kann nicht produziert werden (vgl. Abb. 2.7). Alle Wirtschaftssubjekte haben getauscht und einen Pareto-effizienten Zustand erreicht. Die Haushalte haben entweder untereinander ihre Produkte mittels Geld getauscht oder die Produkte von Unternehmen gekauft und sind damit im Nutzenmaximum. Die Unternehmen sind im Gewinnmaximum. Der Gewinn stellt aber wiederum für den Unternehmenseigentümer ein Nutzenmaximum dar. Ist der Preis zu hoch, gibt es ein Überangebot. Der Wettbewerb der Unternehmen um die Kunden führt dazu, dass der Preis sinkt, bis er gerade noch die zusätzlichen Kosten pro Produkt abdeckt; gleichzeitig steigt auch die Konsumentenrente. Beim Gleichgewichtspreis gilt, dass der Preis gleich den Grenzkosten des zuletzt anbietenden Unternehmens ist. Würde das Unternehmen billiger verkaufen, würde es Verlust machen. Für den Haushalt gilt das Gleiche. Ist der Preis zu niedrig, bekommen nicht alle Nachfrager ein Produkt. Der Grenznutzen der Nachfrager ist aber höher, sodass sie versuchen, durch ein höheres Preisangebot in den Genuss der Ware zu kommen. Sie steigern so lange den Preis hoch, bis er gleich ihrem Grenznutzen ist. Würde er weitere Produkte kaufen, wäre der Nutzenentgang aus dem Preis für das Gut höher als der Nutzenzugewinn durch den Kauf. Mit dem Geld für den Kauf hätte der Haushalt ein Gut mit einem höheren Nutzen kaufen können. Durch das Überbieten steigt der Preis und damit auch die Produzentenrente (vgl. Abb. 3.1). Konsumentenrente und Produzentenrente werden so maximiert. Die Pläne von Anbietern und Nachfragern werden durch p in Übereinstimmung gebracht, p ist auch Signal für die neuen Pläne (vgl. Abb. 3.2).

3.3 Wettbewerbsfunktionen

73

Bei p* gilt: Grenzzahlungsbereitschaft des Nachfragers = Preis in Geldeinheiten =  Produktionsgrenzkosten

3.3 Wettbewerbsfunktionen Der Markt liefert mit den Preissignalen und dem Marktmechanismus die Basis für die elementaren Wettbewerbsfunktionen. Preise signalisieren Knappheiten, Kosten, Gewinnpotenziale und Nutzen. Ohne Wettbewerb liefert der Markt allerdings keine allokationseffizienten Ergebnisse. Der Wettbewerb erfüllt hier gesellschaftlich gewünschte Funktionen, die die Wohlfahrt erhöhen. Markt und Wettbewerb bilden zusammen die „Invisible hand“ von Adam Smith.  Definition  Von Wettbewerb sprechen wir, wenn mindestens zwei Marktteilnehmer auf einer Marktseite (Nachfrage- oder Angebotsseite) um einen Geschäftsabschluss konkurrieren.

3.3.1 Statische Wettbewerbsfunktionen Statische Wettbewerbsfunktionen wirken kurzfristig, dynamische Wettbewerbsfunktionen langfristig. Wenn man eine grobe Vorstellung von der Länge dieses kurzfristigen Zeitraums bekommen möchte, könnte man sich vielleicht einem Zeitraum von bis zu 2 Jahren vorstellen. 1. Steuerungsfunktion Der Wettbewerb zwingt die Unternehmen, auf dem Markt ein Angebot entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten bereitzustellen (Konsumentensouveränität). Ein Anbieter, der sich nicht an den Wünschen des Kunden orientiert, wird nichts verkaufen, also keinen Erfolg am Markt haben. 2. Verteilungsfunktion Wettbewerb führt zu einer marktgerechten, das heißt i. d. R. leistungsgerechte Entlohnung. Der Markt, genauer die Menschen als Marktteilnehmer belohnen die Leistung gemäß ihrer Zahlungsbereitschaft und den Wettbewerbsbedingungen. Ist die Entlohnung gerecht und was bedeutet überhaupt leistungsgerecht? Sind die Marktergebnisse gerecht? Die vollkommende Tugend ist für Aristoteles die Gerechtigkeit, die als Maßstab für die Wirtschaft dient. Unter Verteilungsgerechtigkeit versteht er keine Bedürfnisgerechtigkeit, wie der Sozialismus, sondern Gleichem soll Gleiches und Ungleichem Ungleiches gegeben werden. Demnach muss es nach

74

3  Markt und Wettbewerb

Aristoteles auch die ausgleichende Gerechtigkeit geben, die unrechtmäßige, beispielsweise aus Betrügereien stammende Verteilungsergebnisse wieder ausgleicht. Gerechtigkeit ist das grundlegende normative Prinzip des menschlichen Zusammenlebens (Sozialprinzip). Die Tauschgerechtigkeit wird oft bei Markttransaktionen angenommen, wenn sie freiwillig stattfanden. Es wird angenommen, dass beide Parteien nur zustimmen, wenn die getauschten Leistungen für beide vorteilig sind. Wenn beide sich beim Tausch verbessern, wird die Wohlfahrt aller verbessert (Pareto-Effizienz bzw. gesamtwirtschaftliches Optimum). Berücksichtigt werden muss jedoch, ob es Abhängigkeiten oder Machtpositionen gab. Rawls spricht in diesem Zusammenhang von Verfahrensgerechtigkeit. Die wirtschaftlichen Verfahren sollen zu gerechten Verteilungsergebnissen führen.177 Die Bedürfnisgerechtigkeit ist ein Gegensatz zur Tauschgerechtigkeit, weil hier ein Anspruch als gerecht angesehen wird, der nicht auf einer Leistung, sondern auf einem Bedarf oder einer Not beruht. Leistungsgerechtigkeit: Entlohnung gemäß der nicht über den Markt bewerteten Leistung (auch Marktgerechtigkeit genannt). Z. B. entlohnt der Markt Knappheit. Zugrunde wird hier die Produktivität gelegt. Welche Wertschöpfung erbringt der Mitarbeiter oder das Unternehmen. Hier kommt es nicht auf die Anstrengung an, sondern auf das Ergebnis und die Bewertung durch den Markt. Die Belohnung erfolgt gemäß der Wettbewerbsbedingungen und der Präferenzen der Menschen am Markt. Deutlich wird dies bei Mode- und Kunstgegenständen. Hier kann die Leistung vollkommen unerheblich sein, wenn alle die Güter besitzen wollen. Ein Maler oder ein Modeschöpfer ist „in“. Letztlich wird Gerechtigkeit als sehr subjektiv empfunden. Gerade im Hinblick auf Gleichheit wurde bspw. gleicher Lohn für gleiche Arbeit wie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung gefordert. Objektiv war jedoch die ostdeutsche Arbeit weniger produktiv als die westdeutsche. Der bekannte Gleichheitsgrundsatz von Aristoteles lautet deshalb: „Gleiches soll gleich behandelt werden und Ungleiches ungleich.“ Bspw. stellt Wettbewerb an den Märkten als Verfahren nur dann ein gerechtes Ergebnis sicher, wenn er nicht bspw. durch Monopole, Kartellabsprachen oder ähnliches beschränkt oder durch Korruption ausgeschaltet wird. Das Gleiche gilt für die Fälle, die im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geregelt sind, wie bspw. die Irreführung der Käufer über die Produkteigenschaften, Ausnutzen von Unerfahrenheit etc., also im weiteren Sinn Betrug. Wenn bspw. der Arbeitnehmer, um sein Überleben zu sichern vom Arbeitgeber abhängig ist, ist nicht davon auszugehen, dass der „freiwillig“ akzeptierte Lohn gerecht ist, weil er der Leistung des Arbeitnehmers entspricht.

177Vgl.

Rawls, John (1999, S. 73 ff., 240).

3.3 Wettbewerbsfunktionen

75

3. Anreizfunktion Die Entlohnung (der Gewinn) bei Erfolg im Wettbewerb ist die Motivation, Leistung zu erbringen, was wiederum die Grundvoraussetzung für Produktivität darstellt. Hier kommt der Gedanke von Adam Smith durch, dass die Menschen Leistung für den Markt bei Wettbewerb erbringen, um ihr eigenes Leben, ihr Wohl, zu verbessern. 4. Sanktionsfunktion Wettbewerb gewährleistet, dass sich nur diejenigen Unternehmen am Markt halten können, die ihre Ressourcen effizient einsetzen (produktive Effizienz) und die sich an den Marktvorgaben orientieren. Der Unternehmer, der nicht das produziert, was der Markt, also die Konsumenten haben wollen oder der nicht effizient seine Ressourcen bei der Produktion einsetzt wird sanktioniert. Hier liegt die Betonung auf der Sanktion durch Verluste als Einkommenseinbußen oder sogar durch das Ausscheiden aus dem Markt, was die Existenzgrundlage und das Vermögen des Unternehmens darstellt. Hier greift die Haftung für das Fehlverhalten im Markt am stärksten. Anreiz- und Sanktionsfunktion sind die beiden Seiten des Wettbewerbs: Belohnung bei Marktorientierung und Bestrafung bei längerfristiger Missachtung. Ein Monopolist kann sich all dem entziehen. Wenn er den Gewinn erhöhen will, muss er nur in Abhängigkeit von der Preiselastizität der Nachfrage die Preise erhöhen. 5. Allokationsfunktion In einem nationalen Wirtschaftssystem gewährleistet das Gewinnmaximierungsstreben, dass die preisgünstigsten Vorprodukte bei der Produktion eingesetzt werden und die ressourcenschonendste Produktion sichergestellt wird (1. Allokationsfunktion). Darüber hinaus kann das kostengünstigste Unternehmen am meisten Nachfrage und damit auch Produktion auf sich konzentrieren, weil es über den größten Preissenkungsspielraum verfügt (2. Allokationsfunktion). Wettbewerb bewirkt folglich niedrige Preise bei einer hohen Qualität der Leistung; dies gilt für Konsumgüter sowie für Vorprodukte. Damit erhöht sich im ersten Fall die Konsumentenrente und bei den Vorprodukten die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes und dadurch indirekt auch die Beschäftigung. 6. Freiheitsfunktion Nicht zu vernachlässigen ist der große individuelle Entfaltungsspielraum, den Wettbewerb den am Wirtschaftsprozess Beteiligten ermöglicht. So haben die Unternehmen die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Disposition ihrer Entscheidungsparameter, die Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich einen Arbeitsplatz auszusuchen und die Verbraucher die Freiheit, zwischen vielen unterschiedlichen Angeboten wählen zu können. Wie in Abschn. 3.1 hergeleitet wurde, ist Freiheit für Menschen ein Wert an sich. Verhaltensexperimente zeigten, dass Menschen ein Bedürfnis zur Selbstbestimmung

76

3  Markt und Wettbewerb

haben. Sie möchten die Freiheit haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und reagieren auf Einschränkungen dieser Freiheit mit Widerstand (sog. Reaktanz). 7. Kontrollfunktion Wettbewerb als Konkurrenz vieler um die Nachfrager oder Anbieter gewährleistet automatisch eine Begrenzung der wirtschaftlichen Macht. Marktbeherrschende Stellungen können bei Wettbewerb nicht existieren und damit auch keine Macht über Marktteilnehmer entfalten. Bspw. zwang der Chefeinkäufer von Opel, Lopez, seine Zulieferer, jedes Jahr das Vorprodukt günstiger zu liefern. Die Zulieferer konnten sich dieser Forderung nicht entziehen, weil sie den überwiegenden Teil ihres Umsatzes an Opel lieferten. Einige mussten Konkurs anmelden, andere konnten die Preisvorgaben einhalten, aber mussten an der Qualität sparen. Die Konsequenz war, dass Opel immer mehr mit Qualitätsproblemen zu kämpfen hatte und deshalb langfristig Marktanteile verlor. Opel hatte zuvor nicht den Ruf gehabt, Luxusautos herzustellen, aber zuverlässige Autos mit einem ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnis.178 Eine weitere Folge war, dass aufgrund des Ausscheidens von Zulieferern, sich deren Wettbewerbsposition gegenüber Opel wieder verbesserte. Die Banken wurden zurückhaltender im Hinblick auf die Finanzierung von Automobilzulieferern, weshalb die OEMs teilweise gezwungen waren, ihre Zulieferer bei den Bankfinanzierungen zu unterstützen.

3.3.2 Dynamische Wettbewerbsfunktionen Dynamische Wettbewerbsfunktionen wirken hingegen langfristig über einen Zeitraum, der 2 Jahre (grobe Orientierungsgröße) überschreitet. 1. Anpassungsfunktion Richten die Unternehmen nicht fortlaufend ihre Produktion an den Marktanforderungen aus, also entsprechend der sich ändernden Nachfragestrukturen, der optimalen internationalen Arbeitsteilung oder anderen äußeren Einflüssen aus, werden sie durch den Markt sanktioniert. Zum Beispiel werden arbeitsintensive Produkte wie Textilien oder Spielzeug heute in Osteuropa oder Asien hergestellt. Grund sind die dort niedrigeren Lohnkosten sowie die in den letzten Jahrzehnten stark gesunkenen Transportkosten. Deutsche Unternehmen, die ihre Produktion nicht in diese Länder verlagerten, verloren ihre Marktposition und damit auch den Umsatz dieser Produkte.

178Vgl. Süddeutsche.de vom 17.12.2010. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/opel-lopez-unddieboesen-folgen-1.810821.

3.3 Wettbewerbsfunktionen

77

2. Innovationsfunktion Dynamischer Wettbewerb stellt sich nach Friedrich August von Hayek179 als ein Suchund Entdeckungsverfahren dar. Hayek charakterisiert Wettbewerb als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen (Prozess- oder Produktinnovationen), die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder zumindest nicht genutzt werden würden. Sie ermöglichen Pioniergewinne und ein Bestehen im Wettbewerb. Die erfolgreiche Innovation des Pionierunternehmers verschafft ihm auf dem Markt einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den Unternehmern, die ihre alte Produktionsstruktur beibehalten haben. Für Hayek ist Wettbewerb vor allem evolutorisch. Irgendwann waren alle Produkte (Produktinnovation) und Produktionsverfahren (Prozessinnovation) mal eine Innovation. Z. B. wurde das iPhone von Apple als Produktinnovation auf dem Marktgebracht. Es handelte sich hierbei um die Kombination von bekannten Techniken zu einem neuen Produkt. Herkömmliche Handys wie die von Nokia hatten nicht die iPhone-Funktionen. Apple war Pionier und bekam die Monopolgewinne als Entlohnung des Marktes für die Innovation. Schließlich wurden die iPhones von SAMSUNG imitiert, womit die Preise fielen. Hier setzt die Imitationsfunktion als Wettbewerbsfunktion an. 3. Imitationsfunktion Nach Joseph Schumpeter stellt sich Wettbewerb als ein Prozess der Innovation und der anschließenden Imitation dar.180 Aus dem Wettbewerbsvorsprung des Pionierunternehmens resultiert ein überdurchschnittlicher Gewinn, der dann andere Unternehmer zur Nachahmung der Innovation anreizt oder schließlich dazu zwingt, wenn sie nicht aus dem Markt verdrängt werden wollen. Die Preise der Produkte sinken, die Monopolgewinne aus der Innovation werden erodiert, was gut für den Konsumenten ist. Der Technische Fortschritt wurde durchgesetzt. Bspw. imitierte Nokia nicht schnell genug die iPhone-Innovation von Apple und stellte nicht rechtzeitig die Produktion von Handys auf Smartphones und verpasste deshalb nicht nur den Smartphoneboom, sondern verlor seine Marktanteile im Mobilfunkbereich, weil die Kunden anstatt Handys Smartphones kauften. Der Umsatz brach ein, Nokia rutschte in die Verlustzone und wurde schließlich von Microsoft übernommen. Zusammenfassung

Markt und Wettbewerb liefern zusammen ein allokationseffizientes Ergebnis. Während der Markt die Informationen zur Verfügung stellt, sorgen die Wettbewerbsfunktionen für eine optimale Einbindung der Marktakteure. Wettbewerb stellt sich auf den ersten Blick als Nullsummenspiel dar: eine Person kann Ihren Zielerreichungsgrad nur

179Hayek,

Friedrich August von (1969). Joseph Alois (1911).

180Schumpeter,

78

3  Markt und Wettbewerb

erhöhen, wenn sich gleichzeitig der Zielerreichungsgrad mindestens einer anderen Person verringert. Es ist beim Sport. Jeder kämpft darum, vor den anderen Wettbewerbern ins Ziel zu kommen. Der Gewinner bekommt den Preis und vielleicht noch der Zweit- und Drittplatzierte. Wie gezeigt wurde, profitiert vor allem die Gesellschaft vom Wettbewerb der Unternehmen. Nichtsdestotrotz spornt Wettbewerb den Einzelnen zur Leistung an und belohnt ihn hierfür auch, sodass sich Wettbewerb auch für den Einzelnen lohnt. Es gibt aber auch die Verlierer. Hier obliegt es der Gesellschaft, die Verlierer aus den Wohlfahrtsgewinnen des Wettbewerbs zumindest existenziell abzusichern. Dies wird später noch im Kapitel zur sozialen Marktwirtschaft gezeigt. ◄ Übungsaufgaben 1. Was versteht man unter der Sanktionsfunktion? 2. Beschreiben Sie die Allokationsfunktion. 3. Wofür sind die drei dynamischen Wettbewerbsfunktionen wichtig? Erklären Sie kurz die Funktionsweise. 4. Ordnen Sie die unten aufgeführten Beispiele den jeweiligen Wettbewerbsfunktionen zu. Zu den Beispielen können mehrere Wettbewerbsfunktionen passen. – Die Erfindung der Fließband- und Serienproduktion bei der Automobilproduktion durch Henry Ford Anfang dieses Jahrhunderts (Ford T Modell) senkte die Produktionskosten und ermöglichte Ford sogenannte Pioniergewinne. Er war der erste, der die Prozessinnovation nutze, weshalb er die Konkurrenz unterbieten konnte. Die Konkurrenten waren ebenfalls gezwungen, die Serienproduktion einzuführen. Ford konnte durch die dann vorhandene Konkurrenz seine Pioniergewinne nicht mehr halten und musste die Preise zugunsten der Nachfrager senken. Breite Schichten konnten sich nun ein Auto leisten. – Ein Unternehmer produziert 2 Mio. rosarote Gummistiefel für den deutschen Markt. Aber niemand will sie haben. – Die Konsumenten müssen die rosaroten Stiefel nicht kaufen, der Produzent kann sie aber anbieten, wenn er will. Die Menschen sind in ihren Entscheidungen frei, müssen aber die Konsequenzen tragen. – Wettbewerb ermöglicht Unabhängigkeit für Angebot und Nachfrage. Gibt es mehrere konkurrierende Textilproduzenten, können sich die Textilarbeiter woanders bewerben, wenn sie schlecht behandelt werden. – Der Textilproduzent kauft sein Garn bei seinem Bruder in Deutschland. Der Markt für Textilprodukte wird dem ausländischen Wettbewerb geöffnet. Dort liegt der Garnpreis rd. 20 % unter dem deutschen Preis. Aufgrund des Wettbewerbs wird der Textilproduzent gezwungen, das günstigere Garn aus dem Ausland zu beziehen. – Der Textilproduzent, der die rosaroten Gummistiefel nicht absetzen kann, macht mit dieser Produktion Verlust und muss aus dem Markt ausscheiden. – Stahl war bis in die siebziger Jahre das bedeutendste Vorprodukt. Darüber hinaus gab es nach dem zweiten Weltkrieg eine Übernachfrage nach Stahl, um die europäische Industrie wieder aufzubauen. Der Marktpreis zeigte dies durch einen

3.4  Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft

79

hohen Gewinnaufschlag auf die Herstellungskosten, weshalb viele Unternehmen in den Ausbau ihrer Stahlkapazitäten investierten. Es kam dann in den siebziger Jahren zu einer massiven Überproduktionskrise, der Preis für Stahl fiel drastisch. Viele Stahlarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz, einige Unternehmen mussten schließen oder fusionieren. Bei diesem Anpassungsprozess wurden die Kapazitäten wieder an die Nachfrage angepasst. – Es gelingt dem Textilproduzenten mit einer computergesteuerten Stoffstanzmaschine die Hemden mit weniger Stoff als seine Konkurrenten und damit 20 % günstiger herzustellen. In der Folge unterbietet er seine Konkurrenten um 10 %. Er wird mehr Hemden günstiger absetzen können. – Unserem Unternehmen gelingt es, im Rahmen einer geschickten Werbekampagne die rosaroten Gummistiefel zu einem Lifestyleprodukt zu machen und damit eine Nachfrage zu erzeugen, die das Angebot weit übersteigt. Er könnte somit die ganze Produktion weit über Herstellungskosten verkaufen. – Ein dynamischer junger Unternehmer verkauft sein Haus, um seine Idee von einer Personalvermittlung im Internet aufzubauen. Er arbeitet sprichwörtlich Tag und Nacht und ist sehr erfolgreich und kann sich nach drei Jahren ein neues, doppelt so großes Haus kaufen. – Ein Manager übernimmt von seinem Chef seine marode Firma (­ManagementBuy-In). Er arbeitet Tag und Nacht und schafft den Turnaround.

3.4 Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft Wie schon dargestellt, gelten heute in den westlichen Industrieländern die gesellschaftspolitischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen des Liberalismus: • Demokratie • Rechtsstaat • Marktwirtschaft Sie entsprechen den Grundvorstellungen der Freien Marktwirtschaft, in der selbstbestimmte, selbstverantwortliche, über Privateigentum verfügende Individuen im Eigeninteresse handeln und individuelle Ziele (Streben nach Glück) verfolgen. Sie koordinieren ihre Entscheidungen anonym und machtfrei über Märkte, auf denen Vertragsfreiheit herrscht. War das schon immer so? Wie sahen denn Wirtschaft und Gesellschaft vor ein paar hundert Jahren aus? Im Mittelalter gab es als wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisationsform den Feudalismus. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisationsformen bedingten sich schon damals gegenseitig, wobei die t­echnisch-wirtschaftlichen Entwicklungen die gesellschaftlichen vorgaben. Zumindest konnten die Gesellschaften,

80

3  Markt und Wettbewerb

die sich an die neuen technisch-wirtschaftlichen Entwicklungen anpassten, am besten den technischen Fortschritt und die damit verbundenen Produktivitätsvorteile umsetzen. Im Feudalismus war die Gesellschaft entsprechend der wirtschaftlichen Struktur hierarchisch zentral organisiert. Die Wirtschaft wurde vor allem durch den Agrarsektor bestimmt. Für die Landwirtschaft waren einfache Tätigkeiten erforderlich. Die Arbeitsteilung war gering. Es gab auch wenig zu produzierende Produkte. Die einfachen, auf dem Land zu verrichtenden Tätigkeiten waren leicht zu kontrollieren. Ob ein Knecht das Feld gepflügt hatte, war weithin sichtbar. Die Macht war zentral in den Händen des Adels und der Kirche. Der Fürst garantierte die innere Ordnung und die äußere Sicherheit. Es gab keine Gewaltenteilung. Legislative und Exekutive waren in einer Hand. Das Individuum musste sich unterordnen, sich fügen. Es gab keine politische Mitwirkung. Auf dem Dorf war der Mensch dem Fürsten bedingungslos ausgeliefert. Dem Fürsten gehörte das Land, das der Bauer bestellte. Der Bauer war also wirtschaftlich abhängig. Auch die ganze weltliche Macht lag beim Fürsten. Er war zugleich Legislative und Exekutive. Zu den harten fürstlichen weltlichen Regeln kamen die strengen moralischen Regeln der Kirche hinzu. Die Strafe bei Regelverstößen reichte bis zum Fegefeuer im Jenseits. Das Leben der damaligen Menschen war eng. Es gab kaum individuellen Freiraum. Dass diese gesellschaftlichen Strukturen durch die wirtschaftlichen bedingt waren, zeigt das damalige Sprichwort „Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag“.181 In den sogenannten freien Städten konnte man immerhin als selbstständiger Handwerker oder Kaufmann sein Arbeitsleben bis zu einem gewissen Maß selbst gestalten. Dieses Maß wurde durch die Zünfte, die Selbstverwaltung der Städte vorgegeben. Die Zünfte verkörperten damals die Wirtschaftsordnung. Innerhalb dieses Rahmens konnte sich das Individuum frei bewegen, in den Zünften mitwirken und je nach Vermögen sogar die Politik der Stadt zum Beispiel im Stadtrat mitbestimmen. Die Städte bildeten sich mit der Entwicklung des differenzierten Handwerks und dem Aufblühen des Handels heraus. Später kamen dann noch die Manufakturen und mit ihnen neuer wirtschaftlicher Wohlstand und die damit verbundene Macht hinzu. Der dadurch erzielbare Wohlstand verschaffte Macht. Das neu entstandene Bürgertum forderte mit der wirtschaftlichen Macht immer wieder die Machtverteilung des Feudalismus heraus und entmachtete schließlich den Adel.182 Die technologische Entwicklung bestimmte die Wirtschaft. Und die Wirtschaft bestimmte die Gesellschaft. Und die Wirtschaft entwickelte sich weiter. Mit dem technischen Forstschritt wurden die Menschen bei den einfachen Tätigkeiten immer mehr durch Maschinen ersetzt. Die Menschen wurden zum Planen, Bauen und Betreiben der Maschinen gebraucht. Immer weniger Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft. Die durch den Technischen Fort-

181Vgl. 182Vgl.

Mitteis, Heinrich (1976); sowie Hühns, Erik und Hühns, Ingeborg (1963, S. 123 f.). Schäfer, Michael (2009).

3.4  Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft

81

schritt eingesparte Arbeitskraft konnte entweder zur Produktion neuer Produkte eingesetzt werden, was den allgemeinen Lebensstandard erhöhte, oder als Freizeit genutzt werden konnte. Die dadurch frei gewordene Zeit erlaubte es der breiten Bevölkerung, sich eine Allgemeinbildung anzueignen. Mit der Verlagerung der volkswirtschaftlichen Produktion von der Landwirtschaft hin zur industriellen Fertigung immer neuer Güter gewannen auch die Spielregeln der Marktwirtschaft immer größere Bedeutung. War zuvor in der Landwirtschaft noch eine zentrale Top-down-Planung, Umsetzung und Kontrolle möglich, galt es nun immer komplexere Produktionen von immer mehr Gütern zu koordinieren. Dies war nur dezentral über den Preismechanismus des Marktes möglich. Immer mehr Märkte für immer mehr Produkte und Vorprodukte entstanden. Die Struktur der Produkte und damit auch ihre Produktionsprozesse wurden immer komplexer, und die Vielfalt der Produkte nahm zu. Damit stiegen auch die Arbeitsteilung und die Spezialisierung. Die Tendenz zu immer vielschichtigeren, komplexeren Strukturen erforderte auch in einem immer stärkeren Maß dezentrales eigenverantwortliches Handeln der Menschen, also ein immer größeres Maß an Freiheit. Die starke Einbindung des Individuums in die Dorfgemeinschaft und Großfamilie sowie die Unterordnung unter Fürsten und Kirchengewalt wich mit der Zeit immer mehr der Freiheit des Einzelnen. Nach der industriellen Revolution trat der Dienstleistungssektor in den Vordergrund und schließlich kam das Computerzeitalter, das wieder andere Anforderungen an den Menschen im Wirtschaftsprozess mit sich brachte. Die Tendenz ging weg von physischen zu geistigen Tätigkeiten. Gab es vor dem Computerzeitalter immer noch viele einfache Tätigkeiten in der Industrie, verdrängten nun Fertigungsroboter die einfachen Fließbandarbeitsplätze. Die Maschinen wurden überwiegend von rechnenden Maschinen, den Computern, kontrolliert. Mit der fortschreitenden Industrialisierung bekam nicht nur die Marktwirtschaft, sondern auch das Individuum einen ganz anderen Stellenwert. Die einfachen, durch Vorgesetzte, also Hierarchien, kontrollierbaren Tätigkeiten wurden immer weniger, dagegen Eigeninitiative und Eigenverantwortung immer wichtiger. Das Computerzeitalter verschärfte noch diesen Trend. Die Unternehmen mussten deshalb ihren Mitarbeitern immer mehr Freiraum und Eigenverantwortung überlassen. Die strenge hierarchische Kontrolle durch Beobachtung der Mitarbeiter war immer weniger geeignet, um optimale Fertigungsprozesse zu gewährleisten. Stattdessen gingen die Unternehmen immer mehr dazu über, Zielvorgaben und variable Entlohnung einzuführen. Der technische Fortschritt bestimmte die wirtschaftliche und letztlich auch die politische Entwicklung. Damit ein Wirtschaftssystem der Markt- und Wettbewerbsfreiheit mit dem heutigen technischen Niveau funktionieren kann, muss der Einzelne, das Individuum, frei sein. Ein System, das die wirtschaftliche Freiheit von der politischen trennen will, wird langfristig nicht überleben. Die Geschichte hat dies gezeigt. Langfristig hat sich die wirtschaftliche Macht immer auch die politische angeeignet. Letztlich entscheidet die wirtschaftliche Macht über die Möglichkeiten, sich politisch durchzusetzen. Dies gilt auch für Staaten. Wirtschaftlich aufstrebende Länder haben über kurz oder lang

82

3  Markt und Wettbewerb

immer auch die außenpolitische Macht eingefordert. Man vergleiche beispielsweise die außenpolitische Bedeutung der USA von heute mit der von vor 200 Jahren. Die dezentrale wirtschaftliche Aktivität der Marktwirtschaft ist hingegen gleichbedeutend mit einem hohen Maß an individueller Freiheit, weshalb sich Demokratie und Marktwirtschaft gegenseitig bedingen, da die Demokratie die maximal mögliche politische Einflussnahme der Individuen als politische Freiheit verspricht. Damit ein modernes markwirtschaftliches System funktioniert, muss der Einzelne frei sein. Die technische Entwicklung gibt die wirtschaftliche Struktur vor und die wirtschaftliche Struktur die gesellschaftliche. Die wirtschaftlichen Entwicklungsstufen und das politische System bedingen sich gegenseitig, wenn sich die Stärken des jeweiligen Wirtschaftssystems entfalten sollen. Der Agrarstaat bedarf keiner selbstständigen Entfaltung seiner Individuen. Hier ist ein feudalistisches Gesellschaftssystem möglich und organisatorisch passend. Die Bewirtschaftung der Felder kann zentral geplant und kontrolliert werden. Das zur modernen Produktionstechnologie passende optimale wirtschaftliche System heißt Marktwirtschaft und das passende politische System heißt Demokratie. Ein zentrales diktatorisches System stände hierzu im Widerspruch. So gesehen konnte das System der UDSSR das Wettrüsten nie gewinnen, weil das politische System nicht den wirtschaftlichen Vorgaben der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entsprach. Deshalb musste es evolutorisch scheitern. Dies muss aber nicht bedeuten, dass sich die Gesellschaft der Wirtschaft bedingungslos unterordnen muss. Vielmehr gilt es, die Gesetze der Wirtschaft wie die Naturgesetze zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Verbunden ist die Freiheit mit der Möglichkeit für den Einzelnen durch seine Leistung im Markt Eigentum zu erwerben. Eigentumserwerb ist die zentrale Motivation in der Marktwirtschaft. Eigentum beinhaltet aber auch eine entsprechende Verfügungsgewalt über die Ressourcen und damit auch Rechte und Macht. Marktwirtschaft benötigt selbstbestimmte Unternehmer, z. B. Schumpeters Pionierunternehmer183 als Menschentyp. Dieser Menschentyp muss sich zunächst frei entwickeln können. Es reicht nicht aus, unfreie Menschen frei zu machen. Wenn die Menschen in Unfreiheit groß geworden sind, kann niemand erwarten, dass sie sich in einer plötzlich neu gewonnenen Freiheit selbstverantwortlich und kreativ verhalten. Selbst wenn die unternehmerische Veranlagung in den Menschen vorhanden ist, müssen sie sich in der neuen Freiheit und dem neuen System Markt neu orientieren. Marktwirtschaftliche Erfahrung gewinnt man nur durch Versuch und Irrtum (Trial and Error) und auch dies benötigt Zeit. Die technisch induzierte Tendenz zur Entbindung und Loslösung des Individuums aus der Gemeinschaft, also die Tendenz zur immer größeren Freiheit des Einzelnen vor gesellschaftlichen Zwängen, besteht immer noch. Letztlich forderte die Aufklärung mit Freiheit und Mitbestimmung nichts anderes als die Konsequenz aus den als Folge

183Vgl.

Schumpeter, Joseph Alois (1911).

3.4  Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft

83

der technischen Entwicklungen geänderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Und die konsequente Umsetzung der marktwirtschaftlichen Regeln ist ebenso die Konsequenz aus der optimalen Anpassung an die vorgegebenen technischen Rahmenbedingungen. In der modernen freien Gesellschaft soll jeder die Möglichkeit haben, sich zu entfalten wie er möchte. Jeder soll zumindest die Chance haben, sich zum Millionär hochzuarbeiten, was den zentralen Leistungsanreiz der Marktwirtschaft darstellt. Gemäß der Aufklärung sind alle Menschen zumindest nach ihren Grundrechten gleich, weshalb der Problemlösungsansatz nahe liegt, dass die Freiheit des Einzelnen da aufhört, wo die des anderen anfängt. Würde man es dabei belassen, wäre dies ein sehr idealistisches Trugbild, das weder zu einer funktionsfähigen noch zu einer humanen Gesellschaft führen würde. Es gäbe nur noch Individualisten, die ihren Nutzen, ihre Freiheit innerhalb der durch die Rechte der anderen vorgegebenen Grenzen maximieren würden. Eine Gesellschaft als ein zusammenhängendes Ganzes, also eine Gemeinschaft, gäbe es dann aber nicht. Niemand würde etwas Nutzvolles, etwas Gemeinnütziges, für andere tun. Niemand würde sich für seine Familie aufopfern, niemand würde aus Dankbarkeit seine Eltern im Alter pflegen oder unterstützen oder sich um die Erziehung seiner Kinder bemühen. Gesellschaftlich notwendige Ehrenämter würden nicht mehr angenommen. Politiker würden ihre Ämter nur noch zur Maximierung ihres eigenen Nutzens gebrauchen. Für den Nutzen der Gemeinschaft, der Gesellschaft, des Staates oder der Nation würde sich niemand mehr einsetzen. Was ist die Funktion von Managern in Unternehmen? Was sind ihre Besonderheiten, ihre Charakteristika? Fangen wir doch historisch an: wie kam es zu von Managern geführten Unternehmen? Wenn man von landwirtschaftlichen Betrieben absieht, entstanden Unternehmen erst im Rahmen der Industrialisierung. Erst die produktive Kombination von Mensch und Maschine als Folge des technischen Fortschritts bei den Produktionsmethoden machte die Arbeitsteilung in größere Gruppen lukrativ. Die ersten industriellen Unternehmen von Bedeutung waren die Porzellan- und Tuchmanufakturen in England, Frankreich und Deutschland im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Es entstand die Organisationsform des Unternehmens, die in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten mit dem zunehmenden technischen Fortschritt immer mehr die volkswirtschaftliche Wertschöpfung dominierte. Die industrielle Revolution veränderte die Vorgaben des menschlichen Zusammenlebens nachhaltig. Die Welt war nicht mehr die alte und jeder neue technische Fortschritt änderte wiederum die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und damit auch für die Gesellschaft. Auch die derzeit viel diskutierte Globalisierung ist letztlich eine Folge des Fortschritts bei den Transportund Kommunikationstechniken. Globalisierung gibt es somit bereits spätestens seit der Erfindung der Segelschifffahrt. Mit dem technischen Fortschritt wuchs die Bedeutung des Kapitals. Für die immer komplexer werdenden Maschinen mussten immer größere Anteile des Sozialprodukts in Investitionen umgeleitet werden. Auch die Organisationsform und das Sozialgebilde Unternehmen wurde immer größer und komplexer. Konnte früher ein Bauer mit einem Pflug ein Feld bestellen, waren nun viele Menschen auf die

84

3  Markt und Wettbewerb

gegenseitige Kooperation angewiesen, um die gemeinsame Wertschöpfung realisieren zu können. Wir wollen noch kurz auf die historische Entwicklung von Unternehmen als den zentralen Akteur einer modernen Marktwirtschaft eingehen. Wie entstanden Unternehmen? Wie wurden Menschen und Maschinen zu einem produktiven Ganzen zusammengeführt? Der Ökonom Schumpeter liefert hierfür eine qualitative Erklärung.184 Nach Schumpeter muss es immer zuerst einen Unternehmer geben. Wobei ein Unternehmer kein durchschnittlicher Mensch ist, sondern immer auch ein Hasardeur und Draufgänger. Der Unternehmensgründer, der sogenannte Pionierunternehmer, setzt auf Chance, also auf den möglichen Reichtum und wagt den ersten Schritt zur Realisierung seiner Idee, in der Regel eine Erfindung (Innovation). Oft handelt es sich um einen Ingenieur wie beispielsweise Edison, dem Erfinder der Glühbirne, der General Electric gründete. Es kann sich aber auch um Prozessinnovationen wie die Fließbandproduktion bei Henry Ford handeln, neue Organisationsformen, die Erschließung neuer Märkte oder ähnliches. All diese Ideen versprechen hohe Wertschöpfungsgewinne, also Mehrwerte für den Pionierunternehmer. Sie verteilen sich später auf die gesamte Volkswirtschaft, wenn sich die Innovationen und Ideen durchgesetzt und Nachahmer gefunden haben, die die Pioniergewinne im Wettbewerb durch Preisunterbietung aufreiben. Die Vorteile, die sich aus den Produkten ergeben, werden dann fast ausschließlich auf die Konsumenten verteilt. Das Risiko des Scheiterns der Idee tragen aber ausschließlich die Pionierunternehmer und das Kapital, das sie für die Umsetzung der Ideen einsetzen. Die lockenden Gewinne und eine gewisse Risikofreudigkeit sind jedoch nur ein Grund, das Risiko der Unternehmung auf sich zu nehmen. Ansonsten würde sich der Unternehmer nicht von einem Spekulanten unterscheiden. Er ist ein Gestalter, ein Veränderer, der ja mit seiner Idee gerade die Wege beschreiten muss, die vor ihm noch keiner gegangen ist. Zur Umsetzung einer Idee in einer Unternehmung gehört sehr viel mehr. Der Unternehmer muss von seiner Idee überzeugt sein und einen eisernen Willen zur Umsetzung haben. Oft grenzt diese Überzeugung an eine Manie. Sie gibt ihm Kraft, Dinge immer wieder anzutreiben und Widerstände zu überwinden, bis seine Idee umgesetzt ist. Schumpeter spricht vom dynamischen Unternehmer. Dies geht in der Regel so weit, dass der Unternehmer die Idee zu seiner Lebensaufgabe macht. Er ist so überzeugt von ihrer Bedeutung, dass Idee und Person des Unternehmers eins werden, was manchmal an Besessenheit grenzen kann. Die Umsetzung der Idee in der Unternehmung empfindet er als kreative und Sinn gebende Selbstverwirklichung, ein Schöpfungsprozess von etwas ganz neuem, zuvor nie da gewesenem. Hierfür ist er bereit, seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Diesem klassischen Unternehmer standen keine Risikokapitalgeber und Aktienmärkte zur Verfügung. Er musste sich das Kapital in der Regel leihen und hierfür persönlich haften. Schumpeter nennt deshalb eine weitere

184Vgl.

Schumpeter, Joseph Alois (1911).

3.4  Die historische Entwicklung des Menschen in der Wirtschaft

85

Voraussetzung für die Umsetzung der Unternehmung. Der Unternehmer muss auf einen dynamischen risikofreudigen Bankier treffen, der das Potenzial der unternehmerischen Idee nachvollziehen kann und ihm das Kapital zur Verfügung stellt. Wir halten fest: historisch ist ein Unternehmer etwas Besonderes und etwas Gutes. Er ist nicht nur fast genial, sondern auch ein Macher und Umsetzer, jemand, der etwas wagt – etwas unternimmt. Er bringt die Volkswirtschaft nach vorn, indem er Innovationen umsetzt und durch die produktive Kombination von Menschen und Maschinen Werte schafft. Er will seine Idee umsetzen. Hierfür riskiert er seine persönliche Existenz. Natürlich will er auch für sein Wagnis entlohnt werden. Reich zu werden, ist oft nicht die Hauptmotivation, sondern kommt nach der Selbstverwirklichung. Das idealisierte Außenbild des Unternehmers ist deshalb fast altruistisch. Er opfert sich scheinbar auf, um Arbeitsplätze und Wohlstand für alle zu schaffen. Folglich müsste er von der Gesellschaft verehrt und bewundert werden. Dieses Bild entspricht aber nicht der modernen Realität. Die Gesellschaft hat heute nicht mehr das Bild des aufopfernden Unternehmers vor Augen, sondern von dem sich bereichernden Manager. Der Manager ist aber kein Unternehmer. Das Berufsbild des Unternehmers hat sich im Laufe der Zeit sehr geändert. Pionier- und Gründerunternehmer sind heutzutage die Ausnahme. Zwar gibt es immer wieder Innovationen; sie finden allerdings größtenteils in bereits bestehenden Unternehmen statt. Hier trifft das oben skizzierte Bild des selbsthaftenden Unternehmens nur noch selten zu. Die Einführung der Kapitalgesellschaften hat die Risikoverteilung grundlegend verändert. Um das Innovationspotenzial zu finanzieren und damit nutzen zu können, wurden neben den Personengesellschaften die Aktiengesellschaften als Kapitalsammelstelle geschaffen und das Haftungsrisiko begrenzt. Es haftet nur noch das eingesetzte Kapital. Der Unternehmer haftet nicht mehr persönlich und existenziell. Mittlerweile finanzieren sogar Start-ups ihr Wachstum und ihre Innovationen mit Risikokapital über die entsprechenden Aktienmärkte. Es entstand als neue Gattung der Manager. Er wurde zum Angestellten der Kapitalgeber, zum Agent des Principals, womit sich neue Probleme auftraten. Zusammenfassung

Was haben Marktwirtschaft und Demokratie gemeinsam? Zu nennen ist hier die individuelle Verhaltensfreiheit. Sie ist für die Marktwirtschaft und die Demokratie kennzeichnend. In der Marktwirtschaft ist der Mensch für seine wirtschaftliche Entwicklung selbst verantwortlich und in der Demokratie für seine politische. Deshalb ist auch historisch zu beobachten, dass einer freien Marktwirtschaft in der Regel auch eine Demokratie folgt. Genießen die Bürger die Freiheit und Eigenverantwortung einer Marktwirtschaft, werden sie diese auch politisch einfordern. So hat dies nach der industriellen Revolution auch die erstarkte und wirtschaftlich mächtige Bourgeoisie getan und den Feudalismus abgelöst. Weil man davon ausgeht, dass die invisible Hand aus der Gewinnmaximierung des einzelnen Unternehmens ein gesellschaftliches Wohlfahrtsoptimum kreiert, wird im Marktwirtschaftlichen System als Unternehmenszweck bzw. -ziel die Gewinnmaximierung angesehen.

86

3  Markt und Wettbewerb

Eine totale staatliche Kontrolle menschlichen Verhaltens ist sowohl unmöglich als auch nicht wünschenswert, weil hierzu die individuelle Verhaltensfreiheit aufgegeben werden müsste. Dies gilt auch für die Kontrolle von Mitarbeitern in Unternehmen. Diese Lücke muss moralisches, ethisches Verhalten schließen und hier setzt auch für den wirtschaftlichen Bereich die Wirtschaftsethik an. Sie muss auf das Verhalten der Menschen in der Wirtschaft so Einfluss nehmen, dass die Unternehmensproduktivität und das Gemeinwohl maximiert werden. ◄

Verständnisfragen

1. Was ist unter der sogenannten Individualisierung zu verstehen? 2. Worin liegen die Gründe hierfür? 3. Welche Bedeutung hat diese Entwicklung für die die Bedeutung von Moral? 4. Was haben Marktwirtschaft und Demokratie gemeinsam?

Literatur Aristoteles. (1944). Politics. http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus:text:1999.01.0 058:book=1:section=1253a. Zugegriffen: 25. Apr. 2015. Aronson, E., Wilson, T. D., & Akert, R. M. (2008). Sozialpsychologie (6. Aufl.). München: Pearson Studium. Asch, S. E. (1951). Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgments. In H. Guetzkow (Hrsg.), Groups, leadership and men; research in human relations (S. 177–190). Pittsburgh: Carneigie Press. Axelrod, R. (1987). Die Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg. Bennis, W. G., & O’Toole, J. (2005). Was ist die Managementausbildung noch wert? Harvard Business Manager, 2005(August), 8–97 (Original: Bennis, W. G., & O’Toole, J. (2005). How business schools lost their way. Harvard Business Review, 2005(May), 1–9). Bentham, J. (1996). Introduction to the principles of morals and legislation. In J. H. Burns & H. L. A. Hart (Hrsg.), The collected works of Jeremy Bentham (2. Aufl.). Oxford: Clarendon Press (1780, Erstveröffentlichung 1789). Bierhoff, H. W. (2006). Sozialpsychologie (6. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Conrad, C. A. (2005). Die Notwendigkeit, die Möglichkeiten und die Grenzen einer internationalen Wettbewerbsordnung – Reformansätze vor dem Hintergrund derzeitiger außenwirtschaftlicher Problemfelder und der Doha-Welthandelsrunde. Berlin: Duncker & Humblot. Conrad, C. A. (2010). Moral und Wirtschaftskrisen – Enron, Subprime & Co. Hamburg: Disserta. Conrad, C. A. (2015). Incentives, risk and compensation schemes: Experimental evidence on the importance of risk adequate compensation. Applied Economics and Finance, 2(4), 50–55. Conrad, C. A. (2016). The image of man in the economic sciences in light of the financial crisis and recent research results. Applied Economics and Finance, 3(1), 95–103. de Mandeville, B. (1732). The fable of the bees; or, private vices, public benefits. London: Tonson. (Erstveröffentlichung 1714). Dolivo, V., & Taborsky, M. (2015). Norway rats reciprocate help according to the quality of help they received. Biology Letters, 11, 20140959. https://doi.org/10.1098/rsbl.2014.0959.

Literatur

87

Erlei, M., Leschke, M., & Sauerland, D. (1999). Neue Institutionenökonomik. Stuttgart: ­Schäffer-Poeschel. Falk, A. (2003). Homo Oeconomicus versus Homo recipocans: Ansätze für ein neues Wirtschaftspolitisches Weltbild? Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 4(2003), 141–172. Fehr, E., & Fischbacher, U. (2003). The nature of human altruism. Nature, 425(23), 785–791. Fehr, E., Gächter, S., & Fischbacher, U. (2001). Are people conditionally cooperative? Evidence from a public goods experiment. Economics Letters, 71, 397–404. Föhr, S., & Lenz, H. (1992). Unternehmenskultur und ökonomische Theorie. In W. H. Staehle & P. Conrad (Hrsg.), Managementforschung 2 (S. 111). Berlin: De Gruyter. Frank, R. H. (1988). Passion within reason. The strategic role of the emotions. New York: W. W. Norton. Frank, R. H. (2004). What price the moral high ground? Princeton: Princeton University Press. Franz, S. (2004). Grundlagen des ökonomischen Ansatzes: Das Erklärungskonzept des Homo Oeconomicus. Working Paper der Universität Potsdam 2004-02. www.uni-potsdam.de/u/ makrooekonomie/docs/studoc/stud7.pdf. Zugegriffen: 25. Apr. 2015. Gerard, H. B., & Mathewson, G. C. (1966). The effects of severity of initiation on liking for a group: A replication. Journal of Experimental Social Psychology, 2, 278–287. Gneezy, U. (2005). Deception: The role of consequences. American Economic Review, 95(1), 384–394. Göbel, E. (2010). Unternehmensethik. Stuttgart: UTB. Guiso, L., Sapienza, P. & Zingales, L. (2006). Does Culture Affect Economic Outcomes? Journal of Economic Perspectives, 20(2), 23–48. Gürerk, O., Irlenbusch, B., & Rockenbach, B. (2006). The competitive advantage of sanctioning institutions. Science, 312(April), 108–111. Güth, W., Schmittberger, R., & Schwarze, B. (1982). An experimental analysis of ultimatum bargaining. Journal of Economic Behavior & Organization, 3(4), 367–388. Hausmann, D. M., & McPherson, M. (2006). Economic analysis, moral philosophy, and public policy (2. Aufl.). Cambridge: Cambridge University Press. Holzmann, R. (2015). Wirtschaftsethik. Wiesbaden: Springer Gabler. Hornstein, H. A., Fisch, E., & Holmes, M. (1968). Influence of a model’s feeling about his behavior and his relevance as a comparison other on observers’ helping behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 10(3), 222–226. Hühns, E., & Hühns, I. (1963). Bauer, Bürger, Edelmann: Leben im Mittelalter. Berlin: Verlag Neues Leben. Hume, D. (1739). A treatise of human nature. reprinted in Penguin Classics (Widerabdruck in Penguin, London, 1985). Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (2007). Sozialpsychologie, Eine Einführung (5. Aufl.). Heidelberg: Springer. Lück, H. E., & Manz, W. (1973). Die Technik der verlorenen Briefe – Ein neues Instrument verhaltensbezogener Einstellungsmessung? Zeitschrift für Soziologie, 2(4), 352–365. Luhmann, N. (2000). Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: Lucius & Lucius. Maslow, A. H. (1943). A theory of human motivation. Psychological Review, 50(4), 370–396. Milgrom, P., & Roberts, J. (1992). Economics, organization & management. Upper Saddle River: Prentice Hall. Mill, J. S. (1844). Essays on some unsettled questions of political economy, London. http://www. econlib.org/library/Mill/mlUQP5.html. Zugegriffen: 25. Apr. 2015. Mill, J. S. (1992). Utilitarismus. In O. Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, Klassische und zeitgenössische Texte (2. Aufl., S. 84–97). Tübingen: UTB.

88

3  Markt und Wettbewerb

Mill, J. S. (2010). Utilitarism. In J. S. Mill (Hrsg.), The basic writings of John Stuart Mill: On liberty, the subjection of women and utilitarianism (S. 233–301). New York: Modern Library (Erstveröffentlichung 1863). Mitteis, H. (1976). Über den Rechtsgrund des Satzes „Stadtluft macht frei“. In E. Kunz (Hrsg.), Festschrift Edmund E. Stengel zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1949 dargebracht von Freunden, Fachgenossen und Schülern (S. 342–358). Böhlau: Münster (Erstveröffentlichung 1952; auch in: Haase C. (Hrsg.). (1976). Die Stadt des Mittelalters: Bd. 2. Recht und Verwaltung (2. Aufl., S. 182–202). Darmstadt (ISBN 3-534-04680-3;=Wege der Forschung 244, Berlin, 1963)). Nass, E. (2003). Der Mensch als Ziel der Wirtschaftsethik: Eine finalethische Positionierung im Spannungsfeld zwischen Ethik und Ökonomie. Paderborn: Schöningh. Noll, B. (2002). Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft. Stuttgart: Kohlhammer. Rapoport, A., & Chammah, A. M. (1970). Prisoner’s dilemma – A study in conflict and cooperation (2. Aufl.). Ann Arbor: University of Michigan Press. Rawls, J. (1999). A theory of justice. Cambridge: Harvard University Press (revised edition 1999). www.univpgri-palembang.ac.id/…/John%20Rawls%20-%20A%20Theory%. Zugegriffen: 4. Mai 2015. Roth, A. E., Prasnikar, V., Okuno-Fujiwara, M., & Zamir, S. (1991). Bargaining and market behavior in Jerusalem, Ljubljana, Pittsburgh, and Tokyo: An experimental study. American Economic Review, 81(5), 1068–1095. Rutte, C., & Taborsky, M. (2007). Generalized reciprocity in rats. PLoS Biology, 5(7), 1421–1425. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.0050196. Sanfey, A., et al. (2002). The neutral basis of economic decision-making in the ultimatum game. Science, 300, 1755–1758. Schäfer, M. (2009). Geschichte des Bürgertums. Köln: UTB. Schopenhauer, A. (2006). Preisschrift über die Grundlage der Moral. Hamburg: Meiner (Erstveröffentlichung 1840). Schumpeter, J. A. (1911). Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus. München: Duncker & Humboldt. Schwaninger, M. (2008). Anatol Rapoport (May 22, 1911–January 20, 2007), pioneer of systems theory and peace research, mathematician, philosopher and pianist. Wiley Online Library Systems Research and Behavioral Science, 24(6), 655–658. Sherif, M. (1935). A study of some social factors in perception. Archives of Psychology, 187, 1–60. Smith, A. (1759). The theory of the moral sentiments. Edinburgh: A. Kincaid & J. Bell. Smith, A. (1776). An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations. Edinburgh. http:// www.econlib.org/library/Smith/smWN8.html. Zugegriffen: 25. Apr. 2015. Starbatty, J. (1999). Das Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften, Tübinger Diskussionsbeiträge der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, No. 176. https://publikationen.unituebingen.de/xmlui/handle/10900/47437. Zugegriffen: 20. Apr. 2015. von Hayek, F. A. (1969). Freiburger Studien. In F. A. von Hayek (Hrsg.), Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (S. 249). Tübingen: Mohr Siebeck. von Hayek, F. A. (1971). Die Verfassung der Freiheit (S. 76). Tübingen: Mohr Siebeck. von Hayek, F. A. (1976). Law, legislation and liberty, the political order of free people (Bd. 2). Chicago: University of Chicago Press. von Hayek, F. A. (1979). Law, legislation and liberty, the political order of free people (Bd. 3). Chicago: University of Chicago Press.

Literatur

89

von Hayek, F. A. (1980). Recht, Gesetzgebung und Freiheit: Bd. 1. Regeln und Ordnung. München: Verlag moderne industrie. Weber, M. (1922). Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie (1. Aufl.). Tübingen: Mohr. Wiswede, G. (1985). Soziologie (1. Aufl.). Landsberg am Lech: verlag moderne industrie.

Weiterführende Literatur Aberle, G. (1992). Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik. Stuttgart: Kolhammer. Brosnan, S. F., & de Waal, F. B. M. (2003). Monkeys reject unequal pay. Nature, 425, 297–299. Brosnan, S. F., & Waal, F. B. M. de. (2014). Evolution of responses to (un) fairness. Science, 346 (6207), 314–320, 1251776. Dahrendorf, R. (2009). Die verlorene Ehre des Kaufmanns. In Tagesspiegel, vom 12.07.2009. http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/dahrendorf-essay-die-verlorene-ehre-deskaufmanns/1555814.html. Dobelli, R. (2011). Die Kunst des freien Denkens. München: Hanser. Fritsch, M., Wein, T., & Ewers, H.-J. (2007). Marktversagen und Wirtschaftspolitik. München: Vahlen. Herdzina, K. (1999). Wettbewerbspolitik (5. Aufl.). Stuttgart: UTB. Heuß, E. (1980). Wettbewerb. In W. Albers, et al. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW) (Bd. 8). Stuttgart: Gustav Fischer. Höffe, O. (1992). Einleitung. In O. Höffe (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, Klassische und zeitgenössische Texte (2. Aufl.). Tübingen: Francke. Jacobs, K. C., & Campbell, D. T. (1961). The perpetuation of an arbitrary tradition through several generations of a laboratory microculture. Journal of Abnormal and Social Psychology, 62, 649– 658. Klump, R. (2013). Wirtschaftspolitik, Instrumente, Ziele und Institutionen. München: Pearson Studium. Koch, W. S., Czogalla, C., & Ehret, M. (2008). Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Stuttgart: Lucius & Lucius. Perry, S. (2003). Social conventions in wild white-faced capuchin monkeys: Evidence for traditions in a Neotropical Primate. Current Anthropology, 44(2), 241–268. Pritzl, R. F. J., & Schneider, F. (1999). Korruption. In W. Korff (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik (Bd. 4, S. 310–333)., Ausgewählte Handlungsfelder Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Schmidt, I. (2012). Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (9. Aufl.). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Schnebel, E., & Bienert, M. A. (2004). Implementing ethics in business organizations. Journal of Business Ethics, 53, 203–211. Sucharow, L. (2013). Wall street in crisis: A perfect storm looming. Labaton Sucharow’s, U.S. Financial Services Industry Survey. http://www.secwhistlebloweradvocate.com. Zugegriffen: 28. Okt. 2013. Wiswede, G. (1991). Soziologie (2. Aufl.). Landsberg am Lech: verlag moderne industrie.

90

3  Markt und Wettbewerb

Neue Literatur Alesina, A., Di Tella, R., & MacCulloch, R. J. (2004). Inequality and happiness: Are Europeans and Americans different? Journal of Public Economics, 88, 2009–2042. Allen, V. L., & Levine, J. M. (1971). Social support and conformity: The role of independent assessment of reality. Journal of Experimental Social Psychology, 7, 48–58. Angner, E. (2006). Economists as experts: Overconfidence in theory and practice. Journal of Economic Methodology, 13, 1–24. Asch, S. E. (1987). Social psychology. New York: Oxford University Press. Atkinson, J. W., Heyns, R. W., & Veroff, J. (1954). The effect of experimental arousal of the affiliation motive on thematic apperception. Journal of Abnormal and Social Psychology, 49, 405–410. Baba, S., George, L., & Antoine, B. (2005). The dark side of emotions? When Individuals with decreased Emotional Reactions make Advantageous Decisions, Cognitive Brain Research, 23, 85–92. Barsade, S. G. (2002). The ripple effect: Emotional contagion and its influence on group behavior. Administrative Science Quarterly, 47, 644–675. Batson, C. D., & Shaw, L. L. (1991). Evidence for altruism: Toward a pluralism of prosocial motives. Psychological Inquiry, 2, 107–122. Batson, C. D., Duncan, B. D., Ackerman, P., Buckley, T., & Birch, K. (1981). Is empathic emotion a source of altruistic motivation? Journal of Personality and Social Psychology, 40, 290–302. Baumeister, R. F., & Leary, M. R. (1995). The need to belong: Desire for interpersonal attachments as a fundamental human motivation. Psychological Bulletin, 117, 497–529. Bell, D. E. (1982). Regret in decision making under uncertainty. Operations Research, 30, 961– 981. Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung (1 Aufl.). Wiesbaden: Springer. Berkman, L. F., & Syme, S. L. (1979). Social networks, host resistance, and mortality: A nine year follow-up study of Alameda County residents. American Journal of Epidemiology, 109, 186– 204. Berkowitz, L. (1954). Group standards, cohesiveness, and productivity. Human Relations, 7, 509– 519. Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R., Maria, R., & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion. Wiesbaden: Springer. Brehm, S. S., & Brehm, J. W. (1981). Psychological reactance. A theory of freedom and control. New York: Academic. Brewer, M. B., & Caporael, L. R. (2006). An evolutionary perspective on social identity: Revisiting groups. In M. Schaller, J. A. Simpson, & D. T. Kenrick (Hrsg.), Evolution and social psychology (S. 143–161). New York: Psychology Press. Bolton, G. E., & Ockenfels, A. (2000). ERC: A theory of equity, reciprocity, and competition. American Economic Review, 90(1), 166–193. Bond, R., & Smith, P. B. (1996). Culture and conformity: A meta-analysis of studies using Asch’s (1952b, 1956) Line Judgment Task. Psychological Bulletin, 119, 111–137. Bowlby, J. (1958). The nature of the child’s tie to his mother. International Journal of Psychoanalysis, 39, 350–373. Boxall, P., Adamowicz, W. L., & (Vic) Moon, A. (2009). Complexity in choice experiments: Choice of the status quo alternative and implications for welfare measurement. The Australian Journal of Agricultural and Resource Economics, 53, 503–519. Camerer, C., Loewenstein, G., & Prelec, D. (2005). Neuroeconomics: How neuroscience can inform economics. Journal of Economic Literature, XLIII, 9–64.

Literatur

91

Campbell, D. T. (1965). Ethnocentric and other altruistic motives. In D. Levine (Hrsg.), Nebraska symposium on motivation (Bd. 13). Lincoln: University of Nebraska Press. Cherry, T. L., Frykblom, P., & Shogren, J. F. (2002). Hardnose the dictator. American Economic Review, 92(4), 1218–1221. Damasio, A. (2006). Descartes’ error: Emotion, reason and the human brain. New York: Vintage. deCharms, R., Morrison, H. W., Reitman, W., & McClelland, D. C. (1955). Behavioral correlates of directly and indirectly measured achievement motivation. In D. C. McClelland (Hrsg.), Studies in motivation (S. 414–423). New York: Appleton-Century-Crofts. Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The „what“ and „why“ of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11, 227–268. DeQuervain, D., et al. (2004). The neural basis of altruistic punishment. Science, 305(5688), 1254–1258. Diener, E. (1984). Subjective well-being. Psychological Bulletin, 95, 542–575. Doherty, M. E., Mynatt, C. R., Tweney, R. D., & Schiavo, M. D. (1979). Pseudodiagnosticitiy. Acta Psychologica, 1979, 111–121. Durkheim, E. (1988). Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Frz. Orig. v. 1893). Earley, P. C. (1993). East meets West meets Mideast: Further explorations of collectivistic versus individualistic work groups. Academy of Management Journal, 36, 319–348. Easterlin, R. (1974). Does economic growth improve the human lot? In A. D. Paul & M. W. Reder (Hrsg.), Nations and households in economic growth: Essays in honor of Moses Abramovitz (S. 89–125). New York: Academic. Easterlin, R. (2001). Income and happiness: Towards a unified theory. Economic Journal, 111(473), 465–484. Eisenberger, N. I., Lieberman, M. D., & Williams, K. D. (2003). Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion. Science, 302, 290–292. Engelmann, D., & Strobel, M. (2000). An experimental comparison of the fairness models by Bolton and Ockenfels and by Fehr and Schmidt, Discussion Papers, Interdisciplinary Research Project 373: Quantification and Simulation of Economic Processes, No. 2000, 28, urn:nbn:de:kobv:11-10047345. http://hdl.handle.net/10419/62222. Engeser, S., Rheinberg, F., & Möller, M. (2009). Achievement motive imagery in German schoolbooks: A pilot study testing McClelland’s hypothesis. Journal of Research in Personality, 43, 110–113. Fehr, E., & Camerer, C. F. (2007). Social neuroeconomics: The neural circuitry of social preferences. Trends in Cognitive Sciences, 11, 419–427. Fehr, E., & Fischbacher, U. (2004). Third party punishment and social norms. Evolution and Human Behavior, 25, 63–87. Fehr, E., & Gächter, S. (2000). Cooperation and punishment in public goods experiments. The American Economic Review, 90, 980–994. Fehr, E., & Schmidt, K. M. (1999). A theory of fairness, competition and cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114, 817–868. Fernández, R. & Fogli, A. (2005). Fertility: the role of culture and family experience. Journal of the European Economic Association, 4(2–3), 04(2005), 552–561. Fershtman, C., Gneezy, U., & List, J. A. (2012). Equity aversion: Social norms and the desire to be ahead. American Economic Journal: Microeconomics, 4(4), 131–144. Golnaz, T., Satpute, A. B., & Lieberman, M. D. (2007). The sunny side of fairness–preference for fairness activates reward circuitry. Psychological Science, 19(4), 339–347. Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. (1973). Interpersonal dynamics in a simulated prison. International Journal of Criminology and Penology, 1, 69–97.

92

3  Markt und Wettbewerb

Harbaugh, W. T., Mayr, U., & Burghart, D. R. (2007). Neural responses to taxation and voluntry giving reveal motives for charitable donations. Science, 316, 16221625. Hein, G., Silani, G., Preuschoff, K., Batson, C. D., & Singer, T. (2010). Neural responses to ingroup and outgroup members’ suffering predict individual differences in costly helping. Neuron, 68, 149–160. Henrich, J., et al. (2005). „Economic man“ in cross-cultural perspective: Behavioral experiments in 15 small-scale societies. Behavioral and Brain Sciences, 28(2005), 795–855. Hewstone, M., & Martin, R. (2014). Sozialer Einfluss. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl., S. 269–314). Berlin: Springer. Hofstede, G., Hofstede, G. J., & Minkov, M. (2010). Cultures and organizations – Software of the mind: Intercultural cooperation and its importance for survival. New York: McGraw-Hill Education. Höffe, O. (1997). Lexikon der Ethik, (5. Aufl.). C.H.Beck. Hogg, M. A., & Turner, J. C. (1987). Intergroup behaviour, self‐stereotyping and the salience of social categories. British Journal of Social Psychology, 26, 325–340. Hogg, M. A., & Abrams, D. (1993). Towards a single process uncertainty reduction model of social motivation in groups. In M. A. Hogg & D. Abrams (Hrsg.), Group motivation: Social psychological perspectives, (S. 173–190). New York: Harvester Wheatsheaf. Hollingshead, A. B. (1998). Group and individual training: The impact of practice on performance. Small Group Research, 29, 254–280. Hüffmeier, J., & Hertel, G. (2011). When the whole is more than the sum of its parts: Group motivation gains in the wild. Journal of Experimental Social Psychology, 47, 455–459. Hull, C. L. (1952). A behavior system: An introduction to behavior theory concerning the individual organism. Westport, CT: Greenwood Press. Ichino, A., & Maggi, G. (1999). Work environment and individual background: explaining regional shirking differentials in a large Italian firm. Quarterly Journal of Economics, 115, 1057–1090. James, K., & Greenberg, J. (1989). In-group salience, intergroup comparison, and individual performance and self-esteem. Personality and Social Psychology Bulletin, 15, 604–616. Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl.). Berlin: Springer. Kagel, J. H., Kim, C., & Moser, D. (1996). Fairness in ultimatum games with asymmetric information and asymmetric payoffs. Games and Economic Behavior, 13, 100–110. Kahneman, D., Knetsch, J., & Thaler, R. (1991). Anomalies: The Endowment Effect, Loss Aversion And Status Quo Bias. The Journal of Economic Perspectives, 5(1), 193–206. Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47(2), 263–292. Kahneman, D., & Tversky, A. (1981). The framing of decisions and the psychology of choice. Science, 211(30), 453–457. Kahneman, D., & Tversky, A. (1982). The psychology of preferences. Scientific American, 146, 160–173. Kahneman, D., & Tversky, A. (1984). Choices, values and frames. American Pschologist, 39(4), 342–350. Kahneman, D., & Tversky, A. (1986). Rational choice and the framing of decisions. Journal of Business, 59(4), 5251–5278. Karremans, J. C., & Finkenauer, C. (2014). Affiliation, zwischenmenschliche Anziehung und enge Beziehungen. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl., S. 401–438). Berlin: Springer. Kessler, T., & Fritsche, I. (2018). Sozialpsychologie. Wiesbaden: Springer.

Literatur

93

Köhler, O. (1926). Kraftleistungen bei Einzel- und Gruppenarbeit. Industrielle Psychotechnik, 3, 274–282. Kühberger, A. (1995). The framing of decisions: A new Look at old Problems. Oragnizational Behaviour and Human Decision Processes, 62(2), 230–240. Langer, E. J. (1982). The illusion of control. In D. Kahneman, P. Slovic, & A. Tversky (Hrsg.), Judgment under unceratinty: Heuristics and biasses, (S. 231–23). Cambridge University Press. Langer, E. J. (1975). The illusion of control. Journal of Personality and Social Psychology, 32(2), 311–328. Langer, E. J., & Roth, J. (1975). Heads i win, tails it’s chance: The illusion of control as a function of the sequence of outcomes in a purely chance task. Journal of Personality and Social Psychology, 32(6), 951–955. Leisinger, K. M. (1997). Unternehmensethik, Globale Verantwortung und modernes Management. München. Leimgruber, K. L., Shaw, A., Santos, L. R., & Olson, K. R. (2012). Young children are more generous when others are aware of their actions. PLoS ONE, 7(10), e48292 https://doi. org/10.1371/journal.pone.0048292. Levine, M., & Manning, R. (2014). Prosoziales Verhalten. In Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl., S. 357–400). Berlin: Springer. Levine, M., Prosser, A., Evans, D., & Reicher, S. D. (2005). Identity and emergency intervention: How social group membership and inclusiveness of group boundaries shape helping behavior. Personality and Social Psychology Bulletin, 31, 443–453. Lichtenstein, S., Fischhoff, B., & Phillips, L. D. (1982). Calibration of probabilities: The state of art to 1980. In K. Daniel, S. Paul, & A. Tversky (Hrsg.), Judgment under uncertainty: Heuristics and biases (S. 306–334). Cambridge: Cambridge University Press. List, J. A. (2006). The behavioralist meets the market: Measuring social preferences and reputation effects in actual transactions. Journal of Political Economy, 114(1), 1–37. Loomes, G., & Sudgen, R. (1982). Regret theory: An alternative theory of rational choice under uncertainty. The economic journal, 92(368), 805–824. Marshall, J. D., Knetsch, J., & Sinden, J. A. (1986). Agents evaluations and the disparity in measures of economic loss. Journal of Economic Behavior & Organization, 7, 115–127. McClelland, D. C. (1961). The achieving society. Pricton: Van Nostrand. McClelland, D. C., Atkinson, J. W., Clark, R. A., & Lowell, E. L. (1953). The achievement motive. New York: Appleton-Century-Crofts. McClelland, D. C., Koestner, R., & Weinberger, J. (1989). How do self-attributed and implicit motives differ? Psychological Review, 96(4), 690–702. McClure, S., Laibson, D. I., Loewenstein, G., & Cohen, J. (2004). Separate neural systems value immediate and delayed monetary rewards. Science, 306, 503–507. Metcalfe, J. (1998). Cognitive Optimism: Self-Deception or memory-based processing heuristic? Personality and Social Psychology Review, 2(2), 100–110. Meyerowitz, B. E., & Chaiken, S. (1987). The effect on message framing on ­breast-self-examination attitudes, intentions and behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 500–510. Meyer, B., Enström, M. K., Harvstveit, M., Bowles, D. P., & Beevers, C. G. (2007). Happiness and dispair on the catwalk: need satisfaction, well-being, and personality adjustment among fashion models. The Journal of Positive Psychology, 2(1), 2–17. Moll, J., et al. (2006). Human fronto-mesolimbic networks guide decisions about charitable donation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 103(30), 15623–15628.

94

3  Markt und Wettbewerb

Moreland, R. L. (1999). Transactive memory: Learning who knows what in work groups and organizations. In L. Thompson, D. Messick, & J. Levine (Hrsg.), Shared cognition in organizations: The management of knowledge (S. 3–31). Mahwah: Erlbaum. Moreland, R. L., & Myaskovsky, L. (2000). Exploring the performance benefits of group training: Transactive memory or improved communication? Organizational Behavior and Human Decision Processes, 82, 117–133. Nickerson, R. S. (1998). Confirmation bias: An ubiquitous phenomen in many guises. Review of general Psychology, 2(2), 175–220. Nijstad B. A., & van Knippenberg D. (2007) Gruppenpsychologie: Grundlegende Prinzipien. In: K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie, (5., vollständig überarbeitete Auf., S. 487–532). Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Osgood, C. E., Suci, G., & Tannenbaum, P. (1957). The measurement of meaning. Urbana: University of Illinois Press. Perin, C. I. (1942). Behavior potentiality as a joint function of the amount of training and the degree of hunger at the time of extinction. Journal of Experimental Psychology, 30, 93–113. Platow, M. J., Foddy, M., Yamagishi, T., Lim, L., & Chow, A. (2012). Two experimental tests of trust in in-group strangers: The moderating role of common knowledge of group membership. European Journal of Social Psychology, 42, 30–35. https://doi.org/10.1002/ejsp.852. Richman, L., & Leary, M. R. (2009). Reactions to discrimination, stigmatization, ostracism, and other forms of interpersonal rejection: A multimotive model. Psychological Review, 116, 365– 383. Ritov, I., & Baron, J. (1992). Status-quo Bias and Omission-Bias. Journal of Risk and Uncertainty, 5, 49–61. Rosenbaum, M. E., Moore, D. L., Cotton, J. L., Cook, M. S., Hieser, R. A., Shovar, M. N., et al. (1980). Group productivity and process: Pure and mixed reward structures and task interdependence. Journal of Personality and Social Psychology, 39, 626–64. Ross, L., Lepper, M. R., & Hubbard, M. (1975). Perseverance in self perception and social perception: Biased attributional processes in the debriefing paradigm. Journal of Personality and Social Psychology, 1975, 880–892. Rusbult, C. E., & Farrell, D. (1983). A longitudinal test of the investment model: The impact on job satisfaction, job commitment, and turnover of variations in rewards, costs, alternatives, and investments. Journal of Applied Psychology, 68, 429–438. Russo, E. J., & Schoemaker, P. J. H. (1992). Managing overconfidence. Sloan Management Review, 33, 7–17. Sanfey, A. G., Rilling, J. K., Aronson, J. A., Nystrom, L. E., & Cohen, J. D. (2003). The neural basis of economic decision-making in the ultimatum game. Science, 300, 1755–1758. Schneider, K. (1992). Emotionen. In H. Spada (Hrsg.), Lehrbuch allgemeine Psychologie (2. Aufl., S. 403–449). Bern: Huber. Singer, T., & Lamm, C. (2009). The social neuroscience of empathy. Annals of the New York Academy of Sciences, 1156, 81–96. Stroebe, W., & Diehl, M. (1994). Why groups are less effective than their members: On productivity losses in idea-generating groups. In W. Stroebe & M. Hewstone (Hrsg.), European review of social psychology (Bd. 5, S. 271–303). London: Wiley. Stroebe, W., Diehl, M., & Abakoumkin, G. (1996). Social compensation and the Köhler effect: Toward a theoretical explanation of motivation gains in group productivity. In E. H. Witte & H. Davis (Hrsg.), Understanding group behaviour: Small group processes and interpersonal relations (Bd. 2, S. 37–65). Hillsdale: Erlbaum.

Literatur

95

Schwarz, N., & Vaughn, L. A. (2002). The availability heuristic revisited: Ease of recall and content of recall as distinct sources of information. In T. Gilovich, D. W. Griffin, & D. Kahneman (Hrsg.), Heuristics and biases: The psychology of intuitive judgment (S. 103–119). Cambridge: Cambridge University Press. Schwarz, N., Bless, H., Starck, F., Klumpp, G., Rittenauer-Schatka, H., & Simons, A. (1991). Ease of retrieval as information: Another look at the availability heuristic. Journal of Personality and Social Psychology, 61(2), 195–202. Simon, H. A. (1959). Theories of decision-making in economics and behavioral science. The American Economic Review, 49(3), 253–283. Sunstein, C. (2009). Going to extremes: How like minds unite and divide. Oxford University Press. ISBN 9780199793143. Smith, P. B., Bond, M. H., & Kağıtçıbaşı, Ç. (2006). Understanding social psychology across cultures: Living and working in a changing world. London: Sage. Schachter, S. (1951). Deviation, rejection, and communication. Journal of Abnormal and Social Psychology, 46, 190–207. Schwartz, S. H. (2004). Mapping and interpreting cultural differences around the world. In H. Vinken, J. Soeters, & P. Ester (Hrsg.), Comparing cultures: Dimensions of culture in a comparative perspective (S. 43–73). Leiden: Brill. Schwartz, S. H. (1994). Beyond individualism and collectivism: New cultural dimensions of values. In U. Kim, H. C. Triandis, Ç. Kağitçibaşi, S. C. Choi, & G. Yoon (Hrsg.), Individualism and collectivism: Theory, method and applications (S. 85–119). Thousand Oaks: Sage. Schultheiss, O. C. (2008). Implicit motives. In O. P. John, R. W. Robins, & L. A. Pervin (Hrsg.), Handbook of personality: Theory and research (3. Aufl., S. 603–633). New York: Guilford. Sherif, M., Harvey, O. J., White, B. J., Hood, W. R., & Sherif, C. W. (1961). Intergroup conflict and cooperation. The robbers cave experiment. Norman: University of Oklahoma Press. Sherif, M. (1966). In common predicament. Social psychology of intergroup conflict and cooperation. Boston: Houghton Mifflin. Singer, T., Seymour, B., O’Doherty, J. P., Stephan, K. E., Dolan, R. J., & Frith, C. D. (2006). Empathic neural responses are modulated by the perceived fairness of others. Nature, 439, 466– 469. Smith, V. (2002). Constructivist and Ecological Rationality in Economics; Nobel Prize Lecture, December 8, 2002, Printed in THE AMERICAN ECONOMIC REVIEW JUNE 2003. S. 465– 508. https://s3.amazonaws.com/academia.edu.documents/39690274/Constructivist_and_ Ecological_Rationality_in_Economics.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAIWOWYYGZ2Y53UL3 A&Expires=1557228716&Signature=JGGEiHTSNscHsGWEJZ94uSZIHLc%3D&responsecontent-disposition=inline%3B%20filename%3DConstructivist_and_Ecological_Rationalit. pdf. Smith, P. B. (2014a). Sozialpsychologie und kulturelle Unterschiede. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl.). 606: 565. Smith, P. B. (2014). Sozialpsychologie und kulturelle Unterschiede. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl.). Berlin: Springer. Sy, T., Coté, S., & Saavedra, R. (2005). The contagious leader: Impact of the leader’s mood on the mood of group members, group affective tone, and group processes. Journal of Applied Psychology, 90, 295–305. Tajfel, H. (1978). Social categorization, social identity and social comparison. In H. Tajfel (Hrsg.), Differentiation between social groups: Studies in the social psychology of intergroup relations (S. 65–93). London: Academic. Tajfel, H., Billig, M. G., Bundy, R. P., & Flament, C. (1971). Social categorization and intergroup behaviour. European Journal of Social Psychology, 1, 149–178.

96

3  Markt und Wettbewerb

Thaler, R. H. (1981). Some empirical evidence on dynamic inconsistency. Economic Letters, 8, 201–207. Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge: Improving decisions about health, wealth, and happiness. Yale University Press. ISBN 978-0-14-311526-7. OCLC 791403664. Thaler, R. H., Sunstein, C. R., & Balz, J. P. (2010). Choice Architecture. (April 2). https://doi. org/10.2139/ssrn.1583509. SSRN 1583509. Thibaut, J. W., & Kelley, H. H. (1959). The social psychology of groups. New York: Wiley. Turner, J. C., Oakes, P. J., Haslam, S. A., & McGarty, C. (1994). Self and collective: Cognition and social context. Personality and Social Psychology Bulletin, 20, 454–463. Ulrich, P. (1993). Unternehmerethos. In Enderle, u. a. (Hrsg.), Lexikon der Wirtschaftsethik, S. 1165–1175. Wason, P. C. (1960). On the failure to eliminate hypothesis in a conceptual task. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 1960, 129–140. Weber, M. (1905). The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism, chapter 4. https://www. marxists.org/reference/archive/weber/protestant-ethic/ch02.htm. Deutsches Original: Weber, M. (1904). Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Weinstein, N. D. (1980). Unrealistic optimism about future life events. Journal of Personality and Social Psychology, 39, 806–457. Williams, S. B. (1938). Resistance to extinction as a function of the number of reinforcements. Journal of Experimental Psychology, 23, 506–521. Williams, K. D., & Karau, S. J. (1991). Social loafing and social compensation: The effects of expectations of co-worker performance. Journal of Personality and Social Psychology, 61, 570–581. Wright, J., & Ginsberg, D. (2012). „Free to Err?: Behavioral law and economics and its implications for liberty“. Library of Law & Liberty. https://www.lawliberty.org/liberty-forum/ free-to-err-behavioral-law-and-economics-and-its-implications-for-liberty/. Witte, E. H. (1989). Köhler rediscovered: The anti-Ringelmann effect. European Journal of Social Psychology, 19, 147–154. Yaari, M. E., & Bar-Hillel, M. (1984). On dividing justly. Social choice and welfare, 1(1), 1–24. Yamagishi, T. (1987). Interpersonal conflicts in reward allocation and their resolution. Japanese Journal of Psychology, 58, 78–83. (in Japanese). Zanna, M. P., & Cooper, J. (1974). Dissonance and the pill: An attribution approach to studying the arousal properties of dissonance. Journal of Personality and Social Psychology, 29, 703–709. Zimbardo, P. G. (2006). On rethinking the psychology of tyranny: The BBC prison study. British Journal of Social Psychology, 45, 47–53. Zimbardo, P. G., Maslach, C., & Haney, C. (2000). Reflections on the Stanford prison experiment: Genesis, transformations, consequences. In T. Blass (Hrsg.), Obedience to authority: Current perspectives on the Milgram paradigm (S. 193–237). Mahwah: Erlbaum.

4

Ordnungspolitik

Was folgt warum?

Nachdem wir die Funktionsweise von Markt und Wettbewerb besprochen und gezeigt haben, dass diese unser angestrebtes Wohlfahrtsoptimum realisieren, wollen wir uns nun dem institutionellen Rahmen der zwei alternativen Wirtschaftssysteme Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft zuwenden. Wie auch unsere soziale Marktwirtschaft sind die meisten Wirtschaftssysteme in der realen Welt Mischformen dieser beiden Alternativen. Lernziele Sie sollen anschließend in der Lage sein, die Funktionsweisen, die Vor- und Nachteile sowie die wesentlichen Unterschiede der beiden Systeme mit eigenen Worten zu erklären.

4.1 Gerechtigkeitstheorien Welche Ideen gab es, das gesellschaftliche Zusammenleben und die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Verteilung der Ergebnisse zu regeln. Was wird unter einer gerechten Gesellschaftsordnung verstanden? Thomas Hobbes war es, der 1651 die Gerechtigkeit unabhängig von Gott definierte und damit die erste wissenschaftliche Gerechtigkeitstheorie in seinem Hauptwerk „Leviatan“ lieferte. Er stellt sich einen Naturzustand der Menschen ohne staatliche Ordnung vor. Die Folge wäre die Anarchie als ein Zustand ohne Eigentum und Gerechtigkeit. Sein Menschenbild ist nicht nur ein Nutzenmaximierer, sondern ein

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_4

97

98

4 Ordnungspolitik

Wolf. „Homo homini lupus est“1, so dass der Wegfall der staatlichen Ordnung einen Zustand des Krieges jeder gegen jeden zur Folge hätte:“Bellum omnium contra omnes“. Der Mensch ist nicht gerecht, da er nur seine eigenen Interessen verfolgt, womit er in Konflikt mit den Interessen anderer kommt. Aus Vernunftsgründen entscheidet sich deshalb der Mensch, seine natürliche Freiheit einzuschränken, indem er im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages einem Souverän den Auftrag überträgt, den Frieden und das Recht mit Zwang durchzusetzen. Gerechtigkeit wird dann durch die Verträge und die Rechtsetzung des Souverän ausgedrückt.2 Für David Hume ist 1748 die Gerechtigkeit nicht logisch zu begründen, sondern ein Werturteil, das sich als Gewohnheit herausgebildet hat. Gerechtigkeit ist aber auch die Tugend, die die Ordnung im menschlichen Zusammenleben gewährleistet. Extremer Mangel führt zu einem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, da dann nur der überleben kann, der egoistisch handelt. Ausgehend von einer Knappheit bei den Gütern des täglichen Bedarfs kann es keine Bedürfnisgerechtigkeit geben. Nur in einem Schlaraffenland kann jeder das bekommen, was er möchte. Wie Adam Smith sieht er in der Leistungsgerechtigkeit die zentrale Gerechtigkeit, weil sie das Gesamtwohl der Gesellschaft am besten fördert.3 Er lehnt den von Hobbes beschriebenen ursprünglichen Naturzustand als falsch ab, weil die Familie als Lebensgemeinschaft vor der Staatenbildung durch größere Gruppen stand. Dort gab es bereits Regeln und Erziehung, allerdings auch eine fürsorgliche Liebe, die sich nicht auf größere Gruppen übertragen lässt. Staaten können erst gebildet werden, wenn es bereits soziale Ordnungen gibt.4 Im Gegensatz zu Hobbes entwickelte 1823 John Locke den Gedanken eines göttlichen Naturrechts, das von Gott dem Schöpfer den Menschen gegeben wurde. Dies sind Leben, Freiheit und Besitz. Die Bürger übertragen an den Staat die Aufgabe, das Naturrecht durchzusetzen bzw. zu schützen. Anders als bei Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag jederzeit aufkündbar, wenn der Staat den Willen der Bürger nicht hinreichend vertritt. Locke entwickelte die Gewaltenteilung (Judikative, Exekutive und Legislative) als ein Instrument, um die Macht der Regierung zu kontrollieren. Die Legislative wird vom Volk gewählt und ist an eine Verfassung gebunden. Die Regierung ist ebenfalls an die Gesetze gebunden. 5 Auch Rousseau geht von einem Naturzustand aus. Der Mensch sei ursprünglich nicht egoistisch gewesen, sondern friedfertig, sich selbst genügend, und von Mitleid geprägt. Die Früchte der Natur gehörten allen Menschen und der Boden niemandem. Erst durch die Entwicklung der Landwirtschaft kam es zu Eigentum. Durch Arbeit gewonnenes

1Hobbes

Widmung in seinem Werk „De Cive“ an William Cavendish, den Grafen von Devonshire. Hobbes, Thomas (1651), Kap. 13–31 sowie Ebert, Thomas (2015, S. 130 ff.). 3Vgl. Hume, David (1748). 4Vgl. Ebert, Thomas (2015, S. 143 ff.). 5Vgl. Locke, John (1823), Two Treatises of Government, London. https://www.yorku.ca/comninel/ courses/3025pdf/Locke.pdf. 2Vgl.

4.1 Gerechtigkeitstheorien

99

Eigentum ist für Rousseau positiv, allerdings nicht das Eigentum, das die Ungleichheit verstärkt, indem der Reiche wie in der Landwirtschaft seinen Besitz durch die Arbeit der Armen vermehrt. Freiheit und Gleichheit gehen verloren und Habgier und Herrschsucht gewinnen Oberhand. Ein Ausweg aus dieser ungerechten Gesellschaft bietet nur ein Gesellschaftsvertrag (Contrat sociale), indem die Bürger ihre Rechte an den Staat übertragen. Dieser hat dann die Interessen der Gemeinschaft zu vertreten. Die Interessen der Gemeinschaft sind nicht identisch mit der Summe der Einzelinteressen, da diese nur auf sich gerichtet sind. Ausgehend von seinem Gleichheitspostulat6 fordert er eine soziale Umverteilung durch den Staat, um die soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen.7 „Bezüglich des Reichtums darf kein Staatsbürger so wohlhabend sein, um einen andern kaufen zu können, und keiner so arm, um sich verkaufen zu müssen. Das setzt bei den Großen Beschränkung des Eigentunis und des Einflusses voraus …“8 „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“9 Für Kant ergibt sich die Gleichheit, Freiheit und der Respekt vor den Rechten anderer aus der Vernunft. Die Persönlichkeit und die Würde des Menschen sind zu achten. Aus der Vernunft entwickelt der bspw. den kategorischen Imperativ, der als wesentliche Basis für das menschliche Zusammenleben und damit auch die Rechtsprechung angesehen werden kann.10 Der praktische Imperativ: „Handle so, dass Du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Für Kant sind Maximen Leitsätze, die die Menschen sich selber geben. Darüber hinaus gibt es noch allgemeingültige menschliche Gesetze, die kategorisch also unbedingt gelten.11 Der kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“12 Der Mensch soll sich fragen wie sich seine

6„L’homme

est né libre, et partout il est dans les fers.“ „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten“ Rousseau, Jean-Jaques (1762); sowie Ebert, Thomas (2015, S. 132 ff.). 7Vgl. Rousseau, Jean-Jacques (1755, S. 117); sowie Rousseau, ­Jean-Jacques (1762); Sowie Ebert, Thomas (2015, S. 158 ff.). 8Rousseau, Jean-Jacques (1762). Zweites Buch, Anfang elftes Kapitel. 9Kant, Immanuel (1784). 10Vgl. Ebert, Thomas (2015, S. 177 ff.). 11Vgl. Schmidt, Walter (1986, S. 47). 12Vgl. Kant, Immanuel (1797), (C), S. 421.

100

4 Ordnungspolitik

­ andlungen auf Menschen auswirken. Das Ziel des Handelns sollte darin bestehen, H jemandem Gutes zu tun oder zumindest niemandem Schaden zuzufügen. Die soziologischen Institutionentheorien gehen auf Durkheim und Weber zurück. Weil der Mensch frei in seinem Handeln ist, bedarf es soziale Regeln, um die Schädigung Dritter zu vermeiden. Deshalb können auch aus Interessen keine stabilen sozialen Beziehungen bzw. Ordnungen hervorgehen. Hierfür sind durch die Moral einer Gruppe (Durkheim) legitime Ordnungen (Weber) erforderlich.13 „Ich kann nur in dem Maße frei sein, in dem ein anderer daran gehindert wird, seine physische, ökonomische oder andere Überlegenheit, die er besitzt, auszunützen, um meine Freiheit zu unterdrücken; nur soziale Regeln können einen Missbrauch der Macht verhindern.“14 Karl Marx sieht in der Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital, also dem Eigentum an den Fabriken, den Grund für die Ungerechtigkeit in der Einkommensverteilung. Erst wenn im Kommunismus das Eigentum allen gehört, kann gelten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“15 Für Hayek gibt es eine rechtliche und politische Gleichheit der Menschen, aber keine wirtschaftliche. Hayek betont, dass die Spielregeln des Marktes gegeben und eine Veränderung der Spielregeln nur das Ergebnis, also die Produktivität verschlechtert. Werden die Spielregeln eingehalten, ist das Ergebnis gerecht. Hayek ist allerdings für eine soziale Absicherung des Existenzminimums. Möglich ist deshalb ein auskömmliches Leben, aber keine Verteilungsgerechtigkeit im Sinne einer Gleichverteilung. Eine marktkonforme Sozialpolitik verändert nicht die Spielregeln, kann aber die Zufriedenheit und Sicherheit der Gesellschaft erhöhen und damit auch die Produktivität der Wirtschaft.16 Für Rawls hat eine gesellschaftliche Ordnung die Aufgabe, Konflikte zu bewältigen und die Interessen der Bürger zu harmonisieren. Es bilden sich die gesellschaftlichen Institutionen gemäß den gesellschaftlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit heraus. Die Institutionen wie Rechtsstaat, Privateigentum, Wettbewerbsordnung etc. ermöglichen für alle Beteiligten Wohlfahrtsgewinne. Es gibt einen Urzustand, bei dem sich die gleichberechtigten Gesellschaftsmitglieder auf eine von allen als gerecht empfundene Grundordnung festlegen. Sie tun dies um in den Genuss der Kooperationsgewinne (Spiel Gefangenendilemma) zu kommen. Es handelt sich also um die öffentlichen Güter, die nur ein Staat als organisierte Gemeinschaft dem einzelnen zur Verfügung stellen kann. Hierbei hilft ein Schleier des Nichtwissens, die Grundsätze festzusetzen, bei der niemand weiß, welche Rolle er unter welchen Voraussetzungen und Befähigungen einnehmen

13Vgl.

Weber, Max (1980/1922, S. 16 ff.); sowie Weber, Max (1981/1920, S. 135). Durkheim, Émile (1988); sowie Büttner, Sebastian M. (2017), Émile Durkheim: Über soziale Arbeitsteilung, in Kraemer, Klaus und Brugger, Florian (Hrsg.), Schlüsselwerke der Wirtschaftssoziologie, Springer: Wiesbaden 2017, S. 47 ff. 15Vgl. Marx, Karl (1973, S. 31); sowie Ebert, Thomas (2015, S. 230 ff.). 16Vgl. Hayek, Friedrich August von (1971, S. 100‒110 ff., 299‒310 ff., 328/329, 361); Hayek, Friedrich August von (1981, S. 112); sowie Ebert, Thomas (2015, S. 327). 14Vgl.

4.1 Gerechtigkeitstheorien

101

wird. Nach Rawls werden sich die Beteiligten dann auf die menschlichen Grundfreiheiten wie Gleichheit vor dem Gesetz, demokratische Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte etc. einigen. Zentral ist für alle Beteiligten ist die Chancengleichheit. Ungleichheiten sind nur zulässig, wenn sie einen Vorteil für die am wenigsten Begünstigsten bewirken (Differenzprinzip). Rawls setzt sich deshalb für eine Marktwirtschaft mit einem Sozialstaat mit einer sozialen Umverteilung vor allem im Bildungsbereich ein (egalitärer Liberalismus). Eine hohe Sparquote soll die Gerechtigkeit zwischen den Generationen erhöhen.17 1986 entwickelt Gauthier eine auf nutzenmaximierender Rationalität basierende Moral. Moralisches Verhalten wird gewählt, wenn es dem Individuum Vorteile bringt. Demnach bringt moralisches Verhalten als Nichtübervorteilen des Gegenübers, also Kooperation, im spieltheoretischen Gefangenendilemma bei mehreren Runden Kooperationsgewinne. Voraussetzung für eine stabile Kooperationslösung ist gegenseitiges Vertrauen, weil sich ansonsten die Menschen durch Nichtkooperation vor einer Übervorteilung schützen würden. Ferner müssen unvollkommene Marktbedingungen durch eine faire Verhandlungslösung ersetzt werden. Hierfür ist es wichtig, dass faire Ausgangsbedingungen für Verhandlungen geschaffen werden. Es muss so viel Vernunft vorherrschen, dass die Verhandlungslösung nicht an unrealistischen Maximalforderungen scheitert. Jeder muss durch die Verhandlungslösung bessergestellt werden und optimal ist eine solche, wenn durch die Kooperation ein maximales Ergebnis mit für jeden gleichen minimalen Zugeständnissen erreicht wird (Gerechtigkeit als Minimax-Prinzip). 18 Dieser Ansatz entspricht somit dem Menschenbild des homo oeconomicus und der Moralökonomik19 als Begründungsansatz für Moral. Scanlon greift die Vernunftsabwägung von Kant auf und leitet aus einer universalen Vernunftsabwägung Gerechtigkeitspostulate ab. Die Postulate müssen inhaltlich von anderen Personen, also der Gesellschaft, als nicht abweisbar anerkannt werden (contractualism). Dies beinhaltet Verhalten nach den Folgen für Dritte zu bewerten und sich darüber auszutauschen. Hiervon ausgehend befürwortet er einen Egalitarismus. Statusunterschiede führen zu Demütigungen, weshalb die Gleichheit der Menschen verbessert werden sollte. Hier nennt er eine Chancengleichheit. Macht sollte im Wirtschaftssystem begrenzt werden, da sie zu einer ungleichen Einkommensverteilung führt. Ökonomische Freiheit begrenzt die wirtschaftliche Macht. Umverteilung sollen darüber

17Vgl.

Rawls, John (1971); sowie Ebert, Thomas (2015, S. 291 ff.). Gauthier, David (1986); Heil, Joachim (2005, S. 197 ff.); sowie Herlinde Pauer-Studer (2015, S. 75 ff.). 19Ein moralischer Rahmen sollte so gestaltet sein, dass das Eigeninteresse sozial produktiv wird. Homann überträgt die Nutzenmaximierung von Adam Smith auf alle Lebensbereiche und verweist dabei auf den Ökonomen G. S. Becker. Vgl. K. Homann (1999, S. 322–343, 335 ff.); Conrad, Christian, A. (2018, S. 32 ff.). 18Vgl.

102

4 Ordnungspolitik

hinaus die Lage von Menschen in großer Not verbessern. Die Menschen müssen aber ihr Leben selbst gestalten und sind für ihre Lebensqualität selbst verantwortlich.20 Habermas lehnt Rechtspositivismus, Naturrecht und Vernunft als Begründungen für gesellschaftliche Regelungen, also Institutionen wie das Recht ab. Aus höheren Prinzipien ließe sich das Recht nicht ableiten, da dies an der Komplexität der Gesellschaft scheitern würde. Da die religiöse und metaphysische Legitimierung in der modernen Gesellschaft nicht mehr greift, müssen die gesellschaftlichen Normen von der Gesellschaft akzeptiert werden. Recht und Moral als gesellschaftliche Vorstellungen gehören zusammen und unterliegen den gesellschaftlichen Wandel. Hierzu muss der Einzelne von der Richtigkeit der Regeln überzeugt sein, sie als gerecht ansehen, weil er bei ihrer Findung beteiligt war, sich als „vernünftiger Urheber dieser Normen“ versteht. Diese Legitimation erhält das Recht somit durch einen gesellschaftlichen Diskurs über die Ausgestaltung der Regeln, an denen alle Betroffenen beteiligt sein müssen. Hierfür sind Demokratie, Rechtsstaat und öffentliche freie Meinungsbildung eine wichtige Grundlage.21 Ausgehend von Hegel entwickelt Honneth eine Gerechtigkeitstheorie, die die intersubjektive Beziehung, die soziale Interaktion und Anerkennung in den Vordergrund stellt. Es geht demnach nicht um isolierte individuelle Freiheitsvorstellungen der liberalen Gerechtigkeitstheorien, sondern um die soziale Gleichberechtigung in Form von Anerkennung gleicher Rechte durch die anderen Mitbürger. Gerechtigkeit ist somit nicht vor allem die Verteilung von Gütern, sondern die Verteilung von Rechten und Pflichten untereinander. Honneth sieht so neben der Verteilungsgerechtigkeit auch die aus der Nächstenliebe abgeleitete Bedürfnisgerechtigkeit sowie die Leistungsgerechtigkeit als wichtig an, die aus der fairen Arbeitsteilung hergeleitet wird und Ausdruck sozialer Wertschätzung ist.22 Für Sen geht es bei Wohlstand weniger um materiellen Wohlstand, sondern um die Gestaltungsfreiheit, die den Menschen ermöglicht, ihr Leben nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Freiheit ist somit ein Wert an sich. Eine Gesellschaft ist umso gerechter je mehr Selbstverwirklichungschancen sie den Menschen bietet. Hierzu zählt Sen politische und wirtschaftliche Freiheiten, Chancengleichheit, Meinungs- und Pressefreiheit und soziale Sicherheit, wie Sozialhilfe. Für Sen müssen die gesellschaftlichen Institutionen Gerechtigkeit fördern. Sen hat diesen Ansatz zusammen mit der UN entwickelt, wobei es um einen internationalen Maßstab zu Erfassung der Entwicklung von Staaten ging.23 Als Ansatz für eine globale Gerechtigkeit sieht er den Utilitarismus und

20Vgl.

Scanlon, Thomas M. (1998); Wallace, R. Jay (2002, S. 429–470); Scanlon, Thomas M. (2018); Weisshaar, Kenneth R. (2018). 21Vgl. Habermas, Jürgen (1992); Mazouz, Nadia (2009, S. 263 ff.); sowie Goppel et al. (2016, S. 236 ff.). 22Vgl. Honneth, Axel (2007, 2011); Baschek, Nicklas (2012) sowie Horn, Anita(2018, S. 16–40). 23Vgl. Sen, Amartya (2000, 2003, S. 41–58, 2009); sowie Sen, Amartya (2001).

4.1 Gerechtigkeitstheorien

103

Kants Vernunftsethik für geeignet. Globale Gerechtigkeit im Sinne einer Chancengleichheit könnte – wie Sen kritisch anmerkt – nur durch eine Weltregierung durchgesetzt werden, was er für unrealistisch hält.24 Zusammenfassung Kants Vernunftsregeln haben sich ebenso wie Aufklärung, Demokratie und Gewaltenteilung weitgehend durchgesetzt. Gleichheit, Freiheit und der Respekt vor den Rechten anderer ergeben sich aus der Vernunft. Die Persönlichkeit und die Würde des Menschen finden sich in den Menschenrechten wieder. Hume ist recht zu geben, dass die Knappheit der Güter ein Wirtschaften durch Arbeit erforderlich macht, was mit Entbehrungen einhergeht. Nicht die Wünsche nach einer Arbeitsgestaltung bestimmen die Berufe, sondern die Knappheiten bzw. die Bedürfnisse der Menschen. Eine Bedürfnisgerechtigkeit kann es daher als alleiniges Kriterium nicht geben, wohl aber eine ausgleichende soziale Umverteilung, die vor unfairen Schicksalsschlägen schützt und eine humanes Leben im Sinne der Würde des Menschen ermöglicht. Die Umverteilung muss von anderen erwirtschaftet werden, die hierzu bereit sein müssen, da sie anderenfalls auswandern. Wie wir in Kap. 3 zum Thema Fairness gesehen haben, tendieren Menschen bei leistungslosem Einkommen dazu, eine Gleichverteilung als fair anzusehen. Die Bereitschaft von erarbeitetem Einkommen etwas abzugeben, ist allerdings viel geringer. Und es gibt einen Zielkonflikt zur Leistungsbereitschaft. Die Bereitschaft bei Gleichverteilung für das Einkommen zu arbeiten ist sehr gering. Dies macht einen gesellschaftlichen Diskurs notwendig, der die Opfer und die Bedürftigkeit gegeneinander abwägt und eine demokratische Entscheidungsfindung, die von allen Bürgern mitgetragen wird. Hierzu ist allerdings kein Schleier des Nichtwissens erforderlich, sondern die Erkenntnis der eigenen Position im Gemeinsystem. Es muss deutlich gemacht werden, inwiefern der einzelne vom Staat profitiert und was er dafür tun muss. Hierzu ist auch ein Vertrauen des Bürgers in den Umgang des Staates mit seinen Rechten und Beiträgen erforderlich. Zur Finanzierung des sozialen Ausgleichs und der Existenzabsicherung ist es notwendig, dass die Bürger erkennen, dass sie selbst in eine solche Situation kommen können, dann würden sie die Beiträge als eine Versicherungsprämie sehen. Wie die vorgestellten Verhaltensstudien über Gruppen gezeigt haben, ist es ergänzend von Vorteil, wenn sich die Bürger miteinander identifizieren, da Mitleid die Bereitschaft etwas abzugeben begünstigt. Gerechtigkeit ergibt sich somit aus einem gesellschaftlichen Diskurs. Erbschaftssteuer erhöht die Chancengleichheit, wenn sie zur Finanzierung eines öffentlichen Bildungssystems genutzt wird. Die Zivilisation ist die zentrale Stärke der Menschheit. Durch die Arbeitsteilung in einer großen Gruppe lassen sich Produktivitätsvorteile realisieren. Zur Organisation

24Vgl. Sen, Amartya (2001); Scholtes, Fabian (2005); Böhler, Thomas (2004); sowie Dierksmeier, Claus (2013).

104

4 Ordnungspolitik

dieser Arbeitsteilung wurden Staaten gegründet und die „Naturrechte“ an den Staat übertragen. Die Finanzierung und Bereitstellung von öffentlichen Gütern ist die zentrale Aufgabe des Staates. Diese Vorteile bieten sich für jeden, der sich der staatlichen Ordnung unterwirft. Schon Durkheim und Weber haben die Notwendigkeit von Regeln, also Institutionen erkannt, die vom Staat durchgesetzt werden müssen, um das Individuum zu schützen und eine Zivilisation zu ermöglichen. Die Gesellschaft muss sich auf eine Moral verständigen und sich Gruppenregeln geben. Die Befolgung der Spielregeln des Marktes maximiert den gesellschaftlichen Ertrag aus der Arbeitsteilung. Unvollkommene Marktbedingungen müssen gesellschaftlich ergänzt bzw. durch den Staat korrigiert werden. Wettbewerb begrenzt Macht und erhöht die Freiheit. Freiheit wird von den Menschen als Wert an sich gesehen. Die staatlichen Institutionen müssen den Rahmen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit zur Verfügung stellen. Gerecht ist eine Ordnung, die gesellschaftlich akzeptiert wird. Voraussetzung ist die Freiheit, zwischen den gesellschaftlichen Rollen, also Pflichten und Rechten wählen zu dürfen. Änderungen lassen sich somit oft auch nur durch Revolutionen durchsetzen. Gemäß Hayeks entwickelt sich die Gesellschaft evolutionär. Soziale Marktwirtschaft erhöht die Produktivität und die technische Entwicklung der Wirtschaft bestimmt die gesellschaftlichen Rollen. Globale Gerechtigkeit im Sinne von gleichen Rechten kann es nur bei öffentlichen Gütern geben, auf die alle Menschen den gleichen Anspruch haben. Alle anderen Güter wurden durch die Besiedlung und den Ackerbau in Besitz genommen und historisch erkämpft bzw. verteidigt. Globale Gerechtigkeit wird sich deshalb nur auf das Verhalten untereinander beziehen können. Im Sinne der universalen Menschenrechte sind die Rechte der anderen zu achten. Hilfe in Not wird deshalb immer freiwillig stattfinden. Gesellschaftliche Entscheidungen sind als Gruppenentscheidungen nicht unproblematisch. Es muss sich nicht automatisch die für die Gesellschaft beste Entscheidung ergeben. Es gilt die Einflüsse bei Gruppenentscheidungen, die dazu führen, dass der informative Austausch beeinträchtigt wird, sodass nicht informationell sondern normativ entscheiden wird gilt es zu verhindern (Groupthink). Hinzu kommt, dass schon die Öffentlichen Gut Spiele zeigen, dass Gruppeninteressen und Einzelinteressen auseinanderfallen können. Nur wenn alle sich an der Finanzierung eines öffentlichen Gutes wie eines Rechtssystems oder einer Infrastruktur beteiligen, kommen die öffentlichen Güter zustande. Einzelinteressen können dem auch direkt entgegenstehen, wenn bspw. eine Autobahn für die Gemeinschaft gebaut werden soll, aber dafür ein Grundstück enteignet werden muss oder durch externe Effekte an Wert verliert. Aus diesem Grund kann auch aus Einzelinteressen kein soziales Regelwerk entstehen. Einzelinteressen würden immer nur versuchen, die Individualinteressen durchzusetzen, aber nie mit konfliktären anderen Einzelinteressen abwägen und nie die übergeordneten Gruppeninteressen vertreten. Man braucht also einen gesellschaftlichen Diskurs über die gemeinsamen Regeln und die Form von Fairness, die die Gruppe möchte und gegenüber Einzelinteressen durchsetzt. Das Ergebnis ist die Demokratie als die Herrschaft

4.2  Konzeption der Ordnungspolitik

105

der Gruppe. Alternativ kann man einen Dritten mit der Vertretung der Gemeininteressen beauftragen, einen Monarchen, den die Gruppe dann aber wieder auf die Verfolgung der Gemeininteressen kontrollieren muss. Verständnisfragen 1. Was versteht man unter „Homo homini lupus est“? 2. Warum kann es nach Hume keine Bedürfnisgerechtigkeit geben? 3. Welche Probleme sieht Rousseau mit dem Eigentum verbunden? 4. Warum kann es laut Hayek keine wirtschaftliche Gleichheit geben? Was bietet er als Lösung an? 5. Warum einigen sich die Menschen laut Rawls auf eine Gesellschaftsordnung? 6. Warum verhalten sich nach Gauthier die Menschen moralisch?

4.2 Konzeption der Ordnungspolitik Die wirtschaftspolitische Konzeption Deutschlands baut auf dem theoretischen Fundament des EUCKENschen Ordoliberalismus auf. Der Grundtenor dieser Konzeption weist dem Staat die Rolle der Rahmen setzenden Ordnungsinstitution zu, die nur regulierend eingreifen darf – dann aber auch eingreifen muß-, um Marktunvollkommenheiten zu beseitigen und den freien Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Das Wort Ordoliberalismus teilt sich auf in „Ordo“, die ordnungspolitische Rahmengebung und „-liberalismus“, der freie marktwirtschaftliche Wettbewerb. Lenkende Struktur- und Gestaltungspolitik gehört deshalb nach Aussage der Bundesregierung nicht zu ihren Aufgaben25:  Definition  Ordnungspolitik bezeichnet alle staatlichen Maßnahmen, die auf die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens gerichtet sind, insbesondere die Erhaltung, Anpassung und Verbesserung der Wirtschaftsordnung. Die Ordnung muss gewährleisten, dass Interventionen die Ausnahme bleiben. Hierzu hat Eucken zwei Arten von Prinzipien entwickelt: die einen konstituieren eine Wettbewerbsordnung und die anderen regulieren den Marktprozess. Nach den regulierenden Prinzipien sollen entweder die Märkte, auf denen vollständige Konkurrenz unzweckmäßig ist, gelenkt oder Schäden sowie Unvollständigkeiten behoben werden, mit denen trotz der vollständigen Konkurrenz noch zu rechnen ist.26 Die sieben konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung lauten:

25Vgl. 26Vgl.

hierzu auch Kokalj, Ljuba und Albach Horst (1987, S. 244 ff.). Starbatty, Joachim (1983, S. 569); sowie Lenel, Hans Otto (1989, S. 309).

106

4 Ordnungspolitik

1. Herstellen eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz, 2. Stabilisieren des Geldwertes, 3. Offenhaltung der Märkte für neue Marktteilnehmer, 4. Privateigentum, 5. Vertragsfreiheit, 6. volle Haftung der Unternehmen für ihre Entscheidungen und 7. Konstanz der Wirtschaftspolitik. Die vier regulierenden Prinzipien der Wettbewerbspolitik heißen: 1. Errichtung eines staatlichen Monopolaufsichtsamts, 2. Korrektur der Wirtschaftsrechnung durch Einbeziehung von externen Effekten, 3. Auffangen anomaler Angebotsreaktionen, z. B. auf dem Arbeitsmarkt, und 4. Umverteilung zum sozialen Ausgleich.27 Verfassungsökonomik Die Verfassungsökonomik (englisch Constitutional Economics) untersucht die Regeln, die Verfassung der Wirtschaft in ihrer Funktionsweise, mit dem Ziel, sie so zu gestalten, dass sie dem Interesse der betroffenen Individuen dienen. Als objektives Bewertungskriterium gilt hierbei die Zustimmung der Individuen. Die Ordnung gilt als legitimiert, der alle Individuen zustimmen (methodologischer Individualismus).28 Problematisch ist hierbei, dass die Individuen allein gemäß ihren Präferenzen und Zielvorstellungen zustimmen, womit die subjektiven Interessen der Individuen zur Legitimationsgrundlage wird (normativer Individualismus). Objektive Funktionskriterien oder die übergeordneten Gemeininteressen werden nicht berücksichtigt. „The critical normative presupposition on which the whole contractarian construction stands or falls is the location of value exclusively in the individual human being“29 Eine Zustimmung aller Individuen bedeutet aber de fakto Einstimmigkeit, womit eine Gestaltung oder Änderung der Regeln nur gelingt, wenn alle Individuen die gleichen Interessen haben und eine Entscheidung organisatorisch möglich ist.30 Vanberg leitet aus

27Vgl.

Eucken, Walter (1952). Vanberg, V. J. (1997): Die normativen Grundlagen von Ordnungspolitik, ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 48, 707–726; S. 713 sowie Vanberg, V. J. (1998): Constitutional Political Economy, in: Davis, J. B./Hands, D. W./Mäki, U. (Hrsg.): The Handbook of Economic Methodology, Cheltenham: Edward Elgar, 69–75, S. 70. 29Brennan, G. und Buchanan, J. M. (1985). The Reason of Rules, Cambridge University Press, Cambridge, S. 25. 30Vgl. Vanberg, V. J. (2004). Market and State: The Perspective of Constitutional Political Economy, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 10/2004. S. 4; Vanberg, V. J. (1997). Die normativen Grundlagen von Ordnungspolitik, ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 48, 707–726, S. 713 f. 28Vgl.

4.2  Konzeption der Ordnungspolitik

107

dem Vorrang der Bürgerinteressen die verfassungsökonomische Bedeutung der Konsumentensouveränität ab, da hier der individuelle Nutzen am größten ist. Unternehmerinteressen sind dann nachrangig. Die Konsumentensouveränität wird am besten durch einen Leistungswettbewerb unterstützt, der der ordnungspolitischen Freiburger Schule entstammt.31 Buchanan erweitert die Volkswirtschaftslehre um die Regeln, die den Menschen wirtschaftlichen und politischen Nutzen bringen: „My argument was that economics, as a social science, is or should be about trade, exchange, and the many and varied institutional forms that implement and facilitate trade, including all of the complexities of modern contracts as well as the whole realm of collective agreement on the constitutional rules of political society.“32 Die traditionelle Ökonomie beschäftigt sich laut Buchanan mit den freiwilligen Austauschbeziehungen von Wirtschaftsakteuren. Die Verfassungsökonomik untersucht den institutionellen Rahmen in Form von Regeln, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Miteinander organisieren. Die Menschen unterwerfen sich Regeln, schränken somit freiwillig ihre Freiheit ein, um daraus Nutzen zu ziehen. Während die traditionelle Ökonomie das Verhalten der Wirtschaftsakteure innerhalb des gegebenen institutionellen Rahmens untersucht und versucht, zu optimieren, beschäftigt sich die Verfassungsökonomik mit den Wirkungen und der Optimierung des institutionellen Rahmens, wobei sie auch den politischen Rahmen miteinbezieht.33 Die Verfassungsökonomik stellt wie die Freiburger Schule (vgl. Abschn. 7.1.1) die Gestaltung der Wirtschaftsordnung als zentral in den Vordergrund und sucht nach den optimalen Regeln, stellt aber die Freiwilligkeit genauer die Zustimmung der Bürger zu den Regeln in den Vordergrund.34 ‚Ordnungstheorie‘ as Constitutional Economics. The German Conception of a ‚Social Market Economy‘, ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 39, 17–31, S. 27. Die Freiburger Schule sah hingegen die die Wohlfahrtsmaximierung der Bevölkerung als zentrales Ziel. Ergänzt man die

31Vgl.

Vanberg, V. J. (2004). Market and State: The Perspective of Constitutional Political Economy, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 10/2004. S. 19; Vanberg, V. J. (1997). Die normativen Grundlagen von Ordnungspolitik, ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 48, 707–726; S. 721 f.; Feld, L. P., & Köhler, E. (2011). Ist die Ordnungsökonomik zukunftsfähig? Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 12(2), 173–195. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-349165, S. 180 f. 32Buchanan, James M. (1991). The Economics and Ethics of Constitutional Order, Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 31. 33Vgl. Buchanan, James M. (1991). The Economics and Ethics of Constitutional Order, Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 81; Buchanan, James M. (1979). What Should Economists Do? Indianapolis: Liberty Press, S. 17 and Vanberg, V. J. (2004). Market and State: The Perspective of Constitutional Political Economy, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 10/2004. S. 5. 34Vgl. Vanberg, V. J. (1988):

108

4 Ordnungspolitik

konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung von Eucken durch das Prinzip der Zustimmungsfähigkeit und die Konsumenten Souveränität durch die Bürgersouveränität wird die Ordnungstheorie zur Verfassungstheorie.35

4.3 Bausteine einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung Woraus besteht die Wirtschaft? Wie hängt alles zusammen? Zunächst wollen wir uns mit den Bausteinen einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung beschäftigen. 1. Rechtliche Sicherung des Privateigentums Eigentum ist die Basis eines marktwirtschaftlichen Systems und muss deshalb in der Verfassung eines Landes verankert werden. Ohne Eigentum kann es keine Anreizfunktion des Wettbewerbs geben. Ohne Eigentum an den Produktionsmitteln gibt es auch kein Streben nach Gewinn und auch keine Haftung bei Fehlern im Wettbewerb, womit sämtliche andere Wettbewerbsfunktionen außer der Freiheits- und die Kontrollfunktion auch wegfallen. Die Invisible Hand kann sich nicht entfalten. Eigentum an Gütern ist auch die Basis für die Kaufkraft des Geldes und damit für Kapital und damit auch an Sparen und Investieren. 2. Konstituierende und gestaltende Unternehmensgesetze Es sind Unternehmensgesetze notwendig, wie Konkursrecht, Wettbewerbsrecht, HGB, Aktiengesetz etc. Sie sind die Basis für Haftung und Vertragsfreiheit. 3. Steuerrecht Zur Finanzierung des Staates bzw. Gemeinwesens benötigt man ebenfalls ein Steuerrecht. 4. Organe bzw. Organisationen zur Rechtsdurchsetzung Um das Recht durchzusetzen, ist eine Exekutive notwendig. Ein mehrstufiges Rechtssystem mit unabhängigen Richtern ist erforderlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die beklagten Parteien müssen die Möglichkeit haben, ein Urteil von einem anderen Richter überprüfen zu lassen, um Willkür und Abhängigkeit zu verhindern. Natürlich dürfen die Richter nicht bestechlich sein, damit gerechte Urteile gesprochen werden. Hier ist wiederum Gewaltenteilung eine notwendige Bedingung. Judikative und Exekutive sollten getrennt sein und es darf keine Abhängigkeiten untereinander geben. So gesehen ist es nicht im Sinne einer konsequenten Gewaltenteilung, dass

35See

Feld, L. P. und Köhler, E. (2011). Ist die Ordnungsökonomik zukunftsfähig? Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 12(2), 173–195. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168ssoar-349165, S. 182.

4.3  Bausteine einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung

109

die Richter nicht in Deutschland vom Justizministerium ernannt werden. Weitere notwendige Organe zur Rechtsdurchsetzung sind die Polizei, eine Wettbewerbsaufsicht (vgl. Kap. 7) und Finanzämter. Sichere Rahmenbedingungen für die geschäftlichen Transaktionen senken das Risiko, und damit die Absicherungskosten von geschäftlichen Transaktionen (vgl. hierzu in Abschn. 4.3 die Ausführungen zu Transaktionskosten). Hier liegt ein Wettbewerbsvorteil der BRD gegenüber anderen Ländern. Transaktionen sind in Deutschland sicherer als in vielen anderen Ländern. 5. Geldordnung Ferner benötigen wir ein a) zweistufiges Bankensystem, also gewinnorientierte Privatbanken und eine nicht-gewinnorientierte unabhängige Notenbank (z. B. EZB). Die Aufgabe der privaten Geschäftsbanken ist es, als Finanzintermediäre eine effiziente Kapitalallokation sicherzustellen. Hierzu ist es notwendig, dass die Banken gewinnorientiert nach den Investitionsmöglichkeiten in der Wirtschaft suchen, die im Verhältnis zum Risiko eine hohe Rendite bieten. Diese Funktion können nur die Geschäftsbanken wahrnehmen. Sie sammeln das Kapital (Kapitalsammelstellen) und sorgen danach für die effiziente Allokation des Kapitals. Für Fehler müssen sie haften. Das bedeutet im Zweifelsfall auch, den Konkurs des eigenen Unternehmens, womit ein hoher Vermögensverlust verbunden ist. Findet keine Haftung statt, gibt es Moral Hazard Probleme. Wie in der Finanzkrise besteht dann die Gefahr, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Für eine effiziente Kapitalallokation ist auch ein knappes Geldangebot erforderlich. Wenn Geld von der Notenbank im Überfluss zur Verfügung gestellt wird, wird es nicht sorgfältig verteilt und eine effiziente Kapitalallokation nicht erreicht. Hierzu ist eine potenzialorientierte Geldpolitik erforderlich, das bedeutet, dass nur so viel Geld von der Notenbank in Umlauf gebracht werden darf, wie sich das Produktionspotenzial als Maßstab für die Gütermenge entwickelt. Steigt die Geldmenge schneller als die Gütermenge, bewirkt dies Inflation (vgl. auch Quantitätsgleichung in Kap. 10). Die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes darf nicht beeinträchtigt werden, um das Vertrauen in die Währung zu erhalten. Das Verbot zur Finanzierung öffentlicher Defizite und die Unabhängigkeit der Notenbank sind in diesem Zusammenhang wichtige Voraussetzungen, um Vertrauen in eine preisniveaustabilitätsorientierte Politik der Notenbank zu schaffen. Aus diesem Grund darf eine Notenbank auch nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern muss nur dem Ziel der Preisniveaustabilität verpflichtet sein. Gewinn erzielt eine Notenbank vor allem durch die Bereitstellung von Liquidität. Der Notenbank oder einer anderen unabhängigen Organisation kommt ferner die Aufgabe der Aufsicht über die Geschäftsbanken zu. Sie muss die Umsetzung der Finanzmarktgesetze überwachen und zu große Risikopositionen (Klumpenrisiken) verhindern.

110

4 Ordnungspolitik

b) Der Staat muss ich für ein Wechselkurssystems entscheiden, also beispielsweise flexible oder fixe Wechselkurse, das heißt gegebenenfalls seine Währung an eine andere binden oder den Europäisches Währungssystem beitreten. c) Schließlich ist die In- und oder Ausländerkonvertibilität festzulegen, das heißt es können In- und Ausländer Währungen jeder Herkunft zum bestehenden (festen oder flexiblen) Wechselkurs unbegrenzt kaufen oder verkaufen (monetäre Konvertibilität). Einschränkungen können sich zum einen auf die betroffene Personengruppe ­(Inländer-/ Ausländerkonvertibilität), zum anderen auf die zugrunde liegenden Transaktionen (Leistungs-/Kapitaltransaktionen) beziehen.

4.4 Institutionsökonomik: Bausteine der Wirtschaft Aus Sicht der Institutionsökonomie sind ökonomische Handlungen nicht nur technische Vorgänge der Produktion oder der Übertragung von Gütern. Sie sind vielmehr Transaktionen, das heißt Übertragungen von Eigentums- und Verfügungsrechten (Property Rights) an Gütern. Transaktionskostentheorie Grundzüge der Theorie36: Vertreter: Oliver E. Williamson (1975–1996) und Ronald Coase (1937) Wirtschaftliche Entscheidungen werden von den Marktteilnehmern durch Transaktionen umgesetzt.  Definitionen für Transaktion  Wir wollen unter Transaktionen alle Übertragungen von Verfügungsrechten an Gütern und Dienstleistungen verstehen. Unter der Übertragung von Dienstleistungen ist auch bspw. die Arbeitnehmertätigkeit in einem Unternehmen zu verstehen. Unter Transaktionskosten wollen wir alle Kosten verstehen, die direkt oder indirekt mit durch die Transaktionen verursacht werden. Die Übertragungen von Gütern und Dienstleistungen sind mit vielen Kosten verbunden: Informations-, Verhandlungs-, Kontroll- und Durchsetzungskosten sowie im weiteren Sinne auch Transportkosten. Kontroll- und Durchsetzungskosten können zum Beispiel bei Exporten durch ein fehlendes Rechtssystem im Abnehmerland verursacht werden.

36Vgl. Williamson, O. E. (1979, S. 18 ff.); sowie Williamson, O. E. (1985a, b); sowie Furubotn, Eirik G. und Richter, Rudolf (2005, S. 47 ff.).

4.4  Institutionsökonomik: Bausteine der Wirtschaft

111

Gemäß der Transaktionskostentheorie wählen sich die Transaktionspartner die Vertragsbeziehung, die die Transaktionskosten minimiert. Für ein Unternehmen geht es somit um die Frage: Make or Buy bzw. In- oder Outsourcing. Drei Kriterien der Transaktion beeinflussen nach Williamson das Optimierungskalkül: 1. ihre Häufigkeit (lohnt sich ein Vertrag), 2. ihre Unsicherheit (also das Risiko für das Unternehmen, das mit der Leistungsumsetzung verbunden ist) und 3. ihre Spezifität oder Komplexität (Steuerung mit Anpassungserfordernissen). Je spezifischer, regelmäßiger und unsicherer eine Transaktion ist, desto mehr spricht für eine unternehmensinterne, d. h. „hierarchische“ Koordination. Nach der jeweiligen Kombination von Transaktionshäufigkeit und spezifischen Investitionen kann man drei Arten von Verträgen unterscheiden: 1. Klassische Verträge Die Leistung ist von Umfang und Zeit klar abgegrenzt. Das Risiko der mangelhaften Vertragserfüllung ist begrenzt. Keine Partei rechnet mit einer nachträglichen Vertragsanpassung. Beispielsweise ist der Kauf einer Zeitung im Supermarkt ein klassischer Vertrag. Mit der Transaktion des Erwerbs einer Zeitung sind für beide Transaktionspartner kein Risiko und keine Komplexität verbunden. Erst wenn sich der Käufer entschließt, die Zeitung jeden Tag zu kaufen, lohnt es sich allerdings für beide Seiten einen langfristigen Vertrag in Form eines Abonnements abzuschließen. Dieser Vertag minimiert die Transaktionskosten. 2. Langfristige Verträge Bei den Transaktionen lassen sich nicht sämtliche Bedingungen in den Verträgen festlegen, weshalb mit Anpassungsbedarf zu rechnen ist. Dies erfolgt über Sicherungs-, Anpassungs- und Garantieklauseln. Beispielsweise ist der Bau eines Hauses eine komplexe Transaktion, die auch einige Risiken enthält. Der Käufer kann sich nicht sicher sein, dass die Transaktion zu seiner Zufriedenheit umgesetzt wird. Während des Baus kann es zu Anpassungen und Änderungen der Transaktion kommen. Manche Mängel zeigen sich erst lange nach der Fertigstellung des Hauses. Hier sind Garantieklauseln ebenso erforderlich wie beispielsweise bei langlebigen Anlagegütern, also Maschinen. Je häufiger eine Transaktion stattfindet desto eher lohnt es sich, hierfür Mitarbeiter einzustellen und sie im Unternehmen abzubilden. Die Mitarbeiterverträge sind langfristige Verträge. Aber auch für Transaktionen außerhalb des Unternehmens wirkt sich die Häufigkeit aus.

112

4 Ordnungspolitik

3. Relationale Vertragsbeziehungen Relation, also beziehungsbezogene Transaktionen sind langfristig und komplex. Gemeinsame Entscheidungen und Anpassungen sind zu erwarten wie z. B. Projektarbeit, weshalb die Abwicklung in Organisationen wie Unternehmen erfolgt. Beispielsweise ist es bei komplexen Produkten ratsam, die Produktion oder den Vertrieb im eigenen Unternehmen abzuwickeln. Die Qualität und Weiterentwicklung des Produktes kann über fremde Firmen nicht gesteuert und überwacht werden. Im Vertrieb müssen die Zusagen und Verhandlungen auf das Produkt abgestimmt sein. Das Unternehmen haftet hier nicht nur für Fehler, sondern die Kundenbeziehung wird auch noch gefährdet. Beispielsweise hatte eine Bank aus Kostengründen ihre Wertpapierabwicklung outgesourct. Die Umsetzung war dann aber sehr fehlerhaft, sodass sich die Kunden beschwerten. Sie konnten ihre Steuererklärung nicht abgeben. Der Vorstand erklärte das Problem zu Chefsache, aber er hatte keinen Einfluss auf die Verrichtung, da sie nicht im eigenen Unternehmen stattfand. Er hätte lediglich den Vertrag mit dem externen Unternehmen kündigen können oder auf Schadensersatz klagen können. Beides hätte aber die Situation nicht unmittelbar verbessert. Neben den Transaktionen gibt es Beziehungen zwischen den Menschen, den Akteuren, die zusammen wirtschaften. Hierfür haben sich über die Zeit ebenfalls Optimierungsansätze herausgebildet. Im nächsten Teilbereich dieses Kapitel beschäftigen wir uns mit der Organisation, der Institution, dem Kooperativen Netzwerk und Humankapital. Im Zuge dessen wollen wir die folgenden Fragen beantworten: • Woraus besteht die Wirtschaft? • Wie hängt alles zusammen? • Warum gibt es Unternehmen?  Definition  Unter einer Organisation wollen wir die systematische Zuordnung von Funktionen zu einem handlungsfähigen Ganzen verstehen. Was ist unter einem Unternehmen zu verstehen, was sind seine Funktionen und Besonderheiten? Die Institutionenökonomik definiert ein Unternehmen als „a coalition of resource owners bound by a nexus of contracual relations that is governed by a contract decision and monitory agent – the entrepreneur“.37 Diese Definition beschreibt mehr die Zusammensetzung eines Unternehmens, sie wird seinem Wesen aber wenig gerecht. Gemäß Coase liegt die Funktion eines Unternehmens vor allem in der Vermeidung von Transaktionskosten. Unternehmen sind demnach eine Einheit, die im Innen- wie im Außenverhältnis über langfristige Verträge immer wiederkehrende Transaktionen regelt und dadurch Transaktionskosten sparen. Und schon Adam Smith erkannte in einem Unternehmen ein Mittel zur Organisation der Arbeitsteilung und damit

37Zitiert

nach Nowak, Eric (1997, S. 22).

4.4  Institutionsökonomik: Bausteine der Wirtschaft

113

zur Nutzung von Lerneffekten, zur Vereinfachung der Produktion und zur Nutzung der individuellen Stärken der Mitarbeiter. Alchian und Demsetz betonten dann später diesen Aspekt mit der Bestimmung der Teamproduktion als zentrale Unternehmensfunktion, ebenso Wieland.38 Eine wichtige Aufgabe eines Unternehmens ist es somit, kooperatives Verhalten im Rahmen von Gefangendilemmas durchzusetzen und somit Trittbrettfahren zu verhindern. Der entscheidende Charakterzug eines Unternehmens sind jedoch weder die langfristigen Verträge noch die Teamproduktion, sondern die Organisation als solche. Ein Unternehmen muss nicht im Team produzieren, um Gewinne zu erwirtschaften. Beispielsweise besteht ein Busunternehmen aus vielen einzelnen voneinander unabhängig operierenden Transporteinheiten. Hier gibt es keine Teamproduktion. Der entscheidende Mehrwert (Wertschöpfung) liegt in der Organisation der Busse bzw. Busrouten. Organisationen wollen wir definieren als die systematische Zuordnung von Funktionen zu einem handlungsfähigen Ganzen (Definition). Dies wird in der Regel wie in unserem Beispiel die Zuordnung von Fahrrouten zu den einzelnen Bussen und Fahrern sein, also die Zuordnung von Funktionen zu Menschen und Maschinen. Im Rahmen der Unternehmensorganisation bekommen die Mitarbeiter Aufgaben und Entscheidungskompetenzen zugewiesen. Diese Organisation der produktiven Kräfte ergibt die Produktivität, aus ihr entsteht der Mehrwert der Organisationsform Unternehmen. Die Kunst besteht also vor allem in der optimalen Zuordnung der Funktionen zu den Mitarbeitern und Maschinen. Hier ist die produktive Kraft des Unternehmens verborgen. Deshalb sind beispielsweise die Stellenbeschreibungen in einem Unternehmen (Aufgaben und Kompetenzen) den Fähigkeiten der Mitarbeiter anzugleichen.39 Warum gibt es überhaupt menschliche Kultur? Nur, weil das mathematische Gesetz A + B + C = 1 × (A + B + C) durch das Zusammenleben in der menschlichen Gemeinschaft ausgehebelt wird. Vereint sich eine Gruppe von Menschen zu einer gemeinsamen Tätigkeit oder Aufgabe, so kann das Ergebnis der gemeinschaftlichen Aktion größer als die Summe der Einzelaktionen der Individuen sein. Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile (Emergenz), was eine Besonderheit des menschlichen Zusammenlebens ist. Letztlich sind Organisationen auch nichts anderes als gesellschaftliche Problemlösungen, die sich als Antwort auf äußere Anforderungen und Rahmenbedingungen entwickelt haben. Im Laufe der Zeit bildeten sich soziale Gebilde heraus, die durch die Kooperation verschiedener Menschen Mehrwerte schaffen. Damit diese Menschen kooperativ, also gemeinsam einen Mehrwert schaffen, müssen verschiedene Hindernisse überwunden werden. Für potenzielle Konflikte müssen geeignete Regelungen gefunden werden. Im Unternehmen sind dies vor allem die bereits erwähnten langfristigen Verträge. Sie reduzieren nicht nur die Transaktionskosten, in dem sie Leistung und Gegenleistung

38Vgl. Alchian, A. A./Demsetz, H. (1972); Nowak, Eric (1997, S. 19 ff.); sowie Wieland, Josef (1999, S. 54 f.). 39Vgl. Vahs, Dietmar (2001, S. 62).

114

4 Ordnungspolitik

zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer langfristig regeln, was die soziale Einbindung des Leistungsträgers in die Teamproduktion einschließt, sondern auch die Zuordnung der Entscheidungskompetenzen und damit aller internen Rechte und Pflichten bis hin zur Verteilung des im Unternehmen gemeinsam erwirtschafteten Mehrwerts als Einkommen.  Definition  Soziale Regelungen werden in der Soziologie Institutionen genannt. Institutionen sind z.  B. Gesetze, aber auch nicht staatlich überwachte Regeln des menschlichen Zusammenlebens wie bspw. die Moral einer Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Regelungen schaffen im Gegensatz zu Organisationen nur einen indirekten Mehrwert. Diese Regelungen sind aber für den direkten Mehrwert der Organisationen wesentliche Voraussetzungen. Institutionen bildeten sich aufgrund gesellschaftlicher Dilemmastrukturen (z. B. das staatliche Rechtssystem). Ein gesellschaftliches Dilemma ergibt sich daraus, dass es sich ohne staatlichen Ordnungsrahmen lohnen würde, sich auf Kosten anderer zu bereichern, z. B. durch Raub oder Betrug. Beispielsweise ließe sich ohne die Garantie von Eigentum nicht einmal eine Brücke bauen, weil immer wieder die Baustelle geplündert werden würde. Ohne Institutionen ließen sich viele gesellschaftliche Mehrwerte nicht realisieren. Die einfachste Form, Vorteile aus einer gegenseitigen unterstützenden Zusammenarbeit von Menschen zu realisieren, sind Kooperative Netzwerke.  Definition  Kooperative Netzwerke sind alle Formen der Zusammenarbeit oder allgemein sich gegenseitig unterstützende Interaktionen von Menschen, um einen Mehrwert zu schaffen (Arbeitsteilung/Spezialisierung). Zum Beispiel bringt auch die Teamarbeit als kooperatives Netzwerk einen Mehrwert hervor: Wiederkehrende Aufgaben werden im Team aufgeteilt und in gemeinsamer Kooperation ausgeübt. Unternehmen bestehen in der Regel aus mehreren interaktiven kooperativen Netzwerken, die in die Organisation als Zuordnung von Funktionen eingebunden sind. Ein weiteres Beispiel für kooperative Netzwerke sind die Jagdgemeinschaften in der Steinzeit. Nur gemeinsam konnte man im Wald Wild zusammentreiben und größeres Wild stellen. Bisher haben wir mit Organisationen und Institutionen gesellschaftliche Innovationen aufgezeigt, die die Produktivität der Zusammenarbeit der Menschen generell und in der Wirtschaft erhöhen. Die Menschen selbst besitzen aber ebenfalls Fähigkeiten produktiv zu sein. Wir unterscheiden hier bei dem sogenannten Humankapital Sozial- und Individualkapital.  Definition  Humankapital sind alle Voraussetzungen und Potenziale zur Mehrwerterzeugung, die in den Menschen vorhanden sind und als produktive Kräfte zum Einsatz gebracht werden können. Humankapital ist nicht messbar und kann in Sozialkapital und Individualkapital unterschieden werden.

4.4  Institutionsökonomik: Bausteine der Wirtschaft

115

 Definition  Sozialkapital sind alle Voraussetzungen zur Produktivität, die beim Menschen vorhanden sind, aber nur in einer Gruppe (sozial hier im Sinne von gesellschaftlich) realisiert werden können. Beispiele: Die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse des Personalwesens können nur genutzt werden, wenn Mitarbeiter im Unternehmen vorhanden sind. Aber auch eingeübtes soziales Verhalten, wie Moral und Höflichkeit, sind Humankapital. Das moralische und höfliche Arbeiten schafft einen gesellschaftlichen Mehrwert, durch die Verringerung der Transaktions- und Kontrollkosten. Sind alle Menschen ehrlich, werden die Verträge wie vereinbart erfüllt. Rechtsanwälte und Gerichte werden nicht mehr benötigt. Höfliches Veralten im Unternehmen steigert das Betriebsklima und die Bereitschaft, sich bei der Produktion zu unterstützen und damit die Produktivität.  Definition  Individualkapital sind alle Voraussetzungen, die ein Mensch in sich hat, um einen Mehrwert ohne Dritte zu erzeugen. Beispiel: Die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse der Bilanzierung können einen Mehrwert ohne andere Menschen erzielen. Man benötigt niemanden, um eine Bilanz aufzustellen. Schließlich könnte das Unternehmen auch nur aus einer Person bestehen (Taxifahrer). Ein anders Beispiel ist die Ausbildung zum Goldschmied. Ein Goldschmied fertigt den Schmuck alleine, ohne fremde Hilfe. Es gibt Studien zur Bedeutung von Sozialkapital als gemeinsames Gruppenwissen, dem sog. transaktiven Gedächtnis. Moreland und Myaskovsky ließen drei verschiedene Typen von Gruppen ein Radio zusammenbauen. Die Gruppen wurden dafür unterschiedlich geschult. Bei der ersten Gruppe wurden die Mitglieder nur individuell geschult, bei der zweiten wurde den Individuen Wissen über das aufgabenbezogene Wissen anderer mitgeteilt und bei der letzten dritten Gruppe wurden die Mitglieder zusammen als Gruppe geschult. Das Ergebnis der letzten beiden Gruppen war deutlich besser als das der Gruppe, bei der die Mitglieder einzeln geschult wurden. Am produktivsten (gemessen an der Fehleranzahl) war die Gruppe mit gemeinsamer Gruppenerfahrung. Bei dem Experiment wurde die Umsetzung zusätzlich nach den drei Kriterien für ein transaktives Gedächtnis: Spezialisierung, Koordination und Vertrauen bewertet. Spezialisierung wurde hierbei als Anwendung des eigenen Expertenwissens verstanden, Koordination als optimale Zuordnung der Aufgaben zu den jeweiligen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder und Vertrauen in das Expertenwissen des anderen als geringere Streitigkeiten untereinander über die Aufgabenzuteilung.40

40See Hollingshead, A. B. (1998). Group and individual training: The impact of practice on performance. Small Group Research, 29, S. 254–280; Moreland, R. L. (1999). Transactive memory: Learning who knows what in work groups and organizations. In L. Thompson, D. Messick, & J. Levine (Hrsg.), Shared cognition in organizations: The management of knowledge (S. 3–31);

116

4 Ordnungspolitik

4.5 Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft) Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, eine Wirtschaft zu organisieren: dezentral über Märkte oder zentral über eine Planungsbehörde. Diese beiden Grundformen von Wirtschaftssystemen nennen wir Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft.  Definition  Zentralwirtschaft Planwirtschaft in der Umgangssprache: Die Wirtschaft wird ex ante (vor der Umsetzung) zentral geplant (ein Plan).  Definition  Marktwirtschaft: Menschen planen selbst ex ante dezentral und die Pläne werden über Märkte ex post (nach der Planung) koordiniert (viele Pläne). Historische Beispiele von Staaten, in denen die Zentralverwaltungswirtschaft als Wirtschaftsform angewendet wurde, waren die DDR, die UDSSR und China. Es gibt sie immer noch in Nordkorea und Kuba. In Kriegszeiten entwickelte sich oftmals Zwischenformen, in denen der Staat bestimmte, wer was produziert. Jedoch gab es weiterhin Privateigentum. Charakteristika der Zentralverwaltungswirtschaft 1. Nur ex-ante Planung, keine ex-post Koordination der Pläne Es ist eine umfangreiche, hierarchisch organisierte Bürokratie notwendig, die die Bedürfnisse der Menschen in Form von Ein- bis Fünfjahresplänen aggregiert (Bottom-up) und anschließend die Produktion, inklusive die Ressourcenzuteilung, als Top-down-Vorgabe ebenso bestimmt. Die Unternehmen werden somit gefragt, welche Kapazitäten sie haben und welche Ressourcen sie für die Produktion benötigen. 2. Planung über Produktionsbilanzen, Anpassung der Pläne durch Zwang Anschließend bekommen sie von dem Zentralen Planungsbüro die Produktion von Endprodukten und Lieferung von Vorproduktionen an andere Unternehmen vorgegeben. D. h. die Erzeugung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen muss durch eine Bürokratie organisiert werden. Hierzu muss die Behörde die Bedürfnisse der Menschen einschätzen und den optimalen Einsatz der Ressourcen steuern können. Zur Steuerung muss in das Eigentumsrecht massiv eingegriffen werden. 3. Kein Privateigentum an den Produktionsmitteln Das heißt, es kann kein Privateigentum geben. Die Unternehmen gehören dem Staat. Alle Menschen arbeiten so gesehen für den Staat und im kommunistischen Sinne für die Gemeinschaft, also indirekt für sich.

Mahwah, NJ: Erlbaum.; Moreland, R. L. und Myaskovsky, L. (2000, S. 117–133); sowie Nijstad, Bernard A. und Knippenberg, Daan Van (2014, S. 459 ff.).

4.5  Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft)

117

4. Preise sind lediglich politisch fixierte Verrechnungsmittel Es gibt keine Märkte und keine Marktpreise. Die Preise für die Produktion werden so geplant, dass sie für die Unternehmen kostendeckend sein sollen oder werden nach politischen Kriterien bestimmt. Beispielsweise wurden Bücher und Wohnungen subventioniert. Hieraus ergaben sich vermeintliche Vorteile gegenüber der marktwirtschaftlichen Lösung. Der Hauptgrund der Kapitalismuskritik war die als ungerecht empfundene Güter- bzw. Vermögensverteilung. Vorteile Zentralverwaltungswirtschaft gegenüber der Marktwirtschaft Die industrielle Revolution führte zu extremen Einkommensunterschieden zwischen Arbeitern und Fabrikbesitzern, den sogenannten Kapitalisten. Der Marktmechanismus führte bei dem vor allem durch die Bevölkerungsexplosion hervorgerufenen Überangebot an Arbeit zu extrem niedrigen Löhnen und damit zu der sogenannten „Verelendung der Proletariats“ (vgl. Abschn. 5.10). Das Eigentum an den Produktionsmitteln wurde als problematisch angesehen. Der Markt entlohnt nur etwas, für das es eine Nachfrage gibt (z. B. auch Nichtleistung wie bspw. Knappheit). Der Markt als Institution ist weder human noch sozial. Als Lösung des Problems wurde die Verteilung der Güter entsprechend der Bedürfnisgerechtigkeit und die Entmachtung des Kapitals gesehen (siehe hierzu die Schriften von Karl Marx und als Vorläufer die Staatsentwürfe Platons oder das Buch Utopia von Thomas Morus) und nach der Oktoberrevolution zuerst in Russland und dann in der UDSSR umgesetzt und führte zu der Gesellschaftsform des Kommunismus, in der es kein Privateigentum mehr gab. Ist der Staat, also die Gesellschaft, Eigentümer der Produktionsmittel, ergeben sich theoretisch einige Vorteile: 1. Planungssicherheit der Betriebe und Arbeiter, keine Arbeitslosigkeit Wird die gesamte Produktion mit den zur Verfügung stehenden Arbeitern geplant, gibt es keine Arbeitslosigkeit. Gibt es keine Planungsfehler, 2. gibt es auch keine Konjunkturzyklen und Wirtschaftskrisen mehr. 3. Theoretisch gibt es auch keine Probleme mit einzelwirtschaftlichen Zielkonflikten wie z. B. Umweltverschmutzung durch Produktion, da alle Unternehmensentscheidungen letztlich vom Staat getroffen werden, also gemeinwohlorientiert sind. Wie ließ sich dieser Ansatz in der Praxis umsetzen? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir uns mit dem Beispiel der DDR beschäftigen.

118

4 Ordnungspolitik

Case Study Das Leben in der DDR

Gruppenarbeit: Lesen Sie die folgenden Artikel über die DDR. Was fällt ihnen auf? Welche Vor- und Nachteile stellen Sie im Vergleich zu Ihren Erfahrungen mit der Marktwirtschaft fest? 1. Artikel: Impressionen der DDR-Zentralverwaltungswirtschaft Lexikon Gespräch mit Marion Blumeyer, Verkäuferin Marion Blumeyer war jahrelang Fleischfachverkäuferin in einer ­Konsum-Kaufhalle. MDR: Frau Blumeyer, wurde immer alles geliefert, was Sie bestellt haben? Marion Blumeyer: Nein. Schweinefilet, Kassler, Rouladen wurden kaum geliefert, die Sachen haben wir mit „nein“ verkauft. Schnitzel, Bauchfleisch und Innereien waren immer zu haben – aber wer wollte die schon immer essen? Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: In der DDR musste niemand hungern. Wenn es keinen Kassler gab, dann gab es auf dem Mittagstisch eben Schnitzel – wenn nicht gerade Spargelzeit war. Nicht die Menge, sondern die Auswahl war eher gering. Wie oft kamen die Leute in ihre Kaufhalle und fragten: „Haben Sie?“ Das kam zigmal am Tag vor. Es war wirklich so, dass Familien ihre Oma vorschickten, damit die herausfand, wo es etwas gab. So kam diese Oma vier- bis fünfmal am Tag zu uns und fragte nach. Wir kannten daher auch unsere Stammkunden genau und konnten später sogar die Uhr nach ihnen stellen. Nur bei Bananen und Ähnlichem funktionierte das nicht, denn diese wurden nur gegen die Vorlage des Personalausweises vergeben, auf dem die Kinderzahl vermerkt war. Je mehr Kinder, desto mehr Bananen. Aber für alle Kunden haben die paar Bananen sowieso nie gereicht. Da standen die Kunden ewig in der Schlange und als sie dann endlich dran waren, gab es keine mehr. Da war immer „Stimmung“. Da wir gerade über die Mangelwaren wie Bananen sprechen, wie war das nun mit „unter dem Ladentisch“? Wenn begehrte Waren ankamen, wurde meistens ein Viertel einbehalten und unter uns Verkäuferinnen verteilt. Unsere Chefin dagegen hatte sogar ein eigenes Lager, und wenn zu Weihnachten Pfirsiche oder Ananas in Büchsen kamen, so ging gleich alles in ihr Lager, und sogar wir Verkäuferinnen konnten nur betteln, ob wir auch eine Büchse abbekommen konnten. Den Rest haben wir teilweise zurückgelegt und in kleine Tüten mit Preisschild verpackt, damit es nicht auffiel. Aber ich glaube, jeder Kunde wusste ganz genau, was in den Tüten drin war. Für wen haben Sie diese Sachen zurückgelegt? Einerseits für Bekannte und Verwandte. Mein Opa hat sich zum Beispiel jeden Freitag eine Flasche Weinbrand geholt und drei Schachteln Filter-Zigaretten einer bestimmten Marke. Die habe ich ihm immer in einer Tüte gegeben. Andererseits wurden wir von unseren Kunden angesprochen: „Wir haben da eine Feier und

4.5  Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft)











119

hätten gern Kochschinken oder Schinkenspeck, und wenn Du mal einen Anorak brauchst, dann kommst du zu mir.“ Man kannte seine Kundschaft ja. Gab es nie Probleme mit den Kunden, die leer ausgingen? Doch natürlich. Manche Kunden waren traurig, andere wurden aggressiv. Sie schoben sich dann gegenseitig die Einkaufswagen in die Hacken und haben sich um bestimmte seltene Sachen richtig geprügelt. Jeden Samstagmorgen haben wir die Reste von der Freitagslieferung verkauft und wenn wir um 7.00 Uhr geöffnet haben, dann standen um 6.30 Uhr schon die Kunden in einer richtig langen Schlange, um darauf zu warten, dass wir öffneten. Jeder wollte der Erste sein und es wurde gerempelt und gedrängelt, dass es nicht mehr schön war. Wenn es mal Bananen gab, standen die Leute schon vor dem leeren Obststand Schlange, bevor wir wussten, dass eine Lieferung unterwegs war. Sie hatten den Wagen gesehen und sind alle zu uns gelaufen. Dann klopften Sie an die Scheibe und wurden regelmäßig ausfallend. Es wurde allerdings nie ein Transporter überfallen, sondern die Leute haben sich immer diszipliniert in eine Reihe gestellt. Verbesserte sich die Versorgungslage mit der Zeit oder nicht? Sie verschlechterte sich stetig. In den siebziger Jahren konnten wir noch Obst verkaufen, das gab es später fast nur noch an Feiertagen. In den letzten Jahren vor der Wende haben wir unsere Warenangebote immer mehr strecken müssen, damit wir die Regale überhaupt noch voll bekamen. Das heißt wir dehnten den Platz für Marmelade, Mehl, Reis und Nudeln immer mehr aus, weil wir nicht mehr genug Backmischungen, Erbsen, Linsen, Waffeln oder gar Ketchupflaschen hatten. Unter diesem Eindruck der stetigen Verschlechterung, würden Sie sich da eher als „Verkäuferin“ oder als „Verteilerin“ bezeichnen? Ich war eine Verkäuferin! Trotz des Mangels hatten wir ein festgesetztes Umsatzziel und um das zu erreichen, mussten wir unsere Waren auch anpreisen, bzw. die unbeliebten Sachen den Leuten schmackhaft machen. Es gab auch richtige Werbeplakate oder Aktionstage, wie „Hausschlachtefeste“ oder ähnliches. Es ist bei uns nie etwas schlecht geworden. Waren Sie glücklich in ihrem Beruf?



Ja, ich war zwanzig Jahre lang glückliche Verkäuferin.



(Gespräch mit Marion Blumeyer, Verkäuferin, 2013)

2. Artikel: Wirtschaft der DDR Konsumpolitik | Mangelwirtschaft | Wirtschaftspolitik Kriegsschäden in den Produktionsbetrieben, Reparationsleistungen an die Sowjetunion und die in ganz Europa am Boden liegende Wirtschaft – nach dem Zweiten Weltkrieg und bis weit in die 50er Jahre hinein blieb es in der Wirtschaftspolitik der DDR das Hauptziel, den Vorkriegsstand in der Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern zu erreichen.

120

4 Ordnungspolitik

Erst 1958 konnte die Rationierung auch der letzten Waren des täglichen Bedarfs aufgehoben werden (Fleisch, Butter, Schuhe u. a.). Die Verantwortung für die – im Vergleich mit dem Westen Deutschlands – „lange Nachkriegszeit“ und die über fast die ganze Zeit ihres Bestehens „stabil“ kritische Versorgungslage trug in erster Linie das politische System. Von Beginn an hemmte die Konkurrenz von wirtschaftlicher Vernunft und politisch-ideologischen Maximen die wirtschaftliche Entwicklung. Immer wieder wurden ökonomisch notwendige Maßnahmen zugunsten der Machterhaltung der herrschenden Partei oder prinzipieller weltanschaulicher Überzeugungen verhindert oder abgeschwächt. Stabile Preise durch Subventionen Der Versuch, soziale Gerechtigkeit, Konsum für jedermann und stabile Preise nicht durch vorsichtige Lenkung des freien Marktes, sondern per Planbeschluss zu erreichen, ging mit einer rigorosen staatlichen Lenkung der Volkswirtschaft einher, die die Verwaltung überforderte und die wirtschaftliche Produktivität hemmte. So führten die verordnet stabilen und niedrigen Preise etwa für Grundnahrungsmittel, Wohnungsmieten, Heizung oder im sozialen Bereich zu immer horrenderen Subventionssummen, die nur durch Überteuerung anderer Produkte (etwa technischer Geräte und „Luxusartikel“) oder durch Kredite zu finanzieren waren. Am Ende ihrer Geschichte stand die DDR vor dem Bankrott, unfähig, ihren finanziellen Verpflichtungen nach innen und außen nachzukommen. Wurde die Bevölkerung, die „herrschende Klasse der Arbeiter und Bauern“, ansonsten auch wenig gefragt, in Sachen Lebensstandard wurden die Sorgen der einfachen Leute mit Aufmerksamkeit beobachtet. Wozu das enttäuschte und aufgebrachte Volk imstande war, wenn es sich um den Lohn seiner Arbeit betrogen sah, das hatte sich am 17. Juni 1953 gezeigt. „Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ Immer neue Initiativen und Losungen wurden kreiert, von der Aktivistenbewegung in der Nachfolge Adolf Henneckes (ab 1948) über Formeln wie „Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“, bis hin zu den Propagandalügen von Sabotageakten feindlicher Kräfte, um das Volk zu Produktionssteigerungen zu veranlassen, ihm als Lohn für momentane Entbehrungen eine rosige Zukunft zu versprechen oder griffige Erklärungen für die permanenten Mangelerscheinungen zu bieten. Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk, http://www.mdr.de/heute-im-osten/index.html sowie http://www.mdr.de/damals/lexikon/artikel75416.html, Wirtschaft der DDR, Abruf 28.01.2013. ◄ Das Beispiel der DDR zeigt, dass die Zentralverwaltungswirtschaft in einigen Bereichen nicht funktioniert hat. Wir wollen im Folgenden diese Bereiche analysieren, um zu erklären, worin diese Probleme begründet sind. Phänomene der Zentralverwaltungswirtschaft 1. Warteschlangen

4.5  Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft)

121

Wie kann man die Warteschlangen erklären? Warteschlangen sind Ausdruck von Knappheit. Die Menschen bekommen nicht die Güter, die sie wollen. Aufgrund geringer Produktivität wurde zu wenig produziert. Hinzu kam, dass die falschen Produkte produziert wurden, also die die keiner haben wollte. Es gab Ladenhüter. In der Marktwirtschaft sorgt der Marktmechanismus für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Gibt es zu wenige Güter, steigt der Preis und damit auch die Gewinnmarge der Produzenten. Um mehr Gewinn zu erzielen, weitet sie die Produktion aus. Zusätzlich lohnt es sich, Güter aus dem Ausland zu importieren. In der Zentralwirtschaft sind die Preise fixiert, weshalb der Marktmechanismus nicht funktionieren kann. Es bilden sich vielmehr Schwarzmärkte mit flexiblen Preisen, die das Angebot zu höheren Preisen zur Verfügung stellen. 2. Schwarzmärkte Die Schwarzmärkte sind Ausdruck von Güterknappheit, falschen Preisen und schlechtem Geld. Es gab zu viel Ostmark in Relation zu den Gütern. Dann waren einige Güter knapp. Die konnte man nicht zu den staatlich fixierten Preisen im Geschäft kaufen, sondern nur auf den Schwarzmärkten. Auf den Schwarzmärkten musste deshalb in der Regel mit Devisen bezahlt werden oder zu einem viel höheren Preis in Ostmark als dem staatlich fixierten. 3. Geldüberhang (versteckte Inflation) Ein Geldüberhang ist Ausdruck von Geldüberproduktion, mangelnder Produktivität oder fehlendem Kundennutzen. Geld muss knapp sein, damit das Geld Kaufkraft hat und sich das Angebot an der Nachfrage ausrichtet (z. B. führte die deutsche Währungsreform 1948 zu einem Angebot an Gütern). Der Geldüberhang führte zur versteckten Inflation. Die Menschen horteten das verdiente Geld, weil sie nicht die Produkte fanden, die sie wollten oder es einfach zu wenige Güter gab. Die Unternehmen zahlten jedoch die Löhne weiter aus. Wenn sie ihre Produkte nicht verkauften, machten sie zwar Verlust, dieser wurde aber vom Eigentümer, dem Staat, durch neu gedrucktes Geld ausgeglichen. Dies nannte man weiche Budgets für die Unternehmen. Die Menschen wurden aber alle beschäftigt. Niemand war arbeitslos, in dem Sinn, dass er nicht einem Unternehmen als Arbeitskraft zugeordnet war. 4. Versteckte Arbeitslosigkeit bedeutet mangelnde Produktivität. Die Menschen hatten zwar alle einen Arbeitsplatz, jedoch waren sie nicht alle produktiv. Die Arbeitslosigkeit ist auch Ausdruck einer verzögerten Anpassung an den Strukturwandel. Dies war auch ein Grund für die geringe Produktivität Ostdeutschlands. Der Strukturwandel wurde insbesondere in der Schwerindustrie, also Kohle und Stahl, verzögert. 5. Versteckte Güterverteilung gemäß der Zugriffsmacht. Nicht jeder DDR-Bürger bekam die Güterknappheit zu spüren. Chefs von Supermärkten hatten immer die Auswahl an Lebensmitteln. Es gab das Recht des ersten Zugriffs. Wer zuerst an die Güter konnte bediente sich in den Geschäften und in den Unternehmen. Noch wichtiger war die politische Macht, die es ermöglichte, die Produktion zu lenken und zu nutzen. Politiker nutzen das System zu ihrem Vorteil und bedienten sich wie sie wollten.

122

4 Ordnungspolitik

Woran lag es, dass die Zentralverwaltungswirtschaft vor allem wirtschaftlich gescheitert ist? Nachteile der Zentralverwaltungswirtschaft Es entstanden Wohlfahrtseinbußen durch die aufwendige Bürokratie. Es ist offensichtlich, dass die Planung einer ganzen Wirtschaft bis ins Detail sehr aufwendig ist. Aufwendiger, als wenn die Menschen dezentral planen, weil die Pläne nicht über eine Bürokratie zusammengeführt und aggregiert werden müssen. Hinzu kam, dass es als Folge der Produktinnovationen immer mehr Produkte gab, die geplant werden mussten. Die zunehmende Diversifizierung der Wirtschaft (Produkte und Produktion) ließ sich trotz der Zuhilfenahme von Computern immer schlechter zentral steuern. Um die Fehlfunktionen der Zentralverwaltungswirtschaft zu analysieren, wollen wir im Folgenden der Frage nachgehen, wie die Wettbewerbsfunktionen in der Zentralverwaltungswirtschaft funktionieren, also inwiefern die Funktionen erfüllt werden. Darüber hinaus gab es grundlegende Systemfehler. Da ein Wettbewerb über Märkte fehlt, gibt es keine mit den Wettbewerbsfunktionen vergleichbare Mechanismen. A. Statische Wettbewerbsfunktionen Die Behörde hat ein Informationsdefizit (von Hayek, von Mises41), da es keine Marktpreise gibt (Informationsfunktion). Wollen viele Verbraucher ein Produkt, steigt der Preis. Der gestiegene Preis signalisiert dem Unternehmen eine gestiegene Gewinnmarge, weshalb es die Produktion ausweitet. Umgekehrt signalisieren niedrige Preise bei den Vorprodukten und Produktionsverfahren Gewinnmargen. Die Produzenten optimieren so die Produktion und stellen das gewünschte Angebot zur Verfügung. Da die Preise in der Zentralverwaltungswirtschaft fixiert sind, fehlen der Planungsbehörde diese Informationen. Die Behörde kann ebenso wenig alle Bedürfnisse kennen. Die Bürokratie bzw. Planung ist zeitaufwendig und inflexibel, weshalb auf kurzfristige Änderungen bspw. in den Bedürfnissen oder Knappheiten nicht reagiert werden kann. Fehlender Wettbewerb um die Nachfrage und fehlender Gewinnanreiz führen zu weniger Qualität und Ressourcenverschwendung. Planerfüllung durch Masse, da Qualität nicht messbar ist (Steuerungsfunktion). Die Behörde kann auch nicht die Fähigkeiten der Menschen kennen wie auch nicht alle Produktionsverfahren und Verfügbarkeiten von Ressourcen und hat auch keinen Gewinnanreiz (1. Allokationsfunktion). Ohne flexible Preise kann auch nicht der günstigste Anbieter am meisten Nachfrage auf sich ziehen (2. Allokationsfunktion) und hätte ohne Eigentum und Gewinnanreiz auch gar kein Interesse daran.

41Vgl.

Hayek, Friedrich August von (1975); sowie Mises, Ludwig (1920).

4.5  Zentralverwaltungswirtschaft (bzw. Planwirtschaft)

123

Ohne Eigentum (und Existenzrisiko) fehlt ein wichtiger Leistungsanreiz, was die Produktivität verringert. Absolute Kontrolle gibt es nicht. Korruption und Schlendrian werden begünstigt. Gemeinschaftseigentum gehört allen und keinem. Niemand kümmert sich um das Eigentum, da es niemandem alleine, sondern allen gehört. Das gleiche Phänomen lässt sich bei dem Gemeinschaftseigentum von Studentenwohnheimen beobachten. Jeder will z. B. das Geschirr nutzen, aber niemand will es abspülen. Mangelnde Haftung und fehlende Eigentumsrechte führen zur Verschwendung (Anreizfunktion). Da die Unternehmen nicht den Konkurs fürchten müssen, fehlt ein weiterer Anreiz, effizient zu wirtschaften (Sanktionsfunktion). Der Staat muss als Eigentümer für die Verluste der Unternehmen aufkommen. Um dies zu finanzieren, bedient er sich der Notenpresse (Alimentation durch staatliche Geldversorgung, weiche Budgets). Die Behörde muss die Bedürfnisse der Menschen, ihren Arbeitseinsatz und die Güterverteilung bestimmen, weshalb aus der Konsumentensouveränität der Marktwirtschaft die Politikersouveränität der Planwirtschaft wird (Freiheitsfunktion). Zentralverwaltungswirtschaften müssen deshalb Diktaturen sein. Die bedürfnisorientierte Verteilung (besser: politische Zuteilung) der Güter ist letztlich nicht gerechter als die i. d. R. leistungsorientierte im Marktsystem. Politiker können ihren eigenen Nutzen im System maximieren, da sie über die politische Macht den Zugriff auf die Produktionsmittel haben (Verteilungsfunktion). In der Regel legte der Staat die Produktion der Güter in Kombinaten zusammen, um die Größenkostenvorteile (Economies of large Scale) zu nutzen. Ohne Wettbewerb werden sich die Unternehmen wie Monopolisten verhalten und das Angebot künstlich verknappen, um bei der Planungsbehörde für sich höhere Preise durchzusetzen. Sie werden versuchen, Kapazitäten zu verstecken, um Produktion für sich und Reserven für die Planerfüllung zur Verfügung zu haben (Kontrollfunktion). B. Dynamische Wettbewerbsfunktionen Mangelnder Wettbewerb und fehlender Gewinnanreiz führen zu weniger Technischem Fortschritt, da sich Innovationen nicht lohnen (Innovationsfunktion). Der dynamische Unternehmer (Schumpeter) kann sich innerhalb der starren Planungsbürokratie nicht entfalten. Ein Imitieren der Innovationen lohnt sich mangels Eigentums (Gewinn) nicht und ist aufgrund der weichen Budgets auch nicht notwendig (Imitationsfunktion). Da die Unternehmen aufgrund der weichen Budgets nicht den Konkurs fürchten müssen, fehlt ein weiterer Anreiz, sich schnell anderen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen (Anpassungsfunktion). Aufgrund der vielen aufgezeigten Funktionsnachteile der Zentralverwaltungswirtschaft wurden die kulturellen und sozialen Vorteile des Kommunismus zunehmend durch Ineffizienzen und Dirigismus überlagert: alle sind gleich arm. Die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung verschlechterte sich immer mehr und der Abstand zu den westlichen Marktwirtschaftssystemen vergrößerte sich. Die Bevölkerung wollte einen Systemwechsel, den die Politiker nicht aufhalten konnten. Russland entschied sich für

124

4 Ordnungspolitik

die Marktwirtschaft, allerdings mit einer schlechten Wirtschaftsordnung („Raubtierkapitalismus“).

4.6 Case Study: Russlands Transformation zu einer Marktwirtschaft mit einer mangelhaften Wirtschaftsordnung Nach Glasnost und Perestroika und nachdem Jelzin und Teile der Armee den Putsch der Kommunisten abgewehrt hatten, ergab sich für Russland Ende der 80er Jahre die einmalige historische Chance eines wirtschaftlichen und politischen Neuanfangs. Russland holte sich hierzu die international renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler, also vor allem Amerikaner wie Geoffrey Sachs. Die UDSSR war nicht zuletzt auch aufgrund des Wettrüstens mit den USA ökonomisch abgewirtschaftet und als totalitäres System in weiten Teilen der russischen Bevölkerung moralisch diskreditiert. Russland erschien somit auch als einmalige historische Chance, wirtschaftswissenschaftliche Theorie in die Praxis umzusetzen und mit dem überlegenen Marktsystem blühende Landschaften zu schaffen. Ausgehend von einem quantitativen Modelldenken lag für Sachs die Empfehlung nahe, die elementare Ausgangsbasis und damit Funktionsvoraussetzung ökonomischer Modelle, auf Russland zu übertragen. Eigentum, Vertragsfreiheit und freie Preise wurden über Nacht als sogenannte Schocktherapie in Russland eingeführt. Doch die russische Wirtschaft entwickelte sich nicht gemäß den Modellannahmen, sondern zerfiel zusehends, wenn man vom Rohstoffsektor absieht. Das Pro-Kopf-Realeinkommen drittelte sich, also fiel um zwei Drittel. Arbeitslosigkeit, ein im Sozialismus zumindest nicht direkt auftretendes Problem, wurde zum Massenphänomen und die Beschäftigten bekamen teilweise ihre Löhne nicht ausgezahlt. Viele der stolzen Mittelklasse der UDSSR, die intellektuellen Eliten, wie Forscher, Lehrer, Ingenieure und Ärzte verarmten bzw. wanderten aus wie auch Staatsangestellte wie Richter und Polizisten. Das Bildungssystem, das Sozialsystem und die innere Sicherheit brachen ebenso zusammen, wie die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung, Dinge, die in der UDSSR selbstverständliches Allgemeingut waren. Gemäß dem UN Human Development Report gehörte Russland noch Anfang der 90er Jahre zu den entwickelten Ländern mit einer hohen Lebensqualität. Der Systemzusammenbruch als Folge der Schocktherapie warf Russland in der humanitären Entwicklung massiv zurück. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung sank von 69,3 Jahren in 1986 auf 63,4 Jahre in 1994. Bei den Männern betrug sie sogar nur noch 57,6 Jahre. Lang vergessene Krankheiten wie Tuberkulose und Cholera tauchten wieder auf. Alkoholismus und andere Suchtkrankheiten verbreiteten sich ebenso. Auch die Geburtenrate fiel. Mehr als zwei Millionen Kindern waren obdachlos, weit mehr als während des russischen Bürgerkriegs und des zweiten Weltkriegs. Weitere zwei Millionen Kinder besuchten keine Schule. Die Kriminalität stieg drastisch an. Politische und wirtschaftliche Morde waren an der Tagesordnung. Alles in allem hatten immerhin 10–15 % der Bevölkerung von den Reformen bedeutend

4.6  Case Study: Russlands Transformation …

125

profitiert, allerdings verarmten dafür 60 %. Was war passiert? Mit dem erwarteten Anpassungsprozess an die neuen Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft hatte dies nichts zu tun. Waren dies die versprochenen Wohltaten der Marktwirtschaft? Waren dies die blühenden Landschaften? Sicherlich nicht. Wo lagen dann die Fehler? Es gab vor allem zwei elementare Fehler. Der erste Fehler war, dass die Schocktherapie die vorhandenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen zerstörte, ohne gleichzeitig neue zu schaffen. Die Reformen waren rein quantitativ. Das heißt, die spezifischen qualitativen Rahmenbedingungen Russlands wurden nicht berücksichtigt. Der zweite gravierende Fehler war, die Privatisierung aus einer nicht demokratischen Regierung heraus zu betreiben. Beides zusammen führte dazu, dass das Recht des Stärkeren ausschlaggebend für die Eigentumsverteilung wurde. Macht und Einfluss in den politischen Kadern und der Zugriff auf Ressourcen bestimmte neben skrupelloser Brutalität die neue Eigentumsverteilung. 40–45 % des Kapitals, mit dem das Eigentum erworben wurde, soll krimineller Herkunft gewesen sein.42 Das staatliche Rechts- und Sicherheitssystem war überfordert, ohnmächtig oder mangels klarer politischer Vorgaben orientierungslos oder korrumpiert. Neue demokratische oder marktwirtschaftliche Ordnungen, also Institutionen oder Organisationen, gab es nicht. Laut dem Analytical Center of Russian Academy of Science wurden 55 % des Unternehmenskapitals und 80 % der Stimmrechte der AGs von russischen und ausländischen Kriminellen erworben. 85 % des Staatsbesitzes wurde zum geringen Nennwert der Anteilsscheine verkauft. Schließlich distanzierte sich auch der amerikanische Berater Geoffrey Sachs von der russischen Marktreform. Seiner Meinung nach hat die russische Führung die schlimmsten Vorurteile der Marxisten über das kapitalistische System übertroffen, indem sie seine Funktionsweise oder Zielsetzung als die private Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit verstanden. Die kriminellen Kreise schreckten auch vor Morden nicht zurück, um Widersacher und Widerstand aus dem Weg zu räumen. Es muss befürchtet werden, dass sich mittlerweile große Teile der russischen Wirtschaft und Politik in ihren Händen befinden. Die illegale, vom Staat weder erfasste und noch weniger kontrollierte Wirtschaft soll damals eine Größenordnung von 40 % des russischen Bruttoinlandsproduktes erreicht haben. Ein selbstständiger, innovativer Mittelstand konnte sich in diesem Umfeld nicht entwickeln. Leistung konnte sich als wirtschaftliches Erfolgskriterium nicht durchsetzen. In einem Zeitraum von 7 Jahren sollen 300 bis 400 Mrd. US$ privater Gelder zu ausländischen Banken transferiert worden sein. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass in 1997 nur 8 % der Russen sagte, es ginge ihnen besser als vor der Wirtschaftsreform. Auf die Frage, was ausschlaggebend für den Wohlstand der sogenannten neuen Russen sei, wurde Spekulation mit 39 %, der Diebstahl von Staatseigentum mit 34 %

42Vgl.

Åslund, Anders (2007); Weigl, Tobias (2008; sowie Yurlov, Felix N. (1999).

126

4 Ordnungspolitik

und die Verwendung von kriminellem Geld mit 17 % genannt.43 Vor diesem Hintergrund kann man ohne Übertreibung von einem Raubtierkapitalismus, einem anarchistischen Kapitalismus extremster Ausprägung sprechen. Die Erfolgskontrolle der marktwirtschaftlichen Reformen fällt somit verheerend aus. Das System Marktwirtschaft und der sogenannte Neoliberalismus sind inzwischen nicht nur diskreditiert, sondern auch negativ besetzt und zwar nicht erst seit der Finanzkrise (Subprimekrise). Als Folge der mangelhaften und unethischen russischen Transformation wurde sie gleichgesetzt mit sozialer Ungerechtigkeit, Massenarmut, Ausbeutung, Hunger und Verelendung. Die Erfahrungen Russlands mit der Marktwirtschaft wurden dabei nicht isoliert betrachtet, sondern auf die Globalisierungsdiskussion übertragen. Dass Markt, Wettbewerb und Liberalismus geeignet sind, allen Völkern Wohlstand zu bringen, wurde bezweifelt. Die Vertreter des Liberalismus wurden von den so neu geschaffenen Kritikern als Marktfundamentalisten bezeichnet.44 Natürlich ist es immer leicht, etwas im Nachhinein zu kritisieren. Andererseits wird man Fehler wiederholen, wenn man nicht bereit ist, aus ihnen zu lernen. Als eine Hauptursache für das Scheitern der marktwirtschaftlichen Reformen wird die mangelnde Berücksichtigung der kulturellen und gesellschaftlichen Ausgangssituation, also der qualitativen Faktoren genannt. Wie war denn die qualitative Ausgangssituation? Nun zunächst einmal hat eine funktionsfähige Marktwirtschaft vorher ebenso wenig in Russland existiert wie eine Demokratie. Es gab damit auch weder ein Bürgertum, dass aus Aufklärung und industrieller Revolution hervorgegangen war noch generell eingeübtes marktwirtschaftliches (und demokratisches) Verhalten als Humankapital, bestehend aus Kenntnissen über die Funktionsweise der Marktwirtschaft und dem optimalen an die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepassten Verhalten des Individuums (Individualkapital) sowie Sozialkapital wie beispielsweise die Funktionsweise und das Einüben des gemeinsamen Verhaltens als Anbieter und Nachfrager auf Märkten. Dies klingt vielleicht banal, ist es aber keineswegs. Wie man sich gegenüber einem Arbeitgeber in Konkurrenz zu anderen präsentieren muss, wie man sich um Kunden bemühen muss, was man als Kunde von einem Verkäufer erwarten muss, dass man Preise und Qualität vergleichen und verhandeln muss ist alles nicht angeboren. Auch die Lieferund Zahlungsmoral muss eingeübt werden. Rechnungen pünktlich zu bezahlen, fällt prinzipiell jedem Kunden schwer. Er muss aber lernen, dass er ansonsten zusätzlich Mahngebühren oder ein Gerichtsverfahren bezahlen muss. Für das System Marktwirtschaft ist dies notwendig, da ansonsten dem Lieferanten Liquiditätskosten entstehen, bzw. der Lieferant sogar insolvent werden könnte, womit dann wieder andere Gläubiger bis zu den Mitarbeitern ihre Forderungen nicht beglichen bekommen. All dies sind

43Vgl. Lapidus, Gail Warshofsky (1995); Åslund, Anders (2007); Marsh, Christopher (2005); Yurlov, Felix N. (1999, S. 5). 44Vgl. Yurlov, Felix N., (1999, S. 5).

4.6  Case Study: Russlands Transformation …

127

menschliche Erfahrungen, Verhaltensregeln, die durch das Einüben in der Marktwirtschaft gewonnen werden müssen. Diese Spiele müssen erst einmal über mehrere Runden gespielt werden, damit die Menschen sehen können, wie sie sich in der Marktwirtschaft verhalten müssen. Die unsichtbare Hand muss eingeübt werden. Verhalten in wirtschaftlicher Freiheit muss ebenso wie das Verhalten in politischer Freiheit gelernt werden. Für das politische System der politischen Freiheit, also der Demokratie gilt das gleiche. Marktwirtschaft und Demokratie setzen aktive, selbstbewusste und verantwortliche Bürger voraus, die Demokratie sogar eine aktive, selbstlose politische Mitwirkung. Wirtschaftstreibende und Bürger müssen beide informiert sein und auf dieser Informationsbasis wissen, was sie wollen und sich dafür einsetzen. Selbst eine optimale marktwirtschaftliche und demokratische Ordnung als Institution und Organisation wird zumindest nicht am Anfang bei den Menschen die gewünschten Verhaltensweisen hervorrufen. Zum einen müssen die Menschen die neuen Spielregeln erst einmal kennen lernen, um sich danach verhalten zu können und zum anderen werden sich auch die Menschen in den neu geschaffenen Organisationen nicht gleich so verhalten, dass sie die ihnen zugewiesenen Funktionen optimal erfüllen. Zur Entfaltung der produktiven Kräfte sind also nicht nur marktwirtschaftliche Organisationen und Institutionen erforderlich, sondern auch das marktwirtschaftliche Humankapital Voraussetzung. Für das Funktionieren der Demokratie ist wiederum demokratisches Humankapital notwendig. Das marktwirtschaftliche Humankapital war in Russland nicht vorhanden, weshalb die Transformation zur Marktwirtschaft zumindest als Schocktherapie scheitern musste. Für die Transformation zur Demokratie dürfte Ähnliches gelten. Da in Russland sowohl politischer und wirtschaftlicher Rahmen als auch Humankapital fehlten, hat sich vielmehr wieder die alte Gesellschaftsstruktur in neuer Besetzung eingestellt, die in Russland schon zur Zarenzeit den Menschen prägte und an der letztlich auch der Kommunismus nur die Besetzung der Positionen geändert hat: Um einen dominanten Anführer schart sich eine kleine Gruppe von Günstlingen und Profiteuren. Die einzige Chance für die neue Oberschicht, die sogenannten „neue Russen“ läge darin, ausgehend von der existierenden Eigentumsverteilung eine neue soziale Marktwirtschaft zu schaffen und zu hoffen, dass die Menschen die Ursache der Eigentumsverteilung vergessen. Hierfür wäre aber ein funktionsfähiges Steuersystem ohne Schattenwirtschaft, mit dem eine soziale Umverteilung und die Finanzierung öffentlicher Güter wie Bildung, möglich wären zwingende Voraussetzung. Zu guter Letzt wollen wir noch nach den Lehren aus dem größten volkswirtschaftlichen Experiment aller Zeiten fragen. Eine grundsätzliche Frage der Transformationstheorie, über die immer viel diskutiert wurde, lautete Schocktherapie oder Gradualismus. Die Frage kann jetzt beantwortet werden. Eine Schocktherapie, also die kurzfristige Umstellung aller Institutionen und Organisationen von Plan- auf Marktwirtschaft – bzw. Sozialismus auf Kapitalismus – kann nur in den Ausnahmefällen funktionieren, in denen wie beispielsweise bei der deutschen Wiedervereinigung ein wirtschaftlich und politisch gefestigtes Land den Systemwechsel eines kleineren Landes politisch und wirtschaftlich kontrolliert und sozial abfedert. In allen andern Fällen ist aus den am Beispiel

128

4 Ordnungspolitik

Russlands gezeigten Zusammenhängen nur ein Gradualismus möglich. Nicht zuletzt das negative Beispiel Russlands dürfte China dazu bewogen haben, sich für ein allmähliches Freigeben bzw. Umsteuern der Wirtschaftsbereiche und Eigentumsverhältnisse zu entscheiden. Russland wäre besser beraten gewesen, wie bei den Reformen Peters des Großen in großem Umfang Humankapital, und vor allem Führungskräfte, -aus dem Land zu importieren, dessen System man für das eigene Land für geeignet hält. Dieses Humankapital hätte, eingesetzt in den wichtigsten Funktionen von Politik und Wirtschaft, für eine allmähliche aber stetige Verbreitung und Umsetzung des notwendigen marktwirtschaftlichen und demokratischen Systemwissens gesorgt. Hätte Geoffrey Sachs diese Entwicklung vorhergesehen, hätte er anders oder gar nicht beraten. Zugegeben ein Berater kann eigentlich nicht für eine Entwicklung verantwortlich gemacht werden, die er nicht selbst beeinflussen kann. Verantwortlich ist er aber für den Rat, den er gegeben hat. Und das Projekt Transformation Russland wird immer mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden. Einem Berater bleibt schließlich auch die Möglichkeit, sich von dem Projekt zu distanzieren, wenn sein Rat nicht angenommen wird. Dies ist allerdings damals, als die wichtigen Weichen gestellt worden sind, nicht geschehen. Die quantitative Forschungsausrichtung war aufgrund ihrer Einseitigkeit schlichtweg überfordert bzw. ungeeignet für eine praxisnahe wirtschafts- und ordnungspolitische Beratung. Geoffrey Sachs ist ein Phänomen, das repräsentativ für die derzeitige Volkswirtschaftslehre steht. Er war und ist eines ihrer größten Aushängeschilder. Mit dreißig war er schon Professor in Harvard und bezieht mittlerweile das Salär von drei Lehrstühlen an der Columbia University in New York. Aufgewachsen und ausgewiesen in einem mathematischen Modelldenken fiel es ihm leicht, zu eindeutigen Aussagen und Empfehlungen zu kommen. Die Modelle haben noch einen weiteren Vorteil. Sie lassen sich auf beliebige Länder übertragen. Mathematik und ökonometrische Modelle sind universell einsetzbar und übertragbar. Schließlich besitzt ja ein Modell Variablen, die die jeweiligen quantitativen Länderwerte aufnehmen können. Auf diese Weise gelang es Sachs, inzwischen mindestens 75 Länder zu beraten. Kannte er aber auch nur eines davon? In Russland sagte er dann später, dass er die Korruption „schon überraschend“ fand und auch unterschätzt habe, wie sehr Russland durch das Fehlen eines funktionierenden Bürgertums beeinträchtigt wurde. Heute äußert er Zweifel an der herrschenden Ökonomie: die Standardlehre sei „von geringem Nutzen“ und habe kaum noch Verbindung zur Öffentlichkeit.45 Anderseits hat sich in Russland inzwischen vieles verbessert. Von 1999 bis 2005 ist Russlands Wirtschaft durchschnittlich jährlich um 5,5 % real gewachsen und das ­Pro-Kopf-Einkommen hat sich von 2001 bis 2005 auf rd. 5250 US$ mehr als verdoppelt. Allerdings hätte es auch anders kommen können. So ist dieses Wirtschaftswachstum

45Vgl.

Heuser, Uwe Jean (2003).

4.6  Case Study: Russlands Transformation …

129

vor allem auf den starken Anstieg der Rohstoffpreise zurückzuführen. Aufgrund der Verzerrungen, die sich durch die Umrechnung des Rubels in den Dollar ergeben, lässt sich der genaue Anteil, den die Rohstoffpreisentwicklung an Russlands Wirtschaftsaufschwung gehabt hat, nur grob veranschaulichen. So stieg der Rohstoffpreisindex CRB von 2001 bis 2005 um rd. 81,6 % und der Ölpreis um rd. 90 %. Beispielsweise stieg der Ölpreis in 2005 um rd. 40 %, die reale Ölproduktion aber nur um 2,2 %. Der Rohstoffpreisindex CRB stieg in 2005 um rd. 23 % und Russlands Ausfuhren nominiert in Dollar um rd. 33 % auf ca. 241 Mrd. US$, wobei der Rohstoffanteil 67 %, also ca. 161 Mrd. US$ betrug. Der Außenbeitrag (Exporte minus Importe) betrug 36,8 Mrd. US$ und erhöhte damit das Bruttoinlandsprodukt von 766 Mrd. US$ um rd. 4,8 %. In Relation hierzu ist das 6,4 %ige Bruttoinlandsproduktwachstum gar nicht mehr so überwältigend. Berücksichtigt man noch die Multiplikatorwirkungen auf die russische Binnennachfrage der aufgrund des Rohstoffpreisanstiegs höheren Einnahmen, kann geschlussfolgert werden, dass das russische Wachstum zumindest überwiegend auf die Rohstoffpreissteigerungen zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung nur sehr unterschiedlich von der positiven Entwicklung profitiert hat. Es bleibt Russland zu wünschen, dass es seine Rohstoffmilliarden auch zur sozialen Absicherung und Ausbildung der breiten Bevölkerung nutzen kann und damit der Schritt zu einer langfristig stabilen modernen Volkswirtschaft gelingt.46 Fazit

Wie das Beispiel Russlands zeigt, war das zwanzigste Jahrhundert unter anderem das Jahrhundert des Systemwettbewerbs. Verschiedene Wirtschaftssysteme wurden ausprobiert. Die Marktwirtschaft setzte sich als grundlegendes Ordnungsprinzip durch. Zunächst schien der Sozialismus eine Antwort auf die vielen ethischen Probleme anzubieten, die im Rahmen der industriellen Revolution auftraten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Verelendung der Arbeiterklasse bzw. der unteren schlecht ausgebildeten oder armen Bevölkerungsschichten. Markt und Moral wurden hier als Gegensatz empfunden. Der Sozialismus sah das Grundübel für die als ungerecht empfundene Wohlstandsverteilung in der zentralen Funktion des Kapitals in der Marktwirtschaft und im Marktmechanismus, der für die mangelnde Bedürfnisgerechtigkeit verantwortlich gemacht wurde. In der Abschaffung des Privateigentums und der zentralen Koordination der Produktionspläne in der Planwirtschaft wurde deshalb ein Mittel gesehen, die Bedürfnisse der Gesellschaft besser zu befriedigen. Der Sozialismus oder auch Kommunismus konnte jedoch die produktiven Kräfte nicht

46Zu

den Details über die russische Transformation vgl. Weigl, Tobias (2008); Åslund, Anders (2007); Lapidus, Gail Warshofsky (1995); Grabrisch, Hubert/Holscher, Jens (2007, S. 171 ff.); Javlinskij, Grigorij A. (1994); sowie Yurlov, Felix N., (1999, S. 7).

130

4 Ordnungspolitik

entfalten. Das Wohlstandsgefälle zwischen den kapitalistischen und sozialistischen Staaten wurde immer größer, bis es zum Zusammenbruch der sozialistischen Systeme kam. Gibt es auch einen dritten Weg, als ein Wirtschaftssystem, das die Marktwirtschaft durch einen staatlichen sozialen Ausgleich zur sogenannten sozialen Marktwirtschaft ergänzt. ◄

4.7 Soziale Marktwirtschaft Markt und Wettbewerb bringen hohen Nutzen, der in den bereits beschriebenen Marktfunktionen zum Ausdruck kommt. Andere gesellschaftliche oder menschliche Ziele wie beispielsweise ein Existenzminimum oder der Ausgleich der Marktmacht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lassen sich allerdings damit nicht verfolgen. Hierzu sind wiederum andere Institutionen und Organisationen notwendig, die den Markt ergänzen. Der Markt selbst berücksichtigt Interessen nur, wenn sie eine Marktmacht haben. Ein Arbeitnehmer, der aufgrund eines Überangebots seiner Berufsqualifikation keine Nachfrage am Arbeitsmarkt findet, wird auch keine Marktentlohnung bekommen. Umgekehrt kann sich der Arbeitgeber der bereits angestellten Arbeitnehmer dieser Berufsqualifikation erlauben, seine Mitarbeiter schlecht zu behandeln, da sie nicht kündigen, ihn also nicht über den Markt sanktionieren können. Die Entlohnung durch den Markt ist launisch und manchmal ungerecht. Knappheiten sind bei der Bewertung durch den Markt ebenfalls von Bedeutung. Hier kann man im engeren Sinn nicht von Leistung sprechen, weshalb der Gewinn der Spekulation oft nicht gesellschaftlich akzeptiert wird. Selbst der Handel tut sich schwerer gesellschaftlich anerkannt zu werden als die Produktion, weil die Wertschöpfung als Ausgleich von örtlichen Knappheiten (Arbitrage) schwerer nachvollziehbar ist, als die direkte Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Der Markt belohnt auch Glück, wie beispielsweise die, die gerade ein knappes Gut besitzen, mit Marktlagengewinnen, also einer Knappheitsrente. Immobilienspekulanten setzen zum Beispiel auf die Begrenztheit des jeweiligen Immobilienangebots bei steigender Nachfrage. Harte Arbeit ist für den Markt kein Wert an sich. Nur wenn die Arbeit zu etwas führt, wofür andere bereit sind, etwas zu bezahlen, also auf etwas anderes zu verzichten, wird harte Arbeit belohnt. Anders ausgedrückt, ohne ein Produkt, für das es eine Nachfrage gibt, gibt es auch keine Entlohnung durch den Markt, was den Hungertod bedeuten kann. So etwas wie die Entlohnung nach den Bedürfnissen findet sich im Marktsystem nicht. Insofern ist die Kritik von Karl Marx am marktwirtschaftlichen System berechtigt. Auch Barmherzigkeit oder Mitleid kennt der Markt nicht. Markt und Wettbewerb eignen sich als Instrument eben nur zur Verfolgung eines Teils der menschlichen Ziele. Markt und Wettbewerb müssen durch andere gesellschaftliche Regelungen ergänzt werden.  Definition  Unter einer Sozialen Marktwirtschaft verstehen wir die Kombination von freiem Markt mit sozialem Ausgleich.

4.7  Soziale Marktwirtschaft

131

Gerade hier setzt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft an. Sie unterscheidet in primäre und sekundäre Einkommensverteilung, womit ihr der Spagat zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen (sozialen) Zielen gelingt. Da in die primäre Einkommensverteilung des Marktes nicht eingegriffen wird, beispielsweise durch preisoder wettbewerbsverzerrende Subventionen, bleibt die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb erhalten. Über die anschließende Besteuerung der entstandenen Einkommen können bis zu einem gewissen Grad soziale Ziele wie beispielsweise die Absicherung des Existenzminimums verfolgt werden. Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ wurde von Ludwig Erhard47 in die Öffentlichkeit gebracht, der von 1949 bis 1963 der erste Bundeswirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland war. Erstmals schriftlich erwähnt wurde der Begriff im Jahr 1947 von Erhards Mitstreiter Alfred Müller-Armack, der ab 1952 Leiter der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im BMWi war, in seinem Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“.48 Soziale Marktwirtschaft heißt also gerade nicht in den Marktmechanismus sozial einzugreifen, wie dies oft missverstanden wird. Sozial heißt nicht sozialistisch, sondern gesellschaftlich. Richtig umgesetzt muss das Konzept der sozialen Marktwirtschaft allen anderen Wirtschaftskonzeptionen überlegen sein, weil er die Nachteile von Markt und Wettbewerb durch zusätzliche Regelungen ausgleicht.49 Diese Aussage dürfte zunächst Widerspruch hervorrufen, wird aber verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was der Markt alles nicht leisten kann. Wir nannten bereits die Absicherung des Existenzminimums. Was hat dies für Vorteile? Man denkt zunächst an die Vermeidung von sozialen Unruhen. Ein Mensch, der um seine Existenz fürchten muss, dürfte zu allem bereit sein und auch vor kriminellen Handlungen nicht Halt machen. Aber auch die Risikobereitschaft der Markteilnehmer dürfte höher sein, wenn sie wissen, dass bei einem Scheitern ihrer Investition oder Existenzgründung zumindest ihr physischer Fortbestand gesichert ist. Dies dürfte unternehmerisches oder innovativeres Verhalten fördern. Ferner wird durch eine Existenzsicherung schlichtweg das Humankapital für den Wirtschaftsprozess bewahrt. Auch eine durch Umverteilung finanzierte Ausbildungspolitik lässt sich rein ökonomisch als eine Investition in das

47Vgl.

Klump, R. (2011, S. 201). Müller-Armack, Alfred (1947, S. 88); Zweynert, Joachim (2008); sowie Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2013). 49In gewisser Weise hat bereits Aristoteles die soziale Marktwirtschaft vorhergesehen, in dem er die Vorteile des Privateigentums nutzen wollte, das Privateigentum aber der Gemeinschaft ebenfalls zur Verfügung stellen wollte: „Dagegen dürfte eine Besitzordnung, die dem jetzt gültigen Brauch folgt und durch gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen und die Ordnung richtiger Gesetze vollkommen gemacht ist, einen beträchtlichen Vorzug bieten: sie dürfte den Vorteil beider Ordnungen verbinden – damit meine ich den Vorteil des gemeinschaftlichen Besitze und des Privateigentums“ Aristoteles (1991, S. 17 f.) bzw. 1263a. 48Vgl.

132

4 Ordnungspolitik

Humankapital rechtfertigen. Die Produktivität der Geförderten steigt und damit auch die Wirtschaftskraft und das Steueraufkommen des betroffenen Landes. Eine gute Allgemeinbildung stärkt darüber hinaus die Demokratie, weil die Bürger unausgewogenen einseitigen Argumentationen nicht mehr so leicht unterliegen. Eine ausschließliche Förderung der schulischen und universitären Ausbildung mit privaten Stipendien wird eine breite Anlage von Humankapital hingegen nicht gewährleisten können. Eine Alternative stellt hier für Volkswirtschaft wie für Unternehmen der Einkauf von externem Wissen dar. Der internationale Wettbewerb von Staaten und Unternehmen um Ressourcen umfasst nicht nur Kapital, sondern auch Humankapital. Die wesentlichen Ordnungsbausteine der sozialen Marktwirtschaft sind eine Sozial-, Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung, ein entgeltloses Bildungssystem sowie ein progressives Steuersystem50. Hieraus ergeben sich ethische Vorteile, insofern für Menschen ein Nutzen generiert wird. Die Existenzsicherung und die Gesundheitsvorsorge unabhängig vom Einkommen sind ebenso wie die Chancengleichheit durch die unentgeltliche Bildung wichtige Voraussetzungen für ein gemäß Aristoteles gutes und sinnvolles humanes Leben. Es ergeben sich jedoch auch noch volkswirtschaftliche Vorteile. Soziale Marktwirtschaft zahlt sich aus. Die wesentlichen volkswirtschaftlichen Vorteile sind: 1. Entwicklung des Humankapitals durch ein endgeldloses Bildungssystem Die Ausbildung der Bevölkerung steigert die Produktivität. Aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts steigen die Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitnehmer immer mehr. Ein hohes Humankapital ist wiederum die Voraussetzung für Innovationen, also Technischen Fortschritt. Und Innovationen steigern die Produktivität, die Wettbewerbsfähigkeit und die Gewinne der Industrie eines Landes. Gut bezahlte Arbeitsplätze werden geschaffen. Alles zusammen führt zu deutlich höheren Steuereinnahmen. Die Investition in das Humankapital der eigenen Bevölkerung zahlt sich somit vielfach aus. 2. Größere Chancengleichheit und damit bessere wirtschaftliche Nutzung des Humankapitals Die Ausbildung, die ein Mensch erhält sollte nicht von dem Einkommen seiner Eltern abhängen, sondern von seinen Fähigkeiten. Wenn für die Bildung gezahlt werden muss, wird es immer Menschen geben, deren Fähigkeiten nicht entwickelt werden konnten, weil sie sich die Ausbildung nicht leisten konnten. 3. Erhaltung des Humankapitals durch eine gesetzliche Krankenversicherung Es macht wenig Sinn, in Humankapital zu investieren und es dann verkommen zu lassen. Auch gut ausgebildete Arbeitnehmer können arbeitslos werden. Wenn sie dann

50Vgl.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2013).

4.7  Soziale Marktwirtschaft

133

Produktivität

Soziale Intervention

Abb. 4.1   Soziale Interventionen und Produktivität

ihre Gesundheitsversorgung nicht mehr zahlen können, geht das Humankapital verloren. 4. Sozialer Frieden durch eine staatliche Absicherung des Existenzminimums und eine Umverteilung in Form einer progressiven Besteuerung. Wer um seine Existenz fürchtet, ist zur Gewalt bereit. Die Marktwirtschaft wird als Wirtschaftsform eher akzeptiert, wenn die Ungleichheit der Verteilungsergebnisse abgemildert wird. Nicht zuletzt basieren die Verteilungsergebnisse der Märkte nicht nur auf Leistung und werden zum Teil als ungerecht empfunden. Wie wir in Abschn. 3.1 zum gesehen haben, tendieren Menschen bei leistungslosem Einkommen dazu, eine Gleichverteilung als fair anzusehen. Die Bereitschaft von erarbeitetem Einkommen etwas abzugeben, ist allerdings viel geringer. Und es gibt einen Zielkonflikt zur Leistungsbereitschaft. Die Bereitschaft bei Gleichverteilung für das Einkommen zu arbeiten ist sehr gering. Anderseits beeinflusst die Höhe des Vermögens den Beitrag zu den öffentlichen Gut Spielen positiv. Identifikation steigert die Bereitschaft, sich für die Gruppe einzusetzen und mit den Gruppenmitgliedern zu teilen. Dies gilt es bei der Besteuerung und Umverteilung innerhalb von nationalen Gruppen zu berücksichtigen. Ein Land, das bei dem sich die Bürger stark miteinander identifizieren, kann stärker umverteilen, weil die Bereitschaft mit den anderen Gruppenmitglieder zu teilen größer ist. Die Akzeptanz für Ungleichverteilungen unterscheidet sich kulturell von Land zu Land. Eine Studie, die Norweger, Italiener und Amerikaner zu ihrer Einstellung zur Einkommensumverteilung untersuchte, zeigte, dass alle eine Umverteilung wollen, aber unterschiedlich. Norweger forderten eine deutlich höhere Umverteilung und zwar bei leistungsabhängigen und leistungsabhängigen Einkommensunterschiede, während Italiener Einkommensunterschiede auf der Basis von Leistungsunterschieden am stärksten akzeptierten. Die befragten Amerikaner lagen dazwischen.51

51Vgl.

Gianluca Grimalda etal., Preferences for Redistribution in the US, Italy, Norway: An

134

4 Ordnungspolitik

Dass die Gemeinschaft, der Staat, alle fürsorglichen Pflichten für andere Menschen und vielleicht sogar für die Aufzucht der Kinder übernehmen kann, ist allerdings ein Trugschluss. Dass die Menschen sich nur noch egoistisch verhalten und dem Staat alle Pflichten und die Verantwortung für ihre Angehörigen überlassen, widerspricht nicht nur der natürlichen menschlichen Ausrichtung, sondern ist schlichtweg auch nicht praktikabel. So weit ist nicht einmal der real existierende Sozialismus gegangen. Der Staat kann vor allem da einspringen, wo es keine Angehörigen gibt. Es gilt das Prinzip der der Hilfe zur Selbsthilfe. Dieses Prinzip der Subsidiarität entstammt der katholischen Soziallehre.52 Als Nachteil der Sozialen Marktwirtschaft können vor allem die Kosten angeführt werden, die durch eine progressive Einkommensbesteuerung finanziert werden müssen. Hier kommt es darauf an, eine Balance zwischen steuerlichen Belastungen und sozialen Zuwendungen zu finden. Die Laffer-Kurve beschreibt die Grenze der steuerlichen Belastbarkeit der Bürger. Werden sie zu stark besteuert, sinkt sogar aufgrund der negativen Anreizwirkungen der Steuer das Steueraufkommen. Die Soziale Marktwirtschaft setzt auch ein Mindestmaß an Solidarität der Bürger untereinander voraus. Es wird Bürger geben, die ihr Leben lang mehr Steuern zahlen als sie vom Staat Transfers bekommen. Diese Solidarität scheint angesichts der Diskussionen um die Gesundheitsreform des Präsidenten Obama in den USA bspw. weniger stark ausgeprägt zu sein als in Deutschland. Die soziale Marktwirtschaft entspricht auch am ehestens Rawls Gerechtigkeitsprinzip. Jeder soll sich von seinen Interessen freimachen, indem er sich in einen Urzustand, ohne gesellschaftliche Unterschiede, versetzt, um so Verfahrensgerechtigkeit bei der Festsetzung der gesellschaftlichen Institutionen zu gewährleisten. Ausgehend von einem Schleier des Nichtwissens kennen die Bürger ihr Schicksal nicht und müssen vom Worst Case für sich ausgehen.53 Wenn sie aber nicht wissen, ob sie arm oder reich geboren werden oder gesundheitliche Schäden aufweisen, benötigen sie eine soziale Absicherung und eine Grundversorgung. Sie würden deshalb als Versicherung gegen den Worst Case eine soziale Marktwirtschaft mit gesellschaftlicher Umverteilung wählen. Wie lässt sich jedoch erklären, dass in der Realität Länder, die ihre Wirtschaftsform als soziale Marktwirtschaft bezeichnen wie zum Beispiel Deutschland, nicht unbedingt den anderen fast ausschließlichen Marktwirtschaften wie beispielsweise den USA in der Produktivität der Wirtschaft überlegen sind? Bei den meisten Ländern handelt es sich

Experiment Study, Kieler Discussion Papers No. 2099 January 2018, Kiel Institute for the World Economy. 52Vgl. Schulte, Bernd (2000) sowie http://www.uni-muenster.de/Geschichte/SWG-Online/sozialstaat/glossar_subsidiar.htm. 53Vgl. Rawls, John (1979, S. 158 ff. sowie 341); sowie im Original Rawls, John (1971, S. 10 ff., 12, 139 f.).

4.7  Soziale Marktwirtschaft

135

um Mischformen. Selbst die von manchen Sozialisten als erzkapitalistisch verteufelte USA ist keine reine Marktwirtschaft, sondern hat eine, wenn auch geringe soziale Absicherung. Eine aktive soziale Bildungspolitik wird nicht betrieben, wohl aber die geschickte Abwerbung von Human-Kapital, insbesondere durch amerikanische Eliteuniversitäten. Hierauf verzichtet beispielsweise Deutschland in dem Glauben, dass eine aktive Bildungspolitik alleine ausreichend ist. Allerdings sind die meisten europäischen Universitäten aufgrund der niedrigeren Gehälter für Professoren nicht in der Lage den USA im internationalen Wettbewerb um Humankapital Paroli bieten zu können. Auch trifft für Deutschland eher der Begriff „sozialisierte Marktwirtschaft“ als „soziale Marktwirtschaft“ zu. Zum einen wurde in viele Wirtschaftssektoren direkt eingegriffen, sodass die Wettbewerbs- und Marktfunktionen gestört wurden. Zum anderen wurden die Besteuerung und die soziale Absicherung so weit übertrieben, dass die Leistungsanreize negativ beeinträchtigt wurden. Dies wurde durch die Agenda 2010 des Bundeskanzlers Schröder zumindest teilweise korrigiert. Durch die Ordnungsbausteine der sozialen Marktwirtschaft entsteht eine höhere Produktivität sowie sozialer Frieden. Allgemein lässt sich also ein mit der ­Laffer-Kurve54 vergleichbarer Zusammenhang feststellen: Die Produktivität einer Volkswirtschaft nimmt mit Steigerung der sozialen Intervention des Staates zunächst stark zu, aber mit abnehmender Tendenz und sinkt ab einem Maximum mit zunehmender Tendenz. Es handelt sich also um einen halbkreisähnlichen funktionalen Zusammenhang (vgl. Abb. 4.1). Wird in Wirtschaftssektoren direkt eingegriffen, sodass die ­Wettbewerbs- und Marktfunktionen gestört wurden, senkt dies die Produktivität. Werden die Besteuerung und die soziale Absicherung übertrieben, werden die Leistungsanreize negativ beeinträchtigt. Man nähert sich immer mehr der Zentralverwaltungswirtschaft. Fazit

Wie das Beispiel Russlands zeigt, war das zwanzigste Jahrhundert unter anderem das Jahrhundert des Systemwettbewerbs. Verschiedene Wirtschaftssysteme wurden ausprobiert. Die Marktwirtschaft setzte sich als grundlegendes Ordnungsprinzip durch. Zunächst schien der Sozialismus eine Antwort auf die vielen ethischen Probleme anzubieten, die im Rahmen der industriellen Revolution auftraten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Verelendung der Arbeiterklasse bzw. der unteren schlecht ausgebildeten oder armen Bevölkerungsschichten. Markt und Moral wurden hier als Gegensatz empfunden. Der Sozialismus sah das ethische Grundübel für die als ungerecht empfundene Wohlstandsverteilung in der zentralen Funktion des Kapitals in der Marktwirtschaft und im Marktmechanismus, der für die mangelnde Bedürfnisgerechtigkeit verantwortlich gemacht wurde. In der Abschaffung des Privateigentums und der zentralen Koordination der

54Die

Laffer-Kurve beschreibt den Zusammenhang zwischen Steuersatz und Steuereinnahmen.

136

4 Ordnungspolitik

Produktionspläne in der Planwirtschaft wurde deshalb ein Mittel gesehen, die Bedürfnisse der Gesellschaft besser zu befriedigen. Der Sozialismus oder auch der Kommunismus konnten jedoch die produktiven Kräfte nicht entfalten. Das Wohlstandsgefälle zwischen den kapitalistischen und sozialistischen Staaten wurde immer größer, bis es zum Zusammenbruch der sozialistischen Systeme kam. Nichtsdestotrotz kann auch die soziale Marktwirtschaft nicht alle ethischen Schwächen der Marktwirtschaft beseitigen. Die größten Schäden gehen hierbei von systemimmanenten Marktversagen aus, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. ◄ Zusammenfassung

Die Marktwirtschaft gilt gegenüber Alternativen wie der Planwirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft) als ethisch überlegen, weil sie mit einem höheren Maß an individueller Freiheit das sittlich gute Ziel eines angemessenen Wohlstands besser erreicht. Die Wettbewerbsfunktionen führen zu einem ethischen Ergebnis im Sinne einer Leistungsgerechtigkeit. Für eine funktionierende Marktwirtschaft benötigt man mehr als freie Preise und den Wettbewerb vieler Anbieter. Die Wirtschaftsordnung gewährleistet als Institution den reibungslosen Ablauf der wirtschaftlichen Transaktionen. Historisch konnte sich die Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem durchsetzen, weil der Zentralverwaltungswirtschaft die Informationen am Markt gebildeter Preise ebenso fehlen wie die Wettbewerbsfunktionen Die Soziale Marktwirtschaft ist die ethische Erweiterung der Marktwirtschaft. Sie verbindet die Produktivitätsvorteile der Marktwirtschaft mit ethischen Aspekten, die – richtig angewendet – die Produktivität der reinen Marktwirtschaft erhöhen können. Allerdings besteht die Gefahr, dass überzogene soziale Interventionen die Wettbewerbsfunktionen zu sehr einschränken, und es zu den gleichen Problemen wie in der Zentralverwaltungswirtschaft kommt. ◄

Verständnisfrage

In welchen Wirtschaftssektoren der BRD gibt es Parallelen zur Zentralverwaltungswirtschaft? Z. B. im unserem Gesundheitssystem. Es gibt keine Transparenz der Leistungen und keinen Wettbewerb bei Ärzten und Versicherungen. • Die Diagnosen und Therapien der Ärzte sind für den Kunden (Patienten) nicht nachvollziehbar, weshalb er auch nicht die beste ärztliche Leistung auswählen kann. Es besteht kein Leistungswettbewerb. • Alle Gesundheitsleistungen werden über Beiträge oder Steuergelder bezahlt, wenn sie der Arzt medizinisch begründet. Bedürfnisgerechtigkeit ist nicht verursacherorientiert.

Literatur

137

• Es besteht keine Kostenkontrolle, es besteht somit die Gefahr von Verschwendung. • Es besteht nur Kostentransparenz bei privatversicherten Patienten, alle anderen haben keinen Einblick in die Kostenabrechnungen und die Leistung der ärztlichen Behandlung. Der Patient kann also nicht die beste und preiswerteste ärztliche Leistung auswählen. • Die Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie sind selbstverwaltend durch die Mitglieder und sind nicht gewinnorientiert. Sie haben keinen Anreiz ressourcenschonend zu wirtschaften. Im Gegenteil, ihre Verwaltungsaufwendungen verringern sich in Relation zu den abgerechneten Gesundheitskosten je mehr die Ärzte abrechnen. Es gibt auch keinen Wettbewerb, weil es Ausgleichzahlungen zwischen den Kassen gibt, und die Beiträge staatlich festgesetzt werden. Die Folge sind steigende Gesundheitskosten bei geringer Qualität der Leistungen.

Übungsaufgaben 1. Wofür benötigt eine Wirtschaft Organisationen und Institutionen? 2. Was sind die zentralen Bausteine einer marktwirtschaftlichen Ordnung? 3. Was ist soziale Marktwirtschaft und welche Vor- und Nachteile hat sie? 4. Erklären Sie, inwiefern die Wettbewerbsfunktionen in der Zentralverwaltungswirtschaft funktionieren.

Literatur Alchian, A. A., & Demsetz, H. (1972). Production, information costs and economic organisation. American Economic Review, 62, 777–795. Aristoteles. (1991). Politik II, Werke Band 9/II. Darmstadt: Niemeyer. Åslund, A. (2007). How capitalism was built: The transformation of Central and Eastern Europe Russia and Central Asia. New Zork: Cambridge University Press. Baschek, N. (2012). Diese Welt anerkennen – Axel Honneth geht mit seinem zweiten Hauptwerk „Das Recht der Freiheit“ auf Abstand zur Kritischen Theorie. https://literaturkritik.de/id/16187. Böhler, T. (2004). Der Fähigkeiten- Ansatz von Amartya Sen und die „Bevorzugte Option für die Armen“ in der Befreiungstheologie – Zwei Ansätze auf dem Weg zur ethischen Begründung von Armutsforschung und Armutsreduktion, Working Paper, facing poverty, No. 6, University of Salzburg/Austria Poverty Research Group. https://uni-salzburg.at/fileadmin/multimedia/ Zentrum_fuer_Ethik_und_Armutsforschung/documents/Working_Papers/Facing_Poverty/ Böhler-FähigkeitenSenUndBefreiungstheologie.pdf. Brennan, G., & Buchanan, J. M. (1985). The reason of rules. Cambridge: Cambridge University Press. Buchanan, J. M. (1979). What should economists do? Indianapolis: Liberty Press. Buchanan, J. M. (1991). The economics and ethics of constitutional order. Ann Arbor: The University of Michigan Press.

138

4 Ordnungspolitik

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. (2013). Soziale Marktwirtschaft. http://www. bmwi.de/DE/Themen/Wirtschaft/soziale-marktwirtschaft.html. Zugegriffen: 30. Dez. 2015. Büttner, S. M. (2017). Émile Durkheim: Über soziale Arbeitsteilung. In: K. Kraemer & F. Brugger (Hrsg.), Schlüsselwerke der Wirtschaftssoziologie (S. 47–54). Wiesbaden: Springer. Coase, R. H. (1937). The nature of the firm. Economica, 4, 386–405. Conrad, C. A. (2018). Business ethics – A philosophical and behavioral approach (S. 32). Cham: Springer International. Dierksmeier, C. (2013). Ökonomische Freiheit und Verantwortung bei Amartya Sen. https:// webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:_Y5vVMJCrisJ, https://www.weltethosinstitut.org/uploads/media/Antrittsvorlesung_20130517.pdf+&cd=2&hl=de&ct=clnk&gl=de. Durkheim, E. (1988). Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften (2. Aufl.). Frankfurt A. M.: Suhrkamp (Frz. Orig. v. 1893). Ebert, T. (2015). Soziale Gerechtigkeit, Ideen • Geschichte • Kontroversen, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 1571 (2. erweiterte und überarbeitete Aufl.). Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung. Eucken, W. (1952). Grundsätze der Wirtschaftspolitik (4. unveränderte Aufl.). Tübingen: Mohr Siebeck. Feld, L. P., & Köhler, E. (2011). Ist die Ordnungsökonomik zukunftsfähig? Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 12(2), 173‒195. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-349165. Furubotn, E. G., & Richter, R. (2005). Institutions and economic theory. Ann Arbor: University of Michigan Press. Gauthier, D. (1986). Morals by agreement. Oxford: Oxford University Press Auflage: Revised (23. September 1999). Grimalda, G., Farina, F., & Schmidt, U. (2018). Preferences for Redistribution in the US, Italy, Norway: An experiment study, Kieler Discussion Papers No. 2099 January 2018, Kiel Institute for the World Economy. Goppel, A., Mieth, C., & Neuhäuser, C. (2016). Handbuch Gerechtigkeit. Berlin: Springer. Grabrisch, H., & Holscher, J. (2007). The successes and failures of economic transition: The European experience. New York: Palgrave Macmillan (Erstveröffentlichung 2006). Habermas, J. (1992). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt: Suhrkamp. Heil, J. (2005). Philosophie und soziale Gerechtigkeit: eine Ringvorlesung. London: Turnshare Ltd. – Publisher. Heuser, U. J. (2003). Die Wandlung des Jeffrey Sachs. Die Zeit, 38. Hobbes, T. (1651). Leviatan, London, printed for Andrew Crooke, at the Green Dragon in St. Pauls Church-yard. Hollingshead, A. B. (1998). Group and individual training: The impact of practice on ­per-formance. Small Group Research, 29, 254–280. Homann, K. (1999). Die Relevanz der Ökonomik für die Implementation ethischer Zielsetzungen, in Handbuch der Wirtschaftsethik: Bd. 1. Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik (S. 322–343). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus (ed. W. Korff). Honneth, A. (2007). Gerechtigkeit und kommunikative Freiheit. Überlegungen im Anschluss an Hegel Published 17 January 2007 Original in German First published. In B. Merker, G. Mohr, M. Quante (Hrsg.), Subjektivität und Anerkennung. mentis: Paderborn 2004. Re-printed with the editors‘ kind permission in Critique & Humanism 22 (2006) (German and Bulgarian versions) Downloaded from eurozine.com. https://www.eurozine.com/gerechtigkeit-undkommunikative-freiheituberlegungen-im-anschluss-an-hegel/. Zugegriffen: 8. Febr. 2019.

Literatur

139

Honneth, A. (2011). Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin: Suhrkamp Verlag (2007). Horn, A.(2018). AnerkennungundFreiheit: SubjekttheoretischeGrundlageneinerTheoriedemokratis cher Sittlichkeit. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP), 104(1), 16‒40. Hume, D. (1748). Treatise on human nature, III. Book, Part 2, Section 1 and 2. http://www. limpidsoft.com/small/humannature.pdf. Javlinskij, G. A. (1994). Laissez-faire versus policy-led transformation: Lessons of the economic reforms in Russia. Moskau: Center for Economic and Political Research. Kant, I. (1784). Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? [1784]. Berlinische Monatsschrift, 12, 481‒494. Kant, I. (1797). Werkausgabe. In von W. Weischedel (Hrsg.), Die Metaphysik der Sitten, Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre: Bd. VIII. Frankfurt a. M.: suhrkamp. Klump, R. (2011). Wirtschaftspolitik – Intrumente, Ziele und Institutionen (2. Aufl.). München: Pearson Studium. Kokalj, L., & Albach, H. (1987). Industriepolitik in der Marktwirtschaft. Stuttgart: Poeschel. Klaus, K., & Brugger, F. (Hrsg.). (2017). Schlüsselwerke der Wirtschaftssoziologie (S. 47–54). Wiesbaden: Springer. Lapidus, G. W. (1995). The new Russia: Troubled transformation. Boulder: Westview. Lenel, H. O. (1989). Walter Eucken. In J. Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens (Bd. 2, S. 292–311)., Von Karl Marx bis John Maynard Keynes München: Beck. Marsh, C. (2005). Unparalleled reforms: China’s rise, Russia’s fall, and the interdependence of transition. Lanham: Lexington. Marx, K. (1972). Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei. In: MEW, Bd. 19, Dietz, Berlin, 15–32, in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Aufl. 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. 1962, Berlin/DDR. S. 13‒32, S. 31. http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_013.htm. Mazouz, N. (2009). Aspekte einer deliberativen Theorie des Guten und Gerechten. https://elib.unistuttgart.de/bitstream/11682/5348/1/veroeff_diss_2009_final.pdf. Mises, L. (1920). Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47(1920), 86–121. Moreland, R. L. (1999). Transactive memory: Learning who knows what in work groups and organizations. In L. Thompson, D. Messick, & J. Levine (Hrsg.), Shared cognition in organizations: The management of knowledge (S. 3–31). Mahwah: Erlbaum. Moreland, R. L., & Myaskovsky, L. (2000). Exploring the performance benefits of group training: Transactive memory or improved communication? Organizational Behavior and Human Decision Processes, 82, 117–133. Nijstad, B. A., & Knippenberg, D. Van (2014). Gruppendynamik. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6., vollständig überarbeitete Aufl., S. 439‒468). Berlin: Springer. Nowak, E. (1997). On investment performance and corporate governance. Bamberg: Haupt. Pauer-Studer, H. (2015). Das Andere der Gerechtigkeit: Moraltheorie im Kontext der Geschlechterdifferenz. Berlin: Walter de Gruyter. Rawls, J. (1971). A theory of justice. Cambridge: Harvard University Press. (Revised etition 1999). Rawls, J. (1979). Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Rousseau, J-J. (1755). Diskurs über die Ungleichheit (Hrsg. Heinrich Meier). Ditzingen: Reclam, 2017.

140

4 Ordnungspolitik

Rousseau, J-J. (1762). Der Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts. marixverlag, Wiesbaden 2008. http://www.welcker-online.de/Texte/Rousseau/Contract.pdf französisches Original: Rousseau, Jean-Jaques (1762), Du contracts social ou principles du droit polititiques, https://www.rousseauonline.ch/pdf/rousseauonline-0004.pdf, english: https://www. earlymoderntexts.com/assets/pdfs/rousseau1762.pdf. Scanlon, T. M. (1998). What we Owe to Each Other. Cambridge: Harvard University Press. Scanlon, T. M. (2018). Why does inequality matter? Oxford: Oxford University Press. Schmidt, W. (1986). Führungsethik als Grundlage betrieblichen Managements. Heidelberg. Scholtes, F. (2005). Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen. Volkert, Jürgen, Armut und Reichtum an Verwirklichungschancen, 11, 23–45. Schulte, B. (2000). Das deutsche System der sozialen Sicherheit. Ein Überblick. In J. Allmendinger & W. Ludwig- Mayerhofer (Hrsg.), Soziologie des Sozialstaates (S. 15–38). München: Beltz Juventa. Sen, A. (2000). Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München: Hanser. Sen, A. (2001). Globale Gerechtigkeit Mehr als internationale Fairness, polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 3. https://them.polylog.org/3/fsa-de.htm. Sen, A. (2003). Development as a capability expansion. In Fukuda-Parr, S. et al. (Hrsg.), Readings in human development (S. 41‒58). New York: Oxford University Press. http://morgana. unimore.it/Picchio_Antonella/Sviluppo%20umano/svilupp%20umano/Sen%20development. pdf. Sen, A. (2009). The idea of justice. Cambridge: Belknap Press of Harvard University Press. Starbatty, J. (1983). Ordoliberalismus. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 12, 570. Vahs, D. (2001). Organisation: Einführung in die Organisationstheorie und -praxis. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Vanberg, V. J. (1988). ‚Ordnungstheorie‘ as Constitutional Economics. The German Conception of a ‚Social Market Economy‘. ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 39, 17‒31. Vanberg, V. J. (1997): Die normativen Grundlagen von Ordnungspolitik. ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 48, 707‒726. Vanberg, V. J. (1998). Constitutional political economy. In J. B. Davis, D. Hands, & U. Mäki (Hrsg.), The handbook of economic methodology (S. 69‒75, 70). Cheltenham: Edward Elgar. Vanberg, V. J. (2004). Market and state: The perspective of constitutional political economy. Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 10. von Hayek, F. A. (1975). Die Anmaßung von Wissen. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 26, 12–21. von Hayek, F. A. (1971). Die Verfassung der Freiheit. Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), von Hayek, F. A. (1981). Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit. Landsberg am Lech: Verlag Moderne Industrie. Wallace, R. J. (2002). Scanlon’s contractualism, symposium on T. M. Scanlon’s what we owe to each other, ethics. The University of Chicago Press Journals, 112(3), 429‒470. Weber, M. (1980/1922). Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß einer verstehenden Soziologie (5. Aufl.). Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Weber, M. (1981/1920). Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung (6., durchgesehene Aufl.). (Hrsg.), von J. Winckelmann. München: Siebenstern Taschenbuch Verlag. Weigl, T. (2008). Strategy, structure and performance in a transition economy: An institutional perspective on configurations in Russia. Wiesbaden: Springer.

Literatur

141

Weisshaar, K. R. (2018). Scanlon’s Contractualism and Its Critics, City University of New York (CUNY) CUNY Academic Works. https://pdfs.semanticscholar.org/83c5/534b06ae731c71b3f9 c05caa6364ceca5e89.pdf. Wieland, J. (1999). Die Ethik der Governance. Marburg: Metropolis. Williamson, O. E. (1979). The Economic Institution of Capitalism. (Free Press, New York, 1985, 1979). Williamson, O. E. (1985a). The economic institution of capitalism. New York: Free Press. Williamson, O. E. (1985b). Transaction cost economics: The governance of contractual relations. Journal of Law and Economics, 12(2), 233–261. Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft. Verlag für Wirtschaft und Sozialpolitik, Hamburg 1947; Kastell, München 1990. Yurlov, F. N. (1999). Russia: A lost decade. World Affairs, 3(3) (Jul.–Sept.). http://www.ciaonet. org/org/olj/wa/wa_99yuf01.html. Zweynert, J. (2008). Die Soziale Marktwirtschaft als politische Integrationsformel, Wirtschaftsdienst (88 Aufl. (5), S. 334–337), ISSN 0043-6275, Heidelberg: Springer.

Weiterführende Literatur Bender, D., Berg, H., Cassel, D., Claasen, E.-M., Gabisch, G., & Hübl, L., et al. (2003). Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik: Bd. 1. München: Vahlen. Berg, H., Cassel, D., & Hartwig, K.-H. (2003). Vahlens Kompednium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik: Bd. 2. München: Vahlen. Conrad, C. A. (2010). Moral und Wirtschaftskrisen. Hamburg: disserta. Fritsch, M. (2011). Marktversagen und Wirtschaftspolitik (8. Aufl.). München: Vahlen. Gottschalk, I. (2007). Der Kühle Denker. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag (E. W.-&. Volkswirtschaftslehre, Hrsg.). Koch, W. A., & Czogalla, C. (2008). Grundlagen und Probleme der Wirtschaftspolitik. Köln: Wirtschaftsverlag Bachem. Koch, W. A., Czogalla, C., & Ehret, M. (2008). Grundlagen der Wirtschaftspolitk (3. Aufl.). Stuttgart: Lucius & Lucius. Picot, A., Dietl, H., Franck, E., Fiedler, M., & Royer, S. (2012). Organisation – Theorie und Praxis aus ökonomischer Sicht (6. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Schmidt, I. (2012). Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (2. Aufl.). München: Oldenbourg. von Hayek, F. A. (1945). The use of knowledge in society. The American Economic Review, 35(4), 519–530. Wiswede, G. (1991). Soziologie (2. Aufl.). Landsberg am Lech: Moderne Industrie.

5

Marktversagen

Was folgt warum?

Wir haben gezeigt, dass die Marktwirtschaft, also die Kombination von Markt und Wettbewerb unserer in Kap. 2 hergeleitetes wirtschaftspolitisches Ziel des Wohlfahrtsoptimums realisiert. Trotz der Vorteile des Marktmechanismus lässt er sich nicht überall einsetzen. Im Folgenden sollen Sie die Bereiche kennenlernen, in denen es zu sog. Marktversagen kommt.  Definition  Von Marktversagen spricht man, wenn der Markt keine allokationseffizienten (gesellschaftlich Nutzen erhöhenden) Ergebnisse liefert. Lernziele

Ziel ist, dass sie nach diesem Vorlesungskapitel Beispiele für Marktversagen nennen, die Ursachen erklären und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen können. Der Marktmechanismus liefert keine effizienten Lösungen bei: • Externen Effekten • Öffentlichen Gütern • Gefangenendilemma • Fehlender Rationalität • Asymmetrischen Informationen • Hohen Transaktionskosten • Korruption • Mangelnder Transparenz (der Leistungen und Kosten bzw. Risiken)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_5

143

144

5 Marktversagen

• natürlichen Monopolen • dem Arbeitsangebot • Störungen im Wettbewerb (z. B. Markteintrittsbarrieren, Monopole etc., vgl. hierzu das Extrakapitel 6. Wettbewerbspolitik)

5.1 Marktversagen wegen externer Effekte  Definition  Ein externer Effekt ist die Auswirkung ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines unbeteiligten Dritten (Externalitäten). Diese Effekte sind nicht im Marktpreis enthalten, wie z. B. Umweltverschmutzung. Man unterscheidet negative und positive externe Effekte, die nicht im Marktpreis enthalten sind, welche sich jedoch auf das allgemeine Wohl (Volkswirtschaft) auswirken: • negative externe Effekte (Social Costs) schädigen den Dritten z. B. Abgase, Lärm, Abwasserschädigen die Umwelt und damit die Wohlfahrt von Dritten. Die Schädigung ist nicht in den Produktionskosten enthalten und belastet somit nicht den Verursacher. • positive externe Effekte (social benefits) begünstigen den Dritten: z. B. ein Park in einer Großstadt oder die Pflege der Gebäude steigert den Nutzen benachbarter Gebäude. In diesem Fall ist der positive Effekt messbar, weil er sich in der Aufwertung der Grundstückspreise äußert. Externe Effekte verursachen Fehlallokationen, weil nicht alle Kosten oder Nutzen in den Marktpreisen zum Ausdruck kommen. Da die am Markt auftretenden Anbieter und Nachfrager nur den individuellen Vorteil bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, ist das Marktergebnis bei vorliegenden externen Effekten gesamtwirtschaftlich gesehen nicht effizient. Bei dem Betreiben von Flugzeugen in Abb. 5.1 entstehen Abgase, v. a. CO2. Die Ozonschicht wird dadurch geschädigt. Luftschichten werden zerstört und der starke Lärm macht das Leben in der Nähe von Flughäfen fast unmöglich. Diese Effekte sind nicht in den Betriebskosten der Flugzeuge enthalten, weshalb es zu einer Fehlallokation kommt. Durch die hohen negativen externen Effekte müssten die Flugpreise eigentlich wesentlich teurer sein (siehe die Angebotskurve S’). Der Preis deckt nicht die Kosten, weshalb zu viele Flüge gebucht werden.

5.1  Marktversagen wegen externer Effekte

145

Abb. 5.1   Negative externe Effekte bei der Produktion

Abb. 5.2   Positive externe Effekte bei Bildung

Auch die Bildung der Bevölkerung bewirkt externe Effekte. Die Bildung führt (vgl. Abb. 5.2) langfristig zu einer höheren Produktivität der Bevölkerung in der Wirtschaft und damit zu höheren Steuereinnahmen, weshalb sich das unentgeltliche Bildungssystem und das BAFÖG für den Staat auszahlen. Ferner ist – wie schon im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft dargestellt – eine gebildete Bevölkerung nicht so anfällig für Meinungsmanipulation und einseitige extremistische Parolen, was die Demokratie stabilisiert. Insgesamt ergibt sich eine höhere Wohlfahrt der Bevölkerung durch Bildung. Private Lösungsansätze für externe Effekte 1. Erziehung und Sozialisation Es gibt private Lösungen für externe Effekte. Die Gesellschaft hat für externe Effekt Normen entwickelt und sanktioniert die externen Effekte wie bspw. das Telefonieren mit Handys im Zug oder das Rauchen in Restaurants. Hier setzen auch die gesellschaftliche Sozialisation und die Erziehung durch die Eltern an. 2. Verhaltensrichtlinien Es gibt auch Verhaltensrichtlinien wie „Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu“, was dem kategorischer Imperativ von Kant entspricht:

146

5 Marktversagen

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“1 3. Hilfsbereitschaft, Solidarität oder Mitleid Auch aus Hilfsbereitschaft, Solidarität oder Mitleid können Menschen auf andere Rücksicht nehmen und versuchen, externe Effekte zu vermeiden. 4. Bündelung von Geschäftsabschlüssen Schließlich können auch Geschäftsabschlüsse gebündelt werden, um gegenseitige externe Effekte zu realisieren. Beispielsweise könnte sich ein Imker mit einem Besitzer einer Apfelplantage zusammentun. Die Bienen würden als externe Effekte die Blüten bestäuben und im Gegenzug dem Imker Honig aus dem Nektar produzieren. Auch Einkaufspassagen basieren auf dem Prinzip positiver externer Effekte. Die vielen Geschäfte nebeneinander ermöglichen es dem Verbraucher, Zeit zu sparen. Aufgrund dieser positiven externen Effekte kommen mehr Kunden zu den Geschäften in Einkaufspassagen als in Einzellagen. 5. Internalisierung von externen Effekten durch Handel mit Verfügungsrechten: Das Coase-Theorem Das Coase Theorem setzt bei der Entschädigung des Schadens an, indem der Geschädigte das Recht auf Schädigung an den Schädiger verkaufen kann. Durch die Kommerzialisierung des Schadens sollen die externen Effekte internalisiert werden. Hierzu muss der Staat zuerst Verfügungsrechte den Geschädigten zuweisen. Begünstigter und Geschädigter verhandeln über die Allokation – Recht auf Es gilt das Verursacherprinzip. Der Verursacher muss den Schaden bezahlen. Ziel ist es, in Verhandlungen zu treten und einen Schadensausgleich zu erreichen. Ronald H. Coase, hat hierfür 1991 den Preis der Schwedischen Notenbank in Gedenken an Alfred Nobel erhalten. Das Coase Theorem ist jedoch an einige Voraussetzungen gebunden: • • • •

keine Transaktionskosten beim Handel mit Verfügungsrechten, eindeutige Ex-ante-Verteilung von Verfügungsrechten, keine Beschränkung des Transfers von Verfügungsrechten und keine Transaktionskosten auf dem Kapitalmarkt.

In der Praxis ist das Coase-Theorem selten umsetzbar, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt werden können, da in der Regel die Zahl der Beteiligten hoch ist und damit auch die Verhandlungskosten (Transaktionskosten). Oft sind die Schädiger und die Geschädigten nicht bekannt oder die Kosten der Schädigung lassen sich nicht beziffern. Es funktioniert zwischen zwei Nachbarn, die sich darauf einigen, dass der Baum eines jeden Nachbarn in den Garten des anderen hinüber reichen darf. Hier sind die

1Vgl.

Kant, Immanuel (1797), (C), S. 421.

5.1  Marktversagen wegen externer Effekte

147

Geschädigten bekannt und die Schädigung lässt sich erfassen, eingrenzen und ausgleichen. Anders im Fall von großen unbestimmten Schädigungen. Alle Anwohner des Rheins verkaufen ihre Rechte auf Schädigung an dort ansässige Fabriken und erhalten dafür eine Kompensation (Entschädigung). Dies ist nicht umsetzbar, weil die Geschädigten nicht bekannt sind oder eine zu hohe Zahle aufweisen. Wie will man die Rechte zuweisen? Bekommen die Anwohner Schädigungsrechte, die in einem oder zwei Kilometerradius vom Rhein wohnen? Und was ist, wenn gar keine Schädigung zugelassen wird oder der Preis unrealistisch hoch ist. Wie soll zwischen den Geschädigten über den Preis abgestimmt werden? Ist den Geschädigten die Schädigung bekannt und kann man gesundheitliche Schäden überhaupt monetär kompensieren? Eine aus dem Ansatz der Verfügungsrechte abgeleitete Konzeption zur Internalisierung der externen Effekte aus dem CO2 Ausstoß ist der Emissionsrechtehandel: Emissionsrechtehandel Allgemein ist unter Emissionsrechtehandel der Handel mit Verschmutzungsrechten für die Industrie zu verstehen. Dieses Modell orientiert sich an den sog. ­Kyoto-Mechanismen, die auf der Klimaschutzkonferenz in Kyoto im Dezember 1997 erstmals besprochen wurden. Was sind die Kyoto-Mechanismen? Unter dem Begriff ­ „Kyoto-Mechanismen“ werden neuerdings Emissionshandel (s. o.), Joint Implementation und der Clean Development Mechanism zusammengefasst.2 Hintergrund ist der Treibhausgaseffekt, der unter anderem durch den CO2– Ausstoß hervorgerufen wird. Ziel des Emissionsrechtehandels ist deshalb die Reduzierung der CO2 Emissionen der Industrie. Hierzu werden Zertifikate, die zu Emissionen berechtigen, an die verursachenden Unternehmen verteilt und dann jährlich reduziert. Fehlende Emissionsrechte müssen sie von anderen zukaufen (Anreiz, Emissionen zu verringern). Sparen sie mehr Emissionen als sie für sich benötigen, können sie die Rechte verkaufen. Zur Veranschaulichung des Themas: http://multimedia.zdf.de/module/emissionshandel/ Der Ansatz des Emissionsrechtehandels blieb bisher weitgehend wirkungslos, weil 1. Die Zertifikate werden bisher kostenlos ausgegeben. Das bedeutet, dass kein Kaufkrafttransfer von Privaten an den Staat stattfindet, um die Umweltschäden zu beseitigen. 2. Ein Emissions-Vermeidungseffekt wäre aber trotzdem eingetreten, wenn die Erstausstattung mit Nutzungsrechten knapp gewesen wäre. Bisher wurden aber zu viele Rechte ausgegeben, weshalb die Rechte nur einen geringen Wert haben.

2Vgl.

http://www.foes.de/themen/oekologische-steuerreform/lexikon/ (11. 03 2013).

148

5 Marktversagen

3. Die Grenzwerte für die Emissionen sind generell zu hoch, um eine Umkehr des Treibhausgaseffektes zu erreichen. Hierfür gibt es politische Gründe. Generell möchte die Politik zu hohe Kosten für die Wirtschaft vermeiden. Hinzu kommt, dass es sich nicht um einen globalen Ansatz handelt, weshalb die Politik für die europäische Wirtschaft Wettbewerbsnachteile befürchtet. Generell scheitern private Lösungen oft wegen • • • •

beiderseits bestehender Vorurteile, zu hoher Transaktionskosten (*, mit allen Geschädigten zu Verhandeln ist unrealistisch), Fehleinschätzungen der Verhandlungspositionen, zu hoher Koordinationskosten (bei großer Anzahl der Beteiligten*)

Aus diesem Grund muss der Staat bei dem Marktversagen der Externen Effekte in den Markt eingreifen. Ziel ist es die nicht berücksichtigten Kosten und Nutzen in die Marktpreise zu bekommen, sie zu internalisieren (Internalisierung). Staatliche Maßnahmen zur Internalisierung externer Effekte 1. Regulierung durch Auflagen z.  B. Katalysatoren bei Autos, Gebote, Verbote, Standards z. B. Vorschriften zu Entschwefelungsanlagen von Hochöfen 2. Steuern zur Internalisierung negativer externer Effekte (Pigou-Steuer) bzw. Subventionen auf positive externe Effekte. 2019 hat bspw. der Deutsche Bundestag das sog. Klimapaket beschlossen, das u. a. einen Anstieg der Abgaben für CO2 Ausstoß von 25 € im Jahr 2021 auf 50 € im Jahr 2025 vorsieht. 3. Zuweisung von Verfügungsrechten (Neue Institutionenökonomik, z. B. Emissionsrechtehandel)

Fazit

Die zentralen Probleme bleiben aber: 1. Der Schaden ist häufig nicht messbar. 2. Der Schaden ist dem Verursacher nicht zurechenbar (z. B. Krebserkrankung) 3. Der Wirkungszusammenhang zwischen Emission (Ausstoß) und Immission (isolierte Wirkung der Schadstoffe) ist oft nicht eindeutig 4. Generell haben viele wirtschaftliche Transaktionen sowohl positive wie auch negative externe Effekte. Betreffen diese eine Person, so kann diese für sich entscheiden, ob die positiven Effekte die negativen überwiegen, es also einen Nettonutzen gibt. Hieraus entstehen Verteilungseffekte. Als Beispiel diene ein Flughafenausbau mit den verbundenen Flugbewegungen. Die startenden und

5.1  Marktversagen wegen externer Effekte

149

landenden Flugzeuge verursachen erhebliche Gesundheitsschäden, wenn sie über dicht besiedeltes Gebiet fliegen, die sowohl vom Lärm als auch von den Abgasen verursacht werden. Neben den Gesundheitseinwirkungen gibt es als externe Effekt einen Vermögenseffekt für die Immobilienbesitzer, der bis zu einem Totalverlust reichen kann. Wirtschaftliche, nicht externe Effekte sind die höheren Gewinne des Flughafens, der Fluggesellschaften und die höheren direkten Steuereinnahmen von Stadt und Land. Es gibt aber natürlich auch positive externe Effekte, also Effekte, die nicht in den Preisen enthalten sind. Bspw. profitieren von der besseren Verkehrsanbindung sowohl Fluggäste als auch die regionale Wirtschaft. Schließlich kann es zu Wachstumseffekten durch die geringeren Transportkosten kommen. Unternehmen die diese nutzen wollen, siedeln sich in der Nähe des Flughafens an. Hiermit verbunden sind höhere Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Es wird offensichtlich, dass hier die Interessen der Profiteure und die Geschädigten stark auseinanderfallen. Dem Staat kommt bei Infrastrukturmaßnahmen die Aufgabe zu, alle Effekte zu erfassen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, um den gesellschaftlichen Nutzen zu ermitteln. Diese Entscheidungsfindung sollte für alle Betroffenen transparent dokumentiert werden. Sind die Schäden vertretbar, so ist bei massiven Beeinträchtigungen eine Entschädigung vorzunehmen. Idealerweise würde dies durch eine Umverteilung von den Profiteuren zu den Geschädigten erfolgen, sodass die externen Effekte ausgeglichen werden. Die wird jedoch in der Praxis oft nicht umsetzbar sein, wenn z. B. die Personen unbekannt oder die Gruppe zu groß ist, womit auch die Transaktionskosten zu groß sind. Dann ist aus Steuermitteln eine Entschädigung zu finanzieren. Kommt es zu unvertretbaren Schäden z. B. für die Gesundheit, die nicht kompensiert werden können, ist das Projekt abzulehnen. Entscheidend ist hier, dass der Staat den gesellschaftlichen Nettonutzen ermittelt und ggf. für einen Ausgleich der negativen externen Effekte Sorge trägt. Anderenfalls kann es zu einer Verringerung des gesellschaftlichen Nutzens und zu Verteilungsproblemen kommen. Hierbei muss die Objektivität sichergestellt sein. In der Regel profitiert der Staat von den meisten Infrastrukturprojekten. Hinzu kommt, dass oft eine Minderheit besonders stark von den negativen Externen Effekten betroffen ist und eine Mehrheit leicht profitiert, wie bspw. bei einem Flughafenausbau. Bei einer demokratischen Abstimmung könnte das Ergebnis sein, dass das Projekt eine politische Mehrheit bekommt, obwohl die Nutzeneinbuße der Minderheit größer ist als der Nutzenzugewinn der Mehrheit. Gerade in diesem Fall wäre die Politik kein geeigneter objektiver Entscheidungsträger. Hier wäre es Aufgabe der Gerichte, die Entscheidung der Politik zu überprüfen und einen Minderheitenschutz sicherzustellen. In der Praxis werden die Gerichte aber oft erst konsultiert, wenn die Baugenehmigung schon erteilt und der Bau praktisch abgeschlossen ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, wenn die Regierung wie in Deutschland über die Stellenvergabe und Beförderung Einfluss auf die Gerichte ausüben kann. ◄

150

5 Marktversagen

Zusammenfassung

Das Charakteristikum der externen Effekte ist, dass sie nicht in den Marktpreisen enthalten sind. Hieraus ergibt sich ein Auseinanderklaffen von individuellem und gesamtgesellschaftlichem Kalkül bei den marktwirtschaftlichen Entscheidungen. Es kommt zu Marktversagen. Der Staat muss mit Maßnahmen der Internalisierung in den Markt intervenieren. Die Internalisierung verursacht Kosten und kann die externen Effekte nur tendenziell ausgleichen.3 ◄ Übungsaufgaben 1. Nennen Sie Beispiele für positive und negative externe Effekte. 2. Erläutern Sie die Wirkungen dieser Effekte. 3. Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen würden sie empfehlen, um diese Effekte zu internalisieren?

5.2 Marktversagen bei öffentlichen Gütern Über Märkte lassen sich nur Leistungen vermarkten, bei denen das Ausschlussprinzip angewandt werden kann, andernfalls kommt es zu einem Marktversagen, d. h. nur weil das Gut zurückgehalten wird, also nicht frei zugänglich ist, bezahlt man dafür. Das Ausschlussprinzip greift nur, wenn es möglich ist, ein Wirtschaftssubjekt so lange von der Nutzung eines Gutes auszuschließen, bis zwischen Anbieter und Nachfrager ein gültiger Vertrag zustande gekommen ist. Wenn dagegen Zahlungsunwillige nicht von der Nutzung eines Gutes ausgeschlossen werden können, wird das sogenannte Freerider-Verhalten* (Trittbrettfahrerverhalten) die Bildung eines Marktes verhindern. Leonid Hurwicz und Eric S. Maskin, Roger B. Myerson erhielten für die Analyse dieser Zusammenhänge 2007 den Preis der Schwedischen Nationalbank, der in Anlehnung an Alfred Nobel auch für Ökonomie vergeben wird. Die Bezeichnung „öffentliches Gute“ soll darauf hinweisen, dass die betreffenden Güter oder Dienstleistungen in kollektiver bzw. staatlicher Regie erbracht werden müssen, weil der Markt bei Ihrer Bereitstellung versagt. Öffentliche Güter sind beispielsweise Sonne und Luft. Unstrittig ist die Anwendung des Ausschlussprinzips bei den privaten Gütern (vgl. Abb. 5.3), da bei ihnen zwischen den Wirtschaftssubjekten Rivalität im Konsum besteht. Rivalität im Konsum, liegt vor, wenn durch die Nutzung eines Gutes durch ein Wirtschaftssubjekt den anderen Wirtschaftssubjekten die Nutzung dieses Gutes verwehrt ist. Wenn man z. B. einen Schokoriegel isst, kann diesen Schokoriegel niemand anderes mehr essen.

3Fritsch,

M. et al. (2007); Klump, R. (2013), Koch, W. S. et al. (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

5.2  Marktversagen bei öffentlichen Gütern

151

Rivalität

Keine Rivalität

Ausschluss

Private Güter

Clubgüter (z.B. Mautstraßen, Pay-TV oder öffentlicher Badestrand)

Kein Ausschluss (öffentliche Güter)

Allmendegüter: z.B. Ausschluss zu teuer (Fischbestände im Meer) oder überfüllte Straßen

Reine öffentliche Güter (z.B. saubere Luft, Straßen, Leuchttürme, Deiche)

Abb. 5.3   Formen von Gütern

Bei der Nutzung des Schutzes, den ein Deich vor Hochwasser bietet, liegt allerdings keine Rivalität im Konsum vor, weil der Schutz des einzelnen nicht dadurch gemindert wird, dass weitere Personen denselben Schutz genießen. Bei sogenannten reinen öffentlichen Gütern auch Kollektivgütern genannt, besteht sowohl keine Ausschlussmöglichkeit als auch keine Rivalität im Konsum (z. B. Luft, Leuchttürme, Deiche, öffentliche Sicherheit). Eine saubere Umwelt stellt ein reines öffentliches Gut dar. Es herrscht nicht rivalisierender Konsum und Nicht-Ausschließbarkeit. In welchem Umfang und welcher Qualität öffentliche Güter durch den Staat bereitgestellt werden, ist eine politische Entscheidung. Das Entscheidungsproblem, insbesondere die Wahl der Abstimmungsverfahren wird später behandelt (vgl. Abschn. 5.10.4 Politikversagen). Aus den Kombinationen der Kriterien Ausschluss und Rivalität ergeben sich vier Gütertypen. Private und öffentliche Güter wurden bereits beschrieben. Hinzu kommen noch sogenannte Clubgüter bei denen der Ausschluss möglich ist, die Rivalität aber nicht gegeben ist. Diese Güter sind privatwirtschaftlich sehr interessant, weil sie ohne Mehrkosten beliebig viel verkauft werden können. Ein aktuelles Beispiel ist das Pay-TV. Bei den meisten Clubgütern tritt aber bei intensivem Gebrauch irgendwann der Zustand der Rivalität auf, weshalb es dann zum privaten Gut wird wie bspw. überfüllte Mautstraßen. Wenn der Ausschluss unmöglich oder zu aufwendig, aber Rivalität gegeben ist, spricht man von Allmendegütern. Reine öffentliche Güter werden bspw. zu Allemendegütern, wenn Rivalität bei übermäßigem Gebrauch eintritt. So waren die Fischbestände im Meer ursprünglich ein öffentliches Gut. Aufgrund der Überfischung ist aber mittlerweile Rivalität aufgetreten, sodass wir leider von Allmendegütern sprechen müssen. Wie sollten öffentliche Güter finanziert werden? Hier können wir die ­SamuelsonBedingung hinzuziehen. Staatliche Bereitstellung des öffentlichen Gutes ist demnach Pareto-effizient, wenn die Summe der individuellen Zahlungsbereitschaften größer ist als die Bereitstellungskosten (Grenznutzen). Die Bereitstellungskosten kann die Politik ermitteln, bei der Zahlungsbereitschaft treten jedoch Problem auf. Die Politik kann nicht jeden Bürger fragen und bekäme auch oft keine ehrliche Antwort, weil ohne Ausschlussmöglichkeit viele Trittbrettfahren wollen. Wollten beispielsweise die Studenten einer Wohngemeinschaft einen Fernseher anschaffen, müssten sie die Finanzierung abstimmen. Ein Fernseher in der gemeinsamen

152

5 Marktversagen Bedürfnisintensitäten

große Gruppe (z.B.100)

Kleine Gruppe (z.B.5)

Gleich

sehr unwahrscheinlich (hoher Verhandlungsaufwand)

Unbestimmt

Ungleich

Unbestimmt

sehr wahrscheinlich

Abb. 5.4   Private Bereitstellung öffentlicher Güter

Küche ist jedoch ein reines öffentliches Gut. Der Nutzen ist beliebig teilbar (bis die Küche voll ist) und niemand ist ausschließbar, da die Küche allen zugänglich ist. Wenn man die Mitbewohner nach ihrer Meinung fragt, ob ein Gerät gemeinsam angeschafft werden soll, werden die meisten wahrscheinlich sagen, dass sie kein Fernsehen schauen. Sie müssten sich dann nicht bei den Kosten der Anschaffung beteiligen, könnten aber trotzdem den Fernseher mitbenutzen, wenn das Gerät dann trotzdem angeschafft wird, sind also Trittbrettfahrer. Der individuelle Nutzenzuwachs wird nicht berücksichtigt und wird auch nicht transparent, weshalb es optimal für den Einzelnen ist, seinen Nutzen und damit seine Zahlungsbereitschaft gering anzugeben. Das Trittbrettfahrer-Problem wird somit zum Problem der Finanzierung öffentlicher Güter. Es gibt keine praktikable und eindeutige Lösung für die optimale Bereitstellung öffentlicher Güter, da Kosten und Nutzen oft nicht ermittelbar sind. Eine private Bereitstellung öffentlicher Güter ist aber umso wahrscheinlicher je kleiner die Gruppe (Organisationskosten) und je höher die Nutzenkonzentration ist, da dann einige bereit sind, die Kosten zu übernehmen, um das Gut zu ermöglichen (vgl. Abb. 5.4). Beispiel

Bei einer kleinen Gruppe bspw. bei 5 h, die sich eine Küche ist es wahrscheinlich, dass bei einer ungleichen Bedürfnisverteilung die Studenten mit einem hohen Bedürfnis zusammenlegen und für die anderen mitbezahlen, weil sie ansonsten nicht in den Genuss eines Fernsehers kommen würden. In einer großen Gruppe ist dies anders. Prinzipiell kann die Gruppengröße dazu führen, dass die Abstimmung über die öffentlichen Güter und deren Finanzierung entweder unmöglich oder zu aufwendig wird. Falls eine Abstimmung möglich ist, bleibt die Frage, ob die Ergebnisse die Bedürfnisse der Bevölkerung widerspiegeln. Es geht bspw. in einer Gemeinde um die Frage, ob ein Spielplatz oder ein Schwimmbad gebaut werden soll. Nicht alle Bürger einer Gemeinde haben Kinder. Eine Mehrheitsentscheidung könnte dazu führen, dass keine Spielplätze gebaut werden, wenn bspw. die Mehrheit der Abstimmenden keine Kinder hat (vgl. auch Abschn. 6.5 zu den Abstimmungsverfahren). Eine Befragung ist aufwendig und die Zahlungsbereitschaft schwer zu ermitteln. Auch in der Gemeinde gibt es Trittbrettfahrer. Es werden sich auch kaum ausreichend Eltern finden, die bereit sind, alleine den

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

153

Spielplatz zu bezahlen, weil die Kosten zu hoch sind. Beim Schwimmbad ist dies ähnlich. Die Gemeinde muss den Bedarf schätzen und das Projekt mit dem größten Nutzen für die Bürger umsetzen. Es wird ein öffentlicher Kindergarten mit einem Spielplatz errichtet, die entstehenden Kosten werden auf die Gemeinde umgelegt. Das Problem der öffentlichen Güter kann wie in Abschn. 3.1.3 gezeigt wurde im Rahmen der Spieltheorie nachgespielt werden. Bei Spielen mit mehreren Runden ergeben sich dynamische Verhaltensanpassungen. ◄

Zusammenfassung

Für öffentliche Güter bilden sich keine Märkte (Marktversagen) – wegen fehlender Ausschlusstechnologie (äußere Sicherheit), – wegen mangelnder rechtlicher Durchsetzbarkeit von Eigentumsrechten bzw. Besitztiteln (Maßnahmen zur Erhaltung der

kein Ausschluss

Ozonschicht) oder – wegen zu hoher Ausschlusskosten (Straßenmaut).

Eine Versorgung ist dann nur sichergestellt, wenn der Staat die Produktion an sich zieht, ihre Verteilung regelt und sie über Zwangsabgaben (Steuern, Dienstpflicht u. a.) Finanziert. Hieraus leitet sich der Begriff öffentliche Güter ab.4 ◄

5.3 Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas 5.3.1 Das Umweltdilemma Allokative Probleme entstehen, wenn individuell rationale Nutzenmaximierung wie im Fall des Gefangenendilemmas zu ineffizienten Ergebnissen führt: Zwei gefangene Verbrecher in Untersuchungshaft sollen verhört werden (vgl. Abb. 5.5). Gestehen beide, kommen sie für 5 Jahre ins Gefängnis. Gesteht nur einer, kommt er frei und der andere erhält eine Strafe von 6 Jahren Haft. Gesteht keiner von beiden, kann man ihnen wenig nachweisen und sie müssen nur für 1 Jahr ins Gefängnis, was für beide zusammen das beste Ergebnis wäre (maximaler kollektiver Nutzen). Die dominante Entscheidungsstrategie ist jedoch für beide Spieler möglichst vor dem anderen zu gestehen. Beide gestehen, was als dominante Strategie zum ­Nash-Gleichgewicht führt, in dem sich keine Partei durch ein abweichendes Verhalten

4Fritsch,

M. et al. (2007); Klump, R. (2013); Koch, W. S. et al. (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

154 Abb. 5.5   Auszahlungsmatrix Gefangenendilemma

5 Marktversagen

Jahre Gefängnis A gesteht A gesteht nicht

B gesteht

B gesteht nicht

(5, 5)*

0, 6***

6, 0**

1, 1

* Nash-Gleichgewicht entspricht dem Worst-Case für alle ** Best-case für A *** Worst case für A

verbessern kann. Die Situation des Gefangenendilemmas wird in der Form der Kronzeugenregelung genutzt. Wer gesteht, bekommt eine drastische Haftverkürzung, während die anderen härter bestraft werden. Der Worst-Case für ein A ist, wenn er nicht gesteht, aber B und der Best-case ist, wenn A gesteht nicht jedoch B. In der gleichen Entscheidungssituation befindet sich B. Der Anreiz für A und B liegt darin, keine Haftstrafe zu erhalten, dafür steht jeder unter dem Druck, zuerst aussagen zu müssen. Der Worst-case erzeugt eine Angst vor der Sanktion: weil beide getrennt voneinander verhört werden und der Komplize bereits gestanden haben kann, bekommt man selbst die längere Haftstrafe. Der Anreiz, zu gestehen (Best-case) und die Haftstrafe als Sanktion (Worst-case) sind beiden bekannt. Aufgrund der Unsicherheit über das Verhalten des anderen müssen beide vom Worst-case ausgehen. Deshalb kommt es zu der Kombination, dem Worst-case für ­ alle, in der beide gestehen (Nash-Gleichgewicht*). Nur so können beide den Best-case anstreben und den Worst-case vermeiden. Dies nennt man dominante Strategie.  Definition  Aus dem Nash-Gleichgewicht kann sich ein Entscheider bei gegebenem Verhalten des anderen nicht verbessern.5 Für das Gefangenendilemma ist die Unsicherheitssituation über das Verhalten des anderen ursächlich. Die Lösung hierfür sind bindende Verträge mit Sanktionsmöglichkeiten. Die Sanktionen müssen härter sein als der Worst-case der Dilemma-Situation. So wird im Mafia-Milieu das Gestehen mit dem Tod sanktioniert. Als Gegenmaßnahme gibt es wiederum das Zeugenschutzprogramm. Umweltpolitik Sehen Sie sich dazu die ZDF Info an: Welt unter Wasser – Der Klimawandel und seine Folgen. https://www.youtube.com/watch?v=rtrr60br5Kk

5Bei

Spielen mit mehreren Runden ergeben sich beim Gefangenendilemma spezielle dynamische Verhaltensanpassungen (Vgl. Abschn. 3.1.3).

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

155

°C +0,8 0,746

+0,7

+0,6 0,506

0,496

+0,5

0,567

0,559

0,544

0,536

0,505

0,499 0,470

0,493

0,450

+0,4

0,422 0,395 0,297

+0,3 0,295 0,206

+0,2 0,182 0,092

+0,1

0,0

-0,1

0,105

-0,027

Durchschnittstemperatur der Jahre 1961 bis 1990 (14 °C)

-0,049

1960

1970

1980

1990

1992 1994

1996

1998 2000

2002 2004

2005 2006

2007

2008

2009

2010

2011 2012 2013

2014

2015 Jahr

Abb. 5.6   Entwicklung der Erderwärmung. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, www. bpb.de, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/52724)

Im Dezember 2012 wurde in Doha über eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls lange diskutiert und es wurde folgendes Minimalziel erreicht: Vertreter von 200 Staaten haben sich auf die Verlängerung des Kyoto-Protokolls bis 2020 geeinigt. Der Vertrag betrifft allerdings nur 15 % der weltweiten CO2–Emissionen.6 Die Bilanz der bisherigen globalen Klimapolitik ist mehr als schlecht. Die Welt steuert sehenden Auges auf eine globale Klimakatastrophe hin (vgl. Abb. 5.6). Besprechung der Fallstudie Erderwärmung Abb. 5.7 zeigt die Klimaziele von Kyoto und die tatsächlich erreichte CO2 Klimareduktion. Case Study Umweltpolitik

Diskutieren Sie den folgenden Artikel über die internationale Umweltpolitik. Warum schaffen es die Staaten nicht, gemeinsam den globalen Ausstoß von CO2 Emissionen zu reduzieren?

6Spiegel

Online vom 08.12.2012. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimagipfel-in-dohakyoto-protokoll-bis-2020-verlaengert-a-871780.html (11.10.2016).

156

5 Marktversagen

Abb. 5.7   Bilanz der Weltklimapolitik 1990–2007. (Quelle: Gesamtverband Steinkohle e. V. www. gvst.de)

Staatschefs signieren Weltklimavertrag, 170 Unterschriften – keine Wirkung Heute wollen Staatschefs in New York den Weltklimavertrag unterzeichnen. Doch die Unterschriften sind wirkungslos – das Abkommen könnte sogar noch scheitern. Die wichtigsten Antworten im Überblick. Einerseits ist es ein historischer Tag. Niemals zuvor haben sich so viele Staaten zusammengefunden, um einem Abkommen zuzustimmen. Vertreter von rund 170 Staaten werden am Freitag in New York erwartet, zur Unterzeichnung des Weltklimavertrags. Andererseits hat das Treffen keine rechtliche Bedeutung, der Klimavertrag tritt nicht in Kraft. Die Signaturen der Staatschefs und Minister haben nur symbolischen Wert. Immerhin 60  Staatschefs werden in New York erwartet. US-Präsident Barack Obama aber nimmt nicht teil, er bereist Großbritannien und schickt seinen Außenminister John Kerry. Auch Kanzlerin Merkel lässt sich vertreten, Umweltministerin Barbara Hendricks soll für Deutschland unterzeichnen. Nach der Unterschriftenzeremonie gegen 14.30 Uhr deutscher Zeit werden die Staatenvertreter ihre Unterstützung zum Klimavertrag bekräftigen. Doch dem Treffen in New York zum Trotz könnte der Weltklimavertrag sogar noch scheitern. Wie geht es weiter mit dem historischen Projekt? Lesen Sie hier die wichtigsten Antworten: Wurde der Klimavertrag nicht schon in Paris beschlossen? Am 12. Dezember hatte die Weltgemeinschaft in Paris nach mehr als 20 Jahren Verhandlungen einen Vertrag beschlossen, um die Klimaerwärmung zu begrenzen. Der Weltklimavertrag soll die Klimaerwärmung auf zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad begrenzen. Die Einigung aller 195 Nationen kann als Wunder gelten. Allerdings muss

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

157

nun jeder Staat das historische Dokument noch bestätigen, es also ratifizieren. Meist ist die Zustimmung des Parlaments nötig, etwa in Deutschland. Was soll die Veranstaltung in New York? Beobachter betonen die Bedeutung der Zeremonie für Wirtschaft und Politik: Der Schwung von Paris müsse erhalten bleiben, um Firmen und Politikern zu signalisieren, dass Einigkeit herrsche und die Weltgemeinschaft es ernst meine mit dem Umbau der Energieversorgung auf alternative Quellen, die keine Treibhausgase freisetzen. „Wir senden ein Signal, ein sehr positives Signal“, sagt der Klimaverhandler der USA, Todd Stern. Staaten, die in New York unterzeichnen würden, hätten auch die Absicht, dem Weltklimavertrag beizutreten, meint er. Doch so sicher ist das nicht. Wie wird der Vertrag endgültig beschlossen? Der Weltklimavertrag tritt in Kraft, sobald mindestens 55 Staaten zustimmen, die für 55 % des globalen Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind. Ab Freitag haben die Staaten ein Jahr Zeit, dem Klimavertrag beizutreten. Danach können sie sich dem Abkommen immer noch anschließen. Später eintretende Staaten haben nicht weniger Rechte – nur in der Zeit vor dem Beitritt haben sie weniger Mitsprachemöglichkeiten. Was spricht für einen endgültigen Durchbruch? Die beiden größten Treibhausgas-Freisetzer, die USA und China, haben im März in einer gemeinsamen Erklärung versichert, den Klimavertrag unterzeichnen zu wollen. Damit wären bereits rund 40 % der globalen Emissionen abgedeckt. Auch die EU – sie ist für zwölf Prozent der Emissionen verantwortlich – hat ihre Zustimmung längst beschlossen. Indien, Kanada, Südafrika und Mexiko haben ebenfalls angekündigt, den Vertrag noch dieses Jahr ratifizieren zu wollen. Die 55-%-Hürde bei den Emissionen scheint mithin leicht erreichbar. Und dass zudem mindestens 55 Länder zustimmen, halten die meisten Beobachter angesichts der Einigkeit in Paris für wahrscheinlich. Probleme könnten aber noch kommen. Welche Staaten sind vorne, welche verweigern sich? Zehn Staaten haben angekündigt, den Weltklimavertrag schon in New York ratifizieren zu wollen: Barbados, Belize, Fiji, die Malediven, die Marschallinseln, Mauritius, Nauru, Santa Lucia, Somalia, und Tuvalu. Andere blieben auffallend zurückhaltend, etwa Japan, Russland und Südkorea. Syrien, Libyen, Nicaragua, Osttimor und Usbekistan haben bislang keine eigenen Klimaziele verabschiedet. Doch selbst Vorkämpferstaaten für einen Klimavertrag bergen Unsicherheiten. Können sich die EU-Staaten überhaupt einigen? Die EU ist zwar stets als Vorkämpferin für einen Weltklimavertrag aufgetreten, sie hatte sich frühzeitig auf gemeinsame Klimaziele geeinigt. Über ihre Schwachstelle aber sprechen die EU-Vertreter ungern: Ungeklärt ist, wie die Einsparziele bei den Treibhausgasen auf die 28 EU-Länder verteilt werden. Die neue polnische Regierung etwa hat bereits zu verstehen gegeben, dass man die heimische Kohleindustrie nicht einzuschränken gedenke.

158

5 Marktversagen

Ist die politische Mehrheit in den USA nicht gegen einen Klimavertrag? Ein Ausstieg der USA hätte dramatische Folgen: Auch China und Indien dürften daraufhin vom Klimavertrag abrücken – und ohne die größten Treibhausgasverursacher wäre das Abkommen so gut wie tot. Das Einverständnis der USA zum Vertrag hatten die Klimadelegierten mit Feingefühl eingefädelt: Sichergestellt werden sollte, dass das Abkommen nicht vom Senat in den USA kassiert werden kann – das von den konservativen Republikanern dominierte parlamentarische Gremium lehnt das Dokument ab. Zahlreiche Republikaner sind eng mit der Energiebranche verbunden, sie bestreiten einen gefährlichen Klimawandel. Um den Senat zu umgehen, griffen die Klimadiplomaten in Paris zu einem Kniff: Sie nannten den Klimavertrag nicht Vertrag, sondern Abkommen. Genauer: politisches Abkommen. Ein rechtlich bindender Vertrag hingegen hätte vom US-Senat bewilligt werden müssen. Republikaner wollen erzwingen, dass der Vertrag im Senat abgestimmt werden muss. Präsident Obama aber glaubt, juristisch bessere Argumente zu haben. Und er meint gar, dass der Vertrag selbst einen Regierungswechsel überstehen würde. Welche Manöver im Hintergrund gefährden den Klimavertrag? Mit Grusel erinnern sich Delegierte an den 1997 beschlossenen Kyoto-Klimavertrag: Dem hatten beispielsweise die USA und Kanada zwar ­ zugestimmt, ihn aber später nicht ratifiziert. Das Zustandekommen des Vertrags hing an Russland, das seine Position für weitreichende Zugeständnisse nutzte, die es nachverhandelte. Kein Land habe diesmal eine solche Macht, beruhigen Klimadelegierte. Allerdings sickerte vor einigen Wochen ein Strategiepapier einer Entwicklungsorganisation durch, in dem armen Ländern empfohlen wurde, dem Paris-Abkommen zunächst nicht zuzustimmen. Auf diese Weise würden die Länder sich in eine lukrative Verhandlungsposition bringen, hieß es. Nicht gerade Mut macht den Delegierten das Ergebnis des letzten großen Klimadokuments, des DohaAbkommens: Der Verlängerung des Kyoto-Vertrags hatten nur 61 Staaten zugestimmt. Wann wird der Klimavertrag wirksam? Der Klimavertrag gilt eigentlich ab dem nächsten Jahrzehnt. Ende 2020 läuft das Kyoto-Protokoll aus, ein unvollkommener Versuch eines Weltklimavertrags, dem die wichtigsten Staaten nie beigetreten sind. Juristisch galt ein früherer Start bislang als ausgeschlossen. Uno-Klimachefin Christina Figueres aber sagte nun gegenüber Journalisten, dass sie 2018 als Starttermin anstrebe. „Das Problem müssen unsere Juristen für uns lösen“, sagte sie. Sogar ein sofortiges Inkrafttreten nach Erreichen der Quoren wird diskutiert. Warum die Eile? Die Zeit dränge, sagten Klimaforscher auf der Jahrestagung der European Geosciences Union (EGU) in Wien, wo sie neue Berechnungen über den zu erwartenden Klimawandel vorstellten. Ihre Computersimulationen hätten ergeben, dass sich die Umweltveränderungen bei kleinsten Unterschieden der Erwärmung radikal unterscheiden könnten. Der Unterschied etwa zwischen einer globalen Erwärmung von 2,0 oder 2,7 Grad entscheide darüber, ob die Gletscher der Antarktis wenig oder stark

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

159

n Staaten Staat A\

Umweltauflagen (1)

keine Umweltauflagen (2)

Umweltauflagen (1)

(2, 2)

(-2, 0)

Keine Umweltauflagen (2)

(4, 2)**

(0, 0)*

** Free-rider-Position (Trittbrettfahrer), da die Umwelt ein öffentliches Gut ist, also auch Nichtausschließbarkeit

Abb. 5.8   Entscheidungssituation der globalen Umweltpolitik

schmelzen würden, berichtete Robert DeConto von der University of Massachusetts in den USA. Der Treibhausgasemissionen müsste umgehend stärker eingeschränkt werden, mahnten Forscher um Michiel Schaeffer vom Berliner Klimainstitut Climate Analytics auf der EGU-Tagung in Wien: Eine Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad habe erheblich weniger Folgen als eine Erwärmung von zwei Grad. Die Klimaziele von Paris indes, das zeigen die Simulationen, führten am wahrscheinlichsten zu einem weltweiten Temperaturanstieg von mehr als drei Grad. Zusammengefasst: In New York unterzeichnen Staatschefs und Minister am Freitag den Weltklimavertrag. Die Zeremonie gilt als wichtiges Signal für ein weltweites Einverständnis – sie setzt das Abkommen aber nicht in Kraft. Dafür ist die Zustimmung der Parlamente nötig. Jetzt wird gerechnet, ob genug Staaten für ein Abkommen zur Einschränkung der Klimaerwärmung zusammenkommen. Copyright SPIEGEL ONLINE, Autor: Axel Bojanowski, SPIEGEL ONLINE vom 22. April 2016, 11.44 Uhr. URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/weltklimavertrag-170-unterschriftenkeine-wirkung-a-1088604.html. ◄ Interpretation und Lösung der Case Study Der folgende Satz fiel in Bezug auf den Weltklimagipfel in Durban im Jahr 2011: „Inzwischen lehnen es weitere wichtige Länder wie Japan, Kanada und Russland ab, für die Zeit nach 2012 neue verbindliche CO2-Ziele einzugehen, solange Indien oder China nicht mitziehen.“7 Diese Aussage weist auf das Gefangenendilemma in der globalen Umweltpolitik hin (vgl. Abb. 5.8). Auszahlungsmatrix Zwar würden alle Staaten davon profitieren, wenn es zu globalen Umweltauflagen käme, weil dann die CO2 Emissionen verringert und sich damit das Weltklima für alle 7Vgl.

Schwägerl, Christian et al. (2011).

160

5 Marktversagen

v­ erbessern würde. Es gäbe einen Wohlfahrtsgewinn der in unserer Auszahlungsmatrix mit 4 angenommen wird. Es besteht für jeden Staat die Unsicherheit, wie sich die anderen Staaten verhalten. Jeder Staat sieht sich n Staaten, dem Rest der Welt gegenüber. Der Worst-case für jeden Staat A ist, wenn er Umweltauflagen für seine Wirtschaft einführt, nicht aber die andern n-Staaten. Dann hätte er die Kosten der Umweltauflagen sowie die Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie in Höhe von 2 zu tragen, bekäme aber keinen Wohlfahrtzuwachs, weil hierfür fast alle Staaten Umweltauflagen durchführen müssten. Der Best-case ist, wenn alle anderen Staaten Umweltauflagen durchführen würden, A aber nicht. A könnte sich so die Kosten für die Umweltauflagen sparen und käme trotzdem in den Genuss der Wohlfahrt einer sauberen Umwelt (Trittbrettfahrerposition). Jeder Staat findet sich in der Situation von A. Er wird den Best-case anstreben und den Worst-case vermeiden wollen. Alle Staaten verhalten sich so, weshalb keine Umweltauflagen durchgeführt werden. Man muss sich wundern, warum Staaten Indien und China überhaupt an den Gipfeln teilnehmen. Um zu kontrollieren, dass alle Staaten die Auflagen einhalten, müsste es eine Weltregierung geben. Es gibt jedoch keinen übergeordneten Staat, der das Gemeinwohl vertritt. In diesem Fall verhindert das Gefangenendilemma die Bereitstellung des öffentlichen Guts Umwelt. Dieses Problem gibt es auf nationaler Ebene nicht, weshalb wir hier eine funktionierende Umweltpolitik haben. Umweltauflagen werden vom Staat durchgesetzt. Wir wissen, dass zur Lösung des Gefangenendilemmas verbindliche Verträge mit Sanktionen erforderlich sind. Die Umwelt ist ein globales Problem und ein öffentliches Gut. Die Kyoto-Vereinbarungen waren aber bisher unverbindliche Selbstverpflichtungen der Staaten ohne Sanktionen bei Nichteinhaltung. Da es sich bei den internationalen Weltklimagipfeln um Spiele mit mehreren Runden handelt, besteht allerdings auch die Hoffnung auf eine langfristige Lösung, weil die Staaten lernen sich kooperativ zu verhalten. Wie schon bei den Überlegungen zum Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften in Abschn. 3.1 herausgearbeitet wurde, bedeutet rationale Nutzenmaximierung allerdings nicht zwingend eine Schädigung Dritter. Beispielsweise zeigen in der Spieltheorie Spiele mit mehreren Runden, dass die Entscheider aus ihren Entscheidungen lernen und die schädigende Gegenreaktion des anderen einkalkulieren, weshalb sie selbst ihren Nutzen nicht mehr kurzfristig maximieren. Spieltheoretisch konnte bei Spielen über mehrere Runden gezeigt werden, dass es ergebnismaximierend ist, wenn man sich zunächst kooperativ verhält, und nur wenn der andere sich nicht kooperativ verhält, dies mit einem ebenfalls unkooperativen Verhalten zu kontern (Trigger- oder Tit-for-tat-Strategie, vgl. Abschn. 3.1.3). Bei vielen Spielern geht diese Reziprozität allerdings unter. Hier kommt es dann auf die sog. „strong reciprocators“ an, unfaires Verhalten zu bestrafen.8 So eine Funktion müsste

8Vgl.

Föhr, Silvia und Lenz, Hansrudi (1992, S. 153 ff.); sowie Frank, Robert H. (1988); sowie Frank, Robert H. (2004).

161

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas Auszahlung A/B

B verhält sich moralisch

B verhält sich unmoralisch

(5,5)*

0,6

6,0

1,1**

A verhält sich moralisch A verhält sich unmoralisch *kollektiver Best-Case

**Nash-Gleichgewicht entspricht dem kollektiven Worst-Case

Abb. 5.9   Auszahlungsmatrix fairer Wettbewerb im ethischen Gefangenendilemma

dann ein großer Staat übernehmen, dem sich andere anschließen könnten. Bspw. hatte die USA jahrelang eine moralische Führungsrolle in der internationalen Staatengemeinschaft. Sie gestaltete internationale Abkommen vor und bestrafte unkooperatives Verhalten mit wirtschaftlichen Sanktionen. Mit dem Ausstieg von der US-Regierung unter Trump aus dem Klimaabkommen wurde diese Rolle allerdings aufgegeben.

5.3.2 Das ethische Gefangenendilemma Verhalten sich alle Wettbewerber moralisch, ergibt sich ein fairer Leistungswettbewerb von dem alle profitieren. Es wurde schon festgestellt, dass der Ordnungsrahmen der Wirtschaft moralisches Verhalten durchsetzen muss. Bietet es einem Unternehmen Vorteile, sich unmoralisch zu verhalten, kann es je nach Ausmaß u. U. dazu im Wettbewerb gezwungen sein. Marktvorteile können sich durch unfairen Wettbewerb wie irreführende Werbung, Mogelpackungen etc. ergeben. Es entsteht ein Gefangenendilemma.9 Selbst wenn das Unternehmen sich moralisch verhalten wollte, es weiß nicht, wie sich die anderen Unternehmen verhalten und muss deshalb, um sein Überleben sicherzustellen, von unmoralischem Verhalten ausgehen und sich deshalb selbst unmoralisch verhalten. Es besteht die Gefahr eines Verdrängungswettbewerbs durch verdeckte unmoralische Mittel. Das volkswirtschaftliche Wohlfahrtsoptimum kann nicht erreicht werden. Das Problem des ethischen Gefangenendilemmas entsteht immer, wenn keine moralischen Regeln durchgesetzt werden. Das ethische Gefangenendilemma am Beispiel eines fairen Wettbewerbs stellt sich wie folgt dar (vgl. Abb. 5.9): Der Worst-Case für einen Unternehmensmanager A ist, wenn es sich moralisch verhält, aber der Unternehmensmanager eines anderen Unternehmens B nicht und der Best-Case ist, wenn A sich unmoralisch verhält, nicht jedoch B. In der gleichen Entscheidungssituation befindet sich B. Deshalb kommt es zu der Kombination, in der beide Unternehmen unfairen Wettbewerb betreiben, also dem ­Worst-Case für alle (NashGleichgewicht*). Ohne ethische Regeln, also Gesetze wie das Gesetz gegen den Unlauteren

9Vgl.

Kirchgässner, Gebhard (1991, S. 51 f.).

162

5 Marktversagen

Auszahlung A/B/Dritte

B verhält sich moralisch

B verhält sich unmoralisch

A verhält sich moralisch

[1, 1, (0)]*

0,5

5,0

[3, 3(− 10)]**

A verhält sich unmoralisch * kollektiver Best-Case

** Nash-Gleichgewicht entspricht dem kollektiven WorstCase

Abb. 5.10   Auszahlungsmatrix Entscheidungen zu Lasten Dritter im ethischen Gefangenendilemma

Wettbewerb, die auch durchgesetzt werden, entsteht das ethische Gefangendilemma, bei dem das Unternehmen in die Worst-Case Situation kommt, das sich ethisch verhält. Im Rahmen einer solchen wettbewerbsverzerrenden Situation haben die Unternehmen die Möglichkeit, sich an die Regierung zu wenden und eine Änderung des Ordnungsrahmens einzufordern. Leider ist dies die Ausnahme. Vielmehr versuchen viele Unternehmen, ethisch motivierte Ordnungspolitik so lange wie möglich hinauszuzögern. Beispielsweise verzögerte Ford durch „Self-Defeating-Lobbying“ das Inkrafttreten von staatlichen Sicherheitsauflagen acht Jahre lang, um die zusätzlichen Kosten von 11 $ für den Plastikpuffer des Benzintanks zu vermeiden. Unfallopfer wurden dabei in Kauf genommen.10 Angeführt werden kann auch die Eierindustrie, die die tierquälende Massenhaltung von Legehennen verteidigt.11 Dies liegt daran, dass sich bei Entscheidungen zulasten Dritter (externe Effekte, vgl. Abschn. 5.1) die Auszahlungsstruktur für A und B ändert, da das Unternehmen nur einen Teil der Kosten der Entscheidung tragen muss. Die Auszahlungen für Dritte werden deshalb separat in Abb. 5.10 aufgeführt. Bei Umwelt tragen bspw. die Kosten der Umweltverschmutzung durch die Produktion die Bürger, deren Gesundheit und Lebensqualität negativ beeinflusst werden (negative externe Effekte). Bei der Arbeitssicherheit kann das Unternehmen die Kosten zulasten der Arbeitnehmer sparen. In unseren obigen Beispielen trugen das Gesundheitsrisiko die Kunden von Ford oder die Legehennen. In einer empirischen Studie wurde gezeigt, dass Manager nur bereit sind, sich an moralische Normen zu halten, wenn sie glauben, dass sich ihre Geschäftspartner auch daran halten. Ist dies nichts so, sind sie nicht bereit, sich moralisch zu verhalten, selbst, wenn sie die Regeln für wichtig und sinnvoll halten.12 Bei dem Gefangenendilemma besteht bei den

10Vgl.

Wörz, M. (1994, S. 22). Göbel, Elisabeth (2010, S. 183). 12Vgl. Blickle, Gerhard (1996, S. 116). 11Vgl.

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

163

Unternehmen die Unsicherheit über das Verhalten der anderen Unternehmen. Selbst wenn sich alle ethisch verhalten wollten, könnten sie es nicht, weil dann das Risiko besteht, in die Worst-case-Situation zu kommen. Als Lösung dieses Problems bieten sich an: 1. Aufklärung von A und B über den Mehrwert moralischen Verhaltens, damit der Anreiz, sich moralisch zu verhalten erhöht wird. Spieltheoretisch konnte bei Spielen über mehrere Runden gezeigt werden, dass es ergebnismaximierend ist, wenn man sich zunächst kooperativ verhält, und nur, wenn der andere sich nicht kooperativ verhält, dies mit einem ebenfalls unkooperativen Verhalten zu kontern (Trigger- oder Tit-for-tat-Strategie, vgl. Abschn. 4.3.2). Bei vielen Spielern geht diese Reziprozität allerdings unter. Hier kommt es dann auf die sog. „strong reciprocators“ an, unfaires Verhalten zu bestrafen. Motive für die altruistische Bestrafung von unkooperativen Verhalten sind Emotionen wie z. B. Dankbarkeit, Rachegelüste und das Streben nach Vergeltung. Ohne die Gefühle würde niemand zu seinen eigenen Nachteilen andere bestrafen. Sich über unkooperatives Verhalten zu ärgern, bewirkt eine Genugtuung und damit auch einen Nutzen bei einer durchgeführten Bestrafung. Nur so gelingen altruistische Bestrafungen, weil sich ein positiver Nettonutzen ergibt.13 Dieses Verhalten kann allerdings nur für Familienunternehmen unterstellt werden. Bei Publikumsgesellschaften werden die Shareholder keine persönlichen Ziele wie eine altruistische Bestrafung von unfairem Verhalten akzeptieren. 2. Moralisches Verhalten wird durch Anreize belohnt (Moral muss sich lohnen) z. B. Ein ethisches Verbraucherbewusstsein führt zum erhöhten Absatz von ethischen Produkten. Unmoralisches Verhalten darf sich für die Unternehmen nicht auszahlen. Moralische Verstöße müssen bekannt gemacht werden, damit die Akteure gesellschaftlich sanktioniert werden können. Hier setzen die Nichtregierungsorganisationen (NGO) an. Auch die Medien haben hier eine besondere Verantwortung. 3. Bindende Verträge mit Sanktionsmöglichkeiten: Gesetze, staatliche Kontrolle sowie Sanktionen bei Fehlverhalten (Ethische Ordnungspolitik).

5.3.3 Geschlechterkampf und Vertrauensspiele Ferner gibt es noch die Spiele vom Typ Geschlechterkampf, bei denen es keine Belohnung für kooperatives Verhalten in der ersten Runde gibt, sondern nur ein Dilemma (vgl. Abb. 5.11). Die Frau will in die Oper und der Mann zum Fußball. Nur, wenn beide zusammengehen, kommt der Nutzen aus dem gemeinsamen Abend zustande. Hier ist aber abwechselndes kooperatives Verhalten die Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein

13Vgl. Föhr, Silvia und Lenz, Hansrudi (1992, S. 153 ff.); sowie Frank, Robert H. (1988); sowie Frank, Robert H. (2004).

164

5 Marktversagen

Abb. 5.11   Auszahlungsmatrix Geschlechterkampf

Zusatznutzen zustande kommt. Die Lösung ist, dass sich die Ehepartner abwechselnd den Wunsch des anderen erfüllen.14 Dieses Spiel steht für den Kompromiss. Nur, wenn man auch gibt, bekommt man etwas. Solche Spiele findet man immer bei gegenseitiger Abhängigkeit ohne Dominanz bei der Verfolgung unterschiedlicher Ziele in der Politik, weshalb hier ein Stimmentausch stattfindet. Versicherungs- oder Vertrauensspiel Eine andere Spielvariante benutzte schon Rousseau für die Herleitung der Notwendigkeit von gesellschaftlichen Verträgen. Zwei Personen A und B können eine Jagdgemeinschaft bilden (vgl. Abb. 5.12), um einen Hirsch zu erlegen. Einen Hasen kann man auch alleine erlegen. Jetzt wollen beide sich im Wald treffen, wissen aber nicht, ob sich der andere daran hält, oder vorher einen sicheren Hasen erlegt. Es gibt zwei Nash-Gleichgewichte als Positionen aus denen man sich nicht einseitig verbessern kann.15 Die Spieler können sich vorab vertraglich festlegen, gemeinsam einen Hirsch zu erlegen. Um das durchzusetzen, bedarf es aber Vertragsstrafen. Oder sie beobachten das Verhalten des anderen,

14Vgl.

Kirchgässner, Gebhard (1991, S. 52 f.). Rousseau, Jean-Jacques (1988/1755), Aufgabe der Akademie zu Dijon: Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und ist sie durch das natürliche Gesetz gerechtfertigt?, in: Jean-Jacques Rousseau, Schriften, Band 1, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 233 ff.; Maurer, Andrea und Schmid, Michael (2010), Erklärende Soziologie, 1. Aufl. Wiesbaden: Springer 2010. S. 221. 15See

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

165

Abb. 5.12   Auszahlungsmatrix Hirsch Jagd

und wenn dieser sich wiederholt zur Hirschjagd einfindet, stabilisiert sich das Spiel, wie Vertrauen standen ist. Dieses Spiel ist wie auch der Geschlechterkampf und das Gefangenendilemma die Ausgangsbasis für internationale Zusammenarbeit in speziellen Politikfeldern. Nur gemeinsam kann man einen Hirschen erlegen, also einen Mehrwert realisieren. Hierfür gibt es bspw. die EU-Verträge. Welche Verteilungsergebnisse werden sich aus diesen Spielen einstellen? Tendenziell werden bei gleicher Machtverteilung auch gleiche Ergebnisse und bei ungleicher Machtverteilung ungleiche entstehen und auch von den Spielern akzeptiert werden.16 Allerdings wird es nicht so sein, dass die unterlegene Position nichts bekommt. Dies zeigen die Ultimatum Spiele. Bei zu starker Abweichung von der Gleichverteilung reagieren die unterlegenen schwächeren Spieler irrational und das Ergebnis wird abgelehnt, sodass der überlegene Spieler nichts erhält.

5.3.4 Konfliktäre Strategien: das Chicken Game Das Chicken Game gehört zu den Hawks and Doves Games und beschäftigt sich mit Konfliktsituationen. Bekannt wurde die Situation durch den Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean. Zwei Personen wollen herausfinden, wer von ihnen das „chicken“, also der Feigling ist. Sie fahren mit zwei Autos aufeinander zu und wer als erster ausweicht hat verloren und ist das „chicken“. Hier gibt es im engeren Sinne nichts

16See Maurer, Andrea und Schmid, Michael (2010), Erklärende Soziologie, 1. Aufl. Wiesbaden: Spinger 2010. S. 253.

166

5 Marktversagen

Abb. 5.13   Auszahlungsmatrix Chicken Game

zu gewinnen, da es um eine relative Veränderung der Positionen zwischen zwei Spielern geht (vgl. Abb. 5.13).17 Die Spieler können ihre Position verstärken, indem sie bluffen oder Selbstbindungen einführen. Dies wären Drohgebärden bis hin Zurschaustellung von Aggressivität und Irrationalität, um das konfliktäre Handeln glaubwürdig erscheinen zu lassen. Eine Selbstbindung wäre bspw. beim Autofahren, sich an das Lenkrad zu binden. Es ergibt sich auch ein zeitlicher Druck, als erster die überlegene konfliktäre Position zu beziehen, um den anderen in die unterlegene Position zu zwingen. Als Lösung für konfliktäre Spiele bietet es sich an, einen Dritten als Schlichter miteinzubeziehen, der einen stabilen Verteilungskompromiss vorgibt.18 So eine Glaubwürdigkeitsverstärkung der konfliktären Strategie können aber beide benutzen, was die Gefahr eines Maximalschadens für beide erhöht. Umgekehrt besteht bei Spielen mit mehreren Runden die Gefahr bei einem Nachgeben, also dem kooperativen Verhalten, dass man in eine dauerhafte Chicken-Position kommt, da ein konfliktäres Verhalten dem anderen Spieler nicht mehr glaubwürdig erscheint. Anwendungsbeispiele wären kriegerische Konflikte, wie bspw. zwischen den USA und Nordkorea. Hier ist es dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un gelungen, ein irrationales Image mit Atomraketen zu verbinden, und damit als unbedeutender Staat die USA an den Verhandlungstisch zu bringen. Das Chicken Game führt in vielen Ehen, wenn irrational keiner dem anderen nachgeben will, zwangsläufig zur Scheidung. Die Scheidung stellt den Crash da, bei dem beide maximal verlieren. Dies ist auch die Besonderheit des Spieles. In der nicht kooperativen Situation gibt es extrem negative

17Vgl. Dawkins, R. (1978, S. 83 ff.); Gramms, T. (1999); Presteich K. N. (1999); Theodor W. May (1983); Maurer, Andrea und Schmid, Michael (2010, S. 218 ff.). 18See Maurer, Andrea und Schmid, Michael (2010, S. 254 ff.).

5.3  Marktversagen aufgrund von Entscheidungsdilemmas

167

Auszahlungen für beide Spieler. Man kann gewinnen, wenn man das konfliktäre Verhalten vortäuscht, um den anderen Spieler in die schlechtere Position des „chicken“ zu bringen. In der Ehe wäre das: „ich lasse mich scheiden, wenn Du mir nicht das und das gibst oder machst“. Dies führt natürlich unweigerlich zum Verlust einer Vertrauensbasis und erschwert Kooperationsgewinne. Deshalb ist letztlich so eine Strategie, wenn überhaupt nur ratsam, wenn es keine gemeinsamen Kooperationsgewinne gibt. Im wirtschaftlichen Bereich könnte ein Wettbewerber drohen, ein Produkt einzuführen um die Einführung eines Produktes des Konkurrenten zu verhindern oder drohen, in Märkte des Konkurrenten mit einem für beide ruinösen Dumpingwettbewerb einzudringen. Ein Arbeitgeber könnte mit der Entlassung drohen, obwohl es rechtlich schwierig und mit hohen Kosten verbunden ist, um den Mitarbeiter zu einem gewünschten Verhalten oder Lohnverzicht zu zwingen. Wie soll die Aufteilung des Ertrags eines Unternehmens als Organisation erfolgen? Arbeit und Kapital profitieren beide von der Arbeitsteilung der Emergenz aus der Organisation Unternehmen als die Zuordnung von Funktionen zu einem handlungsfähigen Ganzen. Hier wird es für den Arbeitnehmer entscheidend sein, dass er dem Arbeitgeber ebenfalls einen Schaden zufügen kann. Anderenfalls wird er in die unterlegene Position gedrückt. Gibt es keine Koordination aller Arbeitnehmer über Gewerkschaften, sind keine Streiks möglich und der Arbeitnehmer muss er die unterlegene Position in der Verteilung akzeptieren oder das Unternehmen verlassen. So einen negativen Spielverlauf wie im Chicken Game können beide Spieler umgehen, indem sie sich davon überzeugen, sich kooperativ zu verhalten, also das Spiel nicht zu spielen. Alternativ kann ein Dritter kooperatives Verhalten durchsetzen, also bspw. der Staat ein konfliktäres Verhalten verbieten. Und schließlich würde Moral ein schädigendes Verhalten verhindern, also kooperatives Spielen bewirken. Als gesellschaftliche Lösung von konfliktären und nicht-konfliktären Spielen haben sich Institutionen als gesellschaftliche Regeln etabliert, die über Sanktionen durchgesetzt werden. Bei konfliktären Spielen wird durch die Stabilisierung der Verhaltenserwartungen eine Schädigung verhindert, während bei nicht-konfliktären Spielen die Kooperationsgewinne sicher realisiert werden können. Die daraus entstehenden Vorteile bewegen das Individuum dazu, sich der Gesellschaft anzuschließen und sich den Institutionen zu unterwerfen.19 Dies erfolgt zumindest so lange wie die Vorteile die Nachteile überwiegen. Wie die Öffentlichen Gut Spiele ohne Sanktionsmöglichkeit zeigen, lässt die Bereitschaft, sich kooperativ zu verhalten nach einigen negativen Verteilungserfahrungen stark nach, weshalb dann auch die Spiele ohne Sanktionen zusammenbrechen. Wechselmöglichkeiten zu anderen Spielen mit Sanktionsmöglichkeiten, also Normen, werden von den Spielern genutzt, um den eigenen Nutzen zu erhöhen. 20

19See 20See

Maurer, Andrea und Schmid, Michael (2010, S. 265 ff.). Falk, Armin (2003, S. 147); Fehr, Ernst und Fischbacher, Urs (2003); Fehr, Ernst et al. (2001).

168

5 Marktversagen

Zusammenfassung Marktversagen bei öffentlichen Gütern und Gefangenendilemma

Marktversagen bei öffentlichen Gütern ist vor allem auf die Nichtausschließbarkeit zurückzuführen. Reine öffentliche Güter verfügen darüber hinaus über nicht rivalisierenden Konsum. Damit ist eine staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter Nutzen erhöhend, wenn die Kosten geringer als der gesellschaftliche Nutzen sind. Wenn sie über eine ökonomische Transaktion vom Staat bereitgestellt werden, werden die positiven externen Effekte realisiert. Gibt es keinen übergeordneten Staat, der das Gemeinwohl vertritt, können Gefangenendilemmas die Bereitstellung öffentlicher Güter erschweren oder verhindern.21 ◄ Übungsaufgaben 1. a) Nennen Sie Beispiele für die unterschiedlichen Güter und erklären sie die anzuwendenden Kriterien anhand der Beispiele. b) Nach welchen Kriterien sollten öffentliche Güter vom Staat bereitgestellt werden? 2. Erklären Sie das Gefangenendilemma in der globalen Umweltpolitik anhand einer Auszahlungsmatrix. 3. Was versteht man unter dem ethischen Gefangengendilemma? Was kann man dagegen tun? 4. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Spielen Geschlechterkampf und Vertrauensspiel für die Politik?

5.4 Marktversagen wegen fehlender Rationalität Das Menschenbild des Homo Oeconomicus wurde von John Stuart Mill 1806–1873, Utilitarismus, in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt.  Definition  Der Homo Oeconomicus ist ein rational handelndes Individuum mit dem einzigen Ziel der eigenen Nutzenmaximierung. Was bedeutet in diesem Zusammenhang rational?  Definition  Rational sind Handlungen, die unter Nutzung aller verfügbaren Informationen ergebnismaximierend, somit in Bezug auf die eigenen Ziele konsistent, also widerspruchsfrei sind.

21Fritsch,

M. et al. (2007); Klump, R. (2013); Koch, W. S. et al (2008); Mussel, Gerhard und Pätzold, Jürgen (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

5.4  Marktversagen wegen fehlender Rationalität

169

Das Modell des vollkommenen Marktes unterstellt rationales Verhalten (Homo Oeconomicus). In der Realität haben wir es aber mit einer „beschränkten Rationalität“ zu tun. Für diese Erkenntnis erhielten George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz 2001 den Preis der Schwedischen Notenbank, in Anlehnung an Alfred Nobel Nobelpreis genannt. Allerdings war ursprünglich der Homo Oeconomicus, wie schon in Abschn. 3.1 dargestellt wurde, bewusst als Vereinfachung gedacht. Die Volkswirtschaftslehre wählte vielmehr als vereinfachtes Denkmodell den Homo Oeconomicus. Der Homo Oeconomicus ist wie der Computer, wie die Maschine ein ausschließlich rational handelndes Wesen. Ausgehend von einem gegebenen Informationsstand entscheidet sich dieses Wesen immer für die nutzenmaximierende Handlungsalternative und wird damit mathematisch berechenbar. Da fast alle qualitativen Zusammenhänge menschlicher Komplexität nicht quantifizierbar sind, fallen sie in der Regel unter den Tisch. Was nicht errechenbar ist, eignet sich nicht für eine exakte Wissenschaft und wird verdrängt. Die Annahme des Homo Oeconomicus ist legitim. Nicht zuletzt bringt rationales, also fundiertes abgewogenes Vorgehen den Menschen in der Regel Vorteile. Problematisch wird die Annahme des Homo Oeconomicus allerdings, wenn die Wirtschaftswissenschaft vergisst, dass es sich um eine Annahme handelt, sondern den Homo Oeconomicus als Realität ansieht. Wie wir in Abschn. 3.1 gezeigt haben, verhält sich der Mensch nicht rational. Hieraus entsteht Marktversagen. Um dem Marktversagen wegen fehlender Rationalität vorzubeugen, unternimmt der Staat wirtschaftspolitische Eingriffe. Demzufolge unterscheidet man:

5.4.1 Meritorische und demeritorische Güter  Definition  Meritorische Güter sind private Güter, deren Nützlichkeit (merits) die privaten Wirtschaftssubjekte (nach Ansicht des Staates) verkennen. Das bedeutet, der Nutzen dieser Güter wird subjektiv unterschätzt. Es liegt deshalb kein rationales Verhalten vor. Da die gesellschaftliche (staatliche) Nutzeneinschätzung höher ist als die Nutzeneinschätzungen gemäß individueller Präferenzen, stellt der Staat die meritorischen Güterbereit. Beispielsweise unterschätzen junge Menschen oft den Vorsorgebedarf. Sie denken, sie bleiben noch lange jung. Überbewerten den Gegenwartsbedarf und unterschätzen den Zukunftsbedarf einer langen Altersperiode, in der man nicht erwerbsfähig ist. Deshalb gibt es in Deutschland eine Rentenversicherungspflicht. Weitere Beispiele sind die Schulpflicht, die Arbeitslosenversicherung und die Krankenversicherung.

170

5 Marktversagen

 Definition  Demeritorische Güter sind private Güter, deren Schädlichkeit (demerits) die privaten Wirtschaftssubjekte (nach Ansicht des Staates) verkennen. Das bedeutet, die Schädlichkeit dieser Güter wird subjektiv unterschätzt. Es liegt deshalb kein rationales Verhalten vor. Im Falle der Schädlichkeit verteuert (Tabaksteuer, Alkoholsteuer) oder verbietet der Staat die Entstehung eines Marktes für demeritorische Güter (z. B. Rauschgifte). Sucht ist ein irrationales Verhalten. Der Mensch ist nicht mehr Herr des eigenen Willens, er ist anhängig. Die Bürger verhalten sich deshalb beim Konsum zu ihrem Nachteil. Aus der Behavioral Economics wurde der sog. liberale Paternalismus abgeleitet. Kann der Mensch nicht rational zu seinem Vorteil entscheiden, muss der Staat ihm bei der Entscheidung helfen, indem er die für den Bürger vorteilhafteren Entscheidungsalternativen bspw. durch Nudges (vgl. Abschn. 3.1) unterstützt. Ziel ist eine staatliche Verhaltenslenkung zum Vorteil der Bürger, eine Art Paternalismus ohne Zwang.22 Bspw. kann man den Status quo bias dazu nutzen, um die bessere Option als Standard festzusetzen. Will der Bürger davon abweichen, so muss er dies dann aktiv tun. Man könnte Termine für Vorsorgeuntersuchungen vorschreiben, die die Bürger dann selbst absagen müssten, wenn sie sie nicht wahrnehmen wollen. Vertreter des Asymmetrischen Paternalismus gehen einen Schritt weiter, indem sie fordern, die bessere Option verbindlich vorzuschreiben, um irrationales Verhalten auszuschließen. So soll ein zweiter Arzt vor Operationen verpflichtend hinzugezogen werden, um die richtige Therapie sicherzustellen bzw. unnötige Operationen zu vermeiden. Ferner sollen staatliche Informationskampagnen irrationales Verhalten verhindern, indem man bspw. bei Lotto den Menschen plastisch die geringe Wahrscheinlichkeit erklärt, weil sie anderenfalls dazu neigen, kleine Wahrscheinlichkeiten zu stark zu gewichten. Der Asymmetrische Paternalismus schlägt Entscheidungspausen vor, sog. Cooling-off-Perioden, um kurzfristige emotionale und damit nicht rationale Entscheidungen zu verhindern. Beispielsweise sollte man sehr teure Güter erst nach einer Verzögerungsperiode verbindlich kaufen können oder ein Rücktrittsrecht haben. So etwas gibt es bereits bspw. in den Verbrauchergesetzen bei Haustürgeschäften. Auch Tabaksteuern, Alkoholsteuern und Vergnügungssteuern befürwortet der Asymmetrische Paternalismus, da hier die Zeitinkonsistenz den kurzfristigen Nutzen über die langfristige Schädigung stellt. Wichtig ist, dass der Konsument noch eine Wahlmöglichkeit hat.23

22Vgl. Thaler, Richard und Sunstein, Cass R. (2003), Libertarian Paternalism, American Economic Review Papers and Proceedings Vol. 92 No. 2 (May 2003), S. 175–179; Beck, H. (2014), S. 372. 23See Camerer, Collin et al. (2003), Regulation for conservatives: Behavioral economics and the case for „asymmetric paternalism“, University of Pennsylvania Law Review Vol. 151, S. 101–144; Whitman, Glen (2006); sowie Beck, H. (2014, S. 373 ff.).

5.5  Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen

171

5.4.2 Risikoaverses oder risikofreudiges Verhalten Risikoaverses Verhalten (Angst vor Risiko) oder risikofreudiges Verhalten (Chancen werden höher gewertet als Risiko, chancenorientiert) ist ebenfalls nicht rational. Rationales Verhalten wäre nur bei Risikoneutralität gegeben. Entscheidungen mit gleichem Erwartungswert, aber variierenden Auszahlungen müssten bei Risikoneutralität gleich bewertet werden. Risikofreudige Entscheider werden allerdings bei gleichem Erwartungswert Alternativen wählen, die eine geringere Wahrscheinlichkeit, aber höhere Auszahlungen aufweisen. Sie sind chancenorientiert, was irrationales Verhalten darstellt. Zum Beispiel ist Lottospielen irrational, weil der Erwartungswert viel geringer ist als der Spieleinsatz. Allerdings würde Lottospielen wieder rational, wenn man die Spielfreude (Spannung) oder überhaupt die Hoffnung als die Möglichkeit aus einem armen Leben zu entfliehen als Nutzen bewerten würde. Risikoaverse Entscheider werden bei gleichem Erwartungswert Alternativen wählen, die aber geringere Verluste aufweisen.

5.4.3 Emotionen Angst, Neid oder Mut sind Emotionen, sie sind nicht immer kontrollierbar und beeinflussen unsere Handlungen. Eine rationale Handlung ist nicht möglich. Dies ist insbesondere das Thema der New Behavioral Finance, die im Kap. 8. Konjunkturpolitik behandelt wird.

5.5 Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen Das Modell des vollkommenen Marktes unterstellt vollkommene Markttransparenz, d. h. die Marktteilnehmer verfügen über alle für ihre Entscheidungen relevanten Informationen. Man spricht von asymmetrischen Informationen, wenn die Beteiligten bei ihren wirtschaftlichen Transaktionen über einen unterschiedlichen Kenntnisstand verfügen. Dieser kann dann von der besser informierten Seite genutzt werden, die andere Seite zu übervorteilen. Nach der Transaktion hat dann die weniger informierte Partei weniger Nutzen als erwartet, was zu nicht Pareto-effizienten Situationen führt. Das Wohlfahrtsoptimum aus Abschn. 2.2 kann nicht erreicht werden. Bezüglich der Art des Informationsunterschieds unterscheidet man asymmetrische Informationen in Bezug auf: a) die Eigenschaften des zu tauschenden Gutes (Hidden Characteristics) b) das Verhaltens des Partners nach Vertragsabschluss (Hidden Actions) c) die Absichten des Partners beim Vertragsabschluss (Hidden Intentions)

172

5 Marktversagen

Zu a) Asymmetrische Informationen bei den Eigenschaften des zu tauschenden Gutes: Hidden Characteristics Verfügen die Tauschpartner vor dem Vertragsabschluss über unterschiedliche Informationen über die objektiven Eigenschaften des zu tauschenden Gutes (z. B. auf dem Gebrauchtwagenmarkt) begünstigt dies den Prozess der negativen Auslese (Adverse Selection). Das Problem der Hidden Characteristics findet sich insbesondere bei anonymen Märkten, bei denen sich Käufer und Verkäufer nicht kennen, also auch nicht voneinander abhängig sind und sich auch nicht wiedersehen bzw. keine Anschlusskäufe stattfinden. Der Verkäufer kann somit den Käufer aufgrund der asymmetrischen Informationen zu seinem Vorteil täuschen, ohne Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen, wenn der Käufer den Betrug festgestellt hat. Man denke an die Quacksalber, die immer von Dorf zu Dorf gefahren sind und so nie greifbar waren. Dies entspricht in der Entscheidungstheorie dem Spiel mit einer Runde. Anonyme Märkte sind beispielsweise die Finanzmärkte, aber auch in Großstädten kennen sich die Menschen nicht und sehen sich oft nach dem Kauf nicht wieder. Deshalb ist auch in der Regel die Kriminalität in einer anonymen Großstadt höher als in einem Dorf. Es gibt den klassischen Fall des Naiven vom Lande, der in der Großstadt über den Tisch gezogen wird, der oft verfilmt wurde. Hier ist jedoch der Landbewohner nicht naiver als die Stadtbewohner, er hat lediglich im Dorf nicht die schlechten Erfahrungen machen müssen und ist deshalb unvorsichtiger. Er hat mehr Vertrauen in die Menschen. Beispiele 1. Medizinische Leistungen Die Leistungen eines Arztes entsprechen einer anbieterinduzierten Nachfrage: Ärzte definieren, welche Krankheiten die Nachfrager haben und welche Leistungen wie notwendig sind. Damit bestimmen sie indirekt aber auch ihr Einkommen. Hier ist eine Lösung nur ansatzweise möglich: • Kontrolle durch Krankenversicherungen und den Staat, • Für den Patienten empfiehlt es, sich mehrere Angebote einzuholen. Es besteht aber ein Anreizproblem, wenn der Patient nicht für die Kosten aufkommen muss, sondern die Krankenversicherung. Hier hilft eine Incentivierung (also Anreizsetzung) der Patienten durch Selbstbeteiligung bzw. Kontrolle der ärztlichen Leistungen durch Patienten und Dritte. 2. Autoreparaturen Wenn man ein Auto in die Werkstatt bringt, kann man nicht genau nachvollziehen, ob die Reparatur wirklich notwendig ist und was abgerechnet wurde. Hier empfiehlt es sich mehrere Angebote einzuholen.

5.5  Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen

173

3. Lebensmittel Bei Lebensmittel kann man nicht genau nachvollziehen, wie die Tiere gehalten werden oder sich die Lebensmittel auf unseren Körper auswirken. In diesem Fall muss der Staat durch Kontrollen und Sanktionen für eine bessere Marktransparenz sorgen und eine gesundheitsschädliche Produktion unterbinden. 4. Gebrauchtwagenmarkt 1. Situation bei Vollständiger Information Bei vollständiger Information: – Es werden gute und schlechte Autos verkauft (hier: jeweils 50 %, vgl. Abb. 5.14) – Bei unvollständiger Information bilden Käufer Erwartungen (hier: „mittlere Qualität“), Käufer kennen den Zustand des Autos nicht, gute und schlechte Autos scheinen gleich. Die negativen Erfahrungen machen sie nach dem Kauf. Händler kennen den Zustand, weshalb sie nach wie vor versuchen, gute Autos teurer als schlechte Autos zu verkaufen. 2. Situation Unvollständige Information Teil 1 Gleiche Nachfragekurve, aber unterschiedliche Angebotskurven (vgl. Abb. 5.15) Betrachtung der NM Linie M: Mittlere Qualität, weil die Menge unsicher ist Bei unvollständiger Information: – Es werden 75 % schlechte Autos verkauft und 25 % gute Autos. – Käufer passen ihre Erwartungen hinsichtlich der mittleren Qualität nach unten an, weshalb sie weniger bereit sind, für die Autos zu zahlen und deshalb mehr schlechte Autos kaufen, weil hier die Händler bereit sind, sie günstig zu verkaufen.

Abb. 5.14   Gebrauchtwagenmarkt Situation 1 (G: guter PKW, S: schlechter PKW)

174

5 Marktversagen

Abb. 5.15   Gebrauchtwagenmarkt Situation 2

Abb. 5.16   Gebrauchtwagenmarkt Situation 3

3. Situation Unvollständige Information Teil 2 Betrachtung der NSM Linie Nach der neuerlichen Anpassung der Erwartungen (vgl. Abb. 5.16): – Es werden absolut weniger Autos verkauft sowie 86 % schlechte und 14 % gute Autos. – Käufer passen ihre Erwartungen weiter an. Fazit: Die Folgen dieses Prozesses der negativen Auslese bestehen darin, dass die schlechte Qualität die gute Qualität verdrängt (vgl. Abb. 5.17) und insgesamt weniger Autos verkauft werden, d. h. Produzenten- und Konsumentenrente (also die gesellschaftliche Wohlfahrt) sinken.

5.5  Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen

175

Abb. 5.17   Gebrauchtwagenmarkt Situation 4

Dem Marktversagen kann seitens der Marktteilnehmer entgegengewirkt werden, durch • Screening: Informationsnachfrage; der Uninformierte verbessert seinen Informationsstand durch: Selbstinformation oder Einschaltung spezialisierter Dritter • Signaling: Informationsübertragung; der besser Informierte stellt Informationen breit durch: Aufbau einer Reputation, Einräumen eines Garantieversprechens, Akzeptanz eines Selbstbehaltes, Eingehen auf Tarife mit Schadenfreiheitsrabatt.24 • Moral: Ethisches Verhalten würde bei den Hidden Characteristics die Besserinformierten davon abhalten, die Schlechterinformierten zu übervorteilen. • Märkte deannonymisieren, indem die Namen der Verkäufer transparent gemacht werden. List simulierte das Verhalten auf Märkten als Gift Exchange Game durchgeführt. Er ließ zuerst im Labor und dann auf einem anonymen Markt den Verkauf von Baseball-Karten durchspielen. Die Verkäufer sollten gewinnmaximierend die niedrigste Qualität liefern und die Käufer nutzenmaximierend den niedrigsten Preis bezahlen. Im Labor wurden die Probanden beobachtet, auf dem Markt nicht. Das Ergebnis war, dass die Verkäufer im Labor eine bessere Qualität boten und die Kunden mehr bezahlten. Die Reputation scheint für das Verhalten der Käufer eine Rolle gespielt zu haben. Auf den Märkten fühlten sie sich unbeobachtet und verkauften den Kunden niedrige Qualität zu hohen Preisen.25

24Vgl.

Dillerup, R. und Stoi, R. (2011, S. 24); Welge, M. und Al-Laham, A. (2014, S. 52); sowie Fritsch, Michael et al. (2011, S. 263). 25See List, John A. (2006).

176

5 Marktversagen

Ein weiterer großer Bereich mit dem Problem der Hidden Characteristics ist das Personalwesen. Beispielsweise ist bei der Einstellung die Qualität des neuen Mitarbeiters ist nicht direkt erkennbar. Unter Hidden Characteristics versteht man hierbei die für den Arbeitgeber bei der Einstellung (Vertragsabschluss) trotz Zeugnissen unbekannten Eigenschaften des Bewerbers wie beispielsweise den tatsächlichen Qualifikationsgrad, die Integrität, Arbeitseinstellung und Loyalität. Die Einstellung externer Mitarbeiter birgt demnach ein hohes Risiko der Fehleinschätzung der Hidden Characteristics. Der Einkauf eines externen Mitarbeiters ist deshalb mit hohen Risiken verbunden und nur wirklich zu empfehlen, wenn intern niemand vergleichbares zur Verfügung steht oder mit dem Mitarbeiter externes Wissen in das Unternehmen transferiert werden soll, zu dem das Unternehmen sonst keinen Zugang hat. Letztlich ist die Bedeutung der Corporate Identity und insbesondere die interne auch emotional moralische Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten in den Hintergrund getreten, womit sich die Principal Agent Problematik verschärft hat. Früher wurde erwartet, dass sich eine Führungskraft in dem Unternehmen hochgearbeitet oder zumindest die wichtigsten Wertschöpfungsstufen und die Corporate Identity kennen gelernt und übernommen hat. Dies hatte nicht nur den Vorteil, dass die Manager die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf das Unternehmen besser abschätzen konnten, weil sie es kannten, sondern auch eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen hatten. Ferner war die Gefahr der Fehlbesetzung aufgrund von Hidden Characteristics geringer, weil sich die Führungskraft bereits über viele Jahre im Unternehmen beweisen musste. Die Problematik der Hidden Characteristics, Hidden Intentions und Hidden Actions gibt es aber auf jeder Führungsebene zu den untergebenen, entscheidungsumsetzenden Einheiten. In der deutschen Literatur gibt es noch die Unterscheidung in ein Vertrauens- und Erfahrungsgüter. Bei Erfahrungsgütern kennt der Kunde nach dem Kauf die Eigenschaften des Gutes, nicht so bei Vertrauensgütern. Als Vertrauensgut wird beispielsweise die Wirtschaftsprüfung angeführt. Auch bei Vertrauensgütern bietet sich als Lösung die Selbstbindung beispielsweise durch Garantien an.26 Zu b) Asymmetrische Informationen in Bezug auf das Verhaltens des Partners nach Vertragsabschluss: Hidden Actions Da im Allgemeinen der eine Partner nicht weiß, wie der andere sich nach dem Zustandekommen des Vertrages verhält, begünstigt dies mögliche „versteckte Handlungen“ (hidden actions). Der Vertrag wird dann nicht zum Vorteil beider Seiten umgesetzt, sondern die eine Seite übervorteilt die andere und das Allokationsoptimum wird nicht erreicht.27

26Vgl. 27Vgl.

Ballwieser, Wolfgang und Clemm, Hermann (1999, S. 414). Weisser, J. (2012, S. 53); sowie Alparslan, A. (2006, S. 22 f.).

5.5  Marktversagen wegen asymmetrischer Informationen

177

Auf dieses Problem des moralischen Risikos trifft man insbesondere in der Versicherungsbranche. Das Verhalten des Versicherten kann sich nach Abschluss des Vertrags auf Kosten der Versicherung ändern, weil er dann nicht mehr selbst für sein Eigentum haftet. Nach Abschluss der Versicherung kann der Versicherte unter Umständen die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens beeinflussen ohne, dass die Versicherung hierauf Einfluss hätte. Zum Beispiel könnte sich der Besitzer eines vollkaskoversicherten Luxus-Pkws erhoffen, dass er sich ein neues Auto bestellen kann, wenn er es in einer gefährlichen Gegend parkt. Hier kann man mittels Incentives (Anreize etwa durch Selbstbeteiligung, Schadensfreiheitsrabatte, Beitragsrückerstattungen) einem Marktversagen vorbeugen. Hidden Actions gibt es z. B. auch bei Vermietung, da der Vermieter nicht weiß, wie der Mieter nach Abschluss des Mietvertrags mit dem Objekt umgehen wird. Um das Risiko abzusichern, muss der Mieter eine Kaution hinterlegen. Könnte er moralisches Verhalten unterstellen wäre dies überflüssig und er könnte dem Mieter vertrauen. Zu c) Asymmetrische Informationen über die Absichten des Partners beim Vertragsabschluss: Hidden Intentions Der Unterschied der Hidden Intentions zu den Hidden Actions ist, dass hier der Vorsatz dazukommt. Ein Vertragspartner ist in Vorleistung gegangen und nun bei der Vertragserfüllung von dem anderen abhängig. Es besteht eine einseitige Abhängigkeit nach Vertragsabschluss. Die Unkenntnis beim Vertragsabschluss über „versteckte Absichten“ des Partners kann zu einer Ausnutzung vertraglicher Interpretationsspielräume durch den wirtschaftlich Stärker zulasten eines von ihm abhängigen Vertragspartners führen ­(Hold-up-Verhalten). Beispielsweise ziehen sogenannte Mietnomaden bereits mit der unethischen Absicht, die Miete nicht zu zahlen, also den Vermieter zu schädigen. Dieser möglichen Ausbeutung oder Erpressung könnte man versuchen, mit einer Strategie der Interessenharmonisierung (Incentives, z. B. Gewinnbeteiligungen) entgegenzuwirken. Hidden Intentions gibt es nicht nur bei Mietverträgen, sondern auch z. B. bei Vorauskasse und Anzahlungen. Der einseitigen Abhängigkeit wird hier mit Kautionen, Bürgschaften und Garantien entgegengewirkt. Risiken aus Hidden Intentions gibt es auch gerade bei Joint-Ventures zur Markterschließung, bei dem ein Unternehmen das Know how hat. Der andere Partner könnte versuchen, sobald er das Know-how übertragen bekommen hat, eine eigene Firma aufzubauen. Hier kann man die Interessenharmonisierung durch eine sehr hohe Beteiligung des Partners an dem Joint Ventures erreichen. Die Beteiligung muss so hoch sein, dass es sich für den Partner nicht mehr lohnt eine zweite Firma aufzubauen. Auch hier hilft es, wenn man auf moralisches Verhalten vertrauen kann.28

28Vgl.

Dillerup, R. und Stoi, R. (2011, S. 25); sowie Welge, M. und Al-Laham, A. (2014, S. 53).

178

5 Marktversagen

Ein anderes Beispiel wären sog. „Mietnomaden“. Sie beabsichtigen außer der Kaution beim Einzug an den Vermieter keine Zahlungen zu leisten. Bis der Vermieter die Mietnomade rausgeklagt hat, können Jahre vergehen. Hier empfiehlt es sich bei der Auswahl der Mieter besonders vorsichtig zu sein und vielleicht neben dem Einkommensnachweis auch eine Auskunft des Vor-Vorvermieters einzuholen. Der aktuelle Vermieter könnte bei seiner Auskunft befangen sein. Falls man bereits an einen solchen Mieter die Immobilie übergeben hat, ist es oft ratsamer, dem Mieter eine Abstandszahlung für das Ausziehen anzubieten als einen aufwendigen Gerichtsprozess anzustreben. Zusammenfassung

Fehlende Rationalität und asymmetrische Informationen Asymmetrische Informationen bevorzugen den informierten Vertragspartner gegenüber dem uninformierten und ermöglichen, den uninformierten Vertragspartner zu übervorteilen. Als gesellschaftliche Lösungen für dieses Problem haben sich Reputation, Vertrauen, Moral (Kultur) herausgebildet. Bei irrationalem Verhalten kann der Staat nur in den Fällen eingreifen, in denen es zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt, da Irrationalität zur menschlichen Natur gehört. Nur selten lässt sich hier eine Einschränkung der menschlichen Freiheit rechtfertigen.29 ◄ Übungsaufgaben 1. Nennen Sie zwei Beispiele für irrationales Verhalten von Wirtschaftssubjekten. 2. a) Nennen Sie jeweils ein Beispiel für meritorische und demeritorische Güter und erklären Sie die anzuwendenden Kriterien anhand der Beispiele. b) Wie sollte sich hier der Staat verhalten? 3. a) Nennen Sie jeweils ein Beispiel für hidden characteristics, hidden actions und hidden intentions. b) Worin liegt hier jeweils die Problematik? c) Was schlagen Sie als Lösung vor?

5.6 Marktversagen wegen Transaktionskosten Wenn Marktransaktionen wegen ihren Transaktionskosten nicht zustande kommen, kann man im weiteren Sinn auch von Marktversagen sprechen. Wie schon in Abschn. 4.3 dargestellt, sind wirtschaftliche Transaktionen die Übertragungen von Verfügungsrechten an

29Fritsch, M. et al. (2007); Klump, R. (2013), Koch, W. S. et al. (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

5.6  Marktversagen wegen Transaktionskosten

179

Gütern und Dienstleistungen.30 Unter der Übertragung von Dienstleistungen ist auch die Arbeitnehmertätigkeit in einem Unternehmen zu verstehen. Die Übertragungen sind mit Kosten verbunden; Informations-, Verhandlungs-, Kontroll- und Durchsetzungskosten sowie im weiteren Sinne auch Transportkosten.31 Wir unterscheiden hier direkte und indirekte Transaktionskosten. 1. Direkte Transaktionskosten In den letzten Jahrzehnten sanken die direkten Transaktionskosten sehr stark, was zur Bildung von zahlreichen neuen Märkten führte. Die Transaktionskosten wurden beispielsweise gesenkt durch das Internet, neue Transporttechniken und Englisch als internationale Businesssprache. Alles zusammen hat maßgeblich die Globalisierung gefördert. Die Welt ist kleiner geworden, weil die Wege kürzer und kostengünstiger wurden. Die Erfindung des Internets erhöhte die Markttransparenz bei gesunkenen Transaktionskosten. Preise und Leistungen lassen sich schneller und kostengünstiger vergleichen. Bei den Transporttechniken sind z. B. zu nennen: Container auf Schiffen, große Öltanker und günstigere Flugkosten für Gütertransporte. Die Durchsetzung von Englisch als internationale Businesssprache ist vergleichbar mit der Einführung eines einheitlichen Standards (z. B. Metermaß oder DIN). Die Kosten für Übersetzungen entfallen. Menschen schließen Geschäfte mit anderen Kulturen, wie z. B. Deutsche und Chinesen in einer für beide fremden Sprache. Sie müssen durch den gemeinsamen Standard aber nur eine Sprache lernen, um mit der ganzen Welt Geschäfte machen zu können. 2. Indirekte Transaktionskosten Wenn wie bei den dargestellten asymmetrischen Informationen die Vertragserfüllung unsicher ist entsteht ein Verlustrisiko. Dies ist immer der Fall, wenn keine absolute Kontrolle der Leistungen nach Vertragsabschluss möglich ist. Dies ist für alle Formen von Geschäften relevant, die eine langfristige Vertragserfüllung beinhalten, also auch für Arbeitsverträge. Je höher die Vorleistung und je langfristiger die Vertragserfüllung desto höher ist das Risiko einer geringeren Gegenleistung. Dies gilt insbesondere für Investitionen von Unternehmen beispielsweise in neue Produktionsanlagen. Hier ist die Vorleistung hoch der Return aber sehr langfristig über viele Nutzungsperioden verteilt. Diese indirekten Transaktionskosten werden vor allem durch ein objektives und konsequentes Rechtssystem gesenkt. Ein geschriebenes Gesetz (Code of Law) senkt durch Transparenz das Risiko stärker als ein Fallrecht wie in den USA (Case Law) bei dem die Rechtsprechung auf Präzedenzfällen aufbaut.32 Länder, denen ein objektives und konsequentes Rechtssystem fehlt, haben es schwer, Direktinvestitionen anzuziehen.

30Vgl.

Gabisch, Günter (2003, S. 56 f.). Picot, A. et al. (2012, S. 70). 32Vgl. Steinherr, Christian et al. (1997, S. 1). 31Vgl.

180

5 Marktversagen

Um Länderrisiken wie beispielsweise Kriege abzusichern, hat die Bundesregierung eine staatliche Versicherung von Exporten initiiert, die sog. Hermes-Versicherung. Die indirekten Transaktionskosten werden aber vor allem durch Moral gesenkt. Auch Luhmann sieht in Vertrauen ein Mittel, um die Komplexität sozialer Interaktionen zu reduzieren.33 Ist die Kultur eines Landes moralisch, kann der Vertragspartner auf die Umsetzung seiner Verträge vertrauen. Es gibt für ihn kein Erfüllungsrisiko mehr, dass aus Übervorteilung entsteht. Fallen die indirekten Transaktionskosten weg, kommen Geschäfte zustande. Dies wurde vor allem früher auch als Geschäftsansatz gesehen. Begriffe oder Redewendungen wie „Ein guter Name ist Gold wert“ und „Ich zahle mit meinem guten Ruf“ sowie der Rechtsbegriff „Treu und Glauben“ zeugen davon. Die Reputation, der Ruf von einer Person oder einem Unternehmen umfasst alles, was an Assoziationen mit ihm verbunden wird. Schlechte oder gute Leistung, moralisches oder unmoralisches Verhalten usw. Der Ruf bildet sich aus Taten, die von Menschen, vom Markt beobachtet und interpretiert werden. Jedes Unternehmen ist so gesehen für seinen Ruf selbst verantwortlich. Auch die früher oft zitierte „Kaufmannsehre“ erhält ihre Bedeutung aus dem Wegfall des Vertragserfüllungsrisikos. Diese Ehre wurde auch durch die Handelsgilden institutionalisiert. Sie führten Ethikkodexe ein, deren Missachtung sanktioniert wurde. Große Verstöße wurden mit dem Ausschluss aus der Gilde geahndet, was gleichbedeutend mit dem Wegfall der Existenzgrundlage des Kaufmanns war, weil er das Ver­ afia-Kreisen soll es einen Ehrenkodex trauen seiner Geschäftspartner verlor.34 Selbst in M innerhalb der kriminellen Vereinigung und deren Geschäftspartner geben. Also benötigen selbst kriminelle Kreise ein Minimum an Moral, um ihre geschäftlichen Transaktionen abwickeln zu können. Auch sie benötigen gegenseitiges Vertrauen.  Definition  Vertrauen bedeutet nichts anderes, als jemandem glauben, dass er sich auch ohne Sanktionsmöglichkeiten entsprechend der Erwartung ethisch verhält. Auch empirische Verhaltensexperimente bestätigen die Bedeutung von Vertrauen. So wird in dem, auf das Ultimatum Game aufbauende Gift Exchange Game oder Trust Game deutlich. Zwei Versuchskandidaten sollen wie im Ultimatum Game 10 US$ untereinander aufteilen. Der erste (Proposer) erhält alles und kann bestimmen, wie viel er dem zweiten abgibt. Dieser Betrag wird dann verdreifacht. Der zweite (Responder) kann dann entscheiden, wie viel er dem Proposer zurückgibt. Rationales Verhalten unterstellt müsste der Proposer alles Geld behalten, da er – ebenfalls rationales Verhalten unterstellt – nicht davon ausgehen kann, dass der Responder ihm nachträglich etwas abgibt. Schließlich handelt es sich ja um ein Spiel mit einer

33Vgl.

Luhmann, Niklas (2000). Beschorner, Thomas und Hajduk, Thomas (2011); Albach, Horst (2005) sowie Lin-Hi, Nick (2014, S. 10 f.). 34Vgl.

5.6  Marktversagen wegen Transaktionskosten

181

Runde. In den Spielen zeigt sich jedoch, dass nur ein kleiner Teil diese Strategie gewählt hat. Die meisten Proposer schenkten dem unbekannten Responder Vertrauen und wurden hierbei belohnt, da sich ein starker Zusammenhang zwischen der Höhe des weitergeleiteten Geldes und der anschließenden Rückgaben des Responders feststellen ließ.35 Nach der Enron-Krise war das Vertrauen in die Bilanzen der Unternehmen erschüttert und als Folge der Finanzkrise (Subprimekrise) vertraute niemand mehr den Banken, am wenigsten die Banken sich selbst. Das Vertrauen war verloren, was die Weltwirtschaft fast zum Einstürzen gebracht hätte. Was für eine Rolle spielt Vertrauen für die Menschen? Wenn der Mensch vom Affen abstammt, dürfte auch beim Menschen ein ähnliches Gruppenverhalten angelegt sein. Ein Leben als Individuum, also ganz ohne Gruppenbezug stellt bei den Affen eine seltene Ausnahme dar. Vielmehr müssen sie sich in vorgegebene Hierarchiestufen einfügen und sind auf die Gunst der anderen Gruppenmitglieder angewiesen. Bei Schimpansen wurde sogar ein politisches Verhalten festgestellt. Nur der Affe kann die Gruppe dominieren, der die stärkste Fraktion von Anhängern auf sich vereinen kann, also eine relative demokratische Mehrheit. Ein Minimum an kooperativem Verhalten muss somit bei Affen und damit auch bei Menschen in den Genen angelegt sein. Anderenfalls würden sich keine Gruppen bilden und sowohl Affe als auch Mensch wären in der Natur nur als Individuum beobachtbar.36 Allerdings zeigt die Realität, dass die Vorprägung (predetermination) keineswegs ausreicht, um kooperatives Verhalten immer sicherzustellen. Der Anreiz, sich nicht-kooperativ zu verhalten, muss also entsprechend groß sein. Dies liegt unter ­ anderem daran, dass viele Entscheidungssituationen des täglichen Lebens Dilemmastrukturen wie das bereits dargestellte Gefangenendilemma37 aufweisen. Das Dilemma besteht darin, dass zwar der Gesamtnutzen für die Beteiligten aus einem kooperativen Verhalten am größten ist, jedoch die Unsicherheit über das kooperative Verhalten der anderen für den Einzelnen das nicht-kooperative Verhalten als das beste erscheinen lässt. Das schlechteste Ergebnis ergibt sich nämlich für den Einzelnen, wenn er sich als einziger kooperativ verhält und alle anderen unkooperativ. Und umgekehrt ist der Nutzenzugewinn für den Einzelnen am größten, wenn sich alle anderen außer ihm kooperativ verhalten. Da die Unsicherheitssituation über das Verhalten für alle besteht, entscheiden sich alle für das nicht-kooperative Verhalten, das dann für alle das schlechteste Ergebnis ist (ethisches Gefangenendilemma). Ein Beispiel aus einer Entscheidungssituation am Markt: Der Käufer kauft eine Ware, die er noch nicht ausprobieren konnte, also nicht kennt. Und der Verkäufer verlässt sich beispielsweise bei Rechnungsstellung darauf, dass der Käufer ihn später, also nach Auslieferung der Ware bezahlt. Wenn beide einander nicht vertrauen können, werden sie davon ausgehen müssen, dass sie der andere betrügt.

35Vgl.

Holzmann, Robert (2015, S. 129). Windeler, Arnold (2014, S. 175). 37Vgl. Kirchgässner, Gebhard (1991, S. 51 f.). 36Vgl.

182

5 Marktversagen

Die Konsequenz wird sein, dass sie ebenfalls betrügen, um sich bei dem Kauf nicht zu verschlechtern, das Geschäft gar nicht zustande kommt oder hohe Absicherungskosten entstehen. Beispielsweise ist es bei Geschäften mit unbekannten ausländischen Geschäftspartnern üblich, die Geschäfte Zug um Zug mit Garantien einer Bank durchzuführen (z. B. Kasse gegen Dokumente oder mit einem bestätigten Akkreditiv). Problematisch sind solche Abhängigkeits- bzw. Dilemmasituationen und asymmetrische Informationen vor allem, wenn sich die handelnden Personen nicht kennen (auf anonymen Märkten), sich nicht abstimmen können oder, wenn es sich um eine einseitige Abhängigkeitssituation handelt, also die Entscheider nicht-kooperatives Verhalten später nicht sanktionieren können (Spiel mit einer Runde). Noch besser ist somit, wenn man direkt den handelnden Menschen vertrauen kann. Bei Moral und guten Sitten als gesellschaftlicher Basis für Vertrauen kann von kooperativem Verhalten ausgegangen werden, weshalb diese Werte produktivitätserhöhend sind. Die Bedeutung moralischer Werte für die volkswirtschaftliche Entwicklung wurde bereits aufgezeigt. Das gleiche gilt mikroökonomisch für jedes einzelne Unternehmen. Ein Unternehmen, das in einer unmoralischen Umgebung operieren muss (wie beispielsweise in Russland aufgrund der unsicheren Rechtslage) wird höhere Transaktionskosten haben. Es muss mehr kontrollieren und sich mehr absichern. Nicht nur die Effizienz leidet darunter, sondern viele wirtschaftliche Transaktionen werden aufgrund höherer Kosten und Risiken unterbleiben. Ein Unternehmen bewegt sich in einem gegebenen gesellschaftlichen Rahmen. Es rekrutiert seine Mitarbeiter aus dieser Gesellschaft. Lieferanten, Kunden, Rechtsordnung – alles kommt aus dieser Gesellschaft. Die Möglichkeit für ein Unternehmen auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen, ist nur sehr begrenzt über Wirtschaftsverbände, also Politik, oder Werbung möglich.

5.7 Marktversagen wegen fehlender Markttransparenz Im Gegensatz zu dem Marktversagen aufgrund von asymmetrischen Informationen können die Informationen auch generell fehlen oder falsch sein. Marktransaktionen werden nicht durchgeführt, wenn es keine Transparenz über die Leistungen und Risiken bzw. Kosten gibt. Werden sie durchgeführt, weil falsche Annahmen über die Inhalte der Transaktion den Entscheidungen zugrunde liegen, führt dies zu Fehlallokationen. Beispielsweise sind die Inhaltsstoffe bei Lebensmitteln und ihre Auswirkungen nicht bekannt bzw. transparent, weshalb wir nicht die richtigen Lebensmittel auswählen können. Die Kennzeichnung der Waren durch ein Bio-Gütesiegel hilft, die Transparenz zu erhöhen. Am wenigsten Transparenz herrscht bei Aktienkäufen. Die Unternehmen sind so komplex, dass nicht einmal die Manager als Insider die Aktien richtig bewerten könnten. Der Zeitaufwand zur Beschaffung und zur Verarbeitung der Informationen übersteigt hier bei weitem den zu erwartenden Nutzen aus einer besseren Markttransparenz. Aus diesem Grund müssen wir auch selbst, wenn alle Informationen zur Verfügung stehen würden, mit einer fehlenden Markttransparenz leben.

5.8  Marktversagen wegen natürlicher Monopole

183

5.8 Marktversagen wegen natürlicher Monopole  Definition  Ein natürliches Monopol liegt vor, wenn ein einzelnes Unternehmen ein bestimmtes Gut dem gesamten Markt zu niedrigeren Kosten bereitstellen kann als zwei oder mehrere Unternehmen in einer Wettbewerbssituation. Dieser Fall tritt manchmal ein bei: 1. hohen Transportkosten den sog. räumliche Monopolen, 2. zunehmenden Skalenerträgen Und immer bei: 3. Unteilbarkeit der Produktion

5.8.1 Räumliches Monopol  Definition  Räumliche Monopole geben einem Unternehmen aufgrund seines Standorts Wettbewerbsvorteile, die ihn zum Alleinanbieter machen. Hohe Transportkosten bewirken Preisvorteile für einen Anbieter vor Ort und stellen für Dritte Markteinstiegsbarrieren dar. Zur Veranschaulichung eines räumlichen Monopols diene die Stahlindustrie. Die Transportkosten für eine Tonne Stahl betragen 100 €/100 km. In der Folge werden sich zwei Märkte bilden (vgl. Abb. 5.18). Der Konkurrent Unternehmen 2 müsste günstiger anbieten können, um in den Markt des anderen einzudringen und 200 €/t günstiger sein, um beide Märkte komplett zu gleichen Konditionen wie Unternehmen 1 beliefern zu können. Räumliche Monopole gibt es viele. Jeder kennt den typischen einzigen Lebensmittelladen in einem Dorf. Aber auch in der Mensa einer Universität können Schokoriegel teurer verkauft werden, weil der nächste Supermarkt weit entfernt ist.

Abb. 5.18   Räumliches Monopol

100 km

100 km A

B

C

100 km

100 km

Nachfrage 1 Mio. t

Nachfrage 1 Mio. t

184

5 Marktversagen

5.8.2 Natürliches Monopol aufgrund sinkender Stückkosten Bei hoher Fixkostenbelastung (vor allem bei Großanlagen) tritt eine deutliche Stückkostendegression erst bei sehr großen Losgrößen auf (z. B. bei Großanlagen zur Energieerzeugung, integrierte Stahlwerke etc.). Beispiel Integrierte Stahlwerke: Nehmen wir an, bei 80 %iger Auslastung betragen die Produktionskosten bei einem 2 Mio. t Ofen: 500 €/t. Bei nur 50 %iger Auslastung steigen sie auf 800 €/t (degressive Stückkosten). Alternativ würde ein Ofen mit nur einer Mio. Produktionskapazität (1 Mio. t Ofen) ebenfalls Produktionskosten von 800 €/t aufweisen. Die optimale Ofengröße beträgt deshalb bei einem Markt von 2 Mio. t. ebenfalls 2 Mio. t. Große Produktionsanlagen erzeugen hohe Fixkosten. Würde nur eine Tonne Stahl produziert werden, wären die Kosten dieser Tonne die Fixkosten plus die variablen Kosten. Das Gleiche gilt dann aber auch für die Auslastung des 2 Mio. t Ofens. Bei einer Auslastung von nur 50 % entstehen durch die Umlegung der Fixkosten auf die geringere Stückzahl deutlich höhere Stückkosten von 800 €/t. In der Folge wird der Markt in Abb. 5.18 unter der Berücksichtigung der Transportkosten von einem Unternehmen in Punkt B mit einem 2 Mio. t Ofen bedient und nicht von zwei Unternehmen mit je 1 Mio. t. Es handelt sich um ein natürliches Monopol. Das Unternehmen, welches als erstes diese Position besetzt wird sich im Wettbewerb durchsetzen. Diesen Wettbewerbsprozess der ruinösen Konkurrenz wollen wir im Folgenden unter der Annahme vollständiger Konkurrenz analysieren (Abb. 5.19). Annahme: Zwei Unternehmen mit je 2 Mio. t Stahl-Produktionskapazität X1 und X2 können den gesamten Markt bedienen. U1 bietet P1 an und U2 P2 und nimmt ihm damit den Absatz weg. Aufgrund der sinkenden Stückkosten wird U1 nachziehen. Die Preisuntergrenze dieses Preiswettbewerbs bilden die variablen Kosten. Alles darüber bringt zusätzliche Deckungsbeiträge für die Fixkosten (Deckungsbeitragsrechnung), weshalb diese Preise angeboten werden. Man befindet sich aber im Verlustbereich. Hinzu kommt, dass das andere Unternehmen mitbietet, sodass auch nicht der erwartete Absatz erreicht wird. Die für die niedrigen Stückkosten notwendige Produktion kann nicht verkauft werden, sodass Überproduktion entsteht, die den Verkaufsdruck weiter erhöht.

Abb. 5.19   Ruinöse Konkurrenz Ausgangssituation. (PP [Polypolpreis]: Der Wettbewerbspreis deckt nicht die Stückkosten, ruinöse Konkurrenz!! P B>A 2 :A>C>B 3 :B>A>C 1. Abstimmung: A ⇔ B: 1:2 ⇒ B > A 2. Abstimmung: B ⇔ C: 1:2 ⇒ C > B 3. Abstimmung: C ⇔ A: 1:2 ⇒ A > C Kontrollabstimmung

C>B>A ⇒C>A

Widerspruch!

d. h. die Reihenfolge ist bei der Abstimmung entscheidend C > B > A oder A > C, somit gibt es keine widerspruchsfreie Aggregation individueller Präferenzen und auch keine richtige Lösung.

6.5.3 Borda-Regel Die Borda-Regel ist eine Abstimmungsregel, die nach dem französischen Mathematiker J. C. Borda benannt wurde. Bei der Borda-Regel wird die Intensität der Präferenzen gewichtet, z. B. drei Alternativen, jeder Entscheider kann 1, 2 und 3 Punkte ­vergeben.

232

6 Politikversagen

Die Alternative mit den meisten Punkten gewinnt. Durch die Gewichtung wird der gesellschaftliche Nutzen transparent und damit auch die Zahlungsbereitschaft zur Finanzierung öffentlicher Güter. Beispiel: Der Eurovision Song Contest. Jedes Land kann jedem Lied von 1 bis 12 Punkte geben. Durch die Verteilung von den Punkten kann man etwas mehr gewichten, denn 12 Punkte sind zwölfmal mehr wert als 1 Punkt. Problem: • Fällt eine Alternative raus, ändert sich die Reihenfolge der Bewertung der restlichen Alternativen. Man muss dann neu abstimmen. • Bei sehr vielen Alternativen ist das Verfahren zu aufwendig, weil sich der Entscheider über den relativen Nutzen aller Alternativen klar werden muss: um wie viel ist diese Entscheidungsalternative besser als die andere. Übungsaufgabe Abstimmungsregeln Der Ökonom Leininger rekonstruierte die Abstimmung über die deutsche Hauptstadt im Bundestag nach der Wiedervereinigung. Hier berücksichtigte er auch verschiedene Vor-Abstimmungen, um die Präferenzen der Abgeordneten zu schätzen (vgl. Abb. 6.7).24 Es gab bei den verschiedenen Abstimmungen eine unterschiedliche Teilnahme der Abgeordneten, als auch Enthaltungen, weshalb sich die Zahlen nicht immer einheitlich zu 657 ergänzen. Wir fragen uns, ob das Abstimmungsergebnis unabhängig vom Abstimmungsverfahren immer Berlin ergeben hätte. Sie sind an der Reihe: Wie lautet das Abstimmungsergebnis bei Anwendung der 1) der absoluten Mehrheitsregel, 2) der relativen Mehrheitsregel und 3) der Borda-Regel? Sie finden die Lösung in Kap. 12, Abb. 11.18. Historisches Ergebnis Die damalige Bundestagspräsidentin Süssmuth ließ auf Vorschlag des Ältestenrates und nach Zustimmung des Bundestages zuerst über den Kompromissvorschlag Bonn und Berlin abstimmen. Dadurch wählten nur die Abgeordneten, die die Alternative A als erste Präferenzen hatten für A. Die anderen Abgeordneten hofften noch, ihre erste Präferenz bei der nächsten Abstimmung bestätigt zu bekommen. A wurde mit 489 zu 147 Stimmen abgelehnt. Die Abstimmung B versus C ergab dann 338 für B und 320 für C, d. h. Berlin wurde Hauptstadt. Dies lag daran, dass Berlin mehr erste und zweite Präferenzen aufwies. Fazit • Die Abstimmungsergebnisse hängen von der Wahl der Abstimmungsverfahren ab. • Eine Aggregation der Präferenzen kann nur durch das Borda-Verfahren gewährleistet werden (gesellschaftliches Nutzenmaximum).

24Vgl.

Leininger, W. (1993).

233

6.6  Politische Manipulationen 2. Präferenz

3. Präferenz

A:Bonn u. Berlin

Stimmen/Präferenz 1. Präferenz 146

222

289

B: Berlin

222

265

170

C: Bonn

289

170

198

Abb. 6.7   Präferenzen der 657 Abgeordneten

• Das Einstimmigkeitskriterium garantiert Pareto-Effizienz in der einzelnen Abstimmung, aber nicht bei mehreren Entscheidungen (aufgrund von Stimmentausch und Package-deals). • Wenn Politiker und Bürokratie ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht die der Allgemeinheit, ist die Wirtschaftsverfassung gegen den Einfluss der Politiker zu immunisieren, also sind die Institutionen so zu gestalten, dass sie die Interessen der Gesellschaft über die Interessen der Politiker stellen. • Popper fragt: „Wie können wir politische Institutionen so organisieren, dass es schlechten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzu große Schäden anzurichten.“25 Hier werden Elemente direkter Demokratie empfohlen. Sie würden auch gegen den starken Einfluss des Lobbyismus wirken und dem Argument der Verfassungsökonomen entgegenkommen, dass die Bürger bei der Ausgestaltung der Institutionen legitimierend berücksichtigt werden sollten.26

6.6 Politische Manipulationen Gruppendiskussion  Framing kann als politisches Instrument genutzt werden. Solange man Menschen mit scheußlichen Bildern von Kranken dazu bewegt nicht zu rauchen oder zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen, mag noch der Zweck die Mittel rechtfertigen, aber wo sind die Grenzen für eine solche Manipulation des freien Willens? Diskutieren Sie! Man kann bspw. als Politiker die Verlustangst der Bürger ausnutzen und eine unterschiedliche Besteuerung von Bürgern so darstellen, dass man die geringere Besteuerung einer Gruppe als Gewinn (Vergünstigung) in den Vordergrund stellt anstatt die Besteuerung der anderen Gruppe als Verlust zu erwähnen.27 Hieraus ergibt sich auch

25Popper,

K. R. (1957): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, Der Zauber Platons, Francke, Bern; 7. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck 1992, S. 157. 26Vgl. Feld, L. P., & Köhler, E. (2011). Ist die Ordnungsökonomik zukunftsfähig? Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 12(2), 173–195. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168ssoar-349165, S. 179. 27Vgl. Beck, H. (2014). Behavioral Economics: Eine Einführung. 1 Aufl.; Wiesbaden: Springer, S. 156.

234

6 Politikversagen

Geldillusion: Eine Erhöhung der Löhne um 5 % bei einer Inflationsrate von 12 % wird eher akzeptiert als eine gleichwertige Reallohnsenkung um 7 %.28 Eine weitere Manipulationsmöglichkeit ist das sog. Shaming. Als „Shaming“, wird der Versuch bezeichnet, in Menschen Schuldgefühle auszulösen, um sie an bestimmten Handlungen zu hindern.29 Shaming kennzeichnet Emotionen, die beim Individuum in Beziehung zur Gruppe ausgelöst werden. Dies muss nicht unbedingt negativ sein. Im Gegenteil, sie wirken als Regulativ, um beim Individuum kollektives Verhalten gegenüber selbstorientierter Nutzenmaximierung durchzusetzen. Man hat Schuldgefühle, wenn man gegen die Normen der Gruppe verstößt und ist stolz, wenn man sie erfüllt. So kann eine Gruppe auch die Produktivität ihrer Mitglieder fördern.30 Shaming ist insofern freiwillig als es nur funktioniert, wenn das Individuum auf das Shaming eingeht und zulässt, dass Schuldgefühle erzeugt werden. Dies geschieht allerdings überwiegend im Bereich des Unterbewusstseins, das das Individuum nur sehr eingeschränkt bewusst steuern kann. Ferner kann Shaming zu Sanktionen in der Gruppe (z. B. Ausgrenzen) führen und ist mit Unwohlsein verbunden, sodass es ethisch nur vertretbar wäre, wenn ein gesellschaftlicher Diskurs das Shaming transparent für alle Betroffenen legitimieren würde. Eine mit Shaming vergeichbare Manipulation gehört aber oft zur politischen Auseinandersetzung, wie bspw. die sog. „political correctness“31 weshalb dieses Thema hier angeführt wird, nicht zuletzt, um auch eine Sensibilität im Umgang mit Moral als politisches Instrument zu erzeugen. Für einen erfolgreichen demokratischen Diskus ist es wichtig, auch Mindermeinung zuzulassen, also nicht durch Shaming zu sanktionieren. Schulz‐Hardt u. a. bildeten aus 405 weiblichen und männlichen Studierenden wurden 135 Drei-Personen-Gruppen und ließen in verschiedenen Gruppenkonstellationen diskutieren. Der Anteil der richtigen Lösungen nahm mit der Meinungsvielfalt (Dissens) zu. Gruppen mit gleicher Meinung trafen nur in 7 % der Fälle die richtige Entscheidung. Wenn unterschiedliche, aber falsche Meinungen am Anfang an vertreten wurden, wählte immerhin ein Viertel der Gruppen die richtige Lösung. Und wenn eine der abweichenden

28Vgl. Kahneman, Daniel; Tversky, Amos (1986), Rational Choice and the framing of decisions, Journal of Business, 59:4, S. 5251–5278. 29Vgl. Gopalan, Sandeep (2007), Shame sanctions and excessive CEO pay, Delaware Journal of Corporate law, Vol. 32, S. 757–797. Beck 289. 30Vgl. Lindbeck, Assar et al. (Lindbeck et al. 2006), Raising Children to Work Hard: Altruism, Work Norms, and Social Insurance, Quarterly Journal of Economics, November 2006, v. 121, iss. 4, S. 1473–1503. Beck 290. 31Political correctness wird hier politisch neutral als eine Meinungsvorgabe durch die, die öffentliche Meinung dominierende Gruppe verstanden. Andersdenkende werden von dieser Gruppe durch eine extreme moralische Ausgrenzung sanktioniert, wenn sie ihre Meinung äußern. Dies ist kein neues Phänomen. Der Zeitgeist, also die Meinung der Gruppe, und die dominierende Gruppe ändern sich.

6.6  Politische Manipulationen

235

Kosten

Gesamtkosten

"Frustrations -kosten"

"Konsenskosten" Z*

100 %

Zustimmungserfordernis

Abb. 6.8   Optimale Zustimmungserfordernis Z*

Meinungen die richtige Lösung am Anfang bevorzugte stieg die Erfolgsrate auf 60 %. Deshalb ist es vorteilhaft, wenn es eine Meinungsvielfalt bei Diskussionsbeginn gibt. Hier ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher die richtige Entscheidung zu treffen. Es wird deshalb empfohlen, Diskussionsgruppen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenzustellen.32 Der politischen Manipulation sind jedoch natürliche Grenzen gesetzt: „You can fool all the people some of the time and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.“33 Zusammenfassung

Politiker, Bürokraten und Bürger maximieren gemäß der Neuen Politischen Ökonomie wie der Homo Oeconomicus zuallererst ihren eigenen Nutzen und nicht den der Gesellschaft. Politiker müssen deshalb von unabhängigen Organen (Bundesverfassungsgericht) und durch institutionelle Vorgaben sowie durch die Presse kontrolliert werden. Jedes Abstimmungsverfahren hat Vor- und Nachteile. Da die Abstimmungsverfahren darüber hinaus die Ergebnisse beeinflussen, ist bei Abstimmungen genau abzuwägen, welches Verfahren gewählt wird. Obwohl das Borda-Verfahren durch die Berücksichtigung der Präferenzen am besten den gesellschaftlichen Nutzen zum Ausdruck bringt, wird es in der Praxis erstaunlicherweise selten eingesetzt. Eine Aggregation der Präferenzen kann nur durch das BORDA-Kriterium gewährleistet werden. Abb. 6.8 zeigt den Zusammenhang als zwischen den Kosten, die durch die Berücksichtigung aller Interessen bei einer

32See

Schulz‐Hardt, S. et al. (2006, S. 1080–1093). Lincoln on September 2, 1858, speaking in Clinton, Illinois, during the famous Lincoln-Douglas debates. https://historynewsnetwork.org/article/161924 (08.05.2019). 33Abraham

236

6 Politikversagen

Abstimmung entsteht und den „Frustrationskosten“ der Wähler, weil sie sich in der Abstimmung nicht ausreichend berücksichtigt finden.34 ◄ Übungsaufgaben 1. Wägen die die Vor- und Nachteile der Abstimmungsverfahren gegeneinander ab. Welches würden Sie weshalb präferieren? 2. Was versteht man unter dem Condorcet-Paradoxon? 3. a) Was versteht man unter Packagedeals und Stimmentausch? b) Erläutern Sie die Vor- und Nachteile. 4. Nennen Sie ein Beispiel aus der Politik, bei dem Politikernutzen und gesellschaftlicher Nutzen auseinanderfallen. Begründen Sie ihre Wahl. Was schlagen Sie vor, um den Politiker dazu zu bewegen, stärker den gesellschaftlichen Nutzen zu verfolgen? 5. Kennen Sie Beispiele bei denen Politiker sich gegen ihren eigenen Nutzen entschieden haben, um den gesellschaftlichen Nutzen zu verfolgen. Erläutern Sie ihre Einschätzung. Ist damit die Neue Politische Ökonomie widerlegt? 6. Was zeigt das Stimmenmaximierungsmodell von Downs?

Literatur Allen, V. L., & Levine, J. M. (1971). Social support and conformity: The role of independent assessment of reality. Journal of Experimental Social Psychology, 7, 48–58. Andel, N. (1990). Finanzwissenschaft (3. Aufl.). Tübingen: Mohr. Asch, S. E. (1951). Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgments. In H. Guetzkow (Hrsg.), Groups, leadership and men; research in human relations, Oxford, 177–190. Becker, L., Haas, K., & Hoff, L. (2015). Die Unternehmenspolitik von Goldman Sachs – eine ethische und erfolgsorientierte Bewertung sowie ein ethischer Reformvorschlag. In C. A. Conrad (Hrsg.), Unternehmenssteuerung und Ethik – eine empirische und theoretische Untersuchung ausgewählter Fallbeispiele aus der Finanzbranche und anderen Branchen. Hamburg: disserta. Bender, D., Berg, H., Cassel, D., Claasen, E.-M., Gabisch, G., & Hübl, L., et al. (2003). Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik: Bd. 1. München: Vahlen. Braybrooke, D., & Lindblom, C. E. (1963). A strategy of decision. New York: Free Press. Conrad, C. A. (1997). Europäische Stahlpolitik zwischen politischen Zielen und ökonomischen Zwängen. Baden-Baden: Nomos. Conrad, C. A. (2003). The dysfunctions of unanimity: Lessons from the EU steel crisis. Journal of Common Market Studies, 41(1), 157–169. Downs, A. (1957). An economic theory of democracy. New York: Harper. Deutsche Ausgabe: Downs, A. (1968). Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen: Mohr. Downs, A. (1996). Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen: Mohr (Erstveröffentlichung 1968). 34Bender, D. et al. (2003); Downs, A. (1996); Fritsch, M. et al. (2007); Klump, R. (2013); Koch, W. S. et al. (2008); sowie Weinmann, J. (2006).

Literatur

237

Fernandez, R., & Rodrik, D. (1991). Resistance to reform: Status Quo Bias in the presence of individual- specific uncertainty. American Economic Review, 81(5), 1146–1155. Franke, S. F. (1996). (Ir)rationale Politik? Marburg: Metropolis. Frey, B. S. (1981). Theorie demokratischer Wirtschaftspolitik. München: Vahlen. Fritsch, M., Wein, T., & Ewers, H.-J. (2007). Marktversagen und Wirtschafspolitik. München: Vahlen. Gopalan, S. (2007). Shame sanctions and excessive CEO pay. Delaware Journal of Corporate law, 32, 757–797. Herder-Dorneich, P. (1957). Theorie der Bestimmungsfaktoren finanzwissenschaftlicher Staatstätigkeit. Wirtschaftswissenschaftliche Dissertation, Freiburg. Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone M. (2007). Sozialpsychologie, Eine Einführung. (5. Aufl.). Heidelberg. Klump, R. (2013). Wirtschaftspolitik: Instrumente, Ziele und Institutionen. München: Pearson Studium. Koch, W. S., Czogalla, C., & Ehret, M. (2008). Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Stuttgart: Lucius & Lucius. Leininger, W. (1993). The fatal vote: Berlin versus bonn. FinanzArchiv, 50(1), 1–20. Lindbeck, A., & Nyberg, S. (2006). Raising children to work hard: Altruism, work norms, and social insurance. Quarterly Journal of Economics, 121(4), 1473–1503. Lindblom, C. E. (1965). The intelligence of democracy. New York: Free Press. Meyer-Krahmer, F. (1979). Politische Entscheidungsprozesse und Ökonomische Theorie der Politik. Frankfurt a. M.: Campus. Samuelson, W., & Zeckhauser, R. (1988). Status Quo Bias in Decision making. Journal of Risk and Uncertainty, 1, 7–59. Schulz‐Hardt, S., Brodbeck, F. C., Mojzisch, A., Kerschreiter, R., & Frey, D. (2006). Group decision making in hidden profile situations: Dissent as a facilitator for decision quality. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 1080–1093. Schumpeter, J. A. (1993). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (7. Aufl.). Tübingen: Francke. Smith, A. (1985). Theorie der ethischen Gefühle (2. unv. Nachdruck der ersten Auflage von 1926). Hamburg: Meiner. Starbatty, J. (1985). Die englischen Klassiker der Nationalökonomie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Thaler, R. H. (1981). Some empirical evidence on dynamic inconsistency. Economic Letters, 8, 201–207. Weinmann, J. (2006). Wirtschaftspolitik: Allokation und Kollektiv Entscheidungen. Berlin: Springer.

7

Wettbewerbspolitik

Was folgt warum?

Das Vorlesungskapitel Wettbewerbspolitik soll Ihnen als zukünftigen Manager einen Einblick in die deutsche und europäische Wettbewerbspolitik vermitteln. Diesen Einblick können Sie später einmal sowohl dazu nutzen, den Gewinn ihres Unternehmens durch die Abwehr von unfairem Wettbewerb ihrer Konkurrenten zu steigern als auch Bußgelder wegen Wettbewerbsverstößen zu vermeiden. Lernziele Ziel ist es, dass Sie die wichtigsten wettbewerbspolitischen Probleme mit eigenen Worten erklären und ihre aktuelle Behandlung durch deutsche und europäische Wettbewerbsbehörden darstellen können.

 Definition Wettbewerbspolitik  Alle staatlichen Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs.  Definition Marktmacht  Fähigkeit, den Marktpreis zu beeinflussen. Sowohl von der Angebots- oder der Nachfrageseite. Die Hauptthemen der Wettbewerbspolitik sind Beeinträchtigungen des Wettbewerbs durch • Aufbau von Marktmacht durch Horizontale (Kartelle) und Vertikale Vereinbarungen • Aufbau von Marktmacht durch Fusionen • Missbrauch von bestehender Marktmacht • Unlauteren Wettbewerb

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_7

239

240

7 Wettbewerbspolitik

Zu diesen Themen gibt es unterschiedliche Konzeptionen (Ziel – Mittel Zusammenhänge), sog. Wettbewerbskonzeptionen.

7.1 Wettbewerbskonzeptionen 7.1.1 Der Ordoliberalismus und die Workability-Konzeption der Industrial Organization: die Wettbewerbspessimisten 7.1.1.1 Die Konzeption des Ordoliberalismus Der Ordoliberalismus (auch Freiburger Schule genannt) kann historisch als bisher umfassendste Ordnungstheorie gelten. Er prägte vor allem das System der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und die Wettbewerbsgesetze und Wettbewerbspolitik der Europäischen Union. Viele Thesen des Ordoliberalismus wurden empirisch bestätigt und keine der Thesen bisher falsifiziert.1 Die Konzeption des Ordoliberalismus geht vor allem auf Walter Eucken zurück. Mit Adam Smith und anderen Klassikern stimmt Eucken darin überein, dass die Marktform der vollständigen Konkurrenz durch den größtmöglichen Wettbewerb die besten Marktergebnisse liefere. Die neoklassischen mikroökonomischen Modelle lehnen sie aber als realitätsfern ab. Vollständige Konkurrenz2 liegt nach Eucken vor, wenn die Marktteilnehmer den Preis als vom Markt vorgegebenes Datum akzeptieren und Leistungswettbewerb betreiben (müssen); Marktstrategien und Behinderungswettbewerb fehlen (dann).3 Die Ordoliberalen teilen aber nicht den Optimismus, dass sich der Markt auch ohne staatliche Eingriffe zur Wettbewerbsform der vollständigen Konkurrenz entwickeln könne, da es im Interesse der Unternehmen liege, den lästigen Wettbewerb beispielsweise durch Preisabsprachen, Fusionen, vertikale Bindungen u. a. auszuschalten und sich die Monopolrente zu sichern. Marktfreiheit ist kein Selbstzweck. Die individuelle Freiheit der Marktteilnehmer ist aber auch hier insofern ein Ziel der Wettbewerbspolitik, als dass der Ordoliberalismus den Missbrauch der Freiheit unterstellt. Man könnte also klassisch formulieren, dass für den Ordoliberalismus die Freiheit eines Marktteilnehmers dort aufzuhören hat, wo sie auf Kosten der Freiheit anderer Marktteilnehmer für das Wirtschaftssystem kontraproduktiv missbraucht wird.4 Folglich ist ein starker Staat notwendig, der produktive Marktfreiheit gewährleistet, indem er die Unternehmen vor Missbrauch schützt und das Handeln der Marktteilnehmer durch Gesetze kanalisiert sowie Wettbewerbsbeschränkungen durch

1Vgl.

Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 75); sowie Hildebrand, Doris (2002a, S. 160 f.). vollständige Konkurrenz stimmt nicht mit der preistheoretischen Form der vollkommenen Konkurrenz überein. Vgl. Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 76 f.). 3Vgl. Lenel, Hans Otto (1989, S. 308). 4Vgl. Starbatty, Joachim (1983, S. 569); sowie Hildebrand, Doris (2002a, S. 160). 2Euckens

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

241

Interventionen verhindert oder wieder aufhebt. Hier spiegelt sich auch der kulturelle Unterschied in der Staatsauffassung zwischen den USA und Europa wieder, wie es Fox treffend ausdrückt: „Europeans tend to be less hostile to government as regulator and more sceptical of private co-operations as servant of the public interest.“5 Die Konzeption des Ordoliberalismus trennte zum ersten Mal bewusst zwischen Wettbewerbsordnung und Wettbewerbspolitik.6 Die Wettbewerbsordnung stellt den Rahmen dar, den der Staat den Wirtschaftssubjekten für ihre Betätigung im Markt setzt. Sie bestimmt die langfristig geltenden „Spielregeln“, die im Allgemeinen durch Gesetze festgelegt werden. Der institutionelle Rahmen soll die individuelle wirtschaftliche Freiheit garantieren. Unter Wettbewerbspolitik ist hingegen eine aktive Tätigkeit des Staates zu verstehen, deren Ziel die Erhaltung oder Förderung von Wettbewerb ist.7 Zur Wettbewerbspolitik gehört somit zum einen die ständige Kontrolle des Marktes durch den Staat auf mögliche Wettbewerbsbeschränkungen und zum anderen das Eingreifen in den Markt, wenn der Wettbewerb gefährdet ist. Die Ordnung muss allerdings gewährleisten, dass Interventionen die Ausnahme bleiben. Hierzu hat Eucken zwei Arten von Prinzipien entwickelt: die einen konstituieren eine Wettbewerbsordnung und die anderen regulieren den Marktprozess. Nach den regulierenden Prinzipien sollen entweder die Märkte, auf denen vollständige Konkurrenz unzweckmäßig ist, gelenkt oder Schäden sowie Unvollständigkeiten behoben werden, mit denen trotz der vollständigen Konkurrenz noch zu rechnen ist.8 Kritisiert wird an der Freiburger Schule vor allem die fehlende analytische Basis und daraus folgend der Mangel an wettbewerbspolitisch operationalen Handlungsanweisungen und Prüfkriterien. Die Freiburger Schule wurde beschuldigt, normativ zu sein, als ein voreingenommener wissenschaftlicher Ansatz bezeichnet. Trotzdem haben Institutionen, Ordnungen eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Die Frage lautet deshalb vielmehr, wie kann man Institutionen erforschen. Empirische Erfassungen scheiden aus, da man Länder mit unterschiedlichen Institutionen vergleichen müsste oder die Wirkung von Institutionen im Zeitablauf erfassen müsste. Hier gibt es aber zu viele Einflussfaktoren, als dass sich die institutionellen Einflüsse isolieren und erfassen lassen.

5Vgl.

Fox, Eleanor M. (1986, S. 983). Allerdings befürchtete selbst die Freiburger Schule später in Deutschland, dass die Monopolkommission auf Kosten der Wettbewerbsfreiheit zu viel Macht bekommen könnte. Hildebrand, Doris (2002a, S. 160). Der Unterschied zwischen den USA und Europa in der Staatsauffassung wird oft auch überbetont. So war es gerade die amerikanische Wettbewerbspolitik, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sehr restriktiv zahlreiche amerikanische Kartelle zerschlagen hat. Vgl. Hawk, Barry, E. (1987, S. 10 ff.). 6Eucken selbst verwendete allerdings diese Begriffe nicht explizit. 7Vgl. Görgens, E. (1988, S. 765); sowie Brendel, Herwig (1997, S. 98). 8Vgl. Starbatty, Joachim (1983, S. 569); Lenel, Hans Otto (1989, S. 309); sowie Abschn. 3.1.

242

7 Wettbewerbspolitik

Es bleibt daher nur ein logisches Herleiten der Wirkungszusammenhänge und eine äußerst grobe Überprüfung mit den Entwicklungen von Ländern je nach institutioneller Ausgestaltung. Unterscheidet sich die Institutionenökonomik damit von anderen Ausrichtungen der VWL? Die VWL hat die Ordnungstheorie Ende der 90er Jahre aufgegeben und sich gänzlich der ökonometrischen Forschung gewidmet. Man ging davon aus, dass die statistische Erfassung der Wirtschaft und die Berechnung in Modellen exakter wäre und man auf die qualitative Institutionenökonomik verzichten kann. Diese Hypothese wird jedoch spätestens seit der Finanzkrise infrage gestellt. Auch wird manchen Autoren das Effizienzziel und das Wohlfahrtsziel des Wettbewerbs zu wenig herausgestellt.9 Die Wettbewerbskonzeption der vollständigen Konkurrenz der klassischen Liberalen (wie z. B. Adam Smith) und die Wettbewerbskonzeption von Walter Eucken gehen darüber hinaus überwiegend von einem statischen Wettbewerb aus. Der statische Wettbewerb ist jedoch in erster Linie für die kurzfristige Preisbildung maßgeblich. Der entscheidende langfristige Wettbewerbsprozess als ein ständiges Aufeinanderfolgen von vorstoßendem und nachfolgendem Wettbewerb im Sinne des dynamischen Wettbewerbs bleibt hierbei weitgehend unberücksichtigt.10 Als sinnvolle Ergänzung bieten sich andere Wettbewerbskonzeptionen und -theorien an.

7.1.1.2 Die Workability-Konzeption (Harvard-School) Die Workability-Konzeption, deutsch (Konzeption des funktionsfähigen Wettbewerbs) baut auf den Überlegungen des Amerikaners Clark auf.11 Ausgehend von den Erkenntnissen der Industrial Organization Forschung, die 1939 von E. S. Mason begründet wurde12, stufte Clark das Modell der vollkommenen Konkurrenz, aufgrund der in der Realität anzutreffenden Marktunvollkommenheiten als anzustrebendes, aber leider nicht realisierbares Ideal ein, als eine sog. „First-best-solution“. Aus den Forschungserkenntnissen der Industrial Organization leitet er jedoch einen Kausalzusammenhang zwischen Marktstruktur und Marktverhalten einerseits und bestimmten Marktergebnissen andererseits ab. Es wird also angenommen, dass eine bestimmte Marktstruktur ein ihr entsprechendes wettbewerbliches Verhalten erzeugt, das wiederum zu einem bestimmten Marktergebnis führt, weshalb Clark über die Beeinflussung der Marktstrukturen die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöhen und somit zumindest eine „Second-bestsolution“ oder eine arbeitsfähige Konkurrenz („Workable Competition“) erreichen will. Als funktionsfähig gilt der Wettbewerb, der die wettbewerbspolitisch erwünschten Ergebnisse liefert. Clark geht später sogar so weit, dass er durch die staatliche Schaffung neuer Marktunvollkommenheiten die Märkte effizienter machen will, wie beispielsweise

9Vgl.

Hawk, Barry E. (1995); sowie Hildebrand, Doris (2002a, S. 162). Lenel, Hans Otto (1989, S. 309). 11Vgl. Mason, Edwards S. (1939). 12Vgl. Clark, J. M. (1940); sowie Aberle, Gerd (1992, S. 30 ff.). 10Vgl.

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

243

durch die Verringerung der Markttransparenz in einem Oligopol, was Kartellabsprachen und gleichgerichtetes Verhalten erschweren würde.13 Clarks Ansatz wurde von verschiedenen Autoren zur ­ Workability-Konzeption14 (auch Structuralist School genannt) weiterentwickelt. Zu nennen sind hier für die USA Scherer, Bain, Markham sowie Philips und für Deutschland Kantzenbach15. In Abgrenzung zur später entwickelten Chicago School wird die Workability-Konzeption auch Harvard-School16 genannt. Der Workability-Ansatz hat die internationale Wettbewerbspolitik nachhaltig geprägt und dominiert derzeit immer noch die Ausrichtung der meisten nationalen Wettbewerbsordnungen. Kennzeichnend ist die aus der Industrial Organization Schule stammende Dilemma-These zwischen ökonomischer Effizienz und Wettbewerbsfreiheit. Nur große marktfähige Unternehmen können die Economies of large scale nutzen, die notwendigen hohen Forschungs- und Entwicklungskosten tragen und Innovationen am Markt umsetzen. Andererseits schränken große Unternehmen die Anzahl der potenziellen Markteilnehmer ein, was Wettbewerbsbeschränkungen begünstigt. Der von Clark herausgestellte Zusammenhang zwischen Marktstruktur und Marktergebnis wird von den neueren behaviouristischen Vertretern der ­Workability-Konzeption (wie z. B. Scherer) um den Aspekt des Marktverhaltens erweitert. Daneben besteht die ursprüngliche Richtung der reinen Strukturalisten (wie z. B. Bain) fort. Beide Strömungen arbeiteten Prüfkriterien für die praktische Wettbewerbspolitik heraus17, mit denen festgestellt werden kann, ob die wettbewerbspolitisch zu kontrollierenden Märkte funktionsfähig sind, also der Wettbewerb wirksam ist. Anderenfalls ist es die Aufgabe der Wettbewerbspolitik, durch eine Veränderung der Marktstruktur die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs wieder herzustellen.18 Die Marktstrukturkriterien geben als Normen anzustrebende Marktformen vor, wie beispielsweise die Anzahl der Käufer und Verkäufer sowie Marktzutrittsbarrieren. Die

13Vgl.

Mason, Edwards S. (1939). Definitionen von „Workability Competition“ finden sich bei Markham, Jesse W. (1950); Poeche, Jürgen (1970, S. 20 ff.); sowie eine gute Zusammenfassung bei Sosnick, Stephen H. (1958). 15Vgl. Kantzenbach, Erhard (1967). Zur theoretischen Konzeption des funktionsfähigen Wettbewerbs siehe auch Kantzenbach, Erhard und Kallfass, Hermann H. (1981, S. 105 ff.); Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 23 ff.); Poeche, Jürgen (1970); sowie Berg, Hartmut (1999, S. 240). 16Die zwei Hauptvertreter dieser Richtung, Mason und Bain, arbeiteten an der Harvard University. 17Daneben gibt es noch die Workability-Auslegung von Markham, der aus der Überlegung, dass sich das Wettbewerbsoptimum nie erreichen lässt, schlussfolgert, dass die Wettbewerbspolitik so lange in den Markt intervenieren soll, bis sich keine Marktergebnisverbesserung mehr erreichen lässt. Bartling sieht in diesem Ansatz die Gefahr, dass ohne klare Vorgaben die Gefahr einer unkontrollierbaren kontraproduktiven Intervention besteht. Vgl. Bartling, H. (1988, S. 767). 18Vgl. Bartling, H. (1988, S. 767); Schüller, Alfred (1987, S. 58); Viscusi W. Kip. et al. (2000, S. 62); sowie Berg, Hartmut (1999, S. 240 ff.). 14Verschiedene

244

7 Wettbewerbspolitik

­arktverhaltenskriterien legen die erwünschten wettbewerbspolitischen Aktionen und M Reaktionen der Marktteilnehmer fest. Hierzu zählen z. B. das Preissetzungsverhalten der Anbieter, Produktstrategien oder beispielsweise Forschungs- bzw. Innovationsaktivitäten. Die Marktergebniskriterien bestimmen dann die anzustrebenden ökonomischen Marktresultate, wie beispielsweise die Effizienz bzw. Produktivität und den technischen Fortschritt. Entsprechend des von der Workability-Konzeption unterstellten Kausalzusammenhangs, werden die Normen oder Kriterien nicht nur isoliert, sondern auch in allen denkbaren Kombinationen angewendet.19 In der amerikanischen Rechtsprechung wird z. B. bei der Fusionskontrolle ein zweistufiger Markttest im Rahmen der sog. Rule of Reason (Abwägen der Vor- und Nachteile eines Zusammenschlusses20) eingesetzt. Ein Marktsituationstest soll hierbei zunächst als notwendige Bedingung klären, ob überhaupt ein funktionsfähiger Wettbewerb vorliegt. Als hinreichende Bedingung für ein wettbewerbspolitisches Eingreifen muss jedoch auch das zweite Prüfkriterium der Marktergebnistest negativ ausfallen, also die Marktresultate nicht tolerierbar (reasonable) von der Norm abweichen. Vergleichbar geht hier die E ­ U-Kommission im Rahmen 21 ihres Extended Structure-Conduct-Performance-Ansatzes vor. In den letzten zwanzig Jahren wurde die Industrial Organization als theoretische Basis der Workability-Konzeption durch die Spieltheorie und durch die Weiterentwicklung ökonometrischer (empirischer) Tests nachhaltig ausgebaut. Der strenge Zusammenhang zwischen Marktstruktur und Marktergebnis wurde aufgegeben. Die im dynamischen Wettbewerbsprozess typischen Rückkoppelungen zwischen Struktur-Verhalten- und Ergebnisvariablen wurde berücksichtigt. Auch Marktverhalten kann zu Änderungen der Marktstruktur führen. Überhöhte Preise werden im Gegensatz zu der traditionellen Bain’schen Auffassung nicht ausschließlich durch die Marktstruktur, sondern auch auf Ausschlusspraktiken zurückgeführt, die auf die Errichtung von Eintrittsbarrieren abzielen. Zwar geht man nach wie vor davon aus, dass die Marktstruktur wettbewerbsbeschränkendes Verhalten hervorrufen kann, der strikte strukturelle Determinismus wird jedoch abgelehnt. Struktur lässt sich in der Spieltheorie als die für den Unternehmer entscheidungsrelevanten externen Rahmenbedingungen verstehen. Auch eine Dynamisierung der Modelle hat inzwischen stattgefunden. Trotz aller wissenschaftlicher Weitereiterentwicklungen wird es jedoch immer strukturelle Faktoren geben, die sich nicht berechnen lassen, weil sie entweder nicht quantifizierbar (wie beispielsweise die Höhe der Markteinstiegsbarrieren) oder nur schwer berechenbar (wie z. B. die Abgrenzung in fixe und variable Kosten).22

19Struktur → Verhalten → Ergebnis; Struktur → Verhalten; Verhalten → Ergebnis und Struktur → Ergebnis. 20Zur Rule of Reason vgl. Schmidt, Ingo (1981); sowie Waldherr, Markus (2001, S. 3 ff.). 21Vgl. Hildebrand, Doris (2002b, S. 6 ff.). 22Vgl.

Kowalski, Angelika (1997, S. 152 f.); sowie Hildebrand, Doris (2002a, S. 130 f.).

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

245

Trotz der zahlreichen Versuche, die Workability-Konzeption zu präzisieren und zu operationalisieren, gibt es immer noch Abgrenzungsprobleme und Uneindeutigkeiten sowohl in den Normen als auch in den Merkmalen. Problematisch ist vor allem die Abgrenzung des relevanten Marktes. Aber auch die Marktergebnisse sind streng genommen nicht operationalisierbar, denn man benötigt zur Bewertung der Ergebnisse einen Vergleichsmaßstab. Da das Optimum eines Marktes aber unbekannt ist, ist man auf Vergleichsmärkte angewiesen. Es gibt jedoch keine Märkte, bei denen die Rahmenbedingungen identisch sind. Letztlich überwiegen deshalb bei der ­Workability-Konzeption Allgemeinaussagen, die als Normen auch subjektive Werturteile beinhalten.23 Auch hat die zentrale Annahme der Workability-Konzeption, dass zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis ein zwingender Zusammenhang besteht, nicht immer Gültigkeit.24 Beispielsweise werden die Marktergebnisse auch durch das Fehlverhalten des Managements oder allgemein durch nicht rationales menschliches Verhalten bestimmt. Ferner sind die wettbewerbspolitischen Rahmenbedingungen von Branche zu Branche verschieden und können sich vor allem durch den technischen Fortschritt im Zeitverlauf schnell ändern, weshalb die Ergebnisse der Markttests nur eine zeitpunktbezogene Gültigkeit haben können. Trotz der angeführten Einwände gegen die Workability-Konzeption, kann nicht bestritten werden, dass es diesem Ansatz gelungen ist, ausgehend von der mikroökonomischen Preistheorie wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen zu entwickeln, die es in der Regel erlauben werden, die Gesamtwohlfahrt zu steigern.25 Da sich die Kritikpunkte an der Workability-Konzeption überwiegend auf ihre eingeschränkte Operationalisierbarkeit und Allgemeingültigkeit beziehen, sind sie vor allem im Untersuchungsgegenstand, dem Wettbewerb selbst, begründet. Letztlich ist Wettbewerb ein nicht determinierbarer und offener Prozess. Dies kommt am besten in der Österreichischen Schule (Austrian School) zum Ausdruck.

7.1.2 Die Konzeption des freien Wettbewerbs, die Chicago School, die Theorie der Contestable Markets und die Österreichische Schule: die Wettbewerbsoptimisten 7.1.2.1 Die Österreichische Schule Die Österreichische Schule geht auf das 1871 erschienene Buch von Carl Menger „Grundzüge der Volkswirtschaft“ zurück. Die Ideen von Carl Menger wurden zunächst von Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von Wieser und dann später von Gottfried Haberler,

23Vgl.

Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 30). Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 38 f.). 25Vgl. Oberender, Peter und Vath, Andreas (1989, S. 12); sowie Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 40 f.). 24Vgl.

246

7 Wettbewerbspolitik

Oskar Morgenstern, Fritz Machlup und Friedrich August von Hayek aufgegriffen und weiterentwickelt.26 Hayek brachte als erster Ökonom 1949 den dynamischen Charakter von Wettbewerb in die Wirtschaftswissenschaften.27 Für Hayek ist Wettbewerb evolutorisch. Er charakterisiert Wettbewerb als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder zumindest nicht genutzt werden würden. Wettbewerb ist ein Suchprozess. Niemand kann die Produkt- oder Prozessinnovationen genau vorhersagen. Die Österreichische Schule widerspricht damit der neoliberalen Gleichgewichtstheorie. In dem dynamischen Prozess wird ein Gleichgewicht zwar angestrebt aber nie erreicht. Ständig verändern die Innovationen die Marktgegebenheiten und damit die Gleichgewichtspunkte.28 Die Aufgabe der Unternehmen ist es, die Innovationen zu suchen und zu realisieren. Der Anreiz ist die Belohnung des erfolgreichen Pionierunternehmers durch den Markt. Auf diese Weise wird technischer Fortschritt realisiert. Die Unternehmer dürfen in ihrem Suchprozess nicht behindert werden, sie müssen frei sein. Staatliche Wettbewerbspolitik hat demnach die Aufgabe, sicherzustellen, dass dieser Entdeckungsprozess reibungslos abläuft. Der Staat hat hierzu lediglich den Ordnungsrahmen in Form von Vertrags-, Gesellschafts- und Patentrecht bereitzustellen. Staatliche Interventionen, die den Wettbewerbsprozess verfälschen bzw. beeinflussen, lehnt Hayek ab.29

7.1.2.2 Die deutsche Konzeption des freien Wettbewerbs Die deutsche Konzeption des freien Wettbewerbs greift den dynamischen, nicht determinierbaren offenen Charakter des Wettbewerbs der Österreichischen Schule auf und berücksichtigt zusammen mit der Chicago School am stärksten den dynamischen Aspekt des Wettbewerbs. Sie wird auch als Konzeption der Wettbewerbsfreiheit bezeichnet und geht auf Erich Hoppmann zurück.30 Da der Wettbewerbsprozess durch das Handeln der Wettbewerber, vor allem der dynamischen Unternehmer, bestimmt wird, seien konkrete Ergebnisse der Wettbewerbsstrukturen sowie staatlicher Eingriffe nicht prognostizierbar. Auch den eindeutigen Zusammenhang zwischen Marktstrukturen und Marktergebnissen, der von den Vertretern der Konzeption des funktionsfähigen Wettbewerbs angenommen wird, halten die Anhänger der Konzeption des freien Wettbewerbs

26Vgl.

Hildebrand, Doris (2002a, S. 154). Ansatz präzisierte er in weiteren Veröffentlichungen. Vgl. Hayek, Friedrich August von (1949, S. 106); Hayek, Friedrich August von (1978, S. 180); Hayek, Friedrich August von (1969, S. 249); sowie Hayek, Friedrich A. von (1975, S. 15). 28Vgl. Mantzavinos, Chrysostomos (2001, S. 212 ff.). 29Selbst die deutsche Monopolkommission lehnte Hayek seinerzeit aufgrund ihres umfangreichen Interventionsspielraums ab. Vgl. Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 119 ff., 121); Mantzavinos, Chrysostomos (2001, S. 212 ff.); sowie Hildebrand, Doris (2002a, S. 154 f.). 30Zur Konzeption des freien Wettbewerbs vgl. Hoppmann, Erich (1977) sowie Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 158 ff.). 27Sein

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

247

für unrealistisch. Diese These wird von den Ergebnissen der empirischen Forschung unterstützt, die die Annahme einer zwingenden, systematischen Dependenz der Marktergebnisse von den Marktstrukturen falsifiziert hat. Da Wettbewerb ein unbestimmbarer Prozess ist, lassen sich wettbewerbspolitisch auch keine Marktergebnisse anstreben, sondern bestenfalls Mustervorhersagen (sog. Pattern Prediction) treffen. Hoppmann greift hierbei die Vorstellung der freien Konkurrenz der Klassiker auf und arbeitet die grundlegenden Arbeiten von J. A. Schumpeter über den dynamischen Wettbewerb der Innovationen und die schöpferische Zerstörung31 sowie von F. A. von Hayek über Freiheit und Wettbewerb in seine Konzeption ein. Zum einen wird Wettbewerb mit Freiheit gleichgesetzt und damit zum eigenständigen Ziel, der sog. „Wettbewerbsfreiheit“. Zum anderen wird in der Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer die Grundvoraussetzung für die wohlfahrtssteigernden Funktionen des Wettbewerbs gesehen. Die Dilemma-These der Workability-Konzeption wird deshalb nicht nur abgelehnt, sondern es wird vielmehr eine Harmonie zwischen Wettbewerbsfreiheit und gesamtwirtschaftlichen Effizienzsteigerungen gesehen (Non-Dilemma-These). Folgerichtig lehnt die Konzeption der Wettbewerbsfreiheit alle staatlichen Eingriffe ab, die das Ziel haben, eine bestimmte Wettbewerbssituation über die Beeinflussung der Marktstruktur zu erreichen. Als liberale Wettbewerbskonzeption akzeptiert sie wie die Österreichische Schule lediglich staatliche Eingriffe in den Wettbewerbsprozess zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs und der Wettbewerbsfreiheit. Die Wettbewerbspolitik soll nach dieser Konzeption mit Gesetzen offene und flexible Märkte sicherstellen und Verträge und Verhaltensweisen mit wettbewerbsbeschränkendem Charakter verbieten.32 Einzugreifen ist hingegen bei den künstlichen Wettbewerbsbeschränkungen, die durch unternehmerische oder staatliche Handlungen hervorgerufen werden. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sind nur dann zu verfolgen, wenn sie auf unangemessener Marktmacht beruhen. Finden sie im Rahmen des normalen Wettbewerbsprozesses statt, gelten sie als förderlich. Gewollte und nicht gewollte Beschränkungen müssen für die Wettbewerbspolitik in Form von Regelvorgaben definiert und abgegrenzt werden. Auch die Konzeption der Wettbewerbsfreiheit wendet deshalb Markttests an, um die vorhandene Wettbewerbsfreiheit und die Marktmacht festzustellen. Hierbei wird beispielsweise die Kreuzpreiselastizität33 der angebotenen Produkte oder die Produktionsflexibilität der Anbieter herangezogen. Bei den sog. natürlichen Wettbewerbsbeschränkungen, worunter Marktversagen wie beispielsweise bei natürlichen Monopolen verstanden wird, sind darüber hinaus wettbewerbsersetzende Ausnahmeregelungen, wie beispielsweise eine staatliche Preiskontrolle, einzuführen.

31Vgl.

Schumpeter, Joseph, A (1961, S. 139 ff.); sowie Schumpeter, Joseph, A. (1993, S. 318 ff.). Schüller, Alfred (1987, S. 58); Aberle, Gerd (1992, S. 40 ff.); Schmidt, Ingo und Rittaler, Jan B. (1986); sowie Woll, Artur (1988, S. 767 f.). 33Vgl. zum Konzept der Kreuzpreiselastizität Schengber, Ralf A. (1996, S. 115 ff.). 32Vgl.

248

7 Wettbewerbspolitik

7.1.2.3 Die Chicago School Auch die Chicago School leugnet jeglichen Zusammenhang zwischen Marktstruktur und Wettbewerbsverhalten.34 Sie bildete sich in den USA als Gegenthese zur Workabilityoder ­ Harvard-School. Auch sie ist durch einen Markt- und Wettbewerbsoptimismus gekennzeichnet. Der Staat sollte deshalb weder Marktstruktur noch Wettbewerbsprozess beeinflussen. Die Chicago School geht auf die Ideen von Aron Director zurück. Die Hauptvertreter dieser Konzeption sind Posner, Bork, Stigler und Demsetz. Ihnen gelang es, die Ausrichtung der amerikanischen Antitrustpolitik und Antitrustrechtsprechung seit Anfang der 80er Jahre stark zu beeinflussen. Die Chicago School überträgt Darwins Naturtheorie auf das Phänomen Markt und Wettbewerb. In dem nicht vorher bestimmbaren Trial-and-error Prozess bilden sich die optimalen Marktstrukturen, Produkte und Produktionsformen, also ein Wohlfahrtsoptimum in Form maximaler Konsumentenwohlfahrt automatisch heraus, da sich nur das Optimum durchsetzen und „überleben“ kann („survival of the fittest“). Ruinöse Konkurrenz also Dumping zur Erlangung einer Monopolstellung halten sie für unrealistisch, da die Verdrängungskosten zu hoch und das Ergebnis ungewiss ist. Der Wettbewerb kann jedoch durch Kartelle (horizontale Wettbewerbsbeschränkungen) beschränkt werden, weshalb ihrer Meinung nach hier der Schwerpunkt der wettbewerbspolitischen Kontrolle liegen sollte. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen stuft sie jedoch als Effizienz steigernd ein. Die Chicago School leugnet somit keineswegs die wohlfahrtsmindernden Effekte, die von Wettbewerbsbeschränkungen ausgehen können, sondern sie vernachlässigt sie, da aufgrund ihrer theoretischen Analysen bei Unternehmenszusammenschlüssen die wohlfahrtserhöhenden Größenvorteile überwiegen. Zusammenschlüsse erhöhen aufgrund angenommener Skaleneffekte, Transaktions- und Organisationskostenvorteile, Lerneffekte und Erhöhung der Managementqualitäten die produktive Effizienz (Produktivität), wohingegen die möglichen Einschränkungen der Konsumentenrente durch die Marktmacht aufgrund des potenziellen Wettbewerbs durch neu in den Markt eintretende Anbieter vernachlässigt wird (allokative Effizienz).35 Dies erklärt auch die positive Haltung der Chicago School gegenüber Unternehmenszusammenschlüssen. Im Wettbewerb bildet sich automatisch die effizienteste und damit optimale Unternehmensgröße heraus. Vor diesem Hintergrund interpretiert die Chicago School den von der H ­ arvard-School entdeckten Zusammenhang zwischen Unternehmenskonzentration und Gewinnen als Ausdruck höherer Effizienz und nicht als Konsumentenrenten verringernde Wettbewerbsbeschränkung.

34Vgl.

Shepherd, William G. (1990); sowie Nelson, R. N. (1979). Nelson, R. N. (1979, S. 927 f., sowie 937 ff.). „The Chicago-School does not deny that concentration is a factor that facilitates collusion of a sort difficult to detect, although it attaches less significance to concentration per se than do the oligopoly theories.“ Nelson, R. N. (1979, S. 945). Umfangreiche Literatur zu den Eingriffskriterien bei Fusionen findet sich z. B. bei Stigler, Georg J. (1968, S. 296 ff.). 35Vgl.

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

249

Williamson schlägt als wettbewerbspolitischen Kompromiss vor, dass bei Fusionen die vermuteten Effizienzgewinne mit den Wohlfahrtsverlusten aus der verringerten Wettbewerbsintensität abgewogen werden, was inzwischen Standard geworden ist. Er gibt selbst zu, dass nicht alle Fusionen Effizienz steigernd sind.36 Beide Schulen scheinen inzwischen einen gemeinsamen Nenner gefunden zu haben, denn auch ein Vertreter der Harvard-School schlägt ein Abwägen vor und beurteilt Monopole nicht per se als wohlfahrtsmindernd: These costs of monopoly may possible be offset, in part or whole, by benefits from scale economies or an increase in innovation.37

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Harvard-School und dem Ordoliberalismus einerseits und Chicago School andererseits besteht in der Bewertung vertikaler Preisbindungen (Preisbindungen des Vertriebs). Gemäß den wettbewerbspolitischen Vorstellungen des Ordoliberalismus sind vertikale Bindungen Beschränkungen des Wettbewerbs. Sie widersprechen gleich zwei von Euckens konstituierenden Prinzipien: einem funktionsfähigen System freier Preise bei vollständiger Konkurrenz sowie dem Prinzip offener Märkte für neue Marktteilnehmer. Ein Per-se-Verbot wäre die Konsequenz. Sollte es vertikale Bindungen geben, die unumgänglich sind, so wären sie gemäß den regulierenden Kriterien unter die Aufsicht der Monopolkommission zu stellen, die Als-ob-Wettbewerbspreise (as-if-competition prices) zu gewährleisten hätte.38 Sieht die Harvard-School in vertikalen Preisbindungen wie der Ordoliberalismus vor allem eine wohlfahrtsmindernde Wettbewerbsbeschränkung, so überwiegt für die Chicago School die Wohlfahrtssteigerung. Sie argumentiert, dass bei dem Bestreben von Herstellern zur vertikalen Konzentration die Effizienzgesichtspunkte überwiegen müssen, da sie bei einer Preiserhöhung im Vertrieb und Service automatisch die Nachfrage nach den eigenen Produkten reduzieren würden.39 Vielmehr versuchen die Hersteller – so das Argument – durch die Preisbindung ein Free-Rider-Verhalten von Händlern zu verhindern, die die wohlfahrtssteigernden Kosten der Werbung, der Lagerhaltung und der Garantieleistungen des Service und des flächendeckenden Vertriebs nicht mittragen

36Vgl.

Schmidt, Ingo und Binder, Steffen (1996, S. 131 ff.); Reder, Melvin W. (1982, S. 15 f.); sowie Williamson, Oliver E. (1968, S. 33 f.). Die Effizienzgewinne werden von den fusionierenden Parteien oft überschätzt. So führten rd. 60 % der amerikanischen Fusionen Anfang der neunziger Jahre zu einer anschließenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Vgl. Sullivan, E. Thomas (2002, S. 251). 37Shepherd, William G. (1985, S. 2). Vgl. auch Hildebrand, Doris (2002a, S. 136 ff.). 38Vgl. auch Glasow, Bernhard (1999, S. 5 f.); Hildebrand, Doris (2002a, S. 159 f.); sowie Koehler, Thomas und Kooths, Stefan (2002). 39Dieses Argument kann jedoch nur bei einer preiselastischen Nachfrage Gültigkeit haben.

250

7 Wettbewerbspolitik

wollen. Werbung dient bei der Chicago School vor allem der Information und ist deshalb prinzipiell Effizienz steigernd.40 Die Konzeption des freien Wettbewerbs und die Chicago School wird durch die „Theory of Contestable Markets“ (deutsch: vollkommen bestreitbare Märkte) ergänzt.41 Sie betont die Ausrichtung auf den potenziellen Wettbewerb. Das Ziel der amerikanischen Gruppe um Baumol war es, ausgehend von der Referenzsituation der vollkommenen Konkurrenz einen theoretisch fundierten Anwendungsansatz für die Wettbewerbspolitik zu entwickeln.42 Die Marktsituation der vollkommenen Konkurrenz wird hier durch das Fehlen von Marktzutritts- und Marktausstiegsbarrieren künstlich erzeugt. Versucht beispielsweise ein Monopolist, seine Preise deutlich über die durchschnittlichen Produktionskosten zu erhöhen, lohnt es sich auch für andere Anbieter das Produkt anzubieten. Senkt der ehemalige Monopolist angesichts der neuen Konkurrenz seine Preise, können die neuen Anbieter ohne Kosten – so die Annahme – den Markt wieder verlassen und haben einen temporären Gewinn erzielt. Diese Marktsituation kann auch „als ob Konkurrenz“ ein Marktverhalten wie bei der vollkommenen Konkurrenz bewirken. Nach dieser Konzeption kommt es also vor allem darauf an, die Markteinstiegsbarrieren niedrig zu halten und zu verhindern, dass vertikale oder horizontale Beschränkungen wie bzw. Kartelle und dominierende Marktstellungen den Markteintritt von „Newcomern“ verhindern können.43 Die wettbewerbspolitische Handlungsempfehlung der Konzeption der Contestable Markets an den Staat lautet deshalb, die Marktausstiegsbarrieren zu senken, was auf eine umfangreiche Deregulierung und die Abschaffung von Ausstiegskosten wie z. B. Sozialplänen hinausläuft.44 Obwohl es Baumols Intention war, einen preistheoretisch fundierten und umsetzbaren Ansatz für die Wettbewerbspolitik zu schaffen, ist die Konzeption der Contestable Markets nicht viel mehr als ein Idealbild und theoretischer Denkansatz. Dass potenzielle Konkurrenz ebenso das Marktverhalten beeinflussen kann wie die tatsächliche wird weder von Praktikern noch Wissenschaftlern bestritten und war bereits den Nationalökonomen des 18. Jahrhunderts bekannt.45 Die Annahme, dass die Marktzutrittsbarrieren vernachlässigt werden können, ist jedoch unrealistisch. Eine Fertigung auf ein neues

40Vgl.

Nelson, R. N. (1979, S. 926 f.). „Theory of Contestable Markets“ hat als rein akademischer Denkansatz nie die Bedeutung der Harvard oder Chicago-School erlangt. Sie wurde in der wettbewerbspolitischen Praxis nie eingesetzt. Trotzdem vertritt sie einen wettbewerbspolitischen Standpunkt mit Alleinstellungsmerkmal und hat die wettbewerbstheoretische Diskussion nachhaltig beeinflusst. 42Vgl. Baumol, William J. et al. (1988); sowie Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 56 ff.). 43Vgl. Shepherd, William G. (1990). „…, the heroes are the unidentified entrants who exercise discipline over the incumbent, and who do so most effectively when entry is free.“ Baumol, William J. (1982, S. 14). 44Vgl. Aberle, Gerd (1992, S. 40 ff.). 45Vgl. Bartling, Hartwig (1997, S. 21). 41Die

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

251

Produkt umzustellen, ist immer mit Kosten verbunden. Aber auch als Denkansatz weist die Konzeption der Contestable Markets Schwächen auf. Sie liegen vor allem in den Annahmen des Marktverhaltens. Spieltheoretisch betrachtet werden die potenziellen Konkurrenten eine Abwehrstrategie des etablierten Monopolisten oder zumindest ein sofortiges Senken der Preise antizipieren und deshalb den Wettbewerbsvorstoß unterlassen, wenn sie über keine eigenen komparativen Wettbewerbsvorteile verfügen.

7.1.3 Bewertung Positiv zu bewerten ist der Versuch der Konzeption des freien Wettbewerbs und der Chicago School, Wettbewerb in seiner Dynamik und Offenheit zu erfassen und die Einstufung der „Freiheit zum Wettbewerb“ als Wert an sich. Hierin ist jedoch auch – wie bei der Österreichischen Schule – eine gewisse Überbetonung zu sehen. Nicht alle möglichen Verhaltensweisen im Wettbewerb müssen gesellschaftlich erwünscht oder wohlfahrtsfördernd sein. Beispielsweise können Unternehmen durch Quersubventionen aus anderen Produktionsbereichen Preisdumping finanzieren und damit wettbewerbsfähigere Produzenten vom Markt verdrängen, was wohlfahrtsmindernd wäre. Freiheit kann auch missbraucht werden. Das sieht auch Hoppmann, weshalb auch er nicht auf Spielregeln verzichten kann. Die Spielregeln müssen durch eine Marktaufsicht kontrolliert und durchgesetzt werden. Hier stellt sich wiederum das Problem der Operationalisierbarkeit der Eingriffskriterien. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich alle Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit erfassen lassen. Ebenso lassen sich nicht alle Aktionen der Marktteilnehmer eindeutig als wettbewerbsbeschränkend oder nicht beschränkend einordnen. Man denke hier beispielsweise an die Veröffentlichung von Preislisten. Auch die Festlegung von wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen ist problematisch. Zum einen lassen sich diese nicht exakt bestimmen und abgrenzen, weshalb hier die Gefahr einer lobbyistischen Einflussnahme besteht. Zum anderen können die Voraussetzungen für das Markversagen im Zeitverlauf durch technischen Fortschritt wegfallen (oder neue hinzukommen), wohingegen die Ausnahmeregelung fortbesteht. Bei der Chicago School ist zusätzlich die Allgemeingültigkeit der getroffenen Annahmen zu hinterfragen. Für die meisten Branchen ist die Annahme von vernachlässigbaren Marktzutrittsbarrieren unzulässig.46 Markteinstiegsbarrieren können allgemein als die Kosten oder Widerstände definiert werden, die von einem neuen Produzenten aufgebracht werden müssen, bis er ein vergleichbares Angebot bereitstellen kann. Marktausstiegsbarrieren sind dann die Kosten oder Widerstände, die entstehen, wenn ein Produzent sein Angebot einstellen, sich also aus dem Markt zurückziehen will.

46Vgl. Pratten, C. F. (1971); Silberston, A. (1972, S. 369–391); Grichting, Alois (1976, S. 203); sowie Frohn, J. et al. (1973).

252

7 Wettbewerbspolitik

Bei Markteinstiegsbarrieren unterscheidet man absolute, individuelle Kostenvorteile der bereits produzierenden Unternehmen, hohe Fixkosten vor allem aufgrund Economies of large Scale und Produktdifferenzierung, wie z. B. der Softwarestandard von Microsoft. Die Unteilbarkeit der Produktionsfaktoren und hohe Fixkosten (hierunter fallen auch hohe Forschungsaufwendungen wie beispielsweise in der Pharmaindustrie) sind die Hauptursachen für Markteinstiegsbarrieren. Neben hohen Fixkosten sind ebenso Vertriebsnetze und das Produktions-Know-how Markteinstiegsbarrieren mit steigender Bedeutung.47 Markteinstiegsbarrieren können auch zu Marktausstiegsbarrieren werden. Beispielsweise gehen die Ausgaben für die Produktionsanlagen in der Regel beim Marktausstieg verloren (sunk-costs). Vorgeworfen wird der Chicago School der Widerspruch zwischen dem Analyseinstrument der statischen neoklassischen und ihrer eigenen dynamischen Ausrichtung. Die starke Ausrichtung auf das Modell der vollkommenen Konkurrenz und dem Monopol als extreme Gegensätze erzeugen Verzerrungen in den wirtschaftspolitischen Aussagen und immunisieren die Theorie gegen Falsifizierungsversuche.48 Dies gilt auch für Hoppmanns Konzeption der Wettbewerbsfreiheit.49 Die einseitige Ausrichtung der Theory of Contestable Markets wird durch ihren historischen Ursprung erklärbar. Die wesentlichen Beweggründe für die Formulierung der Theory of Contestable Markets durch Baumol waren die damaligen starken Marktinterventionen des amerikanischen Staates, die künstliche Markteinstiegs- und Marktausstiegsbarrieren schafften.50 Sowohl die Harvard-School als auch die Chicago School haben die amerikanische Wettbewerbspolitik und -rechtsprechung stark geprägt. Die Chicago School konnte in den 80er Jahren unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan die bis dahin herrschende wettbewerbspolitische Ausrichtung der Harvard-School zunehmend verdrängen.51 Derzeit überwiegt in der Rechtsprechung jedoch keine der beiden Konzeptionen, sondern ein einzelfallbezogenes Abwägen der ökonomischen Wirkung der Wettbewerbsbeschränkungen (Rule of Reason). Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit 47Vgl.

http://novellaqalive2.mhhe.com/sites/1817281063/student_view0/ebook/chapter7/chbody13/ barriers_to_entry.html sowie OECD (2007). Eine umfangreiche Auflistung von Markteinstiegsbarrieren findet sich bei Boner und Krueger. Vgl. Boner, Roger Alan und Krueger, Reinald (1991, S. 6). Vgl. auch World Bank und OECD (1999, S. 103 ff.); sowie OECD (2001, S. 87 f.). 48Vgl. Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 52 f.). 49Vgl. Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 168). 50„Thus we must reject as perverse the propensity of regulators to resist the closing down of unprofitable lines of activity. This has gone even so far as a Congressional proposal (apparently supported by Ralph Nader) to require any plant with yearly sales exceeding $250.000 to provide fifty-two weeks of severance pay and to pay three years of taxes, before it will be permitted to close, and that only after giving two years notice!“ Baumol, William J. (1982, S. 14). 51„In the early 1980 s, as part of a plan to free business from excessive government regulation, antitrust was re-engineered from policy that favoured open markets and entrepreneurial opportunity to law narrowly focused on output-limiting conduct that provably raises prices to U.S. consumers.“ Fox, Eleanor (1997, S. 10).

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

253

von „Wettbewerb“ konnte somit letztlich keine der beiden Konzeptionen ihren Alleinvertretungsanspruch durchsetzen.52 Die Gründe für die verschiedenen wettbewerbspolitischen Schlussfolgerungen der Chicago- und Harvard-School sind die Unterschiede in der analytischen Ausgangsbasis. Während die Harvard-School das Wettbewerbsverhalten und das Marktergebnis im Rahmen von Einzelmarktstudien ausgehend von der Industrial Organization Theorie induktiv analysiert und hieraus wettbewerbspolitische Normen ableitet, zieht die Chicago School auf ihrer preistheoretischen Basis aufbauend deduktiv ihre Schlussfolgerungen über das Wettbewerbsverhalten und die Marktergebnisse.53 Allerdings werden die wettbewerbspolitischen Schlussfolgerungen der Industrial Organization Theorie bzw. der Harvard-School durch die Erkenntnisse der modernen Preistheorie bestätigt: Verlässt man den idealisierten traditionellen preistheoretischen Rahmen und bezieht Such-, Transaktions- und Kontrollkosten sowie Entscheidungssituationen unter Unsicherheit in die Betrachtung mit ein, ergeben sich Markteinstiegsund Marktausstiegsbarrieren, räumliche Monopole und eine deutliche Verringerung der Effizienzvorteile großer Unternehmen.54 Marktmacht kann sowohl in der dynamischen Betrachtung Produktivität, Innovation und Wachstum beflügeln und damit die Wohlfahrt erhöhen als auch umgekehrt den statischen Wettbewerb beschränken und über eine suboptimale Ressourcenallokation die Wohlfahrt schmälern.55 Als gesichert darf jedoch gelten, dass ein Zusammenhang zwischen Marktstruktur oder Marktmacht und Marktverhalten beim Unternehmensziel der Erfolgsoptimierung besteht. Ein Monopolist muss sich rational anders verhalten als ein Polypolist, wenn er seinen Gewinn maximieren will. So gesehen hat der Structure-Conduct-Performance-Ansatz seine Berechtigung. Trotzdem sind Monopol ­ und Polypol Grenzfälle. Die überwiegende Zahl der Märkte liegen dazwischen. Die Marktkonstellationen sind unbegrenzt.56 Aus diesem Grund muss die wettbewerbspolitische Praxis fallweise zwischen den Vor- und Nachteilen abwägen. Ebenso ist die Existenz von Markteinstiegsbarrieren unbestreitbar. Sie können je nach Branche ein Vielfaches der jährlichen Produktionskosten ausmachen. Unstrittig ist auch, dass menschliches Verhalten und damit auch wettbewerbliches Verhalten prinzipiell nicht determiniert werden kann. Unternehmen werden von Menschen geführt, die sich nicht immer rational verhalten. Letztlich ist Rationalität den Menschen nicht naturgegeben.

52Vgl. Schmidt, Ingo und Binder, Steffen (1996, S. 131 ff.); sowie Reder, Melvin W. (1982, S. 15 f.). 53Vgl. Nelson, R. N. (1979, S. 930 ff.). 54Vgl. Nelson, R. N. (1979, S. 951 f.). 55Vgl. Hildebrand, Doris (2002b, S. 8 f.). 56Möschel weist darauf hin, dass bei sieben Marktstrukturparametern (Marktanteil, Markteinstiegsbarrieren, Markttransparenz, Kostenfunktion, Produktdifferenzierung, Preiselastizität und Einkommenselastizität) und drei möglichen Ausprägungen (klein, mittel und groß) bereits 116.280 mögliche Ausprägungen entstehen. Vgl. Möschel, Wernhard (1991, S. 18).

254

7 Wettbewerbspolitik

Vielmehr belohnt uns unsere Umwelt, wenn wir uns rational, also optimal in Relation zu den gegebenen Rahmenbedingungen verhalten. Um mit Hayek zu sprechen, gilt dann auch, dass rationales Verhalten das Ergebnis der Wettbewerbs- bzw. Marktprozesse ist und nicht umgekehrt die Folge menschlichen Verhaltens.57 Wettbewerb ist wie es Hayek zeigt ein offener und unbestimmter Entdeckungsprozess. Aufgrund der Vielzahl der Einflussfaktoren werden die Marktsituationen nie identisch sein und sich ihre Weiterentwicklung nicht prognostizieren lassen. Die Wettbewerbstheorie wird deshalb nie in der Lage sein, der Wettbewerbspolitik genaue situationsbezogene Entscheidungsgrundlagen zu liefern.58 Die Wettbewerbspolitik muss sich deshalb auf die Gewährleistung der Spielregeln des Wettbewerbs beschränken. Sie ist somit der Schiedsrichter des Wettbewerbs. Dies ist eine Aufgabe von existenzieller Bedeutung für ein marktwirtschaftliches System. Die Konzeption des freien Wettbewerbs ist insoweit abzulehnen, als sie die Beseitigung sämtlicher Wettbewerbsbeschränkungen fordert; denn hierunter fällt beispielsweise auch der Patentschutz, mit dem für eine begrenzte Zeit der Innovationsvorsprung der Pionierunternehmer geschützt werden muss, damit sich Investitionen in Forschung und Entwicklung lohnen. Unkontrollierte Wettbewerbsfreiheit kann auch zum Monopol also zu seiner Selbstauflösung führen. Die Bedeutung des potenziellen Wettbewerbs ist im Einzelfall und zeitpunktbezogen zu prüfen. Andererseits reichen generelle Verbote von Wettbewerbsbeschränkungen nicht aus: Marktstrukturen können als solche schon zum Unterlassen von wettbewerblichem Verhalten (ver-)führen, wie es etwa beim gleichgerichteten Verhalten oder dem Verzicht von Preisunterbietungen im engen Oligopol der Fall ist. Eine Kontrolle des Wettbewerbsverhaltens ist somit unverzichtbar.

7.1.4 Neuere Entwicklungen 7.1.4.1 Die Neo-Österreichische Schule Seit den 70er Jahren erlebt die Österreichische Schule ein Comeback in Form der Neo-Österreichischen Schule. Vertreter dieser Schule sind beispielsweise Murray N. Rothbard, Israel Kirzner, Gerals P. O’Driscoll, Mario J. Rizzo und Roger W. Garrison. Die Neo-Österreichische Schule bildete sich vor allem in den USA als Gegenbewegung zu den dort dominierenden mathematisch ökonometrischen Gleichgewichtstheorie. Wie für Hayek ist für die Vertreter der Neo-Österreichischen Schule Wettbewerb ein 57Vgl.

Matzavinos, Chrysostomos (1994, S. 137). my view, the ignorance from which we suffer is unavoidable. Economists cannot fill the gap in our knowledge with analytic methods now available to them, and probably will not be able to do so in the future either. … In fact, the great danger in antitrust today is not that there will be too little economic analysis, but that there may soon be too much. Just as qualification may create the illusion of certainty, econometric sophistication may provide the illusion of a scientific method.“ Ginsburg, Douglas H. (1991, S. 28). 58„In

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

255

evolutorischer, kreativer und damit nicht determinierbarer Prozess von „trial and error“.59 Gemäß den Vertretern der Neo-Österreichischen Schule erreichen die Märkte nie den Gleichgewichtszustand.60 Zwar streben die Marktkräfte zu einem Marktausgleich, einem Gleichgewicht, aber sie werden im dynamischen evolutorischen Wettbewerbsprozess ständig neuen Marktbedingungen ausgesetzt. Mikroökonomische Gleichgewichtsmodelle, wie sie beispielsweise die Chicago School als Basis verwendet, lehnen sie deshalb ab. Ebenfalls sind sie gegen staatliche Interventionen in den Marktprozess, da sie die Marktpreise als Orientierungspunkte für den Suchwettbewerbsprozess der Marktteilnehmer verzerren und damit den Findungsprozess zu einem neuen Gleichgewicht verlängern.61 Wie bei der Österreichischen Schule soll sich der Staat auf das Setzen von einem Ordnungsrahmen beschränken, der den Marktkräften den größtmöglichen Entfaltungsspielraum gewährleistet. Die individuelle Freiheit des Unternehmers ist das Mittel und das Ziel der Wettbewerbspolitik. Effizienz ist hier im Gegensatz zur Chicago School ein automatisches Ergebnis des evolutorischen, dynamischen Wettbewerbsprozesses und nicht ein Kriterium, das man z. B. bei der Beurteilung von Fusionen einsetzen könnte.62 Dass ausreichender Wettbewerb vorliegt, um die Marktteilnehmer zu dem angestrebten dynamischen, evolutorischen Wettbewerb zu zwingen, soll der freie Marktzutritt für neue Wettbewerber gewährleisten. Die Wettbewerbspolitik muss sicherstellen, dass die Märkte offen bleiben. Bereits im Markt etablierte Unternehmen dürfen nicht durch direkte oder indirekte Interventionen vor Konkurrenten geschützt werden, weil dies den Marktzutritt für neue Konkurrenten erschwert. Insofern besteht hier eine Übereinstimmung mit der Theory of Contestable Markets.63 Wie grenzenlos der Wettbewerbsoptimismus der Neo-Österreichischen Schule ist, zeigt sich am Beispiel eines Monopols über Vorprodukte. Hier werden die Monopolgewinne nur als temporär angesehen, weil durch diese Gewinne neue Konkurrenten in die Märkte gelockt werden, die mit anderen, diese Vorprodukte nicht verwendenden Produktionsmethoden in den Markt vorstoßen werden.64 Würde jetzt die Wettbewerbspolitik die Monopolrente durch einen Markteingriff an die Konsumenten umverteilen, hätte dies laut der Neo-Österreichischen Schule zur Folge, dass das Interesse der Unternehmen an der Bildung von Monopolen nachlässt, was langfristig aufgrund der nicht genutzten Synergieeffekte für den Konsumenten Wohlfahrtsverluste bedeuten

59Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 156); Kirzner, Israel M. (1992, S. 6 f.); sowie Maks, J. A. H. (1995, S. 197 f.). 60„The equilibrium is hypothetical, it will never be reached.“ Maks, J. A. H. (1995, S. 198). 61Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 156 f.); sowie Groeneveld, K. et al. (1990, S. 2). 62Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 156); sowie Kantzenbach, Erhard (1990, S. 203). 63Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 156); sowie Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 129). 64Vgl. Maks, J. A. H. (1995, S. 198).

256

7 Wettbewerbspolitik

könnte.65 Wenn man von den staatlich geschaffenen Markteinstiegsbarrieren absieht, gibt es aber – wie bereits bei der Kritik der Theory of Contestable Markets und Chicago School angeführt – noch eine Fülle weiterer Markteinstiegsbarrieren.66 Jeder Markteinstieg ist mit Kosten und dem Risiko einer Fehlinvestition verbunden. Es gibt technologische Vorsprünge (beispielsweise ist nicht immer ohne weitere möglich, ein Produkt nachzuahmen) und zu guter Letzt existieren aufgrund von Transportkosten räumliche Monopole. Zu der damit verbundenen Problematik der Marktmacht finden sich weder bei der Österreichischen noch bei der Neo-Österreichischen Schule Lösungsansätze.

7.1.4.2 Die European School Das Wettbewerbsrecht der EU wurde von Beginn an von den Gedanken des Ordoliberalismus geprägt. Allerdings konnte der Ordoliberalismus kein empirisch fundiertes Modell zur Verfügung stellen, aus dem sich ein wettbewerbspolitisches Instrumentarium hätte ableiten lassen. Die EU-Kommission hat deshalb auf der Basis der ordoliberalen Konzeption einen neuen Wettbewerbsansatz entwickelt, der auf der dynamischen Industrial Organization Theory der New Industrial Economics aufbaut. Über die Jahre setzte die Kommission zahlreiche wettbewerbspolitische Vorgaben aus Einzelurteilen des EuGH um und arbeitete verschiedene wettbewerbspolitische Richtlinien heraus.67 Auf diese Weise aggregierte sie die neuesten Erkenntnisse der Wettbewerbstheorie nebst den sich anbietenden Wettbewerbskonzeptionen: Waren die Chicago School mit ihrem deduktiven, auf mikroökonomischen Modellen aufbauendem Ansatz zu allgemein ausgerichtet und die Harvard-School (Workability-Konzeption) aufgrund ihrer theoretischen Schwächen ungeeignet, so ermöglichte die New Industrial Economics einen realitätsnaheren, einzelfallbezogeneren Wettbewerbsansatz. Mithilfe der Spieltheorie und subtilen dynamischen mikroökonomischen Modellen ermittelte die EU-Kommission das in jeder Situation wahrscheinlichste (rationalste) Verhalten der Unternehmen. Das Resultat war, das der Structure-Conduct-Performance-Ansatz der WorkabilityKonzeption erneuert und ein empirisch, auf den Einzelfall bezogener Ansatz geschaffen wurde, weshalb einige Autoren von einer „European School of Competition“ sprechen.68 Diese European School bevorzugt gegenüber der ursprünglich harten Ablehnung vertikaler Vereinbarungen durch den Ordoliberalismus und der Harvard-School ein

65Vgl.

Maks, J. A. H. (1995, S. 198); sowie Mantzavinos, Chrysostomos (1994, S. 130). umfangreiche Auflistung von Markteinstiegsbarrieren findet sich bei Boner und Krueger. Vgl. Boner, Alan Roger und Krueger, Reinald (1991, S. 6). 67Zum Beispiel: EC Commission, Green paper on the Review of Council Regulation (EEC), No. 4064/89, Com (2001) 745/6 final, Brussels, 11. December 2001; EC Commission, Notice on the Definition of the Relevant Markets (1997) OJ C 372/5, 9 December 1997, para. 24. 68Hildebrand, Doris (2002a, S. 4 f.). 66Eine

7.1 Wettbewerbskonzeptionen

257

Abwägen der Vor- und Nachteile des Einzelfalls69 (Rule of Reason). Generell geht man hier davon aus, dass eine Einschränkung des Wettbewerbs durch vertikale Bindungen nur stattfinden kann, wenn kein ausreichender ­Inter-brand-Wettbewerb existiert.70

7.1.4.3 Die Post-Chicago School Auch auf amerikanischer Seite fand inzwischen eine Synthese der verschiedenen Wettbewerbstheorien in Form der Post-Chicago School statt. Wie bei der European School entstand sie aus den Erfordernissen der Rechtsprechung heraus, wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen abzuleiten. In diese neue amerikanische Schule flossen ebenfalls die neueren Erkenntnisse der New Industrial Economics, der neueren, modernen Industrial Organization Theorie, und der Spieltheorie ein, sodass sich eine internationale Angleichung der Wettbewerbskonzeptionen und auch der europäisch-amerikanischen Wettbewerbspolitik ergeben hat. Die Bezeichnung Post-Chicago School muss in diesem Zusammenhang historisch und nicht theoretisch oder methodisch verstanden werden. Die Post-Chicago School hat sich aus der Kritik an der in den 80er Jahren in den USA dominierenden Chicago School entwickelt71 und äußerte sich zum ersten Mal nachhaltig im Urteil des U.S. Supreme Courts von 1992 im Fall Eastman Kodak Company v. Image Technical Service, Inc.72 Vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet, wäre die Bezeichnung ­Contra-Chicago School angebracht, was im Folgenden gezeigt werden soll. Die Post-Chicago School wirft der Chicago School methodisch vor, dass ihre stets effizienten mikroökonomischen Marktmodelle zu theoretisch und abstrakt sind, um sie auf die in der Realität anzutreffenden komplexen Marktbedingungen anwenden zu können. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist außerdem die kurzfristige Betrachtungsweise der Modelle der Chicago School. Die Vertreter der Post-Chicago School bevorzugen vielmehr auf die spezifischen Märkte individuell zugeschnittene dynamische Modelle, die Marktunvollkommenheiten, externe Einflussfaktoren, und strategisches Verhalten berücksichtigen. Empirische Tests und Analysen werden ergänzend eingesetzt.73 Im Gegensatz zu den Anhängern der Chicago School sind die Vertreter der Post-Chicago

69Die EU-Kommission berücksichtigt unter Art. 81 (1) E ­ G-Vertrag die folgenden Aspekte: 1. Die Marktposition des Anbieters, der Wettbewerber und der Nachfrager; 2. Markteinstiegsbarrieren; 3. den Reifegrad des Marktes; 4. den Handelsumfang; 5. die Art des Produktes und je nach Fall noch weitere Faktoren. 70Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 16 ff.). 71Die Chicago-School prägte beispielsweise die „Vertical Restraint Guidelines“ von 1985, die von der von der Clinton Administration 1993 aufgehoben wurde. Vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 152). 72United States Court of Appeals, Image Technical Service Inc. versus Eastman Kodak Co., No. 96-16014, D.C. No. C ­ V-87-01686-AWT, vgl. Hildebrand, Doris (2002a, S. 156 ff.); sowie Schleicher, Tara (1997, S. 310). 73Vgl. Royal, Sean M. (1995, S. 445); Hovenkamp, Herbert (1985, S. 256 ff., 1994); Hildebrand, Doris (2002a, S. 151); sowie Langlois, Richard N. (2001, S. 200 f.).

258

7 Wettbewerbspolitik

School keine Wettbewerbsoptimisten. Weder sind sie der Meinung, dass Märkte per se effizient sind (z. B. aufgrund von unvollkommenden Informationen und Markteinstiegsbarrieren) noch, dass dominante Marktstellungen im Zeitverlauf durch den Wettbewerbsprozess automatisch abgebaut werden oder, dass ineffizientes Wirtschaften immer vom Markt sanktioniert wird. Nach der Post-Chicago School können in der langfristigen Betrachtungsweise selbst nicht dominante Marktteilnehmer den Wettbewerb zu ihren Gunsten verzerren, wenn sie unfaire Wettbewerbspraktiken, wie beispielsweise Unterkostenverkäufe (Dumping)74 anwenden. Besteht der Markt aus wenigen großen Konzernen, so müssen sich diese nicht in jedem Fall als Konkurrenten verhalten und technologische Kooperationen können in Wettbewerbsbeschränkungen münden.75 Auch bei der Beurteilung von Fusionen distanziert sich die Post-Chicago School von der Chicago School. Sie wirft ihr bei der Bewertung von Fusionen vor, fast nur die statischen allokativen Effekte und produktiven Effizienzgewinne zu berücksichtigen, nicht aber die dynamischen Effizienzverluste, die durch die Beschränkung des Wettbewerbs im Zeitverlauf – z. B. durch unterlassene Innovationen – entstehen können. Bei vertikalen Fusionen sehen die Vertreter der Post-Chicago School die Gefahr, dass die Konkurrenten beim Zugang zu den Vorprodukten behindert werden. Bei vertikalen Vereinbarungen betonen sie die Gefahr, dass der Produzent die Abhängigkeit der Verkäufer missbraucht.76 Folgt man Lande, einem Vertreter der Post-Chicago School, so hat das Wettbewerbsrecht, also die Wettbewerbspolitik, vor allem die Aufgabe, zu gewährleisten, dass die Konsumenten niedrige Wettbewerbspreise, nahe den Grenzkosten, angeboten bekommen.77 Hierzu sind Marktinterventionen unumgänglich.

7.1.5 Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine der vorgestellten Wettbewerbskonzeptionen für sich allein gesehen geeignet ist, alle Wettbewerbsfunktionen optimal zu gewährleisten. Die angeführten Kritikpunkte sind auch der Grund, weshalb die 74Entscheidend

ist hier nicht der Verlust eines Wettbewerbs auf der Basis von Unterkostenverkäufen, sondern der Abschreckungseffekt des Dumpings für potenzielle Wettbewerber (Markteinsteiger). Auf diese Weise lassen sich – wie anhand von dynamischen Modellen gezeigt werden kann – Marktrenten erzielen. Es handelt sich somit um durch Dumping strategisch gesetzte Marktzutrittsschranken (Marktverteidigungsdumping). Vgl. Fleischer, Holger (1995, S. 804). 75Vgl. Kattan, Joseph (1993, S. 1–21); Krattenmaker, Thomas G. und Salop, Steven C. (1986, S. 254 ff.); Hovenkamp, Herbert (1994); Price, Tony Curzon (1997, S. 219–254); Schleicher, Tara (1997, S. 311, 315); Hildebrand, Doris (2002a, S. 152 f.); sowie Langlois, Richard N. (2001, S. 201). 76Vgl. Hovenkamp, Herbert (1985, S. 249 ff.); Ordover, Janusz A. und Willig, Robert (1985, S. 311); Hildebrand, Doris (2002a, S. 152 f.); Langlois, Richard N. (2001, S. 202 f.); Royal, Sean M. (1995, S. 445 ff.); sowie Schleicher, Tara (1997, S. 315 f.). 77Vgl. Lande, Robert H. (1989, S. 315 f.).

7.2 Kartelle

259

Bundesministerium für Wirtschaft Bundeskartellamt

Missbrauchsaufsicht

Durchsetzung Kartellverbot

Fusionskontrolle

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Abb. 7.1   Struktur der Wettbewerbspolitik

Wettbewerbspolitik dazu übergegangen ist, die einzelnen Wettbewerbsbeschränkungen losgelöst von einer umfassenden Wettbewerbskonzeption zu betrachten.78 Als gesichert darf jedoch gelten, dass ein Zusammenhang zwischen Marktstruktur oder Marktmacht und Marktverhalten beim Unternehmensziel der Erfolgsoptimierung besteht. Ein Monopolist muss sich rational anders verhalten als ein Polypolist, wenn er seinen Gewinn maximieren will. Trotzdem sind Monopol und Polypol Grenzfälle. Die überwiegende Zahl der Märkte liegen dazwischen. Die Marktkonstellationen sind unbegrenzt. Aus diesem Grund muss die Wettbewerbspolitik bei Wettbewerbsbeschränkungen fallweise zwischen den Vor- und Nachteilen abwägen

7.2 Kartelle Das Bundeskartellamt ist eine unabhängige Behörde und untersteht dem Wirtschaftsminister wie Abb. 7.1 zeigt. Es ist für die Kartellaufsicht gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zuständig (GWB).

7.2.1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen • erstmaliges Inkrafttreten 1. Januar 1958 • bislang neun Mal novelliert, letzte Neunte Novelle im Jahr 2017 78Vgl. Schmidt, Ingo und Binder, Steffen (1996, S. 131 ff.); sowie Reder, Melvin W. (1982, S. 15 f.).

260

7 Wettbewerbspolitik

• wesentliche wettbewerbliche Aufgabenbereiche – Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (§ 1) – Missbrauchsaufsicht über eine marktbeherrschende Stellung (§§ 19–21) – Zusammenschlusskontrolle (§§ 35–43) – Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche (§§ 28–30) Wettbewerb ist nicht „self-maintaining“ (selbst erhaltend), sondern kann rechtlich (Fusion) oder faktisch (ohne Vertrag) beschränkt werden. Ordnungspolitisch von besonderer Bedeutung sind Absprachen als wettbewerbsbeschränkende Unternehmensstrategien, die dem Aufbau von Marktmacht dienen. Marktmacht schränkt die formale Handlungsfreiheit und materielle Entschließungsfreiheit Dritter zum Vorteil des Mächtigen ein. Marktmacht ermöglicht über die Einschränkung des Wettbewerbs Renten, also Einnahmen ohne Gegenleistung. Wettbewerbsabsprachen rechtlich selbstständiger Unternehmen beschränken den Wettbewerb und erzeugen auf diese Weise Marktmacht. Im Rahmen der Verhandlungsstrategien lassen sich horizontale Absprachen (sog. Kartelle: Unternehmen auf gleicher Produktionsstufe) und vertikale Absprachen (sog. Vertikale Vereinbarungen) zum Aufbau von Marktmacht unterscheiden. Da horizontale und vertikale Vereinbarungen fast immer nur auf die Erzielung von Monopolrenten ausgerichtet sind, ohne dass es Effizienzvorteile gibt, sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) § 1, im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VAEU) Art. 101, Abs. 1 verboten (Strafe: Bußgelder). Das Bundeskartellamt schätzt die direkten Verbrauchervorteile auf € 500–750 Mio. p. a.79  Definition  Bei Kartellen wird der Wettbewerb zwischen mehreren Unternehmen der gleichen Produktionsstufe durch Absprachen über wichtige wettbewerbsrelevante Aktionsparameter beschränkt, wobei charakteristisch ist, dass die Selbstständigkeit der beteiligten Unternehmen erhalten bleibt. 2004 wurde das Anmelde- und Genehmigungsverfahren der EU-Kommission und 2005 des deutschen Bundeskartellamts durch die sog. Legalausnahme (vom § 1 GWB) ersetzt, wonach Vereinbarungen zwischen Unternehmen per se erlaubt sind, wenn sie a) angemessene Vorteile für die Verbraucher bewirken oder b) zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, c) den Wettbewerb nicht ausschalten (es darf keine Monopolstellung geben) und d) unerlässlich sind (d. h. es darf keine Alternativen dazu geben).

79Vgl.

Bundeskartellamt (2011, S. 15).

7.2 Kartelle

261

Die Unternehmen müssen selbst über die Legalität ihrer Vereinbarung entscheiden (§ 2 GWB). Mit diesem Ansatz der Selbstregulierung anstelle des früheren Genehmigungsverfahrens spart man für die Unternehmen Zeit, lässt sie aber mit einer gewissen Unsicherheit zurück, ob ihre Absprache legal ist oder nicht. Die Kartellbehörden sparen Verwaltungsaufwand und können sich auf die illegalen Kartelle konzentrieren, die in der Regel sowieso nicht angemeldet wurden. Sofern sich ein Kartell maßgeblich auf den Wettbewerb in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auswirkt, ist für die Verfolgung grundsätzlich die Europäische Kommission zuständig. Die EU-Kommission ist also für die horizontalen und vertikalen Vereinbarungen zuständig, wenn sie den grenzüberschreitenden Handel betreffen. Liegt dagegen der Schwerpunkt einer Wettbewerbsbeschränkung in einem bestimmten Mitgliedstaat der EU, so obliegt die Verfolgung den jeweiligen nationalen Kartellbehörden.

7.2.2 Unterscheidung der Kartelle nach der Form der Vereinbarung • Stillschweigendes Einverständnis („tacit collusion“) Auch stillschweigende Übereinkommen zur Behinderung des Wettbewerbs sind verboten. • Informelles Kartell Formlos abgesprochene Kartelle („gentlemen agreement“, Frühstückskartell). Hierbei handelt es sich um mündlich abgestimmte Verhaltensweisen, d. h. ohne Vertrag. • Vertragliche Kartelle ( = Kartelle im juristischen Sinne) Hier werden die Kartellabsprachen schriftlich zwischen den Teilnehmern festgehalten. Komplexere Kartelle müssen oft schriftlich fixiert werden, da es ansonsten zu Missverständnissen zwischen den Kartellmitgliedern kommen würde. Gerade auch wenn Kartelle über mehrere Jahre zwischen vielen Kartellmitgliedern abgeschlossen werden, ist eine schriftliche Regelung erforderlich. Es kann auch erforderlich sein, die Verteilung der Kartellverträge untereinander zu regeln, wenn die Marktvorteile und Kartellaufgaben nicht gleich verteilt sind. Der Nachteil liegt auf der Hand. Es ist Beweismaterial vorhanden, das bei Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen sichergestellt und gegen die Kartellmitglieder verwendet werden kann.

7.2.3 Unterscheidung der Kartelle nach dem Zweck der Vereinbarung 1. Submissionskartelle: Absprachen bei öffentlichen Ausschreibungen Beispiel: Eine Gemeinde schreibt aus, dass eine Straße neu gebaut werden muss. Die Preise der abgegebenen Angebote sind sehr hoch angesetzt, nur eines davon ist

262

7 Wettbewerbspolitik

günstiger. Dieses Verhalten war unter den Unternehmen vorher abgesprochen. Das günstige Angebot bekommt den Auftrag. Bei der nächsten Ausschreibung wird ein anderer Straßenbauer den Auftrag, durch ein günstiges Angebot, bekommen. Um diesen Ausgleich langfristig zu regeln, bietet sich z. B. ein schriftlicher Kartellvertrag an. 2. Exportkartelle: Aufteilung der Auslandsmärkte, Mengen- oder Preisabsprachen Beispiel: Deutsche Unternehmen im Maschinenbau teilen die Länder auf. Unternehmen A bekommt Brasilien und Unternehmen B Chile. 3. Importkartelle: Bündelung der Einkaufsmacht – erlaubt zum Ausgleich der ausländischen Marktmacht. Beispiel: Microsoft Word. Diese Kartelle sind aber eher selten. 4. Konjunkturkrisenkartelle, Strukturkrisenkartelle: Absprachen zum Kapazitätsabbau oder über andere Wettbewerbsparameter in Ausnahmesituationen genehmigungsfähig

7.2.4 Unterscheidung der Kartelle nach dem Inhalt der Vereinbarung • Preiskartelle – Rabattkartelle: Vereinheitlichung des Rabattsystems Beispiel: Bei 100 kg Abnahme 10 % Rabatt – Kalkulationskartelle: Vereinheitlichung der Kostenrechnung, Gemeinkostenumlage in Preiskalkulation – Frachtbasiskartelle: Vereinheitlichung der Transportkostenberechnung (auch zur Disziplinierung von Kartellaußenseitern). Es werden Orte abgesprochen, ab denen die Transportkosten berechnet werden, um z. B. Wettbewerber aus dem Ausland fernzuhalten. Preiskartelle können Preise ab Werk oder Preise frei Haus verabreden. Diese Preise können vorgesehen werden entweder als Listenpreise oder als für das einzelne Angebot festgelegte Preise. Dabei kann das Kartell diese Preise als Festpreise, Mindestpreise oder Höchstpreise (Nachfragekartell) vereinbaren. • Mengenkartelle – Quotenkartelle (Vereinbarung der Produktions- oder Absatzmenge) – Kundenschutz- und Gebietsabsprachen (Aufteilung der Kunden oder Gebiete mit den Wettbewerbern). Der Kunde bekommt dann von dem Anbieter sogenannte Abwehrangebote, damit er nicht merkt, dass es eine Kartellvereinbarung gibt. • Produktionskartelle regeln die Produktion über … – Normen- und Typenkartelle (z. B. DIN, 500 Blatt Kopierpapier), hier gilt z. B. die Legalausnahme – Rationalisierungskartelle, als Mittelstandskartelle (§ 3 GWB) erlaubt, sofern der Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt wird (Ziel Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen [KMU], z. B. gemeinsame Beschaffung oder Vertrieb).

7.2 Kartelle

263

– Spezialisierungskartelle (z.  B. Produktionsaufteilung bei Handelsmarken80), erlaubt, wenn Marktanteil kleiner 20 % bzw. der Wettbewerb nicht beschränkt wird. Zum Beispiel Aldi und Lidl. Die Produzenten teilen sich die Abnehmer für Handelsmarken untereinander auf. Die im Preiskartell verabredeten Preise müssen nicht gleich hoch sein. Unterschiedlich hohe Preise können deshalb vorkommen, weil die Kartellmitglieder Zeit zur Anpassung (Es wäre auch zu auffällig, wenn alle Wettbewerber gleichzeitig ihre Preise erhöhen) ihrer Preisstrategie benötigen, die von den Kartellmitgliedern angebotenen Produkte heterogen (Qualitätsunterschiede) sind, ein Submissionskartell vorliegt oder einem Kartellmitglied die Aufgabe der Außenseiterbekämpfung zukommt. Welche Möglichkeiten gibt es, die Kartelldisziplin durchzusetzen? Das Kartell kann den Außenseiter unterbieten (Preisdumping). Hätte ein Kartell von 4 Unternehmen einen Marktanteil von 80 % und der Außenseiter einen von nur 20 %, würde jeder Unterkostenverkauf den Außenseiter zu 100 % treffen, während er sich bei dem Kartell auf die vier Unternehmen verteilen würde. Wenn einem Kartellmitglied die Rolle der Außenseiterbekämpfung bspw. aufgrund der örtlich bedingten geringeren Transportkosten zugesprochen wird, muss es dafür von den anderen Kartellmitgliedern entschädigt werden. Hier besteht jedoch der Nachteil, dass dies auch das Kartell schädigt. Das Kartell kann sich aber auch an die Vorlieferanten wenden, die bei einem Marktanteil von 80 % von dem Kartell abhängig sind. Die Vorlieferanten können auch von der Bildung eines Kartells eher Vorteile erwarten, in Form eines geringeren Wettbewerbsdrucks in dem betroffenen Sektors und vielleicht auch einer höheren Marge. Das Kartell kann die Vorlieferanten bitten, den Außenseiter zu sanktionieren, bspw. durch die Lieferung von schlechter Qualität oder einer zeitlich verzögerten Belieferung.

7.2.5 Kartelle als Gefangenendilemma Die Kartellsituation entspricht dem Gefangenendilemma mit der dominanten Strategie des Kartellabweichens (Nash-Gleichgewicht*): Der Worst-Case für ein Unternehmen ist, wenn es sich an die Kartellvereinbarung hält, nicht aber das andere Unternehmen und der Bestcase ist, wenn es sich nicht an die Kartellvereinbarung hält, jedoch das andere Unternehmen. Deshalb kommt es zu der Kombination, in der sich beide Unternehmen nicht an die Kartellvereinbarung halten als dominante Strategie (vgl. Abb. 7.2). Kartelle müssten demnach eigentlich instabil sein, denn es ist für ein Unternehmen gewinnmaximierend wenn es von der Kartellvereinbarung abweicht, denn es nimmt den anderen Unternehmen noch zusätzlich Umsatzanteile weg und vermeidet gleichzeitig, dass ihm die Konkurrenz zuvorkommt.

80Vgl.

z. B. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/05/042/0504236.pdf (24.09.2016).

264

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.2   Kartellsituation

Trotzdem gibt es in der Praxis viele Kartelle. Woran liegt das? Kartelle sind stabil, wenn sich die Anbieter gegenseitig kontrollieren und sanktionieren können. Folgende Bedingungen erleichtern die Kartellierbarkeit von Märkten 1. Geringe Anzahl von Anbietern: Mit wenigen Anbietern lassen sich leichter Vereinbarungen schließen, bessere Überwachung und Kontrolle 2. Homogenität des Produktes: Ein besserer Vergleich ist möglich, man kann die Preise besser gleichsetzen 3. Symmetrische Produktionskostenbedingungen: Produktionskosten müssen ähnlich sein, denn dann liegt die gleiche Basis für die Kalkulation vor, was eine Einigung erleichtert. 4. Hohe Marktzutrittsschranken: Wenn Unternehmen von außen Preise einfach unterbieten könnte, wäre das Kartell nicht haltbar. 5. Geringe direkte Preiselastizität der Nachfrage: Nur wenn der Umsatz bei steigenden Preisen annähernd konstant bleibt, kann der Gewinn erhöht werden. Dies ist der Fall bei Produkten, die sich nicht oder nur schlecht substituieren lassen. 6. Hohe Angebotselastizität: Der Preis geht zurück, das Angebot steigt. Besteht die Gefahr eines ruinösen Preiswettbewerbs, wird die Bereitschaft steigen, verbindliche Kartellvereinbarungen abzuschließen. Beispielsweise versuchen Stahlproduzenten in einer Situation von Überkapazitäten oft durch eine höhere Produktionsmenge bei sinkenden Stückkosten wieder in die Gewinnzone zu kommen. 7. Hohe Markttransparenz: Gute Übersicht über die Märkte ermöglicht es, Verstöße der Unternehmen gegen die Kartellvereinbarung zu erkennen. 8. Innerer und äußerer Kartellzwang: Vereinbarung von Sanktionen, wenn sich nicht an das Kartell gehalten wird, wie beispielsweise Preisdumping oder Strafen. Äußerer: Die Kartellaußenseiter zwingen, sich dem Kartell anzuschließen z. B. durch Preisdumping oder man setzt Vorlieferanten unter Druck (Nachfragemacht) indem man ihnen aufträgt, Preise zu erhöhen, wenn Nichtkartellmitglieder ein Angebot anfordern oder sie erpresst, sich Zeit mit der Lieferung zu lassen. 9. Geringe Strafandrohung: keine Bestrafung oder geringe Bußgelder erhöhen die Profitabilität von Kartellen. Kartellanfällige Produkte Zement, Beton, Stahl, Ziegel, Kabel, Straßenschilder, Feuerwerkskörper, Fahrstühle, Auftausalze, Vitamine, Flüssiggas, Papier, Zahncreme … Bei Zement treffen viele Charakteristika zu, die die Kartellierbarkeit erleichtern: Die Homogenität des Produktes ist vorhanden sowie ungefähr gleiche Produktionskosten. Es gibt

7.2 Kartelle

265

Abb. 7.3   Wichtige Kartellverfahren in Deutschland. (Vgl. Kartellübersicht: http://www.welt.de/ themen/kartelle/[23.09.2016])

eine geringe direkte Preiselastizität, da Zement nicht ersetzbar ist und es eine geringe Anzahl von Anbietern gibt (Heidelberg Zement, Dyckerhoff, Cemex). Auch sind hohe Marktzutrittsschranken vorhanden, da die Zementwerke große und damit teure Produktionsanlagen sind. Bonusregelung (Kronzeugenregelung)81 Die Behörden prüfen erst bei Beschwerden oder Verdachtsmomenten, die von der Kundenseite ausgehen, fast die Hälfte erfolgreichen Kartellverfahren gehen jedoch auf die Bonusregelung (Kronzeugenregelung) zurück.82 Das Bundeskartellamt wird einem Kartellbeteiligten die Geldbuße erlassen, wenn 1. er sich als erster Kartellbeteiligter an das Bundeskartellamt wendet, bevor dieses über ausreichende Beweismittel verfügt, um einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken und 2. er das Bundeskartellamt durch mündliche und schriftliche Informationen und – soweit verfügbar – Beweismittel in die Lage versetzt, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken und 3. er nicht alleiniger Anführer des Kartells war oder andere zur Teilnahme an dem Kartell gezwungen hat und 4. er ununterbrochen und uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeitet (Abb. 7.3). 81Vgl.

Bundeskartellamt (2011) sowie http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/ Bekanntmachungen/Bekanntmachung%20-%20Bonusregelung.pdf?__blob=publicationFile&v=7. 82Vgl. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verbraucherschutz-wie-kronzeugen-kartelle-aufbrechen1.2193280 (23.09.2016).

266

7 Wettbewerbspolitik

Beispiel

Praxisbeispiel Kartelle Fallbericht 10. April 2019 Bußgeldverfahren gegen Hersteller von Asphaltmischgut; DAV-Leitlinien Branche: Herstellung von Asphaltmischgut Aktenzeichen: B1-189/13; B1-11/15 Datum der Entscheidung: 7. Dezember 2018 Das Bundeskartellamt hat am 7. Dezember 2018 eine Geldbuße in Höhe von 1,43 Mio. Euro gegen die Gaul GmbH (nachfolgend „Gaul“) mit Sitz in Sprendlingen wegen ihrer Teilnahme an Preis-, Gebiets,- Kunden- und Quotenabsprachen im Zusammenhang mit Liefergemeinschaften für Asphaltmischgut verhängt. Dieser Bußgeldbescheid ist mittlerweile rechtskräftig geworden. Gaul ist die Rechtsnachfolgerin der K.H. Gaul GmbH & Co. KG, die seit 2011 zum STRABAG Konzern gehört. Eingeleitet wurde das Verfahren mit einer branchenweiten Durchsuchung im Februar 2014 auf der Grundlage eines Kronzeugenantrages der Südhessische ­Asphalt-Mischwerke GmbH & Co. KG mit Sitz in Hanau (nachfolgend „SHM“), einer Tochtergesellschaft der Werhahn-Gruppe. Im weiteren Verfahrensverlauf hatte auch Gaul einen Bonusantrag gestellt und danach mit dem Bundeskartellamt umfassend kooperiert. Ein weiterer Bonusantrag wurde für die Mitteldeutsche Hartstein-Industrie GmbH mit Sitz in Hanau (nachfolgend „MHI GmbH“) und die übrigen Unternehmen der MHI-Gruppe von ihrer Obergesellschaft Mitteldeutsche HartsteinIndustrie AG („MHI AG“) eingereicht. Die im Verfahren des Bundeskartellamtes untersuchten wettbewerbsbeschränkenden Absprachen betrafen die regelmäßige Bildung von Liefergemeinschaften für Asphaltmischgut. Es handelt sich dabei um Gemische aus Gesteinskörnungen und Bindemitteln wie insbesondere Bitumen, die in mehreren Schichten auf Straßen und sonstige Flächen aufgetragen und zu Walzasphalt verarbeitet werden. Die Abnehmer von Asphaltmischgut sind die einbauenden Bauunternehmen. Deren wichtigster Auftraggeber ist die öffentliche Hand. Insbesondere bei großen Infrastrukturprojekten im Straßenbau reichen die Kapazitäten der Asphaltmischanlagen einzelner Hersteller mitunter nicht aus, um die vom Auftraggeber geforderte unterbrechungsfreie Belieferung der Baustellen jederzeit garantieren zu können. Dies kann in diesem Wirtschaftsbereich im Einzelfall zur Bildung einer Bieter- und Liefergemeinschaft von zwei oder mehr Herstellern von Asphaltmischgut führen. Im Bußgeldbescheid festgestellter Sachverhalt Die Gaul verfügte in Büttelborn, Ludwigshafen, Sprendlingen und Wiesbaden über eigene Asphaltmischanlagen, die mittlerweile anderen Konzerngesellschaften der STRABAG zugeordnet worden sind. Die bedeutendsten Wettbewerber der Gaul waren die SHM sowie die MHI GmbH einschließlich deren Schwestergesellschaft Odenwälder Hartstein-Industrie GmbH mit Sitz in Hanau (nachfolgend „OHI“),

7.2 Kartelle

267

die in den relevanten Markträumen ebenfalls eine Reihe von Asphaltmischanlagen betreiben. Auf Grundlage der o. g. Bonusanträge von SHM und Gaul sowie weiterer Beweismittel stellt sich der im Bußgeldbescheid gegenüber der Gaul festgestellte Sachverhalt wie folgt dar: Basierend auf einer wesentlich vom damaligen Geschäftsführer der SHM initiierten und von den Verantwortlichen der Gaul sowie der MHI GmbH und der OHI mitgetragenen Grundabsprache aus dem Jahr 1999, deren Modalitäten seither praktiziert wurden, beteiligte sich die Gaul mindestens im vom Bußgeldbescheid erfassten Zeitraum von Anfang 2005 bis Ende 2013 regelmäßig an Bieter-bzw. Liefergemeinschaften zur Lieferung von Asphaltmischgut. Daneben kam es zur Gründung zahlreicher bilateraler Liefergemeinschaften zwischen der SHM und der MHI GmbH bzw. der OHI. Die kartellrechtliche Zulässigkeit dieser Liefergemeinschaften unter engen Wettbewerbern wurde von den beteiligten Unternehmen im Einzelfall weder geprüft noch auch nur hinterfragt. Die Grundabsprache aus dem Jahr 1999 sah vielmehr vor, dass unter den an der Grundabsprache beteiligten Unternehmen für Ausschreibungen von Liefermengen ab 10.000 t Asphaltmischgut grundsätzlich Liefergemeinschaften gebildet werden sollten. Später wurde die Mengenschwelle für die Liefergemeinschaftsbildung noch deutlich abgesenkt. Entscheidend für die auf diese Weise nahezu automatisierte und dauerhafte Bildung von Liefergemeinschaften war demnach allein das zu erwartende Liefervolumen, nicht jedoch die objektive Erforderlichkeit oder die subjektive Überlegung, dass eine Belieferung durch nur ein Unternehmen nicht infrage gekommen wäre. Mithilfe einer Standortkarte wurden gemeinsame „Markträume“ mit sich überschneidenden Absatzradien identifiziert, in denen die zuvor konkurrierenden Anbieter von Asphaltmischgut nun für größere Aufträge stets Liefergemeinschaften bilden sollten. Der Gaul wurde dabei der Marktraum Wiesbaden zugewiesen, in dem sie Liefergemeinschaften vorwiegend mit der dort ebenfalls vertretenen SHM bilden sollte, der Marktraum Darmstadt sollte grundsätzlich von trilateralen Liefergemeinschaften unter Beteiligung der Gaul und der SHM bearbeitet werden. Auf diese Weise kamen im vom Bußgeldbescheid erfassten Zeitraum von Anfang 2005 bis Ende 2013 nachweislich mindestens 81 bilaterale Liefergemeinschaften zwischen der Gaul und der SHM sowie mindestens 28 trilaterale Liefergemeinschaften zwischen der Gaul, der SHM und der MHI GmbH/OHI oder Dritten zustande. Zur Anbahnung neuer sowie zur Besprechung laufender Liefergemeinschaften fanden zahlreiche Gespräche zwischen Verantwortlichen der an der Grundabsprache beteiligten Unternehmen statt, darunter im tatrelevanten Zeitraum ab Anfang 2005 bis Ende 2013 mindestens 120 Gespräche unter der Beteiligung der Gaul. Ein wichtiges Dauergesprächsthema zwischen der Gaul und den übrigen beteiligten Unternehmen waren die Soll- und Ist-Lieferquoten und Quotenausgleichsmaßnahmen. So kamen im Rahmen der Liefergemeinschaften zumeist pauschale Soll-Lieferquoten zur Anwendung, d. h. in der Regel eine Soll-Lieferquote von 50 % der Gesamttonnage an Asphaltmischgut für jeden Teilnehmer an einer bilateralen Liefergemeinschaft und

268

7 Wettbewerbspolitik

eine entsprechende Soll-Lieferquote von 33 % an einer trilateralen Liefergemeinschaft. Da die Ist-Lieferquoten später häufig von den verabredeten Soll-Lieferquoten abwichen, etablierten die an der Grundabsprache beteiligten Unternehmen im Laufe der Zeit ein Ausgleichssystem. Dafür wurden von den beteiligten Unternehmen zunächst individuelle handschriftliche Listen bzw. Übersichtstabellen geführt, in denen die mit den Baumaßnahmen verbundenen Liefermengen notiert, Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Liefermengen saldiert und bei nachfolgenden Einzelaufträgen oder Liefergemeinschaften mengenmäßig ausgeglichen wurden. Später tauschten die betroffenen Unternehmen elektronische Soll-Ist-Listen in Form von Excel-Tabellen aus, die die Grundlage für Ausgleichsmaßnahmen unter den an der Grundabsprache beteiligten Unternehmen bildeten. Über die quasi institutionalisierte Bildung von Liefergemeinschaften für Asphaltmischgut hinaus sah die Grundabsprache aus dem Jahr 1999 für Aufträge mit kleineren Liefermengen Absprachen darüber vor, welches Unternehmen den Auftrag als Ganzes übernehmen sollte und welcher Preis hierfür verlangt werden sollte. Zum Teil wurde die interne Zuteilung solcher Objekte gezielt dazu genutzt, um damit einen Quotenausgleich zu bewirken. Neben den objektbezogenen Absprachen gab es zwischen der Gaul und der SHM zumindest Ansätze kundenbezogener Absprachen sowie einen regelmäßigen Austausch über die Festlegung der Ab-Werk-Preise für Kleinmengen. Zusammenfassend nahm die Gaul im vom Bußgeldbescheid erfassten Zeitraum von Anfang 2005 bis Ende 2013 in Bezug auf Lieferungen von Asphaltmischgut im Rhein-Main-Gebiet systematisch an Gebiets-, Kunden- und Mengenaufteilungen einschließlich von Preisabsprachen teil. Übergeordnetes Ziel der Grundabsprache und ihrer verschiedenen Komponenten war es, die Marktanteile der beteiligten Unternehmen abzusichern und das bereits niedrige Preisniveau bei größeren Aufträgen zumindest nicht weiter abzusenken. Bonusanträge In Anwendung der Bonusregelung wurde gegen die SHM keine Geldbuße verhängt. Bei der Bußgeldfestsetzung gegen Gaul wurde berücksichtigt, dass diese im Rahmen der Bonusregelung umfassend mit dem Bundeskartellamt kooperierte und dabei wesentliche Beiträge zur Aufklärung des Sachverhalts sowie zum Nachweis des Verstoßes erbrachte. Verfahrenseinstellungen Das Verfahren gegen die Rechtsnachfolgerin der MHI GmbH und der OHI wurde wegen der als „Wurstlücke“ bekannt gewordenen Gesetzeslücke eingestellt, das Verfahren gegen die MHI AG aus Ermessensgründen nicht weitergeführt. Eine Klärung der Tatbeteiligung der MHI-Gruppe ist in diesem Verfahren daher nicht mehr erfolgt. Die Verfahren gegen einige weitere Hersteller von Asphaltmischgut wurden ebenfalls eingestellt, da sich der anfängliche Tatverdacht ihrer Beteiligung an den wettbewerbsbeschränkenden Absprachen letztlich nicht erhärtete. Eingestellt wurden schließlich auch sämtliche Verfahren, die gegen persönlich Betroffene geführt wurden.

7.2 Kartelle

269

Mit dem gegen Gaul ergangenen Bußgeldbescheid wurde der Vorwurf eines vorwerfbar ordnungswidrigen Verhaltens nur gegenüber der Gaul GmbH erhoben, nicht aber gegenüber anderen Unternehmen, sodass damit auch keine bindende Feststellung der Beteiligung an den Absprachen gegenüber anderen Unternehmen verbunden ist. Ihnen gegenüber gilt die Unschuldsvermutung. Eine förmliche Anhörung der anderen Verfahrensbeteiligten ist deshalb vor Erlass des Bußgeldbescheides gegen Gaul nicht erfolgt. Leitlinien für die Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Arbeits- bzw. Liefergemeinschaften des Deutschen Asphaltverbands (DAV) e. V. Parallel zum Abschluss des Bußgeldverfahrens begleitete das Bundeskartellamt den Deutschen Asphaltverband bei der Erstellung von Leitlinien, welche die Verbandsmitglieder bei ihrer gebotenen, selbstständigen Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Liefergemeinschaften unterstützen sollen (folgend dem sog. Prinzip der Selbstveranlagung). Die Leitlinien erläutern die folgenden Grundsätze einer sachgerechten Selbstveranlagung: Das Kartellrecht verpflichtet Unternehmen, unabhängig von einander am Markt tätig zu werden. Die Eingehung einer Liefergemeinschaft mit einem Wettbewerber ist jedoch kartellrechtlich zulässig, wenn 1. das die Eingehung der Liefergemeinschaft erwägende Unternehmen allein nicht in der Lage ist, ein eigenes Angebot abzugeben, und 2. die Kooperation wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig ist, und 3. erst die Kombination der eigenen Ressourcen mit den Ressourcen des Wettbewerbers die Abgabe eines Angebotes erlaubt. Diese drei Bedingungen sind kumulativ zu erfüllen. Sollten diese Voraussetzungen nicht gegeben sein, so kann im Ausnahmefall die Eingehung einer Liefergemeinschaft gleichwohl zulässig sein, wenn die Beschränkung des Wettbewerbs nach § 2 GWB gerechtfertigt werden kann. Die entsprechenden Anforderungen sind allerdings hoch. Die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Liefergemeinschaft ist für jeden Einzelfall, in dem die Abgabe eines gemeinsamen Angebotes in Erwägung gezogen wird, vor der Kontaktaufnahme mit einem Wettbewerber individuell zu prüfen und zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere für die Prüfung, ob das eigene Unternehmen alleine in der Lage ist, den Auftrag durchzuführen. Schließlich ist darauf zu achten, dass sowohl bei der Anbahnung und Verhandlung einer Liefergemeinschaft als auch während der Zusammenarbeit keine wettbewerblich sensiblen Informationen ausgetauscht werden, die für die Durchführung der Liefergemeinschaft nicht unverzichtbar sind.

270

7 Wettbewerbspolitik

Hinweis Personen, denen aus dem Verstoß ein Schaden entstanden ist, können diesen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von den Beteiligten ersetzt verlangen. Soweit die Entscheidung bereits rechtskräftig ist, kommt ihr im Hinblick auf die Feststellung des Verstoßes eine Bindungswirkung nach § 33b GWB gegenüber dem Adressaten des Bußgeldbescheides zu. Der Fallbericht gibt den Stand vom Tag der Veröffentlichung wieder und trägt etwaigen späteren Ereignissen (Einspruchseinlegung) keine Rechnung. Quelle: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Fallberichte/ Kartellverbot/2019/B1-189-13.html (08.02.2020). ◄ Die höchsten EU- Kartellstrafen (in Euro)83 1. Autoglas-Kartell 1384 Mio. (2008) (Saint-Gobain, Asahi, Pilkington, Soliver) 2. Aufzug- und Rolltreppenkartell 992 Mio. (2007) (ThyssenKrupp, Otis, KONE, Schindler) 3. Vitamin-Kartell 791 Mio. (2001) (Hoffmann-La Roche, BASF, Aventis, Solvay, Merck, Daiichi, Eisai, Takeda) 4. Kartell für gasisolierte Schaltanlagen 751 Mio. (2007) (Siemens, ABB, Mitsubishi, Schneider, Toshiba, Alstom, Areva, Fuji, Hitachi) 5. Wachs-Kartell 676  Mio. (2008) (Shell, Sasol, Repsol, ExxonMobil, ENI, Tudapetrol, Hansen & Rosenthal, MOL, RWE, Total) 6. Kautschuk-Kartell 519 Mio. (2006) (ENI, Bayer, Shell, Dow, Unipetrol, ­Trade-Stomil) 7. Fensterglas-Kartell 487 Mio. (2007) (Guardian, Pilkington, Saint-Gobain, Asahi) 8. Gipsplatten-Kartell 478 Mio. (2002) (Lafarge, BPB, Knauf, Gyproc Benelux) 9. Bleichmittel-Kartell 388 Mio. (2006) (Solvay, Arkema, Akzo Nobel, Edison, FMC/ Foret, Kemira, Snia) 10. Acrylglas-Kartell 345 Mio. (2006) (Arkema, Degussa, ICI, Lucite, Quinn Barlo) EU-Kartellstrafen: http://www.rp-online.de/leben/auto/news/eu-kommission-die-zehn-hoechstenkartellstrafen-bid-1.2397243.

7.3 Vertikale Vereinbarungen  Definition  Unter vertikalen Vereinbarungen (auch Bindungen genannt) versteht man wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen Produzenten unterschiedlicher Produktionsstufen untereinander oder Produzenten und Händlern (vgl. Abb. 7.4). 83Vgl. http://www.rp-online.de/leben/auto/news/eu-kommission-die-zehn-hoechsten-kartellstrafenbid-1.2397243.

7.3  Vertikale Vereinbarungen

271

Abb. 7.4   Struktur Vertikaler Vereinbarungen

Produzent

Händler

Lieferant

Das heißt, es handelt sich um eine Wettbewerbsbeschränkung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter durch sog. Austauschverträge, in denen einer der Vertragspartner in der Freiheit der Vertragsgestaltung mit Dritten beschränkt wird, mit denen er in direkter Käufer-Verkäufer-Beziehung steht. Hierunter fallen z.  B. Preisbindungen (Inhaltsbindungen) und Vertriebsbeschränkungen und Ausschließlichkeitsbindungen. Praxisbeispiel Vertikale Vereinbarungen

Fallbericht 17. Mai 2019 Bußgeldverfahren gegen Fahrradgroßhändler Branche: Vertrieb von Fahrrädern an den Endverbraucher Aktenzeichen: B11-28/16 Datum der Entscheidung: 21. Dezember 2018 Das Bundeskartellamt hat mit Bußgeldbescheid vom 21. Dezember 2018 gegen den Fahrradgroßhändler ZEG Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG (ZEG), Köln, und deren Verantwortliche wegen vertikaler Preisbindung von 47 Fahrradeinzelhändlern Geldbußen in Höhe von insgesamt rd. 13,4 Mio. EUR verhängt. Das Verfahren war durch einen Hinweis ausgelöst worden, der im Februar 2015 zu einer Durchsuchung der Geschäftsräume der ZEG in Köln führte. Bei der ZEG handelt es sich um eine genossenschaftlich organisierte Einkaufsgemeinschaft, der in Deutschland rd. 670 unabhängige Fahrradeinzelhändler angehören. An ihre Mitglieder veräußert die ZEG sowohl Fahrräder unter ihren Eigenmarken, beispielsweise Pegasus, Bulls und ZEMO, als auch ZEG-exklusive Fahrradmodelle anderer Hersteller. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen haben die Verantwortlichen der ZEG mit den Verantwortlichen von 47 selbständigen Fahrradeinzelhändlern individuell Vereinbarungen getroffen. Nach diesen Vereinbarungen sollten die Fahrradeinzelhändler beim Verkauf von saisonaktuellen Fahrrädern (ZEG-Eigenmarken und ZEG-Exklusivmodelle anderer Hersteller) die von der ZEG festgesetzten Mindestendverkaufspreise (bezeichnet als Tiefpreis, Tiefstpreis, T-Preis ‚Tiefster Empf. VK oder T-Nummer‘) nicht unterschreiten. So sollte ein Preiswettbewerb zwischen den beteiligten Fahrradeinzelhändlern unterhalb des Tiefpreises unterbunden werden. Alle Vereinbarungen wurden mit der Durchsuchung der ZEG durch das Bundeskartellamt am 10. Februar 2015 beendet. Die Verantwortlichen der ZEG haben darauf

272

7 Wettbewerbspolitik

hingewirkt, dass die Tiefpreise durch Fahrradeinzelhändler nicht unterschritten wurden. Sie haben hierzu Beschwerden von Fahrradeinzelhändlern über Tiefpreisunterschreitungen anderer Fahrradeinzelhändler entgegengenommen bzw. selbst Preisrecherchen über Preissuchmaschinen durchgeführt oder durchführen lassen. Im Anschluss haben sie die einen Tiefpreis unterschreitenden Fahrradeinzelhändler zu dessen Einhaltung aufgefordert. Die in der Anlage genannten 47 ZEG-Einzelhändler haben entweder die Einhaltung von Tiefpreisen bei der ZEG eingefordert (lfd. Nr. 2–13, 17–34, 36–47) oder sie passten ihre Preisauszeichnung nach Aufforderung durch die ZEG entsprechend den von der ZEG festgesetzten Tiefpreisen an (lfd. Nr. 1, 14–16, 32, 35). Auf Grund der geringeren Tatbeiträge der beteiligten Fahrradeinzelhändler im Vergleich zur ZEG wurden gegen diese jeweils keine Verfahren eingeleitet. Mit dem gegen die ZEG ergangenen Bußgeldbescheid wurde der Vorwurf eines vorwerfbar ordnungswidrigen Verhaltens nur gegenüber der ZEG erhoben, nicht aber gegenüber den in der Anlage genannten Einzelhändlern, sodass damit auch keine bindende Feststellung ihrer Beteiligung verbunden ist. Ihnen gegenüber gilt die Unschuldsvermutung. Eine förmliche Anhörung der Händler ist vor Erlass des Bußgeldbescheides gegen die ZEG nicht erfolgt. Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass die ZEG bei der Aufklärung der Absprachen mit dem Bundeskartellamt kooperiert hat, und dass das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sogenanntes Settlement) abgeschlossen werden konnte. Die Geldbußen sind mittlerweile rechtskräftig. Hinweis Personen, denen aus dem Verstoß ein Schaden entstanden ist, können diesen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von den Beteiligten ersetzt verlangen. Soweit die Entscheidungen bereits rechtskräftig sind, kommt ihnen im Hinblick auf die Feststellung des Verstoßes gegenüber dem Adressaten des Bußgeldbescheides eine Bindungswirkung nach § 33b GWB zu. Der Fallbericht gibt den Stand vom Tag der Veröffentlichung wieder und trägt etwaigen späteren Ereignissen (gerichtlichen Entscheidungen, Einspruchsrücknahmen) keine Rechnung. Quelle: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Fallberichte/Kartellverbot/2019/B11-28-16.html (08.02.2020) (24.09.2016). ◄

Case Study Vertikale Vereinbarungen beim Händlernetz der Automobilproduzenten

Viele Händlernetze in Deutschland beinhalten Preisbindungen, Ausschließlichkeitsver einbarungen und Vertriebsbeschränkungen. Diskutieren Sie inwiefern diese der Legalausnahme vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen gemäß § 1 GWB unterliegen. 1. Preisbindung (vorwiegend bei Produzenten ohne Händlernetz) = Endverkaufspreis wird festgelegt.

7.3  Vertikale Vereinbarungen

273

Beispiel: Listenpreise von Autos Hieraus ergibt sich für den Produzenten ein Vorteil, da der Intrabrand Wettbewerb ausgeschaltet wird, denn der VW-Händler X ist nicht günstiger als VW-Händler Y. (Gegenteil: Interbrand Wettbewerb = Wettbewerb zwischen den Marken z. B. VW und BMW) 2. Ausschließlichkeit Der VW-Händler darf nur Autos verkaufen, die vom VW-Konzern produziert werden. Dadurch wird verhindert, dass für VW eine Konkurrenz im Vertriebsnetz entsteht. 3. Vertriebsbeschränkungen, Gebietsschutz Vertriebsbeschränkung z. B. jeder VW-Händler bekommt ein bestimmtes Gebiet zugeteilt. Dort darf sich kein anderer VW-Händler ansiedeln oder Werbung machen. Als Hilfestellung für die Diskussion anbei die gängigen Argumente für vertikale Vereinbarungen 1. Chicago School: eine anstatt zwei Gewinnmargen (Produzent und Händler), deshalb geringerer Preis für den Endverbraucher. 2. Schaffung der Gebietsmonopole ermöglicht die Finanzierung eines umfassenden Service- und Vertriebsnetzes. 3. Chicago School: Händler können durch Gebietsschutz die Kosten der Markterschließung tragen, ansonsten Trittbrettfahrer, also Stärkung des ­InterbrandWettbewerbs. ◄

Lösung Erklärungen der Argumente für vertikale Vereinbarungen: Zu 1. Falsch, da der Produzent die Preise entsprechend der Preiselastizität der Nachfrage bzw. den Preisen der Konkurrenzprodukte inklusive Händlermarge festlegen wird. Der Autoproduzent schreibt die Preise fest und maximiert den Gewinn, denn der Händler benötigt ebenfalls eine Gewinnmarge. Die Kontrolle der Endpreise ist der Hauptgrund für die vertikalen Preisbindungen, um einen Intrabrand-Wettbewerb zu verhindern. Ist ferner der Interbrand-Wettbewerb gering, kommt es zum Monopol. Zu 2. Richtig: Vertikale Ausschließlichkeitsbindungen führen in diesem Fall durch die Spezialisierung zu einer Verringerung der Transaktionskosten, Informationskosten und Reparaturkosten für die Händler. Langfristig müssen Vertriebsoffensiven finanziert werden, z. B. müssen VW-Mechaniker auf VW-Autos spezialisiert werden. Dies ist ohne Gebietsschutz nicht finanzierbar. Spezialisierungsmaßnahmen bringen dem Verbraucher Vorteile. Nicht berücksichtigt wird allerdings bei diesem Argument, dass die Automobilproduzenten mit den Preisbindungen auch den Reparaturwettbewerb ausschließen und versuchen, vertraglich nicht gebundenen Werksstätten die Reparatur durch Konstruktionsbesonderheiten zu erschweren.

274

7 Wettbewerbspolitik

Zu 3. Gilt nur bei hohen Markterschließungskosten; dann sind zeitlich befristete Ausschließlichkeitsbindungen (wie bei Patenten) zu rechtfertigen, nicht aber die Preisbindungen. Fazit

Vertikale Vereinbarungen bleiben gefährlich. Vertikale Vereinbarungen behindern den in- und ausländischen Wettbewerb gleichermaßen. Zuallererst werden die vertikalen Absatz- bzw. Vertriebswege, Wertschöpfungs- bzw. Vorproduktionsketten und damit der Marktzugang für Dritte blockiert. Wettbewerbsparameter, wie z. B. der Preis, werden gleich- und der Vorleistungswettbewerb und/oder der Wettbewerb zwischen den Verkaufseinheiten (Intrabrand-Wettbewerb) ausgeschaltet. Durch die vertikalen Vereinbarungen können mächtige Wettbewerber über mehrere Märkte entstehen, die in ihrer Wirkung „einfache“ dominante Marktstellungen bei weitem übersteigen. Die Ausschließlichkeitsbindungen können einen Marktzutritt durch Dritte verhindern. Ohne ein Händler- und Servicenetz kann ein Automobilproduzent im Ausland keine Autos verkaufen. Ein Missbrauch dieser Marktmacht beispielsweise durch Preisdumping wird möglich, weil dieser über eine vertikale Subventionierung finanziert werden kann. So können Konkurrenten auf einzelnen Wertschöpfungsstufen zum Verlassen des Marktes gezwungen oder am Markteintritt gehindert werden. Beispielsweise kann ein Automobilkonzern den Marktzutritt eines ausländischen Konkurrenten durch Unterkostenverkäufe nur dann verhindern, wenn er die Händler zwingen kann, den verbilligten Preis an die Kunden weiterzugeben, ohne die eigene Gewinnmarge zu erhöhen. Vertikale Bindungen ermöglichen ferner gleich gerichtetes Marktverhalten oder horizontale Vereinbarungen zwischen den dann wenigen, vertikal organisierten Marktteilnehmern. Die Vor- und Nachteile von vertikalen Bindungen sind deshalb von der Wettbewerbsaufsicht im Einzelfall abzuwägen (Rule of Reason) bzw. ist zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für eine Legalausnahme gegeben sind. Entscheidend ist hierbei vor allem ein ausreichender Interbrand-Wettbewerb. ◄

Zusammenfassung

Horizontale und vertikale Vereinbarungen beschränken den Wettbewerb und bewirken dadurch i. d. R. eine Verringerung der volkswirtschaftlichen Effizienz und der Konsumentenrente. Die Wettbewerbsfunktionen werden beeinträchtigt, weshalb es zu einem eingeschränkten Marktversagen kommt. In Ausnahmefällen kann es zu Effizienz- und Konsumentenvorteilen kommen. Beide Formen der Vereinbarungen sind sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene verboten, wobei die Unternehmen selbst vorab prüfen müssen, ob ihre Vereinbarungen der Legalausnahme unterliegen. ◄

7.4  Case Study Co-opetition

275

Übungsaufgaben 1. Definieren Sie horizontale und vertikale Vereinbarungen. 2. Was erleichtert die Bildung von Kartellen? 3. Nennen Sie drei Typen von Kartellen. 4. Worauf müssen Sie als Manager achten, wenn Sie mit Ihren Konkurrenten Vereinbarungen treffen? Wie lautet die Regelung der Legalausnahme? 5. Was ist Ihre Meinung: wann sollten horizontale und vertikale Vereinbarungen erlaubt sein?

7.4 Case Study Co-opetition  Definition  Unter Co-opetition versteht man unternehmerische Kooperation (Cooperation) mit anschließendem Wettbewerb (Competition). Gemäß der Konzeption „Co-opetition“ findet nach der Kooperation (z. B. bei der Herstellung von Produkten) auf den Absatzmärkten unverändert der Wettbewerb der Unternehmen mit ihren Endprodukten statt. Die Kooperation erhöht für die Unternehmen die Wertschöpfung, schafft also einen Mehrwert, während Wettbewerb als Auseinandersetzung um die begrenzten Marktanteile ein Nullsummenspiel ist, also ein Spiel, bei dem ein Unternehmen nur das gewinnen kann, was ein anderes Unternehmen verliert. Die Wortschöpfung „Co-opetition“ stammt von den Spieltheoretikern Brandenburger und Nalebuff. Sie ­ schrieben 1996 das gleichnamige Buch. Die Konzeption „Co-opetition“ ist somit relativ neu und die wettbewerbspolitische Bewertung laut Schmiedtchen noch unabgeschlossen84.

7.4.1 Das Wertenetz von Nalebuff und Brandenburger Gegeben seien ein Kunde, zwei Automobilproduzenten A1 und A2, ein Hersteller von Wohnwagen W, ein Hersteller von Autobatterien B und ein Hersteller von Automobilkühlergrills KG. Wie sind die Beziehungen der Unternehmen untereinander? A1 und A2 (Abb. 7.5) sind Wettbewerber, da ihre Produkte Substitute sind. Substitutive Güter zeichnen sich durch eine austauschbare Nutzenbefriedigung aus. Der Kunde von A1 sieht A2 als gleichwertig an, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Kauft er ein Auto von A1, wird er keines mehr von A2 kaufen und umgekehrt. Die Existenz von Wettbewerbern reduziert somit die Unternehmenswertschöpfung.

84So

„… ist die wissenschaftliche Behandlung kaum über die Verwendung des Namens, die Behauptung von Vorteilen und die Empfehlung für das Management hinausgekommen.“ Schmiedtchen, Dieter (2003, S. 68).

276

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.5   Das Wertenetz von Nalebuff und Brandenburger. A Automobilproduzenten, W Wohnwagenhersteller, B Batterieproduzent, KG Kühlergrillhersteller

Die Konzeption Co-opetition versteht unter komplementären Gütern im weiteren Sinne solche, die sich in der Nutzenbefriedigung gegenseitig unterstützen. Wenn der Kunde einen Wohnwagen benötigt, um zu verreisen, braucht er auch ein starkes Auto. Umgekehrt ist die Beziehung nicht ganz so stark, aber auch vorhanden: Hat der Kunde bereits ein großes Auto, kann er mit dem Kauf eines Wohnwagens seinen Nutzen aus dem Fahrzeug um die Reisetätigkeit erhöhen. Unternehmen, die wie hier Automobilproduzenten A und Wohnwagenhersteller W gegenseitig ihre Wertschöpfung erhöhen, nennen Nalebuff und Brandenburger Komplementoren. Bezogen auf ihr gegenseitiges Verhältnis sind der Hersteller von Kühlergrills KG und der Batterieproduzent B neutrale Hersteller, da sie mit ihren Produkten nicht konkurrieren. Aus ihrer Sicht heraus sind aber A1 und A2 Komplementoren, da es für sie aufgrund der Synergien attraktiver ist, nicht nur einen Automobilproduzenten zu beliefern, sondern beide. Beliefert der Vorlieferant A2, so kann er seine Wertschöpfung weiter erhöhen, wenn er auch A1 beliefert und umgekehrt. Nalebuffs und Brandenburgers Konzeption „Co-opetition“ unterstellt die Schaffung eines Mehrwertes durch Kooperation, ohne dass der Wettbewerb nach der Kooperation beeinträchtigt wird. Im Folgenden wollen wir deshalb anhand der zwischen den Marktteilnehmern möglichen Kombinationen von Kooperationen untersuchen, ob Co-opetition wirklich wettbewerbspolitisch unbedenklich ist, also der Wettbewerb funktionstüchtig bleibt. Kooperation kann nicht nur horizontal zwischen den Wettbewerbern, sondern auch vertikal zwischen den Endproduktherstellern und den Zulieferern erfolgen. Nach der Kooperation findet dann der Wettbewerb mit den Endproduzenten und Zulieferern statt, die sich nicht an der Kooperation beteiligt haben. Wir unterscheiden also drei Fälle: 1) Horizontale Kooperation von Komplementoren; 2) Vertikale Kooperation mit einem Komplementor sowie 3) Horizontale Kooperationen zwischen Wettbewerbern.

7.4.2 Case Study: Wettbewerbspolitische Bewertung von Co-opetition anhand der Kooperationskombinationen zu 1) Angenommen A1 und W stimmen eine Baureihe von Pkws und Wohnwagen aufeinander ab (horizontale Kooperation). Als Mehrwert oder Wertschöpfung ergibt sich ein neues Produkt mit besserem und sicherem Fahrverhalten, was sich für beide

7.4  Case Study Co-opetition

277

­ nternehmen in einem Umsatz- und Gewinnanstieg niederschlägt. Wie wirkt sich eine U solche Kooperation auf den Wettbewerb aus? Gibt es weniger Wettbewerb als vorher? zu 2) Vertikale Kooperationen. Nehmen wir an, der Batteriehersteller B entwickelt in einer Kooperation eine besonders leichte Batterie für eine Kleinwagenfahrzeugreihe von A1. Wie wirkt sich dies auf den Wettbewerb aus? zu 3) Wie sind schließlich horizontale Kooperationen zu beurteilen? Nehmen wir an, es gelingt, ein Verfahren zu entdecken, um unter Energiezufuhr aus Wasser Wasserstoff abzuspalten. A1 und A2 entwickeln daraufhin eine effektive Brennstoffzelle (Cooperation), die wieder aus dem Wasserstoff unter Luftzufuhr Wasser und Energie produziert, womit die Fahrzeuge von A1 und A2 betrieben werden können. Anschließend vermarkten sie die Brennstoffzelle getrennt in eigenen Modellen (+ Competition = ­Co-opetition). Durch die gemeinsame Entwicklung und Vermarktung können die Forschungskosten von € 40 Mio. geteilt und 100 % mehr abgesetzt werden (€ 50 Mio. von A1 + € 50 Mio. von A2). Die Lösungen der Case Study finden Sie in Kap. 12. Der Mehrwert einer Kooperation wird definiert als Differenz in der Wertschöpfung, den ein zusätzliches Unternehmen in der Kooperation beiträgt, wobei Superadditivität unterstellt wird. Superadditivität bedeutet, dass die Summe der Wertschöpfungen der Unternehmen, wenn sie zusammen in der Kooperation tätig sind, größer ist als die Summe der Wertschöpfung, wenn die Unternehmen einzeln agieren.85 Bei der horizontalen Kooperation können A1 und A2 ihren Mehrwert allerdings zusätzlich erhöhen, indem sie auch noch ein Preiskartell bilden und die Monopolrente einstreichen. Dies wäre wesentlich unwahrscheinlicher, wenn jeder für sich geforscht, also keine Kooperation existiert hätte, von der ausgehend die Preisfestsetzung vorgenommen werden kann. Haben sich die Unternehmen erst einmal über die Verteilung des Mehrwertes und der Kosten untereinander geeinigt, ist eine Einigung über eine Preisfestsetzung mit geringem weiterem organisatorischem Aufwand verbunden. Needless to say, co-opetition makes antitrust authorities nervous. There is an old-fashioned word for competitiors who agree not to compete – cartel, with its overtures of price fixing (Quelle Encyclopedia of the New Economy).

Also müssen die Wettbewerbsbehörden grenzübergreifend die Preissetzungen innerhalb von Kooperationen prüfen und gegebenenfalls Preisabsprachen sanktionieren. Ansonsten würde sich „Co-opetition“ nicht aus „Cooperation“ und „Competition“ zusammensetzen, sondern aus „Cooperation“ und „Collusion“ (schädliche Absprachen), also aus einer Kooperation mit anschließendem Preiskartell. Führt man die Konzeption von „co-opetition“ ad absurdum, ist es denkbar, dass die Unternehmen im Rahmen der Kooperationen und Marktstrategien sich so stark verflechten, dass sie als Organisationsform als ein Unternehmen zu betrachten wären. Das Preiskartell entspräche dann einem

85Vgl. Nalebuff, Barry und Brandenburger, Adam M. (1996, S. 56 ff.); sowie Schmiedtchen, Dieter (2003).

278

7 Wettbewerbspolitik

Monopol. Ein Gegenargument könnte lauten, dass es sich um ein Innovationsmonopol handelt, dem Pioniergewinne als volkswirtschaftlich notwendiger Anreiz zustehen. Deshalb genießen Unternehmen bei Innovationen auch Patentschutz. Durch die Offenlegung der Forschungsergebnisse bei der Patenteinreichung soll aber gerade die nachholende Forschung und damit der Wettbewerb angeregt werden. Dieses Argument kann also wettbewerbspolitisch nur so lange Gültigkeit haben, wie ein nachholender bzw. nachfolgender Wettbewerb möglich ist. Entscheidendes Kriterium für die wettbewerbspolitische Beurteilung von Kooperationen ist also, in welchem Marktumfeld sie sich bewegen und wie hoch die Aufholkosten der Konkurrenten als Markteinstiegsbarrieren sind. Die Konzeption des „co-opetition“ spricht von sogenanntem „supra-co-opetition“, als dem Wettbewerb zwischen verschiedenen konkurrierenden Kooperationen. Ist kein potenziell nachfolgender Wettbewerb in dem abzugrenzenden Markt erkennbar, müssen die Wettbewerbsbehörden (auch grenzübergreifend) Kooperationen prüfen und gegebenenfalls Preisabsprachen sanktionieren. Wenn sich dies als undurchführbar erweist, bleibt den Wettbewerbsbehörden nichts anderes übrig, als im Einzelfall die wertschöpfungserhöhenden Vorteile der Kooperation mit den wertschöpfungs- und (weiter definiert) wohlfahrtsvermindernden Nachteilen der Kooperation abzuwägen (bei Fusionen bekannt als Williamson-trade-off) und gegebenenfalls zu untersagen. ­Per-se-Regeln können deshalb keine wettbewerbspolitische Anwendung finden, sondern vielmehr die Rule-ofReason als einzelfallabhängiges Abwägen der Vor- und Nachteile.

7.4.3 Fazit Generell kann der Konzeption des Co-opetition entgegengehalten werden, dass auch Forschung von Wettbewerb profitiert. Laut Hayek ist Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren von technischem Fortschritt als etwas Unbekanntem. Mehrere verschiedene Forschungsansätze haben eine größere Erfolgswahrscheinlichkeit als ein koordinierter Ansatz. Anderenfalls sollte – ad absurdum geführt – die gesamte Weltforschung bei einer Weltforschungsbehörde koordiniert werden. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es also sinnvoll, wenn mehrere Unternehmen getrennt forschen und nicht kooperieren. Darüber hinaus ist Wettbewerb kein Nullsummenspiel, sondern hat – über die unternehmerisch einperiodig erzielte Wertschöpfung hinausgehend – viele wohlfahrtserhöhenden Funktionen (z.  B. Steuerungsfunktion, Innovationsfunktion, Freiheitsfunktion, Allokationsfunktion etc.). Im Rahmen der zunehmenden Globalisierung sind Kooperationen jedoch in der Regel wertschöpfungs- und wettbewerbsfördernd, weil bei grenzübergreifenden Märkten ein nachfolgender Wettbewerb auf internationaler Ebene die Regel ist. Im Rahmen der Globalisierung sind die Märkte schneller zusammengewachsen als die Unternehmen. Kooperationen sind deshalb überwiegend als Reaktion auf die Intensivierung des Wettbewerbs als Folge der Globalisierung zu sehen. Alles in allem ist Co-opetition somit eine gute Managementkonzeption, um im verstärkten Globalisierungswettbewerb durch Ressourcenbündelung bestehen zu können, aber wettbewerbspolitisch nicht unproblematisch.

7.5  Marktmacht durch Konzentration

279

7.5 Marktmacht durch Konzentration 7.5.1 Konzentrationsstrategien Unter Konzentrationsstrategien versteht man das Bemühen eines Unternehmens entweder durch überproportionales • internes Unternehmenswachstum oder durch • externes Unternehmenswachstum (Fusion = Merger) eine faktische Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit Dritter zu erreichen. Sie kreieren Marktmacht, um durch die Wettbewerbsbeschränkungen Monopol- oder Kartellrenten zu erzielen. Unternehmenskonzentration durch externes Wachstum, also Übernahmen (Unternehmenskonzentration im engeren Sinn), ist weitaus häufiger und wettbewerbspolitisch bedeutsamer. Die Konzentration kann somit den funktionsfähigen Wettbewerb zerstören, weshalb die Staaten nationale Wettbewerbsbehörden geschaffen haben, um diesen Prozess zu kontrollieren. Man unterscheidet hier die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht bereits bestehender marktbeherrschender Stellungen. Die Fusionskontrolle untersucht alle Arten von Zusammenschlüssen. Bei einer Übernahme werden die Eigentümer des übernommenen Unternehmens ausbezahlt und sind an dem neuen Unternehmen nicht mehr beteiligt, wohingegen bei einer Fusion die Eigentümer beider Unternehmen Eigentümer des fusionieren Unternehmens sind. Bei horizontalen Unternehmenszusammenschlüssen sind die fusionierenden Unternehmen bislang Wettbewerber in demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt. Sie befinden sich auf der gleichen Produktionsstufe, somit stehen für die Produktion bessere Produktionsbedingungen zur Verfügung. Bei vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen stehen die Unternehmen in einer direkten Käufer-Verkäufer-Beziehung zu einander. Das heißt Sie stehen mit einer voroder nachgelagerten Produktion für ein bestimmtes Produkt in Verbindung. Beispiel

1. Ein Stahlkonzern übernimmt eine Eisenmine in Brasilien 2. Zusammenschluss von Bereichen wie Druck, Verlagen und digitalen Medien 3. Zusammenschlüsse von Unternehmen aus den Bereichen Rohstoffgewinnung, Verarbeitung und Handel, beispielsweise kauft ein Holzproduzent eine Möbelfabrik ◄ Finden solche Zusammenschlüsse in einem sehr großen Rahmen statt, werden in einen entstandenen Konzern immer weitere Unternehmen der gleichen Branche zusammengelegt, wodurch der Zugang für die Konkurrenten bspw. zu Vorprodukten beschränkt

280

7 Wettbewerbspolitik

werden kann. Gibt es eine Tendenz zur Konzentration? Es gab immer wieder Ansätze die Konzentration als eine zwangsläufige Tendenz, als ein deterministisches, also vorgegebenes Naturgesetz, zu sehen. Vertreter deterministischer Konzentrationsursachen (Theorien) 1. Karl Marx (Expropriation der Expropriateure = Enteignung der Enteigner)86 (1818– 1883) oder das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate Technischer Fortschritt benötigt Kapital zur Umsetzung. Marx unterteilt in Kapitalisten als die Eigentümer an den Produktionsmitteln und in Arbeiter, die durch ihre Arbeitskraft ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ein arbeitssparender technischer Fortschritt ermöglicht den Kapitalisten eine höhere Produktivität und damit auch eine höhere Profitrate. Sie investieren (Akkumulation des Kapitals) und realisieren damit den technischen Fortschritt. Die höhere Produktivität führt zu verstärkter Konkurrenz und damit zum Sinken der Preise und damit auch der Profitrate, Arbeitskräfte werden durch den Technischen Fortschritt freigesetzt (Verelendung des Proletariats, Bildung einer industriellen Reservearmee). Dies führt dazu, dass zusätzlich neben dem Überangebot die Nachfrage sinkt. Die entlassenen Arbeiter können nichts mehr konsumieren. Es kommt zum Abschwung. Die Kapitalisten beseitigen sich aufgrund des hohen Überangebots im ruinösen Konkurrenzkampf gegenseitig. Die Anbieterkonzentration steigt (Konzentration des Kapitals). Die Profitrate steigt wieder und der Prozess beginnt von vorne bis es zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems (Diktatur des Proletariats und Zentralverwaltungswirtschaft) kommt. 2. Alois Schumpeter nahm an, dass der technische Fortschritt zu einem Anwachsen der optimalen Betriebsgröße führt, wie z. B. die Fließbanderfindung von Henry Ford 3. Edgar Salin sah im Bevölkerungswachstum verbunden mit den Effizienzvorteilen der Massenproduktion eine Ursache für eine zwangsläufige Konzentration. 4. Aktuell könnte man in der Globalisierung und dem technischer Fortschritt bei ­Transport- und Kommunikationstechniken eine Ursache für die Dominanz von großen global agierenden Konzernen sehen. Die Weltkonzerne mit entsprechender Marktmacht können auf kleinen nationalen Märkten die heimischen Anbieter verdrängen, was zur Konzentration führt. Dies wäre bspw. auf Märkten möglich, die über keine eigene Wettbewerbsaufsicht verfügen wie bei Märkten in Afrika und Asien. In den letzten Jahrzenten nahmen die grenzüberschreitenden Fusionen stark zu. Bei den Motiven lässt sich eine Verschiebung zu Markterschließung feststellen. War in den Jahren 1985–1986 noch der Hauptgrund für Fusionen oder Übernahmen mit 46,5 % die „Nutzung von Synergieeffekten und Rationalisierungspotentialen“ so verdrängte diese Motivation der Grund „Stärkung der Marktposition und/oder Expansion“ mit 76,8 % in den Jahren 1991–1992. Damit die Wettbewerbsbehörde

86Vgl.

Marx, Karl (2010); sowie Stavenhagen, Gerhard (1969, S. 157 ff.).

7.5  Marktmacht durch Konzentration

281

die Marktmacht bzw. eine marktbeherrschende Stellung87 einschätzen kann, ist die Konzentration der Unternehmen an einem Markt einzuschätzen. Der Konzentrationsbegriff ist zum einen in zeitlicher Hinsicht zu unterscheiden in: 1. den Konzentrationsstand, d. h. das zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegende Ausmaß an Konzentration und. 2. den Konzentrationsprozess, d. h. die sich in einem Zeitraum vollziehende Veränderung des Ausmaßes an Konzentration

7.5.2 Konzentrationsursachen Wie kommt es zu Konzentration? Es können unterschiedliche Ursachen zur Konzentration führen: 1. Staatliche Rahmenbedingungen Beispiel: Medikamente durchlaufen lange Phasen bis zur Marktzulassung. Hier liegt entsprechende Konzentration vor, da nur große Unternehmen diesen Aufwand leisten können. 2. Unvollständiger Kapitalmarkt Größere Unternehmen haben leichteren Zugang zu Kapital, z. B. durch die Börse. 3. Größenvorteile (die Größenvorteile werden unten ausführlich erläutert) 4. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen Z. B. können größere Unternehmen kleinere durch Preisdumping aus dem Markt drängen. 5. Patente sowie Forschung & Entwicklung Mit dem Fortschreiten des technischen Fortschritts wird die Forschung immer aufwendiger. Nur größere Unternehmen können sich aufwendige Forschung leisten. Die Zulassung von neuen Medikamenten und das Patentverfahren sind sehr aufwendig. Die Forschung führt zu Patenten, die andere vom Markt fernhalten. 6. Werbung Markenlebensmittel oder auch hochwertige Schokoriegel benötigen eine kostspielige Werbung, um beim Konsumenten die entsprechende Aufmerksamkeit zu erzeugen. Lifestyleprodukte, wie Sportartikel, werden über Sportsponsoring weit über den Herstellungskosten verkauft.

87Vgl.

Conrad, Christian, A. (2005), p. 157.

282

7 Wettbewerbspolitik

Dies alles sind wirtschaftliche und sonstige Umstände, welche eine Konzentration vorteilhaft, notwendig oder möglich machen. Diese Ursachen führen zur Konzentration durch: 1. Internes Wachstum 2. Marktaustritt 3. Marktzutritt großer Unternehmen 4. Fusion Größenvorteile 1. Economies of (large)Scale Zunehmende Skalenerträge, entstehen durch eine überproportionale Outputsteigerung bei konstanter Inputsteigerung, z. B. durch eine bessere Auslastung der Maschinen oder eine effizientere Arbeitsteilung oder Lernkosteneffekte. Entscheidend sind aber die sinkenden Stückkosten, die hieraus resultieren. Sie kommen überwiegend durch die fixen, also nicht durch die Produktionsmenge beeinflussten Kosten zustande. Bspw. verteilen sich die Fixkosten der Produktionsanlagen eines Stahlwerkes auf die erste Tonne Stahl genauso wie auf jede weitere Tonne bis die Kapazitäten ausgelastet sind. Dies ist der Fall bei Kraftwerken, Öfen, Zementwerken aber auch aller Arten von Massenproduktion, z. B. bei Fließbändern der Automobilproduktion. Die Stückkostendegression nimmt in der Regel ab, dies gilt nicht unbegrenzt. Es liegt eine sog. Subadditivität vor. Die Kosten für die Produktion von Produkt x sind geringer, wenn ich die doppelte Menge in demselben Unternehmen produziere: K(x + x) < K1 (x) + K2 (x) 2. Economies of (large)scope Bei den sog. Verbundvorteilen handelt es sich um Synergieeffekte bei konglomerater Konzentration, also der gemeinsamen geschäftlichen Aktivität von ­Nicht-Konkurrenten. Es entstehen als Unternehmenseinheiten Mischkonzerne. Verbundvorteile ergeben sich bspw., wenn Finanzierungsvorteile am Kapitalmarkt, ein Vertriebsnetz, Werbevorteile oder Stabsstellen gemeinsam genutzt werden können.

Beispiele

Gemeinsame Stabstellen sind beispielsweise als EDV- oder Rechtsabteilung möglich. Diese Stellen sind nicht direkt an einem Produkt beteiligt und haben nur eine unterstützende Tätigkeit, aber ein Jurist kann z. B. für verschiedene Produkte die Produkthaftung klären und nicht nur für eins. Beispiel Kapitalmarkt: Viele kleinere Maschinenbauunternehmen haben über eine Aktiengesellschaft als Holding einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt. Für Banken ist das Risiko der Holding diversifizierter als das der einzelnen ­ Maschinenbau-Unternehmen. Außerdem kann die Holding größere Kredite

7.5  Marktmacht durch Konzentration

283

aufnehmen und damit bessere Konditionen bekommen. Es liegt wiederum Subadditivität vor. Die Kosten für die unterschiedlichen Produkte a und b sinken bei der Produktion im gleichen Unternehmen

K(a,b) < K1 (a) + K2 (b) Beispiele für Vertriebsnetze: 1. Tankstellen (Benzin und Getränke): Der Kunde muss tanken. Zusätzlich kauft er noch eine Flasche Wasser. 2. Werbevorteile aus Synergien: z. B. Hugo Boss als Marke als Lifestyle Produkt generiert Synergieeffekte für Anzüge, Taschen, Parfüm, usw. Beispiel Fusion Daimler und Chrysler: Bei der Fusion von Chrysler und Daimler ging Daimler von Economies of large scale durch eine gemeinsame Produktion sowie Economies of large scope auf der Basis eines gemeinsames Händlernetzes aus. Allerdings sprechen die Chrysler Fahrzeuge eine weniger gehobene Kundenschicht als die Daimler-Fahrzeuge an. Die Qualität aber auch die Preise sind geringer. Es ergaben sich deshalb viel weniger Economies of large scale als geplant und die Daimler-Kunden wurden von Chrysler abgeschreckt. Chrysler wurde schließlich von Fiat übernommen.88 ◄ Größennachteile Den Größenkostenvorteilen stehen u.  U. aber Größenkostennachteile in Form von sogenannten Diseconomies of Scale und steigenden Organisationskosten bzw. Diseconomies of Scope gegenüber. Bei den Gründen für Ineffizienzen großer Unternehmen unterscheidet man: • Organisationsinterne Einflussfaktoren – Unternehmenskultur, – Anzahl der Hierarchieebenen – Ausmaß der Bürokratisierung – eigentumsrechtliche Regelungen – Gestaltung der Entgeltsysteme, Größe der Unternehmung. Je größer ein Unternehmen ist, desto mehr Bürokratie entsteht und desto unübersichtlicher werden die Prozesse. Es entsteht ein Informationsproblem. Es ist schwer nachvollziehbar, welche Mitarbeiter wirklich gute Arbeit leisten oder wer nur im Strom mitschwimmt. In einem kleinen Unternehmen hat jeder Mitarbeiter seine Aufgabe und geht nicht in der Masse unter.

88Vgl. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gescheiterte-fusion-von-daimler-und-chrysler-pleitenach-lehrbuch-1.1666592-2 (23.09.2016).

284

7 Wettbewerbspolitik

• Externe Einflussfaktoren Bei den externen Einflussfaktoren geht es um die Beeinflussung der Motivation des Managements und der Mitarbeiter. Marktmacht, d. h. fehlender oder eingeschränkter Wettbewerb, führt zu einem Verlust an Motivation und Kostendisziplin (Anreiz- und Sanktionsfunktion des Wettbewerbs).

7.5.3 Marktabgrenzung Um Marktmacht feststellen zu können, ist der relevante Markt abzugrenzen. Die amerikanische Rechtsprechung entwickelte den Leitsatz: „Relevant is the market where competition takes place.“ Demnach ist die entscheidende Frage, wo Wettbewerb stattfindet. Unstrittig ist, dass eine Marktabgrenzung in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht vorgenommen werden muss.

7.5.3.1 Sachliche Marktabgrenzung Hierbei geht es um die Substituierbarkeit, also Gleichwertigkeit, der angebotenen Güter aus Sicht der Kunden innerhalb des räumlich abgegrenzten Marktes, d. h. wie sieht der Kunde/Nachfrager das Produkt? Welche Produkte sind substituierbar und haben damit einen vergleichbaren Markt- und Marktpreis? In Deutschland und der EU wird hierfür gemäß dem sogenannten Bedarfsmarktkonzept aus Nachfragesicht ermittelt, welche Produkte austauschbar sind (bspw. auch über die gegenseitige Preissensitivität, die Kreuzpreiselastizität). Kreuzpreiselastizität: Reaktion des Nachfragers von Gut A auf Preisänderung von Gut B = der Preis von A steigt, wie ändert sich der Preis von B? Wenn bspw. der Preis von Butter steigt, wird mehr Margarine gekauft, da Butter für manche Kunden als Brotaufstrich an Butter heranreicht. Ein Porsche und ein VW Käfer befinden sich aber nicht in demselben Markt, da sie zwar Pkws sind, aber aus Käufersicht andere Produkteigenschaften haben. Man kann einen Porsche nicht durch einen Käfer substituieren und somit gibt es auch keine gegenseitige Preissensitivität (Abb. 7.6). 7.5.3.2 Räumliche Marktabgrenzung In räumlicher Hinsicht befinden sich alle Anbieter bzw. Nachfrager eines Gutes in demselben relevanten Markt, wenn es entweder unmöglich oder nur unter Inkaufnahme unvertretbarer Kosten möglich wäre, das Gut von außerhalb des Marktes zu beziehen bzw. zu beliefern: Wo findet Wettbewerb statt? Für die räumliche Abgrenzung von Märkten sind vor allem Transportkosten und die räumliche Verteilung der Anbieter ausschlaggebend. Die räumliche Abgrenzung kann deshalb in der Fläche bei gleichen Produkten je nach geografischen Verhältnissen und Verkehrsanbindung sehr unterschiedlich ausfallen.

7.5  Marktmacht durch Konzentration

285

Abb. 7.6   Beispiel für eine sachliche Marktabgrenzung (Substitutionskonzept)

Beispiel Automarkt

Ein Auto von Deutschland aus in Italien zu kaufen ist machbar (Re-Import). Jedoch dasselbe Auto in Amerika zu kaufen würde wegen zu hoher Transportkosten nicht umgesetzt werden. Das bedeutet es gibt einen europäischen Automarkt aber keinen amerikanisch-europäischen. ◄

7.5.3.3 Zeitliche Marktabgrenzung Eine zeitliche Marktabgrenzung findet statt, wenn die Märkte sich zeitlich stark verändern (z. B. Saisonartikel wie Weihnachtsbäume). Im zeitlich relevanten Markt findet der überwiegende Teil des Jahresumsatzes statt. Beispiele: Schokoosterhasen, Schokoweihnachtsmänner, Weihnachtsschmuck, Skiartikel, usw. Wie kann man Konzentration messen?

7.5.4 Konzentrationsmesskonzepte Für die Auswahl des Konzentrationsmerkmals bieten sich an 1. die Produktionsgrundlagen (input)89, 2. das Produktionsergebnis (output). als Umsatz oder Nettoproduktionswert oder Marktanteile. Die Auswahl des Merkmals ist auch davon abhängig, welche Art von Konzentration gemessen werden soll. In der Regel arbeitet man mit Umsatzanteilen. Zum anderen ist es vor allem für wettbewerbspolitische Fragestellungen sinnvoll zu unterscheiden zwischen absoluter und relativer Konzentration.

89Input-Outputbeziehungen sind z. B. wichtig, um indirekte Unternehmensverflechtungen (sog. Cluster) und Abhängigkeiten aufzudecken.

286

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.7   Absolute und relative Konzentration

 Definition  Die absolute Konzentration erfasst die Zahl der Merkmalsträger, also der Unternehmen eines Marktes, unabhängig von ihrer relativen Größe wohingegen.  Definition  Die relative Konzentration die Ungleichverteilung von Konzentrationsmerkmale zwischen den Merkmalsträgern misst, wie z. B. den Umsatz zwischen den Anbietern in einem Markt. Abb. 7.7 verdeutlicht diesen Sachverhalt. Bei einer absoluten Konzentration kann es zu Kartellabsprachen zwischen den wenigen Anbietern kommen. Aber dies kann auch bei einer relativen Konzentration eintreten. Haben bspw. wie in dem obigen Beispiel von 100 Unternehmen drei zusammen einen Marktanteil von 85 %, so können sie ebenfalls ein Kartell vereinbaren, da die restlichen Unternehmen zu klein sind, um größere Aufträge abzuwickeln. Bei so vielen kleinen Unternehmen im Markt ist es außerdem wahrscheinlich, dass diese regional ausgerichtet sind und nicht den gesamten Markt beliefern. Ferner können die großen Unternehmen aufgrund ihrer Größe kleinere Unternehmen im Wettbewerb behindern und eventuell sogar zum Marktaustritt zwingen. Für die empirische Erfassung horizontaler Konzentration stehen verschiedene statistische Maßzahlen zur Verfügung 1. Lorenzkurve und Gini-Koeffizient (Messung der relativen Konzentration) 2. Konzentrationsraten (Concentration Ratios) (Messung der absoluten Konzentration) 3. Disparitätsraten (Messung der relativen Konzentration) 4. Der Herfindahl-Index (Messung der absoluten und relativen Konzentration)

7.5  Marktmacht durch Konzentration

287

Abb. 7.8   Konstruktion der Lorenzkurve

7.5.4.1 Lorenzkurve und Gini-Koeffizient (Messung der relativen Konzentration) Die Lorenzkurve zeigt die relative Konzentration grafisch an, indem sie die Unternehmen der Größe nach ordnet und anschließend den prozentualen Anteil der Unternehmen am Gesamtumsatz des Marktes abbildet. Die Unternehmen werden hier nach ihrem Umsatz geordnet. Die kleinsten Unternehmen sind links. Anschließend bildet man gleichgroße Gruppen und errechnet den Umsatzanteil einer jeden Gruppe. Die Umsätze werden dann Gruppe für Gruppe aufsummiert als Kurve abgebildet. Haben wir mit dem Monopol die maximal mögliche Konzentration im Markt, verläuft die Lorenzkurve erst auf der X-Achse, um dann sobald mit 100 % der Unternehmen das eine Unternehmen erfasst wird, parallel zur Y-Achse zu 100 % Umsatzanteil aufzuschließen. Bei dem anderen Extrem haben wir keine relative Konzentration. Alle Unternehmen sind gleich groß. Dann liegt die Lorenzkurve auf der Winkelhalbierenden, der Diagonalen (10 % der Unternehmen haben 10 % Umsatzanteil, 20 % der Unternehmen haben 20 % Umsatzanteil usw.) (Abb. 7.8). Der Vorteil der Lorenzkurve ist, dass sie die relative Konzentration über den ganzen Markt grafisch abbildet. Sie stellt allerdings keine Kennzahlen zur Verfügung, weshalb man hier den Gini-Koeffizienten hinzu nimmt. Der Gini-Koeffizient wird berechnet, indem man die von der Lorenzkurve eingeschlossene Fläche (0,235) durch das Rechteck, also 0,5 dividiert (= 0,47). Der Gini-Koeffizient kann somit im Monopol den Wert 1 annehmen, da die eingeschlossene Fläche 0,5 beträgt. Haben wir hingegen eine Gleichverteilung so ist die von der Lorenzkurve eingeschlossene Fläche gleich Null, womit der Gini-Koeffizient auch Null ist (Abb. 7.9). 7.5.4.2 Konzentrationsraten (Concentration Ratios) (Messung der absoluten Konzentration) Die Konzentrationsrate CR3 gibt den Marktanteil der drei umsatzstärksten Unternehmen J in einem bestimmten Markt wieder (z. B. CR3 = 0,694 oder 69,4 %).

288

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.9   Lorenzkurve

Abb. 7.10   Angebotsstruktur

D. h. hätten alle 8 Firmen denselben Umsatz getätigt (jeder ein Achtel von 1023), dann wäre CR3 = 0,375 statt 0,694 gewesen. Die Konzentrationsraten sind leicht berechenbar und anschaulich, haben aber den Nachteil, dass sie die Größenstrukturen der jeweils größeren bzw. kleineren Merkmalsträger nicht erkennen lassen. Die relative Konzentration ist nicht messbar. Als wettbewerbspolitisch kritisch wird ein Überschreiten von CR1 = 0,40, CR3 = 0,50, CR5 = 0,67 (marktbeherrschende Stellung), CR4 = 0,50 sowie CR8 = 0,70 angesehen (Oligopolverhalten). Ein Marktbeispiel zur Verdeutlichung der Berechnung der Konzentrationsraten gibt es in (Abb. 7.10 und 7.11). Die Konzentrationsrate beträgt bspw. CR3 = 69,40 %, weil 710/1023 * 100 = 69,40  %.

7.5  Marktmacht durch Konzentration

289

Die Konzentrationsrate beträgt bspw. CR3 = 69,40 %, weil 710/1023*100 = 69,40%.

Abb. 7.11   Konzentrationsratenberechnung

7.5.4.3 Disparitätsraten (Messung der relativen Konzentration) Die Disparitätsrate (DR) gibt den Anteil an, mit dem der Wert einer bestimmten Konzentrationsrate auf der Ungleichverteilung der Merkmalswerte beruht. Sie ist ein Ausdruck für das Ausmaß der relativen Konzentration als das Verhältnis weniger großer Unternehmen zu vielen kleinen Unternehmen. Das heißt, je geringer der Anteil der Unternehmen J an allen n Unternehmen, desto höher ist die Konzentration relativ. DRJ = (CRJ − J/n) : CRJ Beispiel

Für n = Anzahl aller Unternehmen

DRJ = (CRJ − J/n) : CRJ

DR3 = (CR3 − 3/8) : CR3

DR3 = (0, 694 − 0, 375) : 0, 694 = 0, 4597 In Prozent: DR3 = (69, 4 % − 37, 5 %) : 69, 4 % = 45, 97 % Also ist der CR3 = 69,4 % zu DR3 = 45,97 % auf die Ungleichverteilung der Merkmals zurückzuführen. Hätten bei demselben CR3-Wert 30 Firmen im Markt gestanden, dann hätte der DR3 = 85,59 % betragen. D. h. je größer DR, desto größer ist die relative Konzentration als das Verhältnis weniger großer Unternehmen zu vielen kleinen Unternehmen.

290

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.12   Messung der absoluten und der relativen Konzentration mittels des Herfindahl-Index

Beispiel: CR3 = 0,3 d. h. der restliche Marktanteil ist 70 % 1. Fall die 70 % verteilen sich auf 7 Unternehmen à 10 %, dann ist DR3 = (0,30 − 3/10):0,30 = 0 =>  d. h. keine starke relative Marktmacht der 3 Unternehmen 2. Fall die 70 % verteilen sich auf 100 Unternehmen à 0,7 %, dann ist DR3 = (0,30 − 3/103):0,3 = 0,9 => d. h. starke relative Marktmacht der 3 U. Problem: Große und kleine Unternehmen lassen sich schwer vergleichen und die Verteilung innerhalb CR ist nicht bekannt. ◄

7.5.4.4 Der Herfindahl-Index (Messung der absoluten und relativen Konzentration) Um den Einfluss großer Unternehmen auf einem Markt zu erfassen, wenden die Wettbewerbsbehörden zusätzlich den Herfindahl-Index an. Der Herfindahl-Index ist das (gewogene) arithmetische Mittel der mit sich selbst gewogenen (quadriert) i = 1 − n Marktanteile a: H=

n 

ai2

i=1

Da die Anteile mit sich selbst multipliziert werden, gehen größere Anteile überproportional ein. Da der Index für stark besetzte Märkte sehr klein werden kann, multipliziert die Monopolkommission ihn mit 10.000, also beträgt er maximal 10.000 (x 1). Als kritisch wird ein Überschreiten von 1000 angesehen (Oligopolverhalten). Der Herfindahl-Index misst als einzige Maßzahl sowohl die absolute als auch die relative Konzentration. Dies zeigt das Beispiel in Abb. 7.12. Der Herfindahl-Index steigt (sinkt) mit abnehmender (zunehmender) Anzahl der Unternehmen (vgl. Fall 3) bzw. mit zunehmender (abnehmender) Ungleichverteilung der Marktanteile (vgl. Fall 2). Der Herfindahl-Index wird von der Monopolkommission gerne verwendet, weil große Anteile stark und kleine Anteile (Erfassungsproblem) schwach einfließen.

7.5  Marktmacht durch Konzentration

291

Abb. 7.13    Vergleich der Konzentrationsmesszahlen. (Vgl. Statistisches Bundesamt, Konzentrationsstatistische Daten für den Bergbau und das Verarbeitende Gewerbe 1954 bis 1992, Fachserie 4, Reihe S. 9, Stuttgart und Mainz: W. Kohlhammer GmbH, S. 12)

Warum benötigt man die verschiedenen Konzentrationsmaße? Warum reicht nicht ein Konzentrationsmaß aus? Schauen wir uns einen Markt an, der einen Umsatz von einer Million hat. Hier sind viele Konzentrationen denkbar: 1. Fall: Umsatz eines Marktes von 1 Mio. € verteilt sich auf 10 gleichgroße Unternehmen. Hier haben wir eine leichte absolute Konzentration mit einer Gleichverteilung. Alle Maße zur relativen Konzentrationserfassung zeigen an, dass es keine Marktkonzentration gibt. Nur die Konzentrationsrate und der Herfindahl-Index reagieren auf die absolute Konzentration. 2. Fall: Hier ist die Marktstruktur wie im Fall 1, nur gibt es 100 gleichgroße Unternehmen. Da wir hier sowohl eine Gleichverteilung, also keine relative Konzentration, als auch keine absolute Konzentration haben, zeigen alle Indikatoren keine Konzentration an. Mangels absoluter Konzentration – verglichen mit dem ersten Fall – sind auch der Herfindahl-Index und die Konzentrationsrate gesunken. 3. Fall: 8 Unternehmen à 100 T € und 200 Unternehmen à 1 T €. Hier haben wir eine relative Konzentration und eine leichte absolute, weshalb alle Maßzahlen ansteigen (Abb. 7.13). Zusammenfassung

Konzentration als Verringerung von Anbietern in einem Markt hat viele Ursachen. Damit keine wohlfahrtsmindernden engen Oligopole oder Monopole entstehen, muss der Konzentrationsprozess überwacht werden. Größere Unternehmen sind im Wettbewerb nicht automatisch überlegen, sie können aber ihre Marktmacht dazu nutzen, den Wettbewerb zu ihrem Vorteil zu behindern. Bei gegebener Konzentration ist eine Missbrauchsaufsicht unumgänglich. ◄

292

7 Wettbewerbspolitik

Übungsaufgaben 1. Welche Arten von Größenvorteilen gibt es bei Unternehmen? Erklären Sie die Vorteile. 2. Welche Arten von Größennachteilen gibt es bei Unternehmen? Erklären Sie die Nachteile. 3. Welche Konzentrationsmaße gibt es und wie werden sie berechnet? Erklären sie, warum diese unterschiedlichen Maße angewendet werden. Was sind die Stärken und Schwächen. 4. Berechnen und interpretieren Sie die Konzentrationsrate CR3, die Disparitätsrate DR3 und den Herfindahl-Koeffizienten für folgende Marktkonstellationen: a) 3 Unternehmen haben einen Umsatz von je 50 Mio. € und 12 von je 20 Mio. € b) 3 Unternehmen haben einen Umsatz von je 50 Mio. € und 12 von je 1 Mio. €. c) 3 Unternehmen haben einen Umsatz von je 50 Mio. € und 12 von je 40 Mio. € und 20 von je 10 Mio. €. 5. Die Unternehmen eines räumlich und sachlich abgegrenzten Marktes haben einen Umsatz von 25, 25, 100, 150, 200, 150, 200, 25, 100, 25 Mio. €. a) Zeichnen Sie die Lorenzkurve. Die Lösung ist Abb. 12.2 im Anhang. b) Nehmen Sie an, die von der Lorenzkurve eingeschlossene Fläche betrage 0,3. Wie hoch ist der Gini-Koeffizient?

7.6 Missbrauchsaufsicht 7.6.1 Grundlagen Eine dominante Marktstellung wird über Marktmacht, also die Möglichkeit „ausbeuterischen Verhaltens“, abgegrenzt. Marktmacht bedeutet die Fähigkeit, den Marktpreis zu beeinflussen, also dass die Marktstellung eine Preisfestsetzung oberhalb des Marktniveaus bei normalen Markt- bzw. Wettbewerbsbedingungen ermöglicht. Die sogenannte Missbrauchsaufsicht hat zum Ziel, Mitkonkurrenten sowie Marktteilnehmer vorgelagerter und nachgelagerter Wirtschaftsstufen vor leistungsfremden Behinderungen und vor Ausbeutung im Wettbewerb zu schützen. Als Strafen für Missbrauch sind Geldbußen vorgesehen. § 18 Marktbeherrschung (1) Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt 1. ohne Wettbewerber ist, 2. keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 3. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.

7.6 Missbrauchsaufsicht

293

(2) Der räumlich relevante Markt im Sinne dieses Gesetzes kann weiter sein als der Geltungsbereich dieses Gesetzes. (3) Bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern ist insbesondere Folgendes zu berücksichtigen: 4. sein Marktanteil, 5. seine Finanzkraft, 6. sein Zugang zu den Beschaffungs- oder Absatzmärkten, 7. Verflechtungen mit anderen Unternehmen, 8. rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen, 9. der tatsächliche oder potenzielle Wettbewerb durch Unternehmen, die innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ansässig sind, 10. die Fähigkeit, sein Angebot oder seine Nachfrage auf andere Waren oder gewerbliche Leistungen umzustellen, sowie 11. die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen. (4) Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 % hat. (5) Zwei oder mehr Unternehmen sind marktbeherrschend, soweit 12. zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und 13. sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen. (6) Eine Gesamtheit von Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie 14. aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von 50 Prozent erreichen, oder 15. aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen. (7) Die Vermutung des Absatzes 6 kann widerlegt werden, wenn die Unternehmen nachweisen, dass 16. die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder 17. die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat. § 19 Verbotenes Verhalten von marktbeherrschendenunternehmen (1) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten. (2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 18. ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen;

294

7 Wettbewerbspolitik

19. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen; 20. ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist; 21. sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist; 22. seine Marktstellung dazu ausnutzt, andere Unternehmen dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren. (3) Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 und Nummer 5 gilt auch für Vereinigungen von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen im Sinne der §§ 2, 3 und 28 Absatz 1, § 30 Absatz 2a und § 31 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 4. Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt auch für Unternehmen, die Preise nach § 28 Absatz 2 oder § 30 Absatz 1 Satz 1 oder § 31 Absatz 1 Nummer 3 binden. Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/BJNR252110998.html (Abruf 19.05.2017). Fazit Eine marktbeherrschende Stellung liegt also laut (§ 18 [4] bis [6] GWB vor, wenn für die Konzentrationsrate gilt: CR1 > 40  %, CR3 > 50 % oder CR5 > 66,66  %) gilt. Auf der EU-Ebene definiert der EuGH Marktdominanz ausgehend von Art. 102 VAEU wie folgt … a position of economic strength … which enables [a firm] to prevent effective competition being maintained on the relevant market by affording it the power to behave to an appreciable extent independently of its competitors, customers and ultimately of its consumers.90

90„…

a position of economic strength … which enables [a firm] to prevent effective competition being maintained on the relevant market by affording it the power to behave to an appreciable extent independently of its competitors, customers and ultimately of its consumers.“

7.6 Missbrauchsaufsicht

295

Abb. 7.14   Ablauf der Missbrauchsaufsicht

Art. 102 (ex-Artikel 82 EGV) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen: a) der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen; b) der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; c) der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; d) der an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. Die Anteile, die die EU je nach Markt als untere Grenze für eine Marktbeherrschung sieht, schwanken von 45–70 %91 (Abb. 7.14).

91Vgl. Nicolaides, Phedon (1994, S. 22); Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (1990, S. 18 f.); sowie OECD (2001a, S. 86 f.).

296

7 Wettbewerbspolitik

7.6.2 Erläuterung des Ablaufs der Missbrauchsaufsicht 1. Abgrenzung des relevanten Marktes siehe oben 2. Untersuchung der Wettbewerbssituation zur Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung Nach der Marktabgrenzung werden Marktests zur Feststellung einer beherrschenden Marktstellung angewendet. Beim Marktstrukturtest finden Kriterien wie die Anzahl und Größe der Marktteilnehmer (Konzentrationsmessung), die Möglichkeit des Marktzutritts durch Dritte und das Ausmaß der Markttransparenz Anwendung, um abschätzen zu können, ob ein ausreichender Wettbewerb vorliegt. Es wird untersucht, inwiefern die Marktstellung vom nachfolgenden Wettbewerb, beispielsweise durch neue Marktteilnehmer (Newcomer) oder auch technologische Entwicklungen, beeinträchtigt wird. Relevant für diese Einschätzung sind vor allem Marktzutrittsbarrieren. Vergleichsmarktkonzept Räumlich: Die Produktpreise des Unternehmens werden auf verschiedenen Märkten verglichen. Hat das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung, wird der Preis im Ausland niedriger sein. Zeitlich: Die Produktpreise des Unternehmens werden zu verschiedenen Zeitpunkten verglichen. Lassen die Schwankungen der Preise auf einen Preiswettbewerb schließen? Gleichbleibende oder steigende Preise lassen auf eine marktbeherrschende Stellung schließen. War es früher billiger als heute? Wenn Preise steigen, sind dann auch die Produktionskosten gestiegen? Beispielsweise fiel 2014 der Ölpreis sehr stark, ohne dass entsprechend auch die Benzinpreise fielen.92 Sachlich: Bei den Marktergebnistests wird untersucht, ob die Güter in Qualität und Menge in Relation zum Preis, also den Marktergebnissen bei Wettbewerb entsprechen und, ob sich die Preise entsprechend den bei normalen Markt- bzw. Wettbewerbsbedingungen vorliegenden Mustern entwickeln. Hierbei finden vor allem Vergleiche mit Produkten anderer Unternehmen auf anderen Märkten Anwendung.  Definition Marktzutrittsbarrieren: alles, was den Markteintritt eines neuen Wettbewerbers erschwert (z. B. Economies of Scope und Scale; Transportkosten, Regularien, Forschungskosten, Marktanteile z. B. Microsoft, Abwehrstrategien etc.).

92Vgl. Die Welt vom 13.11.2014. http://www.welt.de/finanzen/article134280013/Warum-das-Oelbillig-ist-der-Sprit-aber-noch-nicht.html.

7.6 Missbrauchsaufsicht

297

3. Missbraucheiner marktbeherrschenden Stellung Die Überwachung einer marktbeherrschenden Stellung setzt weiterhin die Kontrolle des Wettbewerbsverhaltens des beherrschenden Unternehmens voraus. Der Nachweis der marktbeherrschenden Stellung (Marktmacht) ist somit die notwendige Bedingung und das illegale Marktverhalten als dem eigentlichen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung die hinreichende Bedingung für den Nachweis von Missbrauch. Bei Missbrauch unterscheidet man Ausbeutungsmissbrauch und Behinderungsmissbrauch mit dem Diskriminierungsverbot. Unter Ausbeutungsmissbrauch versteht man in diesem Zusammenhang die Benachteiligung der Marktgegenseite durch die Preissetzung. Die Monopol- oder Kartellrente ist vor allem gegenüber Vorlieferanten und Abnehmern, aber auch Verkäufern wirksam. Damit die Ausbeutungen ermittelt werden können, ist es erforderlich, als Vergleichsmaßstab Aktionsparameter aus Märkten mit ausbeutungsfreiem Leistungswettbewerb heranzuziehen. Auch auf der Nachfrageseite ist ein Ausbeutungsmissbrauch möglich. Bei dem Behinderungsmissbrauch wird die Maximierung der Marktstellungsrente nur indirekt durch die Beschränkung der Konkurrenz verfolgt wie beispielsweise beim Marktzutritt durch Ausschließlichkeitsverträge, Kopplungsverträge und Rabattpraktiken. Hinzu kommt noch das Diskriminierungsverbot (§ 20 GWB). Eine Diskriminierung von Marktteilnehmern wäre bspw.die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen oder eine Benachteiligung bei Preisen und Konditionen. Beispiele

• Rabattpraktiken mit Kunden: Rabattverträge Wenn bspw. ein Lieferant einem Kunden einen 10 Jahresabnahmevertrag gegen die Gewährung eines Rabatts von 20 % anbietet, kann er seine Marktstellung zementieren und Konkurrenz ausschalten. • Ausschließlichkeitsverträge: Ein Hersteller schließt mit seinen Rohstoff-Lieferanten der Seltenen Erden einen Ausschließlichkeitsvertrag, dass ­ sie nur noch an ihn liefern. So haben die Konkurrenten des Herstellers kein Vorprodukt und müssen den Wettbewerb einstellen. • Kopplungsverträge: Man koppelt den Verkauf von einem Produkt an den Kauf von einem anderen Produkt. Beispielsweise könnte Apple den Verkauf des neuen iPhone von dem Kauf eines Macintoshs abhängig machen. • Diskriminierungsverbot: Gibt es z. B. in einem Umkreis von 50 km nur einen Supermarkt, so handelt es sich um eine marktbeherrschende Stellung. Dem Kunden ist nicht zuzumuten, zu einem anderen Supermarkt zu fahren. Die Transaktionskosten wären zu hoch. Vielleicht hat der Kunde auch kein Auto. Der Supermarkt darf dann den Kunden nicht diskriminieren, also muss ihm die Lebensmittel verkaufen. ◄

298

7 Wettbewerbspolitik

Probleme der Missbrauchsaufsicht 1. Die Instrumente sind aufgrund ihrer Unbestimmtheit sehr subjektiv auslegbar und anwendbar. 2. Die Missbrauchsaufsicht wird lückenhaft bleiben. Der Missbrauch einer Marktbeherrschenden Stellung muss nachgewiesen werden. Man braucht einen Kläger oder das zuständige Amt muss selbst tätig werden. 3. Es gibt keinen objektiven Maßstab für die Kosten- und damit auch Preiskalkulation eines Unternehmens. 4. Problem Vergleichsmarktkonzept: Unterschiedlichkeit der Märkte und Unternehmen 5. Es gibt große Auslegungsspielräume bei der Abgrenzung des relevanten Marktes. 6. Es gibt keine objektiven Maßstäbe dafür, wie beispielsweise der Grad einer Marktzugangsbeschränkung oder die Intensität der Verflechtung mit anderen Unternehmen zu messen wäre.

Case Study Microsoft

Lesen Sie die folgenden Artikelausschnitte und diskutieren Sie in der Gruppe die folgenden Fragen: Welche Arten des Missbrauchs warf die EU-Kommission Microsoft vor? Warum „grollt“ die US-Regierung? War das Vorgehen der EU-Kommission Ihrer Meinung nach durchsetzungsstark? 27. Februar 2008, 18:58 Uhr EU gegen Microsoft93 Chronik einer gestörten Beziehung Von Matthias Kremp Freundschaft sieht anders aus. Seit einem Jahrzehnt beharken sich Microsoft und die Europäische Kommission vor Gericht. Das Grundthema ist dabei immer dasselbe: Der Windows-Konzern rückt den Wettbewerbshütern zu wenige Informationen über seine Technologien heraus. (27.02.2008 Der Spiegel). Dieses Jubiläum kommt Microsoft teuer zu stehen. Bereits seit zehn Jahren stehen die Europäische Kommission und der Konzern aus Redmond miteinander im Clinch. Das Thema der Auseinandersetzungen ist immer dasselbe geblieben, wenn auch manchmal in unterschiedlichen Schattierungen: Stets wurde Microsoft vorgeworfen, es würde seine Marktmacht benutzen, um Konkurrenten aus dem Markt zu drücken. Von Anfang an ging es dabei darum, Microsoft zu zwingen, technische Informationen über seine Produkte herauszugeben, die andere Hersteller benötigen, um ihre Produkte mit Microsofts Angeboten zu verbinden. Als Auslöser mag ein Sieg gelten, den der Server-Hersteller Sun Microsystems 1998 gegen Microsoft errang. Damals hatte das Unternehmen vor einen US-Gericht

93Kremp,

Matthias (2008).

7.6 Missbrauchsaufsicht

299

erstritten, dass der Windows-Hersteller seine Programme so umschreiben musste, dass sie besser mit Suns Internet-Programmiersprache Java zusammenarbeiten. Daraufhin beschloss Sun, sich förmlich bei der Europäischen Kommission über die Geschäftspraktiken des US-Konzerns zu beschweren. Der Vorwurf damals: Microsoft würde Konkurrenten vorsätzlich behindern, um seine beherrschende Stellung bei Betriebssystemen für Personalcomputer auch auf den Server-Markt auszudehnen. Sun beklagte damals, Microsoft würde seinem Mitbewerber keine Unterlagen über die Netzwerkprotokolle seiner Betriebssysteme Windows 95, 98 und 2000 zur Verfügung stellen. Dadurch, so Suns Argumentation, seien Microsoft-Kunden quasi gezwungen, sich auch Microsoft-Server anzuschaffen, ein Zustand, der Sun natürlich vergrätzte. Das Windows-2000-Problem Die EU begann daraufhin Untersuchungen, ob Windows 2000 gegen europäisches Kartellrecht verstößt. Microsoft ließ sich davon nicht beeindrucken, brachte das neue Betriebssystem pünktlich wie geplant auf den Markt. Schon damals versprach der Software-Riese, man wolle „umfassend“ mit der EU zusammenarbeiten. Den Vorwurf, das damals neue Windows sei zu eng an Microsofts Server-Software gebunden, mochte man nicht gelten lassen. Schließlich könne man das Produkt auch mit anderen Servern einsetzen. Ruhe gab die EU-Kommission deshalb aber noch lange nicht, sie ermittelte nur still weiter. Im August 2001 dann wurde das Verfahren gegen den Windows-Konzern erweitert. Nun ging es auch noch darum, ob die Verknüpfung des Windows Media Players mit dem Betriebssystem Windows legal sei. Wieder wurde befürchtet, der Konzern könne durch die enge Verzahnung von Windows mit einem Zusatzprodukt seine Konkurrenten aus dem Markt kegeln. Im März 2004 kam es schließlich zur ersten Forderung nach einer Strafzahlung. Der damalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti forderte sagenhafte 497 Mio. € von dem US-Konzern, weil dieser seine Windows-Monopolmacht brutal ausnutze. Vor allem kleine Unternehmen in den Bereichen Server und für Multimedia-Software würden unter Microsofts Geschäftsgebaren leiden, hieß es damals. Grollen der US-Regierung Damit hatte man ihn Redmond offenbar nicht gerechnet. „Wir glauben, es ist einmalig und unangemessen, dass die Kommission ein Bußgeld gegen die US-Aktivitäten eines Unternehmens verhängt“, sagte Microsoft-Anwalt Horacio ­ Gutierrez. Auch die US-Regierung reagierte erbost, drohte, die Entscheidung könne „unbeabsichtigte Folgen“ haben. Microsoft legte Beschwerde gegen die Verfügung ein. Über das Bußgeld hinaus forderte die Kommission von Microsoft allerdings, künftig eine zweite Windows-Version ohne integrierten Windows-Media-Player anzubieten. Zudem sollte der Konzern konkurrierenden Server-Herstellern gegen eine angemessene Lizenzgebühr mehr Patentinformationen zu Windows zur Verfügung zu stellen. Diesen Forderungen kam der Konzern erst mit mehrjähriger Verspätung nach,

300

7 Wettbewerbspolitik

baute in das Service Pack 2 für Windows XP eine Funktion ein, die es ermöglicht, einen anderen als den Windows-Media Player als Standard-Abspielsoftware festzulegen. Im Sommer 2006 verschärfte sich der Streit erneut. Die EU-Kommission warf Microsoft vor, immer noch nicht der Forderung nachgekommen zu sein, seinen Mitbewerbern ausreichende Informationen über Programmschnittstellen zur Verfügung zu stellen. Mehrmals habe man dem Konzern seitdem mit der Strafe in Millionenhöhe, die nun tatsächlich verhängt werden soll, gedroht und den Konzern aufgefordert, seinen Pflichten nachzukommen – ohne Erfolg. Deshalb wurde dem Konzern ein Strafgeld in Höhe von zwei Millionen Euro pro Tag angedroht, sollte er den Forderungen aus 2004 nicht endlich nachkommen. Natürlich ließ sich Microsoft diese Drohung nicht gefallen, focht die Klage sofort an. Microsoft muss einstecken Die Kommission reagierte prompt, legte das Strafgeld am 12. Juli 2006 auf 280,5 Mio. € fest. Rückwirkend 1,5 Mio. € pro Tag bis zum 15. Dezember 2005. Die Kommission kündigte an, sie werde das Strafgeld auf drei Millionen Euro täglich erhöhen, wenn der Konzern den Forderungen nicht umgehend nachkomme. Nicht genug damit, dass die EU-Kommission 2007 das Verfahren erneut um einen Streitpunkt erweiterte und klagte, Microsoft würde seinen Lizenznehmern zu hohe Gebühren abverlangen. Zusätzlich schmetterte ein EU-Gericht Microsofts Einwände ab und bestätigte das 2004 verhängte Bußgeld in Höhe von 496,7 Mio. €. Jetzt lenkt der Konzern ein, verzichtet darauf, erneut in Berufung zu gehen. Tatsächlich bestätigt die EU-Kommission am 22. Oktober, Microsoft habe zugesichert, jetzt wirklich alle Forderungen aus 2004 zu erfüllen, habe sich unter anderem verpflichtet, allen Entwicklern frei verfügbarer Software Schnittstelleninformationen zugänglich zu machen. Genau diese Verpflichtung hat der Konzern vergangene Woche eingelöst. Am 14. Januar (2008) eröffnet die Europäische Kommission ein neues Verfahren gegen den Windows-Riesen. Aufhänger war diesmal eine Beschwerde des norwegischen Browserherstellers Opera. Der klagte, Microsoft habe nicht ausreichende technische Informationen bereitgestellt, damit die Firma ihre Produkte an Windows anpassen kann. Quelle: SPIEGEL ONLINE vom 27.02.2008, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/ eu-gegen-microsoft-chronik-einer-gestoerten-beziehung-a-538191.html © SPIEGEL ONLINE 2013 Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH Brüssel, 16. Dezember 2009: Kartellrecht: Kommission akzeptiert Verpflichtungszusagen von Microsoft, Nutzern bei Webbrowsern Wahlfreiheit zu geben Die Europäische Kommission hat per Beschluss Verpflichtungszusagen für rechtsverbindlich erklärt, die Microsoft zur Förderung des Wettbewerbs auf dem Markt für Webbrowser angeboten hat. Microsoft reagierte mit seinen Zusagen auf Bedenken der Kommission, dass das Unternehmen durch die Koppelung seines Webbrowsers Internet Explorer an das PC–Betriebssystem Windows möglicherweise gegen das Verbot des­

7.7 Fusionen

301

Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, kurz AEUV) verstoßen hat. Microsoft hat zugesagt, den Nutzern von Windows in Europa die Wahl zwischen verschiedenen Webbrowsern zu ermöglichen und Computerhersteller und Nutzer in die Lage zu versetzen, den Internet Explorer abzuschalten. Ferner veröffentlicht Microsoft heute eine Selbstverpflichtung, der zufolge das Unternehmen umfassende Interoperabilitätsinformationen zugänglich machen wird (Quelle: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-09-1941_de.htm). Schließlich verurteilte die EU-Kommission im März 2013 Microsoft zu einer Geldbuße in Höhe von 561 Mio. € wegen unlauterer Geschäftspraktiken. Der Vorwurf lautete, Microsoft habe von Mai 2011 bis Juli 2012 seine Vormachtstellung auf dem Markt ausgenutzt, um Kunden zur Nutzung der eigenen Produkte zu zwingen – und Konkurrenten benachteiligt. Mit Windows 7 war für 15 Mio. Nutzer nur der Internet Explorer von Microsoft nutzbar. Microsoft habe es versäumt, ein Wahlrecht für die Benutzung von Browsern von Konkurrenten anzubieten.94 ◄ Lösung Behinderungsmissbrauch: 1. Microsoft hat über Jahre die Windows-Software an die PC-Hersteller kostenlos oder sehr günstig weitergegeben und damit eine dominante Marktposition mit dem Betriebssystem Windows erlangt. Wenn Microsoft Sun und anderen Konkurrenten nicht die Netzwerkprotokolle offenlegt, können sie keine Programme für Windows schreiben. Microsoft kann so seine marktbeherrschende Stellung hier übertragen. 2. Kopplungsvertrag: Microsoft Windows wird nur zusammen mit dem Media Player und Internet-Browser verkauft. Damit kann Microsoft seine dominante Marktstellung auf den Markt für Media Player und Internet-Browser übertragen. Die anderen Anbieter von Media Player und Internet-Browser werden ihre Produkte nicht mehr verkaufen können und das Angebot einstellen. Anschließend kann Microsoft die Produkte wieder entkoppeln und alle drei Produkte als Monopolist zu einem höheren Preis anbieten.

7.7 Fusionen  Definition  Unter Fusionen versteht man wettbewerbspolitisch Unternehmenszusammenschlüsse, bei denen mindestens eine Wettbewerbseinheit ihre Selbstständigkeit aufgibt. Fusionen sind auch die Bildung von sog. Konzernen oder Trusts, bei der selbstständige Unternehmen über eine mehrheitliche Kapitalbeteiligungen eine einheitliche Leitung haben. 94Vgl.

Spiegel-online vom 06.03.2013.

302

7 Wettbewerbspolitik

Mittels der Aufgreifkriterien für die deutsche Fusionskontrolle versucht der Gesetzgeber alle Fälle abzudecken, bei denen ein Unternehmen unter den potenziell beherrschenden Einfluss eines oder mehrerer anderer Unternehmen gerät. Das EU-Recht sieht eine eigene Zusammenschlusskontrolle für Groß-Fusionen von gemeinschaftsweiter Bedeutung durch die Kommission vor (liegt im Ermessen der Kommission, Sperrwirkung). Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt (GWB §§ 35–43). 1. Anmeldepflicht: Ein Zusammenschluss, bei dem ein Unternehmen ein anderes erwirbt oder die Kontrolle über das andere Unternehmen übernimmt, mindestens 25 %, bzw. 50 % des Aktienpakets erwirbt, oder auf sonstige Weise erheblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen gewinnt, muss vor dem Vollzug beim Bundeskartellamt angemeldet werden (präventive Fusionskontrolle). Umsatzschwellen: Der Weltumsatz der Unternehmen beträgt zusammen mehr als 500 Mio. €; der Deutschland-Umsatz eines der beteiligten Unternehmen mehr als 25 Mio. € sowie eines Unternehmens mehr als 5 Mio. € (Aufgreifkriterium).95 2. Prüfung Das Bundeskartellamt prüft, ob durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Wenn das der Fall ist, untersagt es die Fusion. Bis Ende 2006 gab es bspw. 164 Untersagungen. Ignorieren die Unternehmen das Fusionsverbot, können die fusionierten Unternehmen wieder entflochten werden. Dagegen können Rechtsmittel (Oberlandesgericht Düsseldorf, BGH) eingelegt werden oder ein Antrag auf Ministererlaubnis gestellt werden. Beispielsweise liegt zum Fusionsantrag RWE Energy/SaarFerngas folgender Beschluss vor: http:// www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Fusion/Fusion09/B8-163-08.pdf Die sogenannte Abwägungsklausel (§ 36 I Abs. 2 GWB) gibt den Unternehmen die Möglichkeit eines verbotsabwendenden Nachweises, indem sie belegen, dass durch die Fusion Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. Denkbar wäre hier die Fusion von kleinen Unternehmen, da sie den Wettbewerb stärken kann, wenn bereits eine andere marktbeherrschende Stellung vorliegt.

95Die

9. GWB Novelle legt noch in Art. 35 GWB als weiteres Kriterium einen Wert der Gegenleistung des Zusammenschlusses mit 400 Mio. € fest. Das bedeutet: ist der Kaufpreis größer als 400 Mio. € muss die Fusion angemeldet werden. Ziel ist es hierbei, auch marktstarke Internetunternehmen mit einem geringen Umsatz zu erfassen. Vgl. http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0201-0300/207-17.pdf?__blob=publicationFile&v=5; https://www.bmwi.de/Redaktion/­ DE/Downloads/Gesetz/neuntes-gesetz-zur-aenderung-des-gesetzes-gegen-wettbewerbsbesch­ raenkungen.pdf?__blob=publicationFile&v=4 sowie https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/­ Wirtschaft/gwb-novelle.html.

7.7 Fusionen Abb. 7.15   Angemeldete Zusammenschlüsse. (Quelle: Bundeskartellamt, Jahresbericht 2015, S. 21 http://www.bundeskartellamt. de/SharedDocs/Publikation/ DE/Jahresbericht/ Jahresbericht_2015.pdf?__blob =publicationFile&v=2)

303

Beim Bundeskartellamt angemeldete Zusammenschlüsse 2009 bis 2018

998

1.108 1.127 1.091

1.188 1.211

1.229

1.303

1.383

987

2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

3. Ministererlaubnis Der Bundeswirtschaftsminister kann einen Zusammenschluss genehmigen, wenn die Wettbewerbsbeschränkung durch gesamtwirtschaftliche Vorteile oder durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit aufgewogen wird. Als Interessen der Allgemeinheit wären zum Beispiel die Arbeitsplatzsicherung und die Versorgungssicherung sowie wirtschaftliche Gründe wie Effizienzgewinne denkbar. Ein großes Unternehmen produziert oft kostengünstiger als mehrere kleine. Dies ist besser für den Verbraucher, da das Produkt billiger wird (produktive Effizienz). Der Wirtschaftsminister steht so gesehen für das Wohl der Allgemeinheit und soll hier die wettbewerblichen Aspekte (allokative Effizienz) mit den übergeordneten Argumenten (einschließlich der produktiven Effizienz) abwägen. Das Kartellamt sieht die Fusion nur aus Wettbewerbssicht. Entwicklung der Fusionen und der Ministererlaubnis Die Schwankungen der Fusionen bzw. Übernahmen (Abb. 7.15) entstehen vor allem durch die Schwankungen der Finanzierungsmöglichkeiten. Die Anmeldungen zu Fusionen verhalten sich gleich zu konjunkturellen Daten, da Banken nur bei einer guten konjunkturellen Situation die Finanzierung übernehmen. Seit 1974 gab es bisher nur 23 Anträge auf Ministererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB, davon wurde 10x die Ministererlaubnis erteilt, hiervon dreimal im Energiesektor und nur hier gegen das Votum der Monopolkommission (vgl. Abb. 7.16). Zur Verdeutlichung des Energiesektors: 80 % des Stromangebotes wird von 4 großen Unternehmen erzeugt (EON, RWE, EnBW und Vattenfall).

304

7 Wettbewerbspolitik Lfd. Nr.

Fall

Antrag

1

VEBA/GELSENBERG

09.01.74

2

VAW/KAISER/PREUSSAG

24.01.75

3

BABCOCK/ARTOS

28.04.76

4

THYSSEN/HÜLLER-HILLE

27.01.77

5

SACHS/GKN

21.03.78

6

VEBA/BP

04.10.78

7

IBH/WIBAU

07.08.81

8

BURDA/SPRINGER

17.11.81

9

KLÖCKNER/SEN

08.11.84

10

VEW/SIDECHAR

19.07.85

11

RHEINMETALL/WMF

23.07.85

12

DAIMLER-BENZ/MBB

02.05.89

13

MAN/SULZER

20.09.89

14

DAIMLER-BENZ/ MAN/ENASA BAYWA/WLZ

14.08.90

POTASH CORP./ KALI UND SALZ E.ON/RUHRGAS

27.03.97

15 16 17 18 19 20 21 22 23

HOLTZBRINCK/ BERLINER VERLAG Landkreis RhönGrabfeld/Rhön Klinikum AG Asklepios Kliniken Hamburg/Krankenhaus Mariahilf Uniklinikum Greifswald/ Kreiskrankenhaus Wolgast EDEKA/Kaiser’s Tengelmann Miba/Zollern

29.01.92

15.02.02, 04.03.02 13.01.03 16.01.06 28.09.07 07.12.07 29.04.15 18.02.19

Votum Monopolkommission

Ergebnis

Nicht erteilen (nachträglich) Erteilt 01.02.74 Nicht erteilen Nicht erteilt 26.06.75 Nicht erteilen Erteilt mit Auflagen 17.10.76 Erlaubnis von 33% erteilen Teilerlaubnis mit Entflechtungsauflage 45% Beteiligung erlaubt 01.08.77 Zurückgenommen 29.05.78 Nicht erteilen Erteilt mit Auflagen 05.03.79 Erteilen Erteilt 09.12.81 Nicht erteilen Zurückgenommen 06.01.83 Nicht erteilen Zurückgenommen 22.07.85 Nicht erteilen Nicht erteilt 20.02.86 Zurückgenommen 14.01.86 Erteilen mit Auflagen Erteilt mit Auflagen 06.09.89 Nicht erteilen Nicht erteilt 24.01.90 Zurückgenommen 21.09.90 Nicht erteilen Nicht erteilt 16.06.92 Nicht erteilen Nicht erteilt 22.07.97 Nicht erteilen Erteilt mit Auflagen 05.07.02 u. 18.09.02 Nicht erteilen Zurückgenommen 29.09.03 Nicht erteilen Nicht erteilt 22.05.06 Nicht erteilen Zurückgenommen 28.02.08 Erteilen Erteilt 17.04.08 Nicht erteilen Erteilt mit Nebenbestimmungen 09.03.2016 Nicht erteilen Erteilt mit Nebenbestimmungen 19.08.2019

Abb. 7.16   Ministerentscheidungen bei der Fusionskontrolle. (Quelle: BMWI, Übersicht über die bisherigen Anträge auf Ministererlaubnis nach § 24 Abs. 3/§ 42 GWB, https://www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Downloads/Wettbewerbspolitik/antraege-auf-ministererlaubnis.html, 10.02.2020)

Fusionskontrolle durch die EU-Kommission Auch auf EU-Ebene gibt es ein Verbot von Zusammenschlüssen, die eine marktbeherrschende Stellung im EU-Markt begründen. Auch hier müssen die Fusionen in Abhängigkeit von Umsatzkriterien bei der Wettbewerbsbehörde (EU-Kommission) zur Kontrolle angemeldet werden.

7.7 Fusionen

305

Umsatzkriterien als Aufgreifschwelle für die Anmeldepflicht (Zuständigkeit) bei der EU-Kommission (Verordnung [EG] Nr. 139/2004 des Rates)96 1. Die internationalen Unternehmen haben zusammen einen weltweiten Umsatz von mehr als 5 Mrd. €, davon zwei der Unternehmen mindestens 250 Mio. 2. Weltweiter Umsatz >2,5  Mrd.  € und mind. 2 EU-Unternehmen mit Umsatz >100 Mio. € und alle Unternehmen erzielen in mindestens drei EU-Staaten mehr als 100 Mio. € Umsatz und mindestens zwei der Unternehmen haben in jedem dieser drei EU-Staaten einen Umsatz von mehr als 25 Mio. €. Ausnahme: mehr als 2/3 des Umsatzes der Unternehmen wird in einem EU-Staat erzielt. Die EU-Kommission erfasst damit die großen Fusionen und die Fusionen, die in mehreren Mitgliedstaaten eine Fusionskontrollverfahren auslösen würden, was die Unternehmen bei der Durchführung des Verfahrens entlastet. Bei den Fusionen wirkt sich die Globalisierung aus, mit einem Schwerpunkt auf der Stärkung der Marktposition. Zielten in den Jahren 1985–1986 noch 46,5 % der Fusionen auf die Nutzung von Synergieeffekten und Rationalisierungspotenzialen, sind es 1991– 1992 nur noch 16,2 %. Umgekehrt entwickelten sich die Motivationen Expansion und/oder Stärkung der Marktposition. Hatten 1985–1986 nur 27,7 % der Fusionen diese Zielsetzung, waren es in den Jahren 1991–1992 immerhin 76,8 %. Es lässt sich folglich festhalten, dass neuerdings vor allem Markteroberungs- oder Verteidigungsstrategien hinter den Fusionen stehen, wohingegen Forschungsprojekte überwiegend mittels der weniger aufwendigen und weniger tief gehenden strategischen Allianzen bzw. Kooperationen verfolgt werden.97 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob nationale Wettbewerbsbehörden immer objektiv und unbeeinflusst von den vermeintlichen Interessen des eigenen Landes die Fusionen ihrer inländischen Unternehmen bewerten, also die Verringerung des Wettbewerbs auf den ausländischen Märkten mit den Effizienzgewinnen aus der Fusion abwägen. Beispielsweise wurde die Fusion zwischen Boeing und McDonnell-Douglas von der amerikanischen Federal Trade Commisison (FTC) trotz einem weltweitem Marktanteil von 70 % (Airbus 30 %) genehmigt, wohingegen die EU-Kommission die Fusion beinahe verboten hätte. Andererseits genehmigte die EU-Kommission die Fusion von Mannesmann-Vallourec/Ilva trotz eines Marktanteils von 70 % aufgrund eines nicht spezifizierten potenziellen Wettbewerbs japanischer Unternehmen. Die starke Bedeutung, die der Markteroberung bzw. Marktverteidigung beigemessen wird, entspricht dem Globalisierungstrend und ist für die Wettbewerbspolitik aufgrund der damit verbundenen Reduzierung der Anbieter und als Folge auch der Wettbewerbsintensität von besonderer Bedeutung. Es ist zwar anzunehmen, dass die verstärkten

96Vgl. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32004R0139:DE:HTML (30.09.2016). 97Vgl. Conrad, Christian, A. (2005), p. 157.

306

7 Wettbewerbspolitik

internationalen Fusionsaktivitäten überwiegend eine Folge der Zunahme der Wettbewerbsintensität aufgrund der Globalisierung sind und die strategischen Allianzen vor allem das Ziel haben, die Forschungseffizienz zu erhöhen. Internationale Preiskartelle oder Monopole können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Fusionen stellen, insofern sie die Marktinteressen von unterschiedlichen Akteuren bündeln, eine Gefahr für den Wettbewerb und damit auch für den internationalen Marktzugang dar. Eine Konzentration der Marktmacht durch Unternehmenszusammenschlüsse behindert den Wettbewerb nicht nur durch die Machtkonzentration, was Machtmissbrauch beispielsweise durch eine monopolistische Preissetzung möglich macht, sondern schwächt auch den dynamischen Wettbewerb durch die Verringerung der Anzahl der Teilnehmer am Such- und Entdeckungsverfahren. Strategische Allianzen werden in der industrieökonomischen Literatur aufgrund von Synergieeffekten vor allem in der Forschung, der Bündelung von Ressourcen und der erwarteten positiven Spill-over-Effekte auf andere Industriebereiche überwiegend positiv beurteilt. Die ­ Reduzierung der Teilnehmer ist jedoch in aller Regel gleichbedeutend mit einer Verringerung der Vielzahl der Forschungsausrichtungen. Kriterien der EU-Kommission für Fusionsgenehmigungen 1. Marktstellung und wirtschaftliche Macht, insbesondere Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. 2. Zukünftiger Wettbewerb, unter Berücksichtigung der Struktur der Märkte und dem tatsächlichen und potenziellen Wettbewerb innerhalb und außerhalb der EU. 3. Daraus folgend die Wahrscheinlichkeit von Preiserhöhungen SIEC-Test (Significant Impediment to Effective Competition). 4. Rule of Reason: Abwägen allokative versus produktive Effizienz Anders als bei der deutschen Fusionskontrolle, wo eine Berücksichtigung nichtwettbewerbspolitischer Aspekte erst im Rahmen einer Ministererlaubnisprüfung stattfindet, wägt die EU-Kommission alle Vor- und Nachteile der Fusion im Rahmen der Fusionsgenehmigung als Einzelfallentscheidung (Rule of Reason) gegeneinander ab. Eine Marktbeherrschung durch große Unternehmen reduziert den Wettbewerb und damit auch die Wohlfahrt, die sich hieraus für die Verbraucher ergibt. Umgekehrt können große Unternehmen Kosteneinsparungen aus Economies of Large Scale oder Economies of Scope realisieren, was ebenfalls Wohlfahrtsgewinne bedeutet. Ist die Marktmacht zu groß, werden die Unternehmen diese Effizienzvorteile (produktive Effizienz) allerdings nicht an die Verbraucher weitergeben. Die EU-Kommission entscheidet somit den sog. Williamson-trade-off als den Zielkonflikt zwischen produktiver und allokativer Effizienz. In den EU-Kommissionsleitlinien findet sich die „generelle Berücksichtigung von Effizienzvorteilen sowie der Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“ durch die Fusion. Hinzu kommt die Berücksichtigung von Wohlfahrtsumlenkungen durch die Schaffung von Global Playern oder Global Champions. Gemäß der Neuen Außenhandelstheorie ist

7.7 Fusionen

307

es durch Schaffung großer international Wettbewerbsfähiger Unternehmen möglich, ein sog Rent Shifting, also einen Wohlfahrtstransfer vom Ausland ins Inland zu erreichen. Die EU-Kommission sieht den EU-Binnenmarkt gegenüber dem amerikanischen als benachteiligt an, weil er viel später gegründet wurde. Aufgrund der historischen Zersplitterung der europäischen Märkte gibt es in der EU auch relativ zu den USA kleinere und damit international weniger wettbewerbsfähige Unternehmen. Gelingt nun durch einen Fusion bspw. eines französischen mit einem deutschen Unternehmen die Schaffung eines solchen globalen Konzerns, kann dieser im Ausland Produkte absetzen und damit Gewinne nach Europa umlenken und Arbeitsplätze schaffen. Blaupause eines solchen Global Players ist das Unternehmen Airbus, das politisch als Ausgleich des Monopols von Boeing im Markt für Passagier-Flugzeuge geschaffen wurde. Frankreich, Großbritannien und Deutschland schufen ein gemeinsames Unternehmen zur Produktion von Passagierflugzeugen aus nationalen Unternehmen. Zur Überwindung der Markteinstiegsbarrieren wurden Subventionen gezahlt.98 Der Staat (bzw. die EU-Kommission) könnte somit die nationale Wohlfahrt erhöhen, indem er die Entstehung solcher Großunternehmen in den betroffenen Branchen fördert. Er könnte Zusammenschlüsse initiieren, das Wachstum durch finanzielle Zuschüsse unterstützen oder sogar neue staatliche Großunternehmen künstlich schaffen. Die Überwindung von Marktzutrittsbarrieren ließe sich durch staatliche Zuschüsse erleichtern und auf diese Weise Unternehmensaktivitäten in Bereichen anregen, die ansonsten ausländische Unternehmen besetzen würden. Gemäß der „Neuen Außenhandelstheorie“ können mit Subventionen und insbesondere mit staatlicher Forschungsförderung Markteinstiegsbarrieren überwunden bzw. für die ausländischen Unternehmen neue Barrieren und damit Wettbewerbsvorteile für die inländische Industrie geschaffen werden. Gelingt es, durch eine solche staatliche Aktivität internationale Nachfrage auf inländische Unternehmen umzulenken, so erhöhen sich die Größenvorteile – sozusagen als eine Effizienzrente – zusätzlich auf Kosten der ausländischen Produzenten. In der Terminologie der „Neuen Außenhandelstheorie“ heißt dies „rent-shifting“.99 Die Neue Außenhandelstheorie kann als theoretische Basis des „Neuen Protektionismus“ bezeichnet werden. Für die klassische Außenhandelstheorie garantiert Freihandel die optimale Arbeitsteilung und Ressourcenallokation. Nach Ricardo würde sogar eine einseitige Außenhandelsliberalisierung dem importierenden Land Vorteile bringen.100 Gemäß Euckens Forderung nach innen und außen offenen Märkten, ergänzt der Freihandel den inneren durch den äußeren Wettbewerb und garantiert durch den kontinuierlichen Anpassungsdruck die effizienteste Produktion. Außenhandelspolitik und Wettbewerbspolitik sind komplementär. Die Neue Außenhandelstheorie konstatiert

98Vgl.

Kösters, Wim (1992, S. 49–56). Siebert, Horst und Rauscher, Michael (1991); Siebert, Horst (1988); sowie Van Bergeijk, Peter A. G. und Kabel, Dick L. (1993). 100Vgl. Conrad, Christian A. (2003). 99Vgl.

308

7 Wettbewerbspolitik

hingegen einen Zielkonflikt zwischen Handels- und Wettbewerbspolitik. Ausgehend von den Produktionsbesonderheiten einzelner Branchen leitet sie mikroökonomisch die staatliche Aufgabe ab, durch gezielte industrie- und außenhandelspolitische Eingriffe die nationale Wohlfahrt zu steigern.101 Die hieraus abgeleitete Wirtschaftspolitik nennt man strategische Handelspolitik.102 Neuere Forschungsergebnisse bestätigen die Hypothesen der „Neuen Außenhandelstheorie“. Allerdings handelt es sich hierbei um Partialmodelle, die von sehr speziellen Annahmen ausgehen. Beispielsweise wird eine Reaktion des durch das „rent-shifting“ benachteiligten Landes nicht einkalkuliert. Ein Problem stellt die fehlende empirische Fundierung der „Neuen Außenhandelstheorie“ dar. Die empirischen Kostenverläufe der meisten Branchen sind unbekannt. Ferner geht die „Neue Außenhandelstheorie“ von einem statischen Vergleich aus. In der dynamischen Betrachtung wirken noch andere Einflüsse auf die Effizienz der betreffenden Branchen ein.103 So entstehen infolge der mit Fusionen einhergehenden Konzentration zusätzliche gesamtwirtschaftliche Kosten durch Wettbewerbsbehinderungen, die den Effizienzgewinnen aus den sinkenden Durchschnittskosten gegenüberstehen. Ferner treten bei zunehmender Größe eines Unternehmens Effizienzverluste auf, die durch die höheren Organisationskosten, fortschreitende Bürokratisierung und zunehmende Entfernung der Entscheidungsträger zum Markt verursacht werden.104 Die gesamtwirtschaftlich optimale Betriebsgröße bildet sich bei freiem Wettbewerb nach innen und außen automatisch heraus: Ist ein Unternehmen zu klein, zwingen es die aufgrund der mangelnden Economies of large scale relativ zu größeren Unternehmen hohen Durchschnittskosten, entweder dazu, die Betriebsgröße zu erweitern oder aus dem Markt auszusteigen. Ist ein Unternehmen zu groß, zwingen bei Wettbewerb die Kosten der Größenineffizienzen und die Kosten der nicht ausgelasteten Kapazitäten es ebenfalls zum Marktaustritt oder zumindest zur Verkleinerung der Produktion oder zur Aufgabe unrentabler Produktionsbereiche. Nicht zuletzt werden die Effizienzgewinne aus Economies of large Scale nur dann gesamtwirtschaftlich wirksam, wenn ausreichend Wettbewerb vorherrscht, der die Unternehmen zur Weitergabe der Kostenvorteile in Form von Preissenkungen zwingt. Der letzte, nachhaltigste Kritikpunkt ist, dass eine Verhaltensausrichtung

101Vgl.

Helpman, Elhanan und Krugman, Paul R. (1989, S. 2); sowie Molsberger, Josef (1994, S. 428 f.). 102Vgl. Bletschacher, Georg (1992); Siebert, Horst (1988); Bletschacher, Georg und Klodt, Henning (1992); Welzel, Peter (1991); Holzkämper, Hilko (1995, S. 139 ff.); Szettele, Dieter (2000, S. 61 ff.); sowie Christl, Claudius (2001, S. 64 ff.). 103Vgl. Siebert, Horst und Rauscher, Michael (1991, S. 505 f.); Bergeijk, Peter A. G. und Kabel, Dick L. (1993, S. 185); Szettle, Dieter (2000, S. 306); Krüger, Malte (1998, S. 222); sowie Christl, Claudius (2001, S. 39 ff.). 104So wurde ein negativer empirischer Zusammenhang zwischen der Größe von Forschungsabteilungen und der dem Marktanteil von Unternehmen festgestellt. Vgl. Bruke, Terry (1991, S. 221).

7.8  Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

309

gemäß den Politikempfehlungen der „Neuen Außenhandelstheorie“ unweigerlich zu einem Protektionswettlauf führt.105 Fazit

In der Praxis stößt die Durchsetzung von Fusionsverboten auf einige Probleme. Die Unzulänglichkeiten des Eingriffskriteriums der marktbeherrschenden oder marktdominierenden Stellung setzen sich in der Fusionskontrolle fort, da dieses Kriterium auch hier Eingriffsvoraussetzung ist. Auch die Größenkriterien erscheinen vor dem Hintergrund der Nichtabgrenzbarkeit des relevanten Marktes als willkürlich. Hinzu kommt, dass hierbei strukturelle Veränderungen und Branchenbesonderheiten nicht berücksichtigt werden können. Da – wie bereits dargelegt – der Nachweis der Marktbeherrschung schwierig ist, entscheiden die Wettbewerbsorganisationen in Zweifelsfällen eher zugunsten der Zusammenschlüsse. So hatte die EU bis Februar 1998 erst 8 Fusionen untersagt. Trotzdem darf die Wirkung einer Fusionskontrolle nicht unterschätzt werden, da der Genehmigungsvorbehalt bereits viele Unternehmen von wettbewerbsbeschränkenden Fusionen abhalten dürfte. ◄

7.8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) trat erstmalig 1909 in Kraft, was das altdeutsche Wort „unlauter“ erklärt. Heute würde man von dem „Gesetzt gegen den unfairen Wettbewerb“ sprechen. Dieses Gesetz soll zuallererst die Anbieter vor unfairem Wettbewerb schützen. Es erlaubt Klagen gegen den unfairen Wettbewerb, der auch die Verbraucher schädigt und stellt auf diese Weise indirekt einen Verbraucherschutz sicher. Es ist allerdings kein Verbraucherschutzgesetz, da auf Basis des UWG nur Unternehmen klagen können. Es wurde 2004 weitgehend novelliert (ergänzend 2008) und 2015. Mittlerweile sind Sonderveranstaltungen und Räumungsverkäufe nicht mehr geregelt, befristete Rabatte jederzeit möglich und es wurde ein Gewinnabschöpfungsanspruch eingeführt. Das UWG regelt bspw. § 3 UWG Unlautere geschäftlichen Handlungen. Preisangaben müssen klar definiert sein.

105Vgl.

Weizsäcker, C. Christian von und Waldenberger, Franz (1992, S. 404); sowie Bergeijk, Peter A. G. und Kabel, Dick L. (1993, S. 175). Folgen die Staaten den Vorgaben der neuen Außenhandelstheorie, so wäre es die Aufgabe einer internationalen Wettbewerbsordnung, eine „beggar-thy-neighbour-policy“ zur Mehrung der internationalen Wohlfahrt zu vermeiden. Vgl. Christl, Claudius (2001, S. 47).

310

7 Wettbewerbspolitik

Beispiel: Ein Auto kostet 20.000 €. Dieser Preis gilt für die Grundausstattung → muss deutlich zu erkennen sein. § 4 UWG Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit oder einer Zwangslage, Verkaufsförderung durch Gewinnspiele, wenn sie geeignet sind, die Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung spürbar zu beeinträchtigen (Jugendliche). § 5 UWG Irreführende geschäftliche Handlungen. Die Eigenschaften des Produktes müssen ersichtlich sein. Kein unlauterer Einfluss auf Dritte über Freiberufler (z. B. Ärzte), § 6 UWG Vergleichende Werbung. Es darf nicht negativ über einen Konkurrenten in der Werbung gesprochen werden. § 7 UWG Unzumutbare Belästigung (unaufgeforderte Telefonwerbung, unangeforderte Newsletter, Spam-E-Mail etc.). Zur Durchsetzung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb wurde die sog. Wettbewerbszentrale als eine unabhängige Selbstkontrollinstitution der deutschen Wirtschaft geschaffen. Grundlage ihrer Tätigkeit ist die Verbandsklagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb) und § 33 Abs. 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Es ist ihr Auftrag, durch Rechtsforschung, Rechtsberatung, Information und Rechtsdurchsetzung zur Förderung eines lauteren Geschäftsverkehrs und eines fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs beizutragen. Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit haben nur Mitbewerber oder Verbände (Wettbewerbszentrale, klagt auch für Konsumenten) über eine Beschwerde bzw. den Gerichtsweg (Schutz des fairen Wettbewerbs, d. h. indirekter Verbraucherschutz). Mehr als 12.000 Anfragen und Beschwerden wurden von der Wettbewerbszentrale 2015 bearbeitet. Abb. 7.17 und 7.18 geben einen Überblick. Zusammenfassung

Die Fusionskontrolle soll das Entstehen von marktbeherrschenden Stellungen verhindern, wohingegen die Missbrauchsaufsicht eine Wettbewerbsbeschränkung durch eine bereits existierende marktbeherrschende Stellung verhindern soll. In beiden Fällen muss die Wettbewerbsbehörde den relevanten Markt abgrenzen, die

7.8  Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

311

Übersicht Beschwerden und Anfragen Belästigende Werbung 4%

Verschiedenes 7%

Irreführung,Transparenz, Informationspflichten Per se verbotene Geschäftspraktiken Verstöße gegen Marktverhaltensregeln Belästigende Werbung Verschiedenes

Irreführung,Transparenz, Informationspflichten 53 %

Verstöße gegen Marktverhaltensregeln 31 %

Per se verbotene Geschäftspraktiken 5%

Abb. 7.17   Übersicht über Beschwerden und Anfragen der Wettbewerbszentrale. (Quelle: Wettbewerbszentrale: Jahresbericht 2018, S. 38. https://www.wettbewerbszentrale.de/de/institution/ jahresberichte/)

Irreführung über geschäftliche Verhältnisse 19%

Irreführung über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung 20%

Sonstige allgemeine Irreführung 5%

Mangelnde Transparenz, fehlende Kennzeichnung, Unterlassen gesetzlich vorgeschriebener Informationen 34%

Irreführende, intransparente Preisangaben 22%

Abb. 7.18    Irreführung, mangelnde Transparenz, Informationspflichten. (Quelle: Wettbewerbszentrale: Jahresbericht 2015, S. 40. https://www.wettbewerbszentrale.de/de/institution/jahresberichte/)

Konzentration messen und die Wettbewerbssituation mittels Markttests einschätzen. Bei der Missbrauchsaufsicht kommt ferner der Nachweis eines Missbrauchs hinzu. Das UWG schützt die Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb.106 ◄

106Koch,

W. S. et al. (2008); sowie Schmidt, Ingo und Haucap, Justus (2013).

312

7 Wettbewerbspolitik

Übungsaufgaben 1. Wie ist der Ablauf der Missbrauchsaufsicht? 2. Erklären Sie die verschiedenen Formen des wettbewerblichen Missbrauchs. 3. Wie ist der Verfahrensablauf der deutschen und der europäischen Fusionskontrolle, und welche zwei wesentlichen Unterschiede gibt es hierbei zwischen deutscher und europäischer Fusionskontrolle? 4. Was ist der Zweck des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)? Welche Funktion übernimmt die sog. Wettbewerbszentrale? Nennen Sie zwei Beispiele für unlauteren Wettbewerb, die gemäß UWG verboten sind.

7.9 Internationale Wettbewerbspolitik 7.9.1 Internationale Fusionskontrolle Gemäß der sogenannten Effects Doctrine (auch Auswirkungs- oder Extraterritorialprinzip genannt), kann das nationale Wettbewerbsrecht gegen sämtliche Wettbewerbsbeschränkungen im Inland, also auch gegen die von ausländischen Unternehmen, angewandt werden. Eine internationale grenzüberschreitend koordinierte Fusionskontrolle findet derzeit nicht statt. Gemäß der Effects Doctrine107 sind zwar auch reine Auslandsfusionen bei den nationalen Wettbewerbsbehörden anzumelden, sofern sie sich auf den inländischen Wettbewerb auswirken. Die von den jeweils betroffenen nationalen Wettbewerbsbehörden durchgeführte Fusionskontrolle ist jedoch aufwendig, zeitintensiv und für die internationalen Konzerne nicht kalkulierbar, da sie die Genehmigungen in jedem Land beantragen müssen, in dem sie wirtschaftliche Aktivitäten aufweisen und hierbei auf die jeweils verschiedenen Rechtssysteme einzugehen haben. Sowohl für die Firmen als auch für die Wettbewerbsbehörden entstehen hierbei hohe Kosten. Bei grenzüberschreitenden Handelsaktivitäten kommt es zu mehrfachen Untersuchungen der gleichen Marktstellung durch unterschiedliche nationale Wettbewerbsbehörden, da immer auch die Marktmacht auf Auslandsmärkten berücksichtigt wird.108 Beispielsweise hätten der kanadische Aluminiumproduzent ALSAN, die Schweizer ALGROUP und das französische Unternehmen PECHINEY in 40 Staaten ihre Fusion beantragen müssen.109 Es kann darüber hinaus zu überzogenen Fusionsauflagen kommen, wenn beispielsweise verschiedene nationale Wettbewerbsbehörden den Verkauf

107Gemäß

der sogenannten Effects Doctrine (auch Auswirkungs- oder Extraterritorialprinzip genannt), kann das nationale Wettbewerbsrecht gegen sämtliche Wettbewerbsbeschränkungen im Inland, also auch gegen die von ausländischen Unternehmen, angewandt werden. Es handelt sich hierbei um einen Rechtsgrundsatz, der vor allem von den USA angewandt wird und international umstritten ist. Die USA wendeten die Effects Doctrine als erstes Land an, Vgl. Rishikesh, Deepa (1991, S. 34 f.); Immenga, Ulrich (1996a, S. 596, b, S. 156 f.); sowie Pengilley, Warren (1997, S. 22 f.). 108Vgl. Motta, Massimo und Omida, Fabrizio (1997, S. 83); sowie Bridgeman, John (2002, S. 61). 109Vgl. Handelsblatt (16. August 2000), S. 12.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

313

unterschiedlicher Sparten oder Tochtergesellschaften fordern, wobei jeder Verkauf bereits die angestrebte Reduzierung der Marktmacht gewährleisten würde.110 Trotzdem richtete sich die Analyse vor allem auf die inländischen Märkte, weshalb selbst bei identischen Analysemethoden die nationalen Wettbewerbsbehörden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.111 Die grenzüberschreitenden Fusionsaktivitäten, Übernahmen und Beteiligungen haben in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Das Transaktionsvolumen der weltweit erfassten Zusammenschlüsse und Übernahmen erreichte 1998 mit 2,5 Billionen US$ das Fünffache des Niveaus der frühen 90er Jahre.112 Auch die Zahl der internationalen Kooperationen hat stark zugenommen. Grenzüberschreitende illegale Preiskartelle können hingegen nur dann statistisch erfasst werden, wenn sie von Wirtschaftsräumen, die mit Kartellbehörden ausgestattet sind ausgehen und aufgedeckt werden, was selten der Fall ist. Die meisten Staaten versuchen, Monopole und Kartelle aus wettbewerbspolitischen Gründen im Inland zu verhindern, wenn sich jedoch eine vermeidliche Steigerung der Exportwettbewerbsfähigkeit erreichen lässt, zu fördern.113 Dies ist auch der Grund, weshalb in vielen nationalen Wettbewerbsordnungen inländische Kartelle verboten, jedoch Exportkartelle erlaubt sind.114 Um die amerikanischen Unternehmen im Ausland zu stärken, wurde sogar das amerikanische Antitrust-Recht dahin gehend spezifiziert, dass es wettbewerbsbeschränkende Praktiken amerikanischer Unternehmen im Ausland nicht einschränken kann.115 Beispielsweise untersagte die USA die Fusion von Air Liquide und BOC, obwohl sie bereits von der EU-Kommission genehmigt worden war, da sie in den USA eine marktbeherrschende Stellung erlangt hätte. Ein Jahr später „revanchierte“ sich die EU-Kommission, indem sie die bereits von den USA genehmigte Fusion zwischen Honeywell und General Electric aufgrund des Entstehens einer marktbeherrschenden Stellung untersagte (vgl. Abb. 7.19). Fazit

Wir halten fest, es gibt zwei wesentliche Problem einer internationalen Wettbewerbspolitik: es gibt einen großen Spielraum für die nationalen Entscheidungen. Für eine effektive und objektive Wettbewerbsaufsicht fehlt eine internationale Wettbewerbsbehörde. ◄ 110Vgl. Van

Miert, Karel (1996, S. 3 f.). Bridgeman, John (2002, S. 61). 112Vgl. Hagedoorn, J. (1995); Klodt, Henning (4. April 2000, S. 53); sowie Kantzenbach, Erhard (2001, S. 234 ff.). 113Vgl. Scherer, F. M. (1997, S. 13). 114Vgl. Gröner, Helmut (1987, S. 364); sowie Victor, Paul A. (1992, S. 572 ff.). 115„… the Department is concerned only with adverse effects on competition that would harm U.S. consumers by reducing output or raising prices.“ U.S. Department of Justice Antitrust Enforcement Guidelines for International Operations(1988), reprinted in Antitrust & Trade Reg. Rep. (BNA) No. 1391, at S-21 (Spec. Supp. Nov. 17, 1988), zitiert nach Fox, Eleanor (1997, S. 10). 111Vgl.

314

7 Wettbewerbspolitik

Abb. 7.19   Ausgewählte Entscheidungen zur Effects Doctrine

7.9.2 Subventionen und Antisubventionsmaßnahmen  Definition Subventionen  Staatliche Leistungen ohne Gegenleistung an Unternehmen  Definition  Hierin ist alles enthalten, was Subventionen charakterisiert: 1. Ein Transfer, eine staatliche monetäre und nichtmonetäre Leistung ohne Gegenleistung (leistungslose Einkommen) und 2. eine politische Selektion der begünstigten Unternehmen.116

Gründe für Subventionen Mit Subventionen werden politische Ziele verfolgt. Unter Staatliche Ziele, die hier infrage kommen wären zum Beispiel der Erhalt von Arbeitsplätzen oder die Förderung von Exporten, Forschung oder konkursgefährdeter Unternehmen. Auf Europäischer Ebene sind Subventionen (Beihilfen) verboten, wenn sie „den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen“ (Art. 107 VAEU). Die Wettbewerbsfähigkeit würde zugunsten der subventionierten Unternehmen verbessert, was Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hätte. Es gibt allerdings eine Reihe von Ausnahmen (z. B. sektorale Beihilfen, Forschungsbeihilfen, Regionalbeihilfen, Beihilfen für kleinere und mittlere Unternehmen, Umweltbeihilfen sowie Umstrukturierungsbeihilfen). Alle Subventionen müssen aber der EU-Kommission gemeldet werden (Notifizierung). Antisubventionsmaßnahmen Sollen Wettbewerbsverzerrungen, die im internationalen Handel durch die Subventionen entstehen ausgleichen und eine Schädigung der nicht subventionierten Wirtschaft des Importlandes verhindern.

116Staatliche

Leistungen an private Haushalte werden Transfers genannt.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

315

Die Wirkungen von subventionierten Importen auf das aus- und einführende Land lassen sich allerdings nicht eindeutig als positiv oder negativ einstufen. Die langfristige Einfuhr von subventionierten Gütern zu Preisen unter Herstellungskosten entspricht einem Ressourcentransfer vom Ausland ins Inland, also einem Wohlfahrtszugewinn für das Inland. Dem stehen die schädigenden Wirkungen der subventionierten Einfuhren auf die heimische Industrie und deren Arbeitsplätze gegenüber. Wenn die Güter vom Exportland nur über einen kurzen Zeitraum subventioniert werden, wie beispielsweise bei Überbrückungssubventionen, stehen den negativen Effekten nicht ausreichend positive Wohlfahrtseffekte gegenüber, sodass das importierende Land insgesamt geschädigt wird. Subventionen haben generell negative Wirkungen auf die internationale Ressourcenallokation und das Marktsystem, weil sie durch Steuergelder des Ausfuhrlandes finanziert werden und die Preisunterbietung somit nicht Ausdruck eines im Markt durch eigene Leistung erwirtschafteten Wettbewerbsvorteils ist. Im „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) finden sich – wie der Name schon sagt – die derzeit gültigen internationalen Handelsregeln. Das GATT regelt u. a. die Ausgleichsmaßnahmen, die die Staaten gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren einführen dürfen. Um den Handel trotz der Wettbewerbsverzerrungen weiterführen zu können und Schädigungen der Industrie im Importland zu verhindern, ist es das Ziel der Antidumping- und Antisubventionszölle mit Einfuhrzöllen genau die Preisbegünstigung auszugleichen, die durch den Wettbewerbsverstoß Dumping oder Subvention entstand und damit eine Schädigung des Importlandes zu verhindern. Das GATT erlaubt deshalb Ausgleichzölle auf subventionierte und gedumpte Importe, wenn das Dumping zu einer bedeutenden Schädigung eines bereits existierenden Wirtschaftszweiges führt oder den Aufbau einer Industriebranche erheblich verzögert. Seit dem Unterzeichnen des GATT im Jahre 1947 durch 23 Mitgliedstaaten wurden 7 multilaterale GATT-Verhandlungsrunden mit dem Ziel durchgeführt, den Austausch komparativer Kostenvorteile durch den Abbau von Handelsschranken zu erleichtern und damit die Weltwohlfahrt zu erhöhen. Dieses Konzept war erfolgreich. Seit Bestehen des GATT ist die durchschnittliche Zollbelastung gewerblicher und industrieller Güter auf ein zu vernachlässigendes Niveau gefallen. Mittlerweile wurde das GATT als Vertrag ein Teil der neu geschaffenen WTO (World Trade Organisation). Der Subventionskodex (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures) und der Antidumpingkodex (Agreement of Article VI of the GATT 1994) gehören zu den bedeutendsten Teilen des GATT. Der GATT-Subventionskodex Subvention nur als finanzielle Zuwendung, Unterscheidung in: 1. Unter verbotene Exportsubventionen („red light category“) fallen die Subventionen, deren Gewährung an die Exportleistung des empfangenen Unternehmens oder an seine Leistungen im Wettbewerb mit Importen gebunden sind. Unternehmen erhalten Geld für den Export.

316

7 Wettbewerbspolitik

2. Verfolgbare Subventionen („yellow light category“): wenn durch die Importe der subventionierten Güter eine Schädigung stattfand, droht oder ein inländischer Wirtschaftszweig im Aufbau behindert wird, was der bedeutendste Grund für Antisubventionsmaßnahmen ist, oder sie einen bedeutenden Nachteil für die Handelsinteressen anderer Staaten zu Folge haben. Schädigung entsteht durch Import an den heimischen Unternehmen. 3. Nichtverfolgbare Subventionen („green light category“) Nicht verfolgbar sind Subventionen, die allen Unternehmen zugänglich sind, mit anderen Worten nicht auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eines bestimmten Unternehmens abzielen. Z. B. Forschung- und Entwicklungszuschüsse, Regionalbeihilfen, Umweltbeihilfen. Das GATT-Antisubventionsverfahren beinhaltet die folgenden Verfahrensstufen: 1. Antrag auf Antisubventionsverfahren 2. Vorläufige Subventionsanalyse Einholung von Informationen z. B. Kalkulationen, Preise auf dem inländischen Markt etc. 3. Vorläufige Schädigungsanalyse, um Schädigung der Wirtschaft zu schnell zu verhindern/abzuwenden ⇒ vorläufiger Antisubventionszoll 4. Endgültige Subventionsanalyse 5. Endgültige Schädigungsanalyse ⇒ endgültiger Antisubventionszoll Die Abwehrmaßnahmen gegen subventionierte Exporte bestehen aus einem ­vorläufigenund einem endgültigen Antisubventionszoll. Beide Zölle werden im Rahmen eines nationalen Verfahrens ermittelt, welches dem GATT-Antisubventionskodex unterliegt. Die Antisubventionsverfahren sind in zwei Abschnitte aufgeteilt: Die heimische Industrie beantragt mit ihren Rechtsanwälten die Einleitung eines Antisubventionsverfahrens bei der zuständigen nationalen Behörde (in Dt. die EU). In Ausnahmefällen, wenn die inländischen Produzenten nicht organisiert sind, kann die nationale Behörde auch von sich aus ein Verfahren einleiten. Anschließend prüft die Behörde, ob die von den Klägern eingereichten Subventionsbeweise für die Einleitung eines Verfahrens ausreichend sind. Ist dies der Fall, so errechnet sie im Fall eines Antisubventionsverfahrens den Subventionsanteil am Exportpreis der betroffenen Produkte (Subventionsanalyse). Die beklagten Exporteure bekommen die Gelegenheit zur Stellungnahme. Um möglichst schnell auf subventionierte Importe reagieren zu können, ist der eigentlichen Untersuchung eine provisorische Subventions- und Schädigungsfeststellung vorgeschaltet, wobei bei positivem Verfahrensergebnis ein vorläufiger Antisubventionszoll erhoben wird. In der anschließenden Schädigungsanalyse wird untersucht, ob durch die Importe eine Schädigung stattfand, droht oder ein inländischer Wirtschaftszweig im Aufbau behindert wird.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

317

In einem zweiten Verfahrensabschnitt finden anschließend die endgültige Subventionsuntersuchung und die endgültige Schädigungsanalyse statt, die bei positivem Ausgang einen endgültigen Antisubventionszoll zur Folge haben, den der Importeur oder Exporteur bei der Grenzüberschreitung der Ware zu entrichten hat. Antisubventionsverfahren werden weitaus seltener angewendet als Antidumping­ maßnahmen da: 1. hierbei eine Regierung gegen eine andere Regierung klagt, was nicht erwünschte außenpolitische Folgen haben kann. Bei Antidumpingverfahren klagt die Regierung gegen ein ausländisches Unternehmen, das über weniger Vergeltungsmöglichkeiten verfügt. 2. alle Regierungen subventionieren 3. Antidumpingverfahren – wie noch gezeigt wird – der untersuchenden nationalen Behörde mehr Spielraum für die Festlegung von Ausgleichszöllen bieten.

7.9.3 Dumping und Antidumpingmaßnahmen 7.9.3.1 Wirkungen von Dumping  Definition  Unter Dumping versteht man den Verkauf einer Ware auf einem ausländischen Markt unter dem Preis auf dem inländischen Markt, wobei in der Regel ein Verkauf unter Herstellungskosten unterstellt wird.117 Antidumpingmaßnahmen sollen die Schädigung des importierenden Landes verhindern und faire Wettbewerbsbedingungen herstellen. Dumping als Verkauf unter Einstandspreis ist nach Art. 20 GWB verboten. Innerhalb der EU gibt es allerdings kein Dumpingverbot, es sei denn als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. International, im Rahmen des GATT, gibt es aber einen Kodex, der Antidumpingmaßnahmen regelt. Obwohl die Antidumpinggesetzgebung in den meisten Ländern schon vor dem ersten Weltkrieg eingeführt worden war, sind Antidumpingmaßnahmen bis zu den 80er Jahren eher eine Ausnahme geblieben. In den 60er Jahren reichten die ­GATT-Unterzeichnerstaaten durchschnittlich lediglich 10 Antidumpingklagen pro Jahr ein. Nachdem die generellen Einfuhrzölle im Rahmen der GATT-Runden mehrmals gesenkt worden sind, gehören sie jedoch mittlerweile zu den bedeutendsten Importrestriktionen im Welthandel. In den 80er Jahren leiteten die GATT-Staaten mehr als 1600

117Vgl.

United States – General Accounting Office (1994, S. 68).

318

7 Wettbewerbspolitik

Antidumpingverfahren ein und in den 90er Jahren annähernd 2200.118 Mitte 1996 waren bei den ­WTO-Mitgliedstaaten 776 Antidumpingzölle oder aus Antidumpingverfahren resultierende Preisverpflichtungen in Kraft. Diese Maßnahmen wurden mit einem Anteil von 72 % von Industrieländern verhängt. Von den zwischen Juli 1994 und Juni 1996 neu eingeleiteten Antidumpingverfahren waren zwei Drittel gegen Einfuhren aus Entwicklungsländern gerichtet. Mittlerweile haben allerdings auch rund 50 Entwicklungsländer eigene Antidumpinggesetze oder -richtlinien erlassen – Tendenz steigend.119 Neben den traditionellen Ländern wie die USA, die EU, Australien, Neuseeland und Kanada wenden mittlerweile auch Länder wie Argentinien, Brasilien, Indien, Korea, Mexiko, die Türkei und Südafrika Antidumpingverfahren an.120 Es ist festzuhalten, dass sich der Kreis der Staaten, die Antidumping-Maßnahmen anwenden, stark vergrößert hat und die Staaten, deren Exporte einst von den Antidumpingmaßnahmen überwiegend betroffen waren, mittlerweile selbst zu aktiven Antidumpingverfahrensanwendern wurden.121 Unter Dumping versteht man allgemein den Verkauf einer Ware auf einem ausländischen Markt unter dem Preis auf dem inländischen Markt, wobei in der Regel ein Verkauf unter Herstellungskosten unterstellt wird. Die Voraussetzung für Dumping ist folglich, dass keine Arbitrage zwischen in- und ausländischem Markt stattfinden kann, also beide Märkte voneinander getrennt sind und der Wettbewerb unvollkommen ist. Gründe hierfür können Intransparenz und Transaktionskosten sein, die von Transportkosten, unterschiedlichen Währungen, Sprachen und Gesetzen, also generell von allen tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen hervorgerufen werden können. Dumping widerspricht den internationalen Regeln des „fair trade“ nach Art. VI des GATT, wenn es zu einer bedeutenden Schädigung eines bereits existierenden Industriezweigs führt oder den Aufbau einer neuen Industriebranche erheblich verzögert.122 Antidumpingmaßnahmen sollen diese Schädigung verhindern. Die schädigende Wirkung von Dumping ist umstritten. Sie beruht in erster Linie auf der Annahme, dass die ausländischen Produzenten, nachdem sie mit ruinösem kurzfristigen

118Vgl. Eckes, Alfred, E. (1993, S. 30). Gegenüber 1958 als nur 37 Antidumpingverfahren eingeleitet wurden stieg die Anzahl der Verfahren auf mehr als 1456 Antidumpingverfahren eingeleitet. Hiervon entfallen auf die USA 395, die EU 271, Australien 421 und Kanada 294 Antidumpingverfahren. Vgl. Horlick, Gary N. (1993, S. 6); Prusa, Thomas J. (2001, S. 594); sowie Grundlach, Erich et al. (1995, S. 19). Zur länderspezifischen Entwicklung der Antidumpingverfahren vgl. Leidy, Michael (1994). 119Vgl. Hoekman, Bernhard (1997, S. 391); sowie Roitinger, Alexander (2002, S. 4). 120Vgl. Miranda, Jorge et al. (1998, S. 5); sowie auch Messerlin, Patrick A. (2001, S. 148). 121Vgl. Prusa, Thomas (2001, S. 596); Messerlin, Patrick A. (2000, S. 159 f.); sowie Wooton, Ian und Zanardi, Maurizio (2002, S. 19); WTO (2001, S. 22); sowie Theuringer, Martin (2003, S. 6). 122Dumping is „to be condemned if it causes or threatens material injury to an established industry in the territory of a contracting party or materially retards the establishment of a domestic industry“, Art. VI des GATT.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

319

Dumping die Konkurrenz im Einfuhrland beseitigt haben, die Preise als monopolistische Anbieter im Einfuhrland erhöhen und damit die positiven Wohlfahrtstransfers, die zuvor durch den Import der Güter unter Herstellungskosten entstanden waren, überkompensieren. Kurzfristiges Dumping kann jedoch, selbst wenn es Marktverdrängungsdumping ist, auch ein Ausdruck von Wettbewerb und somit wünschenswert sein, sofern dadurch international keine wohlfahrtsmindernden Monopol- oder Oligopolstrukturen entstehen. Dies wird jedoch innerhalb der Antidumpingverfahren nicht untersucht. Dies wäre eine Aufgabe für eine internationale Monopolbehörde, die es jedoch bisher nicht gibt. Langfristiges Dumping als Verkauf unter den Herstellungskosten entspricht einem Ressourcentransfer vom Ausland ins Inland, also einem Wohlfahrtszugewinn für das Inland. Schutzmaßnahmen, wie Antidumpingzölle, verhindern in diesem Fall die Ausnutzung der durch den niedrigen Preis entstehenden Wohlstandsgewinne und schädigen folglich das Einfuhrland.123 Ein weiteres Argument für die Notwendigkeit von Antidumpingverfahren ist die schädigende Wirkung der Einfuhren auf die inländische Industrie und deren Arbeitsplätze bei kurzfristigem Dumping. Negative Wirkungen auf die internationale Ressourcenallokation und den Leistungswettbewerb hat Dumping generell, wenn es mit Gewinnen aus anderen Unternehmenssparten, Subventionen oder Monopolrenten im Ausfuhrland finanziert wird, weil die Preisunterbietung in diesem Fall nicht Ausdruck eines durch eigene Leistung im Markt erwirtschafteten Wettbewerbsvorteils ist. Um die Wirkungen des jeweiligen Dumpings bestimmen zu können, ist es folglich erforderlich zu wissen, wie lange das Dumping stattfinden wird. Diese Frage kann jedoch nur beantwortet werden, wenn man die Motive des ausländischen Produzenten kennt, auf einem ausländischen Markt unter dem Preis auf seinem Heimatmarkt oder sogar unter seinen Produktionskosten anzubieten. Für das Dumping von exportierenden Unternehmen kann es verschiedene Gründe geben, wie im Folgenden dargestellt wird. Verkauf unter Herstellungskosten 1. Das exportierende Unternehmen kann eine Erhöhung des Marktanteils auf dem ausländischen Markt anstreben (aggressives Dumping) oder als Reaktion auf den Preisvorstoß eines Konkurrenten, seinen Verkaufspreis im Ausland unter seine Herstellungskosten senken, um den Marktanteil auf dem ausländischen Markt zu halten (defensives Dumping).124 Der erste Fall ist der klassische Fall des räuberischen Dumpings, wie ihn Viner beschrieben hat.125 Der erste US-Antidumping Act von 1916 richtete sich ausschließlich gegen diesen Fall. Einzuschreiten war, wenn zwei Bedingungen gegeben waren: Erstens musste der Verkaufspreis „substantially

123Vgl.

Küng, Emil (1975, S. 516); sowie Van Bael, Ivo (1990, S. 23). reziprokem Dumping vgl. Brander, James und Krugman, Paul (1983). 125Vgl. Nicolaides, Phedon (1990, S. 116, 123); Viner, J. (1923); Küng, Emil (1975, S. 516); sowie Bael, Ivo (1990, S. 23). 124Zu

320

7 Wettbewerbspolitik

less than the actual marktet value“ sein und zweitens musste der Vorsatz der Zerstörung und Schädigung der Industrie im Importland gegeben sein.126 Der Fall des räuberischen Dumpings ist jedoch äußerst selten. Die OECD untersuchte in einer Studie 1031 Dumpingfälle, die im Zeitraum von September 1988 bis Dezember 1991 auftraten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass nur in 63 Fällen eine beabsichtigte Verdrängung der Industrie im Importland überhaupt denkbar gewesen wäre.127 Bis das Unternehmen die gewünschte Wettbewerbsposition erreicht hat, bei der es wieder ausreichende Gewinne erwirtschaftet, muss es diesen Verkauf unter Durchschnittskosten mit Gewinnen auf anderen Märkten oder mit Gewinnen aus dem Verkauf anderer Produkte finanzieren. Hierbei handelt es sich um kurzfristiges Dumping: nachdem das ausländische Unternehmen mit ruinösem kurzfristigen Dumping die Konkurrenz im Einfuhrland beseitigt hat, erhöht es die Preise als monopolistischer Anbieter im Einfuhrland, womit die positiven Wohlfahrtstransfers, die zuvor durch den Import der Güter unter Herstellungskosten entstanden waren, überkompensiert werden. Im zweiten Fall versucht der ausländische Anbieter, seinen Marktanteil im Ausland durch Verkauf unter Herstellkosten zu verteidigen, weil er annimmt, dass die zukünftigen Erträge, die er aus der Marktstellung generieren kann, die Verluste überkompensieren. Darüber hinaus würden bei einem Rückzug vom ausländischen Markt seine Markterschließungsinvestitionen wertlos werden. Auch hier liegt kurzfristiges Dumping vor, bei dem das Unternehmen, nachdem die für das Dumping ausschlaggebende Wettbewerbssituation nicht mehr vorliegt, den Preis wieder erhöht. Somit liegt in beiden Fällen kurzfristiges Dumping vor, bei dem das Importland geschädigt wird, was Antidumpingmaßnahmen prinzipiell rechtfertigt.128 2. Da die Produktionsmenge der Güter von den Unternehmen im Voraus geplant bzw. entschieden werden muss und Fixkosten kurzfristig nicht reduziert werden können, ist ein weiterer Grund für einen Verkauf unter Herstellkosten der Ausgleich von vorübergehenden Nachfragerückgängen auf dem inländischen Markt durch Steigerung des Exports (Nachfrageausgleichsdumping). Eine Anpassung der Produktion an eine vorübergehende Reduzierung der Nachfrage würde keinen Sinn machen, da bereits in der nächsten Periode die Kapazitäten zur Befriedigung der dann wieder gestiegenen Nachfrage nicht ausreichen können. Auch hierbei handelt es sich folglich um kurzfristiges Dumping, bei dem eine Schädigung im Sinne des GATT für das importierende Land entsteht,129 womit Antidumpingmaßnahmen gerechtfertigt werden können. 126Zitiert

nach Scherer, F. M. (1994, S. 83). OECD (1996, S. 17). Andere Schätzungen liegen zwischen 5 bis maximal 10 %. Vgl. Messerlin, P. A., & Reed, G. (1995, S. 1568). 128Vgl. Conrad, Christian A. (2002b), S. 564 f. 129Vgl. Nicolaides, Phedon (1990, S. 121). Ethier, Bernhardt sowie Hillman und Katz zeigen beispielsweise unabhängig voneinander, dass es aus Gründen der Risikodiversifizierung für einen Produzenten bei der Festlegung seiner Produktionsmenge rational sein kann zu planen, einen Teil seiner Produktion selbst unter variablen Kosten im Ausland zu verkaufen. Hillman, Aapye L. und Katz, Eliakim (1986, S. 403 ff.); Ethier, Wilfred J.(1982, S. 487 ff.); sowie Bernhardt, Dan (1984, S. 349 ff.). 127Vgl.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

321

Beim Nachfrageausgleichsdumping kann es zu dem Fall kommen, dass beide, also der ausländische Exporteur und das inländische Unternehmen, die gleiche Kostenstruktur haben. Fällt nun die Nachfrage und beide Produzenten reduzieren ihren Angebotspreis auf den neuen Gleichgewichtspreis, der jedoch unter beider Durchschnittskosten liegt, so kann das ausländische Unternehmen wegen Dumping verurteilt werden, das inländische nicht, obwohl die Wettbewerbs- und Marktsituation ebenso wie die Kostenstruktur beider Unternehmen identisch sind.130 3. Eine, mit dem Nachfrageausgleichsdumping vergleichbare Motivation liegt vor, wenn der ausländische Produzent Absatzrückgänge ausgleichen will, die als Folge protektionistischer Maßnahmen dritter Länder entstanden sind (Handelsumlenkungsdumping).131 Auch hierbei hängt die wohlfahrtsökonomische Bewertung des Dumpings davon ab, ob die protektionistischen Maßnahmen, die die Ursache der Handelsumlenkung sind, auf Dauer angelegt sind, und es sich somit um langfristiges Dumping handelt. Ausgehend von der gewöhnlichen Laufzeit protektionistischer Maßnahmen könnte man auf den ersten Blick annehmen, dass das Dumping langfristig Bestand haben wird, jedoch wird ein nach Gewinnmaximierung strebendes Unternehmen auf die Dauer nicht unter Durchschnittskosten anbieten132, sondern sich Märkte suchen, wo es zu einem höheren Preis verkaufen kann oder seine Produktion einschränken. Somit handelt es sich bei dieser Form des Dumpings ebenfalls um schädigendes kurzfristiges Dumping. Antidumpingmaßnahmen lassen sich somit rechtfertigen. 4. Der ausländische Produzent kann zusätzliche Deckungsbeiträge insbesondere bei degressivem Stückkostenverlauf erzielen, wenn er auf dem Importmarkt zwar unter den Durchschnittskosten, aber oberhalb der variablen Kosten anbietet (Deckungsbeitragsdumping). In diesem Fall kann es sich sowohl um kurzfristiges als auch um langfristiges Dumping handeln, je nachdem ob es sich bei dem Export um eine taktisch kurzfristige oder strategisch langfristige Entscheidung des Unternehmens handelt. Plant es langfristig einen Teil seiner Produktion im Ausland abzusetzen, beispielsweise um einen hohe Produktionsmenge zu realisieren (strategisches Dumping),133 ist dies gleichbedeutend mit einem Wohlfahrtstransfer zugunsten des importierenden Landes und einem generellen Wohlfahrtszugewinn. Zielt das Unternehmen jedoch nur auf eine kurzfristige Auslastungssteigerung ab, entsprechen die Dumpingwirkungen denen bei der Zielsetzung des Ausgleichs kurzfristiger Nachfrageschwankungen. Da die langfristigen Pläne der ausländischen Exporteure durch Dritte nicht verbindlich überprüfbar sind, sind vorsorgliche Antidumpingmaßnahmen gerechtfertigt.

130Vgl.

Nicolaides, Phedon (1990, S. 118, 121). Conrad, Christian A. (1998). 132Eine Ausnahme bildet die Preispolitik bei der Deckungsbeitragsrechnung (vgl. den nächsten Absatz). 133Vgl. Messerlin, P. A., & Reed, G. (1995, S. 1568). 131Vgl.

322

7 Wettbewerbspolitik

5. Ferner gibt es Marktverteidigungsdumping. auf der Basis von Unterkostenverkäufen. Entscheidend ist hier für einen ausländischen Produzenten der Abschreckungseffekt des Dumpings für potenzielle Wettbewerber. Lassen sich Markteinsteiger auf diese Weise vom Exportmarkt fernhalten, so können – wie anhand von dynamischen Modellen gezeigt werden kann – Marktrenten erzielt werden. Es handelt sich somit um durch Dumping strategisch gesetzte Marktzutrittsschranken.134 Da es sich in diesem Fall nicht nur um kurzfristiges Dumping handelt, sondern auch um eine nachhaltige Wettbewerbsbeschränkung sind Antidumpingmaßnahmen – sofern keine besser geeigneten Instrumente zur Verfügung stehen – geboten. 6. Kommt es zu einer Aufwertung der Währung des exportierenden Unternehmens, kann es für das Unternehmen sinnvoll sein, den Verkaufspreis in ausländischer Währung trotz der Aufwertung der eigenen Währung nicht zu erhöhen, um keine Marktanteile zu verlieren (Aufwertungsdumping).135 Mit dieser Preispolitik blockiert der Exporteur den Mechanismus der Wechselkurse zum Ausgleich von Handelsbilanzungleichgewichten und unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeiten der am Handel beteiligten Länder. Würden viele exportierende Länder Aufwertungsdumping betreiben, bliebe die relative Unterbewertung der Währung des Exporteurs bestehen, was eine Verzerrung der realen Güteraustauschrelationen und damit auch eine Verschlechterung der internationalen Ressourcenallokation zur Folge hätte. Der Wettbewerbsnachteil der Überbewertung für die anderen exportierenden Branchen, die im Ausfuhrland nicht dumpen, weil sie ihre Preise erhöht haben, bliebe bestehen. Auch dieses Dumping muss das Unternehmen als Verkauf unter Herstellungskosten finanzieren, da es für die Exporte weniger Erlöse in eigener Währung bekommt. Sind die Wechselkursänderungen durch lang anhaltende realwirtschaftliche Trends verursacht, wird das Unternehmen deshalb über kurz oder lang seine Preise erhöhen. Bei nur kurz anhaltenden Wechselkursänderungen wird das Unternehmen die Auslandspreise beibehalten, um seine Marktposition nicht zu gefährden, weshalb es sich auch hierbei um kurzfristiges Dumping handelt und Antidumpingmaßnahmen angebracht sein können. Verkauf unter dem Preis auf dem Inlandsmarkt 1. Ist der Anbieter Monopolist auf dem in- und dem ausländischen Markt136, und ist die Preiselastizität der Nachfrage auf dem ausländischen Markt höher, wird er – wie im Folgenden gezeigt wird – den Preis dort niedriger ansetzen als auf dem inländischen Markt (Preisdifferenzierung). Im Monopol wird ein gewinnmaximierendes Unternehmen den Preis so setzen, dass er gleich den Grenzkosten ist. Der Grenzerlös

134Vgl.

Fleischer, Holger (1995, S. 804). Feinberg, Robert M. (1989); sowie Blonigen, Bruce A. und Prusa, Thomas J. (2001, S. 11). 136Gleiches gilt, wenn der Produzent Mitglied eines Exportkartells in dem ausländischen Markt und Monopolist im inländischen (Import-)Markt ist. 135Vgl.

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

323

hängt negativ von der Nachfrageelastizität ab. Das Gewinnmaximum erreicht der monopolistische Anbieter, wenn auf allen Absatzmärkten der Grenzerlös gleich den Grenzkosten ist. Es gilt somit:

GE1 = GE2 = . . . = GEn = GK

unter Berücksichtigung der Nachfrageelastizitäten nach der ­ Amoroso-RobinsonBeziehung:   1 p1 (1 + 1/η1 ) = p2 (1 + 1/η2 ) = . . . = pn 1 + ηn und für je zwei Teilmärkte i und k gilt: Pi /PK = [(1 + 1/ηk )/(1 + 1/ηi )] Bei gleichen Elastizitäten setzt der Monopolist folglich auch die Preise auf den Absatzmärkten gleich.137 Langfristig kann ein Unternehmen deshalb nur dann unterschiedliche Preise auf dem ausländischen und dem inländischen Markt fordern, wenn die Nachfrageelastizitäten verschieden sind. Niedriger wird der Preis auf dem ausländischem Markt sein, wenn dort die Nachfragelastizität höher ist, womit der Dumpingtatbestand gegeben ist (Preisdifferenzierungsdumping). Es ist davon auszugehen, dass Nachfrageelastizitäten langfristig stabil sind, weshalb diese Form des Dumpings keine Schädigung, sondern einen Wohlfahrtszugewinn für das importierende Land darstellt.138 2. Generell muss ein Anbieter auf einem Markt vollkommener Konkurrenz seinen Preis senken, wenn sich die Nachfrage nachhaltig verringert. Das gleiche gilt für den Exporteur auf dem ausländischen Markt für den oben beschriebenen Fall bei gleichen Preiselastizitäten. Unterliegt die Nachfrage dort Schwankungen, so wird der Exporteur seinen Preis auf dem Exportmarkt der Nachfrage anpassen und gegebenenfalls unter den Preis auf dem Inlandsmarkt senken, sofern er sich zumindest mittelfristig durch eine Präsenz auf dem ausländischen Markt besserstellt als bei einen Verzicht auf den Absatzmarkt (Nachfrageschwankungsdumping). Ausgehend von dem Zeithorizont des Exporteurs handelt es sich bei dieser Form des Dumpings somit ebenfalls um schädigendes kurzfristiges Dumping, was Antidumpingmaßnahmen prinzipiell rechtfertigt.139

137Vgl.

Corden, W. M. (1978); Caves, R. E. und Jones, R. W. (1981, 197 ff.); Stobbe, Alfred (1991, S. 200 f.); sowie OECD (2000, S. 34). 138Vgl. Nicolaides, Phedon (1990, S. 118) sowie Conrad, Christian A. (2002b, S. 567). 139Vgl. Nicolaides, Phedon (1990, S. 118, 121).

324

7 Wettbewerbspolitik

3. Auch eine Nutzung der Marktstellung im Land des Produzenten (Marktstellungsdumping) ist denkbar. Verfügt der Anbieter auf den ausländischen Märkten nicht über ein Monopol, so tritt er als zusätzlicher Anbieter auf einem polypolistischen Markt auf und muss den dortigen niedrigeren Preis als gegeben akzeptieren. Bei diesem Fall zeigt sich am deutlichsten, dass Dumping nicht per se mit „unfairem Wettbewerb“ gleichzusetzen ist und auch nicht zwangsweise eine Schädigung des importierenden Landes zur Folge haben muss. Antidumpingmaßnahmen sind nur in den beschriebenen Fällen des kurzfristigen Dumpings und dann auch nur in Relation zur Schädigung des Importlandes zu rechtfertigen.140 Antidumpingmaßnahmen sollen die Schädigung des Importlandes, die durch das Dumping hervorgerufen wurde, verhindern. Wir wollen nun im Folgenden untersuchen, inwiefern die Antidumpingverfahren der nationalen Behörden die schädigenden Wirkungen des Dumping ausgleichen, eventuell überkompensieren, also als Importrestriktionen wirken oder sogar als protektionistisches Instrument bewusst eingesetzt werden.

7.9.3.2 Das GATT-Antidumpingverfahren Das Antidumpingverfahren beinhaltet die folgenden Verfahrensstufen: 1. Antrag auf Antidumpingverfahren 2. Vorläufige Dumpinganalyse 3. Vorläufige Schädigungsanalyse ⇒ vorläufiger Antidumpingzoll 4. Endgültige Dumpinganalyse 5. Endgültige Schädigungsanalyse ⇒ endgültiger Antidumpingzoll. In den meisten Ländern hat sich bei den Antidumpingverfahren der folgende Ablauf eingespielt: In der Regel beantragt die inländische Industrie141 die Einleitung eines Antidumpingverfahrens bei der zuständigen nationalen Behörde. Die Behörde prüft zunächst, ob die von den Klägern eingereichten Dumpingbeweise für die Einleitung eines Antidumpingverfahrens ausreichend sind. Ist dies der Fall, so vergleicht sie im Rahmen der Dumpinganalyse den Exportpreis mit dem modifizierten Preis auf dem Binnenmarkt des Ausfuhrlandes. Basis sind die Produkte des produzierenden Unternehmens mit dem größten Marktanteil. Der Preis des Produktes im Ausfuhrland wird um die Transportkosten und sämtliche mit dem Export verbundenen Kosten erhöht und ergibt so den sogenannten Normalwert (Abb. 7.20). Bei unzureichenden Verkäufen des Produkts im Ausfuhrland oder bei ­Nicht-Vorherrschen

140Vgl.

Conrad, Christian A. (2002b, S. 565); sowie Conrad, Christian A. (2015). betroffene Wirtschaftszweig; bzw. jede natürliche. oder juristische Person oder Vereinigung ohne Rechtspersönlichkeit, die in Namen eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft handelt, ist antragsberechtigt.

141Jeder

7.9  Internationale Wettbewerbspolitik

325

Abb. 7.20   Berechnung eines Antidumpingzolls

von normalen Marktbedingungen im Ausfuhrland, wie dies z. B. bei Staatshandelsländern der Fall ist, kann auf Drittlandsverkaufspreise zurückgegriffen werden. Ist auch dieses Verfahren zur Bestimmung des Normalwertes nicht geeignet, so kann der Normalwert rechnerisch ermittelt werden, was in der Praxis überwiegt. Der rechnerisch ermittelte Normalwert entspricht der Summe aus Material- und Herstellungsstückkosten, anteiligen Gemeinkosten und einer Mindestgewinnspanne, die auf diese Summe aufgeschlagen wird (kalkulierter Normalwert, Kostenkriterium). Die Differenz zwischen Normalwert und Exportpreis ergibt die Dumpingspanne. In der anschließenden Schädigungsanalyse wird untersucht, ob durch die Importe eine Schädigung der Industrie des Importlandes stattfand, droht oder ein inländischer Wirtschaftszweig im Aufbau behindert wird. Das Antidumpingverfahren ist in zwei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten Abschnitt wird nach einer vorläufigen Dumping- und Schädigungsfeststellung ein vorläufiger Antidumpingzoll erhoben, um möglichst schnell auf Dumpingeinfuhren reagieren zu können. Anschließend werden in einem zweiten Verfahrensabschnitt endgültige Dumping- und Schädigungsuntersuchungen durchgeführt, die bei positivem Ausgang zu einem endgültigen Antidumpingzoll führen, den der Importeur oder Exporteur bei der Grenzüberschreitung der Ware zu entrichten hat. Auch beim Antidumpingverfahren bekommen die beklagten Exporteure die Gelegenheit zur Stellungnahme und werden aufgefordert, Informationen über ihre Preiskalkulation zu liefern. Es entspricht somit in den Verfahrensschritten den bereits dargestellten Antisubventionsverfahren.

7.9.3.3 Wie sieht die Praxis aus? 1. Dumpingfeststellung, wo kein Dumping vorliegt Eine Ursache hierfür könnten Wechselkursänderungen sein. Bspw. exportiert ­Deutschland Porsche in die USA und der Dollar wertet gegenüber dem € ab, entsteht

326

7 Wettbewerbspolitik

automatisch ein Dumpingtatbestand, da er – gerechnet in € (Währung des deutschen Exporteurs) – auf seinem Heimatmarkt USA unter dem Preis in den USA (in €) anbietet. Beispiel:

bei 1$/C Porsche 100 TC → Export D → USA 100 T $ D → USA bei 1, 5$/C Porsche 100 T C → Export   100 T$ Dumpinganalyse 100 T C 150 T $ > 66, 6 T C 100 T $

Eine andere mögliche Ursache wäre ein Monopol im Exportland. Dann wäre der Preis im Ausland höher als im Inland und der Antidumpingzoll überträgt den Monopolpreis auf das Inland, verringert also den Wettbewerb und die Wohlfahrt im Importland. 2. Willkürliche Benachteiligung der ausländischen Produzenten bei den nationalen Antidumpingverfahren ist eher die Regel als die Ausnahme Der bei dem kalkulierten Normalwert fast unbeschränkte Ermessensspielraum wirkt sich in der Regel für die ausländischen Produzenten nachteilig aus. Liefern die ausländischen Produzenten nicht rechtzeitig die richtigen Kosteninformationen beim kalkulierten Normalwert, setzen die nationalen Behörden die Kosten der ausländischen Produzenten selbst fest bzw. nehmen die Informationen aus den Klageschriften der inländischen Industrie (Best Information Available). Bei unzureichenden Verkäufen des Produkts im Ausfuhrland oder bei ­Nicht-Vorherrschen von normalen Marktbedingungen im Ausfuhrland, wie dies z. B. bei Staatshandelsländern der Fall ist, kann bei der Berechnung des Normalwertes auf Drittlandsverkaufspreise zurückgegriffen werden. Der derzeitige Antidumpingkodex bestimmt jedoch nicht, welche Drittlandsverkaufspreise bei der Normalwertkalkulation zugrunde gelegt werden sollen, weshalb letztlich die untersuchende Behörde in der Lage ist, ausschließlich die Verkaufspreise in Drittländern heranzuziehen, die oberhalb der Herstellungskosten liegen, was den Normalwert und damit auch die Dumpingmarge erhöht. 3. Importe schädigen fast immer die inländische Industrie Der Begriff Schädigungsuntersuchung ist nicht als Untersuchung zu verstehen, ob die nachgewiesenen Dumpingeinfuhren zum Zeitpunkt der Einfuhr die heimische Industrie geschädigt haben, sondern vielmehr, ob die Vergabe von Antidumpingzöllen die kritische Situation der heimischen Industrie verbessern würde.142 Fazit Antidumpingmaßnahmen sind überwiegend ein protektionistisches Instrument.

142Vgl.

Conrad, Christian A. (2002b, S. 565); sowie Conrad, Christian A. (2015).

Literatur

327

Zusammenfassung

Antisubventionsmaßnahmen sollen die Wettbewerbsverzerrungen ausgleichen, die durch die Subventionen entstehen. Unter Dumping versteht man den Verkauf einer Ware auf einem ausländischen Markt unter dem Preis auf dem inländischen Markt, wobei in der Regel ein Verkauf unter Herstellungskosten unterstellt wird. Antidumpingmaßnahmen sollen die Schädigung des importierenden Landes verhindern und faire Wettbewerbsbedingungen herstellen. So wie die Antidumpingmaßnahmen in der Praxis umgesetzt werden, wirken sie allerdings überwiegend als ein protektionistisches Instrument. ◄ Übungsaufgaben 1. Definieren Sie „Subventionen“. 2. Wie laufen Antisubventions- und Antidumpingverfahren ab? 3. Berechnen Sie den EU-Antidumpingzoll auf der Basis folgender Angaben: a) Der Preis von Schuhen der Marke Ching beträgt in China in € gerechnet 10 €. In der EU werden sie für 5 € verkauft. Als Exportkosten fallen pro Paar Schuhe 1 € an. b) Die Stückkosten für die Herstellung von einem kg Schrauben betragen in China in € gerechnet 15 €. In der EU werden sie für 12 € verkauft. Als Exportkosten fallen 2 € an. Die Gewinnmarge wird mit 5 % der Gesamtstückkosten (inkl. anteiligen Gemeinkosten) veranschlagt und die anteiligen Gemeinkosten mit 10 % der Stückkosten. 4. Warum können Antidumpingmaßnahmen als protektionistisches Instrument verwendet werden?

Literatur Aberle, G. (1992). Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik. Stuttgart: Kolhammer. Bartling, H. (1988). Wettbewerbstheorie. In A. Woll (Hrsg.), Wirtschaftslexikon (3. Aufl.). München: Oldenburg. Bartling, H. (1997). Von der Wettbewerbstheorie zur Theorie der Wettbewerbspolitik. In J. Kruse (Hrsg.), Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld nationaler und internationaler Kartellrechtsordnungen, Festschrift für Ingo Schmidt zum 65. Geburtstag. Baden-Baden: Nomos. Baumol, W. J. (1982). Contestable markets: An uprising in the theory of industry structure. American Economic Review, 72(1), 1–5. Baumol, W., Panzar, J. C., & Willig, R. D. (1988). Contestable markets and the theory of industry. San Diego: Harcourt. Berg, H. (1999). Wettbewerbspolitik. In D. Bender et al. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik (Bd. 1, 7. Aufl., S. 299–362). München: Vahlen. Bernhardt, D. (1984). Dumping, Adjustment Costs and Uncertainty. Journal of Economic Dynamics and Control, 8(3), 349–370. Bletschacher, G.; Klodt, H. (1992). Strategische Handelsund Industriepolitik: theoretische Grundlagen, Branchenanalysen und wettbewerbspolitische Implikationen, Kieler Studien, No. 244, ISBN 3161459628, Mohr: Tübingen

328

7 Wettbewerbspolitik

Blonigen, B. A., & Prusa, T. J. (2001). Antidumping (NBER [National Bureau of Economic Research] Working Paper No. 8398). Cambridge: NBER. Boner, A. R., & Krueger, R. (1991). The basis of antitrust policy: A review of ten nations and the European Communities (The World Bank technical paper No. 160). Washington D. C.: The World Bank. Brander, J., & Krugman, P. (1983). A reciprocal dumping model of international trade. Journal of International Economics, 15(3–4), 313–321. Bridgemann, J. (2002). International mergers and acquisitions. European Business Journal, 14(2), 58–62. Bruke, T. (1991). Competition in theory and practice. London: Croom Helm. Bundeskartellamt. (2011). Erfolgreiche Kartellverfolgung – Nutzen für Wirtschaft und Verbraucher. https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/erfolgreiche-kartellverfolgung,proper ty=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. Zugegriffen: 23. Sept. 2016. Caves, R. E., & Jones, R. W. (1981). World trade and payments – An introduction. Boston: Little, Brown and Company. Christl, C. (2001). Wettbewerb und internationaler Handel: Eine Analyse ihrer Interdependenzen und institutionellen Voraussetzungen im Rahmen einer internationalen Wettbewerbsordnung. In Walter Eucken Institut (Hrsg.), Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Bd. 42. Tübingen: Mohr Siebeck. Clark, J. M. (1940). Towards a concept of workable competition. The American Economic Review, 30(2), 241–256. Conrad, C. A. (1998). Antidumping nach der Uruguay-Runde. List Forum, 24(3), 261–278. Conrad, C. A. (2003). Außenwirtschaftliche Marktmechanismen zur Integration der Weltwirtschaft. WiSt (Wirtschaftswissenschaftliches Studium), 32(6), 345–350. Conrad, C. A. (2005): Die Notwendigkeit, die Möglichkeiten und die Grenzen einer internationalen Wettbewerbsordnung – Reformansätze vor dem Hintergrund derzeitiger außenwirtschaftlicher Problemfelder und der Doha-Welthandelsrunde. Conrad, C. A. (2015). Antidumping-Maßnahmen – Ein Mittel zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel? Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), 44(9), 510–515. Corden, W. M. (1978). Trade policy and economic welfare. Oxford: Clarendon. Dieckheuer, G. (2002). Competition, environment and trade in the globalized economy. In T. Koehler & S. Kooths (Hrsg.), Preparing a world antitrust framework: An ordoliberal approach. Frankfurt a. M.: Lang. Ecker, A. E. (1993). Antidumping after the Uruguay Round: A former administrator’s perspective. In M. E. Kreinin (Hrsg.), International Commercial Policy (S. 29–35). Washington D. C.: Taylor and Francis. Encyclopedia of the New Economy. http://hotwired.wired.com/special/ene/index.html?nav=part_ one&word=co-opetition. Zugegriffen: 5. Dez. 2003. Ethier, W. (1982). Dumping. Journal of Political Economy, 90, 487–506. Feinberg, R. M. (1989). Exchange rates and „unfair trade“. The Review of Economics and Statistics, 71(4), 704–707. Fleischer, H. (1995). Gezielte Kampfpreisunterbietung im Recht der Vereinigten Staaten: Der Supreme Court zwischen Chicago School und post-Chicago economics. Wirtschaft und Wettbewerb: WuW; Zeitschrift für deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht, 45(10), 796–808. Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb. (Hrsg.). (1990). Internationale Zusammenschlüsse und Wettbewerbspolitik (FIW-Dokumentation H. 13). Köln: Heymann. Fox, E. M. (1986). Monopolization and dominance in the United States and the European Community: Eficiency, opportunity, and fairness. Notre Dame Law Review, 61(5), 981–1020.

Literatur

329

Fox, E. M. (1997). Toward world antitrust and market access. The American Journal of International Law, 91(1), 1–25. Frohn, J., Krengel, R., Kuhbier, P., Opperländer, K. H., & Uhlmann, L. (1973). Der technische Fortschritt in der Industrie. Berlin: Duncker & Humblot. Ginsburg, D. H. (1991). Comment: The goals of antitrust revisited. Journal of Institutional and Theoretical Economics (JITE), 147(1), 24–30. Glasow, B. (1999). Vertikale Preisbindung, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbsrecht in den USA, Deutschland und Europa. Frankfurt a. M.: Lang. Görgens, E. (1988). Wettbewerbspolitik. In A. Woll (Hrsg.), Wirtschaftslexikon (3. Aufl.). München: Oldenburg. Grichting, A. (1976). Die Skalenerträge, Theoretische und empirische Aspekte. Meisenheim am Glan: Hain Verlag. Groenveld, K., Maks, J. A. H., & Muysken, J. (Hrsg.). (1990). Economic policy and the market process-Austrian and mainstream economics. Amsterdam: Elsevier. Gröner, H. (1987). Internationale Wettbewerbspolitik. In M. Borchert, U. Fehl, & P. Oberender (Hrsg.), Markt und Wettbewerb, Festschrift für Ernst Heuß zum 65. Geburtstag (S. 359–377). Stuttgart: Haupt. Grundlach, E., Klodt, H., Langhammer, R. J., & Soltwedel, R. (1995). Fairness im Standortwettbewerb? Auf dem Weg zur internationalen Ordnungspolitik (Kiel Discussion Papers Nr. 254). Institut für Weltwirtschaft: Kiel. Hagedoorn, J. (1995). The economics of cooperation among high-tech firms. In H. Albach, G. Koopmann, & H.-E. Scharrer (Hrsg.), The economics of high technology competition and cooperation in global markets. Nomos: Baden-Baden. Hawk, B. E. (1987). United States, common market and international antitrust: A comparative guide. Clifton: Prentice Hall Law and Business. Hawk, B. E. (1995). System failure: Vertical restraints and EC competition Law. Common Market Law Review, 32(4), 973–989. Helpman, E., & Krugman, P. R. (1989). Market structure and foreign trade. Cambridge: MIT Press. Hildebrand, D. (2002a). The role of economic analysis in the EC competition rules. The Hague: Kluwer Law International. Hildebrand, D. (2002b). The European school in EC competition law. World Competition, 25(1), 3–23. Hillman, A., & Katz, E. (1986). Domestic uncertainty and foreign dumping. Canadian Journal of Economics, 19(2), 401–416. Hoekman, B. (1997). Competition policy and the global trading system. The World Economy, 20(4), 383–406. Holzkämper, H. (1995). Forschungs- und Technologiepolitik Europas, Japans und der USA: Eine ordnungstheoretische und empirische Analyse. Bayreuth: PCO. Hoppmann, E. (1977). Marktmacht und Wettbewerb. Tübingen: Mohr Siebeck. Horlick, G. N. (1993). How the GATT became protectionist – An analysis of the uruguay round draft final antidumping code. Journal of World Trade, 27(5), 5–17. Hovenkamp, H. (1985). Antitrust policy after Chicago. Michigan Law Review, 84(2), 213–284. Hovenkamp, H. (1994). Federal antitrust policy: The law of competition and its practice. St. Paul: West. Immenga, U. (1996a). Rechtsregeln für eine internationale Wettbewerbsordnung. In U. Immenga, W. Möschel, & D. Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst Joachim Mestmäcker (S. 593–609). Baden-Baden: Nomos.

330

7 Wettbewerbspolitik

Immenga, U. (1996b). Wirkungsgrenzen bilateraler Verträge für eine internationale Wettbewerbsordnung. In J. Kruse & O. G. Mayer (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik: Erhard Kantzenbach zum 65. Geburtstag (S. 155–165). Baden-Baden: Nomos. Kantzenbach, E. (1967). Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs (2., durchgesehene Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kantzenbach, E. (1990). Competition policy in West Germany: A comparison with the antitrust policy of the United States. In A. Jacquemin (Hrsg.), Competition policy in Europe and North America: Economic issues and institutions (S. 189–202). Chur: Harwood Academic. Kantzenbach, E. (2001). Wettbewerbspolitik in der globalisierten Wirtschaft. In T. Theurl (Hrsg.), Globalisierung: Globalisiertes Wirtschaften und nationale Wirtschaftspolitik (S. 231–257). Tübingen: Mohr Siebeck. Kantzenbach, E., & Kallfass, H. H. (1981). Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs. Workable Competition. In H. Cox, U. Jens, & K. Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs. Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht (S. 107). München: Vahlen. Kattan, J. (1993). Market power in the presence of an installed base. Antitrust Law Journal, 62(1), 1–21. Klodt, H. (4. April 2000). Freihandel braucht Wettbewerbsregeln. Handelsblatt, 53. Koch, W. A., Czogalla, C., & Ehret, M. (2008). Grundlagen der Wirtschaftspolitik (3. Aufl.). Stuttgart: Lucius & Lucius. Kösters, W. (1992). Freihandel versus Industriepolitik. Wirtschaftsdienst, 72(1), 49–56 (ISSN 0043-6275). Kowalski, A. (1997). Die Marktprozeßanalyse der Harvard School und neuere Systemtheorie. Hamburg: S + W Steuer- und Wirtschaftsverlag. Krattenmaker, T. G., & Salop, S. C. (1986). Anticompetitive exclusion: Raising rivals’s cost to achieve power over price. Yale Law Journal, 96(2), 209–293. Kremp, M. (2008). EU gegen Microsoft, Chronik einer gestörten Beziehung, SPIEGEL ONLINE vom 27.02.2008, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/eu-gegen-microsoft-chronik-einergestoerten-beziehung-a-538191.html Krüger, M. (1998). Kann Industriepolitik die Wettbewerbsfähigkeit verbessern? In B. D. Juergen & F. Andreas (Hrsg.), Schriften zur Wirtschaftspolitik: Bd. N. F. 6. Die Rolle des Staates in einer globalisierten Wirtschaft (S. 217–235). Stuttgart: Lucius & Lucius. Küng, E. (1975). Dumping und Dumpingabwehr. Wirtschafts Studium, 4(11), 513–519. Lande, R. H. (1989). Chicago’s false foundation wealth transfers (not just efficiency) should guide antitrust. Antitrust Law Journal, 58(2), 631–644. Langlois, R. N. (2001). Technological standards, innovation, and essential facilities: Towards a Schumpeterian post-Chicago approach. In J. Ellig (Hrsg.), Dynamic competition and public policy: Technology, innovation, and antitrust issues. Cambridge: University Press. Leidy, M. (1994). Antidumping: Solution or problem in the 1990s? In IMF (Hrsg.), International trade policies: The Uruguay Round and beyond: Bd. II. Background Papers (S. 53–67). Washington D. C.: IFM. Lenel, H. O. (1989). Walter Eucken. In J. Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens: Bd. 2. Von Karl Marx bis John Maynard Keynes (S. 292–311). Beck: München. Maks, J. A. H. (1995). Economic theory and competition policy in the Netherlands. In G. Meijer (Hrsg.), New perpectives on Austrian economics. London: Routledge. Mantzavinos, C. (1994). Wettbewerbstheorie: Eine kritische Auseinandersetzung. Berlin: Duncker & Humblot. Mantzavinos, C. (2001). Individuals, institutions, and markets. Cambridge: Cambridge University Press.

Literatur

331

Markham, J. W. (1950). An alternative approach to the concepts of workable competition (S. 348– 361). XL: The American Economic Review. Marx, K. (2010). Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie: Bd. 3. Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion (Kapitel I–III; 33. Aufl.). Berlin: Dietz (Erstveröffentlichung 1864). Mason, E. S. (1939). Price and production policies od large-scale enterprises. The American Economic Review, XXIX(1), 61–74. Messerlin, P. A., & Reed, G. (1995). Antidumping policies in the United States and the European Communities. The Economic Journal, 105(433), 1565–1575. Messerlin, P. A. (2000). Antidumping and safeguards. In J. J. Schott (Hrsg.), The WTO after Seattle (S. 159–183). Washington D. C.: Institute for International Economics. Messerlin, P. (2001). Anti-dumping and trade remedies – A necessary reform. In K. G. Deutsch & B. Speyer (Hrsg.), The World Trade Organization millennium round: Freer trade in the ­twenty-first century (S. 148–160). London: Routledge. Miranda, J., Torres, R. A., & Ruiz, M. (1998). The international use of antidumping: 1987–1997. Journal of World Trade, 32(5), 5–71. Molsberger, J. (1994). Wettbewerb und Außenwirtschaftsfreiheit. In R. H. Hasse, J. Molsberger, & C. Watrin, (Hrsg.), Ordnung in Freihet: Festgabe für Hans Willgerodt zum 70. Geburtstag. Stuttgart: Fischer. Möschel, W. (1991). The goals of antitrust revisited. Journal of Institutional an Theoretical Economics (JITE), 147(1), 7–23. Motta, M., & Onida, F. (1997). Trade policy and competition policy. Giornale degli Economisti e Annali di Economia, 56(1–2), 67–97. Nalebuff, B., & Brandenburger, A. M. (1996). Co-opetition – kooperativ konkurrieren: Mit der Spieltheorie zum Unternehmenserfolg. Frankfurt a.  M.: Campus. (Originalausgabe: ­Co-opetition, New York 1996). Nelson, R. N. (1979). Comment on Posner R. A. The Chicago school of antitrust analysis. University of Pennsylvania Law Review, 127(4)930, 951–952. Nicolaides, P. (1990). The competition effects of dumping. Journal of World Trade, 24(5), 115– 131. Nicolaides, P. (1994). Towards multilateral rules on competition – The problems in mutual recognition of national rules. World Competition, 17(3), 5–48. Oberender, P., & Vath, A. (1989). Von der Industrieökonomie zur Marktökonomie. In P. Oberender (Hrsg.), Marktökonomie (S. 3–27). München: Vahlen. OECD. (1996). Trade and competition: Frictions after the Uruguay Round (Economic Department Working Papers No. 165). Paris: OECD. OECD. (2000). Trade and competition policies for tomorrow. Paris: OECD. OECD. (2001). Trade and competition policies – Options for a greater coherence. Paris: OECD. OECD. (2007). Competition and Barriers, Policy Brief January 2007. http://www.oecd.org/ competition/mergers/37921908.pdf. Ordover, J., & Willig, R. (1985). Antitrust for high-technology industries: Assessing research joint ventures and mergers. Journal of Law and Economics, 28, 311–333. Pengilley, W. (1997). The extraterritorial impact of U.S. trade laws – Is it not time for „ET“ to „go home“? World Competition, 20(3), 17–55. Poeche, J. (1970). Workable Competition als wettbewerbspolitisches Leitbild. In J. Poeche (Hrsg.), Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur (S. 9–32). Köln: Heymann. Pratten, C. F. (1971). Economies of scale in manufacturing industries (Department of Applied Economic Occasional Papers No. 28). Cambridge: Cambridge University Press.

332

7 Wettbewerbspolitik

Price, T. C. (1997). Using co-evolutionary programming to simulate strategic behaviour in markets. Journal of evolutionary economics, 7(3), 219–254. Prusa, T. J. (2001). On the spread and impact of anti-dumping. Canadian Journal of Economics, 34(3), 591–611. Reder, W. M. (1982). Chicago economics: Permanence and change. Journal of Economic Literature, XX(March), 1–38. Rishikesh, D. (1991). Extraterritoriality versus sovereignty in international antitrust jurisdiction. World Competition, 14(3), 33–66. Roitinger, A. (2002). Antidumping reform, trade policy flexibility, and compensation (August 2002; U of St. Gallen Dept. of Economics Working Paper No. 2002‒18). http://ssrn.com/ abstract=332383 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.332383. Royal, S. M. (1995). Symposium: Post-Chicago economics – Editor’s note. Antitrust Law Journal, 63(2), 445–454. Schengber, R. A. (1996). Marktabgrenzung und Machtmessung: Eine Analyse von Methoden und Indikatoren für das Koordinationsmängel-Diagnosekonzept. Lohmar: Eul. Scherer, F. M. (1994). Competition policies for an integrated world economy. Washington D. C.: Brookings Institution. Scherer, F. M. (1997). Competition policy convergence: Where next? Empirica, 24(1), 5–19. Schleicher, T. J. (1997). The U.S. supreme court’s use of post-Chicago antitrust theory in Eastman Kodak v. Image Technical Services: Implications for marketing practice. Journal of Public Policy & Marketing, 16(2), 310–318. Schmidt, I. (1981). Per se rule oder rule of reason. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 10(6), 282–284. Schmidt, I., & Binder, S. (1996). Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich: Die Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien in Deutschland, England, Frankreich, den USA und der EG. Heidelberg: Recht und Wirtschaft. Schmidt, I., & Haucap, J. (2013). Wettbewerbspolitik und Kartellrecht: Eine interdisziplinäre Einführung. München: Oldenbourg. Schmidt, I., & Rittaler, J. B. (1986). Die Chicago School of Antitrust Analysis. Baden-Baden: Nomos. Schmiedtchen, D. (2003). Wettbewerb und Kooperation (Co-opetition): Neues Paradigma für Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik? In J. Zentes (Hrsg.), Kooperationen, Allianzen und Netzwerke: Grundlagen, Ansätze, Perspektiven (S. 65–92). Wiesbaden: Gabler. Schüller, A. (1987). Grundlagen der Wettbewerbspolitik. In Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Bundesregierung: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland (BT-D 11/11, 18.02.1987, S. 56–71). Bonn: Deutscher Bundestag. Schumpeter, J. A. (1961). Konjunkturzyklen: Eine theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses (Bd. 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schumpeter, J. A. (1993). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (7. Aufl.). Tübingen: Francke. Shepherd, W. G. (1985). The economics of industrial organization (2. Aufl.). Englewood Cliffs: Prentice Hall. Shepherd, W. G. (1990). The economics of industrial organization (3. Aufl.). Englewood Cliffs: Prentice Hall. Siebert, H. (1988). Strategische Handelspolitik. Theoretische Ansätze und wirtschaftspolitische Empfehlungen. Aussenwirtschaft, 43(IV), 549–584. Siebert, H., & Rauscher, M. (1991). Neuere Entwicklungen in der Außenhandelstheorie. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 20(10), 503–509.

Literatur

333

Silberston, A. (1972). Economies of scale, theory and practise. The Economic Journal, 82(1972), 369–391. Sosnick, S. H. (1958). A critique of concepts of workable competition. The Quarterly Journal of Economics, LXXII, 380–423. Starbatty, J. (1983). Ordoliberalismus. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 12, 570. Stavenhagen, G. (1969). Geschichte der Wirtschaftstheorie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Stigler, G. J. (1968). The organization of industry. Oxford: The University of Chicago Press. Stobbe, A. (1991). Mikroökonomik. Berlin: Springer. Sullivan, T. E. (2002), Harmonizing global merger standards, Comments on Gifford, Daniel J./ Kudrle, Robert T. (2002), alternative national merger standards and the prospect for international cooperation, In Kenneda, Daniel L. M. & Southwick, James D. (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law: Essays in Honor of Robert E. Hudec, Cambridge University Press, S. 248–253. Szettele, D. (2000). Auswirkungen der Industriepolitik in der EU auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Freiburg im Breisgau: Haufe. Theuringer, M. (2003). Antidumping und wettbewerbsbeschränkendes Verhalten. Köln: Institut für Wirtschaftspolitik. United States General Accounting Office. (1994). The general agreement on tariffs and trade – Uruguay round final act should produce overall U.S. economic gains, Bd. 2. Washington: United States General Accounting Office. Van Bael, I. (1990). EEC-dumping law and procedure revisited. Journal of World Trade, 24(2), 5–23. Van Bergeijk, P. A. G., & Kabel, D. L. (1993). Strategic trade theories and trade policy. Journal of World Trade, 27(6), 87–175. Victor, A. P. (1992). Export cartels: An idea whose time has passed. Antitrust Law Journal, 60(2), 571–581. Viner, D. J. (1923). A problem in international trade. Chicago: University of Chicago Press. Viscusi, W. K., Vernon, J. E., & Harrington, J. E. (2000). Economics of regulation and antitrust. Cambridge: MIT Press. von Hayek, F. A. (1949). The meaning of competition in individualism and economic order. London: Routledge & Keagan Paul. von Hayek, F. A. (1969). Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In F. A. von Hayek (Hrsg.), Freiburger Studien (S. 126). Tübingen: Mohr. von Hayek, F. A. (1975). Die Anmaßung von Wissen. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 26, 12–21. von Hayek, F. A. (1978). Competiton as a discovery procedure. In F. A. von Hayek (Hrsg.), New studies in Philosophy, Politics, Economics and the History of ideas (S. 22). Chicago: University of Chicago Press. (first printed as a lecture 1968). von Weizsäcker, C. C., & Waldenberger, F. (1992). Wettbewerb und strategische Handelspolitik. Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 72(8), 403–409. Waldherr, M. (2001). Die Rule of Reason im europäischen und US-amerikanischen Wettbewerbsrecht. Wien: MANZ. Welzel, P. (1991). Strategische Handelspolitik: Nationale Anreize und internationale Koordinationsaufgaben. Heidelberg: Physica. Wettbewerbszentrale. (2015). Jahresbericht 2015. Bad Homburg: Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Frankfurt a. M. e. V. Williamson, O. E. (1968). Economies as an antitrust defense: The welfare tradeoffs. The American Economic Review, LVIII, 18–36.

334

7 Wettbewerbspolitik

Wooton, I., & Zanardi, M. (2002). Trade and competition policy: Anti-dumping versus anti-trust (Discussion Paper in Economics). Glasgow: University of Glasgow. Woll, A. (1988) Wirtschaftslexikon, (3. Aufl.). München. World Bank, & OECD. (1999). A framework for the design and implementation of competition Law and policy. Washington D.C.: World Bank, & OECD. WTO. (2001). Trading into the future. Genf: WTO.

8

Industriepolitik

Was folgt warum?

Industriepolitik ist vor allem der Versuch der Politik, die eigene Wirtschaft durch staatliche Zuwendungen, Subventionen, zu stärken oder einen unumgänglichen Strukturwandel zu verzögern und dadurch sozial abzumildern. Obwohl diese Politik sehr umstritten ist, ist sie doch derzeit ein bedeutendes Mittel mit hohem finanziellem Volumen.1  Definition  Industriepolitik sind alle staatlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Struktur und der Entwicklung der Wirtschaft. Lernziele

Sie sollen nach diesem Kapitel in der Lage sein, die wesentlichen Formen der Industriepolitik abzugrenzen und mit ihren volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteilen darstellen zu können.

8.1 Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem Forschungs- und Technologiesubventionen  Definition  Bei der aktiven gestaltenden Industriepolitik wartet der Staat nicht die wirtschaftliche Entwicklung ab, sondern versucht, die Wirtschaftsstruktur Vorausschauend wohlfahrtserhöhend mit Hilfe von Forschungssubventionen zu gestalten. 1Die

Struktur- und Kohäsionsfonds der EU werden hier nicht als Industriepolitik im engeren Sinne gesehen, da sie nur für spezielle Regionen vorgesehen sind, sondern der Regionalpolitik zugeordnet.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_8

335

336

8 Industriepolitik

Aktive gestaltende Industriepolitik findet im Rahmen von finanzieller Forschungsförderung statt. Hierbei ist zu unterscheiden, ob es sich um Förderung der Grundlagenforschung oder anwendungsorientierter Forschung handelt.  Definition  Grundlagenforschung unterscheidet sich von anwendungsorientierter Forschung darin, dass aus ihr keine marktfähigen Produkte abgeleitet werden können. Eine direkte Verwertung der Forschungsergebnisse ist bei Grundlagenforschung nicht möglich. Für Unternehmen entsteht kein Mehrwert, denn das Unternehmen kann keine Innovation davon ableiten, um am Markt Pioniergewinne zu erzielen, deshalb kommt es zu Marktversagen: Einzelwirtschaftlich ist der Aufwand größer als Nutzen. Aber anwendungsorientierte Forschung baut auf Grundlagenforschung auf. Wir haben positive Externe Effekte, weil der Nutzen weit über die Kosten hinaus geht und nicht rivalisierender Konsum, da das Wissen beliebig teilbar ist. Alle Forscher können die Ergebnisse der Grundlagenforschung nutzen und aus ihr Anwendungen als Produktoder Prozessinnovationen ableiten. Meist wird Grundlagenforschung von Universitäten betrieben. Grundlagenforschung ist die Basis für den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren gemäß Hayek, in dem die Unternehmer, ausgehend von den Ergebnissen der Grundlagenforschung, versuchen, Prozesse- und Produktinnovationen zu realisieren. Die Grundlagenforschung ist damit eine wichtige Voraussetzung für den technischen Fortschritt. Staatliche Subventionen sollen die Anreizverzerrung ausgleichen. Beispiel: BASF Werkstoffe basieren auf dem Periodensystem. Aber das Periodensystem kann auch von jedem anderen Unternehmen genutzt werden. Fazit

Staatliche Förderung der Grundlagenforschung ist wohlfahrtssteigernd; es lässt sich somit wettbewerbspolitisch rechtfertigen. ◄ Zusammenfassung

Es lässt sich also festhalten, dass Forschungsförderung nur in den Fällen ökonomisch zu rechtfertigen ist, in denen die Forschungsleistung des Marktes nicht oder ungenügend zustande kommt. Dies gilt für die bereits angesprochenen Fälle von Marktversagen, externen Effekten und nicht rivalisierendem Konsum in der Grundlagenforschung, also nicht, insofern es sich um wirtschaftlich nutzbare Forschung handelt. Forschungs- und Technologieförderung stellt in diesem Fall immer eine Subvention der normalen Unternehmensaufwendungen dar und führt somit zu Wettbewerbsverzerrungen im Außenhandel. Forschungs- und Technologiesubventionen entsprechen in diesen Fällen einem protektionistischen Instrument, da

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

337

durch die Forschungsförderung wettbewerbsrelevantes Produktions-Know-how als komparativer Kostenvorteil künstlich gesteigert wird. Im Folgenden soll am Beispiel der EU untersucht werden, ob sich die Forschungssubventionen auf die Förderung der Grundlagenforschung beschränken oder auch die anwendungsorientierte Forschung bezuschusst wird, also Wettbewerbsverzerrungen hervorgerufen werden. ◄

8.1.1 Case Study: Charakteristika der Forschungsförderung Lesen Sie den folgenden Text der IHK Wiesbaden und des BDI. Was sind die Charakteristika der Forschungsförderung? Forschungsförderung – BUND

Innovationsförderung durch Technologieorientierte Förderprogramme Kreativität, Forschung und Entwicklung (FuE) prägen das Wissen und den Technischen Fortschritt. Erfolgreich umgesetzt, führen sie zu Innovationen und damit zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Deshalb fördert der Staat Forschung und Entwicklung. Zwar konzentriert sich der Staat auf die Grundlagenforschung, doch auch Unternehmen können Finanzhilfen für ihre Forschungs- und Entwicklungsvorhaben erhalten. Wer fördert überhaupt FuE? Dies sind die meisten Bundesländer, einige Bundesministerien und die Europäische Union. Sie schreiben Förderprogramme aus, in denen meistens detailliert geregelt ist: • Wer (z. B.: Unternehmensart, -größe, Branche, Technologiefeld), • Wie (Antragsverfahren, Begutachtung, Bewilligung oder Ablehnung, Förderhöhe), • Wann (Antragsfristen, Laufzeit, Jahresplanung), • Was (Forschung, Entwicklung, Innovations- und Risikohöhe, Kooperationen, Kosten) • gefördert wird. Vor einer Antragstellung sollte unbedingt geprüft werden, ob alle dieser Vorgaben für das geplante Projekt zutreffen. Schon bei einer Abweichung bei einem der Kriterien wird ein Förderantrag aussortiert und hat keine Chance auf eine positive Begutachtung. Ist beispielsweise ein europäischer Mehrwert wie bei ­EU-Programmen gefordert, ist dieser im Förderantrag unbedingt präzise darzulegen. Auch sollte man versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, welche Intention der Fördermittelgeber mit dem Programm verfolgt.

338

8 Industriepolitik

Förderkatalog und -bekanntmachungen online • Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF [http://www.bmbf. de/]) bietet einen online-Förderkatalog (http://www.foerderkatalog.de/). Über die Datenbank sind Informationen über ca. 90.000 Vorhaben aus Forschung und Entwicklung abgelegt, die von dem BMBF und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWi [http://www.bmwi.de/]) gefördert werden oder wurden. Die Funktion „Kontakte“ (http://oas2.ip.kp.dlr.de/foekat/foekat/ foekatkontakt) enthält Hinweise auf entsprechende Links zu Informationsstellen, bei denen weitergehende Informationen erhältlich sind. • Die aktuellen Bekanntmachungen (http://www.bmbf.de/foerderungen/677. php) von Förderprogrammen und Förderrichtlinien des BMBF sind unter www. bmbf.de/foerderungen/677.php veröffentlicht Was wird gefördert? Klassische Produkt- oder Verfahrensentwicklungen nach dem Stand der Technik werden angesichts der leeren Staatskassen kaum gefördert. Für Projekte mit risikoreichen hohen Investitionen sind zinsverbilligte Darlehen vorgesehen. Anspruchsvolle „High-Tech-Projekte“, die sich deutlich vom Stand der Wissenschaft und Technik abheben und mit kompetenten Partnern im Verbund durchgeführt werden, haben die größten Chancen auf nicht zurückzahlbare – allerdings noch zu versteuernde – Zuschüsse. Fast immer gilt: Förderanträge müssen vor Projektbeginn eingereicht werden. Leider haben sie oft lange Bearbeitungszeiten, die den Start der FuE-Arbeiten verzögern. Eine mittelfristige und strategische FuE-Planung ist deshalb nötig. Generell sollte man aber nicht ausschließlich den finanziellen Aspekt von Förderprogrammen im Auge haben. Eine Mitwirkung in einem Förderprojekt hilft oftmals bei der präzisen Definition von Forschungs-Projektzielen. Daneben bringt die Teilnahme an Verbundforschungsprogrammen neue Kontakte für spätere Kooperationen und Einblicke in Entscheidungsstrukturen anderer Unternehmen. Bevor man in Förderprogrammen leichtfertig zentrales Unternehmens-Know-how offenbart, sollte man unbedingt vorher den Schutz des eigenen geistigen Eigentums abklären. Die IHK-Innovationsberatung Hessen (http://www.itb-hessen.de/) hilft bei der schwierigen Programm-Auswahl, nennt Ihnen die richtigen Ansprechpartner und unterstützt Sie auch beim Projektantrag. Technologieprogramm PRO INNO II Mit dem „PROgramm zur Erhöhung der INNOvationskompetenz mittelständischer Unternehmen“ (PRO INNO II) wird ein erfolgreicher Ansatz weiter geführt, die technologische Leistungsfähigkeit mittelständischer Unternehmen in Deutschland zu fördern. Bereits das Vorgängerprogramm PRO INNO I wurde

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

339

von der mittelständischen Wirtschaft stark nachgefragt. Von Mitte 1999 bis Anfang Mai 2004 wurden über 4800 mittelständische Betriebe und fast 500 mit diesen kooperierende Forschungseinrichtungen aus PRO INNO I gefördert. Mit den bewilligten 630 Mio. € konnte ein FuE-Aufwand von 2 Mrd. € für den Mittelstand initiiert werden. Eine Prognos-Studie hat ergeben, dass pro Förderprojekt im Durchschnitt knapp acht Arbeitsplätze in Produktion und Vertrieb entstanden sind oder gesichert werden. Im modifizierten und verbesserten Programm PRO INNO II können die Unternehmen das Programm jetzt – je nach Innovationsstrategie – flexibler nutzen: • Die Zahl der Förderprojekte ist nicht mehr auf zwei begrenzt. • Das Programm steht allen Mittelständlern – unabhängig ob in Ost- oder Westdeutschland – offen. • Internationale Kooperationen werden stärker gefördert als rein nationale Projekte. • Die Förderrichtlinie PRO INNO II ist am 22. Juli 2004 im Bundesanzeiger erschienen. Weitere Informationen und Antragsformulare sind erhältlich unter www.forschungskoop.de. Forschungsförderung EU Die EU hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, im Jahr 2010 die wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaft der Welt zu sein. Die Töpfe für Forschungsförderung sind gut gefüllt. Es stellt sich die Frage, wie Unternehmen davon profitieren können. Europäische Forschungsförderung ist darauf ausgerichtet, einen Mehrwert für die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erzielen. Das bedeutet, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Partnern aus anderen Ländern, die grundsätzlich europäische Ausrichtung des Forschungsprojekts und die Fähigkeit zum Umgang mit anderen Sprachen und Mentalitäten gegeben sein müssen. Die Größe und Dauer der Projekte sowie die nach wie vor durch aufwendige Antragsverfahren geprägte Vergabepraxis schrecken viele Unternehmen von einer Teilnahme ab. Für Unternehmen, die sich dieser Herausforderung stellen können, bieten sich hervorragende Möglichkeiten und eine Reihe von Institutionen, die mit Beratungsleistungen unterstützen und gezielt Kooperationen fördern, die durch die EU unterstützt werden können. Teilnahme am Forschungsrahmenprogramm Informationen zur EU-Forschungsförderung sind über die Internetseiten CORDIS (http://fp6.cordis.lu/fp6/home.cfm) (EU) und RP6 (http://www.rp6. de/) (Deutschland) abrufbar. Spezielle Angebote für kleine und mittlere Unternehmen finden sich unter  sme.cordis.lu (http://sme.cordis.lu/home/index.cfm)

340

8 Industriepolitik

und unter CRAFT (http://www.irc-hessen.de/eu-foerderberatung/craft_-_foerderung_ fuer_den_mittelstand/index.shtml). Das  IRC (http://www.irc-hessen.de/) Hessen/ Rheinland-Pfalz bietet den direkten Zugang zu einer europaweiten Datenbank mit Technologieangeboten und -gesuchen, um gezielt branchenübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Die Suche nach Projektpartnern kann durch den „Dienst für Interessenbekundungen“ (Expression of Interest – Eol [http:// eoi.cordis.lu/search_form.cfm]) erleichtert werden. Das 7. Forschungsrahmenprogramm (für die Jahre 2007–2013) Die Arbeitsgemeinschaft hessischer IHKs hat eine Stellungnahme zum 7. ­EU-Forschungsrahmenprogramm erarbeitet. Die IHKs fordern u. a. eine stärkere Beteiligung hessischer Hochschulen an den Programmen der EU und die Vereinfachung der administrativen Verfahren. Das Lissabon Ziel 3 % des Bruttoinlandsproduktes für die Forschung sollte mindestens auch in Hessen erreicht werden. (Quelle IHK Wiesbaden https://www.ihk-wiesbaden.de/existenzgruendung_ channel/Innovation/Innovationsberatung_neu/Finanzen_Innovation/EU_Forschung sfoerderung/1262920, https://www.ihk-wiesbaden.de/existenzgruendung_channel/ Innovation/Innovationsberatung_neu/Finanzen_Innovation/Forschungsfoerderung_ des_Bundes/1262918) Das 8. EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ Das neue Programm stellt im Zeitraum 2014–2020 insgesamt rd. 87 Mrd. € zur Förderung von Forschungs- und Innovationsvorhaben zur Verfügung. Der B ­ DI/ BDA-Arbeitskreis zur Europäischen Forschungs- und Innovationspolitik fordert in einem politischen Eckpunktepapier „Vorfahrt für die Wirtschaft“ eine Neuausrichtung der europäischen Forschungsförderung durch: 1. 50 % der Fördermittel für Unternehmen als Zielmarke, 2. Fokussierung auf europäische Wertschöpfungspotenziale, 3. Vereinfachung der Beteiligungsregeln, 4. Beschleunigung der Vergabeverfahren (Abb. 8.1). (Quelle http://www.bdi.eu/Europaeische-Forschungsfoerderung71611902.htm; https://www.horizont2020.de/ sowie https://ec.europa.eu/germany/eu-funding/ grants_de)

Folgende Charakteristika der Forschungsförderung können wir festhalten: • geförderte Forschungsbereiche werden durch die Politik bestimmt • Es müssen Anträge gestellt werden, deren Bearbeitungszeit durchschnittlich 294 Tage in Anspruch nimmt.2 • Die Forschung wird zwischen den Unternehmen koordiniert 2Vgl.

S. 4.

duz, Unabhängige Deutsche Universitätszeitung, Europa kompakt, Nr. 2, vom 13.03.2009,

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

341

Abb. 8.1   Entwicklung der EU-Forschungsförderung. (Quelle: Stifterverband (2009), Facts, Forschungsförderung in Europa, Kompaktinformationen des Stifterverbandes zur EU-Forschungsförderung I April 2009)

Bevor wir die EU-Forschungsförderung ökonomisch bewerten, benötigen wir noch etwas Hintergrundwissen.

8.1.2 Die Vergabepraxis von Forschungs- und Technologiesubventionen am Beispiel der EU Die Errichtung des EU-Binnenmarkts versprach zum einen eine bessere Nutzung der komparativen Kostenvorteile (vgl. Kap. 11) und damit eine effizientere Ressourcenallokation und zum anderen die Realisierung von Größenvorteilen bei der Produktion (Economies of large Scale). Für die europäische Forschung schien Ähnliches zu gelten: für viele Projekte wurde scheinbar die notwendige Unternehmensgröße nicht erreicht oder es kam zu ineffizienter Doppelforschung. Eine gezielte Förderung der Forschung in den zukünftigen Schlüsselindustrien sollte ein Aufholen des Forschungs- und Wettbewerbsrückstandes ermöglichen.3

3Vgl.

Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe(1995, S. 6); sowie Szettle, Dieter (2000, S. 307).

342

8 Industriepolitik

Mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1986 wurde die europäische Forschungs- und Technologiepolitik als ausdrückliches Vertragsziel zuerst in den EWG-Vertrag und schließlich auch in den Vertrag von Nizza übernommen – (Art. 157 EG-Vertrag, neu 173 AEUV4). (1) Die Union und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Union gewährleistet sind. Zu diesem Zweck zielt ihre Tätigkeit entsprechend einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte auf Folgendes ab: • Erleichterung der Anpassung der Industrie an die strukturellen Veränderungen; • Förderung eines für die Initiative und Weiterentwicklung der Unternehmen in der gesamten Union, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, günstigen Umfelds; • Förderung eines für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen günstigen Umfelds; • Förderung einer besseren Nutzung des industriellen Potenzials der Politik in den Bereichen Innovation, Forschung und technologische Entwicklung. Die Forschungsförderung findet überwiegend durch Zuschüsse zu Forschungsprojekten statt, die von allen Unternehmen aber auch von Forschungsinstituten beantragt werden. Hierzu legt die EU sogenannte Forschungsrahmenprogramme auf. Darüber hinaus wird vor allem die Forschungskooperation gefördert.5 Die Umsetzung der Rahmenprogramme erfolgt in Form von detaillierteren Unterprogrammen, auch Aktionen genannt. Die EU unterscheidet: Direkte Aktionen dienen der Realisierung der positiven externen Effekte der Grundlagenforschung. Forschungsbereiche wie Umwelt oder die sichere Nutzung von Atomenergie haben den Charakter öffentlicher Güter von übergeordneter europäischer Bedeutung, da Umweltverschmutzung und Atomstrahlen (negative externe Effekte) nicht von nationalen Staatsgrenzen aufgehalten werden können und ihr Nutzen für alle unbegrenzt von Vorteil ist (positive externe Effekte). Darüber hinaus will die EU mithilfe der direkten Aktionen Doppelforschungen zuvorkommen. Indirekte Aktionen stellen die eigentliche strategische Forschungsförderung dar. Von der Industrie vorgeschlagene Forschungsprojekte werden in ausgewählten Schlüsseltechnologien zur Hälfte bezuschusst. Gerade die indirekten Aktionen orientieren sich an den offensichtlich erfolgreichen Forschungsprogrammen der USA und Japan. Die Auswahl der zu fördernden Projekte erfolgt zum einen nach dem zu erwartenden

4Der

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) wurde mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zum 01.12.2009 in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt. 5Vgl. Starbatty, Joachim (1987, S. 160); Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 9); sowie Szettle, Dieter (2000, S. 113 ff.).

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

343

Innovationsfortschritt, also dem Beitrag zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, und zum anderen nach dem Ausmaß der enthaltenen Forschungskooperation. Nach der Genehmigung übt die Kommission keinen unmittelbaren Einfluss auf das Forschungsprojekt und übernimmt keine Verantwortung, weshalb sie die Bezeichnung indirekte Aktionen wählte. Konzertierte Aktionen sollen die europäische Forschung bündeln und damit Doppelforschung verhindern. Diese Programme finanzieren deshalb auch nur die Forschungskoordinierung, die von der Kommission durchgeführt wird. Sie bringt in der Regel die staatlichen Forschungseinrichtungen zusammen, berät sie und stimmt Arbeitsteilung und Forschungsverträge ab. Jede Vertragspartei trägt die eigenen Forschungskosten. Die Forschungsergebnisse stehen allen beteiligten Parteien zur Verfügung. Trotzdem können sich einzelne Mitgliedstaaten und auch die Kommission als Vertragspartner an den Forschungskosten beteiligen.6 Horizontale Aktionen sollen die notwendige Forschungsinfrastruktur und eine effiziente Forschungsförderung gewährleisten. Mit diesen Programmen werden die Vernetzung der europäischen Forschungsinstitute oder Forschungsdateien, Kongresse und allgemein der Forschungsaustausch aber auch beispielsweise die Bewertung von Forschungsaktionen, Prognosen und die Nutzung und Verbreitung der Forschungsergebnisse finanziert. Die Mittel dieser Programme werden zusammen mit Mitteln aus dem Strukturfonds auch zur Förderung von Forschungsprojekten in oder unter Beteiligung weniger technologisch entwickelter Mitgliedstaaten verwendet.7 Mit dem 6. Rahmenprogramm definierte die EU sieben thematische Forschungsschwerpunkte8. Als neue Förderinstrumente kamen die Exzellenznetze und die Integrierten Projekte hinzu. Integrierte Projekte sollen die Forschung in den sieben Prioritätsthemen in Projekten bündeln, die einerseits wichtige sozioökonomische Ziele verfolgen und andererseits die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken. Die Exzellenznetze sollen in den sieben Schwerpunktbereichen die wissenschaftlichen und technologischen Kompetenzen und Aktivitäten der beteiligten Forschungspartner koordinieren. Das 8. EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ stellt im Zeitraum 2014–2020 insgesamt rd. 87 Mrd. € zur Förderung von Forschungs- und Innovationsvorhaben zur Verfügung. 9

6Vgl. 7Vgl.

Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 9). Starbatty, Joachim (1987, S. 160).

81. Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit (2,255 Mrd. €); 2. Technologien für die Informationsgesellschaft (3,625 Mrd. €); 3. Nanotechnologien und Nanowissenschaften, wissensbasierte multifunktionale Werkstoffe und neue Produktionsverfahren und -anlagen (1,300 Mrd. €); 4. Luft- und Raumfahrt (1,075 Mrd. €); 5. Lebensmittelqualität und -sicherheit (0,685 Mrd. €); 6. Nachhaltige Entwicklung, globale Veränderungen und Ökosysteme (2,120 Mrd. €) sowie 7. Bürger und Staat in der Wissenschaft (0,255 Mrd. €). Büro für internationale Forschungs- und Technologiekooperation (2003). 9Büro für internationale Forschungs- und Technologiekooperation (2003).

344

8 Industriepolitik

Die EU-Kommission vertritt den Standpunkt, ihre Programme liegen im Bereich der Grundlagenforschung und fördern lediglich Innovationen im vorwettbewerblichen Bereich. Die Analyse der EU-Forschungsprogramme hat jedoch gezeigt, dass dies bei den Indirekten Aktionen nicht der Fall ist. Der Schwerpunkt der Mittelvergabe und der Unternehmensnachfrage liegt auf Programmen mit großer Marktnähe.10 Wir halten Folgendes bezüglich der Ausrichtung der EU-Forschungsförderung fest: Ziele11 1. Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen bzw. europäischen Industrie 2. Vermeidung von Doppelforschung. Das neue Forschungsprogramm Horizon 2020 sieht bspw. vor, dass die Antragssteller aus drei verschiedenen EU-Ländern kommen. Dies soll einen europäischen Mehrwert erzeugen. Durch die Koordination der Forschung ist es das Ziel der Kommission zu verhindern, dass die Unternehmen Forschungsgelder verschwenden, weil sie alle das Gleiche erforschen. 3. Durch die Forschungskoordination und Forschungsförderung möchte die ­EU-Kommission darüber hinaus Markteinstiegsbarrieren überwinden. Alleine hätten die Unternehmen die aufwendige Forschung nicht finanzieren können. Es kommt damit zum Rent Shifting: Überwindung von Markteinstiegsbarrieren durch Subventionen (z. B. Airbus, Neue Außenhandelstheorie: Internationale Nachfrage und damit auch Gewinne, Arbeitsplätze, Wohlfahrt werden auf das Inland auf Kosten der ausländischen Konkurrenz umgeleitet, vgl. Abschn. 7.7).

8.1.3 Sind Forschungs- und Technologiesubventionen von nationalem Vorteil? Die EU-Kommission entwickelte die europäische Forschungs- und Technologiepolitik als Antwort auf die Forschungsförderung der USA über den Verteidigungsetat und rechtfertigte damit ihren Ausstieg aus dem internationalen wettbewerbspolitischen Verhaltenskodex: In dem Maße nun, in dem die Gesetze des Marktes durch Ambitionen politischer Macht ersetzt werden, verliert auch ein auf liberalen Wettbewerbsgrundsätzen basierendes Regelsystem für den Welthandel – wie es das GATT sein sollte – einen wesentlichen Teil seiner Geschäftsgrundlage. Die wachsenden Tendenzen zur Bilateralisierung und Politisierung der Handelsbeziehungen vor allem im Bereich der sog. Spitzentechnologie sind hierfür ein Menetekel.12

10Vgl.

Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 13, 15 f., 16); Szettle, Dieter (2000, S. 307); sowie Stehn, Jürgen (2001, S. 206). 11Vgl. Conrad, Christian A. (2005, S. 68 ff.). 12Narjes, Karl Heinz (1986, S. 11).

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

345

An diesem Zitat zeigt sich die dynamische Erosion der internationalen Wettbewerbsordnung. Da Wettbewerbsverstöße nicht geahndet werden, fordert eine Regelverletzung die nächste heraus. Die EU-Kommission unterstellt den USA, dass sie mittels ihrer Forschungsförderung über den Verteidigungsetat der amerikanischen Industrie einen Wettbewerbsvorsprung verschafft und zusätzlich durch die Beschränkung der Weitergabe dieser Forschungsergebnisse den nachfolgenden Wettbewerb behindere. Der internationale Wettbewerb werde zum Nachteil des Auslandes verzerrt.13 Um die Stichhaltigkeit dieses Arguments zu prüfen, muss folglich die Wirkung der Ressourcenumlenkung durch die US-Regierung für die gesamte amerikanische Industrie und nicht für das einzelne profitierende Unternehmen betrachtet werden.14 Das Argument der Kommission, durch die Geheimhaltung der Forschungsergebnisse werde der nachfolgende Wettbewerb behindert, ist objektiv richtig. Allerdings dürfen die amerikanischen Unternehmen militärisch verwertbare Forschungsergebnisse wirtschaftlich nicht verwenden. Diese Auflagen des amerikanischen Verteidigungsministeriums behindern folglich nicht nur den nachfolgenden, sondern auch den vorstoßenden Wettbewerb. Obwohl diese Auflagen die amerikanische Forschungsförderung für U ­ S-Unternehmen unattraktiv erscheinen lassen, nehmen sie sie in großem Umfang in Anspruch. Folglich dürfte neben den nicht immer sicheren militärischen Produktionsaufträgen ein weiterer Nutzen dieser Gelder in der Verwendung als Deckungsbeitrag zur Finanzierung der Forschungsinfrastruktur der Unternehmen liegen. Mit den militärisch finanzierten Forschungseinrichtungen würde dann auch privat geforscht. Gegen die Effizienz der amerikanischen Forschungsförderung durch das Pentagon sprechen die politisch orientierte Vergabe und die verschwenderische Abrechnungspraxis. Die Fördermittel werden teilweise vergeben, um Wahlkreise zu gewinnen oder verdiente Politiker zu unterstützen. Die Pentagon-Forschungsaufträge werden zu Selbstkosten plus einer 8 % Gewinnmarge abgerechnet, was einen Disincentive für eine effiziente Mittelvergabe darstellt.15 Generell ist anzuzweifeln, ob Forschungs- und Technologiesubventionen von nationalem Vorteil sind. Allein die Kosten der Antragsbearbeitung belaufen sich beispielsweise bei der EU auf ca. 10 % der zu verteilenden Fördermittel. Mit anderen Worten, die Bearbeitungskosten würden die Fördermittel ab einem Annahme/ Ablehnungsverhältnis von 1:10 Anträgen übersteigen. Die Unverhältnismäßigkeit des Bearbeitungsaufwands zur Mittelvergabe wurde auch in dem vom deutschen Bundesforschungsministerium in Auftrag gegebenen Gutachten des Kölner Beratungsunternehmens Scientific Consulting Dr. Schulte-Hillen kritisiert.16 Auch der europäische

13Vgl.

Narjes, Karl Heinz (1986, S. 12 f.). Starbatty, Joachim (1987, S. 167). 15Vgl. Starbatty, Joachim (1987, S. 168). 16Vgl. Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 17). 14Vgl.

346

8 Industriepolitik

Rechnungshof kritisierte die mangelnde zielgerichtete und effiziente Vergabe der Forschungsmittel.17 Die EU-Technologiepolitik sollte auch als zielgerichtete Forschungsförderung nach japanischem Vorbild die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die Kommission ist der Auffassung, dass die Forschungsförderung und Forschungskoordinierung kostenintensive Projekte überhaupt erst ermöglicht. Ferner habe die Technologiepolitik oftmals eine Doppelforschung verhindert.18 Die Kommission ersetzt jedoch mit einer zielgerichteten Forschungs- und Technologieförderung in bestimmten Zukunftsbranchen die Ressourcenallokation des Marktes durch ihre eigene. Nach Friedrich August von Hayek ist der Wettbewerb ein Verfahren zur Entdeckung von Wissen, das sonst entweder unbekannt oder ungenützt bleiben würde. Der Markt belohnt Produktinnovationen mit Pioniergewinnen, wenn sie den Bedürfnissen der Nachfrage entsprechen und Prozessinnovationen, wenn sie ceteris paribus zu Kostensenkungen führen. Diese Gewinne können risikobereite Unternehmen im sogenannten vorstoßenden (innovativen) Wettbewerb realisieren, in dem sie die Innovationen umsetzen, was gleichbedeutend mit technischem Fortschritt ist. Der nachfolgende Wettbewerb erodiert diese Gewinne durch Nachahmung. Letztlich produziert die Volkswirtschaft aufgrund der Prozessinnovationen die gleiche Menge an Gütern effizienter, also unter Einsatz weniger Ressourcen und könnte die eingesparten Ressourcen nutzen, bzw. zur Befriedigung neuer Bedürfnisse in Form der Produktinnovationen. Der Wettbewerbsprozess macht das Wissen einzelner für alle nutzbar, es wird sozialisiert.19 Folgt man dieser Betrachtungsweise, so schaltet die Kommission mit ihrer Forschungslenkung und -koordination den Forschungswettbewerb und die Bewertung durch den Markt aus. Sie muss folglich in der Lage sein, die effizientesten Zukunftsbranchen und Forschungsprojekte besser als der Markt zu bestimmen. Bahnbrechende Produkte oder Prozessinnovationen sind jedoch Einmalerschei­ nungen. Abgesehen davon, dass der Forschungserfolg oftmals vom Zufall abhängt, können sich Forschungsprognosen nicht auf Trendanalysen stützen, weil Forschung kein deterministischer Prozess ist.20 Die Einmaligkeit von bahnbrechenden Forschungsergebnissen beschreibt am treffendsten der Begeisterungsruf „heureka“ des Griechen Archimedes bei der Entdeckung des hydrostatischen Grundgesetzes. Hinzu kommt, dass für den Erfolg der Innovationen eine entsprechende Marktnachfrage vorhanden sein muss, auch diese müsste folglich von der Kommission prognostiziert werden.21 Schumpeter sieht in einer Innovation, entsprechend der Bedeutung des Wortes, etwas

17Vgl.

Krüger, Malte (1998), S. 227 f.). EU-Kommission (1992, S. 1); sowie Szettle, Dieter (2000, S. 307). 19Vgl. Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 14). 20Vgl. Hamm, Walter (1979, S. 430 f.); sowie Starbatty, Joachim (1987, S. 166). 21Vgl. Staudt, Erich (1986, S. 89); sowie Starbatty, Joachim (1987, S. 166). 18Vgl.

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

347

grundsätzlich Neues und nicht die Verbesserung etwas Bekannten.22 Es handelt sich eben um einen Trendbruch. Je erfolgreicher eine Innovation ist, desto größer muss das Neue, also der Trendbruch sein. Forschungsergebnisse lassen sich deshalb erhoffen, aber nicht sicher vorhersagen, es sei denn, es handelt sich um eine Ausreifungsforschung eines bereits grob bekannten Produktionsprozesses oder Produkts. Hayek nennt deshalb diese Art der Forschungslenkung Anmaßung von Wissen.23 Die Forscher müssen bei der Antragsstellung ihr Forschungsergebnis prognostizieren, damit die Kommission beurteilen kann, welches Forschungsprojekt am erfolgversprechendsten ist. Die Kommission muss bei der Auswahl in der Lage sein, zu beurteilen, ob die von den Forschern gemachten Prognosen über die Forschungsergebnisse stimmen. Wer könnte wissen, welche noch unbekannten Forschungsergebnisse noch wie erforschbar sind. Wenn es sich um unbekannte Forschungsergebnisse handelt, ist dies nicht prognostizierbar. Bestenfalls könnte dies ein Schöpfergott, der diese Welt gebaut hat und den Bauplan kennt, also weiß welche Art von Naturgesetzen Anwendung findet, welche Art von Strahlungen existieren und wie sich die Materie zusammensetzt. Ein Mensch kann dies nicht wissen, er kann nur entdecken. Umgekehrt kann man fragen, was eintreten würde, wenn marktfähige Innovationen generell vorhersehbar und damit planbar wären. Alle Unternehmen verfügen über den gleichen Informationsstand. Sind die Prognosen positiv, gibt es folglich stark vereinfacht zwei mögliche Entwicklungen: 1. Alle Unternehmen investieren in den Kapazitätsausbau, dann gibt es überbesetzte Märkte und keinen Unternehmensgewinn oder 2. alle Unternehmen investieren nicht, weil sie überbesetzte Märkte als Folge der obigen Entscheidungskombination erwarten. Es entsteht das sogenannte ­Morgenstern-Paradoxon als eine unendliche Kette von wechselseitig vermuteten Reaktionen und Gegenreaktionen, die niemals durch einen Akt der Erkenntnis, sondern immer nur durch einen Willkürakt unterbrochen werden kann.24 Somit verringert die Kommission mit der Vorgabe einer Forschungsausrichtung die Bandbreite der Forschung. Damit steigt die Irrtumswahrscheinlichkeit. Die E ­ U-Kommission verhindert folglich mit ihrer Forschungslenkung und Bündelung eine breit gefächerte, diversifizierte Forschungsausrichtung und verringert damit indirekt die Erfolgschancen.25

22Vgl. 23Vgl.

Schumpeter, Joseph A. (1949, S. 150). Hayek, Friedrich August von (1975); sowie Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995,

S. 14). 24Vgl. Morgenstern, Oskar (1966, S. 258). 25Zu dem gleichen Ergebnis kommt Szettle. Vgl. Szettle, Dieter (2000, S. 309 ff.).

348

8 Industriepolitik

Erhöht wird die Irrtumswahrscheinlichkeit darüber hinaus durch die Marktferne der Kommission als zentrale politische Instanz in Brüssel. Gemäß der Entscheidungstheorie sinkt die Irrtumswahrscheinlichkeit mit dem Grad des Informationsstandes. Den besten Informationsstand über die Forschungsprojekte haben die beantragenden Unternehmen und die Forscher. Die Unternehmen haben die größere Marktnähe und die Forscher die größere Nähe zum aktuellen Wissensstand. Demnach haben beide gegenüber der Kommission einen Informationsvorsprung, den sie bei der Antragstellung zu ihren Gunsten nutzen können. Da aber letztlich die Kommission über die Annahme der Forschungsprojekte mit einer höheren Irrtumswahrscheinlichkeit entscheidet, steigt die Wahrscheinlichkeit von Ressourcenfehlallokationen. Hinzu kommen die Wohlfahrtseinbußen aufgrund der Einschränkung des Wettbewerbs an sich. Im Extremfall sind alle Konkurrenten an dem einen Forschungsprojekt beteiligt. Der Sanktionsmechanismus des Marktes und damit auch der Forschungsdruck fallen weg. Der Erfolg am Markt wird von einem relativen zu einem absoluten. Es ist für ein Unternehmen nicht mehr überlebenswichtig, die Innovation vor seinem Konkurrenten zu realisieren, da der Wettbewerb fehlt. Im Gegenteil, es kann darauf hoffen, dass das von der Kommission organisierte Forschungskartell nach Realisierung des Produkts auch zu einem Preiskartell wird, was ihm zusätzliche Marktstellungsrenten ermöglicht.26 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Forschungsförderung nur in den Fällen ökonomisch zu rechtfertigen ist, in denen die Forschungsleistung des Marktes nicht oder ungenügend zustande kommt. Dies gilt für die bereits angesprochenen Fälle von grenzüberschreitenden externen Effekten, z. B. in der Grundlagenforschung oder für die Produktion von öffentlichen Gütern (Harmonisierung von Standards, Schaffung einer europäischen Verkehrsinfrastruktur, Umweltbereich).27 In allen anderen Fällen ist Forschungsförderung entweder ineffizient, also zum Nachteil des fördernden Landes oder sie überträgt direkt ökonomische Vorteile an die begünstigten Unternehmen und zieht damit Verzerrungen im internationalen Wettbewerb mit entsprechenden Wohlfahrtsminderungen nach sich. Zwar lässt sich mit anwendungsorientierten Forschungssubventionen die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen künstlich erhöhen, die mit der Forschungsvergabe verbundene Ineffizienz und Wettbewerbsminderung schwächt jedoch die nationale Wirtschaft wesentlich stärker, sodass der Nettonutzen negativ ist. Letztlich können weder die USA, noch Japan noch Frankreich und schließlich auch nicht die EU nachhaltige industriepolitische Erfolge aufweisen.28 26Vgl.

Starbatty, Joachim (1987, S. 176); sowie Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 16). Als Beispiel diene hier die Politik der Kommission im europäischen Stahlsektor. Vgl. Conrad, Christian A. (1997, S. 157 ff.). 27Vgl. Starbatty, Joachim (1987, S. 177). 28Vgl. Laussel, Didier und Montet, Christian (1995, S. 58); Winter, Helen (1994, S. 218); sowie Szettle, Dieter (2000, S. 305). Mittlerweile scheinen auch Teile der EU-Kommission zumindest branchenspezifischen Markteingriffen skeptischer gegenüberzustehen. Vgl. Handelsblatt vom 05.12.2002, S. 7.

8.1  Aktive, gestaltende Industriepolitik: vor allem …

349

Zusammenfassung der Beurteilung der anwendungsorientierten Forschung Vorteile gibt es nur bei der Förderung von Grundlagenforschung, da hier Marktversagen, positive externe Effekte und nicht rivalisierender Konsum vorliegen. Bei der anwendungsorientierten Forschung konnten nur Nachteile festgestellt werden. 1. Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der nicht subventionierten Unternehmen 2. Wettbewerbsbeschränkung: a) Kommission organisiert Forschungskartell mehrerer Unternehmen, das nach Realisierung des Produkts auch zu einem Preiskartell werden könnte. b) zumindest lässt der Forschungsdruck nach, da der Forschungswettbewerb fehlt. 3. Wohlfahrtsumlenkung zum Nachteil der Steuerzahler 4. hoher Bearbeitungsaufwand (rd. 10 % des Fördervolumens) 5. Zum Pro-Argument Vermeidung von Doppelforschung a) Informationsproblem: Staat müsste die erfolgreiche Forschungsrichtung kennen. Wie soll die EU-Kommission dies wissen? b) Der Forschungswettbewerb wird ausgeschaltet. Nach Friedrich August von Hayek ist der Wettbewerb ein Verfahren zur Entdeckung von Wissen, das sonst entweder unbekannt oder ungenützt bleiben würde. Forschung ist aber kein deterministischer Prozess: das Ergebnis hängt oft vom Zufall ab. Beispiel Meisner Porzellan: Eigentlich sollte Gold von Johann Heinrich Böttgen hergestellt werden. Bei dem Versuch dies künstlich zu produzieren entstand Porzellan. c) Wären marktfähige Innovationen prognostizierbar, würden entweder alle Unternehmen investieren, was zu Überkapazitäten führen würde oder keines, weil sie eben dies befürchten ⇒ unauflösbares Morgenstern-Paradoxon. d) Gemäß der Entscheidungstheorie sinkt die Irrtumswahrscheinlichkeit mit dem Grad des Informationsstandes. Die Kommission hat nur beschränkte Kenntnisse sowohl wissenschaftlich als auch in Bezug auf die Markterfolgswahrscheinlichkeit: Asymmetrische Informationsstand zum Nachteil der EU-Kommission (Staat), da die beantragenden Unternehmen die größere Marktnähe haben und die Forscher die größere Nähe zum aktuellen Wissensstand. Dies hat vor allem Mitnahmeeffekte zur Folge. Aufgrund der langen Bearbeitungsdauer der Forschungsanträge lohnt es sich eher die Spitzenforschung sofort umzusetzen als hierfür Forschungsgelder zu beantragen. Man bekommt die Forschungsgelder erst nach ein bis zwei Jahren. In der Zwischenzeit hätte man mit dem erforschten Produkt am Markt mehr verdienen können und den Wettbewerbsvorsprung nicht durch das Warten gefährdet. Ferner setzt man sich im Rahmen der Forschungskoordination der Gefahr der Industriespionage aus, da man muss seine Forschung mit den Konkurrenten mitteilen teilen muss. Es ist deshalb naheliegend die Forschungsförderung nicht für die besten Projekte zu beantragen. Die über die Forschungsgelder finanzierten Labore lassen sich dann auch für die geheime Forschung nutzen, mit denen man mit einem zeitlichen Vorsprung die Pioniergewinne realisieren kann.

350

8 Industriepolitik

Fazit Die EU-Kommission (Staat) verhindert folglich mit ihrer Forschungslenkung und Bündelung eine breit gefächerte, diversifizierte Forschungsausrichtung und verringert damit indirekt die Erfolgschancen. Fördert die Kommission hingegen im Rahmen ihrer Forschungskooperation den Wettbewerb zwischen den Forschern, indem sie beispielsweise die Forschungstransparenz und den Wissensaustausch, z. B. durch europäische Forschungsinstitute und Datenbanken im Rahmen der Direkten, Horizontalen oder Konzertierten Aktionen erhöht, wirkt dies ohne Wettbewerbsverzerrungen effizienzsteigernd.29 Eine Alternative zu einer Forschungsförderung ist das Erneuerbare Energien Gesetz. Es kreierte einen Markt durch eine degressiv 20 Jahre garantierte Einspeisevergütung für erneuerbare Energien. Sieht man vom Solarbereich ab, so kann dieses Gesetz als erfolgreich bezeichnet werden. Bspw. war die Windenergie nicht wettbewerbsfähig, wenn man die Kosten mit der Erzeugung von Atomenergie vergleicht. Deshalb gab es keinen Markt für Windenergie und auch deshalb keinen für Windanlagen. Durch die Preiserhöhung und Planungssicherheit bei der Einspeisevergütung von Windenergie konnten Windparks finanziert werden, womit auch die Windanlagen bezahlt werden konnten. Der Wettbewerb unter den Unternehmen wurde aber nicht ausgeschaltet, da es keine direkte Unterstützung an die Unternehmen gab, im Gegenteil. Da den Unternehmen bekannt war, dass die Einspeisevergütung jedes Jahr fiel mussten Sie dies durch Kosteneinsparungen auffangen. Der Forschungsdruck wurde dadurch vergrößert. Die deutschen Windanlagenproduzenten gehören deshalb zu den technologisch führenden Unternehmen weltweit.

8.2 Reaktive Industriepolitik mithilfe von Erhaltungssubventionen Sind Erhaltungssubventionen wie bspw. in der Kohle- und Stahlindustrie von nationalem Vorteil? Durch Subventionen werden künstliche Wettbewerbsvorteile geschaffen, die nicht auf Leistungen der Unternehmen im Markt beruhen. Im internationalen Handel bedeutet dies, dass die Regierungen durch Subventionen um die innenpolitisch nachteiligen Beschäftigungswirkungen auf Kosten der Beschäftigung des Auslands herumkommen können, wenn es ihnen gelingt, mithilfe der Subventionen ihre Unternehmen so zu stärken, dass sie wettbewerbsfähiger als die ausländischen Unternehmen sind. Der Beschäftigungsabbau wird wie bei Importrestriktionen auf das Ausland überwälzt.

29Vgl. Starbatty, Joachim und Vetterlein, Uwe (1995, S. 13, 15 f., 16); Szettle, Dieter (2000, S. 307); sowie Stehn, Jürgen (2001, S. 206).

8.2  Reaktive Industriepolitik mithilfe von Erhaltungssubventionen

351

Man spricht deshalb auch von einer „beggar-thy-neighbour-policy“ oder von innerer Protektion. Die Subventionen werden in diesem Fall für die Verlustabdeckung von Verkäufen unter Herstellungskosten oder für die Investitionen in produktivere Produktionsanlagen verwendet. Vor dem Hintergrund des künstlichen Wettbewerbsvorteils, den der Staat durch die Subventionen auf die ineffizienten Unternehmen überträgt, sind Subventionen statisch marktinkonform: Die Allokationsfunktion, die Anreizfunktion* und die Sanktionsfunktion des Wettbewerbs werden ausgeschaltet. Die Unternehmen werden künstlich im Markt gehalten. Es entstehen ähnliche Wirkungen wie in der Zentralverwaltungswirtschaft. Subventionen sind auch dynamisch marktinkonform, weil sie den nachfolgenden Wettbewerb behindern. Neueinsteiger und dynamische Unternehmer antizipieren dies und suchen sich für ihre Investitionen und Innovationen andere Märkte. Zurück bleibt ein Markt, in dem der Erfolg eines Unternehmens in erster Linie von den politischen Kriterien staatlicher Subventionszuteilung bestimmt wird und nicht mehr von seinem Bestehen im Leistungswettbewerb. Die Rentabilität des privaten Kapitals sinkt. Die Folge ist, dass die nicht subventionierten Unternehmen ihr Kapital aus dem Wirtschaftssektor zurückziehen und in Bereiche mit besserer Rentabilität lenken. Auch die dynamischen Unternehmer suchen für ihre Innovationen gewinnbringendere Wirtschaftssektoren. In Form der Subventionen entsteht für die Unternehmen eine zweite Einnahmequelle, deren Zugang nicht durch den Leistungswettbewerb auf dem Markt, sondern durch Lobbying geregelt wird und die wesentlich lukrativer ist als die Produktion von Gütern, man nennt dieses, auf Einkommen ohne Gegenleistung ausgerichtete Verhalten, Rentseeking30. Ein Unternehmen wird folglich das Lobbying so lange steigern, bis seine Grenzkosten gleich seinem Grenzerlös sind. Hat sich eine Regierung erst einmal entschlossen, eine ordnungspolitische Ausnahme zu machen und die Unternehmen sowie deren Arbeitsplätze durch Subventionen im Markt zu halten, so wird ein Beenden der Subventionsvergabe aufgrund der innenpolitischen Widerstände fast unmöglich. Die Regierung hat das ordnungspolitische Subventionstabu durchbrochen und kann sich demnach nicht mehr darauf berufen. Die neue lukrative Einnahmequelle wird deshalb auch von den nicht subventionierten Unternehmen und anderen Wirtschaftsbranchen eingefordert werden, wobei sie sich auf die bereits zugestandenen Subventionen berufen können. Bei den Subventionsempfängern entwickelt sich auf diese Weise die Vorstellung eines Gewohnheitsrechts. Die Unternehmen gewöhnen sich daran, mit Subventionen zu wirtschaften und antizipieren bei ihren Finanzplanungen zukünftige Subventionen. Der Widerstand der profitierenden Interessengruppen wird folglich bei einer Rücknahme der Subventionsvergabe wesentlich größer sein, als wenn die Subventionen von

30Der Begriff „rent-seeking“ geht auf Anne O. Krueger zurück. Vgl. Voigt, Stefan (2002, S. 122 ff.).

352

8 Industriepolitik

v­ ornherein verweigert worden wären. Die eigentliche unternehmerische Leistung lohnt sich in diesem Sektor nicht mehr und tritt für den Unternehmer in der Bedeutung hinter das Rentseeking. Die unternehmerische Leistung wird deshalb abnehmen und der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren verkümmern. Insgesamt führt dies zu einem Sinken des technischen Fortschritts. Der betroffene Wirtschaftssektor schrumpft und fällt in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurück. Durch Importrestriktionen und Subventionen jedweder Art werden künstliche Wettbewerbsvorteile geschaffen, die nicht auf Leistungen der Unternehmen im Markt beruhen. Durch den künstlichen Wettbewerbsvorteil wird das Gleichgewicht in der Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ausland wiederhergestellt. Dieses Gleichgewicht kann jedoch nur vorübergehend aufrechterhalten werden, da sich durch den infolge der Importrestriktionen oder Subventionen verringerten Anpassungsdruck der Rückstand gegenüber dem Ausland in der Regel nicht verringert, sondern vergrößert. Das schützende Land klinkt seine Industrie aus dem internationalen dynamischen Wettbewerb aus und läuft damit Gefahr, für immer den Anschluss zu verlieren. Will es seine Arbeitsplätze weiterhin erhalten, muss es kontinuierlich die Importrestriktionen verschärfen oder die Subventionen erhöhen. Eine langfristige Realisierung des Ziels der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit lässt sich so nicht erreichen. Im Gegenteil, die Subventionierung schwächt als Ressourcenumlenkung in eine suboptimale Verwendung die Wirtschaft als Ganzes.31 Fazit Erhaltungssubventionen lassen sich nur rechtfertigen, um einen Strukturwandel sozial abzufedern. Sie müssen allerdings von vorneherein zeitlich begrenzt und degressiv gestaltet werden, um die negativen Effekte des Markteingriffes zu beschränken. Die im Rahmen des Strukturwandels unvermeidlich auftretende Arbeitslosigkeit lässt sich am besten durch eine negative Einkommenssteuer (Bürgergeld) bekämpfen. Hier wird nicht in den Marktmechanismus eingegriffen, sondern der als Folge der geringen Arbeitsnachfrage in den vom Strukturwandel betroffenen Gebieten niedrige Lohn wird durch eine Zuzahlung des Staates für einen begrenzten Zeitraum angehoben, um den Arbeitnehmer trotz niedrigem Marktlohn einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen. Aufgrund des niedrigen Marktlohns bleibt der Standort attraktiv für Investitionen. Zusammenfassung Vor- und Nachteile der reaktiven Industriepolitik Vorteile: zeitliche Streckung und damit soziale Abfederung von Strukturwandel, der Strukturwandel wird verzögert aber nicht aufgehalten (Bsp. Kohle und Stahl), aber

31Auch

die EU-Kommission befürchtet durch das nach wie vor hohe europäische Subventionsniveau eine Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU aufgrund der verzerrten Ressourcenallokation. Vgl. Borries, Raimer von (1999, S. 101).

8.3  Erklärungsansätze für die Verbreitung von Subventionen

353

Nachteile: • international „beggar-thy-neighbour-policy“, da dort effiziente Arbeitsplätze verloren gehen. • Wettbewerbsverzerrungen 1. statisch marktinkonform: Die Allokationsfunktion, die Anreizfunktion* und die Sanktionsfunktion des Wettbewerbs werden ausgeschaltet. 2. dynamisch marktinkonform: Die dynamische Anpassungsfunktion wird ausgeschaltet. Nicht mehr Leistung, sondern rent-seeking (Streben nach politischer Rente) wird belohnt. Die Unternehmen gewöhnen sich daran, mit Subventionen zu wirtschaften und antizipieren bei ihren Finanzplanungen zukünftige Subventionen (ebenso Gewerkschaften). Die Subventionen behindern den nicht subventionierten nachfolgenden Wettbewerb. Innovationen lohnen sich nicht mehr Neueinsteiger und dynamische Unternehmer antizipieren dies und suchen sich für ihre Investitionen und Innovationen andere Märkte. • Wettbewerb als Entdeckungsverfahren verkümmert. • Sinken des technischen Fortschritts (Innovationsfunktion). • Wirtschaftssektor schrumpft und fällt in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurück. Fazit  Wohlfahrtsverluste sowie Systemschädigung.

8.3 Erklärungsansätze für die Verbreitung von Subventionen Wie festgestellt wurde, lässt sich die starke Subventionsvergabe in der EU nicht ökonomisch rechtfertigen. Die negativen Wirkungen übertreffen die positiven um ein Vielfaches. Wir wollen im Folgenden nach den Gründen für diese Entwicklung suchen, um eventuelle Umsetzungshemmnisse bei dem Entwurf unserer Wettbewerbsordnung berücksichtigen zu können.

8.3.1 Das Verhalten von politischen Entscheidungsträgern In der EU wurden wiederholt ökonomisch nicht optimale Entscheidungen getroffen, wie beispielsweise die Genehmigung von Subventionen oder die Gewährung von Protektion.32 Selbst bei einem weiter gefassten Nutzenbegriff, beispielsweise unter

32Vgl.

Feldmann, Horst (1993); sowie Winter, Helen (1994).

354

8 Industriepolitik

Einbeziehung des Erhalts von Arbeitsplätzen als Nutzen, bleiben die getroffenen Entscheidungen langfristig suboptimal, da die Subventions- und Protektionskosten zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit mit der im Zeitablauf zunehmenden Konkurrenzfähigkeit der konkurrierenden ausländischen Industrien steigt. Wie gezeigt wurde, verzerren die politischen Abstimmungsverfahren die Entscheidungsergebnisse. Es zeigt sich, dass auch politische Entscheidungsträger bei ihren Entscheidungen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Eine Erklärung für das Entscheidungsverhalten von politischen Entscheidungsträgern liefert der bereits dargestellte Ansatz der „Neuen Politischen Ökonomie“.33 Nach dem Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie maximiert ein Politiker nicht das Gemeinwohl, sondern überwiegend seinen eigenen Nutzen (vgl. auch Abschn. 5.1). Politische Ämter gewähren diesen Nutzen in Form von Macht, Prestige und Einkommen. Um die angestrebten Ämter erreichen zu können, muss der Politiker möglichst viele Wahlstimmen sammeln – man spricht von Stimmenmaximierung. Diese Verhaltensausrichtung kann als politische Zweckmäßigkeit oder auch als „politische Rationalität“ bezeichnet werden.34 Die Stimmenmaximierungshypothese ist zwar eine starke Vereinfachung der Verhaltensmotive von Politikern35, jedoch für die auf die Wiederwahl angewiesenen nationalen Politiker zwingend. Diese Verhaltenshypothese liefert eine weitere Erklärung der im Sinne einer Maximierung der Gesamtwohlfahrt nicht optimalen EU-Subventionsentscheidungen. Die Erhaltung von Unternehmen mit Hilfe von Subventionen ist für den Politiker vorteilhaft, weil der Stimmenzugewinn bei den von dem Unternehmen abhängigen Personen (Arbeiter, Gewerbetreibende etc.) größer ist als der Stimmenverlust bei der mit der Finanzierung der Subventionen belasteten Gruppe der Steuerzahler. Die Gruppe der Steuerzahler ist groß und diffus, deshalb sind ihre Organisationskosten hoch. Die unterschiedliche Gruppengröße bewirkt auch, dass der N ­ utzenentgang

33Die

Verhaltenshypothesen Smiths und Schumpeters haben in den USA Downs und in Deutschland Herder-Dorneich aufgegriffen und damit die Neue Politische Ökonomie begründet. Vgl. Starbatty, Joachim (1985, S. 40); Schumpeter, Joseph A. (1993, S. 427 ff.); Andel, Norbert (1990, S. 48); Downs, Anthony (1957); sowie ­Herder-Dorneich, P. (1957). 34Eine umfassende theoretische Analyse der politischen Rationalität findet sich bei Frey, Bruno S. (1981). Eine empirische Verifizierung weiter Teile der Neuen Politischen Ökonomie wurde von Meyer-Krahmer durchgeführt. Vgl. Meyer-Krahmer, Frieder (1979). Die übersichtlichste Zusammenfassung der Ansätze der „Neuen Politischen Ökonomie“ bietet Franke. Vgl. Franke, Siegfried F. (1996). Eine gute theoretische Analyse politischer Wahlakte findet sich bei Downs, Anthony (1968); Andel, Norbert (1990, S. 47 ff.); Braybrooke, David und Lindblom, Charles, E. (1963); sowie Lindblom, Charles, E. (1965). 35Bereits Adam Smith erkannte, dass Politiker in nationalen Ausnahmesituationen von einem reinen Nutzenmaximierer („man of the system“) zu einem altruistischen Staatsmann („man of the state“) werden können. Denkbar ist auch, dass ein Politiker über seine personale Autorität oder durch überzeugende Argumentation den übergeordneten Interessen der Gesamtbevölkerung eine stärkere politische Akzeptanz verschafft. Smith, Adam (1985, S. 394 ff.).

8.3  Erklärungsansätze für die Verbreitung von Subventionen

355

für den Einzelnen durch die Steuererhöhungen kleiner ist als der individuelle Nutzenzugewinn für die von den Subventionen Profitierenden. Dies erklärt, warum der politische Organisationsgrad der Steuerzahler geringer ist als der von den Subventionen profitierenden Unternehmen. Die stimmenmaximierende Entscheidung ist, Subventionen durch öffentliche Kreditaufnahme zu finanzieren – wie dies in der Praxis auch überwiegend geschieht – da hier der Belastete für die Wähler unklar ist und unter Umständen sogar erst die nächste Generation für die Subventionen aufkommen muss. Dies ist jedoch eine Gruppe, die zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht politisch partizipiert. Hinzu kommt, dass der Verzicht auf Subventionen die kurzfristige Arbeitslosigkeit steigert und somit auch die sozialen Kosten des Staates erhöht. Die sich aus dem ungehinderten Wettbewerb ergebenden Wohlfahrtsgewinne stellen sich jedoch erst langfristig ein und sind nicht direkt zurechenbar. Diese Gewinne können von einem Politiker daher nicht als politischer Erfolg genutzt werden. Folglich ist es nach dem Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie für den Politiker nur konsequent, Interventionismus und Protektionismus dem Freihandel vorzuziehen, obwohl dies die hinsichtlich der Gesamtwohlfahrt schlechteren Entscheidungen sind. Die politische Rationalität dominiert somit die ökonomische Rationalität.

8.3.2 Ein subventionsfreier Markt als öffentliches Gut „Jeder Mitgliedstaat neigt wie selbstverständlich dazu, seine heimischen Unternehmen oder Industrien schützen oder schützen zu wollen, ohne auf die Konsequenzen für die anderen Mitgliedsländer oder die Gemeinschaft zu achten. Jedoch verlangt derselbe Mitgliedstaat mit demselben Selbstverständnis eine strikte Kontrolle von staatlichen Hilfen in den Nachbarländern.“36 Die Tendenz, dass im Subventionswettlauf ein Staat in der EU oder international versucht, den anderen mit Subventionen zu übertrumpfen, lässt sich mithilfe der Spieltheorie erklären. Ein subventionsfreier Markt stellt ein öffentliches Gut dar. Das Gut sind die Wohlstandsmehrungen, die sich aus der nicht durch Subventionen verzerrten Ressourcenallokation bei Freihandel ergeben. Es herrscht nicht rivalisierender Konsum und Nicht-Ausschließbarkeit. Wie könnte man diese Wohlfahrtsgewinne des Wettbewerbs verständlich, greifbar machen? Am ehesten, indem man auf die wirtschaftliche Entwicklung der BRD in den letzten vierzig Jahren vor der Wiedervereinigung verweist und dies mit der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR vergleicht. Hier ein Wettbewerbssystem dort im Osten ein Subventionssystem ohne Wettbewerb.

36Wettbewerbskommissar

Monti zitiert nach Noll, Bernd (2002, S. 19). Zu den theoretischen Hintergründen und den ökonomischen Auswirkungen dieses Verhaltens im Rahmen der Einstimmigkeitsabstimmungsregel im Ministerrat vgl. Conrad, Christian A. (2003).

356

8 Industriepolitik a\n

nicht subventionieren [1]

2, 2 nicht subventionieren [1] subventionieren 4, (– 2) [2]

subventionieren [2] (– 2), 0 0, 0

Abb. 8.2   Entscheidungssituation Subventionswettlauf

Die wirtschaftlichen und die politischen Kosten37, die den Regierungen der EUMitgliedstaaten entstehen, wenn sie sich entscheiden sollten, die eigene Industrie zu subventionieren oder im anderen Fall nicht zu subventionieren sollen in eine Auszahlungsmatrix überführt werden. Es wird hierbei nur zwischen der Regierung eines einzelnen Staates A und den 14 anderen Regierungen der ­EU-Mitgliedstaaten, N, unterschieden. Der Wohlfahrtsgewinn, der sich bei einem subventionsfreien Markt durch die effizientere Ressourcenverteilung für jeden Staat einstellt, wird mit 4 und die Höhe der Subventionszahlungen mit 2 angesetzt. Die sozialen Kosten, wie beispielsweise Arbeitslosenunterstützung und die innenpolitischen Kosten, die der Regierung bei einem Verzicht auf die Subventionierung der eigenen Industrie durch die Reaktionen der betroffenen Interessengruppen (Gewerkschaften, Wähler) auf den dann notwendigen Arbeitsplatzabbau entstehen, werden mit 2 beziffert. Auch der politische Gewinn, der sich bei einer Subventionierung oder genauer beim Erhalt der Arbeitsplätze in Form von gestiegener politischer Akzeptanz einstellt, wird mit 2 veranschlagt (Abb. 8.2). Es ergeben sich vier Kombinationen: • Entscheidet sich nur a nicht zu subventionieren, wohingegen die anderen Regierungen subventionieren, so trägt a die sozialen und politischen Kosten seiner Subventionsverweigerung, ohne dass sich für ihn ein Vorteil in Form eines Wohlfahrtsgewinnes einstellt (Kombination 1–2). • Damit a die maximale Auszahlung erhält, muss a subventionieren, aber alle anderen Regierungen sich Subventionen enthalten. In diesem Fall kann a seine politischen sozialen Kosten umgehen, da es ihm gelingt, im Rahmen der „beggar-thy-neighbour-policy“ die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie über die ­ des Auslandes zu stärken. Hinzu kommt der Wohlfahrtsgewinn, den der Staat durch die, aufgrund der innerhalb des subventionsfreien Marktes im Ausland günstiger gewordenen, Importe einstreicht. Der Staat nimmt damit Teil am öffentlichen Gut,

37Entsprechend des Ansatzes der Neuen Politischen Ökonomie. Vgl. hierzu beispielsweise Frey, Bruno, S. (1981).

8.3  Erklärungsansätze für die Verbreitung von Subventionen

357

ohne selber etwas dafür beizutragen (Free-Rider-Position oder Trittbrettfahrerverhalten; Kombination 2–1). • Entscheiden sich a und sämtliche n Regierungen dazu, nicht zu subventionieren, so ergibt sich für alle Regierungen, nach Abzug der sozialen und politischen Kosten, durch die optimale Ressourcenallokation verursachte Wohlstandssteigerung, die Auszahlung von 2. (Kombination 1–1) Keine Regierung wird jedoch darauf verzichten, ihre Industrie zu subventionieren, ohne die Gewissheit zu haben, dass alle anderen Regierungen dies auch tun werden. • Alle werden deshalb zur „Beggar Thy Neighbour Policy“ tendieren, also die ­Free-Rider-Position einzunehmen, was automatisch zur suboptimalen Kombination 2–2 (dominante Strategie) führt, bei der kein subventionsfreier Markt als öffentliches Gut zustande kommt. Es handelt sich somit um die spieltheoretische Situation eines Gefangenendilemmas.38 Gewissheit, dass auch alle anderen Regierungen auf Subventionen verzichten, hat die Regierung a jedoch, wenn sie verbindliche Zusagen in Form von Verträgen mit den anderen Regierungen oder durch einen durchsetzungsfähigen Dritten erhält. Die beiden alternativen Ansätze für eine internationale Subventionskontrolle sind deshalb entweder verbindliche, durchsetzungsfähige Verträge oder eine internationale Wettbewerbsbehörde mit eigenen Sanktionsinstrumenten. Entscheidend ist, dass ein Verhaltenskodex und Sanktionen instrumentalisiert werden, die ein Free Rider Verhalten ausschließen. Zusammenfassung

Die aktive, gestaltende Industriepolitik versucht durch gezielte Forschungsförderung die nationale Wirtschaft zu stärken, wohingegen die reaktive Industriepolitik zum Ziel hat, mit Hilfe von Subventionen den Strukturwandel hinauszuzögern. Weder aktive noch reaktive Industriepolitik sind wohlfahrtsfördernd. Vielmehr greifen sie in einen funktionierenden Marktmechanismus ein und verringern damit die Wohlfahrt. Lediglich die Förderung der Grundlagenforschung ist wohlfahrtsfördernd. ◄ Übungsaufgaben 1. Wägen Sie die Vor- und Nachteile ab von: a) aktiver, gestaltender Industriepolitik durch Forschungsförderung? b) reaktiver Industriepolitik mithilfe von Erhaltungssubventionen? 2. Warum sind Subventionen trotz ihrer Nachteile so stark verbreitet? Stellen Sie die Entscheidungssituation grafisch dar: Ein subventionsfreier Markt stellt ein öffentliches Gut dar. Das Gut sind die Wohlstandsmehrungen, die sich aus der nicht

38Zu den Hintergründen der Situation eines Gefangenendilemmas in der Spieltheorie vgl. Holler M. J. und Illing, G. (1993, S. 8 f.); sowie Voigt, Stefan (2002, S. 48 ff.).

358

8 Industriepolitik

durch Subventionen verzerrten Ressourcenallokation bei Freihandel ergeben. Es herrscht nichtrivalisierender Konsum und Nicht-Ausschließbarkeit. Es wird hierbei nur zwischen der Regierung eines einzelnen Staates a und den anderen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, n, unterschieden. 3. Der Wohlfahrtsgewinn, der sich bei einem subventionsfreien Markt (bei n-Staaten) durch die effizientere Ressourcenverteilung für jeden Staat vor allem durch günstige Importe einstellt, beträgt 4. Die sozialen Kosten, wie beispielsweise Arbeitslosenunterstützung und die innenpolitischen Kosten, die der Regierung bei einem Verzicht auf die Subventionierung der eigenen Industrie durch die Reaktionen der betroffenen Interessengruppen (Gewerkschaften, Wähler) auf den dann notwendigen Arbeitsplatzabbau entstehen, werden mit 2 beziffert. (Die Lösung ist Abb. 12.3 im Anhang).

Literatur Andel, N. (1990). Finanzwissenschaft (3. Aufl.). Tübingen: Mohr. Braybrooke, D., & Lindblom, C. E. (1963). A Strategy of Decision. New York: The Free Press of Glencoe. Büro für internationale Forschungs- und Technologiekooperation. (2003). Das 6. Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration, Internetabfrage vom 16.11.2003. www.bit.ac.at/FP6.hmt. Conrad, C. A. (1997). Europäische Stahlpolitik zwischen politischen Zielen und ökonomischen Zwängen. Baden-Baden: Nomos. Conrad, C. A. (2003). The Dysfunctions of Unanimity: Lessons from the EU steel crisis. Journal of Common Market Studies, 41(1), 157–169. Conrad, C. A. (2005). Taking stock: The history of european steel crisis policy. The Journal of European Economic History, 34(1), 283–306. Downs, A. (1957). An economic theory of democracy. New York. (deutsch 1968). Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen: Mohr. Downs, Anthony. (1968). Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen: Mohr. (Erstveröffentlichung 1968). EU-Kommission. (1992). EGKS-Stahl, 10 Jahre Forschung und Entwicklung 1981‒1990. Brüssel: EU-Kommission. Feldmann, H. (1993). Konzeption und Praxis der EU-Technologiepolitik: Eine Bestandsaufnahme aus ordnungspolitischer Sicht. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 44, 139–168. Franke, S. F. (1996). (Ir)rationale Politik? Marburg: Metropolis. Frey, Bruno S. (1981). Theorie demokratischer Wirtschaftspolitik. München: Vahlen. Hamm, W. (1979). Staatsaufsicht über wettbewerbspolitische Ausnahmebereiche als Ursache ökonomischer Fehlentwicklungen. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 29, 156–172. Herder-Dorneich, P. (1957). Theorie der Bestimmungsfaktoren finanzwissenschaftlicher Staatstätigkeit. wirtschaftswissenschaftliche Dissertation, Freiburg. Holler, M. J., & Illing, G. (1993). Einführung in die Spieltheorie. Berlin: Springer.

Literatur

359

Krüger, M. (1998). Kann Industriepolitik die Wettbewerbsfähigkeit verbessern? In J. B. Donges & A. Freytag (Hrsg.), Die Rolle des Staates in einer globalisierten Wirtschaft, Schriften zur Wirtschaftspolitik, N.F. (Bd. 6, S. 49–64). Aldershot: Trade and Industry. Laussel, D., & Montet, C. (1995). Discussion. In P. Buigues, A. Jacquemin, & A. Saphir (Hrsg.), European policies on competition (S. 49–64). Trade and Industry: Aldershot. Meyer-Krahmer, F. (1979). Politische Entscheidungsprozesse und Ökonomische Theorie der Politik. New York: Campus-Verlag. Morgenstern, O. (1966). Vollkommene Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht. In H. Albert (Hrsg.), Theorie und Realität. Mohr Siebeck: Tübingen. Narjes, K. H. (1986). Europas Antwort auf die technologische Herausforderung. ifo-Schnelldienst, 23, 9–27. Noll, B. (2002). Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft. Stuttgart: Kohlhammer. Schumpeter, J. A. (1949). The creative response in economic history. The Journal of Economic History, VII, 149–159. Schumpeter, J. A. (1993). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (7.  Aufl.). Francke: Tübingen. Smith, A. (1985). Theorie der ethischen Gefühle (2. unv. Nachdruck der ersten Aufl. von 1926). Hamburg: Meiner. Starbatty, J. (1987). Die ordnungspolitische Dimension der EU-Technologiepolitik. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 38, 155–180. Starbatty, J., & Vetterlein, U. (1995). Die Technologiepolitik der Europäischen Gemeinschaft, Entstehung, Praxis und ordnungspolitische Konformität. Baden-Baden: Nomos. (Erstveröffentlichung 1990). Staudt, E. (1986). Forschungs- und Technologiepolitik – unverzichtbares Element moderner Staatsführung? In N. Walter (Hrsg.), Was würde Erhard heute tun? Stuttgart: Poller. Stehn, J. (2001). Wettbewerbs- und Industriepolitik. In W. Weidenfeld & W. Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der europäischen Integration 2000/2001. Berlin: Duncker & Humblot. Szettle, D. (2000). Auswirkungen der Industriepolitik der EU auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Freiburg i.Br: Haufe. Voigt, S. (2002). Institutionenökonomik. München: UTB. von Borries, R. (1999). Statement: Grundsätzliche Aspekte des europäischen Beihilfenrechts. In J. Schwarze (Hrsg.), Neue Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Wettbewerbsrechts. Baden-Baden: Nomos. von Hayek, F. A. (1975). Die Anmaßung von Wissen. ORDO (Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft), 26, 12–21. Winter, H. (1994). Interdependenzen zwischen Industriepolitik und Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft. Baden-Baden: Nomos.

9

Konjunkturpolitik

Was folgt warum?

Konjunkturschwankungen sind vor allem als Nachfrageschwankungen ein großes volks- und betriebswirtschaftliches Problem und nur sehr eingeschränkt durch die Wirtschaftspolitik beeinflussbar. Im folgenden Vorlesungsabschnitt wollen wir das Konjunkturphänomen und die Auswirkungen auf die Wirtschaft analysieren und die Gründe für Konjunkturschwankungen aufzeigen. Lernziele Sie sollen in der Lage sein, die wesentlichen Auswirkungen, Interdependenzen und Ursachen von Konjunkturschwankungen mit eigenen Worten zu erklären.

9.1 Das Konjunkturphänomen Die in der Realität zu beobachtenden nicht saisonalen Schwankungen der Gesamtnachfrage werden als Konjunkturzyklen bezeichnet. Sie äußern sich in einem steigenden und fallenden Auslastungsgrad des Produktionspotenzials. Wir können deshalb Konjunkturen wie folgt definieren:  Definition  Konjunkturen sind Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials. Sie äußern sich in zyklischen Schwankungen des Bruttoinlandsproduktes (Maßgröße für die jährliche Produktionsleistung einer Volkswirtschaft) um das zur Normalauslastung des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft erforderliche Niveau. Konjunktur und Wachstum bedingen sich tendenziell. Die Netto-Investitionsnachfrage wird in den Folgeperioden zum Wachstum des Produktionspotenzials und als Einkommen zur Konsumnachfrage. Im engeren Sinne ist deshalb die Unterscheidung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. A. Conrad, Wirtschaftspolitik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30419-5_9

361

362

9 Konjunkturpolitik

in Konjunktur und Wachstum künstlich. Die empirischen Zeitreihen des Nationalprodukts enthalten immer sowohl Wachstums- als auch Konjunkturkomponenten.1 Die Konjunkturzyklen unterscheiden sich stark vereinfacht bezüglich ihrer Ausschläge, der Amplitude und der zeitlichen Zykluslänge als Abstand zwischen zwei Maxima. Die tatsächlich feststellbaren Verläufe des Bruttoinlandsprodukts weisen unregelmäßige Entwicklungen auf, aus denen sich außer den stilisierten sinusförmigen Zyklen noch eine Fülle anderer Schwankungen herausfiltern lassen.2 Mit den Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials sind hohe wohlfahrtsökonomische Kosten verbunden. In der Unterauslastungsphase liegt ein Teil des Wertschöpfungspotenzials brach. Menschen sind ohne Beschäftigung und damit ohne Einkommen und sozialintegrierende Aufgabe. In der Boomphase droht vor allem Inflation, die aufgrund ihrer Interdependenzen und time-lags nur schwer in den Griff zu bekommen ist und schwere Allokations- und Verteilungsverzerrungen hervorruft.3 Eine vom National Bureau of Economic Research durchgeführte Schätzung der ökonomischen Kosten von Konjunkturschwankungen ergab für die USA über einen Zeitraum von 35 Jahren eine Wachstumseinbuße von 2 %.4 Angesichts des Konjunkturphänomens stellen sich aus theoretischer Sicht zwei Fragen: erstens, warum kommt es überhaupt zu Änderungen in der gesamtwirtschaftlichen Auslastung des Produktionspotenzials und zweitens, wie lässt sich der tendenziell sinusförmige Verlauf, also vor allem die Existenz der Wendepunkte erklären. Eine Konjunkturtheorie hat somit die Aufgabe, die Ursachen und Zusammenhänge von Konjunkturschwankungen zu erklären. Um die wohlfahrtsökonomischen Kosten der Schwankungen zu minimieren, sollte sie aber auch in der Lage sein, die Entwicklung des Nationalprodukts zu prognostizieren und aus den Erklärungsansätzen Instrumente zur Glättung der Schwankungen für die Wirtschaftspolitik abzuleiten. Die von SCHEBECK und TICHY5 1984 zusammengestellten empirisch beobachteten „stilisierten Fakten“ beschreiben das Konjunkturphänomen hinreichend. Charakteristisch für den Konjunkturverlauf sind vor allem die prozyklische Entwicklung der Investitionsquote, der Nominallöhne, der Gewinnquote, der Preise und der kurzfristigen Zinssätze, des Reallohns sowie die antizyklische Entwicklung der bereinigten Lohnquote.6 Diese „stilisierten Fakten“ sollen in diesem Beitrag als Messlatte zur Beurteilung der dargestellten Konjunkturtheorien dienen: einerseits darf eine realitätsnahe Theorie

1Denkbar

sind allerdings auch Entwicklungen, bei denen die Nettoinvestitionen gleich Null sind. Das Produktionspotenzial bliebe dann unverändert. Schwankungen in der Auslastung des Produktionspotenzials wären dann ein reines Konjunkturphänomen. 2Vgl. Albers, Willi et al. (Hrsg.) (1976, S. 479 ff.). 3Vgl. auch Zarnowitz, Victor (1997, S. 1 f., 25 f.). 4Vgl. Ramey, Garey und Ramey, Valerie A. (1991). 5Vgl. Schebeck, Fritz und Tichy, Günther (1984). 6Vgl. Schebeck, Fritz und Tichy, Günther (1984).

9.1  Das Konjunkturphänomen

363

Abb. 9.1   Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts

Abb. 9.2   Der stilisierte Konjunkturzyklus

zumindest nicht im Widerspruch zu diesen Fakten stehen und andererseits sollte eine Theorie mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit in der Lage sein, viele dieser Fakten zu erklären. Die Abbildungen Abb. 9.1 und 9.2 dienen zur Verdeutlichung der Konjunkturschwankungen. Konjunkturen äußern sich in zyklischen Schwankungen des Bruttoinlandsproduktes (Maßgröße für die jährliche Produktionsleistung einer Volkswirtschaft) um das zur Normalauslastung des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft erforderliche Niveau (vgl. Abb. 9.1 und 9.2). Dabei kommt es nach einem 1. Aufschwung zu boomartigen Überforderungen der vorhandenen Angebotskapazitäten (2. Boom) durch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die Anbieter reagieren darauf mit 1. gesteigerter Beanspruchung der Faktoren (Überstunden), 2. Lagerabbau bzw. Erhöhung des Auftragsbestandes und/oder 3. inflationär wirkenden Preiserhöhungen. 4. Kapazitätsausweitungen, Neueinstellungen

364

9 Konjunkturpolitik

Und nach einem 3. Abschwung kommt es zu Unterauslastungen der Angebotskapazitäten wegen der konjunkturbedingt rückläufigen Nachfrage. Man spricht dann von einer 4. Rezession.  Definition  Die verbreitetste Definition von Rezession lautet: mindestens zwei aufeinander folgende Quartale mit Negativwachstum, also sinkendem BIP. In dieser Konjunkturphase treten zahlreiche Insolvenzen, Massenarbeitslosigkeit und Kurzarbeit d. h. konjunkturelle Arbeitslosigkeit und meist nur geringe inflationäre Preisniveausteigerungen auf. Die Steigerung der Rezession ist die Depression als eine anhaltende Stagnation (Unterauslastung der Produktionskapazitäten) mit deflationären Tendenzen. Arten von Konjunkturzyklen nach Länge: 1. Kitchin 3–4 Jahre,

2. Juglar 7–10 Jahre und

3. Kondratieff 50–60 Jahre z. B. die Eisenbahn sowie das Internet

Konjunkturindikatoren Leading Indicators: Anlageinvestitionen, Einkaufsmanagerindex und ifo-Geschäftsklimaindex sind bspw. gegenüber dem BIP ein vorlaufender Indikator, ­ wohingegen der Konsum ein nachlaufender Indikator ist (Lagging Indicator). Vor allem die Investitionsveränderungen sind für Konjunkturschwankungen ausschlaggebend. Beispiel: Anlageinvestitionen

BIP

1957/8 0,3 % → 4,2  %  ↑

5,9 % → 4,1  %  ↓

1959/60 11,3 % → 7,3  %  ↓

7,5 % → 8,8  %  ↑

Zur Erstellung des ifo Geschäftsklimaindex‘ werden ca. 7000 Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels monatlich befragt. Die Unternehmen werden nach ihrer Einschätzung der gegenwärtigen Geschäftslage und ihrer Erwartungen für die nächsten sechs Monate gefragt. Das Geschäftsklima wird als ein transformierter Mittelwert aus der Geschäftslage und den Erwartungen gebildet (vgl. Abb. 9.3). Aus dem Geschäftsklimaindex kann man eine Konjunkturuhr herleiten, indem man die Beurteilung der aktuellen Lage mit den Erwartungen in Beziehung setzt. Eine gute aktuelle Lage und positive Erwartungen ergeben dann die Boomphase (vgl. Abb. 9.4).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

365

Abb. 9.3    Der ifo Geschäftsklimaindex. (Quelle: ifo Institut, http://www.cesifo-group. de/de/ifoHome/facts/Survey-Results/Business-Climate/Geschaeftsklima-Archiv/2016/ Geschaeftsklima-20160926.html)

9.2 Gründe für Konjunkturschwankungen aus der Konjunkturtheorie und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen 9.2.1 Dynamische keynesianische Ansätze: Der Hicks’sche Supermultiplikator Ausgehend von Keynes führen Schwankungen der autonomen Investitionen sowie Multiplikatoreffekte (fortgesetzte Effekte von Nachfrageerhöhung) und Akzeleratoreffekte (Nachfrageerhöhungen bei ausgelasteten Kapazitäten bewirken Investitionen) zu Konjunkturschwankungen wie im Folgenden anhand des Hicks’schen Supermultiplikators (1950) gezeigt wird. SAMUELSON7 war 1939 der erste, der den Keynesschen Nachfragemultiplikator und Investitionsakzelerator zu einem Modell einer nachfrageabhängigen Investitionsfunktion kombinierte und auf diese Weise regelmäßige Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage erzeugen konnte. Der Nachteil des Konjunkturmodells von Samuelson ist jedoch, dass das schwankende Bruttoinlandsprodukt keinem Wachstumstrend folgt, sondern sich je nach Parameterkonstellation um oder auf einen konstanten Wert zu bewegt oder bei explosiven Schwankungen von ihm wegbewegt. Es gelingt

7Vgl.

Samuelson, P. A. (1939).

366

9 Konjunkturpolitik

Abb. 9.4   Die ifo Konjunkturuhr. (Quelle: ifo Institut, http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/ facts/Survey-Results/Business-Climate/Geschaeftsklima-Archiv/2016/Geschaeftsklima-20160926. html)

schließlich HICKS8 1950, über die Berücksichtigung induzierter und autonomer Investitionen9 die in der Realität zu beobachtenden Schwankungen in der Auslastung eines stetig wachsenden Produktionspotenzials zu erklären. HICKS kombiniert eine

8Zum

Hicks’schen Supermultiplikator vgl. Hicks, J. R. (1950); Tichy, G. (1995, S. 11 ff.); Assenmacher, Walter (1998); Teichmann, U. (1997, S. 11 ff.); Wagner, A. (1990, S. 222); sowie Ott, A. (1963, S. 196 ff.). 9(d. h. alle Investitionen, die nicht durch eine Nachfrageveränderung hervorgerufen werden, also langfristig geplante Investitionen wie z. B. öffentliche Infrastrukturinvestitionen und Innovationen).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

367

Abb. 9.5   Wachstumszyklen des Hicks-Modells

e­ infache Konsumfunktion und einen Akzelerator zu einem dynamischen keynesianischen Ansatz. Das System befindet sich im dynamischen Gleichgewicht, wenn das Bruttoinlandsprodukt mit derselben konstanten Rate wie die autonomen Investitionen wächst (vgl. Abb. 9.3). HICKS10 (1950) kombiniert eine einfache Konsumfunktion Ct = cYt−1 und einen Akzelerator . Über die Berücksichtigung induzierter und autonomer Investitionen11 Iaut = A · + w)t [A0: Anfangswert, w: konstante Wachstumsrate der (1 0 t autonomen Investitionen] gelingt HICKS die Erklärung von Schwankungen in der Auslastung eines stetig wachsenden Produktionspotenzials.

Die Abb. 9.5 zeigt die autonomen Investitionsausgaben und darüber die sonstigen Entstehungskomponenten des Nationalprodukts, das sich in Abwesenheit von Konjunkturschwankungen und externen Störungen gemäß der Linie Yt, also dem langfristigen Gleichgewichtspfad entwickeln würde. Dies ist der gedachte Gleichgewichtspfad,

10Zum Hicks’schen Supermultiplikator vgl. Hicks, J. R. (1950); Tichy, G. (1995, S. 11 ff.); Assenmacher, W. (1998); Wagner, A. (1990, S. 222); sowie Ott, A. (1963, S. 196 ff.). 11alle Investitionen, die nicht durch eine Nachfrageveränderung hervorgerufen werden, also langfristig geplante Investitionen wie z. B. öffentliche Infrastrukturinvestitionen, Innovationen.

368

9 Konjunkturpolitik

des realen Nationalprodukts, das mit der gleichen konstanten Rate wie die autonomen Investitionen wächst. Die induzierten Investitionen haben keinen Kapazitätseffekt. YtS, max stellt die Kapazitätsgrenze (Vollbeschäftigung) und YtD, min der Disinvestitionsuntergrenze dar. Kapazitätsgrenze und Desinvestitionsuntergrenze bilden als obere und untere Schranke einen Tunnel, in dem sich das wachsende Bruttoinlandsprodukt bewegt. Auf der Desinvestitionsuntergrenze entspricht die Investitionsnachfrage den gleichförmig wachsenden autonomen Investitionen. Die tatsächliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts stellt sich als Schwingung12 um den langfristigen Wachstumspfad des Bruttoinlandsprodukts dar. Ist das Bruttoinlandsprodukt im Ausgangsgleichgewicht zum Zeitpunkt t0 aufgrund eines positiven exogenen Nachfrageschocks in einen konjunkturellen Aufschwungprozess geraten, so erreicht es in t1 seinen vorerst höchsten Wert, der durch das Wachstum des Produktionspotenzials (Pfad A) begrenzt wird. Aufgrund des Akzeleratorzusammenhangs ist eine gleichbleibende Zuwachsrate Voraussetzung für eine konstante Nachfrage. Der bloße Rückgang des Wachstums der Nachfrage kann somit bereits einen Abwärtsprozess einleiten. Die untere Schranke dieses kontraktiven Prozesses wird erreicht, wenn die Investitionen bis zur Höhe der unterlassenen Reinvestitionen gesunken sind. Die induzierten Investitionen sind durch den Nachfragerückgang auf Null geschrumpft und das Bruttoinlandsproduktwachstum wird lediglich durch die autonomen Investitionen und dem anteiligen Konsum bestimmt. Der Aufwärtsprozess wird durch die in Folge des Wachstums der autonomen Investitionen induzierte Investitionsnachfrage eingeleitet. Sobald wieder gilt Yt+1 > Yt werden Investitionen induziert. Größter Mangel dieses Modells ist die Vernachlässigung der monetären Seite (die Investitionen sind nicht zinsabhängig). Preisniveauänderungen sind als Konjunkturdeterminante ausgeklammert. Eine Übernachfrage hat keine negativen Konsequenzen zur Folge. Ferner haben die nachfrageinduzierten Investitionen keinen Kapazitätseffekt. HICKS verdeutlicht jedoch die dynamische Bedeutung von Nachfrageveränderungen auf. Hiermit lassen sich die in der Realität zu beobachtenden sinusförmigen Schwankungen um einen aufsteigenden Bruttoinlandsproduktwachstumspfad erklären. Auf der anderen Seite liefert HICKS keine Erklärung, wie die von ihm angenommene Wachstumsrate der autonomen Investitionen zustande kommt.13 Er gibt aber selbst zu, dass die Wachstumsrate der autonomen Investitionen nicht konstant sein muss und sogar stark reduziert sein kann:

12Aufgrund 13„Public

der Wahl von

handelt es sich um explosive Schwingungen.

investment, investment which occurs in direct responce to inventions, and much of the ‚long-range‘ investments (as Mr. Harrod calls it) which is only expected to pay for itself over a long period, all of these can be regarded as Autonomous Investment for our purpose“ Hicks, J. R. (1950, S. 59).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

369

One of the most dangerous things that can happen (and on one occasion, at least surely has happened) is that autonomous investment itself is severely checked by financial breakdown.14

Ausgehend von dem Modell von HICKS gab es zahlreiche Weiterentwicklungen. CHENERY hat eine Investitionsfunktion entworfen, die sowohl von der Nachfrage als auch von der Kapazitätsauslastung abhängig ist und den Kapazitätseffekt vergangener Investitionen berücksichtigt.15 GOODWIN entwickelt ein Gesamtmodell, in dem die Konsumnachfrage aus einem autonomen und einem einkommensabhängigen Teil besteht. Aus dem Modell von GOODWIN ergeben sich Konjunkturzyklen mit sehr realitätsnahen Eigenschaften, wobei jeder Zyklus den folgenden initiiert. Die Zyklen laufen weder aus, noch treten – im Gegensatz zu dem Modell von HICKS – explosive Schwingungen auf, die die Einführung von Ceilings notwendig machen würden. Darüber hinaus ist die Art der Schwingung nicht von den Anfangsbedingungen oder den Modellkoeffizienten abhängig.16 Die vermisste Endogenisierung des Geldmarktes lieferte PHILLIPS und die des Arbeitsmarktes BERGSTROM. PHILLIPS gelingt es, mit seinem Modell den konjunkturstabilisierenden Einfluss auslastungsabhängiger Preisänderungen zu zeigen, die von den Lohnreaktionen ausgelöst werden.17 Auf dem PHILLIPS-Modell aufbauend, endogenisiert BERGSTROM den Arbeitsmarkt mittels einer Produktionsfunktion. Entsprechend den Gewinnmaximierungsbedingungen bei vollkommener Konkurrenz bestimmt die Grenzproduktivität des Kapitals die Kapitalnachfrage und die Grenzproduktivität der Arbeit die Arbeitsnachfrage, womit auch das Zins- und Lohnniveau festgelegt sind. Lohnerhöhungen bewirken ceteris paribus einen Anstieg des Arbeitsangebots, aber auch einen Rückgang der Arbeitsnachfrage und damit einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Der Einkommensrückgang wirkt über den Multiplikator.18 Fazit

Die konjunkturpolitischen Schlussfolgerungen, die sich aus diesem Modell ziehen lassen, entsprechen denen der weiterentwickelten Theorie von Keynes. Der Staat muss die Nachfrageschwankungen durch autonome Nachfrageimpulse ausgleichen. Deshalb ist eine diskretionäre antizyklische Fiskalpolitik notwendig:

14Hicks,

J. R. (1950, S. 129). Chenery, H. (1952); sowie Assenmacher, Walter (1998, S. 186 ff.). 16Vgl. Goodwin, R. M. (1951); sowie Assenmacher, Walter (1998, S. 120 ff.). 17Vgl. Phillips, A. (1961); Teichmann, Ulrich (1997, S. 17); sowie Assenmacher, Walter (1998, S. 117 ff.). 18Vgl. Bergstrom, A. (1962); Teichmann, Ulrich (1997, S. 17); sowie Assenmacher, Walter (1998, S. 18). 15Vgl.

370

9 Konjunkturpolitik

Rezession: kreditfinanzierte Steigerung der Staatsausgaben, Auflösung von Rücklagen, Steuererleichterungen Boom: Einschränkungen der Staatsausgaben, Steuererhöhungen, Einstellung in die Rücklagen. ◄ Allerdings zeigt HICKS in seinem Modell auch die Sensibilität auf, mit der die Wirtschaft im dynamischen Verlauf auf Nachfrageveränderungen reagiert. Unter Berücksichtigung der mittlerweile bekannten praktischen Erkennungs- und Umsetzungsprobleme staatlicher Nachfragesteuerung lässt sich hieraus auch eine Warnung vor diskretionärer Wirtschaftspolitik ableiten. Eine einmalige (einperiodige) Erhöhung der Nachfrage durch den Staat würde in der Folgeperiode (c. p.) einem gesamtwirtschaftlichen Nachfragerückgang entsprechen und damit einen Abwärtsprozess einleiten. Damit zeigt das Modell gleichzeitig die Gefahren diskretionärer konjunkturpolitischer Steuerung auf.

9.2.2 Neoliberale versus Keynesianer, eine Synthese Der Ansatz der antizyklischen Fiskalpolitik wurde weltweit in den 60er Jahren bis Mitte der 70er Jahre praktiziert. Er fand Eingang in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967, was allerdings mittlerweile nicht mehr angewendet wird. In der Regierung von Altbundeskanzler Schmidt wurde diese Politik auch noch praktiziert. Es gab jedoch erhebliche Umsetzungsprobleme. Es gab zunächst einmal das Problem, die konjunkturellen Schwankungen richtig zu interpretieren. Die Frage, wann eine Rezession vorlag, die eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben erforderlich machte, war nicht eindeutig zu beantworten, weil die Zyklen nicht schematisch verlaufen. Dann dauerte es in der Regel zu lange, bis die konjunkturellen Maßnahmen umgesetzt wurden, sodass es oft vorkam, dass die staatliche Nachfrageerhöhung erst dann griff als sich die Wirtschaft schon wieder im Aufschwung befand. Das entscheidende Problem war jedoch die einseitige Umsetzung des Konzepts der antizyklischen Fiskalpolitik. Das Ausdehnung der Staatsausgaben in der Rezession fiel den Politikern leicht, nicht jedoch das Sparen im Boom. Im Boom wollen die Minister ihre Budgets erhöhen, da sie Jahre „zurück gesteckt“ haben. Auch politisch war eine Ausgabensenkung im Boom nicht populär. Die Politiker befürchteten Wahlstimmenverluste, wenn sie ihren Bürgern die staatlichen Ausgaben kürzten. Dies hatte zur Konsequenz, dass die Verschuldung in der Rezession durch die expansive Fiskalpolitik erhöht wurde, aber im Boom nicht wieder reduziert wurde. So war letztlich die weit ausgelegte Interpretation der keynesianischen Depressionstheorie mit verantwortlich für die in den 60er und 70er Jahren stark angestiegene Staatsverschuldung.

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

371

Monetarismus bzw. „Neoliberale“ (Angebotsorientiert). Als Gegenbewegung zur diskretionären Nachfragesteuerung in den 60er und 70er Jahren bildete sich der Monetarismus mit ihrem Hauptvertreter Milton Friedman und allgemein dem Neoliberalismus als einer extrem marktoptimistischen volkswirtschaftlichen Ausrichtung. Sie vertraten die These, dass aufgrund der zahlreichen Umsetzungsprobleme (Erkennungs-, Planungs-, Umsetzungs- und Wirkungslag) und der Schwierigkeit, die für die jeweilige Konjunkturentwicklung verantwortliche Ursache eindeutig festzulegen, die Fiskalpolitik langfristig und nicht diskretionär kurzfristig eingesetzt werden sollte. Die Neoklassik und insbesondere die Quantitätstheorie (M • v = Y • P) wurden wieder herrschende Lehrmeinung. Die Geldpolitik hat vor allem der Sicherung der Preisstabilität zu dienen und darf nur in Ausnahmesituationen helfen, externe Schocks abzufedern. Reales Bruttoinlandsproduktwachstum kann durch eine expansive Geldpolitik nicht künstlich erzeugt werden. Die Neoliberalen gehen von der „Politikineffizienzhypothese“ aus. Konsequenterweise ist der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft so gering als möglich zu halten. Die zukünftigen Umweltzustände sind unbekannt. Die Marktteilnehmer treffen deshalb Entscheidungen unter Unsicherheit. Der Staat darf diese Unsicherheit durch eine ­„Nicht-Konstanz“ der Wirtschaftspolitik nicht zusätzlich vergrößern. Gefragt ist vielmehr eine Regelbindung in Form klarer langfristig angelegter Politikprogramme, denen eine nachvollziehbare ordnungskonforme Konzeption zugrunde liegt, also Ordnungsanstatt Prozesspolitik. Nur in der Depression, also bei einer anhaltenden Unterauslastung des Produktionspotenzials mangels Nachfrage, soll der Staat eingreifen, weil sich sonst ein Aufschwung auf absehbare Zeit nicht mehr einstellt. Es müssen klare Regelungen und Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es bleibt die regelgebundene antizyklische Geldpolitik: Langfristig orientiert sich bspw. die EZB am Produktionspotenzial, kurzfristig aber auch an dessen Auslastung bzw. am BIP, d. h. in der Rezession senkt sie die Leitzinsen und erhöht die Geldmenge, um der Wirtschaft expansive Impulse zu geben und im Boom erhöht sie die Zinsen und verknappt die Liquidität, um eine Überhitzung der Wirtschaft ebenso zu verhindern wie Preissteigerungen über ihr Inflationsziel. Rezession: expansive Geldpolitik: M ↑, i ↓⇒ (p ↑), ⇒ i ↓⇒ I(i) ↑ sowie Boom: restriktive Geldpolitik: M ↓, i ↑⇒ (p ↓), ⇒ i ↑⇒ I(i) ↓ Mit der neoliberalen Ausrichtung wurde die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik durch die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik abgelöst. Im Vordergrund standen jetzt wieder die Gewinn- bzw. Renditeerwartungen der Unternehmen, weil die Schaffung von Arbeitsplätzen über Investitionen wieder angebotsorientiert und nicht nachfrageorientiert

372

9 Konjunkturpolitik

Abb. 9.6   Vergleich Neoliberale und Keynesianer

erfolgen sollte. Das Ziel der Angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ist es deshalb, die Investitionsbedingungen zu verbessern und die Gewinnerwartungen zu erhöhen: 1. Weniger Staat und mehr Markt und Wettbewerb: a) Bürokratieabbau und Deregulierung b) Privatisierung öffentlicher Unternehmen c) Abbau von Subventionen d) Abbau der Staatsverschuldung 2. Verringerung der Lohnnebenkosten 3. Verringerungen der Sozialleistungen auf ein Mindestmaß → Hartz IV  ↓, Arbeitsangebot ↑ 4. Einfaches Steuersystem mit niedrigen Tarifen 5. Geldwertstabilität: Orientierung der Geldmenge am BIP → da sich sonst Inflation ergibt. Politische Anwendungen (teilweise): USA Reaganomics, GB Thatcherismus, BRD Reformen von Kanzler Schröder „Agenda 2010“. Die folgende Übersicht gibt die Unterschiede zwischen den keynesianischen und neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern wieder (Abb. 9.6):

9.2.3 Technischer Fortschritt: Der schumpeterische Konjunkturzyklus Kennzeichnend für den Ausgangspunkt fast aller großen Börsenbubbles ist eine fundamentale realwirtschaftliche Initialzündung, die einen langen ­ Wachstumstrend

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

373

begründet. Es handelt sich hierbei Produkt- oder Prozessinnovationen, die keine Ausreifung bekannter Technologien sind, sondern außergewöhnlichen technischen ­ Fortschritt darstellen, der eine nachhaltige Produktivitätssteigerung zur Folge hat. Oft spricht man dann von einer „neuen Ära“. Schumpeter (Joseph Alois Schumpeter 1883–1950) spricht von einer daran anschließenden „schöpferischen Zerstörung“. Die alten Produktionsverfahren werden durch neue, bessere ersetzt und die Wirtschaft insgesamt auf ein höheres Produktivitätsniveau gehoben. Die Gewinne der Unternehmen, die die neue Technologie einsetzen oder die neuen Produkte produzieren steigen. Eine neue Wachstumswelle als ein diskontinuierlicher Konjunkturverlauf, ein nachhaltiger Boom realen Wachstums, entsteht. Aufgrund der Länge dieser Zyklen würden sie am ehesten den sog. Kondratieff-Wellen entsprechen. Schumpeter entwickelte seine Konjunkturtheorie aus den zwei zentralen dynamischen Wettbewerbsfunktionen (vgl. auch Abschn. 3.3.2). Innovationsfunktion Für den Wachstumsprozess einer Volkswirtschaft ist der dynamische Charakter des Wettbewerbs von besonderer Bedeutung. Dynamischer Wettbewerb stellt sich nach Friedrich August von Hayek als ein Such- und Entdeckungsverfahren dar.19 Hayek charakterisiert Wettbewerb als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder zumindest nicht genutzt werden würden. Für Hayek ist Wettbewerb vor allem evolutorisch. Dies gilt sowohl für Prozessinnovationen als auch für Produktinnovationen, wobei unter einer Innovation allgemein die wirtschaftliche Realisation einer Erfindung, auch Invention genannt, verstanden werden soll. In der Erwartung einer überdurchschnittlichen Entlohnung durch den Markt sucht der Unternehmer fortlaufend nach kostengünstigeren Produktionsverfahren und nach neuen Produkten, für die eine potenzielle Marktnachfrage existiert. Hierzu betreibt er auf eigenes Risiko Forschung oder wertet fremde Forschungsergebnisse wirtschaftlich aus. Über den Erfolg einer Prozessinnovation oder Produktinnovation entscheidet der Markt und damit letztlich der Nachfrager als Konsument oder weiterverarbeitender Produzent. Imitationsfunktion Nach Joseph Schumpeter stellt sich Wettbewerb als ein Prozess der Innovation und der anschließenden Imitation dar.20 Die erfolgreiche Innovation des Pionierunternehmers verschafft ihm auf dem Markt einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den Unternehmern, die ihre alte Produktionsstruktur beibehalten haben. Aus diesem Wettbewerbsvorsprung resultiert ein überdurchschnittlicher Gewinn, der dann andere Unternehmer zur Nachahmung der Innovation anreizt oder schließlich dazu zwingt, wenn sie

19Vgl. 20Vgl.

Hayek, Friedrich August von (1969). Schumpeter, Joseph Alois (1993).

374

9 Konjunkturpolitik

nicht aus dem Markt verdrängt werden wollen. So kommt es zu einer Verbreitung der neueren, Ressourcen sparenden Produktionsverfahren und damit zu einer umfassenden Durchsetzung des technischen Fortschritts und mit diesem einhergehend zu einem Produktionswachstum. Innovations- und Sanktionsfunktion unterstützen sich somit beim dynamischen Wettbewerb gegenseitig. Aus der Innovationsfunktion und der Imitationsfunktion leitet Schumpeter seine dynamische Konjunkturtheorie ab21: 1. Phase: Gleichgewichtszustand Die Voraussetzung für einen Aufschwung sind neue produktive Kombinationen, mit denen ein weit überdurchschnittlicher Gewinn erzielt werden kann. Diese produktiven Kombinationen sind so fundamental, dass sie die ganze Volkswirtschaft beeinflussen. Dies ermöglichen: – vor allem Produkt- und Prozessinnovationen (z. B. Internet), fundamentale Innovationen wie das Fließband – Neue Bezugsquellen von Rohstoffen od. Vorleistungen – Erschließung neuer Märkte z. B. durch Wegfall des „Eisernen Vorhangs“ also der Ost-West-Teilung – Organisatorische Unternehmensreformen (AG etc.) Diese Gewinnpotenziale setzt ein dynamischer Unternehmer (ev. auch Erfinder) mit der Unterstützung eines dynamischen, risikofreudigen Bankier um. Beide realisieren zusammen den Gewinn aus Technischem Fortschritt (Innovationsfunktion). Dadurch, dass sie die ersten sind, die die produktiveren Kombinationen umsetzen haben sie am Markt ein temporäres Monopol und können die Pioniergewinne einstreichen, welche zur Phase 2 überleiten. 2. Phase: Nachahmung (Aufschwung und Boom) Die Pioniergewinne locken viele Unternehmer zur Nachahmung an (Imitationsfunktion). Sie imitieren die produktiveren Kombinationen. Hierzu müssen sie investieren. Da es viele sind, die investieren, erhöht sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Es entsteht eine wirtschaftliche Euphorie. Der Aufschwung ist eingeleitet. Durch die höhere Nachfrage steigen die Preise und die Gewinne der Unternehmen nicht nur in dem Bereich der neuen Produktionskombinationen. Weitere Investitionen werden angeregt. ⇒Investitionen (I) ↑, Nachfrage (YD) ↑ ⇒ Preise (P)  ↑, Gewinne (G) ↑ ⇒ Investitionen (I) ↑ 3. Phase: Erosionsprozess der Pionierunternehmergewinne (Abschwung) Die hohe Nachfrage führt zu steigenden Preisen bei den Vorprodukten. Auch die Löhnen und die Zinsen, also die Kapitalkosten steigen, weshalb die Gewinnmargen

21Vgl.

Schumpeter, Joseph Alois (1939).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

375

sinken. Nach der Ausreifungszeit der Investitionen kommt das neue Angebot der Imitatoren auf den Markt. Die Konkurrenz und das neue Angebot führen dazu, dass die Preise sinken. Die Investitionen werden deutlich reduziert, was die Nachfrage reduziert und den Abschwung einleitet. a) Konkurrenz der Nachahmer ⇒ Preise (P) ↓, Gewinne (G) ↓ b) Steigende Kosten für Vorprodukte, Arbeit und Kapital (Zinsen) ⇒ Gewinne (G) ↓ ⇒ Investitionen (I) ↓, Nachfrage (YD)↓, Preise (P)↓ 4. Phase: Schöpferische Zerstörung (Rezession) In der Rezession ist dann die Nachfrage größer als das Angebot. Das Produktionskürzungen und Arbeitslosigkeit sind die Folge. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt. Das Überangebot der neuen Produktionskombinationen verdrängt die Unternehmen mit den alten nicht wettbewerbsfähigen Produktionsverfahren oder Produkten vom Markt. Die Unternehmen, die nicht imitiert haben müssen Insolvenz beantragen. Auf diese Weise wird der technische Fortschritt durchgesetzt. Dies ist ein notwendiger Prozess. Schumpeter spricht vom „Lebenselixier des Kapitalismus“. Es ist keine Konjunkturpolitik notwendig. Im Gegenteil, eine kreditfinanzierte Fiskalpolitik würde die nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen künstlich im Markt halten, was nicht erwünscht ist. Schumpeter erklärt die langen Zyklen, die durch fundamentale wirtschaftliche Änderungen hervorgerufen werden. Ein schumpeterischer Konjunkturzyklus wäre z. B. der Aufschwung, der Ende der 90er Jahre durch den Internet-Boom und den Neunen Markt entstand, der von einem vergleichbaren Abschwung gefolgt wurde, aber auch eine neue Wirtschaftsstruktur vor allem im Dienstleistungsbereich hinterließ. Die schöpferischen Produkt- und Prozessinnovationen haben jedoch neben der positiven Wirkung in Form der Produktivitätserhöhung noch eine negative Begleiterscheinung. Zum einen zerstören sie, wie es Schumpeter herausstellt, die alten, nicht mehr effizienten Wirtschaftsstrukturen, dies impliziert jedoch auch strukturelle Arbeitslosigkeit.

9.2.4 Überinvestitionstheorien Auch Überinvestitionen können eine Ursache von Konjunkturschwankungen sein. Das zentrale Problem der Unternehmen ist, dass sie bei ihren Investitionsentscheidungen nicht wissen, wie stabil der Nachfrageanstieg und in welchem Umfang die Konkurrenten ihre Kapazitäten ausweiten. Als Unternehmen müssten sie sich absprechen, wie viel jedes Unternehmen investiert und die Kapazitäten erweitert. Da es eine solche Koordination nicht gibt, müssen sich die Unternehmen mit ihren Produktionsplanungen an die Nachfrage annähern. Es kommt dabei immer wieder zu Über- und Unterkapazitäten. Im Aufschwung gilt steigt die Nachfrage(YD↑). In der Folge steigen die Preise und die Gewinne (p↑, Gewinne↑). Es wird investiert (I↑). Es ergeben sich ­Überkapazitäten,

376

9 Konjunkturpolitik

da die Märkte alle Unternehmenspläne erst koordinieren müssen. Kapazitäten müssen im Anpassungsprozess wieder abgebaut werden. Auch hier kommt es zu Übertreibungen, da der Kapazitätsabbau ebenso wenig wie der Kapazitätsaufbau koordiniert war. Ein vergleichbarer Prozess wird in der Mikroökonomie auch Schweinezyklus oder Spinnwebtheorem genannt. Ein Beispiel ist die Überinvestitionstheorie von Karl Marx, die auf technischem Fortschritt als Konjunkturauslöser aufbaut. Die Überinvestitionstheorie mit technischem Fortschritt von Karl Marx22 (1818–1883) oder das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Technischer Fortschritt benötigt Kapital zur Umsetzung. Marx unterteilt in Kapitalisten als die Eigentümer an den Produktionsmitteln und in Arbeiter, die durch ihre Arbeitskraft ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ein arbeitssparender technischer Fortschritt ermöglicht den Kapitalisten eine höhere Produktivität und damit auch eine höhere Profitrate. Sie investieren (Akkumulation des Kapitals), die Nachfrage steigt, es kommt zum Aufschwung. Die höhere Produktivität führt zu verstärkter Konkurrenz und damit zum Sinken der Preise und damit auch der Profitrate, Arbeitskräfte werden durch den Technischen Fortschritt freigesetzt (Verelendung des Proletariats, Bildung einer industriellen Reservearmee). Dies führt dazu, dass zusätzlich neben dem Überangebot die Nachfrage sinkt. Die entlassenen Arbeiter können nichts mehr konsumieren. Es kommt zum Abschwung. Die Kapitalisten beseitigen sich aufgrund des hohen Überangebots im ruinösen Konkurrenzkampf gegenseitig (Rezession). Die Anbieterkonzentration steigt (Konzentration des Kapitals). Die Profitrate steigt wieder (Aufschwung) und der Prozess beginnt von vorne bis es zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems (Diktatur des Proletariats und Planwirtschaft) kommt. Marx Befürchtungen traten allerdings in Deutschland nicht ein. Durch die Bildung der Gewerkschaften wurde aus dem unilateralen ein bilaterales Monopol am Arbeitsmarkt, die Arbeiter konkurrierten sich nicht mehr gegenseitig im Lohn nach unten. Streiks wurden möglich. Aufgrund der nun ausgeglichenen Machtverteilung können die Gewerkschaften Lohnsteigerungen durchsetzen. Die Nachfrage stieg und es gab keine Absatzprobleme. Darüber hinaus führten Produktinnovationen zu einer neuen Nachfrage nach Arbeit, die aufgrund der produktivitätsbezogenen Lohnerhöhungen bezahlt werden konnten. Vorhandene Kaufkraft und die wiederbeschäftigte zuvor freigesetzte Arbeit führten so zu einem immer höheren Wohlstandsniveau.

22Vgl.

Marx, Karl (1864); sowie Stavenhagen, Gerhard (1969, S. 157 ff.).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

377

Abb. 9.7   Der Goodwin-Verteilungszyklus

9.2.5 Verteilungskämpfe zur Erklärung von Konjunkturschwankungen: Das GOODWIN-Modell Die Frage, die trotz der Erweiterung des HICKS-Modells durch BERGSTROM nicht beantwortet wurde, ist, von welchen Faktoren die Lohnentwicklung beeinflusst wird. Hier zeigt sich ein Grundproblem der Konjunkturtheorie. Wird ein konjunkturbeeinflussender Faktor endogenisiert, ergeben sich wieder neue, zu erklärende Einflussfaktoren. Um die Übersichtlichkeit des Modells und damit auch seinen Erklärungswert zu bewahren, empfiehlt es sich jedoch, die Einflussfaktoren isoliert zu betrachten und ein neues Modell hinzuzuziehen. Der Erklärung der Lohnentwicklung widmet sich ein weiteres Modell von GOODWIN. Goodwin entwickelt 1967 ein Modell interdependenter, nichtlinearer Differenzialgleichungen. Es gelingt ihm in seinem Modell, simultan Konjunktur, Wachstum und Verteilung zu erklären23 Aus seinen Modellgleichungen resultieren zwei sinusförmige Schwingungen der Lohnquote (q, Jägerpopulation24) und der Beschäftigtenquote

23Zum GOODWIN-Modell vgl. Goodwin, R. M. (1967, S. 54 ff.); Heubes, J. (1986, S. 86 ff.); Kurz, Rudi (1986); Teichmann, Ulrich (1997, S. 18 f.); sowie Wagner, A. (1990, S. 225 ff.). 24Die Jägerpopulation (Lohnquote) entwickelt sich in Abhängigkeit von der Beutepopulation (Beschäftigungsquote) mit einem time-lag von einer Phase. Die Bezeichnung Jäger- und

378

9 Konjunkturpolitik

(b, Beutepopulation), die um eine Phase versetzt sind. Es lässt sich ein kompletter Konjunkturzyklus modellieren, der außerdem die empirisch zu beobachtende anti­ zyklische Entwicklung der bereinigten Lohnquote sowie die prozyklische Entwicklung der Gewinn- und Investitionsquote abbildet. Nach GOODWIN bestätigt sein Modell die von MARX aufgezeigte Instabilität kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Hohe Gewinne veranlassen die Unternehmer, Kapital zu akkumulieren. Sie investieren. Aufgrund des Nachfrageanstiegs auf dem Gütermarkt kommt es zum Aufschwung und anschließend zum Boom. Durch die zusätzliche Nachfrage nach Arbeit verschlechtern sie jedoch ihre Verhandlungsposition, weshalb sie die gegebene funktionale Einkommensverteilung nicht mehr aufrechterhalten können. Die Löhne steigen und somit steigt Lohnquote steigt auf Kosten der Gewinnquote. Die Investitionszunahme sinkt und der Abwärtsprozess wird eingeleitet (Abschwung und Rezession). Mit der geringeren Nachfrage auf dem Güter- und Arbeitsmarkt sinken die Löhne und damit auch die Lohnquote zugunsten der Gewinnquote. Die Unternehmen investieren wieder, es kommt zum Aufschwung und der Prozess beginnt von vorne. Konjunkturelle Stabilität und Vollbeschäftigung lassen sich somit nie realisieren (Abb. 9.7). Fazit

Das Goodwin-Modell erklärt die empirisch zu beobachtende antizyklische Entwicklung der bereinigten Lohnquote sowie die prozyklische Entwicklung der Gewinn- und Investitionsquote. Nach GOODWIN bestätigt sein Modell die von MARX aufgezeigte Instabilität kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Hohe Gewinne veranlassen die Unternehmer, Kapital zu akkumulieren. Durch die zusätzliche Nachfrage nach Arbeit verschlechtern sie jedoch ihre Verhandlungsposition, weshalb sie die gegebene funktionale Einkommensverteilung nicht mehr aufrechterhalten können. Die Investitionszunahme sinkt und der Abwärtsprozess wird eingeleitet. Konjunkturelle Stabilität und Vollbeschäftigung lassen sich somit nie realisieren. GOODWINs Modell erklärt darüber hinaus die – entgegen den Prognosen von MARX und RICARDO – zu beobachtende relativ konstante Profitrate bei steigenden Reallöhnen. Allerdings ist GOODWINs Konjunkturerklärung einseitig auf Verteilungskämpfe ausgerichtet. Exogene Nachfrageschocks, Erwartungen, die Preisentwicklung sowie die Geld- und Fiskalpolitik bleiben unberücksichtigt. Die Investitionen sind nicht zinsabhängig. Auch ist die Annahme einer extrem klassischen Sparfunktion als unrealistisch einzustufen. Das Modell ist ausschließlich auf den Kapazitätseffekt der Investitionen ausgelegt. Die Investitionen entwickeln auf dem Gütermarkt keinen

­ eutepopulation stammt aus der Biologie, die eine ähnliche Korrelation für Räuber (z. B. Luchse) B und Beute (z. B. Kaninchen) festgestellt hatte (sogenannte L ­ OTKA-VOLTERRA-Gleichungen).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

379

Nachfrageeffekt. Schwankungen in der Konsumnachfrage der Arbeiter haben keine Auswirkungen, da die Kapazitäten annahmegemäß immer ausgelastet sind. Angesichts dieser Konstellationen ist das Modell realitätsfern. Das Modell erklärt endogen, also ohne Zuhilfenahme exogener Einflussfaktoren Wachstums-, Beschäftigungsund Verteilungsschwankungen. Es kann allerdings nicht die in der Realität zu beobachtenden Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials erklären: da annahmegemäß immer I = S gilt, gibt es weder Unter- noch Übernachfrage. Goodwin-Konjunkturen sind folglich reine Wachstums-, und Beschäftigungsschwankungen. Beschäftigungs- und Lohnquote sind langfristig konstant. Hingegen wachsen alle absoluten Größen. Da auch wie bei HICKS bei diesem Modell der Staat nicht einbezogen wurde, lassen sich keine unmittelbaren wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen ableiten. In GOODWINs Modell ist der Staat aber nicht einmal indirekt über eine exogene Beeinflussung der Nachfrage in das Modell integrierbar. GOODWINs Konjunkturschwankungen sind verteilungsdeterminiert. Staatliche Umverteilungspolitik würde jedoch in diesem Modell, aufgrund der Verringerung der Gewinne und damit auch der Investitionen, lediglich die konjunkturellen Aufschwünge abbremsen. Das Gleiche gilt aufgrund des Crowding Outs bei kreditfinanzierter Ausgabenpolitik, wie WOLFSTETTER in seinem Modell zeigt.25 Gefragt sind Automatismen zur Abschwächung der Schwingungsausschläge. Eine progressive Besteuerung der Gewinneinkommen wäre zyklendämpfend. Der Staat ist darüber hinaus als Schlichter von Verteilungskämpfen gefragt, beispielsweise in Form einer konzertierten Aktion. Aufgrund der Annahme der extrem klassischen Investitionsfunktion bremst allerdings jede Umlenkung von Gewinn- zu Arbeitseinkommen den Wachstumsprozess und damit auch gleichzeitig den konjunkturellen Aufschwung. Eine Verstetigung der positiven Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung könnte trotzdem erreicht werden, wenn die Gewerkschaften aufgrund des geringeren Beschäftigungsanstiegs modellgemäß die Löhne weniger stark erhöhen oder die Steuermehreinnahmen investiv verwendet würden. Eine reine Umverteilungsbesteuerung wirkt sich immer wachstums- und beschäftigungsmindernd aus, es sei denn, auch die Arbeiter würden sparen und damit die Investitionsverminderung der Gewinnempfänger ausgleichen. ◄

9.2.6 Politische Konjunkturzyklen: das politische Konjunkturmodell von Nordhaus Der Ansatz von Nordhaus geht zurück auf die „Neue Politische Ökonomie“. Nach dem Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie maximiert ein Politiker nicht das Gemeinwohl,

25Vgl.

Wolfstetter, E. (1982); sowie Assenmacher, Walter (1998, S. 229 ff.).

380

9 Konjunkturpolitik

Abb. 9.8   Langfristige Politikstrategien. (Vgl. Nordhaus, William D. 1975, S. 177)

sondern überwiegend seinen eigenen Nutzen. Politische Ämter gewähren diesen Nutzen in Form von Macht, Prestige und Einkommen. Um die angestrebten Ämter erreichen zu können, muss der Politiker möglichst viele Wahlstimmen sammeln – man spricht von Stimmenmaximierung.26 Positive Wirtschaftsindikatoren lassen sich als politischer Erfolgsausweis gebrauchen und sichern die Zustimmung der Wähler. Geht der Politiker von der Steuerbarkeit der Wirtschaft aus, wird er versuchen, die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente so einzusetzen, dass zum Zeitpunkt der Wahl die Wirtschaftsindikatoren am besten sind. Bereits aus dieser Verhaltenshypothese kann auf die Existenz von politisch verursachten Konjunkturzyklen geschlossen werden. Bis zur Veröffentlichung des Konjunkturmodells von Nordhaus fehlte dem Ansatz der Neuen Politischen

26Eine

umfassende theoretische Analyse der politischen Rationalität findet sich bei Frey, Bruno S. (1981). Eine empirische Verifizierung weiter Teile der Neuen Politischen Ökonomie wurde von Meyer-Krahmer durchgeführt. Vgl. Meyer-Krahmer, Frieder (1979). Eine Analyse einzelner Politischen Ökonomie ist das Thema von Guerrieri, Paolo und Padoan, Pietro Carlo C. (1989). Die übersichtlichste Zusammenfassung der Ansätze der „Neuen Politischen Ökonomie“ bieten Krisch, Guy (1993); sowie Franke. Vgl. Franke, Siegfried F. (1996). Eine gute theoretische Analyse politischer Wahlakte findet sich bei Downs, Anthony (1968); Andel, Norbert (1990, S. 47 ff.); Braybrooke, David und Lindblom, Charles, E. (1963); sowie Lindblom, Charles, E. (1965).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

381

Abb. 9.9   Kurzfristiges Wahlergebnis. (Quelle: Nordhaus, William D. 1975, S. 177, 179)

Ökonomie jedoch das mathematische Verhaltensmodell, mit dem politisch initiierte Konjunkturzyklen endogen hergeleitet und erklärt werden konnten.27 Die von Nordhaus28 verwendeten Wirtschaftsindikatoren sind Inflation und Arbeitslosigkeit. Von Inflation ist jeder Wähler in seiner Rolle als Güternachfrager unmittelbar betroffen. Arbeitslosigkeit betrifft ihn direkt, wenn er seine Anstellung verliert. Er kann auch indirekt betroffen sein, wenn er sich von ihr bedroht fühlt, also damit rechnet, dass auch er in Zukunft seine Stelle verlieren könnte. Nordhaus führt verschiedene Gründe für einen Trade-Off zwischen Inflationsrate und Arbeitslosigkeit an. Erstens erzeugt eine geringe Arbeitslosigkeit eine höhere Gesamtnachfrage, was sich auch auf das Preisniveau auswirkt. Zweitens sind mit der höheren Gesamtnachfrage höhere Streikkosten als Opportunitätskosten des mangels Produktion entgangenen Absatzes verbunden. Diese veranlassen den Arbeitgeber, die Lohnforderungen der Arbeiter zu akzeptieren. Einen darüber hinaus kurzfristigen Trade-Off begründet Nordhaus mit den

27Vgl.

Frey, B. S. und Lau, L. J. (1968). Konjunkturmodell von Nordhaus vgl. Nordhaus, William D. (1975): The political Business Cycle, in: Review of Economic Studies, Vol. 42 (1975), S. 169–190. 28Zum

382

9 Konjunkturpolitik

adaptiven Reaktionen der Arbeiter auf Arbeitslosigkeit und Inflation und den Folgen auf das Preisniveau. Bei hoher Arbeitslosigkeit reduzieren sie ihre Lohnforderungen. Die Produktionskostensenkung führt zu einer Preissenkung, und die wiederum zu einer Verringerung der Lohnforderungen. Bei Inflation realisieren die Arbeiter die Reallohnsenkung verspätet und passen deshalb auch ihre Lohnforderungen verspätet an. Die langfristige „Phillips-Kurve“29 L ist somit steiler als die kurzfristige „Phillips-Kurve“ S (vgl. Abb. 9.8 und 9.9). Im Rahmen der „Phillips-Kurve“ kann der Politiker Kombinationen von Inflation und Arbeitslosigkeit auswählen. Dies geht jedoch nur solange die Geldillusion anhält. Haben die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen angepasst (adaptiert) verschiebt sich die kurzfristige Phillipskurve nach oben. Der Politiker wählt die stimmenmaximale Kombination. Die Entscheidungen der einzelnen Bürger, die Regierung wiederzuwählen, werden in Abhängigkeit von der Zufriedenstellung der Erwartungen der Bürger getroffen: Verbesserungen der Wirtschaftsindikatoren werden mit Wahlstimmen belohnt. Hierbei fallen länger zurückliegende Verbesserungen und Verschlechterungen in der Wahlperiode weniger ins Gewicht als neuere Entwicklungen. Folglich ist es für die Regierungspartei stimmenmaximierend, restriktive Maßnahmen am Anfang der Wahlperiode und expansive Maßnahmen am Ende der Wahlperiode durchzuführen. Nach expansiven Maßnahmen verschiebt sich die kurzfristige Phillipskurve von unten nach oben. Betreibt die Regierung nach der Wahl keine restriktive Politik, so muss sie vor ihrer nächsten Wiederwahl die Inflationsrate stärker erhöhen als bei der ersten Wahlperiode, um die Arbeitslosigkeit trotz höherer Inflationserwartungen zu reduzieren. Die neue, schlechtere Kombination von Arbeitslosigkeit und Inflation wird von den Wählern mit einer geringeren Zustimmung (gemessen in Wahlstimmen) bewertet, weshalb die Regierungspartei diese Politik nicht lange durchhalten kann. Im Punkt E3 ist das System im langfristigen Gleichgewicht: Sowohl durch eine expansive als auch durch eine restriktive Politik vor der Wahl würde die Regierung ihre Mehrheit verlieren (vgl. Abb. 9.8). Die Regierung muss also nach ihrer Wiederwahl versuchen, durch eine restriktive Politik die ursprüngliche Phillipskurve mit den alten Inflationserwartungen zu erreichen. Die diskretionären, politisch motivierten Interventionen erzeugen Konjunkturzyklen. NORDHAUS legt seinem politischen Konjunkturmodell die bekannte Phillipskurve zugrunde. Im Rahmen der Phillipskurve kann der Politiker Kombinationen von Inflation und Arbeitslosigkeit auswählen. Der Politiker kann kurzfristig die Arbeitnehmer in Bezug auf die Inflationsrate täuschen, weshalb sie die Nominallöhne der Inflationsrate nur verzögert anpassen und der Reallohn sinkt. In der Folge dehnen die Unternehmer Arbeitsnachfrage und damit auch die Produktion aus. Kurzfristig steigt

29Hier bezieht sich Nordhaus auf die ökonometrischen Schätzungen von Menil und Enzler für die USA. Vgl. Menil, George und Enzler, Jared J. (1972).

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

383

das reale Nationalprodukt (asymmetrische Zeitverzögerung/Lohn-lag-Hypothese).30 Dies geht jedoch nur, solange die Geldillusion anhält. Haben die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen angepasst (adaptiert), verschiebt sich die kurzfristige Phillipskurve nach oben. Der Politiker wählt die stimmenmaximale Kombination. Die Entscheidungen der einzelnen Bürger, die Regierung wiederzuwählen, werden in Abhängigkeit von der Zufriedenstellung der Erwartungen der Bürger getroffen: Verbesserungen der Wirtschaftsindikatoren werden mit Wahlstimmen belohnt. Hierbei fallen länger zurückliegende Verbesserungen und Verschlechterungen in der Wahlperiode weniger ins Gewicht als neuere Entwicklungen. Folglich ist es für die Regierungspartei stimmenmaximierend, restriktive Maßnahmen am Anfang der Wahlperiode und expansive Maßnahmen am Ende der Wahlperiode durchzuführen. Nach expansiven Maßnahmen verschiebt sich die kurzfristige Phillipskurve von unten nach oben. Betreibt die Regierung nach der Wahl keine restriktive Politik, so muss sie vor ihrer nächsten Wiederwahl die Inflationsrate stärker erhöhen als bei der ersten Wahlperiode, um die Arbeitslosigkeit trotz höherer Inflationserwartungen zu reduzieren. Die neue, schlechtere Kombination von Arbeitslosigkeit und Inflation wird von den Wählern mit einer geringeren Zustimmung (gemessen in Wahlstimmen) bewertet, weshalb die Regierungspartei diese Politik nicht lange durchhalten kann. In einem Punkt ist das System im langfristigen Gleichgewicht: Sowohl durch eine expansive als auch durch eine restriktive Politik vor der Wahl würde die Regierung ihre Mehrheit verlieren. Die Regierung muss also nach ihrer Wiederwahl versuchen, durch eine restriktive Politik die ursprüngliche Phillipskurve mit den alten Inflationserwartungen zu erreichen. Die diskretionären, politisch motivierten Interventionen erzeugen Konjunkturzyklen gemäß den Wahlzyklen. In Demokratien liegt somit aufgrund der Gegenwartsüberbetonung die durchschnittliche Arbeitslosigkeit unter und die durchschnittliche Inflationsrate über dem allgemeinen Wohlfahrtsoptimum (W, vgl. Abb. 9.6) für die jetzige und zukünftige Generation. Ferner lässt sich aus der Zeitpräferenz der Wähler bei den Regierungspolitikern eine Tendenz ableiten, heutige positive Wirtschaftsentwicklungen höher zu bewerten als zukünftige. Nordhaus schlussfolgert, dass Politiker tendenziell den gegenwärtigen Wohlstand auf Kosten des Wohlstands zukünftigen Generationen maximieren. Nordhaus Konjunkturzyklen treten auch in zentralen Planwirtschaften auf. Da es sich

30Nordhaus gibt für den trade-off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit verschiedene Gründe an:1. Eine niedrige Arbeitslosenquote bedeute, dass die Nachfrage nach Arbeit relativ hoch sei, folglich auch der Preis für Arbeit, der Lohn, der als Kostenfaktor auf das allgemeine Preisniveau wirkt. 2. Es würden asymmetrische Zeitverzögerungen (lags) in der Wirkung von Änderungen der Arbeitslosenrate auf das allgemeine Preisniveau existieren, weil zum einen, bei hoher Arbeitslosigkeit die Lohnforderungen geringer ausfallen, und zum anderen, weil eine gestiegene Inflationsrate die Inflationserwartungen erhöht und damit auch die Lohnforderungen der Beschäftigten, um den Reallohn konstant zu halten. Nordhaus schlussfolgert, dass die langfristige Phillipskurve steiler sei als die kurzfristige. Vgl. Nordhaus, William D. (1975, S. 169 f.).

384

9 Konjunkturpolitik

Abb. 9.10   Aufschwung durch Nichtreagieren der Notenbank

hierbei in der Regel um Einparteiensysteme handelt, die diktatorisch regieren, werden die Zyklen allerdings nur zu den Zeitpunkten auftreten, zu denen die Regierung eine kurzfristige Unterstützung in der Bevölkerung benötigt. Für die Regierungspartei stimmenmaximierend, restriktive Maßnahmen am Anfang der Wahlperiode und expansive Maßnahmen am Ende der Wahlperiode durchzuführen. (Nordhaus-Modell). NORDHAUS’ Annahmen und Schlussfolgerungen sind überwiegend plausibel. Das Modell erklärt endogen das Entstehen politischer Konjunkturzyklen und zeigt damit die Gefahren der politischen Einflussnahme auf den Wirtschaftsprozess auf. NORDHAUS fand seine Theorie für Deutschland, Neuseeland und die USA bestätigt. Geringe politische Konjunkturzyklen ermittelte er für Frankreich und Schweden, wohingegen die Wahrscheinlichkeit einer politischen Beeinflussung des Konjunkturzyklus in den anderen von ihm untersuchten Fällen gering war.31 NORDHAUS’ Modell setzt jedoch eine Steuerbarkeit der Wirtschaftsindikatoren Arbeitslosigkeit und Inflation voraus. Die Konjunkturschwankungen entstehen nicht aufgrund einer makroökonomischen Fehlsteuerung, sondern aufgrund von politischen Manipulationsabsichten. Dies mindert aber die Bedeutung des Modells nur marginal, da politisch induzierte Schwankungen bei Fehlsteuerungen lediglich unregelmäßiger auftreten würden. NORDHAUS spricht in seinem grundlegenden Aufsatz mehrere Alternativen an, die die politischen Konjunkturschwankungen verringern könnten. Die Einfachste wäre, die Wahlperioden zu verkürzen, um der Vergesslichkeit der Wähler Rechnung zu tragen. Hierbei bestünde allerdings die Gefahr, dass die Regierungszeit für eine langfristige, strategisch ausgerichtete Politik nicht mehr ausreichend und die Politik deshalb nur noch kurzfristig ausgerichtet wäre. Hinzu kämen Ineffizienzen in der Verwaltung durch den häufigen Regierungswechsel. Den Informationsstand der Wähler immer wieder aufzufrischen, scheint angesichts des geringen Interesses der Menschen an zurückliegenden Ereignissen (Gegenwartspräferenz) eine unrealistische Alternative zu sein. Besonders interessant ist, dass sich aus diesem Modell die Forderung nach der

31Australien,

Kanada, Japan, Großbritannien.

9.2  Gründe für Konjunkturschwankungen aus der …

385

Abb. 9.11   Abschwung durch verspätetes Reagieren der Notenbank

politischen Unabhängigkeit von Notenbanken und sogar Finanzministerien (im Bereich der kurzfristigen Ausgabenentscheidung) ableiten lässt. NORDHAUS sieht es hierbei allerdings als Nachteil an, dass die Geld- und Fiskalpolitik als politisches Instrument, um die Wünsche der Wähler umsetzen zu können, verloren geht. Diese Aussage birgt einen gewissen Widerspruch zu der modellimmanenten Kritik an politisch verursachten Konjunkturzyklen. Politische und ökonomische Rationalität (Zweckmäßigkeit) sind selten identisch. Eine andere Alternative wäre, die Neigung der Phillipskurve, also den kurzfristigen Trade-Off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation, beispielsweise durch Preisund Lohnstopps oder durch eine automatische Induzierung bzw. Inflationsentschädigung zu verringern. Bis auf den Inflationsausgleich sind diese Maßnahmen mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung nicht vereinbar. Sie wären markt- und damit auch systemzerstörend. Eine automatische Lohninduzierung oder ein indirekter Inflationsausgleich würde wie bei der italienischen Scala Mobile zu einem geringeren Widerstand gegen Inflation und damit letztendlich zu einer Inflationsbeschleunigung führen. NORDHAUS tendiert seinerseits dazu, eine Manipulation der Wähler unter Ausnutzung deren Kurzzeitgedächtnisses mithilfe einer stärkeren Transparenz und einer breiteren Beteiligung am politischen Entscheidungsprozess zu verhindern.

9.2.7 Geldpolitik als Konjunkturursache 9.2.7.1 Das Zinsspannentheorem von Knut Wicksell Wicksell (1851–1926) führt Konjunkturschwankungen auf die Fehlentscheidungen der geldpolitischen Entscheidungsträger bei der Zinssteuerung zurück.32 Bei Ludwig von Mises (1881–1973) führt eine expansive Geldpolitik der Notenbank zu einem ­Zinssatz,

32Vgl.

Grossekettler, Heinz (1989, S. 203 ff.); Wicksell, Knut (1968, S. 109 ff.); sowie Wicksell, Knut (1922, S. 231). Bei Wicksell sind die geldpolitischen Entscheidungsträger die Geschäftsbanken.

386

9 Konjunkturpolitik

der unter dem Gleichgewichtszins liegt.33 Ausgehend von diesen Ansätzen lässt sich folgendes Modell entwickeln. Die Rentabilität der Investitionen, also die Grenzproduktivität des Kapitals (bzw. interner Zinsfuß), steigt aufgrund externer Einflüsse (z. B. aufgrund von Technischem Fortschritt). 1. Die Notenbank reagiert nicht oder zu spät (vgl. Abb. 9.10), weshalb der interne Zinsfuß (Rentabilität einer Investition) über dem Geldzins liegt. Der Zins der Notenbank (i) liegt folglich unter der Rentabilität der Investitionen und unter dem Gleichgewichtszins (i*), der einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage bewirken würde. Es kommt deshalb zu einer Übernachfrage nach Kapital. Die Folge ist, dass mehr investiert als gespart wird. Der Nachfrageausfall durch das Sparen ist kleiner als die zusätzliche Nachfrage durch die Investitionen der Unternehmen. Aufgrund der Übernachfrage kommt es zum Aufschwung. Die Notenbank erhöht den Zins nicht, weshalb der Gleichgewichtszins i* nicht erreicht wird. ⇒  I > S ⇒ Aufschwung (⇒ Gleichgewichtszins i  * > i, vgl. Abb.  9.10). 2. Aufgrund des Nachfrageüberhangs steigen die Kosten der Vorleistungen (Arbeit und Vorprodukte), weshalb der interne Zinsfuß fällt. 3. Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage größer als das Angebot ist, steigt das Preisniveau. Aufgrund des Preisanstiegs reagiert die Notenbank und erhöht die Zinsen, weshalb der interne Zinsfuß nun unter dem Geldzins liegt (⇒ Gleichgewichtszins i  *  S sowie YD