Wigalois: Text, Übersetzung, Stellenkommentar [2nd revised edition] 9783110348255, 9783110347937

2nd Revised Edition Wirnt von Grafenberg’s Arthurian romance Wigalois (c. 1210–20) tells the story of Sir Gawain’s son

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Wigalois: Text, Übersetzung, Stellenkommentar [2nd revised edition]
 9783110348255, 9783110347937

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Text und Übersetzung
1. Prolog
2. Jorams Herausforderung
3. Gaweins Entführung und Vermählung
4. Kindheit und Jugend
5. Ankunft am Artushof – Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg
6. Kampf um die Herberge
7. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen
8. Das schöne Hündchen
9. Schönheitspreis und Kampf mit dem Roten Ritter
10. Vorrechts-Kampf mit Schaffilun
11. Vorgeschichte Korntins und Truchsess-Kampf
12. Begegnung mit Larie
13. Führung durch das wunderbare Tier
14. Kampf mit dem Drachen Pfetan
15. Fischerepisode
16. Rettung und Erholung
17. Waldweib Ruel
18. Karrioz und Schwertrad-Brücke
19. Marrien und Torwächter-Kampf
20. Roaz-Kampf
21. Rettung durch Graf Adan und Begräbnis der Japhite
22. Einzug in Joraphas
23. Vermählung, Krönungsfest und Besuch des Vaters
24. Hilfeersuchen der Königin Liamere
25. Heeresaufgebot und Namur-Feldzug
26. Einkehr am Artushof
27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog
Nachwort
Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes
Struktur des Bel Inconnu
Struktur des Wigalois
Kommentar
Verzeichnis der verbesserten Druckfehler im mhd. Text Kapteyns
Register zum Kommentar
Namenregister
Auswahl-Bibliographie

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Wirnt von Grafenberg Wigalois

Wirnt von Grafenberg

Wigalois

Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach

2., überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-11-034793-7 e-ISBN 978-3-11-034825-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Leiden, Universiteitsbibliotheek, LTK 537, Bl. 72v Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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Für Matthias Bechem

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Inhaltsverzeichnis Text und Übersetzung fi 1 1. Prolog fi 3 2. Jorams Herausforderung fi 6 3. Gaweins Entführung und Vermählung fi 17 4. Kindheit und Jugend fi 30 5. Ankunft am Artushof – Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg fi 35 6. Kampf um die Herberge fi 46 7. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen fi 50 8. Das schöne Hündchen fi 54 9. Schönheitspreis und Kampf mit dem Roten Ritter fi 57 10. Vorrechts-Kampf mit Schaffilun fi 78 11. Vorgeschichte Korntins und Truchsess-Kampf fi 86 12. Begegnung mit Larie fi 94 13. Führung durch das wunderbare Tier fi 103 14. Kampf mit dem Drachen Pfetan fi 114 15. Fischerepisode fi 121 16. Rettung und Erholung fi 135 17. Waldweib Ruel fi 145 18. Karrioz und Schwertrad-Brücke fi 151 19. Marrien und Torwächter-Kampf fi 160 20. Roaz-Kampf fi 169 21. Rettung durch Graf Adan und Begräbnis der Japhite fi 183 22. Einzug in Joraphas fi 196 23. Vermählung, Krönungsfest und Besuch des Vaters fi 209 24. Hilfeersuchen der Königin Liamere fi 225 25. Heeresaufgebot und Namur-Feldzug fi 240 26. Einkehr am Artushof fi 258 27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog fi 266 Nachwort fi 269 Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes fi 297 Struktur des Bel Inconnu fi 298 Struktur des Wigalois fi 299 Kommentar fi 301 Verzeichnis der verbesserten Druckfehler im mhd. Text Kapteyns fi 349 Register zum Kommentar fi 351 Namenregister fi 355 Auswahl-Bibliographie fi 359

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Text und Übersetzung

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1. Prolog Das Buch spricht zu dem ihm unbekannten Leser und hofft auf das Lob der Verständigen. Das Leitmotiv der Erzählung: Den Besten nachstreben und Gott dienen; dieses Ziel sollten wir alle erstreben. Der Autor bittet um Nachsicht für sein Werk, man müsse dem Anfänger den guten Willen höher anrechnen als den erprobten Meistern. Durch Missgeschick hat er noch keinen Dank erhalten. Nun möge der Verständige und der Einfältige aufmerksam zuhören, denn beide können Nutzen aus der Erzählung ziehen. Ohne Nutzen bleibt sie allerdings den Unwürdigen – sie achten nicht auf gute Worte. Zweck der Dichtung ist es, eine hörenswerte Erzählung zu bieten, für die der Autor Dank der Gesellschaft erwartet, und es ist sein, Wirnts von Grafenberg, erstes Werk. (1–144)

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Wer hât mich guoter ûf getân? sî ez iemen der mich kan beidiu lesen und verstên, der sol genâde an mir begên, ob iht wandels an mir sî, daz er mich doch lâze vrî valscher rede: daz êret in. ich weiz wol daz ich niene bin geliutert und gerihtet noch sô wol getihtet michn velsche lîhte ein valscher man, wan sich niemen vor in kan behüeten wol, swie rehte er tuot. dehein rede ist sô guot sine velschen si, daz weiz ich wol. swaz ich valsches von in dol, owê, wem sol ich daz klagen? ich wilz et harte ringe tragen, mac ich der besten lop bejagen.

Welch vortrefflicher Mensch hat mich aufgeschlagen? Wenn es jemand ist, der mich lesen und verstehen kann, dann möge er mich – auch wenn es etwas an mir zu tadeln gibt – freundlich behandeln und mich mit übler Nachrede verschonen: dies wird ihn ehren. Ich weiß sehr gut, dass ich gar nicht bereinigt und begradigt und auch nicht so gut geschrieben bin, so dass mich ein Lästerer leicht verleumden kann; denn niemand kann sich vor ihnen recht schützen, wie kunstgerecht auch immer er schreibt. Keine Erzählung ist so vortrefflich, dass sie sie nicht verleumden, ich weiß es genau. Was ich auch Übles von ihnen erdulde, weh, wem kann ich dies klagen? Mir aber bedeutet es gar keine Last, wenn ich die Lobpreisung der Vortrefflichen erringen kann.

Swer nâch êren sinne, triuwe und êre minne, der volge guoter lêre – daz vürdert in vil sêre – unde vlîze sich dar zuo wie er nâch den getuo den diu werlt des besten giht, und die man doch dar under siht nâch gotes lône dienen hie; den volge wir, wan daz sint die den got hie sælde hât gegeben und dort ein êwiclîchez leben; dar nâch wir alle sulen streben.

Wer nach Ansehen trachtet, Aufrichtigkeit und Ehre liebt, der sollte guter Lehre folgen; – dies bringt ihn rasch voran – er soll überdies danach streben, denen nachzueifern, über die die Welt das Beste spricht, die man gleichwohl um Gottes Lohn hier dienen sieht; denen sollen wir folgen, denn dies sind jene, denen Gott hier Glück, dort das ewige Leben verliehen hat. Nach beidem sollten auch wir alle streben.

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1. Prolog

Wær ich ein alsô wîser man daz ich wol möhte – als ich doch kan – gesprechen nâch des herzen gir! leider, nû geswîchent mir beidiu zunge und ouch der sin, daz ich der rede niht meister bin die ich ze sprechen willen hân, wan daz ichz dar ûf hân getân daz ich mînen willen hie gerne erzeicte – wesse ich wie – daz ez die wîsen dûhte guot. got gebe mir sin und in den muot daz si mirz vervâhen wol. ich bin noch ganzer sinne hol; des sprich ich nâch kindes sit. erziuge ich hie iht guotes mit, ob mîn geist gevüeget daz, des sol man mir danken baz dan einem sinne rîchen man, der meister ist und sprechen kan: der hât des mêr dan ich getân. Man sol mir des genâde sagen daz ich her in mînen tagen mich dar ûf geflizzen hân, sît ich mich guotes êrst versan, wie ich mit mîner zungen daz verdiente daz die wîsen baz mich mit ir gruoze hêten doch; des bin ich erlâzen noch; daz machet mîn grôz unheil und mîn bœser sin ein teil. waz frumt den rîchen argen man, der al der werlt guotes erban, ob er tûsent marke heizet in sîner arke vil vaste besliezen? wer mac des geniezen, ern wellez teilen unde geben? an dem honige ist mir vergeben, wand ich durch [mînen] bœsen gemach mînen schaden übersach, des ist mîn leben immer swach.

Wäre ich doch ein derart verständiger Mann, dass ich, was ich weiß, auch so erzählen könnte, wie es das Herz verlangt! Leider versagen mir nun Redegewandtheit und Kunstverstand den Dienst, so dass ich die Erzählung nicht meistern kann, die ich vortragen will. Dennoch habe ich es gewagt, um meinen guten Willen hier zu erweisen (wüsste ich nur wie), so dass es die Verständigen für gut befinden könnten. Möge Gott mir die Kunst und ihnen den geneigten Sinn geben, damit sie es mir wohlwollend anrechnen. Noch bin ich nicht erfüllt mit vollendetem Kunstverstand, darum rede ich wie ein Knabe. Wenn ich hiermit Taugliches erschaffe, – wenn mein Geist dies zuwege bringt – soll man mir hierfür mehr danken als einem kunsterfahrenen Manne, der ein Meister ist und erzählen kann: Denn der hat dies schon öfter als ich getan. Man schuldet mir Dank dafür, dass ich von Anfang an bis jetzt (seit ich meine Gedanken erstmals auf etwas Vortreffliches richtete) mich eifrig darum bemüht habe, durch meine Dichtung in der Wertschätzung der Weisen zu steigen. Noch ist mir dies versagt geblieben. Ein mir feindliches Geschick ist daran schuld und besonders meine unausgereifte Kunst. Was nützt es dem reichen Geizkragen, der aller Welt ihren Besitz missgönnt, wenn er tausend Mark in seiner Geldtruhe fest einzuschließen befiehlt? Wer kann davon Nutzen haben, wenn er es nicht austeilen und verschenken will? Solcher Honig wurde (auch) für mich zum Gift, weil ich durch tatenloses Abwarten meinen Verlust nicht achtete: daher ist es um meinen Stand stets schlecht bestellt.

1. Prolog

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Si wellent daz daz iht witze sîn, swer rôtez golt under diu swîn werfe und edel [ge]steine: des vreuwent si sich doch kleine: si wâren ie vür daz golt der vil trüeben lachen holt; dâ bewellent si sich inne. – swer guote rede minne und si gerne hœre sagen, der sol mit zühten gedagen und merken si rehte: daz ist im guot. si getiuret [vil] manges mannes muot, wand er vernimt vil lîhte dâ des er sich gebezzert sâ; daz getiuret in oft anderswâ.

Man sagt, dass es kein Zeichen klugen Handelns ist, wer rotes Gold und Edelsteine unter die Schweine wirft. Die (Schweine) macht es kaum vergnügt: sie sind stets der trübsten Pfütze zugeneigter gewesen denn dem Golde: da besudeln sie sich drin. Wer vortreffliche Erzählungen liebt und sie gerne im Vortrag hört, der möge nun mit Anstand schweigen und sie auf rechte Weise aufnehmen: dies tut ihm gut. Sie veredeln den Sinn manches Mannes, denn der vernimmt dort bestimmt etwas, wovon er sogleich besser wird. Dies verschafft ihm oft auch an anderer Stelle mehr Ansehen.

Sô spricht vil lîhte ein tumber man eine rede, der si gemerken kan daz si dem ze staten kumt und im an sînen siten vrumt. swâ von dem guoten guot geschiht, daz dunket die bœsen gar enwiht, wand in vil wênic ze herzen gât guotiu rede und guot getât. si bietent lîhte d’ôren dar: ir muot stêt aber anders war: an valsch und an bôsheit. swaz den von mir wirt geseit, daz ruofte ich gerner in einen walt: dâ vünde ich doch die tagalt daz mir mîn ôre würde erschalt.

So trägt nicht selten ein einfältiger Mann eine Erzählung vor, so dass sie demjenigen, der sie richtig versteht, eine Hilfe ist und ihm für das rechte Handeln nützt. Was dem Ehrenhaften guttut, das erscheint dem Unwerten von geringem Wert, da eine gute Erzählung und edle Tat ihren Verstand gar nicht erreicht. Sie machen vielleicht die Ohren auf, ihr Sinn aber ist auf anderes gerichtet, auf Unredlichkeit und Nichtswürdiges. Was auch immer denen von mir vorgetragen wird, das sollte ich besser in einen Wald hineinrufen: dort würde ich wenigstens den Spaß haben, dass mein Ohr (vom Widerhall) beschallt würde.

Hie vinde ich anders lônes niht wan swaz er hœret oder siht, des spot er gerne swâ er mac; daz ist des valschen widerslac; swaz dem von mir wirt geseit êren oder vrümicheit, des nimt er vil kleine war; er lât ez durch diu ôren gar, zem einen în, zem andern ûz. ezn vrumt in niht umb ein grûz swaz ich im [guotes] gesagen kan, wand im sîn valschez herze erban guotes unde êren. wer mac den guot gelêren

Hier finde ich sonst keinen Lohn, denn was er auch hört oder wahrnimmt, damit soll er gerne, wo er kann, sein Gespött treiben; damit verteidigt sich der Unredliche. Was ich ihm auch erzähle von Ehre und Tapferkeit, nimmt er überhaupt nicht wahr. Es geht ihm völlig durch die Ohren: zum einen rein, zum andern raus. Es bringt ihn kein Schrittchen weiter, – was immer ich ihm erzählen könnte – da sein falsches Herz ihm Gutes und Ehrenhaftes missgönnt. Wer vermag den recht zu belehren,

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2. Jorams Herausforderung

der ein valschez herze treit? er bewillet sich mit [der] bôsheit als sich daz swîn mit horwe tuot. zem besten rihtet iuwern muot. nu volget mir: ez wirt iu guot.

der ein unredliches Herz besitzt? Er besudelt sich mit Schlechtigkeit wie das Schwein mit Dreck. Ihr aber sollt dem Besten entgegenstreben. Nun folgt mir: es nützt euch.

Mîn kunst diu was verborgen ie; die wold ich nu offen hie, ob ich mit mînem munde möhte swære stunde den liuten senfte machen, und von solhen sachen daz guot ze hœren wære. nu wil ich iu ein mære sagen, als ez mir ist geseit. zeiner ganzen wârheit trûwe ich ez niht bringen; wan eines wil ich dingen; daz ir durch iuwer hövischeit dem tihtær des genâde seit der ditze hât getihtet, mit rîmen wol berihtet, wan ditz ist sîn êrstez werc. er heizet Wirnt von Grâvenberc. der werlte ze minnen enblient erz sînen sinnen: ir gruoz wil er gewinnen.

Meine Kunstfertigkeit war stets verborgen; die wünschte ich hier zu offenbaren, wenn ich mit meiner Rede den Menschen beschwerliche Zeiten angenehm machen könnte, und von solchen Dingen (erzählen), die man mit Gewinn hört. Jetzt will ich euch eine Geschichte erzählen, so wie sie mir berichtet wurde. Ich traue mir nicht zu, sie vollständig getreu darzubieten; doch eins erwarte ich: dass ihr aufgrund eures gesitteten Wesens dem Dichter, der dies gedichtet und mit Reimen eingerichtet hat, dafür dankt, weil es sein erstes Werkstück ist. Er nennt sich Wirnt von Grafenberg. Der Welt zum Geschenk bestimmt, unterzog er es mühselig seiner Kunst: ihre Wertschätzung wünscht er zu erringen.

2. Jorams Herausforderung Ein Ritter (König Joram) erscheint vor Artus’ Burg Karidol und bietet der Königin (Ginovere) einen Zaubergürtel an. Am andern Morgen kehre er wieder; wenn sie ihn nicht behalten wolle, fordere er die Artusritter auf, um den Besitz zu kämpfen. Wirkung des Zaubergürtels: er verleiht Freude (Kraft) und Weisheit. Gawein rät der Königin, das Geschenk abzulehnen. Joram erhält den Gürtel zurück; die Ritter von der Tafelrunde werden der Reihe nach ausgestochen; nun waffnet Gawein sich. Kampf. Gawein, durch die Zauberkraft des Gürtels besiegt, gibt sich gefangen und reitet mit Joram unbemerkt fort. (145–598) 145

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Ez was hie bevor, sô man seit, ein künic, der ie nâch êren streit, des nam wîten ist erkant; Britanjâ hiez sîn lant, selbe hiez er Artûs; ze Karidôl hêt er hûs. mit solhen vreuden stuont ez dô

Es war einmal, wie man erzählt, ein König, der stets nach Ehren strebte, dessen Ruf weithin bekannt ist; sein Land wurde Britannien genannt; er selbst hieß Artus. Karidol war seine Residenz. Dort ging es derart hochgestimmt zu,

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daz uns daz nu machet vrô sô man der herren vrümicheit uns niwan mit worten seit die dô des hoves pflâgen; die muosen dicke wâgen durch lop den lîp: daz was ir sit. dâ muosen si verdienen mit die stat zer tavelrunde. swer daz verdienen kunde daz er der taveln reht besaz, den hêt man immer deste baz. ouch ist ê oft vil geseit von der herren vrümicheit und von des küniges milte, den des niht bevilte swaz er êren möhte bejagen; des muoz man von im immer sagen; beidiu sîn nam und sîn lant diu sint manigem erkant der ir dewederz nie gesach. von dem mir nie guot geschach, dem wil ich doch sprechen guot, ob er daz beste gerne tuot; daz was von kinde ie mîn muot.

dass es uns noch heute erfreut, wenn man uns die Tapferkeit der Edelherren die dort am Hofe lebten, mit bloßen Worten ausmalt. Diese setzten oft ihr Leben aufs Spiel, um Ruhm zu erringen: so waren sie’s gewohnt. Damit mussten sie sich ihren Platz an der Tafelrunde verdienen. Wer immer sich als würdig erwies und Zugangsrecht zur Tafel hatte, den schätzte man künftig umso mehr. Nun ist schon früher oft von der Tapferkeit der Edelherrn und der Freigebigkeit des Königs erzählt worden, dem es keine Last bedeutete, an Ehren das zu erringen, was möglich war. Daher wird man stets von ihm erzählen; seinen Namen und sein Land kennen viele, die beides nie geschaut haben. Über den, der mir selbst niemals Gutes zuteil werden ließ, will ich dennoch Gutes reden, wenn er das Beste freudig tut; so war ich von Jugend auf gesinnt.

Als ichz vernomen hân, sô lac daz hûs an einer plân. ein grôz fôreis dar an stiez. der künic daz vil selten liez ern rite baneken drin. ez was der rîter gewin und ir aller bestez spil daz si âventiure vil dâ zallen zîten vunden. daz jagen mit den hunden was dâ under wîlen grôz. durch den walt ein wazzer vlôz vür daz hûs an einer sît; daz was eben unde wît, besetzet vil hêrlîche mit mangem vürsten rîche, die alle gehûset hêten drin. ez was der geste gewin daz si alle umb êre striten; deheine vrümcheit si vermiten, daz beste si alle tâten. daz hûs was wol berâten

So wie ich es gehört habe, lag der Hof an einer Aue. Ein mächtiger Forst grenzte daran. Der König unterließ es niemals, darin spazieren zu reiten. Dies war zum Vorteil der Ritter und ihr angenehmster Zeitvertreib, weil sie dort jederzeit viele Aventiuren erleben konnten. Ab und an wurde eine mächtige Jagd mit Hunden veranstaltet. Durch den Wald floss ein Wasser an einer Seite vor der Residenz hin. Diese war bequem und geräumig, sehr vornehm bewohnt von zahlreichen mächtigen Fürsten, die sich alle darin häuslich niedergelassen hatten. Die Fremden hatten den Vorteil, dass sie alle um der Ehre willen (dort) kämpfen konnten; Gelegenheit zur tapferen Tat ließen sie nicht verstreichen, alle gaben ihr Bestes. Die Residenz war

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mit vil grôzer rîcheit, als uns diu âventiure seit; ir guot was mangem man bereit.

– wie man uns erzählt – aufs Prächtigste ausgestattet; ihr Reichtum stand vielen Männern zur Verfügung.

Des küniges hûs enmitten lac. der, nâch dem alten site, pflac die rîter alle enpfâhen wol; er was reiner tugent vol, gewizzen unde stæte; âne valsche ræte minnet er iegelîchen man; daz was hêrlîch getân. als ez von im geschriben stêt, wol tûsent rîter er hêt ze gesinde tägelîche; der iegelîcher was sô rîche an rossen und an gewande, an bürgen und an lande, daz im nihtes gebrast; dar zuo hêt er mangen gast, den er von sîner hant beriet; von im niemen ungetrœstet schiet; er lôste den recken dicke ir pfant; des ist noch sîn nam erkant von sîner milte über älliu lant.

Das Haus des Königs befand sich in der Mitte. Der nahm nach altem Brauch die Ritter wohl auf: er war voll unverfälschter Tugend, besonnen und beständig; aufrichtig liebte er alle Gefolgsleute; dies hieß vornehm gehandelt. So wie man von ihm schreibt, hatte er etwa tausend Ritter im täglichen Gefolge; jeder von ihnen war derart reich an Pferden und Ausrüstung, an Burgen und Ländereien, dass es ihm an nichts mangelte; darüber hinaus hatte er zahlreiche Gäste, die er selbst versorgte; niemand nahm von ihm mit leeren Händen Abschied. Er löste oft die hinterlegten Pfänder der fahrenden Ritter aus. Daher ist noch heute sein Name in allen Ländern wegen seiner Freigebigkeit berühmt.

Ein palas hêt diu künigîn daz was märmelsteinîn, gezieret wol begarwe, von vier hande varwe: rôt, brûn, weitîn und gel; daz hûs daz was sinwel, beliewet umb und umbe wol. rîcher vrouwen was ez vol; vil manic maget sûberlîch dienten aller tägelîch der rîchen küniginne. ouch hêt si dar inne rîcheit und vreude vil. aller hande seitspil die juncvrouwen kunden; daz hôrte man zallen stunden in den gewelben schellen; der kleinen hunde bellen drinne vaste klingen; mangen vogel singen

Die Königin besaß einen völlig mit Marmor schön verkleideten Palas in vier verschiedenen Farben: rot, braun, hellblau und gelb; dieses Gebäude war rund und ringsherum mit einem Laubengang umgeben. Bevölkert war es mit Damen von hoher Abkunft; zahlreiche artige Jungfrauen dienten alltäglich der vornehmen Königin. Darinnen konnte sie Pracht und Freude sich entfalten lassen. Die Jungfrauen verstanden sich auf allerlei Saitenspiel; dies hörte man jederzeit in den Gewölben ertönen; (dazu) das Bellen der Schoßhündchen sich oft hinein mischen; (und) viele Vögel

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in den liewen über al: galander unde nahtegal iegelîcher sîne stimme sanc. die vrouwen dûhte diu wîle unlanc; des sagten si dem künige danc.

in allen Lauben singen: Lerchen und Nachtigallen, jeder (Vogel) sang seine eigene Melodie. Den Damen wurde die Zeit nicht lang; dafür dankten sie dem König.

Nu hêt der künic einen sit – dâ was sîn hof getiuret mit – daz er ze tische nie gesaz des morgens, ê er eteswaz von âventiure hêt vernomen. eins tages was ez alsô komen, – daz doch selten dâ geschach – daz man niht âventiure sach unze wol nâch mittem tage; daz was des ingesindes klage; si stuonden an der warte hie. diu edel küniginne gie von den rîtern ûf ir sal. dô sach si bî der mûr zetal einen schœnen rîter haben; der was geriten an den graben. der vrouwen was er unbekant. ein sper vuort er in der hant, von scharlachen was er gekleit, sîn pfärt was rôt daz er reit, sîn hâr gemischet unde reit.

Nun hatte der König eine Gewohnheit, – mit der sein Hof sich auszeichnete – dass er sich am Morgen niemals zu Tisch begab, bevor er nicht irgendetwas von Aventiure vernommen hatte. Eines Tags war genau dies eingetreten, – was niemals zuvor geschehen war – dass man von keiner Aventiure erfuhr bis reichlich über die Mittagszeit; darüber beklagte sich das Gefolge. Sie hielten Ausschau. Die edle Königin ging von den Rittern fort zu ihrem eigenen Saal, als sie an der Mauer herabblickend einen herrlichen Ritter verharren sah; der war bis zum Graben herangeritten. Der Herrin war er unbekannt. Er hielt eine Lanze in der Hand; seine Kleidung bestand aus Scharlachstoff; das Pferd, das er ritt, war ein Fuchs; sein gelocktes Haar war schon halb ergraut.

Als er die küniginne sach, vil gezogenlîche er dô sprach ‚ûf gnâde bin ich komen her; nu gewert mich, vrouwe, des ich ger, durch wîplîche güete: sô ist mîn gemüete geprîset immer mêre; nu enpfâhet durch iuwer êre mîn bet genædiclîche, daz iuch diu Sælde rîche.‘ ‚nu sprechet, rîter, wes ir gert.‘ ‚vrouwe, daz ich werde gewert.‘ ‚nû saget mir doch: wes?‘ ‚vrouwe, niwan des: daz ir von mir geruochet nemen einen gürtel, der wol möhte gezemen al der werlte vrouwen; den lâz ich iuch schouwen. behaltet in unz morgen vruo.

Als er die Königin erblickte, sprach er mit feinem Anstand: „Im Vertrauen auf Wohlwollen bin ich hergekommen; gewährt mir nun, Herrin, aus weiblicher Vollkommenheit, was ich begehre: so hat mein Selbst fortan an Wert gewonnen; nun nehmt im Namen Eurer Ehre meine Bitte wohlwollend an, auf dass das Glück Euch belohne.“ „Nun sprecht, Ritter, was Ihr wünscht!“ „Herrin, dass man meiner Bitte entspricht.“ „Nun sagt schon: welchem Wunsch?“ „Herrin, nur dies: dass Ihr geruht, von mir einen Gürtel anzunehmen, der wohl allen Damen dieser Welt angemessen sein dürfte; den überlasse ich Euch zur Ansicht. Behaltet ihn bis morgen früh.

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trage iuch iuwer muot dar zuo, sô habet iu’n zeigen von mir; sî ab, vrouwe, daz ir den gürtel niht behalten welt, sô wil ich in als ein helt morgen holen hie durch strît ze rehter âventiure zît; od ich bin der hie tôt gelît.‘

Steht Euch der Sinn danach, so betrachtet ihn als Euer Eigentum und mein Geschenk. Sei es jedoch, Herrin, dass Ihr den Gürtel nicht behalten wollt, so werde ich ihn wie ein Held morgen an dieser Stelle mit Kampf wiedererringen zur rechten Aventiure-Zeit; oder ich bin es, der hier stirbt.“

Diu vrouwe sprach ‚daz sî getân; ich wil âne bœsen wân von iu die gâbe enpfâhen hie; alsô doch – ich sagiu, wie – daz ich iuch, rîter, niht entwer: ir sult morgen komen her und holt den gürtel; daz ist mîn rât. ich schaffez wol daz ez sô ergât daz ir behaltet iuwer leben. nu wizzet, ich hân iu wol gegeben daz ich daz tuon durch iuwer bet mit willen hie an dirre stet daz ich durch man ê nie getet.‘

Die Herrin sprach: „So soll es sein; ich werde in gutem Glauben von Euch die Gabe hier entgegennehmen; jedoch so – ich sage Euch, wie – dass ich Eurer Bitte, Ritter, nicht entspreche: Ihr müsst morgen her kommen, und holt den Gürtel ab; so lautet mein Entschluss. Ich werde dafür Sorge tragen, dass Ihr Euer Leben behaltet. Ihr sollt wissen – ich habe Euch gewiss beschenkt – dass ich dies gerne Eurer Bitte wegen hier und jetzt leiste, was ich zuvor niemals eines Mannes wegen tat.“

Den gürtel legte er ûf daz sper; mit guotem willen reicht er der vrouwen sîne gâbe dô; er neic ir unde sprach alsô ‚nu lât mich iuwer hulde haben; ich wil rîten von dem graben wider zuo dem walde.‘ dô reit er alsô balde daz sîn dâ niemen war genam unz er ze sînen knappen kam. die wârn mit grôzen vreuden dâ; si sâhen in zuo rîten sâ. nu lâze wir den rîter sîn. den gürtel hât diu künigîn; der rieme was alsô getân daz ich iu niht gesagen kan welher hande er wære; er was ninder lære von gesteine noch von golde; swer einen wünschen solde, dern würde nimmer alsô guot. der küniginne riet ir muot daz si den gürtel umbe bant; dô hêt diu vrouwe sâ zehant

Den Gürtel legte er auf die Lanze; freundlich überreichte er der Herrin darauf seine Gabe. Er verneigte sich vor ihr und sprach dies: „Nun bewahrt mir Eure Huld; ich will vom Graben wieder dem Walde zu reiten.“ Darauf ritt er derart schnell, dass ihn keiner bemerkte, bis er zu seinen Knappen kam. Die freuten sich sehr, als sie ihn herbeireiten sahen. Nun schweigen wir vom Ritter. Den Gürtel nämlich hat die Königin. Aus welchem Material das Band gefertigt war, kann ich Euch nicht erzählen. Es war nämlich völlig ausgefüllt mit Edelstein und Gold. Wer auch immer sich einen wünschen dürfte, der würde niemals die gleiche Güte erzielen. Die Königin hatte Lust, den Gürtel umzubinden: auf der Stelle war die Herrin erfüllt

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vreude [Hss.: sterke] unde wîsheit: sine truobte deheiner slahte leit, die sprâche kunde si alle wol, ir herze daz was vreuden vol, swaz spils man dâ begunde, si dûhte des wie siz kunde; deheiner kunst ir niht gebrast. si dûhte daz der selbe gast wol möhte sîn ein rîcher künic; er dûhte si biderbe unde vrümic, als ez wol an dem gürtel schein. si schuof daz ir her Gâwein würde brâht ûf den sal. von den liewen gie si zetal wider sitzen an ir stat; die vrouwen si alle sitzen bat. her Gâwein kom als si gebôt, ern vorhte deheiner slahte nôt; des gelac vil manger von im tôt.

von Stärke und Weisheit: nichts Arges konnte sie verwirren, sie verstand gewiss jede Sprache; ihr Herz war mit Freude erfüllt. Welches Spiel auch immer man eröffnete, so kam es ihr vor, dass sie es beherrschte; alle Künste waren ihr vertraut. Dieser Fremde schien ihr ein mächtiger König zu sein; er kam ihr tüchtig und tapfer vor, was man ja auch am Gürtel sehen konnte. Sie sorgte dafür, dass Herr Gawein zu ihr in den Saal geholt wurde. Von den Lauben stieg sie herab, um sich wieder an ihren Platz zu setzen. Sie bat die Damen, sich nieder zu lassen. Herr Gawein erschien, wie sie es befohlen hatte. Dieser fürchtete keinerlei Kampfesnot, daher starben viele von seiner Hand.

Diu vrouwe in zuo ir sitzen hiez. si wesse wol daz er niht enliez swes si in bat ern tæte daz; ir geviel sîn vuore deste baz. si sprach ‚helt, nu râtet mir, wand ich erkenne wol daz ir habt sô tugenthaften muot daz ir nimmer missetuot: daz hât man ofte an iu gesehen. ein âventiure ist mir geschehen, die wil ich iuch wizzen lân; ich bedarf wol iuwers râtes dran.‘ waz welt ir der rede mê? si sagt im als ich iu ê. als er von ir hêt vernomen wie der rîter dar was komen und wiez umb den gürtel stuont, dô tet er als die wîsen tuont: eine wîle er swîgende saz. mit bedâhtem muote sprach er daz ‚nu wizzet, vrouwe hêre, ez wær wider iuwer êre und würde ein bœsez mære, swie guot der gürtel wære, und engæbet ir in im niht wider. vrouwe, irn sult niht nider lâzen iuwern hôhen muot

Die Herrin wies ihn an, sich zu ihr zu setzen. Sie wusste genau, dass er genau dies, worum sie bäte, tun würde; umso mehr schätzte sie sein Benehmen. Sie sprach: „Held, gebt mir Euren Rat, denn ich weiß wohl, dass Ihr eine solch tugendhafte Gesinnung besitzt, so dass Ihr niemals unrecht handelt: dies hat man oft an Euch bemerkt. Mir ist eine Aventiure widerfahren, die ich Euch mitteilen werde; ich bedarf in dieser Angelegenheit Eures Rates.“ Was wollt ihr mehr von ihren Worten? Sie erzählte ihm das, was ich euch zuvor berichtete. Nachdem er von ihr von des Ritters Ankunft und wie es um den Gürtel bestellt war, vernommen hatte, verhielt er sich wie die Weisen: er saß eine Weile und schwieg. Mit Bedacht sprach er dies: „So wisst, edle Herrin, es stünde Eurer Ehre entgegen und würde zu gemeinem Gerede führen, wenn Ihr ihm den Gürtel nicht zurückgeben würdet, wie vortrefflich dieser auch sein möge. Herrin, Ihr dürft Eure edle Gesinnung

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durch deheiner slahte guot: ir sît dar zuo ze rîche; und wizzet wærlîche: swie sîn dar nâch werde rât, kumt er morgen, als er hât gelobet, daz man in bestât.‘

durch keinerlei Güter erniedrigen: dafür seid Ihr selbst zu hoch gestellt; und Ihr sollt in der Tat wissen: was auch hernach daraus folgt, kommt er morgen wie versprochen, so wird man ihm entgegentreten.“

Diu rede hêt ein ende hie. her Gâwein zem gesinde gie und sagt in die geschiht dô; des wurden die rîter alle vrô. des andern morgens kom durch strît ze rehter âventiure zît der vil tugenthafte gast gewâfent daz im nihts gebrast. ern vorhte deheiner slahte nôt. ein ravît reit er daz was rôt, daz gie ze sprunge schône. sîn zimier was ein krône; ein grôz rubîn dar inne lac; diu krône lûhte als der tac von golde und von gesteine. sîn angest diu was kleine. sîn wâfenroc von borten was; ein samît grüene alsam ein gras was ze der banier gesniten. sus kom der rîter dar geriten. ûf sînem schilte lac ein ar; der was von rôtem golde gar, daz ander von lazûre. sus reit er zuo der mûre, dâ er die küniginne vant. sînen helm er abe bant und satzte in ûf den satelbogen. er was höfsch und wol gezogen. sîn houbet daz entwâfent er, an die mûre leint er sîn sper. dô er die küniginne ersach, mit grôzen zühten er dô sprach ‚edle vrouwe, hœret mich durch iuwer güete; des ger ich. wert mich mit gnædeclîchem sit eins dinges, des ich iuch bit: daz ir die gâbe behaltet hie.‘ si sprach ‚rîter, des enwart mir nie ze muote, daz geloubet mir; edel rîter, jâne sult ir

Hiermit war die Rede beendet. Herr Gawein begab sich zum Gefolge und berichtete ihnen darauf von den Geschehnissen; hierüber freuten sich alle Ritter. Am nächsten Morgen erschien zum Kampf, zur rechten Zeit der Aventiure, der so tugendhafte Fremde, so gerüstet, dass ihm an nichts mangelte. Er fürchtete keinerlei Kampfesnot. Er ritt einen roten Araberhengst, der herrlich galoppierte. Seine Helmzier war eine Krone, ein großer Rubin war darin eingefasst. Die Krone leuchtete hell wie der Tag von Gold und Edelsteinen. Er war ohne Furcht. Sein Waffenrock bestand aus Seiden-Bändern; aus grasgrünem Brokat war das Banner zugeschnitten. In solcher Manier trabte der Ritter hinzu. Auf seinem Schild war ein rotgoldner Adler aufgelegt, lasurfarben war der Grund. So ritt er zur Mauer hin, wo er die Königin antraf. Er band seinen Helm ab und legte ihn auf den Sattelbogen. Er verhielt sich höfisch und mit Anstand. Er zog die Kapuze des Kettenhemds vom Kopf und lehnte seine Lanze an die Mauer. Als er die Königin erblickte, sagte er wohlerzogen: „Edle Herrin, um Eurer Güte willen hört mich an; das wünsche ich mir. Gewährt mir mit Wohlwollen eine Sache, um die ich Euch bitte: behaltet meine Gabe!“ Sie sprach: „Ritter, dies kam mir niemals in den Sinn, glaubt mir. Ja, edler Ritter, so

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solher dinge niht harte gern der man iuch niht mac gewern; ich wil der rede von iu enbern.

etwas dürft Ihr wohl nicht einfordern, was man Euch nicht gewähren kann. Ich will von Euren Worten verschont bleiben.

Herre, nemt den gürtel wider.‘ si liez in schône vallen nider von der mûre ûf sîn knie; mit der hant ern ouch enpfie. als er die vrouwen zürnen sach, der rîter offenlîche sprach ‚swer ie durch hövischeit gestreit, der gewinne in mit manheit an mir: des hât er êre; od ichn wil nimmer mêre des hoves wort gesprechen; sol ich niht zebrechen mîn sper vor der porte hie, sôn geschach hie âventiure nie.‘ der vrouwen neic er sâ zehant. sînen helm er ûf bant und reit vermezzenlîche dan vür daz hûs ûf die plân. die von der tavelrunde sprâchen mit einem munde ‚wâ nu schilt unde sper! harnasch und ors her!‘ und swer ê bereit wart, der was der êrste an die vart. Kaiî den schilt ze halse nam; mit zorne er ûz ze velde kam: er wolde bejagen den gewin. mit grôzen schanden vlôs er in, wand in der rîter niderstach – daz ez diu küniginne sach – von dem orse ûf daz gras. Didones der næhste was; der rief in rîterlîche an; dô kêrte er als ein küene man und stach in von dem rosse nider. gegen dem walde kêrter wider. Segremors erreit in dô; mit dem teilt er den gürtel sô daz er mit leide den langen tac betoubet ûf dem velde lac. Miljanz, der tugentrîche man, der reit in rîterlîche an; den stach er nider ûf die plân;

Herr, nehmt den Gürtel zurück!“ Sie ließ ihn anmutig von der Mauer herab auf sein Knie fallen; mit der Hand ergriff er ihn. Als er merkte, dass die Herrin sich erzürnte, sprach der Ritter allen vernehmlich: „Wer jemals im Namen des Hofes kämpfte, der möge ihn mit Tapferkeit von mir erwerben: davon erhält er Ehre; oder ich werde niemals mehr des Hofes Namen aussprechen; wenn ich nicht meine Lanze vor der Pforte hier brechen darf, dann fand hier niemals eine Aventiure statt.“ Gleich darauf verneigte er sich vor der Herrin, band seinen Helm fest und ritt kühn weiter, vor die Residenz auf den Platz. Die von der Tafelrunde riefen mit einer Stimme: „Wo bleiben Schild und Lanze, her mit Harnisch und Ross!“ Und wer eher gerüstet wurde, der ritt als erster los. Keie hob den Schild bis zum Hals. Mit Ungestüm kam er heraus auf den Kampfplatz: er wollte den Preis erringen. Mit erheblicher Schande verlor er ihn wieder, weil ihn der Ritter – unter den Augen der Königin – vom Pferd herab auf das Gras stieß. Didones war an der Reihe, der forderte ihn heraus; da wendete dieser als tapferer Mann und stach ihn vom Ross herab. Zum Walde hin ritt er zurück. Segremors holte ihn reitend ein; dem gönnte er den Gürtel so, dass er mit Schmerz den ganzen Tag entkräftet auf dem Streitplatz lag. Meljanz, der tugendreiche Mann, sprengte auf ritterliche Weise gegen ihn an; den stieß er herab auf den Platz;

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daz was im selten ê getân. ichn kan si niht genennen gar, wan daz diu tugenthafte schar von der tavelrunde in vil kurzer stunde wart dâ sigelôs ersehen; owê, wie mohte daz ie geschehen! alle die nâch dem rîter riten, die kunde er des vil wol erbiten daz si in liezen rîten dan. an dem velde lac manic man der des ungewon was; bedecket was daz grüene gras mit den schilten eteswâ; diu ros liefen ledic dâ, als ein stuot wær ûz geslagen; man sach dâ mangen în tragen der ê schône was ûz geriten. si möhten in gerne hân vermiten, wan si dâ schande von im liten.

das war diesem zuvor nie widerfahren. Ich kann sie nicht vollständig aufzählen, nur (berichten,) dass die tugendhafte Schar von der Tafelrunde binnen kurzem als besiegt zu betrachten war. O weh, wie konnte das jemals geschehen! Alle, die auf den Ritter zu ritten, die vermochte er sehr wohl zu überzeugen, ihn davon reiten zu lassen. Auf dem Kampfplatz lagen viele Männer, die dies nicht gewöhnt waren. Der grüne Rasen war mit Schilden hier und dort bedeckt; die Pferde liefen reiterlos, als ob (von ihnen) eine Herde hinaus getrieben worden wäre. Viele sah man hinein getragen werden, die doch stolz hinaus getrabt waren. Sie hätten ihn gerne unbehelligt gelassen, denn sie erfuhren Schande durch ihn.

Nu reit der rîter sâ zehant dâ er sîne knappen vant. die wâren sîns gelückes vrô; mit vreuden enpfiengen si in dô. den helm man im abe bant; selbe schut er sîn îsengwant in den schilt zuo im dâ. zwêne knappen hiez er sâ an daz fôreis rîten. er sprach ‚ir sult dâ bîten unz ir daz vil rehte erspehet daz ir einen rîter sehet von dem hûse rîten her; den erkenne ich wol, wan daz ist der dem an deheinem strîte nie von sîner zagheit missegie; gegen dem wil ich ruowen hie.

Nun ritt der Ritter sogleich dort hin, wo er auf seine Knappen traf. Die waren froh über sein Kampfesgeschick. Mit Freude begrüßten sie ihn. Der Helm wurde ihm abgebunden; er selbst schüttelte sein Kettenhemd in den Schild vor ihm. Zwei Knappen befahl er sodann, zum Waldrand zu reiten. Er sprach: „Ihr sollt dort warten, bis ihr einen Ritter vom Schloss hierher reiten seht. Den kenne ich gut, denn das ist der, dem kein Kampf jemals aus Feigheit fehlgeschlagen ist. Um ihn zu bestehen, will ich hier ausruhen.“

Die knappen riten vür den walt. ir vreude diu was manicvalt. si warten, als er in gebôt. dô hôrten si vil grôze nôt von der mässenîe klage. der hof enwart nie vor dem tage geletzet alsô sêre.

Die Knappen ritten vor den Wald. Sie waren voller Freude. Sie hielten Ausschau, so wie er es angeordnet hatte. Da vernahmen sie großes Wehklagen der Dienerschaft (des Königs). Der Hof war vor diesem Tag niemals derart schwer geschädigt worden.

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diu künigîn Ginovêre saz mit grôzem jâmer hie: irn geschach dâ vor sô leide nie. nu wâfent sich her Gâwein, der ie in rîters êren schein. ûf sîn ors saz er. man reichte im schilt unde sper. sus reit er vür daz bürgetor; dâ sâhen in die knappen vor. er reit stätelîche dan. ze strîte was er ein wîse man, wand er hêt ofte vil gestriten, durch manheit ûf den lîp geriten. er stapfet sanfte, im was niht gâch. daz ingesinde sach im nâch und bat got sînes lîbes pflegen. si hêten sich sîn gar bewegen, wan daz im nie misselanc. daz gevilde daz was harte lanc; daz reit er gegen dem walde nider. die zwêne knappen îlten wider und sagten im er kæme dâ. der rîter hiez sich wâfen sâ. den gürtel gurter umbe sich; wan durch sîn kraft, sô dûhte mich im wær dâ misselungen. diu ors ze samne sprungen dô si ein ander sâhen. si begunden vaste gâhen; diu ors nâmens mit den sporn; ir ietweder hêt erkorn den andern underz kinnebein; dô huop sich under in zwein ein harte schœniu rîterschaft, wand ir ietweders schaft brast ze mangen stücken; dô muosen si zücken diu swert von den sîten; hie huop sich schœnez strîten enzwischen in beiden. wer solde si dâ scheiden, sît dâ niemen bî in was? si erbeizten nider ûf daz gras. diu ors enhêten in niht getân; si liezen über sich selben gân.

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Die Königin Ginover saß dort in großer Trauer; nie zuvor erging es ihr so übel. Nun rüstete sich Herr Gawein, der stets in ritterlichen Ehren glänzte. Er stieg aufs Pferd. Man reichte ihm Schild und Lanze. So ritt er vor das Burgtor, wo ihn die Knappen erblickten. Er ritt ruhig davon. Im Kampf war er ein erfahrener Mann, denn er hatte sehr oft gekämpft, war aus Tapferkeit sein Leben wagend ausgeritten. Er ließ das Pferd im sanften Schritt gehen, er hatte keine Eile. Das Gefolge blickte ihm nach und bat Gott darum, sein Leben zu beschützen. Sie hätten ihn ganz aufgegeben, wenn er nicht stets gesiegt hätte. Das Feld war äußerst lang; das ritt er dem Walde zu hinab. Die zwei Knappen eilten zurück und sagten ihm (dem fremden Herrn), dass er von dort herbeikomme. Der Ritter befahl, dass er sofort gerüstet würde. Den Gürtel gürtete er um; ich glaube, ohne dessen Kraft wäre es ihm fehlgeschlagen. Die Rosse rannten einander an, als sie sich erblickten. Sie wurden sehr ungestüm; die Rosse nahmen sie mit den Sporen; jeder von ihnen hatte dem andern unter das Kinn gezielt; da fing ein herrlicher Kampf unter den beiden an, denn beider Schäfte zersplitterten in viele Stücke; da mussten sie die Schwerter von den Seiten ziehen; ein glänzender Streit begann zwischen ihnen. Wer hätte sie da auseinanderbringen sollen, wo doch niemand bei ihnen stand? Sie saßen ab, denn die Rosse hatten ihnen nichts getan; sie gingen selbst aufeinander los.

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si hêten beide ganze kraft und vâhten ouch mit meisterschaft, wan si kundenz beide wol. mir ist leit, daz ichz sagen sol daz dem herren Gâwein ie an dem strîte missegie; doch wil ich im des prîses jehen: im wære des lasters niht geschehen wan durch den gürtel den er truoc: der steine kraft in nider sluoc; dâ von der gast den sic gewan. er wær sîn anders gar erlân. des wart her Gâwein vil unvrô. der edel rîter vienc in dô; in sîn gezelt zôch er in; daz was ein rîterlîch gewin. owê, daz dem herren Gâwein ie von deheinem manne missegie: wan bezzer rîter dern wart nie.

Sie besaßen beide volle Kampfeskraft und fochten auch mit Kunstfertigkeit, denn beide verstanden sich bestens darauf. Es schmerzt mich, es sagen zu müssen, dass dem Herrn Gawein jemals beim Kampfe etwas fehlschlug, doch möchte ich ihm den Preis zuerkennen: ihm wäre keine Schmach widerfahren, wenn nicht der Gürtel gewesen wäre, den dieser trug: die Kraft der Edelsteine schlug ihn nieder; dadurch siegte der Fremde. Sonst wäre er von ihm ganz unbehelligt geblieben. Darüber wurde Herr Gawein sehr betrübt; der edle Ritter nahm ihn darauf gefangen; er zog ihn in sein Zelt hinein; das war eine ritterliche Beute. O weh, dass Herr Gawein jemals gegen einen anderen Mann den Kürzeren zog: denn ein besserer Ritter wurde niemals geboren.

Als diu sicherheit wart getân, dô reit der gevangen man mit dem herren durch den walt. diu klage was vil manicvalt dâ ze hove von der geschiht. künc Artûs was dâ heime niht: er was ûz an das gejeit. dô er kom, dô was im leit und truobet sêre sînen muot, daz sô manic rîter guot geschendet was von einem man. ouch was des ingesindes wân daz her Gâwein wære erslagen; daz begundens alle klagen. sîn schande was im doch sô geschehen daz ir deheiner si hêt ersehen: dâ von was ez in unkunt. ezn kæme ouch nimmer vür mîn munt, hêt mirz ein knappe niht geseit zeiner ganzen wârheit, wider den ich alle wîle streit.

Als die Sicherheit geleistet war, ritt der Gefangene mit dem Herren durch den Wald. Das Leid war groß am Hofe dieses Vorfalls wegen. König Artus war nicht zu Hause, sondern draußen bei der Jagd. Als er zurück kam, schmerzte und betrübte es ihn, dass so viele treffliche Ritter von einem einzigen Mann entehrt wurden. Auch glaubte die Hofgesellschaft, dass Herr Gawein erschlagen worden sei; dies bejammerten alle. Seine Schmach war ihm jedoch so widerfahren, dass keiner von ihnen dabei zugesehen hatte: daher wussten sie es nicht. Es käme auch niemals über meine Lippen, wenn es mir nicht ein Knappe als völlig wahr berichtet hätte, mit dem ich stets einen Disput hatte.

3. Gaweins Entführung und Vermählung

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3. Gaweins Entführung und Vermählung Joram eröffnet Gawein das Geheimnis seines Sieges, den er nur dem Gürtel verdanke, und schenkt ihm denselben. Sie reiten durch eine schöne Landschaft und kommen am 13. Tage an einen breiten Fluss. Am Ufer entlang durch einen schönen Wald geht es, bis sie eine Straße erreichen, die in Jorams Reich führt. Gawein wird mit großer Auszeichnung empfangen. Die Gemahlin und die Nichte Jorams (Florie von Syrie) begrüßen ihn im Saal. Beschreibung der Gewänder und der Schönheit Flories. Nachdem Gawein den Eid der Treue geleistet hat, trägt Joram ihm die Hand Flories an. Gawein dankt begeistert. Die Heirat wird vollzogen. Florie wird schwanger. Beschreibung eines symbolischen Glücksrades, das sich auf der Burg befindet. Gawein sehnt sich nach den Rittern der Tafelrunde zurück; er verabschiedet sich von seiner Gemahlin, ohne zu wissen, dass man nur unter Jorams Begleitung bzw. mit Hilfe des Gürtels dessen Reich betreten kann, und in der Absicht bald zurückzukehren. Heimlich reitet er fort, ohne den Gürtel; erst nach einem halben Jahr erreicht er Karidol. Die Sehnsucht nach Florie treibt ihn bald wieder fort; heimlich macht er sich auf den Weg nach Jorams Burg. Als er sie nach langem Umherirren nicht wiederfindet, kehrt er an Artus’ Hof zurück. (599–1202)

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Nu riten die zwên küene man mit vil grôzen vreuden dan und kômen in ein wilde lant. der herre den gürtel abe bant als er die vreise vor im sach. zem herren Gâwein er dô sprach ‚herre und lieber [ge]selle, seht ir daz gevelle und die steinwende? daz ist âne wende wirn müezen rîten dar an. nu nemt den gürtel den ich hân; behalt in unz an iuwern tôt und sît sicher vor aller nôt: wan daz ir siglôs sît ersehen daz ist von sîner kraft geschehen. ichn zel mirz ze deheiner vrümicheit, wand ir habt grôze manheit begangen allez iuwer leben; man hât iu ie den prîs gegeben an rehter rîterschefte. daz mir von mîner krefte diu êre sî gevallen hie, den gelouben gewan ich nie, wan daz ist ie âne wân ezn habe der steine kraft getân. iun mac nû nimmer missegên; ân angest müget ir bestên swaz vreise ir in der werlte welt.‘ mit triuwen neic im dô der helt; der gâbe wart er harte vrô.

Nun ritten die zwei kühnen Männer ganz frohgemut davon und kamen in ein wildes Land. Der Herr nahm den Gürtel ab, als er die Gefahr vor sich erblickte. Zu Herrn Gawein sagte er: „Herr und Weggefährte, seht ihr die Schlucht und die Steilwand? Es ist unabwendbar, dass wir dort entlang reiten müssen. Nun nehmt meinen Gürtel, behaltet ihn auf Lebenszeit und seid sicher vor jeglicher Gefahr: denn dass man Euch des Sieges beraubt sah, das ist seiner Kraft zuzuschreiben. Ich rechne es mir nicht als Tapferkeitsbeweis an, denn Ihr habt Euer Leben lang große Mannhaftigkeit bewiesen; man hat Euch stets den Preis der rechten Ritterschaft zuerkannt. Dass mir aus eigener Kraft die Ehre zugefallen sei, habe ich niemals geglaubt, denn es ist völlig gewiss, dass die Kraft der Edelsteine dies bewirkt hat. Euch kann nun niemals etwas fehlschlagen; ohne Furcht könnt Ihr dem standhalten, was immer an Gefahr in der Welt Ihr Euch aussucht.“ Aufrichtig verbeugte sich da vor ihm der Held; er freute sich sehr über das Geschenk.

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er gnâdet im und gurte dô den gürtel under sîn îsengwant. dâ von enpfienc er zehant vil grôze sterke und manheit. ûf den berc er dô reit nâch dem herren in ein lant. ich wæn ie iemen würde erkant ein lant sô vreuden rîche: ez bluot allez gelîche, bluomen unde boume. wie er in einem troume wære, des bedûhte in sâ. der vogel sanc was michel dâ. daz lant gar âne liute was: niwan bluomen unde gras der was daz gevilde vol. diu ougen weide tet im wol. swie ichz doch kurzlîche sage, si wârn geriten zwelf tage. des drîzehenden morgens vruo kômen si geriten zuo einem wazzer daz was breit. der rîter ez zetal reit durch einen wünniclîchen walt; der was ze vreuden wol gestalt von loube und von gesange. den riten si unlange unz er eine strâze vant; diu wîste in in sîn eigen lant. die reise hêt er wol bewant.

Er dankte ihm und gürtete darauf den Gürtel unter sein Kettenhemd. Sogleich empfing er von ihm größte Stärke und Mut. Dem Herren nach ritt er den Berg hinauf in ein Land; ich glaube, niemand lernte jemals ein an Freuden so reiches Land kennen: es blühte alles gleichermaßen, Blumen und Bäume. Es dünkte ihn sogleich, als ob er sich in einem Traum befinden würde. Mit Macht sangen die Vögel. Das Land war unbewohnt: das Feld war nur voller Blumen und Gras. Der Anblick entzückte ihn. So kurz ich es auch berichte: geritten waren sie zwölf Tage lang. Am dreizehnten morgens früh gelangten sie an einen breiten Fluss. Der Ritter ritt an dessen Ufer entlang herab, durch einen herrlichen Wald; der war wunderschön mit (seinem) Blattwerk und Vogelsang. Den durchritten sie in kurzer Zeit, bis jener eine Straße fand; die führte ihn in sein eigenes Land. Die Reise hatte er zu einem guten Ende gebracht.

Mit mæren vertriben si den tac. nu sâhen si wâ vor in lac ein burc harte veste, diu schœnest und diu beste die si ie gesâhen; der begundens nâhen. ein wîtiu stat lac vor dem tor, dâ wâren tiefe graben vor. ein boumgart umb daz hûs lac: den bevridet ein vestez hac. sus riten si durch die stat. den herren Gâwein dô bat der künic willekomen sîn. er sprach ‚ditze lant ist mîn von dem walde unz an daz mer, und möhte ich ûz komen mit her

Mit Geschichten verbrachten sie den Tag. Nun sahen sie dort vor ihnen eine gewaltige Burg liegen, die prächtigste und beste, die sie je gesehen hatten; dieser näherten sie sich. Ein geräumiger Platz lag vor dem Tor, davor befanden sich tiefe Gräben. Ein Baumgarten umgab die Residenz: den umfriedete eine starke Dornenhecke. So ritten sie über den Platz. Herrn Gawein hieß der König willkommen. Er sprach: „Dieses Land gehört mir vom Wald bis zum Meer, und würde ich mit einem Heer

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vür die berge, geloubet daz: nie dehein künic besaz sîn lant sô gwalticlîche – ich betwünge wol älliu rîche.‘ sus reit er vür daz bürgetor; dâ stuonden edel knappen vor, rîter unde knehte, die in nâch sînem rehte enpfiengen küniclîche. er nam geselliclîche den herren Gâwein bî der hant. den helm man im abe bant und vuorte in an guot gemach. ze sînen knappen er dô sprach ‚nu badet den rîter schône, daz ichs iu immer lône.‘ abe schut er sîn îsengwant. si vuorten in enwec zehant und batten in rîterlîche. der wirt der was rîche; daz wol an dem gesinde schein. sich kleite der herre Gâwein mit wîzer lînwæte; ein juncvrouwe in næte in einen roc pfellîn; mit einem pelze härmîn was er gefurrieret; sus wart er gezieret. her Gâwein was ein schœne man. des selben pfelles legte er an einen mantel der was wît. nu kom ein bot – des was zît, – der hiez in ûf ezzen gân; der künic wolde ins niht erlân ern müese sîn gemazze sîn; ze kemenâten az diu künigîn: daz schuof der wirt durch sîn gemach.

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an disen dingen er wol sach daz sîn wille und sîn muot was reine unde guot: er tet im als man vriunden tuot.

über die Berge ziehen, glaubt es: kein König hatte sein Land mit solcher Macht inne – so könnte ich wohl alle Königreiche bezwingen.“ So ritt er vor das Burgtor; davor standen Edelknappen, Ritter und Knechte, die ihn wie es ihm gebührte königlich willkommen hießen. Er nahm Herrn Gawein freundschaftlich an der Hand. Den Helm band man ihm ab und führte ihn an einen bequemen Ort. Er sprach darauf zu seinen Knappen: „Nun badet den Ritter so sorgfältig, dass ich es euch stets danke.“ Er schüttelte sein Kettenhemd von sich. Sie führten ihn auf der Stelle weg und badeten ihn, wie es einem Ritter geziemt. Der Landesherr war reich; das zeigte sich an seinem Gefolge. Herr Gawein kleidete sich in weiße Leinwand; eine Jungfrau nähte ihn in einen seidenen Rock; gefüttert war letzterer mit einem Pelz aus Hermelin; so wurde er herausgeputzt. Herr Gawein war ein schöner Mann. Er zog einen aus derselben Seide gefertigten weiten Mantel an. Nun erschien ein Bote – dafür war die Zeit gekommen –, der ihn einlud, sich zum Essen hinauf zu begeben; der König bestand darauf, dass er sein Tischgenosse wäre; die Königin speiste in der Kemenate: das richtete der Hausherr, um Gaweins Wohl bemüht, so ein. Daran erkannte dieser wohl, dass des Königs Absichten und Gesinnung makellos und aufrichtig waren: er behandelte ihn wie einen Freund.

Man gap im guote spîse dâ. dô man gaz, dô fuorte in sâ der künic zuo den vrouwen; die mohte er gerne schouwen.

Man reichte ihm köstliche Speise. Nach dem Essen geleitete ihn der König sogleich zu den Damen; die konnte er mit Freuden betrachten.

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als er in den sal gie, diu küniginne in enpfie, dar nâch ein sô schœniu maget daz ninder lebte, sô man saget, ir gelîche bî der zît; si was benamen âne strît diu schœnest die er ie gesach; des prîses ir diu werlt jach. si enzunde im herze unde muot. in dûhte daz wesen bî ir guot, wan dâ was schœne unde jugent, gewizzen unde ganziu tugent, geburt unde sinne; si möhte wol keiserinne von ir tugent sîn gewesen. wer möhte ouch noch vor ir genesen diu sô schœne wære? wir sulen guotiu mære von den reinen wîben sagen und ir leit mit leide klagen, die sich mit zühten kunnen tragen.

Als er in den Saal eintrat, empfing ihn die Königin und nach ihr eine solch schöne Jungfrau, dass zu der Zeit, wie man erzählt, nirgendwo ihr ebenbürtig eine andere lebte. Sie war wirklich und unbestreitbar die Schönste, die er jemals erblickt hatte; alle Welt sprach ihr diesen Vorrang zu. Sie entflammte ihm Herz und Sinne. Ihm kam der Aufenthalt in ihrer Nähe köstlich vor, denn dort gab es Schönheit und Jugend, Besonnenheit und vollendete Tugend, hohe Abkunft und Weisheit; ihrer Tugend nach hätte sie wohl eine Kaiserin gewesen sein können. Wer hätte jetzt und heute es vermocht, ihr zu widerstehen, die derart schön war? Wir wollen Gutes von den schönen Frauen berichten und mit deren Leid mitleiden, die sich mit Anstand benehmen können.

Als uns diu âventiure seit, sô was diu juncvrouwe gekleit nâch ir rehte harte wol, als ein edel maget sol. si truoc einen roc wîten, von zwein samîten gesniten vil gelîche, eben unde rîche; der eine was grüene alsam ein gras, der ander rôter varwe was, mit golde wol gezieret. der was gefurrieret mit vil grôzem vlîze: herme vil wîze hêt er bedecket; der pelz was gestrecket neben dem rocke gelîche. gerigen meisterlîche ein hemde was dar under; des nam den rîter wunder daz ez sô rehte lûter was: als ein liehtez spiegelglas was daz selbe hemde; ez dûhte in harte vremde

Wie die Geschichte uns berichtet, war die Jungfrau (wie es ihr gebührte) sehr gut gekleidet und wie es einer edlen Jungfrau angemessen war. Sie trug ein weites Oberkleid aus zweierlei Brokat, gleich breit zugeschnitten, glatt und kostbar; der eine war grasgrün, der andre rot gefärbt, beide mit Goldfäden durchwirkt. Das (Kleid) war mit großer Sorgfalt gefüttert; es überzog strahlend weißen Hermelin. Der Pelz säumte in gleichmäßigem Abstand die Kanten des Oberkleides. Ein kunstvoll geschnürtes Hemd trug sie darunter; das verwunderte den Ritter, dass es derart hell blendete; wie ein glänzendes Spiegelglas wirkte dieses Hemd; es kam ihm (auch) sehr seltsam vor,

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daz ez sô kleine mohte sîn; ez was wîz sîdîn mit guldîner næte. ouch gezam vil wol der wæte ein gürtel den diu maget truoc; daz was ein borte guot genuoc von golde und von gesteine, grôz unde kleine. ûz einem smaragde was, rehte grüene alsam ein gras, diu rinke wol ergraben, von golde ein ar dar ûf erhaben mit gesmelze harte wæhe; daz werc daz was spæhe. daz diu spängel solden sîn, daz wâren tier guldîn, geworht mit grôzem vlîze; dâ enzwischen berle wîze wâren gestecket. sus was er bedecket mit edelem gesteine. ichn gesach ir nie deheine – geworht âne zungen –

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diu sô wol bedrungen mit gezierde wære als an disem mære. ouch was ein edele rubîn durch sînen wünniclîchen schîn in den gürtel vor geleit; als si dehein swachez leit truobte in ir gemüete, sô benam des steines güete mit süezem schîne ir ungemach, sô si sîn varwe rehte ersach; an tugende was er niht swach.

dass es so fein sein konnte; es war aus weißer Seide, mit goldenem Faden geschnürt. Der Kleidung angemessen war ein Gürtel, den die Jungfrau trug; das war ein ausgezeichnetes Band, mit Gold und Edelsteinen verschiedener Größen geziert. Aus einem grasgrünen Smaragd war die Schnalle graviert, darauf als Zier ein goldener Adler auf zierlichstem Schmelzwerk; die kunstvolle Arbeit war herrlich anzusehen. Was als Gürtelbeschläge dienen sollte, bestand aus goldenen Tieren, mit großer Sorgfalt verfertigt; dazwischen waren weiße Perlen aufgestickt. So war er (der Gürtel) bedeckt mit Edelsteinen. Niemals habe ich irgendeine (Jungfrau) gesehen – mit Ausnahme der nur mit (Dichter-)Worten erschaffenen – die derart schön mit Zierrat geschmückt war wie in dieser Geschichte. Auch war ein edler Rubin wegen seines herrlichen Glanzes vorne in den Gürtel eingelegt; sobald sie irgendein geringes Leid in ihrem Sinn betrübte, so nahm die Kraft des Steines mit süßem Glanz ihren Verdruss hinweg, wenn sie seine Farbe recht erblickte; seine Macht war groß.

Sich hêt diu maget rîche vil harte hövischlîche in einen mantel gevangen, wîten unde langen, genagelt wol mit golde, bezogen als si wolde mit einer veder härmîn; dâ wâren gesniten în von einer hiute vischîn – der hâr daz was weitîn,

Die edle Jungfrau hatte sich sehr höfisch in einen weiten und langen Mantel gehüllt, der war mit Gold beschlagen und nach ihrem Wunsch mit Pelzwerk aus Hermelin gefüttert; eingearbeitet waren darin von einer Fischhaut – deren Haare bläulich waren

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brâht von Îberne – mâne unde sterne; daz zierte die veder harte wol; harmzagel was si vol innen bestecket; die veder hêt bedecket ein alsô guot siglât daz diu werlt niht bezzers hât. ouch wâren diu tassel beidiu rôt unde gel, ergraben harte kleine ûz einem edeln steine mit heidenischem liste: der was ein âmatiste, daz ander was ein jâchant. ein zobel reichte ir ûf die hant, der was swarz unde breit, gemischet grâ unde reit, als noch manic vrouwe treit.

und die aus Irland stammte – Mond und Sterne; das schmückte das Pelzwerk vortrefflich; innen war es mit Hermelinschwänzen geziert. Ein derart guter Siglatstoff überzog das Pelzwerk, dass in der Welt kein besserer zu finden ist. Die Tasseln waren rot und gelb zierlichst aus einem Edelstein mit heidnischer Kunst geschnitten: jener war ein Amethyst, der andere ein Hyazinth. Ein Zobel-Schal reichte ihr bis zur Hand, der war schwarz und breit, graues und gelocktes Pelzwerk untermischt, wie noch jetzt viele Damen es tragen.

An ir houbetloche vor was der herre Âmor ergraben meisterlîche, rehte dem gelîche als ez leben solde; eine strâle von golde hêt er in der zeswen hant, in der andern einen brant; daz werc was guot und kleine, ûz eim karfunkelsteine ergraben harte schône; kleine als ein bône was der selbe stein. vor der juncvrouwen er schein des nahtes swâ si gie; dehein vinster er dâ lie dâ diu juncvrouwe inne was; des tages glaster als ein glas. dâ hafte si ir buosem mit nâch der Kärlinge sit. si was wol grôzer dinge wert; swes ir lîp zer werlte gert, des hât diu sælde si gewert.

An ihrem Halsausschnitt war vorne der Herr Amor meisterlich (aus Stein) geschnitten: fast so, als ob er lebte. Einen goldenen Pfeil hielt er in der linken Hand, in der anderen eine Fackel; das Werkstück war vortrefflich und zierlich aus einem Karfunkel schön geschnitten; klein wie eine Bohne war dieser Stein. Er leuchtete der Jungfrau voran in der Nacht, wo immer sie ging; dort wo die Jungfrau sich befand, ließ er keine Finsternis zu; tagsüber glänzte er wie Glas. Damit verschloss sie ihr Brustkleid nach dem Brauch der Franzosen. Vornehmes passte zur ihr; was immer sie in der Welt begehrte, das hatte ihr das Glück gewährt.

Diu maget truoc ein schapel, daz was weitîn unde gel, rôt, brûn unde wîz;

Ein Schapel trug die Jungfrau, blau und gelb, rot, braun und weiß;

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dar an lac vil grôzer vlîz von golde und von sîden. swer daz nu wolde nîden daz si sô schône was gekleit, daz wær ein michel tôrheit, wand ez ist âne ir aller schaden swaz ich ûf si mac geladen von sîden und von borten und von gezierde, mit worten. ir zöpfe wârn gebunden, mit golde wol bewunden unz an des hâres ende; sô keiserlîch gebende truoc diu maget reine. ir hâr daz was kleine, goltvar unde reit; ir scheitel wîz und niht ze breit. diu stirne was ir sinwel. eben und lûter was ir vel, von rôsen varwe wîze getempert mit vlîze. ir brâ brûn, sleht unde smal. dâ bî hiengen ir zetal reide löcke goltvar. ir ougen lûter unde klâr. ez wære wîp oder man, swen si güetlîche an mit lachenden ougen sach, swaz dem leides ie geschach, des was zehant vergezzen. diu Sælde hêt si besezzen. ir ôren [wârn] ze rehte gar, als si wæren erwünschet dar, von liehtvarwer wîze, nâch dem gotes vlîze beidiu krump unde hol. diu nase [was ir] geschaffen alsô wol: swer si immer solde sehen, dern möhte niht wandels dran erspehen sine stüende gevüeclîche dem antlütz wol gelîche. diu hiufelîn [wârn ir] rôsenvar, daz antlütze lûter gar von rœte und von wîze, als si got mit vlîze gemischet hêt begarwe. mit alsô liehter varwe

mit Goldfäden und Seide hatte man große Sorgfalt aufgewendet. Wer ihr das nun missgönnen wollte, dass sie so schön gekleidet war, beginge eine große Torheit, denn es schadet niemandem, was immer ich an Seide und Bändern und Schmuck ihr aufbürde – mit Worten. Ihre Zöpfe waren aufgebunden, mit Goldbändern umstrickt bis zu ihrem Ende; einen solch kaiserlichen Kopfputz trug die schöne Jungfrau. Ihr Haar war fein, goldfarben und gelockt; an dem schmalen Scheitel schimmerte weiße Haut. Ihre Stirn (war) gewölbt, glatt und rein ihre Haut, rosenfarbig und weiß mit Sorgfalt gemischt. Die Brauen braun, gerade und schmal. Die Schläfen umspielten goldfarbene Ringellocken. Ihre Augen (waren) hell und rein. Wen immer sie freundlich mit lachenden Augen anblickte, ob Frau oder Mann, was immer dem an Leid widerfahren war, das hatte er sogleich vergessen. Das Glück hatte sie umfangen. Ihre Ohren (standen ihr) ganz wie es sich schickte, als ob man sie dorthin gewünscht hätte, weiß wie Licht, mit Gottes Sorgfalt gekrümmt und vertieft. Die Nase (war ihr) derart wohlgeformt: wer sie jemals sehen dürfte, der könnte daran keinen Makel ersehen, denn sie passte ausgezeichnet zum Gesicht. Die Wangen (waren) rosig, das Antlitz hell, abwechselnd rot und weiß, als ob Gott die Farben mit Sorgfalt untereinander gemischt hätte. Von ebenso blanker Farbe

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was ir lîp über al linde und eben hin zetal. daz was dâ wol erzeiget: der Wunsch hêt sich geneiget vil gar in ir gewalt. ir munt der was sô wol gestalt und sô minniclîche, und hêt si im gelîche sîne mâge alle ersterbet, in selben sô verderbet daz er vil kûme mohte genesen – und soldez dannoch alsô wesen daz er si kuste an ir munt, sô wær vergezzen sâ zestunt aller sîner swære, als ez nie worden wære. ir zene wîz, eben und kleine, ûz vil lûterm beine zesamene gestecket; der munt hêt si bedecket mit rôsenvarwer rœte. – daz ich mich nu nœte der gedanke alsô verre, ich wæne ez mir niht werre, wan von gedanken kumt der muot der dem lîbe sanfte tuot. – ouch was ir diu kel sleht unde sinwel, harmwîz, als er jach der die juncvrouwen sach; ein breiter zobel drumbe gie, der ir vil lützel sehen lie, wand er den hals gar umbe vie.

war ihr Körper im Ganzen, – abwärts betrachtet – zart und glatt. Dies erwies sich wohl: die Vollkommenheit hatte sich ganz ihrer Gewalt unterworfen. Ihr Mund war so wohl geformt und so lieblich; auch wenn sie einem gleich alle Verwandten getötet und ihn selbst so zugrunde gerichtet hätte, dass er mit Mühen lebend davon gekommen wäre – wäre es ihm dann vergönnt, sie auf den Mund zu küssen, wäre sogleich sein ganzer Kummer vergessen, als ob er nie entstanden wäre. Ihre Zähne (waren) weiß, glatt und fein, aus reinstem Schmelz aufgereiht; die Lippen rahmten sie mit rosenfarbener Röte. – Ich glaube, daraus erwächst mir kein Schaden, dass ich mich in der Phantasie so sehr abmühe, denn mit (solchen) Gedanken kommt man in jene Stimmung, die uns ein Wohlgefühl verschafft. – Ferner war ihre Kehle glatt und rund, hermelinweiß, wie der behauptete, der die Jungfrau gesehen hatte; ein breiter Zobel war darum geschlungen, der gar nichts von ihr erkennen ließ, denn er umgab den Hals vollständig.

Michn triegen danne die sinne mîn, si möhte wol under ir hemde sîn ein sô schœne crêatiure, vil reine und sô gehiure, von eim sô süezen lîbe daz ich wæn ie von wîbe reiner lîp würde geborn. diu Sælde hêt ir gesworn ze belîben mit ir stæte immer under ir wæte. des was ir schœner lîp wol wert, wan swes diu Sælde ze [ge]sellen gert,

Wenn mich meine Sinne nicht täuschen, so dürfte sie unter ihrem Hemd wohl ein solch herrliches Geschöpf gewesen sein, ganz ohne Fehler und so lieblich, von einer so angenehmen Gestalt, dass niemals (so glaube ich) von einer Frau eine makellosere Person geboren wurde. Das Glück hatte ihr versichert, beständig und stets bei ihr unter ihren Kleidern auszuharren. Das hatte ihre schöne Gestalt wohl verdient. Denn wen das Glück als Gefährten wünscht,

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der muoz gar âne wandel sîn; daz was wol an der mägde schîn, wan si vor allem valsche was lûter als ein spiegelglas. des nam der rîter an ir war; ir grôziu schœne truoc in dar; des minnet er si von herzen gar.

der muss ganz ohne Makel sein; das zeigte sich wohl an der Jungfrau, denn sie war allem Trug gegenüber klar wie ein Spiegelglas. Das erkannte der Ritter an ihr; ihre mächtige Schönheit zog ihn an; daher liebte er sie von ganzem Herzen.

Diu maget diu was rîche. vil gezogenlîche saz si wider an ir stat. der wirt den herren Gâwein bat ze leisten sîne sicherheit; er sprach ‚herre ich bins bereit, wand ich alsô gesworen hân.‘ die maget hiez er ûf stân und sprach ‚sô nemt ze wîbe dise maget iuwerm lîbe ze triuwen und ze rehter ê.‘ der herre Gâwein sprach ‚owê, ich wæne es iu niht ernst sî! ich lieze drumb al die werlt vrî, ob si mîn eigen wære, daz ich mîne swære mit ir vertrîben solde! wan ez got wolde daz si mîn vrouwe solde sîn, sô hêt alrêrst diu sælde mîn mîn vreude gar gekrœnet und œsterlîch geschœnet, wan swaz ich her gedienet hân, sît ich mich guotes êrst versan, allen guoten wîben, daz muoz nû belîben; ichn müge es lôn von ir gehaben, mîn vreude ist êwiclîch begraben mit jâmer unz an mînen tôt. hêt ich alle mîne nôt erliten durch die schœnen maget, sôn würde si nimmer mê geklaget, wan si erliuht daz herze mîn rehte alsô der sunnen schîn tuot den liehten sumertac.‘ mit lobe ich niht verenden mac

Die Jungfrau war von hoher Abkunft. Mit Anstand setzte sie sich wieder an ihren Platz. Der Hausherr bat Gawein, seine Sicherheit zu bekräftigen; er sprach „Herr, dazu bin ich bereit, denn so habe ich es zugesichert.“ Er (der Hausherr) hieß die Jungfrau aufstehen und sagte: „So nehmt diese Jungfrau Euch zur Ehefrau – zu treuen Händen und in rechter Ehe.“ Herr Gawein rief: „O weh, ich glaube, Ihr erlaubt Euch mit mir einen Scherz! Hierfür würde ich die ganze Welt, falls sie mir gehörte, dran geben, wenn ich meinen Kummer mit ihr verjagen dürfte! Wenn es Gottes Wille wäre, dass sie meine Dame sein dürfte, dann erst hätte mein Glück meiner Freude die Krone aufgesetzt und österlich geschmückt; denn was ich auch bisher im Dienst aller vortrefflichen Frauen geleistet habe, seit ich mich erstmals auf das Gute besann, das muss nun unterbleiben; wenn ich dafür den Lohn nicht von ihr bekommen kann, ist meine Freude auf ewig begraben, mit Herzeleid bis in den Tod. Hätte ich alle meine Kampfesnöte um der schönen Jungfrau willen erlitten, so würden diese niemals mehr (von mir) beklagt. Denn sie erleuchtet mein Herz ganz wie die Strahlen der Sonne den hellen Sommertag.“ Ich bin nicht imstande, ihrer Schönheit und ihrem Verstand mit meinem Lob gerecht zu werden, aber auch wenn einst Ovid selbst

ir schœne und ir gewizzen, wan hêt sich ie gevlizzen

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Ôvîdîus mit lobe dar, ern möhte si niht volloben gar. si bedorfte wol schœne unde jugent, gewizzen unde ganzer tugent, sît si nam ein der tiurste man der rîters namen ie gewan; den mohte ouch si mit êren hân.

alle Sorgfalt auf dieses Lob verwendet hätte, (seine Kunst) wäre ihr nicht vollauf gerecht geworden. Aber sie musste wohl auch Schönheit und Jugend, Verstand und vollkommene Tugend mitbringen, weil sie einer der vortrefflichsten Männer, der je die Ritterwürde errang, zur Frau nahm; den durfte auch sie mit Ehren behalten.

Dô sînen ernst der wirt ersach, zem herren Gâwein er dô sprach ‚sît ez nu got gevüeget hât, an dem daz dinc allez stât, daz iu diu magt beschaffen ist, sô gebe iu unser herre Krist beiden sælde und êre!‘ der rede enwart niht mêre. des wart der rîter harte vrô. ze sînen triuwen nam er si dô; sam tet in diu reine maget, weinende, als mir ist gesaget. der künic wolds getrœstet hân, daz si ir weinen hêt verlân, mit worten; dô nemohter. des küniges swester tohter was diu maget wol getân. dô in der segen wart getân, küssende er si umbe vie; der rîter mit ir slâfen gie; im geschach dâ vor sô liebe nie.

Als der Hausherr dessen Ernst erkannte, sprach er zu Herrn Gawein: „Da es nun Gott, der alles vorherbestimmt, gefügt hat, dass Euch die Jungfrau bestimmt ist, so gebe euch beiden unser Herr Christus Glück und Ehre!“ Damit war die Rede beendet. Darüber freute sich der Ritter sehr. Auf seine Treue nahm er sie zur Frau; ebenso die schöne Jungfrau ihn zum Manne, wobei sie weinte, wie man mir sagte. Der König wollte sie mit Worten aufmuntern, damit sie zu weinen aufhörte, doch er vermochte es nicht. Die wohlgestaltete Jungfrau war des Königs Schwestertochter. Als ihnen der Segen erteilt war, umfing und küsste er sie; der Ritter hielt mit ihr Hochzeitsnacht; zuvor war ihm niemals so Angenehmes widerfahren.

Nû wart im daz reine wîp liep alsam sîn eigen lîp. sus ruowet er nâch sîner vart, unz diu vrouwe swanger wart bî im eines kindes. ouch was des gesindes vreude von dem gaste grôz, wand in der arbeit niht verdrôz swâ er in gedienen mohte, iegelîchem als im tohte. rîterschefte was dâ vil; mit hunden und mit vederspil reit der gast, als im gezam. er hêt erworben daz sîn nam von sîner tugent was erkant; er zierte wol des küniges lant, wan sîn gelîchen niemen vant.

Nun wurde ihm die makellose Frau so lieb wie sein Leben. So ruhte er sich aus nach seiner Reise, bis die Dame durch ihn mit einem Kinde schwanger wurde. Auch die Angehörigen des Hofes hatten große Freude an dem Gast, denn keine Mühe war ihm zu viel, ihnen zu dienen, jedem wie es ihm nützte. Für ritterlichen Zeitvertreib war gesorgt; mit Hunden und Jagdfalken ritt der Fremde aus, wie es ihm gebührte. Er hatte es erreicht, dass sein Name seiner Tugend wegen bekannt war; er gereichte dem Land wohl zur Zierde, insofern niemand seines gleichen finden konnte.

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Ûf des küniges veste was daz aller beste werc von rôtem golde gegozzen, als er wolde: ein rat, enmitten ûf den sal; daz gienc ûf und zetal; dâ wâren bilde gegozzen an, iegelîchz geschaffen als ein man. hie sigen diu mit dem rade nider, sô stigen d’andern ûf wider; sus gienc ez umbe an der stat; daz was des gelückes rat. ez hêt ein pfaffe gemeistert dar; von rôtem golde was ez gar. ez bezeichent daz dem wirte nie an deheinem dinge missegie, wan daz gelücke volget im ie.

Auf der Burg des Königs befand sich das allerbeste Kunstwerk, aus rotem Golde nach seinem Wunsch gegossen: ein Rad, mitten im Saal; das ging auf und ab; daran waren Figuren aus Metall gegossen, jede wie ein Mensch gestaltet. Hier sanken diese mit der Drehung des Rades, dort stiegen die anderen wieder hinauf; auf diese Weise drehte es sich an dem Ort; es war das Rad des Glücks. Ein Gelehrter hatte es dort kunstvoll errichtet; es war aus purem roten Gold. Es bedeutete, dass dem Hausherrn niemals etwas fehlschlug, denn das Glück war sein beständiger Begleiter.

Nû was des wol ein halbez jâr daz der gast was komen dar. eins tages er trûrende gie. vil grôzer jâmer in gevie: in truoc sîn herze und sîn sin zuo der mässenîe hin und zuo der tavelrunde. die strâze er vil wol kunde wider in sîns herren lant. her Gâwein gie sâ zehant ze sînem wîbe; als er die sach, mit grôzem jâmer er dô sprach ‚got müez iu den lîp bewarn; vrouwe, ich wil von hinnen varn mit urloube drîe tage.‘

Nun war es wohl ein halbes Jahr her, seit der Fremde dorthin gekommen war. Eines Tages ging er traurig einher. Großer Schmerz erfasste ihn: Herz und Sinne zogen ihn hin zum Gefolge und an die Tafelrunde. Den Weg zurück in das Land seines Herren kannte er sehr wohl. Auf der Stelle begab sich Herr Gawein zu seiner Frau; als er mit ihr zusammentraf, sagte er tief bekümmert: „Gott möge Euch beschützen; Herrin, ich werde mit Eurem Einverständnis für drei Tage von hier fort reisen.“ Er log, um ihre Klagen zu vermeiden; er fürchtete ihr Herzeleid und ihre Verzweiflung. Sofort wurden ihre Augen trüb und röteten sich. Unter heftigen Seufzern bat sie ihn (zu bleiben), denn ihr sagte ihre recht schwermütige Stimmung, – so wie sie sich bei mir oft meldet – dass er zu lange (fort) bleiben würde. Sie sprach: „Mein lieber Herr, ich rate Euch hierzubleiben; ich mache mir große Sorgen; das seht und wisst Ihr, dass ich arge Not erdulde

die lüge tet er durch die klage: er vorhte ir jâmer und ir nôt. beidiu trüebe unde rôt wurden ir ougen an der stat. vil sêre siuftunde si in bat, wand ir sagte ir swærre muot, als er mir selben ofte tuot, daz er ze lange wolde sîn. – si sprach ‚lieber herre mîn, belîbet hie, daz ist mîn rât; mîn dinc mir angestlîche stât; daz seht ir, unde wizzet wol daz ich grôzen kumber dol

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von mîner swære die ich hân. herre, ir sult hie bestân unz ir beseht wiez mir ergê: ez kumt vil lîhte daz ir ê niht wider komt, ichn sî genesen; des müese ich immer jâmerc wesen.‘ dochn trûwet si der geschiht niht. owê, waz des noch geschiht daz man wol verswüere! daz er alsô gevüere, dâ hêt er weizgot vür gesworn, wand er ze stæte hêt erkorn daz wesen sînem lîbe bî sînem reinen wîbe. im was daz leider unerkant daz niemen mohte in daz lant ân des küniges geleite komen; und hêt er daz ie vernomen, sô hêt er sichs vil wol bewart daz ez im immer ûf die vart alsô komen wære. sus benam er ir ir swære: er sprach ‚vrouwe, gehabt iuch wol, wand ich immer mit iu dol beidiu liep unde leit; iu ist von mir unverseit minne unde triuwe; ich wil iu âne riuwe immer wesen undertân. ir sult ez niemen wizzen lân daz ich hinnen rîten wil; ich kum iu in vil kurzem zil michn irres danne der bitter tôt od sô ungevüegiu nôt die niemen müge erwenden; dise reise wil ich enden daz sîn niemen werde gewar war ich welle od wie ich var; daz ist nâch mînem willen gar.‘

wegen meines Zustandes. Herr, Ihr müsst hierbleiben, bis Ihr absehen könnt, wie es mit mir steht; es kann sehr leicht passieren, dass Ihr erst wiederkehrt, wenn ich niedergekommen bin; darüber müsste ich stets weinen.“ Doch glaubte sie nicht, dass es so kommen würde. O weh, was geschieht nicht alles, was man mit Schwur zu unterlassen sich verpflichtete! Dass es ihm derart mit der Reise ergehen würde, dagegen hätte er weiß Gott mit Schwur sich verwahrt, denn er hatte sich für immer das Zusammensein mit seiner Ehefrau erwählt. Leider war es ihm nicht bekannt, dass keiner in das Land ohne des Königs Geleit gelangen konnte. Und hätte er dies jemals vernommen, so hätte er sich sehr wohl davor in Acht genommen, dass es ihm auf der Reise derart ergangen wäre. So beschwichtigte er ihr Leid: er sprach: „Herrin, gehabt Euch wohl, denn ich erdulde stets mit Euch Freude und Leid; Liebe und Treue wird Euch von mir nicht versagt; ich werde Euch ohne Reue stets ergeben sein. Ihr sollt es niemand mitteilen, dass ich fortreiten will; ich komme zu Euch in kürzester Frist, wenn mich nicht der bittere Tod oder so übermäßige Not, die niemand abzuwenden vermag, daran hindert. Diese Reise will ich so vollbringen, dass keiner gewahr wird, wohin ich will oder wie ich reise; genau so entspricht es meiner Absicht.“

Diu vrouwe wart des trôstes vrô: si wânde ez ergienge alsô. dô kuste er si und schiet dan; sînen willen wesse dehein man. ûf sîn ors saz er zehant, verholn nam er sîn îsengwant und reit ûz vil balde

Die Herrin wurde zufrieden durch die Zusicherung: Sie glaubte, dass es genauso geschehen würde. Da küsste er sie und ging davon; seine Absichten kannte keiner vom Gefolge. Er setzte sich sogleich auf sein Ross, heimlich nahm er seine Rüstung und ritt sehr schnell

3. Gaweins Entführung und Vermählung

die strâze gegen dem walde. ich wil iu ein wunder sagen: daz er dar reit in zwelf tagen, 1130

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daz reit er wider ein halbez jâr. alsus kom er geriten dar ze Karidôl vür daz hûs. nu was der künic Artûs gegangen vür daz bürgetor; dâ hôrte man in klagen vor sînen neven, den hern Gâwein. in dirre klage dô erschein sîn wâfen an dem schilte. künc Artûs der milte lief gegen im und enpfienc in dô. daz gesinde wart allez vrô; rîter unde knehte enpfiengen in wol von rehte, wand er hêt tugenthaften muot; er was getriuwe unde guot, vor allem valsche wol behuot. Dô vlugen diu mære daz er komen wære von hûse ze hûse. mit dem künige Artûse gienc er zuo den vrouwen sâ. diu küniginne enpfienc in dâ und ir vrouwen über al; zuo in saz er ûf den sal. si vrâgeten in der mære wiez im ergangen wære; des sagte er in genuoc; sîner geschiht er nie gewuoc,

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die Straße zum Walde hin. Ich werde euch (nun) ein Wunder berichten: für die Strecke, die er auf der Hinreise in zwölf Tagen zurücklegte, brauchte er auf dem Rückweg ein halbes Jahr. So kam er dorthin zu Karidol vor die Burg geritten. Nun war der König Artus (gerade) vor das Burgtor gegangen; davor hörte man ihn seinen Neffen, den Herrn Gawein, beklagen. Während dieser Klage zeigte sich sein Wappen an dem Schild. Der freigebige König Artus lief ihm da entgegen und hieß ihn willkommen. Das ganze Gefolge wurde vergnügt; Ritter und Knappen empfingen ihn wohl geziemend, denn er besaß eine tugendhafte Gesinnung; er war aufrichtig und tüchtig, hütete sich vor aller Unredlichkeit.

wand in sîn herze dar wider truoc.

Da flogen die Gerüchte von Haus zu Haus, dass er angekommen wäre. Mit dem König Artus ging er daraufhin zu den Damen. Die Königin und alle ihre Damen empfingen ihn; er setzte sich zu ihnen in den Saal. Sie fragten ihn danach, wie es ihm ergangen war; davon erzählte er ihnen ausführlich; von seinen (Liebes-)Angelegenheiten erwähnte er nie etwas, denn sein Herz zog ihn dorthin zurück.

Nu nam er des vil rehte war daz er die mässenîe gar dâ vant als er si gelâzen hêt, und daz der hof ganzer stêt, des vreut er sich vil sêre. diu künigîn Ginovêre hiez sîn rîterlîche pflegen. dône wolde iedoch der degen niht turnieren als ê, wand im tet der jâmer wê

Nun bemerkte er eben, dass er die Gefolgschaft ganz so vorfand, wie er sie verlassen hatte, und dass der Hof wohlauf war; darüber freute er sich sehr. Die Königin Ginover befahl, sich seiner einem Ritter gebührend anzunehmen. Jedoch wollte der Held nicht turnieren wie einst, denn ihn schmerzte das Verlangen

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nâch sînem schœnen wîbe. er gedâhte ‚ob ich belîbe lenger hie, des gwinne ich schaden.‘ sîn stæter muot begunde in laden wider in sîns geswîgen lant.

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vil tougenlîch gie er zehant eine vür daz bürgetor; dâ vant er sîne knappen vor. er sprach ‚bringet mir mîn ors her, harnasch, schilt unde sper, und saget niemen mîne vart.‘ vil snelle ez im brâht wart; dô saz er ûf und reit zehant; ouch brâhtens im sîn îsengwant in den walt, als er gebôt. in twanc diu minnende nôt unz si in dar ûf brâhte daz er dar wider gâhte dâ er sîn wîp hêt verlân. die knappen riten mit im dan. sus reit er umbe ein ganzez jâr unz er diu lant älliu gar vor den bergen durch reit. daz was ein verlorniu arbeit: als ichz ofte hân vernomen, in daz lant mohte niemen komen ern hêt den gürtel den er lie sînem wîbe, dô er die aller jungest mit jâmer sach. sînes herzen ungemach wart dâ von sô grôz daz in des lebens gar verdrôz; des ouch sîn lîp vil wênic genôz.

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nach seiner schönen Frau. Er dachte: „Wenn ich länger hier verweile, gerät es mir zum Nachteil.“ Seine Beständigkeit fing an, ihn wieder in das Land des mit ihm Verschwägerten zu berufen. Heimlich begab er sich drauf alleine vor das Burgtor; davor traf er seine Knappen. Er sagte: „Bringt mir mein Ross her, Harnisch, Schild und Lanze, und sprecht mit niemand über meine Reise.“ Rasch führte man es ihm zu. Er saß auf und ritt sofort los; auch brachten sie ihm seine Rüstung in den Wald, wie er befohlen hatte. Ihn bedrängte Liebessehnsucht, bis sie ihn dazu nötigte, dorthin zu eilen, wo er seine Frau zurückgelassen hatte. Die Knappen ritten mit ihm fort. So ritt er ein ganzes Jahr herum, bis er alle Länder vor den Bergen vollends durchstreift hatte. Dies war verlorene Mühe: wie ich des Öfteren vernommen habe, konnte in dies Land niemand hinein kommen, wenn er nicht den Gürtel besaß, den er (Gawein) bei seiner Frau zurückgelassen hatte, als er sie ganz zuletzt im Kummer erblickte. Sein Herzeleid wurde davon so übermächtig, dass ihm das Leben zur Last wurde; er hatte deshalb auch wenig Freude.

4. Kindheit und Jugend Wigalois’ (Gwi von Galois; Gwigalois) Jugend und Erziehung. Der Zwanzigjährige will in die Welt hinaus, um seinen Vater zu suchen und Ruhm zu erwerben. Seine Mutter, die ihn nicht von seinem Vorhaben zurückhalten kann, gibt ihm zum Schutz den Zaubergürtel mit. (1203–1410)

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Dô er mit vrâge daz bevant daz niemen mohte in daz lant vor den hôhen bergen komen, als er die wârheit hêt vernomen,

Als er auf Nachfrage herausfand, dass niemand wegen der hohen Berge in das Land gelangen konnte, und als er die Wahrheit erfuhr,

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dô teter als der biderbe man, der sich des wol getrœsten kan swes er niht gehaben mac. swer ie guoter sinne pflac, der habe ouch noch den selben sit: dâ vristet er sîn êre mit. sus reit er [wider] zuo des küniges hûs. nu was der milte Artûs mit rîterschefte an der plân; dâ kam ouch her Gâwein an geriten zuo des küniges schar. des tages was sîn zwei jâr daz sîn wîp was genesen. hie lâze wir den rîter wesen und sagen wiez dem kinde ergie. sîn reiniu muoter woldez nie von ir gelâzen einen tac; vor liebe si sîn selbe pflac und ander manic vrouwe hêr. in einem jâre wuohs ez mêr dan ein anderz in zwein tuo. man lêrtez spâte unde vruo gewizzen unde güete. ouch was sîn gemüete zallen dingen veste; ez tet niwan daz beste; von rehte muosez sælic sîn. ez zôch ein rîchiu künigîn unze zuo zwelf jâren; die dô die tiursten wâren und die besten rîter dâ, die underwunden sich sîn sâ; si lêrtenz rîten unde gên, mit zühten sprechen unde stên. des volget er in, wand er was guot, zallen dingen wol gemuot. daz beste ie nâch dem besten tuot.

handelte er wie ein tüchtiger Mann, der sich wohl darüber, was er nicht erhalten kann, hinwegtröstet. Wer stets bei gutem Verstande war, der möge ebenfalls jener Gewohnheit folgen: damit bewahrt er seine Ehre. So ritt er zur Residenz des Königs. Nun war der freigebige Artus beim Turnieren auf dem Platz; da stieß auch Herr Gawein zur Schar des Königs. An diesem Tag waren zwei Jahre vergangen, nachdem seine Frau entbunden hatte. Hier verlassen wir den Ritter und berichten davon, wie es dem Kind erging. Seine schöne Mutter wollte es keinen Tag von ihrer Seite lassen; aus Liebe sorgte sie selbst für es – nebst vielen anderen hochgestellten Damen. In einem Jahr wuchs es mehr, als andere in zwei Jahren zu wachsen pflegen. Man brachte ihm ohn’ Unterlass Verständigkeit und Güte bei. Auch war sein Inneres in allen Dingen beständig; es tat stets das Beste; es verdiente, glücklich zu sein. Es wurde von einer vornehmen Königin bis zum Alter von zwölf Jahren erzogen; die vornehmsten und besten Ritter nahmen sich seiner darauf an. sie brachten ihm das Reiten und das rechte Auftreten, mit Anstand sprechen und still abzuwarten bei. Darin folgte er ihnen, denn er war zuvorkommend und in allen Dingen gutgesinnt. Das Beste eifert stets dem Besten nach.

Nu gap im got in sîner jugent schœnen lîp und ganze tugent; die behielt er an sîn ende. âne missewende lebt er in sîner kintheit. sîn dienst was allen den bereit die sîn von im geruochten; die gâbe ouch an in suochten, den gap er als in tohte,

Nun hatte ihm Gott in seiner Kindheit eine schöne Gestalt und vollendete Tugend geschenkt; beide behielt er zeit seines Lebens. Untadelig lebte er als Heranwachsender. Er diente bereitwillig allen, die dies von ihm wünschten. Die ein Geschenk von ihm erstrebten, denen schenkte er, wie ihnen angemessen war,

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swen erz gewinnen mohte. aller hande rîter spil lêrten in die rîter vil: buhurdieren unde stechen, diu starken sper zebrechen, schirmen unde schiezen. swen in die rîter liezen, sô nâmen in die vrouwen wider: man vuorte in ûf unde nider. von sîner tugent daz geschach daz man in zallen zîten sach gerner danne ein andern man. wol in, der daz verdienen kan daz in diu werlt gerne siht und daz man im des besten giht! dem hât got sælden vil gegeben; er mac ouch deste gerner leben. sîn sælde hât ie des gegert daz er den liuten würde wert; des wart ouch er von in gewert.

sobald er es beschaffen konnte. Alle Arten von ritterlichen Übungen brachten ihm die Ritter bei: Buhurdieren und Stechen, die starken Lanzen zerbrechen, Schirmen und Schießen. Sobald die Ritter ihn in Ruhe ließen, so nahmen sich seiner wieder die Damen an: man hielt ihn auf Trab. Seiner Tugend war es zuzuschreiben, dass man ihn stets lieber sah als einen anderen Mann. Wohl dem, der sich erwirbt, dass ihn die Welt gerne ansieht und ihm das Beste nachsagt! Dem hat Gott viel Glück verliehen; der vermag auch umso freudiger leben. Sein Glück hatte stets begehrt, dass er den Leuten teuer würde; dies gewährten sie ihm auch.

Nu hêt er vordes vil vernomen wie sîn vater dar was komen, wand im wart ofte vür geleit sînes vater vrümicheit, wie manhaft er wære. sine wessen ab niht der mære ob er wær in deheiner nôt; weder er lebte od wære tôt, daz was in allen unbekant. der juncherre ez sît bevant. in sînen vreuden truobte in ie daz er sînen vater nie gesach bî allen sînen tagen. daz begunde er tougenlîche klagen und gie zuo der muoter sîn und zuo der edeln künigîn, diu hêt in ûz der toufe erhaben. er sprach ‚vrouwe, lât mich haben iuwer hulde und iuwern segen. got müez iuwer beider pflegen und geruoche iuch vor dem tôde bewarn. ich wil benamen hinnen varn, in mîner jugent erwerben daz daz man mich von rehte baz erkenne danne ein andern man,

Nun hatte er zuvor oft vernommen, wie sein Vater dort angekommen war, denn ihm wurde häufig von seines Vaters Tüchtigkeit erzählt, und wie tapfer er war. Sie wussten aber nichts über die Umstände, ob er sich in (unbekannter) Not befände, ob er lebe oder tot sei, das war ihnen allen nicht bekannt. Der junge Ritter hat es später herausgefunden. Seine Freude trübte es stets, dass er zeit seines Lebens niemals seinen Vater gesehen hatte. Das beklagte er im Verborgenen und begab sich zu seiner Mutter und zu der edlen Königin, die ihn aus der Taufe gehoben hatte. Er sprach: „Herrin gönnt mir Eure Huld und Euren Segen. Gott schütze euch beide und bewahre euch vor dem Tod. Ich will wirklich davon ziehen, in meiner Jugend das erreichen, dass man mich mit Recht besser als einen anderen anerkennt,

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als mîn vater hât getân. waz sol mir mîn starker lîp, und sol ich mich nu als ein wîp verligen in disem lande hie? ich wil den suochen von dem mir ie tugent unde manheit allez mîn leben ist geseit; daz ist mîn vater, her Gâwein, der ie in rîters êren schein, als ichz von im hân vernomen. ichn wil nimmer wider komen ez ensî daz ich in gesehe, swaz halt mir dar nâch geschehe; des gunnet mir, wand ez muoz sîn. vrouwe und liebiu muoter mîn, mir seit daz mîn gedinge daz ich in wider bringe; got gebe daz mir gelinge!‘

so wie es auch mein Vater erreicht hat. Was nützt mir meine Stärke, wenn ich jetzt wie eine Frau in diesem Land hier durch Trägheit mich versäume? Ich will den suchen, dessen Tugend und Tapferkeit mir mein ganzes Leben lang gerühmt wurde; das ist mein Vater, Herr Gawein, der sich stets in ritterlichen Ehren zeigte, so wie ich über ihn sprechen hörte. Ich werde niemals zurückkommen, wenn ich ihn nicht zuvor gesehen habe, was auch immer mir späterhin geschehen möge; vergönnt es mir, denn es muss sein. Herrin, und (du) meine liebe Mutter, meine Zuversicht sagt mir, dass ich ihn zurückbringe; Gott gebe, dass ich Erfolg habe!“

Dô man sîn ernest rehte ersach, sîn muoter, vrouwe Flôrîe, sprach ‚lieber sun, nu volge mir, wan du erkennest wol daz wir sîn hân gebiten [wol] zweinzic jâr. hie bî mahtu nemen war, als ichz von im hân vernomen,

Als man seine Ernsthaftigkeit erkannte, sprach seine Mutter, die Dame Florie: „Lieber Sohn, folge mir, denn du weißt wohl, dass wir auf ihn zwanzig Jahre gewartet haben. Hieran kannst du ablesen, dass er zurückgekommen wäre, wenn er noch lebte – so wie ich es von ihm (als Zusicherung) vernahm. Ich habe seine Treue wohl kennengelernt; er war von Treue erfüllt. O weh, dass ich ihn je zu meinem Geliebten erwählte, da ich ihn doch auf so seltsame Weise, ich weiß nicht wie, verlor. Seinesgleichen wurde niemals und wird auch künftig nicht geboren. Soll ich ihn so verloren haben, so werde ich Kummer und Drangsal bis an mein Lebensende erleiden müssen. Herr Gott, Sohn der Jungfrau, da dir die Herzen und Wünsche nicht verschlossen sind, wie hast du mich verlassen! Kaiser, Herr, guter Christus, da dir nichts verborgen ist und ohne dich nichts gerettet werden kann, lass mich noch den Tag erleben, dass ich den wiedersehe, den ich

lebter, er wære wider komen. ich erkande sîne triuwe wol; er was ganzer triuwen vol. owê, daz ich in ie erkôs mir ze vriunt, sît i’n verlôs sô wunderlîche, ichn weiz wie. sîn gelîche dern wart nie und wirt ouch nimmer mê geborn. sol ich in alsô hân verlorn, sô muoz ich jâmer unde nôt lîden unz an mînen tôt. herre got, der mägde kint, sît dir diu herze offen sint und alle willen ûf getân, wie hâstu mich alsô verlân! keiser, herre, reiner Krist, sît dir niht verborgen ist und ân dich niht genesen mac, lâ mich geleben noch den tac daz ich gesehe den ich trage

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in mînem herzen alle tage beidiu mit jâmer und mit klage!‘

alle Zeit in meinem Herzen mit Kummer und Klage mit mir trage!“

An ir gebærden daz wol schein daz ir der herre Gâwein was liep als ir eigen lîp. si sprach ‚herre, nû belîp, lieber sun, bî mir hie.‘ er sprach ‚liebiu muoter, wie sol mîn nam werden erkant ichn rîte ûz in andriu lant, als mîn vater her în tet? ir sult lâzen iuwer bet. ich wil verdienen der besten gruoz und daz man mich erkennen muoz, od ich verliuse mînen lîp. swer sînen rât læt an diu wîp, dern ist niht ein wîser man. dehein dinc mich des erwenden kan mîn lîp dern müeze gewâget sîn.‘ ‚herre und lieber sun mîn, sît ichs dich niht erwenden kan, sô nim ein kleinôt daz ich hân; behaltez unz an dînen tôt, und wis sicher vor aller nôt; daz ist ein gürtel, den mir lie dîn vater, dô er jungest gie von mir und urloup hêt genomen als er wider solde komen. an mîne sêle bevalch er mir daz ich den gürtel gæbe dir, – als ich dir geseit hân – ob du immer würdest ze man, swen du woldest hinnen varn. du solt den gürtel sô bewarn daz sîn iemen werde gewar.‘ vil heize weinde gap si in dar; er kuste si und neic ir dô. die vrouwen wurden alle unvrô. sus nam er urloup unde reit. daz gelücke was im ie bereit; des erziuget er grôze manheit.

An ihrem Gebaren wurde offenbar, dass ihr der Herr Gawein so teuer wie das eigne Leben war. Sie sagte: „Herr, nun bleibe, lieber Sohn, hier bei mir.“ Er antwortete: „Liebe Mutter, wie soll mein Name bekannt werden, wenn ich nicht hinausreite in andere Länder, wie mein Vater hineinritt? Ihr sollt von Eurer Bitte Abstand nehmen. Ich will den Respekt der Besten erringen und dass man mich anerkennt, oder ich sterbe. Wer seinen Entschluss den Frauen überlässt, der ist kein verständiger Mann. Nichts kann mich davon abbringen, mein Leben zu wagen.“ „Herr und mein lieber Sohn, da ich dich nicht davon abbringen kann, so nimm ein Kleinod aus meinem Besitz; behalte es bis ans Lebensende, und sei beschützt vor jeder Gefahr; dies ist ein Gürtel, den mir dein Vater überließ, als er letztlich von mir ging und sich verabschiedet hatte, als ob er zurückkommen wollte. Bei meiner Seele gab er mir den Auftrag, dass ich dir den Gürtel geben sollte – wie ich dir erzählt habe –, wenn du jemals zu einem Manne heranwachsen würdest und sobald du fortziehen wolltest. Du musst den Gürtel so verwahren, dass keiner ihn bemerkt.“ Bitterlich weinend überreichte sie ihn; er küsste sie und verneigte sich vor ihr. Die Damen waren sämtlich betrübt. Er verabschiedete sich und ritt davon. Das Glück war ihm stets zur Hand, mit dessen Hilfe bewies er starke Tapferkeit.

Sîn muoter, vrouwe Flôrîe, stuont mit grôzem jâmer, sô die tuont den grôz herzeleit geschiht. ir jâmer hal sich lenger niht

Seine Mutter, die Dame Florie, trauerte heftig, wie alle sich verhalten, denen großes Herzeleid widerfährt. Ihr Schmerz hielt sich nicht länger versteckt,

5. Ankunft am Artushof – Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg

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dô si in von ir rîten sach. mit grôzer klage si dô sprach ‚owê, ich vil armez wîp! waz sol mir guot unde lîp? waz sol mir schœne unde jugent, gewizzen unde ganziu tugent? ich hân verlorn den tiursten man den wîp ze vriunde ie gewan, dar zuo mîn einigez kint. herre got, sît dir sint älliu dinc undertân und ân dich niht genesen kan, sô bevilhe ich hiute in dînen segen mîn kint, daz du sîn ruochest pflegen an dirre vart, durch dînen tôt. beschirme in, herre, vor grôzer nôt und sende in mir gesunden wider!‘ in der klage dô reit er nider von dem hûse durch die stat. daz liut im allez heiles bat; daz machet sîn vil reiner muot; er was gewizzen unde guot, den tumben tump, den wîsen vruot.

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als sie ihn von ihr fortreiten sah. Mit heftiger Klage rief sie: „O weh, ich ärmste Frau! Was taugt mir Gut und Leben noch? Was nützt mir Schönheit und Jugend, Verständigkeit und vollendete Tugend? Ich habe den vortrefflichsten Mann, den eine Frau zum Freunde jemals erwerben konnte, verloren, dazu mein einziges Kind. Herr Gott, da dir doch alle Dinge untertan sind und ohne dich nichts leben kann, so übergebe ich heute in deine Gnade meinen Sohn, damit du dich seiner annehmen wollest auf dieser Fahrt, um deines Todes willen. Beschirme ihn, Herr, vor großer Kampfesnot und schicke ihn mir gesund zurück!“ Während dieser Klage ritt er hinab von der Residenz über den Platz. Das Volk wünschte ihm für immer Glück; das bewirkte seine vollkommene Gesinnung; er war verständig und gut, den Einfältigen gegenüber schlicht, den Weisen gegenüber verständig.

5. Ankunft am Artushof – Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg Wigalois begegnet einem Knappen des König Artus, der ihm den Weg zu seinem Herrn zeigt. Dort angekommen, setzt er sich ahnungslos auf den Stein im Hofe und besteht die Tugendprobe, worauf Artus mit dem Gesinde herbeieilt, ihn gastlich zu empfangen. Als Artus ihn fragt, wohin er wolle und wer er sei, antwortet er, er kenne das Geschlecht seines Vaters nicht, Gwi von Galois werde er genannt, und in einem unzugänglichen Lande sei er geboren. Er wünsche sich, an Artus’ Hof die Ritterwürde zu verdienen. Artus nimmt ihn auf. Gawein wird beauftragt, ihn zum Ritter auszubilden. Wigalois’ Schwertleite. Am nächsten Johannistag erscheint eine Jungfrau (Nereja) auf weißem Pferd; ein wunderschön singender Zwerg steht hinter ihr. Sie teilt dem König, der gerade zu Tische sitzt, mit, dass ihre Herrin sie hergesandt habe, um Hilfe in einem gefährlichen Abenteuer, das schon manchen den Tod gebracht. Wigalois bittet den König um die Gunst, der Aufforderung Folge leisten zu dürfen. Es wird ihm, obgleich ungerne, gewährt. Nereja, die Wigalois wegen seiner Jugend geringschätzt (sie war nach Gawein ausgesandt), entfernt sich zornig. Wigalois wird mit einem Schild bewaffnet, auf dem ein goldenes Rad in schwarzem Felde zu sehen ist. Gawein legt ihm seine Rüstung an und bindet ihm den Helm auf, der ebenfalls mit einem goldenen Rad geschmückt ist. Dieses Wappen hat er sich in Erinnerung an seine Heimat gewählt. Abschied. (1411–1883)

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5. Ankunft am Artushof – Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg

Sus reit er verre durch diu lant, und was im dannoch unbekant war er kêren wolde; ern wesse war er solde; in disen sorgen reit er. nu kom gegen im geloufen her ûf dem wege ein garzûn. der truoc einen schaprûn, gesniten von fritschâle; mit rôtem zendâle was er gefurrieret. sîn huot was gezieret mit bluomen und mit loube. sus lief er in dem stoube. des rôten seites von der gran truoc er einen roc an, gebrîst mit grôzem vlîze; hantschuohe wîze hêt er an den henden. den stap begunde er wenden nâch der garzûne sit: dâ vürdert er sîn loufen mit. sîne hosen wâren guot genuoc; zwêne brîsschuoch er an truoc. und als er im sô nâhen kam, sînen huot er abe nam; hie mit êret er in alsô. der juncherre gruozte in dô und vrâget in der mære wes garzûn er wære. er sprach ‚des aller tiursten man der künicrîche ie gewan: des küniges von Britanje. der hât mich zIspanje nâch rîtern ûz gesant ez hât der künic von Engellant einen turnei wider in genomen; dar suln im die rîter komen ze Karidôl vür sîn hûs; dâ sol der künic Artûs wol driu tûsent rîter haben; durch daz hân ich mich ûz erhaben.‘ der juncherre sprach ‚nu sage mir mê wiez in sînem hove stê.‘ er sprach ‚herre, ich sagiu daz: in nie deheinem hove baz; dâ ist grôz rîterschaft

So ritt er weithin durch die Länder, und noch war ihm unbekannt, wohin er sich wenden würde; er wusste nicht, wohin er sollte. Mit diesen besorgten Gedanken ritt er einher. Nun kam ihm ein Page auf dem Weg entgegen gelaufen. Der trug einen Kurzmantel aus Fritschal; er war mit rotem Zindal gefüttert. Seine Mütze war geziert mit Blumen und Laub. So lief er in dem Straßenstaub. Aus gran-rotem Sagetum trug er ein Oberkleid. mit großem Aufwand geschnürt; weiße Handschuhe hatte er an. Den Stab drehte er nach dem Brauch der Pagen: damit beschleunigte er seinen Lauf. Seine Beinkleider waren von guter Qualität; er trug geschnürte Schuhe. Und als er sich ihm so näherte, nahm er seine Mütze ab; auf diese Weise erwies er ihm die Ehre. Darauf grüßte ihn der junge Herr und fragte ihn danach, wessen Page er wäre. Er antwortete: „Des allervortrefflichsten Mannes, der je ein Königreich erwarb: des Königs von Britannien. Dieser hat mich nach Spanien ausgesandt, Ritter zu werben. Der König von England hat einen Turnier-Zug gegen ihn unternommen; dort zu Karidol vor seine Residenz sollen die Ritter zu ihm kommen. Da wird der König Artus wohl über drei Tausend Ritter verfügen; deswegen habe ich mich auf den Weg gemacht.“ Der junge Herr sprach: „Nun sage mir mehr darüber, wie es um seinen Hof steht.“ Er antwortete: „Herr, ich sage Euch folgendes: an keinem Hofe steht es besser; dort gibt es ritterliches Treiben zur Genüge

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und alles des diu überkraft des man ze vreuden gert. komt ir dar, ir wert gewert swes iu der muot erdenken kan. dâne zwîvelt nimmer an, wand ichz wol erkunnet hân.‘

und eine Fülle dessen, was man an Freuden wünscht. Kommt Ihr dort hin, so gewährt man Euch, wonach auch immer Euch der Sinn steht. Zweifelt nicht daran, denn ich habe es wohl kennengelernt.“

‚Nu zeige mir den wec dar.‘ er sprach ‚nu nemt der strâze war die ich her komen bin; diu treit iuch vil rehte hin ze Karidôl vür daz hûs; dâ ist der künic Artûs mit grôzen hôchzîten.‘ zehant begunder rîten und kom dar an dem niunden tage. nâch des garzûnes sage vant er michel vreude dâ. ûf den hof reit er sâ, dâ manic âventiure geschach. bî einer linden er dô sach ligen einen breiten stein, des tugent im inz herze schein, gevieret und niht sinwel; striemen rôt unde gel giengen dar durch eteswâ; daz ander teil daz was blâ, lûter als ein spiegelglas. sô grôziu tugent an im was daz deheiner slahte man der ie deheinen valsch gewan die hant niht mohte gelâzen dran.

„Nun weise mir den Weg dorthin.“ Er antwortete: „Nun seht die Straße, die ich hergekommen bin; die führt Euch geradewegs vor die Residenz zu Karidol; dort befindet sich der König Artus und begeht hohe Festtage.“ Sofort ritt er los und kam dort an dem neunten Tage hin. Dem Bericht des Pagen entsprechend fand er dort große Freuden vor. Sodann ritt er auf den Hof, wo geschäftiges ritterliches Treiben herrschte. Bei einer Linde sah er einen breiten Stein liegen, dessen Kraft ihm in das Herz hinein schien; er war würfelförmig, nicht rund; rote und gelbe Streifen gingen hie und da durch ihn hindurch; das Übrige war blau, rein wie Spiegelglas. Er besaß so große Kraft, dass kein Mensch, der irgendwann einmal Unredlichkeit bewies, die Hand darauf legen konnte.

Zuo der linden reit der gast, sîn pfärt hafter an einen ast und saz enmitten ûf den stein. sîn herze was âne mein und ledic aller bôsheit; sîn muot ie nâch dem besten streit. swer ie dhein untugent begie, dern mohte dem steine nâher nie komen dan eins klâfters lanc; si tâten alle widerwanc, sô si zem steine wolden gên; si muosen alle hôher stên. ezn was dâ vor nie geschehen daz ie iemen würde ersehen

Der Fremde ritt zu der Linde, band sein Pferd an einen Ast und setzte sich mitten auf den Stein. Sein Herz war ohne Falschheit und frei aller Bosheit; sein Streben richtete sich stets auf das Beste. Wer jemals etwas Verwerfliches getan hatte, der konnte dem Stein niemals näher als einen Klafter kommen. Sie wichen alle zurück, wenn sie zu dem Stein gehen wollten; sie mussten (ihm) fernbleiben. Zuvor war es niemals geschehen, dass jemals jemand

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ûf demselben steine, niwan der künic [al] eine: der was âne wandel gar. her Gâwein der reichte dar mit der hant, und niht baz; ich sagiu wie er verworhte daz er zem steine niht moht komen, als ichz ofte hân vernomen: eine maget wol getân die greif er über ir willen an, sô daz si weinde unde schrê. deheiner slahte untugent mê er von sîner kintheit nie unz an sînen tôt begie; diu selbe in zuo dem steine niht lie.

auf demselben Stein gesehen wurde, ausgenommen der König; der war ganz ohne Makel. Herr Gawein erreichte ihn mit der Hand und nicht weiter; ich erzähle euch wie er das verwirkt hatte, dass er nicht bis zum Stein gelangen konnte, wie ich es oft gehört habe: eine hübsche Jungfrau berührte er gegen ihren Willen, so dass sie weinte und schrie. Keinerlei verwerfliche Tat hat er von seiner Jugend an bis zu seinem Tode mehr begangen; aber diese eine ließ ihn nicht bis zum Stein kommen.

Dô man den knappen dar ûf sach, einem rîter wart vil gâch vür den künic, und sprach alsô ‚herre, ir sult wesen vrô! ein âventiure ist hie geschehen: ich hân ûf dem steine ersehen sitzen einen jungelinc.‘ daz dûhte si alle samt ein dinc grôz unde wunderlîch. der edeln rîter iegelîch îlte vür den andern dar und nâmen der geschiht war. der künic stuont [ûf] von sîner stat; die vrouwen er dô gên bat mit im zuo dem steine nider; des satzte sich ir deheiniu wider. dô daz gesinde in gerne sach, der künic zuo den vrouwen sprach ‚enpfâhe wir in! des ist er wert, und wizzet, swes er an mich gert im ze vrumen, daz ist getân; und wil er hie bî mir bestân, ich behalte in nâch sînem rehte. rîter unde knehte die giengen mit im über al zuo dem steine hin zetal; mit vreuden rûmten si den sal.

Als man den Knappen darauf erblickte, hatte ein Ritter es sehr eilig, vor den König zu kommen, und sprach: „Herr freut Euch! Hier ist eine Aventiure geschehen: ich habe auf dem Stein einen Jüngling sitzen sehen.“ Dies schien ihnen allesamt eine bedeutende und wunderliche Sache zu sein. Jeder der edlen Ritter strebte danach, vor den anderen dorthin zu kommen, um den Vorgang zu beobachten. Der König erhob sich; er bat die Damen, mit ihm zu dem Stein herunter zu gehen; keine von ihnen widersetzte sich. Weil das Gefolge ihn mit Neugier schauen wollte, sprach der König zu den Damen: „Wir wollen ihn begrüßen! Er ist es wert, und wisst, was immer er von mir zu seinem Vorteil begehrt, ist bereits gegeben; und will er hier bei mir bleiben, nehme ich ihn auf wie es ihm geziemt.“ Ritter und Knappen folgten ihm ohne Ausnahme auf dem Weg herab zum Stein. Mit Freude verließen sie den Saal.

Dem juncherren was unbekant wiez umb den stein was gewant;. hêt erz von iemen ê vernomen,

Dem jungen Mann war nicht bekannt, was es mit dem Stein für eine Bewandtnis hatte; hätte er es von irgendjemand zuvor erfahren,

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er wære benamen drûf niht komen. als er den künic her sach gên, dô begunde er von dem steine stên. sîn gebærde diu was sæliclich: die hende habte er vür sich vil harte gezogenlîche. künc Artûs der rîche der hiez in willekomen sîn, und diu edel künigîn; dar nâch diu mässenîe gar. si nâmen an im beider war lîbes unde muotes: dône vundens niht wan guotes, wand er was alles valsches blôz; dar zuo was sîn sælde grôz; der beider er von rehte genôz.

wäre er wirklich nicht hinauf gestiegen. Als er den König auf sich zukommen sah, stand er von dem Stein auf. Sein Benehmen war wohlgeartet: er hielt die Hände vor sich auf alleranständigste Weise. Der mächtige König Artus hieß ihn willkommen, auch die edle Königin; danach die ganze Gefolgschaft. Sie beobachteten an ihm beides: (schöne) Gestalt und (edle) Gesinnung: da fanden sie nur Gutes, denn er war fern jeder Unredlichkeit; darüber hinaus war sein Glück mächtig; beides kam ihm zu Recht zugute.

Der künic vrâget in [der] mære war er wolde od wer er wære. er sprach ‚herre, niwan her; ichn kan iu niht gesagen wer ich von mînem vater bin.‘ der [edel] künic bat aber in im sagen sînen namen sâ und mit im belîben dâ. er sprach ‚herre, daz sî getân; ich wilz iuch gerne wizzen lân: Gwî von Gâlois bin ich genant. beslozzen ist daz selbe lant von danne ich bin geborn. ze herren hân ich iuch erkorn, ob ir geruochet behalten mich; mit mînem dienest wolde ich erwerben des ich [ie] hân gegert, ob ich der êren wære wert, daz ich rîter würde hie; des hân ich gedinget ie, wan diu werlt alsô zergêt daz nimmer dehein hof gestêt mit sô ganzer rîterschaft; aller vreuden überkraft hân ich in kurzen stunden in iuwerm hove vunden. enpfâhet mich als ichs hân gegert!‘ er sprach ‚juncherre, sît gewert aller iuwer bete hie.‘ in sîn genâde er in enpfie

Der König fragte ihn danach, wohin er wollte oder wer er sei. Er antwortete: „Herr, nur hierher; ich weiß Euch nicht zu sagen, wer ich meinem Vater nach bin.“ Der König seinerseits bat ihn, ihm alsbald seinen Namen zu nennen und mit ihm am Ort zu verbleiben. Er sagte: „Herr, das sei getan; ich will es Euch gerne wissen lassen; Gui von Wales wurde ich genannt. Eingeschlossen ist dieses Land, aus dem ich stamme. Euch habe ich mir zum Herren erwählt, wenn Ihr mich zu behalten geruht; mit meinem Dienst wollte ich erreichen, was ich [stets] gewünscht habe, wenn ich dieser Ehre für wert befunden würde, dass ich hier zum Ritter werden könnte; darauf habe ich stets gehofft, denn die Welt ist derart im Verfall, dass durchaus kein Hof mehr besteht mit so umfassendem ritterlichen Leben; die Fülle aller Freuden habe ich in kurzer Zeit in Eurer Hofhaltung vorgefunden. Nehmt mich, wie ich es gewünscht habe, auf!“ Er sprach: „Junger Herr, seid aller Eurer Bitten hier gewährt.“ Freundlich nahm er ihn auf

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und bevalch in an der stet, nâch der küniginne bet, sînem vater, dem herren Gâwein. dô was under in zwein diu grôze triuwe unbekant die kint ie ze vater vant: ir deweder erkante den andern dâ. her Gâwein underwant sich sâ des knaben mit sîner lêre; des gewan er vrum und êre. den besten was er undertân; mit rede hêt er den valschen man; ir deheinen er nie ze vînt gewan.

und vertraute ihn sogleich, auf Bitten der Königin, seinem Vater, dem Herrn Gawein, an. Da war ihnen die mächtige Treuepflicht fremd, die ein Sohn stets beim Vater findet: keiner von ihnen erkannte dort den andern. Herr Gawein nahm sich des Knappen an und unterrichtete ihn; davon hatte er Nutzen und Ehre. Den Besten war er gehorsam; den unredlichen Mann fertigte er ab, wie er es verdiente; keinen von ihnen machte er sich zum Feind.

Dem künige wart er heimlîch und diente im aller tägelîch als er beste kunde. den von der tavelrunde was er allen vil bereit: ze turnein er mit in reit, und swâ man manheit begie, dâ versûmte er sich nie ern wær zevorderst an der schar; si muosen alle sîn nemen war. sîn manheit diu was harte grôz; gelückes er dar zuo genôz daz im vil selten missegie, wand er hêt vor ougen ie got, der die sînen nie verlie.

Dem König wurde er vertraut und diente ihm Tag für Tag so gut er konnte. Allen von der Tafelrunde war er oft zur Hand: er ritt mit ihnen zu Turnieren, und wo immer man eine mannhafte Tat übte, da zögerte er nie, der Vorderste an der Schar zu sein; sie konnten es alle beobachten. Seine Tapferkeit war beachtlich; dazu machte er sich das Glück zunutze, so dass ihm niemals etwas fehlschlug, denn er hatte stets Gott vor Augen, der die Seinen nie im Stich ließ.

Dô dem künige wart geseit sîn vil grôziu manheit, des wundert in und wart sîn vrô. eine hôchzît gebôt er dô; dar kom manic vürste rîch. diu hôchzît wart vil lobelîch dâ der knappe nam daz swert. er was wol rîterschefte wert; die enpfienc ouch er mit vreuden dâ. diu küniginne sande im sâ sehs rîter kleider; diu wâren der beider von scharlach und von pfelle. her Gâwein, sîn geselle, gap im ein ravît daz was guot; daz vreute sêre sînen muot. der künic im zwelf knappen liez;

Als dem König von seiner großen Tapferkeit erzählt wurde, nahm er es mit Erstaunen und Freude wahr. Er ordnete ein Fest an; dahin kamen viele mächtige Fürsten, das Fest wurde sehr feierlich vollzogen, als der Knappe das Schwert nahm. Er war sehr wohl des ritterlichen Standes würdig; den nahm er auch mit Freuden an. Die Königin schickte ihm sodann sechs Ritterkleider; die waren aus Scharlach und Seidenzeug. Herr Gawein, sein Hausgenosse, gab ihm ein gutes Streitross; das freute ihn sehr. Der König überließ ihm zwölf Knappen;

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dar zuo er im geben hiez swaz er haben solde, iegelîchez als er wolde. daz geschach, als ich iu sage, an dem heiligen pfingestage daz der knappe swert nam. und als er messe vernam, die pfaffen gâben im den segen. dô gurte umbe sich der degen ein swert, daz dehein man nie dhein bezzerz gewan. ez half im sît ûz manger nôt, er behieltz ouch unz an sînen tôt; daz gap im her Gâwein dâ. der milte künic reichte im sâ den schilt selbe und einen schaft. sich huop dâ michel rîterschaft und schœne buhurdieren mit rîchen banieren. sus wart her Gwîgâlois ze man

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mit rîterschefte ûf der plân; der künic hêt wol zim getân.

dazu sollte man ihm geben, was immer er brauchte, jedes so wie er es wünschte. Dies geschah, so wahr als ich euch sage, an dem heiligen Pfingsttag, dass der Knappe das Schwert nahm. Und als er die Messe gehört hatte, gaben ihm die Geistlichen den Segen. Da gürtete sich der Held ein Schwert um, dass kein Mann je ein besseres erhielt. Es half ihm später aus vielen Nöten und er behielt es auch solange er lebte; das übergab ihm dort Herr Gawein. Der freigebige König reichte ihm darauf selbst den Schild und eine Lanze. Da fing ein großes Turnier und herrliches Buhurdieren an, mit kostbaren Bannern. Auf diese Weise wurde Herr Wigalois zum erwachsenen Mann mit ritterlichem Treiben auf dem Platz; der König hatte ihm gegenüber wohl gehandelt.

Dô sich der buhurt zerlie, der künic ûf den sal gie, mit im der junge swertdegen – der kunde wol der êren pflegen, – dar nâch die rîter über al. sich huop dar inne grôzer schal und manger hande seitspil; floiten und tambûren vil die hullen wider ein ander dâ. der milte künic vuorte in sâ zuo der tavelrunde und gap im an der stunde der taveln reht unde stat, als in diu mässenîe bat. ouch gap er im ze [ge]sellen sâ den aller tiursten rîter dâ: daz was mîn herre Gâwein, der ie gar âne wandel schein; des wurdens beide harte vrô. den spilliuten gap man dô pfärit, silber und gewant; si wurden alle sâ zehant von den gâben rîche

Als sich der Buhurt auflöste, begab sich der König zum Saal hinauf, mit ihm der junge zum Ritter gewordene Knappe – der verstand sich auf einen ehrenhaften Umgang –, danach die Ritter alle. Drinnen erhob sich starker Freudenlärm und vielerlei Saitenspiel; zahlreiche Flöten und Trommeln ertönten da gegeneinander. Der freigebige König führte ihn darauf zu der Tafelrunde und verlieh ihm alsbald Recht und Ort an der Tafel, wie ihn die Gefolgschaft gebeten hatte. Er gab ihm auch zum Hausgenossen den allervortrefflichsten Ritter: das war Herr Gawein, der sich zu aller Zeit ganz ohne Makel zeigte; darüber freuten sich beide sehr. Den Spielleuten schenkte man darauf Reitpferde, Silber und Kleidung; sie wurden alle auf der Stelle reich

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und lobten alle gelîche den rîter und die hôchzît. si spilten alle en widerstrît vor der tavelrunde, iegelîcher als er kunde. man gap in allen wirtschaft und alles des die überkraft des man zem lîbe gerte. diu hôchzît diu werte mit vreuden dâ, als ich iu sage, nâch pfingesten vierzehen tage. dô diu ende hêt genomen, die geste die dar wâren komen die nâmen alle urloup dâ ze hove und ouch anderswâ. dô hiez der künic Artûs tragen in sîn muoshûs die pfelle ungeschrôten, mangen samît rôten, grâ, härmîn unde bunt; dar zuo gap er manic pfunt und schœniu ros den gesten; er kunde wol enbresten ieglîchem nâch sîner werdicheit; sîn guot was dô der werlt bereit, als man noch hiute von im seit.

und priesen gleichermaßen den Ritter und das Fest. Sie spielten im Wettstreit vor der Tafelrunde, jeder wie er vermochte. Man gewährte ihnen allen eine Bewirtung und eine Fülle all dessen, was der Leib begehrte. Das Fest dort dauerte mit Freuden, so wie ich euch sage, nach Pfingsten vierzehn Tage lang. Als es zu Ende war, nahmen die Fremden, die dort hingekommen waren, alle Abschied am Hof und anderswo. Da ordnete der König Artus an, in seinen Speisesaal die nicht zugeschnittenen Seidenstoffe zu tragen, manchen roten, grauen, weißen und bunten Brokat; dazu schenkte er manches Pfund Geldes und stattliche Rosse den Gästen; er wusste jeden Mann nach Wert und Würde zu verabschieden. Sein Gut stand da der Welt zu Gebote, wie man noch heute von ihm erzählt.

Mit urloube ritens alle dan, als ich iu geseit hân, iegelîcher heim ze lande. der künic hêt ân schande die hôchzît gehabet alsô daz sîn daz liut was allez vrô. dô siz alsus verenden zen næhsten sunewenden, dô der künic ze tische saz und innen des dô er az, kom ein maget rîche geriten hövischlîche mit ir getwerge ûf den sal, dâ die rîter über al an dem tische sâzen, trunken unde âzen. si reit ein phärit daz was blanc; ir getwerc huop ûf unde sanc ein liet sô wünniclîche daz si alle gelîche

Mit der Erlaubnis fortzuziehen ritten sie alle davon, wie ich euch schon erzählt habe, jeder nach Hause in die Heimat. Der König hatte das Fest ehrenvoll so abgehalten, dass darüber das Volk ganz fröhlich war. Gerade als das Fest zur Zeit der nächsten Sonnenwende ein (gutes) Ende findet, und der König zu Tische saß und eben speiste, ritt eine vornehme Jungfrau höflich mit ihrem Zwerg hinauf in den Saal, wo überall die Ritter an den Tischen saßen und dort tranken und speisten. Sie ritt ein weißes Pferd; ihr Zwerg fing an ein so herrliches Lied zu singen, dass alle

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ir selber vergâzen die in dem sale sâzen. als ez ist geseit mir, ûf dem phärit hinder ir stuont ez, swar si reit; ûf ir ahseln hêt ez geleit sîne hende beide. diu maget vuorte ze kleide ein scharlaches kappen an. si was sô rehte wol getân daz ir des prîses jâhen alle die si gesâhen. ir houbt was ungebunden, ir zöpfe wol bewunden mit golde unz an daz ende; deheiner slahte gebende vuorte diu maget mêre. diu juncvrouwe hêre reit dâ si den künic sach. vil gezogenlîche si dô sprach ‚herre her künic, mich hât gesant mîn vrouwe her in iuwer lant; ir dienest hât si iu enboten. bî deheinem andern boten wolde si iuz enbieten. ir vriunde ir daz rieten daz si helfe suochte hie: von disem hove sagt man ie wie vrume rîter hie wæren, und daz si niht verbæren deheiner slahte manheit. nu sî iu offenlîch geseit ein grôziu âventiure; diu ist vil ungehiure und bitter, gelîch dem tôde gar. wer vehten welle, der hebe sich dar! des vindet er dâ vil guot stat. er wirt sîn âne zwîvel sat, wan dâ ist manger tôt gelegen.‘ Gwîgâlois, der tiure degen, stuont ûf zer selben stunde von der tavelrunde – mit urloube wart daz getân, – vür den künic gienc er stân. er sprach ‚lieber herre mîn, nu lât an mir daz werden schîn daz ir niemen niht verseit;

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im Saal Befindlichen sich gleichermaßen selbst vergaßen. So wie es mir erzählt wurde, stand er hinter ihr auf dem Pferd, wohin sie auch ritt; auf ihre Schultern hatte er seine beiden Hände gelegt. Die Jungfrau trug als Kleidung einen Kapuzen-Mantel aus Scharlach. Sie war von derart schöner Gestalt, dass ihr alle den Lobpreis zugestanden, die sie gesehen hatten. Um den Kopf trug sie kein Gebende, dafür die Zöpfe bis ans Ende schön mit Goldbändern umwunden. Nicht mehr als diesen Kopfputz trug die Jungfrau. Die vornehme junge Dame ritt auf den König zu. Mit großem Anstand sprach sie: „Mein Herr, Herr König, meine Herrin hat mich hierher in Euer Land geschickt; ihre Ergebenheit lässt sie Euch übermitteln, keinen anderen Boten wollte sie dies Euch ausrichten lassen. Das rieten ihre Freunde, hier um Hilfe nachzusuchen: von diesem Hof erzählt man stets, dass tüchtige Ritter hier sind, die sich keinerlei Gelegenheit zur Tapferkeit entgehen lassen. Nun sei Euch öffentlich eine bedeutende Aventiure mitgeteilt; die ist ganz schrecklich und bitter, dem Tode völlig gleich. Wer kämpfen will, der soll sich dahin aufmachen. Dazu findet er dort sehr gute Gelegenheit. Er wird daran unzweifelhaft genug haben, denn dort sind (schon) viele getötet worden.“ Wigalois, der vortreffliche Held, stand in demselben Augenblicke auf von der Tafelrunde – er erhielt dazu die Erlaubnis – er stellte sich vor den König hin und sprach: „Lieber Herr, nun beweist vor mir, dass Ihr niemand etwas versagt;

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iuwer gâbe ist allen den bereit die ir von iu geruochent, swâ siz ze rehte suochent: gewert mich, herre, des ich ger; sô hât mich diu Sælde her wol geleitet mîne tage; mîner swære die ich trage der wirde ich ledic sâ zehant. herre künic, nu sît gemant daz iuwer milte mir werde erkant.‘

Eure Gabe steht all jenen zur Verfügung, die sie von Euch begehren, sofern sie es zu Recht erstreben: Gewährt mir, Herr, was ich begehre; dann hat mich das Glück bisher meine Tage wohl begleitet; meinen Kummer würde ich auf der Stelle los. Herr König, ich fordere Euch auf, dass ihr mir Eure Freigebigkeit erweist.“

Dô daz gesinde sîne bet gehôrte, die er mit vlîze tet, des nam si michel wunder und swigen alle besunder. der künic sprach ‚nu sît gewert alles des ir an mich gert, daz mînem namen rehte stê und mir niht an mîn êre gê.‘ er sprach ‚ichn ger niht vürbaz wan daz mir werde erloubet daz ich die âventiure hol; sô habet ir mir gegeben wol. wer weiz ob ichz erwerben sol!‘

Als das Gefolge seine Bitte hörte, die er mit Eifer vorgebracht hatte, verwunderte es sie sehr und sie verstummten alle, jeder von sich aus. Der König sprach: „Nun seid all dessen gewährt, was Ihr von mir wünscht, was meinem Ruf wohl angemessen ist und was mir nicht an meine Ehre geht.“ Er sprach: „Ich will nichts weiter, als dass mir erlaubt werde, diese Aventiure zu bestehen; dann habt Ihr mich wohl beschenkt. Wer weiß, vielleicht bringe ich es zu einem Ende!“

Diu rede wart im ungemach. den jungen rîter er an sach und was im sîn arbeit von allen sînen sinnen leit die er wolde lîden. er sprach ‚wolt ir vermîden dise reise durch mîne bet, ich wolde iuch rîchen hie ze stet.‘ ‚neinâ, herre!‘ sprach er dô, ‚jâne mac ich nimmer werden vrô irn erloubet mir die selben vart.‘ zehant si im erloubet wart. daz wart der juncvrouwen leit; mit zorne si von danne reit, daz si ze niemen niht ensprach. ich sagiu wâ von daz geschach: si vorhte daz si ir arbeit verlür von sîner kintheit,

Die Worte bereiteten ihm Verdruss. Er schaute den jungen Ritter an und in seinem ganzen Sinn schmerzte ihn die Mühsal, die jenem zu erleiden bevorstand. Er sprach: „Wenn Ihr die Reise um meiner Bitte willen unterlassen wollt, würde ich Euch hier auf der Stelle reich machen.“ „Nein, Herr!“ antwortete er darauf, „Könnte ich doch niemals mehr froh sein, wenn Ihr mir diese Fahrt nicht gestattet.“ Auf der Stelle bekam er die Erlaubnis. Das war der Jungfrau gar nicht recht; im Zorn ritt sie von dannen, wobei sie zu keinem (mehr) ein Wort sprach. Ich verrate euch, warum: Sie fürchtete, dass sie ihre Mühe vergebens aufwenden würde, seiner jugendlichen Unerfahrenheit wegen, weil er eben noch so jung an Jahren war. Sie ritt vor den Palas mit heftiger Klage.

durch daz er sô junc was. si begunde vür daz palas mit grôzer klage rîten;

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sine wolde sîn niht bîten, swie wol er kunde strîten.

sie wollte nicht auf ihn warten, so gut er auch kämpfen mochte.

Sus reit si gegen dem walde. die knappen brâhten im balde ors, harnasch unde sper und einen schœnen schilt her, der was swarz alsam ein kol; dâ was enmitten ûffe wol ein rat von rôtem golde erhaben; daz wolde er zeinem wâfen haben dâ man in bî erkande. diu künigîn im sande einen wâfenroc ze stiure zuo der âventiure, der was mit golde durchslagen; den solde er durch ir willen tragen; des begunde er ir genâde sagen.

So ritt sie auf den Wald zu. Die Knappen brachten ihm rasch Ross, Rüstung, Lanze und einen schönen Schild herbei, der war kohlrabenschwarz; in seiner Mitte erhob sich ein Rad aus rotem Gold; dies wollte er als Wappen haben, an dem man ihn erkennen mochte. Die Königin schickte ihm einen Waffenrock als Ausstattung zu der Aventiure. der mit Goldfäden besetzt war; den sollte er ihretwegen tragen; dafür bedankte er sich.

Nu nam er urloup von in dâ; dem milten künige neic er sâ und der mässenîe gar. ‚herre got, nû bewar dem rîter sînen schœnen lîp!‘ sprach dâ man unde wîp; si wunschten im alle heiles nâch. dem rîter was zer vreise gâch, wand er hêt eins lewen muot: swaz vreislîch was daz dûhte in guot; des kom er ofte in grôze nôt. sîn dienest er in allen bôt; sus nam er urloup in den tôt.

Dann nahm er von ihnen Abschied; er verneigte sich vor dem freigebigen König und dem ganzen Gefolge. „Herr Gott, nun beschütze dem Ritter sein kostbares Leben!“ sagte jeder; sie alle wünschten ihm Glück hinterher. Der Ritter hatte es eilig, sich in Gefahr zu begeben, denn er besaß den Mut eines Löwen: was immer Gefahr bringend war, erschien ihm vortrefflich; davon kam er oft in große Kampfesnot. Er erwies ihnen allen seine Ergebenheit; so nahm er Abschied hin zum Tod.

Her Gâwein dô mit im gie: von des râte kom er nie. ir geselleschaft was harte guot: beidiu ir herze und ir muot wârn einander heimlîch; deiswâr, daz was billîch, sît si eines lîbes wâren. ir ougen es niht verbâren sine lachten ofte ein ander an. her Gâwein, der küene man, wâfent in selbe mit sîner hant; einen helm er im ûf bant, dar ûf ein rat von golde gie. daz wâfen minnet der rîter ie,

Herr Gawein begleitete ihn: von dessen Ratschlag wich er nie ab. Ihr freundschaftliches Verhältnis war sehr gut: Herz und Gesinnung waren einander vertraut. Wahrlich, es war angemessen, weil sie eines Blutes waren. Ihre Augen konnten es nicht unterlassen, einander oft anzulachen. Herr Gawein, der kühne Mann, wappnete ihn eigenhändig; er band ihm einen Helm auf, auf dem sich ein goldenes Rad drehte. Dieses Wappen liebte der Ritter alle Zeit,

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wand einez gienc ûf und zetal mit listen in sîns neven sal: durch daz truoc er daz rat, als in des sîn herze bat, zeiner zimiere. ein rîchiu baniere wart im gebunden an sîn sper. ûf sîn ors saz er; daz was starc unde guot; des wart der rîter wol gemuot. schilt und sper reicht man im dar; dô was er gewâfent gar. den hern Gâwein bevalch er got; vil grôzer jâmer âne spot wart dâ zwischen in beiden dô si sich muosen scheiden. sus reit her Gwîgâlois von dan. im bat dâ guotes manic man; dâ von muos er gelücke hân.

denn ein solches drehte sich kunstvoll eingerichtet auf und ab im Saal seines Oheims: deshalb trug er das Rad aus innerer Bewegnis als Helmzier. Ein kostbares Banner wurde für ihn an seiner Lanze befestigt. Er setzte sich aufs Streitross; es war kräftig und tauglich; darüber freute sich der Ritter. Man reichte ihm Schild und Lanze; somit war er vollständig gerüstet. Herrn Gawein übergab er Gottes Schutz; Herzeleid und tiefer Ernst beherrschte sie beim Abschied. So ritt Herr Wigalois davon; viele Männer wünschten ihm alles Gute; das sollte ihm zum Glück verhelfen.

6. Kampf um die Herberge Wigalois eilt Nereja nach, sie will nicht warten, obgleich der Zwerg dazu rät. Er holt sie ein und bittet sie begleiten zu dürfen; dann reiten sie zusammen weiter. Am Abend kommen sie an eine Burg; der Burgherr gewährt Fremden nur dann eine gastfreundliche Unterkunft, wenn er im Kampfe besiegt wird, andernfalls wird dem Gegner seine Rüstung genommen. Nereja warnt, Wigalois will den Kampf durchaus wagen; beim ersten Treffen durchsticht er im Ungestüm den Burgherrn, ohne es zu wollen. Nereja tadelt den Mord; sie fliehen. (1884–2034)

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Der mägde îlte er balde nâch. vor zorne was ir alsô gâch daz si sîn niht wolde bîten; deste balder muose er rîten. dô daz getwerc den rîter sach, ze sîner juncvrouwen ez [dô] sprach ‚dort kumt der rîter her geriten; des solde wir dâ hân gebiten: des hêt er êre und stüende iu wol. ez kumt vil lîhte daz im sol dirre prîs gevallen vor den rîtern allen; er ist lîhte als manhaft und hât alsô grôze kraft sam der aller tiurste dâ.‘

Der Jungfrau eilte er sogleich nach. Vor Zorn war sie derart in Eile, dass sie auf ihn nicht warten wollte; umso schneller musste er reiten. Als der Zwerg den Ritter erblickte, redete er seine junge Herrin an: „Da kommt der Ritter herbeigeritten; wir hätten dort auf ihn warten sollen: für ihn wäre es eine Ehre gewesen, und Euch hätte es wohl angestanden. Vielleicht geht es so aus, dass ihm der Preis vor allen anderen Rittern zufällt; auch ist er möglicherweise ebenso tapfer und hat genauso große Stärke wie der Allervortrefflichste dort.“

6. Kampf um die Herberge

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diu juncvrouwe sprach ‚nu lâ die rede, wan diu ist enwiht; ich erkenne disse rîters niht: her Gâwein wart mir genant; den erkennet man über älliu lant von sîner grôzen manheit. swaz er strîtes ie gestreit, daz im dar an nie missegie, daz hôrte ich von im sagen ie. der wær mit uns geriten dan, hêt dirre sîne bet verlân; dâ von ich im niht êren gan.‘

Die Jungfrau sprach: „Nun hör auf mit deinem nichtigen Einwand; ich weiß nichts von diesem Ritter: man nannte mir Herrn Gawein; den kennt man in allen Ländern wegen seiner großen Tapferkeit. Was er auch an Kämpfen bestritt, ich hörte über ihn stets sagen, dass es ihm niemals fehlschlug. Der wäre mit uns fort geritten, wenn jener seine Bitte unterlassen hätte; darum gönne ich ihm die Ehre nicht.“

Dô si die rede gar gesprach, den jungen rîter si dô sach enneben ir rîten sâ zehant. den helm vuort er in einer hant, entwâfent was sîn houbet. er sprach ‚vrouwe, erloubet mir daz ich mit iu var.‘ daz widersaget si im gar. dô bat er si sô sêre unz daz diu maget hêre in dô mit ir rîten hiez. dô si ir zorn ein teil verliez und ir grôziu swære, dô saget er ir mære und kurzet ir die stunde, als er beste kunde, unz daz der âbent ane gie. si sprach ‚rîter, râtet wie od wâ wir hînt belîben dâ wir die naht vertrîben.‘ ‚liebiu vrouwe, swâ ir welt.‘ si sprach ‚ich weiz einen helt, des hûs ist hie nâhen bî; ichn weiz ab wie sîn nam sî, wan ein dinc ist mir bekant: ez ist umb in alsô gewant: er hât wunderlîche sit, dâ er sîn brôt vristet mit. desn ist deheiner slahte rât: swer sô rîters namen hât, wil er des nahtes dâ ruowe hân, ern müeze in eine bestân ûf dem velde mit rîterschaft. und ist er dan sô manhaft

Als sie zu Ende gesprochen hatte, sah sie im selben Moment den jungen Ritter neben ihr reiten. Den Helm trug er in der einen Hand, sein Haupt war entblößt. Er sprach: „Herrin, erlaubt mir, dass ich mit Euch ziehe.“ Das wurde ihm ganz und gar untersagt. Da bat er sie so inständig, bis die vornehme Jungfrau ihn neben sich reiten ließ. Als sie der Zorn und Kummer ein wenig losließen, da erzählte er ihr Geschichten und kürzte ihr die Zeit so gut er konnte, bis der Abend anbrach. Sie sprach: „Ritter, ratet mir, wie oder wo wir heute Abend bleiben, um die Nacht zu verbringen.“ „Liebe Herrin, wo immer Ihr wollt.“ Sie sagte: „Ich kenne einen Helden, dessen Burg hier in der Nähe ist; ich weiß jedoch nicht, wie sein Name lautet, nur eine Sache ist mir bekannt: Mit ihm hat es folgende Bewandtnis: er hat eine seltsame Gewohnheit, mit der er sein Brot verdient. Davon kann sich keiner frei machen: Wer immer ein Ritter ist und dort die Nacht über ruhen will, so muss er sich ihm als Einzelner auf dem Feld zum ritterlichen Kampf stellen. Wenn er dann so standhaft ist,

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6. Kampf um die Herberge

daz er in überwindet, ich sagiu daz: er vindet von gemache dâ swes er gert, wand er wirt von im gewert sô guoter handelunge dâ die niemen vünde anderswâ. stichet ab in der wirt nider, sô muoz er danne blôzer wider scheiden gar ân sîne habe. mich dunket guot wir tuon uns abe der ruowe und rîten anderswâ: si ist bœse ze gewinnen dâ.‘ diu rede misseviel im sâ.

dass er ihn besiegt, ich versichere Euch: er findet da an Annehmlichkeiten, was immer er wünscht, denn er wird von ihm mit einer so guten Bewirtung beschenkt, die niemand anderswo finden würde. Falls ihn jedoch der Burgherr herabsticht, so muss er darauf (der Waffen) ganz entblößt, ohne seine Habe wieder davonziehen. Mir scheint es gut zu sein, dass wir auf den Ruheort verzichten und woanders hin reiten: ein solcher ist dort übel zu erlangen.“ Die Rede missfiel ihm sogleich.

Er sprach ‚vrouwe, nein, durch got! ich wil allez iuwer gebot leisten an andern dingen; mir muoz hie gelingen, od ich verliuse swaz ich hân.‘ er was des muotes gar ein man, wand er daz nie gevlôch swaz ze manheit gezôch dâne wære er starke gerne mit; daz was von kinde ie sîn sit. daz hûs was im sô nâhen daz si dar abe sâhen den gast gewâfent rîten. der wirt wolde niht bîten; sînen harnasch hiez er bringen. er wânde im solde gelingen als im ofte ê was getân. leider, dô trouc in sîn wân! im was ze gâch an die vart. zehant als er gewâfent wart, dô brâhten im die knappen dar ein ors, daz was bedecket gar mit einer grôpiere. der wirt was vil schiere ûf daz ors gesprungen. die garzûn nâch im drungen; die truogen schilt unde sper. si liefen ûz nâch im her vaste vür den burcgraben. si wolden daz gewis haben si würden alle rîche; dô geriet ez mislîche. der gast den helm ûf bant;

Er sprach: „Herrin, nein, um Gottes Willen! Ich werde jedem Eurer Gebote in anderen Angelegenheiten Folge leisten; aber hier muss ich Erfolg haben, oder ich verliere, was ich besitze.“ Der Gesinnung nach war er ein ganzer Mann, denn er floh niemals das, was immer zur mannhaften Tat passte, so dass er sehr gerne mit von der Partie war; das war von Kindheit an seine Art. Die Burg war ihm so nahe, dass jene von dort oben den Fremden gerüstet heranreiten sahen. Der Burgherr wollte nicht warten; er ließ sich seine Rüstung bringen. Er glaubte, er würde Erfolg haben, so wie er ihn zuvor oft hatte. Leider wurde er da von seiner Hoffnung betrogen! Er hatte es zu eilig an den Waffengang. Sobald er gewaffnet war, brachten ihm die Knappen ein Streitross, das vollständig bedeckt war mit einer Gropiere. Schnell war der Burgherr aufgesessen. Die Pagen drängten sich ihm hinterher; die trugen Schild und Lanze. Sie liefen hinaus, ihm hinterher, bis dicht an den Burggraben. Sie glaubten fest, dass sie alle reich würden; da schlug es übel aus. Der Fremde band den Helm fest;

6. Kampf um die Herberge

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von der strâze kêrt er zehant gegen dem wirte ûf die plân. si liezen zuo einander gân swaz diu ors mohten gevarn. si kunden sich beide wol bewarn; iedoch sô stach der junge gast sîn sper daz ez durch in brast ander halbe eins klâfters lanc. ez geschach ein teil ân sînen danc daz er in alsô hêt erslagen; daz wil ich iu vür wâr sagen, wand er begundez von herzen klagen.

von der Straße wendete er sich sofort dem Burgherrn zu, auf den freien Platz. Sie ließen die Pferde aufeinander los, so schnell wie diese sich bewegen konnten. Beide vermochten sich wohl in Acht zu nehmen; jedoch stieß der junge Fremde seine Lanze so, dass er den Gegner auf einer Länge von anderthalb Klaftern durchdrang. Es geschah ganz gegen seine Absicht, dass er ihn auf diese Weise getötet hatte; dies sage ich euch als ganze Wahrheit, denn er beklagte es von Herzen.

Sich huop ein jæmerlîchiu nôt dô si gesâhen daz er tôt von dem orse viel ûf daz gras. swaz dâ ingesindes was, daz huop sich mit klage dar. diu juncvrouwe sprach ‚[nu] nemt war welch ein mort ir habt getân! wir mugen hie nu niht bestân; wir sulen vürbaz rîten, dâ wir des tages bîten, ê si hie mit uns strîten.‘

Da erhob sich großes Wehgeschrei, als sie ihn tot vom Streitross zu Boden fallen sahen. Wer immer vom Gefolge vor Ort war, machte sich mit Klagerufen dorthin auf. Die Jungfrau sprach: „[Nun] seht, was für einen Mord Ihr begangen habt! Hier können wir nun nicht mehr bleiben; wir müssen (an einen Ort) weiter reiten, wo wir den Tagesanbruch erwarten, bevor uns diese hier in einen Kampf verwickeln.“

Der geschiht wâren si vil unvrô; von dem tôten îlten si dô bî einem wazzer hin ze tal. dâ hôrten si die nahtegal singen vaste gegen der naht. daz gevilde was bedaht mit grase und mit loube dâ. die gesellen enwessen wâ si möhten belîben unz an den tac. ein fôreis in dâ nâhen lac; dâ erbeizte diu juncvrouwe zuo. si beliben dâ unz morgen vruo sô si beste mahten. sine kunden niht betrahten war si riten vürbaz; diu ungeschiht vuocte in daz; doch tâtens als der biderbe man: swenne erz niht gebezzern kan, sô dunket ez in ein rât swaz er danne hât, als ez im an die nôt gât.

Der Vorfall bekümmerte sie sehr; den Toten verließen sie da, flussabwärts eilend. Dort hörten sie bei Einbruch der Nacht die Nachtigall kräftig schlagen. Die Wiesen waren bedeckt mit Gras und Laub. Die Weggefährten wussten nicht, wo sie bis zum Morgen bleiben sollten. In ihrer Nähe befand sich ein großer Forst; vor diesem saß die Jungfrau ab. Dort blieben sie bis zum frühen Morgen so gut es eben ging. Sie konnten nicht absehen, wohin sie weiter reiten mussten; dies hatte ihnen das Missgeschick beschert; doch handelten sie wie ein erprobter Mann: Wann immer der die Dinge nicht ändern kann, so behilft er sich mit dem, was sich ihm bietet, wenn er in Bedrängnis gerät.

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7. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen

7. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen Wigalois und der Zwerg bereiten Nereja ein Nachtlager. Im Walde bei einem See erklingt ein lauter Wehruf. Wigalois reitet hin und entdeckt am Ufer eine Jungfrau, die von zwei Riesen bedrängt wird. Sie haben sie vor Artus’ Schloss ergriffen und entführt. Wigalois durchsticht den einen, der andere bewaffnet sich mit einem Ast; nach hartem Kampf wird er besiegt; unter der Bedingung, dass er die geraubte Jungfrau unversehrt an Artus’ Hof zurückbegleite und dort als Gefangener bleibe, schenkt Wigalois ihm das Leben. Betrachtung über die alte Zeit, wo der Eidbrüchige aus der Gesellschaft gestoßen wurde. Der Riese jedoch erfüllt seinen Eid. Nereja ist unterdessen fortgeritten, Wigalois holt sie ein und bittet wiederum, sie begleiten zu dürfen, was sie ihm endlich gewährt. (2035–2203) 2035

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Der juncvrouwen schuofen si gemach; daz getwerc des grüenen loubes brach und bette ir nider ûf daz gras, wand ez an einer wisen was. dô si eine wîle gelâgen und ir gemaches pflâgen, dô hôrtens eine stimme klägelîch und grimme in dem walde, bî einem sê ruofen vaste ‚wê! wê!‘ als daz dâ vürhtet den tôt. der rîter sprach ‚hœrt ir die nôt und die klage die daz hât? vrouwe, ist ez iuwer rât, sô wil ich rîten dar, daz ich uns rehte ervar waz daz sî daz dâ klaget.‘ des antwurt im diu maget; si sprach ‚nu tuot als ir welt.‘ zehant dô reit der helt als in lêrte sîn sin. diu naht was wol halbiu hin und schein der mâne gegen dem tage. sus reit der rîter nâch der klage, als diu stimme vor im hal, den walt ûf und ze tal. der was rûch und enge; durch dorne und durch gedrenge vuor er wol eine mîle. nu sach er bî der wîle sitzen zwêne starke risen bî einem viure ûf den wisen, die bî dem sêwe lâgen. einer juncvrouwen si dâ pflâgen leider über ir willen. sine mohten si niht gestillen

Für die Jungfrau richteten sie einen Ruheplatz ein; der Zwerg brach grün belaubte Zweige und bereitete ihr das Lager auf grasigem Boden, denn er (ihr Ruheplatz) lag auf einer Wiese. Als sie eine Zeit lang gelegen und sich ausgeruht hatten, vernahmen sie eine schmerzlich klagende Stimme in der Nähe eines Sees im Walde, die laut „Weh! Weh!“ rief, wie ein Wesen in Todesnot. Der Ritter fragte: „Hört ihr? Dort ruft etwas um Hilfe. Herrin, wenn Ihr es gut heißt, werde ich dort hin reiten, um für uns genau zu erkunden, was dort so jammert.“ Darauf antwortete ihm die Jungfrau: „Handelt nach Eurem Belieben!“ Sogleich ritt der Held los, wie sein Gefühl es ihm eingab. Die Nacht war zur Hälfte herum, der Mond leuchtete dem Tag entgegen. So folgte der Ritter dem Wehruf, immer der Stimme nach; im Walde (ritt er) auf und ab. Der (Wald) war voller Sträucher und zugewachsen; durch Dornengestrüpp und Unterholz ritt er annähernd eine Meile. Da erblickte er zu dieser Stunde zwei kräftige Riesen an einem Feuer auf der Wiese sitzen die am See lag. Einer Jungfrau hatten sie sich ‚angenommen‘, doch zu ihrem Unglück gegen ihren Willen. Mit keinerlei Drohung

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mit deheiner slahte bet: daz trûten ir unsanfte tet, wan si was in gar ze kranc. sus wolden si über ir danc ir willen mit ir gehabet hân; des wart ir jâmer alsô getân daz ez in muose erbarmen. si hêt mit beiden armen der eine an sich gedrücket. si hêten si gezücket dem milten künige Artûs ze Karidôl vor sînem hûs; des was michel klage dâ. die edeln rîter enwessen wâ si hin wâren gekêret; des was ir herze gesêret und ouch der hof gunêret.

konnten sie sie zur Ruhe bringen: die Liebkosung tat ihr weh. Denn (im Vergleich zu) ihnen war sie viel zu zart gebaut. So versuchten sie mit Gewalt ihren Willen an ihr zu vollziehen. Dadurch litt sie so heftig, dass es ihn erbarmen musste. Mit beiden Armen hatte sie der eine an sich gedrückt. Sie hatten sie dem freigebigen König Artus zu Karidol vor seiner Burg geraubt; darüber war die Klage dort groß. Die vornehmen Ritter wussten nicht, welche Richtung sie eingeschlagen hatten; davon wurden sie (die Ritter) von tiefem Schmerz erfüllt und auch der Hof entehrt.

Dô der rîter rehte ersach der juncvrouwen ungemach, daz begunde im an sîn herze gân. ezn sol ouch noch dhein biderbe man nimmer gerne übersehen, swâ dehein schade mac geschehen deheinem reinen wîbe, ern wendez mit sînem lîbe; daz ist mîn sit und ouch mîn rât, wan swaz diu werlt vreude hât, diu kumt uns von den wîben. wie möhte wir vertrîben die langen naht und unser leit niwan mit ir sælicheit? unser vreude wære enwiht und hête wir der wîbe niht. got müez in genædic wesen! wirn möhten ân si niht genesen. daz bedâhte der rîter guot, wand er was ie vil wol gemuot, als der biderbe gerne tuot.

Als dem Ritter das ganze Ausmaß des Unglücks der Jungfrau bewusst wurde, ging es ihm ans Herz. Auch heute noch darf kein tüchtiger Mann leichtfertig darüber hinwegsehen, wo auch immer eine edle Frau Schaden erleidet, ohne ihn höchstselbst von ihr abzuwenden. So bin ich es gewohnt und es entspricht auch meiner Meinung; denn was die Welt uns an Freude immer bietet, das beginnt bei den Frauen. Wie sonst könnten wir die langen Nächte und unseren Kummer ohne ihre Anmut vertreiben? Unsere Freude existierte nicht, wenn wir ohne Frauen wären. Gott gewähre ihnen seine Gunst! Ohne sie könnten wir nicht leben. Dies bedachte der vortreffliche Ritter, denn er war stets edel gesinnt, so wie es der Tüchtige zu tun pflegt.

Sîn ors nam er mit den sporn; den einen risen hêt er erkorn dâ er bî dem viure saz. mit dem sper stach er daz ez im durch daz herze brast. der ander rise zarte einen ast

Sein Ross spornte er an; auf den einen Riesen hatte er gezielt, dorthin, wo er beim Feuer saß. Mit der Lanze stach er so zu, dass er ihm das Herz durchdrang. Der zweite Riese riss einen großen Ast

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7. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen

von einem boume, der was grôz; des er iedoch niht vil genôz. [wand er sich in die este slôz] der rîter ouch erbeizet was zuo zim ûf das grüene gras und liefen beide einander an. si wârn zwêne bereite man des muotes sam der kraft; daz schein wol an ir rîterschaft. der rise mit dem aste treip in harte vaste hinder sich in ein dickez hac, daz dâ nâhen bî im lac; dâ entweich der edel rîter in. daz tet er niwan durch den sin daz er in slüege ân sînen schaden: sô kunde er in ze hûse laden. dâ enpfie der rise wunden vil. sus spilten si des tôdes spil unz daz der tac ûf gie. eine wunden dô der rise enpfie von im, diu nam im sîne kraft; des wart der rîter sigehaft. in sîn gewalt muos er sich geben durch daz er in lieze leben; dar über swuor er einen eit daz er die maget âne leit bræhte dem künige Artûs ze Karidôl wider in sîn hûs, unde sîn dar inne bit unz er dar nâch im rit; hie was er gevangen mit.

von einem Baum herunter; der nützte ihm jedoch nicht viel.

Bî den zîten was der sit: – dâ behielten si ir triuwe mit – swer deheinen eit zebrach, swâ man den immer mê gesach, der was ungenæme, den liuten widerzæme, als der tôtsieche man der von der werlte wirt getân. des muosen si ir sicherheit, ez wær in liep ode leit, behalten, als man in gebôt, od an den êren ligen tôt; des wær ouch noch der werlte nôt.

Zu dieser Zeit war es Brauch, – in dieser Hinsicht war man konsequent – wer immer einen Eid brach, der war, wo man ihm auch begegnete, unwillkommen, den Menschen widerwärtig, so wie ein von tödlicher Krankheit Befallener, der von der Welt abgesondert wird. Deshalb mussten sie ihr Sicherungsgelöbnis wohl oder übel einhalten, so wie man ihnen befahl, oder der Ehre nach ein toter Mann sein. So etwas wäre noch heute der Welt von Nutzen.

Auch war der Ritter abgesessen, stellte sich ihm auf dem grünen Rasen und beide griffen nun einander an. Sie waren zwei mit Entschlossenheit und Stärke gewappnete Männer. Das erwies sich in ihrem ritterlichen Kampf. Der Riese trieb ihn mit dem Ast äußerst heftig zurück in ein dichtes Dornengebüsch, das sich in seiner Nähe befand. Da hinein zog sich der edle Ritter zurück. Er tat das jedoch nur in der Absicht, ihn (ohne sich selbst zu gefährden) schlagen zu können. So konnte er ihn ‚zu Hause‘ als ‚Gast‘ empfangen. Da steckte der Riese zahlreiche Wunden ein. So spielten sie das Spiel des Todes, bis der Tag anbrach. Da bekam der Riese eine Wunde von ihm versetzt, die ihn seiner Kraft beraubte; das verhalf dem Ritter zum Sieg. Er musste sich ihm unterwerfen, damit er ihn am Leben ließ. Darüber hinaus schwor er einen Eid, die Jungfrau, ohne dieser ein Haar zu krümmen, dem König Artus nach Karidol in seine Residenz zurückzubringen und dort auf ihn zu warten, bis er ihm folgen würde. Damit wurde er gefangen gesetzt.

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Nu hêt sich diu reine maget beidiu verweinet und verklaget daz si vil kûme mohte geleben. dô wart ir ein trôst gegeben daz si wider solde varn. den tôten mohtens niht bewarn; der lac dâ als im gezam. der rise die juncvrouwen nam, als der rîter im gebôt. sîns lieben gesellen tôt klagte er âne mâze. sus vuorens âne strâze unz er die juncvrouwen vant; diu begunde sâ zehant ûf ir wec rîten: sine wolde sîn niht bîten. der rise nam urloup [von im] dâ; engegen Britanje gienc er sâ und brâhte die maget hêre der küniginne Ginovêre und dem künige Artûs ze Karidôl wider in sîn hûs. des wart diu mässenîe vrô; dem edeln rîter gnâdetens dô der triuwen und der êren. der [rîter] begunde kêren sîner juncvrouwen nâch. der was von im harte gâch, wand ez was ir vil leit daz er iender mit ir reit. swaz er manheit begie, die wolde si geprîsen nie: ez dûhte si allez kleine wider die al eine diu im ze tuone sît geschach. gezogenlîche der rîter sprach ‚edliu maget, hœret mich! erloubet mir, vrouwe, daz ich mit iu rîte disen tac.‘ wand er solher zühte pflac daz er daz bewarte ie daz er wider ir willen nie deheiner slahte dinc getet ern erwürbez ê mit sîner bet; daz bescheinder ir an manger stet.

Nun hatte sich die schöne Jungfrau derart ausgeweint und matt gejammert, dass sie knapp dem Tod entging. Da war es ihr ein Trost, dass sie zurückkehren würde. Den Toten konnten sie nicht begraben; der blieb da liegen, wie es ihm zukam. Der Riese nahm sich der Jungfrau an, wie der Ritter ihnen befohlen hatte; den Tod seines lieben Freundes beklagte er maßlos. So zogen sie querfeldein (weiter), bis er die Jungfrau wieder fand; diese war gerade im Begriff ihres Weges zu reiten. Sie wollte nicht auf ihn warten. Der Riese nahm dort Abschied. Er begab sich unverzüglich nach Britannien und brachte die vornehme Jungfrau zur Königin Ginover und zum König Artus zurück in die Residenz zu Karidol. Darüber freute sich das Gefolge; dem edlen Ritter dankten sie darauf für (seine) Treuebeweise und für die Ehre. Der folgte seiner Jungfrau nach. Die hatte es sehr eilig, ihm zu entkommen, denn es war ihr sehr unliebsam, dass er (überhaupt) mit ihr ritt. Was immer er an mannhafter Tat vollbrachte, das wollte sie niemals loben: es schien ihr alles unbedeutend der einen (Tat) allein gegenüber, die zu bestehen ihm noch bevorstand. Mit Anstand sprach der Ritter: „Edle Jungfrau, hört mich an! Erlaubt mir, Herrin, diesen Tag mit Euch zu reiten.“ Denn er war so höflich, dass er es stets vermied, irgendetwas gegen ihren Willen zu unternehmen, ohne es zuvor mit seiner Bitte zu erreichen. Das zeigte er ihr bei zahlreichen Gelegenheiten.

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8. Das schöne Hündchen

8. Das schöne Hündchen Wigalois fängt ein schönes Hündchen, das er Nereja schenkt. Der Eigentümer erscheint und fordert das Tier zurück. Als es ihm verweigert wird, entfernt er sich und kommt bewaffnet wieder. Auf dem Helm trägt er einen Schwan als Wappen. Kampf. Wigalois durchsticht ihn mit der Lanze. Der tote Ritter muss auf dem Felde liegen bleiben; sein Pferd bindet Wigalois an einem Dornstrauch fest. Betrachtung: Pferd und Rüstung wären heute verloren gewesen. Unwürdigen werde das Ritterschwert verliehen. (2204–2348)

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Daz getwerc begunde mit im biten unz si si des überstriten daz si im sîn gunde. an derselben stunde lief vor in ein bräkelîn daz niht schœners mohte sîn. daz was blanc über al; niwan ein ôre was im val, daz ander rôt alsam ein bluot. des wart diu maget wol gemuot, wande si des selbe jach daz si nie deheinez gesach daz ir z’ihte mære wider daz selbe wære. des wart der rîter harte vrô. daz hündelîn vienc er dô und legtez vür si ûf ir kleit. des wart diu maget vil gemeit; mit grôzen vreuden si dô reit.

Der Zwerg half ihm beim Bitten, bis sie sie dazu überredet hatten, dass sie ihm dies erlaubte. Alsbald (sahen sie) vor sich einen kleinen, äußerst hübschen Spürhund laufen. Sein Fell war überall weiß glänzend, nur ein Ohr gelb, das andere rot wie Blut. Das erfreute die Jungfrau, denn sie gab selbst zu, dass sie niemals (ein Hündchen) gesehen habe, das ihr auch nur um ein Weniges lieber als dieses gewesen wäre. Der Ritter war mehr als zufrieden. Er fing das Hündchen ein und legte es vor ihr nieder auf ihr Kleid. Das machte die Jungfrau sehr vergnügt; freudig ritt sie weiter.

Ditz was nâch mittem morgen. si riten âne sorgen gegen einem vinstern tan; dar ûz reit ein michel man, des hâr was swarz alsam ein kol, ieslîch loc bewunden wol mit sîden und mit golde, gezieret als er wolde. sîn ros swarz unde guot. von bluomen vuorte er einen huot; mit [grüenem] tymît was er gekleit. zer geselleschefte er reit. si wârn ein ander unbekant. einen knüttel vuorte er in der hant, mit riemen wol bewunden. ich wæne er mit den hunden was geriten in den walt. sîn muot ze zorne wart gestalt

Dies geschah am späten Vormittag. Sie ritten arglos auf einen finsteren Tannenwald zu; daraus kam ein großer Mann mit rabenschwarzem Haar geritten, jede einzelne Locke war mit Seiden- und Goldbändern umflochten, nach seinem Wunsch geschmückt. (Er saß auf) einem vortrefflichen schwarzen Streitross, trug einen (mit) Blumen (besteckten) Hut und war in [grünen] Timit gekleidet. Er ritt auf die Reisegesellschaft zu. Sie kannten einander nicht. Einen mit (Leder-)Streifen schön umwundenen Knüttel trug er in der Hand. Ich glaube, dass er mit den Hunden in den Wald geritten war. Er wurde vor Zorn aufgebracht,

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dô er sîn hündelîn ersach. wider die juncvrouwen er sprach ‚ir sult wizzen, vrouwelîn, dirre kleine hunt ist mîn. seit mir, wer hât iu’n gegeben? benamen ez gêt im an sîn leben!‘ si sprach ‚dirre rîter hie.‘ er sprach ‚wie getorst ir ie

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gevâhen mînen schœnen hunt? heizeten lâzen an dirre stunt balde ûf die strâze nider, oder irn komt nimmer wider mit deheinen iuwern êren und müezt wider kêren mit ungesundem lîbe.‘ ‚diu rede zæme einem wîbe‘ sprach her Gwîgâlois der degen, ‚und wil unser got pflegen, sô sul wir êre unde leben umb sô lîhte sache niht geben. ich wæn der hunt ist iuwer niht; muot ir anders von uns iht nâch êren und mit minnen, daz mugt ir wol gewinnen. swaz ab uns dâ von geschiht, wirn geben iu des hundes niht durch bœse rede noch durch drô.‘ mit zorne kêrte der herre dô über daz [breite] gevilde gegen der [grôzen] wilde, swaz daz ros mohte gevarn. her Gwîgâlois muose sich bewarn als er beste kunde, wand er zer selben stunde gwâfent dar wider wolde komen; als hêten siz von im vernomen. des wart der rîter harte vrô, wan sîn muot der stuont alsô ern vorhte deheines mannes drô.

als er sein Hündchen erblickte. Zur Jungfrau sprach er: „Ihr müsst wissen, junge Dame, dieser kleine Hund gehört mir. Sagt mir, wer hat Euch den geschenkt? Wahrlich, es geht ihm an sein Leben!“ Sie antwortete: „Dieser Ritter hier.“ Er sprach (zum Ritter gewandt): „Wie konntet Ihr es wagen, meinen schönen Hund einzufangen? Befehlt, ihn unverzüglich und sofort auf den Weg zu setzen, oder Ihr kehrt niemals mit auch nur einem Rest eurer Ehre zurück und müsst als Verwundeter umkehren.“ „Die Worte wären einem Weibe gegenüber angemessen“, sprach Herr Wigalois, der Held, „solange Gott für uns sorgt, dürfen wir Ehre und Leben um einer so geringen Sache willen nicht her geben. Ich glaube nicht, dass Euch der Hund gehört; wenn Ihr etwas anderes von uns wollt, was den Ehren entspricht und auf freundliche Art, das könnt ihr wohl erlangen. Wie es uns auch immer deswegen ergehen mag, den Hund werden wir Euch nicht übergeben, weder aufgrund böser Worte noch Drohungen.“ Zornig wendete sich darauf der Herr über die Felder hin zur Wildnis, so schnell das Ross laufen konnte. Herr Wigalois musste sich, so gut es ging, wappnen, denn er (der große Mann) wollte noch zur selben Stunde gerüstet dorthin zurückkommen; so hatten sie es von ihm gehört. Darüber freute sich der Ritter sehr, denn er war entschlossen, keines Mannes Drohung zu fürchten.

Die strâze riten si als ê. ir vreude wart dô michels mê dan ir dâ vor wære. mit mangem guoten mære vertriben si die selben zît. nu kom der rîter her durch strît

Sie ritten den vorherigen Weg (weiter). Weit mehr als zuvor waren sie guter Dinge. Mit vielen trefflichen Geschichten vertrieben sie sich die Zeit (des Wartens). Nun kam der Ritter herbei, zum Kampf

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8. Das schöne Hündchen

gewâfent von der wilde; über daz [grôze] gevilde kom er gewalopieret. sîn helm der was gezieret mit einem swanen härmîn, snabel und vüeze guldîn: ditz selbe wâfen vuort er. mit hôhem muote kêrter her; daz schein an sînem geverte wol. swaz dem manne geschehen sol, daz geschiht im âne wende; sînes lîbes ende wær dâ vürnames niht gewesen, wan daz er doch niht solde genesen. nu sach der junge rîter daz. sînem rosse gurte er baz, zehant er wider ûf saz; ze manheit wart er nie laz. den schilt er an sich gevie, daz starke sper er sîgen lie, sîn ors er mit den sporn nam; mit solher kraft er an in kam daz er daz sper durch in stach daz man ez ander halbe sach. der ander schaft sô gar zebrach daz dehein schade geschach dem rîter, als ez solde sîn. gevrîet was daz hündelîn von der justiure. die kirchen wârn dâ tiure; des belac er ûf dem velde dâ. der rîter hafte sîn ors sâ bî dem zoume an einen dorn. daz wær bî disen zîten vlorn, als ich michs versinnen kan: ir ist nu wênic, sin vuortenz dan, man züge im nû den harnasch abe, dar zuo alle sîne habe; daz was ab do wider dem sit: swer ez tet, der vlôs dâ mit alsô gar sîn êre daz er nimmer mêre ze rîterschefte mohte komen; im wurde sîn êre gar benomen. swer hiute daz selbe tæte, sô belibe vil lîht stæte allez rîterlîche reht.

gerüstet, von der Wildnis her; über das Feld kam er angaloppiert. Seine Helmzier war ein weißer Schwan, der Schnabel und die Füße golden; das gleiche Wappen führte er. Mit stolzem Sinn kam er herbei, das sah man seinem Aufzug an. Was immer einem Mann geschehen muss, das wird unabänderlich eintreffen; sein Lebensende hätte in der Tat nicht unmittelbar bevor gestanden, wenn er nicht doch hätte sterben sollen. Dies erfasste nun der junge Ritter. Er zog die Gurte seines Rosses enger, saß sofort wieder im Sattel; bei mannhafter Tat war er nie zögerlich. Den Schild nahm er zu sich heran, die starke Lanze senkte er ab, seinem Streitross gab er die Sporen. Er geriet mit solcher Gewalt auf ihn, dass er die Lanze durch ihn hindurch stieß, so dass man sie zur Hälfte wieder herausragen sah. Der andere Schaft zerbrach so gründlich, dass es dem Ritter, wie es vorher bestimmt war, nichts schadete. Das Hündlein war nun frei geworden durch die Tjoste. Kirchen gab es dort keine; daher blieb er (der große Mann) auf dem Felde (liegen). Der Ritter band darauf dessen (des Gegners) Ross mit den Zügeln an einen Dorn-Strauch. Das wäre heutigen Tages verloren gegangen, wenn ich es recht beurteilen kann: es gibt kaum noch welche, die es nicht davon führten; man würde ihm den Harnisch (vom Körper) abziehen, dazu alle seine Habe; das entsprach aber damals nicht der Gewohnheit: Wer immer so etwas tat, der verlor damit so gründlich seine Ehre, dass er niemals mehr zum Turnier kommen konnte; ihm wurde die Ehre ganz entzogen. Wenn jeder heute ebenso handeln würde, dann bliebe sicherlich der ganze Ritterstand (fest und) beständig.

9. Schönheitspreis und Kampf mit dem Roten Ritter

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swer vil kûme wære kneht, der wil nu rîter werden; des müezen die werden der bœsen engelten. jâ geniuzet man vil selten der bœsen gesellen. got müeze si vellen die dem immer swert gegeben der daz rîterlîche leben niht behalten künne, und der von sînem künne niht dar zuo sî geborn! daz alte reht hab wir verlorn. daz was ê guot, sô man seit; mit valsche und mit bôsheit ist ez nû leider hin geleit.

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Wer damals mit Not zum Knappen taugte, der will heute Ritter werden; davon müssen die Vornehmen durch die Untauglichen Schaden erleiden. Ja, von den schlechten Standesgenossen hat man niemals einen Nutzen. Gott möge diese zu Fall bringen, die je die Ritterwürde dem verliehen haben, der den ritterlichen Stand nicht bewahren kann und der von seiner Familie her nicht für diesen durch Geburt bestimmt ist! Das alte (Standes-)Recht mögen wir verloren haben. Das war früher angesehen, wie man erzählt. Durch Unredlichkeit und Schlechtigkeit ist es nun leider nichtig geworden.

9. Schönheitspreis und Kampf mit dem Roten Ritter Man zieht weiter und begegnet einer allein reitenden Jungfrau (Elamie, Königin zu Tyrus). Heute wäre sie dem leichtfertigen Klatsch der Gesellschaft preisgegeben. Laut klagend verfolgt sie ihren Weg. Wigalois bittet Nereja, sich nach ihrem Leid erkundigen zu dürfen; diese, noch immer skeptisch gestimmt, anwortet, er möge tun wie er wolle, sie kümmere sich nicht um ihn. Die Jungfrau eröffnet Wigalois die Ursache ihres Leides. Der König von Irland habe ein Pferd, einen Papagei und einen Zwerg als Schönheitspreis ausgesetzt. Er sei ihr zuerkannt worden. Als sie ihn jedoch in Besitz habe nehmen wollen, habe ein Roter Ritter ihn ihr entrissen und seiner Geliebten gegeben. Niemand habe es gewagt, die Gewalttat zu verhindern. Nur der Papagei habe zornig protestiert. Auf Wigalois’ Anerbieten, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen, warnt sie ihn; er kenne die Tapferkeit und Kraft seines Gegners nicht. Dem Drängen des Ritters jedoch nachgebend, reitet sie den andern voran nach dem Lager, wo die Gesellschaft sich befindet. Hier zeigt sie Wigalois das Zelt des Roten Ritters und begleitet ihn nach dem Zelt ihrer Cousine, der Tochter der Königin von Persien, wo er freundlich aufgenommen und gepflegt wird. Dann führt die Jungfrau ihn zum Roten Ritter. Der Papagei begrüßt sie und sagt, er gehöre ihr von Rechts wegen. Wigalois fordert den Roten Ritter zum Kampfe. Bemerkung des Dichters, die Haarfarbe habe mit dem Charakter des Mannes nichts zu tun. Der Name des Roten: Graf Hojir von Mannesvelt. Ritterschaft sei sein Erwerb. Betrachtung über „gemach“ und „êre“. Der Kampf wird auf den folgenden Tag festgesetzt. Allgemeine Sympathie für Wigalois. Nur dem Auserwählten werde sie zuteil. Am andern Morgen waffnen ihn die Königin von Persien und ihre Damen. Messe. Wigalois besteigt sein Pferd. Hojir reitet ihm in roter Rüstung entgegen. Wappen: der Tod. Kampf, zuerst mit der Lanze, dann zu Fuß mit dem Schwert. Hojir wird besiegt, er muss den Schönheitspreis zurückgeben und wird mit seiner Geliebten an Artus’ Hof geschickt. Dem König solle er sagen, er sei vom „Ritter mit dem Rade“ überwunden. Von Hojir nach seinem Namen gefragt, macht er sich als Wigalois bekannt. Die Gesellschaft trennt sich, die Königin von Persien lädt Wigalois ein, sie zu begleiten, er lässt sich jedoch nicht aufhalten. Die Cousine der Königin reitet im Besitz ihres Schönheitspreises mit Wigalois und Nereja fort. Unterwegs bittet sie Wigalois, ihr in ihr Land zu folgen, damit sie ihm

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seinen Dienst vergelte. Wigalois entschuldigt sich, worauf sie enttäuscht und zornig das Pferd mit Papagei und Zwerg von sich treibt und fortreitet. Wigalois schenkt Nereja den Schönheitspreis, was sie versöhnlicher stimmt. (2349–3285)

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Dô er den sic dâ genam, als ez dem helde wol gezam, dô reit diu maget wol getân mit ir geselleschefte dan beidiu berge unde tal, dâ vil manic stimme hal, grôz unde kleine. eine juncvrouwen al eine sâhen si vür sich rîten. bî den selben zîten was daz gewonlîch, si wære arm ode rîch, daz si wol mohte durch ir muot rîten swar si dûhte guot, unbesprochen und âne leit. daz was dô gewonheit, swâ man deheine rîten sach, daz ir niemen niht ensprach. nu ist diu werlt valschaft und ist âne meisterschaft beidiu liute unde lant. eine vrouwen die man hât erkant an ir êren stæte, diu nimmer missetæte durch deheiner slahte guot, – sô sint die valschen sô gemuot daz si sô stæte niht mac gesîn sine slahen ir doch ein kläpfelîn mit worten und mit vâre. ezn mac nû zewâre ein vrouwe vür ir hûs niht komen, als ichz ofte hân vernomen, man spreche si gê durch bôsheit. reht und zuht ist hin geleit; man kapfet nû die valschen an! swer der werlt gespotten kan, des lache wir und merken daz. deiswâr, wir tæten michel baz und vlühe wir si alle tage. swer immer bœsiu mære gesage von den guoten wîben, des vreude müeze belîben mit jâmer unz an sîn ende,

Als er den Sieg davongetragen hatte, wie es dem Helden wohl zukam, ritt die schöne Jungfrau mit ihren Begleitern fort über Berg und Tal, wo sehr viele Stimmen ertönten, laut und leise. Sie erblickten vor sich eine ganz allein reitende Jungfrau. Zu der Zeit war das üblich, – wer sie auch sei – dass sie nach Wunsch und Gutdünken reiten konnte, wohin sie wollte, unbescholten und unversehrt. Das war damals selbstverständlich, wo immer man eine (Dame) reiten sah, dass niemand ihr etwas Böses nachsagte. Jetzt ist die Welt treulos und ohne Anstand sind Land und Leute. Hat man eine an ihrer Ehre beständige Dame kennengelernt, die um kein Vermögen jemals unrecht handeln würde, so sind die Treulosen (zu denken) geneigt, dass sie ja nicht so beständig sein werde, dass man ihr nicht doch am Zeuge flicken könne mit Worten und mit Hinterlist. Nun kann wirklich keine Dame aus ihrem Haus treten, so wie ich es schon oft gehört habe, ohne dass man tuschelt, sie gehe in schlechter Absicht. Recht und Sittsamkeit liegen darnieder; man bewundert nun die Unredlichen! Wer immer sein Gespött mit der Welt zu treiben weiß, mit dem lachen und den beachten wir. Wahrlich, wir täten besser daran, wenn wir (solche Leute) stets meiden würden. Wer immer böse Gerüchte von vortrefflichen Frauen erzählt, dessen Freude soll im Leide stecken bleiben bis ans Lebensende,

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wan si sint âne wende der werlte ein vil süezez spil. got gebe in sælde und vreuden vil! des ich in immer wünschen wil.

denn sie (die Frauen) sind unleugbar der Welt ein äußerst süßer Zeitvertreib. Gott gewähre ihnen Glück und zahlreiche Freuden! Das werde ich ihnen stets wünschen.

Als ich iu ê hân geseit, mit grôzer klage diu maget reit über die strâze al eine; ir vreude diu was kleine. si reit ein pfärit wol getân, unz ûf sîn knie reicht im diu man, daz was rôt alsam ein bluot. ir gereite daz was harte guot von golde und von gesteine. ouch vuorte diu maget reine einen roc von plîâte. von rôtem siglâte vuorte si eine kappen an; ein veder, wîz alsam ein swan, daz niht edlers mohte sîn, diu was guot härmîn, drin gefurrieret, mit zobeln wol gezieret. ir zöpfe wârn enpflohten gar; ûf den satel reichte ir hâr, daz was goltvar unde reit; dar ûf ein huot der was breit, von pfânvedern gestricket wol. ir herze daz was jâmers vol; si klaget unde weinde als siz von herzen meinde; man mohte vil wol an ir sehen daz ir leide was geschehen, wan si vil jæmerlîche schrê ‚owê mir armen wîbe, wê! ditz leit daz klage ich immer mê.‘

Wie gesagt, ritt die Jungfrau heftig klagend allein den Weg entlang; sie hatte keine Freude. Sie ritt ein stattliches Pferd, seine Mähne reichte herab bis zum Knie; es war rot wie Blut. Ihr Reitzeug war vortrefflich mit Gold und Edelsteinen (geziert). Auch trug die schöne Jungfrau einen Reiserock aus Bliant-Seide, (darüber) von rotem Siglat einen Kapuzenmantel. Da hinein war schwanenweißes Pelzwerk von kostbarster Qualität aus gutem Hermelin als Futter eingenäht und mit Zobel schön geziert. Ihre Zöpfe waren ganz aufgeflochten; bis auf den Sattel reichte ihr goldfarbenes, gelocktes Haar; sie trug einen breiten, von Pfauenfedern schön geflochtenen Hut. Ihr Herz war voll Kummer; sie wehklagte und weinte, wie es aus ihrem Herzen kam; man konnte ihr gut ansehen, dass es ihr übel ergangen war. Denn sie rief jämmerlichst: „O weh mir armen Frau, weh! Dieses Leid werde ich für immer beklagen.“

Vor jâmer si daz übersach daz si wider si niht sprach, dô si die strâze vür si reit. dem edeln rîter was vil leit ir kumber und ir swære. wer diu maget wære, daz was den gesellen unbekant. her Gwîgâlois sprach zehant ‚vrouwe, ich wil daz besehen waz der mägde sî geschehen

Vor Kummer versäumte sie es, sie anzureden, als sie die Straße dahinritt. Dem edlen Ritter gingen ihr Kummer und ihr Schmerz sehr nahe. Wer die Jungfrau war, wussten die Reisegefährten nicht. Herr Wigalois sagte sogleich: „Herrin, ich will in Erfahrung bringen, was der Jungfrau widerfahren ist

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od waz ir leides werre.‘ si sprach ‚lieber herre, nu tuot als ir gebietet, wan swaz ir mir gerietet, sô tæte ich doch nâch mîner kür; welt ir dar, sô rîtet vür und ervart dâ swaz ir welt.‘ ‚ich tuon vil gerne‘ sprach der helt. sîn manheit dûhte si dannoch kranc; dâ von er allez über ir danc nâch der âventiure reit. mit bet er si des überstreit daz si in mit ir rîten lie. dheinen gedingen gwan si nie, swaz manheit er begienge, daz in daz iht vervienge ern hêt den tôt doch an der hant, wand ir was daz wol bekant daz diu âventiure was sô ungehiure, swer si wolde erwerben, daz der dâ müese ersterben ezn wolde got dan understên; ân den mohtez niht ergên. si vorhte sîner kintheit; dâ von was ir sîn arbeit und sîn rîten mit ir leit.

oder welches Leid sie verdrießt.“ Sie meinte: „Lieber Herr, handelt so, wie Ihr es vorgeschlagen habt, denn was immer Ihr mir empfehlen würdet, so handelte ich doch auf eigenen Entschluss; wollt Ihr dorthin, so reitet voraus und erkundet dort, was immer Ihr wollt.“ „Das will ich gerne tun“, sprach der Held. Seine Tapferkeit erschien ihr da noch von geringem Wert. Daher ritt er ganz ohne Rücksicht auf ihre Meinung zur Aventiure aus. Mit Bitten überredete er sie, ihn mit ihr reiten zu lassen. Wie tapfer er sich auch zeigte, sie schöpfte keinerlei Zuversicht, dass ihm dies gegen den sicheren Tod nützen könnte, denn ihr war es völlig klar, dass die Aventiure so schrecklich war, dass jeder, der sie bestehen wollte, dort sterben müsste, wenn Gott es nicht verhindern würde. Ohne Gott konnte es nicht gelingen. Sie war besorgt wegen seines jugendlichen Alters; daher waren ihr seine Mühen und seine Begleitung ein Ärgernis.

Her Gwîgâlois, der küene man, lie sîn ros ze sprunge gân engegen der mägde wol getân. diu was, als ich gesaget hân, schœne und alsô rîche daz ich wæn ir gelîche in dem lande iht wære. dô si in grôzer swære was sô rehte sûberlîch, owê, wem was si gelîch ê si daz leit gewünne! daz si von küniges künne sô rehte schœniu wære geborn, des möhte ein tôre hân gesworn. ez schein wol an ir rîchen wât daz si deheinen unrât hêt von armuote. vil sêre si daz muote daz der rîter zuo ir reit;

Herr Wigalois, der kühne Mann, ließ sein Ross im Galopp zu der schönen Jungfrau laufen. Die war schön, ich sagte es bereits, und derart reich, dass es ihresgleichen (wie ich meine) in dem Land nicht gab. Da sie trotz großen Kummers derart hübsch war, o weh, wem kam sie gleich, bevor das Leid von ihr Besitz ergriff! Dass sie aus einem Königshaus stammen musste, als solche Schönheit geboren, das hätte selbst ein Tor beschwören können. An ihrer kostbaren Kleidung erwies sich wohl, dass sie keinen Mangel Armut halber litt. Es bekümmerte sie sehr, dass der Ritter auf sie zuritt;

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daz machet ir kumber und ir leit diu si von gewalte leit.

das bewirkten ihr Kummer und ihr Leid, die sie durch Gewalt erleiden musste.

Dô er ir sô nâhen kam daz er ir leides war genam und ir kumber rehte ersach, vil gezogenlîche er sprach ‚got minne iuch, liebiu vrouwe mîn! mac daz in iuwern hulden sîn daz ir mirz geruochet sagen, sô wil ich mit iu gerne tragen iuwern kumber und iuwer nôt, od ich lig ûf der verte tôt. ich hân daz wol an iu ersehen daz iu schade ist geschehen; ouch wolde ichz gerne wizzen baz.‘ ‚waz möhte mich gehelfen daz?‘ sprach diu maget wol getân ‚irn möht ez doch niht understân; wan mir daz selbe leit geschach daz ez vil manic rîter sach den ez an ir herze gie; diene mohten ez erwenden nie. ich sage iuz doch – waz wirret daz? –: über drî mîle ode baz dâ lît rîter harte vil, als ich iu nu sagen wil. ichn weiz ob irz ê habt vernomen war umbe si alle dar sint komen, iegelîcher mit sîner vriundin: dâ was ein rîterlîch gewin; den verlôs ich; des ich trûric bin.

Als er ihr so nahe gekommen war, dass er erfuhr, was ihr fehlte und ihren Kummer recht erwog, sagte er voller Anstand: „Gottes Segen, meine liebe Herrin! Wenn es Euch beliebt, Euch mir anzuvertrauen, so werde ich Euch gerne Euren Kummer und Eure Not tragen helfen oder auf diesem Wege sterben. Ich habe es Euch wohl angesehen, dass Euch ein Unheil widerfahren ist, doch würde ich gern Näheres erfahren.“ „Was könnte mir dies nutzen?“ erwiderte die schöne Jungfrau. „Ihr könntet es doch nicht mehr abwenden, denn mir widerfuhr dies Leid im Beisein vieler Ritter, denen es nahe ging; (auch) die konnten es nicht verhindern. Ich verrate es Euch jedoch – was schadet es? Drei Meilen oder mehr entfernt lagern sehr viele Ritter, wie ich Euch nun berichten werde. Ich weiß nicht, ob Ihr es zuvor gehört habt, weshalb sie alle dorthin gekommen sind, ein jeder mit seiner Geliebten: Da gab es einen stattlichen Preis. Den verlor ich, deshalb bin ich betrübt.

Ez hêt der künic von Îrlant durch âventiure dar gesant daz schœnest pfärt deich ie gesach und einen sitich, der wol sprach swaz er sprechen wolde. in einem hûse von golde was er beworht; daz ist mir kunt: daz koste mê dan tûsent pfunt von golde und von gesteine. daz werc daz was kleine, geworht vil meisterlîche und was gevuoclîche gesetzet zwischen die satelbogen. ir wænt des lîhte ich habe gelogen;

Der König von Irland hatte um der Aventiure willen dorthin das schönste Pferd geschickt, das ich je sah, und einen Papagei, der gut sprach, was immer er sprechen wollte. In einem goldenen Käfig war er eingeschlossen; dies weiß ich: Er kostete mehr als tausend Pfund an Gold und Edelsteinen. Es war eine feine Arbeit, ganz meisterhaft verfertigt und kunstfertig zwischen den Sattelbogen eingepasst. Ihr glaubt vielleicht, ich hätte gelogen –

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daz ich iu sage daz ist wâr. ez wârn die satelbogen gar von wîzem helfenbeine, mit golde und mit gesteine wol gefüllet über al. ein pfelle der was hin zetal drin gefurrieret. daz pfärit was gezieret mit einem zoume, des nam ich war, der was von rôtem golde gar. daz der zügel solde sîn, daz wâren borten guldîn, geworht mit grôzem vlîze; von berlen vil wîze knöpfe wârn geworht daran. daz pfärt was blanc als ein swan, wol geschicket, und wol getân. daz winster ôre und sîn man diu wâren rôt zinobervar; daz zeswe ôre was im gar swarz alsam ein kol. ein swarziu strieme teilte ez wol nâch dem rücke hin zetal unz ûf den zagel, der was [im] val, beidiu lanc unde breit. als ich iu ê hân geseit, daz pfärit wart gezogen dar niwan under der vrouwen schar; die muosen zeinem ringe stên. man hiez die rîter dar gên daz si die vrouwen sæhen. swelher si des jæhen daz si diu schœnest wære dâ, der gæbe ouch man daz pfärit sâ, wand ez der künic von Îrlant ûf die rede hêt dar gesant. sus kômens zuo der vrouwen schar und nâmen der [aller] schœnsten war diu under in was komen dar.

was ich Euch erzähle, entspricht der Wahrheit. Die Sattelbogen waren ganz aus weißem Elfenbein (geschnitzt), mit Gold und Edelsteinen ganz überzogen. Abwärts war er (der Sattel) mit Seidenzeug unterfüttert. Das Pferd war geschmückt mit einem Zaum, das bemerkte ich, der ganz aus rotem Gold (geschmiedet) war. Was als Zügel dienen sollte, bestand aus goldenen Bändern, mit großer Sorgfalt verfertigt; Knöpfe von (ganz) weißen Perlen waren daran befestigt. Das Pferd war weiß wie ein Schwan, wohlgestaltet und schön. Das linke Ohr und seine Mähne waren zinnoberrot. Sein rechtes Ohr war kohlschwarz. Ein schwarzer Streifen teilte es wohl über den Rücken hinunter bis hin zum hellen Schweif, der lang und buschig war. Wie ich Euch bereits erzählte, wurde das Pferd allein für die Damen dorthin gebracht, die mussten sich im Kreis aufstellen. Man hieß die Ritter dorthin gehen, damit sie die Damen betrachteten. Welcher von ihnen sie zugestehen würden, die Schönste dort zu sein, der hätte man auch sodann das Pferd gegeben, denn der König von Irland hatte es zu diesem Zweck dorthin gesandt. So kamen sie zu der Damenschar und prüften, wer die Schönste sei unter denen, die dorthin gekommen waren.

Dô si si gar besâhen, die rîter mir des jâhen ich wær diu schœnest under in, ich solde ouch haben den gewin. der rede wart ich harte vrô; daz pfärt antwurte man mir dô, den sitich und swaz drûffe lac

Als sie sie gänzlich gemustert hatten, gestanden mir die Ritter zu, die Schönste unter ihnen zu sein. Ich sollte auch den Preis erhalten. Die Entscheidung machte mich sehr glücklich; man übergab mir das Pferd, den Papagei und das Übrige,

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und ein getwerc daz sîn pflac; daz hêt gelebet mangen tac.

dazu einen Zwerg, der es versorgte; der hatte schon viele Tage gesehen.

Als ich mich sîn underwant, dô kom ein rîter sâ zehant, der was michel unde rôt. daz schœne pfärt er mir verbôt; er zôch ez mit gewalte hin und gap ez sîner vriundin. daz was den rîtern allen leit; nu pflac er solher manheit daz in dâ niemen torste bestân ezn müese im an den lîp gân. des zôch erz hin ungestriten; alsô bin ich dan geriten. daz ist mîn klage und tuot mir wê! der sitich jæmerlîche schrê bescheidenlîche als ein man zehant als er sichs versan daz in der rôte rîter nam. den schalt er unde was im gram; er klaget mich, daz hôrte ich wol. daz gevilde ist rîter vol und sîgent ouch iemitten zuo. si ligent dâ unz morgen vruo; sô scheidet sich diu rîterschaft. herre got, durch dîne kraft nu rihte mir!‘ sprach diu maget; ‚mîn leit daz sî dir gesaget, wan dir diu werlt älliu klaget.‘

Als ich den Preis entgegennahm, kam plötzlich ein Ritter, der war hochgewachsen und rot. Er verweigerte mir das schöne Pferd; mit Gewalt zog er es davon und gab es seiner Geliebten. Darüber erbosten sich alle Ritter. Nun war er aber von solcher Kampfeskraft, dass sich keiner zutraute, ihn zu stellen, ohne dass es ihm selbst ans Leben gehen würde. Daher zog er es unbehelligt davon; und so bin ich davongeritten. Das ist meine schmerzliche Klage! Der Papagei schrie jämmerlich, verständig wie ein Mensch, sobald er dessen gewahr wurde, dass ihn der rote Ritter raubte. Diesen beschimpfte er und war ihm böse; er bedauerte mich, das konnte ich hören. Das Feld ist noch von Rittern bevölkert und es kommen weitere herbei. Sie bleiben hier bis zum nächsten Morgen; dann nehmen die Ritter voneinander Abschied. Herrgott, mit deiner Macht lass mir Gerechtigkeit zuteil werden!“, sprach die Jungfrau, „Mein Leid sei dir geklagt, dem alle Welt ihren Kummer anvertraut.“

‚Vrouwe‘, sprach der rîter dô, ‚sît der rede ist alsô, sô sulen wir mit minnen daz pfärt wider gewinnen und swaz er iu genomen hât.‘ diu vrouwe sprach ‚die rede lât, irn wæret dan sô manhaft daz ir im mit rîterschaft den sic möht behaben an; des hân ich abe deheinen wân, wan niemen lebt bî dirre zît der wider in deheinen strît gehaben müge ân den tôt.‘ der rîter sprach ‚daz wære ein nôt sold er uns allen an gesigen;

„Herrin,“ sprach da der Ritter, „wenn es einmal so ist, so werden wir gütlich das Pferd wieder an uns bringen und was immer er Euch geraubt hat.“ Die Dame sprach: „Ihr sollt schweigen, es sei denn, Ihr wäret so tapfer, ihm im ritterlichen Kampf den Sieg abzuringen. Darauf setze ich jedoch keine Hoffnung, denn gegenwärtig gibt es niemanden, der einen Kampf mit ihm beginnen könnte, ohne zu sterben.“ Der Ritter sprach: „Das wäre schlimm, sollte er uns alle besiegen.

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ich wil dâ tôt von im geligen, ode er tuot iu, vrouwe, reht. ist er ein sô guot kneht als man iu gesaget hât, ich weiz wol daz er mich bestât. nu rîtet vür und wîset mich dar!‘ diu vrouwe sprach ‚nu sagt mir: war?‘ ‚hin, dâ die rîter sint.‘ ‚deiswâr, sô dûht ir mich ein kint, unde wolt ir den bestân dem sô manic biderbe man an rîterschaft des prîses jach und als ich selbe an im wol sach. iu ist sîn manheit unkunt.‘ die maget bat er unz an die stunt, swie ez ir doch wære leit, daz ers mit guote des überstreit daz si mit im wider reit.

Ich will sterben, wenn er Euch, Herrin, nicht Genugtuung leistet. Ist er ein so tapferer Mann, wie man Euch sagte, dann weiß ich, dass er sich mir zum Kampf stellt. Nun reitet voraus und weist mir den Weg dahin!“ Die Dame sprach: „Nun sagt mir, wohin.“ „Dorthin, wo die Ritter sich aufhalten.“ „Wahrlich, so erscheint Ihr mir wie ein Kind, wenn Ihr denjenigen stellen wollt, dem so viele tapfere Männer den Preis der Ritterschaft zugestanden haben, was ich selbst an ihm wohl bestätigt fand. Ihr seid Euch seiner Tapferkeit nicht bewusst.“ Er bat die Jungfrau so lange – obwohl es ihr überaus unrecht war –, bis es ihm gelang, sie gütlich zu überreden, und sie mit ihm zurückritt.

Sus ritens mit einander dan, daz getwerc, die mägde und der man. mit mangem guoten mære vertreip er in ir swære und kurzet in die stunde, als er vil wol kunde, unz si sô nâhen kâmen daz si den schal vernâmen von den rîtern über al. daz gevilde was ûf und zetal vollez pavelûne geslagen. si sâhens schœniu wâfen tragen; dise turnierten dâ, sô schirmten die anderswâ; si sâhen buhurdieren, die knappen justieren, tanzen unde singen, schiezen unde springen; als ich iu nu sagen wil, aller hande rîterspil was dâ âne mâze vil.

So ritten sie miteinander davon, der Zwerg, die Jungfrauen und der Ritter. Mit mancherlei guten Geschichten vertrieb er ihre Trübsal und verkürzte ihnen die Zeit, worauf er sich gut verstand, bis sie so nahe herankamen, dass sie den Lärm vernehmen konnten, der von den Rittern dort ausging. Das Feld war auf und ab voll von aufgeschlagenen Zelten. Sie sahen sie schöne Rüstungen tragen; Diese hier tjostierten, so parierten jene dort. Sie sahen Buhurte, Tjoste der Knappen, Tanzen und Gesangsdarbietungen, Bogenschießen und Weitsprung. Wie ich euch jetzt erzählen will, gab es dort vielerlei ritterliche Wettkämpfe ohne Ende.

Dô daz her Gwîgâlois ersach, ze sîner juncvrouwen er [dô] sprach diu in dar gewîset hêt ‚ichn kan niht wizzen wiez hie stêt und erkenne ouch ir deheinen; zeiget mir doch den einen

Als dies Herr Wigalois erblickte, sprach er zu seiner jungen Herrin, die ihn dorthin geführt hatte: „Ich kann nicht erkennen, wie die Dinge hier stehen, und mir ist auch niemand hier bekannt. Zeigt mir doch den einen,

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der iu daz pfärt genomen hât; des ist deheiner slahte rât iune müeze reht von im geschehen, od er mich dâ tôten vor im sehen ern welle mir rîterschaft versagen.‘ vil ungelîch tet er einem zagen. des wart diu maget harte vrô; mit willen zeiget si im dô dâ der rôte rîter lac, der grôzer hôchverte pflac, diu dem manne ist gar ein slac.

der Euch das Pferd weggenommen hat! Keinen anderen Ausweg gibt es: Entweder er gewährt Euch Euer Recht oder er wird mich als Toten vor sich sehen – sofern er mir den Kampf nicht verweigert.“ Er verhielt sich ganz und gar nicht wie ein Feigling. Darüber freute sich die Jungfrau sehr. Gern wies sie ihm darauf den Weg dorthin, wo der Rote Ritter lagerte, der von so hochfahrendem Sinn war, der jedem Ritter abträglich ist.

Si sprach ‚nu seht hin ûf daz velt! dâ stêt ein harte schœne gezelt von samît rôt unde blâ; mit golde ist ez eteswâ gevüllet meisterlîche. der rîter der ist rîche; daz schînet an sînem geverte wol. swaz ich leides von im dol, daz rihte, herre got, enzît! mîn niftel im dâ nâhen lît, des küniges tohter von Persîâ; in der gezelte was ich dâ; mit der suln wir belîben: diu kan uns wol vertrîben die zît mit vreuden, deist ir sit; dâ liebet si sich den liuten mit. si siht uns gerne, daz weiz ich wol, wand ir herze ist tugent vol; des willen si geniezen sol.‘

Sie sagte: „Nun seht hinüber auf das Feld! Dort steht ein sehr schönes Zelt aus rotem und blauem Brokat. Mit Gold(fäden) ist es überall kunstvoll besetzt. Der Ritter ist reich; das erweist sich wohl an seinem Aufzug. Was ich an Leid von ihm erdulden muss, das richte, Herrgott, beizeiten. Meine Cousine lagert in seiner Nähe, die Tochter des persischen Königs. In deren Zelt befand ich mich; bei der wollen wir bleiben: Die kann uns gut die Zeit mit Freuden vertreiben, das ist ihr Brauch; damit macht sie sich bei den Menschen beliebt. Sie trifft uns gerne, das weiß ich genau, denn ihr Sinn ist voller Tugend; das soll ihr zugute kommen.“

Mit vreuden ritens über daz velt vür vil manic schœne gezelt. dô si die maget sâhen mit vreuden wider gâhen der daz pfärit was genomen, und den rîter mit ir komen mit sîner juncvrouwen, dô wart dâ michel schouwen von den liuten über al zehant als daz mære erschal war umb der rîter dar was komen. als irz dâ vor habt vernomen, er wolde verliesen dâ sîn leben, ode man muose wider geben der mägde ir pfärit und ir guot.

Freudig ritten sie über das Feld vorüber an vielen schönen Zelten. Als sie die Jungfrau, der das Pferd weggenommen worden war, mit Freude zurückeilen sahen und den Ritter mit seiner jungen Herrin in ihrer Begleitung, fanden sich zahlreiche Schaulustige von überall ein, sobald kund wurde, warum der Ritter sich dort eingefunden hatte. Wie ihr es zuvor schon hörtet, wollte er dort sein Leben verlieren, oder man sollte der Jungfrau ihr Pferd und ihr Gut wiedergeben.

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er tet als der biderbe tuot, dem ie zem besten stêt sîn muot.

Er handelte wie der Tüchtige, dessen Sinn stets auf das Beste zielt.

Des küniges tohter von Persîâ diu saz in ir gezelte dâ mit vreuden, als ir sit was. ein schœniu maget vor ir las an einem buoche ein mære wie Troje zevuort wære und wie jæmerlîche Ênêas der rîche sich danne stal mit sînem her vor den Kriechen ûf daz mer, wie in vrouwe Dîdô enpfie und wiez im dar nâch ergie, als ez iu ofte ist geseit. innen des ir niftel reit mit ir geselleschefte dar; des nam diu küniginne war. daz mære man dô belîben lie. diu vrouwe mit ir gesinde gie und enpfie vil minniclîche die gesellen alle gelîche. ir nifteln nam si bî der hant; diu tet ir schiere daz erkant wie si der rîter hêt wider brâht, als ichs dâ vor hân gedâht. des nam si michel wunder und gedâhte iedoch darunder ‚wære er niht sô manhaft, ern hêt sich dirre rîterschaft nimmer underwunden.‘ die vrouwen im enbunden die riemen alle sâ zehant. dô schuter sîn îsengwant in sînen schilt ûf daz gras. vil snelle im bereitet was nach sînem willen ein reinez bat, als es diu küniginne bat, und harte guotiu kleider; diu wâren der beider von pfelle und von rôsâte: diu vrouwe was mit râte gevaren von ir lande; deheinen mangel si erkande; ir milte was âne schande.

Die Tochter des persischen Königs saß dort in ihrem Zelt, mit frohem Sinn, wie es ihre Art war. Eine schöne Jungfrau las ihr aus einem Buch eine Erzählung vor, wie Troja zerstört worden war und wie kläglich Eneas der Mächtige mit seinem Heer vor den Griechen auf das Meer floh, wie ihn Frau Dido aufnahm und was ihm später widerfuhr, so wie es euch oft erzählt wurde. Unterdessen ritt ihre Cousine mit ihrer Gesellschaft herbei; das bemerkte die Königin. Da unterbrach man die Erzählung. Die Dame kam und empfing mit ihrem Gefolge auf gleichermaßen liebenswürdige Art alle Reisegefährten. Ihre Cousine nahm sie an der Hand; die berichtete ihr sogleich, wie sie der Ritter zurückgebracht hatte, so wie ich es zuvor erwähnt habe. Das verwunderte sie sehr, doch dachte sie dabei: „Wäre er nicht so tapfer, hätte er sich dieses Kampfes niemals angenommen.“ Die Damen lösten ihm sogleich alle die Riemen auf. Dann schüttete er sein Kettenhemd in seinen Schild auf dem Rasen. Ganz rasch wurden ihm auf seinen Wunsch ein frisches Bad bereitet, wie es die Königin erbeten hatte, und ganz vortreffliche Kleider zurechtgelegt; die waren aus Pfellel und Rosate. Die Dame war mit reichlicher Ausstattung aus ihrem Lande gereist; ihr mangelte es an nichts; ihre Freigebigkeit konnte sich sehen lassen.

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Als der rîter wart gekleit, dô saz er ûf unde reit dâ er den rôten rîter vant. die maget nam er bî der hant der er gewalt hêt getân. si giengen beidiu vür in stân in sîn gezelt dâ er lac. vil grôzer hôchverte er pflac; er hêt sich hövischlîche ûf einen kulter rîche in sîner âmîen schôz geleit. waz touc nu mêr dâ von geseit? diu was ze wunsche wol gekleit.

Als der Ritter eingekleidet war, setzte er sich aufs Pferd und ritt dorthin, wo er den Roten Ritter antraf. Die Jungfrau, der jener Gewalt angetan hatte, nahm er bei der Hand. In seinem Zelt, wo er lagerte, traten sie vor ihn hin. Er verhielt sich äußerst hochfahrend. Er lag in höfischer Manier auf einer kostbaren Decke im Schoß seiner Freundin. Was soll ich mehr davon berichten? Diese war vortrefflich gekleidet.

Der sitich stuont vor in und sprach als er die juncvrouwen sach ‚willekomen, liebiu vrouwe mîn! ich sold et iuwer zerehte sîn; mit gewalte bin ich iu benomen. von swelhem dinge daz sî komen, daz nider got und rihtez hie, wand er gestuont dem rehten ie.‘ daz gap dem rîter guoten muot. guot trôst was ie zer nœte guot: swie manhaft ein herze sî, ist dâ niht guotes trôstes bî, ez kumt vil lîhte daz ez verzaget. swer ouch dem sînen kumber klaget der im deheines guotes gan und in ouch niht getrœsten kan, der dunket mich niht ein wîser man.

Der Papagei stand vor ihr und sprach, als er die Jungfrau erblickte: „Willkommen, meine liebe Herrin! Euch sollte ich nach Recht gehören. Mit Gewalt nahm man mich Euch weg. Aus welchem Grund auch immer dies so kam, Gott möge es hier erzwingen und berichtigen, denn er stand stets dem Gerechten bei.“ Das verlieh dem Ritter Zuversicht. Gute Zuversicht nützte von je her in der Bedrängnis: Wie tapfer ein Herz auch sei, wenn die Hoffnung fehlt, wird es dennoch leicht verzagen. Wer immer aber seine Not jemandem klagt, der ihm nichts Gutes vergönnt und ihn auch nicht zu ermuntern weiß, der scheint mir kein weiser Mann zu sein.

Als ir der herre wart gewar, mit hôhem muote sprach er dar ‚wen suochet ir, junger rîter, hie mit iuwer âmîen, die ir dâ leitet bî der hant?‘ der rîter sprach ‚wær iu bekant ir geburt und ir leben, sô solt ir ir wider geben daz pfärt daz ir erteilet wart. mit ir bin ich hie ûf der vart als ich iuch des biten wil. swie mir der bet doch sî ze vil – wand ich iu niht gedienet hân –, iedoch sô tuon ichz ûf den wân, gewert ir mich der selben gebe,

Als der Herr sie bemerkte, sprach er hochfahrend zu ihnen: „Wen sucht Ihr, junger Ritter, hier mit Eurer Freundin, die Ihr da bei der Hand führt?“ Der Ritter sprach: „Wäre Euch ihre Herkunft und ihr Stand bekannt, so würdet Ihr das Pferd, das ihr zuerkannt wurde, zurückgeben. Ich bin mit ihr auf diesem Weg, um dies von Euch zu fordern. Wenngleich mich diese Bitte verdrießt – denn ich habe Euch dafür keinen Dienst erwiesen – so spreche ich sie im Vertrauen darauf aus, dass ich es Euch vergelte, solange ich lebe,

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daz ichz diene die wîle ich lebe. ouch sult ir bedenken daz ir habt darumbe grôzen haz von den liuten über al. sô ist iu daz der meiste val daz ir gewalt an ir begêt, daz iu doch niht ze tuone stêt, wan si daz pfärt mit rehte hêt.

wenn Ihr mir diese Gabe gewährt. Auch müsst Ihr bedenken, dass Ihr deshalb großen Hass auf Euch geladen habt von all den Menschen (hier). Euer größtes Vergehen ist jedoch, dass Ihr ihr gegenüber Gewalt verübt, was Euch zu tun doch nicht geziemt, denn sie besaß das Pferd mit (vollem) Recht.

Durch got, erkennet ir ir reht!‘ der rîter sprach ‚herre guot kneht, ich wil iu râten waz ir tuot: nu lêrt iuch selben, daz ist iu guot. ir mugt mich niht gelêren, wand ich wil mîner êren an iuch lâzen sô ich minnest mac; daz was ie der tumben slac daz si sich durch ir tumpheit ofte grôzer arbeit underwindent; waz hilft si daz?‘ der rîter sprach ‚nu tuot ir baz, sît ir sô rehte wîse sît! deiswâr, daz lâze ich âne nît. welt ir der juncvrouwen mîn gnâden und rehtes wider sîn mit iuwerm gwalte den ir traget, sô sî iu von mir widersaget; ich wil iuch mit der gotes kraft und mit rehter rîterschaft morgen bestên ûf der plân; als ich mich vermezzen hân. vür wâr wil ich iu daz sagen: mac ich den sic dâ bejagen, sô volget uns daz pfärit hin; gevalle ab mir der ungewin, sô tuot ir dar nâch als ir welt.‘ des lachet dô der helt und wart der rede harte vrô, wan sîn muot der stuont alsô er vuor niwan nâch manheit; swaz er dâ vor ie gestreit des hêt er ie doch den sic genomen; daz was von sîner sterke komen. als hêten siz von im vernomen.

Um Gottes willen anerkennt ihr Recht!“ Der Ritter erwiderte: „Herr Ritter, ich werde Euch raten, was Ihr tun sollt: nun unterweist Euch selbst, das nützt Euch. Ihr könnt mich nicht belehren, denn ich werde von meinen Ehren Euch so wenig überlassen, wie ich kann. Es war stets das Unglück der Unerfahrenen, dass sie wegen ihrer Einfalt oft große Mühen auf sich laden; was nützt es ihnen?“ Der Ritter sprach: „Nun behandelt sie besser, da Ihr doch so wahrhaft weise seid! Wahrlich, das gestehe ich Euch gerne zu. Wollt Ihr meiner jungen Herrin gegenüber Euch Gnade und Recht widersetzen mit der Stärke, über die Ihr verfügt, so sei Euch von mir der Friede aufgekündigt. Ich werde Euch mit dem Beistand Gottes und mit wahrhaft ritterlichem Kampf morgen auf dem Kampfplatz standhalten; dazu habe ich mich kühn entschlossen. Wahrlich, dies will ich Euch sagen: Kann ich den Sieg dort erringen, so wird uns das Pferd nachfolgen. Fällt aber mir die Niederlage zu, so verfahrt danach, wie Ihr wollt.“ Darüber lachte der Held und freute sich sehr über die Worte, denn er war so gesinnt, dass er nur der Tapferkeit wegen auszog. Was immer er zuvor an Kämpfen bestritten, hatte ihm stets den Sieg eingetragen. Dies verdankte er seiner Stärke. So hatten sie es über ihn gehört.

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Im was der bart und daz hâr beidiu rôt, viurvar. von den selben hœre ich sagen daz si valschiu herze tragen; des gelouben hân ich niht: swie man den getriuwen siht, in swelher varwe er schînet, sîn herze sich doch pînet ûf triuwe und ûf güete. ob ein valscher blüete als ein rôse diu dâ stêt, ûz im doch niwan valschez gêt. swie sîn hâr ist getân, ist et er ein getriuwer man, diu varwe im niht geschaden kan.

Sein Bart und Haupthaar waren rot, ja, feuerrot. Über solche Männer höre ich reden, dass sie einen unredlichen Charakter besitzen. Diesen Glauben teile ich nicht: Den Getreuen, in welcher (Haar-)Farbe er sich auch immer zeigt, zwingt sein Herz stets zur Treue und zur Güte. Selbst wenn ein Treuloser wie eine Rose blühen würde, so kommt doch nur Unredliches aus ihm. Wie auch immer sein Haar beschaffen ist, wenn er nur ein getreuer Mann ist, so kann ihm die Haarfarbe keinen Nachteil bringen.

Der herre der was rîche; an manheit sîn gelîche der was ninder in der schar. ez hêt von im, daz ist wâr, vil manger sînen lîp verlorn; er was von Mannesvelt geborn, der grâve Hojir was er genant; durch manheit in vremdiu lant was er gevaren mangen tac;. rîterschaft was sîn bejac. als ich iu nu sagen wil, êren unde guotes vil hêt er erworben mit sîner hant; zIspanje was er wol bekant, swie er ein Sahse wære; im was dâ heime unmære sich ze verligen einen tac, wan mit gemache niemen mac grôze êre erwerben. von rehte sol er verderben der dâ heime sich verlît und sich vlîzet zaller zît daz sînem lîbe sanfte sî, wan bœse gemach ist êren vrî. swer sich an êren wil erholn, der muoz benamen kumber doln und underwîlen arbeit. ez wirt vil selten hirz erjeit mit slâfendem hunde; træges wolves munde geschiht von spîse selten guot;

Der Herr war reich; an Kühnheit kam ihm nirgendwo in der (Ritter)Schar jemand gleich. Es hatten von seiner Hand, das ist wahr, sehr viele ihr Leben verloren. Er war von Mansfeld geboren und hieß Graf Hoyer. Viele Jahre war er in fremde Länder um der Tapferkeit willen gezogen; ritterlicher Kampf war sein Erwerb. Wie ich euch nun erzählen werde, so hatte er Ehren und viel Besitz mit seiner Hand erworben. In Spanien war er berühmt, obwohl er ein Sachse war; zu Hause sich auch nur einen Tag zu ‚verliegen‘ war ihm verhasst, denn mit Bequemlichkeit kann niemand große Ehre erringen. Zu Recht soll der zugrunde gehen, der sich zu Hause ‚verliegt‘ und sich stets darauf kapriziert, dass es seinem Leib wohl ergeht, denn schändliches Nichtstun ist ohne Ehre. Wer seine Ehre wieder aufrichten will, der muss wahrlich Not ertragen und dabei (auch) Kampfesmühen. Der Hirsch wird von der Hundemeute nicht im Schlaf erjagt. Ein träger Wolf erschnappt niemals für sich das beste Stück.

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der dinge was er wol behuot: ern hêt sich heime niht verlegen. mit sîner kunst wânde der degen den rîter überwinden; ern trûwet an im niht vinden alsô grôze meisterschaft. dâ was kunst unde kraft, sælde unde manheit; diu hêt got an in geleit; dâ mit erz allez überstreit.

Vor derlei nahm er sich wohl in Acht: Er hatte es sich daheim nicht bequem gemacht. Mit seinen Kampfeskünsten glaubte der Held den Ritter zu überwinden. Er traute diesem nicht eine derart große Meisterschaft zu. Da waren Können und Kraft, Glück und Tapferkeit, womit Gott ihn ausgestattet hatte; damit überwand er alles.

Dô man sîn ernest rehte ersach, der grâve zuo dem rîter sprach ‚herre, bereit iuch dar zuo: kumt her wider morgen vruo, als ir messe habt vernomen, und lâze wir dar zuo komen rîter unde vrouwen, die ez wellen schouwen. sît ir dan sô manhaft, daz ir mir mit rîterschaft den sic muget behaben an, ich wirde iu gerne undertân swes ir mir gebietet. ich vürhte ab ir genietet iuch ê der rîterschefte. irn habt niht ganzer krefte; der sinne sît ir gar ein kint; iuwer kraft diu ist ein wint wider einen starken man. ezn welle got dan understân, ir müezet uns hie lâzen ein pfant.‘ her Gwîgâlois sprach sâ zehant ‚ez müez under uns beiden got ze rehte scheiden; dem wil ichz enpfelhen gar, wand er nam ie des rehten war; ân in kan ich niht strîten. ich wil nu wider rîten mit urloube zer vrouwen mîn.‘ ‚got müez iu genædic sîn!‘ sprach diu vrouwe und der man. sus reit her Gwîgâlois von dan mit der mägde wol getân.

Als man seine ernste Absicht erst wirklich erkannte, sprach der Graf zu dem Ritter: „Herr, bereitet Euch vor: Kommt morgen früh zurück, sobald Ihr die Messe gehört habt, und lassen wir die Ritter und Damen dazu kommen, die es miterleben wollen. Wenn Ihr dann so tapfer seid, mir im Kampfe den Sieg abzuringen, werde ich mich Euch bereitwillig unterwerfen, was auch immer Ihr mir gebietet. Ich befürchte jedoch, Ihr werdet eher des Kampfes überdrüssig. Ihr verfügt nicht über die vollen Kräfte; von Verstand seid Ihr ein Knabe; Eure Kraft vermag nichts auszurichten gegen einen starken Mann. Und wenn Gott es nicht verhindert, werdet Ihr uns hier ein Pfand lassen müssen.“ Herr Wigalois sprach sofort: „Unseren Kampf wird Gott dem Recht gemäß entscheiden; in seine Hände will ich es legen, denn er nahm sich stets des Gerechten an; ohne ihn vermag ich nicht zu kämpfen. Mit Eurer Erlaubnis werde ich nun zu meiner Herrin zurückkehren.“ „Gott sei Euch gnädig.“ sprachen die Herrin und der Ritter. So ritt Herr Wigalois mit der schönen Jungfrau davon.

Diu mære vlugen über daz velt von der hütte in daz gezelt

Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile auf dem Platz von Hütte zu Zelt,

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wie ein rîter wære komen, als irz ê habt vernomen, mit der mägde wol getân: der wolde den grâven bestân der der rôte rîter hiez, dar umbe daz er niht enliez niwan durch sînen übermuot der mägde ir pfärit und ir guot, daz ir erteilte manic man; dar umbe wolde er in bestân eine ûf der heide ir einem ze leide, wand erz mit deheinen minnen mohte wider gwinnen. dô bat dâ man unde wîp daz got sînen jungen lîp vriste unde behuote. si gunden in ir muote dem jungen rîter glückes wol; daz doch dem manne helfen sol ob im diu werlt guotes gan, wan swer daz verdienen kan daz im diu werlt sprichet guot, der sol vor leide sîn behuot, wand ir ist leider nû niht vil die diu sælde ûf ir zil sô gärlîche lâze daz si mit der mâze älliu dinc verenden. got müeze im helfe senden der ir lop erwerben sol, wan si ist leider valsches vol. dâ von muoz er sîn erwelt der zem besten wirt gezelt; daz bejagt her Gwîgâlois der helt.

dass ein Ritter mit der schönen Jungfrau gekommen war – wie ihr es bereits vernommen habt – der den Grafen herausfordern wollte, der der Rote Ritter genannt wurde, weil dieser nur aus Hochmut der Jungfrau Pferd und Habe nicht zurückgab, welche ihr viele Ritter zuerkannt hatten. Daher wollte er ihn herausfordern, allein auf der Heide, für einen von ihnen beiden mit bösem Ende, denn er konnte sie auf gütliche Art nicht zurückgewinnen. Da baten alle Anwesenden Gott, sein junges Leben zu erhalten und zu schützen. Still bei sich gönnten sie dem jungen Ritter gutes Gelingen. Das möge auch dem Manne nützen, wenn die Welt ihm Gutes gönnt, denn wer immer es versteht, sich dies zu verdienen, dass die Welt ihm Gutes nachsagt, der wird vor Leid sicher sein. Nur gibt es leider nur sehr wenige, die das Glück so gänzlich an sich heranlässt, so dass sie auf diese Weise alle Dinge (glücklich) zu Ende bringen. Gott möge dem seinen Beistand leisten, der seinen (des Glückes) Preis erringen will, denn es ist leider voller Treulosigkeit. Daher muss er auserwählt sein, den man für den Besten hält; dies errang Herr Wigalois, der Held.

Mit vreuden gie diu naht hin. des andern morgens wâfent in diu künigîn von Persîâ und vil manic vrouwe dâ mit vlîze in sîn îsengwant unde vuorten in zehant dâ er messe vernam, als ez dem helde wol gezam, von den drin genenden. dô si ir bet verenden und messe wart gesungen,

Mit Freuden ging die Nacht vorüber. Am nächsten Morgen wappneten da die Königin von Persien und zahlreiche Damen ihn sorgfältig mit seiner Rüstung und führten ihn sogleich dorthin, wo er – wie es dem Helden wohl zukam – die Messe von der Dreieinigkeit hörte. Als sie ihr Gebet beendet hatten und die Messe gesungen worden war,

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die rîter zuo im drungen und trôsten in als einen man dem diu werlt guotes gan. sîn ors wart im gezogen dar; daz was wol bedecket gar mit einer kovertiure. im wart dâ ze stiure gegeben manic reiner segen. si bâten sîn got alle pflegen beidiu arme und rîche. vil vermezzenlîche spranc er ûf daz ors sîn. den schilt reicht im diu künigîn, daz sper diu maget wol getân der er gewalt hêt getân mit dem er solde strîten. nu sach er gegen im rîten den selben rîter sâ zehant. der was dâ bî wol bekant: sîn wâfen daz was allez rôt; an sînem schilte was der Tôt gemâlet vil griulîche. ‚wîchâ, herre, wîche!‘ die garzûn alle riefen die dâ vor im liefen. si wârn siges an im gewon. dô schiet ab in dâ von sîn unreht und sîn hôchvart. ein rinc in gemachet wart daz si zesamne mohten komen. mit nîde wurden dô genomen diu ors beidiu mit den sporn. dâ wart manic sper verlorn in vil kurzen stunden. der rôte hêt dâ vunden alrêrst sînen gestrîten. si begunden vaste rîten beide einander ûf daz leben. dem jungen rîter wart gegeben ein starkez sper in sîne hant. dô kêrte er an den wîgant nâch sînes vater lêre. dône mohter niht mêre gewern vor dem kinde: er stach in alsô swinde von dem orse ûf daz gras daz im der sprâche zerunnen was.

umringten ihn die Ritter und sprachen ihm als einem Mann, dem die Welt Gutes gönnt, Mut zu. Sein Ross wurde herbeigeführt; es war wohl ganz bedeckt mit einer Samtdecke. Zum Beistand wurden ihm da viele aufrichtige Segenswünsche mitgegeben. Sie alle baten Gott, sich seiner anzunehmen, alle gleichermaßen, ohne Unterschied. Kühn sprang er auf sein Ross. Die Königin reichte ihm den Schild, die Lanze die schöne Jungfrau, der jener, mit dem er kämpfen sollte, Gewalt angetan hatte. Nun sah er denselben Ritter sogleich auf sich zureiten. Der war dadurch wohl zu erkennen: Seine Rüstung war gänzlich rot; auf seinem Schild war der Tod ganz grauenerregend aufgemalt. „Flieht, Herr, flieht!“ riefen alle Pagen, die ihm vorauseilten. Sie waren gewohnt, ihn siegen zu sehen. Doch brachten ihn um diesen (Sieg) sein Unrecht und sein Hochmut. Ein Kampfplatz wurde ihnen bereitet, auf dem sie einander begegnen sollten. Grimmig wurden da beiden Rossen die Sporen gegeben. In kurzer Zeit wurden viele Lanzen ruiniert. Zum ersten Mal hatte der Rote einen Ebenbürtigen gefunden. Sie ritten heftig (aufeinander zu), jeder dem andern nach dem Leben trachtend. Dem jungen Ritter wurde eine starke Lanze in die Hand gegeben. Da wandte er sich gegen den erfahrenen Helden, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte. Da vermochte er dem Knaben keine Gegenwehr mehr zu leisten: Dieser stach ihn so schnell vom Pferd herunter ins Gras, dass ihm die Sprache versagte.

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daz was im dâ vor nie geschehen. zesamne begundens alle sehen, mit worten im des prîses jehen.

Das war ihm nie zuvor geschehen. Alle sahen es und sprachen ihm den Preis zu.

Von dem orse erbeizter nider. der grâve kom ze sinnen wider; er spranc ûf und lief in an. wolde er daz erwendet hân, daz hêt er ê vil wol getân dô er sich ligende niht versan. daz liez er durch sîn êre. des leit er deste mêre von im slege âne nôt. er hêt in nâch ûf sînen tôt gespart, als vil manger tuot der durch sînen hôhen muot sînes vîndes schônet, wand er im des lônet mit dem tôde, swenne er mac. dâ gie slac wider slac; ir deweder dem andern niht vertruoc. der grâve doch den rîter sluoc unz an des kreizes ende. dô zarten ir gebende die vrouwen vor leide; sich huop ûf der heide von den vrouwen an dem tage vil grôzer jâmer unde klage. ez rief diu maget wol getân mit jâmer unsern herren an durch die er die nôt bestuont, als die getriuwen tuont. si sprach ‚herre, reiner got, nu ist ez allez in dîm gebot: der werlte tôt und ir leben; geruoche mînem kempfen geben mit dîner helfe ganze kraft an dirre herten rîterschaft, wan du, keiser, vil wol weist, vater, sun, hêrre geist, daz er gewalt an mir begêt.‘ dô die klage der rîter hêt vernomen von den vrouwen, dô begunder vaste houwen; beidiu schilt und îsengwant sluoc er im allez von der hant und treip in durch den kreiz wider.

Er saß ab. Der Graf kam wieder zur Besinnung, sprang auf und rannte gegen ihn an. Er hätte es beenden können – das hätte er zuvor recht gut ausführen können, als jener, am Boden liegend, ohne Bewusstsein war – doch unterließ er es um seiner Ehre willen. Davon erlitt er umso mehr unnötige Schläge (vom Grafen). Beinahe hätte er ihn zu seinem eigenen Verderben geschont, wie einige, die durch ihre stolze Gesinnung ihren Gegner schonen, obgleich der es ihm mit dem Tod dankt, wenn sich ihm Gelegenheit bietet. Da folgte Schlag auf Schlag. Keiner der beiden blieb dem andern etwas schuldig. Doch trieb der Graf den Ritter mit Schlägen bis ans Ende des Kampfplatzes. Da rissen die Damen vor Leid an ihren Gebenden. Auf der Heide erhob sich an diesem Tag lautes Jammern und Klagen auf Seiten der Damen. Die schöne Jungfrau, derentwegen er die Kampfesnot ertrug, rief bekümmert unseren Herrgott an, wie es getreue Menschen tun. Sie rief: „Herr, guter Gott, da alles in deiner Macht steht: Tod oder Leben in der Welt; so gib meinem Streiter durch deinen Beistand umfassende Kraft in diesem harten Kampf, denn du, Kaiser, weißt sehr wohl, Vater, Sohn, Heiliger Geist, dass jener mir Gewalt antut.“ Als der Ritter die Klagerufe der Damen vernommen hatte, schlug er fest zu. Schild und Kettenhandschuh schlug er ihm ganz von der Hand und drängte ihn durch den Ring zurück.

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man sach daz bluot vallen nider von den starken wunden. sus wart er überwunden von dem jungen rîter dâ. dô muos er im sichern sâ swaz er in tuon hieze, daz er des niht enlieze; dar umbe liez er im sîn leben. daz pfärit muose er wider geben und den sitech âne danc. daz im dâ sô wol gelanc, des wart daz liut allez vrô. mit grôzem schalle vuorte in dô diu künigîn von Persîâ durch ruowe in ir gezelt sâ. ouch volget im dar in sîn vil rîterlîch gewin und die rîter âne zal. sich huop dâ vil grôzer schal. ir vreude was des rôten val.

Man sah das Blut aus tiefen Wunden fließen. So wurde er dort von dem jungen Ritter überwältigt. Da musste er ihm sogleich zusichern, was immer er ihm zu tun auftrug, nicht zu unterlassen; dafür ließ er ihm sein Leben. Das Pferd wie auch den Papagei musste er wider Willen zurückgeben. Über seinen Erfolg freuten sich alle Menschen. Unter Freudenlärm führte ihn da die Königin von Persien zum Ausruhen in ihr Zelt. Auch folgte ihm dort hinein seine überaus stattliche Trophäe und zahllose Ritter. Ein großer Lärm erhob sich da. Die Niederlage des Roten war ihre Freude.

Dô er den prîs dâ hêt bejaget, als ich iu nu hân gesaget, den grâven hiez er sichern des: – welt irz vernemen, ich sagiu wes – daz er und sîn vriundin vüeren gegen Britanje hin zem milten künige Artûs und dâ wæren in sînem hûs unz er dar nâch im kæme; swer daz gerne vernæme wer in dar hêt gesant, daz erz im alsô tæte erkant: ‚daz hât der rîter mit dem rade.‘ der grâve sprach ‚daz wær mir schade soldich iuch niht erkennen baz.‘ der rîter sprach ‚wie kæme daz?‘ ‚dâ vüert vil manic man daz rat der nimmer kumt an iuwer stat an geburt und an manheit. dar umb wære ez mir leit und wesse gerne iuwern namen. irn durft iuch nimmer des geschamen daz iu an mir gelungen ist, wan daz weiz unser herre Krist daz ez mir nie mê geschach.‘ der junge rîter aber dô sprach

Als er den Preis errungen hatte, wie ich euch nun schon erzählt habe, ließ er den Grafen folgendes zusichern: – wenn ihr es hören wollt, sage ich euch was – dass er und seine Freundin nach Britannien zu dem freigebigen König Artus ziehen und dort in seinem Haus verbleiben sollten, bis er nachfolgen würde. Wer immer es gerne wissen wollte, wer ihn dorthin gesandt hätte, den solle er es folgendermaßen wissen lassen: „Das hat der Ritter mit dem Rad getan.“ Der Graf sprach: „Das wäre mein Nachteil, wenn ich Euch nicht besser kennenlernen dürfte.“ Der Ritter drauf: „Wie käme ich dazu?“ „Viele Männer führen das Rad, von denen niemals einer an Geburt und Tapferkeit Euch gleich kommt. Darum würde es mir leid tun, wenn ich Euren Namen nicht erführe. Ihr dürft für immer stolz darauf sein, mich besiegt zu haben, denn das weiß unser Herr Christus, dass mir solches nie zuvor widerfahren ist.“ Da erwiderte der junge Ritter:

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‚ich wil mich iu nennen daz ir mich mügt erkennen, sît irs sô vlîziclîche gert, wand ir sît aller êren wert. ich bin Gwîgâlois genant und hân gedâht mit mîner hant der besten lop erwerben od mänlîch ersterben; alsô bin ich ûz gevarn.‘ ‚herre, got müez iuch bewarn.‘ sprach der grâve Hojir ‚und gevüege uns noch daz wir mit vreuden müezen ein ander sehen; swaz mir von iu ist geschehen des wil ich niht laster hân.‘ dô nam er urloup und schiet dan engegen Britanje, als er gebôt. dâ wurden liehtiu ougen rôt dô sich diu rîterschaft zerliez; dem herren Gwîgâlois gehiez geselleschaft vil manger dâ. sus schieden sich die rîter sâ beidiu mit vreuden und mit klage. ez was wol nâch mittem tage und hêten zît ze rîten die dâ niht wolden bîten unz an den andern morgen. dâ was unverborgen triuwe unde minne; mit worten und mit sinne erbuten siz ein ander wol, als ein vriunt dem andern sol der im dienstes ist bereit und im ganze triuwe treit ân aller slahte bôsheit.

„Ich will Euch meinen Namen nennen, woran Ihr mich erkennen könnt, da Ihr es so nachdrücklich begehrt, denn Euch gebührt jedwede Ehre. Man nennt mich Wigalois und ich habe mir vorgenommen, mit eigener Hand die Wertschätzung der Besten zu verdienen oder mannhaft zu sterben. Deshalb bin ich unterwegs.“ „Herr, Gott möge Euch schützen“, sprach der Graf Hoyer „und er füge es, dass wir einander in Freude auch wiedersehen. Was immer mir von Euch widerfahren ist, rechne ich mir nicht zur Schande an.“ Da verabschiedete er sich und verließ sie in Richtung Britannien, wie jener befohlen hatte. Da röteten sich klare Augen, als so die ritterliche Zusammenkunft ein Ende nahm. Herrn Wigalois sicherte da so mancher seine Freundschaft zu. So trennten sich dort die Ritter mit Freude und mit Bedauern. Die Mittagszeit war gerade vorbei, so dass sich für diejenigen, die nicht bis zum nächsten Morgen warten wollten, der Aufbruch noch lohnte. Da wurden Freundestreue und Freundschaft offen gezeigt; mit Worten und (in bester) Absicht erwiesen sie sie einander, so wie es ein Freund mit dem anderen halten soll, der bereit ist, für ihn einzutreten, und ihm reine Treue entgegenbringt ohne jegliche böse Absicht.

Sus schieden si sich alle dâ. diu künigîn von Persîâ bat den rîter mit ir varn. er sprach ‚vrouwe, ich muoz bewarn daz ich mich iht versûme; jâ erbat ich des vil kûme die lieben juncvrouwen mîn diu mîn geleite dar sol sîn daz si hie her mit mir reit.‘ diu vrouwe sprach ‚herre, seit, war sol si iuch leiten?‘

So trennten sie sich. Die Königin von Persien bat den Ritter, sie zu begleiten. Er sprach: „Herrin, ich muss mich sputen; ja, ich erbat mit Mühen von meiner lieben jungen Herrin, die mich dorthin führen soll, dass sie zusammen mit mir hierher ritt.“ Die Dame sprach: „Herr, sagt, wohin soll sie Euch geleiten?“

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9. Schönheitspreis und Kampf mit dem Roten Ritter

‚des wil ich iuch bereiten: zeiner âventiure diu ist sô ungehiure daz si niemen mac bestân ezn müeze im an den lîp gân; dar an ich mich niht sûmen wil.‘ dô wart im genigen vil von den vrouwen über al; diu dienest wâren âne zal diu man den rîter ane bôt. sus nam er urloup in den tôt und gnâdet der küniginne triuwen unde minne die si im bescheinde. ir niftel sêre weinde und kuste die vrouwen alle. sus vuor si mit schalle und mit grôzer rîcheit. ir spîse was allen den bereit die si wolden ezzen. an ir was niht vergezzen deheiner slahte güete, wand ir reine[z] gemüete ie nâch êren blüete.

„Das will ich Euch kundtun: zu einer Aventiure, die so schrecklich ist, dass niemand sie bestehen kann, ohne dabei das Leben zu verlieren. Dorthin will ich nicht zu spät kommen.“ Da erwiesen die Damen im Umkreis ihm ihre Ehrerbietung. Grenzenlose Verehrung brachte man ihm entgegen. So verabschiedete er sich in den Tod und dankte der Königin für Treue und Wohlwollen, die sie ihm bezeugt hatte. Ihre Cousine weinte sehr und gab allen Damen einen Abschiedskuss. So schied sie unter lautstarker Anteilnahme und in großer Pracht. Ihre Speisen standen allen, die sie genießen wollten, zur Verfügung. Sie besaß alle Vorzüge, denn ihr lauteres Wesen öffnete sich stets der Ehre.

Her Gwîgâlois und diu maget von der ich iu nu hân gesaget der er daz pfärt wider gewan, die riten mit ein ander dan, diu juncvrouwe und diu zwei getwerc, über einen hôhen berc durch michel waltgevelle nider. dô kômen si ze der strâze wider die diu maget vür si reit, dô si klagte ir herzeleit. sînen zoum vie si mit der hant; si sprach ‚rîter, sît gemant iuwer güete und iuwer êren, daz ir geruochet kêren mit mir heim ze lande (des sît ir âne schande – ich bit iuch sîn vil verre – daz ez iu unser herre vergelten müez durch sînen tôt!), daz ich verdiene die grôzen nôt die ir durch mich habt erliten.‘ er sprach ‚vrouwe, lât iuwer biten;

Herr Wigalois und die Jungfrau, der, wie ich euch gerade erzählt habe, er das Pferd zurückgewonnen hatte, ritten miteinander davon, die Jungfrau und die beiden Zwerge, über einen hohen Berg und herab durch eine mächtige Schlucht. Da erreichten sie die Straße wieder, auf der die Jungfrau ihnen begegnet war, als sie ihren Kummer klagte. Sie ergriff seine Zügel und sprach: „Ritter, erinnert Euch an Eure Vortrefflichkeit und Eure Ehre und entschließt Euch, mit mir in mein Land zu kehren (dafür habt Ihr Euch nicht zu schämen – ich bitte Euch nachdrücklich darum – möge unser Herrgott es Euch vergelten durch seinen Kreuzestod), damit ich die großen Kampfesnöte wieder gut mache, die Ihr um meinetwillen erlitten habt.“ Er sprach: „Herrin, steht von Eurer Bitte ab.

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ir sult sîn niht ze harte gern, wand ichn mac iuch [sîn] niht gewern. ich muoz in kurzer zît bestân, als ich mich an genomen hân, die âventiure ze Korntîn; dar sol ich mit der vrouwen mîn komen sô ich schierest mac. ez würde mîner êren slac ob ich die lieze under wegen. got müez iuwers lîbes pflegen, und gebe iu sælde und êre! wan swaz ich mich nu mêre sûmte hie, des gwünne ich schaden.‘ si mohte in niht sô vil geladen sin verlür ir vlêhen und ir bet. dô er niht nâch ir willen tet, dô klaget si und weinde als ê. ir jâmers wart dô michels mê dan sîn dâ vor wære gewesen; vor leide trûwet si niht genesen, und wære ir verre baz geschehen hêt si den rîter nie gesehen, wand ir von sîner hinvart ir reinez herze beswæret wart, mit jâmer êwiclîch bespart.

Ihr dürft nicht zu sehr darauf bestehen, denn ich kann es Euch nicht erfüllen. Ich muss in Kürze, wie ich es mir vorgenommen habe, die Aventiure von Korntin bestehen; dorthin muss ich mit meiner Herrin auf dem schnellsten Wege kommen. Es wäre tödlich für meine Ehre, wenn ich sie versäumte. Gott möge Euer Leben beschützen und Euch Glück und Ehre schenken! Jeder Augenblick, den ich noch zögerte, gereichte mir zum Schaden.“ Sie konnte ihn noch so sehr bedrängen: Ihr Flehen und Bitten war vergebens. Als er ihr nicht nachgab, da klagte und weinte sie wie zuvor. Ihr Kummer wurde sogar noch größer als er zuvor gewesen war. Vor Leid meinte sie nicht länger leben zu können, und es wäre besser gewesen, hätte sie den Ritter nie getroffen, denn von seiner Weiterreise wurde ihr lauteres Herz so schwer, von Kummer auf ewig verschlossen.

Dô si ir bet niht vervie und ez an ein scheiden gie, daz si daz gänzlîche ersach, zem jungen rîter si dô sprach ‚sît ir mich niht mugt gewern, sô wil ouch ich der gâbe enbern die ich von iu enpfangen hân. ir wænt des lîhte ich habez getân ze minnern mîne armuot? ich hân lant unde guot, liute und êren alsô vil daz ich der gâbe niht enwil. ir sult von rehte iuwern gewin geben iuwer vriundin, wand ich sîn guoten rât hân.‘ dô muose daz pfärit dâ bestân: si treipz von ir mit slegen dô; des wart der rîter vil unvrô, wand er sis alles widerstreit, ez wære im liep ode leit. sus nam si urloup unde reit.

Da ihr die Bitte nichts nützte und es ans Abschiednehmen ging, und sie dessen vollends innewurde, sprach sie zu dem jungen Ritter: „Da Ihr mich nicht zu erhören vermögt, so will ich auch auf die Gabe verzichten, die ich von Euch empfangen habe. Ihr glaubt sicher, ich habe es getan, um meine Armut abzuwenden? Ich besitze so viele Länder und Güter, Leute und Ehren, dass ich dieses Geschenk nicht haben möchte. Ihr mögt zu Recht Euren Gewinn Eurer Freundin geben, denn davon habe ich selbst genug.“ Da musste das Pferd dort bleiben: Sie trieb es mit Schlägen von ihr fort, ob es ihm nun gefiel oder nicht, weil er sich ihr hierin ganz und gar widersetzt hatte. Darüber wurde der Ritter sehr betrübt. So nahm sie Abschied und ritt davon.

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10. Vorrechts-Kampf mit Schaffilun

Der rîter sich dô underwant des schœnen pfärdes sâ zehant und alles des dar ûffe lac und eins getwerges daz sîn pflac; daz gap er der juncvrouwen sîn. dô hêt ouch si daz hündelîn daz er dem rîter an gewan, als ich iu ê gesaget hân. die zwô gâbe hêt si dô von im; der wart si harte vrô. iedoch hêt si deheinen trôst daz ir vrouwe würde erlôst mit sîner manheit von ir nôt und vorhte ouch daz im der tôt da wære beschert; daz was ir klage in ir muote alle tage, wand er dûhte si ze kranc. dannoch reit er über ir danc mit ir; si liezz ab âne zorn wan si die reise niht hêt verlorn: si hêt erworben an der vart, als ez dô gahtet wart, baz danne ze tûsent marken; des begunde ir herze starken in vil hôhem muote, wan von grôzem guote stîgent diu herze hô; von armuot wirt niemen vrô. daz hôrte ich ie die wîsen sagen daz die rîchen hôhe tragen, die armen trûren unde klagen.

Der Ritter nahm sogleich das schöne Pferd in Besitz und all das, was sich darauf befand, dazu einen Zwerg, der es versorgte; all das schenkte er seiner jungen Herrin. Dazu besaß sie auch das Hündlein, das er dem (schwarzen) Ritter abgewonnen hatte, wie ich euch schon erzählte. So besaß sie die zwei Geschenke von ihm; darüber freute sie sich sehr. Jedoch hatte sie keine Zuversicht, dass ihre Herrin durch seine Tapferkeit aus ihrer Not befreit würde, und fürchtete zudem, dass ihm der Tod dort verhängt wäre. Diese beklagenswerte Lage kam ihr jeden Tag in den Sinn, denn er schien ihr zu schmächtig. Dennoch ritt er, obwohl es ihrem Wunsch nicht entsprach, mit ihr; sie duldete es aber mit Gleichmut, weil sie die Reise nicht umsonst unternommen hatte: Sie hatte auf der Reise – wie man es schätzte – (Dinge im Wert von) mehr als tausend Mark erworben. Davon wurde ihr Sinn mit Fröhlichkeit gestärkt, denn von großen Gütern lässt sich der Sinn emportragen; von Armut wird keiner frohgemut. Dies hörte ich stets die Weisen sprechen, dass die Reichen hochgestimmt sind, die Armen (jedoch) trauern und wehklagen.

10. Vorrechts-Kampf mit Schaffilun Gegen Abend erblickt man ein mit einem goldenen Hirschgeweih geschmücktes Zelt; ringsum stecken Lanzen im Boden. Der Herr (Schaffilun, König von Medarie und Belakun) nimmt sie gastfrei auf und erkundigt sich nach dem Ziel ihrer Reise. Wigalois klärt ihn darüber auf. Der Wirt warnt Wigalois; er sei zu jung, um das Abenteuer zu bestehen; die tapfersten Ritter hätten darin den Tod gefunden. Er selbst habe fast zehn Jahre danach geritten und Gesellen und Gut dabei verloren. Ein Kampf zwischen ihnen möge entscheiden, wer von beiden den Preis im Lande Korntin erringen solle. Wigalois nimmt den Vorschlag an; auf seine Bitte tritt Schaffilun ihm ein frisches Pferd, fünfundzwanzig Lanzen und sechs Knappen ab. Dann legt man sich nach reichlicher Bewirtung schlafen. Am andern Morgen findet der Kampf statt, in dem Wigalois seinen Gegner tötet. Klage des Dichters. Wigalois befiehlt den Knappen für ein Leichenbegängnis in einer Kirche Sorge zu tragen und sich dann nach Artus’ Hof zu begeben. (3286–3606)

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Mit vreuden riten si dô dan. der getwerge einez in began sagen schœniu mære, wer sîn herre wære der ez dar hêt gesant, und wiez stüende in Îrlant. hie mit kurztez in den tac, wan man mit guoten mæren mac und mit reinen wîben die zît wol vertrîben; sus treip ez in die zît hin. nu sâhen si wâ vor in verre ûf einem gevilde in einer grôzen wilde ein schœne gezelt was ûf geslagen. wie dem wære, daz wil ich iu sagen: ez was hôch, sinwel und wît, gel und rôt an einer sît, diu ander wîz unde blâ; ein hirzgehürne was dâ von golde drûf gestecket, die snüere wârn gestrecket vaste mit starken kîlen; ouch wâren ze zwein zîlen drumbe gestecket vünfzic sper. nune wessen die gesellen wer under dem gezelte lac. innen des entweich der tac der naht mit sînem glaste. dô îlten si vil vaste engegen dem gezelte sâ, wan die gesellen enwessen wâ si die selben naht vertriben dâ si sô rîterlîche beliben. ouch was dem rîter dar vil ger: dô er ersach sô manic sper umb daz gezelt stecken, daz begunde an im dô wecken beidiu manheit unde kraft. er gedâhte ‚ich vinde dâ rîterschaft: dar nâch ich ie gevaren bin; ich wil bejagen dâ gewin, od ich scheide gevangen hin.‘

Freudig ritten sie davon. Einer der Zwerge erzählte ihnen schöne Geschichten darüber, wer sein Herr war, der ihn dorthin geschickt habe, und wie es in Irland wäre. Hiermit kürzte er ihnen den Tag, denn man vermag mit guten Geschichten und der Gesellschaft schöner Frauen die Zeit wohl hinbringen. So vertrieb er ihnen die Zeit. Nun ersahen sie, dass weit vor ihnen auf einem Feld in einer mächtigen Wildnis ein schönes Zelt aufgeschlagen war. Wie es aussah, will ich euch sagen: Es war hoch, rund und geräumig, gelb und rot an einer Seite, an der anderen weiß und blau; ein Hirschgeweih aus Gold war dort oben aufgesteckt, die Schnüre waren fest gespannt mit starken Zeltpflöcken; auch waren auf zwei Reihen fünfzig Lanzen herum gesteckt. Nun wussten die Gefährten nicht, wer in dem Zelt ruhte. Unterdessen wich der Tag mit seinem Glanz der Nacht. Da eilten sie sehr schnell auf das Zelt zu, denn die Gefährten wussten nicht, wo sie diese Nacht auf standesgemäße Weise verbringen sollten. Auch verlangte es den Ritter sehr, dorthin zu gelangen, wo er so viele Lanzen um das Zelt stecken sah. Das rief seine Tapferkeit und Kampfeskraft in ihm wach. Er dachte: „Ich werde dort Gelegenheit zum ritterlichen Kampf finden, wonach ich stets strebte. Ich will den Sieg dort erringen oder ich gehe den Weg als Gefangener.“

Der des gezeltes herre was, dem was dar under ûf ein gras gebettet hövischlîche

Dem Herren des Zeltes war darunter ins Gras auf standesgemäße Weise

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mit einem kulter rîche von zweier hande pfellen. und als er die gesellen zuo im sach rîten, niht lenger wolder bîten: er gie engegen in und enpfie si wol, als ein wirt den gast sol der genâden an in gert; sus wurden si von im gewert vil guoter handelunge dâ. wider den rîter sprach er sâ mit dem diu juncvrouwe reit ‚herre, enwære ez iu niht leit, ich vrâget iuch gerne mære war iuwer wille wære mit dirre juncvrouwen. iu ist der schilt zehouwen iuwer wâfenroc verschrôten: ir habt gemachet tôten ode vil sêre wunden; des hât wol enpfunden der liehte helm mit dem rade. sî ez iu niht grôzer schade, sô lât mich wizzen war ir welt.‘ dô sprach her Gwîgâlois der helt ‚sît ez mir niht verboten wart, ich sagiu wol mîne vart: disiu maget wart gesant ze Britanje in daz lant mînem herren, dem künige Artûs, ze Karidôl in sîn hûs, als ir si sehet rîten hie. der künic si minniclîche enpfie und diu mässenîe gar. ûf der genâde kom si dar ob iemen wære under in der einen rîterlîchen gwin ze Korntîn getorste holn; er müese dâ grôzen kumber doln dar under den gewizzen tôt. dô underwant ich mich der nôt, als ich iu nu hân geseit. ez was aber ir vil leit, wand ich dûhte et si ze kranc. sus bin ich allez über ir danc mit ir geriten her.

mit einer prächtig gefütterten Steppdecke von zweierlei Seide ein Bett bereitet worden. Und als er die Gefährten heranreiten sah, wollte er nicht länger warten: Er ging ihnen entgegen und hieß sie willkommen, wie es ein Hausherr mit einem Fremden halten soll, der Hilfe von ihm begehrt. So wurde ihnen dort von seiner Seite zuvorkommende gastliche Aufnahme zuteil. Zu dem Ritter, der von der Jungfrau begleitet wurde, sprach er sogleich: „Herr, wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich Euch gern um Auskunft bitten, wohin Ihr mit dieser jungen Herrin unterwegs seid. Euer Schild ist zerhauen, Euer Waffenrock ebenfalls: Ihr habt getötet oder schwer verwundet; das hat der helle Helm mit dem Rade wohl zu spüren bekommen. Wenn es Euch nicht zum Nachteil gereicht, so lasst mich wissen, wohin Ihr wollt.“ Da sprach Wigalois, der Held: „Da es mir nicht verboten wurde, sage ich Euch wohl das Ziel meiner Reise: Diese Jungfrau wurde in das Land Britannien gesandt, zu meinem Herrn, dem König Artus, in seine Burg Karidol, wie Ihr sie hier reiten seht. Der König und das ganze Gefolge empfingen sie freundlich. Sie kam dorthin, um Hilfe zu erbitten, ob nämlich jemand unter ihnen wäre, der einen ritterlichen Preis zu Korntin zu erwerben wagte. Er müsse dort große Not leiden, den sicheren Tod eingeschlossen. So nahm ich die Gefahr auf mich, wie ich Euch gerade erzählt habe. Dies war ihr aber durchaus nicht recht, denn ich erschien ihr zu schwach. So bin ich ganz gegen ihren Willen mit ihr hierher geritten.

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got gebe mir daz ich mîn sper dâ sô vertuo als ich des ger!‘

Gott gestatte es mir, meine Lanzen hier so zu zersplittern, wie es meinen Wünschen entspricht.“

Dô der herre daz hêt vernomen warumb od wie er dar was komen und sîne jugent rehte ersach, des nam in wunder unde sprach ‚mich dunket des: ir sît ze kint; iuwer kraft diu ist ein wint zer selben âventiure, wan si ist ze holen tiure, als ich iu nu sagen wil: ich hân dâ gesellen vil verloren von der selben nôt; ez sint dâ gelegen tôt die tiursten von dem lande, an den ich wol erkande ganze manheit unde kraft, und die ir zît mit rîterschaft grôzen prîs erwurben. sît die dâ verdurben, wie möht iu gelingen? welt ir den prîs erringen, sô volget mînem râte: ich hân vruo und spâte dar nâch geriten wol zehen jâr, biz ich mîne gesellen gar hân verlorn und ouch daz guot. sît wir nu beide einen muot haben zuo der selben nôt, sô lâze wir ez hie den tôt alsô gerne scheiden enzwischen uns beiden und sweder unser hie gesige, ob der ander niht tôt gelige, der danne den sic habe verlorn, daz der wider âne zorn ze lande var, daz ist mîn rât; swer ab danne gesiget hât, der vüere den prîs ze Korntîn; dâ lâze er alrêrst werden schîn ob er guot rîter künne sîn.‘

Als der Herr gehört hatte, weshalb und auf welche Weise er dorthin gekommen war, und seiner Jugend erst eigentlich gewahr wurde, wunderte er sich und sprach: „Mir scheint, Ihr seid zu knabenhaft. Eure Kampfeskraft reicht nicht hin für diese Aventiure, denn sie ist sehr schwer zu bestehen, wie ich Euch nun erklären will: Ich habe da viele Kampfgefährten in dieser Herausforderung verloren. Es wurden dort die Besten des Landes getötet, von deren vollendeter Tapferkeit und Kampfeskraft ich wohl wusste, und die ihr Leben lang in ritterlichem Kampf großes Ansehen erworben hatten. Wenn diese dort untergingen, wie könnt Ihr dann siegen? Wenn Ihr den Preis erringen wollt, so beherzigt meinen Rat: Ich habe beständig danach gestrebt wohl zehn Jahre lang, bis ich alle meine Kampfgefährten und auch meinen Besitz verloren hatte. Da wir nun beide die gleichen Absichten hegen, was diesen Kampf betrifft, so wollen wir bereitwillig hier den Tod die Entscheidung zwischen uns treffen lassen, und wer auch von uns beiden hier den Sieg davonträgt, dann möge der Unterlegene – sofern er nicht dabei stirbt – ohne Widerwillen nach Hause ziehen, das ist mein Vorschlag. Wer immer aber dann gesiegt haben wird, der trage den Ruhm nach Korntin. Dort lasse er erst wirklich erkennen, ob er ein vortrefflicher Ritter zu sein vermag.“

Her Gwîgâlois was ein man der nie zagheit gewan noch nie bôsheit begie;

Herr Wigalois war ein Mann, der niemals in Feigheit verfiel oder etwas Verächtliches unternahm.

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sîn herze dâ von vreude vie als im dehein manheit ze tuone wart vür geleit. dô er vernam des rîters muot, des vreute er sich und dûhte in guot, wand er hêt sich des bewegen swes iemen wolde mit im pflegen ze rîterlîcher manheit, dar ûf was sîn lîp bereit, wand er ie nâch êren ranc. der rede sagter dem herren danc, wand er wol sach daz sîn muot was ze rîterschefte guot; des wart her Gwîgâlois vil vrô. wider den rîter sprach er dô ‚herre, welt ir des niht enbern ichn müeze iuch strîtes hie gewern, sô teilt mit mir gelîche: der sper sît ir ze rîche und habt driu schœniu ros hie und zwelf vrume knappen, die wartent iuwer, daz ist ir reht; sô hân ab ich deheinen kneht, niwan mîn ors und mîn sper; niht mêr gesindes brâhte ich her noch helfe ze disem strîte; anders ich niht rîte niwan mîn ors den langen tac; dâ von ez niht getûren mac zer selben rîterschefte. ouch hân ich lützel krefte ir seht wol selbe ich bin ein kint.‘ dô sprach der herre ‚sît iu [nu] sint diu ors und knappen tiure, sô gibe ich iu ze stiure daz beste ors daz ich hân; dar zuo sô sîn iu undertân sehs knappen die ich brâhte her; und nemt vünf und zweinzic sper daz ir des strîtes iht abe gêt.‘ dô erz alsus geteilet hêt, des vreute sich der küene man. sehs knappen hiez er vür sich stân; die tâten im des sicherheit daz im ir dienest wære bereit an dem selben strîte. nu was ez an der zîte

Es erfreute ihn, sobald ihm irgendeine tapfere Tat zu tun aufgetragen wurde. Als er von der Absicht des Ritters gehört hatte, freute er sich darüber und es schien ihm vortrefflich, denn er hatte sich entschlossen (zu allem), was immer einer an ihm mit ritterlicher Tapferkeit beweisen wollte. Dazu war er selbst bereit, denn er strebte stets nach Ehren. Für die Worte bedankte er sich bei dem Herren, denn er merkte wohl, dass dessen Gesinnung zur ritterlichen Tat geeignet war; das erfreute Herrn Wigalois sehr. Zum Ritter sprach er da: „Herr, wenn Ihr darauf nicht verzichten wollt, dass ich mich Euch zum Kampf stelle, so teilt mit mir auf gleiche Weise: An Lanzen seid Ihr zu reich und Ihr habt drei schöne Streitrösser hier, zwölf tüchtige Knappen, die Euch unterstützen, das geziemt ihnen; hingegen verfüge ich über keinen Knappen, nur über mein Ross und meine Lanze, mehr an Dienern brachte ich nicht her noch sonstige Hilfe für diesen Kampf; ein anderes (Pferd) reite ich nicht außer meinem Streitross, den (ganzen) langen Tag. Daher kann es in diesem Kampf nicht standhalten. Auch verfüge ich nur über geringe Kräfte, Ihr seht wohl selbst, dass ich ein Knabe bin.“ Da sprach der Herr: „Da Euch die Streitrösser und Knappen fehlen, so gebe ich Euch zur Ausstattung das beste Ross, das ich besitze; dazu sollen Euch sechs Knappen, die ich mitbrachte, dienen; und nehmt fünfundzwanzig Lanzen, damit Ihr den Kampf nicht (vorzeitig) beenden müsst.“ Nachdem er alles derart aufgeteilt hatte, freute sich dessen der kühne Mann. Sechs Knaben nahmen vor ihm Aufstellung; sie leisteten ihm darin Sicherheit, dass ihr Dienst ihm bereit stünde für diesen Kampf. Nun war es Zeit

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daz man solde ezzen; desn wart niht vergezzen im engæbe der wirt wirtschaft und alles des die überkraft des er haben mohte, als ez im ze nemen tohte. dar nâch bettet man in under daz gezelt hin beidiu ûf loube und ûf gras; vil manic guot kulter was ûf daz loup gedecket; dar ûf wâren gestrecket vil wîziu lîlachen. die knappen hiez man wachen die naht mit vlîze unz an den tac. ein walt in dâ nâhen lac, dar inne manic nahtegal uobte ir wünniclîchen schal; diu vreude in in daz herze hal.

für die Mahlzeit. Es unterblieb nicht, dass ihm der Zeltherr Bewirtung gab und eine Fülle von all dem, was er haben wollte, so wie es ihm anzunehmen schicklich war. Danach gab man ihm unter dem Zeltdach ein Bett auf Laub und Gras. Viele gute Steppdecken wurden auf das Laub gelegt, darüber waren ganz weiße Leinentücher gezogen. Den Knappen befahl man, die Nacht über mit Sorgfalt bis zum Tage zu wachen. Ein Wald befand sich in ihrer Nähe; darinnen pflegten viele Nachtigallen ihres herrlichen Gesanges. Die Freude fand Widerhall in ihrem Herzen.

Nâch der naht erschein der tac nâch sînem sit, als er ie pflac. die knappen wârn alle bereit. si hêten ûf diu ors geleit satel und kovertiure. zir zweier justiure was in allen harte ger. harnasch, schilt unde sper wâren bereit in beiden. dô begunden sich dâ kleiden die herren an ir slâfstet; dar nâch sprâchens ir gebet und bevulhen got beide ir nôt, wand ir einem was der tôt beschert von dem andern dâ. dô hiezen si sich wâfen sâ ir ietweders knappen; die dienten ir herren hie als si geteilet wâren. dem herren begunde swâren sîn muot harte sêre; wan daz er durch sîn êre den strît niht mohte lân, er hêt sichs gerne abe getân, wand im wîssagte sîn muot, als er den liuten ofte tuot die vor in wizzen den tôt

Nach der Nacht zog der Tag herauf seiner Gewohnheit nach, wie er es stets hielt. Alle Knappen standen bereit. Sie hatten auf die Rosse Sättel und Samtdecken gelegt. Zu ihrer beider Tjoste trugen sie großes Verlangen. Harnisch, Schild und Lanze lagen für beide bereit. Da zogen sich die Herren, wo sie geschlafen hatten, an. Danach sprachen sie ihr Gebet und legten beide ihren Kampf in Gottes Hand, denn einem von ihnen war der Tod durch den anderen verhängt. Da befahl jeder von ihnen seinen Knappen, ihn zu rüsten; die dienten ihren Herren hier, so wie sie eingeteilt waren. Den Herrn beschlich eine tiefe Schwermut. Jedoch vermochte er um seiner Ehre willen den Kampf nicht zu vermeiden. Er hätte sich dem gern entzogen, denn seine Ahnung warnte ihn, wie es bei Menschen oft geschieht, die ihren Tod vorhersehen

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und die doch durch der êren nôt den lîp verliesent, als er dâ. den schilt hiez er im reichen sâ und saz ûf daz ors sîn. zwêne schefte îwîn, dar an wâren starkiu sper, die brâhten in die knappen her. si liezen von ein ander gân daz si ir puneiz möhten hân und kêrten gegen ein ander wider; diu sper druhten si dô nider, als si truoc ir gelust; durch die schilte ûf die brust si sô vaste stâchen daz die schefte brâchen. dô nâmen si zwei andriu sper; zuo ein ander was in ger; zesamne kêrten si dô dâ sô vaste daz die schefte sâ sich zarten von den îsen. daz golt begunde rîsen von den schilten ûf daz gras. an in beiden dannoch was ganziu manheit unde kraft; ir deweder deheiner rîterschaft sô starker nie begunde; in vil kurzer stunde verstâchen si diu sper gar. zaller jungest brâhte man dar zwêne schefte eschîn, als ez leider solde sîn des herren tôt an der stat. her Gwîgâlois den rîter bat baz ze velde kêren; des endorfte er in niht lêren, wand ers im selbe hêt gedâht. dô wurden si zesamne brâht von den starken rossen wider. her Gwîgâlois der druhte nider daz sper mit beiden handen; sînen zorn begunde er anden, als in sîn vater lêrte; und dô er an in kêrte, daz starke sper er durch in stach daz man in dâ tôten sach vallen nider ûf daz gras. vil grôziu klage umb in dâ was:

und dennoch um des Ehrenkampfes willen das Leben verlieren, so wie er hier. Er befahl sodann, ihm den Schild zu reichen, und bestieg sein Pferd. Zwei Eibenschäfte, an denen starke Lanzenspitzen befestigt waren, brachten ihnen die Knappen herzu. Sie entfernten sich voneinander, um ihren Puneiz ausführen zu können, und kehrten, gegeneinander anreitend, zurück. Da senkten sie die Lanzen, von ihrem Kampfeseifer geleitet. Durch die Schilde gegen die Brust stießen sie so heftig, dass die Schäfte zersplitterten. Da nahmen sie zwei andere Lanzen; gegeneinander trieb sie der Kampfeseifer; da prallten sie dort so heftig aufeinander, dass sofort die Schäfte von den Lanzenspitzen gerissen wurden. Das aufgelegte Gold löste sich von den Schilden und fiel herab ins Gras. Beide verfügten jetzt noch über ihre volle Kampfeskraft. Keiner von ihnen hatte sich zuvor auf einen so harten Kampf eingelassen; in kürzester Zeit verstachen sie alle Lanzen. Zuletzt brachte man ihnen zwei Eschenschäfte, die leider zum Tod des Herren auf dem Kampfplatz führen sollten. Herr Wigalois bat den Ritter, rascher seine Position wieder einzunehmen. Dazu musste er ihn nicht lange überreden, denn es war auch sein eigener Gedanke. Da führten die starken Streitrosse sie wieder aufeinander zu. Herr Wigalois senkte die Lanze mit beiden Händen. Dessen (des Herren) Zorn erwiderte er, wie ihn sein Vater gelehrt hatte. Und als er gegen ihn anrannte, stieß er die starke Lanze durch ihn hindurch, so dass man ihn tot ins Gras fallen sah. Es erhob sich große Klage um ihn:

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von den liuten über al wart dâ ein jæmerlîcher schal; si klagten alle des rîters val.

All seine Gefolgsleute brachen in Wehgeschrei aus; sie beweinten alle den Tod des Ritters.

Er was wol grôzer klage wert, wand er hêt ie des gegert daz im der êren krône ze jungest wær ze lône gevallen umb sîn arbeit. daz hêt der tôt nu hin geleit, als er noch vil ofte tuot: er nidert mangen hôhen muot und zevüeret die rîcheit diu lange zesamne ist geleit. er gît ouch ie nâch liebe leit.

Er war es wert, so beklagt zu werden, denn er hatte stets danach gestrebt, dass ihm die Krone der Ehren zuletzt doch als Lohn für all seine Mühsal zuteil werden möge. Das hatte der Tod nun vereitelt, wie er es doch öfter tut: Er drückt manche Hochstimmung und zerstreut den Reichtum wieder, der über lange Zeit zusammengetragen wurde. Er schenkt auch stets nach der Liebe das Leid.

Her Gwîgâlois, der küene man hiez die knappen vür sich stân. swie ez in doch wære leit, si tâten im des sicherheit – als si ûf den heiligen swüeren – daz si ze Britanje vüeren zem milten künige Artûs und sîn dâ biten in sînem hûs biz er nâch in kœme dar. des swuoren si und liezenz wâr, swie leide in von im wære geschehen. doch wolden si daz gerne sehen wer er wære; daz was ir muot. dô nâmen si ir herren guot, beidiu ros und ouch gewant; si bunden ûf diu pfärt zehant swaz si tragen solden. den tôten si niht wolden lâzen an der walstat;. her Gwîgâlois die knappen bat daz si in ze kirchen bræhten und sîner sêle gedæhten mit almuosen und mit messen, swaz si ze tuone wessen sîner sêle ze trôste daz si von der helle erlôste daz si sich des vlizzen, und im niht harte wizzen umb ir lieben herren tôt; si sæhen wol es gienge im nôt. dô tâten si als er gebôt.

Herr Wigalois, der tapfere Mann, befahl die Knappen zu sich. Wenngleich sie es ungern taten, leisteten sie ihm die Sicherheit – so schworen sie es bei den Heiligen – nach Britannien zu reisen zu dem freigebigen König Artus und dort in seiner Residenz zu bleiben, bis er ihnen dorthin nachkäme. Darüber schworen sie den Eid, den sie auch erfüllten, wie übel es ihnen auch durch ihn ergangen war. Doch wollten sie gerne erfahren, wer er wäre; danach stand ihnen der Sinn. Da nahmen sie die Habe ihres Herrn an sich, Streitrosse und Gewänder. Sie banden den Pferden schnell auf, was diese tragen konnten. Den Toten wollten sie nicht auf dem Kampfplatz zurücklassen. Herr Wigalois bat die Knappen, ihn zu einer Kirche zu bringen und seiner Seele mit Almosen und Messen zu gedenken, und was immer sie zu tun wüssten seiner Seele zum Trost, was diese von der Hölle erlösen würde, darum sollten sie sich bemühen und ihm nicht heftig den Tod ihres lieben Herren vorwerfen. Sie sähen wohl, dass er nicht anders handeln konnte; da führten sie seine Anordnungen aus.

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11. Vorgeschichte Korntins und Truchsess-Kampf

11. Vorgeschichte Korntins und Truchsess-Kampf Nereja offenbart ihm nun endlich den Zweck ihrer Reise. Noch am selben Tag würden sie das Land Korntin erreichen. Ihre Herrin (Larie) sei daraus in ihrer Jugend vertrieben worden. Nur eine an das Land grenzende uneinnehmbare Burg sei ihr verblieben. Jetzt herrsche in dem Lande ein Heide: Roaz von Glois. Der Teufel, mit dem er sich verbunden, verschaffe ihm alles, was er wünsche. Seine eigene Grafschaft stoße an das Königreich Korntin. Er habe durch erheuchelte Freundschaft das Vertrauen des ahnungslosen Königs (Jorel) gewonnen. Eines Morgens früh sei er mit vierhundert Rittern in seine Burg gedrungen. Die meisten der Bewohner, unter ihnen der König, seien wehrlos ermordet worden. Die Königinmutter sei mit ihrem Töchterchen auf ihre Burg Roimunt geflohen. Seitdem habe Larie sich zu einer unvergleichlich schönen Jungfrau entwickelt, um derentwillen schon viele ihr Leben geopfert hätten. Man sei nämlich übereingekommen, dass man sie nur demjenigen, der Korntin befreie, zur Gemahlin geben werde. Sie teilt Wigalois mit, wie man nach Korntin gelange. Jeden Tag erscheine ein Tier (Leopard) mit goldener Krone vor dem Schloss; das führe auf unbekanntem Wege Fremde hinein. Der Truchsess von Roimunt kommt aus der Burg herangeritten. Wappen von Roimunt: ein goldener Leopard im lasurblauen Felde. Nach kurzem Kampf entdeckt er Nereja, worauf er Wigalois freundlich begrüßt. (3607–3972)

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Si nâmen urloup von im dâ. der rîter huop sich danne sâ, als in diu maget lêrte; mit vreuden er dô kêrte mit ir heim ze lande. si mohte wol âne schande sîn rîten mit ir dô vertragen. alrêrst begunde si im sagen ir mære, dô im dâ gelanc, und sagte im sîner nœte danc. si sprach ‚herre, geloubet daz mir geviel nie rîter baz dan ir an rehter manheit. nu habt ir iu daz vür geleit daz ir den lîp verliesen welt od rîterlîche als ein helt der werlte lop erringen; under den zwein dingen muoz iu morgen einz geschehen. wil ez got, sô sul wir sehen noch hînt daz lant ze Korntîn, dar ûz diu liebe vrouwe mîn in ir kintheit wart vertriben. ir landes ist ir niht beliben niwan ein burc, diu lît dran, daz nie dehein künic gewan ein hûs sô rehte veste;. ez ist ein berc, der beste den ie dehein man gesach.

Sie nahmen dort von ihm Abschied. Der Ritter begab sich darauf unter Führung der Jungfrau auf die Reise. Mit Freude wandte er sich ihrer Heimat zu. Sie konnte wohl ohne Beschämung sein Geleit ertragen. Nun erst, nach diesem Sieg, erzählte sie ihm ihre Geschichte und sprach ihm Dank für seine Kampfesmühen aus. Sie sagte: „Herr, glaubt mir, kein Ritter sagte mir mehr zu als Ihr, was rechte Tapferkeit anlangt. Nun habt Ihr Euch vorgenommen, das Leben zu verlieren oder ritterlich wie ein Held den Lobpreis der Welt zu erringen. Eines von diesen beiden wird Euch morgen widerfahren. So Gott will, werden wir noch heute Abend das Land Korntin erreichen, aus dem meine liebe Herrin in ihrer Kindheit vertrieben wurde. Von ihrem Land ist ihr nicht mehr verblieben als eine Burg an der Landesgrenze, (allerdings) eine so sichere Burg, wie sie kein König sonst besitzt. Es handelt sich um einen Felsen von nie gesehener Güte.

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ezn wære dehein wîp sô swach sine behieltez mit lîhter wer immer vor des küniges her. dar ûf ist diu vrouwe mîn, daz niht schœners möhte sîn in dirre werlte dan si ist. nu hât ir unser herre Krist nâch ir ahte ein kleinez leben in ir kintheit gegeben, als ich iu nu sagen wil. ir vater der hêt êren vil und diu liebe vrouwe mîn: daz guote lant ze Korntîn daz was ir eigen beider. mit grôzer klage leider sî wir dâ von gescheiden: daz bûwet nû ein heiden, Rôaz von Glois ist er genant; sîn manheit diu ist erkant als wîte sô diu werlt ist. er hât durch sînen zouberlist beidiu sêle unde leben einem tievel gegeben; der tuot durch in wunders vil: er vüeget im allez daz er wil; alsô gevuocter im daz lant. daz was im ê vil unbekant ob er dâ künic solde sîn; nû hât er goldes vollen schrîn; daz was des lieben herren mîn.

Auch eine noch so schwache Frau könnte sie mit leichter Besatzung stets dem Heer des Königs gegenüber halten. Darauf befindet sich meine Herrin; Schöneres als sie gibt es auf der Welt nicht. Nun hat ihr unser Herr Christus ein im Hinblick auf ihre hohe Geburt bescheidenes Leben in ihrem Kindesalter beschert, wie ich Euch gleich berichte. Ihr Vater und meine liebe Herrin besaßen viel Ehre: das gute Land zu Korntin gehörte ihnen beiden. Leider sind wir mit großer Not davon geschieden worden. Dies bewohnt nun ein heidnischer Mann: Roaz von Glois heißt er; seine Tapferkeit wird weltweit anerkannt. Er hat für seine Zauberkunst Seele und Leben einem Teufel verpfändet; der bewirkt für ihn viel Wunder: er bewerkstelligt für ihn alles, was er will; so verschaffte er ihm das Land. Davor dachte er überhaupt nicht daran, dass er dort König sein würde. Nun hat er die Truhen voller Gold; das gehörte meinem lieben Herrn.

Welt irz vernemen, ich sagiu wie der heiden daz ane gevie daz er uns von dem lande schiet, als imz sîn herre der tievel riet. ez lît enhalp Korntîn ein rîchiu grâfschaft, diu ist sîn; die brâhte in sîn vater an. nu wart der ungetriuwe man mînem herren heimlîch und diente im aller tägelîch als er sîn eigen wære. mit mangem guoten mære vreut er im ofte sînen muot, als der ungetriuwe tuot: swen er dem manne schaden wil, sô sagt er guoter mære vil

Wenn Ihr es hören wollt, sage ich Euch wie der Heide es schaffte, uns um unser Land zu bringen, wie es ihm sein Gebieter, der Teufel, eingegeben hatte. Jenseits von Korntin liegt eine reiche Grafschaft, die ihm gehört. Die war von seinem Vater auf ihn gekommen. Nun wurde der treulose Mann zum Vertrauten meines Herrn und wartete ihm tagtäglich auf, als ob er sein Eigenmann wäre. Mit vielen trefflichen Geschichten erfreute er ihm oft das Herz, so wie es der Treulose macht: Wenn der jemandem schaden will, so erzählt er viel Schmeichelhaftes

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und lachet in valschlîche an; als tet der ungetriuwe man. mîn herre der was guot unde hêt sô reinen muot daz er sichs niht bedâhte unz ez im den schaden brâhte dâ von er den lîp verlôs. owê, daz er ie erkôs im ze vriunde ein den man der nie deheine triuwe gewan! deiswâr, daz was niht wol getân.

und lacht ihn in betrügerischer Absicht an – so tat es auch der treulose Mann. Mein Herr war freundlich und hatte ein so reines Herz, dass er sich nicht vorsah, bis es ihm den Schaden einbrachte, der ihn das Leben kostete. O weh, dass er jemals sich zum Freund einen solchen Mann erwählte, dem Treue von je her fremd blieb! Wirklich, dies war nicht recht gehandelt.

Sîn hûs was im bereit und sîn guot unverseit; er hêt in in sîner pflege und beriet in alle wege durch sîne grôze manheit. dâ wider gedâht er im leit ze tuone aller tägelîch. daz was iedoch unbillîch daz er wider minne sîne valsche sinne im ze schaden kêrte, als in sîn schande lêrte. eins morgens dô der tac ûf gie und daz der wahtær verlie die huote an der zinne, als er des wart inne daz diu porte was ûf getân, dô kom der ungetriuwe man daz sîn niemen wart gewar mit vier hundert rîtern dar; die wârn ze harnasche gar.

Seine Residenz stand ihm zur Verfügung und auch sein Gut. Er kümmerte sich um ihn und war stets großzügig um seiner großen Tapferkeit willen. Jener hingegen sann tagtäglich auf sein Verderben. Das allerdings war unrecht, dass er gegen erwiesene Freundschaft seine treulosen Absichten auf seinen Schaden richtete, wie es ihm sein schändliches Wesen eingab. Eines Morgens, als der Tag anbrach und der Wächter seinen Posten an der Zinne verließ und er bemerkte, dass die Pforte aufgeschlossen wurde, kam der treulose Mann, ohne dass es jemand bemerkte mit vierhundert Rittern dorthin, in voller Rüstung.

Als er daz bürgetor gevie, sîn ors er dô stên lie und îlte mit zorne ûf den sal, dâ die rîter über al mit grôzen zühten sliefen. die vînde si an liefen und sluogen daz gesinde von kinde ze kinde, von manne ze manne; nieman mohte danne dem gâhen tôde enbresten; dâ lac von den gesten vil manic edel rîter tôt.

Als er das Burgtor erreicht hatte, ließ er sein Ross stehen und eilte mit Ungestüm den Saal hinauf, wo die Ritter allerorten ganz artig schliefen. Die Feinde griffen sie an und erschlugen die Gefolgsleute, Knabe auf Knabe, Mann auf Mann. Keiner konnte damals dem jähen Tod enteilen. Da starben von der Hand der Eindringlinge viele edle Ritter.

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owê der klägelîchen nôt daz si alsô verdurben und âne wer ersturben! wie möhte ein mort grœzer wesen! man liez ir einen niht genesen. dâ wart mîn lieber herre erslagen; den sol diu werlt immer klagen: an im was manheit unde jugent, sterke, wîsheit unde tugent; mit disen dingen minnet er ie die werlt, und vergaz doch nie sîn der imz gegeben hêt, in des gewalt diu werlt stêt; dem diente mîn lieber herre und minnet in alsô verre mit almuosen und mit messen daz ims die liute wessen. ich wil iu sagen wes er pflac: ern liez nie deheinen tac ern teilte selbe mit sîner hant; swaz er armer liute vant, die beriet der tugentrîche man. des sol in got geniezen lân, wand er im ie was undertân.

O weh der jämmerlichen Not, dass sie auf diese Weise umkamen und ohne Gegenwehr starben! Welcher Mord könnte grässlicher sein! Man ließ keinen einzigen von ihnen am Leben. Da wurde mein lieber Herr erschlagen; den sollte die Welt für immer beklagen: er verfügte über Tapferkeit und Jugend, Stärke, Weisheit und Tugend; mit diesen Eigenschaften war er stets der Welt zugetan, vergaß aber nie jenen, der es ihm verliehen hatte, dessen Macht die Welt untersteht; dem diente mein lieber Herr und brachte seine Gottesliebe so mit Armenfürsorge und Gottesdiensten zum Ausdruck, dass jedermann es ihm dankte. Ich will Euch sagen, was er zu tun pflegte: Es verging kein Tag, an dem er nicht mit eigener Hand Gaben schenkte, welchen armen Leuten er auch immer begegnete, die beschenkte der tugendreiche Mann. Dafür soll Gott ihm gnädig sein, denn er diente ihm von je her.

Mîn altvrouwe was gevarn – als si got wolde bewarn und ez ir sælde solde sîn – ûz dem lande ze Korntîn ûf ir hûs ze Roimunt, – daz tuon ich iu entiuschen kunt: Künigesberc hieze ez hie – daz ir ir vater z’eigen lie und allez daz dar umbe lît. mîn juncvrouwe was zer selben zît dô ditze mort hie geschach, als es mîn vrouwe selbe jach, niwan drîer jâr alt. nû ist si sô wol gestalt und hât einen sô schœnen lîp daz wæn iender lebe ein wîp in allem disem rîche diu sich ir gelîche. si hât schœne unde jugent, geburt unde ganze tugent. ich erkenne wol ir reinen muot: si ist gewizzen unde guot.

Meine Herrin hatte sich, weil Gott sie schützen wollte – und das war ihr Glück – aus dem Land Korntin auf ihre Burg zu Roimunt begeben, – die nenne ich Euch in deutscher Sprache: Königsberg würde man es nennen – die ihr Vater ihr mit allem Umland vererbt hatte. Die junge Herrin war zu der Zeit, als dieser Mord geschah, dies sagte mir meine Herrin selbst, erst drei Jahre alt. Nun ist sie von so angenehmem Äußeren und besitzt so schöne Gestalt, dass sich, wie ich glaube, keine Frau, die in diesem ganzen Reiche lebt, mit ihr messen könnte. Sie besitzt Schönheit und Jugend, edle Abstammung und vollendete Tugend. Ich kenne wohl ihren lauteren Sinn: Sie ist verständig und liebreizend.

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mîn vrouwe pfligt ir harte wol, als ein muoter ir tohter sol: si hât si in ir huote mit lîbe und mit guote. durch ir schœne hât manic man ze Korntîn den lîp verlân und lît ouch noch vil manger tôt. owê der klägelîchen nôt! noch machet si liehtiu ougen rôt.

Die Herrin umsorgt sie liebevoll, wie es einer Mutter gegenüber ihrer Tochter ansteht. Sie sorgt persönlich und auch mit ihrem Besitz für sie. Wegen ihrer Schönheit haben viele Männer zu Korntin ihr Leben gelassen und werden auch noch künftig viele sterben. O weh der klagenswerten Not! Noch immer färbt sie klare Augen rot.

Ich sagiu wie daz komen ist: wir haben vunden einen list der uns benamen vrumen muoz und sol uns leides werden buoz. wirn wellen die juncvrouwen mîn ân daz lant ze Korntîn nieman geben ze wîbe, wan der mit sînem lîbe daz guote lant erwerben mac; der hât ouch danne vür den tac genuoc ze geben swem er wil; sô wirt im daz beste spil daz man im gît ze wîbe eine magt diu sînem lîbe wirt ein übergulde: swer die êrsten schulde von ir lîbe nemen sol, dem wirt herzenlîche wol, wand ez hât diu sælicheit ir wunsch sô gar an si geleit daz si mit lobe die krône treit.

Ich erzähle Euch, wie es kam: Wir haben einen klugen Plan erdacht, der uns wirklich nützen wird, wenn wir denn vom Leid befreit werden sollen. Wir werden meine junge Herrin niemandem ohne das Land Korntin zur Frau geben, nur jenem, der mit eigener Hand das vortreffliche Land erobern kann. Der besitzt dann auch von diesem Tag an genug, um, wo er will, freigebig zu sein. Doch wird ihm dies das schönste Vergnügen sein, dass man ihm zur Gattin eine Jungfrau gibt, die ihm als das Höchste gelten wird. Wer immer den ersten Tribut von ihr erhalten wird, dem wird es ausgesprochen gut ergehen, denn das Glück hat an ihr das Ideal verwirklicht, so dass sie die Krone des Lobpreises trägt.

Ich lâze iuch morgen an ir sehen daz ir des selbe müezet jehen. ob diu werlt einem man älliu wære undertân, und daz im gelîche älliu künicrîche dienten gar vür eigen, dem enkunde ich niht gezeigen noch gerâten ze wîbe deheine magt diu sînem lîbe sô rehte wol gezæme und diu ouch sô genæme an allen dingen wære; si ist unwandelbære an lîbe und an sinnen.

Ihr dürft sie morgen selbst einschätzen, so dass Ihr ihr dasselbe zugestehen müsst. Wenn die ganze Welt einem Mann untertan wäre und ihm gleichermaßen alle Königreiche ganz wie sein Eigentum dienten, dem könnte ich keine Jungfrau weisen noch als Ehefrau empfehlen, die ihm so recht angemessen und auch so annehmbar in jeder Hinsicht wäre. Sie ist untadelig an Gestalt wie auch an Geist.

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sold ich die schœnen minnen, daz ich niht wære ein wîp, dar umbe wolde ich mînen lîp immer vüeren veile und wolde in urteile mîne sêle setzen.‘ sus begunde si in wetzen unde reizen ûf den tôt. des was ir weizgot vil unnôt, wand er pflac solher manheit daz sîn lîp was bereit allen [den] die sîn geruochten, die ez an in suochten und die sîn wert wâren. er hêt in sînen jâren und in sîner kintheit der werlte lop alsô bejeit daz man sîn noch gedenken muoz. swer welle daz im werde buoz sîner schande die er hât, der lâze sîne missetât und volge den besten; deist mîn rât.

Dürfte ich die Schöne lieben, – wenn ich keine Frau wäre – für sie würde ich jederzeit mein Leben wagen und wollte meine Seele aufs Spiel setzen.“ So reizte und verlockte sie ihn zum Tod hin. Das hätte sie, weiß Gott, gar nicht nötig gehabt, denn er war so tapfer, dass er allen beistand, die es wünschten, die es von ihm erbaten und seiner wert waren. Er hatte mit seinen (wenigen) Jahren in seiner Jugend den Lobpreis der Welt so umfassend erworben, dass man noch heute seiner gedenkt. Wer immer Abhilfe für seine Schande sucht, der lasse ab von seinem Vergehen und folge den Besten, das ist mein Rat.

Her Gwîgâlois sprach zuo der maget, dô si im alsô hêt gesaget ‚juncvrouwe, nu sagt mir mê wiez umb die âventiure stê und wer mich dar bringe od mit welhem dinge ich si vinde; daz tuot mir kunt.‘ dô sprach diu maget an der stunt ‚herre, daz wil ich iu sagen und wil iuch des niht verdagen daz iu dar zuo gevrumen mac: nimmer wirt dehein tac man sehe vür daz hûs gân ein tier, daz ist sô wol getân, und wil ich im der wârheit jehen, daz ich niht schœners hân gesehen; ich sagiu wiez geschaffen ist: ez hât unser herre Krist sînen vlîz dar an geleit. daz tier ûf sînem houbet treit eine guldîne krône; diu ist bewahsen schône mit zwein swarzen hornen; mit beiden orten vornen

Herr Wigalois sagte zu der Jungfrau, als sie ihm dies erzählt hatte: „Junge Herrin, nun berichtet mir mehr darüber, wie es sich mit der Aventiure verhält, und wer mich zu ihr führt oder wie ich sie finde, das eröffnet mir.“ Da sprach die Jungfrau sogleich: „Herr, das will ich Euch sagen und werde Euch nichts verschweigen, was Euch dafür nützen kann: kein Tag vergeht, an dem man nicht ein Tier vor die Burg gehen sieht, das so schön ist, dass ich Euch versichere, niemals etwas Schöneres gesehen zu haben. Ich sage Euch, wie es aussieht: Unser Herr Christus hat seine Sorgfalt daran gewendet. Das Tier trägt auf seinem Haupt eine goldene Krone; die ist schön überwachsen mit zwei schwarzen Hörnern. Mit deren beiden Enden

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ist si sô bewunden daz wir niht enkunden mit deheinen unsern sinnen si dâ von gewinnen, ob ez uns sîn gunde. ez hât in sînem munde die hitze, als ichz hân vernomen, daz niemen mac dar zuo komen der im iht schaden wil; vrumer rîter hât ez vil mit im geleitet in den tôt. welt ir bestên die selben nôt, sô merket rehte war ez var. von sînem houbet ist ez gar geschaffen als ein lêbart. ez hât erkorn im eine vart, diu ist niemen mê bekant: einen stîc in daz lant, durch den walt, zuo Korntîn; dâ sult ir im volgen în.‘ er sprach ‚triuwen, daz sol sîn!‘

ist die Krone so umklammert, dass wir es mit keinerlei Kunstgriff vermöchten, sie dort vom Fleck zu schaffen, wenn das Tier sie uns überließe. Es hat in seinem Maul eine Glut, wie ich gehört habe, dass niemand sich ihm nähern kann, der ihm etwa schaden will. Viele tüchtige Ritter hat es in den Tod geführt. Wollt auch Ihr diesen Kampf bestehen, so gebt Acht, wohin es läuft. Von seinem Haupte an ist es ganz wie ein Leopard beschaffen. Es hat sich einen Pfad erwählt, der niemandem sonst bekannt ist: einen Pfad den Wald hindurch in das Land Korntin; auf diesem sollt Ihr ihm folgen.“ Er meinte: „Wahrlich, so soll es sein.“

Dô er daz wort vol sprach, die schœnen burc er dô sach bî im ligen nâhen; dar ûz si gegen in sâhen einen rîter gwâfent rîten, als er wolde strîten. er reit ein ors wol getân. einen wîzen halsberc vuorter an; den bedahte ein grüener wâfenroc; dar ûf was ein rêchboc gesniten von samîte an ietwederre sîte. sîn helm der was rîche, vil harte höveschlîche mit rôten keln bedecket; dar umbe was gestrecket ein strieme wîz härmîn; oben was gestecket drîn ein schüzzel von golde, dâ bî man wizzen solde daz er dâ truhsæze was. ein timît grüene alsam ein gras was gebunden an sîn sper. einen niuwen schilt vuort er; dâ was daz tier gemâlet an,

Als er es ausgesprochen hatte, sah er die schöne Burg in seiner Nähe liegen; daraus sahen sie einen gewaffneten Ritter auf sich zukommen, als ob er zum Kampf bereit wäre. Er ritt ein schönes Ross. Ein weißes Panzerhemd trug er; das bedeckte ein grüner Waffenrock. Darauf befand sich ein Rehbock aus Brokat geschnitten an beiden Seiten. Sein Helm war kostbar, äußerst höfisch mit roten Kehlstücken bedeckt. Da herum war ein weißer Hermelin-Streifen gewunden; oben diente eine goldene Schüssel als Helmzier, woran man erkennen konnte, dass er dort Truchsess war. Ein grasgrüner Timit war an seiner Lanze befestigt. Er führte einen neuen Schild; darauf war das Tier gemalt

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als ich iu gesaget hân, daz in dâ leiten solde; von lazûre und von golde was ez harte rîche gevüllet meisterlîche; daz was ir wâfen ze Roimunt. der rîter sprach ‚nu tuot mir kunt und sagt mir rehte, wer ist der der dort kumt geriten her? ich wæne er prîs welle bejagen.‘ si sprach ‚herre, daz wil ich iu sagen: ez ist ein der tiurste man der rîters namen ie gewan an tugent und an manheit; iu ist von im vil unverseit swes ir mit im beginnen welt; des lîbes ist er gar ein helt und ist truhsæze hie; rîterschaft die minnet er ie. vermîde er iuch, sô ist mîn rât daz ir in gerne rîten lât, wand iuch dâ misselingen mac.‘ der rîter sprach ‚daz wære ein slac aller mîner êren und soldich von im kêren, sît ich nâch rîterschefte var; des himels keiser mich bewar! ich wil benamen gegen im dar.‘

– wie ich euch erzählt habe, das ihn dort leiten würde – mit Lasurfarbe und Gold war es ganz prächtig und kunstvoll ausgefüllt; das war ihr Wappen zu Roimunt. Der Ritter sprach: „Nun gib mir zu wissen, wer der sei, der dort herangeritten kommt. Mir scheint, er ist auf einen Kampf aus.“ Sie sprach: „Herr, ich will es Euch sagen: Es ist einer der besten Männer, die je Ritter genannt wurden, an Tugend und Tapferkeit; er wird Euch nichts abschlagen, was auch immer Ihr mit ihm vorhabt; an Kampfeskraft ist er ein Held und er ist Truchsess hier. Den ritterlichen Kampf liebte er von je her. Wenn er Euch ausweicht, so rate ich Euch, ihn bereitwillig reiten zu lassen, denn Ihr könntet ihm unterliegen.“ Der Ritter sprach: „Das wäre der Untergang aller meiner Ehre, wenn ich mich von ihm fernhalten würde, wo ich doch zum ritterlichen Kampf ausgeritten bin. Der Herrscher des Himmels beschütze mich! Ich will wahrlich hin zu ihm.“

Sus kêrter über die heide. die herren begunden beide die schilte vazzen vür diu knie; ir ietweder sîgen lie gegen dem andern sînen schaft; sus kômen si mit grôzer kraft zesamne ûf der heide; si verstâchen beide alsô rîterlîche ir sper daz niemen kunde wizzen wer daz sîne baz hêt vertân. der truhsæze reit in wider an; bî dem zoume vienc ern dô vil minniclîche und sprach alsô ‚ir sult hie willekomen sîn und wizzet bî den triuwen mîn daz iu mîn dienest ist bereit.‘ nu sach er wâ dort her reit

So nahm er den Weg über die Heide. Die Herren setzten beide ihre Schilde vor die Knie; jeder von ihnen senkte gegen den andern seinen Schaft. So prallten sie mit gewaltiger Kraft auf der Heide aufeinander. Sie verstachen beide auf ritterliche Weise ihre Lanzen, dass niemand entscheiden konnte, wer den seinen besser verstochen hatte. Der Truchsess ritt aufs Neue gegen ihn an. Da ergriff er den Zaum des anderen als Zeichen der Versöhnung und sagte folgendes: „Ihr sollt hier willkommen sein und wisset bei meiner Treue, dass ich Euch zu Diensten bin.“ Nun sah er dort

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diu maget wider in daz lant die sîn vrouwe hêt ûz gesant. vor ir zôch man ir gewin gegen der schœnen bürge hin: den sitich, daz phärt wol getân als ez mit manheit gewan her Gwîgâlois, der wîgant. der truhsæze nam in bî der hant und kêrte dâ diu maget reit; sîn getriuwer gruoz was ir bereit, wan si hêt grôze nôt erliten. mit ein ander si dô riten, die drî gesellen an den berc; vor in zôch daz getwerc daz schœne pfärit mit der hant; sus brâhte diu maget in daz lant dar nâch si ûz was gesant.

die Jungfrau in das Land zurückkehren, die seine Herrin ausgesandt hatte. Vor ihr her führte man ihren Preis zu der schönen Burg hin: den Papagei, das schöne Pferd, so wie es mit Tapferkeit Herr Wigalois, der erfahrene Kämpfer, gewonnen hatte. Der Truchsess ergriff ihn bei der Hand und wandte sich der Jungfrau zu. Seinen ergebenen Gruß entbot er ihr, denn sie hatte sich großer Gefahr ausgesetzt. Gemeinsam ritten sie da, die drei Gefährten, zu dem Berg, vor ihnen zog der Zwerg das schöne Pferd mit der Hand. So brachte die Jungfrau das, wonach sie geschickt worden war, in das Land.

12. Begegnung mit Larie Nereja empfiehlt Wigalois den Rittern und begibt sich zur Königin, um über ihre Reise Bericht zu erstatten. Es wird beschlossen, ihn mit kostbaren Kleidern zu versehen. Dann wird er bei den Damen vorgelassen. Wigalois entdeckt Larie und entbrennt in Liebe für sie. Die Königinmutter bestätigt ihm die Mitteilung Nerejas, dass man das Königreich und die Jungfrau durch Besiegung des Heiden erwerben müsse; so habe sie es mit „mannen“ und „mâgen“ (Vasallen und Angehörigen) beschlossen. Wigalois fällt Larie zu Füßen, bekennt ihr seine Liebe und gelobt, sein Leben für sie zu wagen. Larie gesteht ihm durch ihre Blicke heimlich, dass sie seine Liebe erwidert. Der Dichter: Treue bekunde sich durch festen, Falschheit durch unsteten Blick. Am Abend wird Wigalois auf einen Saal geführt, von wo er in einem Walde in Korntin ein brennendes Schloss gewahrt. Man erzählt ihm, dieses Schauspiel wiederhole sich seit zehn Jahren jede Nacht, am Tage stehe das Schloss wieder ganz da. Nachts höre man von dorther ein lautes Wehrufen, am Tage sei alles still. Auf seine Frage, wo die Straße durch den Wald sich befinde, bekommt er die Antwort, es führe kein Weg dorthin, nur auf zwei Seiten gebe es je einen Eingang, beide seien aber von Felswänden eingeschlossen und würden streng bewacht. Nur das Tier könne einen Fremden ohne Schaden in das gefährliche Land hineinführen. (3973–4369)

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Rîter unde knehte iegelîcher nâch sînem rehte enpfienc den rîter und die maget; in beiden was dâ unversaget guot gemach und êre, und kunden si iht mêre in ze liebe hân erdâht, daz wære benamen dâ volbrâht, wand in geviel nie rîter baz. si sprâchen alle ‚ist er daz

Ritter und Knappen, ein jeder, wie es sich für ihn geziemte, empfingen den Ritter und die Jungfrau. Beiden wurde große Annehmlichkeit und Aufmerksamkeit nicht versagt, und wenn sie ihnen zuliebe noch mehr auszudenken gewusst hätten, so wäre wahrlich auch das getan worden, denn nie gefiel ihnen ein Ritter besser. Sie sprachen alle: „Ist er es,

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den der künic Artûs mîner vrouwen her ze hûs ze helfe hât gesant, und der uns daz reine lant erledigen sol ze Korntîn? der sol hie willekomen sîn uns allen ze trôste! der mange sêle erlôste ûz der helle mit sîner kraft und der âne meisterschaft die werlt alle werden hiez und der den vâlant verstiez von dem himelrîche durch daz er im gelîche wolde setzen sînen stuol – er warf in in der helle pfuol: alsô müez vallen von sîner hant der heidenische vâlant der mangen rîter hât erslagen! got sol im niht mê vertragen sînen vil grôzen übermuot und sînen gwalt den er tuot.‘ diu rede dûhte den rîter guot.

den der König Artus meiner Herrin hierher zur Hilfe gesandt hat und der uns das herrliche Land Korntin befreien soll? Der soll hier willkommen sein uns allen zur Erlösung! Der viele Seelen durch seine Macht aus der Hölle erlöste und nur durch sein Wort die ganze Welt entstehen ließ und den Teufel vertrieb aus dem Himmelreich, weil der den Anspruch erhoben hatte, ihm ebenbürtig zu sein – er warf ihn in den Abgrund der Hölle: Ebenso möge von seiner Hand der Heidenteufel gefällt werden, der viele Ritter getötet hat. Gott wird nicht länger seinen übergroßen Hochmut ungesühnt lassen und die Gewalt, die er verübt.“ Diese Worte gefielen dem Ritter.

Ein ende hêt diu klage dô; si lachten alle und wâren vrô. diu magt bevalch den wîgant dem truhsæzen bî der hant und den besten rîtern dâ. zuo ir vrouwen gie si sâ; der brâhte si liebiu mære wie mit ir komen wære der aller besten rîter ein den diu sunne ie beschein; den hêt der künic Artûs ir ze helfe in ir hûs von sîner mässenîe gesant. dô neic diu vrouwe in daz lant dem künige von Britanje. diu süeze gamanje enpfie vil wol die reinen maget. owî, waz dâ wart gesaget mære von ir reise! si zalte mange vreise die si von vorhten leit als ir geselle streit. ouch lie si ir vrouwen

Da fand die Trübsal ihr Ende; alle lachten und waren fröhlich. Die Jungfrau vertraute den Helden dem Truchsessen und den besten Rittern dort an. Sodann begab sie sich zu ihrer Herrin; der überbrachte sie die erfreuliche Nachricht, dass in ihrer Begleitung einer der besten Ritter, den die Sonne je beschienen hatte, angekommen sei. Den habe der König Artus aus seinem Gefolge ihr zur Hilfe in ihre Burg gesandt. Da verneigte sich die Herrin gen Britannien vor seinem König. Die schöne Jungfrau wurde von anmutiger Gemeinschaft empfangen. Ach, was wurde da nicht alles von ihrer Reise erzählt! Sie berichtete von vielen Schrecken, die sie voll Furcht erlebte, wenn ihr Gefährte kämpfte. Auch zeigte sie ihrer Herrin

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diu kleinôt schouwen diu ir her Gwîgâlois gewan, als ich iu gesaget hân, mit micheler manheit. ir getwerc daz phärit vür si reit und vuorte den sitich und den hunt; dô ahten si vür tûsent pfunt daz gereite und daz vogelhûs. dem milten künige Artûs gnâdeten si der êren. diu magt begunde mêren dem jungen rîter sînen prîs: si lobet in en mangen wîs vor ir juncvrouwen: wie wol er kunde houwen helm und schilte und daz in niht bevilte ze tuone durch dehein wîp; er wolde verliesen sînen lîp durch si, des wær im gedâht; sus hêt si in ûz brâht. des wart diu wirtinne vrô. ir juncvrouwen gnâdete si dô der ängestlîchen arbeit die si ûf der verte leit, als si ir selbe hêt geseit.

die Kostbarkeiten, die Herr Wigalois ihr, wie ich euch erzählt habe, mit großer Tapferkeit erstritt. Ihr Zwerg präsentierte vor ihnen das Pferd und führte den Papagei und den Hund mit sich. Allein auf tausend Pfund schätzten sie die Ausrüstung des Pferdes und den Vogelkäfig. Dem großzügigen König Artus dankten sie für die ihnen erwiesene Ehre. Die Jungfrau wies lobend auf die Verdienste des jungen Ritters hin: Sie pries ihn vielfach vor ihrer jungen Herrin, wie trefflich er es verstand, Helme und Schilde zu zerschlagen, und dass ihm nichts, was er für eine Frau tun konnte, zu viel wurde. Er würde sein Leben für sie einsetzen; dies sei seine Bestimmung. Und so hätte sie ihn hierher gebracht. Darüber war die Burgherrin froh. Sie dankte ihrer Jungfrau für die gefährlichen Mühen, die sie auf ihrer Fahrt, – wie sie ihr selbst erzählte – erduldet hatte.

Nu berieten sich die drîe, diu schœne Lârîe, ir muoter und diu selbe maget diu in diu mære hêt gesaget, wie man den rîter enpfienge daz er dâ von gevienge guoten willen in den tôt. allen ir vrouwen si gebôt daz si sich rîche kleiten und sich dar zuo bereiten, als er în gienge, daz man in sô enpfienge daz er dâ von würde vrô; daz lobten si mit willen dô. Nêrejâ diu maget hiez diu von dem rîter trôst gehiez, mit der er dar komen was. in einen garten ûf ein gras vuort in der truhsæz bî der hant; dô schuter abe sîn îsengwant

Nun beratschlagten die drei, die schöne Larie, ihre Mutter und jene Jungfrau, die ihnen alles erzählt hatte, wie man den Ritter aufnehmen solle, so dass er bereitwillig sein Leben einsetzen würde. Sie gebot allen ihren Damen, sich prächtig zu kleiden und sich ferner so zurecht zu machen, dass, wenn er einträte, man ihm einen solchen Empfang bereite, der ihn erfreuen könne. Das versprachen sie alle bereitwillig. Nereja hieß die Jungfrau, die sich Hilfe von dem Ritter versprach; mit ihr war er hierher gekommen. Der Truchsess nahm ihn bei der Hand und führte ihn in einen Garten auf eine Wiese; da schüttelte er sein Kettenhemd

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under einer linden grüene; her Gwîgâlois der küene kuolte sich und ruowet dâ. dô brâhte im Nêrejâ von pfelle harte rîch gewant; daz hêt ze liebe im gesant diu schœne magt Lârîe; ez was ir von Syrîe verre gesant über sê. noch brâht im diu maget mê: lînwât, wîz alsam ein snê. zuo zim saz si ûf den klê. sus kleite sich der küene man. zwô scharlaches hosen streich er an mit grôzem vlîze an diu bein. ôwî, wie wol et an im schein geburt unde manheit! gewizzen unde sælicheit hêt got mit vlîze an in geleit.

unter einer grünen Linde von sich. Herr Wigalois, der tapfere, kühlte sich dort ab und ruhte aus. Da brachte ihm Nereja ein prachtvolles Seidengewand. Das hatte ihm zu Gefallen die schöne Jungfrau Larie geschickt. Es war ihr aus dem fernen Syrien jenseits des Meeres gesandt worden. Doch die Jungfrau überbrachte ihm noch mehr: Leinwand, wie Schnee so weiß. Sie setzte sich zu ihm in den Klee. Und so kleidete sich der tapfere Mann. Er legte sorgfältig Beinkleider aus feinstem Scharlach an. Ach, wie wunderbar an ihm die edle Abstammung und Tapferkeit augenscheinlich wurde! Mit Verständigkeit und Glück hatte Gott ihn reichlich ausgestattet.

Dô der rîter wart gekleit und er nâch sîner arbeit sô minniclîche gâbe enphie, des gnâdeter got unde gie mit der juncvrouwen hin vür die edeln künigin dâ diu ûf ir sal saz. ôwî, herre got, waz er dâ schœner vrouwen vant! die hêten sich in rîch gewant gekleit manger slahte, iegelîche nâch ir ahte. vünfzic was ir über al; die drîzic lâze ich âne zal sô daz ich si niht prîse, wan si niht in der wîse gelîch den zweinzic wâren an geburt noch an gebâren, an schœne noch an rîcheit; die zweinzic wâren sô gekleit von pfelle und von samîte daz ich dâ wider strîte daz man nû iht vinde under deheinem gesinde alsô rîche vrouwen. dô begunder umbe schouwen und nam ir aller rehte war;

Nachdem der Ritter eingekleidet worden war und für seine Mühsal so liebevolle Gaben empfing, dankte er Gott dafür und trat mit der Jungfrau dort vor die Königin hin, wo sie in ihrem Festsaal Platz genommen hatte. Ach, Herr Gott, was waren dort schöne Frauen! Sie hatten sich in kostbare Gewänder aller Arten gekleidet, jede ihrem Stand entsprechend. Insgesamt waren es fünfzig; dreißig von ihnen ziehe ich ab, die ich nicht lobpreise, da sie nicht den zwanzig anderen ebenbürtig waren, weder von der Herkunft, dem Gebaren, der Schönheit noch dem Reichtum nach. Diese zwanzig waren so in Seide und Brokat eingekleidet, dass ich der Meinung entgegentreten muss, man fände jetzt in irgendeinem Gefolge so reich gekleidete Damen. Er sah sich um und nahm sie alle genau in Augenschein.

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dô wâren si ze lobe gar und ze wunsche wol gestalt; ir sælde diu was manicvalt an lîbe und an gewizzen; des besten si sich vlizzen vür ein ander alle dâ. dô sach er under in sitzen sâ vrouwen Lârîen, die schœnen maget von der schœne im was gesaget michel wunder; daz was ouch wâr; got hêt sînen vlîz gar ze wunsche wol an si geleit: an lîbe und an sælicheit diu reine vür si alle was geliutert als ein spiegelglas. hie vant er sînes herzen bluot. beidiu lîp unde muot gap er ir tougenlîche dâ. vrou Minne vie den rîter sâ und zôch in in ir hamît gewalticlîche âne strît, daz er sich niht mohte erwern; er muose ir sichern unde swern ze tuone swaz si dûhte guot; ze gîsel muose er ir den muot geben und daz herze sîn, daz diu beidiu muosen sîn ir gevangen biz an ir tôt; swaz man ze tuone im gebôt durch si, daz dûhte in allez swach, swie im doch sîn herze brach dô er die schœnen alrêrst sach.

Sie sahen lobenswert und vollkommen aus. Sie waren reich begnadet an Gestalt und Verständigkeit. Eine jede strebte danach, sich vor den anderen in dieser Hinsicht auszuzeichnen. Da erblickte er sogleich unter ihnen die Dame Larie, die schöne Jungfrau, von deren Schönheit er große Wunder vernommen hatte; das bestätigte sich. Gott hatte seine ganze Sorgfalt in vollkommener Weise bei ihr aufgewendet: an Gestalt und Glücksgaben war die Schöne vor allen anderen rein wie das Glas eines Spiegels. Hier hatte er seine Herzblume gefunden! Leib und Seele verschrieb er ihr im Verborgenen. Frau Minne setzte da den Ritter gefangen und zog ihn kampflos mit Macht in ihren Bezirk, ohne dass er sich widersetzen konnte. Er musste ihr Sicherheit leisten und schwören, das, was ihr gut schien, zu vollbringen. Als Geisel stellte er ihr Geist und Herz, so dass beide bis zum Tod ihre Gefangenen bleiben mussten. Was immer man ihm zu tun auftrug um ihretwillen, das schien ihm alles gering, so sehr brach die Schöne sein Herz, als er sie zum ersten Mal erblickte.

Vrou Minne nam in mit ir kraft und zôch in in ir meisterschaft gewalticlîche âne wer; der ê vlühtic tet ein her und mangen vrumen rîter vie, dern kunde sich gevristen nie mit deheiner sîner kraft ern müese dulden meisterschaft von der starken minne. hie liez er sîne sinne bî der mägde wol getân; ir grôziu schœne gesigte im an daz er ir nimmer mê vergaz, wan si sîn herze dâ besaz

Frau Minne bemächtigte sich seiner mit Macht und unterzog ihn ihrer Zucht gewaltsam und ohne Gegenwehr. Der zuvor ein Heer in die Flucht geschlagen hätte und viele tapfere Ritter gefangen nahm, der vermochte nicht mehr, sich mit seiner Stärke zu schützen, so dass er die Überlegenheit der starken Liebe erdulden musste. Hier verlor er seinen Verstand an die schöne Jungfrau. Ihre mächtige Schönheit besiegte ihn, so dass er immerfort an sie denken musste, denn sie belagerte sein Herz

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mit jâmer, sô daz im nie mê von deheinem wîbe geschach sô wê. des gwaltes was er ungewon; ich sagiu daz im dâ von deste wirs muose sîn. gegen im gie diu künigîn; ir tohter nam si bî der hant; diu schœne Lârîe was si genant si enpfiengen in mit triuwen wol, als man [die] lieben vriunt sol; dar nâch die vrouwen über al. vil grôziu vreude âne schal huop sich mit zühten under in dâ. diu vrouwe hiez in sitzen sâ und klaget im ir herzeleit; der rîter sprach ‚ich bin bereit durch iuch ze rîten in den tôt; ezn ist dehein sô grôziu nôt ichn bestê si gerne und sî ir vrô, ob der rede ist alsô als mir Nêrejâ hât gesaget: daz man daz lant und die maget mit manheit erwerben sol. ez tuot mir sanfte unde wol, swaz leides mir dâ von geschiht.‘ diu vrouwe sprach ‚ichn hils iuch niht, wand ichz alsô gevestent hân – gesiget ir dem heiden an – [CL: daz ich gote getrûwe wol daz ichz v´ ch geben sol], mit mannen und mit mâgen. dô begunde in des betrâgen daz er sich sûmen solde; mit urloube er dô wolde gegen dem lande sîn geriten. dô begunde in diu maget biten daz er belibe mit ir die naht; daz gap im vreude unde maht, wand er die schœnen gerne sach. mit grôzen zühten er dô sprach ‚ir sult gebieten über mich, wan swaz ir welt, daz tuon ich; und wizzet sicherlîche: wæren mîn älliu rîche, sô daz ich keiser wære, der êren ich enbære ê ich verlieze iuwer gebot.

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mit schmerzlichem Verlangen, so, dass ihm nie wieder von einer Frau solch Leiden widerfuhr. An solche Herrschaft war er nicht gewöhnt; ich sage euch, dass es ihn deshalb umso härter traf. Die Königin kam ihm entgegen; ihre Tochter nahm sie an der Hand; sie hieß die schöne Larie. Sie hießen ihn aufrichtig willkommen, so wie es guten Freunden gebührt. Danach waren die Damen an der Reihe. Mit (höfischem) Anstand, (aber) ohne Lärm erhob sich unter ihnen größte Freude. Die Herrin bat ihn, sich zu setzen, und klagte ihm ihr Leid. Der Ritter sprach: „Ich bin bereit, für Euch in den Tod zu ziehen. Kein Kampf ist derart gefährlich, dass ich ihn nicht mit Freude auf mich nehme, wenn die Worte wahr sind, die Nereja mir gegenüber äußerte: dass man das Land und die Jungfrau mit Tapferkeit erwerben werde: Die (Zuversicht) tut mir gut, was auch immer mir dabei an Leid widerfährt.“ Die Herrin sprach: „Ich verberge es nicht vor Euch, denn so habe ich es zusammen mit den Vasallen und Verwandten festgelegt – wenn Ihr den Heiden besiegt.“ [… …] Da verdross es ihn abzuwarten. Mit Erlaubnis (der Damen) wollte er (sofort) dem Lande zu reiten. Die Jungfrau bat ihn aber, die Nacht zu bleiben; das verlieh ihm Freude und gab ihm Kraft, weil er die Schöne gerne ansah. Voller Anstand sagte er: „Ihr sollt über mich gebieten, denn was immer Ihr wollt, werde ich ausführen. Und eines sollt Ihr ganz sicher wissen: gehörten mir alle Reiche, so dass ich Kaiser wäre, auf solche Ehren wollte ich eher verzichten als Eurem Gebot zuwider zu handeln.

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ir sult ez lâzen âne spot daz ich iuch, vrouwe, minne, wand ir habt mîne sinne gevangen und daz herze mîn; diu müezen bî iu immer sîn mit triuwen biz an mînen tôt.‘ vür ir vüeze er sich bôt mit ûf gerahten henden. er sprach ‚sich muoz verenden mîn lîp nâch iuwern gnâden gar; dise reise die ich var dâ ich den lîp verliesen sol daz tuot mir herzenlîche wol, wand ez durch iuch geschehen muoz.‘ der mägde kuste er an den vuoz vor vreuden und ergap sich ir. er sprach ‚vrouwe, ditz ist mir diu meiste vreude diech ie gewan daz ich die vreise sol bestân dâ mit man iuch erwerben mac; got lâze mich den selben tac geleben daz ich in bestê, swiez halt mir dar nâch ergê, der iuch des landes verstôzen hât!‘ ‚got gebe iu helfe unde rât!‘ sprach diu maget wol getân. den rîter hiez si ûf stân und erzeicte im mit den ougen vor ir muoter tougen daz er ir was alsam der lîp. des pflegent noch diu reinen wîp daz si in diu herze sehent, dar inne suochent unde spehent durch des mannes ougen, wan swaz daz herze tougen wider den vriunt valsches hât, daz ouge ez nimmer verlât ezn meldez mit dem blicke; ez wenket harte dicke an im ûf unde nider und zücket sich vil gâhes wider; ezn siht niht güetlîche dar, niwan daz ez neme war ob iht ze merken an im sî; dâ erkennet die valschen bî. als ich mich versinnen kan: swâ diu ougen ein ander an

Ihr sollt es ernst nehmen, dass ich Euch, Herrin, liebe, denn Ihr habt meine Sinne und mein Herz gefangen gesetzt; die sollen für immer in Treue bis zu meinem Tod bei Euch bleiben.“ Er warf sich ihr zu Füßen mit ausgestreckten Händen. Er sagte: „Mein Leben wird ganz nach Eurem Willen enden. Die Reise, die ich unternehme, um das Leben zu verlieren, erfüllt mich mit tiefer Genugtuung, weil sie um Euretwillen geschieht.“ Er küsste der Jungfrau vor Freude den Fuß und unterwarf sich ihr. Er sprach: „Herrin, dies ist mir die größte Freude, die ich je erlebte, dass ich die Gefahr bestehen darf, durch die man Euch gewinnen kann. Gott lass mich den Tag erleben, den zu bekämpfen, der Euch aus Eurem Land vertrieben hat, wie immer es mir drauf ergehen möge!“ „Gott möge Euch Hilfe und Beistand verleihen“, erwiderte die schöne Jungfrau. Sie bat den Ritter, sich zu erheben, und erwies ihm mit den Augen, verborgen vor der Mutter, dass er ihr wie ihr eigenes Leben (teuer) war. So tun es heute noch die guten Frauen, dass sie, durch die Augen des Mannes, in die Herzen blicken, darin forschen und erkunden. Denn was immer das Herz verborgen gegenüber dem Freunde an Trug zurückhält, es verlässt das Auge nie, ohne es mit dem Blick zu verraten. Es (das Auge) schweift zumeist an ihm auf und ab und plötzlich weicht es aus; es blickt nicht freundlich drein, außer um zu erspüren, ob es an dem anderen etwas auszuforschen gibt. Daran erkennt ihr die Treulosen. Nach meiner Erfahrung (ist es so): Wo immer die Augen das Gegenüber

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lange sehent âne wanc, daz dâ herze und [ir] gedanc mit triuwen zuo ein ander stât; swâ ab der blic sô schiere ergât, dâ enist niht ganzer triuwe bî, ezn kome alsô daz ez sî daz sîn die liute werden gwar: sô lâze er sîn sehen gar, ern blicke dan underwîlen dar.

lange ohne abzuirren ansehen, da stehen Herz und Gedanken in Treue beieinander. Wo aber der Blick sogleich abschweift, da fehlt ganze Treue, es sei denn, dass die Umgebung aufmerksam werden könnte; dann soll man alles Schauen bis auf gelegentliche Blicke unterlassen.

Als tet im diu reine maget. waz dâ mære wart gesaget under in von guoten dingen! si kunden im wol geringen sînen muot mit süezem spil; dâ was kurzewîle vil von süezer ougen weide. ezn geschach nie man sô leide und solder under in sîn gewesen, er wær vor leide gar genesen, wan dâ was michel rîcheit. innen des wart in geseit si solden ûf ezzen gân. den rîter hiez man ûf stân von der kurzewîle; ez dûhte in wol ein mîle dô er von ir ze tische gie. grœzer êre erbôt man nie, weder ê noch sît, deheinem man als im mit willen dâ wart getân. dô si mit vreuden gâzen und dar nâch gesâzen, die vrouwen gâben im guot naht; sus schieden si sich âne braht. der tac hêt ein ende hie. her Gwîgâlois dô slâfen gie ûf einen wünniclîchen sal. dâ sach er von der mûre zetal eine brunst in dem walde; dô vrâget er alsô balde wâ diu brunst möhte sîn. si sprâchen ‚ez ist ze Korntîn, dâ unser herre nam den tôt. man hœret dâ jâmer unde nôt die langen naht unz an den tac. niemen ez erleschen mac unz daz der tac ûf gêt;

So verhielt sich die schöne Jungfrau ihm gegenüber. Was erzählten sie sich da nicht alles insgeheim von verheißungsvollen Dingen! Sie (die Damen) vermochten es wohl, seine Stimmung mit freundlichem Scherz aufzuhellen. Es gab viel Kurzweil von liebreizendem Anblick. Keinem Mann erging es jemals so übel, dass er nicht ganz vom Leid geheilt worden wäre, wenn er dort bei ihnen hätte bleiben dürfen, denn dort gab es große Pracht. Indessen wurde ihnen mitgeteilt, sie sollten zum Essen sich hinauf begeben. Man forderte den Ritter auf, sich zu erheben von seinem Zeitvertreib. Ihm kam (die Strecke) vor wie eine Meile, als er von ihr fort zu Tische sich begab. Größere Ehre wurde niemals, weder zuvor noch danach, einem Manne erboten, als man ihm aus freien Stücken bot. Als sie mit Freuden gegessen und danach zusammengesessen hatten, wünschten ihm die Damen gute Nacht. So trennten sie sich in aller Stille. Damit hatte der Tag ein Ende. Herr Wigalois begab sich zur Ruhe in einen anmutigen Saal. Er erblickte von der Mauer herab ein Feuer im Wald. Da fragte er sogleich, wo das Feuer wohl brenne. Sie sagten: „Es ist zu Korntin, wo unser Herr den Tod gefunden hat. Man hört dort Klage und Wehgeschrei die ganze Nacht hindurch bis zum Tag. Niemand vermag es zu löschen, bis der Tag anbricht;

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daz hûs ab danne dâ ganzez stêt, unverbrunnen alsam ê. man hœret dâ niwan wê! wê! schrîen die langen naht; des tages ist ez âne braht und alles schalles lære. ez ist uns ein swære daz wir des niht mugen gesehen wâ von od wie ez sî geschehen. ez hâtz getriben wol zehen jâr: des nahtes sô verbrinnet ez gar und stêt iedoch des tages dâ.‘ der rîter sprach ‚nu sagt mir wâ diu strâze durch den walt gê.‘ der truhsæze sprach ‚owê! jâne gêt niht weges leider dar: ein breitez mos hât ez gar umbevangen und ein sê. ichn kom dar in nimmer mê sît mîn vrouwe vertriben wart. ouch gêt dar in dehein vart niwan en zwein enden; die sint mit steinwenden beslozzen und mit huote, sô daz des iemen muote daz er dar in kêre er engelte sîn vil sêre, ezn volge einer dem tiere dar der nâch der âventiure var: den leitez âne schaden dar in. der teile ouch danne den gewin mit swelhem vriunde er welle! ich wil sîn geselle nimmer werden, swiez mir ergê; ichn weiz et wiez dar umbe stê: wirn gesehen ir deheinen nimmer mê.‘

dann aber steht die Burg heil und vom Feuer unversehrt da wie zuvor. Man hört dort nichts als „weh, weh!“ die ganze Nacht rufen; tags ist es still – ganz lautlos. Es bekümmert uns, dass wir nicht erkennen können, aus welchem Grund und wie es dazu kam; es dauert nun an die zehn Jahre an: Des Nachts verbrennt es zur Gänze und ersteht doch tags darauf wieder.“ Der Ritter sprach: „Nun sagt mir, wo die Straße durch den Wald führt.“ Der Truchsess sprach: „Weh, dorthin führt leider kein Weg. Ein ausgedehnter Sumpf und ein See umgibt es ganz und gar. Ich bin nie mehr dorthin gelangt, seit meine Herrin vertrieben wurde. Auch gibt es keine Zugänge dort hinein, außer an zwei Orten. Die sind mit hohen Felsen umschlossen und bewacht. Es würde jeden große Mühe kosten, da hinein zu kommen, und er müsste dafür einen hohen Preis zahlen, es sei denn, derjenige, der die Aventiure sucht, folgte dem Tier dorthin: dies würde ihn unversehrt hineinbringen. Der soll dann auch den Gewinn mit unbekanntem Freunde teilen! Ich selbst wollte niemals sein Gefährte werden, was auch immer daraus folgt; ich weiß nicht, was es damit auf sich hat: Keinen von ihnen sahen wir jemals wieder.“

‚Der al die werlt geschaffen hât, der gebe mir helfe unde rât und trôst ze mîner reise, wand ich die selben vreise mir ze vreuden hân erwelt,‘ sô sprach her Gwîgâlois der helt; ‚ez wirt mir ein vil süeziu nôt und sol ich durch si ligen tôt die ich ze vrouwen hân erkorn; ich muoz und wil ir sîn geborn

„Der die ganze Welt geschaffen hat, der stehe mir mit Rat und Hilfe und mit Unterstützung bei meinem Vorhaben zur Seite, denn ich habe diese Gefahr mir zur Freude erwählt.“ – So sprach Herr Wigalois, der Held – „Es wird mir ein lustvoller Kampf sein, wenn ich den Tod um derentwillen erleide, die ich mir zur Herrin erkoren habe. Ich werde und will

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ze dienest swar ich kêre!‘ der rede enwart niht mêre, wand im was ruowe harte nôt; guot naht er in dô bôt. sus ruowet er unz an den tac. sîns rosses man mit vlîze pflac; ez wart dâ harte wol beslagen. sîn îsengwant daz hiez man tragen balde in ein vegevaz; mit solhem vlîze vegt man daz ez wart lûter als ein îs. si vürderten in en mangen wîs zer ängestlîchen reise. sîn muot in in die vreise und in solhen kumber stiez dar zuo im niemen trôst gehiez; an gotes gnâde erz allez liez.

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zu ihrem Dienst geboren sein, wohin ich auch komme.“ Mehr wollte er nicht sagen, denn er bedurfte dringend der Ruhe. Er wünschte ihnen eine gute Nacht. So ruhte er bis zum Tagesanbruch. Sein Pferd hatte man gut versorgt; es bekam dort neue Hufeisen. Sein Kettenhemd befahl man in ein Fegefass zu legen; so sorgfältig reinigte man es, dass es wie Eis glitzerte. Sie unterstützten ihn auf vielfältige Weise in seinem gefährlichen Vorhaben. Sein Entschluss trieb ihn in die Gefahr und in solche Bedrängnis, bei der ihm niemand Beistand leisten konnte. Er überantwortete alles der Gnade Gottes.

13. Führung durch das wunderbare Tier Am andern Tage wird eine Messe für ihn gehalten. Ein Priester segnet ihn und heftet einen Zettel an sein Schwert, der es vor jedem Zauber schützt. Larie schenkt ihm ein wunderkräftiges Brot. Das Tier erscheint; als Wigalois es erreicht hat, legt es sich vor ihm auf das Gras, um seine Dankbarkeit zu erzeigen. Wigalois folgt ihm auf unwegsamem Waldpfad, bis sie vor das Tor einer Burg kommen; der Pförtner lässt die Zugbrücke fallen, worauf sie Korntin betreten. Zwischen zwei breiten Straßen gewahrt er eine Schar turnierender, laut schreiender Ritter. Sie alle tragen dasselbe Wappen: rote Feuer in schwarzem Felde. Eine Lanze, die er gegen sie führt, fängt Feuer, sodass Schaft und Eisen verbrennen. Er wendet sich vom unheimlichen Tumult ab, da er erkennt, dass Gott ihnen dieses Leben als Buße auferlegt hat. Das Tier führt ihn nach dem prächtigen Schlosse. Vor demselben, an der Straße, liegt ein Anger; in der Mitte ein Baum mit duftenden Blüten. Das Tier springt auf den Anger und verwandelt sich in einen Menschen, der die Krone trägt. Wigalois jedoch vermag nicht, ihm dorthin zu folgen; durch göttliches Geheimnis ist der Anger, ohne Wand, umschlossen. Auf seine Frage, wer er sei und ob er an Christus glaube, offenbart sein Führer ihm, er sei Herr dieses Landes gewesen, Gott habe ihm diesen Anger als Paradies zum Lohne für seine guten Werke verliehen. Jeden Tag dürfe er das Fegefeuer verlassen und hier ausruhen. Die Gestalten, die er gesehen habe, seien die bei Roaz’ Überfall getöteten Ritter; sie weilten im Höllenfeuer und fänden keine Ruhe. Wigalois sei berufen, das Land von einem Drachen (Pfetan) und von Roaz’ Gewalt zu befreien und Larie zu gewinnen. Roaz habe es nicht gewagt, den Kampf gegen den Drachen aufzunehmen. Zum Schutze gegen seinen verderblichen Atem erhält Wigalois eine Blüte vom Baume. Vor dem Burgtor stecke ein Speer (glävie) in der Felswand; ein Engel habe ihn gebracht; damit werde er den Drachen töten; doch müsse er darauf gefasst sein, dass er selbst schweren Schaden nehmen werde. Wigalois sei mit Fug und Recht ein auserwählter Held, der Sohn Gaweins, des berühmtesten Ritters von der Tafelrunde. Er spricht einen Segenswunsch für Wigalois. Zehn Jahre habe er für seine Sünden gebüßt; jetzt gehe er zum letzten Mal ins Fegefeuer, aus dem er am andern Tag geläutert hervorgehen werde. (4370–4835)

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Des morgens dô der tac ûf gie, sîn sorge in niht slâfen lie und der jâmer nâch der maget. sîn herze was vil unverzaget; des gnôz er an vil manger stat. eine messe er im dô singen bat von dem hêren geiste und bat got aller meiste siges durch die reinen maget, wand im vür wâr was gesaget ob er den sic genæme dâ, man gæbe im mit stæte sâ die schœnen magt ze wîbe, ze vreuden sînem lîbe; des vreute sich der küene man. dô daz ambet wart getân und sich der pfaffe engarte, dô stuont er unde warte wen er im gæbe den segen, als wir zer nœte hiute pflegen. der priester kom vil schiere wider; mit grôzem jâmer kniete er nider vür den alter mit gebet. eine kefsen nam er an der stet, diu was heilctuomes vol; mit rôtem golde was si wol gezieret und mit gesteine; von wîzem helfenbeine was der kefsen daz ander teil. der priester was gar âne meil und ledic aller bôsheit; sîn hâr was grâ unde reit, sîn bart lanc unde breit; mit rîcher wât was er gekleit: sîn pelz der was luter grâ, mit einem samît der was blâ bezogen [vil] meisterlîche, gevidert was er rîche mit einem zobel spanne breit; der priester hêt an sich geleit einen mantel der was luhsîn; der slaht moht er niht bezzer sîn, mit einem siglât bedaht. die liute liezen alle ir braht und neicte sich der junge degen. der priester gap im dô den segen als er beste kunde:

Als früh der Tag heraufzog, ließ ihn seine Unruhe nicht mehr schlafen wie auch sein schmerzliches Verlangen nach der Jungfrau. Er war ganz ohne Furcht; das gereichte ihm oft zum Vorteil. Er bat darum, eine Messe von dem Heiligen Geiste für ihn zu singen und erbat von Gott inständig, um der vortrefflichen Jungfrau willen, den Sieg, denn ihm war versichert worden, dass man, wenn er dort den Sieg davontrüge, ihm verlässlich die schöne Jungfrau zur Frau geben wolle, zu seiner ganzen Freude. Daran erfreute sich der tapfere Mann. Als das Hochamt vollbracht war und der Priester (seinen Ornat) abgelegt hatte, stand er bereit und hatte darauf Acht, den Segen von ihm zu empfangen, wie wir heute, wenn ein Kampf bevorsteht. Der Priester kam alsbald zurück; mit heftiger Klage kniete er nieder vor dem Altar zum Gebet. Eine Kapsel nahm er dort an sich, die mit Reliquien gut bestückt war. Sie war mit rotem Golde und Edelsteinen schön geschmückt. Aus weißem Elfenbein bestand das Gefäß selbst. Der Priester selbst war ganz ohne Sünde und frei von jeder Schlechtigkeit. Sein Haar war grau und gelockt, sein Bart lang und breit. Mit kostbaren Gewändern war er eingekleidet: Sein Pelz war ottergrau, mit einem blauen Brokat [ganz] vortrefflich bezogen. Sein reicher Pelzbesatz bestand aus einem spannebreiten Zobel. Der Priester hatte sich in einen Mantel aus Luchsfell gehüllt; von dieser Art konnte es keinen besseren geben, (er war) außen mit Siglat überzogen. Die Leute schwiegen alle still, und der junge Held beugte das Haupt. Der Priester gab ihm darauf den Segen nach bestem Vermögen:

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mit kefsen und mit munde segent er in in den tôt. dâ wart vil manic ouge rôt dô im der segen wart gegeben. ‚herre got, vrist im sîn leben und gip im sige unde kraft zer ängestlîchen rîterschaft und behalte im sînen jungen lîp‘ sprach dâ man unde wîp, ‚wand er ist alles guotes wert.‘ der priester strihte im umb sîn swert einen brief, der gap im vesten muot: vür älliu zouber was er guot. des gnâter im und bevalch sich got. dar nâch schiere kom ein bot, der hiez in enbîzen gân. der imbiz wart vil schiere getân; ringiu spîse was im bereit ze sîner grôzen arbeit. von dem tische gienc er zehant dâ er die vrouwen alle vant und nam urloup von in sâ. sîn vestez herze liez er dâ bî der mägde wol getân; ir krankez herze vuorte er dan. nu sprechet wie sîn werde rât der ein krankez herze hât als er ze strîte rîten sol? dâ tuot im der gedinge wol und der muot den im gît diu süeze minne zaller zît; ditz allez reizte in ûf den strît.

Mit der Kapsel und mit seinen Worten segnete er ihn für den Tod. Da röteten sich viele Augen, als er den Segen empfing. „Herr Gott, schütze ihn und gib ihm Sieg und Kraft für den gefährlichen Kampf und bewahre ihm sein junges Leben,“ – wünschten da alle – „denn er ist aller guten Dinge wert.“ Der Priester band an sein Schwert ein Amulett, das stärkte sein Selbstvertrauen, denn es half gegen jeden Zauber. Dafür dankte er ihm und befahl sich Gott an. Bald danach kam ein Bote, der rief ihn zum Morgenmahl. Das ward rasch eingenommen; eine leichte Speise wurde ihm vor seinen schweren Kampfesmühen bereitgestellt. Rasch verließ er die Tafel und ging dorthin, wo er die Damen alle antraf, und nahm von ihnen Abschied. Sein beständiges Herz ließ er dort bei der schönen Jungfrau; ihr schwaches Herz führte er davon. Nun sprecht, wie dem Hilfe zukommen soll, der ein schwaches Herz hat, wenn er in den Kampf reiten muss? Da wird ihn die Hoffnung stärken und jenes Hochgefühl, das die süße Minne ihm allzeit verleiht. All das spornte ihn zum Kampf an.

Hie neic er dem gesinde von kinde ze kinde, von manne ze manne; dem rîter volget danne ein segen meiniclîche: si bâten alle gelîche got daz er sîn gedæhte und in wider bræhte mit sige und mit gesunde. got enwolde sô mangem munde sîne gnâde niht versagen: er liez in an der vart bejagen solhen prîs der in noch wert; des hêt der rîter ie gegert.

Und so verabschiedete er sich vom Gefolge, nacheinander von jedem Knappen, von jedem Mann. Dem Ritter folgte ein liebevoller Segen nach: Alle baten gleichermaßen Gott, sich seiner anzunehmen und ihn siegreich und unversehrt zurückzubringen. So vielfacher Stimme wollte Gott seine Gnade nicht versagen: Er ließ ihn auf dieser Reise einen Ruhm gewinnen, der ihn noch immer ziert. Danach hatte der Ritter von jeher gestrebt.

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man brâhte im sîn ors zehant, sper, schilt und îsengwant; dô wâfent sich der junge degen. des lîbes hêt er sich bewegen. vrouwe Lârîe sande im dô eine gâbe, der wart er harte vrô: ez was ein tasche pfellîn; ein brôt daz was geleit dar în, geworht mit grôzer meisterschaft: von wurzen hêt ez solhe kraft daz in lie diu hungers nôt als erz engegen dem munde bôt; ez gap im muot und solhe maht: er wære gewesen siben naht in einem walde âne maz als er sîn ein lützel gaz; des gnâter ir wol tûsent stunt. nu kom ein bot, der tet im kunt, als erz ouch ê hêt vernomen, daz tier wær vür die burc komen und gienge gegen dem walde. danne kêrte er balde mit jâmer vür daz bürgetor; dâ sach er daz tier vor gegen dem walde kêren; sîne reise begunde er mêren wand im was zuo dem tiere gâch. daz gesinde segent im nâch und antwurt in in gotes pflege. her Gwîgâlois kêrt von dem wege ein engez pfat, daz was niht breit, unz er daz schœne tier erreit. als er im sô nâhen kam daz ez sîn rehte war genam, dô spiltez gegen im als ein hunt; mit sînem spil tet ez im kunt daz er im willekomen was; ez legt sich vür in ûf daz gras und gnâte im sîner künfte dar. des wart er an im wol gewar, wand ez vil güetlîche tet. nâch im kêrte er von der stet ein pfat, daz was vil enge; durch michel gedrenge reit er in kurzer wîle baz danne zwelf mîle; sus vuoren si mit île.

Man brachte ihm sogleich sein Streitross, Speer, Schild und Kettenhemd; da rüstete sich der junge Held. Mit seinem Leben hatte er abgeschlossen. Frau Larie sandte ihm da eine Gabe, die ihn erfreute: eine Tasche aus fester Seide; ein Brot fand sich darin, das mit großer Kunst gefertigt worden war. Gewürze verliehen ihm die Wunderkraft, seinen Hunger zu vertreiben, sobald er es nur zum Munde führte. Es verlieh ihm innere Festigkeit und solche Kraft, so dass er sieben Nächte ohne Speise in einem Wald hätte aushalten können, wenn er nur ein weniges von ihm verzehrte; dafür dankte er ihr vielmals. Da kam ein Bote, der ihm die Nachricht brachte, wie es ihm zuvor schon berichtet wurde, das Tier sei vor der Burg erschienen und bewege sich auf den Wald zu. Da begab er sich sogleich unter leidvollen Gedanken vor die Burg; da erblickte er das Tier, wie es sich dem Wald zuwandte; so setzte er sich in Bewegung, denn er hatte es eilig, zu ihm zu gelangen. Das Gefolge schickte ihm seinen Segen nach und überantwortete ihn der Fürsorge Gottes. Herr Wigalois verließ den Weg und folgte einem schmalen Pfad, der nicht bequem (zu reiten) war, bis er das schöne Tier eingeholt hatte. Als er sich ihm so näherte, dass er es richtig sehen konnte, begann es wie ein Hund mit ihm zu spielen; mit seinem Spiel zeigte es ihm, dass er ihm willkommen war; es legte sich vor ihm ins Gras und dankte ihm für seine Ankunft. Dies bemerkte er deutlich, denn es verhielt sich ganz freundlich. Ihm nach schlug er einen sehr engen Pfad ein; über dichtes Unterholz ritt er in kurzer Zeit mehr als zwölf Meilen weit; derart schnell eilten sie dahin.

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Hie hêt der walt ein ende; bî einer steinwende kômen si vür daz bürgetor; dâ lâgen wilde graben vor; die wâren sô vreislîche tief, als ein man dar în rief, daz ez vil kûme her ûf hal; dâ wâren pfîlære hin ze tal geworht mit grôzer krefte, dar ûf mit meisterschefte ein brücke was geslihtet, ein slegetor [was] gerihtet von den pfîlæren enbor; dâ was geheftet an daz tor. als daz tier zuo gie, der portenære ez sîgen lie und haftez ûf die brücke nider. in sîn hûs gienc er wider: er erkande sînen blâst wol; sô grôzer hitze was ez vol, an swaz ez in der werlte blies, daz bran zehant als ein mies, steine und îsen als ein strô. nâch dem tiere reit er dô ze Korntîn in daz lant; daz was eben als ein hant, wol gebûwen über al; dâ lac ûf und zetal wînwähse harte vil. dô sach er sîner ougen spil vor im: einen turnei; dâ wart vil manic sper enzwei in kurzer wîle gestochen, die starken schilte zebrochen von slegen und von stichen; si jagten und entwichen ze rehte als si solden; daz wart dâ wol vergolden beidiu mit stichen und mit slegen; enzwischen zwein breiten wegen was diu storîe; hundert unde drîe was der rîter und niht mê; man hôrte dâ niwan ‚wê! wê!‘ vor in kreigieren dâ. her Gwîgâlois bedâhte sich sâ ezn wæren rehte liute niht;

Da war der Wald zu Ende; an einer Felswand kamen sie vor das Burgtor; wilde Schluchten lagen davor, die waren so erschreckend tief, dass, wenn man hineinrief, es keinen Widerhall gab; herab führten mächtige Pfeiler, auf welche mit großer Kunst eine Brücke geschlagen war. Ein Falltor erhob sich über den Pfeilern; doch war dieses Falltor hochgezogen. Als das Tier herzukam, ließ der Türhüter das Tor herab und an der Brücke einrasten. Er zog sich in sein Haus zurück: Sein Schnauben war ihm wohlbekannt; es war von solch großer Hitze erfüllt: alles, was es anhauchte, brannte sofort wie Heu, desgleichen wie Stroh Steine und Eisen. Hinter dem Tier ritt er da in das Land Korntin; das war flach wie eine Hand, überall wohl bebaut; auf und ab (im Land) waren zahlreiche Weingärten angelegt. Da erblickte er mit Freude vor sich ein Turnier; da wurden in kurzer Zeit viele Lanzen verstochen, starke Schilde durchbrochen von Schlägen und Lanzenstichen; sie setzten nach und wichen zurück ganz so, wie es sich gehörte; das wurde dort wohl beantwortet mit Hieb und Stich. Zwischen zwei breiten Wegen bewegte sich die Kriegerschar, es waren genau einhundertunddrei Ritter; man hörte dort nur „weh, weh!“ als Turnierruf. Herr Wigalois überlegte bei sich, es seien wohl keine wirklichen Menschen;

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ir rîterschaft dûhte in enwiht und nam ir aller wâfen war; daz was in einer varwe gar, rehte swarz alsam ein kol; mit zinober wâren wol rôtiu viur gemâlet drin. in twanc sîn manheit und sîn sin daz er sîn sper an der stet mit einer rîchen jost vertet durch sîne lieben âmîen, die schœnen Lârîen. ‚zevalier!‘ begunder schrîen.

ihre Kämpfe schienen ihm nur gestellt und er wurde ihres Wappens gewahr; das war ganz und gar von einer Farbe: ganz kohlschwarz; zinnoberrot waren rote Flammen hineingemalt. Mut und Eingebung trieben ihn an, seine Lanze an diesem Ort in einer trefflichen Tjost um seiner Geliebten, der schönen Larie willen zu verstechen. „Chevalier“ war sein Schlachtruf.

Dô er daz sper hêt vertân, beidiu schaft und îsen bran swâ ez an si ruorte; sîn ors in danne vuorte baz danne rehte reise. ern kom in solhe vreise von sô grôzer hitze nie. er gedâhte ‚herre got, wie stêt ez umb dise rîterschaft daz beidiu îsen unde schaft an in sô gar ist verbrant? und wær mir doch daz nû erkant wes gesinde ez wære, sô vrâget ich si der mære unz ich ervüere ir leben gar.‘ von der jæmerlîchen schar kêrte der edel rîter dô; ir valschiu vreude tet in unvrô, wand er wol sach daz in daz leben got ze buoze hêt gegeben. von den rîtern wart im gâch; dem tiere kêrte er aber nâch vür daz hûs ze Korntîn. an des gezierde was wol schîn daz daz lant rîche was; diu mûre glaste alsam ein glas lûter unde reine, von edelm märmelsteine geworht vil meisterlîche; ein palas harte rîche lac enmitten drinne gemûrt mit grôzem sinne von lûtern kristallen – daz muose im wol gevallen, –

Als er die Lanze verstochen hatte, brannten Schaft und Spitze, wo auch immer er mit ihnen in Berührung kam; sein Pferd trug ihn weiter nach vorn über das Ziel hinaus. Er kam nie zuvor von so großer Hitze in solche Bedrängnis. Er dachte: „Herrgott, was hat es auf sich mit diesem Kampf, dass Schaft und Lanzenspitze an ihnen ganz und gar in Flammen aufgehen? Und wenn ich doch nun wüsste, wessen Gefolgsleute sie sind, so würde ich sie fragen, bis ich alles über sie erfahre.“ Von der jammerbeladenen Schar wandte sich der treffliche Ritter ab, ihr leeres Vergnügen betrübte ihn, denn er erkannte wohl, dass Gott ihnen dieses Leben zur Buße auferlegt hatte. Er zog sich rasch von den Rittern zurück, und folgte abermals dem Tier bis vor die Burg zu Korntin. An ihrer Pracht war zu erkennen, dass das Land reich war; die Mauer spiegelte das Sonnenlicht wie klares und helles Glas und war mit kostbarem Marmor kunstvoll gesetzt. Ein prachtvoller Palas mitten im Innern, gemauert mit großem Kunstverstand aus reinen Kristallen – das gefiel ihm wohl –

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mit vlîze gewelbet âne dach; durch die mûre man wol sach allez daz dar inne was, wan si was lûter als ein glas; daz hûs was erbûwen wol und maniger gezierde vol. ouch lac ein anger vor dem tor ûf einem breiten steine enbor nâhen bî der strâze; schône âne mâze ein boum dar ûf gebelzet was rehte enmitten in daz gras, des schat den anger gar bevie; von sînem süezen bluote gie ein smac reine unde guot; der gap kraft und guoten muot. dar engegen daz tier kêrte, als ez diu gwonheit lêrte, dâ der schœne anger lac. nimmer wart dehein tac ezn kœme dar zer selben stunt; sîn süezer smac was im wol kunt. ûf den anger spranc ez sâ; daz tier wart verwandelt dâ zehant von sîner wilde in eines mannes bilde; der hêt zöpfe alsam ein wîp; beidiu sîn wât und sîn lîp diu wâren lieht sunnen var, lûter und sô rehte klâr daz ez im in diu ougen schein als ein lieht karfunkelstein; sîn houbet daz was schône gezieret mit der krône die daz tier hêt dar getragen. her Gwîgâlois bî sînen tagen sô vremdes nie niht gesach. des erkom er sêre unde sprach ‚herre got, waz sol daz sîn?‘ zuo dem man wold er dar în erbeizet sîn sâ zehant; dô was der anger âne want beslozzen mit gotes tougen; swie in doch sîniu ougen vor im offen sâhen, ern mohte niht genâhen

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sorgsam gewölbt ohne Dach; durch die Mauer hindurch sah man wohl alles, das sich im Innern befand, denn sie war klar wie Glas. Die Burg war vortrefflich gebaut und mit allerlei Zierrat geschmückt. Es befand sich ein Anger vor dem Tor auf einem breiten Felsen aufliegend in der Nähe des Weges; ein über die Maßen schöner Baum war in die Mitte der Wiese gepflanzt worden, dessen Schatten den Anger ganz bedeckte; von seiner süßen Blüte ging ein reiner Wohlgeruch aus, der verlieh Stärke und Zuversicht. Nach seiner Gewohnheit lief das Tier dorthin, wo der schöne Anger sich befand. Es gab keinen Tag, an dem es nicht zur gleichen Stunde dorthin gekommen wäre. Sein süßer Duft war ihm wohl vertraut. Es sprang alsbald auf den Anger. Dort wurde das Tier plötzlich von einem wilden Geschöpf in einen Mann verwandelt. Er hatte Zöpfe wie eine Frau; sein Gewand wie seine Haut waren von der Farbe der leuchtenden Sonne, rein und so überaus hell, dass es ihm die Augen blendete wie ein glänzender Karfunkelstein. Sein Haupt war auf schöne Weise mit der Krone geschmückt, die das Tier bis dahin getragen hatte. Herr Wigalois hatte in seinem Leben noch nie so etwas Wundersames gesehen. Darüber erschrak er sehr und sprach: „Herrgott, was bedeutet dies?“ und wollte sofort vom Pferd steigen und sich zu dem Mann begeben, doch war der Anger ohne eine Mauer durch Gottes Geheimnis verschlossen; wenngleich doch seine Augen ihn (ohne Hindernis) vor sich sahen, konnte er sich dem Mann nicht nähern,

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dem manne den er bî im sach. daz muote in sêre unde sprach ‚sag an, sît du mensche bist, ob du geloubest an Krist und wiez umb dîn leben stê; dir ist nû wol, ê was dir wê. als ich mich versinnen kan, got hât wunder an dir getân: ê wærd ein tier, nû bist ein man.‘

den er dicht bei sich sah. Das bekümmerte ihn sehr und er sprach: „Sprich, da du ein Mensch bist, ob du an Christus glaubst und was es mit dir auf sich hat. Dir geht es jetzt gut, zuvor sicher nicht, wie ich erkennen konnte. Gott hat Wunder an dir vollbracht: Zuvor warst du ein Tier, jetzt bist du ein Mann.“

Er sprach ‚den du mir hâst genant, der sol mir immer sîn bekant und geloube daz er wârre Krist ie was und immer ist, daz âne in niht genesen mac; ich hân verdienet sînen slac

Dieser erwiderte: „Den du mir genannt hast, der wird mir immer vertraut sein und ich glaube, dass er der wahre Christus immer war und sein wird, dass niemand ohne ihn errettet zu werden vermag. Ich habe mir seine Strafe und seinen Zorn zu Recht zugezogen, zu meinem Unglück; daher bin ich arme Seele verloren, wenn er mir nicht gnädig sein will: ohne ihn glaube ich nicht mein Heil zu finden. Das ist mein Ruheplatz, den ich aufsuche, sobald ich aus dem Fegefeuer, immer zu dieser Tageszeit, entlassen werde. Einen anderen Ruheplatz kenne ich nicht, wie ich dir nun darlegen will: Als ein Paradies verlieh mir Gott dies hier zum Lohn; dies habe ich erworben, ich sage dir warum: ich war Herrscher über dieses Land und hatte Gewalt über Menschen und Ländereien. Da verlieh mir Gott so viel Edelmut, dass ich die Armen stets hierher zu kommen bat; allen armen Leuten gab ich mit eigener Hand; ich versorgte sie mit Speise. Dieses Paradies verlieh mir Gott zum Lohn und diese leuchtende Krone, die ich hier mit Freuden trage. Du sollst mir genau zuhören.“ „Gern“, sprach der Held. Er fuhr fort: „In der Nähe haust nun wohl seit zehn Jahren ein Drache; der hat dieses Land völlig

leider mir und sînen zorn; des bin ich armiu sêle verlorn ern welle mir genædic wesen: âne in trûwe ich niht genesen. ditz ist mîn ruowe die ich hân, als ich von den wîzen gân des tages ie ze dirre stunt; niht mê ruowe ist mir kunt als ich dich nû bewîse: zeinem paradîse gap mir got ditz ze lône hie; daz verdienet ich, ich sage dir wie: ich was herre über ditze lant unde stuont gar in mîner hant beidiu liute unde guot; dô gap mir got sô guoten muot daz ich die armen an dise stat zallen zîten komen bat; ich teilte in selbe mit mîner hant, swaz ich armer liute vant; die beriet ich mit der spîse. ditz selbe paradîse gap mir got ze lône und dise liehte krône die ich hie mit vreuden trage. du solt merken waz ich dir sage.‘ ‚daz tuon ich gerne‘ sprach der degen. er sprach ‚ez ist hie bî gelegen ein wurm nû wol zehen jâr; der hât ditze lant gar

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verwüest unz an daz wilde mos; beidiu man unde ros treit er hin âne wer; von sînem stanke verdürbe ein her der im ûz dem halse gêt; und wizze et daz, wer in bestêt, der hât den tôt an der hant. nu hât dich got her gesant daz du uns erledigen solt; dâ mit erwirbestu den solt des du immer vrô maht sîn: Lârîen, die tohter mîn, dar zuo ditz lant ze Korntîn.

verwüstet bis an den wilden Sumpf. Mann und Pferd schleppt er ohne Gegenwehr hinweg; von seinem üblen Atem, der seinem Halse entströmt, ginge ein Heer zugrunde. Und du sollst wissen, wer sich ihm zum Kampf stellt, der hat sich dem Tod ausgeliefert. Nun hat dich Gott hierher geschickt, uns zu befreien. Damit erwirbst du den Lohn, auf den du stets stolz sein kannst, nämlich Larie, meine Tochter, darüber hinaus dieses Land Korntin.

Ouch wil ich dir sagen mê: diu rîterschaft die du ê sæhe bî der strâze; der wîze ist âne mâze grôz und sô jæmerlîch daz ir nœte ist niht gelîch; swie vrœlîch si dâ rîten, si sint doch zallen zîten in der helle viure; ruowe ist in tiure; daz tuot mir wê und muoz ez klagen: si wurden alle [bî] mir erslagen dô mir der ungetriuwe man an guoten triuwen an gewan mînen lîp und ditze lant. Rôaz von Glois ist er genant; ez ist manic zierre degen von sîner hant hie tôt gelegen die nâch der âventiure riten; si habent hie alsô gestriten daz si ir êre gar verlurn und ouch den tôt von im kurn. sîn hûs daz lît hie nâhen bî. und wizze iedoch, swie küene er sî, ern getorste den wurm nie bestân, swie er im doch habe getân solhen schaden mangen tac den er niht überwinden mac an sînen liuten die er hât.‘ der rîter sprach ‚nu gip mir rât durch die gotes güete wie ich mich behüete vor des wurmes stanke,

Aber ich will dir noch mehr sagen: Die Ritterschar, die du zuvor auf dem Weg sahst, deren Strafe ist unermesslich groß und so jammervoll, dass ihren Nöten sich nichts vergleichen lässt. Wie fröhlich sie dort auch reiten, so sind sie doch stets im Höllenfeuer. Sie finden keine Ruhe; das schmerzt mich und ich muss es beklagen: sie wurden mir alle erschlagen, als mir der treulose Mann gegen schuldige Treue Land und Leben abgewann. Roaz von Glois wird er genannt. Viele vortreffliche Helden fielen von seiner Hand, die auf Aventiure ausgeritten waren. Sie haben hier auf solche Weise gekämpft, dass sie ganz und gar ihre Ehre verloren und den Tod von ihm empfingen. Seine Burg liegt ganz in der Nähe. Und wisse dennoch, wie tapfer er auch immer sei, er wagte es nie, sich dem Drachen zum Kampf zu stellen, wenngleich der ihm über lange Zeit derartigen Schaden an seinem Gefolge zugefügt hat, den er nicht verschmerzen kann.“ Der Ritter sprach: „Nun berate mich um der Güte Gottes willen, wie ich mich vor dem üblen Atem des Drachen schützen soll;

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13. Führung durch das wunderbare Tier

daz ich dirs immer danke, die wîl ich lebe, mit mîm gebet.‘ der schœne man brach an der stet von dem boume einen bluot. er sprach ‚nu nim! ditz ist dir guot, daz dir dehein bœser smac von sîner süeze geschaden mac, und rît vür daz bürgetor; dâ stecket ein glävîe vor, die brâhte mir ein engel her; niht ist daz dâ vor gewer, horn, stein noch îsengwant, man steche dâ durch unz an die hant. si wart genomen, ich sage dir wâ: in der innern Indîâ dâ ist einer slahte stâl daz hât von golde rôtiu mâl und ist sô herte daz ez den stein rehte snîdet als ein zein. si stecket in der steinwant. nu nim si, helt, in dîne hant und rît ûf die heide; er ist an sîner weide als der âbent ane gêt; swaz lentiges dan dâ bestêt, liute od vihe, daz treit er hin; ze vlühte habe niemen sin, wand er erloufet, swenne er wil, daz wilde tier als er spil. man enmac in niht gesêren mit geschozze noch mit gêren; ouch ist dehein gesmîde daz den wurm snîde wan diu glävîe eine; in einem holen steine ist er gelegen mangen tac, dâ in niht gewinnen mac. du erslehst den wurm, daz ist wâr; du verliusest ab von im sô gar dîne kraft daz dir nie mê von deheinem strîte geschach sô wê; die nôt soltu bedenken ê.‘

ich will es dir zeitlebens mit meinem Gebet danken.“ Der schöne Mann brach dort eine Blüte von dem Baum. Er sprach: „Nimm, dies hilft dir, wegen seiner Lieblichkeit wird dir kein Übelgeruch schaden können, und reite vor das Burgtor; davor steckt eine Lanze, die mir ein Engel hierher brachte. Nichts hält ihr stand, weder Horn, Stein noch Harnisch, so dass man bis auf die Hand hindurch sticht. Sie wurde, ich sage es dir, aus dem Innern Indiens mitgebracht; dort gibt es eine Sorte Stahl, der ist von Gold rot gefleckt und so hart, dass es den Stein glatt durchschneidet wie ein Rohr. Sie steckt in der Felswand. Nimm sie, Held, zur Hand und reite auf die Heide, dort ist er auf Futtersuche bei Anbruch des Abends; was immer an Lebendigem sich dann dort zeigt, Menschen oder Vieh, das trägt er hinweg; an Flucht ist nicht zu denken, denn er holt, wann immer er will, auch wilde Tiere spielend ein. Man kann ihn weder mit Bolzen noch mit Wurfspießen verletzen; darüber hinaus gibt es kein Werk eines Schmieds, das dem Drachen schaden könnte, außer der Lanze allein. In einer Höhle haust er seit langem, wo ihn nichts und niemand überwältigen kann. Du wirst diesen Drachen töten, das ist sicher; jedoch wird dir durch ihn deine Kraft so sehr schwinden, dass dir nie zuvor von einem Kampf so großer Schmerz widerfuhr; diese Gefahr sollst du zuvor bedenken.“

Her Gwîgâlois mit vreuden sprach ‚wol mich, daz ez mir ie geschach daz ich die magt ervehten sol! ez tuot mir herzenlîche wol

Herr Wigalois sprach freudig: „Wohl mir, dass es an mir sein soll, die Jungfrau zu erstreiten! Es freut mich von Herzen,

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daz ich hie strîtes vinde stat.‘ ‚jâ, benamen, du wirst sîn sat!‘ sprach der wundern schœne man. ‚nâch dînem willen muoz ergân allez des dîn herze gert; des bistu weizgot wol wert; du solt von rehte sîn ein helt, wan dîn vater ist erwelt, der süeze her Gâwein, zuo dem besten rîter ein den diu sunne ie beschein.‘

hier einen Ort zum Kämpfen zu finden.“ „Ja, wahrlich, er wird dir im Übermaß zuteil werden!“ sprach der überaus schöne Mann. „Nach deinen Wünschen wird geschehen, was immer dein Herz begehrt; weiß Gott, dessen bist du wohl wert. Du magst zu Recht ein Held sein, denn dein Vater, der edle Herr Gawein, zählt zu den besten Rittern, die die Sonne je beschien.“

Der junge rîter aber dô sprach ‚du erkennest den ich nie gesach.‘ ‚zwâre, du hâst!‘ er sprach ‚nein.‘ ‚ez ist der selbe Gâwein dem der künic Artûs ze Karidôl in sînem hûs sîn êre gar bevolhen hât, an dem der hof aller stât.‘ ‚sô dir got, ist ez wâr?‘ ‚[zwâr,] ichn liuge dir niht umb ein hâr.‘ ‚her Gâwein wart er mir genant; mir was ab daz unbekant ob er mîn vater wære; nu vreuwe ich mich der mære daz mir von sîner vrümicheit sô mangen enden ist geseit; ouch hân ichz selbe wol gesehen.‘ ‚sælde und êre müez dir geschehen!‘ sô sprach diu sêle ‚nu gêt mir zuo diu zît daz ich unz morgen vruo in dem hûse brinnen sol; dar nâch ist mir immer wol. ich hân gebüezet zehen jâr; dar nâch bin ich ledic gar mîner sünden die ich ie getet. du solt, helt, mit dîm gebet gedenken der vil armen schar diu vor mir in daz hûs var, wan diu ist leider unerlôst; du bist ir helfe und ir trôst; als ich dir ê hân gesaget, dir wirt daz lant und diu maget, dar zuo rîche dienstman, wan du gesigest dem heiden an des leit ich ie mit leide truoc;

Da erwiderte der junge Ritter: „Du kennst ihn, den ich nie gesehen habe?“ „Doch, du hast!“ Er sprach: „Nein.“ „Er ist derselbe Gawein, dem König Artus in seiner Burg zu Karidol seine Ehre ganz anvertraut hat, als dem wahren Garant des Hofes.“ „Bei Gott, ist das wahr?“ „Wahrlich, ich sage dir die volle Wahrheit.“ „Er wurde Herr Gawein genannt; ich wusste jedoch nicht, ob er mein Vater ist. Nun freue ich mich darüber, dass man mir gegenüber überall seine Tapferkeit rühmte; auch war ich selbst wohl Augenzeuge.“ „Glück und Ehre sollen dir zuteil werden!“ Da sprach die Seele: „Nun naht mir die Zeit, in der ich bis morgen früh in der Burg brennen muss; danach wird es mir für immer wohl gehen. Ich habe zehn Jahre lang gebüßt; danach bin ich erlöst von den Sünden, die ich jemals beging. Du sollst, Held, die elende Schar in dein Gebet einschließen, die vor mir in die Burg einzieht, denn sie ist leider unerlöst. Du bist ihr Beistand und ihre Zuversicht. Wie ich dir zuvor schon sagte, dir werden Land und Jungfrau zuteil, dazu ein mächtiges Gefolge, denn du wirst den Heiden besiegen, an dessen Schicksal ich stets Anteil nahm.

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14. Kampf mit dem Drachen Pfetan

an guoten triuwen er mich sluoc; durch daz ich im mîn dienest bôt, dâ von kom ich in dise nôt; des lît mîn armer lîp nu tôt.‘

Gegen alle Treue hat er mich getötet; weil ich ihm gefällig war, bin ich in diese Bedrängnis gekommen; daher bin ich armer Mann gestorben.“

14. Kampf mit dem Drachen Pfetan Mittlerweile kommt die Ritterschar herangeritten; sie steigen vom Pferde, nehmen ihre Lanzen auf die Achsel und ziehen durch das Burgtor; auch die Gestalt des verstorbenen Königs verwandelt sich wiederum in ein Tier und verschwindet im Schloss. Weithin leuchtet zum letzten Male das brennende Gebäude. Wigalois findet den Speer und zieht bewaffnet von dannen. Gegen Abend begegnet er einer Dame (Beleare) in äußerster Verzweiflung. Der Drache Pfetan habe ihren Gatten (den Grafen Moral von Joraphas) mit noch drei Rittern fortgeschleppt. Wigalois nimmt einen Bissen vom Brote und holt die Blüte hervor. Er ereilt den Drachen. Beschreibung des Ungeheuers. Wigalois sticht ihm den Speer durchs Herz. Der Drache lässt seine Beute los und stürzt sich, ehe er stirbt, auf Wigalois, zerdrückt ihm Schild und Harnisch und wirft ihn eine Steinrinne hinunter, wo er am Ufer eines Sees für tot liegen bleibt. (4836–5140)

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Dô si die rede vol sprach, her Gwîgâlois dô rîten sach vür sich dâ, des nam er war, die vil jæmerlîchen schar ûf den er sîn sper vertet; si erbeizten alle an der stet dô si zem anger kâmen; ir sper si alle nâmen ûf ir ahsel und zugen hin, einer nâch dem andern, in durch daz schœne bürgetor. her Gwîgâlois der nam dâ vor die glävîen in sîne hant; diu stahte in der steinwant als in einer tanne. ‚rîter, hebt iuch danne!‘ sprach der ûf dem anger saz. ‚unser herre got gebe iu daz ir den sic erwerbet hie!‘ von dem anger er dô gie in tieres wîs, alsam ê; sîner rede enwart niht mê; sus gienc ez in das hûs dan; von sînem blâste ez dô bran daz man ez harte wîten sach, daz sît nimmer mê geschach, wan got hêt sînen zorn verlân.

Nachdem sie (die Seele) ausgeredet hatte, sah Herr Wigalois dort vor ihm, dies erkannte er, die jammervolle Schar reiten, gegen die er seine Lanze verstochen hatte. Sie alle saßen sogleich ab, als sie zum Anger kamen; alle nahmen sie ihre Lanzen über die Schulter und zogen, einer nach dem anderen, durch das schöne Burgtor hinein. Herr Wigalois nahm davor die Lanze zur Hand; die steckte in der Felswand wie in einer Tanne. „Ritter, macht Euch auf!“ sprach, der auf dem Anger saß. „Unser Herrgott gebe, dass Ihr hier den Sieg erringt.“ Da verließ er den Anger in Gestalt des Tieres, wie zuvor. Er sprach kein Wort mehr; so ging es fort in die Burg; von seinem Schnauben brannte es, dass man es aus weiter Ferne sehen konnte. Dies geschah zum letzten Mal, denn Gott hatte von seinem Zorn abgelassen.

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der junge rîter huop sich dan mit grôzem herzeleide über die wilden heide. diu liehte sunne under gie. einen stîc her Gwîgâlois gevie, der truoc in hin zuo einem sê, dâ vil jæmerlîche schrê ein schœne wîp nâch wîbes sit; dâ si ir leit erzeiget mit. dar begunde der rîter gâhen. dô er ir kom sô nâhen daz er ir ungebærde ersach, daz beswârte in sêre unde sprach ‚owê, ir vil sælic wîp, warumbe quelt ir iuwern lîp, waz leides ist iu hie geschehen?‘ er mohte vil wol an ir sehen daz ir von herzen leide was; si was gevallen ûf daz gras mit gezartem gebende; ir vil wîze hende brach si und ir rîch gewant; in solhem jâmer er si vant daz ez in muose erbarmen: mit nackenden armen, mit zevuortem hâre; ez was ir lîp ze wâre, swâ er blahte, alsam ein snê; ir grôziu klage tet im wê; daz erzeiget er sît mit werken wol. ir brust was swarz alsam ein kol, daz bluot darunder geloufen; mit slegen und mit roufen hêt si ir lîp verderbet und vil nâch gar ersterbet. sus lac diu vrouwe âne maht, der liehte tac was ir ein naht, sine gehôrte noch gesach; von herzeleide ir daz geschach. der rîter aber zuo ir sprach

Der junge Ritter ritt in großem Kummer über die wilde Heide davon. Die klare Sonne ging unter. Herr Wigalois schlug einen Pfad ein, der ihn zu einem See führte, wo eine schöne Frau jammervoll schrie, wie Frauen es tun, um damit ihre Not auszudrücken. Der Ritter eilte herzu. Als er ihr näher kam, so dass er ihr jämmerliches Gebaren genau sah, war er tief betroffen und sprach: „O weh, gute Frau, warum quält Ihr Euch so, welches Leid ist Euch widerfahren?“ Er konnte ihr wohl ansehen, dass sie tief betrübt war. Sie war ins Gras gefallen mit zerrissenem Gebende. Ihre schneeweißen Hände rang sie und zerriss ihr kostbares Kleid. In solchem Schmerz traf er sie an, dass es ihn erbarmen musste: mit bloßen Armen und zerzaustem Haar. Wahrlich, ihr Leib war, wo er bloß lag, schneeweiß. Ihre heftige Klage schmerzte ihn; dies bewies er drauf durch sein Handeln. Ihre Brust war kohlschwarz, blutunterlaufen; mit Schlägen und Haarausraufen hatte sie ihren Leib entstellt und fast zu Tode gebracht. So lag die Dame ohnmächtig, der helle Tag war ihr zur Nacht geworden, sie konnte nichts hören, nichts sehen – das kam von ihrem Schmerz. Der Ritter sprach sie erneut an:

‚Owê, vrouwe, wie tuot ir sô? gehabt iuch wol und sît vrô; daz ir sælic müezet sîn! wand ich durch iuch den lîp mîn wâgen wil unz in den tôt, ob ich dâ mit iuwer nôt

„O weh, Herrin, warum verhaltet Ihr Euch so? Es soll Euch gut gehen, Freude und Glück sollen Euch zuteil werden! Denn ich will um Euretwillen mein Leben bis auf den Tod wagen, wenn ich damit Euren Schmerz

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erwenden mac und iuwer leit; liebiu vrouwe mîn, nu seit waz iu leides werre.‘ diu vrouwe sach vil verre ûf ze got unde sprach, dô si den rîter bî ir sach, ‚owê, lieber herre, owê! jâ muoz ich trûren immer mê; mîner klage gêt mir nôt. wolde got wan wære ich tôt, sô hêt mîn klage ein ende. herre got, nu sende mir den tôt, sît ich sîn bit! dâ hât mîn leit ein ende mit. herre got, wie tuostu sô? von dînen gnâden was ich vrô: mir hêt zer werlte ein süezez leben dîn reiniu gotheit gegeben; des bin ich nû beroubet. mîn vreude diu ist betoubet von herzenlîchem leide! herre got, nu scheide die sêle von mînem lîbe, wan mir armen wîbe nimmer liep mac geschehen sît ich in tôten hân gesehen den ich ze vreuden hêt erkorn. owê daz ich ie wart geborn! wie jæmerlîche er ist verlorn!‘

zu stillen vermag und Euer Leid. Meine liebe Herrin, nun sagt, welches Leid Euch bedrückt.“ Die Dame blickte inständig auf zu Gott und sprach, als sie den Ritter bei sich erblickte: „O weh, lieber Herr, o weh! Ja, ich muss auf ewig trauern; ich habe allen Grund zu meiner Klage. Wenn Gott mich doch sterben ließe! Dann hätte meine Klage ein Ende gefunden. Herrgott, nun schicke mir den Tod, da ich ihn ersehne! So hat mein Leid ein Ende. Herrgott, wie handelst du an mir? Ich erfreute mich deiner Gnade; deine reine Gottheit gab mir in der Welt ein angenehmes Leben; das ist mir nun entrissen. Meine Freude wurde gelähmt von Herzensleid! Herrgott, nun trenne die Seele von meinem Leib, denn mir armen Frau kann nie mehr Glück widerfahren, seit ich ihn tot sah, den ich mir zur Freude erwählt hatte. O weh, dass ich jemals geboren wurde! Wie kläglich er sein Leben verlor!“

Nâch der klage si sich sluoc. der rîter ir daz niht vertruoc; er erbeizte von dem orse nider. diu vrouwe begunde sich roufen wider, ir kleit zerren alsam ê. der rîter sprach ‚desn wirt niht mê.‘ ir wîze hende er gevie; mit bet er si des übergie daz si im begunde sagen wie der wurm hêt hin getragen an der wîle ir lieben man. si sprach ‚herre, got hât getân an mir des ich in nie gebat: wir wârn geriten an dise stat, ich und mîn vriunt, mit vederspil; dô wart mir mîner vreuden zil in kurzer wîle geslagen nider,

Nach diesen Worten schlug sie sich (erneut). Der Ritter ließ das nicht zu; er saß ab. Die Dame begann erneut, das Haar zu raufen und ihr Gewand zu zerreißen wie zuvor. Der Ritter sprach: „Das soll ein Ende haben.“ Er ergriff ihre weißen Hände; mit Bitten brachte er sie dazu, ihm zu sagen, wie der Drache soeben ihren geliebten Mann fortgeschleppt hatte. Sie sprach: „Herr, Gott hat an mir so ganz gegen meine Erwartung gehandelt: Wir waren hierher geritten, mein Geliebter und ich, mit Falken, da fand meine höchste Freude ein jähes Ende,

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daz nimmer wirt gerihtet wider. daz tet der grôze wurm Pfetân, der micheln schaden hie hât getân; er truoc in selbe vierden hin, diu starken ors under in als ez ein niht wære. wie er mich verbære, des nimt mich michel wunder; von mînem vriunt besunder ich an daz velt beizen reit; dâ von der tôt mich vermeit. daz sî dir, herre got, gekleit!‘

so dass sie unwiederbringlich dahin ist. Dies ist das Werk des gewaltigen Drachen Pfetan, der hier großes Unheil anrichtete. Er schleppte ihn mit noch drei anderen davon mitsamt den starken Rossen, auf denen sie saßen, als ob es ein Nichts wäre. Warum er mich verschonte, frage ich mich wirklich. Getrennt von meinem Geliebten ritt ich zur Beizjagd auf das Feld; das hat mir wohl das Leben gerettet. Das sei dir, Herrgott, geklagt!“

Der rîter sprach ‚wâ kêrter hin?‘ si sprach ‚herre, habt ir den sin daz ir in bestên welt?‘ ‚jâ ich, gerne‘ sprach der helt. ‚owê, herre, sô sît ir tôt.‘ ‚waz darumbe? ich bin durch nôt von Britanje her gevarn.‘ ‚herre, got müez iuch bewarn!‘ sprach daz vreudelôse wîp. ‚ich weiz wol daz ir iuwern lîp habt verlorn âne wer.‘ ‚nu sî got der mich ner‘ sprach der rîter ‚swar ich var; ich wil benamen nâch im dar dâ er iuwern vriunt hât, swie sîn dar nâch werde rât.‘ si sprach ‚herre, nu seht daz pfat daz er mit sînen vüezen trat, und volget im vil rehte nâch; er gêt vil sanfte, im ist niht gâch, wand er ist ân angest gar.‘ von der vrouwen kêrter dar nâch dem pfat, durch den walt; sîn sorge was vil manicvalt. dô nam er ûz der taschen sîn daz brôt und daz blüemelîn; des süeze gap im guoten muot: vür übeln smac was ez guot. ab dem brôte beiz er zehant; sus warnet sich der wîgant zuo der ängestlîchen nôt; ez dûhte in ein vil reinez brôt, wand imz sîn vrouwe hêt gegeben ze vristen an der nôt sîn leben;

Der Ritter fragte: „Wo zog er hin?“ Sie sprach: „Herr, Ihr habt vor, ihn zu bekämpfen?“ „Das will ich“, sprach der Held. „O weh, Herr, das ist Euer Tod.“ „Sei’s drum. Ich bin um des Kampfes willen von Britannien hierher gezogen.“ „Herr, Gott möge Euch beschützen!“ sprach die freudlose Frau. „Ich weiß wohl, dass Ihr Euer Leben, ohne Euch dagegen wehren zu können, verlieren werdet.“ „Nun rette mich Gott auf allen meinen Wegen“, sprach der Ritter. „Ich werde ihm wahrlich dorthin folgen, wo er Euren Geliebten festhält; ob ich ihm helfen kann, wird man sehen.“ Sie sprach: „Herr, nun seht den Weg, den seine Füße gebahnt haben, und folgt ihm geradewegs. Er bewegt sich gemächlich, er hat es nicht eilig, denn er ist ganz ohne Furcht.“ Von der Dame sich abwendend, folgte er dem Pfad durch den Wald. Er befürchtete so manches; da nahm er das Brot und die kleine Blüte aus seiner Tasche; ihr süßer Duft gab ihm Zuversicht: sie schützte vor schädlichen Dünsten. Er biss rasch etwas vom Brot; so bereitete sich der Held auf den furchtbaren Kampf vor. Es schien ihm ein ganz reines Brot zu sein, denn seine Herrin hatte es ihm gegeben, im Kampf sein Leben damit zu bewahren.

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ez gap im alsô grôze maht daz er vrôlîche vaht. ditz was vil nâhen bî der naht.

Es gab ihm so große Kraft, dass er mit Zuversicht kämpfen würde. Es war nun fast dunkle Nacht.

Sus reit er einen berc zetal. dâ hôrte er mangen grôzen val von den starken esten; die boume begunden bresten dâ der wurm hin sleif; swaz er mit dem zagel begreif, daz brach er allez nâch im nider; sîner sterke was niht wider. vil schiere sach der küene man den ungevüegen wurm Pfetân vor im eislîche gên. er gedâhte ‚und sol ich dich bestên, daz ist mir ein ängestlîchiu nôt! – waz dar umbe, lige ich tôt?‘ des hêt er sich vil schiere bewegen; vür sich tet er den gotes segen dô er den wurm rehte ersach; in sînem herzen er des jach daz sô ungehiure deheine crêatiure ie gesæhe dehein man. ich sagiu wie er was getân, als er sît selbe jach der in bescheidenlîche sach: sîn houbt was âne mâze grôz, swarz, rûch; sîn snabel blôz, eins klâfters lanc, wol ellen breit, vor gespitzet, unde sneit als ein niuwesliffen sper; in sînem giele hêt er lange zene als ein swîn; breite schuopen hürnîn wâren an im über al; von dem houbet hin ze tal stuont ûf im ein scharfer grât, als der kokodrille hât, dâ er die kiele kliubet mit; der wurm hêt nâch wurmes sit einen zagel langen; dâ mit hêt er bevangen vier rîter lussam, die er vor dem walde nam, als im diu vrouwe hêt geseit

Als er einen Berg hinabritt, da hörte er den Lärm von vielen herabstürzenden Ästen; die Bäume zerbarsten, wo der Drache entlangglitt. Was immer er mit seinem Schwanz traf, fiel hinter ihm zusammen; nichts hielt seiner Kraft stand. Plötzlich sah der tapfere Mann, den riesigen Drachen Pfetan grausig vor ihm hergehen. Er dachte: „Wenn ich mich dir stelle, wird dies ein furchtbarer Kampf für mich sein! – Was, wenn ich das Leben dabei verliere?“ Doch hatte er sich schnell dazu (zum Kampf) entschlossen und bekreuzigte sich. Als er des Drachen erst richtig gewahr wurde, dachte er bei sich, dass wohl niemand eine so gewaltige Kreatur je gesehen hatte. Ich sage euch, von welcher Gestalt er war, wie jener es später selbst berichtete, der ihn deutlich gesehen hatte: Sein Haupt war maßlos groß, schwarz, behaart, sein bloßes Maul maß einen Klafter in der Länge, eine Elle in der Breite und schnitt, vorn spitz zulaufend, wie eine frisch geschliffene Lanze; in seinem Rachen hatte er Zähne so lang wie die eines Ebers; breite Hornschuppen bedeckten ihn überall; vom Kopf den Rücken hinab zog sich ein hoher scharfer Grat wie bei einem Krokodil, das damit die Schiffe (von unten) spaltet. Der Drache besaß nach Drachenart einen langen Schwanz; damit hielt er vier anmutige Ritter umschlungen, die er vor dem Wald gefangen genommen hatte, wie ihm die Dame berichtet hatte,

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durch die er nâch dem wurme reit. vil kûme hêten si ir leben; der zagel was umb si gegeben wol mit drin valten; sus hêt er si behalten, als er si ezzen wolde. ern trûwet niht daz er solde sterben von deheinem man. einen kamp hêt er als ein han, wan daz er ungevüege was; sîn bûch was grüene alsam ein gras, diu ougen rôt, sîn sîte gel; der wurm der was sinwel als ein kerze hin zetal; sîn scharfer grât der was val; zwei ôren hêt er als ein mûl; sîn âtem stanc, wand er was vûl, wirs dan ein âs daz lange zît an der heizen sunnen lît; ouch hêt er vil unsüeze als ein grîfe vüeze, die wâren rûch als ein ber; zwei schœniu vetiche hêt er gelîch eins pfâwen gevider; sîn hals was im vil nider gebogen ûf daz grüene gras; sîn drozze gar von knurren was, als ein steinbockes horn. von im was manic lîp verlorn; ouch muos er den tôt dâ korn.

derentwegen er den Drachen verfolgte. Sie waren mehr tot als lebendig. Der Drachenschwanz hielt sie wohl dreifach umschlungen; er hielt sie so, als ob er sie fressen wollte. Er war nicht darauf gefasst, von der Hand eines Mannes zu sterben. Er hatte einen Kamm wie ein Hahn, nur viel gewaltiger; sein Bauch war grasgrün, seine Augen rot, die Seiten gelb. Der Drache war rund wie eine umgedrehte Kerze (geformt); sein scharfer Grat war gelb; seine Ohren waren wie die eines Maultiers; sein Atem war übelriechend, denn er war faulig, schlimmer als bei Aas, das lange Zeit in der Sommerhitze liegt. Außerdem hatte er sehr unförmige Füße wie ein Greif; sie waren behaart wie bei einem Bären; zwei schöne Flügel hatte er, die wie Pfauenfedern schillerten; sein Hals bog sich fast bis an das grüne Gras nieder. Seine Kehle war ganz knorrig wie das Horn eines Steinbocks. Durch ihn verloren viele ihr Leben; nun aber musste er den Tod kennenlernen.

Als er den wurm rehte ersach, dô blihter ûf unde sprach ‚nu hilf, keiser, herre got, daz mich dirre tievels bot iht scheide von dem lîbe, daz ich dem süezen wîbe erledige ir gesellen. du solt den tievel vellen, wand er der werlte schaden tuot.‘ der segen gap im vesten muot zuo der ängestlîchen nôt. sus kêrte der rîter in den tôt gegen dem wurme vreissam; mit beiden handen er dô nam die glävîe, wan si was starc; dô truoc in sîn schœne marc

Als er den Drachen deutlich sehen konnte, blickte er auf und sprach: „Nun hilf, Kaiser (des Himmels), Herrgott, damit dieser Teufelsbote mich nicht ums Leben bringt und ich der liebreizenden Frau ihren Geliebten befreie. Du musst den Teufel zu Fall bringen, denn er fügt der Welt Schaden zu.“ Dies Gebet bestärkte ihn in dem (bevorstehenden) furchtbaren Kampf. So wandte sich der Ritter unter Todesgefahr gegen den schrecklichen Drachen. Er nahm die Lanze in beide Hände, denn sie war gewaltig. Da trug ihn sein schönes Pferd

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14. Kampf mit dem Drachen Pfetan

ûf den wurm dâ er gie; die glävîe er sîgen lie daz sîn der wurm niht ensach; durch sîn herze er im stach den schaft unz an die hant gar ê er des mannes würde gewar: sô snellîche kom er dar.

hin zu dem Drachen; die Lanze ließ er niedersinken, ohne dass der Drache sie bemerkte. Ins Herz stieß er ihm den Schaft ganz und gar bis auf die Hand, bevor er (der Drache) des Mannes gewahr wurde, so schnell kam er auf ihn zu.

Als er des stiches dâ enpfant, dô begunder lüewen sâ zehant daz der walt al erhal. sich huop dâ manic grôzer val von den starken esten; die boume begunden bresten dâ der wurm nâch im sluoc; sîn snellez ors in danne truoc. die vier gesellen liez er dâ; nâch dem rîter kêrter sâ und hêt in harte schiere ervarn; sîn kraft moht in des niht bewarn ern zarte im abe daz îsen; die ringe begunden rîsen als ez wære ein dürrez strô; dem edeln rîter nam er dô sîne kraft und sînen sin; alsô töunde druhte er in daz im daz bluot zer nase dranc und ouch zen ôren ûz spranc; sus warf er in als einen bal eine rise hin zetal; dâ belac er bî dem breiten sê. owê, jâmer und owê, daz er sô jæmerlîche lac des herze ie niwan tugent pflac! er hêt daz swert in sîner hant; beidiu schilt und îsengwant wâren an im zedrücket. sîn leben hêt gezücket der tôt vil nâch mit jâmer hin: âne maht und âne sin belac der rîter mit dem rade ûf des breiten sêwes stade. ouch was der übel wurm tôt, von dem daz lant grôze nôt hêt gehabet mangen tac. daz schœne ros ouch bî im lac zezerret und zebrochen;

Als er den Stoß spürte, brüllte er sofort auf, so dass es überall im Wald widerhallte; gewaltige Äste begannen herabzufallen, die Bäume brachen, wo der Drache ihn zu treffen suchte; sein schnelles Ross trug ihn hinweg. Die vier Gefährten ließ er fallen. Nun wandte er sich dem Ritter zu und hatte ihn sehr bald erreicht; seine Kräfte konnten ihn nicht davor schützen, dass der Drache ihm den Harnisch vom Leib riss. Die Ringe fielen herab wie trockenes Stroh. Da raubte er dem trefflichen Ritter Kraft und Bewusstsein. Der mit dem Tode Ringende (Drache) presste ihn so, dass ihm das Blut aus Nase und Ohren hervorquoll; so warf er ihn wie einen Ball einen Abhang hinunter; dort blieb er an einem großen See liegen. Welch ein Unglück, dass er so kümmerlich dalag, dessen Herz nur Tugend kannte! Er hatte das Schwert in seiner Hand; Schild und Harnisch waren auf ihm zerschlagen worden. Beinahe hätte der Tod ihn schmerzlich an sich gerissen. Völlig ohnmächtig blieb der Ritter mit dem Rade am Ufer des großen Sees liegen. Aber auch der böse Drache war tot, der dem Land lange Zeit großes Leid zugefügt hatte. Das schöne Ross lag auch bei ihm, zerrissen und zerschlagen;

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sus hêt er sich gerochen; ouch lac er dâ erstochen.

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so hatte er (der Drache) sich gerächt; er lag aber durchbohrt dort.

15. Fischerepisode Beleare findet ihren Gatten noch am Leben, die drei Ritter sind tot. Alle werden auf die naheliegende Burg befördert. Der Graf Moral erzählt seiner Gattin, wie er gerettet worden. Sechs Damen von ihrem Gesinde sind am Ufer des Sees spazieren gegangen. Im Mondschein erblicken sie ein Schiffchen, in dem ein Fischer und seine Frau fischen. Mit Mühe ernähren sie damit sich und ihre Kinder. Gott erbarmt sich ihrer, indem er sie am Ufer den ohnmächtig daliegenden Wigalois finden lässt. Sie nehmen ihm Harnisch, Kleider und Gürtel. Als der völlig nackte Ritter einen Arm regt, will die Frau ihn ertränken. Der Fischer verhindert es. Der Dichter: ein böses Weib sei schlimmer als ein schlechter Mann, es bedenke nicht die Folgen ihrer Taten. Preis der guten Frauen. Die Damen sehen von Ferne die im Mondlicht glänzende Rüstung. Eine von ihnen ist vorausgegangen und hat gesehen, wie Wigalois ausgezogen wurde. Die Frau des Fischers bewundert seinen schönen Körper, die Minne erweckt edlere Gefühle in ihr, sie flößt ihm Wasser ein. Obgleich noch ohnmächtig, kehren seine Kräfte wieder. Betrachtung über die veredelnde Kraft der Minne. Der Fischer und seine Frau fahren nach ihrer Hütte, wo sie ihren Raub betrachten. Die Hofdame späht durch die Wand und entdeckt alles; dann kehrt sie mit den andern nach dem Schlosse zurück, wo Beleare am Lager ihres Gemahls sitzt. Sie beklagt den Ritter, der ihretwegen sein Leben geopfert habe und befiehlt, dass das Landvolk beim Tagesgrauen einen feierlichen Waldgang begehen solle; sie aber wolle den Ritter suchen. Vermutlich sei er ein Held der Tafelrunde, wie Gawein, den sie in ihrer Jugend einmal gesehen. Die Jungfrau erzählt ihrer Herrin, was sie entdeckt habe und führt sie an die Hütte des Fischers. Auf ihr Versprechen, ihn reichlich zu belohnen, erklärt er sich bereit, ihr zu zeigen, wo Wigalois liegt. Beleare schenkt ihm dreißig Hufen Land und ein stattliches Haus. Zwiegespräch des Dichters mit seinem „sin“ über die Frage, ob man ohne Besitz bei den Menschen angenehm sein könne. Der Dichter bejaht. (5141–5781)

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Als ich iu ê gesaget hân, diu vrouwe diu dâ klagte ir man, der was ir gesinde komen; daz hêt ouch si zuo zir genomen und îlte dem pfade balde nâch. zir gesellen was ir gâch daz si den tôt mit im dâ kür: dâ hêt si niht die werlt vür genomen gar vür eigen; si mohte lîhte erzeigen got ir herze und ir muot, wand er übel unde guot erkennet ê dan ez geschiht; vor den werken er wol siht swaz daz mensche tuon wil; sînem gewalte ist niht ze vil. er reiner got bekande wol

Wie ich euch zuvor erzählte, war das Gefolge der Dame, die ihren Mann beklagt hatte, (nun) eingetroffen und zusammen mit diesem eilte sie daraufhin den Weg entlang. Zu ihrem Geliebten drängte es sie, um dort den Tod mit ihm zu wählen. Die ganze Welt hätte ihr im Tausch damit nichts bedeutet; sie konnte sicherlich Gott Herz und Sinn offenbaren, denn er sieht Gut und Böse, bevor es geschieht. Vor der Tat sieht er wohl die Absicht des Menschen. Nichts kann seiner Macht entgehen. Der reine Gott erkannte wohl,

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daz ir herze was triuwen vol, wand im triuwe liep ist; dô liez er si in kurzer vrist vinden ir vil lieben man. dâ hêt er wunder an getân daz er sîn leben ie behielt, sô vaste sô der wurm vielt umb in sînen starken zagel. er druhte nider als der hagel allez daz er begreif, swâ der wurm hin sleif. owê der jæmerlîchen nôt! die drîe gesellen wâren tôt und lâgen bî im nâhen. dô si die rîter sâhen die ir mâge wâren, dô begundens sô gebâren daz ez was zerbarmen. diu vrouwe mit beiden armen ir gesellen umbe vie. si sprach ‚lieber herre, wie gehabt ir iuch? mugt ir genesen?‘ ‚jâ, wil mir got gnædic wesen,‘ sprach der halptôte man, ‚ân den ich niht genesen kan, sô trûwe ich wol mîn werde rât. ein rîter mich erlediget hât und dise tôten drîe; mit einer glävîe sluoc er in daz ichz sach; grœzer liep mir nie geschach, wand ich was et vil nâch tôt.‘ dô wart [dâ] vil manic ouge rôt vor vreuden und vor leide, wan si tâten beide, si lachten unde weinden, – mit vreuden si daz meinden – daz ir herre was genesen; dâ wider muosens alle wesen trûric von den tôten; daz si sô unverschrôten âne wer verlurn ir lîp, daz klaget man unde wîp. deiswâr, si wâren klägelîch; geburt unde guotes rîch; des alles wâren si gelîch.

dass ihr Herz von Treue erfüllt war, denn er schätzt die Treue. Da ließ er sie bald ihren geliebten Mann finden. Das Wunder, dass er am Leben blieb, hatte er bewirkt, wo doch der Drache ihn so fest mit seinem gewaltigen Schwanz umschlungen hatte. Der Drache schlug wie ein Hagelschauer, was er streifte, zu Boden, wo auch immer er entlangglitt. Weh, welch schreckliches Leid! Die drei Gefährten waren tot und lagen nahe bei ihm. Als sie die Ritter sahen, die ihre Verwandten waren, gebärdeten sie sich so, dass es zum Erbarmen war. Die Dame umfing ihren Geliebten mit beiden Armen. Sie sprach: „Geliebter Herr, wie geht es Euch? Werdet Ihr überleben?“ „Ja, wenn Gott mir gnädig sein will,“ sprach der halbtote Mann. „ohne den ich nicht Rettung finden kann, doch hoffe ich zuversichtlich, mir werde geholfen. Ein Ritter hat mich und diese drei Toten befreit. Ich sah, wie er ihn (den Drachen) mit einer Lanze tötete. Größeres Glück widerfuhr mir nie, denn ich war dem Tode nah.“ Da röteten sich viele Augen von Freudentränen und solchen des Leids, denn sie lachten und weinten zu gleicher Zeit. Die Freude galt der Rettung ihres Herren, die Trauer aber schuldeten sie den Toten. Dass sie so ohne rechte Kampfeswunden wehrlos ihr Leben verloren, das beklagten alle. Wahrlich, sie waren beklagenswert, von hoher Geburt und reich an Besitz, darin waren sie einander ebenbürtig.

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Diu vrouwe ir gesellen nam. als ez ir êren wol gezam, die tôten hiez si bâren die mit ir dâ wâren ûf diu ros, und vuorte hin beidiu vlust und gewin: die rîter hêt si dâ verlorn; dâ wider hêt si ir erkorn daz ze gwinne dazs ir man lendigen wider gwan den der wurm hêt hin getragen. vor vreuden wolde si niht klagen. die rîter kêrten balde mit jâmer ûz dem walde gegen des herren veste. dâne was dehein gebreste êren noch des guotes. diu vrouwe was ir muotes rîche alsam der tac daz daz hûs sô nâhen lac, in einer halben mîle. in vil kurzer wîle kômens vür daz bürgetor; dâ was michel jâmer vor und von klage grôzer braht. innen des hêt diu naht den tac gar verdrungen. si dûhte in wære gelungen daz si ir herren brâhten wider. von den rossen huop man nider die drîe tôten sâ zehant; vil grôze klage man dâ vant under dem gesinde; ir jâmer wart vil swinde die ir mâge wâren; die tôten ûf den bâren truoc man zuo der wahte. salben manger slahte hiez ir diu vrouwe gwinnen; sus vuorte si mit minnen ir gesellen an guot gemach, dâ im allez guot geschach. diu vrouwe ersûfte unde sprach

Die Dame nahm ihren Geliebten zu sich. Wie es ihrer Ehre geziemte, wies sie ihre Leute an, die Toten auf die Pferde zu laden und nahm so Verlorenes wie Gewonnenes mit sich: Die Ritter hatte sie dort verloren, hingegen konnte sie es sich als Gewinn anrechnen, dass sie ihren Mann lebendig zurück erhielt, den der Drache fort getragen hatte. Die Freude überwog die Klage. Die Ritter verließen alsbald unter Klagen den Wald in Richtung der Burg des Herren. Da mangelte es nicht an Ansehen noch an Reichtum. Die Dame war so glücklich wie der Tag (hell ist), dass die Burg so nahe gelegen war, nur eine halbe Meile entfernt. Nach kurzer Zeit erreichten sie das Burgtor; da gab es großes Weinen und lautes Klagen. Unterdessen hatte die Nacht den Tag ganz verdrängt. Sie priesen sich glücklich, ihren Herrn zurückgebracht zu haben. Herab von den Rossen hob man alsbald die drei Toten; unter lauter Klage des Gefolges, besonders heftig bei ihren Angehörigen. Man trug die Toten auf Bahren zu der Stätte, da die Totenwache abgehalten wurde. Allerlei Salben hieß die Dame herbeibringen; so bereitete sie liebevoll ihrem Geliebten alle Bequemlichkeit, dort wurde ihm die beste Fürsorge zuteil. Die Dame seufzte und sprach:

‚Her[re] geselle, du solt mir sagen ob der wurm sî erslagen.‘ ‚jâ, benamen, wand ich daz sach

„Herr, Geliebter, sag mir, ob der Drache getötet wurde.“ „Ja, wahrlich, denn ich sah,

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daz ein rîter durch in stach und daz sîn lût sô vaste schal daz ez durch den walt hal. ouch liez er uns vallen dâ; nâch dem rîter kêrter sâ; ich weiz wol si sint beidiu tôt.‘ ‚owê danne! sô wær mîn nôt und mîn klage geniuwet; sîn lîp mich immer riuwet, wand er iuch erlôste, herre, mir ze trôste.‘ si sprach ‚herre, hât er den lîp verloren umb mich armez wîp, sô wær ich bezzer ungeborn.‘ der herre sprach ‚lâ dînen zorn und dîn ungemüete: waz ob diu gotes güete in durch sîne triuwe ernert?‘ diu vrouwe sprach ‚der mir ervert ob der selbe rîter lebe, der hât immer mîne gebe!‘ si hêt an guote grôze kraft, wande si eine grâfschaft hêt in dem lande; ir namen man erkande in dem lande verre. Môrâl hiez der herre; an sîner [ge]bürte was er grôz, vil wol der vürsten genôz; guoter bürge hêt er drî. disiu lac sô nâhen bî dem sêwe daz er rehte vür der vrouwen kemenâten tür sluoc, als ez wint was. dar ûz wâren an daz gras gegangen sehs vrouwen zuo dem sêwe schouwen. der mâne lûterlîche schein. nu sâhen si wâ vor in ein schiffelîn vlôz ûf dem sê; dar an was niht liute mê niwan ein wîp und ir man; den lac grôziu armuot an; si hêten sehs kindelîn; deste spâter muosens sîn nâch ir gewerfte ûf den sê; geltes hêten si niht mê

wie ein Ritter seine Lanze in ihn bohrte, dass sein Schrei gewaltig ertönte und durch den ganzen Wald erscholl. Er ließ uns dort fallen und wendete sich sogleich dem Ritter zu. Ich weiß, sie sind sicher beide tot.“ „O weh, so wären mein Schmerz und meine Klage erneuert. Er wird mich immer dauern, da er Euch, Herr, befreite, um mir zu helfen.“ Sie sprach: „Herr, wenn er wegen mir elender Frau sein Leben verlor, so wäre ich besser nie geboren worden.“ Der Herr sprach: „Lass ab von deinem Unwillen und Verdruss. Vielleicht wird Gottes Güte ihn um seiner Treue willen retten.“ Die Dame sprach: „Wer auch immer für mich in Erfahrung bringt, ob der Ritter am Leben ist, dem werde ich mich stets dankbar erweisen.“ Sie verfügte über große Reichtümer, denn sie besaß eine Grafschaft im Land; ihr Name war weithin bekannt. Moral war der Name des Landesherrn; er war von vornehmer Geburt, den Fürsten in jeder Hinsicht gleichrangig, und besaß drei treffliche Burgen. Diese (hier) war so nahe am See gelegen, dass seine Wellen gegen die Tür des Frauengemachs schlugen, wenn ein Sturm aufkam. Sechs Damen waren auf die Wiese herausgekommen, um den See im klaren Mondschein zu schauen. Da sahen sie vor sich ein kleines Boot auf dem Wasser schwimmen. Darauf befand sich nur eine Frau und ihr Mann. Sie standen in großer Armut und hatten sechs kleine Kinder. Umso länger am Tag hatten sie auf dem See ihrem Gewerbe nachzugehen. Vermögen hatten sie keines,

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niwan ein schif daz si truoc; als in ir dinc ze heile sluoc, sô bejagten si vil kûme ir brôt; der hunger tet in grôze nôt; ditze was gar ir genist. nu lie si unser herre Krist ze trôste den armen kinden des selben nahtes vinden dâ von ir armuot zergie. got der was erbarmic ie; daz erzeiget er an manger stet, wan swer mit lûterm gebet an in genâde suochet, sîn barmunge in beruochet, als wirz an den buochen lesen; ern welle uns genædic wesen, unser einer möhte niht genesen.

nur das Boot, das sie trug. Wenn alles gut ging, so hatten sie gerade eben ihr (täglich) Brot. Der Hunger bedrückte sie; so stand es um ihren Unterhalt. Da ließ sie unser Herr Christus, den armen Kindern zu helfen, in derselben Nacht das finden, wovon ihre Armut ihr Ende finden sollte. Gott hatte stets Erbarmen; das beweist er bei vielen Gelegenheiten, denn wer immer mit lauterem Gebet Hilfe von ihm erbittet, wird seines Erbarmens teilhaftig, so lesen wir es in den Schriften. Wenn er uns seine Gnade versagt, kann keiner von uns überleben.

Sus liez er sich erbarmen die selben gotes armen und wîste si zuo des sêwes stade, dâ der rîter mit dem rade lac als ein tôter man; nâch grase wolde er ûz gân, und vant in alsô ligen dâ; sînem wîbe wincter sâ. er sprach ‚hœre her ze mir: ein wunder wil ich zeigen dir; nu sich, hie lît ein tôter man; der hât den besten harnasch an den ich ie mê gesach.‘ daz wîp zuo dem manne sprach ‚geselle, lâ dîn grasen sîn; hie mit suln unser kindelîn werden wol berâten.‘ ich sagiu wie sim tâten: sîn houbt daz was gekêret nider; daz rihten si ze berge wider; von bluote wârn die riemen sô herte daz si niemen wol entstricken mohte; dô in daz niene tohte, dô begunden si si snîden. daz er daz muose lîden daz im ein man und ein wîp alsô entnacten sînen lîp, daz möhte got erbarmen.

So war er diesen ganz Armen gnädig und führte sie zum Ufer des Sees, wo der Ritter vom Rade wie tot dalag. Als der Mann an Land ging, um Gras (zu schneiden), fand er den Ritter so vor und winkte seine Frau herbei. Er sprach: „Höre mir zu, ich will dir etwas Außergewöhnliches zeigen, sieh, hier liegt ein toter Mann, der trägt den besten Harnisch, den ich jemals sah.“ Die Frau sagte zu dem Mann: „Liebster, lass das Grasschneiden, hiermit wird für unsere Kinder gut gesorgt sein.“ Ich sage euch, wie sie mit ihm verfuhren. Da er kopfüber dalag, richteten sie ihn auf. Die Riemen (des Harnischs) waren von Blut so starr, dass keiner imstande war, sie einfach aufzuknüpfen. Da ihnen dies nicht gelang, zerschnitten sie sie. Dass er es dulden musste, wie ein Mann und eine Frau seinen Leib so entblößten, das mochte Gott erbarmen.

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si zugen im von den armen harnasch unde wâfenroc. sus lac er stille alsam ein stoc mit bluote gar berunnen; und hêt er sich versunnen, sô wære ez im beliben dâ. daz wîp ersach den gürtel sâ; der vreute harte sêre ir muot, wand er dûhte et si vil guot; vor dem manne si in stal; zesamne want sin als ein bal daz si ins niht sehen liez; in ir biutel si in stiez. owê, daz ez ie geschach daz dehein wîp sô swach den gürtel in ir hant genam! dem andern tâten si alsam; sus entnacten si in gar. nu nemt, ir guoten liute, war wie jæmerlîch der rîter lac: im was naht unde tac allez ungemeine; sîn leben daz was kleine; iedoch was im der lîp warm. innen des zôch er den arm nâher zuo dem lîbe baz; daz übel wîp ervorhte daz. si sprach ‚nu sich, lieber man, got hât wol zuns getân mit dirre grôzen rîcheit; nu sî dir daz vür wâr geseit und lebt er unz an den tac, daz ez uns wol geschaden mac; wir suln in baz tœten.‘ ‚des soltu mich niht nœten‘ sprach der vil getriuwe man, ‚wand er doch niht genesen kan.‘ ‚zwâre er tuot!‘ er sprach ‚niht!‘ ‚woch, ez dûhte dich ie enwiht swaz ich guotes ie getet.‘ den rîter nam si an der stet bî dem hâre und zôch in gegen dem breiten sêwe hin als si in wolde ertrenken. er sprach ‚mahtu gedenken, sælic wîp, hin ze got? nu was doch daz von sîm gebot

Sie zogen ihm Harnisch und Waffenrock über die Arme ab. Er aber lag da, stocksteif und von Blut starrend; wäre er zu sich gekommen, hätte er die Rüstung behalten. Da erblickte die Frau den Gürtel; der entzückte sie sehr, denn er schien ihr sehr kostbar zu sein. Sie verbarg ihn vor ihrem Mann, rollte ihn wie einen Ball zusammen, damit der Mann ihn nicht erblickte, und steckte ihn in die Tasche. O weh, dass es jemals dazu kam, dass eine so unedle Frau in den Besitz dieses Gürtels kam! Mit dem übrigen machten sie es ebenso und ließen ihn so völlig nackt zurück. Nun, ihr guten Leute, stellt euch vor, wie kümmerlich der Ritter dalag: Er nahm Tag und Nacht gar nicht wahr, kaum ein Lebenshauch war noch in ihm; dennoch war sein Körper noch warm. Da zog er eben einen Arm näher an sich, wovon die böse Frau erschrak. Sie sprach: „Sieh, lieber Mann, Gott hat uns mit diesem Vermögen Gutes getan, aber, wahrlich, ich sage dir, wenn er den morgigen Tag erlebt, kann uns dies nur schaden; wir töten ihn besser.“ „Dazu wirst du mich nicht bringen,“ sprach der ehrsame Mann, da er ohnehin nicht überleben wird.“ „Das wird er sicher!“ Er sprach: „Keinesfalls!“ „Pa! Was auch immer ich Gutes (für uns) tat, das hat dir nie gefallen.“ Sie ergriff den Ritter sogleich an den Haaren und schleifte ihn zum Wasser hin, in der Absicht, ihn zu ertränken. Er sprach: „Gute Frau, gedenke Gottes! Sein Wille

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daz daz schiffelîn hie her stiez.‘ daz übel wîp er niht enliez dem rîter nemen sînen lîp. ez ist ouch noch ein übel wîp wirser danne dehein man, wan si niht bedenken kan waz ir dar nâch kümftic sî. diu edeln wîp diu sint vrî alles übels, daz weiz ich wol: ir reiniu herze sint güete vol. wol in der daz verdienen kan daz in ein edliu vrouwe an niwan güetlîche siht; erwirbet er dâ anders niht, sô vreut ez in doch verre baz danne ob er verdienet daz, daz im ein unedel wîp gæbe guot unde lîp: swem si vreude wellent geben der mac wol deste gerner leben; dâ von man die vrouwen sol âne mâze haben wol; ir lôn daz gît vil süezen zol.

führte das Boot hierher.“ Er ließ nicht zu, dass die böse Frau den Ritter tötete. Auch heute noch ist eine böse Frau schlechter als irgendein (vergleichbarer) Mann, da sie nicht in der Lage ist, vorausschauend die Folgen zu bedenken. Die edlen Frauen sind frei von aller Bosheit, das ist mir gewiss: Ihre lauteren Herzen sind voller Güte. Der schätze sich glücklich, wenn er erreicht, dass ihm eine edle Dame ganz freundlich begegnet. Selbst wenn er dort darüber hinaus nichts erwirbt, so gereicht ihm das zu größerer Freude als wenn er es bewirkte, dass ihm eine unehrenhafte Frau sich selbst und ihren Besitz übereignete. Wem sie aber Freude schenken wollen, der wird umso glücklicher sein. Daher soll man die Damen überaus freundlich behandeln, denn sie werden süßen Zoll entrichten.

Ditz was dem hûs sô nâhen daz die vrouwen sâhen den halsberc wîzen und den helm glîzen gegen dem mânen dâ er schein. nu was der sehs vrouwen ein gegangen dar dâ si wol sach swaz man dâ tet unde sprach.

Dies geschah in so unmittelbarer Nähe zur Burg, dass die Damen Halsberg und Helm silbern im Mondschein glänzen sahen. Eine der sechs Damen war nahe genug dorthin gegangen, um erfahren zu können, was dort gesprochen und getan wurde. Man sagte mir schon öfter, dass man über das Wasser hin weiter hört als anderswo; so geschah es auch der Dame dort. Sie beobachtete wohl, wie die böse Frau den Ritter völlig auszog, so dass ihm nicht ein einziger Faden am Leibe blieb. So lag er da, ohne Bewusstsein und Besitz; er schämte sich nicht im geringsten, denn er hörte und sah nicht, welches Leid ihm dort angetan wurde. Da bemerkte die abgrundböse Frau, dass sein wundervoller Körper

ich hân oft vernomen daz, daz man ûf dem wasser baz verrer hœre dan anderswâ; alsô tet diu vrouwe dâ. si sach wol daz daz übel wîp dem rîter entnacte sînen lîp alsô gar daz dehein vadem an sîm lîbe schein; sus lac er sinne und guotes blôz; ern schamte sich niht hâres grôz, wand ern hôrte noch ensach swaz im leides dâ geschach. nu sach daz herze übel wîp daz sîn wünniclîcher lîp

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sûberlîch und süeze was; vür in kniete si ûf daz gras und nam sînes lîbes war; dô was er ze wunsche gar wol geschicket über al; sîn hâr was reit unde val, sîn lîp wîz alsam ein snê. dô ersûfte si und sprach ‚owê, ditz ist der aller schœnste man des ich künde ie gewan! mich wundert waz im sî geschehen; in hât niwan der wurm ersehen; an des weide ist er komen; der hât ouch im den lîp benomen, wan swaz dem lendes widervert, daz ist benamen unernert. ditz möhte wol ein vürste sîn; daz ist an sînem wâfen schîn, wan daz ist von golde gar.‘ mit ir goufen truoc si dar des wazzers unde gôz im in; vil lützel maht âne sin enpfie der edel rîter dâ. der gebûr rief dem wîbe sâ; er sprach ‚nu trac den harnasch an: wir suln von dem walde dan balde varn ê ez tage.‘ dô schiet daz wîp mit grôzer klage von dem schœnen lîbe. dem vil übeln wîbe gap diu minne guoten muot, als si noch vil mangem tuot, wan si dem kucte sîn leben dem si den tôt ê wolde geben; daz machet sîn vil süezer lîp. ich hœre sagen daz diu wîp nâch grôzer ungüete vil snelle guot gemüete gevâhent von der minne; als ich mich versinne, sô ist mit in daz beste leben daz got der werlte hât gegeben. diu reinen wîp sint alle guot; si gebent ofte guoten muot dem der nâch ir willen tuot.

wohlgestalt und liebreizend war; sie kniete im Gras vor ihm nieder und betrachtete ihn aufmerksam. Er war in jeder Hinsicht wohlgeformt; sein Haar war lockig und blond, sein Leib schneeweiß. Da seufzte sie und sprach: „O weh, das ist der schönste Mann, den ich jemals sah. Ich wüsste gern, was ihm widerfahren ist. Der Drache muss ihn wohl bemerkt haben, als er an dessen Weideplatz erschien, und er muss ihn getötet haben, denn was immer ihm an Lebendigem begegnet, kann sich wahrlich nicht (vor ihm) retten. Dieser hier könnte wohl ein Fürst sein, das wird an seinem Wappenbild offenbar, denn dieses ist von purem Gold.“ In ihren hohlen Händen brachte sie Wasser herbei und flößte es ihm ein; doch dies ließ den ohnmächtigen Ritter nur wenig erstarken. Der grobe Kerl rief nach seiner Frau. Er sprach: „Nun bring den Harnisch! Wir sollten den Wald schnell hinter uns lassen, ehe der Tag anbricht.“ Da nahm die Frau mit großem Bedauern Abschied von der schönen Gestalt. Der abgrundbösen Frau hatte die Minne den Sinn veredelt, so wie sie schon an vielen gehandelt hat, denn sie brachte den wieder zum Leben, den sie doch zuvor hatte töten wollen. Das bewirkte seine liebreizende Gestalt. Ich hörte, dass Frauen, die zunächst hartherzig waren, durch die Minne rasch an edlem Sinn gewännen. Wenn ich es recht bedenke, so ist ihre Gesellschaft zu haben das beste Leben, das Gott der Welt gab. Die makellosen Frauen sind sämtlich gut; oftmals machen sie den glücklich, der ihre Wünsche erfüllt.

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In disen sorgen vuorens dan, daz übel wîp und ir man, wie si ir vunt sô bræhten dar daz sîn niemen würde gewar vür daz hûs in sînen glêt, den er dâ geziunet hêt mit rôre und mit rîse. sus vluzzen si vil lîse unz si ze stade kâmen. den harnasch si dô nâmen und truogen in in ir gemach. der vrouwen einiu daz ersach, wand ez was bî ir nâhen. si begunde dar gâhen und luoget durch den zûn dar in; sô sach si allen ir gewin: helm, schilt und îsengwant; ein vackel wart ûf gebrant; dâ bî kosten si ir vunt, der was bezzer danne tûsent pfunt, von golde und von gesteine. ir angest diu was kleine: si wândenz hân verborgen; dô kom ez in ze sorgen daz ez diu vrouwe hêt ersehen. ein man sol ê vil rehte erspehen daz sîn iemen werde gewar, ê er mit tougen dingen dar kome dâz im geschaden mac; ditz ist mîn sit des ich ie pflac. diu vrouwe nam sîn rehte war unz si ersach diu wâfen gar. dô kom ein hunt und bal si an; zir gespiln vlôch si dan. ditz was wol umbe mitte naht. der vrouwen einiu sprach ‚nu maht du uns sagen: wâ wær du hin? dunket dich daz ein guot sin daz du eine von uns gêst? ez kumt vil lîhte daz du bestêst alle dîne unêre dâ.‘ si sprach ‚vrouwe, die rede lâ: ich was niwan zuo dem sê.‘ ‚nu sich, daz ez dir immer mê geschehe! daz wil ich râten dir. ir vrouwen, ez ist zît daz wir gên ze kemenâten.‘

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In Sorge darüber, wie sie ihren Fund von anderen unbemerkt fortbringen könnten, fuhren die böse Frau und ihr Mann in ihre Hütte, die vor der Burg gelegen war, und die er aus Rohr und Zweigen geflochten hatte. So glitten sie behutsam dahin, bis sie zum anderen Ufer kamen. Da ergriffen sie den Harnisch und brachten ihn in ihre Behausung. Eine der Damen beobachtete dies, denn es geschah ganz in ihrer Nähe. Sie eilte herzu, äugte durch die geflochtene Wand hinein und erblickte deren ganzen Raub: Helm, Schild und Harnisch. Eine Fackel wurde entzündet, in deren Schein sie ihren Schatz prüfend beschauten, der an Gold und Edelsteinen wohl mehr als tausend Pfund wert war. Sie waren unbesorgt, denn sie glaubten, es sei unbemerkt geblieben; doch brachte es sie in Bedrängnis, dass die Dame das Ganze beobachtet hatte. Ein Mann soll sorgfältig prüfen, ob er unbeobachtet ist, bevor er in heimlichen Geschäften dort ankommt, wo er Schaden nimmt; so habe ich es immer gehalten. Die Dame beobachtete das Geschehen genau, bis sie die ganze Rüstung gesehen hatte. Da kam ein Hund herbei und bellte sie an; so eilte sie zu ihren Gespielinnen zurück. Dies geschah gegen Mitternacht. Eine Dame sprach: „Nun sage uns, wohin warst du verschwunden? Erscheint es dir klug, dich allein von uns zu entfernen? Es kann leicht geschehen, dass du deine Ehre dabei verlierst.“ Sie antwortete: „Gemach, Herrin, ich bin doch nur zum See gegangen.“ „Sieh nur zu, dass es nicht wieder vorkommt, das rate ich dir. Ihr Damen, es ist Zeit, in die Frauengemächer zurückzukehren.“

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vil lîse si dô trâten und giengen zuo ir vrouwen sâ. diu saz mit grôzer klage dâ bî ir vriunde; der gehabt sich wol; ir herze was ab leides vol umb den rîter, der sîn leben durch si dem tôde hêt gegeben. si sprach ‚ich sol den rîter klagen, wand er durch mich hât erslagen und durch sîne manheit den wurm, der vil grôziu leit disem lande hât getân. beidiu wîp unde man die sîn des tages immer vrô daz si unser herre alsô von dem wurme erlediget hât; ez ist mîn bet und ouch mîn rât, als man sich des tages enstê, daz daz lantvolc allez gê mit ir kriuze in den walt und loben in des gewalt unde des vil süezer trôst si von dem tievel hât erlôst; sô wil ouch ich den selben man mit allen den die ich hân suochen der ez hât getân.

Leisen Schrittes begaben sie sich zu ihrer Herrin. Diese befand sich in großer Trauer bei ihrem Geliebten, der sich erholt hatte. Doch ihr Herz war schwer wegen des Ritters, der um ihretwillen den Tod erlitten hatte. Sie sprach: „Ich muss den Ritter beklagen, denn er hat um meinetwillen mannhaft den Drachen erschlagen, der diesem Land großes Leid zugefügt hat. Alle Menschen mögen den Tag preisen, da unser Herr sie von dem Drachen befreite. Es ist mein inniglicher Wunsch, dass bei Tagesanbruch alle Landleute mit ihren Kruzifixen den Wald aufsuchen und die Macht und den liebreichen Beistand dessen preisen, der sie von diesem Teufel befreit hat. So werde ich auch zusammen mit all den Meinen den Mann suchen, der dies getan hat.

Sîn ors was guot daz er reit; sîn schœner lîp [der] was gekleit mit einem halsberge der was wîz; an sînem helme lac grôzer vlîz von gesteine und von golde geworht als er wolde; enmitten ûf dem helme ein rat; daz lief umbe an der stat als er buhurdierte; ein rîcher zobel [der] zierte den liehten helm über al; von golde ein lîste niht ze smal lac im ob den ougen; dar under was vil tougen der helm lûter als ein glas; von genageltem pfelle was sîn wâfenroc, daz marhte ich wol; sîn schilt [was] swarz alsam ein kol, dar ûffe ein rat von golde. ob ich wünschen solde

Er ritt ein edles Pferd, sein wohlgestalteter Leib war mit einem weißen Halsberg bekleidet. An seinen Helm war nach seinen Wünschen mit Edelsteinen und Gold gefertigter edler Schmuck zu bestaunen. Seine Helmzier war ein Rad, das sich während des Buhurtes drehte. Ein prächtiger Zobelpelz schmückte den strahlenden Helm mit einer breiten Goldborte über seinen Augen; darunter geborgen der Helm, klar wie Glas. Von goldbeschlagener Seide war sein Waffenrock, das habe ich wohl bemerkt; sein Schild war kohlschwarz mit einem goldenen Rad darauf. Hätte ich den Wunsch frei,

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einen rîter im gelîchen, alsô tugentrîchen, daz enmöhte weizgot niht geschehen; dâ von wil ich im jehen [des] prîses vür alle diech ie gesach: er was ein krône und ein dach rehter rîterschefte, wand er mit sîner krefte und mit sîner manheit allez disse landes leit ze vreuden hât gemachet, daz manic herze lachet dem der übel wurm Pfetân ofte leide hât getân an vriunden und an guote. nu haben in ir huote alle die mich minnen daz si mir gewinnen doch den lîp, ob er niht lebe; dar umb enpfâhet ir die gebe daz iu nie deheiner vart alsô wol gelônet wart. michn triegen danne die sinne mîn, sô mohtez wol ein rîter sîn von der tavelrunde, wand ich zeiner stunde der selben rîter einen sach daz er wol hundert sper zebrach und zwelf vrume rîter vie; bezzer rîter wurden nie dan die selben rîter sint; bî den zîten was ich ein kint dô ich den selben rîter sach, wan diu rîterschaft geschach vor mînes vater hûse; von dem künige Artûse kom er dar durch rîterschaft; er hêt ellen unde kraft und hiez der herre Gâwein; an sînem schilte was ein guldîn tavelrunde geworht daz niemen kunde ein gewæfen dem gelîche vinden alsô rîche; dar innen was, geloubet mirz, von krîden gemâlt ein wîzer hirz ûf einem berge guldîn:

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einen ihm an Tugenden ganz ebenbürtigen Ritter hierher zu rufen: den könnte es, weiß Gott, nicht geben. Daher will ich ihm vor allen anderen, die ich jemals sah, den Ruhm zugestehen: Er war eine Krone und Vollendung wahrer Ritterschaft, denn er hatte mit seiner Kampfeskraft und Tapferkeit das ganze Leid dieses Landes zur Freude gewendet und bewirkt, dass viele Herzen wieder lachten, die von dem bösen Drachen Pfetan oft betrübt wurden durch den Raub von Freunden und Habe. Nun sollen alle, die mir zugetan sind, sich bemühen, wenn er denn tot sein sollte, mir wenigstens die Leiche aufzufinden. Dafür werdet ihr eine Gabe empfangen, dass euch keine Suche jemals besser entlohnt wurde. Wenn mich nicht alles täuscht, so war es wohl ein Ritter der Tafelrunde, denn ich sah einmal einen dieser Ritter an die hundert Lanzen zerbrechen und zwölf tapfere Ritter gefangen setzen. Es gab noch nie bessere Ritter als diese. Ich war noch ein Kind, als ich diesen Ritter sah, und das Turnier wurde vor der Burg meines Vaters ausgetragen; von König Artus war er um der ritterlichen Kampfspiele willen dorthin gekommen. Er besaß Mut und Stärke und war Herr Gawein genannt. An seinem Schild war eine goldene Tafelrunde aufgebracht; niemand hätte ein Schildzeichen finden können, das ihm an Kostbarkeit gleichgekommen wäre. Darin befand sich, glaubt mir, ein mit Kreide gemalter weißer Hirsch auf einem goldenen Berg.

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daz selbe wâfen daz was sîn der die rîter alle vie; diu tavel diu dar umbe gie die nevuorte dehein man, als ichz vernomen hân, wan der mit grôzer arbeit und mit sîner manheit die stat hêt errungen; swem sô was gelungen, der vuorte die tavelrunde daz man dâ bî kunde sehen unde wizzen daz er zer tavelrunde saz; daz selbe wâfen ich wol sach, dô mir daz herzeleit geschach, an des rîters schilte, den des niht bevilte ern rit durch mich in den tôt. ob ich den klage, des gêt mir nôt, wand er iuch, herre, erlôste uns allen ze trôste. ich hêt mich iuwer gar bewegen; niwan durch den selben degen ir wært benamen dâ tôt gelegen.‘

Dies war das Wappen dessen, der die Ritter gefangen setzte. Die Tafel, die das Ganze umgab, führte, wie ich hörte, kein Mann (im Schilde), wenn er sich nicht mit großer Mühe und Tapferkeit den Platz an ihr erkämpft hatte. Wem dies geglückt war, der führte die Tafelrunde (als Schildzeichen), so dass man daran erkennen konnte, dass er ein Mitglied der Tafelrunde war. Dasselbe Zeichen sah ich, als ich in Bedrängnis war, am Schilde des Ritters, dem es nicht zu viel erschien, für mich in den Tod zu reiten. Wenn ich ihn beklage, so habe ich allen Grund dazu, da er Euch, Herr, befreite und uns allen damit half. Ich hatte Euch bereits aufgegeben. Wenn dieser Ritter nicht gewesen wäre, hätte es Euch sicher das Leben gekostet.“

Daz diu vrouwe hêt gesaget, dar marhte diu vil schœne maget, wan si daz ersehen hêt dâ man ez truoc in den glêt, helm, schilt und îsengwant. ûf stuont diu maget sâ zehant; vür ir vrouwen kniete si dô vil gezogenlîche und sprach alsô ‚genâde, liebiu vrouwe mîn! sol daz in iuwern hulden sîn und mac ich sîn geniezen, sô wil ich iu entsliezen ein verholnez mære, dâ mit sich iuwer swære vil lîhte verendet. vrouwe, nu sendet mit mir einen boten dar.‘ diu vrouwe sprach ‚nu sage, war?‘ si sprach ‚vrouwe, an eine stat dâ den helm und daz rat hât verborgen ein armer man. als ichz von iu vernomen hân,

Was die Dame sagte, ließ die schöne Jungfrau aufmerken, denn sie hatte gesehen, wie man Helm, Schild und Harnisch in die Hütte trug. Da erhob sich die Jungfrau rasch, kniete sittsam vor ihrer Herrin nieder und sprach: „Ich erbitte Eure Gnade, meine liebe Herrin! Wenn Ihr nichts dagegen habt und ich keine Strafe befürchten muss, so will ich Euch ein Geheimnis eröffnen, wodurch Euer Kummer ein schnelles Ende finden könnte. Herrin, sendet jetzt einen Boten mit mir dorthin.“ Die Dame sprach: „Sag, wohin?“ Sie erwiderte: „Herrin, an einen Ort, wo ein armer Mann den Helm und das Rad versteckt hat. Nach dem, was ich von Euch gehört habe,

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sô ist ez rehte‘ sprach diu maget ‚als ir uns allen hât gesaget.‘ ‚sô dir got, hâst du wâr?‘ ‚zwâre, vrouwe, ich sach ez gar, helm, schilt und îsengwant.‘ diu vrouwe sprach ‚ist dir bekant ob der rîter ouch dâ sî?‘ ‚vrouwe, ich sach dâ niemen bî, niwan ein wîp und ir man.‘ diu vrouwe sprach ‚nû wol dan, rîter unde vrouwen! ich wil die wârheit schouwen wâ der harnasch sî genomen.‘ si sprach ‚vrouwe, ich sach si komen in einem schiffe über den sê. ichn kan iu niht gesagen mê wan daz sin truogen in den glêt der bî uns hie nâhen stêt; des nam ich alles rehte war.‘ diu vrouwe sprach ‚nu wîse mich dar.‘ sus stuont si ûf und gie dan. dô vunden si den armen man sitzen bî sînem viure. gnâde was im tiure, dar zuo sælde unde guot; ez hêt diu grôze armuot zuo im gehûset in den glêt, dâ selten vreude bî bestêt: diu armuot mit jâmer lît, diu rîcheit niwan vreude gît. dô saz er unde betrahte wie er sô manger slahte gezierde von golde sô verkoufen solde daz sîn niemen würde gewar. innen des dô kômen dar die vrouwen alle vür den glêt, den er vil vaste beslozzen hêt. diu vrouwe sprach ‚tuo ûf die tür!‘ der arme man sprach her vür ‚herre got, waz sol daz sîn?‘ diu vrouwe sprach ‚lâ mich dar în, od du verliust dînen lîp.‘ nu erkande si wol daz arme wîp. si sprach ‚ez ist mîn vrouwe. lieber man, nu schouwe wie wir sîn verrâten.‘

verhält es sich genau so, wie Ihr uns allen erzählt habt“, sprach sie. „Bei Gott, wirklich?“ „In der Tat, Herrin, ich habe es genau gesehen, Helm, Schild und Harnisch.“ Sie fragte: „Weißt du, ob auch der Ritter sich dort aufhält?“ „Herrin, ich sah dort niemanden außer einer Frau und ihrem Mann.“ Die Dame meinte: „Nun auf, Ritter und Damen, ich will die Wahrheit darüber erfahren, woher der Harnisch stammt.“ Sie sprach: „Herrin, ich sah sie in einem Boot über den See kommen. Ich kann Euch nicht mehr sagen, als dass sie ihn in die Hütte brachten, die ganz in unserer Nähe gelegen ist, das habe ich genau gesehen.“ Die Herrin sprach: „So führe mich dorthin.“ Und so erhob sie sich und machte sich auf den Weg. Da fanden sie den armen Mann bei seinem Feuer sitzen. An Bequemlichkeit, Glück und Besitz fehlte es ihm; die Armut, der sich Freude selten zugesellt, war ihm zur Lebensgefährtin in seiner Hütte geworden. Die Armut stellt sich stets zur Sorge, der Reichtum zu der Freude. Da saß er nun und dachte darüber nach, wie er so reiches Schmuckwerk von Gold so veräußern würde, dass kein Verdacht auf ihn fiele. Unterdessen kamen all die Damen bei der Hütte an, die er fest verschlossen hatte. Die Herrin rief: „Öffne die Tür!“ Der arme Mann stieß hervor: „Herrgott, was ist das?“ Die Dame erwiderte: „Lass mich ein oder es kostet dich dein Leben.“ Da erkannte ihre Stimme die arme Frau. Sie sprach: „Es ist meine Herrin, lieber Mann, nun sieh, wir waren schlecht beraten.“

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die tür si ûf tâten und erschrihten harte sêre dâ von, wan si wârn des ungewon daz si sô spâte iht gienge dâ. diu vrouwe sprach zem manne sâ ‚lieber man, nu tuo durch mich, dar umbe wil ich rîchen dich, eine sache der ich dich bit; dâ verdienstu benamen mit daz dir immer vrumen muoz.‘ der vrouwen viel er vür den vuoz und sprach ‚gebietet über mich: swaz ir gebietet daz tuon ich.‘ diu vrouwe hiez in ûf stân. si sprach ‚du solt mich sehen lân den schilt und daz îsengwant; dar umbe wil ich dir zehant beidiu lîhen unde geben daz du mit vreuden wol maht leben.‘ des begunde er ir genâde sagen. daz îsengwant wart getragen vür die edeln vrouwen dô. si sprach ‚nu wolde ich wesen vrô der mir saget mære wâ der rîter wære des der harnasch ist gewesen; wesse ich ob er wære genesen, sô wær mîn leit verendet.‘ er sprach ‚vrouwe, nu sendet mit mir iuwern boten dan, und welt ir michs geniezen lân, sô zeige ich iu den selben man.‘

Sie öffneten die Tür und erschraken zutiefst, denn sie waren es nicht gewohnt, dass sie sie, noch dazu so spät, aufsuchte. Die Herrin sprach zu dem Mann: „Lieber Mann, nun erfülle mir um meinetwillen, wofür ich dich reich belohnen werde, eine Bitte, so wird es dir wahrlich stets nützen.“ Er fiel der Dame zu Füßen und sprach: „Gebietet über mich. Was immer Ihr gebietet, werde ich tun.“ Die Herrin befahl ihm, sich zu erheben. Sie sprach: „Du sollst mir den Schild und den Harnisch zeigen und ich werde dich sofort mit solchen Gaben und Einkünften bedenken, dass du fortan in Freuden leben kannst.“ Dafür dankte er ihr. Der Harnisch wurde zu der edlen Dame gebracht. Sie sprach: „Nun wäre ich froh, wenn mir jemand sagte, wo sich der Ritter befindet, dem der Harnisch gehörte. Wüsste ich, dass er überlebt hat, so fände mein Kummer ein Ende.“ Er sprach: „Herrin, nun schickt euren Boten mit mir dorthin, und wenn Ihr mich nicht straft, zeige ich Euch den Mann.“

Diu vrouwe sprach ‚entriuwen, jâ.‘ dô gap si im mit vreuden dâ drîzic huobe zeigen und hiez im ûz zeigen daz beste hûs, als er si bat, daz inder stuont in der stat. sus gwan der arme rîchen muot, sælde, sin unde guot. dô vrâget mich mîn kranker sin, – des ich gar âne zwîvel bin – ‚sag an, Wirnt, ist daz wâr: mac iemen âne guot gar al der werlt genæme sîn?‘ des antwurt ich dem sinne mîn

Die Dame sprach: „Das werde ich wahrlich nicht tun“ und gab ihm froh dreißig Huben Landes Eigengut und befahl, ihm nach seiner Wahl das beste Haus anzuweisen, das in der Stadt zu finden war. So gewann der Arme Freude, Glück, Gunst und Besitz. Da fragt mich mein zweifellos schwacher Verstand: „Sag an, Wirnt, ist das wirklich so? Kann jemand, dem jeglicher Besitz fehlt, in der Welt zu Ansehen gelangen?“ Darauf antwortete ich meinem Verstand:

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‚zwâre, jâ! des dunket mich.‘ ‚entriuwen, anders wæne ab ich; waz vrumt dir lîp unde muot, bistu gar âne guot?‘ ‚nu hœre, daz wil ich dir sagen wie ich ir minne wil bejagen: ich wil zuo den besten gên und wil mit mîner kunst begên und mit mînen zühten daz, daz ich in gevalle baz danne ein guotes rîcher man der deheiner slahte vuoge kan.‘ ‚daz lâ sîn‘ sprach der sin. ‚sît ich dir sô nütze bin, ich vrum dir als ich beste kan; dân gezwîvel nimmer an.‘ der rede wart ich harte vrô und behabte iedoch den strît alsô daz werder ist ein sinnic man dem der in erkennen kan danne ein man der allen rât âne ganze sinne hât; die rede ir mich niht liegen lât.

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„Ja, wahrhaftig! Das glaube ich.“ „Bei meiner Treue, ich bin anderer Meinung. Was nutzen dir das Leben und eine vortreffliche Gesinnung, wenn du nichts besitzt?“ „So höre zu, ich will dir sagen, wie ich ihr Wohlwollen erlangen will: Ich werde zu den vortrefflichsten Menschen gehen und mit meiner Kunst und meiner Wohlerzogenheit erreichen, dass ich mehr Beifall bei ihnen finde als ein begüterter Mann, der völlig ungehobelt ist.“ „Das tue“, sprach der Verstand. „Wenn ich dir wirklich so nützlich bin, dann werde ich tun, was ich kann, daran habe keinen Zweifel.“ Darüber freute ich mich sehr und entschied doch den Streit in dem Sinne, dass ein verständiger Mensch wertvoller ist in den Augen desjenigen, der seine Qualitäten erkennt, als ein Mann, der alles auf sich vereint, ausgenommen einen klaren Verstand. Also: Straft meine Worte bitte nicht Lügen!

16. Rettung und Erholung Beleare lässt sich in Begleitung ihres Gesindes in dem Schiffe nach dem Ort führen, wo Wigalois liegt. Dieser ist mittlerweile aus seiner Ohnmacht erwacht und glaubt, sein früheres Leben sei ein Traum gewesen, er sei ein unfreier Bauer, der in diesem Walde leben müsse, wie sein Vater es getan. Als er die Tasche entdeckt, in der sich das Brot und die Blüte befinden, wird er an Larie erinnert, was ihn völlig in Verwirrung setzt und fast zur Verzweiflung bringt. Beleare hört seine Klagen. Vor Scham flieht er. Beleare, ihm nachrufend, macht sich bekannt und ruft das Geschehene in sein Gedächtnis zurück. Endlich findet sie ihn in einer Höhle, wo sie ihm ihren Pelzmantel reicht, sich damit zu bedecken. Der Fischer führt sie auf das Schloss, wo Wigalois sich bald wieder erholt. Er verschmerzt den Verlust des Gürtels, nur betrübt es ihn, dass er ohne Schwert, Ross und Harnisch den Kampf gegen Roaz nicht aufnehmen könne. Beleare schenkt ihm ein ausgezeichnetes Ross und den trefflichsten Harnisch, den je ein Kaiser getragen; der König Jorel habe ihn ihrem Gatten anvertraut, um ihn für den künftigen Gemahl seiner Tochter aufzubewahren. Brien habe seinetwegen Lamere erschlagen. Sein eigenes Schwert, den Helm und den Schild bekommt er wieder. (5782–6203)

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Der vrouwen was zer verte ger. si sprach ‚nu brinc balde her ein schif daz uns alle trage.‘ diu naht entweich dem liehten tage,

Die Dame drängte es aufzubrechen. Sie sprach: „Nun sorge schnell für ein Boot, das uns alle aufnehmen kann.“ Die Nacht wich dem hellen Tage,

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wand er schône ûf gie. den harnasch si zem hûse lie ir rîtern und ir vrouwen; dô begunden si in schouwen. sus vuor si von dem hûse dan. Gwîgâlois, der arme man, der hêt sich ûf gerihtet. sîn hâr was ungeslihtet, bluotic und zeworren. an einen dürren storren leinet er sich biz er bekam. michel wunder in des nam wie er dar komen wære gewandes alsô lære. dô er sich alsô nacket sach, wider sich selben er dô sprach ‚Gwîgâlois, mahtu mir sagen: waz wunders hât dich her getragen od wie stêt dîn dinc alsô? deiswâr, gestuont dîn herze ie hô von minnen, ode wurd ie rîch, dem bistu leider ungelîch. allez mîn leben ist ein troum. ich bin gesetzet an disen boum rehte als ich wilde sî. herre got, nu wis mir bî! des bit ich dich durch dînen tôt: ichn kom nie in sô grôze nôt! ob ich mich reht versinne, sô was diu küniginne mîn muoter, von Syrîe diu süeze Flôrîe. mîn œheim hiez Jôram, der ze Karidôl nam den rîtern allen dâ ir prîs; er was starc unde wîs. mîn vater hiez her Gâwein und was der besten rîter ein, als mir der schœne man jach den ich zer âventiure sach. Lârîe hiez diu vrouwe mîn; durch der schœne woldich sîn und durch ir lant tôt gelegen; des hêt ich mich vil gar bewegen zer grôzen âventiure. nû bin ich ungehiure. waz touc diu rede? si ist enwiht.

und dieser zog glanzvoll herauf. Den Harnisch ließ sie in die Burg zu ihren Rittern und Damen bringen; die kamen, ihn sich anzuschauen. So fuhr sie (mit dem Schiff) fort von der Burg. Wigalois, der Elende, hatte sich aufgerichtet, das Haar ungeordnet, blutüberströmt und wirr. An einen trockenen Baumstumpf lehnte er sich, bis er ganz zu sich gekommen war. Er wunderte sich sehr darüber, wie er dorthin gekommen war, so völlig ohne Kleider. Als er sich so nackt erblickte, sprach er zu sich: „Wigalois, kannst du mir sagen, auf welch wundersame Weise du hierher gelangt bist oder wie es um dich steht? Wahrlich, wenn du je ein hohes Herz trugst in Liebesdingen, oder wenn du jemals beglückt wurdest, dem entsprichst du jetzt überhaupt nicht. Mein ganzes Leben ist ein Traum. So sitze ich an diesem Baum, ganz als ob ich ein wildes Tier wäre. Herrgott, nun steh mir bei! Darum bitte ich dich – bei deinem Tode! – denn ich kam nie in solche Bedrängnis. Wenn ich mich recht besinne, so war die Königin von Syrien, die liebreizende Florie, meine Mutter. Ihr Oheim hieß Joram, der zu Karidol allen Rittern die Ehre nahm. Er war stark und klug. Mein Vater war Herr Gawein, einer der besten Ritter, wie mir der schöne Mann erzählte, den ich bei einer wunderlichen Begegnung traf. Meine Herrin nannte sich Larie, für deren Schönheit und um ihres Landes willen ich sterben würde. Darum hatte ich mich zu dieser schweren Aventiure entschlossen. Nun aber bin ich ein Wilder. Doch was nützen diese Worte? Sie sind nichtig,

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Gwîgâlois heize ich niht; ich bin et sus ein armman und sol bûwen disen tan als mîn vater hât getân.‘

denn ich bin nicht Wigalois. Ich bin ein Unfreier und werde in diesem Wald hausen, wie es mein Vater getan hat.“

Sus hêt er verzwîvelt gar daz sîner [ge]tæte iht wære wâr od daz er ie würde rîch, wan dem saz er ungelîch. vil schône schein der liehte tac. nu sach er wâ bî im lac diu tiure tasche pfellîn die im diu liebe vrouwe sîn gap ze stiure in den tôt; dar inne lac daz reine brôt verborgen und der süeze bluot. des wart er vrô und dûhte in guot daz im iht beliben was; nider greif er ûf das gras und nam die taschen in die hant. mit jâmer wart er dô ermant der schœnen magt Lârîen. ‚owê‘ begunder schrîen ‚daz ich ie wart geborn! nu hân ich guot und sin verlorn; dar zuo lîd ich den gotes zorn.‘

So hatte er jeden Gedanken daran aufgegeben, dass irgendeine seiner Taten stattgefunden hätte oder er jemals wohlhabend gewesen wäre, denn dem widersprach seine Lage. Im hellen Schein des schönen Tages erblickte er nahe bei sich die kostbare Seidentasche, die ihm seine liebe Herrin zur Begleitung in den tödlichen Kampf mitgegeben hatte. Darin befanden sich das reine Brot und die lieblich duftende Blüte. Darüber wurde er froh und es erschien ihm tröstlich, dass ihm überhaupt etwas geblieben war. Er beugte sich hinab und ergriff die Tasche. Kummervoll wurde er dadurch an die schöne Jungfrau Larie erinnert. „O weh“, rief er, „dass ich je geboren wurde! Nun habe ich Hab und Gut und den Verstand verloren und muss noch dazu Gottes Unwillen erleiden.“

Ditz jæmerlîche wort ‚owê‘ erhôrte diu vrouwe ûf dem sê, wand ez nâhen bî ir geschach. zuo dem manne si dô sprach ‚lieber man, du solt mir sagen, eine stimme hœre ich hie klagen, ob du wizzest wâ ez sî.‘ ‚vrouwe, ez ist hie nâhen bî, dâ ich den tôten rîter liez.‘ daz schif dô zuo dem stade stiez in eine grôze wilde. dâ was dehein gevilde niwan berge unde tal, mit starken boumen über al bewahsen und vervallen. mit ir gesellen allen diu vrouwe ûz dem schiffe gie. vil grôzer jâmer si gevie daz si den rîter alsô vant. diu scham hiez in sâ zehant

Den leidvollen Ruf „O weh“ vernahm die Dame auf dem See, denn sie war nicht weit entfernt. Da sprach sie zu dem Mann: „Lieber Mann, sage mir, wenn du es weißt, wo die Stimme herkommt, die ich hier klagen höre.“ „Herrin, es ist hier ganz in der Nähe, wo ich den toten Ritter zurückließ.“ Das Boot stieß ans Ufer, wo Wildnis sich erstreckte. Kein bebautes Land war dort, nichts als Berge und Täler, dicht bewachsen mit mächtigen Bäumen oder (durch Holzbruch) versperrt. Die Dame verließ mit all ihrem Gefolge das Boot. Großer Kummer ergriff sie, als sie den Ritter in diesem Zustand vorfand. Die Scham trieb ihn

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von den liuten vliehen. dô begunde in nider ziehen sînes lîbes siecheit. diu scham in dô des überstreit daz er von den liuten lief. diu vrouwe im dô nâch rief. si sprach ‚herre, wâ welt ir hin? gewunnet ir ie guoten sin, deiswâr, dem tuot ir ungelîch. nu kêret wider: ich mache iuch rîch; alles des ir an mich gert des sît benamen von mir gewert. ich sihe wol daz iu wê tuot diu scham [und] iuwer armuot und iuwers lîbes siecheit. ich wil mit triuwen iuwer leit wenden, swâ ich mac, zehant. iuwer schœne îsengwant daz ist gevüeret von dem wege; ich hân ez allez in mîner pflege, als ich iuz behalten hân. sît got sô wol hât getân daz ir, herre, genesen sît, ir sult ez haben âne strît. nu kêret wider, rîter guot, wand iuwer tugenthafter muot und iuwer grôziu manheit die nâmen mir mîn herzeleit und gâben mir vreude wider. dô ich mit grôzem jâmer nider was gevallen ûf daz gras, als mir mîn vriunt gezücket was, dô kômet ir und trôstet mich. diu selbe vrouwe bin ich die ir dâ vundet mit grôzer klage. ir sult gelouben daz ich iu sage: ich tuon allez daz ir welt.‘ alrêrst bekande sich der helt und gedâhte ir leides harte wol. diu scham treip in in ein hol dâ vor grôz gerüne was; beidiu mies unde gras brach er vür sînen lîp. dô rief im aber daz reine wîp, wan der walt was sô grôz daz si ir suochens niht genôz. si sprach ‚herre, sît ir guot

zu schneller Flucht vor den Menschen. Die Schwäche seines Körpers zog ihn zu Boden, doch die Scham überwand diese, so dass er seine Flucht fortsetzte. Da rief ihm die Dame nach: „Herr, wo wollt Ihr hin? Seid Ihr bei gutem Verstand, wahrlich, so verhaltet Ihr Euch nicht entsprechend. Nun kommt zurück: Ich werde Euch beschenken. Alles, was Ihr von mir begehrt, sollt Ihr wahrlich von mir bekommen. Ich bemerke wohl, dass Scham, Eure Dürftigkeit und körperliches Elend Euch in Bedrängnis bringen. Ich werde ganz sicher umgehend tun, was ich kann, um Eure Not zu beenden. Euren schönen Harnisch, der geraubt wurde, habe ich in Gewahrsam, das heißt in dem Zustand, als ich ihn für Euch rettete. Da Gott es gegeben hat, dass Ihr, Herr, überlebt habt, sollt Ihr ihn anstandslos zurückbekommen. Nun kommt zurück, edler Ritter, denn Eure tüchtige Gesinnung und große Tapferkeit haben meinen Sorgen ein Ende bereitet und mir die Freude zurückgegeben. Als der große Kummer um den Geliebten, der mir geraubt worden war, mich zu Boden geworfen hatte, da kamt ihr und standet mir bei. Ich bin die Dame, die Ihr dort wehklagend vorfandet. Glaubt mir, ich erfülle Euch jeden Wunsch.“ Da erst verstand der Held, und ihr Kummer stand ihm klar vor Augen. Die Scham trieb ihn in eine Höhle, die hinter umgestürzten Bäumen gelegen war. Er riss Moos und Gras aus, seine Blöße zu bedecken. Abermals rief da die schöne Frau nach ihm, denn der Wald war so groß, dass ihre Suche erfolglos blieb. Sie sprach: „Herr, wenn Ihr von edler Gesinnung seid

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od gwunnet ir ie guoten muot von deheinem reinen wîbe, sô lât iuwerm lîbe bieten gemach und êre.‘ dône barc er sich niht mêre; er lie sich alsô nacket sehen. daz wære weizgot niht geschehen, wan durch sîne vrouwen. alsus liez er sich schouwen: die sîte kêrte er gegen ir dar, daz si dâ bî næme war daz im diu scham wê tet. einen pelz zôch si an der stet ab ir, der was luter grâ; den sande si dem rîter dâ; hie mit kleite er sich sâ.

oder es jemals wart durch die Liebe einer makellosen Frau, so lasst Euch Ehre erweisen und Pflege angedeihen.“ Da verbarg er sich nicht länger und zeigte sich so nackt, wie er war. Dies wäre wahrlich unterblieben, wenn es nicht um seiner Dame willen geschehen wäre. So ließ er sich also sehen: Er kehrte ihr die Seite zu, damit sie bemerken sollte, wie sehr er sich schämte. Auf der Stelle zog sie einen Pelz von ottergrauer Farbe aus. Diesen ließ sie dem Ritter bringen, der ihn sofort anzog.

Als er bedahte sînen lîp, dô gie gegen im daz reine wîp. vil minniclîch enpfie si in und leite in an daz schif hin. si sprach ‚lieber herre mîn, ir sult mir willekomen sîn hie in disem lande. ich weiz wol iu ist ande iuwer grôziu armuot; gehabt iuch wol: ich gibiu guot und schaffe iu solhen gemach daz iu nie baz geschach, ob irz von mir nemen welt.‘ ‚vil gerne, vrouwe‘ sprach der helt. im was gemaches harte nôt. in hêt vil nâch der bitter tôt mit sîner kraft gezücket hin. dô hêt er maht unde sin, sô daz er sich wol versan. mit der vrouwen vuor er dan ûf ir hûs an guot gemach, dâ im allez guot geschach. der wirt selbe gegen im gie. vil minniclîche er in enpfie, dar nâch daz liut über al. sich huop dâ ein vil grôzer schal und gedranc von dem gesinde. diu wîp mit ir kinde diu liefen ûz der stat dar und nâmen des rîters war,

Nachdem er sich so bedeckt hatte, ging die gute Frau auf ihn zu. Liebevoll hieß sie ihn willkommen und brachte ihn zum Schiff. Sie sprach: „Mein lieber Herr, Ihr sollt mir hier in diesem Lande willkommen sein. Ich weiß wohl, Eure Dürftigkeit bedrückt Euch; doch fasst Euch: ich beschenke Euch reich und schaffe Euch solche Annehmlichkeit, dass es Euch nie besser ging, wenn Ihr es von mir annehmen wollt.“ „Sehr gern, Herrin“, sprach der Held. Er bedurfte sehr der Ruhe. Fast hätte ihn der bittere Tod mit seiner Macht dahingerafft. Doch war er so zu Kräften gekommen, dass er bei vollem Bewusstsein war. Mit der Dame begab er sich in die Annehmlichkeiten ihrer Burg, wo man ihm alle Pflege angedeihen ließ. Der Burgherr empfing ihn persönlich. Er hieß ihn liebevoll willkommen. Seine Diener taten es ihm nach. Da erhob sich großer Lärm unter dem sich drängenden Gefolge. Frauen liefen mit ihren Kindern aus der Stadt herbei, um den Ritter zu sehen,

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der den wurm hêt erslagen. si begunden im genâde sagen und danken sîner manheit. dô badet man in, und wart gekleit dar nâch mit sô rîcher wât daz diu werlt niht bezzers hât. diu vrouwe hiez in mit ir gân in eine kemenâten dan, dâ im allez guot geschach. an disen dingen er wol sach daz si in mit triuwen meinde als si im wol bescheinde, wan si in mit willen werte swes er an si gerte. ouch was er sô bescheiden daz er niht gerte vürbaz noch von niemen niht des nam des im ze nemen niht gezam; des was geprîset ie sîn nam.

der den Drachen erschlagen hatte. Sie wussten sich in seiner Schuld und dankten ihm für seine Tapferkeit. Man bereitete ihm ein Bad und kleidete ihn hernach in so kostbare Gewänder, wie die Welt nie bessere gesehen hat. Die Dame bat ihn, sie in ein Zimmer zu begleiten, wo ihm alle Annehmlichkeit zuteil wurde. Daran konnte er wohl erkennen, dass sie ihm wirklich wohlgesonnen war, was sie ihm deutlich zeigte, denn sie gewährte ihm gern, was immer er von ihr begehrte. Er war jedoch so klug, nicht zu viel zu begehren oder von jemandem etwas anzunehmen, das anzunehmen sich nicht schickte. Dafür wurde er zu aller Zeit gelobt.

Dô er guot gemach dâ vant und sînen siechtuom überwant, des begunde er got genâde sagen, dar under tougenlîche klagen den gürtel und sîn îsengwant. er gedâhte ‚nû sol ich zehant gegen der âventiure varn; wâ mit sol ich mich bewarn sît ich den gürtel hân verlorn den ich ze trôste hêt erkorn zallen mînen dingen? noch muoz mir gelingen zer selben âventiure; sin ist nie sô ungehiure ichn welle dâ tôt geligen, od mit der gotes kraft gesigen. noch mac sîn alles werden rât. ich weiz wol, swer den gürtel hât, daz er mirs niht wider gît; dâ von sol ich ze dirre zît niht vil dar nâch gevrâgen. den lîp wil ich dâ wâgen durch si, der mîn herze gert; und gît man mir mîn schœnez swert, ein ors und mîn îsengwant, sô wil ich rîten zehant zer âventiure, swâ diu ist.‘

Nachdem er durch gute Pflege seine Schwäche überwunden hatte, dankte er Gott, beklagte aber insgeheim den (Verlust des) Gürtel(s) und seinen Harnisch. Er dachte: „Nun werde ich sehr bald der Aventiure entgegengehen. Wie soll ich mich schützen, da ich den Gürtel, den ich zum Beistand in allen meinen Angelegenheiten erwählt hatte, verloren habe? Dennoch muss mir Erfolg in dieser Aventiure beschieden sein; so schrecklich ist sie durchaus nicht; entweder werde ich dabei den Tod finden oder mit Gottes Hilfe siegreich sein. Noch kann sich alles zum Guten wenden. Ich weiß wohl, wer immer den Gürtel hat, wird ihn mir nicht zurückgeben. Daher werde ich jetzt nicht weiter danach fragen. Das Leben werde ich dort wagen um ihretwillen, nach der mein Herz sich sehnt. Und wenn man mir mein edles Schwert, ein Streitross und meinen Harnisch gibt, so will ich sofort die Aventiure suchen, wo immer dies sei.“

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nu kom diu vrouwe an der vrist zuo im gegangen unde sprach, – wande si wol an im sach daz sîn guot gemüete vil grôziu swære müete; daz siht ouch noch ein ieslîch man mit lîhter kunst dem andern an daz sîn herze swære treit, swen er in sîne hant leit daz houbet und ez geneiget hât; dar nâch gap si im rât und trôst ze sîner swære – si sprach ‚herre, wære iuwer herze und iuwer muot dem gelîch als ir tuot, daz wær mir inniclîche leit. lieber herre mîn, nu seit mir war umb ir trûric sît.‘ er sprach ‚vrouwe, dâ hân ich zît zer âventiure ze rîten.‘ si sprach ‚welt ir dâ strîten?‘ ‚jâ, vrouwe, ich hâns gesworn.‘ ‚owê, sô sît ir verlorn.‘ ‚zwâre, vrouwe, nein ich, und welt ir berâten mich, sô wirt er strîtes von mir gwert. wirt mir mîn harnasch und mîn swert und ein guot ors gegeben, deiswâr, sô mac ich mîn leben gerne wâgen ûf den trôst daz daz lant werde erlôst, ob ich dem heiden an gesige; ist abe daz ich dâ tôt gelige, sô ist manic tiurre rîter tôt. nu helft mir, vrouwe, zuo der nôt, daz ich die âventiure iht gar ân iuwer stiure alsô vehten müeze; des suoche ich iuwer vüeze. ir seht wol ich bin nacket gar, iedoch wil ich benamen dar; alsô bin ich ûz gevarn.‘ ‚herre, got müez iuch bewarn! des ist iu benamen nôt: ir welt in den gewissen tôt. sît ich iuch niht erwenden kan, sô nemt ein ors daz ich hân,

In diesem Augenblick erschien die Dame bei ihm und sprach – denn sie sah ihm wohl an, dass sein lauterer Sinn durch großen Kummer getrübt war. Es ist jedem Menschen leicht möglich, dem anderen den Kummer anzumerken, wenn dieser sein Haupt neigt und es mit seiner Hand stützt. So stand sie ihm mit Rat und Trost in seinem Kummer zur Seite. – Sie sprach also: „Herr, wenn es tatsächlich um Euch so steht, wie Euer Äußeres verrät, so sollte es mich von Herzen bekümmern. Mein lieber Herr, nun nennt mir den Grund Eures Kummers.“ Er sprach: „Herrin, es ist Zeit für mich, auf Aventiure zu reiten.“ Sie sprach: „Ihr habt vor, dort zu kämpfen?“ „Ja, Herrin, ich habe einen Eid geleistet.“ „O weh, so bedeutet das Euer Ende.“ „Gewiss nicht, Herrin. Wenn Ihr mir helft, so wird er seinen Kampf bekommen. Wenn ich meinen Harnisch, mein Schwert und ein gutes Streitross bekomme, wahrlich, dann kann ich getrost mein Leben wagen in der Hoffnung, dass das Land befreit würde, wenn ich den Heiden besiege. Sollte ich aber sterben, so sind auch andere und bessere Ritter gefallen. Nun helft mir, Herrin, in diesem Kampf, damit ich die Aventiure nicht ganz ohne Euren Beistand austragen muss; darum bitte ich Euch fußfällig. Wie Ihr seht, bin ich völlig mittellos, doch, wahrlich, es zieht mich dorthin, denn deswegen bin ich ausgezogen.“ „Mein Herr, Gott möge Euch beschirmen! Dies habt Ihr bitter nötig, denn Ihr sucht den sicheren Tod. Da ich Euch nicht davon abbringen kann, so nehmt ein Ross von mir,

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bezzer danne hundert marc; daz ist schœne unde starc. dar zuo gibe ich iu zehant daz aller beste îsengwant daz ie dehein keiser getruoc, dar umbe Brîen Lâmêren sluoc an guoten triuwen dâ er lac. des ist nû vil manic tac daz ez mîn herre, [der] künc Jorêl, mînem wirte bevalch an sîne sêl daz erz behielte unz an die zît swen sîn tohter würde gehît zeinem biderben manne, daz er den harnasch danne im gæbe ze sînem lîbe. er wart von einem wîbe verstoln einem getwerge alrêrst ûz einem berge, dâ ez in mit listen gar hêt geworht wol drîzic jâr. er ist als ein hemde ringe, mit deheiner slahte dinge mac man in zebrechen noch dar durch gestechen. welher hande der harnasch sî, und wære er al der werlte bî, daz ez iemen errâte, des ist er vrî.

das mehr als hundert Mark wert ist, auch edel und stark. Außerdem gebe ich Euch auf der Stelle den besten Harnisch, den je ein Kaiser getragen hat, den nämlich, um dessentwillen Brien den Lamer erschlug, während er ahnungslos schlief. Es ist lange Zeit her, seit mein Herr, König Jorel, ihn meinem Mann bei seiner Seele anvertraute, auf dass er ihn bewahren sollte, bis seine Tochter einen tüchtigen Mann heiraten würde; dem sollte er ihn dann zu Eigen geben. Er wurde anfangs von einer Frau einem Zwerg aus einem Berg heraus gestohlen, wo er mit großer Kunst wohl dreißig Jahre an ihm gearbeitet hatte. Er ist leicht wie ein Hemd, doch mit keinerlei Werkzeug vermag man ihn zu zerbrechen oder gar zu durchstoßen. Selbst der Weltkundigste wäre nicht imstande zu bestimmen, aus welchem Material der Harnisch sei.

Ich sagiu wie in Lâmêr gewan, als ichz ê vernomen hân. dô man im saget mære daz der harnasch wære in dem lande ze Lîbîâ, dar vuor er mit here sâ und beroubet die stat und daz lant, unz daz man im daz îsengwant in sîn gezelt muose tragen. sît wart er darumb erslagen. daz tet Brîen, der bruoder sîn. der brâht ez zuo Korntîn Jorêl, dem lieben herren mîn.

Ich sage Euch, wie ihn Lamer erwarb, so wie man mir einst davon erzählte. Als man ihm verriet, der Harnisch würde sich im Lande Libyen befinden, begab er sich mit Heeresmacht sofort dorthin und raubte Stadt und Land aus, bis man ihm endlich den Harnisch in sein Zelt legen musste. Später wurde er um seinetwillen erschlagen durch Brien, seinen Bruder. Der brachte ihn nach Korntin zu Jorel, meinem lieben Herrn.

Er bevalch ez mînem wirte hie. sît wart ez gezeiget nie deheinem manne, geloubet daz. nu hête wir michel reht, swaz wir iuch möhten gêren

Er gab ihn meinem Ehemann in seine Obhut. Seither blieb er jedermann verborgen, glaubt mir. Nun haben wir allen Grund, Euch alles zu gewähren und nichts von dem,

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und iuwer liep gemêren, daz wir des niht enliezen.‘ diu vrouwe hiez entsliezen den sarbalc dâ er inne lac. dô schut man in ûz an den tac. als er den harnasch rehte ersach, zem reinem wîbe er dô sprach – diu was ein bluome der güete, ir herze in tugent blüete – ‚genâde, vrouwe, dirre gebe, und wizzet, [daz] die wîle ich lebe, daz ich ez immer dienen wil; dirre gebe ist mir ze vil.‘ sînen harnasch truoc man dar. der was zebrochen alsô gar daz er im ze nihte entouc. daz reine wîp in niht betrouc an disem, wan dehein man bezzern harnasch nie gewan. sînen halsberc liez er dâ; in disen begunde in wâfen sâ der wirt und diu wirtin. er sprach ‚herre, nu vüert ir hin wæn ich in den gewissen tôt, wan daz ir alle iuwer nôt sô wol habt überwunden.‘ die vrouwen im dô bunden die îsenhosen an diu bein. sîn herze was herte als ein stein, wand ez nie dâ von erkam swaz er untrôstes ie vernam. die zît hêt er dâ wol vertriben, wand er die nâht was dâ beliben. nû was ditz an dem andern tage. ob ir welt daz ich iu sage wie er zuo der âventiure rit, sô swîget und hœretz mit guotem sit. als er wart gewâfent gar, dô brâhte man im den helm dar mit dem rade guldîn; den bant im ûf daz houbet sîn der wirt selbe mit sîner hant. an ein sper man im dô bant einen samît der was rôt; daz bezeichent daz er in den tôt des tages rîten solde. der wirt im dô wolde

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was immer Euch erfreuen mag, zurückzuhalten.“ Die Dame befahl, den Lederbalg zu öffnen, in welchem er sich befand. Da brachte man ihn ans Tageslicht. Als er den Harnisch sah, sprach er zu der edlen Frau – die eine Blume der Vortrefflichkeit mit einem in Tugend erblühenden Herzen war: „Dank, Herrin, für diese Gabe. Ihr sollt wissen, dass ich mein Leben lang Euch hierfür zu Diensten sein werde, aber das Geschenk ist zu großzügig.“ Man brachte seinen Harnisch herbei, der so vollständig zerstört war, dass er ihm nichts mehr nützte. Die edle Frau wollte ihn mit dem neuen keinesfalls hintergehen, denn kein Mann besaß jemals einen besseren Harnisch. Seinen eigenen Halsberg ließ er dort zurück. Burgherr und Burgherrin legten ihm sogleich die neue Rüstung an. Er sprach: „Ich würde glauben, dass Ihr in den sicheren Tod ziehen würdet, wenn Ihr nicht all Eure bisherigen Kämpfe so gut überstanden hättet.“ Da legten ihm die Damen die eisernen Beinkleider an. Sein Herz wurde so hart wie Stein, denn es ließ sich nicht schrecken, von welchen aussichtslosen Lagen er auch immer hörte. Er hatte die Zeit dort gut verbracht obwohl er nur die Nacht über dort geblieben war. Es war nun bereits der zweite Tag. Wenn ihr wollt, dass ich euch erzähle, wie er auf die Aventiure ritt, so schweigt und hört anständig zu. Als er vollständig gerüstet war, brachte man ihm den Helm mit dem goldenen Rade. Den band ihm der Burgherr mit eigener Hand auf. Man befestigte einen roten Brokat an einer Lanze zum Zeichen dafür, dass er an diesem Tag in einen tödlichen Kampf reiten würde. Der Burgherr wollte ihn noch

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gegeben hân ze stiure zuo der âventiure einen schilt von eines grîfen klâ. den hiez er im behalten dâ; sînen schilt brâht man im sâ.

für diesen Kampf mit einem Schild ausstatten, der eine Greifenklaue trug; den ließ er sich zurücklegen. Sogleich brachte man ihm seinen eigenen Schild.

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Den vuorte er durch diu mære daz er ein rîter wære von der tavelrunde, daz man dâ bî kunde sehen unde wizzen daz er zer tavelrunde saz. sînen wâfenroc legte er an; der was rîche und wol getân, wan daz er was durchstochen und mangen ende zebrochen; den vuorte der helt mêre durch sîner vrouwen êre danne durch sîn armuot; er dûhte in bezzer danne guot. sîn swert striht im daz süeze wîp vil heize weinde umb den lîp und vlêget got vil tiure daz er die âventiure in dâ lieze erwerben, und daz in niht verderben lieze diu gotes güete. dehein ungeloube in müete in dem hûse noch ûf dem wege; er liez ez allez an gotes pflege. swaz im des morgens wider lief od swie vil diu krâ gerief, swie vil der mûsære umbe gevlouc, der ungeloube in niht betrouc, wand er dâ niht ûf ahte. wir hân nu manger slahte bôsheit und gelouben, dâ mit wir uns rouben aller unser sælicheit: ez ist vil mangem manne leit swen im ein wîp daz swert gît;

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daz lie der rîter âne nît; ern ahte dar ûf niht ein hâr, ez wære gelogen ode wâr; er hêt in gotes gnâde ergeben beidiu sêle unde leben.

Diesen führte er, um damit anzuzeigen, dass er ein Ritter der Tafelrunde war, damit man also daran erkennen sollte, dass er einen Platz in der Tafelrunde innehatte. Er legte seinen Waffenrock an, der zwar kostbar und schön, aber auch durchhauen und vielfach zerrissen war. Der Held trug ihn um der Ehre seiner Dame willen, nicht wegen fehlender Mittel. Ihm erschien er vortrefflich. Sein Schwert gürtete ihm die liebreizende Frau um den Leib; sie weinte bitterlich und flehte innig Gott an, ihn diese Aventiure bestehen zu lassen, auf dass Gottes Gnade ihn am Leben erhielte. Sowohl auf der Burg als auch auf der Fahrt festen Glauben bewahrend, vertraute er alles Gottes Fürsorge an. Was ihm auch des Morgens begegnete, wie oft die Krähe schrie, wie viele Falken in der Luft flogen – Aberglaube focht ihn nicht an, denn er schenkte solchem keine Beachtung. Heute haben wir mit vielen Formen bösen Aberglaubens zu tun, womit wir uns allen Heils berauben. Es soll Männer geben, die sich nur ungern von einer Frau das Schwert umgürten lassen; der Ritter ließ es bereitwillig geschehen. Er verschwendete keinen Gedanken daran, ob solche Zeichen ihm Wahres voraussagten oder nicht, denn er hatte Leib und Seele in Gottes Hand gegeben.

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swaz im des morgens wider gie, dazn gevlôch der rîter nie, wan guoten glouben hêt er ie.

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Was immer ihm am Morgen begegnete, das konnte ihn nie in die Flucht treiben, denn er war immer festen Glaubens.

17. Waldweib Ruel So bewaffnet, ohne abergläubische Furcht vor bösen Vorzeichen, macht er sich auf den Weg. In Gedanken versunken kommt er auf einem Abweg an einen Fluss. Er bindet sein Pferd an einen Ast, findet ein Floß und zieht es nach dem Ort, wo sein Pferd steht. Da erscheint ein ungeheuerliches Waldweib (Ruel). Larie war schöner als ihrer drei. Reiz konnte sie nur haben für den, der Frau Enite nicht gesehen habe. Hartmann nennt sie die Schönste zu Karidol; ungleich war dieses Weib der schönen Jeschute, als Parzival sie in ihrem Zelte schlafend traf. Jeschute war ohne Makel; dieses Lob spendete ihr Herr Wolfram, der erfahrene Mann von Eschenbach. Ruel sei ihr Name, ihr Mann heiße Feroz, der von Flojir von Belamunt erschlagen sei. Dafür solle Wigalois büßen. Da sie unbewehrt ist, versäumt er, das Schwert zu ziehen. Sie trägt ihn in ihren Armen fort – Frau Lunete pflegte den Ritter mit dem Löwen besser, als er gefangen neben ihr saß –, fesselt ihm die Hände und reißt ihm das Schwert von der Seite, um ihn zu töten. Da fängt sein Pferd plötzlich zu wiehern an. Ruel glaubt, es sei das Brüllen des Drachens und flieht. (6204–6483)

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Dô nam er urloup von in dâ. wirt und vrouwen neic er sâ und gnâdet in alles guotes, der werke und ir muotes, dar nâch dem [ge]sinde über al. vil manic guot wunsch âne zal wart im gegeben an der stat. daz liut im allez heiles bat und segenten in in den tôt. sîn dienst er dô in allen bôt und bat den reinen wirt sâ daz er die glävîen dâ bî dem wurme suochte und si im behalten ruochte unz er dar wider kæme, ob er den sic genæme zer selben âventiure. dô gelobt der wirt vil tiure daz er gerne tæte swes er in gebæte. diu vrouwe sprach ‚herre mîn, wir suln iu beidiu immer sîn bereit unsers muotes, lîbes unde guotes, wand iuwer grôziu manheit diu benam mir mîn herzeleit.

Da nahm er von ihnen Abschied. Er verneigte sich vor seinen Gastgebern und dankte ihnen für alles Gute, ihre tatkräftige Hilfe und ihr Wohlwollen; danach dankte er auch dem ganzen Gefolge. Zahllose gute Wünsche wurden ihm da mit auf den Weg gegeben. Sie beteten für sein Seelenheil und gaben ihm ihren Segen für seine tödliche Mission. Er entbot ihnen allen seine Dienste und bat den edlen Burgherrn, die Lanze von dem Drachen zu holen und sie für ihn zu bewahren, bis er zurückkehren würde, wenn er diese Aventiure siegreich bestünde. Der Burgherr gelobte hoch und heilig, ihm bereitwillig alle seine Wünsche zu erfüllen. Die Dame sprach: „Mein Herr, wir werden Euch für immer mit Willen, Leib und Gut zur Seite stehen, denn Eure große Tapferkeit beendete mein schweres Leid.

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17. Waldweib Ruel

dô ich in grôzem jâmer lac und deheiner slahte vreude pflac, dô kômet ir und trôstet mich; dâ von ist michel reht daz ich iu dienstes wes undertân swâ ich mac unde kan. ouch bit wir iuch vil verre, ob iuch unser herre den sic lâze erwerben dâ, daz ir danne her wider sâ an guot gemach rîtet als ir dâ gestrîtet.‘ er sprach ‚vrouwe, daz sî getân! iuwer bet bin ich undertân ob mir got des lîbes gan.‘

Als ich in großem Kummer war und jede Freude entbehren musste, da kamt Ihr und standet mir bei. Daher besteht aller Grund für mich, Euch zu Diensten zu sein, wo immer ich kann. Und ich bitte Euch sehr, wenn unser Herrgott Euch dort siegen lässt, wieder hierher zurückzukehren, um nach vollbrachtem Kampf hier Ruhe und Annehmlichkeit zu finden.“ Er sprach: „Herrin, das werde ich. Eurem Wunsch werde ich nachkommen, wenn Gott mir das Leben erhält.“

Sîn ors wart im gezogen dar; daz was in einer varwe gar rehte rôt als ein bluot; dar ûf saz der rîter guot. man reichte im schilt unde sper. von dem hûse kêrt er eine strâze, diu was wol gebant; diu solde in tragen in daz lant ze Glois, dâ der heiden saz. sîn manic [ge]müete vuocte im daz er die strâze übersach. einem stîge volget er nâch ûz gegen der linken hant, der was grasic unde ungebant. er truoc in verre in den walt, dâ manic boum was gevalt und grôze ronen lâgen. dô begunde in des betrâgen daz er sîn ors allez zôch. ze stîgen er die ronen vlôch.

Sein Ross wurde herbeigebracht, das war ganz und gar von blutroter Farbe. Der edle Ritter stieg auf. Man reichte ihm Schild und Lanze. Er verließ die Burg; Ein wohlbefestigter Weg sollte ihn zu dem Lande Glois führen, wo der Heide sich befand. Doch weil er an so viele Dinge dachte, kam er vom Weg ab. Er folgte einem Pfad nach links hinaus, der grasbewachsen und unbefestigt war. Der führte ihn weit in den Wald hinein, wo viele Bäume umgestürzt waren und dicke Stämme umherlagen. Da begann es ihn zu verdrießen, sein Ross den ganzen Weg zu ziehen, und er wich den Stämmen aus und suchte wieder reitbare Pfade auf. Er kam an einen Fluss, so tief und breit, dass keine Furt hindurchführte. Er dachte: „Herrgott, wie soll ich über den Fluss gelangen?“

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an ein wazzer er dô reit, daz was tief und sô breit daz niht vurtes darüber gie. er gedâhte ‚herre got, wie kum ich über daz wazzer hie?‘

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Sîn ors hafter vaste zeinem starken aste, wand ern mohte niht vürbaz. swie snel er wære, sîn gên was laz,

Sein Ross band er an einem starken Ast fest, als er nicht weiterreiten konnte. Wie behände er sonst auch war, hier kam er nur langsam voran,

17. Waldweib Ruel

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wand er muose sliefen dâ. nu sach er ûf dem wazzer sâ vliezen einen kleinen vlôz, den ein starkiu wide slôz bî einem stecken zuo dem stade; dar kom der rîter mit dem rade von des waldes enge gesloffen durch gedrenge. er nam den vlôz und zôch in dan dâ er sîn ors hêt lâzen stân. nu was bî im ein holer stein. ûz dem hole sach er ein wîp gegen im loufen dar, diu was in einer varwe gar swarz, rûch als ein ber. vil grôziu schœne was der und guot gebærde tiure, wan si was ungehiure: ir hâr enpflohten unde lanc, zetal in ir buoc ez swanc. daz houbet grôz, ir nase vlach. daz wîp ûz grôzer riuhe sach als zwô kerzen brünnen dâ. ir brâ lanc unde grâ, grôze zene, wîten munt; zwei ôren hêt si als ein hunt, diu hiengen nider spanne breit. als uns diu âventiure seit, sô was diu schœne Lârîe schœner danne ir drîe. der rücke was ir ûf gebogen, dâ engegen ein hover ûz gezogen ob dem herzen als ein huot. hêt iemen von ir hôhen muot, dern sach der vrouwen Ênîten niht, wan der herre Hartman giht, daz wær gar ûz dem strîte ezn wære vrouwe Ênîte ze Karidôl diu schœnste maget, als im sîn meister hêt gesaget. ir brüste nider hiengen; die sîten si beviengen gelîch zwein grôzen taschen dâ. als ein grîfe hêt si klâ an den vingern allen. rôt und linde ballen

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denn er musste sich mühsam vorwärts arbeiten. Da sah er auf dem Strom ein kleines Floß schwimmen, das mit einem starken Weidstecken am Ufer befestigt war. Dorthin begab sich der Ritter mit dem Rade, mühsam durchs dichte Unterholz sich zwängend. Er ergriff das Floß und zog es zu dem Ort, wo er sein Ross zurückgelassen hatte. In seiner Nähe befand sich eine Felshöhle. Aus der Höhle sah er eine Frau ihm entgegenlaufen; die war ganz schwarz und behaart wie ein Bär. Blendende Schönheit und feines Benehmen waren ihr fremd, denn sie sah abscheulich aus: Ihr Haar fiel lang und offen auf ihre Hüften herab. Sie hatte ein grobes Haupt und eine platte Nase. Aus behaartem Gesicht schauten der Frau zwei Augen wie brennende Kerzen. Sie hatte langgezogene graue Brauen; ihre Zähne waren riesig, der Mund breit, ihre Ohren eine Spanne breit, hingen wie die eines Hundes an den Seiten herab. Wie wir aus der Quelle unserer Geschichte wissen, hätte die schöne Larie drei von ihnen an Schönheit übertroffen. Sie hatte einen gekrümmten Rücken, vorn wölbte sich ein Höcker wie ein Hut über ihrem Herzen. Nur den konnte sie froh stimmen, der niemals Frau Enite gesehen hatte, denn Herr Hartmann versichert uns, es stehe ganz außer Frage, dass Frau Enite zu Karidol die schönste Jungfrau gewesen sei; so hatte er es auch von seinem Lehrmeister gehört. Ihre Brüste hingen herab, sie umfassten die Hüften gleich zwei großen Taschen. Klauen besaß sie wie ein Greif an allen Fingern. Rosige und weiche Handballen,

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17. Waldweib Ruel

die man an schœnen vrouwen siht, ich wæne wol dern hêt si niht: si wârn ir herte als einem bern. swen si ir minne solde wern, daz wær ein sûrez trûten. ir lîp der vrouwen Jeschûten, diu dâ was sô sælden rîch, was des tages ungelîch dô si in ir gezelte slief und si Parzivâl an lief. als in lêrte diu muoter sîn, er zôch ir abe ein vingerlîn und nam ir vürspan âne ir danc. ein lützel er mit ir geranc und kuste si an ir rôten munt âne sin: im was unkunt waz ez dem herzen vreude gît; dar umbe leit si kumber sît. si wârn gelîch, als ich ez weiz, reht als ein bin einer geiz. disiu was ungehiure; sô was Jeschûten tiure swaz vrouwen lîbe ie missezam. daz lop gît ir her Wolfram, ein wîse man von Eschenbach; sîn herze ist ganzes sinnes dach; leien munt nie baz gesprach.

wie schöne Damen sie besitzen, hatte sie wohl nicht: Die ihren waren hart wie die eines Bären. Wem immer sie ihre Liebe schenken würde, dem wäre das ein saures Vergnügen. An jenem Tage jedenfalls war sie fern der Schönheit von Frau Jeschute, der reich begnadeten, als sie in ihrem Zelt schlief und Parzival zu ihr hereinstürmte. Wie ihn seine Mutter gelehrt hatte, nahm er ihr einen Ring und raubte ihr gegen ihren Willen die Brosche. Er balgte ein wenig mit ihr und küsste plump ihren roten Mund, denn er wusste nichts davon, welche Wonnen dies bereitet. Sie aber hatte hernach dafür zu büßen. Beide Frauen glichen einander, ich weiß es, wie die Biene einer Geiß. Diese hier war furchterregend, Jeschute aber fehlte jeder Makel an weiblicher Schönheit. Diesen Lobpreis verleiht ihr Herr Wolfram, der weise Mann aus Eschenbach. Sein Herz umschloss vollkommenen Verstand. Nie hat ein Laie besser erzählt.

Daz wîp dûht in unsüeze: starkiu bein, krumbe vüeze hêt si, sus was si gestalt. ein kurziu naht diu machet in alt swer bî ir solde sîn gelegen; sô süezer minne kunde si pflegen. si hiez diu starke Rûel und was sô vreislîche snel daz ir dehein tier entran. Ferôz geheizen was ir man. den sluoc Flojîr von Belamunt; den zôch er an des sêwes grunt mit im töunde in sîner nôt; dâ lâgens bî ein ander tôt. sus verlôs si ir lieben man; des wolde si in engelten lân. si lief zuo im âne wer; ir einer sterke was im ein her. desn trûwet der junge rîter niht.

Die Frau erschien ihm nicht liebenswürdig: mächtige Beine, unförmige Füße hatte sie, so war sie beschaffen. Eine kurze Liebesnacht mit ihr würde jeden zu einem alten Mann werden lassen, so süße Minne wusste sie zu spenden. Sie wurde die starke Ruel genannt und war so erschreckend gewandt, dass kein Tier ihr entrinnen konnte. Der Name ihres Mannes war Feroz. Flojir von Belamunt hatte ihn getötet, den zog er im Todeskampf mit sich hinab an den Grund des Sees, wo sie beide ihr Grab fanden. So hatte sie ihren geliebten Mann verloren und wollte sich dafür an ihm rächen. Ungewaffnet griff sie ihn an mit einer Kraft, die ihm wie die eines Heeres erschien. Dies hatte der junge Ritter nicht erwartet.

17. Waldweib Ruel

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sus sint die minne mislîch: diu eine ist arm, diu ander rîch.

Ein falscher Augenschein führt die Menschen oft ins Unglück. Wer dies verhindern will, sollte sich jederzeit vorsehen, sonst könnte er leicht das Ziel verfehlen. Hier kam er ihr zu sehr entgegen: sofort packte ihn die starke Frau. Es schien ihm nicht angemessen, gegen sie sein Schwert zu ziehen, denn höflich war er stets. Als ob er in Fesseln geschlagen wäre, trug ihn daher die Teufelin in ihren starken Armen davon. Wie stark der Ritter sonst auch war, wie weithin berühmt auch seine große Tapferkeit, diese ungeschlachte Gebieterin schleppte ihn wie einen Sack davon. „O weh, dass ich diesen Tag erleben musste“, sprach der Held. „Nun ist meine Kraft gänzlich besiegt, wozu nützt mir meine Tapferkeit? Was für ein Unglück! Muss ich auf diese Weise untergehen und wehrlos sterben von der Hand dieser Kreatur?“ Sie machte es ihm unmöglich zu sprechen und sich zu regen. Frau Lunete hatte den Ritter mit dem Löwen besser behandelt, als dieser gefangen bei ihr war. Diese aber verhielt sich ihrem Wesen gemäß: Sie raubte dem jungen Ritter Kraft und Bewusstsein. Ihre Umarmungen hatten aber auch gar nichts mit der Minne einer liebevollen Frau zu tun. So ungleich ist die Liebe, die eine bringt Freude, die andere Unbehagen.

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Rûel diu ungehiure ergatzt in der âventiure und swaz im liebes ie geschach. daz swert si im von der sîten brach und zôch im abez îsengwant;

Die grässliche Ruel ließ ihn die Aventiure und jede angenehme Erinnerung vergessen. Sie riss ihm das Schwert von der Seite, zog ihm den Harnisch aus

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von missetriuwe vil ofte geschiht daz den liuten missegêt. swer daz gerne understêt, der sî gewarnet zaller zît: vil lîhte erz anders missegît. alsô übergap erz dâ. daz starke wîp begreif in sâ, wan si endûhte in des niht wert daz er gegen ir sîn swert immer gevuorte, wan grôziu tugent ruorte sîn herze zallen stunden. als er wære gebunden, sô truoc in diu tiuvelin under ir starken armen hin. swie starc der rîter wære und swie wîten mære wær sîn grôziu manheit, diu selbe vrouwe ungemeit truoc in hin als einen sac. ‚owê, daz ich disen tac ie gelebte!‘ sprach der degen. ‚nû ist mîn kraft gar gelegen; waz touc mir mîn manheit? ditz ist ein jæmerlîchez leit! sol ich alsô verderben und âne wer ersterben von dirre crêatiure?‘ si tet imz allez tiure beidiu sprechen unde regen. vrouwe Lûnete kunde pflegen des rîters mit dem lewen baz, dô er gevangen bî ir saz. disiu tet als ir gezam: dem jungen rîter si dô nam die kraft und sîne sinne; guotes wîbes minne was ir trûten ungelîch;

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17. Waldweib Ruel

mit einer wide si im bant beide hende hinder sich. owê leider, nu dunket mich daz er mit sînem lîbe iht kœme von disem wîbe, des wær er weizgot unwert! si zôch im ûz sîn eigen swert; bî dem hâre vuorte sin hin; über ein ronen druhte in daz wîp bî sînem hâre, owê! nu sprechet, wiez im dâ ergê. daz swert swanc si gegen im her. in dirre nôt gedâht er der schœnen magt Lârîen. sîn ors begunde schrîen und ze weien sêre. dem wîbe enwart niht mêre wan daz sin alsô ligen liez; daz swert si in die scheide stiez und vlôch ûz dem hol zehant ûf ein ander steinwant ein pfat, daz was vil enge, durch michel gedrenge. waz dem wîbe wære, welt ir daz selbe mære hœren, daz wil ich iu sagen: der wurm den dâ hêt erslagen der rîter mit sîner hant, der kom zuo der steinwant vil oft mit solhem schalle daz die berge alle schullen von sînem lûte nâch des tievels trûte; der wurm wesse si dâ wol. si entran im ofte ûz dem hol ûf ein ander steinwant als ir der zagel wær verbrant. si vorhte ir sêre; des gienc ir nôt: swaz er begreif, daz was tôt; niemen mohte sich sîn erwern noch vor sînem stanke ernern; dâ von vlôch des tievels trût. dô si erhôrte des rosses lût, dô wânde si er kæme dâ; von dem rîter vlôch si sâ, wan si entrûwet niht genesen, als ez sîn sælde solde wesen

und band ihm mit einem Strang die Hände auf den Rücken. O weh des Unglücks, ich befürchte, er wird vor dieser Frau nicht mit dem Leben davonkommen. Das hätte er weiß Gott nicht verdient! Sie zog sein Schwert aus der Scheide und schleifte ihn bei den Haaren fort. Über einen Baumstumpf zwang sie seinen Kopf. – „O weh! Nun sagt schon, was ihm dort geschehen soll!“ – Mit dem Schwert holte sie gegen ihn aus. In dieser Bedrängnis erinnerte er sich der schönen Jungfrau Larie. Sein Streitross wieherte laut. Dem (wilden) Weib blieb nichts übrig als ihn einfach liegen zu lassen; sie stieß das Schwert in die Scheide zurück und floh sofort aus der Höhle über einen Pfad, der eng bewachsen und unwegsam war, hin zu einer anderen Felskluft. Wenn ihr hören wollt, warum sie dies tat, so will ich es euch sagen: Der Drache, den der Ritter eigenhändig erschlagen hatte, war sehr häufig zu dieser Felswand gekommen – so laut brüllend, dass von seinem Schrei das ganze Gebirge widerhallte –, dieser Teufelsbraut wegen. Der Drache kannte ihren Aufenthalt. Sie hatte sich oft aus der Höhle auf eine andere Felskluft gerettet, (so rasch) als ob ihr Hinterteil in Flammen stünde. Sie fürchtete sich sehr und hatte allen Grund dazu, denn wessen er habhaft wurde, das war des Todes. Niemand konnte sich gegen ihn verteidigen noch vor seinem üblen Atem erretten; deshalb floh die Teufelsbraut. Als sie das Wiehern des Pferdes hörte, meinte sie, er sei es, der da käme. Fluchtartig verließ sie den Ritter, denn sie glaubte dort getötet zu werden, zum Glück desjenigen,

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der dâ vor ir gebunden lac; vür den trôst sîn zwîvel wac. ditz was wol umbe mitten tac.

der da in Fesseln vor ihr lag und dessen Verzweiflung die Hoffnung überwog. Es war gegen Mittag.

Wem kom der tôt sô nâhen ie? âne den tôt gevreischt ich nie angestlîcher iemen ligen; des lebens was im gar verzigen. dô si daz swert gegen im swanc, dôn hêt er des deheinen [ge]danc daz er iht lenger solde leben, hêt imz got niht gegeben. des genâde ist niht gelîch; daz erzeiget er aller tägelîch. er nidert hôch gemüete und hœhet alle güete; er ermet unde rîchet, den rîchen er gelîchet dem armen, swenne er wil. ditz was sînes gwaltes spil, daz er disem küenen man sînen trôst an gewan, den sîn herze ungerne liez; in ganzen zwîvel er in stiez, dâ von er sîne vreude lie. got der was genædic ie; daz erzeigter an disem rîter hie.

Wem war der Tod jemals so nahe gekommen? Ich habe nie von jemandem gehört, der eine bedrohlichere Lage überlebte. Er hatte sein Leben ganz aufgegeben. Als sie das Schwert gegen ihn erhob, hatte er keine Hoffnung mehr länger zu leben, wenn Gott es ihm nicht gestattet hätte. Seiner Gnade ist nichts vergleichbar, das zeigt er täglich aufs Neue. Den Hochmut zwingt er in die Knie und er erhebt das Gute; er nimmt und gibt, den Reichen macht er dem Armen gleich, wann immer er will. Seiner Macht war es ein Leichtes, diesem tapferen Mann die Zuversicht zu nehmen, die dieser ungern fahren ließ. Er stieß ihn in völlige Verzweiflung, so dass all seine Freude dahin war. Gott ist immer gnädig gewesen, das bewies er an diesem Ritter.

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18. Karrioz und Schwertrad-Brücke Gott hat sich dem Ritter nach schwerer Prüfung gnädig erzeigt. Auf sein Gebet löst er den Weidenstrang von seinen Händen. Wigalois schwört auf seinen Schwertknauf, er wolle künftig jedem Ungeheuer den ersten Hieb versetzen. Er setzt mit seinem Pferde über den Fluss und reitet nach Glois. Von der Brücke aus stecken sechzig Lanzen auf dem Wege in der Erde. Sie werden von einem Ritter bewacht. Wappen: Machmet auf einer goldenen Säule in lasurblauem Felde. Über seinem Halsberg trägt er die Haut eines Löwen, den er mit der bloßen Hand erlegt hat. Obgleich klein von Gestalt, hat er große Kraft. Sein Name ist Karrioz. Sie verstechen die Lanzen der Reihe nach, dann ergreift Karrioz einen Kolben, Wigalois sein Schwert. Nach langem Kampfe bringt Wigalois, der ihm an Umsicht und Kunst überlegen ist, seinem Gegner eine tödliche Wunde bei. Laut schreiend flieht er und verschwindet in einem schwarzen, qualmenden Nebel, der aus einem Moor aufgestiegen ist und den Ort ringförmig umschließt. Am Tage könne niemand weder heraus noch herein, abends aber lege er sich für eine kurze Zeit, so dass nur das Moor bedeckt sei. Karrioz, die Gefahr nicht bedenkend, ist samt seinem Pferde darin umgekommen. Als der Nebel gefallen ist, entdeckt er eine Brücke, die über das Moor führt. Darauf befindet sich das Tor, welches durch ein mit Schwertern und Kolben versehenes Rad von Erz versperrt ist. Ein Fluss, der durch das Moor fließt, treibt es um. Wigalois steht

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18. Karrioz und Schwertrad-Brücke

davor und bittet Gott um Hilfe. Mittlerweile steigt der Nebel hinter ihm wieder auf. In seiner verzweifelten Lage befiehlt er sich Gott und legt sich schlafen, das Ross am Zaum haltend, in der andern Hand das Schwert. (6484–6860)

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Dô er sus an dem tôde lac und daz sîn leben zem tôde wac, dô kom er im ze trôste; sîn barmunge in erlôste daz im dehein schade geschach wan daz er vreise vor im sach. dô daz wîp von im dan gevlôch und der gebunden man in dem hole niemen sach, dô stuont er ûf unde sprach ‚nu hilf mir, herre, süezer got! lâ dîn genâde und dîn gebot an mir schînen: daz êret dich. mit dîner kraft enbinde mich, daz mir mînen jungen lîp iht beneme ein solich wîp diu der helle zæme. wær si doch sô genæme daz ich si möhte an gesehen, sô wær mir deste baz geschehen. herre got, erhœre mich!‘ in dirre bet sô lôste sich diu starke wide dâ er mit gebunden was nâch diebes sit. dô sich diu starke wide enbant und im enbunden wart sîn hant, sînen êrsten grif den tet er nider nâch sînem swerte, daz nam er wider dâ erz bî im ligen sach. er kuste daran unde sprach ‚ô wol mich, swert, daz ich dich hân! nûn ist weder wîp noch man der mich binde âne wer; ûf dînem knopfe ich des swer die wîle ich swert tragen wil: ez sî ernest ode ein spil, daz ez mir nimmer mê geschiht, swâ mîn ouge iht des siht daz mînem lîbe geschaden mac, ichn slahe ie doch den êrsten slac dem daz ungehiure sî. ditz was aller triuwen vrî, ez hêt mir anders widersaget.

Als er so an der Schwelle zum Tod lag und sein Leben sich hinüberneigte, da kam er ihm zur Hilfe. Sein Erbarmen rettete ihn, so dass ihm kein Unheil geschah, als dem Schrecken ins Auge zu blicken. Als das (wilde) Weib ihn fluchtartig verlassen hatte und der Gefesselte niemanden in der Höhle sah, da erhob er sich und sprach: „Nun hilf mir, Herr, liebreicher Gott! Lass deine Gnade und deine Macht über mir walten, zu deinen Ehren. Deine Gewalt löse meine Fesseln, so dass mir ein solches Weib, die der Hölle geziemen würde, nicht mein junges Leben nehme. Wenn sie wenigstens so schön wäre, dass ihr Anblick mich gefreut hätte, so hätte mich das entschädigen können. Herrgott, erhöre mich!“ Als er so betete, löste sich der starke Strang, mit dem er wie ein Dieb gebunden war. Als sich der starke Strick löste und seine Hand frei wurde, galt sein erster Griff seinem Schwert, das er in seiner Nähe liegen sah. Er küsste es und sprach: „O wohl mir, Schwert, dass ich dich (in Händen) halte! Nun kann es niemanden mehr geben, der mich ohne Gegenwehr gefangen setzt; dies schwöre ich auf deinen Knauf, so lange ich ein Schwert trage: Ob im Ernst oder im Scherz, es soll mir nie wieder geschehen, dass ich, wo immer ich etwas mir Bedrohliches erblicke, gegen ein Scheusal nicht den ersten Schlag führe. Dieses hier war hinterhältig, sonst hätte es mich zum Kampf herausgefordert.

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ezn wirt hie nû niht mê geklaget sît ich mîn swert wider hân.‘ sînen harnasch schutter an und gie von dem steine nider balde ze sînem orse wider. von dem aste erz enbant und zôch ez an den vlôz zehant; mit einem aste schielt er in über daz breite wazzer hin anderhalbe an daz stat; vil snelle er dâ abe trat und zôch daz ors nâch im dan. sus was genesen der küene man von dirre crêatiure. gegen der âventiure kêrte der edel rîter sâ. einen stîc den vant er dâ, der truoc in an die strâze wider. gegen Glois reit er nider. von der brücke stahten her gegen im sehzic starkiu sper eine mîle ûf dem wege. diu hêt ein rîter in sîner pflege, der was ze harnasche wol, als ze strîte ein rîter sol. er reit ein ors swarz gevar, mit einer kovertiure gar bedecket von samîte; an der zeswen sîte was si grüene alsam ein gras; dâ zer winstern hant si was tunkel rôt als ein bluot. sîn schilt was niuwe unde guot; daz diu buckel solde sîn, daz was ein bluome guldîn, geworht mit grôzem vlîze; von liehter varwe wîze was der schilt über al; von rôtem golde ein lîste smal was geleit ûf den rant; drinne – dâ bî daz was bekant daz er von Glois ein rîter was – ein sûl, diu glaste als ein glas von lâzûre und von golde; als er leben solde, Machmêt dar ûffe saz; dâ bî man solde wizzen daz

Doch Schluss nun mit dem Klagen, da ich ja mein Schwert wieder habe.“ Seinen Harnisch streifte er über und stieg alsbald von dem Felsen herab zurück zu seinem Ross. Er band es los von dem Ast und zog es zu dem Floß hin. Mit einem Ast lenkte er es über den breiten Fluss auf die andere Seite hinüber. Zügig ging er an Land und zog sein Ross hinterher. So entkam der tapfere Mann dieser Kreatur. Sodann wandte sich der edle Ritter seiner Aventiure zu. Er folgte einem Pfad, der ihn an seinen Weg zurückführte. Er ritt in Richtung Glois hinab. Nach einer Meile Wegs ragten von der Brücke ihm sechzig starke Lanzen entgegen. Die gehörten einem zum Kampf wohl gerüsteten Ritter. Er ritt einen Rappen, der mit einer Pferdedecke von Brokat bedeckt war. An der rechten Seite war sie grün wie Gras, auf der linken war sie tiefrot wie Blut. Sein Schild war neu und trefflich; sein Buckel bestand aus einer goldenen Blume, die kunstvoll gefertigt worden war; sonst war der Schild ganz von strahlend weißer Farbe. Eine schmale Leiste von rotem Gold war über den Schildrand gelegt; darauf, woran er als ein Ritter von Glois zu erkennen war, eine Säule, gleißend wie Glas, lasurfarben und gold. Mohammed war lebensecht darauf sitzend abgebildet. Damit sollte gezeigt werden,

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sich niht erwerte sîm gebot; durch daz vuort er der heiden got. daz wâfen was des rîters spot.

dass nichts sich seiner Macht entziehen konnte; daher führte er den Heidengott zum Zeichen. Das Wappen verhöhnte den Ritter.

Ouch vuorte der selbe tievels trût an im eines lewen hût ob einem halsberge wîz. an sînem helme lac grôzer vlîz von golde und von gesteine, grôz unde kleine; daz was mit vlîze geleit dar în; zaller obrist ein rubîn, der was grœzer danne ein ei; den liehten helm teilte enzwei von rôtem golde ein lîste smal.

Auch trug dieser Teufelsgeselle ein Löwenfell über einem weißen Halsberg. Sein Helm war kunstvoll mit Gold und kleinen und großen Edelsteinen verziert. Die waren sorgfältig darin eingefasst; zuoberst ein Rubin größer als ein Ei. Der strahlende Helm wurde durch eine rotgoldene schmale Leiste in zwei Teile geteilt. Vom Rubin bis hin zum Sattel schien er (der Ritter) eher klein: Lange Arme und kurze Beine hatte er nach Zwergenart. Ich glaube, niemand hat jemals besser gekämpft, als dieser kleine Mann es dort schon häufig getan hatte. Er war schon lange der Wächter der Aventiure und achtete darauf, dass niemand sämtliche Lanzen gegen ihn vertat. Seine Hand war dort gegen viele treffliche Ritter siegreich geblieben, die vorher stolz gewesen waren. Wie klein er auch war, seine Kraft war groß. Er wurde der kühne Karrioz genannt. Seine Mutter war ein wildes Weib, daher war sein kurzer Körper überall behaart und kräftig. Nach der Art seiner Mutter waren seine Knochen ohne Mark, was ihn noch kräftiger machte. Einem Mann musste er so stark wie ein Heer erscheinen. Den Löwen fing er ohne Widerstand ein und tötete ihn mit bloßer Hand. An dessen Fell, mit dem er bekleidet war, sollte man erkennen, dass er ganz allein den Löwen getötet hatte. Karrioz ließ sein Ross mit verhängten Zügeln laufen, hin zu dem Ort mit den Lanzen. Es missfiel ihm sehr, diesen Ritter

von dem rubîn hin ze tal [vil] lützel sîn ob dem satel schein: grôze arme und kurziu bein hêt er nâch der getwerge sit. ich wæn ie iemen baz gestrit danne der vil kurze man dâ vil ofte hêt getân. der âventiure huot er vil mangen tac, daz diu sper niemen gar wider in vertet; ez hêt gesiget an der stet sîn hant an mangem rîter guot, dem vil hôhe stuont sîn muot. swie kurz er wære, sîn kraft was grôz er hiez der küene Karriôz. sîn muoter was ein wildez wîp; dâ von was im sîn kurzer lîp aller rûch unde starc. sîn gebeine was âne marc nâch dem geslähte der muoter sîn; deste sterker muose er sîn. einem man was er ein her. den lewen vienc er âne wer und sluoc in mit nacter hant; bî der hût was daz bekant die er dâ ze kleide truoc, daz er den lewen eine sluoc. Karriôz leisierte dort gegen den speren an sîn ort und was im daz vil ungemach daz er disen rîter sach

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sô vrävelîch dâ rîten. daz er wolde strîten mit im, des gedâht er. mit zorne nam er daz êrste sper, wand ez stahte bî im dâ. gegen dem gaste kêrte er sâ mit hôhem muote, mit ganzer kraft. er vreute sich der rîterschaft und der jost die er dâ nam; her Gwîgâlois der tet alsam; in beiden was zesamne ger. mit ganzer kunst si diu sper under die arme sluogen; zesamne si dô truogen diu ors sô krefticlîche daz si verstâchen glîche mit einer rîchen jost diu sper. ir ietweder gâhte her nâch einem sper an sîn ort, daz ir deweder dehein wort zuo dem andern nie gesprach; von hôhem muote daz geschach. Karriôz dem was unwert daz er die jost hêt gewert âne vallen wider in. nâch ganzem strîte ranc ie sîn sin. gegen dem gaste kêrte er hin.

so kühn heranreiten zu sehen. Er dachte sich, dass dieser den Kampf mit ihm suchen würde. Zornig ergriff er die erstbeste Lanze, die neben ihm steckte, und wandte sich mit aller Leidenschaft und Stärke gegen den Fremden. Er sah dem ritterlichen Kampf und der Tjost freudig entgegen. Herr Wigalois tat dasselbe. Kampfeslust trieb sie gegeneinander. Formvollendet brachten sie die Lanzen in Kampfposition. Die Rosse ließen beide so heftig zusammenprallen, dass sie gleichermaßen ihre Lanzen in einer trefflichen Tjost verstachen. Jeder von ihnen eilte an seinen Platz zurück, um eine neue Lanze zu ergreifen, so dass keiner ein Wort zum andern sprach; ihr Kampfeseifer verhinderte dies. Karrioz ärgerte es, dass der andere die Tjost, ohne zu Fall zu kommen pariert hatte. Nach vollendetem Kampf hatte er immer gestrebt. Er wandte sich gegen den Fremden.

Her Gwîgâlois was bereit; mit sînem sper er gegen im reit; an manheit verzagt er nie. Karriôz in dô enpfie mit einem sper daz was starc. zesamne truogen si diu marc mit gelîcher gir, mit solher kraft daz ir ietweders schaft zebrochen in die lüfte spranc und daz diu ros gelîchen wanc an die hahsen tâten nider. ir ietweder gâhte wider dâ er daz næhste sper vant. sus verstâchen si zehant diu sper mit solhem nîde gar daz die schilte goltvar vür stiche wâren dehein guot. dannoch was ir beider muot unverschert an manheit;

Herr Wigalois war bereit; Er ritt ihn mit seiner Lanze an. Seine Tapferkeit verließ ihn nie. Karrioz empfing ihn dort mit einer starken Lanze. Die Pferde führten sie mit gleicher Begierde aufeinander los und mit solcher Gewalt, dass beide Lanzenschäfte zerbrochen durch die Lüfte flogen und die Pferde auf ihre Hinterläufe zurücksanken. Beide eilten zurück, um die nächste Lanze zu finden. So verstachen sie in kurzer Zeit alle Lanzen in solchem Ingrimm, dass die goldfarbenen Schilde für weitere Tjoste nicht mehr tauglich waren. Dennoch blieb ihres Herzens Tapferkeit davon ganz ungetrübt;

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ir ganziu kraft diu was bereit; ir einen der tôt doch dâ versneit.

mit ganzer Kraft waren sie kampfbereit und doch raffte der Tod einen von ihnen dahin.

Dô in der sper gar zeran und Karriôz sich des versan, einen kolben er gevienc, der im an dem arme hienc; der was von stâle harte grôz. in beide hende er in slôz und reit den jungen rîter an. Gwîgâlois, der küene man, von im nie einen trit gevlôch. sîn swert er ûz der scheide zôch und sluoc in ûf den rubîn, daz vil manic liehter schîn von viure gegen im glaste. Karriôz ouch vaste mit sînem kolben ûf in sluoc. ir dweder dem andern niht vertruoc. dem jungen rîter vrumte daz er ze orse kunde baz strîten danne der kurze man. des kraft was ab sô getân und sîn grôziu manheit: hêt er sich im niht entseit, als er den slac gegen im bôt, er wær von sînen slegen tôt. her Gwîgâlois mit kündicheit wider disen rîter streit unz daz der âbent ane gie. sîn kunst in dô dâ vervie und sîn swert, wan daz was guot, daz er im durch den stâlhuot sluoc eine tiefe wunden. als er der hêt enpfunden, dô was im zuo dem gaste ger. mit beiden handen reicht er nâch im mit grimmem muote. her Gwîgâlois mit huote allez vor im wancte dan unz er im aber an gewan einen slac alsam ê; der tet im herzenlîche wê, als er dâ zehant jach, wand er im durch die brust stach mit des schœnen swertes ort. der kurze man der schrei mort

Als ihnen die Lanzen ausgingen und Karrioz dies bemerkte, ergriff er einen stählernen Kolben, den er über dem Arm trug und der sehr mächtig war. Er fasste ihn mit beiden Händen und griff den jungen Ritter an. Wigalois, der tapfere Mann wich keinen Fußbreit vor ihm zurück. Er zog sein Schwert aus der Scheide und schlug ihn derart auf den Rubin, dass ihm ein gleißender Feuerschein entgegenleuchtete. Karrioz schlug seinerseits gewaltig mit dem Kolben auf ihn ein. Keiner blieb dem andern etwas schuldig. Der junge Ritter hatte den Vorteil, zu Pferd besser kämpfen zu können als der Zwerg. Um dessen Stärke und große Tapferkeit aber war es so bestellt, dass Wigalois seinen Schlägen erlegen wäre, hätte er sich ihm nicht sofort entzogen, nachdem er ihn getroffen hatte. Herr Wigalois setzte seine Schlauheit im Kampf gegen diesen Ritter ein, bis der Abend anbrach. Sein Können brachte ihm den Sieg und sein gutes Schwert, so dass er ihm durch den Stahlhelm hindurch eine tiefe Wunde beibrachte. Als er diese spürte, drang er auf den Fremden ein. Beide Hände streckte er ingrimmig nach ihm aus. Herr Wigalois wich ihm jeweils geschickt aus, bis es ihm gelang, ihm erneut einen solchen Schlag zu versetzen wie zuvor. Der schmerzte ihn ganz besonders, was er auch sofort hören ließ, denn er hatte ihm die Spitze des schönen Schwertes durch die Brust gestochen. Der Zwerg schrie Zeter und Mordio

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und oymê, des gienc im nôt: derselbe slac gap im den tôt, des gwalt dô über in gebôt.

und er hatte allen Grund dazu: dieser Schlag gab ihn dem Tod anheim, dessen Macht ihn da bezwang.

Als er des tôdes rehte enpfant, gegen Glois vlôch er zehant und schrei sô lûte daz erschal beidiu berge unde tal und daz der luft sich gegen im kloup. von sîner vluht wart der stoup alsô grôz ûf dem wege daz er ûz sîner ougen pflege kom in kurzer wîle, swie er im doch mit île ûf dem wege volget nâch. her Gwîgâlois dô vor im sach einen nebel der was swarz, alse swebel unde harz ensamet brunnen beide über al ûf der heide. dar în vlôch der kurze man; dâ gesigt ouch im der tôt an. der nebel ûz einem mose gie; die âventiure er bevie umbe und umbe als ein rinc. ditz was ein harte vremdez dinc daz nieman her ûz noch drin, als ichs bewîset bin, weder reit noch engie unz daz diu sunne ir schîn verlie, sô daz si entweich der naht; sô was niwan daz mos bedaht; dar ûf legt sich der nebel nider; mit der naht steic er ie wider. ditz was ein vil kurziu zît. an der wîle hêt sich der strît verendet zwischen in beiden; der tôt hêt si gescheiden, als ich iu ê gesaget hân. Karriôz sich niht versan und wolde durch den nebel dan gevlohen sîn; dô was er an in gevallen als ein harz. sîn wâfen daz was allez swarz, daz ê in liehter varwe schein; sîn ros was als ein bechstein erstarret und bestecket;

Als er den Tod kommen fühlte, floh er überstürzt gen Glois und ihm entfuhr ein solch lauter Schrei, dass Berg und Tal widerhallten und der Wind sich an ihm brach. Auf seinem Fluchtweg erhob sich eine derartige Staubwolke, dass er ihn nach kurzer Zeit aus den Augen verlor, wie sehr er sich auch beeilte, ihn auf dem Wege zu verfolgen. Herr Wigalois sah vor sich schwarzen Nebel auf der Heide, als ob Schwefel und Harz zusammen auf der Heide verbrannt würden. Dort hinein floh der Zwerg und dort ereilte ihn auch der Tod. Der Nebel entströmte einem Sumpf und umschloss die Aventiure wie ein Ring. Äußerst merkwürdig war, dass, wie mir glaubhaft versichert wurde, niemand heraus oder hinein ritt oder ging, bis die Sonne sich neigte und der Nacht den Weg frei machte. Dann war nur der Sumpf bedeckt: Der Nebel legte sich auf ihm nieder; mit Einbruch der Nacht erhob er sich wieder. Das währte nur eine kurze Zeit. In dieser Stunde endete der Kampf zwischen ihnen beiden; der Tod trennte sie, wie ich euch bereits erzählt habe. Karrioz wollte unüberlegt durch den Nebel hindurch fliehen, doch der überzog ihn wie Harz. Seine Rüstung, die zuvor hell erstrahlte, war vollkommen schwarz; sein Ross war zu Pechstein erstarrt und steckengeblieben.

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der nebel hêt in bedecket dicker danne eins mannes hant; alsô tôten er in vant. swenne der nebel nider gie, swaz er under im bevie, daz lîmte er zesamne gar. dô des der rîter wart gewar der nâch der âventiure reit, sîn rîten er dar în vermeit unz er sich ûf daz mos gelie. eine strâze er dô gevie, diu was gebrücket über daz mos; dar an truoc in sîn schœnez ros. nu was diu selbe strâze wol eines schuzzes mâze gebrücket meisterlîche; dar ûf harte rîche von marmel ein tor gemûret lac, des ein rat von êre pflac; daz lief umbe vor dem tor ûf îsenînen siulen enbor. ez treip ein wazzer daz was grôz; durch daz vûle mos ez vlôz. daz rat mit kreften umbe gie; durch daz tor ez niemen lie. daz hêt Rôaz gemeistert dar. mit scharfen swerten was ez gar und mit kolben wol beslagen. wer möht solhes iht an getragen daz in beschirmet vor den slegen? gegen dem tor hielt der degen, wand ern mohte niht vürbaz. vil vlîziclîch versuohte er daz bî dem tore al umbe dâ; dône mohte er ninder anderswâ vür komen wan zem tor; dâ lief abe daz rat vor und huote wol der porte mit mangem scharfen orte. dâ von sîn herze jâmer vie. er gedâhte ‚herre got, wie sol ich nu komen in daz lant? du hâst mich allez her gesant durch vil mange vreise; hilf mir, daz ich die reise volbringe als ich hân gedâht, sô hâstuz allez zende brâht

Dicker als eines Menschen Hand war er selbst vom Nebel bedeckt. So fand er den zu Tode Gekommenen auf. Wenn der Nebel sich senkte, verklebte er alles miteinander, was immer er unter sich begrub. Als dies der Ritter, der die Aventiure suchte, gewahr wurde, ritt er erst dann weiter, als sich der Nebel auf den Sumpf niedergesenkt hatte. Er folgte einem Weg, der über den Sumpf führte. Dorthin brachte ihn sein edles Ross. Dieser Weg war wohl über eine Pfeilschusslänge vortrefflich als Brücke angelegt. Darauf befand sich ein prächtiges, aus Marmorquadern gefügtes Tor, das von einem Rad aus Erz bewacht war. Dieses drehte sich vor dem Tor zwischen eisernen Säulen aufwärts. Es wurde von einem kräftigen Bach getrieben, der durch den fauligen Sumpf floss. Das Rad drehte sich derart schnell, dass es niemanden das Tor passieren ließ. Roaz hatte es erschaffen. Es war über und über mit scharfen Schwertern und Kolben bestückt. Wer könnte sich etwas ausdenken, was ihn vor diesen Schlägen schützte? Vor dem Tor hielt der Held inne, denn er konnte nicht weiter. Sorgfältig suchte er die Umgebung des Tores ab. Doch er konnte nirgendwo anders hindurch kommen als bei dem Tor. Davor aber lief das Rad um und bewachte die Pforte gut, mit scharfen Spitzen. Das schmerzte ihn sehr. Er dachte: „Herrgott, wie werde ich nun in das Land hineinkommen? Du hast mich den ganzen Weg voller Gefahren bis hierher gebracht. Steh mir bei, damit ich die Fahrt so vollende, wie ich es vorhatte, so hast du es alles zu einem guten Ende gebracht,

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mit gnædiclîcher güete. herre got, nu hüete mîn mit dîner krefte hie! ichn kom in solhe vreise nie.‘ der nebel dô wider ûf gie.

mit gnadenreicher Güte. Herrgott, nun beschütze mich hier mit deiner Macht! Ich war noch nie in solcher Bedrängnis.“ Da erhob sich der Nebel wieder.

Des wart der rîter niht gewar unz daz er sich versûmte gar daz der nebel disehalp sîn mit des liehten mânen schîn gesteic wol zweier schefte hôch. zuo der porte er dô vlôch. dône mohter vür noch hinder sich; diu vancnüs diu was jæmerlîch, wand in dâ niemen lôste. nu sprecht wer im ze trôste dâ mohte komen an der stat! vor im umbe lief daz rat, hinder im der nebel stoup, des tropfe velwet grüenez loup. nûne mohte er vür noch wider. von sînem orse erbeizter nider und want sîne hende. hie was der ellende gevangen âne mannes hant! alrêrst wart im untrôst erkant. owê der nôt die er dâ vant!

Dies bemerkte der Ritter nicht und er säumte so lange, bis der Nebel hinter ihm mit dem hellen Mondlicht wohl zwei Schaft weit hochgestiegen war; darauf zog er sich bis zur Pforte zurück. Da konnte er weder vor noch zurück. So war er kläglich gefangen gesetzt und niemand befreite ihn. Nun sagt, wer ihm dort beistehen konnte! Vor ihm lief das Rad um, hinter ihm waberte der Nebel, dessen Tropfen grünes Laub verdorren ließ. Nun konnte er weder vor noch zurück. Er stieg vom Pferd und rang die Hände. Hier war der Unglückliche gefangen gesetzt, doch nicht von Menschenhand! In diesem Moment lernte er, was Verzweiflung ist. O weh, in welch schreckliche Zwangslage er dort kam!

Dô der rîter daz ersach daz im leit und ungemach sô ofte an sîner vart geschach, wider sich selben er dô sprach ‚noch mac mîn wol werden rât: wes got mit mir gedâht hât, daz muoz benamen doch geschehen; ich wil ouch im des siges jehen. war umb gehabe ich mich niht wol? wan swaz mir geschehen sol, dazn mac doch niemen understên.‘ diu müede begunde in ane gên und der slâf nâch sîner nôt. ûf sînen arm er sich bôt an einen stein der dâ lac. sîns rosses er bî dem zoume pflac, des swertes mit der zeswen hant. er sprach ‚herre, dir ist bekant des mannes herze und sîn muot.

Doch als der Ritter sich darauf besann, wie oft ihm Leid und Gefahr auf seiner Reise begegnet waren, sprach er zu sich selbst: „Ich bin noch nicht verloren. Was Gott mit mir vorhat, das wird wahrlich doch geschehen. Ich erkläre mich ihm hiermit als besiegt. Was jammere ich? Denn was immer mir widerfahren soll, das vermag niemand abzuwenden.“ Nach all den Strapazen überfielen ihn nun Müdigkeit und Schlaf. Er lehnte sich auf seinen Arm gegen einen Steinblock, der dort am Weg lag. Er hielt den Zaum seines Pferdes, das Schwert in der Rechten. Er sprach: „Herr, wenn du in Herz und Seele des Mannes zu sehen vermagst,

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du maht wol übel unde guot an mir begên, swederz du wil. nu soltu dînes gwaltes spil, herre, an mir erzeigen hie, wand ich dich mit herzen ie in mîner jugent geminnet hân, sît ich mich guotes êrst versan. herre got, dir sî gegeben mîn vil zwîvellîchez leben in dîne grôze erbarmicheit, wan du erkennest wol herzeleit.‘ hie mit der slâf im an gestreit.

so steht mein Schicksal in deinem Belieben. Nun erzeige deine Macht, Herr, an mir, denn ich habe dich von Jugend an herzlich geliebt, seit ich verstehen konnte, was das Gute sei. Herrgott, deiner großen Barmherzigkeit sei mein zerbrechliches Leben anvertraut, denn du kennst das Leid wohl.“ Müdigkeit überkam ihn.

19. Marrien und Torwächter-Kampf Während er schläft, erlöst ihn der heiligen Jungfrau Sohn; durch seine Kraft erhebt sich ein Wind, der den Nebel in das Wasser niederschlägt, welches dadurch erstarrt. Laut knarrend stockt das Rad. Wigalois wacht auf und durchschreitet es. Dann legt sich der Wind, der Nebel steigt auf und das Rad setzt sich wiederum in Bewegung. In der Finsternis läuft ein Ungeheuer, halb Tier, halb Mensch (Marrien) auf ihn zu und wirft ein Zauberfeuer auf ihn. Pferd, Schild und Waffenrock verbrennen. Bald fangen auch Helm und Schwert Feuer. Er verwundet die Kreatur und löscht das Feuer mit dessen Blute. Eine Stimme auf Glois ruft Roaz warnend zu, es gelte jetzt sein Reich und sein Leben. Beschreibung der Burg Glois. Vor der Pforte halten zwei Greise Wache. Unbemerkt reißt Wigalois den Schild des einen von der Mauer. Er kämpft mit großer Kunst gegen beide; den einen (Garel von Mirmidon) tötet er, der andere (Graf Adan von Alarie) wird besiegt und gelobt, ihm zu dienen. Wigalois klopft an die Pforte, die ihm sogleich aufgetan wird. (6861–7272)

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In dirre nôt entslief er. nû habt iu ze râten wer im dâ kœme ze trôste od wer in erlôste. daz tet der süezen mägde kint. von des krefte wæte ein wint; der sluoc den nebel vaste nider in daz vûle wazzer wider, daz zer selben stunde daz wazzer begunde dicken von des nebels kraft als vaste daz wol ein schaft dar inne bestecket wære. got ist niht ze swære noch ze grôz sîner kraft. er hât in sîner meisterschaft alle crêatiure, bœse unde tiure.

Mitten in dieser Bedrängnis schlief er ein. Nun, was glaubt ihr, wer ihm da zur Hilfe kam und ihn befreite? Das tat das Kind der gesegneten Jungfrau; durch dessen Macht bewirkt, kam ein Wind auf. Der schlug den Nebel rasch in das faulige Wasser nieder, so dass augenblicklich das Wasser durch die Kraft des Nebels so erstarrte, dass eine Lanze wohl darin stecken geblieben wäre. Gott und seiner Macht ist nichts unmöglich. In seiner Gewalt stehen alle Geschöpfe, unedle und edle.

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die himel stênt in sîm gebot; aller dinge ist er got und diu oberiste krône. swer nâch sînem lône gedienet, der ist der sælden kint. ze trôste sande er im den wint. den nebel er in daz wazzer treip, daz sîn niht vil dar obe beleip; dâ von ez sîn vliezen lie. daz rat dô nie mêr umbe gie; ez gestuont under dem bürgetor. vil michel schal huop sich dâ vor: von sînem kerren daz ez tet der rîter spranc ûf an der stet von einem herten troume. daz ors an dem zoume begunde snarchen unde streben, wand ez entrûwet niht lenger leben. dô der rîter hêt ersehen daz diu geschiht dâ was geschehen, des wart er herzenlîche vrô. einen laden nam er dô, der lac bî im nâhen dâ. in daz rat leit er in sâ und zôch sîn ors drüber zehant. got hêt in durch daz rat gesant nâch sînem willen, als er in bat. dô er von dem rade getrat und sîn ors zuo im gespranc, des sagte er im vil grôzen danc von des genâde ez was geschehen. dô er wolde umbe sehen nâch der âventiure, dô hôrter ungehiure eine stimme gegen im schrîen ‚owê, dîner âmîen! diu mac wol klagen: du lîst hie tôt! von dînem bluote werdent rôt und missevar die bluomen hie.‘ diu stimme dô ir schrîen lie. vür den mânen ein wolken gie.

Die Himmel unterstehen seinem Befehl. Er ist aller Dinge Gott und höchste Krone. Wer immer nach seinem Lohn strebt, ist ein Kind des Glücks. Er sandte ihm den Wind zum Beistand. Der trieb den Nebel in das Wasser, so dass kaum etwas davon oberhalb verblieb, und das Wasser hörte auf zu fließen. Das Rad lief nicht mehr um; es hielt still unter dem Burgtor, wobei sich von seinem Quietschen großer Lärm vor dem Tor erhob. Der Ritter sprang sofort auf, geweckt aus einem schlimmen Traum. Das Ross am Zaum begann in Todesangst zu schnauben und sich aufzubäumen. Als der Ritter sah, was geschehen war, war er überglücklich. Er ergriff ein starkes Brett, das in seiner Nähe lag, legte es in das Rad hinein und zog sein Pferd flugs darüber. Gott hatte ihn durch das Rad gesandt nach seinem Willen und auf Bitten des Ritters. Als er vom Rad zurücktrat und sein Pferd zu ihm sprang, bedankte er sich vielmals bei dem, von dessen Gnaden das geschehen war. Als er gerade nach der Aventiure Ausschau hielt, hörte er eine grässliche Stimme ihm zurufen „O weh deiner Geliebten! Die hat wohl Grund zu klagen: Du bist tot! Von deinem Blut röten und verfärben sich die Blumen hier!“ Die Stimme verstummte, eine Wolke verdeckte den Mond.

Dô der starke wint gelac, der nebel steic, als er ê pflac, ûf gegen dem wolken wider. daz wazzer vlôz zem rade nider und treip ez umbe nâch sîm sit

Als der starke Wind sich legte, stieg der Nebel wieder zu den Wolken auf, wie er es zuvor getan hatte. Das Wasser floss zum Rad herunter und trieb es an wie immer.

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hie was diu âventiure mit beslozzen, als mir ist geseit. her Gwîgâlois mit sorgen reit dô er ûf sîn ors gesaz. diu naht wart sô vinster daz er den wec niht mohte hân. in dirre vinster lief in an ein vremdiu crêatiure; diu bestuont in mit viure. si hêt ein houbet als ein hunt, lange zene, wîten munt, diu ougen tief, viurvar; niderhalp der gürtel gar hêt si eines rosses lîp. weder ez man ode wîp wære, des enweiz ich niht. als uns diu âventiure giht, – ob iemen daz geloubet – enzwischen gürtel und houbet was si geschaffen als ein man; breite schuopen wâren dran gewahsen herter danne ein stein; die selben schuopen mohte dehein wâfen wol gesnîden. des muose der rîter lîden von ir grôze swære. waz geschepfte ez wære, desn kan ich iu niht gesagen. er sach si einen haven tragen, der was grôz, êrîn; mit listen was ein viuwer drîn gemachet, sô daz bran swaz ez wart geworfen an: bein, îsen unde stein. daz selbe viur mohte dehein wazzer niht erleschen sô ezn brünne drinne als ein strô; daz selbe viur warf si in an. nu begunde daz ors von ir dan sêre vliehen; des gienc im nôt, wandez vorhte den grimmen tôt. dô si im mangen wurf getet, daz ors sich an einer stet niht mohte enthalten, wandez bran sô sêre daz daz bluot ran von im ûf daz grüene gras. dô des dehein rât was

Hierdurch wurde die Aventiure verschlossen, wie mir erzählt wurde. Herr Wigalois saß auf und ritt voller Sorge dahin. Die Nacht war so finster, dass er den Weg nicht einhalten konnte. In solcher Dunkelheit rannte ein unbekanntes Geschöpf gegen ihn an und bewarf ihn mit Feuer. Es hatte einen Hundekopf, lange Zähne, ein breites Maul, die Augen lagen tief und glühten; unterhalb des Gürtels hatte es den Leib eines Pferdes. Ob es männlich oder weiblich war, das weiß ich nicht. Wie uns die Erzählung berichtet – falls jemand das glauben wird – war es zwischen Gürtel und Haupt wie ein Mensch beschaffen. Mächtige Schuppen, härter als Stein, bedeckten es; diese Schuppen konnte keine Waffe zerschneiden. Daher musste der Ritter großen Schmerz von ihm erleiden. Was es für ein Geschöpf war, das kann ich euch nicht sagen. Er sah, dass es einen großen eisernen Topf bei sich trug; ein kunstvolles Feuer war darin entfacht, das alles verbrennen konnte, auf was es auch immer geworfen wurde, sei es Knochen, Eisen oder Stein. Kein Wasser vermochte es, dieses Feuer zu löschen, ohne selbst darin wie Stroh zu brennen. Dieses Feuer warf die Kreatur auf ihn. Da ergriff das Pferd die Flucht davor; es hatte allen Grund dazu, denn es fürchtete einen grausamen Tod. Nachdem die Kreatur mehrfach geworfen hatte, konnte das Pferd nicht mehr standhalten, denn es brannte so sehr, dass das Blut an ihm herabrann in das grüne Gras. Als es für das Pferd

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sîn ors müese verbrinnen dâ, ûf die erde erbeizter sâ und klaget got sîne nôt. den schilt er gegen dem wurfe bôt den der vâlant ûf in tet. zehant enzunde sich daz bret und verbran im von der hant; sîn wâfenroc ouch gar verswant von dem selben viure. nu seht, welch âventiure durch sînen muot er muose doln! über einen schrit wold ich niht holn den kumber und die arbeit die er von sînem muote leit! daz sî iu vür wâr geseit.

keine Rettung vor dem Feuertod zu geben schien, saß er ab und klagte Gott seine Not. Den Schild erhob er gegen den Wurfbrand, den der Teufel auf ihn schleuderte. Sogleich entzündete er sich und brannte ihm von der Hand weg. Auch seinen Waffenrock verschlang dieses Feuer. Und seht, in welche Aventiure ihn sein Wille gebracht hatte! Nicht mehr als einen Schritt weit wollte ich den Leidensweg verfolgen, den ihm sein Wille eingetragen hatte, das könnt ihr mir glauben.

Her Gwîgâlois hie blôzer stêt; niht mê er ze schirme hêt niwan sîn barez îsengwant. vil schiere wart im daz bekant daz sînem halsberge lieht daz selbe listviuwer niht mohte geschaden; des wart er vrô. an die geschepfte lief er dô. ouch was ir sô ger an in daz si von dem slage hin niht entweich den er tet. des wart ir an der selben stet daz vierde bein abe geslagen; dazn sol niemen guoter klagen. dô dirre tievel daz hêt ersehen daz im der schade was geschehen, dô warf er den haven dar mit dem viure ûf in gar, daz beidiu helm und swert bran. von dem rîter woldez dan gevlohen sîn sâ zehant. dô wart im mit voller hant geslagen ein tiefiu wunde. von sînem bluote begunde daz viur erleschen dâ ez bran swâ ez kom gesprungen an. dô des der rîter wart gewar, nâch dem bluote greif er dar dâ ez bî im swebte; swâ daz viuwer klebte, daz bluot er dar an streich;

Herr Wigalois stand ungedeckt; nichts hatte er mehr zu seinem Schutz als seinen bloßen Harnisch. Alsbald bemerkte er, dass das Feuer seinem leuchtenden Halsberg nichts anhaben konnte; da atmete er auf und griff die Kreatur an. Diese war ihrerseits so begierig, zu ihm zu gelangen, dass sie seinem Schlag nicht auswich. Daher ward ihr auf der Stelle eines ihrer vier Beine abgeschlagen. Kein trefflicher Mensch soll das bedauern. Als der Teufel dessen innewurde, was ihm geschehen war, warf er das ganze Gefäß samt dem Feuer nach ihm, so dass Helm und Schwert Feuer fingen. Dann schickte er sich an, vor dem Ritter zu fliehen. Da wurde ihm mit kräftiger Hand eine tiefe Wunde geschlagen. Wo immer das Feuer mit seinem Blutstrahl in Berührung kam, da verlosch es. Als dies der Ritter bemerkte, griff er hinein in das Blut, wo es um ihn herum schwamm, und bestrich die brennenden Stellen damit;

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zehant daz viur dâ von entweich. sus ernerte sich der degen: und hêt sîn got niht gepflegen, er wær ze tôde dâ verbrant. von im vlôch der vâlant, beidiu man unde ros, gegen dem nebel ûf daz mos und gal sô vreislîche daz daz ertrîche nâch im hal dâ er lief. ûf Glois dô ein stimme rief ‚wâ nû, Rôaz! dîn êre ist tôt. hœrst du niht Marrîên nôt, der mit sînem viure pflac der âventiure alle naht? den hœre ich klagen; ich wæne wol er ist erslagen. diu âventiure diu ist entrant, wan dir ist komen in daz lant der dich ganzes strîtes wert, des du ie hâst gegert. sît Marrîên erslagen ist, daz in aller sîn list vor dem tôde niht mohte ernern, sô muostu dich vil kecke wern, od du verliusest dîn schœne wîp, êre, guot und ouch den lîp. ez mac dir wol ze schaden komen daz du den strît dir hâst genomen ze vehten wider in eine. wir müezen alle gemeine im dienstes wesen undertân, gesigt er dînen listen an, wan des hâstu ie gesworn. helt, nu rich dînen zorn, od du hâst guot und lîp verlorn!‘

sofort wich das Feuer von dort. So rettete sich der Held. Und hätte sich Gott seiner nicht angenommen, wäre er im Feuer vernichtet worden. Der Teufel lief vor ihm davon, der Mann und Pferd zugleich war, auf den Nebel zu in den Sumpf und brüllte so schrecklich, dass die Erde widerhallte, wohin er auch lief. Von Glois her rief eine Stimme: „Wohlan, Roaz! Deine Ehre ist zernichtet. Hörst du nicht, in welcher Not Marrien ist, der mit seinem Feuer die Aventiure zur Nacht bewachte? Den höre ich wehklagen. Ich meine wohl, er wurde tödlich verwundet. Die Schranken zur Aventiure sind gebrochen, denn in deinem Land ist der erschienen, der dir den vollkommenen Kampf liefern wird, nach dem du dich so lange gesehnt hast. Da Marrien erschlagen ist und all seine Zauberkunst ihn nicht vor dem Tod bewahren konnte, so musst du dich besonders mutig zur Wehr setzen oder du wirst deine schöne Gemahlin, Ehre, Gut und Leben verlieren. Es könnte dir übel auskommen, dass du dir bestimmt hast, allein gegen ihn zu kämpfen. Wir alle müssen uns ihm dienstbar unterwerfen, wenn er deine Zauberkunst besiegt, denn so lautete dein Schwur. Held, nun stille deine Wut oder du verlierst Gut und Leben!“

Nâch dirre rede diu stimme sweic. der mâne ûz von dem wolken steic und wart sîn schîn lûter gar. dô nam der rîter umb sich war wie daz lant wære getân; dô sach er Glois vor im stân. daz was ein schœne kastel hôch, wît und sinwel, gemûrt mit grôzem vlîze wol. von marmel swarz als ein kol

Nach diesen Worten verstummte die Stimme. Der Mond entstieg den Wolken und schien ganz hell. Da bemerkte der Ritter, wie das Land um ihn herum beschaffen war, und er sah Glois vor sich aufragen. Das war eine schöne Burg, hoch, ausladend und von runder Bauform, sorgfältig gefügt. Von kohlschwarzem Marmor

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wâren gepfîlært dâ vor in die burc zwei wîtiu tor; daz ander teil der mûre was rôt, grüene als ein gras, von marmelsteine gezieret, mit golde geparrieret, gelûtert als ein agstein. swâ der mâne dar an schein, dâ glaste si als ein spiegelglas. vür daz tor gesetzet was ein grôziu sûl von êre; dien vint man ninder mêre in der werlte anderswâ niwan in Korinthîâ: der êre ist rehte lûter gar als der regenboge gevar, daz man sich drinne möhte ersehen; des muoz man den heiden jehen grôzes listes ze Korntîn. oben was ein rubîn darinne beworht als ein huot; des schîn was ze sehen guot und gap dem herzen wünne. als ein stern dâ brünne, sô brehende er zallen stunden; mit golde was er gebunden. des huoten zwêne rîter dâ, die wâren beide von alter grâ, baz danne hundert jâr alt;. ir berte wâren wol gestalt, lanc, dic, ze mâze breit, ir hâr gevlohten unde reit, mit borten wol bewunden. die huoten zallen stunden der siule under einer linden; sine mohte niemen vinden âne wer ze deheiner zît; si wâren ie bereit ûf strît und huoten ouch der porte mit ir scharfem orte beidiu naht unde tac. dô im diu burc sô nâhen lac und er die zwêne rîter sach wider sich selben er dô sprach ‚wes sol ich hie nu lenger stên? ich wil gegen der bürge gên sît ich mîn ors nu hân verlorn;

führten zwei große Torhäuser, auf Pfeilern ruhend, in die Burg hinein. Die übrige Burgmauer war mit rotem und grasgrünem Marmor verziert und mit Gold so hell wie Bernstein abgesetzt. Wo der Mond sie beschien, gleißte sie wie ein Spiegel. Vor dem Tor war eine hohe Säule von Erz errichtet. Eine solche findet man nirgendwo sonst noch auf der Welt, nur in Korinth. Dieses Erz ist ganz hell wie die Farbe des Regenbogens, so dass man sich darin spiegeln konnte. Daher muss man den Heiden zu Korntin große Zauberkunst zuschreiben. Darauf saß ein Rubin wie eine Mütze; dessen Feuer war schön anzusehen und gab dem Herzen Freude. Als ob ein Stern dort brennen würde, so leuchtete er beständig; er war in Gold eingefasst. Ihn bewachten dort zwei Ritter, die, wohl mehr als hundert Jahre alt, ganz ergraut waren. Ihre Bärte waren sehr gepflegt, lang, dicht und nicht zu breit, ihr Haar geflochten und gelockt und mit Bändern umwunden. Die bewachten stets die Säule unter einer Linde. Niemand traf sie je ohne Waffen an. Sie waren stets kampfbereit und bewachten auch das Tor mit scharfer Klinge Tag und Nacht. Als er in der Nähe der Burg war und die zwei Ritter erblickte, sprach er zu sich: „Worauf warte ich? Ich will mich zur Burg begeben. Da ich mein Ross unwiederbringlich

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daz ist unwendic, nu sîz verkorn!‘ sus gienc er gegen dem bürgetor. sîne hende habter enbor und sach vil tiure hin ze got. er sprach ‚herre, nâch dîm gebot wil ich sêle unde leben in dîne erbarmunge geben, daz du mir ruochest ze helfen hie; swaz ich hân gestriten ie, daz tet ich âne meisterschaft, bärlîch mit dîner kraft; nu hilf mir, herre, des ist mir nôt, daz die liehten bluomen rôt mîn bluot iht rœter mache; daz mînes tôdes iht lache diu ungetriuwe heidenschaft. nu hilf mir, herre, mit dîner kraft, daz ich gesige dem heiden an; sô hâstu wol ze mir getân und ouch volendet mîne gir. herre got, des hilf du mir; sô wil ich immer dienen dir.‘

verloren habe, muss ich mich damit abfinden.“ Damit ging er auf das Burgtor zu. Seine Hände erhob er und blickte inständig auf zu Gott. Er sprach: „Herr, auf dein Geheiß will ich Leib und Seele deinem Erbarmen anvertrauen, damit es dir gefalle, mir hier zu helfen. Welche Kämpfe ich auch immer bestritt, ich tat es nicht aus eigenen Kräften, einzig und allein durch deine Macht. Nun hilf mir, Herr, das habe ich bitter nötig, damit die leuchtend roten Blumen nicht noch röter werden von meinem Blut, damit mein Tod nicht zum Spott der treulosen Heiden dient. Nun steh mir bei, Herr, mit deiner Macht, damit ich den Heiden besiege, so begnadest du mich und erfüllst mein Verlangen. Herrgott, dabei steh mir zur Seite, so will ich dir stets dienen.“

Zuo den alten er dô gie. die hêten sich gewâfent hie und sâzen ûf einer grêde. der herren schilte bêde die hiengen an der mûre enbor an zwein nageln vor dem tor. sus kom der junge rîter dar, daz ir deweder des wart gewar, unz er den næhsten schilt gevienc, der an der mûre bî im hienc. zehant als er den schilt begreif, sîn sorge im ein teil entsleif und gewan ze strîte vesten muot;. der schilt was im ze schirmen guot. des wurden die rîter vil unvrô; mit grôzem nîde liefen dô dise zwêne küene man mit ganzer kunst den einen an und triben in von der porte nider. her Gwîgâlois der sluoc wider under wîlen nâch sîner maht. mit listen er sus mit in vaht: er schirmet mange wîle; dar nâch sluoc er mit île,

Er ging auf die Alten zu, die sich bewaffnet hatten und auf einer Treppenstufe saßen. Die Schilde der beiden Edlen hingen an zwei Nägeln hoch an der Mauer vor dem Tor. Ohne dass einer von ihnen es bemerkte, war der junge Ritter herangekommen und hatte sich den ihm zunächst hängenden Schild von der Mauer heruntergeholt. Den Schild in den Händen, fiel die Sorge gänzlich von ihm ab, und er fasste Zuversicht zum Kampf, denn der Schild war gut geeignet ihm zum Schutze. Dies sahen die Ritter mit Missbehagen, und voller Ingrimm drangen nun diese zwei tapferen Männer mit vollendeter Kampfeskunst auf den einen ein und trieben ihn vom Tor herab. Herr Wigalois schlug von Zeit zu Zeit zurück, so gut er konnte. Er setzte Klugheit im Kampf gegen sie ein: Lange Zeit blieb er nur in Deckung, dann aber schlug er schnell zu,

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daz sîn swert vil ofte erklanc und daz ûz den helmen spranc daz viuwer zallen stunden. der eine im eine wunden durch den liehten helm sluoc. den slac er im dô niht vertruoc: den schilt begunder vazzen baz und trat sô nâhen zuo im daz er in wol mohte erreichen; daz swert begunder sleichen under sînem schilte hin und stach im dâ zem gêren in eine wunden diu was wît, daz er dar nâch in kurzer zît tôter viel ûf daz gras. der ander des vil vlîzic was daz er geræche sînen tôt: den schilt er allez vür sich bôt und sluoc ûf in sô vaste daz daz viuwer glaste gegen des liehten mânen schîn und daz daz rat guldîn vil mange scharten dâ enpfie. mit slegen er dô ûf in gie, als in sîn ellen lêrte; daz bluot vil vaste rêrte der junge mit starken wunden. als er der hêt enpfunden, der alte sprach ‚nu lât mich leben! ich wil iu sichern unde geben mînen lîp in iuwer gebot und swer iu bî dem oberisten got daz ich iu diene die wîle ich lebe; und lât ir mir daz zeiner gebe, edel rîter, von iu hân, sô wil ich werden iuwer man und wil iu leisten triuwe immer âne riuwe.‘ der rîter sprach ‚daz sî getân!‘ vür in begunde der alte man vallen balde ûf sîniu knie. in sîne gnâde er in enpfie und kusten ein ander beide. diu swert si in die scheide mit ganzem vride stiezen; mit triuwen si gehiezen ein ander rehte geselleschaft.

so dass sein Schwert oft ertönte und die Helme stets Funken sprühten. Der eine schlug ihm eine Wunde durch den leuchtenden Helm. Diesen Schlag blieb er ihm nicht schuldig. Er ergriff den Schild fester und trat bis auf Reichweite auf ihn zu. Unbemerkt führte er sein Schwert unter dessen Schild und brachte ihm beim Schoß des Kettenhemdes eine tiefe Wunde bei, so dass er in kurzer Frist tot ins Gras fiel. Der andere war begierig, seinen Tod zu rächen. Den Schild hielt er stets vor sich und schlug so gewaltig auf ihn ein, dass die Funken im hellen Mondschein aufleuchteten und das goldene Rad viele Scharten bekam. Mit Schlägen drang er auf ihn ein, wie seine Tapferkeit es ihm eingab. Der Junge ließ ihn aus tiefen Wunden zur Ader. Als er diese spürte, sprach der Alte: „Nun schont mein Leben! Ich will Euch Sicherheit geben und mich Euch unterwerfen und schwöre Euch bei dem höchsten Gott, Euch zu dienen, solange ich lebe. Und wenn Ihr mir dies, edler Ritter, als Eure Gabe zuteil werden lasst, so will ich Euer Mann werden und Euch für immer ohne Wenn und Aber die Treue halten.“ Der Ritter sprach: „So soll es sein!“ Der alte Mann fiel vor ihm auf die Knie. Er nahm ihn in Gnaden auf und sie gaben sich den Versöhnungskuss. Nach beigelegter Fehde steckten sie die Schwerter in die Scheide. Aufrichtig gelobten sie einander wahre Freundschaft.

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diu hêt stæte und ganze kraft under in beiden unz an ir tôt. der alte sprach ‚iuwer nôt diu ist noch unverendet; gît got daz hie geschendet den heiden iuwer manheit, sô habt ir âne arbeit daz lant immer mêre, liute, guot und êre; dar zuo gît man iu die maget, von der schœne man wunder saget, der disiu lant solden sîn, Glois unde Korntîn. mit gewalte ez ir benomen ist; habt ir nu kraft und guoten list, des wirt iu benamen nôt; ir sult iuch wern, od ir sît tôt.‘ des volget er im sît erz gebôt.

Diese blieb stark und beständig bis zu ihrem Tod. Der Alte sprach: „Euer Leid hat noch kein Ende gefunden. Wenn Gott es gibt, dass Eure Tapferkeit den Heiden zu Fall bringt, so erwerbt Ihr mühelos für immer das Land, Leute, Gut und Ehre. Außerdem wird man Euch die Jungfrau geben, von deren Schönheit man Wunder erzählt und der die Länder Glois und Korntin eigentlich gehören. Letzteres wurde ihr mit Gewalt genommen. Verfügt Ihr nun über Kraft und Klugheit, so werdet Ihr diese wahrlich nötig haben. Ihr müsst Euch wehren, sonst werdet Ihr sterben.“ Er richtete sich nach seinen Anweisungen.

Er sprach ‚herre, nu sît gemant, welt ir die maget und daz lant erwerben hie, daz ir iuch wert. ist daz iuch got hie ernert, sô habt ir iuwer arbeit vil sæliclîche an geleit. ich sagiu daz vür dise stat dehein rîter nie getrat nâch strîte durch daz bürgetor: man vant ie strîtes gnuoc dâ vor von uns unz an dise stunt. nu ist er tôt und bin ich wunt; daz ist uns von iu geschehen. ich wil iu gerne siges jehen, wand ir sît aller êren wert, der iuch got wol hât gewert, ob ir in der burc gesiget. ist ab daz ir dâ tôt geliget, sô habt ir michel arbeit verlorn in iuwer kintheit.‘ sus sâzen si dâ bêde durch ruowe ûf einer grêde unz si gewunnen niuwe maht. ditz was wol nâch mitter naht. her Gwîgâlois zem alten sprach, dô er die burc beslozzen sach ‚wer entsliuzet mir daz tor? mich dunket, ich sî ze lange hie vor;

Er sprach: „Herr, nun seid gemahnt, Euch zur Wehr zu setzen, wenn Ihr Jungfrau und Land hier erstreiten wollt. Wenn Gott Euch errettet, so habt Ihr Eure Mühe für einen glücklichen Ausgang aufgewendet. Ich sage Euch, noch kein Ritter hat nach dem Kampf den Fuß durch das Burgtor über diese Stelle hinaus gesetzt. Stets haben wir ausreichende Gelegenheit zum Kampf vor dem Tor gegeben. Nun ist er tot und ich bin verwundet; beides habt Ihr vollbracht. Ich will Euch gern den Sieg zugestehen, denn Ihr verdient alle Ehre, die Euch Gott wohl gewährt hat, wenn Ihr in der Burg siegreich sein werdet. Wenn Ihr dort aber sterbt, so werden Euch bereits in jungen Jahren Eure großen Mühen zunichte.“ So ruhten sie sich beide auf einer Stufe aus, bis sie zu neuen Kräften gekommen waren. Das war wohl nach Mitternacht. Als er die Burg verschlossen sah, sprach Herr Wigalois zu dem Alten: „Wer wird mir das Tor öffnen? Mir scheint, ich warte schon zu lange hier.

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mîner vreude wil ich ende geben, od mit vreuden lenger leben; des helfet mir, sô sît ir guot.‘ er sprach ‚ich sagiu waz ir tuot: nu rüeret den rinc mit der hant; sâ sô wirt iu daz bekant waz innerhalp der porte ist.‘ dô sûmte er sich unlange vrist; urloup nam er von im dâ. den rinc begunder rüeren sâ sô vaste daz diu burc erhal. zehant huop sich sô grôzer schal als al diu werlt dâ brünne; ez was dehein wünne in dem hûse noch dâ vor; mit zorne slôz man ûf daz tor. dô daz her Gwîgâlois ersach, vil herzenlîche er dô sprach und tet daz kriuze dâ vür sich ‚herre got, behüete mich und wis mîn geleite hie!‘ in die burc er dô gie; baz gezierde gesach er nie.

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Meinen Freuden werde ich ein Ende bereiten oder mit Freuden weiterleben; dabei steht mir zur Seite, so beweist Ihr Eure Ehre.“ Er sprach: „Ich sage Euch, was zu tun ist: Rührt den Ring, und sogleich wird Euch offenbar, was die Pforte im Innern birgt.“ Da säumte er nicht lange. Er nahm Abschied von ihm und schlug den Ring an mit solcher Gewalt, dass die Burg widerhallte. Plötzlich erhob sich ein mächtiges Getöse, als ob die ganze Welt brennend untergehen sollte. Keine Freude gab es mehr in der Burg noch davor. Ingrimmig öffnete man das Tor. Als Herr Wigalois das sah, schlug er das Kreuz und sprach voller Inbrunst: „Herrgott, beschütze mich und sei mein Geleitsmann!“ Damit betrat er die Burg. Prunkvolleres hatte er nie erblickt.

20. Roaz-Kampf Drinnen gewahrt er eine große Pracht; Blitz und Donnerschlag; Finsternis. Zwölf Jungfrauen, Kerzen in der Hand tragend, treten ihm entgegen; er geht ihnen nach in einen Palas; durch eine geöffnete Tür stürzt Roaz bewaffnet hervor, eine Zauberwolke, den Teufel, dem er sich verschworen hat, verhüllend, geht ihm voran. Nur Wigalois bemerkt sie nicht. Zum Schutze hält er das durch den Zettel geweihte Schwert vor sich. Roaz glaubt, auch ohne den Teufel seinen Gegner besiegen zu können. Er irrt sich, der körperlich kleinere Kämpfer besiegt durch seine Kunst oft den weit größern. Roaz’ Wappen: ein goldener Drache in lasurblauem Felde; er trägt eine kostbare Brünne und einen Helm mit dem Drachen als Helmzier. Seine Gemahlin Japhite folgt ihm mit zwölf Jungfrauen, jede trägt eine Kerze. Schönheits- und Tugendpreis der Japhite. Sie setzt sich, um dem Kampfe zuzuschauen. Roaz hat strengstens verboten, dass jemand ihm beistehe. Kampf. In der höchsten Gefahr schöpft Wigalois neue Kraft aus dem Anblick der Frauen. Betrachtung: Beide setzen ihr Leben ein im Dienste einer Frau. Nach langem Kampfe wird Roaz getötet. Japhites Verzweiflung und Tod. Nachruf. Wigalois fällt in Ohnmacht. Roaz wird wegen seiner Tapferkeit gepriesen. Die beiden Pförtner seien von Roaz besiegte Fürsten, die ihm als Gefangene zu dienen verpflichtet gewesen seien. (7273–7903)

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In sîner nôt nam er des war daz diu mûre innen gar gegen im von rôtem golde schein und daz vil manic edel stein

Trotz seiner Bedrängnis bemerkte er, dass ihn die innere Mauer mit einem Glanz von rotem Gold beschien und zahlreiche Edelsteine

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gegen dem andern glaste; sus gleiz ez allez vaste: die steine gegen dem golde nider, und daz golt gegen in wider. daz was guot ougen weide; in allem sînem leide die gezierde er gerne sach. zehant ein blic vor im geschach, der lûhte rehte alsam der tac; nâch dem blicke kom ein slac als diu burc in einer var zesamne wolde bresten gar, und wart sô vinster umb die want daz er vor im sîne hant niht wol mohte gekiesen. den lîp wânder verliesen in dem selben schalle dâ. sîn schœnez swert vuorter sâ und stuont ze wer als ein ber. dar nâch giengen gegen im her zwelf mägde sûberlîch; der selben mägde ieslîch truoc ein kerzen, diu vaste bran; vil guotiu kleider hêtens an von bunt und von samîte, an ietwederre sîte geteilet gel unde rôt. ir gruoz im dâ deheiniu bôt; si stuonden neben ein ander dâ. von den liehten gesach er sâ. ein palas wart dâ ûf getân, dar în die mägde begunden gân, daz was schœne und sô wît daz er vordes noch sît schœner palas nie gesach; dar în gienc in der rîter nâch und als er zuo in wolde gân, eine porte sach er offen stân von im wol eines wurfes lanc; dar ûz Rôaz gewâfent dranc. vor im mit zouber ein wolken gie; daz wolken sâhen alle die vor im giengen unde nâch; her Gwîgâlois sîn niht ensach. dar inne vuor er der sîn pflac beidiu naht unde tac und dem er sêle unde leben

um die Wette leuchteten. So entstand ein gleißendes Licht: Der Glanz der Edelsteine spiegelte sich im Golde und umgekehrt. Das war ein Fest für die Augen. Bei all seiner Bedrängnis sah er diese Pracht doch gern. Plötzlich blitzte etwas vor ihm auf, leuchtend wie der Tag. Dem Blitz folgte ein Donnerschlag, wie wenn die ganze Burg mit einem Mal zusammenstürzen wollte. Und es wurde so finster an der Wand, dass er die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Er meinte sein Leben aushauchen zu müssen bei diesem Donner. Sein edles Schwert ergriff er alsbald und stand zur Verteidigung bereit wie ein Bär. Sodann kamen zwölf schöne Jungfrauen auf ihn zu. Jede von ihnen trug eine Kerze, die hell leuchtete. Sie trugen kostbare Kleider von Buntwerk und Brokat, auf beiden Seiten abwechselnd gelb und rot. Keine von ihnen entbot ihm ihren Gruß. Im Kerzenschein sah er sie alsbald nebeneinander stehen. Ein Palas wurde geöffnet, welchen die Jungfrauen betraten. Er war schön und so geräumig, dass er weder zuvor noch nachher einen schöneren sah. Der Ritter folgte ihnen hinein und als er sich zu ihnen begeben wollte, sah er eine Tür offen stehen, wohl einen Steinwurf weit entfernt. Heraus trat Roaz in voller Rüstung. Eine Zauberwolke schwebte ihm voraus, die alle sahen, die ihm vorangingen oder folgten. Herr Wigalois sah sie nicht. In ihr befand sich derjenige, der sich seiner Tag und Nacht annahm und dessen Macht

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in sîn gebot hêt gegeben. daz was ein tievel, der im ie half unde riet wie er im verlür die sêle gar. ûf den gedingen kom er dar daz si im würde âne strît, wan des dûhte in michel zît. dô wânde Rôaz er wolde im dâ helfen als er anderswâ mit sînen listen hêt getân: dô was gewarnet der junge man mit einem brieve, der im wart gestricket an sîner vart umb sîn swert mit gebet, und mit dem kriuze, daz er tet vür sich dô er zem tor în gie. dâ von getorste der tievel nie zuo im komen nâher baz. vil sêre schûhte der heiden daz; iedoch was er sô manhaft daz er wol mit sîner kraft vor in beiden trûwet genesen, ob ir zwêne wærn gewesen. dâ überdâhte er sich an, wand ez gesigt ein kurzer man vil oft mit kunst an einem der spannen lenger ist dan er. ze strîte was in beiden ger.

er Leib und Seele überantwortet hatte. Es war ein Teufel, der ihm schon immer half und darauf sann, wie er seine Seele ganz zugrunde richten könne. Er hegte die Hoffnung, dass sie ihm ohne Zweifel zuteil würde, denn er meinte, es wäre jetzt höchste Zeit dafür. Roaz hingegen glaubte, er würde ihm helfen, wie er es auch sonst mit seiner Zauberkunst getan hatte. Der junge Mann aber war gerüstet durch ein Amulett mit einem Gebet, das ihm für seinen Weg hierher an seinem Schwert befestigt worden war, und mit dem Kreuz, das er schlug, als er durch das Tor hineinging. Daher wagte es der Teufel nie, sich im weiter zu nähern. Auch der Heide scheute sich sehr davor, doch war er so tapfer, dass er seiner Kraft vertraute, im Kampf zu überleben, selbst wenn er gegen zwei hätte kämpfen müssen. Hierin täuschte er sich, denn oft bleibt ein kleiner Mann durch Können siegreich gegen einen, der wohl um Spannen größer ist als er. Beide waren kampfbegierig.

Beslozzen wurden dô die tür. Rôaz der gie gewâfent vür, michel als ein gîgant. ein swert truoc er in der hant des ecke nâch dem tôde sneit; daz was wol einer spannen breit. einen schilt er ze schirme[n] truoc, dâ hêt ein man an genuoc ze tragen übern rücke; er wære zeiner brücke gnuoc starc gewesen über einen bach; dar an er gemâlet sach, als der wirt wolde, von lâzûre und von golde einen tracken vreislîch; von golde was ein buckel rîch und von gesteine drûf geslagen. den moht er mit êren tragen;

Da wurden die Türen geschlossen. Roaz trat in voller Rüstung hervor, groß wie ein Riese. Er trug ein Schwert mit tödlicher Spitze, das wohl eine Spanne breit war. Einen Schild trug er zu seinem Schutz, den ein Mann kaum auf dem Rücken zu tragen vermochte. Er hätte als Brücke über einen Bach dienen können, so stark war er. Darauf erblickte er, gemalt auf Wunsch des Burgherren von Lasur und Gold einen schrecklichen Drachen. Der Buckel war reich mit Gold und darin eingelassenen Edelsteinen verziert. Damit konnte er sich sehen lassen.

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ze strîte was er wol bereit. eine brünje hêt er an geleit über einen wîzen halsberc, daz was heidenischez werc von breiten blechen hürnîn; mit golde wârn geleit dar în rubîn und manic edel stein, der glast dâ wider ein ander schein, saphîre und berillen. er hêt nâch sînem willen einen helm herter danne ein glas, der ouch des selben stâles was ûz der innern Indîâ, als diu glävîe die er dâ in dem wurme stecken lie. umb den helm ein lîste gie von golde zweier vinger breit; oben was dar in geleit mit gesmelze ein adamas; von golde drûf gemeistert was ein tracke als er lebte und ob dem helme swebte. sîn îsenhosen die wârn guot. sîn herze hêt eins lewen muot ze mänlîchem strîte. sîn wîp, diu vrouwe Japhîte, nâch im mit hôhem muote gie; vor ir zwelf mägde, die wâren sûberlîch genuoc. eine kerzen ir ieslîchiu truoc, grôz, gwunden, diu vaste bran. guotiu kleider hêtens an von pfelle, roc unde dach; gefurrieret man darunder sach luter veder die wârn bunt. grôziu swære was in unkunt und der wunsch geteilet sô daz si von schulde wâren vrô. ir zobel wâren rîche; ie zwô und zwô gelîche neben ein ander giengen. über die mäntel hiengen ir zöpfe verre hin zetal, wol bewunden über al mit borten und mit sîden. swer von in solde lîden

Er war bereit zum Kampf, hatte über einem weißen Halsberg eine Brünne angelegt; von Heidenkunst verfertigt, bestand sie aus breiten Hornplatten, in welche Rubine und viele Edelsteine in Gold gefasst eingelassen waren; die leuchteten um die Wette, auch Saphire und Berylle. Er besaß einen Helm nach seinen Vorstellungen, härter als Glas, der aus dem gleichen Stahl, der aus der Mitte Indiens stammt, gefertigt war wie die Lanze, die Wigalois zuvor im Leib des Drachen stecken ließ. Um den Helm herum verlief eine zwei Finger breite Goldleiste; oben befand sich, in Schmelzwerk eingelassen, ein Diamant, über welchem ein kunstvoll gefertigter goldener Drache angebracht war und, als ob er lebendig wäre, über dem Helm schwebte. Seine eisernen Beinkleider waren trefflich. Zu mannhaftem Kampf hatte er den rechten Mut eines Löwen. Seine Frau, Japhite, folgte ihm hochgestimmt, vor ihr zwölf gar wunderschöne Jungfrauen. Jede von ihnen trug eine große gedrehte Kerze, die hell leuchtete. Sie trugen kostbare Seidengewänder, Röcke und Mäntel. Als Futter sah man darunter Otterpelz von wechselnder Farbe. Sie lebten sorglos und bekamen, was sie wollten, so dass sie allen Grund hatten, glücklich zu sein. Sie besaßen kostbare Zobel. Sie gingen jeweils zu zweit nebeneinander. Ihre Zöpfe hingen weit über die Mäntel herab und waren über und über mit Bändern und Seidenschnüren durchflochten. Wer immer von ihnen

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trûten unde minne, dem wæren sîne sinne wol getiuret dâ von. armuot wârens ungewon: ez schein wol an ir rîchen wât daz dehein unrât ir deheiniu nie gewan. ie neben zwein ein spilman vil süeze videlunde gie, der deheiner dem andern nie einen grif übersach. zaller jungest gie dar nâch diu schœne vrouwe Japhîte. daz was gar ûz dem strîte sine wær diu schœnest under in. einen mantel truoc si zobelîn, bedaht mit einem pfelle, den hêt ir ir geselle verre brâht über sê; die würme Salamandrê worhten in in dem viure; dâ von was er tiure und müelîch ze gwinnen andern küniginnen. ir muoter was der selbe berc dâ noch daz sîdîne werc die würme Salamandrê inne würkent alsam ê. der berc ist hol unde wît, mit kreften brinnet er zaller zît in der grôzen Asîâ. dem wurme Salamandrâ durch sîn wunder hât got gegeben in dem viure ein vremdez leben, als wirz an den buochen lesen. niht lebendes drinne mac genesen, ezn verbrinne ze pulver gar; des habt ir ofte genomen war. ditz mære sage ich iu vür wâr.

Liebkosungen und Minne empfinge, dessen Sinn würde wohl dadurch veredelt. Armut war ihnen unbekannt: An ihrer kostbaren Bekleidung wurde offenbar, dass keine von ihnen jemals Mangel litt. Neben zwei Jungfrauen ging jeweils ein Spielmann, lieblich auf der Fiedel spielend, von denen keiner jemals einen Schlag weit aus dem Takt kam. Schließlich folgte die schöne Frau Japhite. Es stand völlig außer Frage, dass sie die Schönste von ihnen war. Sie trug einen Zobelmantel, der mit einer Seide überzogen war, welche ihr Geliebter ihr von weither übers Meer gebracht hatte. Salamander hatten sie im Feuer gewirkt; daher war er kostbar und anderen Königinnen schwerlich erreichbar. Ihrer Mutter gehörte der Berg, worin die Salamander noch jetzt das Seidenwerk spinnen wie früher. Der Berg ist ausgehöhlt und geräumig und brennt mächtig zu aller Zeit, dort in Großasien. Dem Salamander gab Gott durch seine wunderwirkende Kraft eine fremdartige Lebensform im Feuer, wie wir aus Büchern wissen. Nichts Lebendes vermag darin zu überdauern, ohne ganz zu Asche zu verbrennen; dies habt ihr oft gesehen, ihr könnt mir glauben, was ich euch erzähle.

Sus kom diu vrouwe Japhîte zuo ir vriundes strîte gegangen harte schône. eine guldîne krône truoc diu vrouwe hêre. an ir was vrouwen êre und ganziu triuwe veste.

So erschien also Frau Japhite wunderschön zum Kampf ihres Geliebten. Die hohe Frau trug eine goldene Krone. Sie war der Inbegriff weiblicher Ehre und vollkommener Treue.

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deheiner slahte gebreste, der ie an deheinem wîbe wart, des was ir lîp vil wol bewart, wan daz si ungetoufet was; lûter als ein spiegelglas was si vor anderm meine. vrouwe Japhîte diu reine ûf eine hôhe brücke saz, daz nie dehein brücke baz von betten wart geslihtet, mit tepten wol berihtet, und mit liehten pfellen. dô sach si ir gesellen gewâfent gegen dem gaste gên. die mägde hiez si hôher stên alle neben ein ander dâ. sus huop sich der strît sâ under den herren beiden. geboten hêt der heiden allen den sînen daz benamen bî ir lîbe, swaz im geschaden möhte ein man, swâ si daz möhten understân mit werken od mit ræten, daz si des niht entæten. ouch was diu vrouwe Japhîte niht strenge an dem strîte swaz er ze lâzen ir gebôt: ê wær si gelegen tôt, swaz er si lâzen hieze, ê si daz niht enlieze. daz wær ouch noch guot wîbes sit, daz si iht harte wider strit und daz mit willen tæte swes si ir vriunt gebæte, sô belibe ir minne stæte.

Jeglicher Makel, der je an einer Frau ersichtlich war, war ganz fern von ihr, bis auf die Tatsache, dass sie nicht getauft war. Rein wie ein Spiegel war sie auch von anderen Fehlern. Die gute Frau Japhite ließ sich auf einem Hochsitz nieder. Nie war ein solcher mit Bettdecken besser ausgeglichen, mit Teppichen besser gepolstert und mit leuchtenden Seidenstoffen ausgestattet. Da sah sie ihren Geliebten in voller Rüstung auf den Fremden zugehen. Sie hieß die Jungfrauen zurücktreten und zusammenzubleiben. So entbrannte der Kampf zwischen den beiden Edlen. Der Heide hatte die Seinen bei ihrem Leben tatsächlich angewiesen, alles zu unterlassen, was immer sie mit Wort oder Werken tun könnten, um möglichen Schaden von ihm abzuwenden, der ihm von einem Gegner drohte. Auch würde sich Frau Japhite nicht eigensinnig dem widersetzen, was er ihr zu unterlassen befahl. Sie wäre eher gestorben als eines seiner Unterlassungsgebote zu missachten. Dies wäre noch heute eine gute Richtlinie für Frauen, nicht widerspenstig zu sein und das bereitwillig zu tun, worum immer ihr Geliebter sie bittet; dies würde ihrer Liebe Dauer verleihen.

Rôaz mit zorne zuo im gie; unminniclîche er in enpfie ûf den schilt mit starken slegen. dô entweich im der werde degen mit scherme allez ûf den sal. ouch sluoc er daz der helm erschal under wîlen, als er mohte. swen im sîn slahen tohte, sô sluoc er, daz der schiltes rant sich vil vaste unz ûf die hant

Ingrimmig ging Roaz auf ihn zu und begrüßte ihn unsanft, mit mächtigen Schlägen auf den Schild. Da wich der edle Held, sich schützend, durch den ganzen Saal vor ihm aus. Bisweilen hingegen, wenn er Gelegenheit hatte, teilte er Schläge aus, dass der Helm klirrte. Und wenn er im Vorteil war, so schlug er so stark zu, dass der Schildrand gegen den Buckel hin

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kloup engegen der buckel nider. sô treip in abe der heiden wider mit starken slegen gegen der tür. sus entweich er wider unde vür mit listen vür die vrouwen. die schilte wurden zehouwen vil sêre von in beiden. sin getorste niemen scheiden, noch dar zuo gesprechen ein wort, wan der wære gewesen mort von im, des hêt er gesworn. den selben strît hêt er erkorn im ze vehten eine. vrouwe Japhîte diu reine klagte des jungen rîters nôt. si was gewis daz im der tôt dâ von ir vriunde wære beschert. und ist daz er sich des erwert, sô hât ir huote diu sælicheit mit vlîze wol an in geleit, wan sô hât der rîter gar swaz im leides ie gewar mit liebe überwunden und ganze vreude vunden. des was ab si gar âne wân, wan der künic Rôaz, ir man, was ein helt ze sîner hant; sînen gelîchen niemen vant über al die heidenschaft; er hêt mänlîche kraft und ganze kunst ze strîte; des sluoc er wunden wîte; dâ von wart manger sigelôs der sînen lîp von im verlôs. er was gar âne triuwe; sîn herze dâ von riuwe und vil grôze swære gevie, swen er ze guote iht begie; grimmes muotes was er vol. daz erzeiget er disem rîter wol, wand er mit slegen ûf in gie. er sluoc in daz er an diu knie kom vor vrouwen Japhîten. ditz was ein hertez strîten, wandez muose gelten gar, swaz si beide brâhten dar: den lîp, guot und êre.

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einriss bis auf die Hand. Doch der Heide trieb ihn mit mächtigen Schlägen zur Tür zurück. So wich dieser schlau zurück und nach vorn aus, bis hin zu den Damen. Beide Schilde wurden kräftig zerhauen. Doch niemand wagte es, sie zu trennen oder auch nur ein Wort zu sprechen, denn derjenige hätte das mit seinem Leben bezahlt, das hatte er geschworen. Denn er hatte es sich ausbedungen, diesen Kampf allein auszufechten. Die schöne Frau Japhite bedauerte das Leid des jungen Ritters. Sie war sicher, dass ihm von der Hand ihres Geliebten der Tod beschieden sei. Und wenn er überlebt, so hat das Glück sorgfältig über ihn gewacht. Denn dann hat der Ritter alles, was immer ihm an Leid begegnete, glücklich überstanden und vollkommene Freude gefunden. Das aber konnte sie sich nicht vorstellen, denn der König Roaz, ihr Mann, war ein so tapferer Held, dass es seinesgleichen in der gesamten Heidenschaft nicht gab. Mannesstärke und vollendete Kampfkunst standen ihm zu Gebote. Daher schlug er tiefe Wunden und viele mussten auf den Sieg verzichten, die im Kampf gegen ihn ihr Leben verloren. Er war voller Hinterhältigkeit. Wann immer er etwas Gutes tat, zogen Reue und Schmerz in sein Herz ein. Er war voller Ingrimm. Das bewies er wohl diesem Ritter, denn er ging mit Schlägen auf ihn los. Er schlug ihn so, dass er ihn vor Frau Japhite in die Knie zwang. Dies war ein harter Kampf, denn es stand alles auf dem Spiel, was beide einbrachten: Leben, Gut und Ehre.

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her Gwîgâlois vil sêre sich schamen des begunde und spranc ûf an der stunde, als ez im nie wære geschehen. die vrouwen begunder an sehen; der schœne gap im solhe maht daz er aber mit kreften vaht. dâ von wil ich den vrouwen jehen, daz ir minniclîchez sehen des mannes herze enzündet; ir grôziu schœne schündet ûf aller slahte vrümicheit, ze tugent und ze manheit. daz hœre ich die vrumen sagen, die von in dicke müezen tragen grôze liebe und herzeleit. mîn lop wær in baz bereit, wær mir ir heimlîche bekant; sus schrîb ich mit vremder hant, als der mit golde umbe gêt des in niht grûzwert bestêt. wær ich ein sô werder kneht daz mir ir güete und ir reht baz kunt würde getân, sô schribe ich baz dan ich noch hân; des sint si sus von mir erlân.

Herr Wigalois schämte sich deswegen und sprang augenblicklich auf, als ob es ihm nie widerfahren wäre. Er sah die Damen an, und deren Schönheit verlieh ihm solche Kräfte, dass er erneut gewaltig kämpfen konnte. Daher will ich den Damen zugestehen, dass ihr liebreizender Anblick das Herz des Mannes zu entzünden vermag. Ihre große Schönheit reizt zu jeder Art von Tüchtigkeit an, zu Tugenden des Geistes wie des Leibes. Das hörte ich die Tüchtigen sagen, die oft große Freude und Kummer von ihnen erfahren. Ich würde sie in höheren Tönen loben, hätten sie auch mich in ihr Vertrauen gezogen; so schreibe ich mit unkundiger Hand darüber wie derjenige, der einen Schatz von Gold umkreist, von dem ihm nicht ein Stäubchen zuteil wird. Wäre ich ein so geschätzter Ritter, dass mir ihr Liebreiz und ihre Art besser bekannt wären, so schriebe ich besser als ich es getan habe. Doch so müssen sie drauf verzichten.

Nâch vrouwen minne lît manger tôt; si vüegent jâmer unde nôt, herzeliebe und herzeleit. dise rîter wârn bereit ze dienen nâch ir hulden. der heiden tet ez von schulden, wand er hêt ein schœne wîp; dirre liez ab sînen lîp bliuwen und zehouwen durch sîne liebe vrouwen, die schœnen magt Lârîen, die er zeiner âmîen sînem lîbe hêt erkorn ist daz ez dâ niht wirt verlorn. daz bewarte ouch er vil vaste. der heiden von dem gaste eine wunden in ein bein enpfie diu im an daz herze gie, dâ von er an der stunde vil sêre hinken begunde.

Für die Liebe von Frauen ging mancher in den Tod; sie sind der Ursprung von Kummer und Bedrängnis, von herzlicher Liebe wie zu Herzen gehendem Schmerz. Diese Ritter waren bereit, um ihre Huld zu dienen. Der Heide hatte allen Grund dazu, denn er hatte eine schöne Frau. Dieser aber ließ sich den Leib zerschlagen und zermartern um seiner lieben Herrin willen, der schönen Jungfrau Larie, die er sich zur Geliebten erwählt hatte, wenn er sein Leben bewahren würde. Dieses verteidigte er mit allen Kräften. Der Heide empfing von dem Fremden eine Wunde am Bein, die er bis ins Herz spürte, so dass er von da an das Bein schwer nachziehen musste.

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dô daz sîn schœne wîp ersach, von grôzem leide ir herze brach; ir swære begunde stîgen und ir vreude sîgen; ir schœne verwandelt sich dâ gar; ir antlütze wart missevar, daz ê in hôhem [ge]müete baz danne ein rôse blüete. ir swære daz bescheinde daz si in mit triuwen meinde; diu ougen ir über liefen; vil mangen siuften tiefen den nam si ûf von herzen umb ir gesellen smerzen; der tet ir inniclîche wê. dise zwêne rîter als ê ein ander vaste umbe triben, unz daz in niht was beliben der schilte wan die riemen. dô schiet si leider niemen, vrouwen, rîter noch kneht; ir gir was zesamne sleht beiden ûf des tôdes wân; dazn getorste niemen understân. valsches sloz, untriuwen zil daz was der heiden, der daz spil sînem muote hêt erkorn, dar inne der tôt als ein dorn in dem meien blüete. zorn und ungemüete, daz uns tuot wê, daz tet im wol. sîn barmunge alsam ein kol was, daz gar erloschen ist. des leben hêt deheine vrist, swen sîn mortgirigiu hant an deheinem strîte überwant: des leben wart des tôdes pfant.

Als seine schöne Frau dies sah, brach ihr das Herz von dem großen Leid; ihr Kummer wuchs, ihre Freude ging zur Neige. Da veränderte sich ihr schönes Äußeres völlig: Ihr Antlitz, das ehemals in Hochstimmung schöner als eine Rose erblüht war, wurde fahl. Ihr Kummer brachte es an den Tag, dass sie ihn wirklich liebte. Tränen traten in ihre Augen, sie seufzte vielmals aus tiefstem Herzen wegen des Geliebten Not, die sie zutiefst schmerzte. Die zwei Ritter aber bedrängten einander wie zuvor, bis dass von ihren Schilden nur mehr die Riemen übrig waren. Leider trennte sie niemand, weder Damen, Ritter noch Knappen. Ihr beider Sinn war einig auf den Tod gerichtet. Dabei wagte niemand einzugreifen. Inbegriff der Falschheit, Gipfel der Treulosigkeit – das war der Heide, der sich zu seinem Zeitvertreib dieses Spiel erwählt hatte, in dem der Tod erblühte wie ein Dorn mitten im Mai. Ingrimm und Missmut, die uns Kummer bereiten, die behagten ihm wohl. Sein Erbarmen war wie eine ganz erkaltete Glut. Wen immer seine mordgierige Hand im Kampf besiegte, dessen Leben hatte keine Chance: es war Unterpfand des Todes.

Dô vâhten si unz an die zît daz ir rîterlîcher strît mit grôzem jâmer ende nam. ir ietweder âne scham vil grôze slege dâ enpfie. geselleschaft diu was hie under in beiden tiure. ir helme mit viure vil ofte wurden bedaht;

So fochten sie, bis ihr ritterlicher Kampf in großem Kummer sein Ende nahm. Jeder von ihnen hatte viele starke Schläge empfangen, ohne sich dafür schämen zu müssen. Es gab keinerlei Freundschaft zwischen ihnen. Oft sprühten ihre Helme Funken.

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sus vâhten si die langen naht. si muosen sich vil vaste wern und mit starken slegen nern, wand ez galt lîp unde guot. si hêten beide mannes muot, beidiu kunst unde kraft; dâ von was diu rîterschaft herte under in beiden. her Gwîgâlois den heiden mit des swertes orte nam. dô er im sô nâhen kam, er kloup im brünje und îsengwant; durch die brust er im zehant sluoc eine starke wunden, dâ von er überwunden sich dem tôde muose ergeben. sus endet sich der werlte leben; vreude, guot und êre des wirt in niht mêre dan mir des keisers krône; wan swer nâch gotes lône in dirre werlt gedienet hât, swen ez im an die zît gât daz er niht lenger leben sol, der vert sæliclîche wol; alsô müeze ouch uns geschehen. dô vrouwe Japhîte hêt ersehen daz ir man dâ tôter lac, ir süezen sit si verpflac und zarte ir sîdîn gewant; mit grôzem jâmer si zehant über in lief dâ er lac. von sînem tôde si erschrac sô sêre daz ir herze brast lûte als ein dürrer ast, swâ man den bricht enzwei. si viel über in und schrei ein sô jæmerlîche stimme, dehein man wær sô grimme des muotes noch des herzen, hêt er ir jâmers smerzen und ir grôze klage ersehen, im wær ze weinen geschehen. den helm bant si im abe mit sô grôzer ungehabe daz ez was zerbarmen; mit ir wîzen armen

So fochten sie die ganze Nacht hindurch. Sie mussten sich mit allen Kräften verteidigen und mit gewaltigen Schlägen retten, denn Gut und Leben standen auf dem Spiel. Beiden war Tapferkeit, Kampfeskunst und Stärke eigen, daher war der Kampf zwischen ihnen hart. Herr Wigalois touchierte den Heiden mit der Schwertspitze. Als er so nahe an ihn herankam, zerhieb er ihm Brünne und Harnisch. Alsbald schlug er ihm eine tiefe Wunde in die Brust, von der er sich besiegt dem Tod ergeben musste. So endet das Leben in der Welt; Freude, Gut und Ehre wird ihnen (den Sterbenden) genauso wenig zuteil wie mir die Kaiserkrone. Wer jedoch in dieser Welt um Gottes Lohn gedient hat, der wird, wenn die Zeit gekommen ist, da sein Leben endet, zum Heil gelangen; so möge es auch uns gehen. Als Frau Japhite ihren Mann tot daliegen sah, verlor sie alle Fassung und zerriss ihr seidenes Gewand. In großem Schmerz eilte sie zu ihm hin. Sein Tod ließ sie so sehr erstarren, dass ihr Herz laut brach wie ein trockener Ast, der entzweigebrochen wird. Sie warf sich über ihn und stieß ein solches Wehgeschrei aus, dass kein Mann, und sei sein Wesen noch so ingrimmig, ihren Schmerz und ihre Klage hätte mit ansehen können, ohne zu Tränen gerührt zu werden. Den Helm band sie ihm ab, außer sich vor Leid, dass es jeden erbarmen musste. Mit ihren weißen Armen

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druhte si in alsô tôten an sich; er was verschrôten, mit bluote berunnen gar; des nam si vil lützel war; si kuste in, als er wære gesunt, vil dicke an sînen tôten munt und weinde in jæmerlîche an. si sprach ‚owê, lieber man, nu hâstu dînen schœnen lîp verloren umb mich armez wîp; daz tuot mir herzenlîche wê; ouch sol ich mich niht sûmen mê ichn werde dîn geselle ze himel od zer helle, swederhalp wir müezen sîn; owê, lieber herre mîn, daz ich dich tôten ie gesach!‘ ir hâr si ûz der swarten brach; daz was minniclîch gevar, reit unde lanc gar. si sprach ‚wâ nu Machmêt? dîne helfe ich ie hêt ze ganzem trôste und dîn gebot; Machmêt, vil süezer got, ich hân dich geminnet ie; wem hâstu mich nu lâzen hie? er lît tôter hie vor mir, den ich bevalch mit dienest dir, sît ich sîn kunde alrêrst gewan. owê, Rôaz, vil lieber man, ich muoz dich klagen, des gêt mir nôt; von dînem tôde bin ich tôt; du wære mîn herze und mîn lîp, ich dîn herze und dîn wîp; wir hêten beidiu einen muot: swaz ich wolde, daz dûht dich guot; swaz du woldest, daz wolde ouch ich; nu hât der ganze wille sich von dînem tôde gescheiden enzwischen uns beiden; sît dîn herze ie was mîn und aller mîn wille dîn, sô sol dîn tôt mîn tôt ouch sîn!‘

presste sie den Toten an sich; er war zerhauen und blutüberströmt, doch sie achtete nicht darauf. Sie küsste ihn, als wäre er unversehrt, vielmals auf den starren Mund und benetzte ihn mit ihren Tränen. Sie sprach: „O weh, geliebter Mann, nun hast du dein edles Leben wegen mir elender Frau verloren. Das schmerzt mich tief, doch ich werde nicht länger säumen, deine Gefährtin zu werden, im Himmel oder in der Hölle, auf welcher der beiden Seiten wir auch sein werden. O weh, mein lieber Herr, dass ich dich jemals tot sehen musste!“ Sie raufte sich ihr Haar aus, das von wunderschöner Farbe und ganz lang und gelockt war. Sie sprach: „Wo bist du jetzt, Mohammed? Deine Hilfe hatte ich wie auch deine Macht ganz zu meinem Beistand. Mohammed, liebster Gott, immer habe ich dich geliebt. Wem hast du mich nun preisgegeben? Er liegt hier tot vor mir, den ich dir dienend anvertraute, seit ich zuerst von ihm hörte. O weh, Roaz, liebster Mann, ich muss dich beklagen, ich habe allen Grund. Dein Tod zieht den meinen nach sich. Du warst mir Leib und Seele, ich deine Seele und deine Frau; wir hatten einen Willen: Was immer ich wollte, erschien dir gut, was immer du wolltest, das wollte auch ich. Nun hat dein Tod diese Gemeinschaft zwischen uns aufgelöst. Da dein Herz immer mir gehörte und dir all mein Wollen, so sei dein Tod auch der meine!“

Si huop in in ir schôze hie; mit beiden armen si in umbvie mit sô jæmerlîcher klage,

Sie bettete ihn auf ihren Schoß und schloss ihn mit so jammervoller Klage in beide Arme –

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swie truckenlîche ichz dâ sage, dâ von ir herze dürkel wart. owê der klägelîchen vart und der jæmerlîchen nôt! sus lac si klagende ob im tôt. swie si wær ein heidenin, ganze triuwe und stæten sin mit liebe si an in kêrte, als si diu minne lêrte. herzeliebe ist arbeit; ir ende bringet herzeleit. daz wart wol an der vrouwen schîn; wær si niht ein heidenîn, sô müese ich klagen ir jâmers nôt. hie lâgen samet vieriu tôt: zwô sêle und zwêne lîbe; dem manne und sînem wîbe, der sêle vor got sint erslagen; solhen tôt sol man klagen. wol in, der dem entrinnen mac und der den êwiclîchen tac verdienet; der hât wol gevarn. er ist ein sælic muoterbarn, swer dise werlt gebûwet alsô daz sînes tôdes sîn sêle ist vrô; des leider nû niht vil ergêt. her Gwîgâlois gestriten hêt, daz er des bluotes was ersigen; er hêt sich alsô gar erwigen daz er vür tôt ouch lac aldâ. sich huop vil grôziu klage sâ; in dem hûse über al wart ein jæmerlîcher schal von dem gesinde daz dâ was. si liefen ûf den palas schrîunde owê, und rouften sich; ir klage diu was jæmerlich umb ir herren der was erslagen. ouch muosen si von schulden klagen des reinen wîbes triuwe, diu von herzenriuwe durch ir gesellen lac dâ tôt, als ir der minne kraft gebôt. diu twinget manic herze; ir ende ist jâmers smerze, als ich iu hie bescheide; liep zergêt mit leide.

meine trockenen Worte reichen nicht hin – dass ihr Herz brüchig wurde. O weh dieses unglücklichen Endes und der jammervollen Not! So brach sie in ihrem Leid tot über ihm zusammen. Wenngleich sie eine Heidin war, hatte sie ihm vollkommene Treue und Beständigkeit freudig zuteil werden lassen, wie die Liebe es sie gelehrt hatte. Wirkliche Liebe ist Schmerz, ihr Ende bringt Kummer – das erwies sich hier an der Dame. Wäre sie nicht eine Heidin gewesen, müsste ich ihr Leid beklagen. Hier waren vier auf einmal erschlagen, zwei Leiber und zwei Seelen, dem Mann und seiner Frau. Vor Gottes Angesicht sind ihre Seelen tot; solch einen Tod soll man beklagen. Wohl dem, der solchem zu entrinnen vermag und der das ewige Leben erwirbt; der hat den rechten Weg eingeschlagen. Seliger Sohn einer Mutter ist, wer in dieser Welt so gelebt hat, dass seine Seele seines Todes froh sein kann, was leider heute selten geschieht. Herr Wigalois hatte so gekämpft, dass er viel Blut verloren hatte. Er hatte sich so völlig verausgabt, dass er wie tot dalag. Da erhob sich lautes Klagen, in der ganzen Burg erschollen die Jammerrufe des Gefolges. Sie liefen unter Wehgeschrei den Palas hinauf und rauften sich das Haar. Ihre Klage um ihren erschlagenen Herrn war jammervoll. Auch beklagten sie zu Recht die Treue der makellosen Frau, die vor Herzenskummer um ihren Geliebten gestorben war, wie die Macht der Liebe es geboten hatte. Die bezwingt viele Herzen. Ihr Ende ist Schmerz, wie ich euch hier zeige. Liebe endet mit Leid.

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alsô zergienc ir vreude gar, die si mit ganzer liebe dar hêten brâht vil manic jâr.

So wurde all ihre Freude zerstört, die sie in vollkommener Wonne über viele Jahre hinweg besessen hatten.

Owê dir, tôt! du bist ein hagel; vil bitter riuwe treit dîn zagel und jæmerlîchez ende; dîn sloz und dîn gebende bindet und besliuzet daz dâ von diu ougen werdent naz: daz ist jâmer unde leit. ein rîter hie dîn wâfen treit, der ez ie vil gerne gap. sîn hant vil mangen in daz grap mit rîters were hât geleit. sold ich von sîner manheit nu sagen und von sîner kraft, die er begie mit rîterschaft, und wie er muose strîten, dô er die vrouwen Japhîten mit dem hœhsten prîse erwarp, dâ manic edel vürste starp vor Babylôn von sîner hant – âvoy, wie wol dâ wart bekant sîn kraft und sîn manheit! mit rîterlîcher were er reit durch die poinder mit slegen wider. von sîner jost viel dâ nider vil manic stolzer Babylôn dô den künic von Ascalôn valte dâ sîn lanze; der tet im fîanze: daz spricht entiuschen sicherheit. Rôaz sô rîterlîche streit daz er den prîs dâ gewan, als er ê oft hêt getân: in einem strîte vor Dômas, dâ manic rîcher vürste was, künige, grâven, herzogen, sîn prîs sô hôhe dâ wart gezogen daz in niemen mohte erlangen. erslagen und gevangen vuort er die vürsten in die stat. sîn prîs sagt in dâ allen mat; sus steic er ie daz hœhste pfat.

O weh dir, Tod! Du bist wie ein Unwetter. Dein Stachel hinterlässt bitteren Kummer und jammervolles Ende. Dein Schloss und deine Bande schließen ein, was Tränen in die Augen treibt: Kummer und Schmerz. Ein Ritter trägt hier deine Zeichen, der diese stets freudig austeilte. Seine Hand hatte mit ritterlichen Waffen schon viele ins Grab gebracht. Sollte ich von seiner Tapferkeit nun berichten und von seiner Stärke, die er in ritterlichem Kampfe zeigte, und wie er kämpfen musste, als er Frau Japhite und höchsten Ruhm erstritt, dort vor Babylon, wo viele edle Fürsten von seiner Hand fielen – seht, wie wurden diese Stärke und Tapferkeit da berühmt! In ritterlicher Wehr ritt er Schläge austeilend gegen die wogende Schar. Von seiner Tjost stürzte so mancher stolze Babylonier, als seine Lanze den König von Ascalon zu Boden warf. Der gab ihm Fianze, was zu Deutsch Sicherheit bedeutet. Roaz kämpfte so ritterlich, dass er dort den Sieg errang, so wie er es zuvor oft getan hatte. In einem Gefecht vor Damaskus, an dem viele mächtige Fürsten, Könige, Grafen und Herzöge, teilnahmen, war sein Lob so hoch gestiegen, dass niemand ihm gleichkommen konnte. Erschlagen oder als Gefangene brachte er die Fürsten in die Stadt. Sein Ruhm setzte sie alle schachmatt. So erklomm er stets die höchsten Höhen.

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Swaz er mit sîner manheit ganzes lobes hêt bejeit vil rîterlîche sîne tage, daz wirt ze lanc, ob ich daz sage; dâ von wil ichz nû verdagen. hie was grôz weinen unde klagen von den mägden wol getân. der tac begunde ouch ûf gân; entslozzen wurden diu bürgetor. dâ saz ein alter vürste vor, der grâve Adân von Âlârîe. sîner bruoder drîe sluoc Rôaz mit sîner hant. sînen lîp und ouch sîn lant muos er in sînen gwalt geben. alsô liez er in dô leben daz er sîn portenære unz an sîn ende wære; des hêt er sîne sicherheit. ditz was ein jæmerlîchez leit daz ouch bî im dâ lac erslagen der gwalticlîche solde tragen in dem lande ze Mirmidône beidiu zepter unde krône. den vie Rôaz vor Dômas, wand er im dâ vor lange was herzenlîche vînt gewesen. durch vrouwen bet liez er genesen den selben vürsten, dô ern vie; er muose ouch dirre porte hie hüeten unz an sînen tôt, als im diu sicherheit gebôt die er Rôaz hêt getân. nu erhôrte ir klage der grâve Adân und ir jæmerlîchen schal, der sich dâ huop ûf dem sal von den mägden wol getân, und daz daz tor wart ûf getân. des nam in wunder und gie dar. dô vant er daz gesinde gar in jæmerlîcher riuwe. ir klage diu was niuwe umb den wirt der was erslagen. ouch muosen si mit triuwen klagen die reinen wirtinne, diu guotes wîbes sinne brâhte unz an ir ende.

Es würde zu lange dauern, vollständig zu berichten von dem Ruhm, den er mit seiner Tapferkeit auf ritterliche Weise sein Leben lang errang, daher will ich davon absehen. Es erhob sich hier lautes Weinen und Klagen der Jungfrauen. Da brach der Tag an. Die Burgtore wurden geöffnet. Davor saß ein alter Fürst, der Graf Adan von Alarie. Drei seiner Brüder hatte Roaz eigenhändig getötet. Land und Leben hatte er in seine Gewalt geben müssen. So schenkte er ihm das Leben, auf dass er bis an sein Ende sein Torwächter wäre. Das hatte er ihm zugesichert. Es war ein großes Unglück, dass auch derjenige neben ihm getötet war, der als Herrscher in dem Land zu Mirmidon Zepter und Krone hätte tragen sollen. Den setzte Roaz vor Damascus gefangen, denn er war schon seit langer Zeit sein Todfeind gewesen. Auf Bitten einer Dame ließ er diesen Fürsten am Leben, als er ihn gefangen nahm. Auch er musste diese Pforte bis an sein Lebensende hüten, wie es ihm die Sicherheit vorschrieb, die er Roaz geleistet hatte. Nun vernahm Graf Adan die Wehklage der schönen Jungfrauen, die aus dem Saal ertönte, und wie das Tor geöffnet wurde. Verwundert begab er sich dorthin. Dort fand er das ganze Gefolge vor, erfüllt von schmerzlichem Kummer. Ihre Klage um den getöteten Burgherrn erhob sich immer aufs Neue. Auch mussten sie ihre schöne Herrin aufrichtig betrauern, die die Tugenden einer edlen Frau bis zu ihrem Tod bewiesen hatte.

21. Rettung durch Graf Adan und Begräbnis der Japhite

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âne missewende lac diu vrouwe Japhîte tôt; des twanc si ganzer triuwe nôt und herzenlîchiu minne. sêle, lîp und sinne schiet diu herzeleide. nu seht wer si dâ scheide, herzeliep od herzeleit, wie wirt daz gänzlîch geseit? sît ich sîn niht gesagen kan, wâ ist nû ein wîser man, der mir den strît bescheide? starp si von herzeleide, daz muose von herzeliebe sîn; diu gap ir herzen solhen pîn dâ von ir schœner lîp verdarp. ich wæns et von in beiden starp; anders ich mich niht verstên. sold ich dem strîte nâch gên, sô würde der rede lîhte ze vil; dâ von ich mich niht sûmen wil an der âventiure. ist dehein crêatiure diu ganzer triuwe geniezen sol, sô genist mîn vrouwe Japhîte wol, wan si was ganzer triuwe vol.

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Ohne Makel war Frau Japhite in den Tod gegangen; den verursachten vollkommene Treue und wahre Liebe. Dieses Herzensleid schied die Seele von Leib und Sinnen. Nun schaut selbst, wer scheidet sie? Ist es die wahre Liebe oder das Liebesleid? Wie kann dies erschöpfend erklärt werden? Da ich es nicht vermag, wo ist der Weise, der diese Streitfrage für mich entscheiden könnte? Starb sie vom Herzensleid, so entstand dieses doch aus wahrer Liebe. Diese verwundete ihr Herz derart, dass es ihren schönen Leib dahinraffte. Ich glaube, sie starb an beidem, anders vermag ich es nicht zu begreifen. Doch sollte ich dieser Frage weiter nachgehen, so würden der Worte leicht zu viel; daher will ich mich nicht versäumen und zum Geschehen zurückkehren. Wenn ein Geschöpf für vollkommene Treue belohnt werden soll, so ist es sicherlich Frau Japhite, denn sie war ganz davon erfüllt.

21. Rettung durch Graf Adan und Begräbnis der Japhite Auf die lauten Klagen des Gesindes eilt Graf Adan herbei und findet Wigalois, um den sich niemand kümmert, am Boden liegend. Als die Frauen entdecken, dass er noch lebt, wollen sie ihn töten. Adan verhindert es und sucht sie zu besänftigen. Roaz büße für seine Hoffart und Wigalois habe nur seine Gewalttaten gerächt, er (Adan) selbst habe ihm den Eid der Treue geleistet. Wigalois kommt wieder zu Bewusstsein. Japhite wird wiederum ein Nachruf gewidmet. Auf der Burg befinden sich außer Wigalois und Adan nur Frauen. Roaz habe aus Eifersucht keine Männer in der Umgebung seiner Gemahlin geduldet. Der Dichter vergleicht die Verzweiflung der Frauen mit dem Jammer, den er beim Tode des Fürsten von Meran gesehen. Gott möge seiner Seele gnädig sei. In sehnsuchtsvollem Verlangen nach Larie überlässt Wigalois sich ganz seinem Gefühl; durch Adans Worte gewinnt er seine Selbstbeherrschung wieder. Roaz wird von einer Teufelschar entführt, ohne dass jemand es bemerkt. Adan lässt sich zum Christentum bekehren. Japhite wird in einem kostbaren Sarg bestattet, den Roaz hat machen lassen. Wortlaut der Grabschrift. Die Frauen erklären sich bereit, Wigalois zu dienen, wobei Adan als Dolmetscher auftritt. Wigalois nimmt den Schatz in Besitz, den er Adan anvertraut. Wigalois erholt sich auf einem kastilischen Ross und freut sich wie ein tapferer Ritter, wenn er zum Turnier reitet. Spöttische Bemerkung des Dichters über die auf dem Sand bei Nürnberg turnierenden „Ôsterherren“. (7904–8469)

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Hie ist diu âventiure geholt. wâ ist nû der minne solt, des wunsches âmîe, diu schœne Lârîe? hie lît ir vriunt, her Gwîgâlois, den der milte Britanois, der künic Artûs, hât gesant zer âventiure, daz er daz lant solde erwerben und die maget. owê, daz den niemen klaget! er lît hie leider âne kraft, der mit rehter rîterschaft und mit ganzer manheit, als uns diu âventiure seit, vil mangen hôhen prîs gewan. er lac dâ als ein tôter man âne kraft und âne sin. die juncvrouwen hêten in von dem houbte entwâfent gar und nâmen des vil rehte war ob er lebte od wære tôt. dô wâren im diu hiufel rôt und allez lebelîch getân. dô wolde in erslagen hân vor leide diu vil süeze schar. des wart der grâve Adân gewar; vil sêre muot in sîn ungemach. er lief über in und sprach ‚ey, guoten vrouwen! habt ir den muot daz ir disem rîter guot sînen lîp nemen welt, der rîterlîche als ein helt die âventiure erstriten hât? daz ist ein grôziu missetât, wand er durch vrouwen minne lîp, guot und sinne hât verloren vil nâch gar. nu nemt, ir edeln vrouwen, war, swâ ein sô guot rîter lebe, wie mangem herzen er vreude gebe. lât mich in neren ob ich müge; jâ wæn ie wîbes brust gesüge bezzer rîter dan er ist. nu gebet sînem leben vrist unz erz verliese als ers ger; jâ kan er wol mit sînem sper rîterlîchen tôt bejagen.

Diese Aventiure ist nun erstritten, doch wo bleibt der Lohn der Minne, der Vollkommenheit Freundin, die schöne Larie? Hier liegt ihr Geliebter, Herr Wigalois, den der großherzige Bretone, König Artus, zur Aventiure gesandt hatte, um das Land und die Jungfrau zu erstreiten. O weh, dass niemand ihn beklagt! Zu allem Unglück liegt er hier ohnmächtig, der mit ritterlichen Taten und vollendeter Tapferkeit, wie uns die Erzählung sagt, zu höchstem Ruhm gelangte. Er lag da wie tot, kraft- und bewusstlos. Die Jungfrauen hatten ihm Helm und Ringkapuze abgebunden und sahen genau nach, ob noch Leben in ihm war oder nicht. Doch waren seine Wangen rot und alle Lebenszeichen vorhanden. Vor Leid wollte die liebliche Schar ihn totschlagen. Dies bemerkte Graf Adan, den des Ritters Unglück dauerte. Er warf sich schützend über ihn und sprach: „Weh, ihr edlen Damen! Wollt ihr diesem edlen Ritter das Leben nehmen, der ritterlich wie ein Held die Aventiure erstritten hat? Das ist großer Frevel, denn für die Liebe einer Frau war er nahe daran, Leben, Gut und Sinne zu verlieren. Ihr edlen Damen, nun denkt daran, wie vielen Herzen ein so edler Ritter Freude zu spenden vermag, wo er auch ist. Lasst mich ihn retten, wenn ich kann. Wahrlich, ich glaube, einer Mutter Brust hat nie einen besseren aufgezogen als ihn. Nun gebt seinem Leben Aufschub, bis er es so beendet, wie er es wünscht. Ja, er versteht es wohl, mit seiner Lanze einen ehrenvollen Tod zu erstreiten.

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würd er von wîbes hant erslagen, des leben âne missetât sîne zît behalten hât und der von sîner manheit den aller hœhsten prîs nu treit, daz würde ein jæmerlîchez leit.

Würde er aber von Frauenhand erschlagen, dessen Lebenswandel allzeit ohne Fehl war und der wegen seiner Tapferkeit nun höchsten Ruhm besitzt, das wäre bitter zu beklagen.

Ir mugt in gerne lâzen leben. iun mac sîn tôt doch niht gegeben die vrouwen noch den wirt wider. sîn übermuot der valte in nider und sîn gewalt den er begie an dirre juncvrouwen hie, vrouwen Lârîen, der schœnen maget. der sluoc er, als mir ist gesaget, ir vater, der hie schône truoc zepter unde krône nâch küniclîcher werdecheit. nu hât errochen daz selbe leit dirre helt mit sîner hant! dem erteile ich maget unde lant. ouch wil ich im vür disen tac, swâ ich kan unde mac, mit lîbe und mit guote dienen nâch sînem muote; daz ist mîn reht: ich bin sîn man; swaz man im tuot od hât getân, daz hilfe ich rechen swâ er wil. ich bin komen ûf daz zil daz mînes leides wirdet rât; mîn sicherheit ein ende hât die ich dem künige hêt getân, ich solde nimmer komen dan, die wîle er lebte, von dem tor; dâ hüete ouch nû ein ander vor! der mich dâ von enbunden hât, dem sol mîn helfe und mîn rât immer undertænic sîn. nu stêt ûf, lieber herre mîn! ich tuon iu helfe mit triuwen schîn.‘

Ihr könnt ihm getrost das Leben schenken. Sein Tod vermöchte euch doch weder den Herren noch die Herrin zurückzugeben. Sein Hochmut brachte ihn zu Fall und die Gewalt, die er der jungen Edeldame hier antat, Frau Larie, der schönen Jungfrau. Der erschlug er, wie mir erzählt wurde, ihren Vater, der hier Zepter und Krone mit königlicher Würde trug. Dieses Leid hat der Held nun eigenhändig gerächt! Dem spreche ich Jungfrau und Land zu. Auch will ich ihm von heute an, wo immer ich kann, mit Leib und Gut nach seinem Willen dienen. Das ist meine Pflicht: Ich bin sein Mann. Was immer man ihm getan hat oder tut, werde ich, wo er es einfordert, rächen helfen. Endlich erlebe ich den Tag, an dem meinem Leid Abhilfe geschaffen wird. Mein Sicherheitseid, den ich dem König leistete, ich würde Zeit seines Lebens das Tor nie verlassen, ist jetzt hinfällig. Das soll nun ein anderer hüten! Demjenigen, der mich davon erlöste, werde ich mit Rat und Tat für immer zu Diensten stehen. Nun erhebt Euch, mein lieber Herr! Ich werde Euch aufrichtig Beistand leisten!“

Er rihte in ûf und sach in an. sîn härsenier daz was im dan von dem houbte enbunden gar. von bluote diu wangen und sîn hâr diu wâren jæmerlîch getân. ‚owê‘, sprach der grâve Adân

Er richtete ihn auf und sah ihn sich an. Seine Ringkapuze war ihm bereits abgebunden worden. Von Blut entstellt waren ihm Wangen und Haar. „O weh“, sprach Graf Adan,

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‚dîner lieben âmîen, der schœnen magt Lârîen! diu muoz immer sîn unvrô, verdirbt dîn schœner lîp alsô in ir minne dienest hie.‘ von dem namen dô gevie kraft der halptôte man; er sûfte sêre und sach si an die bî im dâ wâren dô. des wart der grâve Adân vil vrô; er sprach ‚herre, gehabt iuch wol! iuwer leit sich hie enden sol. ez hât erstriten iuwer hant eine schœne maget und ein lant dem sich niht gelîchen mac.‘ nu was ez alsô hôher tac daz diu sunne erzeicte ir schîn. dô weinde manic heidenîn von hôher [ge]burt ûz Asîâ ir vil lieben vrouwen dâ, die getriuwen vrouwen Japhîten. ezn lebte bî den zîten dehein vrouwe mit sô reinen siten. owê, wan solde ich guotes biten ir sêle der lîp alsô verdarp! diu vrouwe von herzeleide starp. ich geloube daz si sül genesen; diu wâre riuwe ist gewesen ir touf an ir ende. herre got, nu sende ze schirme ir dîne barmicheit, diu manger sêle ist bereit. herre, getürre es iemen gern, sô soltu si genâden wern, daz si genieze ir triuwe: ir touf was diu riuwe die si dolte umb ir liep. dô kom der tôt als ein diep und stal dem reinen wîbe daz leben ûz ir lîbe. als ich iu ê hân geseit, herzeliebe ist arbeit; ir ende bringet herzeleit.

„deiner liebsten Freundin, der schönen Jungfrau Larie! Sie wird für immer unglücklich sein, wenn dein schöner Leib hier zugrundegeht in ihrem Minnedienst.“ Bei Nennung des Namens schöpfte der halbtote Mann neue Kraft. Er seufzte schwer und sah jene an, die jetzt dort bei ihm waren. Darüber freute sich Graf Adan wirklich; er sagte: „Herr, es möge Euch gut gehen! Euer Kummer wird hier ein Ende haben. Eure Hand hat Euch eine schöne Jungfrau und ein Land erobert, dem kein anderes gleich kommt.“ Jetzt war der Tag ganz heraufgezogen, so dass die Sonne voll erschien. Zahlreiche hochedle Heidinnen aus Asien beweinten ihre so geliebte Herrin, die treue Frau Japhite. Zur selben Zeit gab es keine edle Dame von so reinem Wesen. O weh, warum soll ich nicht ihrer Seele Fürbitte leisten, deren Leben so endete! Die Herrin starb aus Herzenskummer. Ich glaube, dass sie errettet wird. Die aufrichtige Trauer ist an ihrem Lebensende ihre Taufe gewesen. Herr Gott, nun schicke ihr zum Schutz deine Barmherzigkeit, die vielen Seelen zur Seite steht. Herr, wenn es jemand zu bitten wagte, dass sie für ihre Treue nicht gestraft wird, so musst du ihr Gnade gewähren: Ihre Taufe war die Trauer, die sie um ihren Geliebten litt. Da erschien der Tod wie ein Dieb und stahl der guten Frau das Leben. Schon zuvor hatte ich euch gesagt: Herzeliebe bedeutet Mühsal, und das Ende ist bitter.

Diu burc glaste als ein glas. niht rîter mêr dar ûffe was, niwan dise zwêne man,

Die Burg glänzte wie Glas. Auf ihr befanden sich keine Ritter mehr, außer jenen zwei Männern,

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her Gwîgâlois und grâve Adân. ich sagiu wâ von daz geschach daz man niht rîter drûffe sach: der künic was ân angest gar daz durch daz tor iemen dar möhte komen vor dem rade; ouch was sîn angest ein ander schade: er vorhte daz ir minne vil lîhte diu küniginne gewante an einen andern man. deiswâr, desn hêt si niht getân, – daz erzeiget si an ir tôde sît – wan daz diu liebe zaller zît ir liep vil gerne mit huote hât. an ir was aller huote rât, wan si was âne missetât.

dem Herrn Wigalois und dem Grafen Adan. Ich verrate euch, warum man dort auf der Burg keine Ritter sah: Der König sorgte sich nicht im Geringsten, dass jemand am Rad vorbei durch das Tor kommen könnte; jedoch plagte ihn die Sorge vor anderem Unheil: Er fürchtete, die Königin könnte vielleicht ihre Liebe einem anderen zuwenden. Wahrlich, nichts dergleichen hätte sie unternommen – sie bewies es später durch ihren Tod – nur behält eben die Liebe stets gerne das von ihr Geliebte unter Aufsicht. Bei ihr war jede Aufsicht entbehrlich, denn sie war ohne Fehl.

Vierzic was der vrouwen; dar under mohte man schouwen vil grôzen jâmer unde klage. vür wâr ich iu ein mære sage: ich wil gelîchen dirre nôt eines vil edeln vürsten tôt von Merân, dâ ich jâmer sach und von klage den ungemach von der werlte wunne, ez möhte diu liehte sunne ir schîn dâ von verlorn hân. daz tâten vrouwen wol getân, geboren von der hœhsten art diu ie in der werlte wart. dâ was solch jâmer unde klage, ob ich mîn herze hie ganzez trage, daz ich des niht gelouben mac. ich hôrte dâ mangen grôzen krac von reiner vrouwen herzen; diu truogen jâmers smerzen umb des edeln vürsten tôt. sî sîn sêle in deheiner nôt, dâ nim si ûz, vil reiner Krist! wan du sô bescheiden bist daz du der reinen wîbe klagen und sîne nôt niht solt vertragen. gedenke bî dîner menscheit wie brœde süeze ir leben treit, und gip daz wir verdienen hie die vreude die dhein ôre nie

Vierzig edle Damen gab es dort; die man in größtem Jammer und tiefer Trauer sah. Ich werde euch ein wahres Ereignis berichten: Diesem Kummer will ich den Tod eines sehr edlen Fürsten von Meranien vergleichen: Dort sah ich Leid und kummervolle Gesten der Trauer von der Herrlichkeit der Welt (den Frauen), so dass der klaren Sonne Schein hätte verdunkelt werden können. Es trauerten schöne Damen aus den höchsten Häusern, die es je auf Erden gab. Da herrschte solche Trauer und Wehklage: Ich kann kaum glauben, dass ich mein Herz noch heil in mir trage. Ich vernahm dort oftmals harte Schläge, wie wenn die Herzen edler Damen zerbrechen wollten. Die ertrugen Schmerzen und Trauer um den Tod des edlen Fürsten. Wenn seine Seele Not leidet, befreie sie daraus, herrlicher Christus! Denn du bist so verständig, dass du die Klagen herrlicher Frauen und seine (des Fürsten) Not nicht dulden wirst. Bedenke bei deiner (eigenen) menschlichen Natur, welch vergängliche Süßigkeit ihr Leben einträgt, und gib, dass wir hier uns verdienen die Freude, die kein Ohr je

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gehôrte noch nie ouge ersach noch nie munt dâ von gesprach daz sich iht gelîche dar. herre, nim dîner [ge]schefte war ê dan si verzwîvele gar.

hörte, die kein Auge je erblickte, von der kein Mensch etwas erzählte, der nichts Diesseitiges vergleichbar ist. Herr, nimm dich deiner Kreatur an, bevor sie ganz verzweifeln muss.

Got müeze im dort genædic sîn! nu wil ich an die rede mîn wider grîfen dâ ich si lie. her Gwîgâlois der lac hie under der trûrigen schar. ein reiner muot erkucte im gar daz herze und sîne sinne. er sprach ‚owê, minne, gêret sî dîn süezer nam! dir solde niemen wesen gram; du bist ze sprechen ein lindez wort und treist iedoch vil scharfen ort und eine herte snîde. waz ich von dir lîde kumbers und hân erliten! du hâst ze nâhen mir gesniten enmitten durch daz herze mîn! vrouwe Minne, ich muoz sîn dîn gevangen; du hâst mich gar mit dîner kraft gezogen dar dâ von ich niht gewenken mac. jâ ist si mînes herzen tac und der wunsch mîner sinne. vrouwe Lârîe, küniginne, wenne sol ich dich gesehen! mîniu ougen kunden rehte spehen dô si dir prîses jâhen! wenne kum ich dir sô nâhen daz sich mîn herze erküele an dir!

Gott möge ihm dort gnädig sein! Nun will ich meine Erzählung dort wieder aufnehmen, wo ich sie unterbrach. Herr Wigalois lag hier mitten unter der trauernden Menge. Eine liebliche Empfindung belebte ihm ganz und gar Herz und Sinne. Er sprach: „O weh, Minne, dein lieblicher Name sei geehrt! Niemand sollte dir feindlich gesinnt sein; du bist ein zärtlich zu sprechendes Wort, besitzt aber eine scharfe Spitze und eine harte Schneide. Was leide ich an Kummer deinetwegen und was habe ich (bereits) erlitten! Allzu tief hast du mich getroffen mitten durchs Herz! Frau Minne, ich muss dein Gefangener sein; du hast mich ganz mit deiner Macht dorthin gezogen, von wo ich nicht fliehen kann. Ja, sie ist meines Herzens Tageslicht und Wunschbild meiner Gedanken. Frau Larie, Königin, wann darf ich dich sehen? Meine Augen haben richtig zu urteilen vermocht, als sie dir das Lob zusprachen. Wann werde ich dir so nahe sein, dass sich mein (heißes) Verlangen an deiner Gegenwart stille! Du musst zu Recht die meine sein, denn ich habe dich, Herrin, durch Kampf errungen!“ Er gebärdete sich derart, als ob sie dort bei ihm wäre. Graf Adan fasste ihn sogleich, am Arm zog er ihn fort. Er sagte: „Herr, denkt daran, was jetzt für Euch das Beste sei, und lasst ab von jenen (anderen) Gedanken. Euer Leid wird nun ein Ende nehmen. Lasst uns die Toten begraben,

du solt von rehte werden mir, wand ich dich, vrouwe, erstriten hân.‘ sîn gebærde wart alsô getân sam si bî im wære dâ. grâve Adân der vienc in sâ; bî dem arme zôch er in dan. er sprach ‚herre, gedenket dar an daz iu nû daz wægest sî und lât solhe gedanke vrî. iuwer leit daz sol nu ende haben. die tôten lâze wir begraben

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und haben uns an der vreuden vart.‘ der rede im dô gevolget wart dô sich her Gwîgâlois versan. Rôaz der wart verstolen dan zehant von der tievel schar daz sîn dâ niemen wart gewar unz daz man in ûz solde tragen; dô huop sich alrêrst grôzez klagen und weinen von den vrouwen. ‚hie bî mugt ir schouwen‘ sprach her Gwîgâlois der degen ‚daz unser toufe und unser segen ein schirm vür den tievel ist. wolt ir gelouben an Krist, nâch dem wir kristen sîn genant, sô enpfienget ir zehant der engel genôzschaft und enmöhte iu niht des tievels kraft geschaden noch sîn arger list vor dem der uns dâ schirmende ist, wan daz ist der wâre got. wir gelouben daz in sînem gebot ist swaz ie geschaffen wart und daz er schirmet und bewart swaz sîn genâde erkennet. unser gloube in alsô nennet: vater, sun, hêrre geist. sô ist daz unser volleist, der gotes sun, der mägde kint. die an disem glouben sint und behaltent kristen ê, die sint ze gnâden immer mê. nu schaffet daz ez iu alsam ergê!‘

und halten wir uns an den Weg der Freude.“ Diesen Worten wurde Folge geleistet, als sich Herr Wigalois wieder besann. Roaz wurde darauf von der Schar der Teufel heimlich weggeführt, so dass es niemand bemerkte bis zu der Zeit, als man ihn hinaustragen wollte. Da erhob sich erst recht mächtiges Klagen und Weinen von den Damen. „Hieran könnt ihr sehen,“ sagte der Held Wigalois, „dass unsere Taufe und der Priestersegen ein Schutz vor dem Teufel sind. Wenn ihr an Christus glauben wolltet, nach dem wir Christen benannt sind, so würdet ihr sogleich in die Gemeinschaft der Engel aufgenommen; und weder die Gewalt des Teufels noch seine Arglist könnte euch schaden im Angesicht dessen, der euch dort beschützt, denn dies ist der wahre Gott. Wir glauben, dass unter seiner Gewalt alles je Erschaffene steht und dass er schirmt und schützt, was immer seine Gnade anerkennt. Unser Glaube benennt ihn so: Vater, Sohn, heiliger Geist. So ist dies unser Beistand: der Sohn Gottes, der Jungfrau Kind. Die diesem Glauben anhängen und die Glaubensgrundsätze der Christen bewahren, die besitzen ewige Gnade. Nun tragt Sorge, dass es euch ebenso ergehe!“

Mit triuwen sprach der grâve Adân ‚ich wirde im gerne undertân swer vor dem tievel mich bewart. ez ist ein jæmerlîchiu vart sol nu der mensche ze helle varn. mac iuwer segen mich bewarn vor der helle und kristen ê, sône wil ich mich niht sûmen mê ich enpfâhe der kristen ê zehant. solde mîn sêle des wesen pfant des der lîp hie begât, und daz ir nimmer würde rât, sône hêt ich hie niht wol gevarn;

Aufrichtig sagte Graf Adan: „Wer immer mich vor dem Teufel schützt, dem unterstelle ich mich gern. Es ist eine jammervolle Reise, sollte der Mensch zur Hölle fahren. Vermag euer Segen und christlicher Glaube mich vor der Hölle zu schützen, so werde ich nicht länger zögern und sogleich den christlichen Glauben annehmen. Müsste meine Seele dafür einstehen, was der Leib hier verübt, und dass ihr niemals mehr zu helfen wäre, dann hätte ich hier nicht recht gelebt;

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den selben tôt sol ich bewarn. vervluochet sî diu heidenschaft, sît an ir des tievels kraft sînen gwalt mac erzeigen. ich wil mich dâ hin neigen dâ sîn gewalt ende hât und mîner sêle wirdet rât. wâ nû der touf? ich bin bereit, sît ûz unser ê hin treit der tievel einen sô werden man. mîner sêle ich niemen gan wan dem der si geschaffen hât, in des gewalt diu werlt stât, der ie was und immer ist. den nennet ir den wâren Krist; der ist den ich dâ meine; er ist got alters eine und iedoch endriu genamt; sîn gotheit diu ist ensamt und immer ungescheiden. swie gar ich sî ein heiden, von dem gedanke kom ich nie ichn minnet iedoch den got ie der uns geschuof von nihte. nu bin ich an die rihte alrêrst des gelouben komen; dâ von ich wunder hân vernomen, dem wil ouch ich nu volgen nâch; zer toufe wart dem grâven gâch. dône was niht pfaffen bî im dâ. her Gwîgâlois der sprach sâ ‚wir sulen bîten, grâve Adân, got hât wol zuo uns getân: er hât mir den sic gegeben und iu daz êwige leben geoffent genædiclîche; sus sî wir beide rîche von gotes gnâden worden. ir sult in Kristes orden die toufe enpfâhen und kristen ê; ich wil benamen nû niht mê mîn leit mit solhem jâmer klagen. wir sulen got genâde sagen und unser liep mit vreuden tragen.‘

einen solchen Tod weiß ich zu vermeiden. Verflucht sei das Heidentum, da doch an ihm die Macht des Teufels ihre Herrschaft erweisen kann. Ich werde mich dorthin wenden, wo seine Herrschaft endet und meiner Seele Hilfe zuteil wird. Was ist nun mit der Taufe? Ich bin bereit, da der Teufel aus unserem Glauben heraus einen so edlen Mann davonführt. Meine Seele vergönne ich nur dem, der sie erschaffen hat, unter dessen Herrschaft die Welt besteht, der stets war und ewig ist. Den bezeichnet ihr als den wahren Christus; der ist es, den ich im Sinn habe. Er ist alleiniger Gott und dennoch dreifach benannt; sein göttliches Wesen ist eins und stets ungeschieden. Obwohl ich ganz und gar ein Heide bin, hielt ich doch stets an dem Gedanken fest, dass ich dennoch den Gott stets liebte, der uns aus dem Nichts geschaffen hat. Jetzt (erst) bin ich auf den rechten Weg des Glaubens gekommen, von dem ich Wunderdinge gehört habe. Diesem werde auch ich nun nachfolgen.“ Der Graf wollte rasch die Taufe erlangen. Aber es gab dort keinen Geistlichen. Herr Wigalois sagte daraufhin: „Wir müssen warten, Graf Adan, Gott hat uns gegenüber wohl gehandelt: Mir hat er den Sieg verliehen und Euch das ewige Leben gnädig eröffnet; derart sind wir beide durch Gottes Gnade bereichert. Ihr werdet im Christenstand die Taufe und den christlichen Glauben empfangen. Ich werde nun wirklich nicht mehr meinen Schmerz mit solchem Jammer beklagen. Wir sollen Gott danken und uns dessen, was wir lieben, erfreuen!“

Des volget im der grâve Adân. ir klage wart dô hin getân;

Hierin folgte ihm Graf Adan. Da hörten sie auf zu klagen;

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ze vreuden rihten si ir leben. guot trôst den vrouwen wart gegeben von dem jungen wirte dâ. vrouwen Japhîten truoc man sâ mit grôzer klage vür daz tor; dâ legt man die reinen vor in einen rôten jâchant. den sarc man dâ stênde vant ûf zwein siulen êrîn. zwei glas gesetzet wâren dar în zir vüezen und zir houbet, – ichn weiz ob irs geloubet – diu wârn gefult mit balsamô; den zunde man, und brinnet alsô noch hiute, als mir ist geseit. ûf den sarc wart geleit ein saphîr lâzûrvar. den sarc hêt gemeistert dar Rôaz dô er gewaltes pflac. wart Gahmuret ze Baldac von dem bâruc bestatet baz, deiswâr, daz lâze ich âne haz, wand er hêt grôze rîcheit. umb disen sarc wart geleit von golde ein grôzez vingerlîn: – dar an was ir triuwe schîn – zwô hende nâch der triuwe. mit herzenlîcher riuwe vrouwe Japhîte wart begraben. mit guldînen buochstaben gesmelzet ûf den jâchant ein êpitâfîum man vant gebrievet von ir tôde hie, heidenisch und franzois, wie si starp von herzeleide. die schrift sagten beide ‚hie lît in disem steine vrouwe Japhîte diu reine, der ganzer tugent niht gebrast. ir kiusche truoc der êren last. an stæte gewancte nie ir muot; si was gewizzen unde guot und truoc die wâren minne. mit zühticlîchem sinne lebt si nâch wîplîchem sit; dem volget ganze triuwe mit. si was geborn von hôher art.

auf Freude richteten sie ihr Leben aus. Der junge Burgherr versicherte darauf die Damen seiner Hilfe. Frau Japhite trug man sodann unter heftiger Wehklage vor das Tor; davor legte man die Schöne in einen roten Hyazinth. Diesen Sarg konnte man dort auf zwei ehernen Säulen ruhend finden. Zwei Glasgefäße waren dort hineingestellt zu ihren Füßen und zu ihrem Haupt – ich weiß nicht, ob ihr dies glaubt – die waren mit Balsam gefüllt; den zündete man an, und genauso brennt er noch heute, wie mir berichtet wurde. Auf den Sarg wurde ein blauer Saphir gelegt. Den Sarg hatte Roaz konstruiert, als er noch herrschte. Falls Gahmuret zu Baldac von dem Baruc besser bestattet wurde, wahrlich, dann habe ich nichts dagegen, denn er verfügte über große Reichtümer. Um diesen Sarg herum wurde ein großer goldener Ring gelegt (dies gab ihre große Treue zu erkennen): zwei Hände als Zeichen der Treue. Mit aufrichtiger Trauer wurde Frau Japhite begraben. Aus goldenen Buchstaben auf den Hyazinth gegossen fand sich dort ein Epitaphium von ihrem Sterben dort geschrieben, auf Arabisch und Französisch, wie sie aus Herzenskummer starb. Beide Inschriften sagten Folgendes: „In diesem Stein liegt die schöne Frau Japhite, der nichts an vollendeter Tugend mangelte. Ihre Sittsamkeit trug das Gewicht der Ehre. Ihr Sinn war fest auf Beständigkeit gerichtet. Sie war verständig uns vortrefflich und trug die wahre Liebe in sich. Mit wohlerzogenem Sinn lebte sie, wie es einer Frau zukam, in aufrechter Treue. Sie war von hoher Abkunft.

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getriuwer wîp niene wart geborn noch sô valschlôs. ir schœnen lîp si verlôs von herzenlîcher riuwe; den tôt gap ir diu triuwe die si Rôaz, dem heiden, truoc, den Gwîgâlois, der kristen, sluoc. diu vrouwe was ein heidenin; von disem lîbe schiet si hin leider ungetoufet. im selben er sælde koufet swer umb den andern vrumt gebet. nu wünschet gnâden an dirre stet der sêle, swer die schrift hie lese, daz ir got genædic wese durch sîne grôze erbarmicheit, wan si den tôt von triuwen leit; diu riuwe ir abe daz herze sneit.‘

Keine getreuere noch aufrichtigere Frau wurde je geboren. Ihren schönen Leib verlor sie aus aufrichtiger Trauer. Die Treue, die sie Roaz, dem Heiden, hielt, brachte ihr den Tod: ihn erschlug Wigalois, der Christ. Die Dame war eine Heidin; leider schied (ihre Seele) von diesem Leib, ohne die Taufe empfangen zu haben. Sich selbst erwirbt Heil, der für einen anderen Fürbitte leistet. Nun wünsche, wer immer diese Inschrift liest, der Seele (Gottes) Huld, damit Gott ihr auf Grund seiner großen Barmherzigkeit gnädig sei, denn sie starb aus Treue; die Trauer schnitt ihr ins Herz.“

Beslozzen wart der edel stein. an ietwederm orte schein von golde ein rinc spanne wît; dâ mit was zer selben zît der saphîr ûf den sarc gehaben. von golde ein rouchvaz was ergraben besigelt ûf den jâchant, dar inne man zallen zîten vant mit süezem smacke brinnen dâ diu reinen thymîâmatâ. sus wart der sarc gehêret, grôz rîcheit dran gekêret, under einem [ge]welbe märmelîn; der gap wider ein ander schîn, rôt, grüene, weitîn und gel. daz gewelbe daz was sinwel, mit gemælde wol gezieret, von golde geparrieret. ditz was der heiden bethûs. der rîche künic Artûs möhte mit aller sîner habe die gezierde an dem grabe niht hân erziuget und den stein, dô er aller rîchest schein, dar inne diu vrouwe bestatet was. der estrich was als ein glas lûter, grüene, spiegelvar. daz gewelbe hêt gemeistert dar

Der Edelstein wurde geschlossen. An beiden Enden glänzte ein Ring von Gold, eine Spanne im Durchmesser; daran zugleich wurde der Saphir(deckel) auf den Sarg gehoben. Ein Räuchergefäß aus Gold geschnitten wurde auf dem Hyazinth versiegelt, worin man stets mit süßem Duft die herrlichen Thymiamata brennen fand. Auf diese Weise wurde der Sarg geschmückt, große Kostbarkeit aufgewandt, unter einem marmornen Gewölbe; der Marmor gab einen Widerschein, rot, grün, blau und gelb. Das Gewölbe war rund, mit Gemälden schön verziert und mit Gold abgesetzt. Dies war der Tempel der Heiden. Der mächtige König Artus könnte mir all seinem Besitz den Zierrat an dem Grabmal und den Stein, in dem die Herrin bestattet war, nicht bezahlen, selbst auf dem Gipfel seines Reichtums. Der Fußboden war wie aus Glas, klar, grün und spiegelblank. Das Gewölbe hatte

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Rôaz durch sînen hôhen muot. er hêt âne mâze guot; daz schein an der gezierde wol. nu was sîn hôchvart als ein kol mit dem lîbe erloschen gar. sus wârn verendet sîniu jâr, als ich iu gesaget hân. dô diu bivilde wart getân, [dô] giengen die vrouwen wol getân und daz gesinde mit klage dan dâ her Gwîgâlois dô stuont. si tâten als die wîsen tuont, die âne helfe mit leide lebent und sich dem zwîvel gar ergebent: si ergâben sich in sîn gebot und manten in bî dem wâren got daz er bedæhte ir swære und in genædic wære; si wolden im wesen undertân. des antwurt in der grâve Adân an der selben stunde, wand er die sprâche kunde, heidenisch und franzois. er sprach ‚mîn herre, her Gwîgâlois der wil iu gerne wesen guot, ob ir nâch sînem willen tuot; daz ist sîn rede und ouch sîn muot.‘

Roaz aus übergroßem Stolz aufführen lassen. Sein Besitz war ohne Maßen groß, das erwies sich wohl an dem Schmuck. Nun war seine Hoffart wie ein Stück Kohle mit dem Leib völlig erloschen. So endete seine Lebenszeit, wie ich euch erzählt habe. Nach dem Begräbnis schritten die schönen Frauen und das Gefolge mit Jammer dorthin, wo sich Herr Wigalois befand. Sie verhielten sich wie die Klugen, die ohne Hilfe im Leid leben, aber sich vor der Ungewissheit geschlagen geben: Sie unterstellten sich seiner Gewalt und mahnten ihn bei dem wahren Gott, ihren Kummer zu bedenken und ihnen gnädig zu sein; sie wollten ihm gehorsam sein. Darauf antwortete ihnen Graf Adan sofort, denn er konnte beide Sprachen, Arabisch und Französisch. Er sagte: „Mein Herr, Herr Wigalois will euch gern entgegenkommen, wenn ihr seinem Willen entsprecht; dies sind seine Worte und sein Wille.“

Si sprâchen ‚herre, wir sîn bereit im nâch sîner werdicheit ze dienen als sîn wille gert. er ist sô biderbe und sô wert daz er uns niht verderben lât. swaz mîn herre hie [ge]lâzen hât, daz nem er gar in sîne pflege.‘ sus wîsten si in von dem wege und zeicten im silber unde golt. si wurden im von herzen holt durch sîne tugent reine. golt und edel[ge]steine des vant er âne mâzen vil; dô was ab sîner vreuden zil von im ze verre; daz tet im wê. geltes engerte er niht mê wan daz er sîne âmîen, die schœnen Lârîen, dâ bî im hêt nâch sîner nôt.

Sie antworteten: „Herr, wir sind bereit, ihm seiner Würde entsprechend zu dienen, so wie er es wünscht. Er ist so tüchtig und vornehm, dass er uns nicht umkommen lässt. Die Hinterlassenschaft meines Herrn nehme er ganz in seine Obhut.“ So führten sie ihn beiseite und zeigten ihm Silber und Gold. Ihre Herzen neigten sich ihm zu um seiner edlen Tugend willen. An Gold und Edelsteinen fand er eine Unmenge vor; jedoch war seine höchste Freude viel zu weit entfernt; dies schmerzte ihn. Als Preis begehrte er nicht mehr, als dass er seine Freundin, die schöne Larie, nach seinem Kampf dort bei sich hätte.

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dem grâven Adân er gebôt, swaz er dâ guotes vünde, daz er sichs underwünde und ez im behielte durch sîn bet; sus underwant sich an der stet der grâve alles des dâ was. dô giengens ûf den palas. dâ vunden si den halsberc und daz heidenische werc dar inne Rôaz wart erslagen; daz hiez der alte grâve tragen in ein kemenâten von dem wege. dô hêt er gar in sîner pflege daz hûs und alle die rîcheit diu dâ zesamne was geleit, und swaz diu mûre umbe vie. mit dem grâven er dô gie in eine kemenâten dan; dâ entwâfent in der grâve Adân und wuosch im sîne wunden; dar nâch wart er gebunden mit vil grôzem vlîze wol. sîn herze wart dâ vreuden vol, wand er hêt überwunden gar swaz im leides ie gewar; diu sælde was sîn geleite dar.

Dem Grafen Adan bot er an, was immer er an Gut dort finden würde, in Besitz zu nehmen und es bitte bei sich zu behalten; sogleich nahm sich der Graf alles dessen an, was sich dort befand. Hierauf schritten sie hinauf zum Palas. Sie fanden dort den Halsberg und die heidnische Rüstung, in der Roaz erschlagen wurde. Der alte Graf befahl, sie fortzubringen in eine Kemenate. Darauf hatte er in seiner Obhut die Burg und allen Reichtum, der dort zusammengetragen war, und was immer die Mauern umschlossen. Mit dem Grafen begab sich (Wigalois) in eine Kemenate; dort entwaffnete ihn Graf Adan und säuberte ihm seine Wunden. Anschließend wurde er auf das Sorgfältigste verbunden. Sein Herz erfüllte sich mit Freude, denn er hatte vollständig bestanden, was immer ihn an Leid jemals bedrängte. Das Glück war seine Führerin dorthin gewesen.

Dô gebunden wart der degen und eine wîle was gelegen durch ruowe und einen slâf getet, dô entwachte er und sprach sîn gebet. er genâdet got vil tougen mit wazzerrîchen ougen der genâden die er an im begie. dar nâch er mit dem grâven gie dâ er den tisch gerihtet vant; dô saz er und enbeiz zehant. der grâve truoc im die spîse dar vil williclîch; dô nam er war daz sîn triuwe und sîn muot wider in was ganz unde guot; dône hêt er deheinen zwîvel mê. im tet niwan der jâmer wê nâch der mägde wol getân; der was sîn lîp undertân mit herzen und mit sinne; er truoc die wâren minne

Als der Held verbunden war, eine Weile ausgeruht und geschlafen hatte, erwachte er und sprach sein Gebet. Er dankte Gott insgeheim mit tränenerfüllten Augen für die Gnade, die er ihm bewiesen hatte. Danach begab er sich mit dem Grafen zum bereits gedeckten Tisch; er setzte sich und speiste sogleich. Der Graf trug ihm die Speise sehr zuvorkommend auf; da erkannte er, dass seine Treue und Gesinnung ihm gegenüber vollkommen und vortrefflich war; da blieb kein Zweifel mehr an ihm. Ihn schmerzte nur das Verlangen nach der schönen Jungfrau; der war er zu Diensten mit Herz und Verstand. Er brachte ihr die wahre Liebe

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ir mit ganzer stæticheit. ouch was si dar an verzeit daz er iht lebte; daz was ir klage in ir muote alle tage, wan si im guoten willen truoc; sîn leit ir an daz herze sluoc, des si doch niemen zuo gewuoc.

entgegen mit ungeteilter Beständigkeit. Hingegen hatte sie keine Hoffnung, dass er etwa noch lebte; dies war ihr täglich Grund zur Herzensklage, sein Leid schnitt ihr ins Herz, denn sie war ihm sehr zugetan, was sie jedoch niemandem gegenüber erwähnte.

Als der helt enbizzen was, dô gienc er von dem palas durch schouwen vür daz bürgetor;. dâ vant er gesatelt vor ein harte schœne kastelân. dô bat in der grâve Adân dar ûffe erringen sînen muot; des volget er im und dûhte in guot. dô er ûf daz ros gesaz, sîns jâmers er ein teil vergaz und vie ze vreuden niuwen muot, als der guote rîter tuot wen er ze velde kumt geriten und er nâch rîterlîchen siten sîn ros ze rehte ersprenget und im daz wol verhenget nâch sînem willen als er wil. dâ hebet sich reht rîterspil swâ der vil zesamne kumt den beidiu kunst und ellen vrumt; dâ wirt gehurt unde geslagen, dâ von si mâl müezen tragen grôze wunden unde biulen von swerten und von kiulen; ouch wirt verstochen lîhte ein sper sô dort kumt gevaren her ein poinder der niht vrides gert. ein kranker zügel unlange wert ern breste von zügen lîhte enzwei. würde genomen ein turnei von den Ôsterherren ûf daz Sant, dâ würde gevaterschaft entrant sô sich die poinder vlæhten und nâch gewinne dæhten. ich hân ir sliche wol ersehen, wie si nâch guote kunnen spehen sô sich der poinder wirret und si diu stat niht irret. dâ mac verliesen wol ein man

Als der Held gesättigt war, trat er vom Palas aus vor das Burgtor und sah sich um. Dort fand er ein bereits gesatteltes, überaus prächtiges kastilisches Pferd vor. Graf Adan bat ihn, sich damit aufzumuntern. Das befolgte er und er war es zufrieden. Als er auf dem Ross saß, vergaß er seinen Kummer ganz und freute sich wieder, so wie es der vortreffliche Ritter macht, wenn er auf den Turnierplatz reitet und auf ritterliche Weise sein Ross zum Lossprengen antreibt oder mit verhängten Zügeln laufen lässt, so wie er es will. Da beginnen die rechten Ritterkämpfe, wo immer viele von denen zusammentreffen, denen sowohl Geschicklichkeit als auch Mut eignet; da wird gestoßen und geschlagen, wovon sie Blessuren davontragen, große Wunden und Beulen von Schwertern und von Knütteln. Auch wird leicht eine Lanze verstochen, wenn von dort eine kampflustige Schar anrennt. Ein schwacher Zügel hält nicht lange: vom Ziehen bricht er leicht entzwei. Würde ein Turnier festgesetzt von den Österreichern auf das (Nürnberger) Sand, da würden Freundesbande aufgehoben, wenn sich die Scharen ineinander flechten sollten und auf Gewinn aus wären. Ich habe sie durchschaut: Wie die nach Beute Ausschau halten können, wenn der Kampf in Unordnung gerät und sie die Umstände nicht daran hindern. Da kann ein Mann,

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der niht mit rîterschefte kan swaz er ze velde bringet. nu hêt vil wol geringet der junge rîter sînen muot. daz ros was im vür trûren guot; sîn geverte im niuwe vreude gap. er reit ez in den walap dar nâch in die rabîne; er liez die schenkel sîne ze rehte vliegen gegen der man. swer nu rîter prüeven kan und an in rehten prîs erspehen, hêt er den rîter dô gesehen, er müese im ganzes prîses jehen.

der sich mit Ritterschaft nicht auskennt, was er auf den Turnierplatz mitbringt, wohl verlieren. Jetzt hatte sich der junge Ritter zur Genüge aufgemuntert. Das Ross hatte ihm gegen die Traurigkeit geholfen; sein Ritt gab ihm neue Freude. Er ritt es im Galopp, anschließend im gestreckten Lauf. Er ließ seine Schenkel gleichsam der Mähne entgegenfliegen. Wer immer heute Ritter zu beurteilen vermag, wer an ihnen rechten Wert ersehen kann und diesen Ritter angeschaut hätte, der müsste ihm ungeteiltes Lob zuerkennen.

22. Einzug in Joraphas Ihn zu erheitern, tritt Adan ihm bei seiner Rückkehr auf die Burg mit sechs Fiedlern entgegen. Wigalois überträgt dem Grafen die Sorge für Glois und reitet zum Grafen Moral. Auf seine Mitteilung, dass Roaz erschlagen sei, erkennt er Wigalois als seinen Lehnsherrn an. Er habe jetzt Larie und zwei Königreiche erworben: Korntin und das am Lebermeer liegende Jeraphin, dessen König Rial ihrem Vater gleichfalls untertan gewesen. Moral leistet den Lehnseid und reitet nach Glois, wo Adan ihm Wigalois’ Worte bestätigt. Festlicher Einzug in Joraphas. Boten laden alle Fürsten zu einem Hoffest ein. Bejolarz, der Sohn des Grafen von Leodarz und der Bejolare, der Schwester des Grafen Moral, wird mit einem Liebesbrief zu Larie gesandt. Das Land sei befreit und sie werde aufgefordert, sich nach Joraphas zu begeben. Der Brief wird im Wortlaut wiedergegeben. Larie gesteht jetzt offen ihre Liebe. Mutter und Tochter, vom Gesinde begleitet, treten die Heimreise an. Beschreibung des Aufzugs. Moral begleitet sie nach Joraphas; Wigalois, von vielen Rittern umgeben, reitet ihr entgegen, begrüßt die Braut und Brautmutter. (8470–9048) 8470

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Sus reit er gegen der burc wider; von dem rosse erbeizter nider und haftez vür daz bürgetor an einer linden ast enbor. sînen willen hêt ez wol getân. dô gie gegen im der grâve Adân, mit im sehs videlære: die wolden im sîne swære mit videlen vertrîben. dô begunden si ez rîben mit künsticlîchen griffen, unz im was gar entsliffen diu swære von dem herzen sîn, wan daz ein grôzer jâmers pîn versigelt [en]mitten drinne lac

So ritt er wieder zur Burg zurück. Er stieg vom Ross herab und band es vor dem Burgtor an einen Lindenast. Es war ganz folgsam gewesen. Graf Adan kam ihm da entgegen in Begleitung von sechs Fiedlern: die wollten ihm den Kummer mit Fiedeln vertreiben. Da fingen sie an zu streichen mit kunstvollen Griffen, bis ihm sein Kummer vom Herzen ganz entwichen war, nur dass quälender Schmerz in dessen Innern versiegelt lag,

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des er zallen zîten pflac. swie manger hande vreude er sach, sîn herze iedoch des einen jach ‚mirn wirt nimmer jâmers buoz ich enpfâhe ir minne und ir gruoz der güete mir sô nâhen lît.‘ ditz was sîn stæticlîcher strît. dô die herren sâhen daz diu sunne nâhen ir louf hêt verendet gar, dô nâmen si des nebels war den man dâ nider sîgen sach. her Gwîgâlois zem grâven sprach ‚heizet den harnasch bringen her, iuwern schilt und iuwer sper, und rît[et] ouch selbe mit mir dar. ich wil der zît nemen war wenne der nebel nider gê. wir suln daz rat stellen ê. ich wil ûz ze Joraphas, dâ ich gester morgen was, zem grâven Môrâle.‘ dô nam er deheine twâle; er wâfent sich und reit von dan. dô volget im der grâve Adân zuo dem rade dâ ez gie. daz wazzer er dô ûf vie; zehant gestuont daz selbe rat. den getriuwen grâven er dô bat daz er des landes huote; des wolde er im mit guote gerne lônen; daz lobt ouch er. er sprach ‚herre, iuwer gewer wil ich des landes gerne sîn. ich nim daz ûf die triuwe mîn daz ichz iu behalte, wan mich mac mit gewalte nieman dâ von gescheiden. swie ich sî ein heiden, ich gestên iu zaller iuwer nôt michn irre es danne der bitter tôt.‘ des gnâdeter im und wart sîn vrô. durch daz tor reit er dô. geoffent wart diu selbe vart diu mit dem rade was bespart an der selben stunde. der grâve dem herren gunde

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den er stets behielt. Wie zahlreiche Freuden er auch zu Gesichte bekam, sein Herz sprach nur über das eine: „Meinem Kummer setzt nichts ein Ende, wenn ich nicht ihre Liebe und ihr Wohlwollen erfahre, deren Vortrefflichkeit mir so nahe geht.“ Mit diesem (Gedanken) kämpfte er stets. Als die Herren sahen, dass die Sonne beinahe ihren Lauf ganz beendet hatte, bemerkten sie den Nebel, den man dort sich niedersenken sah. Herr Wigalois sagte zum Grafen: „Lasst den Harnisch herbeibringen, Euren Schild und Speer, und reitet auch mit mir dorthin. Ich will die Zeit nutzen, wenn der Nebel sich senkt. Wir müssen zuerst das Rad zum Stillstand bringen. Ich will hinaus nach Joraphas, wo ich gestern früh war, zu dem Grafen Moral.“ Er zögerte nicht, sondern waffnete sich und ritt davon. Es folgte ihm Graf Adan zu dem umlaufenden Rad. Er staute das Wasser; sofort blieb das Rad stehen. Den treuen Grafen bat er da, das Land zu schützen; dafür wollte er ihn gern mit Besitz belohnen; jener versprach, dies zu tun. Er sagte: „Herr, ich freue mich, in diesem Lande Euer Statthalter zu sein. Ich schwöre bei meiner Treue, dass ich es Euch bewahre, denn mich kann mit Gewalt niemand davon trennen. Wiewohl ich ein Heide bin, stehe ich Euch in jeder Gefahr bei, wenn mich daran nicht der bittere Tod hindert.“ Er dankte ihm und freute sich darüber. Dann ritt er durch das Tor. Der Weg stand offen, der mit dem Rad versperrt gewesen war, zur angegebenen Zeit. Getreu erwies der Graf seinem Herren

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mit triuwen grôzer êren. dannen begunder kêren die strâze gegen Joraphas. dô kom er dâ erbeizet was grâve Môrâl mit den sînen. sîne triuwe liez er schînen dô er den rîter komen sach. wider die sînen er dô sprach ‚dort kumt ein rîter geriten her! ich wæne wol daz ist der gester morgen von uns schiet.‘ ieslîcher dô besunder riet ‚nein! der schilt ist im ze glanz, unverhouwen unde ganz.‘ ‚dâ ist ein boie geslagen an von golde; den vüert der grâve Adân anders niht wan durch den list daz er ein gevangen ist.‘ ‚ditz ors ist blanc, daz sîn was rôt.‘ ‚waz ob er lebet?‘ ‚nein, er ist tôt!‘ ‚wer weiz daz?‘ – nû vuort er daz rat verhouwen, des sîn herze ie bat; dô erkanden si in an der stat.

höfliche Ehrerbietung. Der ritt die Straße nach Joraphas fort. Er kam dorthin, wo sich Graf Moral mit den Seinen niedergelassen hatte. Er erwies ihm die Treue, als er den Ritter herannahen sah. Zu den Seinen sagte er darauf: „Dort kommt ein Ritter herangeritten! Ich bin sicher, es ist, der uns gestern früh verlassen hat.“ Jeder von ihnen hatte seine eigene Ansicht: „Nein, sein Schild ist viel zu glänzend, ohne Kampfesspuren und unversehrt.“ „Von Gold ist eine Fessel daran geschlagen; die führt der Graf Adan mit der Absicht (anzuzeigen), dass er ein Gefangener ist.“ „Dies Ross ist weiß, seines war rot.“ „Ob er noch lebt?“ „Nein, er ist tot!“ „Wer kann das wissen?“ – Nun trug er das Rad, mit Kampfesspuren, so wie er es stets gewünscht hatte; daran erkannten sie ihn sogleich.

Zen orsen si dô sprungen. dô wart sêre gedrungen, gehurt durch sîne liebe dar. vil schiere der rîter wart gewar daz ez vriunde wâren; dône wolde er ir niht vâren. sîn sper hêt er gesenket nider; daz zuhte er ûf vil gâhes wider. der grâve Môrâl enpfienc in dô, dar nâch die rîter; si wâren vrô daz er sô sigelîche reit. der grâve sprach ‚herre, seit ob ir ze Glois habt gestriten?‘ er sprach mit zühticlîchen siten ‚jâ, des ist unlougen.‘ des getriuwen grâven ougen vor vreuden über liefen dô. er sprach ‚lieber herre, sô sult ir uns wærlîche sagen ob der heiden sî erslagen.‘ ‚jâ, benamen!‘ sprach der degen. ‚sîn hôher muot der ist gelegen und sîn gewalt den er begie.‘

Sie eilten zu den Rossen; man drängte ihm zuliebe, sich gegenseitig wegstoßend, auf ihn zu. Sofort bemerkte der Ritter, dass es Freunde waren; da wollte er sie nicht gefährden. Seine Lanze hatte er (schon) herabgesenkt, die riss er wieder schnell empor. Graf Moral begrüßte ihn, danach folgten die Ritter; sie waren froh, dass er so siegreich ausgeritten war. Der Graf redete ihn an: „Herr, berichtet, ob Ihr in Glois gekämpft habt!“ Er antwortete mit höfischem Anstand: „Ja, so ist es.“ Die Augen des getreuen Grafen füllten sich mit (Freuden-)Tränen. Er fuhr fort: „Lieber Herr, dann müsst Ihr uns auch die Wahrheit darüber sagen, ob der Heide tot ist.“ „Ja, er ist’s“, sprach der Held. „Seine Hochfahrt hat ein Ende gefunden und auch die von ihm ausgeübte Gewalt.“

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vor liebe er in dô umbe vie und kuste in an die hende sîn. er sprach ‚lieber herre mîn, nû ist ergangen des ich bat. ouch sol ich hie an dirre stat mîniu lêhen von iu hân. ich wil werden iuwer man und leisten swes ir, herre, gert, wand ir sît aller êren wert. iu hât verdienet iuwer hant eine schœne maget und zwei lant; dâ von ir mugt nâch wunsche leben; diu Sælde hât iu wol gegeben. ouch wil ich iu vür wâr sagen: iuwer houbet sol zwô krône tragen: diu eine hœret ze Korntîn, diu ander ze Jeraphîn; daz lant lît an dem lebermer. si sint gwesen mit solher wer sît Rôaz der lande pflac daz sîn gewalt dâ ringe wac. si wârn dem künige undertân dâ von ich ê gesprochen hân, den Rôaz der heiden sluoc; die krône er gwalticlîche truoc. si dienent gerne iuwer hant swen in diu wârheit wirt bekant daz Rôaz erslagen ist. herre, nu tuot niht lenger vrist; enpfâhet mich, als ich hân gegert!‘ er sprach ‚herre, des sît gewert.‘ dô wart gevolget sîner bet: er enpfie in und lêch hin an der stet daz im sîn vater niht lâzen hêt; diu êre die zagen gar vergêt! dô diu rede verendet wart, der grâve huop sich an die vart, er und ein sîn dienestman, gegen Glois ûf die plân. den herren bat er bîten dâ. vür daz tor rante er sâ; dâ bî habt der grâve Adân; den bat er sich wizzen lân ob der heiden wære erslagen. er sprach ‚jâ! ouch sult ir klagen mîner vrouwen Japhîten nôt,

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Vor Freude umarmte er ihn und bedeckte seine Hände mit Küssen. Er sagte: „Mein lieber Herr, nun ist geschehen, worum ich stets bat. Auch will ich hier zur Stelle meine Lehen von Euch entgegennehmen. Ich will Euer Vasall werden und tun, was immer Ihr, Herr, wünscht, denn Ihr seid aller Ehren wert. Eure Hand hat Euch erworben eine schöne Jungfrau und zwei Länder; mit denen könnt Ihr ein vollkommenes Leben führen, das Glück hat Euch reich beschenkt. Ferner will ich Euch zusichern: Euer Haupt wird zwei Kronen tragen. Die eine gehört nach Korntin, die andere zu Jeraphin; dieses Land liegt an dem Lebermeer. Die Leute dort hatten so hartnäckigen Widerstand geleistet, seit Roaz Herr über die Länder wurde, dass seine Macht dort nichts ausrichten konnte. Sie waren dem König untergeben, von dem ich zuvor gesprochen hatte, den der Heide Roaz erschlug; die Krone trug er mit Macht. Sie werden Euch gerne dienen, wenn sie erfahren, dass Roaz erschlagen wurde. Herr, nun schiebt es nicht länger auf: Nehmt mich auf, so wie ich es wünschte!“ Er antwortete: „Herr, es sei Euch gewährt.“ Man folgte seiner Bitte. Er nahm ihn auf und verlieh ihm sogleich, was ihm sein Vater nicht vererbt hatte; solche Ehre geht an den Feiglingen ganz vorbei! Als dies beendet war, machte sich der Graf auf den Weg – er selbst und einer seiner Ministerialen – nach Glois auf die Aue. Den Herrn bat er dort auszuharren. Er sprengte vor das Tor; an dessen Seite befand sich Graf Adan; den bat er, ihn wissen zu lassen, ob der Heide erschlagen wäre. Er sprach: „Ja! Auch müsst Ihr den Jammer meiner Herrin Japhite beklagen,

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diu lac vor leide nâch im tôt. ouch muoz ich von schulden klagen einen künic der lît hie erslagen, Gârel von Mirmidône. in dem selben lône lît Karriôz und Marrîên. in des gebot ich hie stên der daz allez hât getân. swâ ich im gedienen kan, deiswâr, des ist er unbehert: sîn manheit mit sælden vert. er rîtet gegen Joraphas ze iuwerm hûse, dâ er ê was; ir sult in wol enpfâhen dâ.‘ er sprach ‚ich tuon.‘ dô kêrter sâ von der hôhen brücke nider ze sînem lieben herren wider. den helm er im abe bant; sper, schilt und îsengwant hiez er die knappen vüeren dô. si lobten got und wurden vrô daz im sô wol gelungen was. sus kômen si ze Joraphas geriten vür daz bürgetor. dâ was michel vreude vor von manger hande seitspil; man hôrte dâ busûnen vil blâsen nâch der heiden sit; dâ sluogens unde wurfen mit die tambûr mit behendicheit; der galm dâ wider ein ander streit sô daz diu burc al erhal. von dem tor gie her zetal engegen im diu wirtîn. si hiez in willekomen sîn und kuste in an sînen munt. die andern vrouwen tâten im kunt ir gruoz nâch wîplîchem sit. ob er zuo den vrouwen rit? nein, er was erbeizet vor. si truogen in mit gedrange enbor die in dâ gerne sâhen. dâ was grôz enpfâhen von dem wirte und von den sînen; si liezen an im schînen daz er in liep ze herren was. sus ruowet er dâ ze Joraphas

die folgte ihm vor Kummer nach. Auch darf ich zu Recht einen König beklagen, der hier erschlagen liegt, Garel von Mirmidon. Den gleichen Lohn fanden Karrioz und Marrien. Ich stehe hier im Auftrag desjenigen, der dies alles vollbracht hat. Wo immer ich ihm dienen kann, wahrlich, das soll ihm nicht verwehrt werden. Seine Tapferkeit wird vom Glück begleitet. Er reitet gerade nach Joraphas zu Eurer Burg, wo er zuvor sich aufhielt; ihr müsst ihn anständig aufnehmen.“ Er sprach: „Das werde ich!“ Darauf kehrte er von der hohen Brücke herab zu seinem Herren zurück. Er band ihm den Helm ab; Speer, Schild und Rüstung befahl er den Knappen zu tragen. Sie lobten Gott und freuten sich über seinen großen Erfolg. So kamen sie nach Joraphas vor das Burgtor geritten. Davor gab es viel Unterhaltung; allerlei Saiteninstrumente wurden gespielt; man konnte dort zahllose Posaunen nach heidnischem Brauch hören; dort schlugen sie die Tamburine und warfen sie mit Geschick; ein Schall übertönte den anderen, so dass die ganze Burg davon erscholl. Vor dem Tor ging ihm die Burgherrin entgegen. Sie hieß ihn willkommen und küsste ihn auf den Mund. Die übrigen Damen entboten ihm ihren Gruß nach weiblichem Brauch. Ritt er auf die Damen zu? Nein, er war bereits vom Pferd gestiegen. Sie, die ihn gern dort sahen, führten ihn mit Gedränge hinauf. Es gab einen großen Empfang vom Burgherrn und den Seinen. Sie ließen es ihn erkennen, dass sie ihn gerne zum Herren hatten. So ruhte er zu Joraphas aus,

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unz daz man sîne âmîen, die schœnen magt Lârîen, brâhte dar von Roimunt. den vürsten allen tet man kunt mit den boten in diu lant, die âventiure hêt entrant von hôher art eins heldes hant.

bis man ihm seine Freundin, die schöne Jungfrau Larie, von Roimunt zuführte. Allen Fürsten wurde mit Boten in allen Ländern verkündet, die Aventiure hätte ein Held von hoher Abkunft bestanden.

Den vürsten allen wart enboten, beidiu mit brieven und mit boten, daz si kæmen ze Korntîn: dâ solden si ze dem hove sîn über sehs wochen. sus wart der hof gesprochen über diu lant wîten. loufen unde rîten hiez man die boten sâ zehant mit den brieven in diu lant. der grâve bereite sich dar zuo daz er des andern morgens vruo rit gegen Roimunt. diu mære wurden wîten kunt daz Rôaz wære erslagen; daz hôrte man lützel iemen klagen. des andern morgens der grâve gie vür sînen herren, dâ er enpfie einen brief und sîne botschaft als ez sînes herzen kraft und rehtiu liebe meinde; daz er sît wol bescheinde. der selbe brief besigelt was under einem adamas in ein guldîn vingerlîn; der stein solde ein zeichen sîn sîner stæten minne. mit worten und mit sinne enbôt er sîner âmîen, der schœnen magt Lârîen, sînen gruoz und allez guot, als noch vil dicke ein rîter tuot dar er herzeliebe treit und der sîn dienest ist bereit. der grâve nam urloup und schiet dan; mit im sîner dienestman driu hundert und ein sîn genôz; der was von gebürte grôz, des grâven sun von Lêodarz;

Allen Fürsten wurde mit Briefen und Boten entboten, nach Korntin zu kommen. Dort sollten sie beim Hoftag sein, (der) in sechs Wochen (beginnen würde). So wurde der Hoftag angesetzt weithin über die Länder. Zu Fuß und zu Pferd schickte man sogleich die Boten mit den Briefen in die Länder. Der Graf stellte sich darauf ein, am nächsten Tag früh nach Roimunt zu reiten. Die Nachrichten verbreiteten sich, dass Roaz erschlagen war; dies hörte man niemanden bedauern. Am nächsten Morgen begab sich der Graf zu seinem Herren, dort empfing er Brief und Botschaft, eingegeben von seinem (Wigalois’) Herzen und wahrer Liebe; dies gab er später recht zu erkennen. Dieser Brief war unter einem Diamanten in einen goldenen Ring gesteckt und versiegelt. Der Stein sollte ein Zeichen für seine beständige Liebe sein. In Worten und Gedanken entbot er seiner Freundin, der schönen Larie, seinen Gruß und alles Gute, so wie noch oft ein Ritter sich dorthin wendet, wo er Herzeliebe empfindet, und an die, der er dienen will. Der Graf verabschiedete sich und zog fort; mit ihm (reisten) dreihundert seiner Ministerialen und ein Standesgenosse. Er war von vornehmer Geburt, der Sohn des Grafen von Leodarz;

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der was geheizen Bejolarz, sîn muoter Bejolâre, diu süeze und diu klâre; der bruoder was der grâve Môrâl. dô nâmen si niht lenger twâl; ûz dem lande si dô riten nâch der vrouwen; diu hêt erliten vil jâmers nâch dem rîter guot; des was getrüebet ir der muot und ir herze an vreuden wunt. sus kâmen si ze Roimunt geriten an dem næhsten tage. ir grôzen jâmer und ir klage die boten in benâmen; dô si zem hûse kâmen, si wurden wol enpfangen. der grâve kom gegangen vür sîne vrouwen Lârîen, des wunsches âmîen. sînen mantel er von im gap. ditz was der rede urhap: ‚vrouwe, iu enbiut mîn herre sînen dienest alsô verre, der den heiden hât erslagen, daz ichz sô wol niht kan gesagen als ez sîn herze meinet; daz er iu wol bescheinet ob ir des, vrouwe, geruochet sîn dienest gnâde suochet – und ob er rehtes geniezen sol. sîn hant diu hât verdienet wol daz iuwer minne im lône: iuwer lant und iuwer krône hât mîn her Gwîgâlois erstriten und kumbers vil durch iuch erliten. er sendet iu ditz vingerlîn; der stein sol ein zeichen sîn sîner stæten minne.‘ dô sach si darinne gebrievet durch den adamas daz diu maget gerne las. der brief alsus geschriben was:

er hieß Bejolarz, seine Mutter war Bejolare, die liebliche und schöne, deren Bruder war der Graf Moral. Die säumten sich nicht länger; sie ritten aus dem Land zu der Herrin; die hatte viel Kummer um den vortrefflichen Ritter gelitten; davon war sie niedergeschlagen und ihr Herz freudlos. So trafen sie am nächsten Tag in Roimunt ein. Den heftigen Kummer und ihr Wehklagen nahmen die Boten von ihr; als sie zur Burg kamen, wurden sie zuvorkommend empfangen. Der Graf trat vor seine Herrin Larie, die Gespielin der Vollkommenheit. Er übergab (den Dienern) seinen Mantel. Dies war der Anfang seiner Ansprache: „Herrin, Euch entbietet mein Herr, der den Heiden getötet hat, auf solche Weise seinen Dienst, dass ich nicht imstande bin es genauso wiederzugeben, wie es sein Herz fühlt. Dies gibt er Euch wohl zu erkennen, wenn Ihr es, Herrin, wünscht; sein Dienst sucht Huld – wenn es ihm rechtmäßig zukomme. Seine Hand hat es sicher verdient, dass ihn Eure Liebe belohnt. Euer Land und Eure Krone hat mein Herr Wigalois erkämpft und große Not Euretwegen auf sich genommen. Er schickt Euch diesen Ring; der Stein soll ein Zeichen seiner beständigen Liebe sein.“ Da sah die Jungfrau darinnen versiegelt durch den Diamant, was sie gerne las. Der Brief hatte diesen Wortlaut:

‚Trôst in mînem leide, des wunsches ougen weide sît ir und der sælden spil. mit liebe ich immer grüezen wil

„Trost meines Leides, schönster Anblick der Vollkommenheit seid Ihr und des Glückes Gespielin. Mit Freude werde ich stets

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iuwern minniclîchen lîp. ich hân iuch vür älliu wîp erwelt mir ze lône. mîner vreuden krône, vrouwe Lârîe, daz sît ir. nu komet und enpfâhet von mir iuwer krône und iuwer lant; daz hât mîn sælde und mîn hant erlediget und diu gotes kraft. triuwe und rehte geselleschaft die leiste ich iu mit stæticheit. mîn herze iu wâre minne treit. ich bin als iuwer wille gert. sî ich sô biderbe und sô wert, sô komet unde heilet mich. iuwer gevangen bin ich; an mir ligent iuweriu bant.‘ niht mê si dâ geschriben vant. daz golt leit si an die hant.

Eure liebreizende Person begrüßen. Ich habe Euch vor allen anderen Frauen mir zum Lohn erwählt. Meiner Wonne Krone, Frau Larie, das seid Ihr. Nun kommt herbei und empfangt von mir Eure Krone und Euer Land; das haben mein Glück und meine Hand befreit – und Gottes Macht. Treue und rechte Verbundenheit halte ich Euch in Beständigkeit. Mein Herz liebt Euch wahrhaftig. Ich will so sein, wie Ihr es wünscht. Wenn ich angesehen und edel genug bin, dann kommt und heilt mich. Ich bin Euer Gefangener; in Eure Fesseln bin ich geschlagen.“ Mehr fand sie dort nicht geschrieben. Den Ring steckte sie an die Hand.

Ûf stuont diu maget rîche. vil gezogenlîche neic si des herren botschaft und antwurt ir vil endehaft. si sprach ‚gnâde mînes herren; im sol unlange werren der kumber den er von mir hât; ich gibe im helfe unde rât und mînen lîp ze lône. hêt ich tûsent krône, die solden im wesen undertân. er hât sô vil durch mich getân daz ichs im gerne lônen wil, beidiu mit ernste und mit spil, swie er sîn geruochet. swaz sîn wille suochet an mir, daz hât er vunden; ich heile im sîne wunden und gibe im solher minne teil dâ von sîn herze wirdet geil. ich wilz nu sprechen überlût: er was doch mînes herzen trût; ich hêt in mir ze liebe erkorn; er wart ze trôste mir geborn; wol der muoter diu in [ge]bar; nâch sînem willen ich gerne var durch sîne liebe swar er wil;

Die vornehme Jungfrau erhob sich. Auf höfische Weise verneigte sie sich vor der überbrachten Botschaft und beantwortete sie aufrichtig. Sie sprach: „Dank meinem Herrn. Ihn soll die Not nicht lange quälen, die er meinetwegen leidet; ich biete ihm Hilfe und Rat an und mich selbst als Lohn. Besäße ich tausend Länder, die müssten ihm untertan sein. Er hat so viel um meinetwillen vollbracht, dass ich es ihm freudig vergelten werde, im Ernst und auch im Scherz, wie er es auch wünscht. Was immer sein Wille an mir begehrt, das hat er gefunden; ich heile seine Wunden und gebe ihm solche Liebe, von der sein Herz froh werden wird. Ich will es nun öffentlich bekennen: er war doch meines Herzens Geliebter; ich hatte ihn zu meiner Freude erkoren. Als mein Helfer wurde er geboren; wohl der Mutter, die ihn zur Welt brachte! Ich folge seinen Wünschen gerne um seiner Liebe willen, wohin er auch will;

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des gibe ich iu niht lenger zil. wil mîn vrouwe, ich bin bereit! swaz mîn munt iht anders seit, daz ist niht mînes herzen wort, wan daz hât er bî im dort und ich daz sîne bî mir hie; der selbe wehsel ergie enzwischen uns beiden dô wir uns muosen scheiden.‘ vor vreuden si dô weinde. diu wârheit daz bescheinde daz ir der helt liep was. si sprach ‚ist er ze Joraphas?‘ der grâve sprach ‚vrouwe, jâ. alsô wunder ruowet er dâ und hât uns her nâch iu gesant.‘ diu schœne maget gie zehant vür ir muoter, die künigîn. si sprach ‚vrouwe und muoter mîn, sît uns got erhœret hât, sô ist mîn bet unde mîn rât daz wir hie niht lenger sîn; wir sulen varn zuo Korntîn in daz künicrîche.‘ daz lobten dô gelîche die dâ gesinde wâren, wan si in zehen jâren daz lant nie gesâhen. si begunden alle gâhen und bereiten sich zer heimvart. vil manger sprach ‚ô wol mich wart, daz ich sol ze lande varn! got müeze sînen lîp bewarn der uns daz lant geoffent hât!‘ schœne pfärt und rîchiu wât den vrouwen wart zer reise brâht. belîbens was in ungedâht; der verte wârens alle vrô. ûf die soumære luot man dô manger hande rîcheit: golt, gesteine, pfelle breit, vil gezierde wart darûf geleit.

ich setze Euch keine längere Frist. Wenn meine Mutter will, bin ich bereit! Wenn mein Mund irgendetwas anderes sprechen sollte, dann sind dies nicht die Worte meines Herzens; denn dieses hat er dort bei sich, während sich das seine hier bei mir befindet. Der Tausch erfolgte unter uns beiden, als wir uns trennen mussten.“ Sie weinte vor Freude. Dies bezeugte die Wahrheit, dass ihr der Held lieb war. Sie fragte: „Ist er auf Joraphas?“ Der Graf antwortete: „Ja, Herrin. Er ruht sich dort von seinen Wunden aus und hat uns zu Euch gesandt.“ Die schöne Jungfrau ging sogleich zu ihrer Mutter, der Königin. Sie sagte: „Herrin und Mutter, da uns Gott erhört hat, so ist meine Bitte und auch mein Rat, dass wir nicht länger hier verweilen. Wir müssen nach Korntin in das Königreich ziehen.“ Dem pflichteten gleichermaßen die Diener bei, denn sie hatten zehn Jahre lang das Land nicht gesehen. Alle eilten sie und rüsteten sich zur Heimfahrt. Sehr viele sagten: „Wie viel Gutes mir widerfährt, dass ich nach Hause ziehen darf! Gott möge das Leben dessen schützen, der uns das Land geöffnet hat!“ Schöne Reitpferde und kostbare Kleider wurden den Damen für die Reise gebracht. Zu bleiben kam ihnen nicht in den Sinn; sie alle freuten sich auf die Reise. Die Saumpferde belud man mit allerlei Kostbarkeiten: Gold, Edelsteine, breite Seidenbahnen, viel Schmuck wurde aufgeladen.

Diu altvrouwe Amênâ hiez. die burc si mit gedinge liez ir truhsæzen Azzadac, der manheit unde triuwen pflac.

Die Königin Mutter hieß Amena. Die Burg überließ sie vertraglich ihrem Truchsessen Azzadac, der tapfer und getreu war.

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sus vuoren si mit vreuden dan. die vart ich niht geprüeven kan sô wol als si geschicket was. von Roimunt ze Joraphas die köche riten vür enwec. der vrouwen garzûn, Schandalec, der hêt sich nâch in ûz erhaben; sîne gesellen und die knaben die man zer küchen ouch bedarf die truogen kröul die wâren scharf. den treip man die soume nâch. die knappen man dô ziehen sach diu ors dar nâch in einer schar; den volget daz gesinde gar. dar nâch die stolzen vrouwen riten; die vuorten kappen wol gesniten von brûnem scharlachen. mit schimpfe und mit lachen die rîter kurzten in die vart. ie zwein ein vrouwe bevolhen wart der si mit vlîze pflâgen. sine dorfte niht betrâgen der schimpflîchen mære; verswunden was ir swære und ir vreude ûf gestigen. zwô busûne selten swigen; die blies man daz engegen hal beidiu berge unde tal. sus vuoren si mit rîcheit. nâch der schar hinden reit des wunsches âventiure, der sælden crêatiure, vrouwe Lârîe, der vreuden kranz. ir gereite was von golde glanz und von gesteine lieht gevar; sus glast ez wider einander gar. den sitich man ir ze næhist zôch diu wîbes missewende vlôch. daz schœne pfärt diu maget reit als ez her Gwîgâlois erstreit mit rîterschefte ûf einer plân, dâ von er grôzen prîs gewan. eine kappen vuorte diu maget guot von pfelle; rôt als ein bluot was daz golt drîn geweben; die hêt ir grâve Môrâl gegeben ze stiure zuo ir heimvart,

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So zogen sie freudig davon. Wie trefflich die Reise organisiert war, kann ich euch nicht (in Gänze) schildern. Die Köche ritten von Roimunt nach Joraphas voraus auf den Weg. Der Page der Herrin, Schandalec, hatte sich nach ihnen hinausbegeben; seine Gesellen (die anderen Pagen) und die Knaben, die man auch in der Küche brauchte, die trugen scharfzinkige Gabeln. Denen schickte man die Saumpferde hinterher. Die Knappen sah man die Streitpferde in einer Schar hinterherziehen; nach ihnen alle Diener. Es folgten die prächtigen Damen zu Pferde. Sie trugen gut geschnittene Reisemäntel aus braunem Wollstoff. Mit Scherzen und mit Lachen kürzten die Ritter ihnen die Reise. Je zwei von ihnen wurde eine Dame anvertraut, der sie aufmerksam dienten. Sie hatten keinen Anlass, sich bei der heiteren Unterhaltung zu langweilen. Ihre Niedergeschlagenheit war verschwunden und die Freude zog herauf. Zwei Posaunen tönten stets, die blies man so, dass Berg und Tal den Schall zurückwarfen. So zogen sie aufs Prächtigste aus. Am Ende des Zuges ritt das Wunder der Vollkommenheit, das Geschöpf des Glücks, die Herrin Larie, der Freude (schönster) Blumenschmuck. Ihr Zaumzeug glänzte golden und von den hellen Edelsteinen; so strahlte es über und über. Den Papagei führte man ganz in deren Nähe mit, die sich als Frau untadelig führte. Die Jungfrau ritt das schöne Pferd, so wie es Herr Wigalois im Turnier auf einem freien Kampfplatz erkämpfte, wodurch er großen Ruhm errungen hatte. Die vornehme Jungfrau trug einen Reisemantel aus Seide; rot wie Blut war das Gold dort hineingewebt. Den hatte Graf Moral ihr gegeben als Gabe für ihre Heimreise,

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diu im sît wol vergolten wart; dâ was gefurrieret în ein veder wîz härmîn; dâ vor ein zobel ze rehte breit; ûf die kappen wârn geleit borten mit gesteine. ouch vuorte diu maget reine ûf ir houbet einen huot; der was von pfâvedern guot mit rôtem golde wol durchleit. ir muoter nâhen bî ir reit; die zoumte hovelîche Bejolarz der rîche. ir pfärt was swarz und ir gewant; dâ bî der jâmer was bekant den si nâch ir gesellen truoc, den Rôaz der heiden sluoc; aller vreuden si verpflac sît daz ir vreude an im gelac. Môrâl der grâve zoumte dô vrouwen Lârîen und was des vrô daz si sô rehte schœne was. sus brâhte er si ze Joraphas mit vreuden in ir eigen lant, dâ si den helt mit vreuden vant; des twanc in grôzer liebe kraft. er was mit sîner [ge]selleschaft ûz ze velde gegen in komen, wand er die botschaft hêt vernomen von ir garzûne Schandalec. der was an loufe alsô quec daz er vor in daz botenbrôt enpfie, dâ mit er sîne nôt überwant mit rîcheit. her Gwîgâlois mit vreuden reit von Joraphas ûf die plân engegen der mägde wol getân; der was sîn lîp undertân.

was ihm später wohl vergolten wurde. Als Futter war dort eingearbeitet ein weißes Hermelin-Pelzwerk; am äußersten Saum ein nicht zu schmaler Zobel. Auf den Mantel waren Borten mit Edelsteinen aufgenäht. Dazu trug die schöne Jungfrau einen Hut, gemacht aus Pfauenfedern, durchzogen mit roten Goldfäden. Ihre Mutter ritt in ihrer Nähe; ihr Pferd führte gemessen der vornehme Bejolarz. Ihr Reisepferd war schwarz wie auch ihr Gewand; daran konnte man das Herzeleid erkennen, das sie ihres Gatten wegen litt, den Roaz, der Heide, erschlagen hatte. Allen Freuden hatte sie entsagt, seitdem ihre Freude mit ihm erstorben war. Moral der Graf führte darauf das Pferd der Frau Larie und freute sich, dass sie so trefflich schön war. So brachte er sie mit Freude in ihr eigenes Land, nach Joraphas, wo sie den Helden in Freude antraf, die ihm die Macht großer Liebe eingab. Er war mit seinem Anhang ihnen auf freiem Feld entgegen gekommen, denn er hatte die Botschaft von ihrem Pagen Schandalec vernommen. Der war beim Laufen derart frisch, dass er vor ihnen das Botenbrot in Empfang nahm, womit er seine Nöte mit großem Gut besiegte. Herr Wigalois ritt freudig von Joraphas auf die Ebene der schönen Jungfrau entgegen. Ihr war er ergeben.

Mit im vil stolzer rîter riten, die ouch des vil kûme erbiten daz si ir vrouwen solden sehen. der schœne muose er prîses jehen swer ir lîp ie gesach; dar zuo was ir herzen dach gewizzen, scham und güete; ir antlütze daz blüete

Mit ihm ritten viele stolze Ritter, die es kaum erwarten konnten, ihre Herrin zu sehen. Wer immer sie erblickte, musste ihrer Schönheit Lob zollen; dazu war ihr Herz veredelt von Verständigkeit, Schamhaftigkeit und Vortrefflichkeit. Ihr Antlitz erblühte

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als ein rôse wol gevar; ir lîp was âne wandel gar. diu sælde ir ouch mit vlîze pflac. ir beider jâmer dâ gelac dô si her Gwîgâlois ersach. sîn munt ûz grôzen vreuden sprach ‚ô wol mich wart, vil lieber got! mir hât dîn helfe und dîn gebot dise magt ze vreuden brâht. des ich mir selbe niht hêt gedâht, daz hâstu mir gevüeget. der êren mich genüeget die du mir, herre, hâst gegeben, und læstu mir ze vreuden leben dise maget wol getân, die ich mir ze trôste hân erkoren und ze vreuden gar.‘ vor liebe wart er missevar dô er zuo ir kam geriten; diu minne sîn herze hêt versniten. ir schœniu varwe ouch wandel nam; ir wîplîch kiusche und ir scham machte si rôt und dar nâch bleich. ir ganziu varwe ir entweich dô si den helt bî ir sach, der vil minniclîche sprach ‚Lârîe, liebiu vrouwe mîn, ir sult mir willekomen sîn ze trôste nâch mînem leide. mîns herzen ougen weide sît ir und mîner vreuden kraft. stæte und rehte geselleschaft die sult ir mir erzeigen. ich wil mit dienest neigen mînen lîp in iuwer gebot, wand ich hân iuch mir nâch got zeiner gebieterinne erkorn. mîn arbeit ist niht verlorn ob iuwer minne mir lônen wil.‘ dô wart im gedanket vil von der mägde wol getân. si sach in güetlîche an, wan si truoc im holden muot. si sprach ‚mîn lîp und ouch mîn guot daz sol iu, lieber herre mîn, immer undertænic sîn. krône, zepter und mîn lant

wie eine prächtige Rose; ihr Körper war makellos. Auch nahm sich ihrer das Glück mit Sorgfalt an. Ihr beider schmerzliche Sehnsucht nahm ein Ende, als Herr Wigalois sie erblickte. Er sprach, bewegt von großer Freude: „Was ist mir Gutes widerfahren, lieber Gott! Mir haben dein Beistand und deine Macht diese Jungfrau zu meiner Freude zugeführt. Wovon ich nicht zu träumen wagte, das hast du mir beschieden. Ich habe an den Ehren genug, die du mir, Herr, gegeben hast und erlaubst, dass diese schöne Jungfrau, die ich mir als Trost und zu ganzem Glück erwählt habe, mir zur Freude lebt!“ Vor Liebe wurde er bleich, als er auf sie zugeritten kam; die Minne hatte ihn ins Herz getroffen. Auch ihre blühende Farbe wechselte; ihre weibliche Zurückhaltung und Schamhaftigkeit machten sie abwechselnd rot und bleich. Alle Farbe aber wich von ihr, als sie den Helden neben sich erblickte, der sie sehr freundlich ansprach: „Larie, meine liebe Herrin, seid als Trost nach meinem Leid willkommen. Ihr seid der schönste Anblick für mein Herz und die Quelle meiner Freuden. Beständige und wahre Gemeinschaft werdet Ihr mir erweisen. Ich werde mich mit Dienst Eurem Gebot unterwerfen, denn ich habe mich Euch nach Gott als Gebieterin erwählt. Meine Mühsal ist nicht umsonst aufgewendet, wenn Eure Liebe mich belohnen wird.“ Die schöne Jungfrau dankte ihm hierfür vielmals. Sie blickte ihn freundlich an, denn sie war ihm zugetan. Sie antwortete: „Ich und auch mein Besitz sollen Euch, mein lieber Herr, stets untertan sein. Krone, Zepter und mein Land

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daz hât erlediget iuwer hant; des ich iu gerne lônen wil beidiu mit ernest und mit spil nâch iuwerm willen als ir gert; iuwer werder prîs ist lônes wert. ir sult iuch underwinden mîn; in iuwer pflege wil ich sîn, ich und mîn gesinde gar.‘ vrouwe Amênâ reichte im dar ir tohter zoum mit der hant; her Gwîgâlois sich underwant alrêrst sîner âmîen, der schœnen magt Lârîen; des wart er herzenlîche vrô. gegen der burc reit er dô mit vrœlîchem schalle. die rîter begunden alle vor ir buhurdieren mit rîchen banieren. von hurte die schilte gâben schal sô daz manic knie geswal von hurte und von gedrenge. diu strâze wart vil enge von der edeln rîterschaft. dâ wart zebrochen manic schaft von slegen und von hurte enzwei. ez wære worden ein turnei, hêten si ir harnasch gehabet. desn wirt iu dehein eit gestabet: dâ was vil manic rîter guot, dem sô hôhe stuont sîn muot von den vrouwen die dâ riten daz si nach rîterlîchen siten diu ors mit hurte umbe triben unz in niht vil was beliben der schilte ganz an dem spil. ouch was dâ spilliute vil, die ir kunst [ouch] uobten dâ. zwô busûne blies man sâ vil krefticlîche vor dem tor. man vant dâ michel vreude vor von dem liute daz dâ was. sus brâhte der helt ze Joraphas die magt mit grôzer hêrschaft. aller vreuden überkraft vunden si nâch ir willen dâ. ir juncvrouwen enpfie dô sâ

hat Eure Hand befreit; dafür will ich Euch gerne Lohn geben, im Ernst und im Scherz Euch zuliebe, wie Ihr es begehrt; Euer edler Ruhm ist seines Lohnes wert. Nehmt Euch meiner an; in Eurer Obhut will ich sein, ich und mein Gefolge.“ Frau Amena übergab ihm mit eigener Hand den Zaum des Pferdes ihrer Tochter. Herr Wigalois ergriff zum ersten Mal Besitz von seiner Freundin, der schönen Jungfrau Larie; darüber wurde er von Herzen froh. Zur Burg ritt er darauf hin, begleitet von fröhlichem Lärm. Die Ritter ritten alle einen Buhurt mit prächtigen Bannern. Vom Stoße krachten die Schilde, so dass zahlreiche Knie anschwollen von Stößen und vom Gedränge. Für eine offene Gasse blieb wegen des edlen ritterlichen Treibens wenig Raum. Viele Schäfte wurden durch Schläge und Stöße entzwei gebrochen. Es hätte ein Turnier daraus werden können, wenn sie ihre Harnische angehabt hätten. Ich stabe euch darüber keinen Eid: Es gab dort viele edle Ritter, die so freudig hochgestimmt waren, beim Anblick der Damen, die dort ritten, dass sie auf ritterliche Weise die Rosse zur Hurt antrieben, bis ihnen kaum noch unversehrte Schilde zu diesem Kampfspiel übrig blieben. Auch gab es dort zahlreiche Spielleute, die ihre Kunst zum Besten gaben. Zwei Posaunen ließ man mit Kräften vor dem Tore blasen. Davor vergnügte sich das Volk. Auf diese Weise führte der Held mit großer Herrlichkeit die Jungfrau nach Joraphas. Überfülle aller Freuden fanden sie dort nach ihrem Wunsche vor. Frau Beleare, die Burgherrin,

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vrou Bêlêâre, diu wirtîn, dar nâch die zwô künigîn. die vrouwen vuorte si von dem wege in ir heimlîche pflege, dâ in allez guot geschach und nâch ir willen guot gemach; der handelunge man prîses jach.

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empfing zunächst ihre Jungfrauen, danach die beiden Königinnen. Die Damen führte sie beiseite in ihre häusliche Obhut, wo ihnen alles Gute und willkommene Annehmlichkeit zuteil wurden; dieses Zuvorkommen lobte man.

23. Vermählung, Krönungsfest und Besuch des Vaters Beschreibung des Krönungsfestes und der hohen Gäste: König Rial von Jeraphin; drei Fürsten von Medarie, deren Herr, der König Schaffilun von Medarie und Belakun, von Wigalois getötet wurde; Elamie, Königin von Tyrus, und Marine, Graf Adans Enkelin mit zwölf Jungfrauen, die in Ritterkleidern Ritterschaft üben; Zaradech und Panschavar, zwei Könige aus Asien, Brüder Japhites; eine Menge heidnischer Herzöge und Grafen. Die Krönung wird vollzogen. Versammlung auf dem Palas. Larie trägt eine Kaiserkrone; ihr voran schreiten Marine mit einer zweiten Krone, Rial mit Wigalois’ entblößtem Schwert und Moral, den blutigen Speer tragend, mit dem Wigalois den Drachen getötet. Rial, der König von Jeraphin, übergibt Wigalois Larie als seine Gemahlin. Die Vasallen erklären sich mit ihrer ehelichen Verbindung einverstanden. Dann setzt Larie Wigalois die Krone aufs Haupt und befiehlt ihm ihre Person mit Land und Leuten, indem sie ihm ein goldenes Zepter überreicht. Beilager und Messe. Adan und Marine samt ihren Jungfrauen lassen sich taufen. Rial und viele andere Fürsten empfangen ihre Länder von Wigalois zu Lehen. Er befiehlt ihnen Karls Recht zu üben. In dem Augenblick kommt Gawein, dem Wigalois einen Brief geschickt hatte, von Erec, Lanzelet und Iwein begleitet, mit großem Gefolge herangeritten. Ihre Schilde sind bedeckt, damit man sie unterwegs nicht erkenne. Gawein tritt mit seinem Sohn beiseite und erkundigt sich nach Florie. Gaweins Klage über ihre Trennung und seine Freude über den Ruhm seines Sohnes. Der Dichter: Preis der Frauen. Gawein ist von Laries Schönheit entzückt. (9049–9770)

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Her Gwîgâlois durch sîne zuht vermeit der wâren minne vruht, daz er ir minne niene pflac noch bî der schœnen nie gelac unz daz er si ze stæte nam. dô diu zît des hoves kam, die vürsten riten in daz lant nâch den der helt hêt gesant. Rîâl, der künic von Jeraphîn, kom mit den gesellen sîn gevaren vrümiclîche; er wolde sîn künicrîche enpfâhen von des heldes hant der den heiden überwant. vür Korntîn ûf daz velt wart vil manic hôch gezelt von pfelle geslagen ûf daz gras.

Herr Wigalois hielt sich aus Höflichkeit von der Frucht der wahren Liebe fern, so dass er ihre Liebe nicht empfing noch der Schönen beilag, bis er sie zur Frau nahm. Als die Zeit des Hoftags gekommen war, kamen die Fürsten ins Land, nach denen der Held gesandt hatte. Der König von Jeraphin, Rial, kam mit seinem Anhang wacker angereist; er wollte sein Königreich von der Hand des Helden, der den Heiden überwunden hatte, entgegennehmen. Auf der Ebene vor Korntin wurden viele hohe Zelte aus Seidenbahnen auf den Wiesen errichtet.

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swaz volkes mit dem künige was gevarn von sînem lande, die riten helfande, als uns diu âventiure giht. daz selbe lant hât rosse niht, niwan helfande; die ziehents in dem lande. der brâhte der künic zweinzic dar. die truogen sîn gesinde gar, dar zuo grôze rîcheit: zobelbelge und pfelle breit, härmîn, bunt unde grâ; niht ander kleider vint man dâ; des brâhte der künic wunder dar. ouch kom geriten ein ander schar vür daz hûs ze Korntîn: – an den was grôz[er] jâmer schîn – drî vürsten rîche und wol bekant. Medarîe hiez ir lant; von danne wâren si geborn. ir herren hêten si verlorn ûf dem gevilde bî Roimunt; er wart von einer joste wunt mit einem sper von Angran sô sêre daz der werde man sich dem tôde muose ergeben. ich sagiu wer im nam daz leben: her Gwîgâlois, der wîgant. der herre wart mir sus genant: der werde künic Schaffilûn; Medarîe und Belakûn, diu lant wâren im undertân. sus verlôs der werde man an rîterschefte sînen lîp. den solden klagen älliu wîp: sîn dienst in allen was bereit. durch [die] vrouwen Lârîen er reit die âventiure erwerben; ein jost diu lêrte in sterben ûf dem gevilde bî Roimunt. den selben vürsten was unkunt daz ir herre wart erslagen, wan diez in wider solden sagen, die muosen ir sicherheit bewarn; ze Britanje wâren si gevarn, als in her Gwîgâlois gebôt. die vürsten klagten ir herren tôt

Was an Volk mit dem König aus seinem Land angereist war, das ritt auf Elefanten, so berichtet es unsere Quelle. In diesem Land gibt es keine Streitrosse, nur Elefanten, die werden dort abgerichtet. Zwanzig von ihnen brachte der König mit. Sie trugen sein ganzes Gefolge, darüber hinaus noch große Kostbarkeiten: Zobelfelle und breite Seidenbahnen, Hermelin, Bunt- und Grauwerk. Andere Kleider fand man dort nicht; davon brachte der König eine Menge mit. Auch eine andere Schar kam vor die Burg nach Korntin geritten – man sah ihnen großen Kummer an: drei Fürsten, mächtig und berühmt. Ihr Land hieß Medarie; von dort stammten sie. Ihren Herren hatten sie verloren auf dem Feld vor Roimunt; er wurde bei einer Tjost so heftig mit einem Speer aus Angram verwundet, dass der vornehme Mann sich dem Tod ergeben musste. Ich verrate euch, wer ihm das Leben nahm: Herr Wigalois, der Held. Der Herr wurde mir benannt als der vornehme König Schaffilun; Medarie und Belakun, diese Länder dienten ihm. Auf diese Weise verlor der vornehme Mann bei einem Ritterkampf das Leben. Um ihn sollten alle Frauen klagen: sein Dienst galt ihnen allen. Um der Frau Larie willen ritt er aus, die Aventiure zu bestehen; eine Tjost lehrte ihn den Tod auf dem Feld vor Roimunt. Denselben Fürsten war nicht bekannt, dass ihr Herr getötet worden war, denn die es ihnen berichten sollten, mussten ihre Sicherheit leisten. Sie waren nach Britannien gezogen, wie es Herr Wigalois befohlen hatte. Die Fürsten beklagten den Tod ihres Herrn,

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offenlîche und tougen, mit vliezenden ougen. si riten pfärt diu wâren kranc. ir hâr und ir berte lanc, ungeschorn und ungetwagen. ûf ir schilte wârn geslagen bâre von rôtem golde, dâ bî man sehen solde daz ir herre was erslagen; sus sach man si den künic klagen mit herzenlîcher riuwe. daz schuof ir grôziu triuwe; ir klage diu was niuwe.

öffentlich und im Verborgenen, mit Tränen. Sie ritten auf elenden Pferden. Ihr Haupthaar und ihre Bärte waren lang, ungeschoren und ungewaschen. Auf ihre Schilde waren Balken von rotem Golde angeschlagen, daran sollte man erkennen, dass ihr Herr erschlagen war. Auf solche Weise sah man sie mit aufrichtiger Trauer den König beklagen. Das setzte ihre große Treue ins Werk. Ihre Klage erhob sich immer aufs Neue.

Dar kom vrouwe Êlamîe geriten, durch die der helt hêt gestriten, her Gwîgâlois, der werde man, der er daz pfärt wider gewan, als ich dâ vor hân geseit. diu kom mit grôzer rîcheit gevaren und mit grôzer kraft. vil werde geselleschaft vuorte diu maget rîche: zwelf mägde sûberlîche, wol gekleit unde geriten; niht nâch wîplîchen siten: si vuorten mannes kleider an und hêtenz ofte guot getân an manger rîterschefte mit wîplîcher krefte. vil schœniu ors zôch man vor in. vrouwe Êlamîe, diu künigin, brâhte die wünniclîchen schar in ir geselleschefte dar. si wârn von Âlârîe geborn und hêten ir wîpheit verkorn und rîterschaft an sich genomen. ich sagiu wâ von daz was komen: diu ir aller vrouwe was, der en wart vor Dômas gevangen an einem strîte. nâch dem selben zîte nam si an sich rîters leben; des wart ir hôher prîs gegeben. si was ein maget wol getân. ir en hiez der grâve Adân, den Rôaz der heiden vie

Dorthin kam Frau Elamie geritten, für die der Held, Herr Wigalois, der ausgezeichnete Mann, gekämpft hatte, für die er das Pferd zurückeroberte, so wie ich es zuvor erzählt habe. Die kam mit großer Pracht und großem Gefolge angereist. Vornehmste Gesellschaft führte die edle Jungfrau mit sich: zwölf schön herausgeputzte Jungfrauen, gut gekleidet und auf besten Pferden, doch nicht nach Frauenart: Sie trugen Männerkleidung und hatten sich oft schon bewährt in vielen Turnieren mit ihrer Schar von Frauen. Sehr schöne Streitrosse führte man ihnen voran. Die Herrin Elamie, die Königin, brachte die anmutige Schar in ihrer Gesellschaft dorthin. Sie waren in Alarie geboren, hatten ihrem Frausein entsagt und sich ritterlichem Kampf verschrieben. Ich erzähle euch, wie es dazu kam: Die Herrin über sie alle war, deren Großvater wurde vor Damascus bei einem Kampf gefangen genommen. Nach diesem Vorfall nahm sie die Lebensweise eines Ritters an; dafür lobte man sie sehr. Sie war eine schöne Jungfrau. Ihr Großvater hieß Graf Adan, den Roaz, der Heide, gefangennahm,

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dâ schœniu rîterschaft ergie. an einer schumpfentiure valt in der ungehiure hinder daz ors; daz was im leit; und nam dâ sîne sicherheit als ich iu dâ vor hân geseit.

dort, wo treffliche Kämpfe stattfanden. Als er besiegt wurde, hatte ihn der Schreckliche vom Streitross geworfen, was ihn betrübte, und von ihm Sicherheit entgegengenommen, wie ich es euch zuvor erzählt habe.

Diu schœne magt Marîne hiez. deheine rîterschaft si enliez dâ man prîs solde bejagen, man müese von ir getât dâ sagen und von ir gesellen. si kunde wol gevellen mit rehter jost die rîter nider. beidiu vor des und ouch sider an rîterschefte ir magetuom bejaget rîterlîchen ruom. si was ir guotes milte. ûf kleidern und ûf schilte truoc si lewen guldîn. vrouwe Êlamîe, diu künigîn, vuor nâch wîplîchem sit; dem volgten rîche vürsten mit, grâven unde herzogen. si was dar an niht betrogen sine hêt rîcheit genuoc. ze Tyrô si [die] krône truoc; über al daz künicrîche gebôt si gwalticlîche. si was ein maget, niht ein wîp, und wolde des rîters lîp mit ir schœne erworben hân der ir daz pfärt wider gewan. dô was mîn vrouwe Lârîe, des wunsches âmîe, an wîbes schœne wandels bar; ir grôziu schœne erlaschte gar aller wîbe schœne. die schellen gâben gedœne an vrouwen Êlamîen gereite, geworht mit arbeite von golde vil meisterlîche. diu küniginne rîche erbeizte an einer wisen dâ vür daz hûs; dô vant si sâ ir gezelte ûf geslagen von samîte, daz hêt getragen

Die schöne Jungfrau hieß Marine. Sie ließ keine Gelegenheit zu ritterlichem Kampf aus, wo man Ruhm erringen konnte, so dass man Anlass hatte, von ihren Taten und Gefährtinnen zu sprechen. Sie vermochte wohl mit kunstgerechter Tjost die Ritter zu Fall zu bringen. Sowohl zuvor als auch danach errang die Jungfrau im Kampfe ritterliches Lob. Mit ihrem Gut ging sie freigebig um. Auf ihrer Kleidung und auf dem Schild führte sie goldene Löwen. Frau Elamie, die Königin, zog ein, wie es einer Frau geziemt; es folgten (ihrem Tross) mächtige Fürsten, Grafen und Herzöge. Es fehlte ihr nicht an großem Reichtum. Zu Tyrus trug sie die Krone; mit Macht gebot sie über das Königreich. Sie war eine Jungfrau, nicht verheiratet, und hatte den Ritter mit ihrer Schönheit für sich gewinnen wollen, der ihr das Pferd zurückerobert hatte. Frau Larie hingegen, Gespielin des Glücks, war von ganz makelloser Schönheit. Ihre vortreffliche Schönheit ließ die aller anderen Frauen vollkommen erblassen. Die Glöckchen an Frau Elamies Zaumzeug, ganz meisterlich verfertigt in Goldschmiedearbeit, erklangen melodisch. Die reiche Königin stieg an einer Wiese vor der Burg vom Pferd; sogleich fand sie ihr Brokatzelt dort aufgeschlagen; das hatte

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ein starkiu olbende dar: die snüere wârn von sîden gar; darûffe stuont ein guldîn ar.

ein kräftiges Kamel dorthin getragen; die Schnüre waren ganz aus Seide; ganz oben wachte ein goldener Adler.

Dar kômen von der heidenschaft geriten mit grôzer kraft zwêne künige ûz Asîâ; die wolden ir swester dâ, die getriuwen Japhîten, holn, die in der tôt hêt verstoln. dô ditz jæmerlîche leit den edeln künigen wart geseit, si huoben sich mit klage dar. ir herze wurden vreuden bar; daz si wol bescheinden: si klagten unde weinden, als ir triuwe in gebôt, des vil reinen wîbes tôt. die künige hiezen beide, als ich iu hie bescheide, Zaradech und Panschavar. ûf die rede kômen si dar daz si daz vil getriuwe wîp, der süezen vrouwen Japhîten lîp, mit in gevüeret wolden haben. dô was ir reiner lîp begraben und mit gezierde bestatet sô daz sis ze sehen wâren vrô. vür wâr wil ich iuch sagen daz: wart ie dehein wîp bestatet baz, daz wil ich lâzen âne haz.

Aus heidnischen Ländern kamen mit großer Heeresmacht zwei Könige, aus Asien, herangeritten. Die wollten dort ihre Schwester heimholen, die getreue Japhite, die der Tod ihnen geraubt hatte. Als dieses jammervolle Unglück den edlen Königen berichtet wurde, machten sie sich in Trauer dorthin auf. Dass die Freude ihre Herzen verließ, zeigten sie offen: sie beklagten und beweinten in (geschwisterlicher) Liebe den Tod der edlen Frau. Die beiden Könige hießen, wie ich euch jetzt sage, Zaradech und Panschavar. Sie waren in der Absicht dorthin gekommen, den Leichnam der treuen Frau, der liebreizenden Japhite, mit sich fortzunehmen. Doch die Makellose war so prunkvoll bestattet worden, dass sie es mit Zufriedenheit sahen. Wahrlich, ich will euch sagen, wenn jemals eine Frau nobler bestattet worden war, würde ich es anstandslos zugeben.

Ouch kâmen ûz der heidenschaft durch vreude und durch rîterschaft herzogen unde grâven vil. Korntîn, der vreuden zil, wart daz hûs dâ genant, wan man dâ zallen zîten vant vreude nâch des herzen gir – sus sagt diu âventiure mir – sît daz sîn begunde pflegen Gwîgâlois, der werde degen, und mîn vrouwe Lârîe. der zweier kurtosîe sich zem wunsche hêt geweten; si wâren ninder ûz getreten; ir zuht stuont an der mâzen zil;

Ferner waren vonseiten der Heiden um der Freude und der ritterlichen Kämpfe willen viele Herzöge und Grafen gekommen. Heimstatt der Freude wurde die Burg Korntin genannt, weil man jederzeit an Freude fand, was das Herz begehrte, – so berichtet es mir die Erzählung – seit Wigalois, der edle Held, und Frau Larie sie bewohnten. Ihr höfisches Wesen war vollkommen, ohne jede Ausnahme. Ihr Verhalten war Inbegriff des Angemessenen,

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des wurden si geprîset vil. dô si zem hove wâren komen, der namen ir wol habt vernomen, und der ich niht genennen kan, dô mohte man schouwen ûf der plân vil manic hêrlîch gezelt; dâ was rîcheite gelt wider einander gekêret. diu velt wârn gehêret mit banieren und mit schilten. die edeln rîter spilten aller hande rîterspil. man vant dâ kurzewîle vil, als des mannes muot was. her Gwîgâlois von Joraphas mit schalle küniclîche reit und manic rîter gemeit, wol gekleit unde geriten. ob rîterschaft dâ würde vermiten? nein, deiswâr! si tâtenz dâ verre baz dan anderswâ, wan dâ reit der sælden spil, der schœne ich niht gelîchen wil, diu süeze magt Lârîe, des wunsches âmîe. âvoy, wie stolzlîch si reit! mit rôtem samît gekleit was diu maget wol getân; dâ engegen ir munt von rœte bran als ein vil edel rubîn. an ir schœne was wol schîn daz ir der wunsch gedâhte: got si zer werlte brâhte dô ze vreuden stuont sîn muot. ezn gebluote nie schœner bluot dan ir antlütze lieht. mîn herze kan erdenken niht noch si mîn munt geprîsen sô sine wære verre schœner dô si zem hove kom geriten; zwô liehte varwe an ir striten: rôt und wîz alsam ein snê; doch behabte diu rœte ir strîtes mê, wand ez was in der sumerzît sô diu hitze rœte gît. bî ir reit der werde degen, des pflac der wâre gotes segen,

daher werden sie sehr gelobt. Als alle am Hof erschienen waren, deren Namen ihr wohl gehört habt, nebst jenen, die ich nicht alle aufzählen kann, da konnte man auf der Ebene zahllose prächtige Zelte sehen, die an Glanz miteinander wetteiferten. Das Gefilde war geschmückt mit Bannern und Schilden. Die edlen Ritter trieben alle Arten ritterlicher Kampfspiele. Man fand dort viel Kurzweil nach jedermanns Begehr. Herr Wigalois ritt unter Freudenlärm mit vielen höfischen Rittern, die gut gekleidet und beritten waren, wie ein König aus Joraphas heraus. Ob man Ritterschaft dort vergaß? Bewahre, nein! Sie übten sie dort viel besser als anderswo, denn dort befand sich die Gespielin des Glücks, deren Schönheit mir unvergleichlich erscheint, die liebreizende Jungfrau Larie, der Vollkommenheit vertraute Freundin. Seht, wie hochherrschaftlich sie ritt! In roten Brokat war die schöne Jungfrau gekleidet, mit welchem ihr feuriges Lippenrot wetteiferte wie ein sehr wertvoller Rubin. An ihrer Schönheit war ersichtlich, dass Vollkommenheit ein Auge auf sie hatte. Gott war in glücklicher Stimmung, als er sie schuf. Es erblühte nie eine schönere Blüte als ihr leuchtendes Antlitz. Viel schöner noch als mein Herz es erdenken und mein Mund es beschreiben könnte, kam sie da zu Hof geritten. Zwei leuchtende Farben wetteiferten da an ihr: Rot und Weiß wie Schnee, doch die Röte obsiegte, denn es war Sommer, da die Wärme in die Wangen steigt. Der edle Held begleitete sie, über dem der rechte Segen Gottes waltete,

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her Gwîgâlois, der triuwen stam. von sîner manheit was sîn nam gebreitet als der sunnen schîn. sîn herze truoc vil hôhen pîn nâch der mägde wol getân, daz er si muose sehen an und doch ir minne niene pflac.

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vil gelîch ir beider minne wac; diu herzeliebe under in zwein alsô gesamet wart enein; daz sît wol an ir stæte schein.

Herr Wigalois, aller Zuverlässigkeit Quell. Tapferkeit hatte seinen Namen verbreitet wie den Schein der Sonne. Sein Herz verzehrte sich nach der schönen Jungfrau, von der er den Blick nicht lassen konnte, und doch war er noch nie in den Genuss ihrer Liebe gekommen. Sie liebten einander gleichermaßen, ineinander schloss sich ihrer beider Herzensliebe, wie sich später an ihrer Beständigkeit erwies.

Die vürsten und ir dienestman die in wâren undertân enpfiengen wol den werden degen, der des landes solde pflegen, und ir rehte vrouwen. man mohte wunder schouwen von der vreude die man dâ vant. dâ was mit vreuden gar daz lant, iegelîch volc nâch sînem sit. dâ bliesen busûnære mit in vier enden ûf der plân. dâ wart diu rîterschaft getân die man wol prîsen mohte; dehein zage niht entohte under der tugenthaften schar, wan dâ wârn die besten gar von allem dem rîche. die enpfiengen rîterlîche den herren und die künigîn. sus brâhte man si ze Korntîn mit rîterlîchem schalle. des vreuten si sich alle die zem lande hôrten; mit vreuden si dô stôrten ir vil jæmerlîche tage, die si mit riuwiclîcher klage hêten gehabt wol zehen jâr; die verkêrten sich nu gar ze vreuden von ir zweier ê. dône wart dâ niht gebiten mê, diu vrouwe vuor an ir gemach. her Gwîgâlois zen gesten sprach sînen gruoz vil minniclîche und bat si alle gelîche

Die Fürsten und die ihnen untergebenen Ministerialen hießen den edlen Helden, der Herrscher des Landes werden sollte, und ihre rechtmäßige Herrin willkommen. Die Freude, die man dort fand, war unermesslich. Das ganze Land legte Freude an den Tag, ein jedes Volk nach seiner Art. Trompeter waren von vier Seiten auf der Ebene zu hören. Da fanden ritterliche Kampfspiele statt, die aller Achtung wert waren. Kein Feigling hatte in der tugendhaften Schar etwas verloren, denn dort waren die Allerbesten des ganzen Reiches. Die hießen auf ritterliche Weise den Herren und die Königin willkommen. In solchem ritterlichen Jubel geleitete man sie nach Korntin. Alle Landsleute freuten sich (über ihr Kommen). Mit Freuden beendeten sie die Zeit der Trauer, die sie über zehn Jahre in Kummer verbracht hatten. Durch ihrer beider Hochzeit wurde all das zur Freude gewendet. Man zögerte nicht länger, die Herrin begab sich in ihr Gemach. Herr Wigalois richtete seinen Gruß herzlich an die Gäste und hieß sie alle gleichermaßen

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im dâ willekomen sîn. sus besaz dô Korntîn her Gwîgâlois mit rîcheit. dâ was solch wirtschaft bereit die ich niht wol kan gesagen. nach sînem willen zuo zwelf tagen beliben die vürsten dâ. zwei herhorn blies man sâ vil krefticlîche vor dem tor. alle die dâ wâren vor, die kômen ûf den palas. vrouwe Lârîe ouch komen was, gekrœnet als ein keiserîn. ein ander krône guldîn truoc vor ir vrouwe Marîne, diu in rîters schîne hêt vil reinen magetuom, wan daz diu vrouwe durch ir ruom wolde versuochen rîters leben. si kunde wol nâch êren geben und mit zühten wesen vrô. ir kiusche behielt si alsô daz diu nie besprochen wart; sus was ir wîpheit bewart âne valsch unz an die zît daz si zer ê sich habte sît; des was ir ganzez lop vil wît.

dort willkommen. So nahm Herr Wigalois prachtvoll Korntin in Besitz. Eine solche Gastfreundschaft wurde dort gezeigt, dass ich sie nicht beschreiben kann. Auf seinen Wunsch blieben die Fürsten dort auf zwölf Tage. Sodann wurden zwei Heerhörner kraftvoll vor dem Tor geblasen. Alle, die sich davor befanden, betraten den Palas. Auch Frau Larie war erschienen, gekrönt wie eine Kaiserin. Eine zweite goldene Krone trug ihr Frau Marine voran. Sie behielt ihre makellose Jungfräulichkeit auf ritterliche Weise, denn sie wollte um ihres Ruhmes willen das Leben eines Ritters führen. Sie verstand es, ihrem Stande gemäß freigebig zu sein und liebenswürdige Fröhlichkeit zu verbreiten. Ihre Sittsamkeit bewahrte sie so, dass diese nie in Zweifel gezogen wurde. So blieb ihre Frauenehre unverfälscht bis an die Zeit, da sie sich zur Ehe entschließen würde. Dafür erntete sie weithin großen Ruhm.

Rîâl, der künic von Jeraphîn, sît ez sîn reht solde sîn, nam des jungen rîters swert, des ecke der êren hêt gegert daz manz sô werdiclîche truoc, dô ez den starken heiden sluoc, daz ez von sînen slegen nie deheiner slahte mâl enpfie; daz truoger vor der vrouwen bar. und die glävîe bluotvar der grâve Môrâl vor ir truoc dâ mit er den wurm sluoc der grôzen mort hêt getân an vil mangem werden man und sô verwuost hêt daz lant daz man dâ wênic liute vant; des wart der helt geprîset vil. vrouwe Lârîe, der sælden spil, gegen im mit hôhem muote gie.

Rial, der König von Jeraphin, der das Recht darauf erhielt, empfing das Schwert des jungen Ritters, dessen Schneide solchen Ruhm erlangt hatte, als es den starken Heiden erschlug und bei all seinen Schlägen nie schartig wurde, so dass man es mit hohem Respekt trug – dieses Schwert trug er blank vor der Herrin her. So trug Graf Moral die blutige Lanze ihr voran, mit welcher er (Wigalois) den Drachen getötet hatte, der ein so großes Gemetzel unter vielen edlen Männern angerichtet und das Land so verwüstet hatte, dass es fast menschenleer war; dafür wurde der Held hoch gepriesen. Frau Larie, Gespielin des Glücks, begab sich hochgestimmt zu ihm

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bî de hant si in gevie dem man sô hôhes prîses jach. wider in si minniclîche sprach ‚her Gwîgâlois, mîn amîs, sît ir nu tragt den hœhsten prîs von iuwer ellenthafter hant, sô nemt die krône und mîn lant und mînen lîp in iuwer gebot. herre, ich hân iuch mir nâch got ze trôste mînem lîbe erkorn; swaz ich vreuden hân verlorn, der mugt ir wol ergetzen mich. herre, nu tuot alsô daz ich und ir mit triuwen sîn enein sô daz diu herze under uns zwein stæte liebe einander tragen. des leit ich wil mit leide klagen und des vreude ich vrô wil sîn, daz sît ir; ich tuon iu schîn daz iuwer minne mir nâhen gêt. in iuwerm gebot mîn lîp hie stêt; swaz ir welt, daz wil ouch ich.‘ der rede vreute der rîter sich und genâdet ir an der stunde als er beste kunde mit worten und mit herzen, wand er des jâmers smerzen dannoch unverendet truoc, des er doch niemen zuo gewuoc. herzeliebe ist ein schûr, dem lîbe ein herter nâchgebûr; ir süeze wirt vil ofte sûr.

und nahm ihn, dem man so hohen Ruhm zollte, bei der Hand. Liebevoll sprach sie zu ihm: „Herr Wigalois, mein Geliebter, da Ihr nun mit Eurer tapferen Hand den höchsten Lobpreis erworben habt, so nehmt die Krone und mein Land und mich selbst in Euren Besitz. Herr, ich habe Euch, nach Gott, zu meinem Beistand erwählt. Was immer ich an Freuden verlor, könnt Ihr mir wohl zurückgeben. Herr, nun handelt so, dass wir zwei in Treue vereinigt sind und unsere Herzen einander beständige Liebe eintragen. Ihr seid es, dessen Leid ich betrauern, dessen Freude mich froh machen soll. Ich offenbare Euch, dass Eure Minne mich berührt. Ich gebe mich in Eure Gewalt, Euer Wille sei der meine.“ Diese Worte machten den Ritter glücklich und er dankte sie ihr sogleich, so gut er es vermochte, mit Worten und mit dem Herzen, denn noch immer fühlte er ungestilltes sehnsüchtiges Verlangen, was er jedoch niemandem anvertraut hatte. Herzensliebe kann ein Hagelschauer sein und wie ein böser Nachbar. Ihre Süße gerät sehr oft zu Bitternis.

Rîâl, der künic von Jeraphîn, gap die lieben vrouwen sîn im ze stæte nâch ir bet; mit rehter ê wart an der stet diu stæte gevestent under in dâ. ein vingerlîn daz legte er sâ der juncvrouwen an ir hant; dâ wider gap si im daz lant und vrâget die helde mære ob daz ir wille wære. dô wart ein vrœlîcher schal von dem liute über al daz si sîn alle wæren vrô. vrouwe Lârîe satzte im dô

Rial, der König von Jeraphin, übergab seine liebe Herrin auf ihren Wunsch seinen Händen. Durch rechtmäßige Ehe wurde zur Stunde ihre beständige Liebe zueinander bestätigt. Einen Ring steckte er sodann der Jungfrau an. Als Erwiderung übergab sie ihm das Land und fragte die Edlen nach ihrem Einverständnis. Da erhob sich Freudenlärm des ganzen Gefolges als Zeichen der Zustimmung. Da setzte ihm Frau Larie

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ûf sîn houbet schône die guldînen krône und bevalch in sîne hant ir lîp, ir liute und ir lant mit einem zepter guldîn. dô kuste er die künigîn und nam si in sînen gwalt. mit ir minne si im galt sîne nôt dô mê dan tûsentvalt.

anmutig die goldene Krone auf das Haupt und gab mit dem goldenen Zepter sich selbst, ihr Gefolge und ihr Land in seine Hand. Da küsste er die Königin und nahm sie in Besitz. Mit ihrer Liebe vergalt sie ihm seine Qualen mehr als tausendfach.

Dô disiu rede verendet was, dô huop sich ûf dem palas von vreuden harte grôzer schal. die tische wâren über al geriht nâch küniclîchem sit. den truhsæzen giengen mit busûner die in bliesen vor. man warf die tambûr enbor mit slegen daz der wîte sal dem gedœne engegen hal. man gap dâ grôze wirtschaft und aller vreuden überkraft sâhen si die wîle man az. her Gwîgâlois der künic vergaz alles sînes leides hie. dô er von dem tische gie, die maget nam er bî der hant. mit vreuden giengen si zehant von den liuten an ir gemach. ob ie rîter baz geschach von wîbe, daz liez er âne haz; geschach ouch ie vrouwen baz von manne, daz lie si âne nît; daz erzeicten si einander sît mit herzenlîcher minne, wand ir zweier sinne mit ganzen triuwen wurden enein sô daz diu herze under in zwein hêten beidiu einen muot; swaz si wolde, daz dûhte in guot; ouch was sîn wille der vrouwen jâ. sus versigelt diu minne dâ mit herzeliebe ir herze enein sô daz diu liebe under in zwein eines willen pflâgen. niemen darf des vrâgen ob si die naht iht wæren vrô.

Als dies beendet war, erhob sich im Palas ein lauter Freudenjubel. Die Tafeln waren an allen Orten nach königlichem Brauch hergerichtet. Den Truchsessen gingen Trompetenbläser voraus. Man warf die Tamburine und schlug sie so laut, dass der weiträumige Saal davon widerhallte. Man veranstaltete ein prächtiges Gastmahl, das zahllose Vergnügungen bot, während man speiste. Herr Wigalois vergaß hier all sein Leid. Als er sich von der Tafel erhob, nahm er die Jungfrau bei der Hand. Glücklich verließen sie die Gesellschaft und begaben sich in ihr Gemach. Er hatte keinen Grund, anderen Rittern die Liebesfreuden zu neiden, noch hatte sie entsprechenden Anlass hierfür. Das bewiesen sie einander seither mit herzlicher Liebe, denn ihrer beider Seelen wurden eins in vollkommener Treue, so dass ihre Herzen dasselbe erstrebten. Was immer sie wollte, das erschien ihm gut und sein Wille fand ihre Zustimmung. So siegelte die Minne mit inniger Liebe ihre Herzen zusammen, so dass ihrer beider Zuneigung nur einen Willen hatte. Niemand muss erst fragen, ob sie in dieser Nacht glücklich waren.

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jâ si, deiswâr, ir vreude was sô daz ich der niht gelîchen mac. mit herzeliebe unz an den tac si sich underviengen. dar nâch si beidiu giengen wol nâch mittem morgen mit vreuden âne sorgen dâ man in eine messe sanc. sich huop dâ harte grôz gedranc dô si gekrœnet giengen vür. die kamerære bî der tür wielken ez mit starken slegen. nu hêt her Gwîgâlois der degen ze Glois in die burc gesant dâ man die juncvrouwen vant und den getriuwen grâven Adân. die vuorte man mit einander dan bî der naht ze Korntîn; si wolden ouch zer messe sîn dâ der helt gekrœnet gie. ein bischof die bredige vie mit sô süezen worten an daz der getriuwe grâve Adân sîne sünde begunde klagen. er entslôz in die wîssagen und die ewangêlisten unz er mit gotes listen und mit der rehten wârheit ir gelouben überstreit daz si der toufe wâren vrô. nâch ir bet toufte man dô vrouwen Marînen und grâven Adân, dar nâch die mägde wol getân die vrouwe Marîne brâhte dar. dô si getoufet wâren gar und kristen ê enpfiengen, mit vreuden si dô giengen vür den künic ûf den sal dâ die vürsten über al sâzen und die künigîn. Rîâl, der künic von Jeraphîn, sîn lant aldâ von im enpfie; dar nâch vil manic vürste gie, die sînes ortes wâren geil. iedoch bleip im der bezzer teil: dise vrouwen und diu lant

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Sie waren es, wahrlich, ihr Glück war so, dass ich hierfür nichts Vergleichbares benennen kann. Mit Herzensliebe umarmten sie sich bis an den Tag. Danach, erst am späten Morgen, begaben sie sich glücklich und sorgenfrei zur Messe. Großes Gedränge erhob sich da, als sie gekrönt heraustraten. Die Aufseher an der Tür mussten es (das Gedränge) mit kräftigen Hieben in Schach halten. Nun hatte Herr Wigalois, der Held, zur Burg von Glois nach den Jungfrauen und dem Grafen Adan Boten geschickt. Die brachte man zusammen zur Nacht nach Korntin. Auch sie wollten der Krönungsmesse des Helden beiwohnen. Ein Bischof begann seine Predigt mit so süßen Worten, dass der getreue Graf Adan seine Sünden beklagte. Er erklärte ihnen die Propheten und die Evangelisten, bis er mit Gottes Hilfe und der rechten Wahrheit ihren Glauben besiegte, so dass sie getauft werden wollten. Auf ihren Wunsch taufte man da Frau Marine, Graf Adan und hernach die schönen Jungfrauen, die Frau Marine mit sich geführt hatte. Als sie alle getauft waren und den Christenglauben annahmen, traten sie mit Freude im Saal, wo die Königin und all die Fürsten saßen, vor den König hin. Rial, der König von Jeraphin, nahm dort sein Land von ihm (zu Lehen). Danach traten zahlreiche Fürsten nach vorn, die froh waren, denselben Platz einzunehmen. Doch der bessere Teil blieb bei ihm, dessen Kampfeskraft

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bejagt sîn ellenthaftiu hant und sînes herzen manheit. swer ie sô grôze nôt erleit durch vrouwen, dem erteile ich daz er si habe mit vlîze baz dan einer der dâ heime lît unz man im eine vrouwen gît der eigen er wol möhte sîn. daz nim ich ûf die triuwe mîn daz der sô wol niht wirt gepflegen noch sô süeze bî gelegen als der durch die man kumber hât und diu ze hôhem gwinne stât; ich wæn der minne nâhen gât.

und Tapferkeit die Dame und die Länder errungen hatten. Wer jemals so große Kampfesnot erduldete um einer Dame willen, dem gestehe ich zu, dass er sich eher eifrig um sie bemüht als einem, der daheim hockt, bis man ihm eine Herrin gibt, der er sich wohl unterordnen sollte. Bei meiner Treue, keine wird so gut umsorgt noch so süße Liebe empfangen wie die, um derentwillen man in Bedrängnis gerät und die als hoher Preis zu gewinnen war. Deren Liebe wird, wie ich meine, ans Herz gehen.

Dar umb enweiz ich anders niht wan als diu âventiure giht diu mirz kunt hât getân: diu sagt uns daz der werde man vrouwen Lârîen pflæge alsô daz si der pflege wære vrô. er volzôch ir muote mit lîbe und mit guote; des was ir schœner lîp wol wert. dô er die vürsten hêt gewert ir lêhen, als si an gezôch, ir deheines muot dâ von envlôch sine swüeren im alle hulde dâ. dô gebôt er den vürsten sâ daz si behielten Karles reht und diu gerihte machten sleht über allez sîn rîche. daz wart dô stæticlîche gevestent, als er in gebôt. sus hêt daz lant sîne nôt mit vreuden überwunden. an den selben stunden kom mîn her Gâwein geriten vür die burc nâch sînen siten; die wâren harte rîterlîch, wand er was wert unde rîch, als ez an sînem geverte schein. sus kom mîn her Gâwein selbe vierde in daz lant: – die vuorten werlîche hant – Êrec und mîn her Gâwein, Lanzelet und her Îwein.

Über diese Dinge weiß ich nur das, was die Geschichte darüber bezeugt, die es mir eröffnet hat. Die sagt uns, dass der edle Mann Frau Larie so umsorgte, dass sie glücklich wurde. Er erfüllte ihre Wünsche in jeder Hinsicht, so wie es ihrer Schönheit auch zukam. Als er den Fürsten ihre Lehen, wie es ihnen zustand, gewährt hatte, stand keiner mehr zurück, ihm Treue zu schwören. Sodann gebot er den Fürsten, das Recht Karls (des Großen) zu wahren und in seinem gesamten Herrschaftsgebiet die Gerichte ordentlich zu führen. Dies wurde dauerhaft bekräftigt, wie er es ihnen geboten hatte. So hatte das ganze Land sein Leid mit Freude überwunden. Zur gleichen Stunde erschien Herr Gawein in gewohnter Weise vor der Burg – sehr ritterlich, denn er war edel und reich, wie man an seinem Tross sehen konnte. Er kam in Begleitung dreier Gefährten in das Land; Tapferkeit zeichnete sie aus: Erec und Herr Gawein, Lanzelet und Herr Iwein.

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ir geselleschaft und ir muot was âne valsch mit triuwen guot. si kâmen dar mit rîcheit, wol geriten und gekleit, als ez ir êren wol gezam; ir geverte daz was âne scham. si vuorten ingesindes vil. busûnen unde seitspil vor in ûf der strâze hal. von vreuden was dâ grôzer schal ûf dem hûse und dâ vor. die rîter giengen vür daz tor und enpfiengen wol die geste. dâne was dehein gebreste des guotes noch der êren; daz begunde man allez kêren in ze liebe und ze guote mit herzen und mit muote. ir harnasch man vor in zôch. aht ors starc und hôch zôch man den soumen nâch, diu man vil wol verdecket sach mit samîte der was rôt, der ouch den schilten decke bôt daz si dâ bî iht wærn bekant swâ si riten durch diu lant. sus kâmen si ze Korntîn. der künic und diu künigîn enpfiengen si mit triuwen wol, als sun sînen vater sol. her Gâwein in umbe vie; vor vreuden er die zäher lie ûf sîne wât vallen. mit triuwen âne gallen si sich underkusten; des mohte si wol lusten: si wârn ze sehen einander vrô. vrouwe Lârîe kuste dô die geste, als si der künic bat. die vürsten giengen von ir stat und enpfiengen si alle besunder. daz was niht ein wunder war umb si kômen in daz lant: her Gwîgâlois der hêt gesant einen brief dem herren Gâwein, daran ein ingesigel schein daz er sîner muoter lie

Ihre Freundschaft und Gesinnung waren wahrhaftig und beständig. Sie kamen daher in großer Pracht, wohl beritten und gekleidet, wie es ihrem Ansehen wohl anstand; ihr Tross konnte sich sehen lassen. Sie führten ein großes Gefolge mit sich. Trompeten und Saiteninstrumente ertönten vor ihnen auf dem Weg. Großer Freudenjubel erhob sich in der Burg und davor. Die Ritter traten zum Tor hinaus und hießen die Gäste willkommen. Da fehlte es weder an Gut noch an Ehrerbietung; all das ließ man ihnen mit Herz und Sinn zugute kommen. Die Harnische führte man ihnen voraus. Acht Streitrosse, stark und hochgewachsen, führte man den Packpferden nach. Sie waren prachtvoll mit rotem Brokat bedeckt, mit dem auch die Schilde bespannt waren, damit man sie nicht erkennen konnte, wo immer sie unterwegs vorbeizogen. So kamen sie nach Korntin. König und Königin hießen sie aufrichtig willkommen, wie es einem Sohn dem Vater gegenüber anstand. Herr Gawein umarmte ihn und Freudentränen fielen auf sein Gewand. In ungetrübter, aufrichtiger Liebe küssten sie einander. Das kam sicher von Herzen, denn sie waren froh, einander zu sehen. Auf Bitten des Königs küsste Frau Larie die Gäste. Sodann begaben sich die Fürsten dorthin und hießen jeden der Gäste willkommen. Ihre Ankunft war nicht überraschend: Herr Wigalois hatte Herrn Gawein einen Brief gesandt, worauf ein Siegel erschien, welches er Wigalois’ Mutter hinterlassen hatte,

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dô er mit jâmer von ir gie und si sît nimmer mê gesach; dar an im doch ein leit geschach daz sînes herzen vreude brach.

als er mit Kummer von ihr ging und sie nie wieder sah. Dies fügte ihm ein Leid zu, das ihm die Freude seines Herzens raubte.

Der brief sagt im diu mære wie er worden wære künic über zwei lant und wie sîn ellenthaftiu hant die âventiure hêt erstriten. derselbe brief begunde in biten und manen herzenlîche daz er die väterlîche triuwe an im behielte und kæme dâ er wielte zweir lande und ir krône; die wæren im ze lône gegeben umb sîn arbeit und ein künigîn gemeit der schœne man niht gelîches vant. sus kam her Gâwein in daz lant ze sînes sunes hôchvart, dâ er vil wol enpfangen wart. dar nâch er den wirt gevie bî der hant unde gie an eine heimlîche stat, dâ er in mit jâmer bat von sîner lieben muoter sagen. dô huop sich êrste grôzez klagen und herzenlîchiu swære dô er diu gewissen mære vernam von der muoter sîn. er sprach ‚owê, künigîn, daz ich dîner minne enbern muoz! dîn handelunge unde dîn gruoz was mîner vreuden ôstertac! swen ich an dînem arme lac und dînen lîp umbe vie, owê, sô was mir rehte wie ich wær in dem pardîse! dîner minne spîse nam mir dicke mînen sin. der jâmer gît mir ungewin. wol der wünniclîchen zît der ich mit grôzem jâmer sît vil herzenlîche hân gedâht, sô diu winterlange naht

Der Brief schilderte ihm, wie er König zweier Länder geworden war und wie seine tapfere Hand die Aventiure erkämpft hatte. Und der Brief bat und mahnte ihn von Herzen, väterliche Treue an ihm zu bewahren und dorthin zu kommen, wo er über zwei Länder herrschte und ihre Krone trug. Die waren ihm als Lohn für seine Mühen gegeben worden, zusammen mit einer stattlichen Königin, deren Schönheit ohnegleichen war. So kam Herr Gawein in das Land zum Fest seines Sohnes, wo er herzlich willkommen geheißen wurde. Danach nahm er den Herrn der Burg an der Hand, zog ihn beiseite und bat ihn bekümmert, ihm von seiner geliebten Mutter zu erzählen. Als er Gewissheit über ihr Los erlangte, bemächtigte sich seiner erst recht tiefer Kummer. Er klagte: „Weh, Königin, dass ich deine Liebe entbehren muss! All dein Tun, deine Zuwendung ließen meine Freude auferstehen. In deinen Armen zu liegen und deinen Leib zu umfangen, ach, das war mir wie ein Leben im Paradies. Der Genuss deiner Liebe raubte mir wiederholt den Verstand. Der Kummer überwältigt mich. Wohl der wonnevollen Zeit, der ich seither in tiefem Schmerz und sehnsuchtsvoll gedacht habe, wenn die Winternacht

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mîner swære was ze lanc und mich diu grôze liebe twanc diu nâhen in mînem herzen saz; dâ von ich nimmer mê vergaz dîner reinen güete irn gedæhte mîn gemüete. sus hân ich immer jâmers vil. durch mîner vrouwen êre ich wil allen wîben wesen holt und si liutern als ein golt mit worten swâ ich immer kan. ich wil ir aller dienestman und ir kempfe immer wesen, wan niemen mac ân si genesen der ir güete erkennen kan; in solden wesen undertân von rehte alle krône, wan sich ir süezem lône nimmer niht gelîchen mac. owê, gelebte ich noch den tac daz ich mîn trût müese sehen, sône möhte mir lieber niht geschehen! daz wizze, lieber sun mîn, nu solt ab dû mîn vreude sîn, sît dich mir got hât gegeben; dîn werdicheit ist gar mîn leben. des lobe ich unsern herren Krist daz dir sô wol gelungen ist und wil sîn immer wesen vrô.‘ nâch der rede giengen si dô wider zir geselleschaft. dâ was von vreuden grôziu kraft und minniclîcher vrouwen vil, der schœne ist gar der vreuden zil und werltlîchiu wünne. der in niht guotes günne, der müez von in gescheiden sîn. si gebent vreude und hôhen pîn, dem herzen senlîche nôt. wan ir gnâde, wir wæren tôt an vreuden und an muote. ze liebe und ze guote geschuof si got der werlte gar. ô wol der wünniclîchen schar die got alsô gekrœnet hât daz gar der werlte vreude stât an ir vil reinen güete!

voll Kummer zu lang wurde und die große Liebe, die in meinem Herzen wohnte, mich überwältigte. Daher vergaß ich nie deine wahre Güte, sie kam mir nie aus dem Sinn. So lebe ich in stetem Kummer. Um der Ehre meiner Herrin willen werde ich allen Frauen freundlich gesinnt sein und werde sie, wo immer ich kann, mit Worten zum Strahlen bringen wie Gold. Ich will für immer ihr aller dienstbarer Kämpfer sein, denn niemand, der ihre Güte zu begreifen weiß, vermag ohne sie glücklich zu werden; zu Recht sollten alle Kronen ihnen untertan sein, denn ihrem süßen Lohn vermag sich nichts zu vergleichen. Weh, könnte ich den Tag erleben, an dem ich meine Geliebte wiedersähe, so könnte mir nichts Schöneres geschehen! Das, lieber Sohn, sollst du wissen. Nun aber wirst du meine Freude sein, da Gott dich mir schenkte; deinem Ansehen gilt mein ganzes Leben. Dafür will ich unseren Herrn Christus lobpreisen, dass dir solch großes Glück beschieden ist und mich stets darüber freuen.“ Nach diesen Worten begaben sie sich wieder zurück zur Gesellschaft. Übergroße Freude herrschte dort und viele liebreizende Damen waren zugegen, deren Schönheit der Gipfel der Freude und weltliche Glückseligkeit ist. Wer ihnen nichts Gutes wünscht, sollte von ihrer Gegenwart ausgeschlossen sein. Sie schenken Freude und edles Leid, dem Herzen Liebessehnsucht. Ohne ihre Zuneigung erstürben unsere Freude und unser Hoffen. Gott erschuf sie der Welt zur Freude und zum Nutzen. O, wohl der liebreizenden Schar, die Gott so ausgezeichnet hat, dass die Freude der Welt ganz und gar an ihrer wahren Güte hängt!

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si nidernt hôch gemüete und hœhent dicke nidern muot. wol im der nâch ir willen tuot! ir trôst der ist nâch leide guot.

Hochmut bringen sie zu Fall und helfen oft betrübtem Sinne auf. Wohl dem, der ihre Wünsche erfüllt! Nach allen Mühen tut ihre Zuneigung gut.

Dô dem herren Gâwein vrouwen Lârîen schœne erschein und ir lîp rehte ersach, wider si er güetlîche sprach ‚ô wol dir, minniclîcher lîp! gebar dîne schœne ie dehein wîp? daz ist doch ungeloublich. ich wæn got selbe worhte dich mit sîner gotlîchen hant. swaz ich vrouwen hân erkant od mit den ougen ie gesach, der schœne macht dîn schœne swach. du bist ir aller spiegel. ich hân noch her den ziegel vür lûter glas an gesehen; dîner schœne muoz ich prîses jehen; du solt ir aller krône tragen. dîn schœne mangen hât erslagen der noch wol lebte sîne zît. ich wæn dîn süeziu minne gît dem herzen jâmers stimme. du bist diu wâre gimme senlîcher minne des herzen und der sinne. ichn gan dîn niemen alsô wol als dem der dich dâ haben sol, mit dem du, vrouwe, solt genesen. ir sult mîn vreude beidiu wesen swar ich in der werlte var. got hât sînen vlîz gar ze wunsche wol an iuch geleit; und læt er iuch âne leit alsô mit vreuden alten, und welt ir danne behalten die sêle, sô wirt daz ende guot. nu gebe er iu den selben muot der iuwer minne gesamnet hât; dar zuo habt ir mînen rât und mîne helfe die wîle ich lebe. ich zel mirz zeiner grôzen gebe von unsers herren barmicheit daz er mir mîn herzeleit

Als Herr Gawein die Schönheit Frau Laries erblickte und ihrer erst wirklich ansichtig wurde, sprach er freundlich zu ihr: „O, wohl dir, liebreizende Frau, ist deine Schönheit von menschlicher Natur? Nein, das kann man nicht glauben. Ich meine, Gott selbst erschuf dich mit seiner göttlichen Hand. Alle Frauen, die ich bislang kennenlernte oder erblickte, werden durch deine Schönheit in den Schatten gestellt. Du bist ihr aller Vorbild. Bislang muss ich den Ziegel für lauteres Glas gehalten haben; deiner Schönheit muss ich den Preis zugestehen, du musst vor ihnen allen die Krone tragen. Deine Schönheit brachte vielen (Rittern) den Tod, welche sonst noch leben würden. Mir scheint, deine süße Liebe verleiht dem Herzen die Stimme der Klage. Du bist das edelste Juwel der Liebessehnsucht von Herz und Seele. Niemandem gönne ich dich mehr als dem, der dich nun besitzen wird und mit dem du, edle Frau, glücklich werden wirst. Ihr beide sollt meine Freude sein, wo immer ich auch sein werde. Gott hat wahrlich all seine Sorgfalt zu eurem Besten verwendet; und lässt er euch von Leid ungetrübt in Freude alt werden und bewahrt ihr dann eure Seele, dann wird alles gut ausgehen. Nun möge, der euch in Liebe vereinte, euch eines Willens sein lassen. Dazu werdet ihr Rat und Hilfe von mir haben, solange ich lebe. Ich halte es für ein großzügiges Geschenk der Barmherzigkeit unseres Herrn, dass er mein tiefes Leid

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mit iu beiden hât benomen. ze vreuden bin ich wider komen sît ich iuch bî einander weiz.‘ vrouwe Lârîe sich dô vleiz mit gebærden und mit munde als si beste kunde daz si in mit triuwen meinde; mit worten si im bescheinde daz si sîn tohter wolde sîn; hern Gâwein hiez si väterlîn. sus gwan diu triuwe und ir sin einen muot under in, der was gescheiden ê mit drin.

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mit euch beiden heilte. Ich kehrte zur Freude zurück, seit ich euch einander verbunden weiß.“ Frau Larie wurde nicht müde, ihm mit Worten und Gesten auf die beste Weise zu zeigen, wie sehr sie ihn schätzte. Mit Worten bewies sie ihm, seine Tochter sein zu wollen, denn sie nannte Herrn Gawein ‚Väterchen‘. So erlangten Aufrichtigkeit und ihre Verständigkeit ein gemeinsames Ziel, das zuvor dreigeteilt war.

24. Hilfeersuchen der Königin Liamere Als nach zwölf Tagen das Fest ein Ende nimmt, erscheint ein Knappe, eine zerbrochene, blutige Lanze tragend, mit dem sein Herr, der König Amire von Libia, vor Namur in einer Tjost von Lion erstochen sei. Amire und seine Gemahlin Liamere seien auf dem Wege zu Wigalois’ Krönungsfest gewesen. Lion habe Liamere in seine Gewalt bringen wollen. Liamere sei die Enkelin des Königs Garez von Libia, dessen Bruder der König Lar von Korntin, Laries Großvater, war. Der Knappe fordert Wigalois auf, den Mord zu rächen. Wigalois verspricht es. Die Fürsten raten ihm mit Rücksicht auf Lions starke Macht, vorher ein größeres Heer aufzubieten. Erec aber glaubt, in so guter Sache würden sie auch ohne das siegen. Ein Bote wird mit dem Knappen zu Lion gesandt, um Fehde anzukündigen. Liameres Verzweiflung, Treue und Tod. Zu spät bereut Lion seine Tat. Der Bote kündigt Lion Fehde an. Dieser anwortet mit einer Trutzrede. Der Bote bringt die Nachricht von Liameres Tod nach Korntin. Betrachtung über Freude und Leid der Minne. Liamere allgemein beklagt. Heutzutage würde niemand sie bemitleiden; an die Stelle der natürlichen Gefühle sei jetzt kühle Berechnung getreten. Klage über Untreue und Gewalt, Verrat und Habsucht der Welt. Ihr Untergang sei nahe, wie zur Zeit, da Johannes Gottes Geheimnisse offenbart wurden. Larie erhält ein von einem Elefanten getragenes Kastell und einen Begleitschutz. (9771–10437)

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Des küniges hôchzît diu was grôz. ir deheinen des wesens dâ verdrôz. man gap in grôze wirtschaft; dar zuo si vreuden überkraft sâhen alle tage dâ. niemen dorfte vrâgen ‚wâ?‘ wan dâ was manger hande spil und rîterlîcher vreuden vil; alsô vertriben si die zît. der sal was schœne unde wît, lûter, eben als ein glas. vil grôzer tanz darûffe was von rîtern und von vrouwen.

Das Fest des Königs war glänzend, niemand wurde seiner Anwesenheit dort überdrüssig. Reichliche Bewirtung und zahllose Vergnügungen wurden ihnen dort täglich geboten. Niemand brauchte nach dem Weg zu fragen, denn überall waren alle Arten ritterlicher Spiele und Vergnügungen im Gang; so verbrachten sie die Zeit. Der Saal war prachtvoll und geräumig, (die Wände) hell und glatt wie Glas. Viele Ritter und Damen hatten sich dort zum Tanz zusammengefunden.

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ouch stuonden in den ouwen vil manic hêrlîch gezelt. beidiu wisen unde velt vollez rîterschefte lac, dâ man buhurdierens pflac alle tage unz an die naht. sus was mit vreuden bedaht daz lant, daz ê jâmers pflac vil riuwiclîche mangen tac. Êrec und mîn her Gâwein, Lanzelet und her Îwein die buhurdierten ouch dâ vil. sus werte daz rîterlîche spil volleclîche zwelf tage nâch der âventiure sage. alsô diu hôchzît ende nam, dô kom ein garzûn âne scham ûf den sal geloufen. der begunde sich roufen und gebâren jæmerlîche, wand er was jâmers rîche. ich wæn sîn swære diu was grôz. er lief nacket unde blôz aller hande kleider, niwan dirre beider: zweir schuohe und einer niderwât; im was aller hande rât anders vil tiure. der brâht âventiure: ein bluotic sper zebrochen; dâ mit was erstochen der künic Âmîre von Lîbîâ. daz kunt er den rîtern dâ mit vil jæmerlîcher klage. dâ vor an dem dritten tage was er erslagen vor Namûr. daz hêt getân der vreuden schûr, Lîôn, der ungehiure, mit einer jostiure. ditz klagte er offenlîche und rief vil jæmerlîche ‚wâfen über den helt balt der grôzen mort und gewalt an mînem herren hât getân!‘ er sprach ‚swer ie liep gewan und herzenlîche trûtschaft, habe er dar zuo ganze kraft

Ferner standen auf dem Gras viele prächtige Zelte. Wiesen und Felder waren erfüllt von ritterlichen Kampfspielen. Jeden Tag gab es Gelegenheit zum Buhurt bis weit in den Abend hinein. So wurde das Land nun von Freude erfüllt, das lange Zeit zuvor in leidvollem Kummer verbracht hatte. Erec und Herr Gawein, Lanzelet und Herr Iwein beteiligten sich eifrig am Buhurt. So erstreckten sich die ritterlichen Kampfspiele auf volle zwölf Tage, wie die Geschichte überliefert. Als das Fest seinem Ende zuging, kam ein Page völlig außer sich in den Saal hinein gelaufen. Der raufte sich die Haare und gebärdete sich jammervoll, denn er war sehr bekümmert. Ich meine, er war in großer Bedrängnis. Bloß und bar fast jeglicher Bekleidung, trug er nur Schuhe und Untergewand; anderes trug er nicht bei sich. Er brachte Neuigkeiten: eine zerbrochene blutige Lanze, mit der König Amire von Libyen getötet worden war. Dies verkündete er den Rittern dort unter Wehklagen. Drei Tage zuvor war er vor Namur erschlagen worden. Das hatte der Hagelschlag der Freude, Lion der Furchtbare, in einer Tjost getan. Dies beklagte (der Junge) öffentlich und rief voller Schmerz: „Weh über den verwegenen Helden, der Unrecht tat und meinen Herren schmählich ermordet hat!“ Er sprach: „Wer jemals einen Menschen liebte und inniglich vertraut mit ihm wurde und dazu über vollendete

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der triuwen und der manheit, sô sî im daz unbilde leit daz der ungetriuwe man an mînem herren hât getân. er nam im sîne vriundin und vuorte si mit gewalte hin, dô er den helt hêt erslagen. ditz leit sol der künic klagen, von Korntîn her Gwîgâlois; und ist er alsô kurtois und pfligt sô grôzer manheit alsô diu werlt von im seit, sô sol er rechen ditze leit.

Treue und Tapferkeit verfügt, sollte empört sein über das Unrecht, das der Falsche meinem Herren zugefügt hat. Er raubte ihm seine Geliebte und führte sie gewaltsam davon, nachdem er den Helden getötet hatte. Dieses Unheil sollte den König von Korntin, Herrn Wigalois, bekümmern. Und ist er so höfisch und tapfer, wie es die Welt über ihn sagt, so soll er es rächen.

Mîn vrouwe und mîn herre die wâren harte verre durch den künic gevaren her. nu hât geletzet in daz sper des lebens und der hôchzît. owê, wie jæmerlîch er lît noch ûf dem velde unbegraben! swelhe nu rîters namen haben, den sî daz unbilde leit. vor leide hân ich mîniu kleit von dem lîbe gerizzen. der künic sol daz wizzen, die vürsten und ir dienestman, daz ditz laster ist getân benamen ûf ir êre. mîner vrouwen Lîamêre, der werden küniginne, ist ir stætiu minne mit gewalte entschumpfieret. swen daz laster zieret, dern kan niht leit mit leide klagen. Lîôn der vürste hât erslagen an mînem herren einen man daz ich iu niht gesagen kan wie hôhes werdes was sîn lîp. vrouwe Lârîe und sîn wîp, mîn vrouwe Lîamêre, ir ietwedriu sêre der andern leit solde klagen mit triuwen, als ich iu wil sagen. ir väter zweier bruoder kint wâren, die erslagen sint leider nû vor mangem tage.‘ –

Meine Herrin und mein Herr waren von weither um des Königs willen hierher gereist. Nun hat die Lanze ihm das Fest und das Leben geraubt. O weh, wie jammervoll er noch immer auf dem Felde unbegraben liegt! Wer nun den Namen eines Ritters trägt, empöre sich gegen dieses Unrecht! Vor Leid habe ich meine Kleider mir vom Leibe gerissen. Der König, die Fürsten und ihre Dienstmannen sollen wissen, dass diese Schande wahrlich ihre Ehre verletzt. Meiner Herrin Liamere, der edlen Königin, ist die Liebe ihres Lebens mit Gewalt entehrt worden. Wer diese Schande auf sich nimmt, der vermag nicht am Leid anderer Anteil zu nehmen. Fürst Lion hat mit meinem Herren einen Mann getötet, dessen hohe Würde zu beschreiben ich außerstande bin. Frau Larie und seine Gemahlin, meine Herrin Liamere, haben jede für sich Grund, das Leid der anderen aufrichtig zu beklagen, wie ich euch erklären will. Ihre Väter waren Kinder zweier Brüder, die leider vor langer Zeit getötet wurden.

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der zweier namen ich iu sage: der ein Gârez von Lîbîâ; ouch nant er den andern sâ: Lâr, der künic von Korntîn. – ‚nu sehet waz si einander sîn und helfet mîner vrouwen wider!‘ vor leide vrouwe Lârîe nider umb ir nifteln laster seic. her Gwîgâlois niht lenger sweic. er sprach ‚vrouwe, gehabt iuch wol! ich erledige si, oder ich dol swaz ze lîden mir geschiht. vrouwe Lârîe, enweinet niht! ich wil im widerbieten.‘ die vürsten im dô rieten daz er sich besande baz. si sprâchen ‚herre, wizzet, daz im helfent die Särvîe; dar zuo von Turkîe kumt im vil manic rîter guot. ouch tragent im vil holden muot die Valwen und die Kriechen. wir müezen mangen siechen vor der stat gewinnen. ûzen an der mûre und innen lît dâ hôher türne vil. dâ wirt benamen des tôdes spil. nu dar, swer prîs bejagen wil!‘

Ich nenne euch die Namen der beiden: der eine war Garez von Libyen.“ Er nannte drauf auch den anderen: Lar, König von Korntin. „Nun seht, wie sie zueinander stehen, und schafft meiner Herrin Genugtuung!“ Vor Leid wegen der Schande ihrer Cousine sank Frau Larie zu Boden. Herr Wigalois schwieg nicht länger. Er sprach: „Herrin, fasst Euch! Ich werde sie befreien oder mein Schicksal auf mich nehmen. Frau Larie, weint nicht! Ich will ihm Fehde ansagen.“ Die Fürsten rieten ihm da, zuvor ein größeres Heer aufzubieten. Sie sprachen: „Herr, Ihr sollt wissen, dass ihm die Serben helfen und auch viele edle Ritter aus dem Türkenland. Außerdem sind die Kumanen und die Griechen auf seiner Seite. Wir hätten dort mit großen Verlusten zu rechnen. Innen und außen ist die Burgmauer dort mit vielen hohen Türmen besetzt. Das wird wahrlich ein Todesspiel. Doch auf, wer Ruhm erstreiten will!“

Êrec und sîn geselleschaft sprâchen ‚swer nu zwîvelhaft durch dise vreise wil bestên, dem kan daz laster niht nâhen gên daz sînem herren und im geschiht.‘ ‚her Gwîgâlois, nu ensûmt iuch niht,‘ sprach her Gâwein der degen, ‚und wil got des rehten pflegen, als er ie hât getân, sô wæn uns niht geschaden kan. ir habt vil guote rîterschaft, und wellent die ir triuwen kraft iu mit helfe erzeigen hie, sône gewan dehein künic nie in disem lande sô mangen helt. dise rîter sint erwelt ûz mangem künicrîche.‘ dô lobten im gelîche

Erec und seine Schar sprachen: „Wer nun angesichts dieser Gefahr weiterhin zögern will, den kann die Schande nicht kümmern, die seinem Herrn und ihm selbst geschieht.“ „Herr Wigalois, nun zögert nicht länger“, sprach Herr Gawein, der Held, „und wenn Gott der gerechten Sache beisteht, wie er es immer getan hat, so denke ich, dass nichts uns Schaden zufügen kann. Ihr verfügt über eine vortreffliche Streitmacht; wenn diese Euch durch Hilfe die Treue erweist, so hatte in diesem Lande noch nie ein König so viele Krieger. Diese Ritter sind die Elite zahlreicher Königreiche.“ Sofort versprachen ihm

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helfe an der stunde mit gemeinem munde die sîne und ouch die geste. diu sicherheit wart veste über den ungetriuwen man der disen mort hêt getân und in daz laster hêt erboten. her Gwîgâlois dô sînen boten mit dem garzûn sande dar. von im und von den vürsten gar widerbôt er in die stat Lîôn dem vürsten würde mat, möht er, nâch sînem schâche getân. sus schiet der bot von im dan. dem garzûn wolder kleider geben. dô sprach er ‚nein! ich wil leben mit herzeleide unz an die zît daz gotes [ge]rihte râche gît nâch sînen werken über in der mir vreude und gewin âne schulde genomen hât. owê der grôzen meintât, daz si noch ungerochen stât!‘

wie aus einem Munde die Seinen und die Gäste ihre Hilfe. Das Bündnis wurde gelobt gegen den frevelhaften Mann, der diesen Mord begangen und ihre Ehre damit verletzt hatte. Herr Wigalois sandte seinen Boten mit dem Pagen voraus dorthin. Von ihm und den Fürsten ließ er in der Stadt Fehde ansagen und ausrichten, wenn es in seinen Kräften stünde, würde Lion, der Fürst, nach seinem Schach ein Matt zu gewärtigen haben. So verließ ihn der Bote. Dem Pagen wollte er Gewänder geben, doch dieser sprach: „Nein, ich will so lange in tiefem Schmerz leben, bis Gottes Gerechtigkeit ihn nach seinen Werken richten wird, der mir ohne allen Grund die Freude und alles, das ich je erwarb, genommen hat. O weh, dass dieses große Unrecht noch immer ungesühnt ist!“

Sus nam er urloup und schiet dan wider zuo dem tôten man, der dannoch ûf dem velde lac; des got mit sîner huote pflac vor vogeln und vor hunden. sîn ors daz was gebunden vil vaste an einer linden ast. alsô gewâfent lac der gast: sîn schilt was über in geleit nâch des landes gwonheit; daz swert under sînem houbet lac. ditz was der sibende tac daz der helt was erslagen. man sach in jæmerlîche klagen zwêne winde die bî im lâgen. des heldes si dâ pflâgen vor vogeln und vor wilde. ungâz ûf dem gevilde dolten si die hungers nôt unz si dâ lagen bî im tôt, daz ors und sîne winde. den schat gap in diu linde mit ir loube daz was breit.

So verabschiedete er sich und begab sich zurück zu dem Toten, der noch immer auf dem Feld lag und den Gott bewahrte vor den Vögeln und den Hunden. Sein Pferd war an einem Lindenast festgebunden. Er selbst lag in voller Bewaffnung: sein Schild war nach Landesbrauch über ihn gelegt worden; das Schwert lag unter seinem Haupt. Es war am siebten Tag, nachdem er getötet worden war; zwei Windhunde, die bei ihm wachten und ihn vor Vögeln und wilden Tieren beschützten, sah man bitterlich um ihn trauern. Ohne Speise erduldeten sie auf dem Feld Hungersqualen, bis sie selbst tot neben ihm lagen, das Pferd und seine Hunde. Die Linde spendete ihnen Schatten mit ihrem dichten Laub.

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mîn vrouwe Lîamêre erleit nâch dem helde grôze pîne. im wâren die sîne gar gevangen und erslagen. daz begunde si hêrzenlîche klagen mît wîplîcher swære; ir wart der lîp unmære daz si ir trût hêt verlorn. dô hêt ab si Lîôn erkorn ze vreuden sînem lîbe. disem reinem wîbe ersluoc er ir lieben man mit einem sper von Angran. ir grôziu schœne gap im den tôt. der jâmer ir nâch im gebôt vil pînlîche swære. swie schœne ir varwe ê wære, diu erlasch nu gar und wart bleich. ir vreude ir sô gar gesweich daz si niwan jâmers pflac beidiu naht unde tac. des lîbes si sich gar bewac.

Frau Liamere ergriff großer Kummer um den Helden. All die Seinen waren ihm erschlagen oder gefangen. Dies beklagte sie schmerzlich, wie Frauen zu trauern pflegen. Das Leben wurde ihr verhasst, da sie den Geliebten verloren hatte. Lion aber hatte sie sich selbst zur Freude erwählt. Dieser makellosen Frau ermordete er ihren geliebten Mann mit einer Lanze aus Angram. Ihre strahlende Schönheit hatte ihm den Tod gebracht. Die Trauer um ihn fügte ihr tiefen Schmerz zu. Wie liebreizend ihr Antlitz auch jemals war, so verblasste es nun ganz und wurde bleich. Ihre Freude verließ sie vollkommen, so dass sie Tag und Nacht nur mit Klagen dahin brachte. So gab sie sich selbst auf.

Als ir der triuwen jâmer riet, ir schœne zöpfe si abe schriet, die wâren lanc, ze rehte grôz; der regen von ir ougen vlôz an diu wange und ûf ir brust. der bitter tôt was ir gelust; daz erzeiget si der werlte sît. si zarte von ir den samît, der von golde gap liehten schîn, und einen belz härmîn von ir schœnem lîbe. dem vil reinem wîbe wart von herzen leide, daz si ir ougen weide âne schulde slahen sach. von disem leide ir herze brach, dâ von ouch si den lîp verlôs. ir ganze sinne si verkôs mit jæmerlîcher tobeheit; sine dolte an ir deheiniu kleit, unz man ir huote muose haben. ‚owê, wan wær ich begraben mit mînem süezen trûte!‘ daz rief si vil lûte;

In aufrichtiger Trauer schnitt sie ihre schönen, wohlgestalteten und langen Zöpfe ab; der Tränenregen ihrer Augen netzte ihr Wangen und Brust. Den bitteren Tod sehnte sie herbei, wie sie es dann der Welt auch zeigte. Sie riss sich den Brokat, der von Gold hell leuchtete, und einen Hermelin von ihrem schönen Leib. Die edle Frau war tief bekümmert, die Freude ihrer Augen unschuldig sterben zu sehen. Der Schmerz brach ihr das Herz und raffte sie dahin. Ganz von Sinnen verfiel sie jammervoller Raserei: sie wollte keinerlei Bekleidung an sich dulden, so dass man sie in Obhut nehmen musste. „O weh, wenn ich doch begraben wäre mit meinem liebsten Gemahl!“ Das rief sie laut aus

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dise rede begap si nie. swaz si ir schœnen lîbes gevie, dâ[z] beiz si jæmerlîche abe. von dirre grôzen ungehabe vlôch si wîp unde man, wan si was sô wol getân, swer ir jâmer rehte ersach daz dem ze weinen geschach. ditz treip si alsô siben tage, daz ir jâmer und ir klage was zallen zîten niuwe; si truoc die wâren riuwe umbe ir gesellen tôt. Lîôn der vürste ir dicke enbôt sînen lîp und ouch sîn lant. daz gienc ir allez zeiner hant; sîn trôst der was ir ungehabe. sus tet si sich der werlte abe mit herzenlîchem sêre. den lîp, guot und êre verlôs si umb ir gesellen tôt; des wart vil manic ouge rôt; ir triuwe wac vür Karles lôt.

und hörte nicht auf damit. Ihren schönen Körper verunstaltete sie mit fürchterlichen Bissen. Wegen dieser Raserei wichen alle von ihr zurück, denn sie war so schön, dass niemand dies mit ansehen konnte, ohne zu Tränen gerührt zu sein. Sieben Tage lang erhoben sich ihre Klage und ihr Wehgeschrei immer aufs Neue. Sie trug tiefste Trauer um ihren toten Geliebten. Fürst Lion versprach ihr wiederholt sein Land und sich selbst; all das war ihr gleichgültig. Sein Trost geschah zu ihrem Leidwesen. Also entsagte sie der Welt in bitterem Schmerz. Leben, Gut und Ehre gab sie dahin durch den Tod ihres Geliebten. Das beweinten viele. Ihre Treue überwog das Richtlot Karls (des Großen).

Dô si der vürste tôte sach, wider sich selben er dô sprach ‚owê, waz hân ich getân! ich hân erslagen ir lieben man âne schulde mit mîner hant. owê dir, untriuwen bant, wie mich dîn gir verleitet hât! du gæbe mir disen bœsen rât daz ich den helt erslagen hân niwan ûf des heiles wân daz mir sîn schœne wîp belibe und ich die zît mir it vertribe. nu lît si hie vor leide tôt umb ir gesellen; deist ein nôt die ich immer klagen muoz. ô wol dir, reines wîbes gruoz und herzenlîchiu trûtschaft! du treist et gar der triuwen kraft mit vil jæmerlîchen siten.‘ innen des dô kam geriten des küniges bot von Korntîn. waz sîn gewerp möhte sîn, daz was in allen unbekant.

Als der Fürst sie tot sah, sprach er zu sich: „O weh, was habe ich getan? Ich habe ihren geliebten Mann ohne allen Grund getötet. Weh euch, ihr Stricke der Treulosigkeit, wie verführte mich euer Begehren! Ihr gabt mir diesen schlimmen Rat, den Helden zu töten für nichts als die trügerische Hoffnung auf das Glück, das mir seine schöne Frau zu (angenehmem) Zeitvertreib zuteil würde. Nun ist sie hier vor Kummer um ihren Geliebten gestorben, das ist ein Unglück, das ich für immer beklagen werde. Heil dir, du Inbegriff von Frauengunst und Herzensliebe! Du verbindest die Macht ganzer Treue mit den Zeichen des Leids.“ Unterdessen war der Bote des Königs von Korntin eingetroffen. Was sein Auftrag sein könnte, wusste niemand.

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er erbeizte und gie zehant dâ er Lîôn den vürsten sach. wider in er vrävelîche sprach ‚herre, dir widerbietent die die ich dir benenne hie ir dienest und ir vriuntschaft: mîn herre der künic mit sîner kraft, her Gwîgâlois von Korntîn, Rîâl, der künic von Jeraphîn, Êrec, fil de roi Lac, und Lanzelet der Arlac, mîns herren vater, her Gâwein, und von dem brunnen her Îwein, Zaradech und Panschavar, – die sint von der heiden schar zwêne künige ûz Asîâ, – die wellent ir sper dâ durch dînen schilt verstechen und daz laster rechen mit swerten an dînem lîbe, daz du dem reinen wîbe hâst erslagen ir lieben man, der dir niht leides hêt getân. zes küniges hôchzît wolder sîn; nu hât diu untriuwe dîn ir gewalt an im erzeiget. dîn hôchvart wirt geneiget und dîn gewalt verkêret. dîn vreude wirt gesêret mit herzenlîcher swære. owê der leiden mære daz mîn vrouwe Lîamêre ist tôt, diu nie wart von schanden rôt! ir lîp hât si von dir verlorn. dar umbe hât ûf dich gesworn der grâve Adân von Âlârîe, und dise vürsten drîe: Darêl, Gamêr und Arîûn; Medarîe und Belakûn, von danne sint si geborn. ir herren habent si verlorn ûf dem gevilde bî Roimunt. von disen vürsten tuon ich dir kunt daz si dir schade wellent sîn. vrouwe Êlamîe diu künigîn widerbiutet dir ir vriuntschaft, si und ir geselleschaft.

Er saß ab und begab sich alsbald zu dem Ort, wo er Lion den Fürsten antraf. Zu ihm sprach er kühn: „Herr, dir kündigen diejenigen, die ich dir benennen werde, ihren Dienst und ihre Freundschaft auf: mein Herr, der König Wigalois von Korntin mit seiner Schar, Rial, der König von Jeraphin, Erec, Sohn des Königs Lac, und Lanzelot von Arlac, der Vater meines Herren, Herr Gawein, und Herr Iwein von der Quelle, Zaradech und Panschavar – das sind zwei heidnische Könige aus Asien – die ihre Lanze durch deinen Schild stechen und die Untat mit dem Schwert an dir rächen wollen, dass du der edlen Frau den geliebten Mann erschlagen hast, der dir nichts zu leide getan hatte. Zum Fest des Königs hatte er kommen wollen. Nun hat deine Treulosigkeit ihm Gewalt angetan. Dein Hochmut wird erniedrigt, deine Macht gebrochen, deine Freude durch tiefen Kummer verletzt werden. O weh dir, Schreckensnachricht, dass meine Herrin Liamere tot ist, die sich nie einer Schande zu schämen hatte. Sie starb durch dich. Daher haben dir Graf Adan von Alarie und die drei Fürsten Darel, Gamer und Ariun Rache geschworen, die aus Medarie und Belakun stammen. Ihren Herren verloren sie auf dem Feld bei Roimunt. Von diesen Fürsten richte ich dir aus, dass sie auf dein Verderben aus sind. Frau Elamie, die Königin, kündigt dir mitsamt ihrem Gefolge ihre Freundschaft auf.

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vrouwe Marîne und ir gespiln die wellent hie mit dir spiln dâ von manic ouge wirdet rôt. daz spil wirt manges mannes tôt. dir widerbiutet ouch Bejolarz, des grâven sun von Lêodarz, und sîn neve, der grâve Môrâl; Ursîn und Ambigâl, zwêne grâven von Sâlîe; dar nâch diu mässenîe widerbiutet dir ir vriuntschaft. mîn herre der künic mit sîner kraft wil dich besitzen vor der stat. dâ wirt dîn untriuwe sat mortlîcher dinge. dîner vreuden klinge muoz bresten von der meintât die dîn hant begangen hât an dem vürsten wol geborn. von sînem tôde hât verlorn ir lîp vrouwe Lîamêre, diu mit herzen sêre vil jæmerlîche ende kôs vor leide, daz si ir trût verlôs. waz mac ich nu sprechen mê? ir lîp der ist ein junger rê und lît hie jæmerlîche. nu wizze et sicherlîche daz got den mort niht übersiht. swaz leides dir dâ von geschiht, dazn sol niemen guoter klagen. nâch disen zwelf tagen sihestu mînen herren hie, dem reiner wîbe jâmer ie vîl nâhen an daz herze gie.‘

Frau Marine und ihre Gespielinnen werden hier ein Spiel mit dir treiben, das so manches Auge röten und vielen Männern den Tod bringen wird. Dir widersagt auch Bejolarz, der Sohn des Grafen von Leodarz, und sein Oheim, der Graf Moral; Ursin und Ambigal, zwei Grafen von Salie, sowie der ganze Hof sagen dir ihre Freundschaft auf. Mein Herr, der König will dich mit seiner Heeresmacht vor der Stadt belagern. Da wird dein verbrecherischer Sinn der Mordtaten überdrüssig werden. Deiner Freuden Klinge wird zerbrechen von der Untat, die deine Hand an dem hochgeborenen Fürsten beging. Durch seinen Tod starb Frau Liamere, die in tiefem Schmerz ein jammervolles Ende nahm vor Leid, ihren Geliebten verloren zu haben. Was kann ich mehr sagen? Soeben dem Leben entrissen liegt dort bedauernswert ihr Körper. Nun sei gewiss, dass Gott die Mordtaten nicht übergeht. Was immer dir daher zuleide getan wird, soll kein anständiger Mensch bedauern. Binnen zwölf Tagen wirst du meinen Herren hier sehen, den der Schmerz edler Damen von je her zutiefst dauerte.“

Dô Lîôn hêt vernomen die botschaft diu im was komen, und disen jâmer vor im sach, daz beswârte in sêre unde sprach ‚der rede wirt vil guot rât. swer mir widerboten hât dem entwîche ich nimmer einen vuoz. ir vriuntschaft und ir gruoz ist mir als in diu mîne. vor der stat ich schîne swen si komen, mit rîters wer.

Als Lion die Botschaft vernommen hatte und all das Unglück vor sich sah, wurde er zutiefst bekümmert und sprach: „Die Rede soll nicht ohne Antwort bleiben. Wer immer mir widersagte, vor dem werde ich keinen Fuß weit zurückweichen. Ihre Freundschaft und ihr Gruß mir gegenüber beruhen ganz auf Gegenseitigkeit. Vor der Stadt werde ich, wenn sie kommen, in ritterlicher Bewaffnung erscheinen.

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sine bringent nie sô grôzez her ichn gebe in rîterschaft genuoc. ôwoch! daz ich den vürsten sluoc, des trûwe ich harte wol genesen. die mir schade wellent wesen die komen her, swer si sîn! ich nim daz ûf die triuwe mîn daz si den prîs hie bejagent den ir wîp dâ heime klagent. si wænent des ich sî ez Rôaz. deiswâr, ich trûwe verre baz mîn lant erweren und die stat. der rede wil ich dehein blat legen vür mînen munt. daz weiz ich wol und ist mir kunt daz er den helt mit zouber sluoc des hant vil mänlîch ellen truoc. durch daz im dâ sô wol gelanc, sô wolder über mînen danc mîn lant mir an erstrîten. er sol noch lenger bîten. mich dunket des, er sûme sich. sîn zorn unde sîn gerich ist mir als daz bœste hâr daz ie man von im geschar. daz soltu dînem herren sagen. swaz er prîses hie wil bejagen, den muoz er koufen tiure; hie enist niht âventiure! die sol er suochen anderswâ. ich weiz wol, – im gelinge et dâ als im tet ze Korntîn, – sol ich leben, ich tuon im schîn daz er mîn lant und mich verbirt. ich wil hie selbe wesen wirt. ern hât niht rehte an mir ersehen; ander liute sol er im spehen die sîn ze herren wellen jehen!‘

Ihr Heer kann niemals so groß sein, dass ich ihnen nicht Genüge tun könnte. Pah! Dass ich den Fürsten erschlug, das kann mir, glaube ich, nicht schaden. Wer auf mein Verderben aus ist, soll nur kommen, wer immer er sei! Bei meiner Treue, sie sollen hier den Lohn erhalten, den ihre Frauen daheim beklagen werden. Sie halten mich wohl für Roaz. Wahrlich, ich werde mit Sicherheit mein Land und die Stadt besser verteidigen. Ich will kein Blatt vor den Mund nehmen in dieser Sache. Ich weiß es ganz genau, dass er den Helden, dessen Taten seine Stärke und Tapferkeit beweisen, durch Zauberlist besiegte. Dieser Erfolg brachte ihn (Wigalois) dazu, mir gegen meinen Willen mein Land abzutrotzen. Darauf kann er noch lange warten, ich denke, er verliert bloß seine Zeit. Sein Zorn und seine Rache gelten mir nicht mehr als eine Bartstoppel, die man abschabt. Sag das deinem Herren. Was immer er zu erstreiten beabsichtigt, soll er teuer bezahlen. Hier wird es keine Aventiure für ihn geben! Die soll er anderswo suchen! Ich bin sicher – falls er nicht doch auch hier genauso erfolgreich ist wie in Korntin –, wenn ich nicht sterbe, dann werde ich ihn lehren, von mir und meinem Land abzulassen. Ich selbst werde hier der Hausherr sein. In mir hat er sich geirrt; er soll sich andere Leute aussuchen, die ihn zum Herren haben wollen.“

Der bot sprach zem wirte sân ‚hie enwirt mit rede niht getân; die sul wir beide lâzen sîn; bistu vrum, daz wirt wol schîn. ich wil mit urloube varn.‘ er sprach ‚got müeze dich bewarn! nu sage der mässenîe von mir: und tragen si rîterlîche gir,

Da sprach der Bote zum Burgherren: „Durch Worte wird nichts ausgerichtet, lassen wir das also. Wenn du tapfer bist, so wird sich das erweisen. Ich will mit deiner Erlaubnis Abschied nehmen.“ Er sprach: „Gott schütze dich! Nun richte dem Hof von mir aus, wenn sie den ritterlichen Kampf suchen,

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daz si die hie erzeigen; ez sterben [ni]wan die veigen, – die lægen doch dâ heime tôt, – daz si niht schiuhen dise nôt.‘ er sprach ‚herre, daz tuon ich.‘ mit der rede schiedens sich. sus vuor der bot ze Korntîn. den künic und die künigîn vant er und die vürsten dâ. disiu mære begunder sâ al der mässenîe sagen: wie der künic wære erslagen, Âmîre, durch sîn schœne wîp, und wie dar nâch vor leide ir lîp diu schœne Lîamêre mit herzenlîchem sêre vil jæmerlîch verkôs, dô si ir gesellen vlôs der ir herzen bluome was. noch stæter danne ein adamas was der reinen triuwe. daz erzeicte ir grôziu riuwe die si nâch dem helde truoc den ir grôziu schœne sluoc. owê und wol dir, Minne! du twingest die küniginne gelîch der vil armen diet. dîn kraft nie niht underschiet dune zügest ez gar in dîn gebot. du kanst in ernest und in spot twingen allez daz du wil. dîn ende daz treit jâmers vil: den tôt er nâch im ziuhet. swer dînem gewalte enpfliuhet, der dunket mich ein sinnic man. dîn kraft vil wol gemachen kan mit leide liehtiu ougen rôt. dâ wart vil ofte ‚owê dir, tôt!‘ gerüefet jæmerlîche, dô si klägelîche klagten daz vil reine wîp, diu von herzeleide ir lîp verlôs umb ir lieben man. als ich mich versinnen kan, daz wirt vil selten nû getân.

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sollen sie das hier unter Beweis stellen. Es sterben nur diejenigen, denen es bestimmt ist – die würde der Tod auch daheim ereilen – mögen sie also den Kampf nicht scheuen.“ Er sprach: „Herr, das werde ich tun.“ Mit diesen Worten trennten sie sich. Also begab sich der Bote nach Korntin, wo er den König, die Königin und die Fürsten antraf. Unverzüglich überbrachte er dem Hof die Nachrichten, wie der König Amire um seiner schönen Frau willen getötet wurde und wie hernach die schöne Liamere ihr Leben in tiefem Schmerz jammervoll aushauchte, nachdem sie ihren Geliebten verloren hatte, der die Blume ihres Herzens gewesen war. Dauerhafter noch als ein Diamant war die Treue der Edlen. Das bewies der große Kummer, den sie wegen des Helden litt, der um ihrer Schönheit willen den Tod gefunden hatte. Wohl und wehe dir, Minne! Du bezwingst gleichermaßen die Königin wie das gemeine Volk. Deine Gewalt hat keine Unterschiede gemacht, alles zwingst du ganz und gar unter dein Gesetz. Du weißt mit Strenge oder Freundlichkeit was immer du willst zu bezwingen. Dein Ende bringt großen Kummer mit sich, dem der Tod nachfolgt. Wer deine Herrschaft flieht, scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein. Deine Gewalt weiß sehr wohl klare Augen leidvoll zu röten. Da wurde vielmals „Weh dir, Tod!“ jammervoll gerufen, als sie unter Klagen die wunderschöne Frau betrauerten, die an tiefem Schmerz um ihren geliebten Mann ihr Leben verlor. Wie ich es wahrgenommen habe, geschieht so etwas heutzutage nicht mehr.

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Welt ir, ich sagiu wâ von: wîlen was man ungewon valschlîcher minne; mit einvaltigem sinne minten si ein ander dô. nû sî wir valschlîche vrô und minnen [ni]wan mit kündicheit. swer nû wâre minne treit und triuwe, der ist vil manges spot. wîlen dô minten si got, dô hêt ouch ers in sîner pflege. nu kêre wir alle von dem wege sîner gebot, diu er uns lie. dâ von solt wir bedenken wie diu werlt sich verkêret hât; ir vreude jæmerlîche stât; diu reht sint gevlœhet; ir gewalt der ist gehœhet; diu triuwe ist verschertet; untriuwe mit nîde hertet. diu zît hât sich verwandelt gar; ie lanc lenger bœsent diu jâr. ezn lebt nu niemen sîne zît; diu gîticheit bœse ende gît; sus hât si sich verkêret. ir vreude ist gesêret mit tœtlîcher sünde. ditz ist ir urkünde: si stêt nû, als wîlen sach Jôhannes, dâ von er sprach in dem hêren geiste. mit gotes volleiste sach er die himel offen stên; dar inne solhiu dinc begên daz im ze schrîben wart verboten. er sach des wâren lambes boten in sînen tougen umbe varn und durch den himel einen arn vliegen krefticlîche. der rief vil jæmerlîche ‚owê ir, aller muoter barn! ir solt nâch sînem willen varn der anegenges niene hât und des gewalt ân ende stât und der in sîner hende besliuzet der werlt ende, ân des genâde niht mac gesîn;

Wenn ihr wollt, erkläre ich euch, warum das so ist: Früher war falsche Minne nicht der Brauch; mit geradliniger Aufrichtigkeit liebten sie einander damals. Wir hingegen erfreuen uns der Falschheit und lieben mit Berechnung. Wer immer heute wahrhaft liebt und aufrichtig ist, wird zum Spott für die meisten. Früher verehrten sie Gott und so nahm auch er sich ihrer an. Nun aber wenden wir alle uns vom Weg seiner Gebote ab, die er uns gab. Aus diesem Grund sollten wir unsere Gedanken auf die sich verkehrende Welt richten. Ihre Freude ist in bejammernswertem Zustand, Recht und Gesetz sind in die Flucht geschlagen, ihre Gewaltherrschaft ist emporgehoben. Aufrichtigkeit ist versehrt, Falschheit und Missgunst überdauern. Die Zeiten haben sich gänzlich gewandelt; Jahr für Jahr wird es schlimmer. Niemand, der seine Tage (in Frieden zu Ende) lebte, da die Habgier ein schlimmes Ende bereitet; so hat sie (die Welt) sich verwandelt. Ihre Freude ist durch Todsünden verwundet. Das sind ihre Zeichen: Es steht nun so, wie es damals Johannes vor Augen stand, als er vom Heiligen Geiste erfüllt davon sprach. Mit Gottes Hilfe sah er die Himmel offen stehen und darin solche Dinge, von denen zu schreiben ihm verboten war. Er sah die Boten des wahren Opferlamms in seiner Offenbarung umhergehen und einen Adler gewaltig durch den Himmel fliegen. Der rief voller Trauer: „O weh, du ganzes Menschengeschlecht! Ihr Menschen sollt nach dem Willen dessen leben, dessen Gewalt ohne Anfang und Ende, in dessen Hand die endliche Welt beschlossen ist, ohne dessen Gnade nichts sein kann,

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des tuot er alle tage schîn. sîn gebot habt ir übersehen; des muoz iu leide geschehen. von im sît ir vervluochet, iuwers lebens er niht ruochet.‘ daz ist über uns ergangen. mit des tôdes zangen sî wir leider hin gezogen. diu gîticheit hât uns betrogen und werltlîcher rîchtuom. owê dir, rîcheit unde ruom! dîn zierlîch gebende wirt vil ellende nâch des lîbes ende.

was er jeden Tag beweist. Ihr habt sein Gebot missachtet, daher wird es euch übel ergehen. Ihr seid von ihm verflucht, um euer Leben sorgt er sich nicht mehr.“ Dies ist nun über uns gekommen und wir werden mit den Zangen des Todes dahingerafft. Die Habgier hat uns verblendet wie der weltliche Reichtum. Weh euch, Reichtum und Ruhm! Euer eitler Kopfputz verschwindet gänzlich nach dem Tod.

Ichn mac ez allez errecken niht swaz dô geschach und noch geschiht: der mære würde gar ze vil; dâ von ich mich niht sûmen wil mit sô manger umbesage. dâ was grôz weinen unde klage von der mässenîe. diu künigîn Lârîe klaget vil sêre ir nifteln tôt. dâ wart vil manic ouge rôt von klägelîchem sêre. der bot sagt in noch mêre von Lîôn, dem vürsten balt: daz er umb ir aller gwalt niht engæbe daz bœste hâr daz ie man von im geschar, und daz ir aller widerbot wær sîn tägelîcher spot; ern vörhte si ze nihte und wolde zir angesihte gegen in ligen mit sînem her. si vünden rîterlîche wer, strenge jost und herten strît, ob si kœmen im enzît mit mänlîchem muote. her Gâwein der guote und sîn gesellen [die] wurden vrô. diu mässenîe bereit sich dô vil snelle zuo der hervart, dâ manic schilt verhouwen wart. ouch bereite man der künigîn dâ si inne solde sîn

Ich kann es nicht alles aufzählen, was dort geschah und was noch geschehen wird; das würde zu lange dauern. Daher will ich mich nicht länger mit allerlei umständlichen Erzählungen aufhalten. Am Hofe herrschte großes Weinen und Klagen. Königin Larie betrauerte tief den Tod ihrer Cousine. Da rötete sich so manches Auge von herzlichem Kummer. Der Bote hatte noch weitere Nachricht für sie von Lion, dem kühnen Fürsten: Dass er nämlich ihre gesamte Heeresmacht geringer schätzte als das unscheinbarste Haar, das man ihm je (von Kinn und Wange) schabte, und dass ihrer aller Kampfansage ihn nur belustigen könne; er fürchte sie nicht im mindesten und wolle Auge in Auge mit ihnen sein Heer aufstellen. Sie würden ritterliche Verteidigung, harte Tjost und raue Kämpfe finden, kämen sie alsbald mit mannhafter Gesinnung. Der edle Herr Gawein und seine Mitstreiter waren es zufrieden. Der ganze Hof bereitete sich alsbald zur Heerfahrt, auf der noch viele Schilde zerhauen werden sollten. Auf Weisung des Königs bereitete man auch der Königin

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24. Hilfeersuchen der Königin Liamere

die vart durch des küniges bet, daz ouch si vil gerne tet, wand ez ir beider minne riet, diu si nimmer mê geschiet. swar mîn her Gwîgâlois nu rit, vrouwe Lârîe im volget mit, wand er die schœnen gerne sach. er hiez bereiten durch ir gemach ein harte schœne kastel, ze mâze hôch und sinwel, geriht ûf einen helfant, daz man vil wol bedecket vant mit pfelle von Alexandrîe. drinne mîn vrouwe Lârîe mit zwelf juncvrouwen reit, die wâren rîch und gemeit. vil grôz gezierde truoc man drîn; mit rîchen tepten sîdîn bestreuwet man daz kastel. ein pfelle rôt unde gel die wende al umbe gar bevienc. enmitten dar inne hienc ein mückennetze sîdîn. mit golde was gehangen drîn ein kristalle, lûterr danne ein glas, daz vil wol gefüllet was mit balsam der gap guoten smac; des süeze enstrîte gegen wac bisem und spicâ nardî. welt ir wizzen waz daz sî? umb den smac stêt ez sô: nie niemen wart sô unvrô, gesmecket er sîn, sîn leit zergê. nu hœrt von sîner tugent mê: dehein suht ist sô getân und wirt diu salbe gestrichen dran, sine müeze deste semfter sîn. besigelt in einem rubîn was si; dâ von mans gesach. der was der kristallen dach und brehende als ein kerzen lieht dâ man des nahtes bî gesiht. diu salbe ist tiure und unbekant; man bringet si von des Alten lant vil verre ûz der heidenschaft. von solhen wurzen hât si kraft die man mit golde wider wiget.

eine Reisegelegenheit, die dem gern zustimmte, denn ihre Liebe, die sie fortan nie mehr trennte, gab ihnen dies ein. Wohin Herr Wigalois auch ritt, Frau Larie begleitete ihn, denn er hatte die Schöne gern bei sich. Zu ihrer Bequemlichkeit ließ er einen wunderschönen Turm anfertigen, nicht zu hoch und rund, der auf einem Elefanten Platz fand und mit Seide aus Alexandrien bedeckt war. Darin unternahm Frau Larie die Reise zusammen mit zwölf Jungfrauen, die schön und von edler Herkunft waren. Er wurde prächtig ausgestattet: mit kostbaren Seidenteppichen legte man ihn aus; die Wände ringsum waren mit gelbroter Seide ausgekleidet; in der Mitte hing ein seidenes Mückennetz; an einer Goldkette war darin ein Kristall aufgehängt, klarer als Glas, der sorgsam mit Balsam gefüllt war, der Wohlgeruch verströmte, dessen Süße wohl diejenige des Bisam und des Spicarnard übertraf. Wollt ihr wissen, was Balsam ist? Mit dem Duft hat es folgendes auf sich: Niemand konnte so unglücklich sein, dass sein Leid nicht bei diesem Duft verflogen wäre. Nun hört mehr von dieser Kraft: Es konnte keine Krankheit geben, die nicht gelindert werden würde, wenn man sie mit der Salbe behandelte. Sie war mit einem Rubin bedeckt, daher konnte man sie sehen. Dieser war der Deckel des Kristalls und leuchtete wie das Licht einer Kerze, die uns bei Nacht sehen lässt. Die Salbe ist selten und kostbar; Man bringt sie vom Lande des Alten (vom Berge) weither aus dem Orient. Sie besitzt die Tugend eines solchen Gewürzes, das man mit Gold aufwiegt.

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dâ von ir süezer smac gesiget von rehte allen wurzen an. als ichz vernomen hân, ir süeze sich niht gelîchen kan.

Daher übertrifft ihr Wohlgeruch denjenigen aller anderen Gewürze. Wie ich gehört habe, ist ihre Lieblichkeit unerreicht.

Daz netze was gestricket wol; guldîner schellen hienc ez vol niden an dem ende; ouch wâren die wende mit betten umbe umd umbe beleit. von rîchen pfellen kulter breit wâren drûf gestrecket, die wende gar bestecket mit bluomen, und daz hûs bestreut. der tac, des schîn diu herze vreut, schein al umbe durch diu glas, swen ez an sînem zîte was. sus was gezieret schône drinne der vreuden krône, des wunsches âmîe, diu künigîn Lârîe durch gemach solde rîten. in vil kurzen zîten nâch ir willen was ez bereit, gezieret mit grôzer rîcheit. swenne diu vrouwe solde varn, sô hiez her Gwîgâlois bewarn mit grôzer huote daz kastel vier grâven; die wâren snel ze triuwen und ze manheit; ouch was in ganzer sin bereit. der eine hiez grâve Môrâl; Ursîn und Ambigâl; der vierde hiez grâve Adân. der gebot wârn undertân hundert rîter gêrte. swar der helfant kêrte ûf dem velde od an dem wege, dâ hêten si in in ir pflege, alsô diu vrouwe drûffe was. nu kômen ûf den palas die vürsten durch des küniges bet und swuoren alle an der stet ze warten dem herren Gâwein, des kunst an rîterschefte schein. er dûhte si sô wîse daz si von sînem prîse

Das Netz war vortrefflich verfertigt; es war unten am Rand über und über mit goldenen Glöckchen behangen. Auch waren an den Wänden entlang Betten aufgestellt; mit kostbaren Seidenstoffen bezogene, gefütterte Steppdecken waren darüber gebreitet. Die Wände waren über und über mit Blumen geschmückt und der Boden bestreut. Der Tag, dessen Licht das Herz erfreut, schien von allen Seiten durch die Fenster herein, sobald seine Zeit gekommen war. Und so war der Turm wohl bereitet, darin die Krone der Freude, der Vollkommenheit Gespielin, Königin Larie mit allen Annehmlichkeiten reisen sollte. Nach kurzer Zeit war er nach ihren Anweisungen fertiggestellt und prächtig geschmückt. Als die Dame die Reise antreten sollte, übergab Wigalois den Turm der sorgsamen Obhut von vier Grafen, die sich durch Treue, Tapferkeit und Umsicht auszeichneten. Sie hießen Moral, Ursin, Ambigal und Adan. Hundert Ritter standen ihnen als Ehrengarde zu Gebote. Wohin der Elefant auch ging, über Feld oder auf Wegen, sie bewachten ihn, sobald sich die Herrin im Turm befand. Nun erschienen auf Befehl des Königs die Fürsten im Palas und leisteten dort alle einen Eid, Herrn Gawein zu dienen, dessen Erfahrung im ritterlichen Beruf bekannt war. Er erschien ihnen so erfahren, dass sie sich bei seiner Vortrefflichkeit

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25. Heeresaufgebot und Namur-Feldzug

nimmer möhten missevarn, sît er daz her solde bewarn mit sinnen und mit manheit. des kom er in die arbeit die er vil kûme überwant. wan daz im vreise was bekant, ez wær verzaget des heldes hant.

vor jeglichem Fehlschlag sicher glaubten, da er die Aufsicht über das Heer auf sich nehmen würde, mit Vernunft und Tapferkeit. Dies brachte ihn später in eine Bedrängnis, die er fast nicht überlebt hätte. Wären ihm Gefahren nicht geläufig gewesen, er wäre wohl daran verzweifelt.

25. Heeresaufgebot und Namur-Feldzug Anordnung der Heerfahrt. Aufbruch. Banner von Roimunt: das Tier von Korntin in schwarzem Samt. Ankunft vor Namur. Amires Leiche wird in einen kostbaren Sarg gelegt. Beschreibung der Belagerung und Einnahme Namurs. Lion wird von Gawein getötet. Wigalois unterstellt die Stadt einem Verwalter, fordert Geiseln und lässt die Bürger Urfehde schwören. Der Graf Moral empfängt das Herzogtum und die Stadt Namur zu Lehen. Die Fürsten und Sarjande werden mit dem von den Bürgern entrichteten Schatze belohnt. Lion wird seiner Würde entsprechend bestattet, Amires Leiche neben Liameres Sarg beigesetzt. (10438–11237)

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Dô diu hervart was bereit, als uns diu âventiure seit, und iegelîch rîter zuo der vart an der zal geahtet wart, dô hêt der künic von Korntîn, – an dem was grôz manheit schîn, – sehs tûsent rîter ode mêr. nie dehein künic wart sô hêr im zæme solhiu rîterschaft. er hêt wol heres grœzer kraft gevüeret, ob er wolde. dehein rîter nâch solde diente dâ mit sîner wer: im was sô willic gar daz her durch sîne grôze manheit, daz im ir dienest was bereit mit ganzem willen, âne guot; si truogen im alle holden muot. ouch tâten si der künigîn sît wol an dem strîte schîn daz si rou ir nifteln tôt. man sol reiner wîbe nôt dankes nimmer übersehen. swâ in schade mac geschehen daz sol wenden ein ieglîch man, wan dem herzen niemen kan sô herzenlîche vreude geben

Als das Heer bereit zum Aufbruch war, wie uns die Geschichte sagt, und alle Ritter gezählt waren, da verfügte der König von Korntin, der Inbegriff von Tapferkeit, über sechstausend Ritter. Nie war ein König so erhaben, dass ihm ein solches Heer nicht passend erschiene. Er aber hätte auch ein größeres führen können, wenn er es gewollt hätte. Es gab keine Soldritter dort: Das ganze Heer stand freiwillig um seiner Tapferkeit willen zu ihm, so dass sie ihm den Waffendienst unentgeltlich und gerne leisteten. Alle waren ihm zugetan. Auch bewiesen sie der Königin später im Kampf, dass sie der Tod ihrer Cousine dauerte. Man darf die Bedrängnis edler Damen, wo immer man ihrer gewahr wird, nie unbeachtet lassen. Wo ihnen Verlust droht, soll ein jeder Mann einschreiten, denn niemand weiß dem Herzen solche Freude zu schenken

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als der reinen wîbe leben. ir gewizzen und ir güete hœhent daz gemüete daz immer wære an vreuden tôt. sus wendent si des herzen nôt mit guoter handelunge. vervluochet sî diu zunge dâ von dehein rede gê, diu ir lobe widerstê! nu hœret wie diu hervart geordent und geprüevet wart ûz dem lande ze Korntîn. Rîâl der künic von Jeraphîn vuor ie vor mit sîner schar. sîn banier was alsus gevar: geteilet wîz unde rôt. enmitten dar inne bôt ein tier von golde liehten schîn; daz muose wol gezieret sîn, geschicket als ein helfant: dâ bî sîn wâfen was bekant, swar der edel rîter vuor. diu volge im mänlîch ellen swuor. er was ein helt, âne wân; sîn hant vil dicke hêt getân dâ von man im prîses jach. die galiôte man vlühtic sach vor im vil dicke ûf dem mer: er hêt entschumpfiert ir wer. ouch lâgen im gelîche zwei rîchiu künicrîche; der gewaltes hêt er sich erwert. nu hœret wie der künic vert! sehs helfande vuort er; die truogen nâch des heldes ger wîchûs unde bercvrit. dâ riten tûsent rîter mit und vünf tûsent sarjant; die truogen lanzen in der hant, buckeler, swert unde bogen. uns enhabe diu âventiure betrogen, si zogeten ûz dem lande dar mit manger banier lieht gevar. dar nâch reit diu künigîn; an der geverte was wol schîn daz ir des wunsches niht gebrast.

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wie der Stand der edlen Frauen. Ihre Verständigkeit und Güte veredeln den Sinn, der sonst für immer freudlos bliebe. So heilen sie den Kummer des Herzens durch Fürsorglichkeit. Verflucht soll die Zunge sei, die ihnen dieses Lob abspenstig machen will! Nun hört, wie der Heereszug aus dem Land Korntin geführt und geordnet wurde. Rial, der König von Jeraphin, übernahm mit seiner Schar die Vorhut. Seine Fahne trug folgende Farben: geteilt weiß und rot. In der Mitte leuchtete ein prächtig geschmücktes goldenes Tier von der Gestalt eines Elefanten. An diesem Wappen war die Herkunft des Ritters stets erkennbar. Das Urteil der Gesellschaft schrieb ihm mannhafte Tapferkeit zu. Ohne Zweifel war er ein Held. Seine Hand hatte vielfach Dinge vollbracht, die seine Lobpreisung rechtfertigten. Die Korsaren sah man mehrmals vor ihm auf das Meer fliehen: er hatte ihnen eine schmähliche Niederlage bereitet. Auch gegen die Macht der zwei ihm benachbarten Königreiche hatte er sich zu behaupten gewusst. Nun hört, wie der König reiste! Sechs Elefanten führte er mit sich, die trugen nach den Wünschen des Helden Festungs- und Belagerungstürme. Tausend Ritter begleiteten ihn und fünftausend Fußknechte; die trugen Lanzen, Großschilde, Schwerter und Bogen. Wenn uns die Geschichte nicht hinters Licht führt, so zogen sie mit vielen leuchtenden Fahnen aus dem Lande. Ihnen folgte die Königin. An ihrem Reisezug war zu erkennen, dass es ihr an nichts fehlte.

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si vuorte mit ir der sælden last ûf dem helfande, – geprüevet âne schande: – zwelf mägde wünniclîche, edel unde rîche, gekleit in grüenen samît; roc unde mantel wît mit lutern vedern gefurriert. ir houbet wâren geziert mit schapeln bluomîn. ir schœne gap den andern schîn enstrîte gegen dem liehten tage. swie in jâmer unde klage gæbe vrouwen Lîamêren tôt, iedoch wârn in die münde rôt unde ir antlütze lieht. ouchn sol ich vergezzen niht wie vrouwe Lârîe was gekleit. als uns diu âventiure seit, ir schœne gegen der sunnen streit.

Des Glückes Bürde führte sie mit sich auf dem Elefanten, – ihre Erscheinung war tadellos – zwölf liebreizende Jungfrauen, von höchstem Adel, die in grünen Brokat gekleidet waren, wobei der Rock und ein breiter Mantel mit Otterpelz unterfüttert war. Ihre Häupter waren mit Blumenkränzen geschmückt. Ihre Schönheit strahlte im Wetteifer mit dem hellen Tag. Wie sehr sie auch den Tod von Frau Liamere betrauerten, so waren doch ihre Lippen rot und ihre Gesichter leuchteten. Auch darf ich nicht vergessen zu berichten, wie Frau Larie gekleidet war. Wie uns die Erzählung kundtut, wetteiferte ihre Schönheit mit der der Sonne.

Ein hemde wîz als ein swan truoc diu gespil der sælden an; daz was von sîden kleine. an ietwederm beine zwêne schuohe von borten guot. si jehent alle daz hôhen muot diu rîcheit dem herzen gît. daz mac wol sîn, doch ist mîn strît daz nie grôze hôchvart dehein herze von reiner art gewan von grôzer rîcheit. daz sî iu allen samt geseit: daz ungeslähte treit übermuot. ein pfelle, gelpfer danne ein gluot, vrouwen Lârîen was gesniten; dem was furrieren niht vermiten von hermen die wâren blanc. ir roc und ir mantel lanc, wol bezogen und gesniten nâch der Franzoiser siten, [der mantel] mit offener snüere. nâch rîcheit gevüere ein zobel umbe und umbe gie, – beidiu orte er bevie, – swarz, grâ unde breit. diu vrouwe hêt umb sich geleit

Ein schwanenweißes Hemd aus feinster Seide trug die Gespielin des Glücks, an beiden Füßen Schuhe mit edlen Borten besetzt. Man sagt, dass Reichtum dem Herzen Hochstimmung verleiht. Das mag wohl sein, doch ich überlege, dass kein wirklich reines Herz hochmütig wurde durch den großen Reichtum. Euch allen sei es gesagt: Gewöhnlichkeit ist es, die den Hochmut hervorbringt. Eine Seide von feurig-gelber Farbe war für Frau Larie zugeschnitten worden. Der fehlte nicht der Saumbesatz von weißem Hermelin. Ihr Rock und langer Mantel waren bezogen und geschnitten nach französischer Mode, mit offenen Schnüren. Vorteilhaft passend zu den Kostbarkeiten säumten breite schwarze und graue Zobelstreifen den (Rock- und Mantel-)Abschluss ein. Die Dame hatte einen

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einen riemen von Îberne; als die liehten sterne daz edel[ge]steine darûffe lac. ein rubîn, lieht alsam der tac, was zuo der rinken wol ergraben, von golde ein tracke darûf erhaben. diu vrouwe truoc ein vürspan; dâne was niht mê gesmîdes an niwan ein dorn guldîn; dâ mit hafte si ir buosem în. daz vürspan was ein edel stein, der doch drîer varwe schein. daz ein teil ein smâragde was grüener danne dehein gras; ein saphîr was des andern schîn; daz dritte ein edele rubîn: zwêne lewen und ein ar. alsus hât gemeistert dar nâch dem wunsche ditze werc mit worten Wirnt von Grâvenberc. der pfelle den si an truoc der was von golde guot genuoc, geworht in der heidenschaft; dâ ist der sinne hœhstiu kraft. dâ lâgen vor den vrouwen fier wurfzabel und kurrier geworht von helfenbeine. mit edelem gesteine spilten si, mit holze niht, als man nû vrouwen spilen siht. si hêten kurzewîle vil von manger hande seitspil daz die vrouwen kunden; dâ mit si überwunden ir jâmer und ir herzeleit. alsus was in der wunsch bereit; ir gespile was diu sælicheit.

Gürtel aus Spanien angelegt; wie leuchtende Sterne funkelten darauf die Edelsteine. Ein Rubin, hell wie der Tag, war für die Schnalle zugeschliffen, der ein goldener Drache aufgesetzt war. Die Dame trug eine Spange; aus getriebenem Metall war daran nur der goldene Dorn gefertigt; damit verschloss sie ihr Kleid. Die Spange war ein dreifarbiger Edelstein: ein Teil war ein Smaragd grüner als Gras, der zweite ein Saphir, der dritte ein kostbarer Rubin: er stellte zwei Löwen und einen Adler dar. Dies fertigte auf Verlangen mit seiner Kunst von bloßen Worten Wirnt von Grafenberg. Die Seide, die sie trug, war mit edelsten Goldfäden im Heidenland durchwirkt worden. Dort herrscht höchste Kunstfertigkeit. Vor den stolzen Damen lagen Tricktrack-Steine und Läufer-Figuren, aus Elfenbein geschnitzt. Sie spielten mit Edelsteinen, nicht mit Holz, wie man heutzutage die Damen spielen sieht. Sie hatten viel Kurzweil von allerlei Saitenspiel, das die Damen wohl beherrschten. Damit trösteten sie sich über ihren Kummer hinweg. So blieb ihnen nichts zu wünschen übrig; das Glück war ihr Gespiele.

Êrec und sîn geselleschaft swenne die wolden grôze kraft herzenlîcher vreude spehen und minniclîche schœne sehen, sô giengen si zer künigîn; dâ vunden si der sælden schîn und schœner kurzewîle vil von zabel und von seitspil und süeze ougen weide.

Wann immer Erec und seine Gefährten die Überfülle herzlicher Freude erleben und liebreizende Schönheit erblicken wollten, so begaben sie sich zur Königin; dort fanden sie den Widerschein des Glücks und allerlei schöne Kurzweil an Spiel, Musik und Augenfreuden.

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nie niemen wart sô leide, und solder zuo der vrouwen gên, ern müese leides âne gestên. die von gebürte wâren grôz, vürsten oder vürsten genôz, die lie man ûf daz kastel. dâ was diu wîle harte snel mit vreuden schiere zergangen. wen moht dâ erlangen dâ der wunsch geordent was? niuwe bluomen, grüenez gras was ie töuwigez drîn gestreut. dâ von sich lîp und herze vreut und daz diu beidiu twinget, dâ mit diu sælde ringet – daz ist der edeln vrouwen gruoz, den diu volge jehen muoz daz niht dem herzen nâher gê, dem tuont si wol unde wê, – die sâzen hie nâch prîses kür. ir ougen wider unde vür sâhen in diu herze; dâ von vil lîhte ein smerze moht etelîchem widervarn, dâ vor sich niemen kan bewarn. sus vuor diu vrouwe Lârîe, des wunsches âmîe. ob ir kastel vlouc ein van; dâ was von golde gebildet an ein tier, als daz von Roimunt ir vriunde tet die strâze kunt in daz lant zuo Korntîn. sus was des selben tieres schîn in einen swarzen samît gesniten lanc unde wît; daz was ir wâfen zaller stunt; dâ bî was ir der jâmer kunt mit leide umb ir vater tôt, als diu triuwe ir gebôt. daz tier mant si der selben nôt.

Niemand ward je so unglücklich, dass in Gegenwart der Damen sein Leid ihn nicht sofort verließ. Die Hochgeborenen, Fürsten und Fürstengleiche, hatten Zutritt zum Turm. Da verging die Zeit im Nu mit Freuden. Wem konnte es dort langweilig werden, wo alle Wünsche erfüllt wurden? Frische Blumen und grünes Gras, vom Tau noch nass, streute man beständig darin aus. Das, wovon Leib und Sinn erfreut werden, und was sie beide überwältigt und was dem Glück den Sieg streitig macht – das ist der wohlwollende Gruß edler Damen, denen das allgemeine Urteil zugestehen muss, dass nichts unser Herz mehr zu rühren vermag; sie verwöhnen und verwunden es. Die Damen saßen hier, von der Vortrefflichkeit selbst ausgewählt. Ihr schweifender Blick schaute in die Herzen hinein; davon konnte so manchem ein süßer Schmerz widerfahren, gegen den kein Kraut gewachsen ist. So reiste Frau Larie, die Gespielin der Vollkommenheit. Über ihrem Turm wehte eine Fahne, auf der in goldener Stickerei ein Tier abgebildet war gleich jenem, das ihrem Freund (Wigalois) den Weg von Roimunt hinein ins Land nach Korntin gewiesen hatte. Das Abbild dieses Tiers war auf einer langen und breiten schwarzen Seidenbahn aufgebracht. Dieses war stets ihr Wappen, an dem ihre Trauer um den toten Vater ablesbar war, wie es die Tochterliebe von ihr verlangte. Das Tier gemahnte sie an ihr Unglück.

Als ez ist geseit mir, zwêne künige pflâgen ir: der herre Îwein und Êrec; die riten mit ir ûf den wec. driu tûsent rîter vor und nâch,

Wie mir erzählt wurde, leisteten zwei Könige ihr Gesellschaft: Herr Iwein und Erec; die begleiteten sie auf ihrem Weg, vor und hinter ihnen dreitausend Ritter;

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dâ man under vüeren sach vil liehtiu baniere. mit golde harte ziere vil schilte sach man glîzen, mangen helm wîzen gebunden ûf die soume; rîche pfärdes zoume mit guldînen schellen; die hôrte man verre hellen, die busûn blâsen in dem her. iegelîch man mit sîner wer reit als er kunde strîten. vil knappen sach man rîten, die schœniu ors mit in zugen; habiche unde valken vlugen und aller hande vederspil. als in kom des âbendes zil und si diu hitze ein teil verlie, iegelîchez sînen vogel vie den ez vâhen solde. als her Gâwein wolde drî künige riten nâch dem her; die vuorten tœtlîche wer: starkiu sper von Angran. man vuorte mit den vürsten dan wol zweinzic vuoder oder mêr; gabilôt und atigêr truogen die sarjande. sus vuor ûz sînem lande her Gwîgâlois, der werde helt. zwei tûsent rîter ûz erwelt huoten hinden nâch dem her; die vuorten vreislîche wer: tûsent schützen mit starken bogen. swenne die wurden ûf gezogen und man die vînde komen sach, sô wær mîn lîp dâ ze swach ze rîten under in gewesen; ich wæn unlange wære genesen. einen helfant zôch ein knappe kluoc der des küniges kamer truoc und sînen vanen vor der schar; des muosens alle nemen war. ez was ein swarzer samît, gesniten lanc unde wît; von golde ein rat darinne schein; daz zieret manic edel stein.

in dieser Schar konnte man strahlende Banner erblicken. Von Gold sah man viele Schilde prächtig glänzen und manchen weißen Helm auf die Saumtiere gebunden; dazu kostbares Zaumzeug mit goldenen Glöckchen; weithin klingen hörte man das Blasen der Posaunen im Heer. Ein jeder Mann ritt bewaffnet und augenscheinlich kampferprobt. Viele Knappen sah man reiten, die schöne Streitrosse mit sich führten; Habichte, Falken und alle Jagdvögel ließ man fliegen. Wenn der Abend gekommen war und die Tageshitze nachließ, fing ein jeder seinen Jagdvogel wieder ein. Auf Herrn Gaweins Anweisung übernahmen drei Könige die Nachhut, die führten tödliche Waffen: starke Lanzen aus Angran. Wohl zwanzig Wagenladungen oder mehr ließen die Fürsten mitführen. Wurfspieße trug das Fußvolk. So verließ Herr Wigalois, der edle Held, sein Land. Zweitausend ausgezeichnete Ritter bildeten die Nachhut. Sie hatten verderbenbringende Waffen bei sich: Tausend Schützen mit starken Bogen. Wenn diese gespannt wurden im Angesicht der Feinde, so hätte ich nicht die Kraft gehabt, (im feindlichen Lager) mit zu reiten. Lange hätte ich wohl nicht überlebt. Ein verständiger Knappe führte einen Elefanten, der des Königs Schatz und seine Fahne der Schar vorantrug; die konnte niemand übersehen. Es war ein schwarzer Brokat, lang und breit geschnitten; ein goldenes Rad erglänzte darauf, das mit vielen Edelsteinen verziert war.

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der samît geblüemet was mit dem golde von Kaukasas. daz brehent als ein queckiu gluot geviuret ûz der vinster tuot. die zwêne künige ûz Asîâ zwei rîchiu banier vuorten dâ, Zaradech und Panschavar. ir wâfen was ein härmîn ar in einem pfelle von Ninivê; der was grüene als ein klê, gebildet mit rôtem golde gar; dâ mit si pflâgen einer schar. diu banier vlugen über velt. vil mange hütte und gezelt diu starken mûle truogen. vil olbenden sluogen die koufliute vor in hin; die truogen rîcheit gewin, spîse und alsô rîch gewant daz man ninder bezzerz vant ze Kriechen und in der heidenschaft. sus vuor der künic mit sîner kraft vil rîterlîche vür Namûr ze leide Lîôn, der vreuden schûr; diu vart wart mangem manne sûr.

Der Brokat war durchwirkt mit Gold aus dem Kaukasus, das leuchtete wie ein lebendiges Feuer durch die Finsternis. Die zwei Könige aus Asien, Zaradech und Panschavar, trugen kostbare Fahnen. Ihr Wappen war ein Adler aus Hermelin auf einer Seide aus Ninive, grün wie Klee und mit Gold ornamentiert. Damit führten sie ihre Schar an. Die Fahnen wehten über der Ebene. Starke Maultiere trugen zahlreiche Hütten und Zelte. Kaufleute trieben viele Kamele vor sich her; die trugen Luxuswaren, Speisen und so kostbare Gewänder, dass man nirgendwo in Griechenland und bei den Heiden bessere finden konnte. So zog der König mit seiner Heeresmacht in ritterlicher Manier vor Namur, Lion, dem Hagelschlag der Freude, zu leide. Manchem Mann wurde diese Reise zum Verhängnis.

Si kômen an dem zwelften tage nâch des boten widersage. den künic Âmîren brâhtens dar. des rê wart, gebalsamt gar, geleit in einen edeln stein ûf eine sûl, dâ durch er schein vor der stat über al daz her. si vunden rîterlîche wer al umbe und umbe ûf dem graben; dâ wart vil manic strît erhaben. diu stat lac einhalp an dem mer; dâ was si sicher vor dem her. ein starkiu mûre si gar bevie; vil tief ein grabe drumbe gie, dâ durch ein lûter wazzer vlôz; daz was ze guoter mâze grôz, geleit durch ein gebirge dar. her Gwîgâlois mit sîner schar belegt die stat unz an daz mer. diu was berüstet wol mit wer: türne, bercvrit, ärker

Sie trafen am zwölften Tag nach der Fehdeansage des Boten ein. Den König Amire hatten sie mit sich genommen. Sein Leichnam ward, vollkommen einbalsamiert, in einen Kristall-Sarg auf einer Säule gelegt; dort vor der Stadt war er dem ganzen Heer sichtbar. Sie fanden ritterliche Verteidiger um den ganzen Burggraben herum. Da begannen zahlreiche Gefechte. Die Stadt wurde an einer Seite vom Meer begrenzt; dort war sie vor dem Heer sicher. Eine starke Mauer umgab sie ganz und gar, um sie herum verlief ein tiefer Graben, durch den ein klares Wasser floss; dieses war ziemlich breit; man hatte es von einem Gebirge dorthin umgeleitet. Herr Wigalois belagerte mit seiner Schar die Stadt bis an das Meer. Die war zur Verteidigung gut gerüstet: Zahllose kleine und große Türme und Erker

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vil âne mâze stuont der ûf der mûre ob dem graben. dâ man den tôt mit solde laben und dâ mit manger wart erslagen, des was vil ûf die wer getragen: guot geschoz, steine vil. ein dinc daz was des tôdes spil: pfeterære und grôze mangen. diu mûre was behangen mit grôzen blochen sinwel; diu wâren an der wer sô snel: swen iemen an den graben gie, und man diu bloch vallen lie, sô hurten si die vînde wider in den tiefen graben nider; dâ von den lîp vil manger vlôs des hant vil werlîch ende kôs. aht porte giengen in die stat: zwô warten ûf des meres stat, die sehs her ûz an daz velt. man vant dâ strîtes widergelt swiez der man geruochte, als ez sîn ellen suochte. her Gâwein, der des heres pflac, nam vride unz an den andern tac

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von dem her und ûz der stat, des man dâ beidenthalben bat. von dem graben an diu gezelt was ein alsô breitez velt daz si vor schüzzen wâren vrî. nu hœret wie geordent sî daz gesæze, ob ir welt. her Gâwein, der wîse helt, hêt geschaffet zuo dem mer Rîâl den künic von dem her gegen der porte diu dâ ûz gie; tûsent rîter er im lie. dô lâgen dem næhsten tor zwêne rîche künige vor: Zaradech und Panschavar; den lie man tûsent rîter dar, die ir gebotes nâmen war.

befanden sich auf der Mauer oberhalb des Grabens; Dinge, durch die der Tod seine Nahrung finden würde und viele Männer erschlagen werden sollten, die trug man zahlreich auf die Mauer: gute Geschosse, viele Steine. Mit diesen spielte der Tod: mit Steinschleudern und Katapulten. An der Mauer hingen große runde Bohlen, die dienten der raschen Abwehr: Wenn sich jemand unten am Graben befand und man sie fallen ließ, so stießen sie die Feinde in den tiefen Graben zurück. Viele von denen, die den mannhaften Tod suchten, fanden ihr Ende auf diese Weise. Acht Tore führten in die Stadt: zwei schauten auf das Meer, die sechs anderen zur Ebene hin. Dort wurde Kampf sofort vergolten, wie auch immer der Mann, von Kühnheit getrieben, es begehrte. Herr Gawein, der Führer des Heeres, verabredete einen Waffenstillstand bis zum nächsten Morgen, um den man von Seiten beider Heere ersucht hatte. Zwischen Burggraben und Heereslager erstreckte sich ein so breites Feld, dass sie vor Geschossen sicher waren. Nun hört, wenn ihr wollt, wie die Belagerung angeordnet war. Herr Gawein, der kluge Held, hatte König Rial mit tausend Rittern zum Tor entsandt, das aufs Meer hinausging. Das nächstgelegene Tor wurde von zwei mächtigen Königen belagert: Zaradech und Panschavar; ihnen überließ man tausend Ritter, ihre Befehle auszuführen.

Dô lâgen gegen der dritten porte, vil nâch enmitten, der künic Îwein und Êrec;

An dem dritten Tor schließlich, etwa in der Mitte der Landseite, lagerten König Iwein und Erec,

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der hende kunden wîten wec houwen durch die rîterschaft; si hêten kunst unde kraft; den wâren tûsent rîter bî. nu hœret wer vor der vierden sî: her Gwîgâlois, der künic hêr, wan dâ vant man strîtes mêr danne vor deheinem andern tor; dâ was her Gâwein mit im vor und tûsent rîter ûz erkorn. ein küniginne wol geborn vor der vünften porte lac; der geselleschefte pflac vrouwe Marîne und grâve Adân; der gebot wârn undertân ouch tûsent rîter unverzaget. vrouwe Êlamîe hiez diu maget; der was diu milte an geborn; diu hêt ouch in ir hant gesworn. angenomen milte schiere zergêt.

als der dem herren entwîchet, diu erge wider slîchet aber zuo dem herzen. dâ beginnet diu milte smerzen, wan si dâ niht wesen sol; der wehsel gevellet mir niht wol! ditz mære ist hie mit undersniten und durch die [g]warheit geriten den alten und den niuwen siten.

deren Hände eine breite Schneise durch die Schar der Feinde zu schlagen wussten, so stark und kampferfahren waren sie. Sie hatten tausend Ritter zu ihrer Verfügung. Nun hört, wer das vierte belagerte: Herr Wigalois, der erhabene König, denn dort erwartete man größeres Kampfgetümmel als vor jeglichem anderen Tor; Herr Gawein war mit ihm dort, mit tausend auserlesenen Rittern. Eine hochgeborene Königin belagerte das fünfte Tor; bei ihr befanden sich Frau Marine und Graf Adan. Auch ihr unterstanden tausend furchtlose Ritter. Frau Elamie, der Jungfrau, war die Freigebigkeit in die Wiege gelegt. Die (Freigebigkeit) hatte ihr den Treueid geschworen. Äußerlich angenommene Großherzigkeit ist rasch vergänglich. Seht, wie das Mühlrad stehen bleibt, wenn kein fließendes Wasser es treibt! Das Wasser möchte ich dem Vorrat freigebiger Leute vergleichen; sobald dieser den Herrn verlässt, schleicht sich dort die Kargheit wieder in sein Herz. Dort tut Freigebigkeit weh, weil sie dort nicht sein darf; dieser Tausch missfällt mir! Dies ist meiner Erzählung eingefügt, die – des (uneingelösten) Versprechens wegen – gegen alte und neue Gewohnheiten angegangen ist.

Vor der sehsten porte lac der sich strîtes ouch bewac: der truhsæze von Roimunt; dem was wol strîtes vuore kunt. bî im lac der grâve Môrâl, Ursîn und Ambigâl; die hêten tusent rîter dâ. her Gâwein der teilte sâ die sarjande underz her, iegelîchen mit sîner wer: ûf sehs helfande zwei hundert sarjande.

Das sechste Tor belagerte der Truchsess von Roimunt, der sich auch zum Kampf entschlossen hatte und wusste, wie man kämpfen muss. Mit ihm waren Graf Moral, Ursin und Ambigal, die tausend Ritter bei sich hatten. Herr Gawein verteilte alsbald das Fußvolk über das Heer, einen jeden mit seinen Waffen: zweihundert von ihnen auf sechs Elefanten.

seht wie daz mülrat gestêt swenne ez niht snelles wazzers hât! dem gelîche ich milter liute rât;

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die wurfen unde schuzzen daz die zäher vluzzen bluotic durch daz îsengwant. iegelîcher schar ein helfant; die kunden entwîchen unde stên, mit strîte gegen den vînden gên: sus wâren si gelêret. ein gezelt daz was gehêret dâ vrouwe Lârîe inne saz, daz nie dehein gezelt baz von pfelle wart gezieret, mit golde geparrieret. dar ûffe stuont ein guldîn tier von edelem gesteine fier. dar obe vlouc ein liehter van; dâ was daz selbe tier an mit vil lûterm golde gebildet als si wolde. von leder ein huot hienc dâ bî der daz gezelt machet vrî des regens, sô der nider gôz. gegen der sunnen stuont ez blôz. vil grôziu rîcheit darunder was: mit pfelle von Kaukasas vil bette wârn gedecket wol; diu sâzen edler vrouwen vol. daz selbe gezelt was sô wît daz ich wæn deheinez sît iemen wîter kunde gespehen. man mohte dâ rîche vürsten sehen rîten wider unde vür, iegelîch rîter nâch sîner kür, dâ er sînen vriunt gesprach und ouch die künigîn gesach; dar nâch si riten wider în dâ iegelîcher solde sîn. si hêten alle spîse genuoc. einen market man bî in ûf sluoc; dâ vant man michel rîcheit von aller hande spîse bereit und swaz man koufen wolde von gewande und von golde, nâch des mannes muote. dem here schuof man huote: hundert rîter ie von der schar, die daz her behuoten gar vor den vînden unz an den tac.

Die warfen und schossen so, dass die blutigen Tropfen nur so aus dem Harnisch sickerten. Einer jeden Schar kam ein Elefant zu. Diese waren abgerichtet zu fliehen und Stellung zu halten und sich gegen den Feind zu wenden. Das Zelt von Frau Larie war so geziert, dass nie ein Zelt mit Seide besser geschmückt und mit Gold durchwirkt war. Darauf stand ein Tier aus Gold und prächtigen Edelsteinen, über ihm wehte eine leuchtende Fahne, auf welcher nach ihrer Anweisung das Tier aus reinem Gold (noch einmal) abgebildet war. Dort hing auch ein Lederdach, welches das Zelt vor dem herabfallenden Regen schützte; es blieb aber unbedeckt, solange die Sonne schien. Große Kostbarkeit befand sich in seinem Innern: Mit Seide aus dem Kaukasus waren viele Betten bedeckt, auf welchen edle Damen beisammen saßen. Dieses Zelt war so geräumig, dass ich wohl kaum glaube, jemand habe seither ein größeres gesehen. Man konnte dort mächtige Fürsten ein- und ausreiten sehen, ein jeder Ritter kam, wie es ihm gefiel, um dort seinen Freund zu sprechen und auch die Königin zu sehen. Danach ritten sie wieder zurück auf ihre Positionen. Sie waren mit Speisen gut versorgt. Einen Markt hatte man dort aufgeschlagen, wo man vielerlei Speise in Hülle und Fülle finden konnte und was immer man dort kaufen wollte an Gewändern und Goldarbeiten, nach jedermanns Begehr. Eine Heereswache wurde formiert: je hundert Ritter von jeder Schar hielten Wache für das Heer vor den Feinden bis zum Morgen.

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vil süezes schalles man dâ pflac mit hollerblâsen ûf der wer. umbe und umbe unz an daz mer huoten si mit vlîze unz daz des tages wîze ôstern durch diu wolken dranc. von glocken hôrte man mangen klanc in der stat, wan diu was wît. dô dûhte ouch des die ûzern zît daz si sich bereiten gegen den arbeiten. ir îsenhosen schuohtens an; dar nâch vuor ein iegelîch man der kristen was und dens gezam dâ er eine messe vernam. die vürsten und her Gâwein des âbendes wâren worden enein wen si ze sturme solden gên, mit strîte gegen den vînden stên. der rîter ors wâren bereit, ûf iegelîchez zwô decke geleit von îsen und von pfelle. Êrec und sîn geselle die pflâgen einer banier lieht. ouch sol ich vergezzen niht ichn sagiu wie diu geprüevet sî: ein rôter pfelle von Ârâbî, darinne ein rat, von Ninivê eins pfelles grüene alsam ein klê; der pflâgen die helde mit ir kraft durch des küniges geselleschaft, zuo dem si wâren komen dar. dô warte vrouwen Êlamîen schar, der edeln küniginne, mit mänlîchem sinne einer banier diu was blâ; mit rîcher koste was aldâ von golde ein krône drin gesniten; mit der stolze helde riten. dem truhsæzen von Roimunt und sînen [ge]sellen tet man kunt ze warten einer banier diu was swarz; darinne ein tier gesniten enmitten vlouc, mit dem golde von Azagouc gezieret und gemeistert dar. sus lac der vrouwen Lârîen schar

Liebliche Klänge von Holunderflöten ertönten auf den Mauern der Verteidiger. Um die ganze Stadt herum bis an das Meer hielten sie sorgsam Wacht, bis die Tageshelle von Osten her durch die Wolken drang. Viele Glocken ertönten in der Stadt, denn sie war groß. Und so dünkte es auch die Belagerer Zeit, sich zum Kampf zu bereiten. Ihre eisernen Beinkleider legten sie an; danach begab sich ein jeder Mann, für den es sich als Christ gehörte, zur Messe. Die Fürsten waren mit Herrn Gawein am Abend übereingekommen, wann sie mit dem Angriff auf den Feind beginnen und sich ihm stellen würden. Die Streitrosse der Ritter standen bereit, zwei Decken waren über ein jedes gebreitet: eine von Eisenringen und eine von Seide. Erec und sein Begleiter trugen ein strahlendes Banner voran. Ich werde euch nicht vorenthalten, wie es gefertigt war: es war eine rote Seide aus Arabien, worin sich ein Rad von kleegrüner Seide aus Ninive befand. Die Helden führten dieses Banner mit ihrer Schar, aus Freundschaft zum König, zu dessen Beistand sie dort vor Ort waren. Die Schar der Frau Elamie, der edlen Königin, hütete tapfer ein blaues Banner, in das eine kostbare Goldkrone eingearbeitet war. Kühne Helden ritten unter dieser (Flagge). Der Truchsess von Roimunt und sein Gefolge waren angehalten, ein schwarzes Banner zu hüten, in dessen Mitte ein Tier schwebte, gefertigt und verziert mit Gold von Azagouc. Diese Schar der Frau Larie

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gegen einer porte bî dem mer. dô wârens beidenthalp ze wer, daz ûzer und daz inner her.

lagerte vor einem Tor am Meer. Auf beiden Seiten, im inneren wie äußeren Heer war man zur Gegenwehr bereit.

Die porte[n] wurden ûf getân. ûz iegelîcher vlouc ein van; vünf hundert rîter volgten nâch; den was gegen den vînden gâch. si hêten alle geneiget ir sper; man dorfte niht ruofen ‚herâ! her!‘ wan si kêrten gegen der schar dâ si der herte nâmen war. die schilte druhten si an sich. mit speren wart dâ manic stich gevrumt durch daz îsengwant, daz sîn daz herze darunder enpfant. die ûzern wâren gegen in komen und hêten alle ir ors genomen ze beiden sîten mit den sporn. die helde treip der grimme zorn zem strîte und mänlîchiu gir. durch helm und durch hersenir mit jost dâ manger wart erslagen. man sach die trunzûne ragen durch die schilte alniuwe. sine brâchen niht ir triuwe; beidenthalb was widerboten. man sach vil mangen helm roten von bluote der ê lûter was. die ringe riren als ein glas von stichen und von starken slegen. dâ lac vil manic werder degen gehurt und geslagen nider, dem niemen mohte gehelfen wider. die innern entwichen vür diu tor; dâ huop sich solich strîten vor daz daz bluot nider gôz und durch die wâfenröcke vlôz. mit slegen den andern niemen trouc. daz viur ûz den helmen vlouc, gemischet mit bluote daz was rôt. sicherheit dâ niemen bôt; dâ was dehein gevaterschaft: ez schiet niwan des tôdes kraft mit vil vîntlîchen slegen. allenthalben bî den wegen sach man die wunden töunde ligen

Die Tore wurden geöffnet. Aus einem jeden wehte eine Fahne, der fünfhundert Ritter folgten. Sie eilten dem Feind entgegen. Alle hatten ihre Lanzen gesenkt. Man musste sie nicht erst herbeirufen, denn sie wandten sich von sich aus gegen die (nächstgelegene) Schar, den Kampf suchend. Sie pressten die Schilde an sich. So manche Lanze durchbohrte da einen Harnisch, so dass das Herz darunter es zu spüren bekam. Die Belagerer hatten sie erreicht, und den Pferden in beide Flanken Sporen gegeben. Grimmiger Zorn und mannhafte Streitlust trieben die Helden zum Kampf an. Lanzenstöße durch Helm und Hersenier brachten vielen den Tod. Man sah Lanzensplitter in nagelneuen Schilden stecken; niemand brach Treue und Glauben, denn von beiden Seiten war die Fehde angekündigt. Manchen Helm, der zuvor rein gewesen war, sah man von Blut sich röten. Die Ringe der Harnische zerfielen wie Glas von Lanzenstichen und mächtigen Schwerthieben. Herabgestoßen und niedergeschlagen lagen viele edle Helden am Boden, denen niemand wieder aufhelfen konnte. Die Verteidiger wichen zurück bis vor die Tore, wo sich ein solcher Kampf erhob, dass das Blut nur so hernieder floss und die Waffenröcke tränkte. Niemand blieb dem anderen einen Schwerthieb schuldig. Die Helme sprühten Funken und Tropfen roten Bluts. Niemand wollte sich dem andern ergeben, keine Freundschaft kannte man da: Nur der Tod mit feindlichen Hieben konnte sie trennen. Überall sah man die Todwunden liegen,

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die des bluotes wârn ersigen, und vil mangen tôten der sêre was verschrôten. mit diu hêt sich der sturm erhaben; die sarjande an den graben mit antwerke giengen; dar ûf si enpfiengen diu bloch, sô man diu vallen lie. daz geschoz als diu snîe gie und die würfe underz her. dô mischten sich ir beider wer über den graben unz an daz mer.

die zu viel Blut verloren hatten, und viele Tote, die ganz zerhauen waren. Damit begann die Stürmung der Stadt; das Fußvolk kam mit Belagerungsmaschinen an den Graben heran. Darauf bekamen sie die Bohlen zu spüren, sobald man sie (von oben auf sie herab) fallen ließ. Die Pfeile und Steine gingen auf das Heer nieder wie ein Schneegestöber. Da vermengten sich die Truppen beider Heere den Graben entlang bis an das Meer.

Die helfande volgeten mit dem her nâch ir gelêrtem sit gegen den vînden ûf den graben. diu wîchûs wâren darûf erhaben gelîch hôch der mûre. vil herte nâchgebûre wâren in die sarjande. ir manheit verswande geschozzes unde steine vil. sus spilten si des tôdes spil vil nâch unz an mitten tac. vil manic helt dâ bî in lac ûzen unde innen tôt, vil orse erslagen; von bluote rôt wart vil manic îsengwant. von den helden dâ verswant mit manger rîchen jost der walt.

Die Elefanten folgten dem Heer, wie man sie abgerichtet hatte, dem Feind entgegen auf den Graben. Die Festungstürme darauf hatten die gleiche Höhe wie die Mauer. Das Fußvolk erwies sich ihnen gegenüber als missgünstige Nachbarn. Ihre Tapferkeit ließ Pfeile und Steine hageln. So spielten sie das Spiel des Todes fast bis zur Mittagszeit. Auf beiden Seiten starben viele Helden; viele Rosse waren erschlagen, rot von Blut wurden zahllose Harnische. Ein Wald von Lanzen wurde in ansehnlichen Zweikämpfen von den Helden verbraucht. Dabei wurden viele vom Pferd gestoßen und starben auf der Stelle. Frau Marine wählte sich einen türkischen Grafen aus, der mit seiner Schar ganz ansehnlich zu kämpfen verstand. Es gelang ihr und ihrer Schar, ihn von den Seinen abzudrängen; sie überwältigte ihn, ohne ihn zu töten, und nahm Sicherheit von ihm. Alsbald begab er sich in ihr Lager. Die Jungfrau ergriff eine starke Lanze; mit ihrem Streitross heransprengend wandte sie sich erneut gegen die Feinde, brachte einen Fürsten zu Fall, den ihre Gefährten (gefangen) fortbrachten.

dâ wart vil manger abe gevalt der sînen lîp zehant verlôs. vrouwe Marîne ir erkôs einen grâven von Turkîe. er und sîn kumpanîe tâten guote rîterschaft. diu maget schiet in mit ir kraft von allen sînen [ge]sellen; si beschutte in âne vellen und nam sîne sicherheit; in ir gezelt er dô reit. diu maget nam ein starkez sper; von rabîne reit si her ir ors gegen den vînden wider; einen vürsten stach si nider; den zugen ir gesellen hin.

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dâ huop sich vlust und gewin; diu maget tetz dâ harte guot. si truoc mänlîchen muot und vil reinen magetuom. si erwarp dâ rîterlîchen ruom mit sper und ouch mit schilte. dar zuo was si milte; diu ist der êren krône. sus lebt diu maget schône mit vil ganzer werdicheit, unz si ein scharfez sper versneit. daz treip ein helt mit joste dar, der herzoge Galopêar; von Kriechen was er geborn; ûf die brust hêt ers erkorn und valte die maget tôte nider. dô er wolde wenden wider, dô erreit in der grâve Adân; mit einem sper von Angran stach er den helt und rach die maget. ir gelîche nie wart betaget diu sô sêre würde geklaget.

Da wurde gewonnen und verloren. Die Jungfrau schlug sich hervorragend. Sie war von männlicher Tapferkeit und jungfräulicher Reinheit. Mit Schild und Lanze erlangte sie dort ritterlichen Ruhm. Außerdem zeigte sie Freigebigkeit, die die Krone der Ehre ist. So lebte die schöne Jungfrau in vollkommenstem Ansehen, bis eine scharfe Lanze sie tödlich verwundete. Die ward in der Tjost geführt von einem Helden, dem Herzog Galopear, der aus Griechenland stammte. Er hatte auf ihre Brust gezielt und warf sie tot zu Boden. Als er zurückreiten wollte, ereilte ihn der Graf Adan. Mit einer Lanze von Angran durchbohrte er den Helden und rächte die Jungfrau. Niemals wurde eine Ebenbürtige geboren, die so betrauert worden wäre wie sie.

Êrec und her Îwein, an ir getât dâ wol schein daz si wâren manhaft; si tâten solhe rîterschaft dâ von ich wol sprechen mac, die wîle her Gwîgâlois dâ lac vor der stat mit sînem her. man vant dâ rîterlîche wer ze rosse und ouch ze vuoze; daz was ir unmuoze. sehs wochen alle tage hôrten si dâ niuwe klage: ‚dort lît der wunt! der hie erslagen!‘ man sach sich wider ein ander tragen

Erec und Herr Iwein bewiesen durch ihre Taten ihre Tapferkeit. Sie schlugen sich so gut, dass ich wohl davon zu erzählen vermag, die Zeit über, als Herr Wigalois vor der Stadt mit seinen Truppen lag. Man wehrte sich tapfer zu Fuß und zu Pferde; das machte ihnen zu schaffen. Sechs Wochen lang hörten sie jeden Tag aufs Neue den Wehruf: „Hier ist der verwundet! Jener ist tot!“ Man sah, wie sich die (Verwundeten) sich gegenseitig stützend zurückschleppten, wenn der Kampf unterbrochen wurde. Die Schwerter wurden nicht geschont; man hörte sie weithin klingen und leuchtende Helme durchschlagen. Eines Morgens ritt Lion früh aus; seine Tapferkeit ließ ihn Herrn Gawein zur Tjost herausfordern. Er meinte ihn schon ganz in der Hand zu haben.

als ein vride gegeben wart. diu swert wâren ungespart, diu hôrte man verre klingen, durch liehte helme dringen. eins morgens vruo Lîôn ûz reit; zer joste durch sîne manheit vordert er herren Gâwein dar; in dûhte des er hêt in gar gewalticlîche in sîner hant.

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Lîôn der truoc den serpant mit golde wol gezieret. der kom gewalopieret vür den graben ûf daz velt. her Gâwein rûmte ouch sîn gezelt; durch sînen sun vuort er daz rat gegen dem helde vür die stat. von rabîne si beide riten ze jost; nâch rîterlîchen siten verstâchen si zwei starkiu sper. ein ander vürste gâhte her von der stat: Salîn er hiez; sîn manheit in niht ruowen liez. ûf den herren Gâwein seiget er; durch den schilt mit sînem sper stach er im eine wunden grôz. daz bluot dô durch die ringe vlôz; iedoch zoumt er Lîônen dan. dô huop sich ûz der stat sân ze helfe im gar des vürsten kraft; dô mischte sich diu rîterschaft. Zaradech und Panschavar die îlten mit ir rote dar und valten mangen rîter nider, der sît niht kom ze[r] joste wider. Rîâl, der künic von Jeraphîn, er und die gesellen sîn punierten under der vînde schar. dâ wurden die helme missevar, diu swert von bluote erblichen. mit slegen und mit stichen kêrten si gegen der herte. daz inner her sich werte mit sô mänlîcher kraft daz manic swert unde schaft zebrochen ûf dem velde lac. vliehens dâ niemen pflac. diu sunne erlûhte dô den tac.

Lion hatte den goldverzierten Drachen als Schildzeichen. Er kam im Galopp vor den Graben auf das Feld geritten. Auch Herr Gawein verließ sein Lager. Seinen Sohn zu ehren, führte er das Rad im Schild dem Helden entgegen vor die Stadt. Zum Lanzenstechen sprengten sie beide heran. In ritterlicher Manier verstachen sie zwei starke Lanzen. Ein zweiter Fürst eilte aus der Stadt heran; er hieß Salin und seine Tapferkeit ließ ihn nicht ruhen. Herrn Gawein visierte er an und brachte ihm durch den Schild hindurch mit seiner Lanze eine tiefe Wunde bei. Das Blut drang durch die Panzerringe; dennoch führte er Lion als Gefangenen davon. Daraufhin rückten alle Truppen des Fürsten aus, ihm zur Hilfe zu eilen; die Parteien gerieten in einander. Zaradech und Panschavar eilten mit ihrer Schar herbei und brachten viele Ritter zu Fall, die seither zu keiner Tjost wiederkehrten. Rial, der König von Jeraphin, und seine Gefährten rannten gegen den Feind an. Da verfärbten sich die Helme, die Schwerter verloren vom Blut ihren Glanz. Mit Hieben und Stichen arbeiteten sie sich ins dichteste Kampfgetümmel vor. Die Belagerten setzten sich mit solcher Tapferkeit zur Wehr, dass viele Schwerter und Schäfte zerbrochen über das ganze Kampffeld verstreut waren. Niemand dachte an Flucht. Die Sonne schien taghell.

Her Gwîgâlois punierte dô; des manic herze wart unvrô. mit im her Îwein und Êrec; die machten wît vil engen wec mit stichen und mit starken slegen.

Da begann Herr Wigalois und mit ihm Herr Iwein und Erec zum Unglück vieler den Angriff. Mit starken Schwerthieben und Stichen schlugen sie eine breite Schneise durch das enge Kampfgedränge. Zahllose edle Helden wurden da von den Kämpfern zu Fall gebracht.

dâ viel vil manic werder degen von den wîganden;

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den walt si verswanden an der schumpfentiure mit maniger jostiure. der strît wart dâ harte grôz; daz bluot ûf dem velde vlôz von wunden und von tôten die sêre wârn verschrôten. vil schoener rosse lac dâ erslagen; dar ûz sach man die schefte ragen und manger hande zeine, grôz unde kleine. her Gwîgâlois die poinder brach; einen herzogen von Särvîe er stach mit orse betalle nider; sus hiuw er vür unde wider. vil mangen tôten valt er beidiu mit swerte und mit sper, unz er den herren Gâwein vant; der hêt erslagen mit sîner hant Lîônen an der stunde. ze vliehen dô begunde gegen der stat daz inner her; dâ wart enschumpfiert ir wer. der truhsæze von Roimunt und sîne gesellen an der stunt vil mangen rîter viengen. die sarjande giengen mit den vînden in die stat. dâ mohte ein man wol werden sat strîtes, swer des gerte. die helde man dâ werte beidiu mit schüzzen und mit slegen. Zaradech, ein werder degen, der junge künic von Asîâ, wart mit eime schuzze dâ gevellet tôter in daz wal. von vlühte huop sich grôzer schal. die geste drungen durch diu tor mit den die dâ wâren vor. die strâze wurden enge. des tôdes gedrenge huop sich mit den swerten dâ. des küniges vanen sach man sâ mit gewalte vüeren durch die stat; darinne von rôtem golde daz rat vlouc gegen den lüften. dô liezen si ir güften.

Sie vergeudeten einen Wald von Lanzen in zahllosen vom Sieg belohnten Tjosten. Der Kampf entbrannte erbittert. Auf dem Feld floss das Blut der Verwundeten und Toten, die völlig zerhauen worden waren. Viele edle Rosse sah man dort erschlagen liegen, aus denen Lanzenschäfte ragten und vielerlei Pfeile, groß und klein. Herr Wigalois durchbrach den feindlichen Ansturm. Einen Herzog von Serbien stach er mitsamt dem Pferde nieder. So teilte er seine Schläge nach vorne und hinten aus. Mit Schwert und Lanze brachte er viele tödlich zu Fall, bis er auf Herrn Gawein traf. Dieser hatte gerade mit eigener Hand Lion getötet. Da floh das Heer der Belagerten zur Stadt zurück. Ihre Verteidigung brach zusammen. Hierbei nahm der Truchsess von Roimunt mit seinen Gefährten zahllose Ritter gefangen. Das Fußvolk drang zusammen mit dem Feind in die Stadt ein. Wessen Herz nach Kampf verlangte, der konnte dort ganz auf seine Kosten kommen. Man verteidigte sich gegen die Helden mit Schwerthieben und Speerwürfen. Zaradech, ein edler Held und junger König von Asien, wurde von einem Speerwurf tot auf das Kampffeld geworfen. Lautstark wurde die Flucht angetreten. Die Fremden drangen zusammen mit ihren Widersachern durch die Tore. In den Straßen wurde es eng; ein tödliches von Schwerthieben erfülltes Gedränge entstand. Das Banner des Königs erblickte man da, wie es machtvoll durch die Stadt getragen wurde; sein goldenes Rad flatterte im Wind. Da hatte ihr Übermut ein Ende.

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25. Heeresaufgebot und Namur-Feldzug

die geste gewunnen oberhant. golt, silber und gewant und die aller grœsten rîcheit dâ von ie wart geseit, die nâmen die vînde dâ. her Gwîgâlois beriet sich sâ daz man die burgær lieze leben, ob si sich wolden im ergeben mit ir dienste in sînen gewalt. gar diu stat, jung[e] und alt, swuoren im dô hulde. dô liez er die schulde und swaz im leides was getân. er gap in einen houbetman der des landes wielte und im die stat behielte. dar zuo wolder gîsel haben daz wider in immer würde erhaben deheiner slahte sicherheit; daz muose vesten ir aller eit. der vride dem her dô wart geseit.

Die Fremden gewannen die Oberhand. Gold, Silber und Gewänder und die größten Reichtümer, von denen je berichtet wurde, nahmen die Feinde dort in Besitz. Herr Wigalois entschied sich dafür, die Bewohner der Stadt am Leben zu lassen, wenn sie sich dienstfertig seiner Macht unterwerfen würden. Jung und Alt – die ganze Stadt – gelobten ihm Treue. Da vergab er ihnen die Schuld und das ihm angetane Leid. Er setzte einen Statthalter ein, der Gewalt über das Land haben und ihm die Stadt bewahren sollte. Ferner forderte er Geiseln, damit auf Dauer keinerlei Bündnis gegen ihn geschlossen würde. Das hatte ihrer aller Eid zu bekräftigen. Der Friedensschluss wurde dem Heer verkündet.

Namûr daz was ein herzentuom; vil mangen rîterlîchen ruom hêt er erworben der sîn pflac, der tôter in dem wal gelac. daz herzentuom und die stat, als es diu vrouwe Lârîe bat, lêch er dem grâven Môrâl mit dem zepter âne twâl. sîn stæte diu was niht niuwe; er hêt ouch sîne triuwe an sîner vrouwen behalten ie; des man in dô geniezen lie. drîzic tûsent marc von golde die burgær dô ze solde gâben dem künige ir herren. sine wolden im niht verren ir getriuwelîch dienest und ir habe; dâ teilte er den vürsten abe, dem derz nemen wolde. die sarjande mit solde man nâch ir willen werte, als sîn der man ie gerte. die gevangen [be]schatzte ein ieglîch man ders ûz dem wal brâhte dan

Namur war ein Herzogtum; zahlreiche ritterliche Ehren hatte sein Herr errungen, der tot auf dem Schlachtfeld lag. Herzogtum und Stadt gab Wigalois auf Bitten der Frau Larie unverzüglich zusammen mit dem Zepter dem Grafen Moral zum Lehen. Seine Beständigkeit war bewährt; auch hatte er seiner Herrin die Treue stets gehalten. Dies wurde ihm nun vergolten. Dreißigtausend Goldmark gaben die Bürger als Wiedergutmachung dem König, ihrem Herrn. Die wollten ihm weder ihren treuen Dienst noch ihre Habe vorenthalten. Davon gab er den Fürsten ihren Anteil, sofern sie es annehmen wollten. Dem Fußvolk gab man den Sold, den es begehrte; in der Höhe die der einzelne sich schon immer erhofft hatte. Ein jeder Mann legte den Gefangenen, die er vom Schlachtfeld herbrachte,

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als er hôhest mohte. swaz den wunden tohte die den künic hôrten an, daz wart ze gemache in getân. her Gâwein dô gebunden wart und manic rîter von hôher art, der rîterlîch was worden wunt. der künic hiez dô an der stunt die tôten alle samt begraben, die wunden binden unde laben. Lîôn dô schône bestatet wart, durch daz er was von hôher art, swie er in doch leide hêt getân. den künic Âmîren truoc man dan mit klägelîchem sêre dâ vrouwe Lîamêre besigelt in einem sarke lac. der was lieht alsam der tac von golde und von gesteine; dar inne lac diu reine. der sarc der was niuwe; Lîôn durch ir triuwe hêt si bestatet schône. ein guldîniu krône was gehangen über den sarc, – diu koste mêr den tûsent marc, – durch daz si was ein künigîn. in den sarc zuo ir dar în legt man dô ir gesellen. mit vil liehten pfellen wurden si bewunden. an den selben stunden satzte man darîn ein lûter glas; mit balsam daz gevüllet was. dâ bî was vrouwe Lârîe, des wunsches âmîe. si klagt vil sêre ir beider tôt. den burgærn si daz gebôt daz si ein kapellen mûrten dar und daz diu würde von marmel gar. daz gelobten si und liezenz wâr.

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das höchstmögliche Lösegeld auf. Was man zur Versorgung der Verwundeten von des Königs Heer tun konnte, das ließ man ihnen an Pflege angedeihen. Herr Gawein und viele Ritter von hoher Abkunft, die im Kampf verwundet worden waren, wurden da verbunden. Der König befahl, unverzüglich alle Toten zu begraben und die Verwundeten zu verbinden und zu erfrischen. Lion erhielt ein prunkvolles Begräbnis; auch wenn er sie betrübt hatte, so war er doch von hoher Abkunft. Den König Amire trug man in tiefem Schmerz an den Ort, wo Frau Liamere in einem Sarg eingeschlossen lag, der von Gold und Edelsteinen hell wie der Tag leuchtete; hierin lag die Makellose. Der Sarg war neu; Lion hatte sie um ihrer Treue willen prunkvoll bestattet. Eine goldene Krone – mehr als tausend Mark wert – ward über den Sarg gehängt, weil sie eine Königin war. Zu ihr in den Sarg legte man dann ihren Gemahl. Mit leuchtender Seide wurden ihre Körper eingeschlagen. Gleich danach setzte man ein klares, mit Balsam gefülltes Glas hinein. Frau Larie, der Vollkommenheit Gespielin, wohnte dem bei. Sie beklagte schmerzlich ihrer beider Tod. Den Bewohnern der Stadt befahl sie, aus purem Marmor eine Kapelle zu errichten. Das versprachen sie und setzten es in die Tat um.

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26. Einkehr am Artushof

26. Einkehr am Artushof Wigalois besetzt das Grenzgebiet des Landes mit Einwohnern, gebietet gutes Gericht und dauernden Frieden. Die fremden Fürsten kehren heim. Wigalois und seine Gemahlin begleiten die Ritter von der Tafelrunde nach Nantes. Unterwegs bringt ein Knappe ihm die Nachricht vom Tode seiner Mutter. Vor Kummer sei sie gestorben; er überbringe ihm einen Ring mit einem Abschiedsgruß. Ankunft an Artus’ Hof. Er und Ginovere begrüßen die Gäste; Graf Hoyer huldigt Wigalois. Nach sieben Tagen verabschiedet Wigalois sich. Bevor er heimreist, erteilt Gawein ihm väterliche Lehren. (11238–11604)

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Her Gwîgâlois der künic hêr, des landes marke besatzt er und gebôt in allen bî der wide guot gerihte und stæten vride. sus kêrte er dan mit sîner schar. der werde künic Panschavar von Asîâ nam urloup sân; sînen tôten bruoder vuorte er dan. alsô stuont des heldes muot: ern wolde deheiner slahte guot; daz was iedoch dem künige leit. mit grôzer klage er danne reit. der ez von im nemen wolde, mit gesteine und mit golde vulte man in die schilte. her Gwîgâlois was milte bescheidenlîch wider alle diet. ân gâbe niemen von im schiet. vrouwe Êlamîe diu künigîn diune wolde niht lenger bî im sîn; si nam urloup von im dâ. den vürsten allen dancte er sâ mit worten und mit guote, nâch iegelîches muote. Rîâl und die gesellen sîn kêrten gegen Jeraphîn. si vuorten guotes michel kraft und vil gevangner rîterschaft. Darêl, Gamêr und Arîûn die kêrten gegen Belakûn. der grâve Adân nam urloup dô; des herze vor leide was unvrô: des twanc in vil strengiu nôt umb der vrouwen Marînen tôt diu an dem strîte was gelegen. si vuorte mit im der werde degen, er und sîn kumpanîe, gegen dem lande z’Âlârîe.

Herr Wigalois, der erhabene König, sicherte die Marken des Landes und befahl ihnen allen bei Strafe des Stranges, gerechtes Gericht und beständigen Frieden zu halten. So zog er mit seinem Heer davon. Der edle König Panschavar von Asien nahm Abschied. Seinen toten Bruder nahm er mit sich. Es war so um den Helden bestellt, dass er keinerlei Lohn annehmen wollte, zum Leidwesen des Königs. In tiefem Schmerz machte er sich auf die Reise. Denjenigen, die es annehmen wollten, belud man mit Edelsteinen und Gold ihre Schilde. Herr Wigalois war auf kluge Weise freigebig gegenüber jedermann. Niemand verließ ihn mit leeren Händen. Frau Elamie, die Königin, die sich dort nicht länger aufhalten wollte, nahm Abschied von ihm. Da dankte er allen Fürsten mit Worten und all dem, was ein jeder sich wünschte. Rial und seine Gefährten wandten sich gen Jeraphin. Sie führten stattliche Reichtümer und ritterliche Gefangene mit sich. Darel, Gamer und Ariun ritten nach Belakun zurück. Der Graf Adan nahm mit leiderfülltem Herzen Abschied, denn er betrauerte schmerzlich den Tod der Frau Marine, die im Kampf gefallen war. Zusammen mit seiner Schar nahm er sie mit sich fort in das Land zu Alarie.

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drî grâven vuortens mit in hin gevangen; daran lac grôz gewin. sus kêrten dan die geste; iegelîcher an sîne veste brâhte grôze rîcheit; daz was den burgæren leit. der künic die vürsten sande gegen sînem lande mit dem her ze Korntîn. dô vuorter die gesellen sîn, Êrec und den herren Îwein, Lanzelet und herren Gâwein, und hundert rîter wol geborn, der manheit was ûz erkorn. daz was dô sîn gesinde. zweinzic wol geborner kinde vuorter und diu künigin in daz lant ze Britanje hin. sus vuorens âne swære. dô brâhte in leidiu mære ûf dem wege ein garzûn. des roc was gel unde brûn in ein ander geparrieret; sîn houbet was gezieret mit einem schapel bluomîn; ouch truoc er in den henden sîn einen stap von helfenbeine. der knappe lief vreuden eine, ich wæn diu was im kleine.

Drei Grafen führten sie als gewinnversprechende Gefangene mit sich. So machten sich die Belagerer auf den Weg; ein jeder brachte große Reichtümer heim in seine Burg, zum Leidwesen der Einwohner. Der König schickte die Fürsten mit dem Heer in sein Land nach Korntin. Er selbst begleitete seine Gefährten, Erec und Herrn Iwein, Lanzelet und Herrn Gawein und hundert edle Ritter von auserwählter Tapferkeit – das war sein Gefolge. Zwanzig edel geborene Knaben führte er zusammen mit der Königin nach Britannien. Sorglos nahmen sie ihren Weg, als ein Page ihnen unterwegs schlimme Nachrichten überbrachte. Sein Rock war wechselfarbig gelb und braun geschnitten; sein Haupt schmückte ein Blumenkranz; in den Händen trug er einen Botenstab aus Elfenbein. Der Knabe lief von der Freude verlassen einher, sie war ihm ganz vergangen.

Als er die knappen komen sach, der garzûn trûriclîche sprach ‚ei, guote knappen, tuot mir kunt âne zorn, wider mînen munt, wes sî ditz gesinde.‘ dô sprach einez der kinde ‚daz sol iu unversaget sîn: des küniges von Korntîn, her Gwîgâlois ist er genant.‘ dô sprach der garzûn zehant ‚herre, zuo dem bringet mich; mit iuwer helfe sô hân ich mînen louf wol bewendet; ich bin zuo im gesendet.‘ der juncherre sprach ‚daz sî getân.‘ ze sînem herren vuorter in sân. der garzûn durch die rîter dranc;

Als er die Knappen herankommen sah, sprach der Page kummervoll: „O Ihr edlen Knappen, sagt mir freundlicherweise frei heraus, wem dieses Gefolge zugehört.“ Da antwortete einer von ihnen: „Das werde ich Euch nicht verhehlen: es ist des Königs von Korntin, Wigalois genannt.“ Sogleich sprach der Edelknabe: „Herr, so bringt mich zu ihm; mit Eurer Hilfe habe ich das Ziel meines Botenlaufs erreicht, denn zu ihm wurde ich gesandt.“ Der junge Herr sprach: „Das soll geschehen.“ Unverzüglich brachte er ihn zu seinem Herren. Durch die Schar der Ritter hindurch sich drängend,

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an des küniges zoum er spranc. her Gwîgâlois sprach wider in ‚juncherre, wâ welt ir hin?‘ er sprach ‚herre, niwan her.‘ bî der rede erkande er sîner muoter garzûn. der geburt was er ein Britûn. er sprach ‚du solt mir willekomen sîn! nu sage mir von der muoter mîn, wie sich der reine lîp gehabe; ich weiz wol si tet sich abe ir vreude, dô si mich verlôs. ir herze ist ganzer triuwen flôs.‘ der garzûn weinende sprach, daz ir aller vreude brach ‚owê leider, jâ ist si tôt! daz vuocte ir jâmer und diu nôt die si nâch iuwerm lîbe leit; diu swære ir abe daz herze sneit. si schiet mit solhen riuwen hin daz ich des gewis bin daz got die sêle im habe erkorn. ir schœnen lîp hât si verlorn, daz wizzet, von den beiden: daz ein was daz scheiden daz von ir tet ir lieber man, nâch des minne ir herze bran; daz ander daz si iuch verlôs. von disem leide si erkôs den tôt mit jæmerlîcher klage. ez ist hiute an dem drîzigesten tage daz bestatet wart diu reine under einem edeln steine in der stat ze Riodach; mit mînen ougen ich daz sach. daz vingerlîn sande si her; daz was ir jungestiu ger daz ich iu daz bræhte und man dâ bî gedæhte muoterlîcher triuwe und senlîcher riuwe.‘ daz vingerlîn enpfie sîn hant; daran er geschriben vant ‚owê, geselle und ouch mîn kint! von iu mîn varwe ist worden blint, mîn rôtez golt gar überzint.‘

ergriff der Page des Königs Pferd am Zügel. Herr Wigalois sprach zu ihm: „Junger Herr, wohin wollt Ihr?“ Er antwortete: „Herr, genau hierhin.“ An seinen Worten erkannte er den Pagen seiner Mutter. Er war ein Bretone. Er sprach: „Sei mir willkommen. Nun berichte mir von meiner Mutter, wie es der Edlen geht. Ich weiß wohl, dass die Freude sie verließ, als sie mich verlor. Ihr Herz ist eine Blüte vollkommener Treue.“ Der Page sprach weinend, so dass die Freude aller ihr Ende fand: „O weh, es tut mir leid, denn sie ist ja tot. Schmerz und Sehnsucht nach Euch fügten ihr dies zu; der Kummer brach ihr das Herz. Sie starb in solchem Leid, dass ich dessen gewiss bin, dass Gott ihre Seele erwählt hat. Ihr sollt wissen, dass es zwei Gründe gab für den Tod der Schönen: Der eine bestand darin, dass ihr geliebter Mann sie verließ, nach dessen Liebe sie sich verzehrte, der andere, dass sie Euch verlor. Von diesem Leid fand sie in tiefem Schmerz den Tod. Heute ist der dreißigste Tag, seit die Edle in der Stadt zu Riodach unter einem Edelstein begraben wurde; ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Diesen Ring schickte sie hierher; es war ihre letzte Bitte, ihn Euch zu überbringen, zum Gedenken an mütterliche Treue und schmerzliches Sehnen.“ Seine Hand empfing den Ring; daran fand er die Inschrift „O weh, Geliebter, und o weh, mein Kind! Euretwegen ist meine Farbe verblasst, mein rotes Gold mit Zinn überzogen.“

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Von disem mære gestœret wart ir aller vreude an der vart. her Gwîgâlois ze herren Gâwein sprach ‚ditz leit ist alles leides dach daz uns got noch ie erbôt; unser beider lîp ist an ir tôt: si was mîn muoter und iuwer wîp. ist rehtîu konschaft ein lîp, diu ist mit stæte iu an ir tôt.‘ von dirre klage wurden rôt ir ougen und ir herze sêr. ‚waz mac ich nu sprechen mêr‘ sô sprach her Gâwein der degen, ‚wan daz mîn vreude sî gelegen mit ir hiute vür disen tac der ich mit hôhem muote ie pflac. ichn wil konlîcher ê mit stæte gepflegen nimmer mê, noch rîterschaft, michn twinges nôt. owê dir, unbescheiden tôt! du nimest mangen schœnen lîp und læst vil wundernaltiu wîp leben gar über ir zil. du gîst der werlte jâmers vil!‘ sus riten si mit grôzer klage und kômen an dem zwelften tage in die stat ze Nantasan. dâ was vîl manic werder man bî Artûs, dem künige hêr. dô si gehôrten rehte wer dâ kæme, des wurdens alle vrô. ûf ir ors si sâzen dô und enpfiengen si mit rîterspil. man sach dâ kurzewîle vil von rîtern und von vrouwen, die gerne wolden schouwen die küniginne von Korntîn. Artûs und daz wîp sîn, mit in diu mässenîe gar, die kômen ûf daz velt dar zenpfâhen die geselleschaft mit williges herzen kraft. deiswâr, daz was billîch, dar kâmen vünf vürsten rîch, gesellen der tavelrunder, und aller schœne ein wunder: diu künigîn Lârîe,

Von dieser Nachricht wurde ihrer aller Freude erstickt. Herr Wigalois sprach zu Herrn Gawein: „Das ist der Gipfel allen Leids, welches Gott jemals über uns verhängte. Wir beide sind mit ihr gestorben; sie war meine Mutter und Eure Gemahlin. Wenn wahre Ehe nur einen Leib hat, so ist sie Euch für immer mit ihr gestorben.“ Dieses Leid rötete ihre Augen und betrübte ihr Herz. „Was kann ich nun noch sagen“, so sprach Gawein, der Held, „als dass mit ihr all meine Freude von heute an begraben ist, die ich doch stets mit Zuversicht bei mir wusste. Ich will auf Dauer nie wieder eine Ehe führen noch jemals wieder ohne Not als Ritter kämpfen. Weh dir, gleichgültiger Tod! Du raubst manch blühendes Leben und lässt oft steinalte Frauen über alle Maßen lange leben. Du mutest der Welt viel Leid zu!“ So ritten sie in tiefer Trauer und kamen am zwölften Tag nach Nantasan. Viele edle Männer befanden sich dort bei Artus, dem erhabenen König. Als sie Genaueres hörten, wer dort eintraf, freuten sich alle. Sie bestiegen ihre Pferde und empfingen sie mit ritterlichen Spielen. Man sah dort allerlei Kurzweil bei Rittern und Damen, die begierig waren, die Königin von Korntin zu sehen. Artus, seine Gemahlin und mit ihnen der ganze Hofstaat begaben sich hinaus auf die Ebene, die Gesellschaft mit herzlicher Zuneigung zu empfangen. Dies war tatsächlich angemessen; dort erschienen fünf mächtige Fürsten, Standesgenossen der Tafelrundenritter, und ein Wunder aller Schönheit, die Königin Larie,

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des wunsches âmîe. si wurden wol enpfangen. dô daz was ergangen, durch die stat si dô riten mit vil rîterlîchen siten und kômen vür des küniges hûs. der vil getriuwe Artûs, sîn wîp, vrou Ginovêre, und ander vrouwen mêre die kômen ûf den helfant, dâ man den wunsch von rîcheit vant und die küniginne. ir schœne was der minne geleite und ir krône; den jâmer si ze lône gap mit süezen blicken; si kunde wol verstricken die sinne dem herzen mit êwiclîchem smerzen. der künic Artûs si enpfie, dar nâch vrou Ginovêre gie mit manger vrouwen wol getân. die künigîn si kuste sân und enpfie vil minneclîche ir juncvrouwen alle gelîche. dâ wart vil manic kus getân von den vrouwen wol getân; si giengen mit ein ander dan.

der Vollkommenheit Gespielin. Sie wurden freundlich begrüßt. Sodann ritten sie in höfischer Manier durch die Stadt und langten vor der Residenz des Königs an. Der aufrechte, verlässliche Artus, seine Gemahlin, Frau Ginover, und eine Reihe weiterer Damen begaben sich auf den Elefanten, wo man vollendeten Reichtum vorfand und die Königin sah. Ihre Schönheit war Begleiterin und Krone der Liebe. Liebeskummer verstand sie zu spenden mit dem liebreizenden Aufschlag ihrer Augen. Sie wusste wohl, die Herzensempfindungen mit unstillbarem Schmerz zu verbinden. König Artus begrüßte sie, ihm folgte Frau Ginover zusammen mit vielen schönen Damen. Die Königin küsste sie nun und empfing alle ihre Jungfrauen gleichermaßen freundlich. Da wurden viele Begrüßungsküsse gewechselt von den schönen Damen und miteinander verließen sie den Ort.

Diu künigîn vrouwen Lârîen nam, als ez ir êren wol gezam, und der künic Artûs. si leiten si in ir hûs mit vrœlîchem schalle. die edeln rîter alle enpfiengen vrouwen Lârîen, des wunsches âmîen. alle die si gesâhen des prîses si ir jâhen an schœne unde an sælicheit und daz ir lîbe wære bereit der wunsch an wîplîchem zil; sus wart si geprîset vil von der mässenîe. diu künigîn Lârîe gie dô mit der wirtîn. ir kamergwant truoc man în

Wie es ihrem Stande zukam, nahmen die Königin und König Artus Frau Larie (in ihre Mitte) und führten sie unter fröhlichem Lärmen (des Gefolges) in ihre Residenz. Die edlen Ritter begrüßten Frau Larie, der Vollkommenheit Gespielin. Alle, die sie erblickten, mussten ihr den Preis der Schönheit und Glückseligkeit zugestehen und dass sie alles in Vollkommenheit in sich vereinte, was zum Ideal der Frau gehört. So ward sie hoch gepriesen vom ganzen Hofstaat. Die Königin Larie begleitete die Herrin (der Residenz); man entlud den Elefanten

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und entladete den helfant. künic Artûs nam bî der hant den jungen künic von Korntîn; in und den vater sîn vuort er mit vreuden ûf den sal, dâ daz gesinde über al si vil williclîche enpfie. der grâve Hojir dô gie; er und sîne âmîe, mit rehter kurtôsîe enpfiengen si den werden degen. swie sîn prîs wære gelegen von des heldes manheit, im was iedoch sîn dienst bereit. sîns gelückes wâren si alle vrô. alrêrst gevrieschen si dô daz sîn vater was her Gâwein, des zuht ie âne wandel schein. der helt beleip mit vreuden dâ siben tage, und gerte sâ urloubes, er und sîn gespil: si hêten ze tuonne vil dâ heime in ir lande. daz was in allen ande, rîtern unde vrouwen. doch muosen si schouwen daz der helt danne schiet, als im sîn unmuoze riet. der helt urloubes gerte; des in ungerne gewerte sîn neve, der künic Artûs. er sprach ‚daz ir ûz mînem hûs nû ze disen zîten sô gâhes müezet rîten, daz ist mir inniclîche leit; mîn dienest ist iu bereit, dar zuo mîn helfe und mîn rât, swenne ir mich daz wizzen lât, wand ir mîn næhster mâge sît. neve, ir sult vür dise zît triuwen an mich warten âne valsches scharten.‘ her Gwîgâlois sprach âne spot ‚herre, daz vergelte iu got! der rede ist mir von iu ze vil; nu wizzet daz ich immer wil iu dienstes wesen undertân

und brachte ihre Gewänder herein. König Artus nahm den jungen König von Korntin bei der Hand und führte ihn zusammen mit seinem Vater voller Freude hinauf in den Saal, wo sie vom Gefolge freundlich begrüßt wurden. Graf Hoyer war ebenfalls dort mit seiner Freundin, und beide begrüßten nach höfischer Manier den edlen Helden. Auch wenn sein eigener Ruhm durch die Tapferkeit Wigalois’ gemindert war, versicherte er ihn doch seiner Dienste. Alle freuten sich an seinem Glück. Nun erst erfuhren sie, dass Herr Gawein sein Vater war, dessen Verhalten von je her ohne Makel war. Mit Freuden verweilte der Held dort sieben Tage und begehrte dann, mit seiner Geliebten Abschied nehmen zu dürfen: Viele Aufgaben harrten ihrer daheim in ihrem Land. Das wurde von allen, von Rittern und Edeldamen, bedauert. Dennoch mussten sie mit ansehen, wie sie der Held verließ, getrieben von seiner Unrast. Wigalois begehrte, Abschied nehmen zu dürfen, den ihm sein Verwandter, König Artus, nur ungern gewährte. Er sprach: „Dass Ihr gerade jetzt meine Burg eilends verlassen müsst, bedauere ich zutiefst. Ich bin Euch zu Diensten, und helfe mit Rat und Tat, wann immer Ihr sie nötig habt, denn Ihr seid mein nächster Verwandter. Neffe, Ihr könnt von nun an auf meine unverbrüchliche Treue rechnen.“ Herr Wigalois sprach in großem Ernst: „Herr, das lohne Euch Gott! Zu viel der Ehre wird mir von Euch zuteil. Wisset, dass ich fortan Euch mit Dienst ergeben sein will,

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die wîle und ich den lîp hân.‘ urloup nam der helt dâ zem künige und ouch anderswâ, und vrouwe Lârîe, sîn gespil. die buten dienstes harte vil den vrouwen und der rîterschaft. her Gâwein und sîn [ge]selleschaft die konduwierten si von dan, und manic ander werder man, der ich niht genennen kan.

so lange ich lebe.“ Sodann nahm der Held Abschied vom König und auch von den anderen, ebenso Frau Larie, seine Geliebte. Den Damen und Rittern erwiesen sie auf freundliche Weise die Ehre. Herr Gawein und seine Gefährten geleiteten sie auf den Weg, zusammen mit vielen ehrenwerten Männern, die ich jetzt nicht namentlich nenne.

Dô kêrte der helt gegen Korntîn; her Gâwein, der vater sîn reit mit im besunder. er sprach ‚got hât sîn wunder und sîn genâde an iu getân. ir sult im wesen undertân und minnet in herzelîche. der sinne sît ir rîche, des guotes und der êren; daz sult ir allez kêren swâ ir muget nâch sînem gebot. swer herzelîche minnet got, der ist behalten hie und dort. sun, nu merket disiu wort und behalt diu âne missetât, – daz ist mînes herzen rât: – sît bescheiden an allen dingen und lât niht verdringen die jugent iuwer sinne; der iuch mit triuwen minne an den sult ir iuch lâzen und bœses schimpfes mâzen; vernemet armer liute klage und büezet ir kumber alle tage; sît gewizzen unde guot; den vînden traget hôhen muot, den vriunden sît geselliclîch und milte: sô werdet ir lobes rîch; bietet den gesten êre nâch iuwer gewizzen lêre; sît dem gehülfic unde guot der iuwern willen gerne tuot. disem râte volget nâch: lât iuwern zorn niht wesen gâch; tragt scham ob allen iuwern siten. ich wil iuch manen unde biten

Da wandte sich der Held gen Korntin. Herr Gawein, sein Vater, ritt mit ihm abseits der anderen. Er sprach: „Gott hat seine Wunderkraft und seine Gnade an Euch bewiesen. Ihr sollt ihm ergeben sein und ihn von Herzen lieben. Ihr seid reich an Verstand, Besitz und Ansehen; all das sollt Ihr, wo immer Ihr könnt, an seinem Gebot ausrichten. Wer Gott von Herzen liebt, der wird im Diesseits wie im Jenseits beschützt sein. Sohn, hört auf diese Worte und folgt ihnen ohne Fehl und Tadel – dies ist der Rat meines Herzens: Seid verständig in allen Angelegenheiten und lasst die Jugend nicht Eure eigene Vernunft verdrängen. Baut auf denjenigen, der Euch wirklich liebt, und enthaltet Euch übler Scherze. Habt ein Ohr für die Sorgen armer Leute und lindert stets ihre Not. Seid bedacht und gut. Den Feinden begegnet selbstbewusst, den Freunden gesellig und großmütig, so werdet Ihr viel Lob ernten. Ehrt die Fremden, wie Eure Verständigkeit es Euch gebietet. Steht demjenigen zur Seite, der bereitwillig Eure Wünsche erfüllt. Folgt diesem Rat: Seid nicht jähzornig; bleibt sittsam bei all Euren Handlungen. Ich will Euch ermahnen und bitten,

26. Einkehr am Artushof

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daz ir gedenket der vrouwen mîn, bî der ich wil mit jâmer sîn, der reinen Flôrîen. sold ieman wâfen schrîen über gotes gwalt, daz tæte ouch ich, wand er hât beroubet mich mîner hœhsten wunne; si was ein brehendiu sunne enmitten in mînem herzen. owê des grôzen smerzen den ich nu ewiclîche trage mit tôtlîcher jâmers klage!‘ vor leide si beide weinden; mit triuwen si bescheinden daz si in beiden liep was. ‚munt von wîbe nie gelas,‘ sprach her Gwîgâlois der degen, ‚diu gänzlîcher kunde pflegen wîplîcher güete; ir herze in tugent blüete alsô der süezen rôsen bluot des morgens gegen der sunnen tuot.‘ sus truogen si des jâmers last; diu vreude was ir herzen gast. ganziu triuwe ir beider pflac unz an ir ende mangen tac. sînen vater er mit vlîze bat swen im der reise würde stat, daz er kœme in sîn lant; daz lopte her Gâwein zehant. ein ander si dô kusten; si truogen under ir brusten triuwe âne wenken, die valsch niht mohte beschrenken. sîne liebe tohter kuste er dô; der herze wart vor leide unvrô daz si sich muosen scheiden. den gelieben beiden gap der helt vil süezen segen und bat ir got aller pflegen. sus nâmen si dô urloup dâ; mit jâmer si sich schieden sâ. her Gâwein und des küniges man die kêrten gegen Nantasan, her Gwîgâlois gegen Korntîn. vrouwe Lârîe diu künigîn weinde unde was unvrô.

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meine Gemahlin im Gedächtnis zu behalten, die edle Florie, um die ich trauern werde. Würde jemand aufbegehren gegen Gottes Urteil, so auch ich, denn er hat mich meiner höchsten Freude beraubt. Sie war die wärmende Sonne mitten in meinem Herzen. Weh über den tiefen Schmerz, den ich nun auf ewig in Todesleid mit mir führe.“ Vor Kummer weinten beide und zeigten damit aufrichtig, dass sie ihnen nahestand. „Nie hat man von einer Frau erzählt“, sprach Wigalois, der Held, „die von so vollkommener weiblicher Güte gewesen wäre. Ihr Herz erblühte in Tugend wie die Blüte der schönen Rose im morgendlichen Sonnenlicht.“ So trugen sie die Bürde des Kummers; Freude war ihren Herzen fremd. Vollkommene Treue wohnte ihnen bei bis an das Ende ihrer Tage. Seinen Vater bat Wigalois inständig, in sein Land zu kommen, so oft ihm die Reise möglich sein würde. Herr Gawein versprach es und sie küssten einander. Beide trugen in sich unverbrüchliche Treue, die keinerlei Falschheit zu Fall bringen konnte. Seine geliebte Schwiegertochter küsste er, deren Herz von Trauer erfüllt wurde, weil sie voneinander scheiden mussten. Dem liebenden Paar gab der Held freundliche Segenswünsche mit und empfahl die beiden und sich selbst Gottes Fürsorge. So nahmen sie Abschied und trennten sich nicht ohne Kummer. Herr Gawein und die Ritter des Königs wandten sich zurück nach Nantasan, Herr Wigalois gen Korntin. Frau Larie, die Königin weinte und war unglücklich.

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27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog

her Gwîgâlois si trôste dô; mit schimpflîchem mære benam er ir die swære. si was untriuwen lære.

Da tröstete sie Herr Wigalois und nahm mit kurzweiligen Geschichten die Last des Kummers von ihr. Falschheit war ihr fremd.

27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog Wigalois lebt viele Jahre in glücklicher Ehe und regiert weise. Larie gebiert ihm einen Sohn: Lifort Gawanides, der später ein berühmter Held wird. Dessen Geschichte getraue sich der Dichter nicht zu erzählen, jedoch wolle er gerne dem, der es zu unternehmen wünsche, die welsche Erzählung verschaffen. Wie gering seine Kunst auch sei, wenn man seinem Werk Beifall spende, wolle er doch der Dichtung treu bleiben, falls ihm die heitere Stimmung nicht fehle. Diese werde er jedoch kaum finden. Habgier, die Feindseligkeit und Bosheit erzeugen, verdüstern die Welt. Lediglich aus dem Munde eines Knappen habe er die Geschichte vernommen, daher sei sie ihm nur unvollständig bekannt geworden. Er wolle sich einer neuen zuwenden und es dann besser machen. Wigalois und seine Gemahlin hätten ein musterhaftes Leben geführt bis an ihr Ende, sodass Gottes Gnade sie dort aufnahm, wo tausend Jahre sind wie ein Tag. Gott möge auch uns aus diesem Elend in sein Himmelreich aufnehmen. (11605–11708) 11605

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Sus kômen si ze Korntîn. der künic und diu künigîn besâzen dâ ir eigen lant, dâ man sît immer mêre vant vreude nâch des herzen gir. ezn liege diu âventiure mir, sît si dâ wurden sedelhaft, vrouwen unde rîterschaft vant man dâ zallen zîten vil. die burc nant man der vreuden zil. ein wîtiu stat dâ vor lac wüeste vil mangen tac; die besatzter unde bûwet si wol. daz lant wart allez vreuden vol von des heldes sælicheit. got sîn dienest was bereit mit lûterm herzen; alle tage vernam er armer liute klage und buozte in ir kumbers nôt, als im diu mâze ie danne gebôt. mit vreuden lebten si ir jâr. vrouwe Lârîe von im gebar und von gotes stiure einen sun, des âventiure mir ze wilde wære, ze krump und ze swære,

Und so kamen sie nach Korntin. Der König und die Königin nahmen dort ihr Land in Besitz, wo man fortan alle Freude fand, die das Herz begehrte. Wenn die Erzählung wahr ist, fand man da, seit sie sich dort niedergelassen hatten, zu allen Zeiten viele Ritter und Damen. Die Burg nannte man Heimstatt der Freude. Eine ausgedehnte Vorstadt, die lange wüst gelegen hatte, befand sich davor. Die besiedelte und bebaute er. Das ganze Land wurde von Freude erfüllt durch die Gesegnetheit des Helden. Er war Gott ergeben mit reinem Herzen; stets hatte er ein Ohr für die Not armer Leute und linderte ihnen ihr Elend in ausgewogener Weise. Ihre Zeit lebten sie in Freude. Frau Larie gebar ihm mit Gottes Gnade einen Sohn, dessen Geschichte mir zu abenteuerlich wäre, zu verzwickt, schwierig

27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog

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von sô wunderlîcher [ge]schiht daz ichz mit mînem getiht nimmer triuwe errecken. er muoz die sinne endecken swer si ze rehte tihten wil; daz mære ist hôher sinne ein zil. der selbe sun wart genant, sîn nam wîten erkant, Lifort Gâwânides. sîn âventiure giht des daz rîters tât zer werlte nie gesteic mit wârheit hœher ie. er kunde mit rîcher jost diu sper hurticlîche nâch rîters ger in dem poinder brechen, durch herte schilte stechen. sîn gernder prîs nâch êren ranc. âvoy, wie dicke im sît gelanc an mangem herten strîte! er sluoc wunden wîte durch helme und durch härsenier. der helt wart mänlîch unde fier. dise âventiure nem sich an ein sô künstiger man der wildiu wort künne zamen. vremdiu mære und vremde namen hât diu âventiure. ich gibim daz ze stiure swer si gerne tihten wil, daz ich in wîse ûf ir zil dâ si geschriben hât ein man der ir im wol ze tihten gan, von der wälsche in diutsche zungen.

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mich hât von ir gedrungen mîn krankiu kunst und mîn sin; von ir ich sus gescheiden bin. swie kranker kunst ich doch sî, ich belîbe der âventiure bî. diuhte mîn werc die wîsen guot und vünde ich ein sô ringen muot

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der mich dâ zuo beriete, mîn zunge si verschriete und begunde si wider lîmen mit ganzen niuwen rîmen. als ich wæne, des envinde ich niht.

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und voller merkwürdiger Begebenheiten, dass ich es mir nicht mehr zutraue, sie mit meiner Dichtung getreu darzulegen. Derjenige, der sie angemessen dichten will, muss ihre Bedeutung aufdecken, und diese Geschichte ist ein Hort edler Gedanken. Der besagte Sohn erhielt den später weithin berühmten Namen Lifort Gawanides. Seine Geschichte legt Zeugnis davon ab, dass wahrlich niemals auf der ganzen Welt größere Rittertaten vollbracht wurden. Er verstand es, in prachtvoller Tjost die Lanzen, wie der Gegner es sich wünscht, zum Angriff anrennend, zu zerbrechen und durch harte Schilde zu treiben. Sein Ehrgeiz strebte nach dem Ruhm. Und seht, wie oft er seither in manch schwerem Kampf obsiegte! Er schlug tiefe Wunden durch Helme und Herseniere. Der Held war selbstbewusst und tapfer. Diese Geschichte soll ein so kunstverständiger Mann übernehmen, der wilde Worte zu zähmen weiß. Seltsame Begebenheiten und Namen enthält diese Geschichte. Dies gebe ich dem mit auf den Weg, der sich anschickt, sie zu dichten, ihn auf ihren Ursprung hinzuweisen, dort, wo ein Mann sie niedergeschrieben hat, der sie ihm wohl zu bearbeiten und aus dem Französischen ins Deutsche zu setzen erlaubt. Mangel an Kunst und Verstand hat mich davon abgebracht, so dass wir nun getrennte Wege gehen. So unbegabt ich aber auch sein mag, ich bleibe der Geschichte treu. Wenn die Verständigen mein Werk schätzten, und fände ich darüber hinaus die rechte Unbekümmertheit, die mich dafür ausstattet, meine Worte würden sie zu(recht)schneiden und von neuem mit vollkommenen und frischen Reimen wieder zusammenfügen. So wie ich es erhoffe, finde ich es nicht.

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27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog

owê der jæmerlîchen [ge]schiht daz diu werlt niht vreuden hât! ir hœhstez leben mit grimme stât; daz ist rîters orden! ich bin wol innen worden daz der werlte vreude sinket und ir êre hinket; daz prüevet in diu gîticheit, diu bœsen muot und erge treit. owê! daz ist mîn herzeleit.

O, welch ein Jammer, dass keine Freude in der Welt ist. Ihre höchste Lebensform, der Ritterstand, ist mit wilder Feindseligkeit erfüllt! Ich habe es wohl wahrgenommen, dass der Stern der Weltfreude sinkt und ihre Ehre hinkt, was seine Ursache in der Habsucht hat, die schlechte Gesinnung und Geiz hervorbringt. O weh, das schmerzt mich zutiefst!

Ich wil daz mære volenden hie, als michz ein knappe wizzen lie der mirs ze tihten gunde. niwan eines von sînem munde enpfie ich die âventiure; dâ von was mir tiure daz mære an mangen enden. mînen sin wil ich wenden an ein ander, und wizzet daz diu wirt von mir erriten baz. her Gwîgâlois und sîn wîp rîcheit und êren pflac ir lîp ân alle missewende schône unz an ir ende. ir reinez leben verdiente hie daz gotes gnâde si dort enpfie dâ tûsent jâr sint ein tac. deheines herzen sin gemezzen mac der vreude niht gelîche diu ist in himelrîche; dar uns noch got gesende ûz disem ellende! hie hât daz buoch ein ende.

Ich will hier die Geschichte so vollenden, wie ich durch einen Knappen Kenntnis von ihr erhielt, der sie mir zur Nachdichtung überließ. Allein aus seinem Munde erfuhr ich die Geschichte. Daher weist sie in vielerlei Hinsicht Lücken auf. Ich will mich nun einer anderen zuwenden, die ich, seid dessen gewiss, besser treffen werde. Herr Wigalois und seine Gemahlin lebten in Reichtum und Ehren, ohne dass etwas auszusetzen wäre, prachtvoll bis an ihr Ende. Ihr vollkommenes Leben ließ es ihnen zuteil werden, dass Gottes Gnade sie dort empfing, wo tausend Jahre gleich einem Tag sind. Keiner sterblichen Seele Vernunft vermag die Freude zu ermessen, die dort im Himmelreich regiert. Dorthin möge Gott uns senden aus diesem Elend! Hier schließt das Buch.

Gawaniden-Romane

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Nachwort* I. Gawaniden-Romane Der Wigalois des Wirnt von Grafenberg wird im allgemeinen zu jenen europäischen Artusromanen gezählt, die einen schönen Unbekannten zum Helden haben. Gemeinsamkeiten hinsichtlich bestimmter Handlungsschritte legten die Nähe des Romans zum Bel-InconnuTyp nahe.1 Doch schon in den Grundfesten der Unbekannten-Vita gibt es erhebliche Abweichungen. In der deutschen Bearbeitung des Stoffes ist die Unbekanntheit des Helden soweit zurückgenommen, dass nur noch Vater und Sohn sich nicht erkennen, Wigalois aber ansonsten mit Namen, Wappen und Herkunft ausgestattet den Artushof erreicht. Tatsächlich gehört dieser noch in klassischer Zeit entstandene deutsche Artusroman zu einer etwas umfangreicheren Gruppe von Romanen, die nicht an die Herkunftslosigkeit des Helden gebunden ist, sondern im Gegenteil sich durch die tatsächliche Familienzugehörigkeit der Helden definiert. In Anlehnung an die von Wirnt in Aussicht gestellte Fortsetzung, die den Sohn des Wigalois namens Lifort Gawanides zum Helden haben sollte,2 fassen wir diese Untergruppe von Artusromanen unter dem Sammelbegriff GawanidenRomane.3 Gawan, im Roman des Iwein-Typs statische Figur und Folie zur Bemessung der Protagonistentugenden, im Parzival dagegen Funktionsfigur im Sinne einer dem erstreb-

* Wir möchten uns an dieser Stelle bei den Rezensenten der Ausgabe von 2005, voran Kartschoke 2007 und Schnyder 2009, für die konstruktive Kritik und bei unseren Osnabrücker, Bielefelder, Wiener und Klagenfurter Studenten für die produktive Diskussion unserer Thesen bedanken. Die gewonnenen Erkenntnisse sind der vorliegenden revidierten Ausgabe zugutegekommen. 1 Vgl. Cormeau 1977 (hier und im Folgenden sind die durch Autornamen und Jahreszahl zitierten Titel der Forschungsliteratur in unserer Auswahlbibliographie nachgewiesen). Die detaillierten Untersuchungen von Cormeau selbst beschränken sich im Wesentlichen auf den Bel Inconnu und den Chevalier du papegau. Vgl. auch Fuchs-Jolie 2010. In der Quellenforschung wurden außerdem der Lybeaus Desconus und der Carduino mit einbezogen. Die Quellenfrage lässt sich für den Wigalois u.E. nur dann ersthaft diskutieren und fortführen, wenn alle Romane vom schönen Unbekannten bzw. von Helden aus der Gawansippe, die demselben Strukturschema verpflichtet sind, mit einbezogen werden. Die Textbasis von Cormeau ist für eine gesicherte Entscheidung der Vorlagenverhältnisse zu schmal. Vgl. hierzu die Übersicht S. 297. 2 Versprochen wird die Fortsetzung (Wigalois, V. 11626ff.) – so unsere früher an dieser Stelle geäußerte Annahme – „vielleicht deshalb, weil auch Wolfram eine Fortsetzung der Geschichte Parzivals in der seines Sohnes Lohengrin andeutet“. Nellmanns (2010) These von der Teilveröffentlichung der Bücher I–VI und späteren Fortsetzung des Parzival aber als begründet vorausgesetzt, könnte Wolfram hier auch einmal einen Gedanken von Wirnt fortgesponnen haben. Vgl. den Kommentar zu V. 7435–54 (auch hier gebührt Wirnt wegen der Ausführlichkeit und Detailkenntnisse zur Herkunft der Salamander-Seide wohl eher die Rolle des Gebenden). 3 Gawanides ist von Wirnt gebildet nach griechisch-lateinischem Vorbild. Die Namensbildung war dem Mittelalter bekannt aus Ovids Metamorphosen. Vgl. Atrides, Sohn des Atreus (= Agamemnon; Metam. XIII,189; 230; 365; = Menelaos XIII, 359 u. ö.), Belides, Enkelinnen des Belus (Metam. IV, 463), Cecropides, Nachkomme des Cecrops (Metam. VII,502; VIII,551 u. ö.), Coronides, Nachkomme der Coronis (Metam. XV,624) etc.

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Nachwort

ten Wahrheitsanspruch dienenden epischen Totalität umbesetzt,4 wird hier zum Begründer einer eigenen genealogischen Reihe. Im Rahmen der narrativen arbor consanguinitatis wird hierdurch eine eigene Stammlinie begründet.5 Gemeinsam ist diesen Werken der jugendliche Held aus der Sippe Gawans, sei es der jüngere Bruder, ein Neffe, ein Sohn oder Enkel, der an den Artushof kommt (zeitgleich mit einer jungfräulichen Botin, die um Beistand für ihre Herrin bittet), als unerfahrener Ritter eine Reihe von Bewährungsabenteuern besteht, bevor er seine Hauptaufgabe erfüllen darf: die Befreiung einer bedrängten Landesherrin. Eine geradlinige Karriere ohne Brüche und Doppelweg steht dem jungen Ritter bevor, bis er in einer verzauberten Anderwelt seine künftige Braut befreit. Das Muster von Suche nach dem Vater, Aventiuren-Reihe und Erlösungstat eignet ihnen ebenso wie die Ausweitung der Artuswelt in Richtung der Feenerzählung und der Chanson de geste/Heldenepik. Dies bedingt ein über das bekannte Maß hinausgehendes Inventar an Riesen, Zwergen, Drachen, Zauberern einerseits und die realistisch gehaltene Schilderung von Feldzügen, bevorzugt am Rande der Heidenschaft, andererseits. So unterschiedlich der Wigalois und die mit ihm stoffverwandten Romane letztlich ausgestaltet werden, welche thematischen Schwerpunkte die Erzähler auch immer setzen – die Exposition ist stets dieselbe und derart konsistent, so dass wir für alle diese Texte einen gemeinsamen Ursprung zwingend annehmen müssen: Ein schöner, namenloser Jüngling erscheint eines Tages am Artushof. Er dient ein Jahr lang bis zur Schwertleite, ohne seine wahre Herkunft zu enthüllen, oder wird gleich am Ankunftstag zum Ritter geschlagen. Eine Jungfrau in Begleitung eines Zwergs bittet um Hilfe für ihre Herrin, und Artus gewährt dem Helden, als Helfer auszureiten. Auf dem Weg besteht er eine Folge von Bewährungsproben, mit denen er die Botin von seinen Fähigkeiten überzeugt. In der Regel sind dies der Kampf an einer Furt, der Kampf gegen drei Räuber, die Befreiung einer Jungfrau aus den Händen von zwei Riesen, der Kampf um ein Hündchen, um einen Schönheitspreis, um die Unterkunft in einer Herberge sowie ein Vorrechtskampf, der darüber entscheidet, wer die Herrin aus den Händen eines unerwünschten Bewerbers oder eines Zauberers befreien darf. Der Endgegner ist überaus stark, wird aber vom Helden besiegt; die verzauberte Jungfrau gewinnt ihre Gestalt zurück.

In der Bel Inconnu-Tradition ist die Dame in eine Schlange verwandelt und kann nur durch einen Kuss aus ihrer Verzauberung erlöst werden. Dieser Schlangenkuss fehlt im Wigalois, spielt aber wieder eine Rolle im Seifrid de Ardemont und im Lanzelet, ist also auch in deutschsprachigen Erzählungen mit einem schönen Unbekannten verknüpft. Bei Wirnt wird der erotisch besetzte Schlangenkuss metonymisch durch einen Drachenkampf ersetzt. Die Erzählung wurde von ihm um eine Darstellung der Vorgeschichte der Eltern, 4 Vgl. Mertens 1998, S. 128. 5 Anders Achnitz 2012, S. 182f. und 202, der eine kontinuierliche Entwicklung des Artusromans im Sinne von Gattungshorizont und Gattungserweiterung (Jauss) – als eine Art Metamorphose von Merkmalsbündeln – annimmt, deren „heuristisches Bezugssystem“ (S. 182) weiterhin im Chrétienschen Romantyp gesehen wird. Damit bleibt auch die Vorstellung von der Nachzeitigkeit des Gawaniden-Typs von der Chrétien-Galaxis festgeschrieben.

Gawaniden-Romane

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Kindheit und Jugend des Helden (enfance) ergänzt, und auch den Namur-Feldzug und Wigalois’ Bewährung als Landesherr hat er wohl selbständig hinzugefügt.6 Der Kern der Erzählung dürfte keltischen, d.h. walisischen Ursprungs sein und muss in einer Vielzahl von Varianten mündlich kursiert haben, bevor der Stoff um 1180 im Ipomedon seinen ersten schriftlichen Niederschlag fand. Dieses relativ frühe Datum zeigt, dass die Artusromane des Chrétienschen Typs nicht voraufgehen, sondern zeitgleich und in Konkurrenz erzählt worden sind. Die starke Dominanz der Werke Chrétiens de Troyes in Frankreich und in Deutschland mag verdecken, dass es sich bei den Gawaniden-Romanen bzw. den Erzählungen vom schönen Unbekannten um ein eigenständiges Erzählschema handelt. Dieses Schema, auf dem u.a. die Romane Le Bel Inconnu des Renaut de Bâgé7 (um 1200), der Lanzelet des Ulrich von Zatzikhoven (um 1200),8 der Seyfrid von Ardemont des Albrecht von Scharfenberg (um 1260; nur bekannt in der Bearbeitung von Ulrich Füetrer, um 1480),9 der englische Lybeaus Desconus (1325–50), der französische Chevalier du Papegau (14./15.Jh.) und Thomas Malorys Sir Gareth, das 7. Buch des Morte Darthur (um 1470)10 basieren, wird geradlinig am Helden entfaltet, nicht am Helden entwickelt und nicht mit Hilfe einer Krise ausdifferenziert. Das Problem, das sich für Wirnt stellte, war das durch Hartmann wie Wolfram bereits in einsame Höhen geschnellte erzählerische Niveau, das Erzählen mit Hilfe von korrespondierenden Strukturen und Verweisen in der Tektonik des Romans. All dies gab das Verlaufsschema der Gawaniden-Abenteuer nicht her. Im Vorgriff auf noch Darzulegendes sei der Gedanke nahegelegt, ob Wirnt nicht gerade deshalb diesen Rückgriff auf vorchretiensches Erzählen unternommen hat, um eine durch ihren inhärenten moralphilosophischen Sinn belastete Bauform zu meiden. Abgesehen vom späteren Papageienroman, der die Handlung auf Artus als Protagonisten projiziert, stellen die betreffenden Romane Verwandte Gawans ins Zentrum.11 Sir

6 Zum Erzählkern und seiner Bearbeitung durch Wirnt siehe auch Ulrich Seelbach 2012. Vgl. die Baupläne von Bel Inconnu und Wigalois, S. 298f. 7 Zur Namensansetzung und Familienzugehörigkeit des französischen Autors vgl. Guerreau 1982, S. 29–33. 8 Zur Zugehörigkeit des Lanzelet vgl. zuletzt Achnitz 2012, S. 207. 9 Vgl. Ulrich Füetrer: Das Buch der Abenteuer. 1997, Tl. 2, S. 67–168: Seyfrid von Ardemont. 10 Vgl. die tabellarische Übersicht S. 297. Die westeuropäischen Gawaniden-Romane sind Gegenstand einer noch immer in Arbeit befindlichen Monographie (U.S.), die vor allem auf die Produktivität dieses im Vergleich zum Chretienschen Modell einfacheren Erzähl-Typs von Artusromanen abhebt. Einstweilen mag die Arbeit von Cornelia Schmidz 1963 als erster Anhaltspunkt dienen. 11 Im Niuwen Parzefal spielt auch der schöne Unerkannte (Biaus Desconneus), Gingelens, als Sohn Gaweins und seiner Freundin Aclervis, der Schwester Brandelins, eine Gastrolle. Vater und Sohn begegnen sich erst spät (V. 572,36ff.), mit Parzival trifft der schöne Unerkannte jedoch schon früher zusammen (V. 364,35ff.). Über seine Geschichte wird nichts berichtet, er ist mit einer friundin auf Ritterfahrt (V. 371,41f.: der schöne Unerkante fuor einen weg in mit sinre schönen fründin). Vgl. Parzival von Claus Wisse und Philipp Colin. Hrsg. von Karl Schorbach. Straßburg 1888.

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Nachwort

Gareth ist der jüngste Bruder Gaweins,12 Seifried der Sohn von Gundrie, der Schwester Gawans,13 der Bel Inconnu der Sohn Gawans aus der Verbindung mit einer feenhaften Geliebten. Gerade die von Wirnt angedrohte Fortsetzung des Romans mit einer Unzahl wilder maere über den noch perfekteren Helden Lifort Gawanides, den starken Gawan-Enkel,14 deutet auf das Bedürfnis genealogischer Kontinuität, das Denken in den Bahnen Erbfolge und Sicherung des Familienbestandes. Doch erst das Spätmittelalter erfüllt diese Wünsche dann in vollkommenerem Maße, durch die Erfindung der ritterlichen ‚Seifenoper‘: die mehrteiligen spanischen Tristanromane, die das Leben und die Taten von drei Generationen umfassen, oder gar die bis auf die Urenkel forterzählten Familiensagas in den Dutzenden von Amadis-Romanen. Am Beginn aller familiären Geschichtlichkeit steht der landlose und bindungslose Gawan, daher müssen seine Nachkommen zunächst einmal frouwe und lant erwerben, bevor eine Kontinuation überhaupt denkbar scheint. Auch wenn der Held Wigalois bei seiner Ankunft am Artushof einen Namen mitbringt, hat er sich doch noch keinen Namen gemacht. Er nennt sich Gwi von Galois,15 bezeichnet sich also mit einem einfachen Herkunftsnamen (in Galois/Gales geboren und aufgewachsen), so wie der Held im französischen Perceval.16 Als das eigentliche Ziel für den Helden wird

12 Seyfried, der Schwestersohn Gaweins, besiegt vor Ankunft am Artushof einen Drachen, einen Riesen und entzaubert vier edle Damen, die der Zauberer Klinsor gefangen hielt. Am Artushof wird er zum Ritter geschlagen und nimmt am Lanzenstechen teil. Da erreicht eine jungfräuliche Botin die Tafelrunde und bittet um Beistand für ihre Herrin Kondiflor, die von einem Heiden belagert wird, der sie zur Ehe zwingen will. Auf dem Weg fordern ein Riese und sein Weib Rubal Wegzoll, sie werden erschlagen. Ein Herbergskampf mit den Riesensöhnen und ein Drachenkampf mit Befreiung einer Jungfrau müssen auf dem Weg zum ersten Hauptgegner bestanden werden. Der Heide Agraton wird in einem harten Kampf überwunden und an den Artushof gesandt, die Jungfrau ist befreit. Doch Seifried verweigert Hand und Land, da er noch nicht genügend Ruhm erworben habe. etc. 13 Sir Gareth lebt unerkannt als Küchenjunge Beaumains am Artushof, als eine Botin erscheint, die um Beistand für ihre belagerte Herrin bittet. Gegen ihren heftigen Widerstand wird ihr der vermeintliche Küchenjunge als Kämpfer zugeteilt. Auf dem Weg zur Befreiung einer bedrängten Landesherrin besteht Gareth das Abenteuer an der Furt und Kämpfe mit dem schwarzen, grünen und roten Ritter und entledigt schließlich Lionesse von der Belagerung durch den Red Knight of the Red Launds (einem zweiten roten Ritter von unvergleichlicher Stärke) etc. 14 Wirnt selbst sind die Aventiuren des Gawein-Enkels ze wilde (V. 11629), von sô wunderlîcher geschiht (V. 11631), dass er sie zu dichten sich selbst nicht zutraut. Der ‚weit bekannte‘ Name des Lifort Gawanides ist in fast allen Handschriften (bis auf A und B) missverstanden: Lifurt kautanides C; Lynhort gabenydes M, Lifert kawandes S, Lyffon von nytamdes K, Lywort gaweindes l. 15 Über die Abstammung des Vaters, Gawein, wird im Wigalois nichts gesagt, die Mutter ist Florie von Syrie: ob ich mich reht versinne, sô was diu küniginne mîn muoter, von Syrîe diu süeze Flôrîe (V. 5814ff.), die Nichte König Jorams, der über das verschlossene Land (= Gâlois) herrscht (V. 1574ff.: Gwî von Gâlois bin ich genant. beslozzen ist daz selbe lant von danne ich bin geborn.) 16 Also nicht wie im Parzival Wolframs und im Durmart, wo Gales die mütterliche bzw. die väterliche Herrschaft bezeichnet. – Der Perceval Chrétiens wächst im bäurischen Wales auf, über seine Herkunft wird nur berichtet, dass sie untadelig sei (V. 413ff.), er entstamme einer geachteten Ritterfamilie, sein Vater habe

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mehrmals die Erringung einer Landesherrschaft genannt,17 üblicherweise ist dies in den Artusromanen mit Tapferkeit in einer Reihe von Aventiuren zu erreichen, an deren Ende die Hand einer reichen Erbin als Belohnung winkt (vgl. z.B. V. 7904–12).18 Mit der Vermählung erwirbt Wigalois zwei Königreiche: Korntin, zuvor von dem benachbarten Grafen Roaz von Glois erobert, von Wigalois aber durch aventiure befreit, mit den Städten Joraphas und Roimunt und der Grafschaft Glois. Außerdem erhält er das Königreich Jeraphin am Lebermeer, das von einem lehnsabhängigen König namens Rial verwaltet wird. Mit diesen Ländern im Hintergrund kann die Herrschaft durch reguläre, realistisch gestaltete Feldzüge abgerundet werden. Nach der Eroberung von Namur19 in der Nachbarschaft Syriens, der Heimat seiner Mutter, und Libias gehören ihm auch das verwaiste Herzogtum und die gleichnamige Stadt. Die unterschiedlichen Erwerbsmöglichkeiten werden von Wirnt eindrucksvoll in Szene gesetzt: Im ersten Teil des Wigalois dominiert die Tat des Einzelnen, der allein auf seine Fähigkeiten und Gott vertraut, im zweiten Teil erobert ein gewaltiges Heer mit dem früheren Einzelkämpfer an der Spitze und Verbündeten aus anderen Königreichen ein Herzogtum. Im Wigalois gibt es keine geschlossene Geographie und kein einheitliches Zeitkontinuum: Von den in erzählerischen Texten des Mittelalters bekannten Welten kommen gleich mehrere ins Spiel, die zum Teil wenigstens an eigene zeitliche Kontinuen gebunden sind. Diese Welten sind das bekannte Artusreich, das Verschlossene Land König Jorams, das verzauberte Korntin und eine auf den ersten Blick realitätsnahe heidnisch-christliche orientalische Welt. Das Artusreich ist durch die Namenssignale Britanje, Karidol und Nantasan in seiner nebulösen Geographie als das aus den Romanen Hartmanns und anderen Werken ver-

unter Uterpandragon gedient. Erst in V. 3575 wird erstmals sein Name genannt: Perchevax li Galois a non, Perceval der Waliser. – Wolframs Parzival wird von seiner Mutter über seine Herkunft nur teilweise aufgeklärt: Lähelin habe seinen Fürsten zwei Länder, die eigentlich ihm dienen sollten, abgerungen: Wâleis und Norgâls (V. 128,7). Herzeloyde nennt demnach nur ihre ererbten Länder und lässt Parzival im Unklaren über den Vater. Seine rechte Abkunft erfährt er von der trauernden Sigune, der Nichte seiner Mutter: dîn vater was ein Anschevîn: ein Wâleis von der muoter dîn bistu geborn von Kanvoleiz. die rehten wârheit ich des weiz. du bist och künec ze Norgâls: in der houbetstat ze Kingrivâls sol dîn houbet krône tragen (V. 140,25ff.). Die Mutter Parzivals war, wie Wolfram berichtet, küneginne über driu lant, Wâleys und Anschouwe, dar über was sie frouwe, sie truog ouch krône ze Norgâls in der houbetstat ze Kingrivâls (V. 103,6ff.). Norgals bedeutet hier Nord-Wales, Waleis ist Wales (afrz. Gales), Anschouwe Anjou. – Im detailrealistischen französischen Artusroman Romans de Durmart li Galois ist der Held der Sohn des edlen Königs Jozefens von Wales (Gales) und der Tochter des Dänenkönigs Andelise. Aus einem jungen Taugenichts, der sich mit einer Geliebten vergnügt und in den Tag hinein lebt, wird ein ausgezeichneter Ritter, der Hand und Herrschaft der irischen Königstochter erwirbt. Dass der Romanheld auch seinem Namensvetter Percevaus li Galois (V. 3741) begegnet, wird nicht zum Problem. 17 Vgl. Kaiser 1975 und Mertens 1981. 18 Vgl. außerdem die V. 4701ff., 7213ff., 8008ff., 8586ff. 19 Anamur, eine der größten Festungen der Osmanen (mit armenischem Vorläufer) an der südanatolischen Küste, nicht Namur in Belgien.

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traute, im Westen angesiedelte Königreich zu identifizieren, das – im Gegensatz zur gegenwärtigen Landkarte – keinen insularen Charakter erkennen lässt. Man zieht gewissermaßen trockenen Fußes von Karidol nach Nantes. Das aus derselben Erzählwelt eigentlich vertraute Gales, die Heimat Parzivals, Durmarts und anderer Artus-Ritter (im Roman Galois genannt, i.e. das vom Offa-Wall abgeschottete Wales), hingegen wird zu einem verschlossenen Land, das ohne Eintrittskarte, den Zaubergürtel Jorams, von Fremden nicht gefunden und nicht betreten werden kann. Es entzieht sich der Suche wie die Gralsburg Munsalvaesche im Parzival. Obwohl es sich in unmittelbarer Nähe zum Artusreich befinden muss, gehört das verschlossene Land seinem Charakter nach zu den Schauplätzen der Feenerzählungen. Doch scheint es allein das Hortus-conclusus-Motiv zu sein, das es als solches qualifiziert – quasi als ‚Schwundstufe‘ (Eming) eines Feenreiches. Ansonsten erscheint dieses Reich nicht als dämonisiert oder in irgendeiner Hinsicht defizitär. Intaktes Sozialwesen und Orientierung an den Normen der höfischen Kultur zeigen keinerlei Anzeichen von Gesellschaftsfeindlichkeit. Der Held bekommt dort eine vorzügliche Erziehung. Die Kompensation durch einen ‚zweiten Bildungsweg‘ in der Artuswelt (Parzival, Lanzelet) wird dadurch überflüssig. Die enfance20 übernimmt somit Aufgaben, die sonst dem Handlungsverlauf als Ganzem zukamen. Die Formung des epischen Helden wird dorthin ausgelagert. Durch die erwartungsgemäße, vollständige Aufnahme der Bel-Inconnu-Introduktion mit ihrem Grundmuster der obligatorischen Bewährungsphase am Artushof kommt es dann zu gewissen Redundanzen.21 Inkonsequenzen entstehen auch bei der Verschränkung von Vorgeschichte und Haupthandlung über das Motiv der Vatersuche. Wohl in der Absicht, des Helden tugendadlige Legitimation zusätzlich durch ein entsprechendes väterliches Erbe zu stützen, werden beide literarischen Erfahrungstypen bemüht, der genealogische (Bekanntheit des berühmten Vaters, Gnorisma-Motiv) und der Aufsteigertypus (Bel Inconnu). Beide Typen müssen anschlusslogisch notwendig kollidieren. Das verzauberte Korntin wird im Innern des Landes als durchaus normal funktionierendes Staatsgebilde mit abhängigen Vasallen, einer funktionierenden Wirtschaft und ritterlichen Kultur geschildert, weist jedoch nach außen hin jeden Eindringling ab: Es ist nur über einen geheimen Zugang zu erreichen, zu dem man von dem Wiedergänger-König Jorel gewiesen wird. Die Festung seines Herrschers ist durch mechanisches Teufelswerk und teuflische Wächter gesichert. Wigalois säubert in der mehrteiligen Hauptaventiure

20 Wir verwenden den Singular enfance im Sinne von Kindheit, Heranwachsen des Helden, im Unterschied zur altfranzösischen Gattung der Enfances (Enfances Guillaume, Enfances Vivien etc. ), die selbständig von Kindheit und Jugend des Helden bis zur Übernahme der eigenen Herrschaft und Krönung berichtet. Enfances umfasst daher nicht nur das Waldleben Parzivals und die Erziehung des jungen Wigalois im Verschlossenen Land, sondern weit mehr. Die Enfances in letzterem Sinne würden dann bis zur Krönung Wigalois’ in Korntin und Hochzeit mit Larie reichen. Vgl. hierzu Wolfzettel 1973/74 (die Enfances als „neue[r], entwicklungsbetonte[r] Erzähltypus“, S. 318). 21 Zu Versuchen, beide Phasen zu einem gradualistischen Modell zu ordnen, vgl. Eming 1999, S. 158–162 und zuletzt Fuchs-Jolie 2010, S. 233.

Gawaniden-Romane

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Korntin von jeglichem übernatürlichen Personal und Beiwerk: Mit der Tötung des Drachens, der Teufelsgehilfen des Grafen von Glois und des Usurpators Roaz selbst sind auch die spukenden Ritter und der König Jorel erlöst. Mit dem Zauber- und Teufelswerk fällt auch die Abgeschlossenheit von Glois und Korntin in sich zusammen, die Länder werden wieder angebunden an die westliche Geographie der Artuswelt und die östliche Geographie des heidnisch-christlichen Nahen Ostens. Das wieder entzauberte Land Korntin, die Herrschaft des neuen Landesherrn Wigalois, kann so eine Mittlerrolle einnehmen zwischen dem Artusreich, dem Ausgangspunkt und Bezugsfeld der Bewährungsabenteuer, und den heidnisch-christlichen Königreichen des Orients. Doch nicht nur politische Aspekte machen Korntin interessant. Anders als der Bel Inconnu mit seiner Schlangenkuss-Episode und seiner prinzipiellen Dichotomie von Liebes-(Feen-) und Vernunftbindung spitzt sich die Wigalois-Handlung in ihrer Erlöser-Aventiure nicht zum Thema der Gefährdung des Helden durch den Eros zu. Anstelle dieser latenten Abgründigkeit stehen im Wigalois ein auf ritterliche Weise besiegbares Ungeheuer und eine im Sinne des fin amor beherrschbare, monistische Minnebeziehung. Der abgrundmächtige Zauberer Mabon wird in Roaz zu einer fremd(teufels-)bestimmten Marionette, die – durch Gegenzauber ihrer übernatürlichen Kräfte entkleidet – allzu leicht auf konventionellem Wege zu besiegen ist. Zwar werden Drache und Roaz durch die Zeitspanne ihrer verheerenden Herrschaft (10 Jahre) als ursprünglich zusammengehörige Motive erkennbar (vgl. unsere Erläuterungen zu Vers 4691f.), wie auch im Bel Inconnu der Zauberer und das von ihm verzauberte Wesen zusammengehören. An dieser Stelle aber von einer bewussten Entscheidung des Wigalois-Autors gegen das kohärenzstiftende Thema (Erosgefährdung) einer möglichen Vorlage zu sprechen, bleibt angesichts der unklaren Abhängigkeitsverhältnisse zum Bel Inconnu bzw. zu möglichen gemeinsamen Quellen zu unsicher. Der Schauplatz der Nachgeschichte, des Feldzuges gegen die Stadt Namur und seinen Herzog Lion, ist der des Willehalm Wolframs oder allgemeiner bestimmt: Er gehört zur Erzählwelt der Chanson de geste. Identifizierbar ist diese Welt durch die Namen der Königreiche und ihrer Herrscher, die in ihrer Mischung aus realen Königreichen des 13. Jahrhunderts und erfundenen Herrschernamen auf die Vorzeit verpflichten. Die Geographie dieses Nahen Ostens entspricht zwar nicht der realen Erfahrung von Pilgern und Kreuzfahrern, aber sie ist wenigstens durch die Länder- und Völkernamen einigermaßen vertraut: Da wird ein König Amire von Libia erstochen, dessen Gemahlin Liamere eine Enkelin eines anderen Königs von Libia ist. Lion, der Bösewicht dieser Region, ist Herzog von Namur mit der gleichnamigen Hauptstadt, die ohne Mühen mit der südanatolischen Festung, die dem Kreuzfahrer-Königreich Zypern gegenüberliegt, identifiziert werden konnte. Zur Belagerung von Namur zieht ein Heer, ergänzt mit Truppen der Königinnen von Tyrus und von Persia. Gegen diese – meist von Frauen beherrschten Königreiche, selbst eine Amazone, Marine von Alarie, fehlt hier nicht – erhält Herzog Lion Beistand von den Serben, Griechen, Türken und Kumanen, die allesamt dem heidnischen Glauben anhängen. Die nahöstliche Geographie, der heidnisch-christliche Gegensatz, der durch gemeinsame ritterliche Werte überformt ist, und die unbestimmte Vorzeit prägen das Han-

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deln im Schlussteil des Wigalois. Hier ist die Tötung eines Gegners mit einer jostiure (9822) ein Verbrechen, zumal wenn der Mörder anschließend auch noch dessen Witwe besitzen möchte und sich ihr Land aneignen will.22 Die Konstellation des Brunnenabenteuers im Iwein, der Kampf mit dem Herrn des Brunnens, seine Tötung, die Eheschließung mit der Witwe, die Verteidigung des soeben gewonnenen Landes als neuer Herr ist in dieser Erzählwelt kriminalisiert: Lion ist kein tapferer Löwenritter, dem die Chance der Bewährung eingeräumt wird, sondern ein Gewalttäter und meineidiger Mörder (V. 9826; 9944). Der Kampf gegen ihn nimmt den Charakter der Wahrung von Recht und Frieden an und gibt Anlass, Wigalois nun auch im Besitz von Fürsten- und Herrschertugenden zu zeigen: Umsichtig sind Schlachtaufstellung und Strategie, vorausschauend die Maßnahmen zur Herrschaftssicherung (Gnade, Lehensvergabe, Statthaltereinsatz, Geiseln, Markensicherung, Einsetzen der Gerichtsbarkeit; V. 11142ff.). Auch die Interaktion der im Kampf gegen das Böse Verbündeten erhält eine neue Qualität. An die Stelle des Artushofes als einsame Instanz des Guten tritt eine Föderation verbundener Reiche, die die Welt umspannt.

II. Sitz im Leben Der Dichter Wirnt von Grafenberg (= Gräfenberg in Oberfranken) begegnet in keiner mittelalterlichen Urkunde unter den Zeugen, keine Chronik erwähnt ihn, und auch seinen dichtenden Zeitgenossen ist er nur als Verfasser des Wigalois bekannt. So rühmt ihn – nach 1230 – Rudolf von Ems im Alexander (V. 3192ff.): her Wirent von Grâvenberc ist an einem maere worden lobebaere, an dem hât sîn meisterschaft erzeiget hôher sinne kraft. des lâzen wîse liute jehn die reht getihte künnen spehn!

Im Willehalm von Orlens des Rudolf von Ems, der um 1240 enstand, ist ebenfalls nur dies eine Werk, der Wigalois, erwähnt (V. 2201). Dass er von weiteren dichtenden Zunftgenossen gekannt und geschätzt wurde, etwa von Heinrich von dem Türlin oder dem Tanhäuser, ist hinreichend bezeugt.23 Lediglich Konrad von Würzburg scheint Genaueres über das Leben des Gräfenbergers gewusst zu haben: In Der Welt Lohn (um 1275 in Basel entstanden) ist Wirnt der Held der Erzählung. Konrad schildert ihn als noch jungen, höfisch-

22 Schiewer 1993, S. 154: „Mit dem Wechsel in die reale Geographie wird der Kampf um eine Frau – anders als im arthurischen Bereich – zur meintât (Wigalois, V. 9944), die als Friedensverletzung geahndet werden muß.“ 23 Selbst- und Fremdnennungen sind zusammengetragen bei Ziegeler 1999, Sp. 1252f.

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weltgewandten Ritter, ein ritter edel unde frî (V. 242), der nichts unversucht lässt, seine Turnier-Künste zu üben und den Frauen zu dienen. Als Dichter wird er nicht bezeichnet, aber er liest zum Zeitvertreib Bücher, vor der Begegnung mit Frau Welt vergnügt er sich mit einem Minneroman. Die Konfrontation mit der allegorischen Figur und ihrer abgrundtief hässlichen Kehrseite lässt Wirnt den Entschluss fassen, das Kreuz zu nehmen. Die überaus fruchtbaren Spekulationen über den Realitätsgehalt dieser Kreuznahme sollen einem anderen Orte vorbehalten bleiben.24 Neben den Verlautbarungen seiner Dichterkollegen waren natürlich von je her die werkinternen Indizien wichtig für die Versuche, Wirnt und sein Schaffen in einem geschichtlichen Kontext zu verorten. Die in dieser Hinsicht wohl meistzitierte Stelle ist die Totenklage auf die Heidenfürstin Japhite. Nachdem Wigalois sein Hauptabenteuer mit Mühen, aber glücklich überstanden hat, stirbt die Gattin des überwundenen Heiden Roaz von Glois an gebrochenem Herzen. Der Erzähler würdigt die Aufrichtigkeit der Liebe der Heidin Japhite, die im Unterschied zu Roaz nicht von einer Teufelsschar entführt wird, sondern sich – trotz fehlender Taufe – auf die Gnade des Christengottes verlassen darf. Vierzig Frauen, ihre Gesellschafterinnen auf der einsamen Burg Glois, trauern um sie. An dieser Stelle vergleicht der Erzähler ihren Jammer in einem 35 Verse umfassenden Exkurs (V. 8058–92) mit dem edler Frauen am Grabe eines vil edeln vürsten … von Merân: vür wâr ich iu ein maere sage: ich wil gelîchen dirre nôt eines vil edeln vürsten tôt von Merân, dâ ich jâmer sach und von klage den ungemach von der werlte wunne, ez möhte diu liehte sunne ir schîn dâ von verlorn hân. daz tâten vrouwen wol getân, geboren von der hoehsten art diu ie in der werlte wart. [etc.] (V. 8061ff.)

Die Frage nach dem Dienstherrn, dem Mäzen und dem Publikum des Dichters wurde stets überschattet von der Auslegung dieser Totenklage. Wirnt gibt an, dass er den großen Jammer über den Tod des edlen Fürsten selbst miterlebt habe. Adlige Frauen von allerhöchster Geburt25 hätten ihrem Kummer mit Wehklagen Ausdruck verschafft. Aus diesen Angaben des Dichters schloss man auf ein Dienstverhältnis Wirnts zu dem Hause Andechs-Meranien und dass er im Auftrag eines hinter-

24 Vgl. Ulrich Seelbach 2011, S. 11. 25 Zu Versuchen einer Identifikation vgl. Saran 1896, S. 274, Schreiber 1933, S. 218f. und Neumann 1964, S. 55.

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bliebenen Angehörigen desselben Hauses den Wigalois gedichtet habe. Als Dienstherren Wirnts wurden in der Forschung Graf Berthold II. von Henneberg (Saran), Berthold IV. und Otto VII. von Andechs-Meranien (Neumann), Konrad von Zollern, der Burggraf von Nürnberg (Mertens) und schließlich das staufische Königshaus selbst (Wüstemann) benannt. Ohne Zweifel bedeutet die Totenklage eine Ehrbezeugung des Dichters gegenüber den noch lebenden Angehörigen, seien es die Söhne oder Töchter des verstorbenen Fürsten. Da aber die Besitzungen der Andechs-Meranier genauestens verzeichnet sind, auch und gerade die in Franken, müssen wir eine Lehensabhängkeit oder gar Ministerialität der Gräfenberger im Dienste der Grafen von Andechs verneinen.26 Wenig überzeugend ist Sarans Vorschlag, der den Grafen Berthold II. von Henneberg als Dienstherrn benannte, weil die Henneberger die Würzburger Burggrafschaft innehatten27 – Gräfenberg liegt im Einflussbereich des Bamberger (!) Bistums. Auch Mertens’ Versuch, den Dichter als Ministerialen der Burggrafen von Nürnberg dingfest zu machen und darauf aufbauend dieselben als Mäzene in Betracht zu ziehen,28 lässt sich durch die Besitzgeschichte Gräfenbergs bis zum frühen 13. Jahrhundert nicht stützen, gleichwie die Auswertung der Weißenoher Urkunden29 nicht in Richtung einer solchen Lehensabhängigkeit weisen, wohl aber eine Reichunmittelbarkeit des Geschlechts sehr wahrscheinlich machen.30 Die Gräfenberger lebten in unmittelbarer Nachbarschaft von zahlreichen Reichsministerialen, die Vogtei und d.h. auch die Gerichtsbarkeit von Weißenohe unterstand, soweit die Urkunden dies erkennen lassen, unmittelbar dem Reich und das bedeutet: den Staufern, von denen namentlich König Konrad III., Philipp und Friedrich II. die Vogtei in unmittelbarer Nachbarschaft von Gräfenberg nachweislich innehatten.31

26 Edmund Oefele: Geschichte der Grafen von Andechs. Innsbruck 1877, Teil III: Besitzungen, X: Grafschaft und Begüterung in Franken; Die Andechs-Meranier in Franken. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter. (Ausstellung in Bamberg vom 19.6. bis 30.9. 1998. Katalog.) Mainz 1998. 27 Saran 1896, S. 278ff. (§ 9. Wirnt und die Grafen von Henneberg). 28 Mertens 1981. 29 Der Familienname der Gräfenberger (Creuenberc) wird nur in einer einzigen Urkunde, der des fränkischen Klosters Weißenohe, erwähnt, ausgestellt von Abt Ekkehard von Weißenohe für Hermann von Schellenberg im Jahre 1172. Original im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Urk. Weißenohe Nr. 7. In einer päpstlichen Bulle für Weißenohe vom 15. Mai 1195 ist eine Sölde klösterlichen Besitzes in Greuenberc bezeugt. Original im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Urk. Weißenohe Nr. 8. 30 Zur Erwähnung eines Wirnto de Grevenberc unter reichsritterlichen Zeugen in der Weißenoher Urkunde von 1172 vgl. Ulrich Seelbach 2011, S. 8f. 31 Wüstemann 2006, S. 80–157, entwickelt ihre These zu einem möglichen staufischen Mäzenat Wirnts alternativ – mit Blick auf die Geschichte der süddeutschen Welfen im 12. Jh., insbesondere die Übertragung der südalpinen Lehen an Friedrich I. im Jahr 1168. Spätestens seit dem Tod Welf VI. seien im Grunde die Staufer „im Sinne Wirnts von Gravenberc zu ‚Fürsten von Meran‘ geworden“ (S. 88) Diese Argumentation – wenn sie sich durch die Verwechslung von Meran (Tirol) und Meranien (Istrien) nicht von vornherein selbst ausschlösse – erfordert 1. mit Bezug auf die zitierte Totenklage im Wigalois eine komplizierte Überblendung welfischer und staufischer Aktanten, 2. eine – indizienfreie – Versetzung Wirnts in die Region Tirol und 3. die Annahme, dass der Tod Welfs VI. (1191) einem andechsisch/staufischen Publikum um 1210 lebhafter vor Augen stand als derjenige Berthold IV. von Andechs-Meranien (1204).

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Der eigentlichen Aventiure, der Befreiung des Landes Korntin von dem Usurpator und Teufelsbünder Roaz, ist wie in den vergleichbaren Romanen vom schönen Unbekannten eine Reihe von Bewährungsabenteuern vorgeschaltet. Sie dienen dazu, den noch jugendlichen, unerprobten Ritter in den Augen der Botin Nereja und des Roman-Publikums als den geeignetsten Kämpfer zu qualifizieren. Im Wigalois sind es fünf Aventiuren, der Herbergskampf, der Kampf mit den Riesen, der Brackenkampf, der Schönheitspreis oder Kampf mit dem roten Ritter und der Konkurrentenkampf.32 Der strukturell unterschiedlichen Funktion der Bewährungsabenteuer entspricht aber nicht das erzählerische Gewicht, das der Autor den einzelnen Episoden zumisst.33 Der Herbergs- und der Brackenkampf erhalten je 150 Verse, das Riesenabenteuer 170 Verse, der Konkurrentenkampf 320 Verse. Die Aufwertung des Abschlusskampfes durch eine Umfangsverdopplung ist durch die Funktion der Episode gerechtfertigt. Völlig aus dem Rahmen fällt Wirnt jedoch mit den 932 Versen, die er auf den Kampf mit dem roten Ritter um den Schönheitspreis verwendet. Der rote Ritter Wirnts hat eine (eindeutige) Entscheidung einer vornehmen Gesellschaft außer Kraft gesetzt, indem er den Schönheitspreis für seine amîe beansprucht:34 ir habt darumbe grôzen haz von den liuten über al. sô ist iu daz der meiste val daz ir gewalt an ir begêt, daz iu doch niht ze tuone stêt, wan si daz pfärt mit rehte hêt (V. 2800ff.) Seine Gewaltbereitschaft stellt sich dem übereinstimmenden Votum einer Versammlung von höchst angesehenen Rittern und Damen entgegen, die dem Grafen nicht nur ebenbürtig, sondern von der Geburt her zum Teil überlegen sind (Elamie, Königin von Tyrus und die Königin von Persia). Gesellschaftliche Verachtung ist jedoch die einzige Sanktion, die die Gesellschaft verhängen kann, da ihr ein geeigneter Kämpfer fehlt, der den roten Ritter zur Vernunft bringen könnte. Dies wird die Aufgabe des jungen Wigalois sein. Der gesellschaftliche fauxpas wird vollkommen gesühnt, der Graf von Mansfeld wieder gesellschaftlich integriert. Nach den bisherigen Deutungen der Episode vom roten Ritter dürfte der Graf von Mansfeld keinem der vier geographischen Bereiche – Artuswelt, Verschlossenes Land, Korntin und Orient – angehören. Für die Artuswelt ist der Gegner ein Fremdkörper: Er stammt aus Sachsen und trägt einen deutschen Namen. Wenn er sich als Ritter auch in Spanien einen Namen gemacht hat und den vom König von Irland ausgesetzten Schön-

32 Vgl. dazu die Baupläne S. 298f. 33 Wir unterteilen die fünf Bewährungs-Aventiuren mit Rücksicht auf die abschließenden Dreireime und die Setzung von Initialen wie folgt (in Klammern die Unterteilung von Cormeau 1977 und Honemann 1994): Kampf um die Herberge: V. 1884–2034 (Cormeau, Honemann: V. 1884–2013), Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen: V. 2035–2203 (Cormeau, Honemann: V. 2014–2183), Das schöne Hündchen: V. 2204–2348 (Cormeau, Honemann: V. 2184–2348), Schönheitspreis/Roter Ritter: V. 2349–3285 (Cormeau: V. 2349–3254; Honemann: V. 2349–3285), Vorrechtskampf: V. 3286–3606 (Cormeau: V. 3255–3884; Honemann: V. 3286–3606). Vgl. Honemann, S. 351. Zur abweichenden Einteilung Fasbenders 2010 vgl. Sabine Seelbach 2011, S. 77f. 34 Objektiv gesehen ist Erecs Anspruch auf den Schönheitspreis für Enite gegenüber Iders nur wenig besser begründet (Hartmann: Erec, V. 680ff.). Immerhin hatte dieser ihn bereits zweimal zugesprochen bekommen.

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heitspreis einer Königin von Tyrus entwendet, so scheint Wirnt hier eine fünfte Welt zu inaugurieren: eine in die tatsächliche Geographie des Publikums integrierbare ritterlichideale, dennoch realitätsnahe höfische Welt. Wirnt hat die Episode mit dem roten Ritter mehrfach überdeterminiert. Er überblendet das Geschehen von zwei bekannten Motiven, dem Kampf um einen Schönheitspreis und den Kampf mit einem übermächtigen Gegner in bekannter Signalfärbung. Für das Geschehen selbst ersetzt er die realitätsferne Geographie von Artuswelt und Abenteuerwelt kurzfristig durch eine gegenwartskonforme Landschaft, in der auch ein zeitgenössischer Zuhörer des Dichters sich nicht verloren hätte. Den personalen Träger der Episode zeichnet er mehrfach aus: Durch die Würdigung mit einem vorab bekanntgegebenen Namen (die übrigen Aventiure-Gegner und Mitspieler werden, wenn überhaupt, erst post festum beim Namen genannt), durch die Würdigung seines formvollendeten höfischen Umgangs bei der Herausforderung durch Wigalois und mit seinem erneuten Auftritt gegen Ende des Romans, was außer ihm nur noch der Gewinnerin des Schönheitspreises, der Königin von Tyrus, vergönnt ist. Es stellt sich die Frage, wozu dieser ganze Aufwand getrieben wird: Ohne Not hätte der rote Ritter namenlos bleiben können, strukturell spielt die Episode vom Schönheitspreis eine untergeordnete Rolle, eine Kürzung der Aventiure auf die üblichen 150 bis 300 Verse des Bewährungsteiles hätte weder der Substanz noch der Stringenz des erzählten Geschehens Schaden zugefügt. Die Antwort auf diese Frage wurde bereits vielfach außerhalb des Romans, und zwar in der Inszenierung des Wigalois vor dem ihm bestimmten Publikum gesucht. Über die geschichtliche Person, die hier Gelegenheit zum Auftritt im Artusroman Wirnts erhält, ist sich die Forschung seit Benecke35 vollkommen einig: Es handelte sich demnach um den Feldherrn König Heinrichs V., den sächsischen Grafen Hojer II. von Mansfeld, der am 11. Februar 1115 in der Schlacht am Welfesholze erschlagen wurde.36 Möglicherweise ist jedoch die Identifizierung des roten Ritters mit einer realen Person abwegig: Er trägt lediglich den Namen eines angesehenen, noch nicht erloschenen Grafengeschlechts aus Sachsen und er führt den Leitnamen der Familie, Hojer.37 Mit seinem Auftritt fingiert38 Wirnt einen sagenhaften Vorfahren dieses Geschlechts, der in der nebu-

35 Benecke 1819, Anm. zu V. 2861. 36 Vgl. Elisabeth Lienert: Zur Pragmatik höfischen Erzählens. Erzähler und Erzählerkommentar in Wirnts von Grafenberg ‚Wigalois‘. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 149 (1997), S. 263–275, hier S. 263: „kämpft gegen fiktive und historische Ritter“ (in der Anmerkung zu ‚historische‘: „Hoyer von Mansfeld“ mit Verweis auf Klare 1994). Vgl. ferner Lienert 1991, S. 5 und Ziegeler 1999, Sp. 1255 „Weitere Anspielungen auf historische belegte Personen, auf Graf Hoyer von Mansfeld († …) … ergeben keine für die Datierung verwertbaren Angaben.“ 37 Der Leitname der Mansfelder war einem genealogisch denkenden, zeitgenössischen Publikum wohl eher präsent als die nebulösen Verwandschaftsgrade der Andechs-Meranier und Burggrafen von Nürnberg mit dem Sieger über einen längst vorgeschichtlichen Hojer von Mansfeld (vgl. Mertens 1981, S. 26). 38 Demnach wäre die Aussage von Elisabeth Lienert (wie Anm. 36) zu korrigieren, die meinte: „Ansonsten machen lediglich die intertextuellen Bezüge die Literarizität der Erzählung und damit die Fiktion als Fik-

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lösen Zeit des König Artus als fahrender Ritter durch fingierte Reiche unklarer Geographie reist. Für Cyriacus Spangenberg, den Hof-Historiographen der Mansfelder, stand es außer Frage, dass der erste Graf der Herrschaft Mansfeld mit dem im Wigalois geschilderten roten Ritter identisch war: „Der erste Graff dieser Herrschaft/ den ich funden habe/ hat G[raf] Heger der rott geheissen/ vnd vmb das Jhar Christi 550. gelebt/ an König Arturi Hoff in Engelland.“39 Dies wäre durchaus hinreichend, um entsprechende Fragen nach dem intendierten Publikum aufzuwerfen. Denn eine bestimmte historische Persönlichkeit musste von dem Auftreten eines fingierten Verwandten unmittelbar berührt werden: Graf Burchard von Mansfeld. Er ist der einzige zeitgenössische Namensträger, er verkehrte zudem in denselben gesellschaftlichen Kreisen wie die Söhne Bertholds IV. von AndechsMeranien und deren Nachkommen. Spätestens seit den 1190er Jahren findet sich Burchard regelmäßig in der Umgebung der deutschen Könige, angefangen von der Teilnahme Friedrich Barbarossas an seinen Hochzeitsfeierlichkeiten (um 1189) – Barbarossas Burg Kyffhausen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Burg Mansfeld – über seine Anwesenheit am Magdeburger Hoftag Philipps 1199 und auf der Kaiserpfalz Gelnhausen 1201 bis hin zu mehreren Urkunden Philipps, die ihn als Zeugen nennen.40 Neben Hojer II. von Mansfeld, dem Feldherrn Kaiser Heinrichs V., ist Burchard der einzige bedeutende Mansfelder Graf, der durch sein Wirken die Grafschaft wieder zur Blüte gebracht und sich in Angelegenheiten des Reiches tatkräftig engagiert hat.41 Mit hoher Wahrscheinlichkeit galt der Auftritt des roten Ritters im Wigalois ihm.42

tion bewußt …“ (S. 268). Die Fiktionalität des Artusritters ‚Hojer von Mansfeld‘ dürfte für das zeitgenössische Publikum außer Frage gestanden haben. Insofern ist das pointierte Auftreten des roten Ritters ein besonders wirksames Fiktionalitätssignal. 39 Cyriacus Spangenberg: Adels Spiegel. Historischer Ausführlicher Bericht. 2 Tle. Schmalkalden 1591–1594, Tl. 1, Bl. 289v/290r. Die Episode mit dem roten Ritter stellt er mit ausführlichen Zitaten aus der 1372 für Herzog Albrecht II. von Braunschweig-Grubenhagen verfertigten Leidener Handschrift des Wigalois dar, die damals in Spangenbergs Besitz war und „auff grosse verheissung (so sie mir dafür gethan)“ von den Mansfeldern erworben wurde (ebd., Bl. 328r/v). 40 In den Urkunden des Welfen Otto IV. begegnet der Mansfelder erst im Jahre 1208 in Mainz, Worms und Speyer, und er nimmt teil am Augsburger Hoftag, wo am 6. Januar 1209 die Mörder Philipps von Schwaben verurteilt werden. Am 11. Januar tritt er in Augsburg in einer Urkunde Ottos auf, die auch von Herzog Otto VII. von Andechs-Meranien unterzeichnet wird. Beim Hoftag im März 1212 in Frankfurt erklärt sich der Mansfelder im Gefolge Dietrichs von Meißen für Otto IV. gegen den Landgrafen Hermann von Thüringen. Die Dienste unter Otto IV. machen den Mansfelder auch für Friedrich II. interessant, der am 5. Dezember 1212 zum deutschen König gewählt und am 9. des Monats in Mainz gekrönt wurde. Unter Friedrich ist Burchard von Mansfeld nun regelmäßig – seit dem 12. Juli 1213, als die Goldene Bulle Friedrichs zu Eger entstand – als Zeuge in Urkunden des Reiches zu finden. 41 Vgl. Erich Hempel: Die Stellung der Grafen von Mansfeld zum Reich und zum Landesfürstentum (bis zur Sequestration). Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung. Halle 1917 (= Forschungen zur thüringisch-sächsischen Geschichte, Bd. 9), S. 4. 42 Vgl. dazu auch Wüstemann 2006, S. 144–150.

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In der Gönnerfrage hat man sich überwiegend auf die bereits erwähnte meranische Totenklage im Wigalois bezogen, die u.E. ohne Zweifel einen oder mehrere Angehörige des Hauses Andechs-Meranien als Adressaten zum Ziel gehabt hat. Doch zeigen die unterschiedlichen Vorschläge zur Frage, wer mit dem verstorbenen Fürsten gemeint sein könnte, und den noch zahlreicheren Alternativen bei den Hinterbliebenen eines: dass aufgrund der Totenklage alleine kein konsensfähiger Kandidat für das Amt des Gönners zur Verfügung steht. Auch die interne Chronologie von aufeinander bezogenen Werken – Parzival, Willehalm, Wigalois, Krone – vermochte hier keine Klarheit zu bringen.43 Mit der fortschreitenden Akzeptanz der Datierungen der ältesten Wigalois-Handschriften ins erste Viertel des 13. Jahrhunderts44 und den vorzüglichen Untersuchungen Nellmanns (2010)45 zur Parzival-Rezeption im Wigalois reduziert sich jedoch die Vielfalt möglicher Gönner-Thesen. Weitere textinterne Indizien wurden in der Forschung in Betracht gezogen. Der Wigalois ist eine der ersten Dichtungen, die von heraldischem Sachverstand geprägt sind. Die Schilderung von Wappen in erzählender Dichtung erlebt in der Mitte des 13. Jahrhunderts einen Aufschwung, der später zu speziellen, in den Erzählverlauf eigens eingearbeiteten Wappenschauen führen wird, doch Wirnt von Grafenberg steht, was die Exaktheit der Beschreibungen und die Vielzahl der wiedergegebenen Wappen betrifft, an der Spitze. Neben zahlreichen Phantasie-Wappen finden sich einige wenige Wappenschilderungen an prominenter Stelle, die vorlagenunabhängig von Wirnt eingebracht wurden. –

Wirnt beschreibt schon nach den ersten vierhundert Versen den Schild des Königs Joram von Galois, der Gawein entführen und mit seiner Nichte Florie verloben wird: ûf sînem schilte lac ein ar; der was von rôtem golde gar, daz ander von lazûre. (V. 404ff.)

43 Vgl. Saran 1896, S. 267, Schreiber 1933, S. 209, Neumann 1964, S. 32ff., Schröder 1986, S. 235–241, Mertens 1981, S. 26f. 44 Karin Schneider: Gotische Schriften in deutscher Sprache I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300. 2 Bde. Wiesbaden 1987, hier Bd. 1, S. 84f. und Bd. 2, Abb. 35–36 (zur Handschrift A), datiert die Hs. A auf kaum später als gegen Ende des ersten Viertels des 13. Jahrhunderts; Mertens 1981, S. 26 (u. Anm. 20) hält eine Entstehung der Hs. A „auch in den dreißiger Jahren für möglich“. – Bertelsmeier-Kierst 1992 datiert die Fragmente der Hs. E auf die Zeit von 1220–1230 (S. 282), was bei der bekannten Unsicherheit paläographischer Kriterien auch die Ansetzung 1225 plus/minus 15 Jahre erlauben würde. Dies wird aber (ohne Grund) von Bertelsmeier-Kierst ausgeschlossen: „Die Hs. über 1230 hinauszurücken läßt sich paläographisch hingegen kaum rechtfertigen.“ (Ebd., S. 282). 45 Diese Untersuchungen zeigen Wirnt klar auf der Höhe nur der ersten sechs Bücher des Parzival. Zwei wichtige Aussagen folgen daraus: Zum einen wäre dann eine Fertigstellung des Wigalois lange nach 1210 unwahrscheinlich geworden, zum anderen wäre mit größerer Sicherheit als bisher von Teilaufführungen noch nicht vollendeter Werke im Mittelalter auszugehen. Letzteres untersucht Ulrich Seelbach 2011, S. 12f.

Sitz im Leben

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In der Tinktur entspricht dieses weitverbreitete Wappenbild (u.a. führten die Babenberger und die Zähringer den Adler in Wappen und Siegel) exakt dem Wappen der Grafen von Andechs.46 –

Das Wappentier von Korntin ist ein Wesen gar geschaffen als ein lêbart (V. 3878) – völlig gleich einem schreitenden Löwen.47 Die Farben des Wappens von Korntin, das nur noch auf der Zuflucht Roimunt geführt wurde, erfährt der Hörer erst gut hundert Verse später: dâ was daz tier gemâlet an … von lazûre und von golde. – Seit Erwerb der Grafschaft Burgund (Franche Comté) führte Otto VII. von Andechs-Meranien den goldenen Leoparden auf geteiltem blauen Schild48 zusammen mit dem ererbten Adler der Grafen von Andechs.49



Zusammen mit einem weiteren Löwen werden der Adler und der schreitende Löwe (Leopard) in einem eigens von Wirnt – als ‚Worte-Schmied‘ – verfertigten Geschmeide für Larie, die Braut des Wigalois, eingesetzt (V. 10563ff.). Es gibt eine frouwe, die in das Haus Andechs gleich zwei Löwen einbrachte: den einen durch die ererbte Herrschaft (die Pfalzgrafschaft Burgund: ein Löwe), den anderen durch ihre Herkunft aus dem Hause Staufen (ein schreitender Löwe, i.e. Leopard): Beatrix, die Tochter des Staufers Otto und Pfalzgrafen von Burgund. Vor 1220 führten die Staufer einen roten Leoparden (später drei) auf Gold.50 Im vürspan Laries sind also die beiden

46 Oefele (wie Anm. 26), S. 84f. bietet auf der Titelvignette eine Abbildung des doppelten Wappenschilds der Andechser: 1. Der andechsische Adler. 2. Burgund/Andechs: auf geteiltem Schild in 1 Leopard in 2 Adler. Bereits für Berthold IV. ist ein Reitersiegel mit rechtsblickendem Adler bezeugt, das gleiche Wappenbild auf den Reitersiegeln Ottos VII. In den Wappenbüchern erscheint das Doppelwappen Burgund/Andechs in den Farben gold auf blau (H. Grote: Stammtafeln. Leipzig 1877, S. 54f.). 47 Genau so deutete es der Maler der Brüder Vintler auf Burg Runkelstein: der im 19. Jh. noch erhaltene Wigalois-Zyklus zeigt zweimal das Tier, das Wigalois den Weg ins verschlossene Korntin weist, als (weiblichen) Löwen mit einer Krone auf dem Haupt (Beischrift: jorel). Vgl. Huschenbett 1982, S. 172, Nr. 10 und Nr. 13 und Gräber 2000, S. 161 (Abb. 221 u. 222), 163 (Abb. 227 u. 228). 48 Der goldene Löwe auf blauem Schild (Grafschaft Burgund) wurde auf dem kombinierten Schild/Siegel der Andechsischen Pfalzgrafen (Otto VII. u. Otto VIII.) zum Leoparden umgestaltet. Zum Wappen der Franche-Comté vgl. J.B. Rietstap: Amorial général. Tome I. 2. ed. Gouda 1884 (Reprint: Berlin 1934), S. 271 (Bourgogne, Comtes palatins de): „D’azur, semé de bill[ettes] d’or; au lion du même, br. sur le tout.“ (blauer Schild, besät mit goldenen Schindeln, goldener Löwe); Abbildung des Wappen von Neuburgund im Siebmacher I,2, Taf. 18 (Das grosse und vollständige anfangs Siebmacherische/ hernacher Fürstische und Helmerische … Wappen-Buch in sechs Theilen. Nürnberg: Weigel 1734; Reprint). 49 Mertens, S. 26: „Auch das Wappen von Roimunt, ein Leopard auf Blau, könnte auf die Andechs-Meranier weisen (Löwe und Adler auf Blau; Löwe und Leopard werden oft gleichgesetzt).“ 50 Rietstap (wie Anm. 48), S. 972; Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur. Katalog der Ausstellung. Hrsg. von Reiner Haussherr. Bd. I. Stuttgart 1977, Kat.-Nr. 9 (Siegel Konrads von Schwaben), Nr. 73 (Herzog Heinrich von Schwaben). Hohenstaufen/Schwaben: drei rote Leoparden auf Gold (Inversion des Englischen Königswappens: drei goldene Leoparden auf Rot); bezeugt auf einem Siegel von 1220; zuvor nur ein Leopard. Nach dem Tod Konradins drei schwarze Leoparden auf Gold (Herzogtum Schwaben).

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Löwen und der Adler mit höchster Wahrscheinlichkeit eine direkte Huldigung an die Gattin Ottos von Meranien, die Stauferin Beatrix. Die Ehe schloß Beatrix von Burgund am 21. Juni 1208 mit Otto VII. von Andechs-Meranien. Die – wie Larie vaterlose – Erbin Burgunds wird von König Philipp als Brautführer – im selben Alter wie Larie (vierzehnjährig) – im Bamberger Dom mit Herzog Otto vermählt. Wie Wigalois erwarb Otto VII. mit der Hand seiner Gattin auch ein Land: die Pfalzgrafschaft Hochburgund. Angesichts dieser zwar nur verdeckt ausgesprochenen, vom zeitgenössischen Publikum jedoch ohne weiteres deutbaren Hinweise kommt man nicht umhin, der Mäzenatenschaft Ottos VII. und seiner Gattin Beatrix am Wigalois die größte Wahrscheinlichkeit zuzusprechen. Wenn Wirnt von Grafenberg im Wigalois auf zwei Adressaten angewiesen ist, denjenigen, der die Totenklage auf den Fürsten von Meran zu würdigen wusste, und jenen, der seinen sagenhaften Vorfahren am Hofe König Artus’ vorfand, so musste er damit gerechnet haben, beide Herren im Publikum unter die Anwesenden zählen zu können. Das intendierte Publikum ist nicht am Hof des Fürsten Otto von Meranien zu suchen, denn die Urkunden des Meraniers geben nicht zu erkennen, dass er überhaupt für eine Hofhaltung – etwa in Innsbruck oder in Besançon – Zeit fand. Wenn er keine dringenden persönlichen Angelegenheiten auf seinen weit verstreuten Besitzungen zu regeln hatte, war er im Auftrag des Reiches unterwegs oder begleitete seinen Herren, den deutschen König, von Pfalz zu Pfalz. Das Publikum Wirnts müsste demnach eher in den Kreisen zu finden sein, in denen Otto von Meranien ständig und der Mansfelder wenigstens mehrere Wochen im Jahr sich bewegten: in der umittelbaren Umgebung des deutschen Königs. Für die Datierung des Wigalois ergibt sich demnach zumindest ein terminus post quem: die Eheschließung Ottos VII. von Meran mit der Stauferin Beatrix von Burgund (21. Juni 1208). Die Grablegung Bertholds IV. (gest. 12. August 1204) war das letzte Familienereignis der Andechs-Meranier vor der Eheschließung von Beatrix von Burgund mit Otto VII. von Andechs. Allzu fern von beiden Ereignissen darf man sich daher die Entstehung des Wigalois nicht denken.51 Es spricht vielmehr Vieles dafür, die Hochzeit selbst als ursprünglichen Anlass der Dichtung anzusetzen.52

51 Ein früher erwogener, sehr weit gefasster terminus ante quem hingegen, der nur durch den Tod des letzten Grafen von Alt-Mansfeld, Burchard (12. Dezember 1229) gegeben wäre, wird von uns inzwischen verworfen. 52 Es ist belegt, dass Literatur bei Hoffesten und Hochzeiten erstmals einem größeren Publikum vorgestellt wurde. Die benannten Anspielungen auf das Ereignis legen nahe, dass das Hochzeitsfest 1208 Anlass für zumindest eine Teilaufführung (bis einschließlich der Hochzeitsszene) des Wigalois gewesen ist. Die Trauung vollzog der Bruder des Bräutigams, Bischof Eckbert von Bamberg. Zugegen waren aus der Familie noch ein weiterer Bruder, der Markgraf Heinrich von Istrien, und sicher zahlreiche hochgestellte Fürsten des Reiches und Gefolgsleute des Staufers Philipp, der als Oheim seine Nichte an den Andechser übergab. Die Hochzeit geriet für alle Beteiligten zur Katastrophe. Philipp hat das frisch vermählte Paar noch vor die

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III. Interpretation Paradigmatische Perspektiven:53 die Gattung Artusroman Traditionelle Epigonalitätsvorstellungen, wie sie zuletzt dezidiert von Schröder 1986 vertreten wurden,54 können nicht nur mit Blick auf die neuere Forschung zum Wigalois als verabschiedet gelten. Schon mit der durch Hugo Kuhn initiierten neuen Orientierung auf die Eigenständigkeit literarischer Werke nach 1200 ging fast immer die Bestrebung einher, Kriterien zu finden, die gleich für die ganze Periode erzählerischer Großformen des 13. Jahrhunderts bindend sein sollten. Zwei Modelle wurden hierfür in besonderer Weise konstitutiv. Kuhn selbst betonte für die Gattung des ‚Ritterromans‘ das Moment der Kontinuität, die er in der von der frühen geistlich geprägten Literatur ererbten und über das 12. Jahrhundert hinaus bewahrten „geschichtsmythologischen Rückbindung“,55 also in einer Art translatio functionae56 sah. Diskontinuierlich initiiert sieht dagegen Walter Haug die Entwicklung der Gattung. Etwa mit dem Beginn der Rezeption der russischen Narratologie strukturalistischer Provenienz in Deutschland fallen auch seine Versuche einer entsprechenden Analyse erzählerischer Großformen des Hochmittelalters zusammen. Auch der Artusroman wurde nunmehr als eine an sich sinntragende Symbolstruktur aufgefasst, deren Elemente (Handlungsschritte) sich durch ihren Platz innerhalb dieser

Tore der Stadt Bamberg geleitet, das mit seinem Gefolge entweder zur Giechburg oder nach Lichtenfels unterwegs war (beides Residenzen der Andechser im Umkreis von Bamberg), um dort die Hochzeitsgäste für 14 Tage zu bewirten und zu unterhalten. Die Nachricht vom Tode Philipps, der nach einem Streit von der Hand Pfalzgraf Ottos von Wittelsbach starb, muss die Hochzeitsgäste noch am Abend erreicht haben. An Feierlichkeiten einschließlich literarischer Darbietungen war danach nicht mehr zu denken. – So ließe sich der nur in den ältesten Handschriften überlieferte Vorspruch vor dem eigentlichen Prolog erklären, in dem das Buch an Stelle des Dichters, dessen Publikum unwiederbringlich verloren war, selbst das Wort nimmt (vgl. den Kommentar zur Stelle). Darüber hinaus scheint es auch, als habe Wirnt die Zeit für die Vollendung des Buches genutzt, den Mord zu verarbeiten. Denn auch im Wigalois – hier allerdings erst nach den vierzehntäglichen Hochzeitsfeierlichkeiten – platzt die Nachricht herein, dass ein zur Hochzeit erwarteter Gast heimtückisch ermordet wurde. Seine Witwe starb vor Kummer und Schmerz ihm nach. Die Ermordung des Staufers und der tragische Tod seiner Ehefrau Irene, der byzantinischen Kaiserstochter, die nach dem Mord auf die Burg Hohenstaufen flüchtete und an den Folgen einer Fehlgeburt starb, könnten hier Pate gestanden haben. Der Namurfeldzug stellte somit eine Art poetische Gerechtigkeit her. Vgl. dazu ausführlich Ulrich Seelbach 2011, S. 14–15. 53 In metaphorischer Anlehnung an die Textlinguistik wird unter „paradigmatischen Perspektiven“ die vergleichende Betrachtung referenzidentischer Elemente verstanden, die den Roman mit anderen Vertretern der Gattung vernetzen. „Syntagmatische Perspektiven“ dagegen haben die werkinternen Vertextungsstrategien im Blick. 54 Vgl. dazu bereits den kurzen Forschungsbericht bei Gottzmann 1979, S. 87–91. 55 Hugo Kuhn: Aspekte des dreizehnten Jahrhunderts in der deutschen Literatur. München 1968, S. 53. 56 Vgl. den Forschungsbericht von Matthias Meyer: Verfügbarkeit der Fiktion. Interpretationen und poetologische Untersuchungen zum Artusroman und zur aventiurehaften Dietrichepik des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1994, S. 7.

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Struktur definierten. Das Analyseverfahren, welches auch in den Bereichen seiner ersten Erprobung durch die russischen Narratologen erst in seiner Anwendung auf eine ganze Textreihe seine Evidenz zu gewinnen vermochte, konnte hier helfen, zu einem wesentlich vertieften Verständnis der Organisiertheit von Einzeltexten zu führen. Die Romane Chrétienscher Prägung erwiesen sich dafür als dankbares Material. Die Ausweitung des Verfahrens auf den Artusroman insgesamt aber musste dann für die Folgeentwicklung der Gattung zwangsläufig zum Konstatieren von Sinnverlust führen. Für den Wigalois insbesondere wird zumindest festgehalten, dass sich der Sinn ‚nicht mehr‘ über die Position der Episoden in der Gesamtstrukur vermittelt.57 Allzu bald musste also schon wieder die Auflösung der Symbolstruktur festgestellt werden. Hierbei tritt ein Grundproblem strukturalistischer Analyse zutage. Dieses liegt in der Festlegung von Kriterien dafür, welche Handlungselemente und Ordnungsformen denn tatsächlich gattungskonstituierend sind.58 Das Chrétiensche Muster des Doppelweges mit Krise schien es doch jedenfalls nicht zu sein, so wie auch die Suche nach einem einheitlichen Alternativweg der Gattungsentwicklung ergebnislos verlief. Haug konstatierte nach der „Auflösung der Symbolstruktur“ vielmehr eine gewisse Streuung, in welcher sich nach dem Zeitalter des „ästhetischen Realismus“ nunmehr das Erzählen selbst in unterschiedliche Richtungen emanzipiere.59 Haugs Modell einer Gattungsentwicklung zeichnet sich also durch eine axiomatische Setzung an ihrem Beginn und weitreichende Offenheit an ihrem Ende aus. Beides wurde in der Forschung unterschiedlich aufgenommen. Christoph Cormeau, als Anhänger des axiomatischen Modells, konzedierte ebenfalls eine gewisse Offenheit, wollte diese aber zunächst eher im Bereich von Nuancen (Veränderungen des Protagonistentyps etc.) sehen und statt von „Auflösung“ milder von Überlagerung der Symbolstruktur sprechen.60 In späteren Arbeiten spitzt er jedoch den Gedanken einer notwendigen Öffnung der literarischen Perspektive radikal zu: In einer Art kopernikanischer Wende ließ er nun das Chrétiensche Romanmodell als einen – sogar etwas abseitigen – Planeten unter anderen um das Zentrum einer universalistisch gedachten erzählerischen Großform kreisen, die er mit Lugowski „Märchenroman“ nennt61 und die, wie eben das Märchen, durch ihre Ausrichtung auf einen idealen Helden, dessen Siege über begrenzte

57 Haug 1980, S. 212. 58 Vgl. Thomas Schmitz: Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung. Darmstadt 2002, S. 49f., 57f. 59 Haug 1980, S. 230f. Für den Wigalois wird dabei konstatiert, dass unter mehreren Formen des Verhältnisses Held-Aventiurewelt hier „der glückhafte Held in einer bald mehr dämonisierten und bald mehr unheimlich-fantastischen Welt“ gestaltet werde; ebd. S. 226. 60 Cormeau 1977, S. 66–68. In ähnlicher Absicht war Heinzle 1973 dem Konzept der Doppelwegstruktur – wenngleich mit partieller Umbesetzung des Sinns – stärker verpflichtet geblieben. Noch Achnitz 2012, S. 196–199 geht von einer Variation des zweiteiligen Strukturmodells Chrétiens und Hartmanns aus. 61 Vgl. Cormeau 1979; siehe ferner Cormeau 1984, S. 119–131, hier S. 128f.; Cormeau nimmt hierzu Gedanken u.a. von Peter Kern (Die Artusromane des Pleier. Berlin 1981, S. 221ff.) und Xenja von Ertzdorff (Rudolf von Ems. Untersuchungen zum höfischen Roman im 13. Jahrhundert. München 1967, S. 17ff.) auf.

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Hindernisse, einen linearen epischen Ablauf mit starker finaler Komponente und schließliches Happyend gekennzeichnet sei. Doch Cormeau erkennt selbst gerade in der Universalität des abstrakten Musters, das sich in einzelnen Ausformungen vom griechischen Liebesroman bis hin zu Tolkien wiederfinden lässt, das entscheidende Argument gegen die Brauchbarkeit dieser Form von Perspektiverweiterung. Denn bei Zugrundelegung eines Bauplans, dessen Allgemeinheit diejenige des Proppschen Modells noch um einiges übersteigt, ginge wohl jede Unterscheidung verloren. Der Leitgedanke aller Versuche über das 13. Jahrhundert seit Hugo Kuhn, nämlich die betreffenden epischen Werke vom Vorwurf der Epigonalität zu befreien, bleibt auch für Grubmüller prägend.62 Einzelne Romanelemente, die vormals als Abweichung von der klassischen Norm interpretiert worden waren, erhalten einen konstruktiven Kontext, wenn etwa für den zugrunde liegenden Heldentypus ein ganz anderer Herkunftsbereich (Märchen) assoziiert, die nunmehr linear aufsteigende Bauform des Wigalois in die Nähe der Legende gerückt, die Wendung zur Geschichtlichkeit mit G. Kaiser63 mit dem Territorialisierungsprozess in Verbindung gebracht und unabhängig davon schließlich in der entworfenen biographischen Totalität das Modell des christlichen Herrschers identifiziert wird. Der wichtigste Ertrag Grubmüllers besteht aber sicherlich darin, dem eindimensionalen Rückbezug auf Chrétien eine klare Absage erteilt, auf die Notwendigkeit einer literarischen Horizonterweiterung hingewiesen und dafür geworben zu haben, „die Gattungsgeschichte des Artusromans wieder vor der Vielheit der Einzelfälle zu diskutieren.“64 Diesem Ansatz war zunächst keine nennenswerte Nachfolge beschieden. Jüngere Forschung, die sich dezidiert poetologischen Fragen zuwandte, nutzte die vorhandenen Ansätze zur Öffnung der literarischen Perspektive als Chance, dem Roman des 13. Jahrhunderts sogar Zukunftsweisendes abzugewinnen. Wesentliche Prämisse blieb auch hier die Annahme, dass die maßstäbliche formale Struktur des sog. klassischen Artusromans als ganze in einer unauflöslichen Verbindung mit dem durch sie transportierten Sinn – eben als conjointure – gedacht werden müsse, dass die einzelne Struktureinheit demzufolge allein der Chrétienschen ‚Kathedrale‘ kompatibel sei. Selektion, alternative Kombination von Bausteinen und Erweiterungen mit bislang als gattungsfremd geltenden Elementen erschienen vor diesem Hintergrund als Verschiebungen der Statik, als Hybridität65 bzw. Erblindung der klassischen Struktur. Neben den schon seit Hugo Kuhn immer wieder traktierten Kriterien der Gattungsmischung, des konfliktfreien Helden und der Emanzipation von geschlossenen Quellen wird nun vor allem auf die „‚Entgrenzung‘ der Erzählmöglichkeiten“, die darin wirksame Entwicklung von Subjektivität als Vorbotin der Moderne und das wachsende Bewusstsein der Literarizität als Kennzeichen der

62 Grubmüller 1985. 63 Kaiser 1975. 64 Grubmüller 1985, S. 239. 65 Vgl. vor allem Fuchs 1997 und Armin Schulz: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik: Willehalm von Orlens – Partonopier und Meliur – Wilhelm von Österreich – Die schöne Magelone. Berlin 2000.

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Nachwort

episch-literarischen Epoche hingewiesen,66 in der die „Verwilderung“ (Stierle) des Erzählens nachgerade Voraussetzung seiner Modernität sei. Der Vorteil dieser Perspektive besteht zweifellos darin, dass die lange wahrgenommene Vielfalt der Gattungsentwicklung darin reflektiert und aufgehoben ist – jedoch nur in der Form. Der Nachteil besteht in der nahezu gänzlichen Loslösung aus gesellschaftlicher Verortung. Die Gattung wird zum Schauplatz eines rein literarischen Spiels, die Modernität nur als eine formalästhetische Kategorie begriffen. Im Unterschied zu literaturimmanenter Forschung, die die Aufnahme literarischer Erfahrung der Chrétien-Hartmann-Galaxis im Wigalois zunächst mit dem Ziel herausarbeitete, dessen ästhetische Anschlussfähigkeit an die Klassik auszuweisen, kann eine historisch-diskursübergreifende Perspektive wichtige Indizien im Text auffinden, die eher an eine bedachte Umwertung67 dieses Diskurses denken lassen. Und so galt in der Wigalois-Forschung seit der Jahrtausendwende das Augenmerk eher dem Nachweis einer produktiven ‚Kontrapunktik‘, mit der Wirnt literarische Erfahrung eigenen konzeptionellen Vorstellungen im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung bzw. einer Überbietung anverwandelt habe.68 Erwartungsgemäß wird man schon im Prolog fündig. So wird aus dem entsprechenden Prologabschnitt (V. 20–32), welcher Hartmanns Iwein aufnimmt, das Artus-Exempel eliminiert, wodurch die Syllogismus-Formel Hartmanns (Nachfolge des Erfolgsexempels als Erfolgsgarant) aufgelöst und das Schicksal (Glück und Heil), das bei Hartmann in die Hände des strebenden Individuums gelegt war, explizit an Gott rückgebunden wird. Schon hier scheint eine im Vergleich zu Hartmann69 konsistentere Wertewelt mit fester transzendenter Bezugsgröße als Garant des Heils anvisiert zu sein. Dies würde auch zu der spezifischen Ausformung der Artusidealität im Wigalois passen. Hatte Hartmann den König wenigstens im Einbezug einer unbestimmten Vorzeit im Prologexempel noch als Handelnden vorgestellt und somit die erstrebte Eudämonie als eine durch Handeln erreichbare begreifbar gemacht, so wird auch dieser Nexus im Wigalois aufgelöst. Artus ist von vornherein kein Handelnder, kann demzufolge für ein entsprechend ausgerichtetes Konzept menschlichen Tuns keine Exempelfigur mehr sein. Zwar erscheint Artus noch als autoritativer Bezugspunkt einer bestimmten Konsensgemeinschaft. Doch wird die im Hartmannschen Modell das Zentrum einer innerweltlichen Ethik

66 Vgl. Fuchs 1997, vor allem S. 393–401 und passim, Meyer (wie Anm. 56), S. 271ff., Schiewer 1993. Vgl. Karlheinz Stierle: Die Verwilderung des Romans als Ursprung seiner Möglichkeit. In: Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht. Heidelberg 1980, S. 253–313. 67 Grubmüller 1985, S. 224. 68 Vgl. u.a. Ringeler 2000, Dietl 2002, Thomas 2005, Sabine Seelbach 2007. Solche Versuche gingen einher mit dem Wiedergewinn der historischen Perspektive; vgl. vor allem Wüstemann 2006, Helmut Beifuss: Wirnts von Gravenberc ‚Wigalois‘. Ein Artusroman konzipiert als dichterische Auseinandersetzung mit den politischen Wirren seiner Zeit. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 66 (2010), S. 137–174, Achnitz 2012. 69 Hartmann scheint viel eher von einer Realität schaffenden Potenz des menschlichen Handelns selbst, also im konstruktiven Sinne von der Kontingenz menschlicher Angelegenheiten, auszugehen. Zur kontingenzbetonten Eröffnung menschlicher Handlungsräume bei Hartmann vgl. Sabine Seelbach 2010.

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konstituierende Wertewelt ritterlicher arebeit auf die fortitudo verkürzt (wâgen durch lop den lîp, V. 156f.), ihre Geltung auf eine Art von Initiationsritus für den Protagonisten reduziert. Die durch die Hartmannsche Tradition aufgebaute Erwartungshaltung wird noch in der Gawan-Handlung zu Beginn des Werks aufgerufen, wenn Joram als roter Ritter den Artushof, speziell seinen Musterritter, herausfordert. Gawan scheitert jedoch gleich mehrfach in Ausübung maßgeblicher Tugenden höfischer Idealität, noch dazu ohne die Möglichkeit traditioneller arthurischer Krisenbewältigung zu erhalten. Er geht stellvertretend für alle durch alle Tiefen. Wigalois’ Weg dagegen ist von den Möglichkeiten arthurischen Scheiterns, die ganz dem Weg des Vaters zugeschlagen werden, entlastet.70 Die Marginalisierung der Artuswelt vermag ferner – nunmehr unter strukturellem Aspekt gesehen – die Episode mit dem roten Ritter aus der ersten Aventiuren-Sequenz recht eindringlich zu verdeutlichen. Der rote Ritter signalisiert im höfischen Roman mit der Farbe seines Waffenrocks, des Schilds und der übrigen Ausrüstung Todesgefahr, gewaltige Stärke, Aggessivität etc.71 Er eignet sich daher, um in der Aventiure-Vita eines arthurischen Helden einen markanten Platz einzunehmen. Im 7. Buch der Morte Darthur erscheint er in charakteristischer Dopplung: Der Red Knight I ist der Abschlussgegner einer Reihe von Bewährungsaventiuren, die zu derjenigen Aventiure hinführen, für die der Held bestimmt wurde: die Befreiung einer bedrängten Dame vom Red Knight II of the Red Launds. Der rote Ritter dient also als Strukturmarker, der Aufstiegs- und Vollendungsphase des Helden miteinander verklammert. Die roten Ritter Chrétiens, Hartmanns und Wolframs sind ähnlich platziert: Sie sind nunmehr Exordialgegner des Helden vor seiner Qualifizierung zu wahrem Rittertum (Ither) oder Finalgegner, die den Status des Helden am Ende seines Bewährungsweges zu bestätigen haben (Mabonagrin). Die durch literarische Tradition aufgebaute Erwartungshaltung wird im Wigalois nicht eingelöst. Nicht der Weg zur Vollendung wird hier aufgezeigt, die Zitation des bekannten Musters dient vielmehr allein als Hinweis auf bereits vorhandene Vollkommenheit. Exordial- und Finalgegner – quasi das Alpha und Omega des arthurischen Helden – verschmelzen, der Entwicklung suggerierende Faktor Zeit wird herausgekürzt, der Doppelweg auf einen Punkt (unter vielen) reduziert. Die Episode enthält somit einen Artusroman in nuce. Auf dieser Ebene gibt es über Wigalois nichts mehr zu erzählen. Um dieselbe Aussage zu erzielen, lässt der Stricker seinen Daniel noch eine ganze Reihe von ritterlichen Kämpfen von Keie bis Gawan absolvieren, aber auch hier ist der arthurische

70 Cora Dietl hat in der Gawan-Handlung der Vorgeschichte sogar das „Handlungsschema des Artusromans“ (Dietl 2002, S. 77) nachgebildet gesehen. Seine Operabilität sei jedoch durch das Motiv der Marthenehe gestört (vgl. ebd.). 71 Eine Übersicht (allerdings beschränkt auf die französische Literatur) zum Vorkommen von roten (schwarzen, blauen etc.) Rittern findet sich bei Gerard J. Brault: Early Blazon. Heraldic Terminology in the Twelfth and Thirteenth Centuries With Special Reference to Arthurian Literature. Oxford 1972, Introduction, S. 31–35 (Black knights, green knights, red knights, etc.), bes. S. 33.

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Stoff bereits mit der Exposition an sein Ende gekommen. Die Strukturzitate sind also keineswegs blind, sondern recht präzise zielführend. Dass dies aber keineswegs eine Absage an die Normenwelt des arthurischen Romans, sondern vielmehr deren produktive Aufhebung bedeutet, zeigt am deutlichsten die Gestaltung von Szenen und Motiven, die bei Hartmann hinsichtlich ihres Konfliktpotenzials besonders markiert worden waren, wie z.B. die Blankobitte Wigalois’ bei seiner Ankunft am Artushof.72 Hartmann lässt seinen König in der Ginover-Episode noch wegen Mangels an Vertrauen in die eigene prudentia scheitern. Bei Wirnt dagegen besitzt und praktiziert Artus diese Tugend wie selbstverständlich (V. 1791–94). Der Autor blendet die moralphilosophische Thematik also keinesfalls aus, sondern er nimmt sie sogar produktiv auf, indem er zum einen der traditionellen Artusidealität das prudentielle Element hinzufügt, gleichzeitig aber in der Lakonie der Darstellung deutlich macht, dass auch dies kein gestaltungsbedürftiges Thema mehr für ihn ist. Alternativ werden die von Hartmann am Beispiel dilemmatischer Situationen aufgezeigten Abgründe menschlichen Entscheidens von vornherein als durch Klugheit beherrschbar dargestellt. Dass von einer Dispensierung vom ethischen Diskurs keine Rede sein kann, wird auch an anderen literarischen Anleihen im Wigalois deutlich. Waren es im Bereich weltlichen Erzählens vor allem die dilemmatischen Situationen, die die Grenzen axiomatischer Ethiken sichtbar werden ließen,73 so ist in Erzählungen im geistlich-weltlichen Grenzbereich das Problem des Zweifels (zwîfel – dubitatio/desperatio) das Zentrum menschlicher Entwicklung und Bewährung. Die zwîfel-Aussagen im Wigalois konzentrieren sich auf eine Passage von ca. 2000 Versen und zeigen den Helden jeweils in Extremsituationen: Im Unterschied zur Diskussion schuldbedingter Heillosigkeit im Leben (Parzival, Gregorius) hat Wigalois jeweils den scheinbar unausweichlichen Tod vor Augen. Doch selbst dann taucht der belastete Begriff lediglich auf, um vom Helden verworfen (vor und nach Korntin: V. 6828ff.; 8404) oder gar vom Erzähler als gottgesandte triuwe-Probe verstanden zu werden (Ruel: V. 6480ff., Totenklage: 8091ff.). Im Ergebnis entsteht ein weiterer Superlativ: Auch in Bezug auf die Arbeit am eigenen Seelenheil ist Wigalois unerschütterlich. Durch die todesgefährliche Zuspitzung der Situationen wird jedoch psychologische Auslotung durch äußere Dramatik ersetzt. Wie bereits anhand der Dichotomisierung der Schlangenkuss-Episode gesehen,74 werden dem Protagonisten keine tiefer gehenden Gefährdungen zugemutet. Dennoch wird seine Geschichte mit der zwîfel-Problematik angereichert, die entsprechende literarische Erfahrung neutralisierend aufgehoben. Insgesamt werden die namentlich bei Hartmann (Dilemma) und Wolfram (zwîfel) aus moralphilosophischer Sicht aufgerissenen Abgründe menschlichen Entscheidens und

72 Zur Blankobitte und ihrer engen Verbindung zum kultursoziologischen Problemfeld der Gabe vgl. u.a. Harald Haferland: Das Vertrauen auf den König und das Vertrauen des Königs. Zu einer Archäologie der Skripts, ausgehend von Hartmanns ‚Iwein‘. In: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 335–375 und Sabine Seelbach 2010, S. 33–74. 73 Vgl. zuletzt Sabine Seelbach 2010, passim. 74 Siehe oben, S. 275.

Interpretation

291

Handelns moraltheologisch wieder verschlossen. Der Mensch wird durch seine restfreie Verankerung im christlichen Kosmos in einen Zustand ‚vorchrétienscher‘ Sicherheit zurückgeführt. Den Grundzug der Wiederaufrichtung positiver Normen teilt der Roman übrigens mit der zeitgleich blühenden Gattung des Fürstenspiegels, mit welcher – als letzte epische Anleihe – der Wigalois auch bemerkenswerterweise ausklingt (V. 11531–52). Formalästhetische Analyse führte – mit inhärenter Logik – dazu, die Sprengung der chrétienschen Symbolstruktur mit dem Verlust an epischer Behaustheit gleichzusetzen.75 Das Gegenteil ist eher der Fall: Geborgenheit in einer neuen Architektur aus den stabilen Bestandteilen der Tradition.76

Syntagmatische Perspektiven: Erzählweise Der Blick in zeitgenössische Romane zeigt, dass alle im Wigalois verknüpften Welten eigentlich Schauplätze eigenen Rechts sind, eigene Erzählwelten verlangen. Über diese Rechte setzt sich Wirnt je nach Blickwinkel entweder souverän oder unverfroren hinweg. Für Werner Schröder stand es außer Frage, dass die Kombination der Erzählwelten von Artusroman, Feenmärchen, Chanson de Geste einen Mangel an Gestaltungsvermögen verrate, er nannte den Wigalois einen synkretistischen Roman, sprach von störenden Zutaten und dem Einbruch der realen Welt in die Welt des Romans.77 Man kann die Verknüpfungsarbeit des Dichters aber auch mit Hans-Jochen Schiewer durchaus positiv wenden: „Der fiktionale Akt liegt in der neuartigen Kombination dieser Erzählwelten. Wirnt tut dies als erster in der deutschen Literatur mit dieser Radikalität.“78 Wenn Walter Haug einen konstitutiven Gegensatz zwischen Artus- und wunderbarer Aventiurenwelt („Welt antiarthurischer Figuren und Verhaltensformen“) sieht,79 so wird dieser Gegensatz dem Autor des Wigalois jedenfalls nicht zum Problem. Ebensowenig reflektiert wird der geographische Wechsel von der wunderbaren Aventiurenwelt (die der Held kurzerhand abgearbeitet und zum Verschwinden gebracht hat) zur Welt des Orients, die in Kreuzfahrermanier mit Heeresaufgebot, mit den Tafelrunden-Rittern Erec, Iwein, Lanzelet als Hauptleuten und Gawein als Oberbefehlshaber problemlos bewältigt wird.

75 Siehe oben, S. 287f. 76 Zu diesem Konzept können auch die Beobachtungen Wüstemanns 2006, S. 18–79, zur staete als einer Größe passen, über welche der ausgewählte Held Teilhabe an einer kontingenzfreien Daseinsform gewinnt und der wandelbaren Fortuna entgeht. Das stillstehende Rad der Fortuna, aus Jorams Reich stammend und den Helden heraldisch begleitend, stützt diese Deutung. In ähnlicher Weise hat der Zeitgenosse Thomasin von Zerclaere die staete zu einer nahezu kosmischen Größe gesteigert, durch deren Praktizierung der Mensch die Orientierung auf den Fluchtpunkt göttlichen Willens gewinnen kann. Vgl. die Ausführungen zur staete/constantia vor allem im zweiten Teil des Wälschen Gasts (V. 1704–2528). 77 Schröder 1986, S. 241f u. 252. 78 Schiewer 1993, S. 159. Anders neuerdings Veeh 2013, der in „Schwellenritualen“ ein bewusst eingesetztes Modell von Kohärenzstiftung realisiert sieht. 79 Haug 1985, S. 98f.

292

Nachwort

Die Kohärenz des Werks scheint sich in der Tat auf der Ebene der linearen Verknüpfung seiner Handlungsteile nicht herzustellen. Schon die ‚Bewährungsaventiuren‘ des ersten Handlungsdrittels ergeben – im Lichte jener axiomatischen Poetik gesehen – keinen geschlossenen Sinn und scheinen eher geeignet, den Helden als defizitär vorzuführen. Er tötet auf unritterliche Weise seinen Gegner im Herbergskampf, er liefert eine thematisch unpassende Begründung für die Rettung der Jungfrau vor den Riesen (Minnedienst) und schickt einen unhöfischen Gegner zum Beweis seines Sieges über ihn an den Artushof. Schließlich eignet er sich noch fremdes Gut an (Hündchen). Leicht ließen sich in diesen Aventiuren bestimmte Kardinaltugenden vermissen (temperantia, prudentia, iustitia). Demgegenüber wäre ein deutliches Zuviel an fortitudo zu verzeichnen. Die mâze wäre verfehlt. Diese Aventiuren ließen sich jedoch auch anders lesen, dann aber vor anderem Hintergrund. Dass Wigalois seinen ersten Gegner völlig unabsichtlich zerstört, kann auch der Demonstration eines Superlativs dienen: Wigalois verfügt über ein Übermaß an Kraft. Dass jener Burgherr mit seiner Gewohnheit, Reisenden den Herbergskampf abzunötigen, einem Wegelagerer, also einem Unhöfischen nachgebildet wird, ergibt zusätzlich mildernde Umstände. Analog zeigt die Befreiung der Jungfrau – abseits der Eigenlogik einer solchen Geschichte – den Helden im Hinblick auf die Chiffre ‚Frauendienst‘ als vollendet. Ebenfalls abseits der Logik des Vorfalls münzt der Erzähler den Helden in der Brackenaventiure zum legitimen Verteidiger der Ansprüche seiner Begleiterin (‚Sozialdienst‘) um. Der Besitzer des Hündchens hingegen erscheint als Aggressor, sein Recht wird verunklart. Somit erhält auch diese Episode den Charakter einer Demonstrationsaventiure.80 Die Methode lässt sich einer Prädikationslogik im Aristotelischen Sinne vergleichen: Das Subjekt wird ausgesagt durch seine Akzidentien. In einer Reihe von Versuchen werden die Eigenschaften des Helden ermittelt – jeder Versuch endet mit einer Prädikation. Das bedeutet aber auch, dass das Subjekt von vornherein fest ist. Es gibt daher nur eine Entfaltung im Raum, nicht aber eine Konsekutions- oder gar Entwicklungslogik in der Zeit. Seine Handlungen formen den Helden nicht – sie machen seine Form sichtbar. Dies ist ein grundlegender Unterschied zum Habitus-Konzept der Romane Chrétienscher Prägung, welchem zufolge das praktische Tun formend auf das handelnde Subjekt zurückwirkt.81 Ihrer rein prädikativen Rolle entsprechend, besitzen die einzelnen Episoden nur punktuelle Funktion. Nach erfolgter Aussage werden die Schauplätze verlassen und (mit Ausnahme der Wiederbegegnung mit Graf Hojer am Artushof) nicht wieder erwähnt. Keinerlei Querverweis kompliziert die eindimensionale Abfolge der attributiven Summanden, die allein der finalen Summe zustreben. Irritationen können diese Befunde nur vor dem Hintergrund des ‚klassischen‘ Artusromans auslösen. Dort prägt die Aufhebung

80 Zum Demonstrationscharakter der Einzelepisode ähnlich bereits Grubmüller 1985, S. 226, und Haug 1980, S. 211. 81 Zum literarischen Niederschlag entsprechender Vorstellungen der mittelalterlichen Anthropologie vgl. Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffs in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin, New York 1998 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 14), S. 36 (dort weitere Lit.).

Interpretation

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menschlicher Kontingenzerfahrung in „dialektische(n) Vermittlungen und Zweideutigkeiten, seelische(m) Zwiespalt“82 und psychologischer Stimmigkeit ein Erzählen, das darauf abzielt, eine Vita „nach dem Maß dieser Welt plausibel (zu) imaginieren“83 – also kommensurabel zu machen. Das parataktische Prinzip, die Inkommensurabilität des Erzählten lässt den vielbeschworenen Abstand zum Chrétienschen Roman, nicht aber zu literarischer Erfahrung generell entstehen. Es handelt sich vielmehr um Prinzipien legendenhaften Erzählens, welches – über die Scheinnotwendigkeit psychologischer Kohärenz sich hartnäckig hinwegsetzend – der ständig wiederholten Demonstration dient. Während der lebensweltliche Erfahrungszusammenhang in der Legende im wahrsten Sinne ‚abgetötet‘ wird (vgl. etwa die Alexius-Legende), um immer wieder den gleichen Satz zu intonieren, dass nämlich „die Seele schöner sei als der Leib“,84 so wird dasselbe parataktische Erzählen hier gewonnen für einen anderen Kontext des Hinweisens: Der Held ist von vornherein über jeden Zweifel erhaben. Dies gerade unterscheidet ihn aber auch vom Helden der Legende, dessen Heiligkeit ja nicht eben selten den Durchgang durch exemplarische Tiefen zur Voraussetzung hat.85 Die Glorie des Wigalois aber wird nicht gewonnen, ihre Präsenz entfaltet sich im Raum. Nicht das Vitenmodell, wohl aber die Erzählprinzipien werden der Legende entlehnt. Kohärenz stellt sich somit nicht auf der Ebene der Handlungsprogression, sondern auf einer höheren Ebene her, wo sich mosaikartig das Bild des idealen Herrschers aufbaut. Artusroman ohne Krise, Legende ohne SündenVita, ein Bel Inconnu, dem die Eros-Gefährdung fehlt und schließlich das Epos des christlichen Kämpfers für Frieden und Recht – Wirnt verfügt souverän über alle diese literarischen Modelle und fügt deren gezielt selektierte Versatzstücke zu einem neuen Sinnzusammenhang. Man muss nicht so weit gehen, der Territorialisierungsthese Kaisers86 zu neuem Recht zu verhelfen, zumal diese durch die historische Forschung auch als problematisch aufgezeigt wurde.87 Man muss aber auch nicht allzu vorsichtig einen „generelle[n] Typus des christlichen Herrschers“88 als Zielgröße des Romans annehmen. Wirnts

82 Ulrich Wyss: Legenden. In: Epische Stoffe des Mittelalters. Hrsg. von Volker Mertens und Ulrich Müller. Stuttgart 1984, S. 40–60, hier S. 49. Zum parataktischen Erzählen in der Legende vgl. auch Edith Feistner: Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jh.s bis zur Reformation. Wiesbaden 1995 (= Wissensliteratur im Mittelalter 20), S. 30–35. 83 Ebd., S. 42. 84 Ebd., S. 45. 85 Anders Grubmüller 1985, S. 236, der hier wohl vor allem die Legende des vir/famula dei-Typs vor Augen hatte. 86 Kaiser 1975 und neuerdings Achnitz 2012, S. 202–206. 87 Die Territorialisierungsprozesse setzten in den Ländern (vor allem Süddeutschlands) ab den Dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts ein; sie sind geprägt durch Marktgründungen, Aufbau von Gerichts-Bezirken und heftige Auseinandersetzungen zwischen Landesfürst und Adel. In den Jahrzehnten davor sind solche Bewegungen und Konflikte nicht erkennbar. Vgl. etwa Folker Reichert: Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spätmittelalterlichen Ständestaates im Herzogtum Österreich. Köln 1985, S. 6–127 (Adel und Landesherrschaft im Konflikt). 88 Grubmüller 1985, S. 238.

294

Nachwort

Herrscher- und Fürstenbild ist durchaus geschichtlich, jedoch nicht modern, im Gegenteil. Nicht die Herausbildung protostaatlicher Strukturen ist im Spiel bei der Darstellung des idealen Herrschertypus wie in den ca. 30 bis 50 Jahre später einsetzenden Territorialisierungsprozessen v.a. in Süd- und Mitteldeutschland (mit den üblichen Instrumentarien der Städte- und Marktgründung, dem Aufbau flächendeckender Verwaltungsbezirke, d.h. Landgerichte, der Landfriedensgesetzgebung als Vorläufer allgemeiner Strafgerichtsbarkeit). Wirnts Herrscher und dessen Vertraute folgen weitgehend noch den personalen Strukturmustern, die auch die Stauferkönige bevorzugten, d.h. der Einsetzung eines ganzen Netzes von Statthaltern, Stellvertretern persönlich eng vertrauter Gefolgsleute, das nur dann funktionierte, wenn die Treue auch bei Abwesenheit des Herrschers gesichert war. Die Stauferkönige setzten ebenso wie Wirnts Artus und Wigalois als Landesherren auf ein Gefolge unbedingt treuer Mitstreiter, die verlässlicher schienen (und waren) als das Verhältnis des Königs zum Fürstengremium oder des Fürsten zu den im Lande ansässigen Grafen. Hier war Treue und personalisierter Dienst am Herrscher nicht zu gewinnen. Liest man die Urkunden der Stauferkönige aufmerksam im Bereich der Zeugenliste, so kann man diese Klientel des Königs, auf die er absolut rechnete, wiederfinden: Es ist ein enger Kreis von Fürsten (oft ohne Land), Grafen und Reichsministerialen, die ohne strukturell (mit Ämtern) der Königsherrschaft verbunden zu sein, als streitbare, junge Mannschaft mit dem jungen König von Ort zu Ort reist, dessen Politik mitträgt, seine lokalen Kriege für ihn führt und mit ihm (oder an seiner Stelle) auf den Kreuzzügen dem Christen-Gott dient. Diese personalen Strukturen sind unmodern; unmodern ist das Bild der Herrschertugenden bei Wirnt, besser gesagt: konventionell, und er beschwört dazu fast die gesamte epische Tradition. Er schafft eine – literarische – Wirklichkeit, in der diese unmoderne Königs- und Landesherrschaft reibungslos funktioniert.

IV. Zu dieser Ausgabe Die vorliegende Ausgabe richtet sich in erster Linie an Studierende der germanistischen Mediävistik. Ihnen soll sie als Zugang zum mittelhochdeutschen Original und zu dessen besserem Verständnis dienen. Textgrundlage ist die 1926 von Johannes M. N. Kapteyn veranstaltete Textausgabe auf der Basis der Kölner Handschrift W 6*.89 Dieser Text wird unverändert abgedruckt mit Ausnahme einiger offensichtlicher Druckfehler (vgl. die Liste zu Ende des Kommentars). Einwände gegen die Textgestalt bei Kapteyn sind ohne erneute kritische Sichtung der Überlieferung (und dies bedeutet vor allem der Haupthandschrift A) punktuell und werden ihren Ort in den Anmerkungen und Erläuterungen zum

89 Kapteyn 1926; die Handschrift der Archivs der Stadt Köln W 6* diente schon bei der Erstausgabe durch Benecke 1819 als Leithandschrift. Zu den Handschriften vgl. Schiewer 1988 und Seelbach/Seelbach: Wirnt von Grafenberg: Wigalois – Eine Bibliographie. 2003 (http://www.uni-due.de/perspicuitas/).

Zu dieser Ausgabe

295

Text finden. Auch die Zeichensetzung Kapteyns, die öfters nicht recht nachvollziehbar ist, wird lediglich in der Übersetzung korrigiert.90 Unsere Einteilung des Romans in Aventiuren und deren Benennung in der Perspektive der europäischen Gawanidenromane soll der besseren Orientierung dienen. Aventiuregrenzen wurden von uns nicht willkürlich festgelegt, sondern beachten stets die mit einem Dreireim von Wirnt markierten Abschnittsenden und die in den Handschriften gesetzten Initialen. Den Regesten wurde Kapteyns „Kurzer Inhalt“ (S. 77*-91*) zugrundegelegt, wo es nötig war, wurde er von uns korrigiert und ergänzt. Die Priorität der Übersetzung liegt auf der Sinntreue. Sie dient einzig dem Verständnis des mittelhochdeutschen Texts und stellt nicht den Anspruch auf Selbständigkeit künstlerisch-ästhetischer Natur. Dabei soll jedoch die mittelhochdeutsche Diktion so präzise wie möglich wiedergegeben werden, ohne andererseits als neuhochdeutscher Text unlesbar zu werden. Originaltreue kann sich also nur in den Grenzen der Wiedergabe bewegen, die der neuhochdeutsche Standard ermöglicht. Dabei wird angestrebt, nach Möglichkeit Auslassungen oder Ergänzungen zu vermeiden und bei notwendigen Veränderungen der mittelhochdeutschen Syntax größtmögliche Zurückhaltung und Behutsamkeit walten zu lassen. Auch soll der Text weder stilistisch geglättet noch in irgendeiner anderen Weise ‚gebessert‘ werden. Widerstreiten die Prinzipien der Formtreue und der Lesbarkeit allzu sehr, so wird der Konflikt zugunsten der Lesbarkeit entschieden, die Entscheidung aber im Kommentar erläutert. Erfahrungsgemäß ist die Grenze zwischen Originaltreue und freierer Übersetzung nicht durch feste Kriterien zu bestimmen. Schwierige Probleme müssen daher von Fall zu Fall entschieden werden, wobei die Übersetzer auch hierüber im Kommentar Rechenschaft ablegen. Ein besonderes Problem stellt für jegliche Übersetzung der mittelhochdeutsche Sonderwortschatz dar. Sicherlich nicht konsensfähig wäre die Lösung, diesen unübersetzt zu lassen. Auch hier müssen Verständnisangebote unterbreitet werden, denn gerade dieser Wortschatz zeichnet sich im konkreten Fall durch ein breites Bedeutungsspektrum aus. Die betreffende Lexik wird daher kontextbezogen übersetzt und die jeweils spezielle Semantik herausgestellt. Natürlich bewegt man sich auch hier im Bereich subjektiver Entscheidungen und Ermessensfragen. In zwei Fällen soll jedoch mittelhochdeutsche Lexik unübersetzt bleiben: 1. im Bereich der Anredeformen, da sie im Neuhochdeutschen keine adäquate Entsprechung besitzen, und 2. im Bereich des kulturell bedingten Sonderwortschatzes (Turniersprache, Jagdsprache etc.), da neuhochdeutsche Umschreibungen den Textfluss doch erheblich stören würden. Dieser Wortschatz wird im Kommentar erläutert, im Falle wiederholten Auftretens mit Verweis auf die entsprechende Kommentarstelle.

90 Die Athetesen Kapteyns, im kritischen Text stets an der Klammerung […] erkennbar, sind in der Regel semantisch indifferent. Nur an wenigen Stellen ergeben sich leichte Bedeutungsnuancen; wo solche vorliegen, wurde der geklammerte Text von uns meist nicht übersetzt (V. 72, 86, 115, 120, 1213, 1320, 1504, 1569, 1889, 2116a, 2175, 2184, 2269, 2270, 2287, 2565, 2658, 4195f., 5891, 10551). Wo die athetierten Stellen von uns mitübersetzt wurden, stehen sie wie beim mhd. Text in eckigen […] Klammern (V. 1580, 2008, 2233, 4406).

296

Nachwort

Der Kommentar wird, wie bereits teilweise erläutert, die Bereiche punktuelle Textbesserungen, Sacherläuterung und Erläuterung schwieriger Übersetzungsentscheidungen beinhalten. Darüber hinaus wird angestrebt, in gebotener Knappheit auf inter- und intratextuelle Bezüge hinzuweisen. Dies wird sich jedoch auf solche Fälle beschränken, die zum einen zweifelsfrei und eindeutig auszumachen sind und zum anderen eine hinreichende Relevanz für die Textinterpretation besitzen. Vollständigere, jedoch für die Interpretation nicht hinreichend relevante Similien/Parallelstellen-sammlungen bieten hingegen in ausreichendem Maße zahlreiche Arbeiten des 19. Jahrhunderts, die in unserer Perspicuitas-Bibliographie verzeichnet sind.91

91 Stellvertretend für andere (vgl. die Titel von Bethge, Eckert, Jeske, Medem, Öhmann in Seelbach/Seelbach: Wirnt von Grafenberg: Wigalois – Eine Bibliographie. 2003, http://www.uni-due.de/perspicuitas/, dazu Pudmenzky 1875 und Sprenger 1875) sei hier die Arbeit von Max Irrgang: Zum ‚Wigalois‘. Diss. HalleWittenberg. Halle 1887 genannt.

Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes

297

Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes um 1180

Hue de Rotelande: Ipomedon; frz.1

um 1200

Renaut de Beaujeu (Bâgé): Le Bel Inconnu; frz.

um 1210

Wirnt von Grafenberg: Wigalois; dt.

um 1240

Durmart le Galois; frz.

um 1260

Albrecht von Scharfenberg: Seifrid de Ardemont; dt.; nur erhalten in der Bearbeitung Ulrich Füetrers (15. Jh.)

1325–50

Lybeaus Desconus; engl.

14. Jh.

Antonio Pucci: Carduino; ital.

14./15.Jh.

Le Chevalier du Papegau; frz. – mit Episodenübernahmen aus dem Wigalois

um 1455

Dietrich von Hopfgarten: Wigelis (Fragm.); strophische Bearbeitung des Wigalois

um 1470

Thomas Malory: Sir Gareth (Morte Darthur, book 7; gedruckt 1485); engl.

1478–81

Ulrich Füetrer: Wigoleis; dt. – beruht auf Wirnts Wigalois

1478–81

Ulrich Füetrer: Seyfrid; dt. – beruht auf Albrechts Seifrid

1483

Wigoleis vom Rade, dt.; Prosaroman (Erstdruck 1493) – Prosauflösung von Wirnts Wigalois

15. Jh.

Ritter Widuwilt (überliefert in drei Hss. des 16. Jhs.), westjidd.: Geht zurück auf Wirnts Wigalois

1530

Claude Platin: L’hystoire de Giglan; frz. (Kompilation aus Bel inconnu und dem provenzalischen Jaufre)

1590

Edmund Spenser: The Legend of the Knight of the Red Crosse (The Faerie Queene, Book I)

1656

Her Viegoleis med Guldhiulet; dän. (beruht auf dem dt. Prosaroman von 1587 oder 1611)

ca. 1694

Magnús Jónsson: Gabons sag og Vigoleis, isländ. ca. 1694 (hsl.; beruht auf dem dänischen Druck)

1 In petit werden die Romane angeführt, die zwar dem Struktur-Schema der Gawaniden-Romane (BelInconnu-Typ) entsprechen, jedoch einen Helden, der nicht zur Gawein-Sippe zählt, oder gar einen Protagonisten außer-arthurischer Bereiche haben.

298

Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes

Struktur des Bel Inconnu I

Keine Vorgeschichte

II

Gaste Cité und Drachenkuß

IIa Qualifikation 1. (W5a) Ankunft des Helden am Artushof 2. (W5b) Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg 3. (W6) Kampf an der Furt 4. (W7) Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen 5. (W-) Sieg über die drei Räuber 6. (W8) Das schöne Hündchen 7. (W9) Schönheitpreis und Kampf mit dem Rosen-Ritter 8. (W10) Vorrechts-Kampf mit Malgier li Gris 9. (W12) Empfang durch die Fee Weißhand 10. (W-) Heimliche Abreise 11. (W11b) Truchsess-Kampf 12. (W11a) Vorbereitung auf die Gaste Cité (Die Botin erkennt Guinglain als besten Kämpfer an) IIb (s. IId, 16–19) IIc Wächter-(Barrieren-)Kämpfe 13. (W18a) Evrain der Wilde (flieht) 14. (W18b) Kammer der niederfallenden Äxte IId Befreiung der Gaste Cité 15. (W20) Mabon-Kampf 16. (W14) Fier baiser: der Drachen-Kuß 17. (W13) Identitätsfindung 18. (W15) Schlaf 19. (W12) Begegnung mit Esmerée der Blonden 20. (W23) Verschobene Hochzeit 21. (W-) Rückkehr zur Fee, Liebesnacht III Rückkehr aus der Feenwelt 22. (W24) Hilfeersuchen Esmerées am Artushof und Turnieraufgebot 23. (W25) Turniersieg Guinglains 24. (W27) Hochzeit mit Esmerée in Sinaudon. Aussicht auf Fortsetzung der Feengeschichte

Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes

Struktur des Wigalois 11. Prolog I

Vorgeschichte 12. Jorams Herausforderung 13. Gaweins Entführung und Vermählung 14. Enfance

II

Korntin-Aventiure

IIa Qualifikation 15a. Ankunft am Artushof 15b. Hilfeersuchen der Botin mit dem Zwerg 16. Kampf um die Herberge 17. Rettung einer Jungfrau vor zwei Riesen 18. Das schöne Hündchen 19. Schönheitpreis und Kampf mit dem Roten Ritter 10. Vorrechts-Kampf mit Schaffilun 11a. Vorgeschichte Korntins (Die Botin erkennt Wigalois als besten Kämpfer an) 11b. Truchsess-Kampf IIb Weg durch Korntin 12. Begegnung mit Larie 13. Führung durch das wunderbare Tier (Identitätsfindung) 14. Kampf mit dem Drachen Pfetan 15. Fischerepisode (Ohnmacht) 16. Rettung und Erholung 17. Waldweib Ruel IIc Wächter-(Barrieren-)Kämpfe (vor Glois) 18a. Karrioz 18b. Schwertrad-Brücke 19a. Marrien 19b. Torwächter-Kampf IId Endgegner (Glois) 20. Roaz-Kampf 21. Rettung durch Graf Adan und Begräbnis der Japhite 22. Einzug in Joraphas 23. Vermählung, Krönungsfest und Besuch des Vaters III Namur-Feldzug 24. Hilfeersuchen der Königin Liamere 25. Heeresausgebot und Namur-Feldzug 26. Einkehr am Artushof 27. Ausblick auf Fortsetzung – Epilog

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300

Die Bearbeitungen des Gawaniden-Stoffes

Kommentar

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Kommentar 1–19 Das Buch zum Leser: ein Fall, der bei Gerárd Genette: Paratexte. Frankfurt/M. 1992 nicht vorgesehen ist (siehe „Adressanten“ des Vorworts, S. 173); der Romantext wird dem Rezipienten hier nur durch eigene Lektüre bekannt (vgl. jedoch V. 125ff.: mündlicher Vortrag durch den Erzähler). Das Fehlen der ersten zwanzig Verse in den meisten Handschriften mag sich daraus erklären, dass dieses ungewöhnliche Unterfangen, das Buch selbst sprechen zu lassen, der gängigen Vortragspraxis zuwiderlief. Es gibt zwar gelegentlich das ‚Werk‘ selbst, das zum Leser oder Hörer spricht (z.B. Der heimliche Bote, Mitte des 12. Jahrhunderts: Ich bin der heinlich bote …; vgl. Verfasserlexikon. Bd. 3 (1981), Sp. 645–649; Freidank, V. 1,1–3: Ich bin genant Bescheidenheit | diu aller tugende krône treit. | mich hât berihtet Fridanc …), jedoch nicht das materiale Buch oder die Handschrift. In der antiken Literatur kann jedoch ein Vorläufer benannt werden, die Tristien Ovids: „Missus in hanc venio timide liber exulis urbem …“ („Ich, das Buch des verbannten Dichters, betrete zögernd die Stadt Rom als Bote …“, Trist. III,1,1). So wie Wirnts Buch sich an einen vortrefflichen Menschen wendet (1), tat dies Ovids Buch gegenüber dem Leser und Freund (2). Dass Wirnt nicht nur über „Grundkenntnisse“ (Fasbender 2010, S. 16) im Lateinischen verfügte, sondern lateinische Quellen selbst lesen konnte, zeigt nicht nur diese Stelle eines intertextuelles Verweises auf einen bekannten Schulautor (den wohl auch u.a. der Staufer Philipp und andere geistlich gebildete Fürsten kannten). Aufgegriffen wird Wirnts „Leseprolog“ bei Rudolf von Ems im Willehalm von Orlens (Hrsg. von Victor Junk. Berlin 1905, Prolog zum II. Buch, V. 2143ff.: Wer hât mich guoter her gelesen? …; V. 2152 gibt sich die Sprecherin zu erkennen: Ich bin diu Aventiure). 5 iht wandels. Einen Makel erblickt Ovids Buch an sich selbst: es ist nicht gut lateinisch verfasst (Trist. III,1,17f.), weil es aus einem ungebildeten Land verschickt wurde: „siqua videbuntur casu non dicta Latine, in qua scribebat, barbara terra fuit“. 6f. Eine captatio benevolentiae. 9 geliutert und gerihtet. Gemeint ist: clarificare und dirigere, von (allen) Fehlern bereinigen und (fertig) einrichten. Handelt es sich um die volkssprachige Entsprechung von Fachtermini (aus der Leder-, Pergament-, Erzgewinnung oder Buch-Einrichtung/Layout)? Vgl. Ovid: Trist. III,1,13: das zum Freund sprechende Buch sagt von sich, weder mit Zedernöl gefärbt noch mit Bimsstein geglättet zu sein: „neque sum cedro flavus nec pumice levis“; Hartmann von Aue: Erec, V. 8217: sô g(e)ebent und sô geliutert (geglättet und rein) waren die Steine des Palas von Brandigan. 17 wem sol ich daz klagen? Ähnlich Ovids Buch (Trist. III,1,19): „qua sit eundum“, „Wohin soll ich gehn?“ 20–144 Wechsel des Sprechers: die vertraute Stimme eines menschlichen Erzählers (vgl. V. 33). 20–32 Ein gegenüber dem Iwein Hartmanns von Aue (1–20) deutlich reduziertes ethisches Programm: Treu- und Ehrliebende mögen guter Lehre folgen, den Besten nachfolgen und u.a. auch den Lohn Gottes erstreben.

302

Kommentar

64–70 Appell an die milte (Freigebigkeit) des Mäzens und/oder Publikums. 75–81 Anspielung auf das bibl. Sprichwort ‚Perlen vor die Säue (Schweine) werfen‘: „neque mittatis margaritas verstras ante porcos“, Bibel, Mt 7,6; Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. von Samuel Singer. 14 Bde. Berlin, New York 1995–2002 (im Folgenden TPMA), Bd. 10, s.v. Schwein 1.1; Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Hrsg. von Manfred Eikelmann und Tomas Tomasek. 2 Bde. 2009–2012 (im Folgenden Handbuch Sentenzen), hier Bd. 1 (2012), S. 202f. (Wigalois, V. 75). 98 si bietent lîhte d’ôren dar. Zitat aus Hartmann von Aue: Iwein, V. 249ff., die attentio des Hörers betreffend: man verliuset michel sagen, | man enwellez merken unde dagen. | maneger biutet diu ôren dar: | ern nemes ouch mit dem herzen war, | sone wirt im niht wan der dôz … 101–104 Anspielung auf das Sprichwort ‚Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus‘; vgl. Freidank, V. 124,3: Swie man ze walde rüefet, daz selber er wider güefet; eine Anspielung auch bei Heinrich von Morungen, MF 127,12 (Des Minnesangs Frühling. Bearb. von Hugo Moser und Helmut Tervooren. Bd. 1: Texte. 38. Aufl. Stuttgart 1988): Der sô lange rüeft in einen touben walt, ez antwürt im dar ûz eteswenne; TPMA 12 s.v. Wald 5; Handbuch Sentenzen 1, S. 204f. (Wigalois, V. 101). 112f. er lât ez durch diu ôren gar, zem einen în, zem andern ûz. Die sprichwörtl. Redensart verwendet auch Wolfram von Eschenbach in seinem Bogengleichnis (Parzival, V. 241,8–30, hier V. 241,25): zeinem ôren în, zem andern für. Vgl. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtl. Redensarten. Bd. 4. 1994, S. 1115. 120f. Anspielung auf ein bibl. Sprichwort (Bibel, II Petr 2,22) „Sus lota in volutabro luti“ (‚Die Sau wälzet sich nach der Schwemme wieder im Kot‘). TPMA 10, s.v. Schwein 2.1 und 2.5; Handbuch Sentenzen 1, S. 206f. (Wigalois, V. 120). 126–128 Vgl. den Prolog des Armen Heinrich Hartmanns von Aue, V. 10–17 (Hinw. Benecke 1819, S. 435); Wirnt setzt gegen die Orientierung Hartmanns (Gottgefälligkeit und captatio benevolentiae) auf Belehrung. Der Unterhaltungsaspekt hingegen wird fast wörtlich übernommen (swaere stunde senfte machen). 126 mit mînem munde. Die ursprünglich beabsichtigte Vortragssituation wird hier deutlich. Daher war das Publikum Wirnts nicht „von vornherein als Lesepublikum“ intendiert (Scholz 1980, S. 127), sondern erst aus der Not heraus, da ihm eine lebendige Zuhörerschaft durch die Umstände verwehrt blieb. 131f. Wirnt beruft sich im Unterschied zu Hartmann von Aue (siehe zu V. 126–128) ausdrücklich auf eine mündliche Quelle. 135 dingen. Ist hier doppeldeutig: es kann „verlangen“ (vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 178,28) wie auch „erhoffen“ bedeuten. 137 tihtær. Lat. poeta. Einer der frühen Belege für ‚Verfasser literarischer Werke‘ (vgl. Kurt Gärtner: Zu den mittelhochdeutschen Bezeichnungen für den Verfasser literarischer Werke. In: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Hrsg. von Elizabeth Andersen u.a. Tübingen 1998, S. 38–45, hier s. 42f.) – zuvor sind Belege aus dem Liet von Troje des Herbort von Fritzlar (V. 7, im Plural: V. 17870, 17880 und 18455), aus dem Eraclius des Otte (V. 128, im

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Plural) und aus der Klage (V. 9) bekannt (Nachweise aus der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank [MHBDB] – http://mhdbdb.sbg.ac.at/). 140 werc. Lat. opus. Der Werkbegriff wird hier erstmals seit althochdeutscher Zeit wieder auf ein literarisches Werk im Sinne einer ‚vollendeten Hand- oder Kunstarbeit‘ bezogen (danach erst wieder seit dem 15. Jahrhundert). Vgl. Otfrid von Weißenburg III,1,10 (Otfrieds Evagelienbuch. Hrsg. von Oskar Erdmann. 6. Aufl. bes. von Ludwig Wolff. Tübingen 1973) und Notker (Die Schriften Notkers und seiner Schule. Hrsg. von Paul Piper. Bd. 2. Freiburg i.Br. 1883, S. 498,21, Ps. CXVIII, Verba sancti Augustini): daz ih min uuerch folletâte … 141 Selbstnennung des Dichters auch V. 10576 (dazu V. 5755 eine Nennung des Vornamens Wirnt). „Die Selbstnennungen erfolgten also ziemlich genau im Abstand von 5000 Versen: nicht im ersten Vers, nicht im letzten. Dadurch war die Urheberschaft Wirnts trotz möglicher Überlieferungsdefekte gesichert.“ (Fasbender 2010, S. 12). – Durchaus denkbar, dass Wirnt primär an eine Verbreitung seines Werks durch Abschriften und Lektüre dachte und er selbst nicht mehr zum Vortrag vor dem intendierten Publikum in der Lage war. Dazu passt die Überlieferung mehrerer Handschriften, die bereits zu Wirnts Lebzeiten enstanden (dagegen vgl. die Überlieferung des Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven und der Krone Heinrichs von dem Türlin, die auf eine länger anhaltende Vortragsvermittlung hindeuten). 150 ze Karidôl hêt er hûs. „Hauptsitz der Tafelrunde und die Residenz von König Artus.“ (Kragl 2006, Bd. 2, S. 1117, zu Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 1265). Vgl. Hartmann von Aue: Erec, V. 7806f. (Artus hält sich entweder in Karidôl oder Tintajôl auf) und Iwein, V. 32. „Nach Chrestien v. 7 liegt Carduel (= Hartmanns Karidôl) in Gales = Wales. Schon Foerster … identifiziert den Ort mit dem heutigen Carlisle, der Hauptstadt von Cumberland. Die Annahme ist nicht ernsthaft bestritten worden.“ (Hartmann von Aue: Iwein. Übers.u. Anm. von Thomas Cramer. 3. Aufl. 1981, S. 174, zu V. 32). Der Begriff der ‚Residenz‘, den wir hier in der Übersetzung verwenden, ist insofern gerechtfertigt, als Artus einen modernen, ständigen Hofstaat unterhält (dazu noch in Nantasan/Nantes, vgl. V. 11394 u. 11597), vergleichbar den (Haupt- und Neben-)Residenzen der deutschen Territorialfürsten des 13. Jahrhunderts (vgl. etwa Eisenach/Wartburg in Thüringen, Landshut/ Burghausen in Bayern). Den Reisehof der deutschen Staufer-Könige mit wechselnden Aufenthalten in den Pfalzen, Burgen getreuer Ministerialen und Reichsstädten jedenfalls spiegelt der Artushof nicht getreu wieder. 151–155 Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 40–58. Im Unterschied zu Hartmann, der der Literatur (conjointure) gegenüber der Wirklichkeit (matière) eine Überlegenheit zusprach, bleibt die Dichtung bei Wirnt ein Abglanz des arthurischen Ideals, ist also klar nachgeordnet. 219 recke. Hier in der Bedeutung: ‚fahrender Ritter‘, der von Turnier zu Turnier zog, dabei auch einmal Ross und Rüstung (dem Gegner oder Herbergswirt) zu Pfand lassen musste, das hier Artus wieder auslöst. Vgl. die Formulierung im Nibelungenlied C, Str. 341,1 in recken wîse (Das Nibelungenlied nach der Handschrift C. Hrsg. von Ursula Hennig. Tübingen 1977 [= ATB 83]) und Art. recke, BMZ II.1, 592b.

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222 palas. Afrz. palais; mlat. palatium; Hauptgebäude der Burg mit dem größten Saal. Vgl. BMZ II.1,459a; Schultz 1880, Bd. 1, S. 44ff. 247–51 Die coutume des Königs Artus, nicht zu Tisch zu gehen, bevor er keine neue âventiure vernommen habe, wird auch im Parzival, V. 309,7–9 (auch V. 648,19–22) und im Daniel des Strickers, V. 78–82 erwähnt. Vgl. Benecke 1819, S. 426f. u. den Kommentar von Nellmann 1994 zu Parzival, V. 309,7–9. Ferner im Conte du Graal von Chrétien de Troyes, V. 2764–2768, im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven, V. 5706–5753, im Mantel (Fragment), V. 398–448. Vgl. Xenja von Ertzdorff: König Artus’ site. In: Ist zwîvel herzen nachgebûr. FS Günther Schweikle. 1989, S. 193–201 und (mit weiteren Belegen) Gudrun Felder: Kommentar zur Crône Heinrichs von dem Türlin. Berlin 2006, zu V. 925–932 (S. 71). – Motif-Index of German Secular Narratives from the Beginning to 1400. Ed. by th Austrian Academy of Sciences. Under the direction of Helmut Birkhan ed. by Karin Lichtblau and Christa Tuczay. 6 Vols. Berlin, New York 2005, hier Vol. 6.2: Index Motifs, M 151: Vow not to eat before hearing of adventure (im Folgenden: Motif-Index). 261 Der Name des Ritters, Jôram, wird erst V. 5818 genannt. 265f. Durch seine Kleidung (von scharlachen) und sein Pferd (was rôt) wird der Ankömmling als ‚Roter Ritter‘ inszeniert. Sein Auftreten signalisiert damit von vornherein Gefahr. Vgl. Nachwort, S. 271–281, 289f. 332 vreude [Hss.: sterke] unde wîsheit. Die Wirkung des Gürtels ist bei Männern und Frauen laut den Handschriften dieselbe: er verleiht Stärke (V. 633), außerdem Weisheit (V. 332) und Mut (V. 633). Gegen die Hss. änderten die Herausgeber sterke in vreude. Erst durch den Herausgebereingriff wirkt der Gürtel unterschiedlich bei den Geschlechtern (anders Fasbender 2010, S. 56, Anm. 3, der von einer geschlechterspezifischen Wirkkraft des Gürtels ausgeht, mit Berufung auf das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 3 [1927], Sp. 1211–1217: dort steht aber nichts dergleichen). Selbstverständlich ist sterke eine für Frauen nicht nutzbare Gabe, aber für die Frauen ist der Gürtel auch nicht vorgesehen, sondern um Gawein in ein fernes Land zu bringen. – Möglicherweise stammt das Motiv des Stärke verleihenden Gürtels aus der Heldenepik; vgl. Laurin, V. 191–194: dar umbe lac ein gürtelîn; daz mohte wol von zouber sîn, dâ von hât ez zwelf manne kraft: des wart ez allez sigehaft. Zu erinnern ist auch an den Gürtel der Brünhild, obwohl er seine Funktion im Nibelungenlied B bereits eingebüßt hat; ihre Zwölfmännerstärke verliert sie kurz nach dem Raub des Gürtels durch Siegfried angeblich durch die Minne Gunthers (Str. 680–681). – Motif-Index, D 1335.4 Magic belt gives strength. D 1300 Magic object gives supernatural wisdom. Vgl. den oben genannten Artikel des Handwörterbuchs, hier Sp. 1211 u. 1213 (Stärke bzw. Sieg verleihende Gürtel; im Artikel selbst findet sich aber kein Gürtel, der Weisheit schenkt). 371–79 Gawan rät der Königin dazu, die Gabe nicht anzunehmen. Die Logik der Gabe würde eine weitaus größere Gegengabe erforderlich machen und die Königin gegenüber dem fremden Ritter verpflichten. Durch die Annahme des kostbaren Gürtels könnte durchaus der Verdacht aufkommen, dass Ginover den Minnedienst des Unbekannten duldet (ez … würde ein bœsez maere, V. 373). Der Gürtel selbst ist aber keineswegs Sexualsymbol oder ein Verweis auf das Verhältnis der Ginover zu Lancelot (anders Fasbender 2010, S. 57).

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401 samît. Der Stoff entspricht nicht dem heutigen Samt. Ein glatter, stärkerer Seidenstoff mit Gold- oder Silberfäden, also eher eine Art Brokat (von frz. samit, aus gr. hexamit). Aus Famagusta, Spanien und Sizilien importiert. Vgl. Schultz 1880, Bd. I, S. 259; Brüggen 1989, S. 279. 404–06 Goldener Adler auf blauem Feld (Benecke 1819, S. 438): Im europäischen Hochadel der Zeit entsprechen Figur und Tinktur exakt (und ausschließlich!) dem Wappen der Grafen von Andechs-Meranien (vgl. Nachwort, S. 282–284). Das Wappen Guinglains aus dem Bel Inconnu zeigt an ähnlich prominenter Stellung im Roman einen hermelinbelegten Löwen auf blauem Grund (Bel Inconnu, V. 71–74 u. V. 5921f.). Nach Ansicht der romanistischen Forschung war hier eine Art heraldische Selbstdarstellung des französischen Dichters zu vermuten, was sich durch die Ermittlungen von Alain Guerreau 1982, S. 29–33, bestätigt hat: das Wappen der Grafen von Bâgé, aus deren Familie der Dichter stammt (nicht Beaujeu, wie man bislang annahm), führt einen Hermelin-Löwen auf blauem Grund („d’azur, au lion d’hermine“, Guerreau, S. 30). 447f. wâ nu schilt unde sper! harnasch und ors her! Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 4626: harnasch unde ors her. In vergleichbarer Situation (der Ginover-Entführung) reagieren die Tafelrundenritter ähnlich hektisch: der Artushof wird provoziert. 451 Kaiî. Bei der Ginover-Entführung im Iwein Hartmanns von Aue, V. 4634ff., ist Keie der erste, der mit dem Entführer Meljaganz kämpft, es folgen Kalogreant, Dodines, Segremors und andere. Gawein war nicht zur Stelle. Hier bei den Kämpfen für Ginover gegen die Provokation Jorams werden nacheinander Kaii, Didones (V. 458), Segremors (V. 462), Miljanz (V. 467) und schließlich Gawein (V. 575) besiegt. 458 Didones. Im Erec, V. 1637, Iwein, V. 4696 Hartmanns von Aue und im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 271,13 begegnet als Nebenfigur der wilde Dodines, ein Artusritter. Im Jüngeren Titurel heißt er Tidones/Didones (Str. 2394,1; 2394,4; 4574,2; Albrecht von Scharfenberg: Jüngerer Titurel. Nach den ältesten u. besten Hs. kritisch hrsg. von Werner Wolf. 4 Bde. Berlin 1955–1995). 467 Miljanz. Meljanz von Lîz begegnet in der Ritterliste des Erec Hartmanns von Aue, V. 1635 und im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 344,15 u. ö. Im Jüngeren Titurel Albrechts ist er der Bruder der Ginover und Artusritter (Str. 2498,3; 2499,1). 495f. selbe schut er sîn îsengwant in den schilt. Die ineinandergeflochtenen Ringe der Rüstung verhalten sich wie eine Flüssigkeit; nach dem Abschütten vom Körper fließen sie zu Boden oder wie hier in den darunter gehaltenen Schild. Vgl. BMZ II.1, 229b, Z. 29ff. 516 leide ist hier und öfter in der Zusammesetzung mit geschehen oder tuon ein Adverb (vgl. BMZ I, 980b und 981a). Die korrekte Übersetzung hierfür (‚betrübt sein‘, ‚übel ergehen‘, ‚weh tun‘) wird oft als zu farblos empfunden und daher greifen die meisten Übersetzungen doch wieder zum Substantiv ‚Leid‘, ‚Kummer‘ oder ähnlichem. Vgl. Hartmann von Aue, Iwein, V. 6230, dâ was in leide an geschehen (‚das hatte ihnen weh getan‘; Volker Mertens [Hrsg. u. übers.]: Hartmann von Aue: Gregorius, Der arme Heinrich, Iwein. Frankfurt/M. 2004 [= Bibliothek des Mittelalters 6]), V. 6707 von swem iu leide mac geschehen (‚wenn es Euch übel geht‘; Mertens); ferner Iwein, V. 2270, 2346, 7360, Nibelungenlied B, Str. 1528,1, 2298,4 (leide geschehen), Iwein, V. 1312f., 4482, Nibelungenlied B, Str.

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781,4 (mit Komparativ: leider geschehen), Iwein, V. 1178, 2972, Nibelungenlied B, Str. 192,4, 2356,4 (leide tuon). – Im Wigalois vgl. V. 2423, 3586, 4277, 10294 (leide geschehen), 5586, 11209 (leide tuon). 557f. diu ors enhêten in niht getân; sie liezen über sich selben gân. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 7116–24 (Gerichtskampf Iweins gegen Gawan): die Schonung der Rosse und Weiterführung des Kampfes zu Fuß ist Ausdruck der besonderen Härte des Gefechts. 578 sicherheit (auch fîanze; vgl. V. 7818) tun. Man gelobt (tuot, gibt, leistet) als Unterlegener, jegliche Gegenwehr zu unterlassen und sich dem Gebot des Siegers zu unterwerfen. Man kann als Unterlegener die Sicherheit bieten (anbieten), um sein Leben zu retten, und sie als Sieger nemen (dem Besiegten gewähren). Ohne dieses Gelöbnis kann der Kampf jederzeit wieder aufgenommen werden. Vgl. Benecke 1819, S. 703; BMZ II.2, 260a, Z. 36ff. 660 Eine lange Reise lässt sich mit mæren kurzweiliger machen; auch 1924–26. 666 wîtiu stat. Eine Stadt/Vorstadt oder nur ein unbebauter Platz (BMZ II.2, 601b)? Vgl. V. 11615f. ein wîtiu stat dâ vor [der Burg Korntin] lac wüeste vil mangen tac (die Vorstadt der Burg war von den Einwohnern unter der Herrschaft Roaz’ aufgegeben worden). Vgl. Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 15336ff. Ein schœne grasege hovestat Neben dem graben vor dem tor … Dar sült ir den kampf legen; hier ist es ein unbebauter Platz. 687 Das Abbinden des Helms (nach 13 Tagen Ritt in voller Rüstung) ist ein der Formel geschuldetes Detail bei der Ankunft fahrender Ritter: beim Empfang auf der Burg wird der Gast aus der Rüstung befreit und erfährt die üblichen Bequemlichkeiten wie das Bad, frische Kleider und einen Willkommensimbiss. 699 in næte. Das Einnähen in die Kleidung ist eine Art Einschnüren, die übliche Art des Verschlusses. Knöpfe dienten zu dieser Zeit nicht als Verschluss, sondern nur als Zierde (Applikationen). Vgl. Brüggen 1989, S. 236 (naejen 2). 705 pfelles. (Vgl. auch zuvor V. 700). Lat. pallium. Kostbarer Seidenstoff, vorzüglich für Mäntel verwendet. Brüggen 1989, S. 274ff. 742–933 Die ausladende Beschreibung der Florie und ihrer Kleidung folgt nicht dem üblichen de capite ad calcem und beschränkt sich zudem auf die Partie oberhalb des Gürtels. Ausführlich hierzu Brinker-von der Heyde 1996, S. 66–72. Höfisches Vorbild für eine solch prächtige Wortvorstellung eines Gewandes ist die Schilderung des Jagdgewandes der Dido im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (V. 1687–1733). 747 samît. Siehe zu V. 401. 758 neben. Die Hs. A hat hier gegen, was durchaus nicht zu beanstanden ist, und sogar einen besseren Sinn ergibt: gegen strecken beschreibt das Gegensäumen. 769–800 Der Gürtel der Florie ist ein kleines Gegenstück zum Gürtel Jorams; auch er besitzt durch den eingelegten edlen Rubin (V. 792ff.) eine magische Kraft, nämlich Trübsal und Verdruss zu vertreiben (Hinw. James Hamilton Brown: Imagining the Text: Exphrasis and Envisioning Courtly Identity in Wirnt von Gravenberg’s ‚Wigalois‘. Chapel Hill 2006, S. 48f.). 777 von golde ein ar. Die Gürtelschnalle wiederholt das bereits genannte Wappenbild (vgl. V. 404–06).

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778 gesmelze. Schmelzwerk (BMZ II.2, 430a), eine farblich dem Bernstein ähnliche Legierung aus Gold und Silber (electrum), Erz und Gold (pyropus) oder (häufiger) Email, Glasfluss auf Metallgrund (piropus liquamen; Grimm DWB, Bd. IV.1.2. 1897, Sp. 3944). 780 spängel. Sie gehören mit zur rinke (V. 776). Von Benecke 1819, S. 709 spengel, n. als „kleines Schloss, womit der Gürtel zusammen gehalten wird“, S. 441 aber als „mit spængeln, goldenen Haken, in der Form von Tieren, zusammen gehaket“ erklärt; vgl. BMZ II.2, 479b: „kleine spange zum heften des Kleides und zum schmuck“ und ebd. „gürtelspengelin stn. gürtelschnalle“. 787f. ichn gesach ir nie deheine geworht âne zungen. Vgl. V. 860ff. swaz ich ûf si mac geladen … mit worten. Es geht hier (V. 788) um „tatsächlichen“ Schmuck, diu rinke, (ohne die Beteiligung einer geschickten Zunge), an der späteren Stelle um die in der Phantasie, mit bloßen Worten noch gesteigerte, schmuckbeladene Gesamterscheinung (vgl. Benecke 1819, S. 441; Thomas 1977, S. 47). – Für eine andere Deutung, den Dorn einer Schnalle, fehlen die frühen Belege (anders Brinker-von der Heyde 1996, S. 67, Anm. 31; der fehlende Dorn solcher Schnallen sei durch Haken ersetzt). Vgl. Grimm DWB, Bd. XVI. 1954, Sp. 606, zunge (6): „der dorn in einer schnalle“, „zunge in eym gurtel“ (Glossar 15. Jh.). 809 von einer hiute vischîn. Robbenfell, auch schînât genannt; vgl. Konrad von Würzburg: Trojanischer Krieg, V. 20240ff.: ez rinnet ûz dem paradîs ein wazzer lûter unde frisch, daz biuwet einer hande visch, der hât an im ein edel hût. mit sînem glanzen velle trût gestemmet stuont diu rîche wât. sô wunneclichen schînât getruoc nie ritter noch gebûr. noch blâwer dann ein fîn lâsûr schein dâ sîn varwe reine … Die Erklärung Konrads ist so abenteuerlich wie die Herstellung der Seide durch den Salamander (siehe zu V. 7435–54). Wirnt ist an dieser Stelle der Wirklichkeit näher: nach ihm stammt die „Fischhaut“ aus Irland (Iberne, V. 811). 817 siglât. Siglat (Seidenstoff, bisweilen zweifarbig oder mit Goldfäden) als Stoff des Mantels bedeckt das kunstvollere Pelzwerk (Futterseite). Vgl. Brüggen 1989, S. 292f. 819 diu tassel. Zwei Scheiben in Schulterhöhe des Mantels vorne, die mit einer Tasselschnur verbunden werden. Vgl. Brüggen 1989, S. 253 u. 83ff. 824f. Der Amethyst wird hier als roter, der Hyazinth (jâchant) als gelber Edelstein bezeichnet (vgl. V. 820, rôt unde gel). Vgl. Brinker-von der Heyde 1996, S. 68, Anm. 35. 826 Der zobel als edler Pelz wurde hier als Brustschal vor der Mantelöffnung getragen. Vgl. Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 10928ff.: dâ [vor dem Mantel Isoldes] stuont ein hövescher zobel vor … weder ze smal noch ze breit, gesprenget, swarz unde grâ: swarz unde grâ diu wâren dâ alsô gemischet under ein. 831 der herre Âmor. Als Symbol der Verheißung des durch die Kleidung sorgfältig Verdeckten fungiert hier der Liebesgott. Vgl. Brinker-von der Heyde 1996, S. 71; Kern/ Ebenbauer 2003, S. 61ff. 856–62 „Wirnt ist sich über sein Konstrukt im Klaren: Er hat ein ‚Wort‘wesen geschaffen, ein Kunstprodukt …“ (Brinker-von der Heyde 1996, S. 69). S. zu 787f. 876f. Blonde Locken hängen links und rechts der Brauen herab, „trotz gebundener Zöpfe!“ (vgl. V. 863f.), wie Brinker-von der Heyde 1996, S. 68 bemerkt.

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899 gemischet ergibt keine einheitliche Farbe (etwa Rosa), sondern Farbwechsel (vgl. BMZ II.1, 187a): untermischt, eine andere Farbe dazu gebracht. 941f. Vgl. Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 1582f.: diu saelde het zuo im gesworn / zeim staeten ingesinde. 960–1018 Vermählung von Florie mit Gawan: Erst am Ende des Abschnitts erfährt der Leser/Hörer, dass Joram in seiner Eigenschaft als Oheim die Tochter seiner Schwester vermählt (V. 1013f.). Dies tut er nach den Prinzipien des Avunculats stellvertretend für den wohl schon gestorbenen Vater Flories. (Zum Avunculat – nach einem Ansatz von Karl Bertan – vgl. Theodor Nolte: Das Avunculat in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Poetica 27 [1995], S. 225–253). – Zum Ablauf der Eheschließung vgl. Schröter 1985, S. 199f. (Übergabe durch den Brautvormund, Zustimmung des Bräutigams und wechselseitiges Nehmen von Braut und Bräutigam). 987 Man beachte den Sprecherwechsel! Gawein spricht von V. 964 bis 987, danach setzt unvermittelt der Erzähler den Kommentar fort: Gawein konnte von ir gewizzen (V. 989, 994) noch nichts erfahren haben und die Lektüre Ovids ist dem Haudegen wohl ebensowenig zuzutrauen. 991 Ôvîdîus, Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. – 17. n. Chr.), wird hier als Autorität für das Lob schöner Frauen bemüht; selbst eine so ausgewiesene Kapazität (er galt dem Mittelalter ganz allgemein als praeceptor amoris) in der Schilderung weiblicher Schönheit müsste vor Florie kapitulieren, weil ihm die Worte fehlten. Vgl. Kern/Ebenbauer 2003, S. 447. 1009 Das Weinen der Braut, als sie in Treue den Bräutigam nimmt, wie er sie zuvor genommen hat, ist Zeichen der mädchenhaften Scheu vor der Heirat (so Schröter 1985, S. 75), aber kein „traditionelles Zeichen“ von Scham- und Tugendhaftigkeit, wie Fasbender 2010, S. 58 angibt. 1036–49 Das Rad der Fortuna aus rotem Gold, mitten im Palast aufgestellt, hat im Straßburger Alexander einen Vorläufer: mitten in ir palas ein scône tier geworht was, daz was alliz golt rôt … (V. 6001–6029). Ein Hirsch mit zahlreichen Hörnern, auf dessen Spitzen Vögel sitzen, zu dessen Füßen zwei Hunde lagern und die mit Blasebälgen von zwölf kräftigen Männern zum Singen und Bellen gebracht werden. Automaten der letzteren Art waren aus Byzanz bekannt, vgl. Constantin Canavas: Automaten in Byzanz. Der Thron von Magnaura. In: Automaten in Kunst und Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von K. Grubmüller u. M. Stock. Wiesbaden 2003, S. 49–72. Ein von Wasserkraft getriebener Automat wie das Glücksrad und das Brückenrad des Roaz (V. 6774ff.) allerdings ist weder in der Antike noch im byzantinischen oder arabischen Raum belegt (vgl. die Beiträge im ebengenannten Sammelband). Sie tauchen unvermittelt in der Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts auf. 1073 swærre muot. Der Komparativ des Adjektivs ist steigernd zu übersetzen (‚recht‘, ‚sehr‘). Vgl. Paul/Schröbler/Wiehl/Grosse: Mhd. Gramm. 24. Aufl. 1998, § 203, A. 4 u. § 396. 1081 swære. Hier vielleicht auch die ‚anderen Umstände‘ (gravitas); vgl. BMZ II.2, 811b (swære, adj. [!], Buchstabe e: schwanger, lat. gravidus). 1095–97 Eine andere Möglichkeit, in das verschlossene Land König Jorams zu gelan-

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gen, wird V. 1195–97 erwähnt: wer den Gürtel bei sich trägt, kann ebenfalls in das Land hinein gelangen. 1158f. Dass Gawein einen Teil der Geschehnisse verschweigt (wohl seine Heirat mit Florie), wird hier damit begründet, dass sein Herz sich zu ihr zurück sehnte: er plant bereits erneut den heimlichen Aufbruch (vgl. V. 1110f. und 1175: vil tougenlîch). 1163 daz der hof ganzer stêt. Der Überlieferung ist der Objektsatz unproblematisch; dennoch fragt sich, wie er aufzufassen ist: ganzer könnte Komparativ (‚noch vollkommener‘) oder flektiertes Adjektiv sein (eine nähere Bestimmung zu stêt: ‚unverletzt‘, ‚heil‘). Das Präsens stêt wird im zweiten Hauptsatz (des vreut er sich) beibehalten. 1195–97 „Da der Gürtel der Schlüssel für den Eintritt in Jorams Reich ist, kann Gawein nicht mehr zurückkehren. Eine etwas unglücklich gewählte Motivierung, um den Musterritter der Artusrunde nicht an Frau und Land zu verlieren.“ (Miklautsch 1991, S. 90, Anm. 146). 1216–19 Zum Zeitpunkt der Rückkehr Gawans an den Artushof ist Wigalois bereits zwei Jahre alt. Da der Vater seine Gattin Florie schon weit vor der Entbindung verlassen hatte, fehlte er etwa zweieinhalb Jahre am Hof (ein halbes Jahr verbringt er in Jorams Reich, V. 1053; ein weiteres halbes Jahr benötigt er für die Rückkehr zu Artus, V. 1130; von dort bricht er wohl gleich wieder auf, verbringt ein Jahr vergeblicher Suche nach dem Zugang in das verschlossene Land, V. 1190; auf Nachfrage erfährt er, dass es keinen Zugang gebe, V. 1203ff., und er kehrt zum Artushof zurück, V. 1216f.). Die für die abermalige Rückkehr benötigte Zeit wird vom Erzähler nicht angegeben; sie beträgt die ebenso im Unpräzisen belassene Zeit zwischen Flories Abschied von ihrem Mann und der Geburt des Kindes. 1226f. Der Held wächst doppelt so schnell heran als gewöhnliche Kinder. Es ist ein weit verbreitetes Motiv, dass ein außergewöhnlicher Held dies schon in frühester Kindheit zeigt. Herkules erwürgt die Schlangen in seiner Wiege; Ogier benötigt zwei Ammen, die ihn säugen und der Heilige Nikolaus fastet bereits als Säugling, da er Freitags die Brust verweigert. In der zeitgenössischen deutschen Literatur ist das schnelle Heranwachsen des Helden von Alexander um ein Mehrfaches übertroffen: er gedeih baz in drin tagen dan alle andere kint, sô si drîer mânede alt sint (Straßburger Alexander, V. 142ff.). – Motif-Index, T 615 Supernatural growth. 1234f. ein rîchiu künigîn. Wigalois dient bis zu seinem zwölften Lebensjahr einer ungenannten Königin (der Gattin Jorams?) als Page. 1256 buhurdieren. Der Buhurt (BMZ I, 735b) ist ein Kampfspiel, das zwischen zwei ritterlichen Scharen ohne (bzw. mit stumpfen) Waffen und den Schilden ausgetragen wird: ein gegenseitiges Abdrängen. stechen. Das Lanzenstechen im Zweikampf (BMZ II.2, 623b). 1258 schirmen. Fechten (nicht nur den Schwerthieb des Gegners parieren; BMZ II.2, 162a). schiezen. Den Wurfspieß (gêr, gabilôt) auf ein Ziel werfen. 1273–1315 Das Motiv der Vatersuche ist im Heldenepos Biterolf mit ähnlichen Zügen gestaltet: der junge Held Dietleib versichert ebenso wie Wigalois, nicht ohne den Vater zurückzukehren (Biterolf, V. 2077–2080), der sein Herzogtum Toledo (ursprünglich wohl ein verschlossenes Land: Biterolf wird der Vogt von den Bergen genannt; V. 4179 u. ö.) und

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seine Frau Dietlint verlassen hatte, als sein Sohn zwei Jahre alt war. Dietleib kommt zum Hof König Etzels, in dessen Gefolge sein Vater unter dem Namen Diete seit Jahren dient, gibt sich aber nicht zu erkennen. Auf die Frage Etzels, was er beabsichtige, antwortet der schöne Unbekannte (Dietleib), er wolle am Hof bleiben, von dessen Größe er schon gehört habe. Vater und Sohn sitzen unerkannt an der Tafel beieinander. 1265 wol in. Vgl. die Anm. Kapteyns im Apparat z.St.: „A in, die übr[igen Hss.] im (vgl. zu 5400, wo der alte akk[ussativ] besser überliefert ist)“. 1301 verligen. Seit dem Erec Hartmanns von Aue (V. 2966–98, v.a. 2971) Topos der höfischen Literatur (u.a. im Iwein Hartmanns, V. 2790ff., auch Gregorius, V. 1675ff., Wernher der Gartenaere: Helmbrecht, V. 328) für ein unritterliches Leben fern der Gesellschaft, kriegerischen Bewährung und Auszeichnung. Vgl. Seelbach 1987, zu Helmbrecht, V. 328. 1311 Vgl. Hartmann von Aue: Armer Heinrich, V. 628: nû gunnet mirs, wan ez muoz wesen. Auch hier fordert ein Kind von den Eltern etwas ein, was es längst für sich als beschlossen betrachtet. 1317 Flôrîe. Vgl. V. 5816f.: mîn muoter, von Syrîe diu süeze Flôrîe. In der Liste der Schönheiten im Jüngeren Titurel begegnet Str. 1646,1 Florie von Syrie. Vgl. zu V. 4056. 1319f. Florie hat 20 Jahre auf die Rückkehr ihres Gatten Gawein gewartet; mit ihr der zum Zeitpunkt des Verlassens noch ungeborene Sohn Wigalois. Er ist also zu Beginn seiner Vatersuche noch keine 20 Jahre alt. 1364–75 Florie übergiebt dem Sohn den Gürtel, von dessen Zauberkräften sie offenbar nichts weiß. Sie erfüllt damit einen Auftrag Gaweins, der seinerseits schon von der Geburt eines Sohnes und Erben wusste, und dass er ihn, wenn er zum Manne gereift wäre und auf Aventiure ausreiten würde, gebrauchen könnte. 1376f. Der Rat der Mutter, den kostbaren Gürtel niemandem zu zeigen, führt dazu, dass er seine Funktion als mögliches Gnorisma nicht erfüllen wird. Gawein hätte seinen Sohn wiedererkennen können, als er ihm am Artushof als Ausbilder anvertraut wurde. Vgl. V. 1601–03. 1410 den tumben tump, den wîsen vruot. Wirnt verwendet das Sprichwort nicht in dem Sinne, dass der Umgang mit Weisen weise mache, der Umgang mit Toren zur Torheit verführe (so in der Bibel, Prv 13,20), sondern als jeweils angemessenen Umgang mit einfachen oder verständigen Menschen. Das Sprichwort findet sich bei Freidank, V. 85,13f.: Mit tumben tump, mit wîsen wîs, daz was ie der werlde prîs; Handbuch Sentenzen 1, S. 212f. (Wigalois, V. 1408). 1418f. einen schaprûn … von fritschâle. Der Kurzmantel eines Pagen (garzûn) ist auch bei Eilhart von Oberge: Tristrant (Hrsg. von Franz Lichtenstein. Straßburg 1877), V. 8232ff. aus dem kostbaren (Woll-?)Stoff gefertigt. Vgl. BMZ III, 410b u. Brüggen 1989, S. 291. – Eine (zufällig?) weitgehend übereinstimmende Schilderung eines dem Helden entgegenlaufenden Pagen ist im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven, V. 2595ff. zu finden: dô lief zuo in ein garzûn. | scharlât was sîn schaprûn, und er trägt wie höfische Knappen es zu tun pflegen: wîz hantschuohe, niuwer huot (vgl. Wigalois, V. 1422, 1428). 1420 zendâle. Ein leichter, dünner Seidenstoff (Taft). Vgl. BMZ III, 895b u. Brüggen 1989, S. 293.

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1425 seites von der gran. seit (sagetum) ist ein leichtes Wollzeug aus Ziegenhaar (BMZ II.2, 242a; Ulrich Seelbach 1987, zu Helmbrecht, V. 140) und gran/grân (grana; BMZ I, 565a) ein roter Färbstoff. Vgl. Brüggen 1989, S. 287. 1428–30 Handschuhe und Stab sind Insignien des Gesandten oder Boten: BMZ II.2, 593a (Konrads Rolandslied, Strickers Karl). Welche Technik der Page mit dem Stab anwendet, um schneller voran zu kommen, ist uns unklar: wie die Hirten in den Alpen bergab springend oder um sich freie Bahn zu schaffen? 1434 brîsschuoch. Schnürschuh (BMZ III, 224a; vgl. buntschuoch 224b). Vgl. Brüggen 1989, S. 210. 1446f. Vom Turnier des Königs von England gegen Artus von Britannien erfährt man nichts weiter: ein blindes Motiv. 1472 Wigalois benötigt mit den neun Tagen erheblich weniger Zeit, zum Artushof zu gelangen, als sein Vater von dort zum verschlossenen Land Jorams (zwölf Tage bis zur Ankunft, V. 648). 1478 breiten stein. Einen Ehrenstein (Tugendstein) am Artushof kennt auch Ulrich von Zatzikhoven im Lanzelet, V. 5177ff., eigenartigerweise spricht er davon als einer dem Publikum nur zu bekannten Sache: Nuo saz Wâlwein [niederländische Namensform!] der reine ûf der êren steine, von dem ist iu gesaget gnuoc, daz er dem man niht vertruoc, an swem was falsch oder haz. Für die Frauen wird die Mantelprobe veranstaltet (Lanzelet, V. 5835–6140). Der zauberkräftige Stein, auf dem der zum Artushof gelangende Ritter Platz nimmt bzw. ihn als Trittstein benutzt, um bequemer vom Pferd zu kommen, beweist augenfällig die Prädestination des Helden. Er scheint im Lanzelet und im Wigalois eine Mischung aus dem gewöhnlichen Trittstein, den Artus im Erec Hartmanns von Aue nutzt (daz der künec Artûs dâ erbeizete und ouch ûf saz, V. 1203f.; und Iders macht selbstverständlich von dem steine, der was breit, den richtigen Gebrauch; bei Chrétien: Erec et Enide, V. 1171, perron) und dem siége perilus (Sitz ‚Gefahr‘) an der Tafelrunde, den nur der Würdige einnehmen darf. Möglicherweise ist der in mündlicher Tradition bekannte Arthurische Trittstein von Chrétien bewusst ‚entzaubert‘ worden (warum sonst lässt er ausgerechnet Yder dort vom Pferd steigen?). Vgl. zu beiden Motiven Christine Kasper: Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren: Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur, vornehmlich des dt. Sprachraums. Göppingen 1995, S. 256–267 und 267–282; dazu auch Kragl 2006, Bd. 2, S. 1209f., zu Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 5178f. 1564–66 Vgl. Biterolf, V. 3303–07: Da fraget er [König Etzel] jn der maere, wohin sein will ware, oder ob er wolte da bestan, da sprach der kindische man: ‚herre, ich waer gern hie […]‘. 1574 Gwî von Gâlois. Der Name Gwîgâlois (vgl. V. 1658) wird einzig an dieser Stelle als Herkunftsname erklärt. Demnach befindet sich das Umschlossene Land seines Oheims Joram und das seiner Mutter in Gâles/Gâleis (Wales) oder ist mit diesem identisch. Bemerkenswert ist, dass die Hs. A den Buchstaben o von galoys aus einem e korrigiert hat, also zunächst richtiger galeys schrieb. Möglicherweise ist die Hybridform von Gâlois kein Fehler Wirnts, sondern bloß einer der Überlieferung.

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1597–1600 Wigalois kennt den Namen seines Vaters (V. 1305), seine Taten (1275ff.) und soll doch den Vater nicht wiedererkennen? Ebenso Gawein: Er hört Wigalois das Umschlossene Land nennen (V. 1575), in dem er einst selbst war, und fragt dennoch nicht nach Florie? An dieser Schnittstelle ist die Enfance nicht organisch mit der Suche nach dem unbekannten Vater verwoben. Vgl. Nachwort, S. 274. – Überzeugender gelöst ist die Begegnung von Vater und Sohn im Biterolf, V. 3319–24: Der Sohn hatte bei seiner Aufnahme am Etzelhof seinen Namen nicht preisgegeben und der Vater trug den Namen Diete statt Biterolf. Erst als es später fast zu einer agonalen Begegnung im Heer kommt, können sich Dank des Eingreifens Rüdigers von Bechelaren (der ihre Herkunft und wahre Identität entdeckt) Vater und Sohn erkennen. 1621 got, der die sînen nie verlie. Anspielung auf das bibl. Sprichwort (Ps 36,28: „Quia Dominus … non derelinquet sanctos suos“), „Gott verlässt die Seinen nicht“; TPMA 5, s.v. Gott 26.10; Handbuch Sentenzen, S. 215–217 (Wigalois, V. 1618). 1634 von scharlach und von pfelle. Nach mlat. scarlatum, ein „kostbares Wollgewebe“ (Brüggen 1989, S. 282; vgl. 282–287). Zu pfelle s. zu 705. 1642–44 daz geschach … an dem heiligen pfingestage daz der knappe swert nam. Zwischen der Ankunft Wigalois’ am Artushof und der Schwertleite liegt eine unbestimmte Zeit. Er wird in diesem Zeitraum von seinem Vater Gawein weiter ausgebildet (V. 1601f.), wartet dem König täglich auf (V. 1607ff.), reitet mit den Tafelrundenrittern zu Turnieren (V. 1610ff.). Ob dieser Zeitraum einige Monate oder über ein Jahr betragen hat, wird nicht berichtet. Daher könnte Wigalois zum Zeitpunkt seiner Schwertleite gerade über 20 Jahre alt sein – oder sein 21. Geburtstag stünde bald bevor. – Der Wigalois stimmt also nicht zu jenen Erzählvarianten des Bel Inconnu-Typs, in denen der Held bereits am Tag seiner Ankunft von Artus das Geschenk erhält, die Aventiure zu bestehen. Er dient wie Beaumains (in Thomas Malorys Sir Gareth) eine Weile (ein Jahr) am Artushof, bevor er zu der ihm bestimmten Aufgabe auszieht. 1675–77 Artus gibt erst hier Wigalois seinen Vater Gawein zum Gefährten, obwohl schon vorher derselbe als sein geselle bezeichnet wird (V. 1635) und er ihm zur Ausbildung übergeben wurde (V. 1601f.). 1701 pfelle. Siehe zu V. 705. 1702 samît. Siehe zu V. 401. 1716 verenden. Warum wechselt der Erzähler ins Präsens? Lexer III,105 deutet die Stelle als „Prät.“ (u.E. nicht zutreffend). 1717 zen naehsten sunewenden. Die Jungfrau Nerejea erscheint am Tag Johannes des Täufers (24. Juni). 1738 scharlaches. Siehe zu V. 1634. 1774–99 Zur (hier unproblematischen) Blanko-Bitte des jungen Wigalois an Artus, dessen Gewährung unter Vorbehalt und schließliche Äußerung vgl. das Nachwort, S. 290f. Zum Motiv der Blanko-Bitte (wenn die Initiative vom Gebenden ausgeht auch Blanko-Versprechen) vgl. Harald Haferland: Das Vertrauen auf den König und das Vertrauen des Königs. In: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 335–376, hier v.a. S. 338–345 („2. ‚Rash boon‘ und ‚Don contraignant‘: Zwei Seiten eines Motivs“, mit Über-

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blick über die einschlägige Forschung und inhaltlichem Schwerpunkt auf der Verankerung des Motivs im altadligen Skriptwissen des 11./12.Jh.); Sabine Seelbach 2007, S. 163–173 („keine Erfindung des höfischen Romans oder seiner keltischen Vorläufer“, sondern „eine der ältesten narrativen Konstruktionen überhaupt“, S. 164). 1819 palas. Siehe zu V. 222. 1827–30 Das selbstgewählte Wappen Wigalois’ ist ein goldenes Rad auf Schwarz; ebenso wählt sich Gahmuret von Anjou als fahrender Ritter statt des väterlichen Wappens ein neues Wappen: ein Anker von Hermelin auf grüner Seide (Parzival, V. 14,12–20). Dass Wolfram heraldisch anregend auf seine Nachfolger gewirkt hat, dazu vergleiche Heiko Hartmann: Heraldische Motive und ihre narrative Funktion in den Werken Wolframs von Eschenbach. In: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 157–181, bes. S. 173. 1863–66 Erinnerung an das goldene Rad seines Oheims Joram. Vgl. V. 1036–52. 1869 zimiere. Die Zimier ist die auf dem Helm angebrachte Helmzier und kann die Wappenfigur wiederholen. Vgl. Schultz 1880, Bd. 2, S. 60ff. 1924–26 Siehe zu V. 660. 1980 grôpiere. frz. croupìère, Pferdedecke. BMZ I, 578b. 2063 mîle. Ein Meile bestimmte sich bei den Römern, von denen die Bezeichnung in ganz Europa übernommen wurde, mit tausend Schritten (millia passuum) von je fünf röm. Fuß, d. h. 1,472 km, was der englischen Meile ziemlich nahe kommt (ebenfalls 5000 Fuß): 1,524 km. (Brockhaus Conversations-Lexikon. 13. Aufl. Leipzig 1885, Bd. 11, S. 586 f.). Die deutsche Meile der Neuzeit von 7,42 km und die englische entspricht (stark vereinfacht) in etwa der grôzen und der welschen (römischen) mîle des Mittelalters: die welsche Meile betrug 5000 Fuß (genauer: „8 Gewend à 625 Fuß“, Lexikon des Mittelalters. Bd. 6. 1993, Sp. 471 f.), die deutsche Meile 5000 Schritt zu je 5 Fuß oder zwei Wegstunden. 2154 sicherheit. Siehe zu V. 578. 2206 sîn. Statt es, des steht bereits der vom Reflexiv gebildete Genitiv der vergönnten Sache (Paul/Schröbler/Wiehl/Grosse: Mittelhochdeutsche Grammatik. 24. Aufl., § 214, Anm. 4). 2208–12 Das weiße bräkelîn mit dem roten Ohr scheint von derselben Rasse wie der bracke der Frau Dido im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (ein ôre was im rôt … ez was ein vil edel hunt und was wîz alse ein harm, V. 1772ff.); Hinw. Thomas 1977, S. 52. – MotifIndex, B 731.6.0.1 Polychromatic dogs. Vgl. zu 2543–51 (Pferd). 2212 rôt alsam ein bluot. Die Redewendung „rot wie Blut“ ist gemeingermanisch; irritierend ist der Gebrauch des unbestimmten Artikels ein, der dazu führte, dass die Wendung sowohl unter „bluot stm. blüte“ (BMZ I, 217b) als auch „bluot stn. blut“ (BMZ I, 218b) verbucht wurde. Vgl. die V. 2402, 6247, 6558 (‚Blut‘) und 4743, 5847, 11574 (‚Blüte‘). 2233 tymît. Gr. dimitos, Seidengewebe aus doppeltem Faden. Vgl. BMZ III, 37b; Brüggen 1989, S. 289f. 2236 knütel. Der Knüttel dient nicht als (bäuerische) Waffe, denn er greift Wigalois erst an, nachdem er fortgeritten ist und sich gewappnet hat. Aber welchem Zweck diente er dann? Vielleicht, um das Pferd oder die Jagdhunde anzutreiben?

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2289–92 Das (Phantasie-)Wappen des Eigentümers des Hündchens zeigt einen Hermelin-Schwan auf ungenannter Schildfarbe. Weitere wohl bloß literarisch fingierte Wappen finden sich V. 2997–99 (in rotem Schild der Tod), 4558–62 (rote Flammen in schwarz), V. 6569–72 (Mohammed auf einer Säule), V. 7363–66 (goldener Drache auf blau). Hinw. James Hamilton Brown: Imagining the Text. Chapel Hill 2006, S. 63. 2317f. Es gehörte sich nicht, einem toten Ritter das Ross oder auch den Harnisch (V. 2322) zu rauben; auch dem erschlagenen Amire hatte ein Unbekannter sein Ross an einen Lindenast gebunden (V. 9951f.; da keiner Anspruch auf das Erbe erheben wollte oder konnte, starb es ebenso wie die treuen Windhunde – aber unfreiwillig – seinem Herrn nach). 2349–3285 Schönheitspreis und Kampf mit dem roten Ritter: Motif-Index, H 1596 Beauty contest; F 527.1.1 Red knight; Z 141 Symbolic color: red. 2356 eine juncvrouwen. Erst später mit Namen genannt: Elamie (V. 9126) von Tyrus (V. 9184). 2400 pfärit. Ein Reisepferd; BMZ II.1, 482b: „pfert ist der regel nach immer das reitpferd, das streitross dagegen ros oder ors.“ 2402 rôt alsam ein bluot. Siehe zu V. 2212. 2406 plîâte. Meist zweifarbiger Seidenstoff, wohl nach der Verwendung für den Oberrock (frz. bliaud) benannt; BMZ I, 205a; Schultz 1880, Bd. 1, S. 261f.; Brüggen 1989, S. 206 (Oberrock) und 269f. (Stoff) 2407 von rôtem siglâte. Siehe zu V. 817. 2411 guot härmîn. Dem Adjektiv (‚gefertigt von, aus Hermelinpelz‘) kann ein weiteres Adjektiv vorangestellt werden zur Bezeichnung der Qualiät des Hermelins (lieht, wîz, guot). Vgl. die Stellensammlung bei Brüggen 1989, S. 60f., Anm. 171. 2543–52 Das als Schönheitspreis ausgesetzte Pferd ist vergleichbar mit dem Pferd der Camilla in Heinrichs von Veldeke Eneasroman, V. 5241: Vernemet scône hovescheit. Hier ist es weiß, das linke Ohr und die Mähne sind rot, das rechte Ohr ist schwarz. Beim Pferd der Camilla sind das linke Ohr und die Mähne weiß, das rechte Ohr schwarz (Eneasroman, V. 5244–65). Da eine Pferdebeschreibung zu den Erwartungen des Publikums gehörte, wird sie von Wirnt ebenso geboten wie im Eneasroman oder im Erec Hartmanns von Aue (Pferd der Enite, V. 7286ff.). 2677 eteswâ. Eigentlich „hie und dort, hin und wieder“ (BMZ III, 518a), aber an dieser Stelle wohl eher mittelhochdeutsche mâze des Ausdrucks: ‚überall‘. 2683 mîn niftel. Diese Verwandschaftsbezeichnung (BMZ II.1, 332b) wird zunächst für die ‚Schwestertochter‘ als auch die ‚Mutterschwester‘ (hier jedoch öfter: muome) verwendet, bezeichnet darüber hinaus aber auch die weiblichen Verwandten derselben Generation (Cousine). Elamie und die Königstochter sind etwa im gleichen Alter zu denken. Für den Fall der Bedeutung ‚Mutterschwester‘ wäre auch die Mutter der Elamie eine persische Prinzessin, die einem König von Tyrus vermählt worden wäre. Wenn es sich um die ‚Schwestertochter‘ handelte, so hätte eine (ältere) Prinzessin (und Schwester der Elamie) von Tyrus den persischen König geehelicht und eine Tochter zur Welt gebracht. Am wahrscheinlichsten jedoch sind Elamie und die Königstochter Cousinen, d.h. die Töch-

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ter zweier Schwestern, deren eine den König von Tyrus, die andere den König von Persien zum Ehemann nahm. 2713–22 Ein buoch, in dem von der Zerstörung Trojas, der Flucht des Eneas und dem Empfang durch Dido berichtet wird, ist den Hörern/Lesern Wirnts bekannt: Die persische Königstochter lässt sich aus Heinrichs von Veldeke Eneasroman vorlesen. Das Publikum war vertraut mit den antiken Erzählungen, die Troja-Thematik begegnet in Romanen und Erzählungen sehr häufig. Angefangen als bildliche Darstellung auf Enites Sattel (Hartmann von Aue: Erec, V. 7545ff.), oft aber auch als Vorlesestoff. Vgl. die Zusammenstellung bei Seelbach 1987, S. 29–31 (zu Wernher der Gartenaere: Helmbrecht, V. 45–53) und ausführlich Kern/Ebenbauer 2003, S. 18ff. u. 218ff. 2723 niftel. S. zu V. 2683. 2739–46 Das Lösen der Riemen, ein frisch zubereitetes Bad und Neueinkleidung gehört zum Ritual einer höflichen Begrüßung eines fahrenden Ritters im Roman. Mit riemen und snuoren wurde der Halsberg oder die ganze Rüstung (ein Kettenpanzer in Einheitsgröße) auf Passform getrimmt, der sonst nicht korrekt am Körper anliegen würde. Nach der Aufschnürung, für die man einen Knappen oder eben die höflichen Damen bemühte, konnte der Kettenpanzer über den nach vorn geneigten Kopf ‚abgeschüttet‘ (siehe zu V. 495) werden (die ineinandergeflochtenen Ringe rieselten zu Boden). 2748 von pfelle und von rôsâte. S. zu V. 705. Auch der rôsât war ein kostbarer Seidenstoff, entweder nach der Farbe des Stoffes oder nach eingewebten Rosen so benannt. Vgl. BMZ II.1, 765b; Brüggen 1989, S. 278. 2772f. got … gestuont dem rehten ie. Vgl. Bibel, Ps 36,17 „Confirmat autem iustos Dominus“. Handbuch Sentenzen 1, S. 222–225 (Wigalois, V. 2772). Dazu Ps 36,39f.: „Salus autem justorum a Domino, et protector eorum in tempore tribulationis. Et adjuvabit eos Dominus, et liberabit eos, et eruet eos a peccatoribus, et salvabit eos, quia speraverunt in eo.“ (‚Aber der Herr hilft den Gerechten; der ist ihre Stärke in der Not. Und der Herr wird ihnen beistehen und wird sie erretten; er wird sie von den Gottlosen erretten, und ihnen helfen; denn sie trauen auf ihn.‘) 2807 guot kneht. Ist die Anrede für den Ritter; vgl. BMZ I, 852a (kneht 4). „respektvolle Anrede für einen tüchtigen, angesehenen Ritter: ‚(tapferer) Ritter, edler Krieger‘ (Jesko Friedrich: Phraseologisches Wb. des Mhd. Tübingen 2006, s.v. kneht). 2823 sô sî iu von mir widersaget. Die förmliche Aufkündigung von Frieden und Freundschaft oder Fehdeankündigung (BMZ III, 22b); sie muss angesagt werden, sonst gilt der Angriff oder die Kriegshandlung als unrechtmäßig. Außerdem muss dem Gegner eine angemessene Zeit gewährt werden, sich zu wappnen oder anderweitig zu reagieren. 2843–45 Das Vorurteil, Rothaarige seien hinterhältig und böse, wird vom Erzähler nicht geteilt. Wirnt knüpft hier an die bereits positiv besetzte Gestalt eines roten Ritters an, nämlich an Ither von Gaheviez, der im Parzival Wolframs von Eschenbach als rothaarig und von blassem Teint geschildert wird: blanc was sîn vel, rôt was sîn hâr (V. 146,3). Sein Charakter ist edel und den Tod hat er laut Erzählerkommentar nicht verdient: hier wurde der valscheit widersatz (V. 155,11) getötet. Ganz anders noch fiel die Bewertung von Rothaarigkeit im Ruodlieb aus (bes. V. 451f.). Vgl. auch die Sprichwörter bei Karl Friedrich

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Wilhelm Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig 1867, Sp. 1743f. (Rothbart; Rothhaariger). 2861f. von Mannesvelt geborn, der grâve Hôjir. Hojer ist der Leitname der älteren Grafen von Mansfeld. Zu Wirnts Zeiten gab es allerdings keinen Grafen, der diesen Vornamen noch trug. Er wird in Erinnerung an die z.T. hochberühmten Träger des Namens einem zur Zeit von Artus lebenden sagenhaften Vorfahren zu Ehren der sächsischen Grafenfamilie beigelegt worden sein. Vgl. Nachwort, S. 280f. 2872 verligen. Siehe zu V. 1301. 2922f. wand er [Gott] nam ie des rehten war; ân in kan ich niht strîten. Anspielung auf die Bibel, Ps 36,17; Handbuch Sentenzen 1, S. 232f. (Wigalois, V. 2922). Vgl. V. 2773. 2938 niwan durch sînen übermuot. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 7657: niuwan durch ir übermuot. Die Unrechtmäßigkeit des Roten Ritters wird durch die Aufnahme der prägnanten Formulierung aus dem Text Hartmanns (Schlichtung des Schwarzdorn-Erbstreits) unterstrichen. 2975 Die Messe ist eine Dreifaltigkeitsmesse, jedoch nicht Trinitatis im Kirchenjahr, d.h. der Sonntag nach Pfingsten (Hermann Grotefend: Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Bd. 1. Hannover 1892, S. 63), denn die Sommersonnenwende wurde bereits überschritten (siehe zu V. 1717). Trinitatis wurde erst im Spätmittelalter fest auf den 1. Sonntag nach Pfingsten gelegt, in der Zeit davor konnte das Festum trinitatis an einem der Sonntage nach Pfingsten gehalten werden (Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl. Bd. 6. 1962, Sp. 1041). Eine zweite Möglichkeit wäre eine Votivmesse für die Dreieinigkeit (üblich für den Wochentag Montag; vgl. Anselm Schott: Das Messbuch der Heiligen Kirche. 49. Aufl. Freiburg i.Br. 1941, S. [77]). Die Votivmesse war im Mittelalter noch nicht an einen bestimmten Wochentag gebunden. 2997–99 zum Phantasie-Wappen (allegorische Figur des Todes) siehe zu 2289–92; es handelt sich nicht um einen Totenkopf (so James Hamilton Brown: Imagining the Text. Chapel Hill 2006, S. 63)! 3046 kreiz. Kampfplatz, Ring. Vgl. BMZ I, 878b. 3075 sichern (auch V. 3093). Dasselbe wie sicherheit geben, tuon, leisten. Siehe zu V. 578. 3120 ir sît aller êren wert. Diese so formulierte Ehrbezeugung erhält sonst nur noch der Held Wigalois selbst zugesprochen, von Graf Adan (V. 7236) und Graf Moral (V. 8586). 3177 niftel. Siehe zu V. 2683. 3197 sînen zoum vie si mit der hant. Den Zaum ergreifen scheint eine Rechtsgeste zu sein: die besitzergreifende Geste einer Frau ist auch im Parzival, V. 44,3 erwähnt. Hier ergreift Belakane den Zügel von Gahmurets Pferd und führt es; danach wird er ihr Geliebter und Gatte. Das zoumen hat wohl zwei Grundbedeutungen: Es ist (1) einerseits der Dienst von Untergebenen (meist Knappen), die das Pferd ihres Herrn oder ihrer Herrin am Zaum führen (Nibelungenlied B, Str. 579,3; Parzival, V. 227,20) und (2) andererseits die Gefangennahme, indem man das Pferd des Gegners ins eigene Lager führt (Hartmann von Aue: Gregorius, V. 2142; Wigalois, V. 11077; Konrad von Würzburg: Engelhard, V. 2762ff.). Eine bildliche Darstellung der Gefangennahme König Richards I. Löwenherz 1192 mit der Geste des

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zoumens ist in der Chronik des Petrus von Ebulo, um 1195, zu finden (Abb. in: Manfred Akermann: Die Staufer. Stuttgart 2003, S. 63). Führt nun den ersten Dienst ein im gesellschaftlichen Rang Ebenbürtiger durch, so ist es eine Geste äußerster Höflichkeit (dem Stratordienst, dem Bereithalten des Zaums und Steigbügels, vergleichbar; Nibelungenlied B, Str. 582,1; Wigalois, V. 8913, 8921). Führt eine Frau die Geste der Gefangennahme aus, so dürfte sie einer Besitzergreifung, der Anmeldung eines Anspruchs gleichkommen. 3277 baz danne ze tûsent marken. Die Summe steht für einen ‚ganz erheblichen‘ Wert und ist formelhaft. Vgl. Nibelungenlied B, Str. 1281,2; 1374,3; 1702,4; Walther von der Vogelweide, L 19,20 (tûsent pfunt) und Wigalois, V. 66. 3297–3308 Das gezelt ist hoch, geräumig und gestreift wie die pavelûne Mabonagrins im Erec Hartmanns von Aue, V. 8901–25. 3329 Der des gezeltes herre was. Der Name, Schaffilun, König von Medarie und Belakun, wird erst V. 9095f. bekannt. 3405–18 Schaffilun befindet sich bereits zehn Jahre vor Ort, um den Kampf gegen Roaz zu bestehen. Er hat nach und nach alle seine gesellen verloren, die diese Aventiure auf sich nahmen. Jetzt gehen seine Mittel zur Neige und er hat sich entschlossen, nicht länger seine Zeit im ‚Basislager‘ zu vertun, sondern die Herausforderung zu bestehen. Warum er erst jetzt um das Vorrecht kämpft, wird nicht recht klar. Der Verlierer jedenfalls solle nach Hause ziehen – der Verzicht auf die Aventiure wäre dann (nach einer Niederlage) ohne Gesichtsverlust möglich. 3519 zwêne schefte îwîn. Aus der Eibe (taxus) wurden Bögen und Armbrustteile gefertigt. „Das Holtz ist hart und dauerhafft, gut zu allerhand Schnitzwerck, Flitzbogen, Spiesen und Feilen.“ Zedlers Universal-Lexikon Bd. 42 (1744), Sp. 465–467 s.v. Tax, Eibenbaum, hier Sp. 466. 3523 puneiz. Das Substantiv (nach frz. pugneis) zum Verb punieren (V. 11087): „ich reite in voller rüstung mit eingelegtem speer, aus dem walap in die rabbîne fallend, in gerader linie auf meinen gegner los.“ (BMZ II.1, 542b; vgl. 543a) Das Anrennen der einzelnen Kämpfer oder Scharen mit eingelegten Lanzen. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 5311f.: und liezen von ein ander gân, dazs ir puneiz möhten hân. 3544 zwêne schefte eschîn. Schon in der Antike war die Esche bevorzugtes Holz zur Fertigung von Speeren (vgl. Homer: Ilias II, 543 f: „Lanzenschwingend, voll Gier, mit gestreckten eschenen (meliesin) Speeren Krachend des Panzers Erz an der feindlichen Brust zu zerschmettern).“ Wegen seiner großen Elastizität (vgl. Lexikon des Mittelalters. Bd. 6. 2002, Sp. 1002–1004, hier Sp. 1003) ist die Esche nicht für sportliche Wettkämpfe (Turnier) geeignet (ebenso wenig die 3519 erwähnte Eibe wegen ihrer Härte). 3734–48 Vgl. Hartmann von Aue: Armer Heinrich, V. 56ff. und 390ff. Durch den Hinweis auf die nie unterlassene Gottesliebe und Heilssorge Jorels wird die Heinrich-Vita im Hinblick auf ihren entscheidenden Makel kontrafaziert. 3763 niwan drîer jâr alt. Larie (V. 4056 erstmals namentlich genannt), die Erbin des Landes Korntin ist, als Wigalois nach Roimunt kommt, um ihr Land zu befreien, noch keine vierzehn Jahre alt, denn zehn Jahre währt der nächtliche Spuk in Korntin (V. 4316) und die Verzauberung des getöteten Königs in einen Leoparden.

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3777–79 Nach Aussagen Schaffiluns (V. 3401–04) haben bereits vor zehn Jahren Ritter begonnen, die Aventiure im Dienste der dreijährigen Larie zu bestehen. Demgegenüber ist die hier gelieferte (sekundäre) Motivation neu: die Schönheit der Umworbenen. 3853–78 ein tier … gar geschaffen als ein lêbart. Kapteyn sah in dem Tier einen „hirsch mit goldener krone im geweih“ (S. 81*), da er es mit dem Rehbock (V. 3894) auf dem Waffenrock des Truchsessen von Roimunt überblendete („Wappen von Roimunt: ein goldener rehbock bzw. leoparde“, S. 82*). Denruyter 1998, S. 124 deutet es als das Fabelwesen namens Pantel (so auch Gustav A. Seyler: Geschichte der Heraldik. Nürnberg 1890, S. 158). Zwar ist das Pantel oft mit zwei schwarzen Hörnern, Feueratem (V. 4528ff.) und schlankem Körper (die Greifenfüße kamen erst später auf) wie eine Großkatze dargestellt, aber – der Wohlgeruch des Atems und der Haut fehlt, mit dem das Pantel alle Tiere anlockt (dies wird beim Auftreten des Tieres nicht erwähnt). Vgl. Nigel Harris: gar süezen smac daz pantir hât. Der Panther und sein Atem in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters. In: Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Alan Robertshaw u.a. Tübingen 1999, S. 65–75. Allein wichtig für eine (auch heraldische) Deutung des Tieres von Korntin ist jedoch seine Bezeichnung: gar geschaffen als – völlig gleich einem Leoparden. 3861–68 Die Krone auf dem Haupt des Tieres ist mit zwei schwarzen Hörnern (kein Hirschgeweih!) überwachsen, deren Spitzen sich in die Krone klammern, so dass sie auch dann nicht entfernt werden könnte, wenn das Tier dies zuließe (Benecke 1819, S. 455). Die unlösbar mit dem Tier verbundene Krone ist Symbol dafür, dass Jorel weiterhin der König von Korntin ist, bis zu dem Tag, an dem er aus dem Fegefeuer entlassen wird (und die Herrschaft durch den Sieg über Roaz an Wigalois fällt). Eine heraldische Deutung ist darüber hinaus sicher möglich, als gekrönter Leopard oder Löwe. 3869f. ez hât in sînem munde die hitze. Das Tier besitzt (auch weil es aus dem Fegefeuer, V. 4669, kommt?) einen feurigen Atem, der sogar Stein und Eisen brennen kann (vgl. V. 4528–32) und die Burg Korntin allabendlich in Flammen aufgehen lässt (V. 4858–61). 3885–3954 Der Truchsess-Kampf ist hier als freundschaftliches Kräftemessen in aller Kürze geschildert. Im Bel Inconnu ist die letzte Bewährungsprobe vor Beginn der Hauptaventiure ein Kampf um die Herberge gegen Lanpart von Galigans, Seneschall der Esmerée (in der Übersetzung von Olef-Krafft 1995, S. 90–102). Danach ist die Botin Helie von der Vortrefflichkeit des Kämpfers endlich überzeugt. 3892 halsperc. Einen den ganzen Mann bis über die Knie bergendes Kettenhemd (aus Ringgeflecht) mit Kapuze. Vgl. BMZ I, 159b; Schultz 1880, Bd. 2, S. 34–36. 3894 rêchboc. Wenn der Rehbock auf dem Waffenrock das Wappenmotiv des Truchsessen von Roimunt wiederholt, so wäre sein persönliches Wappen ein goldener Rehbock (samît, Goldbrokat) auf Grün (V. 3893). Er trägt auf dem Schild jedoch das Wappen seiner Herrin, das Tier von Korntin. 3895 samît. Siehe zu V. 401. 3899 mit rôten keln. Die kel ist das rotgefärbte Kehlstück eines Pelzes (von der Kehle des Tieres); der Pelz dient hier als Helmdecke, zusammen mit dem weißen Hermelinstreifen.

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3903 ein schüzzel von golde. An der Schüssel als Helmzier (Zimier, siehe zu 1869) erkennt man den Truchsessen von Roimunt, der auf dem Schild das Wappen seines verstorbenen Herren führt. 3906 timît. Siehe zu V. 2233. Hier ist es ein grüner Seidenwimpel. 3909–15 Das Wappen von Korntin, das man wegen der Usurpation des Landes nur auf Roimunt führt, zeigt das goldene (vgl. V. 10919–22) Tier (wie V. 3853–78 beschrieben) auf blauem Grund. „Oder, mit anderen Worten: Das Wappen von Roimunt war ein goldener, eine Krone auf dem Kopfe tragender Leoparde, in himmelblauem Felde.“ (Benecke 1819, S. 456). Vgl. zum Wappen auch das Nachwort, S. 283. 3912 lâzûr. Lapis lazuli; heraldisch bedeutet lâzûr auch einfach die Farbe Blau (vgl. V. 6570). 3992 âne meisterschaft. Er „schuf sie durch sein blosses wort, nicht wie ein menschlicher meister“ (BMZ 126b, Z. 4), „dessen Werk langes Lernen und Üben erfordert“ (Benecke 1819, S. 657). 4019f. Aus Ehererbietung und Höflichkeit verneigt sich die Dame in die Himmelsrichtung des Landes und seines Königs, der ihr den Ritter zu ihrem Beistand gesendet hat. Vgl. die Stellensammlung bei Seelbach 1987, zu Helmbrecht, V. 1461f. 4056 diu schœne Lârîe. Rechtmäßige Erbin von Korntin (vgl. V. 7215f.). In der Liste der Schönheiten im Jüngeren Titurel begegnet 1646,2b von Kortin (korntin B) Larie. Vgl. zu V. 1317. 4069 Nêrejâ. Benecke 1819, S. 667 und Kapteyn 1926, S. 502 spielen an auf die Herkunft des Namens von den Töchtern des Nereus, Nereïdes; vgl. Kern/Ebenbauer 2003, S. 420. 4074 dô schuter ab sîn îsengwant. Siehe zu V. 495. 4079 pfelle. Siehe zu V. 705. 4088 scharlaches hosen streich er an. Die strumpfartigen Beinkleider des Mannes saßen sehr eng an und wurden aus diesem Grunde an den Beinen glatt gestrichen. Vgl. Brüggen 1989, S. 103f. Zum verwendeten Stoff siehe zu V. 1634. 4114 von pfelle und von samîte. Siehe zu V. 705 u. zu V. 401. 4136 sînes herzen bluot. Sein „Allerliebstes“. Benecke 1819, S. 539f. stellte es zu Blut, nicht zu Blüte (vgl. BMZ I, 219a, Z. 9ff.), revidierte dies aber später in der Iwein-Ausgabe (Hrsg. von G.F. Benecke und Karl Lachmann. Berlin 1827, S. 399, zu Iwein, V. 6446): der Beleg sei unter bluot, n. ‚Blut‘ zu streichen, dafür zu bluot, m. ‚Blüte‘ zu setzen, was Wigalois, V. 10218 (der ir herzen bluome was) und V. 11334 (ir herze ist ganzer triuwen flôs) nahelegen. Vgl. Yoshihiro Yokoyama: Blut oder Blüte des Herzens? Ein lexikographischer Problemfall im Mittelhochdeutschen. In: Zwischenzeiten – Zwischenwelten. Festschrift für Kozo Hirao. Hrsg. von Josef Fürnkäs u.a. Frankfurt/M. 2001, S. 173–204, hier vor allem S. 176f., 188, 200 und 203f. 4139 Vrou Minne. Die Allegorie der Minne veranschaulicht zusammen mit den Metaphern des Liebeskrieges (hamît, sichern, swern, ze gîsel geben, gevangen) die Gefühle, die den Helden überwältigen. 4140 hamît. Umzäunung, Verhau. Von afrz. hamede. Sowohl bei Turnier der Schutzraum einer Schar, in die auch die Gefangenen gebracht werden (hinter deren Linie man

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vor der feindlichen Schar sicher sein sollte und der nicht verletzt werden darf). Vgl. Nellmann 1994 zu Parzival, V. 114,27. 4143 sichern. Siehe zu V. 578 (und 3075). 4195f. Die nur in den Hss. C und L stehenden Verse lauten in Übersetzung: „das vertraue ich Gott an, dass ich es Euch geben werde“. 4210f. wæren mîn älliu rîche, sô daz ich keiser wære. Der Kaisertopos des Minnesangs; vgl. Minnesangs Frühling, 3,7: Wære diu werlt alle mîn; Kaiser Heinrich, ebd. 5,23f.: Mir sint diu rîche und diu lant undertân swenne ich bî der minneclîchen bin. 4220 Die Geste des sich zu Füßen mit ausgestreckten Händen niederknieenden und die Füße küssenden (V. 4228) Mannes ist Huldigungs- und Unterwerfungsgeste. Eine bildliche Darstellung der Huldigung König Richards I. Löwenherz 1192 vor Heinrich VI. ist in der Chronik des Petrus von Ebulo, um 1195 zu finden (Abb. in: Manfred Akermann: Die Staufer. Stuttgart 2003, S. 63). Vgl. (ohne begleitende Geste der Hände) Nibelungenlied B, Str. 467,2: si buten sich ze füezen (das Ingesinde Brünhilds, nachdem es die Waffen niedergelegt hat), um Gunther zu huldigen; ebenso Iders vor Ginover im Erec Hartmanns von Aue, V. 1213 (daz ich der selben schulde gewinne iuwer hulde, V. 1250f.); Cundrie vor Parzival im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 779,23f.; mit ausgestreckten Händen: Seifried Helbling I, V. 1316ff. 4238 helfe und rât. Gott wird hier als oberster Lehnsherr betrachtet, der Hilfe und Rat gewährt. Zur engeren lehensrechtlichen Bedeutung der Formel s. zu V. 7986. 4337f. der teile … den gewin mit swelhem vriunde er welle. Zwar gelangt der Aventiure suchende Ritter ohne schaden in das Land hinein, doch hat er dort Schaden zu gewarten. Den möglichen Gewinn kann er ebenso wie den Schaden teilen, mit wem er will (jedenfalls nicht mit ihm, dem Truchsessen). Die Zurückweisung des halben Gewinns wie des halben Schadens geht wohl auf eine sprichwörtliche Redensart zurück. Vgl. Seelbach 1987, zu Helmbrecht, V. 470. 4344 helfe unde rât. Siehe zu V. 4238. 4361 vegevaz. Ein hapax legomenon (einziger Beleg). Das Kettenhemd wurde in ein mit Sägemehl gefülltes Fass gelegt und gedreht. Diese Art ‚Waschmaschine‘ für Halsberg und andere Rüstungsteile entfernte vor allem die stets sich bildenden Rostspuren und andere Verunreinigungen und polierte die Ringe des Kettenhemdes auf Hochglanz. Das Reinigen und Glänzendmachen der Rüstung (vegen) kennen auch andere Autoren, erwähnen jedoch nicht wie der von Technik nachhaltig faszinierte Wirnt die mechanische Vorrichtung, das drehbare Fass (vgl. das dem vegen entsprechende afrz. roler; vgl. Schultz 1880, Bd. 2, S. 37). 4386 engarte. BMZ I, 481b: „seinen priesterlichen schmuck ausgezogen hatte“. 4399 der priester was gar âne meil. Für den Erzählfortgang ist das Vorleben des Priesters, der die Messe hält, ohne jede Relevanz. Wirnt musste einen besonderen Grund haben, die Sündenlosigkeit des Pfaffen hervorzuheben. In der zeitgenössischen theologischen Diskussion war es unumstritten, dass auch bei vorliegender Unwürdigkeit des Priesters kein Einfluss auf die Wirksamkeit der durch ihn vermittelten Sakramente und Sakramentalien ausgeübt wurde. Vgl. Art. ‚Donatismus‘. In: Die Religion in Geschichte

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und Gegenwart. 3. Aufl. Bd. 2. 1958, Sp. 239–241; Art. ‚Intention‘. In: Bd. 3. 1959, Sp. 787–790; Thomas von Aquin: Summa Theologica, Bericht über den Aufbau des Dritten Teils, III A 64,5, der den Priester als bloßes Werkzeug Christi sieht; die Artikel ‚Priester‘ und ‚Sakrament‘ im Lexikon des Mittelalters. Bd. 7. 1995, Sp. 203–208 und 1267–1273. Es gibt allerdings ein Sakrament, das erhöhte Anforderungen an den das Sakrament Erteilenden stellt: das Bußsakrament. „Die Person und das persönliche Verhalten des Seelenhirten sind Gregor sehr wichtig; sie sind ihm geradezu Voraussetzungen für die Möglichkeit der Buße. Denn der Seelenhirte wirkt in der Kirche vor allem durch die Predigt, durch die er zur Buße ruft. Und das ist eine Aufgabe, die persönliche Vollkommenheit verlangt.“ (Ekkehard Mühlenberg: Dogma und Lehre im Abendland I. In: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Von Carl Andresen u.a. 2. Aufl. Bd. 1. Göttingen 1999, S. 406–566, hier S. 490) Vgl. die Stelle aus Papst Gregors des Großen (590–604) Liber regulae pastoralis II.2: „Der Seelenhirt muss allezeit lauter sein in seinen Gedanken; denn es darf den keine Unlauterkeit beflecken, der das Amt übernommen hat, aus den Herzen seiner Mitmenschen die Makel der Unreinheit zu beseitigen [im Bußsakrament]. Denn die Hand, welche Schmutz wegwaschen soll, muss notwendig rein sein, damit sie nicht alles, was sie berührt, noch mehr verunreinigt, wenn an ihr Schmutz auf Schmutz sich häuft.“ (zit. nach Mühlenberg, S. 491). Vgl. auch den Art. ‚Bußsakrament‘ In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 2. 1994, Sp. 845–856, hier 847ff. (Mittelalter). – Auch wenn Beichte und Buße in Bezug auf Wigalois nicht erwähnt werden, so versteht sich dies von selbst: Wer mit dem Tod rechnen muss, wird beichten und um Absolution bitten. 4404 sîn pelz der was luter grâ. Bestimmte Pelze (z.B. vom Fuchs) durften nur Adel und Geistlichkeit tragen (vgl. Ulrich Seelbach 1987, zu Helmbrecht, V. 1067); der hier erwähnte Pelz ist nach Leitzmann ein Otterpelz (siehe auch den Kommentar zu V. 7404). Vgl. Leitzmann 1929, S. 256: „nach Schröders Ausführungen … ist auch hier ohne jeden Zweifel lutergrâ ‚ottergrau‘ und luterveder ‚otterfarbiger Pelz‘ zu lesen.“ Vgl. Lexer: Mhd. Wb. I, Sp. 1996: „luter stf. lutra, fischotter“; Edward Schröder: Lückenbüßer: lutervêch. In: ZfdA 59 (1922), S. 164. – Unter Zugrundelegung von Schröders und Leitzmanns Annahme, dass das Adjektiv lûter keine helle, lichte Pelzfarbe bezeichnen könne, irritieren allerdings einige wenige Stellen aus anderen Texten wie bei Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 6860: von lûtern bibervellen, Konrad von Würzburg: Partonopier, V. 12450f.: blanc unde lûter hermelîn / was ir mantels underzoc und Aristoteles und Phyllis, V. 236: (ein pelz der) was gar lûter hermîn. Vgl. Benecke 1819, S. 649f.; Grimm DWB, Bd. VI. 1885, Sp. 380, lauter (3) „endlich von glänzendem fell und gefieder“. 4405 samît. Siehe zu V. 401. 4408 spanne. Maß der ausgebreiteten Hand (die Strecke zwischen Daumen und der Spitze des Mittelfingers). Ein derart breiter Saum aus kostbarem Zobel erhöht die Kostbarkeit des Pelzrockes. 4410 luhsîn. Ein Pelz aus Luchsfell für Rock oder Mantel wird in der höfischen Literatur nur hier erwähnt. Vgl. Brüggen 1989, S. 232. 4412 siglât. Siehe zu V. 817.

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4428f. einen brief, … vür älliu zouber was er guot. Ein sog. ‚Schwertbrief‘. Vgl. den Artikel ‚Waffensegen‘ in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 9. 1941, Sp. 22–24, hier Sp. 22: „Die Kirche schuf in der Werdezeit des Ritterwesens Benedictionen für die Waffen der Ritter; solche Texte liegen seit dem 11. Jh. vor.“; dazu in Bd. 7. 1936, Sp. 1384–86 Art. ‚Schutzbrief‘; Bd. 3. 1931, Sp. 1111f. Art. Grafenamulett. Die weiteren Gaben: V. 4470–78 (Wunderbrot), 4743 (Baumblüte), 4748 (glävîe). Diese drei Gaben kommen nur im Drachenkampf zum Einsatz, das geweihte Schwert hilft ihm beim Roaz-Kampf, um dessen Teufelszauber außer Kraft zu setzen. Vgl. hierzu Cora Dietl: Wunder und ‚zouber‘ als Merkmal der ‚âventiure‘ in Wirnts ‚Wigalois‘. In: Das Wunderbare in der Arthurischen Literatur. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2003, S. 297–311, hier S. 303. 4439–48 „Wer erinnert sich hierbey nicht der Zeilen im Iwein? Nur dass Hartmann über dieses wundervolle Geheimniss der Liebe noch umständlicher und spitzfindiger spricht“ (Benecke 1819, S. 457f.). Hartmann von Aue: Iwein, V. 2971–3028. 4458f. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 5357–5361, nu ist got sô gnædec und sô guot und sô reine gemuot daz er niemer enkunde sô manegem süezen munde betelîchiu dinc versagen (Hinw. Benecke 1819, S. 458). 4470–78 Wunderbrot. Er isst davon (V. 4995) und es kräftigt ihn im bevorstehenden Kampf (V. 5001f.). Die Tasche mit dem Wunderbrot und der Blüte bleibt ihm als einziger Besitz (V. 5842–47), alles andere raubt ihm das Fischer-Ehepaar. 4521 slegetor. Hier ist nicht, wie im Iwein Hartmanns von Aue ein Fallgitter (V. 1080ff.) gemeint, sondern eine Zugbrücke. 4528–32 Erneute Beschreibung des Feueratems des Tieres von Korntin. Siehe zu V. 3869f. 4551 hundert und drîe. Die Symbolik der Zahl 103 (exakt einhundertdrei Ritter) erschließt sich uns an dieser Stelle nicht. 4558–62 Phantasie-Wappen; siehe zu V. 2289–92. 4573 baz danne rehte reise. Die „strecke, die man nach einer tjoste vorwärts rennt, ehe man wieder umkehrt“ (BMZ II.1, 664a, Z. 45). 4598–4606 Der Palas (nicht die ganze Burg) ist aus Kristall gemauert, so dass man alles, was sich im Innern abspielt, von außen hindurch anschauen kann. Missverständlich Kragl 2006, Bd. 2, S. 1087 (zu Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 209; dort ist es der wie eine Halbkugel geformte Burgberg, der aus Kristall besteht, und sich aus dem Meer erhebt). 4598 palas. Siehe zu V. 222. 4603 gewelbet âne dach. Die Palasmauern wurden als Gewölbe/Kuppel weiter geführt; eine Dachkonstruktion (Dachstuhl, Schindeln oder Ziegeleindeckung) ist daher entbehrlich. 4629 der hêt zöpfe alsam ein wîp. Friedrich der Streitbare von Österreich (reg. 1230–1246) soll nach ungarischem Vorbild einen Zopf getragen haben (Seifried Helbling XIV, V. 15f.; I, V. 2225 und III, V. 226; vgl. die Anm. Seemüllers z. St.; Seifried Helbling. Hrsg. und erklärt von Joseph Seemüller. Halle 1886). Weitere Nachweise zu Männern mit Haarzöpfen bei Schultz 1880, Bd. 1, S. 214f.

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4691f. ez ist hie bî gelegen ein wurm nû wol zehen jâr. Dass der Drache Pfetân (V. 4956) zehn Jahre sein Unwesen treibt, den der Usurpator Roaz von Glois nicht zu bekämpfen wagt (V. 4731ff.), der zehn Jahre zuvor König Jorel und seine Ritter ermorden ließ (vgl. V. 4316), zeigt den ursprünglichen Zusammenhang von Drache und Zauberer. In den anderen Versionen vom Typ Bel Inconnu hat ein böser Zauberer eine schöne Jungfrau in einen Drachen oder eine Schlange verwandelt. Der Held muss den Zauberer im Kampf besiegen und die verzauberte Jungfrau durch einen Kuss auf den Mund der Schlange erlösen. Der Drachenkampf ersetzt den Schlangenkuss. 4743 Baumblüte als Gegenzauber. Er holt sie später (V. 4992ff.) hervor und sie wappnet ihn gegen üblen Geruch. In Heinrichs von Veldeke Eneasroman übergibt Sibille dem Helden ein krût (V. 2848) zum Essen, das ihm nützen wird gegen den helleschen stank (V. 2855), und eine Salbe wider dem hellefüre (V. 2860ff.), damit er den Besuch in der Unterwelt übersteht. 4748 glävîe. Aus afr. glaive (Lanze). Mhd. zuerst bei Wolfram von Eschenbach: Parzival (231,18 glævîn u. ö.; BMZ I,547a). Die Lanze ist aus Stahl gefertigt, der aus der Mitte Indiens stammt (siehe auch V. 7381–83: der Helm des Roaz ist aus demselben harten Stahl). 4793–4813 König Jorel eröffnet dem Helden seine Herkunft, die er längst kennt. Die Widersprüche der Verbindung von ausführlich erzählter Enfance mit der Suche nach dem unbekannten Vater sucht der Erzähler nachträglich zu glätten: der gesuchte Vater Gawein sei eben mit dem Gawein am Artushofe identisch, den er bereits kenne. Siehe zu V. 1597–1600. 4831 des leit ich ie mit leide truoc. Mit dem Leid eines anderen Mitleid haben, es zu seinem eignen Leid machen (Anteil am Leben des anderen nehmen). Vgl. V. 740, 9404, 9864 (leit mit leide klagen). 4882 gebende. Das Gebende ist ein steifleinernes Band, dessen Breite variiert (von ganz schmal bis über den gesamten Unterkiefer reichend), und das vor den Ohren über die Wangen und das Kinn geführt wurde. Es war das Zeichen der verheirateten Frau und bis ins 16. Jahrhundert in Gebrauch. Das Gebende überdeckte zusammen mit dem Schleier, dem Kopftuch oder der spätmittelalterlichen Haube den ganzen Kopf und ließ nur das Gesicht frei. Die Behinderungen beim Sprechen, Rufen oder auch beim Küssen müssen stark gewesen sein, sonst würde in den literarischen Werken nicht eigens erwähnt werden, das die Frauen das gebende abstreifen oder über die Haare nach hinten legen, um einen Gast mit einem Begrüßungkuss empfangen oder um sich mit den Männern streiten zu können. Vgl. Brüggen 1989, S. 95–97. 4883–97 Das Motiv der über den Verlust ihres Gatten klagenden Frau begegnet vier mal im Wigalois (Hinw. Hahn 1994, S. 51f.; Fasbender 2010, S. 177, zählt zwar „eine Szene mehr“, übersieht jedoch, dass bereits Hahn, S. 52, auf die triuwe Liameres hingewiesen hat). Außer Beleare sind dies Japhite (V. 7673–7744), Liamere (V. 9969–10037) und Florie (V. 11344–51). Das Waldweib Ruel trauert nicht um ihren lieben man (V. 6361) Feroz! (Anders Hahn, S. 52 und Fasbender 2010, S. 177). 4956 der grôze wurm Pfetân. Der Drachenname ist entlehnt vom großen Drachen Python („maxime Python“) aus Ovids Metamorphosen I, 438ff. („populisque novis, in-

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cognite serpens, terror eras“), bei Albrecht von Halberstadt: Metamorphosen I, 787ff. (Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter. Hrsg. von Karl Bartsch. Quedlinburg 1861). Vgl. Kapteyn, S. 503; Kern/Ebenbauer 2003, S. 553. 4980–82 Die Befreiung eines von einem Drachen entführten Ritters taucht in Heinrichs von dem Türlin Krone, V. 9009f., im Tatenkatalog Gawans auf (nur in der Erinnerung des Helden an seine vorgängigen Taten, nicht auserzählt): Ich half Zazant, dô in truoc / Ein wurm gegen sînem hol (nach der Ausgabe Knapp/Niesner normalisiert). Übersehen von Felder 2006, S. 249: „Das helfende Eingreifen für den von einem Drachen entführten Zazant hat kein bekanntes Vorbild.“ Der ganze Katalog ist eine Ursurpation bekannter Heldentaten (aus dem Iwein Hartmanns von Aue, Wigalois und Parzival Wolframs von Eschenbach). 5005–5140 Motif-Index, B. 11.11 Fight with dragon; B 11.11.5 Dragon fight in order to free man. 5025–74 „Die erste ausführliche Beschreibung eines Drachen“ in der deutschen Literatur (Lecouteux 1979, S. 23). Nach Lecouteux sind die Eigenschaften aus der gelehrten Literatur zusammengelesen, wobei auch Merkmale von Schwert- und Sägefisch mit einfließen (ebd., S. 25f.). Auffällig, dass der Drache Pfetan kein Feuer speit (dies tut der Drache im Iwein Hartmanns von Aue, V. 3842f. und Tristan Gottfrieds von Straßburg, V. 8917f.), was darauf schließen lässt, dass Wirnt sich auf seine gelehrten Quellen verlässt, wo dieses Merkmal ebenfalls fehlt (ebd., S. 28). Vgl. auch Winder McConnell: Mythos Drache. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen. Hrsg. von Ulrich Müller und Werner Wunderlich. St. Gallen 1999 (= Mittelalter Mythen 2), S. 171–183. 5038–40 Krokodile, die in der Lage sind, mit ihrem scharfen Grat einen Schiffsrumpf zu zerstören finden sich nicht bei C. Plinius Secundus d.Ä.: Naturalis historia VIII, 89–90 (Naturkunde. Lat.-dt. von Roderich König. Bd. 3. Landtiere. 2. Aufl. München 2007) und auch nicht bei Aristoteles: Historia animalium (Engl. transl. by A. L. Peck. 3 Vols. Cambridge, Mass. 1965–1991, passim). 5291–99 Das arme, kinderreiche Fischerehepaar ist sicherlich dem Fischerehepaar im Gregorius Hartmanns von Aue nachgebildet (Armut und Hunger V. 1201ff.; Kinderreichtum V. 1068, Verbergen des kostbaren Fundes V. 970ff.). Hinw. Schiewer 1993, S. 157f. 5325 Selbst wenn der Drache nur Teile des Harnischs zerriss (vgl. V. 5112–14), so kann er hier nicht mehr der allerbeste sein, den man je erblickte (Anschlussfehler). 5381 woch. Ein Ausdruck des Staunens und Unwillens (BMZ III, 797a). 5445f. ‚Ich frage mich, was ihm widerfahren sein kann. Wenn ihn nicht gar der Drache erwischt hat!‘ 5452f. Die Wappenfigur auf dem Schild und die Zimier waren aus Gold. Siehe zu V. 1827–30 u. 1869. 5475f. Wirnt lobt, was er nur vom Hörensagen kennt: die eheliche Gemeinschaft; seine wörtliche Wiederaufnahme der Formulierung Hartmanns von Aue war leicht als Zitat aus dem Gregorius erkennbar: wande êlich hîrât / daz ist daz aller beste leben / daz got der werlde hât gegeben. (Gregorius, V. 2222–24; Hinw. Schiewer 1993, S. 157f.)

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5561 als er buhurdierte. Den Buhurt (siehe zu V. 1256) stellt sich die Gräfin Beleare nur vor und welch gute Figur der Ritter dabei machen würde. In einem ritterlichen Kampfspiel hat sie ihn noch nicht gesehen. 5568 von genageltem pfelle. Der Seidenstoff (siehe zu V. 705) war mit kleinen Goldköpfen, -nieten besetzt. Vgl. Brüggen 1989, S. 234. 5570f. Wigalois’ Schild: ein goldenes Rad auf Schwarz. Siehe zu V. 1827–30. Kern (1990), S. 79f. meint, dass „Gwigalois auch noch als Landesherr von Korntin das goldene Rad als Wappen wählt (10691–693)“. Dies trifft nicht zu: es findet sich auf dem Banner (vanen, V. 10689) der von Wigalois geführten Heeresgruppe. Banner und Wappen werden sorgfältig vom Dichter unterschieden. 5612–19 Gaweins Schild: außen eine goldene Tafelrunde (so einheitlich bei allen Rittern der Tafelrunde); innen ein weißer Hirsch auf goldenem Dreiberg (V. 5619), die Schildfarbe ist nicht angegeben. Dass der Hirsch mit „Kreide“ (dem Kreidegrund für jeglichen Farbauftrag auf dem Leder des Schildes) gemalt ist, verwundert. Ist es ein Notbehelf für fehlendes Metall oder Pelz oder nur eine Umschreibung für die (hier ausnahmsweise realistische) Aufbringung von Farbe? 5633–35 Beleare hat die Tafelrunde Gaweins ebenfalls als Figur auf dem Schild des Ritters mit dem Rad gesehen. Wigalois wird wie Gawein ein Wappen geführt haben, das einerseits die Zugehörigkeit zum Artushof (Symbol Tafelrunde, V. 5623–32) und andererseits seine Identität sichert. Um das eigentliche Wappen (Gawein: Hirsch; Wigalois: Rad) herum ist eine Tafelrunde gezogen, wohl vorstellbar als goldener Kreis. Eine doppelte Funktion liefert auch der Schild des Karrioz (V. 6560–72). Kern 1990, S. 79f. unterstellt der Gräfin Beleare, dass sie ein Rad (Wigalois) nicht von einer Tafelrunde (Gaweins Wappen) unterscheiden könne und dem Dichter, genau dies auch noch beabsichtigt zu haben, um Tafel und Rad gleichzusetzen. 5755–81 Die guot-muot-Debatte im Gregorius Hartmanns von Aue, V. 606–626, die dort dank stark intensivierenden Stils des Hinweisens durchaus als ungelöstes Problem im Raum stehenbleibt, wird hier mit Hilfe des Tugendadel-Topos eindeutig entschieden. Formal gesehen erinnert der Dialog von Wirnt und seinem sin an den von Hartmann und vrou Minne, Iwein, V. 2971–3028 (Benecke 1819, S. 463f.). 5800–36 Das Leben als Traum. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 3505–3595; mit der Traum-Passage (V. 5908f.) wird die Vorstellung vom ritterlichen art aufgenommen. 5815–17 diu küniginne … von Syrîe … Flôrîe. Küniginne kann in älterer Zeit auch eine (nicht regierende) Königstochter meinen, ebenso künic den künftigen Thronfolger (Prinz). Joram, der Oheim Florîes, hat demnach die Tochter seiner Schwester (vgl. V. 1013) im Verschlossenen Land aufgenommen und für die Erziehung der jungen Dame gesorgt. Jorams Schwester selbst muss demnach den König von Syrîe geheiratet haben. Nur in diesem Sinne kann Florie eine küniginne, d.h. eine syrische Prinzessin sein. 5818 Jôram. Der König des Verschlossenen Landes wurde zum Namengeber des Thronfolgers von Syrie, der im Jüngeren Titurel am Turnier zu Floritschanze teilnimmt: der von Sirie, Joran (Str. 2211,4), vgl. Str. 2110,1a und 2111,3 Der kunic von Syrie … Joram. 5938 luter grâ. S. zu V. 4404.

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6063f. ein ors … bezzer danne hundert marc. Der Wert des Streitrosses (mehr als hundert Mark) ist immens; der Wallach Helmbrechts war mit zehn Pfund Silber dreifach überbezahlt (vgl. Ulrich Seelbach 1987, zu Helmbreht, V. 398 u. 399); das Reisepferd Walthers, das ihm Gerhard Atze erschossen hatte, war nur drei Mark wert (L 104,11). Nach heutiger Kaufkraft dürfte das geschenkte ors 150.000 Euro gekostet haben. 6069 Brîen. Der Bruder des Königs der Zwerge, Bilis, aus Chrétiens Erec et Enide (Ed. Foerster), V. 1996 kann hier nicht gemeint sein, denn der war ein Riese (bei Hartmann Brians und Bîlei, V. 2087ff.). Der andere Briien in Erec et Enide ist ein Ritter der Tafelrunde (beide Hinweise Kapteyn, S. 499.) Als Brudermörder wäre er wohl kaum zu dieser Ehre gekommen. Ein Namensvorbild für Lamere findet sich nicht im Werk Chrétiens. 6072 Jorêl (auch V. 6103). Laries Vater ist Jorel von Korntin, Jorels Vater hieß Lâr (V. 9880), Lar hatte einen Bruder namens Garez von Libia, dessen Enkelin Liamere (Gattin des Amire von Libia) heißt, dies lässt sich aus der Zusammenschau mehrerer Textstellen des Wigalois entnehmen: V. 9865–80. (Fürst Lion hat den Gatten von Liamere erschlagen): vrouwe Lârîe und sîn wîp, mîn vrouwe Lîamêre, … ir väter zweier bruoder kint wâren, die erslagen sint leider nû vor mangem tage. der zweier namen ich iu sage: der ein Gârez von Lîbîâ; ouch nant er [der garzûn] den andern sâ: Lâr, der künic von Korntîn. – ‚Ihre Väter waren die Söhne zweier Brüder‘. Die Großväter von Liamere (Garez von Libia) und von Larie (Lar von Korntin) waren Brüder. Diese Deutung verträgt sich sehr gut mit der Nennung des Herrn von Graf Adan, König Jorêl von Korntin (der brâht ez zuo Korntîn Jorêl, dem lieben herren mîn, V. 6102f.; des ist nû vil manic tac daz ez mîn herre, künc Jorêl, mînem wirte [i.e. Graf Adan] bevalch an sîne sêl daz erz behielte unz an die zît swen sîn tohter [Larie] würde gehît zeinem biderben manne, daz er den harnasch danne im gaebe ze sînem lîbe, V. 6071–78). – Die Verwechslung des Namens von Laries Vater begegnet schon bei Saran (1896), S. 399, bei Kapteyn in der Inhaltswiedergabe (S. 81*) und im Namenregister S. 501. 6084–87 Der wunderbare harnasch kann nicht durchstochen und zerbrochen werden und ist dennoch leicht wie ein Hemd. Damit entspricht er dem von Volcanus gefertigten halsperch, den Eneas im Kampf gegen Turnus trägt: in ihm ist der Kämpfer vor jeder Verwundung geschützt und er kann sich darin dennoch wie in einem lînînem gewant bewegen (Heinrich von Veldeke: Eneasroman, V. 5671–81). 6088–90 ‚Dass es irgendjemand, selbst wenn ihm die ganze Welt vertraut wäre, herausfindet, welche Beschaffenheit er hat, davor ist der Harnisch sicher‘ (es bleibt sein Geheimnis). Vgl. den Kommentar von Benecke 1819, S. 465. 6112 sarbalc. Ein hapax legomenon. Lederbalg/sack zur Aufbewahrung der sarwât (Rüstung). Vgl. BMZ I, 124b; Schultz 1880, Bd. 2, S. 67. 6158 schilt von eines grîfen klâ. Da die heraldischen Farben fehlen, ist eine Deutung des in der Literatur selten erwähnten Wappenmotivs nicht möglich. Vgl. ein ebensolches Wappenbild bei Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 17922 (Hinw. Felder [2006], S. 492). 6185–87 Vorzeichen: was einem am Morgen über den Weg läuft (entgegen kommt); wie oft die Krähe rief; die Anzahl der Habichte am Himmel. Vgl. Art. ‚Morgen‘ im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 6. 1935, Sp. 576–581, hier Sp. 758; Art. ‚Angang‘. In: Bd. 1. 1927, Sp. 409–435, Sp. 414 (erste Begegnung am Tag); Art. ‚Krähe‘. In:

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Bd. 5. 1933, Sp. 361ff. (Vorbedeutung und Angang); Art. ‚Habicht‘. In: Bd. 3. 1931, Sp. 1295f. (ohne Aufschluss). – Wirnt sieht seinen Helden so glaubensfest und dem Aberglauben abgeneigt wie Erec, der ohne jeden zwîvel in den Kampf gegen Mabonagrin zieht. Hartmann verdeutlicht dies durch einen die Innensicht des Helden vorstellenden Erzählerkommentar über Träume, Wetterprognostik, Eulen- und Bussardflug, Hartmann von Aue: Erec, V. 8126–54 (Verweis auf die Anspielung Wirnts bei Christa Agnes Tuczay: Kulturgeschichte der mittelalterlichen Wahrsagerei. Berlin, Boston 2012, S. 93, Anm. 22). 6256–67 Der Held verfehlt, weil er an so vieles denken muss, den rechten Weg nach Glois und gerät auf ungebante strâzen und an tunkel furte (Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 127,15f.). Dennoch will er den Fluss an Ort und Stelle passieren und sich nicht ablenken lassen: nach dem Intermezzo mit Ruel setzt er auch an genau derselben Stelle sich und sein Ross über das Wasser (V. 6533–37). 6285–6353 Die Kunstübung, eine hässliche Frau zu beschreiben, mochte unterhaltsamer für das Publikum sein als die Schönheit der bedrängten Jungfrauen in zierlichen Worten erklärt zu bekommen. Vorbilder gab es für Wirnt einige, die es zu übertreffen galt: Heinrich von Veldeke: Eneasroman, V. 2702–41, beschreibt die egeslîche Frau Sibille; Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 313,1–314,10, die Gralsbotin Cundrie – beide übrigens zauberkundige und weise Frauen. Dem hinzu gesellt sich noch Hartmanns von Aue Waldmensch (Iwein, V. 425–470), der den Tieren gebietet, ansonsten aber nicht einmal weiß, was eine Aventiure ist. – Motif-Index, F 576 Extraordinary ugliness. 6297 ir brâ lanc unde grâ. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 444ff. dem … wâren granen unde brâ lanc rûch unde grâ. 6300 spanne breit. Siehe zu V. 4408. 6304f. der rücke was ir ûf gebogen, dâ engegen ein hover ûz gezogen. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 463f. sîn rüke was im ûf gezogen, hoveroht und ûz gebogen. 6310–13 Hartmann von Aue: Erec, V. 1605–1609: als ichz vernomen hân, sô was … Ênîte diu aller schœniste maget, diu ie … in des küneges hof kam. Vgl. V. 1741ff., 1763ff. Die Residenz, auf der Enite den Schönheitspreis gewann, hieß allerdings Kardigan: nû huop sich michel wünne ûf dem hûs ze Karadigân (V. 1797f.; vgl. V. 1101, 1112). Karidol wird als Residenz im Erec erst V. 7806 erwähnt, jedoch gleich zu Anfang im Iwein Hartmanns von Aue, V. 31 und im Wigalois selbst (V. 150). 6313 als im sîn meister hêt gesaget. Der Lehrmeister Hartmanns von Aue (vgl. Erec, V. 7461 als uns der meister seite, dazu auch V. 7299, 7893, 8201) ist Chrétien de Troyes, der die französische Vorlage Erec et Enide lieferte und sich dort selbst nennt (Por ce dist Crestïens de Troies, V. 9). Hartmann nennt ihn in seinen Werken nicht beim Namen, mit Ausnahme der Erec-Zusatzverse in Hs. W, hier V. 462912; dass er beim deutschsprachigen Publikum (vor Wolframs Erwähnung) bekannt gewesen wäre, ist eher unwahrscheinlich. Er wird von Wolfram als Autor der Vorlage des Parzival (nach einer Anspielung auf den Erec) genannt: von Troys meister Cristjân (V. 827,1). Vgl. Scholz 2007 (Ed. Hartmann von Aue: Erec), S. 581. 6325–37 Jeschûte. Gemahlin des Herzogs Orilus de Lalander, aus Wolframs von Eschenbach Parzival; vgl. V. 130,2f. si hiez Jeschûte. Diu frouwe was entslâfen; V. 271,30:

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gein der sældebernden herzogîn; V. 130,29f. dô dâhter an die muoter sîn: diu riet an wîbes vingerlîn (vgl. V. 127,26ff.); V. 131,15ff. er druct an sich diu herzogîn und nam ir och ein vingerlîn. an ir hemde ein fürspan er dâ sach: ungefuoge erz dannen brach; V. 131,21 doch wart dâ ringens vil getân; V. 131,13 ir munt er an den sînen twanc u. V. 132,20 ein ander kus dâ wart getân; V. 269,24 ich was ein tôre und nicht ein man, gewahsen niht pî witzen. Im Schönheitsvergleich Wolframs (V. 187,12–22) überstrahlt allerdings Condwiramurs Schönheit die der Jeschute, Enite, Cunneware und die beiden Isolden. Aber, wie Hans-Jochen Schiewer (Innovation und Konventionalisierung. Wirnts ‚Wigalois‘ und der Umgang mit Autor und Werk. In: Literatur und Wandmalerei. Hrsg. von Eckart Conrad Lutz. Bd. 2. Tübingen 2005, S. 65–83, hier S. 70, Anm. 19) zu Recht bemerkt, muss Wirnt „auf Jeschute zurückgreifen, weil Wolfram deren körperliche Schönheit tatsächlich beschreibt (V. 130,3–25): Vergleichbares berichtet Wolfram nicht über Parzivals spätere Frau Condwiramurs. Ihre Schönheit bleibt vollkommen profillos.“ 6332 vürspan. Brosche, die die Halsöffnung des Hemdes oder des Kleides schließt oder den Mantel zusammenhält (nach Brüggen 1989, S. 262; vgl. S. 94, Anm. 276, Stellensammlung). 6343–46 Das berühmte Lob Wolframs von Eschenbach wurde vor allem wegen des Abschlussverses leien munt nie baz gesprach als Bestätigung von Wolframs Selbstaussagen über seinen Illiteraten-Status herangezogen. Auf Wirnt selbst bezogen ist hier die Perspektive eines klerikal gebildeten Mannes eingenommen, der anerkennend die Leistung eines Laien hervorhebt. Neumann 1964, S. 58 paraphrasiert: „der trotz Laientums ein Ganzes an Welt begreift“. Vgl. Nellmann 2010, S. 143: „Man kann die Zeile aber auch schlichter (und zutreffender) wiedergeben, etwa so: ‚Sein Herz beherbergt einen vollkommenen (Kunst-)Verstand‘. Wimt variiert hier (das hat man bisher übersehen) eine Formulierung, mit der er sich im Prolog selbst charakterisiert hatte. Es heißt da (v. 46): ich bin noch ganzer sinne hol (also ‚ich bin noch ohne vollkommenen Verstand‘). Was Wimt fehlt – ganze sinne – Wolfram besitzt es. Dieses Urteil kann Wimt durchaus auch mit einer auf Buch I–VI begrenzten ‚Parzival‘-Kenntnis formulieren.“ 6356 Ferôz. Der Name des Wilden Mannes ist passend, er entspricht frz. feroce, ‚grimmig, wild‘. 6396–98 vrouwe Lûnete. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 1178–1223. Aus Dankbarkeit für einst erwiesene Höflichkeit erettet Lunete Iwein (erst später wird er der ‚Ritter mit dem Löwen‘ genannt) vor seinen Verfolgern, die ihm wegen der Ermordung ihres Herrn Ascalon nach dem Leben trachten. 6417 si zôch im ûz sîn eigen swert. Eine scheinbare Doppelung von V. 6409 (daz swert si im von der sîten brach), die sich jedoch als kunstvolle Verzögerung der Handlung erklären lässt: Wigalois hatte sein Schwert nicht gezogen (weil er einer Frau gegenüberstand; vgl. den Schwur V. 6514–6524), daher steckte es noch in der Scheide, als Ruel es ihm von der Seite riss. Nachdem sie ihm den Harnisch ausgezogen hat, zieht sie das Schwert, packt ihn bei den Haaren, schleift ihn zu einem Richtblock (einem Baumstumpf), holt weit aus, um ihn zu enthaupten … Man muss sich die Worte Wirnts als filmisch umgesetztes Drehbuch vorstellen, um zu ermessen, wie subtil vom Erzähler die Spannung gesteigert wird.

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6430 vlôch uz dem hol zehant. Offenbar hat Ruel den Helden in ihre Höhle geschlepppt (vgl. V. 6284). 6471–75 Bibel, 1 Sm 2,7 „Dominus pauperem facit et ditat, humiliat et sublevat“ (‚Der Herr macht arm, und machet reich; er niedriget und erhöhet‘). – Freidank, V. 2,4f. (zu dieser Stelle zit. im Handbuch Sentenzen 1, S. 246–249 [Wigalois, V. 6471]) hat die Formulierung Wirnts wörtlich übernommen: Got hœhet alle güete / und nidert hôchgemüete. 6476–81 Vgl. Nachwort, S.290 (zwîfel als Gotteswerk). 6529 Ruel hatte ihm den Harnisch abgezogen (V. 6410). 6560–72 Schild des Karrioz: im Mittelschild goldene Blume auf Weiß (eine unheraldische Tinktur); auf einer Flanke der umlaufenden goldenen Leiste eine blaue, von Gold durchzierte Säule mit dem darauf sitzenden Gott Machmet. Wie bei den kombinierten Schilden der Tafelrunder Gawein (V. 5612–19) und Wigalois (siehe zu V. 5633–35) zeigt der Mittelschild das persönliche Wappen, die Rahmung die Zugehörigkeit (hier: Ritter von Glois, V. 6568). 6569–72 Phantasie-Wappen. Siehe zu V. 2289–92. 6570 lâzûr. Siehe zu V. 3912. 6602 Karriôz (auch V. 6749; 8629) wird von Kern/Ebenbauer 2003, S. 298 als Nachbenennung für Hercules angeführt: „Das Motiv vom Löwenfell … stammt offensichtlich aus dem H[ercules]-Mythos, der Vermittlungsweg ist unklar. Dass der Name aus der gr. Form Herakles abgeleitet ist ([He]rakleos wird zu Karrioz), wie Kapteyn [S. 501] … meint, ist wenig wahrscheinlich“. 6606f. sîn gebeine was âne marc nâch dem geslähte der muoter sîn. Menschen mit massiven Knochen sind laut Plinius: Naturalis historia, VII, 78 (Gaius Plinius Secundus: Naturkunde. Lat.-dt. von Roderich König. Bd. 7: Anthropologie. 2. Aufl. München 1996) weniger anfällig gegen Durst und ausdauernder: „Concretis quosdam ossibus ac sine medullis vivere accepimus. signum eorum esse nec sitim sentire nec sudorem emittere.“ (‚Wir haben erfahren, dass Menschen mit durchaus massigen Knochen auch ohne Mark leben. Ihr Kennzeichen ist, dass sie keinen Durst fühlen und keinen Schweiß absondern.‘ Hinw. Lecouteux 1979, S. 29). 6627 jost. Die Tjost (afrz. joust) ist in der literarischen Erzählung der „Zweykampf, der immer zu Pferde mit dem Spere angefangen, nöthigen Falls aber zu Fusse mit dem Schwerte fortgesetzt wurde“ (Benecke 1819, S. 721). Beim Zweikampf im Rahmen eines Turniers wurde nur mit den (abgestumpften) Lanzen gekämpft. Vgl. Schultz 1880, Bd. 2, S. 107 und 110ff. Auch Bezeichnung für den Lanzenstoß, der den Gegner trifft. 6669 kolben. Eine unritterliche Waffe, die wohl an einem Lederriemen über der Schulter hing, bis sie zum Einsatz kam. Der Kolbe (obwohl hier aus Stahl) erinnert wie das Fell des mit bloßer Hand erwürgten Löwen an die Beschreibungen und bildlichen Darstellungen Hercules’. 6726–43 Der geheimnisvolle, todbringende Nebel, der die âventiure (V. 6733) wie ein Ring umgibt, senkt sich nur für kurze Zeit in der Dämmerung (V. 6739ff.) auf das Moor. Nur in dieser Zeit kann man über die Straße hinein nach Glois gelangen. Vergleichbar ist das Reich des Malduc, zouberære von dem Genibelten sê (V. 6990f.) im Lanzelet Ulrichs

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von Zatzikhoven, dessen Burg inmitten eines Nebelsees liegt (vgl. V. 7589–91). Die Brücke zur Burg kann man nicht finden, wenn Malduc es nicht zulässt. – Vgl. Motif-Index, F 141.2 Mist as barrier to otherworld (nur Wigalois), ferner F 962.10 Extraordinary mist (darkness) und D 901 Magic cloud. 6755 bechstein. silex piceus, „Name für ein glasiges oder halbglasiges [vulkanisches] Gestein von dunkelgrünen, braunen, schmutzigroten und schwarzen Farben“ (Brockhaus. 13. Aufl. Bd. 12. 1885, S. 769); Hinw. Buschinger 2004, S. 65. 6775–84 Toreingang mit Schwerter-Rad gesichert. Vergleichbares bietet die sogenannte Schwertbrücke aus dem Lancelot Chrétiens de Troyes (V. 3021–3131), auf die im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 387,4 und 583,9 verwiesen wird. Diese ist allerdings kein Automat (siehe zu V. 1036–49), sondern sichert den Zugang zum Land des Meljakanz mit einer starren Schneide. 6813 zweier schefte hôch. Der Schaft des spers dient als Längen- oder Höhenmaß (vgl. BMZ II.2, 75a). 6823 nûne mohte er vür noch wider. Dies war bereits V. 6815 bemerkt worden. Geht er weiter, begibt er sich ebenso in Lebensgefahr, wie wenn er zurück wollte. Die Entscheidung kann er aber vertagen, da ihm unmittelbar keine Gefahr droht: er ist gefangen, aber in Sicherheit, wenn er sich nicht von der Stelle rührt. 6826–6929 Zum zweiten Mal findet sich Wigalois in einer völlig aussichtslosen Lage (vgl. V. 6461–65), aus der ihn nur Gottes Gnade allein retten kann. 6847–59 Gefangen zwischen Nebel und Rad verlässt sich Wigalois ganz auf Gottes Gnade. Die Formulierungen gwaltes spil (V. 6851) und zwîvellîchez leben (V. 6857) greifen Formlierungen des Erzählerkommentars V. 6476–81 (zwîfel als Gotteswerk) auf. Fuchs 1997, S. 167, sieht dies als „topische Demutsgeste und Sündenbekenntnis“. 6851–55 Im Unterschied zur subjektzentrierten Gewissensentscheidung bei Hartmann legt der Protagonist hier die letzte Entscheidung in die Hand Gottes als alleiniger Autorität in Fragen ethischer Abwägung. Vgl. Hartmann von Aue: Gregorius, V. 1569–1572: ich sage iu, sît der stunde / daz ich bedenken kunde / beidiu übel unde guot / so stuont ze ritterschaft mîn muot. 6900f. einen laden. Ebenso wie der Stein (V. 6844) just in dem Moment bereit liegt, als der Ritter ein (hartes) Ruhelager benötigt, so jetzt das Brett, das über das Schwertrad gelegt werden muss, um es passieren zu können. 6903 in daz rat. Wigalois durchschreitet (durch daz rat, V. 6904) das Rad mit dem Ross, dessen innerer Kreis doppelte Höhe eines Pferdes aufweisen musste, damit man es zwischen den Speichen hindurchziehen konnte. 6932–52 ein vremdiu crêatiure. Die Kreatur ist eine Art Centaur, oberhalb des Pferdekörpers wie ein Mensch beschaffen, aber mit einem hundeähnlichen Kopf. Die Gestalt von Centauren war aus den Metamorphosen Ovids bekannt (XII, 395–403, 431, 478). – Motif-Index, B 21 Centaur: man-horse. 6955 viuwer. Beschrieben wird hier der Einsatz des „Griechischen Feuers“, das aus eisernen Gefäßen mittels Wurfmaschinen auf die Feinde geschleudert wurde. Die Verwendung von ungelöschtem Kalk erklärt, warum es mit Wasser nicht gelöscht werden

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konnte. Seit dem 7. Jh. in Ostrom im Gebrauch, v.a. zur Abwehr der Angriffe der Araber auf Konstantiopel. Vgl. Lexikon des Mittelalters. Bd. 4. 1989, Sp. 1711f. 6959f. daz selbe viur mohte dehein wazzer niht erleschen. Die Wirkung des kriechisc fûr wird im Straßburger Alexander mehrfach beschrieben, auch dass es im Wasser nicht erlischt (V. 1363–69; 2399–2402). – Motif-Index, D 1672 Unquenchable fire. 7074–77 ein grôziu sûl von êre. Eine blanke, schillernde Erzsäule, die sonst nur noch in Korinth zu finden sei. Vgl. Ovid: Metamorphosen VI, 416: „nobilis aere Corinthius“ (das erzberühmte Korinth). Das Corinthium aes ist eine (bunt schillernde oder mit Silber und Goldeinlagen tauschierte) Bronzelegierung, die ausführlich bei Plinius: Naturalis historia, XXXIV, 5–12 (C. Plinius Secundus: Naturkunde. Lat.-dt. von Roderich König. Bd. 34: Metallurgie. München 1989) behandelt wird. Vgl. den Bildband von Alessandra R. Giumlia-Mair und Paul T. Craddock: Das schwarze Gold der Alchimisten: Corinthium aes. Mainz 1993. 7097–7104 Die beiden alten Ritter sind stets auf der Hut, den Eingang bewacht zu halten. Aber wer ist denn außer Wigalois bis dort hin gelangt? Die zahlreichen Gefährten, die Schaffilun in der Aventiure schon verloren hat (V. 3389–98), die dem Tier von Korntin folgten, hat man nie wiedergesehen (V. 4342). Roaz von Glois hat viele von ihnen getötet (V. 4723f.), aber wohl beim offenen Zweikampf im Land Korntin, außerhalb seiner eigenen, gut bewachten Burg. Wenn sie dem Drachen aus dem Weg gingen und nach Glois kamen, Karrioz besiegt hätten, wären sie doch am Nebel oder dem Schwerter-Rad gescheitert oder Marriens Feuer zum Opfer gefallen. 7168 zem gêren in. Die Rüstung aus Ringgeflecht hatte an den Seiten, um die Beweglichkeit zu garantieren, Schlitze (gêren); eine Stelle, an der der Ritter trotz besten Harnisches leicht verwundbar war. Vgl. Parzival, V. 207,20, zer halsperge gêren: bei den Schößen/Schlitzen des Halsbergs erstechen die Bürger der Stadt die Ritter. 7186 sichern. Siehe zu V. 578 (und V. 3075). 7192 man. Vasall, Lehnsmann. Vgl. BMZ II,1, 30a (Nr. 5). 7199 kusten einander. Der Kuss galt als Zeichen der Versöhnung und der Beilegung von Hass bei Friedenshandlungen. Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 51,3; 729,5–14; 779,24–26; Nibelungenlied B, Str. 1114,1f. u 1394,3. 7236 ir sît aller êren wert. Siehe zu V. 3120. 7297–99 Zwölf Jungfrauen mit brennenden Kerzen gehen Roaz voran, ebensoviele Kerzenträgerinnen (V. 7397–7400) begleiten Japhite. Nach Fasbender 2010, S. 100 wird diese Szenerie von dem Auftritt der 24 Jungfrauen auf der Gralsburg (von denen 8 Kerzen trugen) in Wolframs von Eschenbach Parzival (V. 232,9–235,14) angeregt worden sein. Falls von Wirnt ein intertextueller Bezug auf den Parzival intendiert war, wäre er als Kontrafaktur der Gralsburg-Szene zu deuten. 7301 bunt. Pelzwerk von Bauch- und Rückenfell des Eichhörnchens (gelb mit rotem Rand; BMZ I, 135a); vgl. BMZ III, 25a, Z. 30. Es gab auch weiß-graues Buntwerk (vom grauen Eichhörnchen). – samîte. Siehe zu V. 401. 7307 palas. Auch V. 7311. Siehe zu V. 222. 7348–50 Dies erinnert an die bekannte David-Goliath-Situation (Bibel, 1 Sm 17).

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7350 spanne. Siehe zu V. 4408. 7363–66 Phantasie-Wappen. Siehe zu V. 2289–92. Roaz führt ausgerechnet den Drachen im Schilde, obwohl er es nie wagte, den Drachen Pfetan, der sein Land verwüstete, mit eigner Hand zu bekämpfen. Vgl. V. 4730ff. Die Schildfarben Blau und Gold entsprechen dem Adler-Wappen Jorams, V. 404–406. 7372 halsperc. Siehe zu V. 3892. 7381–84 Vgl. V. 4748–58 zur Beschaffenheit der Lanze aus indischem Stahl, der jeden Harnisch durchdringt und Stein wie ein Schilfrohr schneidet. 7388 gesmelze. Siehe zu V. 778. 7402 pfelle. Siehe zu V. 705. 7404 luter veder, die wârn bunt. Siehe zu V. 4404. Kann Otterpelz ein helleres Bauchfell haben? Bunt bezeichnet sonst meist weiße Bauchfelle mit dunklem Rand vom Eichhörnchen (siehe zu V. 7301). „Ihr [der Otter] sehr dichtes Pelzwerk ist hellbraun bis bräunlich-schwarz … Noch kostbarer sind die Felle der Seeottern mit äußerst dichtem, kurzem, samtartigem Pelzwerk von braunschwärzlicher Farbe und durch einzelne zierlich verteilte weiße Haarspitzen silberglänzend.“ (Brockhaus Conversations-Lexikon. 13. Aufl. Bd. 12. 1885, S. 583). 7423 spilman. Sechs Spielleute begleiten die kerzentragenden Jungfrauen Japhites. Offenbar zählen diese (wie auch weiteres Gesinde?) nicht zu den Männern (Rittern), die Roaz als mögliche Konkurrenten von der Burg und Japhite fernhielt (vgl. V. 8040–55). 7432 pfelle. Siehe zu V. 705. 7435–54 die würme Salamandrê als Produzenten einer feuerbeständigen Seide. Es handelt sich um ein Herkunftmärchen (vgl. Benecke 1819 zur Stelle, S. 470–479 mit Auszügen aus Ulrichs von dem Türlin Willehalm, Albrechts Titurel und Marco Polo; siehe auch die Zusammenstellung von Brüggen 1989, S. 53f.) zur Erklärung eines aus Amiant (Asbest) gefertigten Gewebes: „Sind endlich die Fasern außerordentlich zart, mit einem seidenartigen Schiller, … zeigen sie sich so biegsam, dass sie der schönsten weißen Seide gleichen.“ Die Fasern „dienen zur Verfertigung unverbrennlicher Schnüre und Gewebe“ (Brockhaus. 13. Aufl. Bd. 2. 1882, S. 37). Nellmann 2010 (Postscriptum, S. 150ff.) weist auf den Brief des Priesters Johannes (entstanden um 1165/77), § 42f. als mögliche Quelle Wirnts: dort stellen im Feuer lebende vermes eine seidengleiche Haut her. Allerdings fehlt dort die mit Wolfram gemeinsame Örtlichkeit (der von Salamandern bewohnte, im innern feurige Berg). Da Wirnt die Herkunft der feuerbeständigen Seide viel ausführlicher als Wolfram (im vorletzten Buch seines Parzival) behandelt, könnte ausnahmsweise auch einmal Wirnt der Gebende sein. Vgl. hierzu auch Christoph Gerhardt: ‚Das werc von salamander‘ bei Wolfram von Eschenbach und im ‚Brief des Priesters Johannes‘. In: Ars et Ecclesia. Festschrift für Franz J. Ronig zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Hans-Walter Stork u.a. Trier 1989, S. 135–160. – Motif-Index, B 768.2 Salamander subsists on fire. 7440 ir muoter was der selbe berc. Der Mutter der Japhite gehörte der Berg (Benecke 1819, S. 479); dies erklärt, warum der Stoff für andere Königinnen nur schwer erreichbar war.

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7444 der berc ist hol unde wît. Im XV. Buch des Parzival, V. 735,24–27 wird die feurige Wirkstätte der Salamander der Berg zAgremontîn genannt, d.h. wohl nach Acremonte in Sizilien, in der Nähe des Ätna (vgl. den Kommentar von Nellmann 1994 zu Wolfram von Eschenbach: Parzvival, V. 496,10). 7469–71 ûf eine hôhe brücke saz, daz nie dehein brücke baz von betten wart geslihtet. Der erhöhte Sitz (BMZ I,266a) ist im Palas aufgebaut, in dem auch der Kampf mit dem Endgegner stattfindet. 7576 wær ich ein sô werder kneht. Wie der guot kneht (V. 2807) dürfte an dieser Stelle der streitbare Held oder Ritter gemeint sein, der bereits einiges Renommée (auch bei den Damen) erworben hat. Vgl. BMZ I, 852a, Z. 16ff. Wenn hier der Autor von sich selbst spricht, könnte die Stelle entweder als Selbstaussage zum Stand (‚ich bin leider kein Ritter‘) oder zur bisher noch ausgebliebenen Anerkennung (‚nur ein Ritter ohne Namen‘) von Seiten der Gesellschaft gedeutet werden. Vgl. den Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere, V. 864: wær ich ein herre in hôher aht (auch diese Stelle lässt alternative Deutungen zu: ‚wäre ich ein Adliger, der hohes Ansehen hat‘ oder auch ‚wäre ich ein Angehöriger des höheren Adels, nicht nur ein Edelknappe oder ritterbürtiger Kleriker‘). Vgl. auch Reinmar von Zweter, Str. 155, Vers 4: wære ich ein herre, ich wolt ir niht (Die Gedichte Reinmars von Zweter. Hrsg. von Gustav Roethe. Leipzig 1887). 7673–7744 Klage der Japhite über den Verlust ihres geliebten Mannes. Vgl. zu V. 4883–97 (Verlustklagen). „Wirnt hat die Klage der Japhite um Roaz aus den bekannten Frauenklagen kompiliert …“ (i.e. Kriemhild, Sigune, Blanscheflur und Dido; Küsters 1991, S. 9–75, hier 71f.). 7774 palas. Siehe zu V. 222. 7790–7830 Zur ‚Ehrenrede‘ des Dichters für Roaz, die eine „Bilanz der Schlachtenteilnahmen und Waffengänge“ bietet und die „adlige Person nach der Summe ihrer ritterlichen Taten“ bemisst, vgl. Küsters 1991, S. 23. 7808 Babylôn. Nicht Babylon am Euphrat (südlich von Bagdad, mhd. Baldac), sondern Babylon am Nil: Alt-Kairo (Benecke 1819 z. St., S. 481ff.; BMZ I, 75b). 7813 jost. Siehe zu V. 6627. 7814 Babylôn. Babylonier, Einwohner Alt-Kairos. 7815 künic von Ascalôn. Als (britannisches) Königreich auch im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 67,13 und V. 321,19 (Vergulaht); hier ist aber Askalon in Palästina gemeint (nördlich von Gaza). 7817f. der tet im fîanze: daz spricht entiuschen sicherheit. Siehe zu V. 578. 7841 der grâve Adân von Âlârîe. Adan (frz.) ist der Vorname Adam (Urvater; z.B. in Chrétien de Troyes: Perceval, V. 8181). Alerîe ist in Konrads Rolandslied, V. 2649 (und Strickers Karl, V. 3097) ein heidnisches Königreich. 7853 Mirmidône. Einer der beiden über hundert Jahre alten Männer (V. 7090ff.) war der vor Damascus von Roaz gefangen genommene und als Torwächter verpflichtete König Gârel von Mirmidône (V. 8627). Das Königreich erinnert vom Namen an das sagenhafte Volk der Myrmidones auf Aegina, Gefolgschaft des Achilles (Ovid: Metamorphosen VII, 622–657, hier 654).

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7906 des wunsches âmîe. Mit dieser Formel wird Larie häufig bedacht (und nur sie: vgl. V. 8735, 9192, 9274, 10403, 10629, 11232, 11450). 7975 daz ist mîn reht: ich bin sîn man. Graf Adan beruft sich auf seine Pflicht, die ihm aus der Sicherheitsleistung (V. 7186) und dem Vasallitätseid erwachsen ist (V. 7190ff.); reht hat hier die Bedeutung von Pflicht (BMZ II.1, 621a, Z. 35 und 621b, Z. 7). 7981 dem künige. Roaz wird hier erstmals König genannt; in V. 3671 besitzt er eine vom Vater ererbte Grafschaft. Da er Usurpator des Königreichs Korntin ist, mag er von Graf Adan so genannt werden. 7986 mîn helfe und mîn rât. Materieller Beistand und Ratgebertätigkeit (consilium et auxilium) sind die Grundpflichten des Vasallen/Lehnsmannes. Vgl. Lambertus Okken: Kommentar zur Artusepik Hartmanns von Aue. Amsterdam 1993, zu Iwein, V. 4511 (S. 352). 7991 härsenier. „Schutzkappe aus Ringgeflecht, mit dem Panzerhemd fest verbunden. Sie verstärkt den Kopfschutz unter dem Helm … Das mhd. Wort zuerst bei Wolfram“ (Nellmann 1994, zu Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 75,29). 8014 Asîâ. Hier ist wohl nicht der Bereich Kleinasiens gemeint, da Japhites Mutter den Salamanderberg in der grôzen Asîâ (V. 7446; Innerasien) besitzt. 8087–89 die vreude die dhein ôre nie gehôrte noch nie ouge ersach noch nie munt dâ von gesprach. Bibel, I Cor 2,9: „Quod oculus non vidit, nec auris audivit, nec in cor hominis ascendit, quae praeparavit Deus iis, qui diligunt illum.“ (‚Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz kommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.‘) Vgl. Bibel, Is 64,4. 8136–39 Die Teufelsschar bemächtigt sich nicht nur der Seele des Heiden Roaz, sondern entrückt auch dessen Körper (Hinw. Fasbender 2010, S. 103). 8149 der engel genôzschaft. Wie im Iwein Hartmanns von Aue, V. 1474. Vgl. Art. Engel IV (christlich). In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 5. 1962, Sp. 109–220, hier Sp. 159 (mit Nachweisen; Hinw.: Lambertus Okken: Kommentar zur Artusepik Hartmanns von Aue. 1993, z.St.). 8231 Der Sargkasten ist aus einem einzigen jâchant (siehe zu V. 824f.) gearbeitet, darauf kam ein Deckel aus blauem Saphir (V. 8241). – Motif-Index, F 852 Extraordinary coffin [sarkophag]. 8237 gefult mit balsamô. Bei Heinrich von Veldeke ist im Eneasroman das Grab der Amazone Camilla geschildert, das sie sich von dem Baumeister Geometras schon zu Lebzeiten hat bauen lassen. Auch hier sind zwei Gefäße mit Balsam in den Sarg gestellt, die ein Faulen des Leichnams und entsprechenden Geruch verhindern (V. 9487ff.). Balsam ist das Baumharz des Balsamodendron gileadense, der in Ägypten und Arabien wächst (Brockhaus. 13. Aufl. Bd. 2. 1882, S. 408). 8244f. wart Gahmuret ze Baldac von dem bâruc bestatet baz. Wie er bestattet wurde, das berichtet Wolfram von Eschenbach im Parzival, V. 106,29–108,128: Der gold- und juwelengeschmückte Sarg erhält einen durchscheinenden Rubin als Grabplatte. Über dem Grab wird ein Kreuz aus einem Smaragd errichtet, sein Diamanthelm erhält eine gravierte Inschrift mit einem Nachruf. Die Kosten für alle Materialien trägt der Baruc: der bâruc die koste gap (V. 107,14). Die aus dem Hebräischen stammende „sachfremde Amtsbezeich-

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nung“ (ba¯ru¯k heißt ‚der Gesegnete‘) für den Kalifen von Bagdad, dem Oberherr der islamischen Welt, begegnet zuerst bei Wolfram. Vgl. den Kommentar von Nellmann 1994 zu Parzival, V. 13,21 und 13,22–24. 8254–89 Das zweisprachige Epitaphium der Japhite wird hier aus dem Französischen (das Arabische ist inhaltsgleich) übersetzt wiedergegeben. Der Inhalt zeigt an, dass die Inschrift sich auf zauberische Weise selbst erzeugt haben muss. 8258 heidenisch. Die Sprache der (muslimischen) Heiden (vgl. BMZ I,648b). Als allgemeine Bezeichnung für alle Araber galt lat. Saracenus, mhd. Sarrazîne. Produkte und Luxusgüter wie Gold und Edelsteine bezeichnete man mhd. als arâbisch. Cundrie nennt im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 782,6ff. die Planeten auf heidensch. 8261–89 Eine Inschrift trägt auch der kostbare Steinsarg der Camilla im Eneasroman Heinrichs von Veldeke, V. 9500–10: hie liget frowe Kamile diu mâre und diu rîche … Vgl. hierzu Küsters 1991, S. 22. 8282f. im selben er sælde koufet swer umb den andern vrumt gebet. Vgl. Hartmann von Aue: Armer Heinrich, V. 26–28: man giht, er sî sîn selbes bote und erlœse sich dâ mite, swer vür des andern schulde bite. 8290–8316 Sehr viel ausführlicher beschreibt Heinrich von Veldeke in seinem Eneasroman Grab und Mausoleum der Camilla (V. 9385–9574; Hinw. Langbroek 2007, S. 272). 8299 thymîâmatâ. Plural für gr. thymiama, n. Rauchwerk (BMZ III,33a; vgl. Lexer II,1431 unter thimeam); vgl. Albert Sleumer: Kirchenlateinisches Wörterbuch. Limburg 1926, S. 782. 8340 heidenisch. Siehe zu V. 8258. 8370 palas. Auch V. 8418. Siehe zu V. 222. 8426 ein teil. Mittelhochdeutsche mâze des Ausdrucks (siehe zu V. 2677): ‚völlig, ganz‘. 8440 kiulen. Keulen trugen die Knappen des Turnierritters, um die Beute beim unterlegenen Gegner zu sichern. Vgl. die Miniatur in der Großen Heidelberger Liederhandschrift, Bl. 192v: Albrecht Marschall von Raprechtswil; der unterlegene Knappe blutet vom Keulenschlag des gegnerischen Knappen. 8447 von den Ôsterherren ûf daz Sant. Österreichischer Adeliger, Herr (Matthias Lexer: Nachträge zum Mhd. Handwörterbuch. 1878, Sp. 335). Der sant ist die „Stechbahn“ (so Benecke 1819, S. 695), genauer der/das für Turniere genutzte Sant (ein Platz; Ufersand) am Pegnitz-Ufer bei Nürnberg. Vgl. Lexer II,605. Eine allgemeine Angabe, dass Österreicher (irgendwo) ein Turnier auf einer Stechbahn oder einem Ufersand veranstalten, wo sie auf Beute aus sind, gibt keinen Sinn. Es muss sich beim Sant um einen Turnierort handeln, der nicht nur von Österreichern besucht wird und in oder bei einer Stadt liegt, die des Öfteren für Hoftage genutzt wurde. 8461 geverte. „die art wie das pferd läuft“ (BMZ III, 255b). 8462f. walap … rabîne. „Ritter wie Ross waren gepanzert, sie sprengten im Galopp (walap) an und stürmten dann mit verhängten Zügeln (rabbîn) auf einander los.“ (Schultz 1880, Bd. 2, S. 107). Das Wort walap, vermutlich eine Entlehnung aus dem Ostfranzösischen ist zuerst im Parzival belegt (vgl. Nellmann 1994 zu Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 37,23); rabbîn, afrz. de ravine, ‚ungestüm‘ (auch Hartmann von Aue: Erec, V. 9867) ist die

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schnellste Gangart des Pferdes (gestreckter Galopp; Nellmann, ebd. und Lambertus Okken: Kommentar zur Artusepik Hartmanns von Aue. Amsterdam 1993, zu Erec, V. 9867–9868; zu den hier genannten und weiteren Gangarten ders. zu Iwein, V. 5965–5966). 8546–53 Der Erzähler versucht die Reaktionen wiederzugeben auf der Seite des Gesindes von Graf Moral: sie sehen einen Ritter nahen, wissen jedoch nicht mit Sicherheit, ob es der ist, der sie am vorigen Tag Richtung Glois verlassen hatte. Der Schild, das darauf erkennbare Wappen und die Farbe des Pferdes spricht gegen die Identität mit Wigalois, doch erkennt man ihn schließlich an der Zimier. Vgl. V. 6160 (Schild), 6063ff. (Ross), 6147ff. (Helm mit der Rad-Zimier). 8547–49 Vgl. V. 7840–49: Graf Adan wurde einst von Roaz gefangen genommen und musste ihm als Wächter der Pforte dienen. 8552f. nû vuort er daz rat … des sîn herze ie bat. Vgl. V. 1867ff.: durch daz truoc er daz rat, als in des sîn herze bat, zeiner zimiere. 8556f. Das dringen und hurten ist Ehrerweisung für den Helden: je lärmiger und dichter der Andrang, umso ehrenvoller ist er. Hier wird das höfische dringen auf Pferden ausgeübt: man stößt mit hurte, d.h. mit seinem eignen Pferd und Anrempeln den Nachbarn zur Seite. Vgl. die berühmte Stelle aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 297, 16ff. (von Dürgen fürste Herman …): etswâ smæhlîch gedranc unt etswâ werdez dringen; siehe den Kommentar von Nellmann 1994 zu Parzival, V. 217,28. 8565 sigelîche reit. Wird im BMZ II.2, 265a, Z. 40 verstanden als ‚dem Siege gemäß‘, d.h. er ritt ‚wie ein Sieger‘. Wir verstehen beide dort gegebenen Belegstellen als ‚siegreich‘ (wie Lexer II,915 das Adjektiv), ‚mit Triumph‘. 8586 ir sît aller êren wert. Siehe zu V. 3120. 8594 Jeraphîn. Ein Korntin lehenspflichtiges Königreich; vgl. V. 9520f. 8595 lebermer. Das Rote Meer (nicht das fabelhafte geronnene Meer); siehe Benecke 1819, S. 642; BMZ II.1, 138a. Vgl. Laubacher Barlaam, V. 2522ff.: der fuorten sie ein michel her rehte durch daz lebermer, als ez wære trucken lant: beidenthalben was ein want rehte alsô ein mûre (Teilung des Roten Meeres). 8598 ringe wac (r. wegen). Mittelhochdeutsche mâze des Ausdrucks ‚wenig wiegen‘ = nichts gelten. Siehe zu V. 2677. 8600 dâ von ich ê gesprochen hân. Graf Moral hatte zuvor keine Sprecherrolle; der davon gesprochen hatte, war der verzauberte König von Korntin selbst (V. 4703ff.; 4719ff.) bzw. die Botin Nereja (V. 3648ff.). – V. 8600 könnte sich aber auch auf das si (V. 8599) beziehen und damit auf die zuvor erwähnten zwei lant (V. 8588) zurückverweisen: ‚Sie (die beiden Länder), von denen ich zuvor gesprochen habe, waren dem König untergeben.‘ 8610f. er … lêch hin an der stet daz im sîn vater niht lâzen hêt. Dies muss sich auf Wigalois und seinen Vater Gawein beziehen: vom Vater hatte er die Länder nicht erworben und gab dennoch die soeben empfangene (freie?) Grafschaft an Graf Moral als Lehen zurück. 8612 vergêt. ‚Geht vorüber an jmd., hält sich von ihm fern‘ (BMZ I,473b). 8627 Gârel von Mirmidône. Siehe zu V. 7853.

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8639 von der hôhen brücke nider. Eine brücke, die in das Land Glois führt, wird V. 6546 erwähnt; sie wird von Karrioz verteidigt. Zum Ausdruck ‚hohe Brücke‘ vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 3667 die hôhen brücke, auf der das Ross Schwierigkeiten hat, Tritt zu fassen und strauchelt, und die von hohen Pfeilern getragene brücke (Wigalois, V. 4520) vor der Burg, die den Eingang zum Land Korntin schützt. 8652f. dâ sluogens unde wurfen mit die tambûr. „Das tambûr [eine Handtrommel] genannte Instrument (so schon Eneide 1171) ist sarazenischer Herkunft, seine Kenntnis wohl durch die Kreuzzüge vermittelt (afrz. tambour). Es gab vielerlei Typen, alle ziemlich klein und von hellem Klang. Kombination mit pusûnen war beliebt.“ (Nellmann 1994 zu Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 19,8). Benecke 1819, S. 719 fasst tambûr an dieser Stelle als „Trommler“ (dâ sluogen …) wie in der vorliegenden Parzival-Stelle. (‚Dort trommelten und warfen die Tambur-Schläger mit Geschick‘). 8786 gnâde mînes herren. Vgl. BMZ II.1, 341b, Z. 7ff.: „ist Lachmann’s vermuthung in dem glossar zur auswahl nöthig und richtig, Wigal. 8786 genâde mînes herren statt des d[a]t[i]v [mînem] zu lesen?“ 8789 helfe unde rât. Hier im übertragenen Sinne (Beistand der Ehepartner untereinander). Siehe zu V. 7986 und Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 640,20: helfe und râtes rîche sei Orgeluse, was die kommende Nacht unter einer Decke mit Gawan betreffe. 8810 mîn vrouwe. Königin Amena, die Mutter. 8823 alsô wunder. Als Verwundeter, derart verwundet; wie Nibelungenlied B, Str. 257,4; vgl. BMZ III, 822b. 8833 lobten. Vgl. BMZ I, 1021a: lobe II: gelobe, verspreche (Stelle genannt); aber ‚den Entschluss preisen, loben‘ passt besser zu der gegebenen Begründung. 8839 wol mich wart. ‚Mir ist Gutes/Glückliches widerfahren/begegnet‘. Vgl. BMZ III, 799b, Z. 18 u. Z. 28ff. 8852 mit gedinge liez. Mit einer Übereinkunft, einem Vertrag überlassen (BMZ I, 340b). 8860 der vrouwen garzûn. Der Page Laries; vgl. V. 8931. 8876 sine dorfte niht. Doppelte Verneinung; bei Kapteyn Druckfehler: sîne. 8897–8907 Der von Larie getragene Mantel (kappe) kann nicht heraldisch gedeutet werden, da die Farben auf Außen- und Innenseite und am Saum sich nicht auf gemeinsamem Grund befinden. Cora Dietl deutet die eingewebten Goldfäden der (Natur-?)Seide, den Hermelin des Innenfutters und den Zobelbesatz, vielleicht auch noch das schwarze Gewand (der Mutter; vgl. Wigalois, V. 8915) als schwarz-weiß-rotes Gewand „in den Farben des Reichs“ (Cora Dietl: ‚Her Viegoleis med guld hiulet‘. In: Jahrb. d. Osw. v. Wolkenstein Ges. 16 [2006/07], 279–296, hier S. 284); dies ist unheraldisch und auch historisch falsch. 8898 pfelle. Siehe zu V. 705; rôt als ein bluot. Siehe zu V. 2212. 8954 wol mich wart. Siehe zu V. 8839. 9003f. reichte im dar ir tohter zoum. Die Übergabe der Tochter aus der Munt der Eltern an den Ehemann wird hier durch das Ergreifen des Zaumes symbolisiert; vgl. die ähnliche Symbolik V. 3197.

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9014 von hurte (auch V. 9016, 9020, 9028). Das Stoßen, Anrennen des Gegners (ohne Beteiligung der Waffen oder Lanze) oft mit dem Schild ausgeführt. Auch der Zusammenprall beim Einzelstechen. Vgl. Benecke 1819, S. 622 („der Stoss“); BMZ I,735a. Vgl. 8556f. 9023 eit gestabet. (Vor Gericht) als wahr bezeugen. BMZ I, 426b, Z. 13ff. und II.2, 595a. 9089 sper von Angran. Die Stadt (Angram/ Angran/ Angeran), aus der die Stahlspitzen der Lanzen kommen, ist, da sie mit Schäften aus Bambus kombiniert erscheinen, „in Ostindien zu suchen“ (BMZ I,46a); „Unbekannte Stadt, wohl im Orient“ (Nellmann 1994 zu Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 335,20). Außer Wolfram und Wirnt kennt nur noch der Verfasser des Biterolf Lanzen geschift von Angran (V. 7088). Agra in Indien kann nicht gemeint sein, da die Stadt vor 1504 noch ein Dorf war (Brockhaus. 13. Aufl. Bd. 1. 1888, S. 225). Der einzige Ort, der aus abendländischer Sicht passen könnte, ist die Handelsstadt Agram (Zagreb) in Illyrien/Slawonien; vgl. Johann Heinrich Zedler: UniversalLexikon. Bd. 1. 1732, Sp. 812 („wie denn der Handel daselbst ziemlich starck ist“), Bd. 36. 1743, Art. Sclavonien, Sp. 646f.: „hat viel Bergwercke“ (Sp. 647); „Das darinnen wohnende Volck ist dermassen zum Kriege geneigt, dass sie oft beten, GOtt wolle sie mit dem Schwert in der Hand sterben lassen.“ (ebd.); Brockhaus. Bd. 1, S. 226. Allerdings galt der in der benachbarten Steiermark hergestellte Stahl als der allerbeste in Europa (Zedler. Bd. 39. 1744, Sp. 885), warum sollte man also Speerspitzen in Agram kaufen? 9092f. Der Erzähler erinnert an den Ausgang des Vorrechtskampfs mit Schaffilun, V. 3490–3569: der Name des Konkurrenten um die große Aventiure wird erst hier bekannt (V. 9095). Die Wiederaufnahme des Geschehens schließt den Bogen zu den Bewährungsaventiuren im Vorfeld der Kämpfe in Korntin und Glois. 9106–11 Der Inhalt dieser Verse widerspricht den Versen 9115–9123. Sollten sie als Alternativverse zu verstehen sein? Vgl. die Irritationen bei den Schreibern der Handschriften C, L (V. 9108–21 fehlen) und S (V. 9107–08 fehlen). 9115 si riten pfärt diu wâren kranc. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 4934f.: ir pfärit wâren, diu sî riten, tôtmager und vil kranc. 9133–42 Elamie wird von zwölf Amazonen begleitet, deren Hauptmännin Marine ist (V. 9150, 9165). Amazonen mit ihrer Anführerin sind u.a. aus Heinrichs von Veldeke Eneasroman bekannt (Camilla wird von 500 Jungfrauen begleitet, V. 5212–24). Vgl. Kern/ Ebenbauer 2003, S. 55ff. – Motif-Index, 565.1 Amazons. Women warriors. 9146 Âlârîe. Aus demselben Land stammt Graf Adan, der Torwächter des Roaz. Siehe zu V. 7841. 9151f. Von der Gefangennahme des Großvaters (ene) der Marine, Graf Adan, vor Damaskus berichtet der Erzähler V. 7840–7857. 9163 nam dâ sîne sicherheit. Siehe zu V. 578. 9165f. Marine, die Anführerin der zwölf Amazonen, übt rîterschaft und ist darauf bedacht, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, ein Zug, den sie mit der Königin von Volcane im Heer des Turnus, Frau Camilla, teilt (Heinrich von Veldeke: Eneasroman, V. 5142ff., bes. V. 5190–93 und 5210f.). – Vgl. V. 11025–30 (ihr Tod im Kampf). Auf welchen Umwegen ist Wirnt wohl auf den Namen der Amazonenkönigin Myrine (Myrine) gekommen, von der Diodor (III,54f.) berichtet, dass sie die Insel Samothrake als erste besiedelte und einen

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Kriegszug gegen die Gorgonen unternahm? Sie fiel in einer Schlacht gegen den Thraker Mopsos; vgl. auch die Scholien zu Apollonius Rhodius: Argonautica Lib. 2, 965 (Scholia in Apollonium Rhodium Vetera. Recensuit Carolus Wendel. Berlin 1935); Strabo: Geographika C 573,23 u. ö. (Strabons Geographika. Gr.-dt. Hrsg. u. übers. von Stefan Radt. 10 Bde. Göttingen 2002–2011, vgl. Registerbd. 10, S. 198). – Homer (Ilias II,814) erwähnt ihr Grab. 9184 ze Tírô si krône truoc. Als unverheiratete (V. 9187) Königstochter und Erbin konnte auch eine nichtregierende Prinzessin ‚die Krone tragen‘; vgl. den Kommentar zu 5815. 9275 âvoy. Interjektion; „ausdruck frohes erstaunens“ (BMZ I,74a); vgl. Nellmann 1994 zu Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 21,14: „Afrz. avoi ‚hei!‘“; „Die Herleitung aus angeblichem afrz. ah voi = ‚ha sieh!‘ scheint unhaltbar“. – Felicitas Olef-Krafft übersetzt im frz. Perceval mit „Genug!“, „Oh weh“, „Was!“, „Soso“, „Oho!“, „Weh“, „So etwas!“ (V. 5274, 5546, 7090, 7281, 7396, 8334, 9032; Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral. Altfranz./Dt. Übers.u. hrsg. von F. O.-K. Stuttgart 1991). Diese Stellen ließen sich in einer Ersetzungprobe mit einem abweisend-verwunderten oder bewundernd-erstaunten „Schaut her!“ (nicht aber bspw. mit „hei!“ oder „Oweh!“) füllen. 9321–24 Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, V. 38ff. dâ was ein bœser man in vil swachem werde: wan sich gesament ûf der erde bî niemens zîten anderswâ sô manec guot rîter alsô dâ. Ebenso wie am Artushof finden sich am neugegründeten Hof von Korntin nur die besten Ritter. 9349 herhorn. Kriegstrompete, lat. tuba, buccina (BMZ I,715b). 9352 palas. Siehe zu V. 222. 9428f. und vrâget die helde mære ob daz ir wille wære. Auch im Iwein Hartmanns von Aue (V. 2387–94) fragt Laudine ihre Vasallen und Heinrich seine Angehörigen und das Gefolge in Hartmann von Aue: Armer Heinrich, V. 1506–11, ob sie mit der Heiratsverbindung (und den damit verbundenen politischen Folgen) einverstanden sind. „Überhaupt enthält diese ganze Beschreibung der Feyerlichkeiten, mit denen Larie ihr Reich ihrem Gemahle überträgt, manche für das Staatsrecht des Mittelalters nicht unwichtigen Erläuterungen und Belege“ (Benecke 1819, S. 492). 9444 palas. Siehe zu V. 222. 9450f. man warf die tambûr enbor mit slegen. Siehe zu V. 8652f. 9549–58 Kragl 2006, Bd. 2, S. 1270 (zu Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 9208–9217) macht unter Verweis auf den Wigalois darauf aufmerksam, dass eine „Lehnsübergabe […] in Artusromanen generell selten erzählt“ wird. 9571 Lanzelet. Vgl. zu V. 10071. 9595f. Die Schilde waren mit rotem Brokat überzogen, d.h. die darauf befindlichen Wappen (vgl. V. 5612–19; 5633–35) waren nicht zu sehen. So konnte die Schar unerkannt (und unbelästigt von Feinden der Tafelrunde oder Hilfesuchenden?) nach Korntin reisen. Der gewöhnliche Grund, die Schilde mit einem Überzug (hulft, afrz. houce) zu versehen, war es, sie vor der Witterung zu schützen. Vgl. Nibelungenlied B, Str. 1702,1: Ein hulft von liehtem pfelle; Biterolf, V. 2298ff.: den schilt von golde spannen wyt,/ den bedachten sy so

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gar,/ daz des da nyemand ward gewar u. V. 2309ff.: ein hulfft ob seinem satel lag/ darumb, daz der schein nicht wag/ wider dem schilde wolgetan./ er kunde kainer schlachte man/ vermelden, daz sys wéren. Vgl. Schultz 1880, Bd. 2, S. 81. 9641–45 Vgl. das erste Treffen von Vater und Sohn im Biterolf, V. 4298–4309: sunder sy do giengen, da sy niemand ensach, vntz er im alles des veriach, wie er geraumet het das landt […] Da fragte von seinen landen vnd von den weyganden Pitrolf der maere, ob noch gesunt waere die kuniginne Dietlint. Letzere taucht im Biterolf, V. 13355ff. ganz unvermittelt wieder an der Seite von Biterolf auf, als dieser zusammen mit Dietlinde den Etzelhof besucht. 9652f. dîn gruoz was mîner vreuden ôstertac. Der Tag der Auferstehung Jesu (am Ostersonntag) wird als höchster christlicher Feiertag gerne metonymisch für vollendeten Glücksgewinn genommen. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein, 8118ff.: diz ist diu stunde / die ich wol iemer heizen mac / mîner vreuden ôstertac; vgl. noch Reinmar, Lied MF 170,1 (Des Minnesangs Frühling. Bearb. von Hugo Moser und Helmut Tervooren. Bd. 1: Texte. 38. Aufl. Stuttgart 1988), hier 170,19: Si ist mîn ôsterlîcher tac. Nur Gaweins Tage der höchsten Freude liegen weit in der Vergangenheit. 9788 man buhurdierens pflac. Siehe zu V. 1256. 9819 vor Namûr. Die Kreuzritterburg Anamur an der südanatolischen Küste gegenüber Zypern (Abfall des anlautenden Vokals wie bei Natolien für Anatolien), nicht Namur in Belgien. Die Stadt ist Libyen (Lîbîâ, V. 9815), Syrien und Askalon und weiteren Reichen des vorderen Orients benachbart. Anamur, von den Türken Mamure Kalesi genannt, ist die größte Befestigungsanlage an der Südküste und wurde im 12. Jh. von kleinarmenischen Königen erbaut. Im 14. Jh. kam sie unter die Herrschaft Zyperns, ab 1469 waren die Osmanen die Herren. Die Anlage besteht aus zwei großen Höfen und der im Westen liegenden Kernburg mit einem Wohnturm. Nur wenige Kilometer entfernt befinden sich die Reste der antiken Stadt Anamurion, die bereits in hellenistischer Zeit besiedelt war (nach einem Hinweis von Karlernst Seelbach). 9864 leit mit leide klagen. Vgl. zu V. 4831. 9880 Lâr. König von Korntin, Vater des Jorel (der sein Königreich Korntin an Roaz verlor) und Großvater der Larie. Siehe zu V. 6072. 9882 helfet mîner vrouwen wider. Einem wider helfen, „ihm Entschädigung verschaffen“ (Benecke 1819, S. 751). 9884 niftel. Siehe zu V. 2683. 9898 Valwen. Kumanen, Volkstamm, der am Schwarzen Meer und der unteren Donau siedelte. Von den Mongolen nach Ungarn vertrieben und dort von Bela IV. 1238 aufgenommen. Vgl. Lexikon des Mittelalters. Bd. 5. 1991, Sp. 1568f. 9951f. Vgl. V. 2317f., wo ebenfalls das Pferd des getöteten Gegners nicht zum Beutegut des Siegers zählt. 9981 sper von Angran. Siehe zu V. 9089. 9969–10037 Vgl. zu V. 4883–97 (Verlustklagen). 9991–10022 Die Gesten einer heftigen Trauer zielen auf die Umwelt, die damit von dem tiefen Schmerz der Hinterbliebenen erfährt: Abschneiden der Haare (V. 9992), Tränenbäche (V. 9994), Zerreißen der Kleidung (V. 9998ff.), Toben und Wüten (V. 10009),

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Verweigerung, Kleidung zu tragen (V. 10010), schließlich Selbstverstümmelung (V. 10017). Vgl. die Gebärden der Trauer von Enite im Erec Hartmanns von Aue, V. 5757 (Schläge gegen die Brüste), 5760 (Ausreißen der Haare), 6062ff. (Selbsttötungsabsicht), von Laudine im Iwein Hartmanns von Aue, V. 1310 (Ausreißen der Haare und Zerreißen der Kleidung), 1330 (Zerreißen des Gebendes), 1339 (Raufen und Schlagen), von Sigune um Schionatulander im Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 138,17f. u. 253,1 (Ausreißen der Zöpfe), 253,9 (Tränenbäche), der Japhite nach dem Tod von Roaz, V. 7676 (Zerreißen der Kleidung), der Gräfin Beleare nach dem vermeintlich sicheren Tod ihres Gemahls, V. 4882ff. (Zerreißen des Gebendes und des Gewandes), 4893ff. (Selbstverstümmelung). Hinw. Küsters 1991, S. 71f. – Motif-Index, F 1041.21.6 Tearing hair and clothes from excessive grief. 9998 samît. Siehe zu V. 401. 10037 ir triuwe wac vür Karles lôt. Vgl. den Kommentar (Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hrsg. von Joachim Heinzle. Frankfurt/M. 1991) zu Willehalm, V. 256,22 gein Karels lôt: „Eine formelhafte Wendung, die in den Zusammenhang einer Tradition gehört, derzufolge Karl der Große in allen Lebensbereichen die Ordnung des Rechts gesichert hat: Karles lôt ‚Karls Gewicht‘ ist das genau geeichte Waage-Gewicht, auf das sich der Handeltreibende verlassen kann.“ (dass. wörtlich übernommen von Jesko Friedrich: Phraseologisches Wb. des Mhd. Tübingen 2006, s. v. ‚Karl‘); Benecke 1819, S. 495: „überwog das strengste Richtloth“. 10071 Lanzelet der Arlac. Auch im Erec Hartmanns von Aue, V. 1631: Lanzelot von Arlac; bei Chrétien de Troyes: Erec et Enide, V. 1695 (1674) del Lac (und Varianten). Der Herkunftsname heißt bei Ulrich von Zatzikhoven (wie bei Chrétien de Troyes) de Lac (V. 5092 u. ö.); daher ist eine Bekanntschaft Wirnts mit dem Lanzelet Ulrichs in deutscher Sprache nicht notwendig vorauszusetzen. 10074 Zaradech und Panschavar. Zuerst V. 9224 genannt. 10098 Darêl, Gamêr und Arîûn. Die im folgenden genannten Königreiche Medârîe (zuerst V. 9084) und Belakûn (zuerst V. 9096) gehörten König Schaffilun. Die ‚drei mächtigen und wohlbekannten Fürsten‘ werden bereits V. 9083 erwähnt, jedoch nicht namentlich genannt; dies geschieht erst hier. 10114 neve. Eigentlich der ôheim (Mutterbruder) von Bejolarz, was eindeutig aus V. 8716–20 hervorgeht. Vgl. BMZ II.1,331b; hier wohl als ‚Verwandter‘. 10123f. dîner vreuden klinge muoz bresten. Die anschauliche Metapher stammt aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 103,18: dô brast ir freuden klinge mitten ime hefte enzwei. 10133 junger rê. Leichnam eines jungen Menschen (so Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 107,5) oder ein erst jüngst zum Leichnam gewordener Mensch? 10156 ôwoch. Vgl. woch, V. 5381. 10166f. dehein blat legen vür mînen munt. Frühester Beleg für die sprichwörtliche Redensart (Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1. 1994, S. 205f.; vgl. Jesko Friedrich: Phraseologisches Wb des Mhd. Tübingen 2006, s.v. ‚blat‘). 10201 ez sterben wan die veigen. Sprichwort. Vgl. das Rolandslied des Pfaffen Konrad, V. 8402: hi nerstirbet nimen wan di uaigen; Nibelungenlied B, Str. 150,2: dâ ster-

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bent wan die veigen: die lâzen ligen tôt. TPMA 11 s. v. Tod 4.1.3; Handbuch Sentenzen 1, S. 268–271 (Wigalois, V. 10201). 10260–64 Auch wenn die Formulierungen kaum übereinstimmen, so erinnert die Stelle doch stark an Walthers Reichston: stîg und wege sint in benomen: / untriuwe ist in der sâze, / gewalt vert ûf der strâze, / fride und reht sint sêre wunt (2,I,20–23 = L 8,4, V. 20). 10272–96 Wirnt übernimmt hier einige Formulierungen aus der Apokalypse des Johannes, 4.–9. Kapitel. Vgl. in der Reihenfolge der Verse: Bibel, Apc 10,4; 4,10 u. 5,6; 7,10–17; 4,7; 8,13. 10284 Die Tiere sprechen zwar Apc 8, aber die hier folgende Aussage ist dem Adler (= Johannes) in den Mund gelegt. 10306ff. Die Verse knüpfen nach der längeren Reflexion des Erzählers an die V. 10237–42 an, die die Reaktion des Hofes in Korntin über die Nachricht vom Tod der Liamere schilderten. 10319–21 Dasselbe Bild wie V. 10176–78. 10345–48 Wigalois lässt für Larie ein Kastell auf einem Elefanten errichten. Dass dies möglich war, konnte der zeitgenössische Hörer oder Leser im Straßburger Alexander beglaubigt finden: man mach ûf si bûwen, willit irs getrûwen, turme unde berchfride (V. 4334–36; vgl. 4371ff.) 10360 ein mückennetze sîdîn. Dieselbe Funktion hatte wohl das netze, unter dem Iblis ligen solte, swenne siu ruowen wolte (Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, V. 8516–20). 10364 balsam. Siehe zu V. 8237. 10366 bisem und spicâ nardî. Bisem oder Moschus ist das Sekret des Moschustieres (Bisamtier); nach Austrocknen wird die salbenartige Masse zu stecknadelkopfgroßen Körnern; sie besitzt einen durchdringenden, lang anhaltenden Geruch. Bisem wurde über den Fernhandel aus Zentralasien importiert (Brockhaus. 13. Aufl. Bd. 11. 1885, S. 884). – Spica nardi (lat.) ist eine Lavendelart. 10381 des Alten lant. Der Alte vom Berge, Raå\dadd\n Sinan (reg. 1163–93), Großmeister der Assassinen, die in Persien siedelten (Lexikon des Mittelalters. Bd. 1. 1980, Sp. 1118). 10424 palas. Siehe zu V. 222. 10460 dankes. ‚wissentlich‘ (Benecke 1819, S. 546). 10480 geteilet wîz unde rôt. Nach heraldischer Terminologie ist der Schild in der Mitte durch eine waagrechte Linie geteilt; oberhalb der Linie ist die Farbe Weiß (Ersatzdarstellung für Silber oder Hermelin). 10504 buckeler. Nach frz. bouclier, großer Mannschild des Fußvolkes (BMZ I,275b). 10516 samît. Siehe zu V. 401. 10518 mit lutern vedern gefurriert. Siehe zu V. 4404. 10535 von borten guot. Seidenband mit Goldfäden und zuweilen Edelsteinbesatz (vgl. V. 8906f.); als Applikation oder Gürtel (vgl. V. 771) verwendet (BMZ I,223a; Brüggen 1989, S. 207f.). 10544 pfelle. Siehe zu V. 705. 10551 mit offener snüere. Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 228,9ff. über den Mantel der Repanse de Schoye: einen mantel … legt an sich der wol gevar [Parzival]; mit of-

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fenre snüere (:gefüere). Vgl. den Kommentar von Marta Marti: „es war wohl eine besondere Mode, wenn der Mantel nicht mit der Schnur geschlossen getragen wurde“ (Wolframs von Eschenbach Parzival und Titutel. Hrsg. von Karl Bartsch. 4. Aufl. bearb. von M. M. Tl. 1. Leipzig 1927, S. 257, zu 228,11), und Nellmann 1994 zu Parzival, V. 144,30 und 228,11; Brüggen 1989, S. 85. 10563 vürspan. Siehe zu V. 6332. Vgl. Nachwort, S. 283f. 10574–10576 Die vorausgehende Ekphrasis des vürspan wird abschließend vom Erzähler noch einmal als Wortkunststück aus eigener ‚Schmiede‘ hervorgehoben. 10577 pfelle. Siehe zu V. 705. 10635–37 des selben tieres schîn in einen swarzen samît gesniten. Der goldene (V. 10631) Leopard auf Schwarz (sonst Blau, vgl. V. 3909–15), als Zeichen der Trauer um Laries Vater (V. 10639f.). Es gab Vergleichbares in der Heraldik des 13. Jahrhunderts: Nach dem Tod des letzten Staufers Konradin wurden die Farben des Herzogtums Schwaben geändert: statt drei roter leopardierter Löwen auf Gold führte das verwaiste Herzogtum die drei schwarzen Leoparden, die noch im heutigen Wappen des Bundeslandes Baden-Württemberg erscheinen. 10671 sper von Angran. Siehe zu V. 9089. 10674 gabilôt und atigêr. Ein javelot (frz.) ist ein Wurfspieß, der nur vom Fußvolk oder auf der Jagd benutzt wurde. – atigêr ist ebenfalls ein Wurfspieß; vgl. Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 2647: 15.000 Fußknechte im heidnischen Heer di furten alle atihgere. 10705 gebildet mit rôtem golde gar. Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 71,17, mit golde er [der Waffenrock] gebildet was. Der Schildgrund aus grüner Seide wird ornamentale Musterung, die später sogenannte Damaszierung aufgewiesen haben (vgl. Wolfgang Ribbe, Eckhart Henning: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. 10. Aufl. Neustadt 1990, S. 324, Taf. 25, Abb. 8). 10728 ûf dem graben. Besonders in Ländern mit Wassermangel war der Graben vor Wall und Mauer nicht aufgefüllt, und dort konnten Kämpfe mit den Belagerten ausgetragen werden. Dem aber widerspricht die Angabe in V. 10733f. Demnach müsste es sich um Kämpfe vor dem Graben oder in einem äußeren, trockenen Graben handeln. 10740 türne, bercvrit, ärker. Turm und Bergfried sind im Grunde dasselbe, wobei der Bergfried als Hauptturm einer gewöhnlichen Burg etwas größer als die Nebentürme ausfiel. Die meist aus Holz gebauten Erker reichten über die Mauer hinaus und erlaubten so seitliche Angriffe auf die Belagerer. 10748 pfeterære und grôze mangen. Beides, mlat. petraria und manga, sind Steinwurfmaschinen: Die Petraria war wie das Trabucium eine Hebelschleuder mit Gegengewicht; die Mange bezog ihre Kraft wie eine Armbrust von einem Bogen, der einen Felsbrocken schleudernden Löffel abschnellen ließ. Vgl. Schultz 1880, Bd. 2, S. 338 u. 344f. 10752 graben. Auch V. 10755 tiefen graben. Auch hier wieder ist der Burggraben trocken und als Kampfplatz bzw. zum Anstürmen mit Leitern geeignet. Dies passt nicht zum wassergefüllten Graben in V. 10733f. 10815–17 ditz mære ist hier mit undersniten und durch die [g]warheit geriten den alten und den niuwen siten. Die dunkle Stelle konnte durch unsere frühere Übersetzung nicht

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als aufgeklärt gelten. Benecke 1819, S. 729 paraphrasiert undersniten als „bunt, abstechend gemacht“. Von Baudissin 1848 übersetzt: „Hier ward in der Erzählung Mitten / Der Faden abgeschnitten, Und neue gezeigt wie alte Sitten“; Thomas 1977, S. 226, übersetzt „With this the story stops, and truth rides it to old and new morals“. Buschinger 2004, S. 204f.: „Cette histoire s’arrête ici et la vérité la chevauche en direction de vieilles et de nouvelles habitudes“. Das Verb undersnîden (unterschneiden) – sofern es sich nicht im engeren Sinn um einen Begriff der Schneiderkunst handeln – begegnet in der Regel als Partizip (nach Lexer: ‚vermischt‘ – eine Überprüfung aller Stellen in der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank legt beim übertragenen Sinn an fast allen Stellen die Bedeutung ‚versetzt‘, ‚abgesetzt‘ nahe) und markiert ein unorganisches Zusammensetzen von sachlich (stofflich) Verschiedenem. Die bekannte Stelle aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, V. 281,21: diz mære ist hie vast undersniten, / ez parriert sich mit snêwes siten, die sich wieder stärker dem Bildbereich der Schneiderkunst nähert, hilft kaum weiter. Am ehesten ist Wirnts Erzählung ‚versetzt‘ mit der Problematik ausbleibender Milte eines Gönners (die in der Andeutung verbleibt). Auf keinen Fall kann ist undersniten auf die alten und neuen Gewohnheiten (im Dativ) bezogen sein. (Ebensowenig gibt es einen Beleg im Sinne von ‚abgeschnitten‘, ‚abgebrochen‘.) Dieses maere soll aber nun noch geriten sein, und zwar den alten und den niuwen siten (nicht durch die [g]warheit!). Belegstellen für ist geriten (Infinitiv rîten) mit einem bloßen Dativ finden sich im Nibelungenlied B, Str. 177,4: jâne wart den Sahsen geriten schedelîcher nie („niemals wurden die Sachsen verheerender angegriffen“) und im Willehalm, V. 363,28: swaz der getouften im gereit (gegen ihn anritten), / die nâmen von sîner hende / ûf den gotes solt ir ende. (Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hrsg. von Joachim Heinzle. Frankfurt/M. 1991) – Alte und neue Gewohnheiten werden von Wirnts maere also (in feindlicher Absicht) angegriffen. Die Konjektur Kapteyns schließlich, die gegen das durchgängig hsl. überlieferte warheit (eine lectio facilior) eine synkopierte Form von gewarheit (überwiegend in der Bedeutung ‚Sicherheit‘, ‚Zuflucht‘ – dieses geht zurück auf das starke Femininum gewar, seltener als ‚zugesichertes, verbürgtes Recht, Versprechen‘, das vom gleichlautenden schwachen Femininum abstammt) vorschlägt – [g]warheit, passt in den Sinnbezirk vorenthaltener Milte. Die Konjektur wird erhärtet durch Vergleichbares bei Hartmann von Aue: Lunete erinnert ihre Herrin Laudine an eine Zusicherung, auf die der Ritter mit dem Löwen (Iwein) Anspruch hat, mit den Worten: nû behaltet iuwer gewarheit / unde lœsent den eit (Iwein, V. 8069f., von Thomas Cramer übersetzt mit „Haltet Euer Versprechen und löst den Eid ein.“). Aus dem Apparat zur siebten Ausgabe von Benecke/Lachmann/Wolff ist ersichtlich, dass die lectio difficilior gewarheit allein von Hs. A gestützt wird: „gewarheit A, eit a, warheit die andern“ (Iwein. Neu bearb. von Ludwig Wolff. 7. Ausg. Bd. 2: Handschriftenübersicht, Anmerkungen und Lesarten. Berlin 1968, S. 217, V. 8069). Hierzu der Kommentar: „Man muss diese Stelle zusammen mit 8116 betrachten. Ich glaube mit Steinger, dass in diesem Fall doch A hier das Richtige bewahrt hat, und wir zwar nicht gewârheit, das im Mhd. nicht belegt und nicht anzunehmen ist […], aber gewarheit zu lesen haben. […] Bech meinte, mit gewarheit möge das Echte sein: ‚nicht ohne mich meiner Sicherheit zu begeben‘, aber es geht nicht um die Sicher-

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heit, sondern um den Eid.“ (S. 271f.). Bei der Wigalois-Stelle handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Entschuldigung für den unvermittelten Exkurs, der sich an der Natur der freigebigen Jungfrau Elamie entsponnen hatte: Wirnt tadelt seinen (seine?) Gönner, der nicht zu seinem Wort steht und versprochene Wohltaten gegenüber dem Dichter nicht eingelöst hat. Kargheit und Geiz haben wieder die Oberhand gewonnen (vgl. schon Prolog, V. 64–74). „Dieses (Wassermühlengleichnis) habe ich einer zugesicherten Gabe wegen, aus kritischer Haltung gegen alte und neue Verhaltensweisen eingefügt.“ Mittels des abschließenden Dreireims wird das Ende dieses Milte-Exkurses markiert. 10848–50 von leder ein huot hienc dâ bî der daz gezelt machet vrî des regens, sô der nider gôz. Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 129,24ff., dâ hienc ein liderîn huot, den man drüber ziehen solte immer swenne ez regenen wolte. 10878 hollerblâsen. Meint hier offenbar die Sambuca (vgl. BMZ II.2, 50a), wobei sambucus der lat. botanische Ausdruck für den Holunder ist. Eine Sambuca ist a) eine Pauke, die geschlagen wird (Laurentius Dieffenbach: Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis. Frankfurt/M. 1857, Sp. 509c: u.a. tympanum, pawgk), b) ein Blasinstrument (ebd.: eyn holderpfyff, floet) oder c) – traditionell am besten bezeugt – ein Saitenspiel, wie es im Tristan Gottfrieds von Straßburg, V. 3682, gerühmt wird. Vgl. Lambertus Okken: Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg. Bd. 2. Amsterdam 1985, S. 189–193. Letzteres ist ein dreieckiges, harfenartiges Instrument von sehr scharfen Tönen (gr. sambuke); vgl. Giuseppe Rigutini, Oskar Bulle: Dizionario italiano-tedesco. Bd. 1. Leipzig 1897, Sp. 728c. Diese sambuca wird auch an den entsprechenden Bibelstellen (Bibel, Dn 3,5; 3,7; 3,10; 3,15) gemeint sein, die bei Martin Luther mit „Geige“ übersetzt wird. – Das unpassende und hier unvermittelte Geflöte der Verteidiger auf der Mauer könnte eventuell auch ein missverständlicher lateinischer Quellentext Wirnts ausgelöst haben, der von der Abwehr einer Belagerungsmaschine durch die Verteidiger sprach: denn sambuca wird auch eine Sturmleitervorrichtung genannt, die zum Erstürmen von Mauern geeignet ist (vgl. Dieffenbach und Rigutini/Bulle). 10897f. decke … von îsen und von pfelle. Die aus Eisenringen gefertigte Decke schützte die Pferde wie der Halsberg den Ritter. Darüber milderte die hier aus kostbarer Seide gefertigte covertiure die Sonnenhitze und diente ebenso als Zier; Schultz 1880, Bd. 2, S. 84f. 10903–05 Ein grünes Rad auf roter Seide muss nicht notwendig als unheraldisch gelten, denn bei der Darstellung des Metalls musste bei Bannern und Pferdedecken ein dem Gold (oder Silber) farblich entsprechender Stoff gewählt werden, der hier entsprechend rôt von golde (vgl. V. 76, 405, 1038) und nicht rôt alsam ein bluot (vgl. V. 2212) war. 10918–21 Das goldene Tier von Korntin (Leopard) auf schwarzem Grund. Siehe zu V. 10635–37. 10921 Azagouc. Land des Königs Isenhart, von Gahmuret seinem Sohn Feirefiz vererbt. Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 30,23 u. ö.; auch im Nibelungenlied B, Str. 439,2 als Herkunftsort kostbarer Seide genannt. 10944 hersenir. Siehe zu V. 7991 (härsenier).

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10964 sicherheit dâ niemen bôt. „sich zu einer solchen Versicherung erbieten, um sein Leben zu retten.“ (Benecke 1819, S. 703). Vgl. BMZ II.2, 260b, Z. 12ff. Vgl. zu V. 578 (sicherheit). 10975 mit antwerke. „Alle die Maschinen, die zur Belagerung oder Vertheidigung einer Festung erbaut werden, heissen Antwerc (mlat. ingenia, afr. engins)“ (Schultz 1880, Bd. 2, S. 369). 10987 vil herte nâchgebûre. Im übertragenen, sprichwörtlichen Sinne: was kann ein schlimmerer Feind sein als der böse Nachbar? Vgl. Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 15052ff.: deheiner slahte nezzelkrût nie wart sô bitter noch sô sûr alsô der sûre nâhgebûr; Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 56, 3f.: an strîte ein schûr, den vînden herter nâchgebûr; Wigalois, V. 9417f. herzeliebe ist ein schûr, dem lîbe ein herter nâchgebûr; Konrad von Würzburg: Trojanischer Krieg, V. 25656f.: der Kriechen ritterscheften was er ein übel nâchgebûr. Vgl. Karl Friedrich Wilhelm Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig 1867, Sp. 823–34 (Nachbar). 11008 sicherheit nehmen: ein Angebot der Unterwerfung annehmen und den Gegner am Leben lassen. Siehe zu V. 578. 11025–30 Wie Camilla in Heinrichs von Veldeke Eneasroman (V. 9116f.) „muss auch Marine im Kampf fallen: männlich streitend, aber eben nicht als Siegerin vom Kampfplatz gehend“ (Fasbender 2010, S. 108). – Allerdings wurde Camilla nicht in einer Tjost besiegt, sondern (aus dem Hinterhalt) mit einem Speer druchbohrt. (Hinw. auf den Eneasroman bereits bei Langbroek 2007, S. 272). 11026 mit joste. Siehe zu V. 6627. 11033 sper von Angran. Siehe zu V. 9089. 11056 zer joste. Siehe zu V. 6627. 11077 iedoch zoumt er Lîônen dan. Ein gefangen genommener Reiter wird am Zaum hinter die Linien geführt. Das zoumen ist damit eine Umschreibung der Gefangennahme (vgl. zu V. 3197). Dem widerspricht die Angabe V. 11123f., wo Gawein Lion im Kampf getötet hat. 11084 ze joste. Siehe zu V. 6627. 11087 punieren. (auch V. 11098). Siehe zu V. 3523. 11123f. Siehe zu V. 11077. 11185 drîzic tûsent marc von golde. Die auferlegte Kontribution scheint noch im Rahmen der zeitgenössischen Realität: 1158 zahlten die Mailänder an Kaiser Friedrich I. 9000 Mark Silber; für freien Abzug von Akka 1191 gelobten die Sarazenen 200.000 Talente und in literarischen Werken werden Summen von 15.000 Mark und 30.000 Pfund genannt (Das Lösegeld, das Richard Löwenherz für seine Freilassung vertraglich zusicherte, umfasste 150.000 Mark). Vgl. Schultz 1880, Bd. 1, S. 395f. (Kriegsentschädigung). 11308 wider mînen munt. ‚Ins Gesicht (sagen)‘ oder ‚als Erwiderung meiner Worte‘? Vgl. BMZ II.1, 235a, Z. 43; Lexer I, Sp. 2232: munt wider/gegen munt manen, ‚mündlich mahnen‘; vgl. Grimm DWB, Bd. VI. 1885, Sp. 2674: zum Munde sagen, ‚Rede gegen Rede‘. 11334 ganzer triuwen flôs. Flos, lat. Blüte (Benecke 1819 und Pfeiffer 1847 haben in ihrer Ausgabe slôz stehen. Vgl. Kapteyn 1926, Apparat z. St. mit Verweis auf Wolfram von Eschen-

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bach: Parzival, V. 440,15f.: daz ist ob mîner triwe ein slôz, vonme herzen mîner ougen vlôz (Strom). Ebenso gut aber lässt sich (ebenfalls bei Kapteyn) vergleichen Parzival, V. 252,16: wîplîcher kiusche ein bluome (lat. flos) und Wigalois, V. 10218: der ir herzen bluome was. 11344–51 Laut Bericht des garzûn starb Florie aus Kummer über den Verlust von Mann und Sohn. Allerdings nicht, wie Hahn 1994, S. 51 angibt, in der „Vorgeschichte“, sondern etwa zur Zeit der Beendigung des Namur-Feldzugs. Vgl. zu V. 4883–97 (Verlustklagen). 11365–67 Die an Gatte und Sohn gerichteten Zeilen sind wohl als in den Ring eingravierte Inschrift zu denken, nicht als kurzer Begleitbrief zum überbrachten Ring. Sie zeigen, „dass Florie sehr wohl gewußt hat, dass Gatte und Sohn noch am Leben sind. Das steht im Widerspruch zu ihrem Gespräch mit Wigalois anläßlich seines Abschieds. Dort ist sie noch fest davon überzeugt, dass Gawein längst tot sein müsse, weil er nicht zurückgekommen sei.“ (Miklautsch 1991, S. 92). Vgl. V. 1318–25. 11394 Nantasan. Gemeint ist offenbar Artus’ Residenz Nantes auf dem Festland, in Chrétien de Troyes: Erec et Enide, V. 6553 u. ö. genannt. Erst Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 144,8, verlegt sie auf die britische Insel. Bodo Mergell: Nantasan in Wirnts Wigalois. In: Beiträge 77 (Halle 1955), S. 147, vermutet einen Hör- und Gedächtnisfehler Wirnts, der auf Wolframs Parzival, V. 144,8: aldâ si Nantes sâhen, beruhe. 11497 mîn helfe und mîn rât. Hilfe und Rat kann auch von Freunden gewährt werden. Siehe zu V. 7986. 11521–52 Gawein erteilt seinem Sohn Lehren, die einem Landesherrn gut anstehen (eine kurze Fürstenlehre wie im Gregorius Hartmanns von Aue, V. 244–258). 11597 Nantasan. Siehe zu V. 11394. 11604 si was untriuwen lære. Diese Erzählerbemerkung passt nicht ganz hierher und wurde wohl nur eingeflochten, um einen passenden Drei-Reim zu finden – sie könnte als Erklärung für ihr Verhalten V. 11599f. dienen. 11639 Lifort Gâwânides. frz.-gr. ‚Der starke Gawan-Abkömmling‘. Vgl. das Nachwort, S. 272. 11644 hurticlîche. Adv. zu hurten (siehe zu V. 8556f.) und hurt (siehe zu V. 9014). 11645 poinder. Ähnlich wie puneiz (siehe zu V. 3523), das Anrennen mit dem Streitross, von einem einzelnen oder mehreren durchgeführt; auch die ineinandergeflochtenen Scharen. Vgl. Benecke 1819, S. 679–681; BMZ II.1, 526b. 11651 härsenier. Siehe zu V. 7991. 11660f. ûf ir zil dâ si geschriben hât ein man. Auf den Weg bringen, dort wo er sie finden kann: beim französischen Autor oder dem Besitzer eines französischen Manuskripts. Dieser jedenfalls hat nach Wirnts Auskunft nichts gegen eine Nachdichtung der Lebensgeschichte von Lifort Gawanides in deutscher Sprache einzuwenden. 11702 dâ tûsent jâr sint ein tac. Bibel, Ps 89,4: Quoniam mille anni ante oculos tuos, tamquam dies hesterna, quae præteriit et custodia in nocte (Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen). Vgl. Bibel, II Pt 8 und Freidank, V. 4,6: diu buoch sagent uns für wâr, ein tac sî dâ tûsent jâr. 11708 hie hât daz buoch ein ende. Diese Bemerkung greift die ersten Verse, das Buch zum Leser, auf: Wer hât mich guoter ûf getân? … (siehe zu V. 1–19).

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Verzeichnis der verbesserten Druckfehler im mhd. Text Kapteyns (die Korrigenda-Liste von Kapteyn, S. 92* wurde berücksichtigt) 72 41 2 486 517 538 583 653 967 987 992 1211 1420 1715 1 7 16 1841 1872 1910 22 63 22 65 231 8 232 5 2465 2 553 3207 3430 3445 3488 3622 3677 3685 3704 3898 3950 4096 41 16 41 49 4404

minen > mînen sin > sîn da > dâ nû > nu so > sô da > dâ wünniclichen > wünniclîchen sî > si sumertac. > sumertac.’ gar.’ > gar. denselben > den selben zendale > zendâle vrô > vrô. verenden. > verenden nu > nû sin > sîn dâvon > dâ von nach > nâch da > dâ bi > bî da > dâ zesprunge > ze sprunge han > hân erliten > erliten.’ sin > sîn min sper > mîn sper nâch > [Absatz] Nâch riterlîche > rîterlîche guten > guoten so > sô sin > sîn höveschliche > höveschlîche bi > bî so > sô nu > nû gebot > gebôt lûter grâ > luter grâ

4638 5023 52 76 5591 5648 57 14 5923 5938 5998 6037 6354 6559 6789 681 7 6865 6992 7404 7902 7905 7964 7981 81 23 8241 8294 8447 8629 8661 8735 8876 8886 8989 9006 9057 9084 9096 9286 93 78

bi > bî crêâtiure > crêatiure Morâl > Môrâl nicht > niht isengwant > îsengwant hârte > harte genôz > genôz. lûter grâ > luter grâ han > hân da > dâ so > sô sin > sîn vliziclîch > vlîziclîch da > dâ e magde > mägde nieht > niht lûter > luter so > sô nu > nû gesaget > gesaget, getân > getân, han > hân saphir > saphîr saphir > saphîr ôsterherren > Ôsterherren Karrîôz > Karriôz wîplichem > wîplîchem amîen > âmîen sîne > sine krêatiure > crêatiure guetlîche > güetlîche amîen > âmîen kunic > künic Medârîe > Medarîe Medârîe > Medarîe nieht > niht glavîe > glävîe

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9384 9531 971 9 981 9 9852 10070 10074 10096 10099 101 1 3 101 1 9 101 54 101 62 101 70 101 74 10295 10305 103 79 10385 10408 10474 10487

Verzeichnis der verbesserten Druckfehler im mhd. Text Kapteyns

da > dâ da > dâ sî > si Nâmûr > Namûr si > sî Lac > Lac, Panschafar > Panschavar Âlarîe > Âlârîe Belacûn > Belakûn Lêodarz > Lêodarz, künic, mit siner > künic mit sîner so > sô da > dâ mänlich > mänlîch bîten > bîten. vervluochet > vervluochet, nach > nâch bi gesieht > bî gesiht sûezer > süezer mît > mit [Absatz] Nu > [kein Absatz] nu mänlich > mänlîch

1051 8 1052 7 10544 10563 105 71 1071 8 10722 10764 10808 10901 1092 1 10943 1 1041 1 1 1 54 1 1 243 1 1 2 75 1 1407 1 141 5 1 1447 1 1469

lûtern > lutern nieht > niht gluot > gluot, vürspan > vürspan; saphir > saphîr Liôn > Lîôn Amîren > Âmîren pflac > pflac, rât; [undeutlicher Andruck] nieht > niht van > von f. gier : hersenier [vgl. S. 92*] > gir : hersenir mac. > mac, groesten > grœsten Panschafar > Panschavar Alarîe > Âlârîe dîe > die amîe > âmîe vrœlichem > vrœlîchem amîe > âmîe

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Register zum Kommentar Aberglaube 6185–87 Alte vom Berge, der 10381 Amazone 9133–42, 9165f., 11025–30 Amulett s. Schwertbrief Angang 6185–87 Angran, sper von 9089 Anschlussfehler 1597–1600, 1675–77 Artus, Gewohnheit 247–51 Askalon 7815 atigêr 10674 âvoy 9275 Avunculat 960–1018 Babylôn (Alt-Kairo) 7808, 7814 Balsam 8237 Baumblüte 4743 bechstein 6755 Belagerungsmaschinen 10748, 10975 Beutegut 2317f., 9951f. Bewährungsaventiuren 9092f. Bibelstellen 6471–75, 7348–50, 8087–90, 10272–96, 10284, 11702 bisem 10366 Biterolf 1273–1315, 1564–66, 1597–1600, 9641–45 Blanko-Bitte 1774–99 Blatt vor den Mund nehmen 10166f. Bote, s. Stab bluot 2212, 4136 bräkelîn 2208–12 Brief s. Schwertbrief brîsschuoch 1434 Buch, sprechendes 1–19 buckeler 10504 buhurt 1256, 5561 bunt 7301 captatio benevolentiae 6f. Centaur 6932–52 Chrétien de Troyes 6313 – Lancelot 6775–84 Corinthium aes 7074–77 dingen 135 Drache 4691f. 4956, 4980–82, 5005–5140, 5025–74, 7363–66 Dreifaltigkeitsmesse 2975 dringen 8556f. Edelsteine 824f. Ehrenrede 7790–7830 Eibe 3519

Eid staben 9023 Elefanten 10345–48 Epitaph 8254–89 Esche 3544 Feuer, Griechisches 6955 Feueratem 3869f., 4528–32 fîanze 578, 7817f. Fischerehepaar 5291–99 Fischhaut 809 flôs 11334 Freidank 6471–75 fritschâl 1418f. Gabe 371–79 gabilôt 10674 Gangarten der Pferde 8462f. ganzer 1163 Gawanide 11639 gebende 4882 gemischet 899 genagelt 5568 gesmelze 778 Gestik, Gebahren 9991–10022 glävîe 4748 Gnade Gottes 6826–6929, 6847–59 Gnorisma 1376f. grôpiere 1980 Gürtel 332, 769–800, 1195–97, 1364–75, 1376f. halsperc 3892 hamît 4140 Handschuh 1428–30 härmîn 2411 harnasch, wunderbarer 6084–87 härsenier 7991 Hartmann von Aue: Erec 6185–87, 6310–13, 6313, 10071 – Gregorius 5291–99, 5475f., 5755–81, 6851–55, 11521–52 – Iwein 20–32, 98, 151–155, 447f., 451, 2938, 4439–48, 4458f., 5800–36, 6285–6353, 6297, 6304f., 6396–98, 8149, 9115, 9321–24, 9991–10022 – Armer Heinrich 126–128, 1311, 3734–48, 8282f. Hässlichkeit 6285–6353 heidenisch 8258 Heinrich von dem Türlin: Krone 4980–82

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Heinrich von Veldeke: Eneasroman 2208–12, 2543–52, 2713–22, 4743, 6285–6353, 8261–89, 9165f., 11025–30 Heirat, politische 9428f. helfe und rât 4238, 7986, 8789, 11497 Hercules 6602, 6669 Hündlein 2208–12 Huldigungsgeste 4220 hurten 8556f., 9014 Ironie, mhd. s. mâze des Ausdrucks Inschrift, sich selbst erzeugende 8254–89 jost 6627 Kaisertopos 4210f. Karidôl 150 Karles lôt 10037 kel 3899 Kindheit 1226f. Kleidung 699, 742–933, 4088, 10551 kneht, guot 2807 kolben, unritterliche Waffe 6669 Kontribution 11185 kreiz 3046 Kriegsentschädigung s. Kontribution Krokodil 5038–5040 küniginne 5815–17 Kuss 7199 Lateinkenntnisse Wirnts 1–19 lâzûr 3912 lebermer 8595 Lehnsübergabe 9549–58 leide tuon 516 Leopard, heraldisch 3853–78, 3861–68 Leseprolog 1–19 Lesepublikum 126 Luchsfell 4410 luter grâ 4404, 7404 mange 10748 Mansfeld 2861f. Mantel 8897–8907 mâze des Ausdrucks 2677, 8426, 8598 Meile 2063 meisterschaft, âne 3992 milte (Freigebigkeit) 64–70, 10815–17 Minne, Frau 4139 mückennetz 10360 Myrine, Amazonenkönigin 9165f. Namûr 9819 Nantasan 150, 11394 Nebel, tödlicher 6726–43

neve 10114 niftel 2683 Ôsterherren 8447 ôstertac 9652f. Ovid 987, 991 – Metamorphosen 4956 – Tristien 1–19, 5, 9, 17 palas 222 Pantel 3853–78 pfärit 2400 pfelle 705 Pferde, ihre Rüstung 10887f. – ihr Wert 6063f. – s. Gangarten – s. pfärit pfeterære 10748 plîâte 2406 poinder 11645 Priester, Würde 4399 puneiz 3523 Rad der Fortuna 1036–49, 1863–66 Raub 2317f. Roter Ritter 265f., 2349–3285 Quelle, mündliche 131f. recke 219 Renaut de Bâgé: Bel Inconnu 404–406, 3885–3954, 4691f. rôsât 2748 rothaarig 2843–45 Salamander 7435–54 Sambuca 10878 samît 401 Sant bei Nürnberg 8447 sarbalc 6112 Sarkophag 8231 Schaden, halber 4337f. schaprûn 1418f. scharlach 1634 Schild, bedeckter 9595f. Schönheitspreis 2349–3285 Schwertbrief 4428f. Schwerter-Rad 6775–84 Seide, unverbrennliche 7435–54 seit 1425 sicherheit 578, 10964, 11008 – s. auch fîanze siglât 817 slegetor 4521 Sonnenwende 1717

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spängel 780 spanne 4408 spicâ nardî 10366 Spielleute 7423 Sprichwort 75–81, 101–104, 120f., 1410, 1621, 10201 Stab des Boten 1428–30 Stahl, indischer 4748, 7381–84 Straßburger Alexander 6959f., 10345–48 swære 1081 swærre muot 1073 tambûr 8652f. tassel 819 Teufel 8136–39 thymîâmatâ 8299 tihtær, lat. poeta 137 Tier von Korntin 3853–78, 3861–68,3869f., 3909–15, 4528–32, 10635–37, 10918–21 timît 2233, 3906 tjost s. jost Trauer, Gestik 9991–10022 Traum, Leben als 5800–36 Tugendstein 1478 tûsent marke 3277 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet 941f., 1418f., 1478, 6726–43, 10071, 10360 undersniten 10815–17 Vasallen, Mitspracherecht 9428f. Vatersuche 1273–1315, 1597–1600, 4793–4813 vegevaz 4361 Verfasser 141 verligen 1301 Verlustklage 4883–97, 7673–7744, 9969–10037, 11344–51

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Vermählung 960–1018, 1009, 9428f. Verneigung in Richtung der Botschaft 4019f. Vorrechtskampf 3405–3418, 3885–3954 vürspan 6332, 10563, 10574–76 Wales 1574 Walther von der Vogelweide, Reichston 10260–64 Wappen 404–06, 777, 1827–30, 2289–92, 2997–99, 3853–78, 3894, 3909–15, 4558–62, 5452f., 5570f., 5612–19, 5633–35, 6158, 6569–72, 7363–66, 8546–53, 9595f., 10480, 10635–37, 10705, 10903–05, 10918–21 widersagen 2823 Werkbegriff 140 woch, Interjektion 5381 Wolfram von Eschenbach 6343–46 – Parzival 112f., 1827–30, 2843–45, 4140, 4748, 6285–6353, 6313, 6325–37, 7297–99, 7435–54, 7444, 7991, 8244f., 8462f., 9089, 10123f., 11394 Wortkunst 787f., 856–62, 10574–76 Wunderbrot 4470–78 Zauber 4428f., 4743 Zauberer 4691f. Zaum ergreifen s. zoumen Zeit, erzählte 1216–19, 1319f., 1472, 1642–44 zendâl 1420 Zimier 1869, 3903 zobel 826 Zöpfe als Haartracht der Männer 4629 zoumen 3197, 9003f., 11077 Zuhörerschaft 126

354

Register zum Kommentar

Namenregister

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Namenregister Adân, Graf von Alarie, Großvater der Marine, hütet als Gefangener des Roaz die Pforte von Glois: 7841. 7864. 7929. 7995. 8005. 8042. 8126. 8166. 8210. 8223. 8337. 8364. 8382. 8422. 8475. 8509. 8547. 8619. 9157. 9495. 9502. 9511. 10096. 10417. 10799. 11032. Âlârîe, Grafschaft des Grafen Adan; Heimat der Marine: von, ze 7841. 9146. 10096. 11275. Alexandrîe, (pfelle von) 10350. Alte, der A. vom Berge; Name der Fürsten aus der Dynastie Hassan Ben-Sabbahs: des Alten lant 10381. Ambigâl, Graf von Salie: 10115. 10416. 10823. Amênâ, Witwe des Königs Jorel, Mutter der Larie: 8851. 9003. Âmîre, König von Libia, Gemahl der Liamere: 9815. 10212. 10722. 11210. Âmor, (der herre): 831. Angran, (sper von) Stadt, berühmt für ihren Stahl: 9089. 9981. 10671. 11033. Ârâbî, (pfelle von) 10903. Arîûn, Fürst, Vasall des Königs Schaffilun: 10098. 11266. Arlac, (Lanzelet der) 10071. Artûs, König von Britannien: 149. 583. 1133. 1139. 1150. 1214. 1450. 1469. 1554. 1699. 2081. 2141. 2179. 3097. 3361. 3582. 3983. 4016. 4037. 4801. 5608. 7910. 8309. 11396. 11405. 11421. 11434. 11445. 11461. 11491. Ascalôn, Königreich; König von 7815. Asîâ, Asien: 8014. Herkunftsland von Zaradech und Panschavar 9210. 10076. 10699. 11138. 11244 die grôze A. (dort lebt der Salamander) 7446. Azzadac, Truchsess zu Roimunt: 8853. Babylôn, Stadt; Alt-Kairo: 7808. Babylôn, Einwohner Babylons: 7814. Baldac, Bagdad, Sitz des Kalifen (bâruc): 8244. Bejolâre, Gräfin von Leodarz: 8718. Bejolarz, Sohn des Grafen von Leodarz und der Gräfin Bejolare, Neffe des Grafen Moral: 8717. 8914. 10112. Belakûn, dem König Schaffilun zugehöriges Land: 9096. 10099. 11267. Belamunt, s. Flojîr 6357. Bêlêâre, Gemahlin des Grafen Moral: 9042. Brîen, hat seinen Bruder Lamere wegen eines ausgezeichneten Harnischs erschlagen: 6069. 6101.

Britanjâ, Reich des Königs Artus: 148 ze, von, (en)gegen Britanje 1443. 2176. 3096. 3133. 3360. 3581. 4020. 4973. 9110. 11293. Britanois, (der milte) Antonomasie für König Artus: 7909. Britûn, Bretone: 11328. Darêl, Fürst, Vasall des Königs Schaffilun: 10098. 11266. Dîdô, Königin von Karthago, Gestalt aus Heinrichs von Veldeke Eneasroman: 2720. Didones, Artusritter: 458. Dômas, Damascus: vor 7822. 7855. 9151. Êlamîe, Königin zu Tyrus, niftel (Cousine) der Königin von Persia: 9126. 9143. 9178. 9197. 10105. 10802. 10909. 11256. Ênêas, Aeneas, Held des Eneasromans Heinrichs von Veldeke: 2717. Engellant, Königreich, der König von E.: 1446. Ênîte, gewann zu Karidol den Schönheitspreis; Figur aus dem „Erec“ Hartmanns von Aue: 6308. 6311. Êrec, Artusritter, Held des gleichnamigen Romans Hartmanns von Aue: 9570. 9793. 9905. 10594. 10645. 10785. 10899. 11037. 11100. 11286. fil de roi Lac 10070. Eschenbach, 6344 s. Wolfram. Ferôz, wilder Mann, Gatte Ruels: 6356. Flojîr, von Belamunt, hat Feroz getötet und dabei selbst den Tod gefunden: 6357. Flôrîe, von Syrie, Nichte des Königs Joram, Gemahlin Gaweins und Wigalois’ Mutter: 1317. 1384. 5817. 11556. Franzois, Franzose: nâch der Franzoiser siten 10550. vgl. Kärling. Gâlois, Wales, Herkunftsland von Wigalois; eigentlich Bewohner von W. (Gâles) 1574. Gamêr, Fürst, Vasall des Königs Schaffilun: 10098. 11266. Gârel, König von Mirmidone, hütet als Gefangener des Roaz die Pforte von Glois: 8627. Galopêar, Herzog aus Griechenland, tötet die Amazone Marine: 11027. Gârez, von Lîbîa, Vater der Liamere, Vetter des Königs Lar: 9878. Gâwein, Neffe des Königs Artus, Gemahl der Florie, Vater des Wigalois: 343. 348. 385. 517. 563. 571. 575. 590. 604. 671. 686. 697. 704. 956.

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Namenregister

964. 999. 1062. 1136. 1216. 1305. 1346. 1506. 1596. 1601. 1635. 1652. 1677. 1851. 1860. 1877. 1902. 4794. 4800. 4807. 5611. 5822. 9562. 9567. 9570. 9602. 9616. 9638. 9716. 9767. 9793. 9911. 10072. 10331. 10427. 10668. 10764. 10773. 10794. 10825. 10892. 11057. 11064. 11073. 11122. 11201. 11287. 11370. 11380. 11477. 11514. 11519. 11583. 11596. Ginovêre, Gemahlin des Königs Artus: nom. 514. 1165. 2178. 11422. 11435. Glois, Grafschaft und Burg, Roaz zugehörig; liegt jenseits Korntin (3670); fällt Wigalois zu: 3653. 4722. 6253. 6545. 6568. 6715. 7028. 7059. 7216. 8567. 8616. 9493. Grâvenberc, (Wirnt von) 141. 10576. Gwîgâlois, (= Gwî von Gâlois 1574), aus „Guy li Galois“ verkürzt? Der Ritter mit dem Rade; Sohn Gaweins und der Florie; vermählt sich mit Larie von Korntin; wird Graf von Glois, König von Korntin und Jeraphin: 1658. 1769. 1881. 2257. 2272. 2434. 2464. 2657. 2918. 2928. 2966. 3121. 3136. 3187. 3356. 3419. 3435. 3547. 3553. 3576. 3595. 3840. 3962. 4030. 4076. 4295. 4348. 4492. 4555. 4638. 4782. 4837. 4847. 4867. 5791. 5802. 5833. 6628. 6646. 6674. 6691. 6702. 6725. 6927. 6987. 7152. 7246. 7266. 7320. 7555. 7655. 7766. 7908. 8042. 8096. 8135. 8143. 8209. 8278. 8328. 8341. 8497. 8750. 8894. 8936. 8952. 9005. 9049. 9093. 9111. 9128. 9244. 9264. 9297. 9339. 9344. 9391. 9456. 9492. 9615. 9839. 9885. 9910. 9930. 10068. 10342. 10410. 10677. 10737. 10791. 11042. 11098. 11116. 11157. 11238. 11253. 11313. 11323. 11370. 11503. 11570. 11598. 11601. 11696. der rîter mit dem rade 3103. 5132. 5317. 6729. Hartmann, (der herre) Hartmann von Aue: 6309; vgl. Enîte, Êrec, Îwein, Lunete. Hojir, (Graf von Mannesvelt 2861): 2862. 3127. 11468. – der rôte rîter 2592. 2671. 2754. 2936. Îberne, eigentl. Irland, s. jedoch Îrlant, von I. 811. 10557. Indîâ, Indien: in, ûz der innern I. 4754. 7382. Îrlant, Königreich: 3291. der künic von I. 2514. 2562. Ispanje, Spanien: 1444. 2869. Îwein, Artusritter und Held des gleichnamigen Romans Hartmanns von Aue: 9571. 9794.

10645. 10785. 11037. 11100. 11286. von dem brunnen her Î. 10073. Japhîte, Gemahlin des Roaz: 7395. 7428. 7455. 7468. 7487. 7521. 7550. 7673. 7805. 7879. 7902. 8016. 8228. 8253. 8262. 8623. 9212. 9227. Jeraphîn, ein dem König von Korntin lehenspflichtiges Königreich am lebermer, dessen Oberherrschaft Wigalois zufällt: 8594. 9057. 9369. 9420. 9520. 10069. 10477. 11085. 11263. vgl. Rîal. Jeschûte, Gemahlin des Herzogs Orilus de Lalander, Gestalt aus dem „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach: 6325. 6341. Jôhannes, Verfasser der „Apokalypse“ 10274. Jôram, König eines geheimnisvoll umschlossenen Landes (Gales, Gâlois), Oheim Flories: 5818. Joraphas, Grafschaft und Burg des Grafen Moral: 8504. 8534. 8635. 8646. 8670. 8821. 8858. 8924. 8937. 9037. 9264. Jorêl, König von Korntin, Sohn des Lar, Vater der Larie, in einen Leopard verwandelt: 6072. 6103. Karidôl, Burg des Königs Artus: 150. 1132. 1449. 1468. 2082. 2142. 2180. 3362. 4802. 5819. 6312. vgl. Nantasan. Karl, Karl der Große: Karles reht 9554. K.es lôt 10037. Kärling, Bewohner Frankreichs: der Kärlinge sit 847. vgl. Franzois. Karriôz, Zwerg von außerordentlicher Kraft; trägt die Haut eines Löwen, den er mit der bloßen Hand erschlagen hat und kämpft mit einer Keule (6669): 6602. 6615. 6641. 6649. 6668. 6680. 6749. 8629. Kaukasas, der Kaukasus: golt, pfelle von 10696. 10853. Korinthîa, Korinth: (Erz aus K.) 7077. Korntîn, Königreich und Burg des Königs Jorel, Erbe Laries: 3213. 3369. 3416. 3627. 3648. 3670. 3754. 3778. 3787. 3882. 3987. 4301. 4534. 4591. 4706. 6102. 7082. 7216. 8593. 8680. 8831. 9063. 9081. 9238. 9327. 9343. 9497. 9598. 9839. 9880. 10058. 10068. 10185. 10206. 10476. 10634. 11284. 11312. 11404. 11442. 11463. 11518. 11598. 11605. Krieche, Grieche des Altertums: pl. Kriechen 2719. Einwohner des griechischen Kaisertums: pl. Kriechen 9898. das Land (griechisches Kaiserreich): ze, von Kriechen 10715. 11028.

Namenregister

Krist, Jesus Christus: 1003. 1338. 3114. 3642. 3857. 4652. 4660. 5302. 8080. 8146. 8193. 8217. 9691. Künigesberc, 3757 s. Roimunt. Lac, König, Vater Erecs: 10070. Lâmêr, Bruder Briens; 6069. 6091. Lanzelet, Artusritter: 9571. 9794. 11287. L. der Arlac 10071. Lâr, König von Korntin, Großvater der Larie, Bruder des Garez von Libia: 9880. Lârîe, Tochter des Königs Jorel und der Königin Amena; vermählt sich mit Wigalois: 4056. 4081. 4128. 4174. 4467. 4567. 4705. 5826. 5853. 6302. 6424. 7591. 7907. 7963. 7997. 8116. 8362. 8672. 8707. 8734. 8767. 8887. 8922. 8974. 9007. 9102. 9191. 9245. 9273. 9353. 9386. 9433. 9544. 9606. 9717. 9761. 9869. 9883. 9889. 10313. 10343. 10351. 10404. 10528. 10545. 10628. 10838. 10923. 11178. 11231. 11414. 11443. 11449. 11458. 11511. 11599. 11626. Lebermer, fabelhaftes Meer; an seinen Ufern liegt das Königreich Jeraphin 8596. Lêodarz, Grafschaft: von 8716. 10113 s. Bejolarz. Lîamêre, Enkelin des Königs Garez von Libia, Cousine zweiten Grades von Larie, Gemahlin des Königs Amire: 9859. 9870. 9969. 10092. 10128. 10214. 10524. 11212. Lîbîâ, Reich des Königs Amire, s. auch Garez: 6095. 9815. 9878. Lifort Gâwânides, ‚der starke Gawanide‘: Wigalois’ Sohn: 11639. Lîôn, Herzog von Namur: 9821. 9865. 9934. 9977. 10028. 10062. 10143. 10318. 10718. 11055. 11060. 11077. 11124. 11207. 11218. Lûnete, Zofe Laudines, der Gemahlin Iweins: 6396. Machmêt, Mahomet, der heiden got (6575): 6571. 7714. 7717. Mannesvelt, Mansfeld; Grafschaft Hojirs: von 2861. Marîne, von Alarîe; Amazone, Enkelin des Grafen Adan: 9165. 9356. 9511. 9513. 10108. 10799. 11001. 11271. Marrîên, einem Kentaur ähnliches Ungeheuer: 7030. 7039. 8629. Medarîe, eines der Reiche König Schaffiluns: 9084. 9096. 10099.

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Merân, (der vürste von) Berthold IV. Herzog von Andechs-Meranien: 8064. Miljanz, Artusritter: 467. Minne, Personifikation der Liebe: 10224. vrou M. 4139. 4153. 8110. Mirmidôn, Königreich Garels: 7853. 8627. Môrâl, Graf von Joraphas, Vasall des Königs von Korntin, Gemahl der Beleare, Bruder der Gräfin Bejolare von Leodarz: 5276. 8506. 8536. 8563. 8720. 8900. 8921. 9379. 10114. 10415. 10822. 11179. Namûr, Herzogtum und Stadt des Fürsten Lion: 9819. 10717. 11173. Nantasan, Residenz des Königs Artus, Nantes: 11394. 11597. Nêrejâ, Zofe und Botin der Larie: 4069. 4078. 4187. Ninivê, (pfelle von): 10703. 10904. Ôsterherren, zeitgenössische Ritter, die im Turnier nur um Beute kämpfen 8447. Ôvîdîus, Publius Ovidius Naso: 991. Panschavar, ein heidnischer König aus Asien, Bruder der Japhite: 9224. 10074. 10701. 10780. 11081. 11243. Parzivâl, Artusritter und Held der gleichnamigen Erzählung Wolframs von Eschenbach: 6329. Persîâ, Königreich: des küniges tohter von P. Cousine der Elamie von Tyrus 2684. 2710. künigîn von P. 2969. 3084. 3153. Pfetân, Drache: 4956. 5013. 5585. Rîâl, König von Jeraphin, Vasall des Königs von Korntin: 9057. 9369. 9420. 9520. 10069. 10477. 10755. 11085. 11262. Riodach, Stadt, in der Florie bestattet wird: ze 11355. Rôaz, ein Heide, Inhaber der Grafschaft Glois, Usurpator der Krone von Korntin, Gemahl der Japhite: 3653. 4722. 6782. 7029. 7316. 7331. 7353. 7498. 7723. 7819. 7843. 7855. 7863. 8136. 8243. 8277. 8318. 8373. 8597. 8601. 8605. 8692. 8918. 9158. 10163. der künic R. 7533. Roimunt, (Künigesberc) väterliches Erbe und Zufluchtstätte der Königin Amena: 3755. 3915. 8673. 8690. 8727. 8858. 9087. 9105. 10102. 10632. 10820. 10916. 11128. Rûel, wildes Weib, Gattin des Feroz: diu starke R. 6353. 6406. Sælde, Personifikation des Glücks, Fortuna 277. 884. 941. 945. 1781. 8590.

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Namenregister

Sahse, Sachse (Graf Hojir von Mannesvelt): 2870. Sâlîe, Grafschaft; Herrschaft des Ursin und Ambigal: 10116. Salîn, Fürst im Dienste Lions: 11071. Sant, (daz) Turnierplatz bei Nürnberg: 8447. Särvîe, Serben (Volksname): 9894; Serbien; Herzog von S. 11117. Schaffilûn, König von Medarie und Belakun: 9095. Schandalec, Knappe der Königin Amena: 8860. 8931. Segremors, Artusritter: 463. Syrîe, Syrien: 4082. 5816 s. Florîe.

Troje, Troja des Eneasromans Heinrichs von Veldeke: 2715. Turkîe, die Türkei: 9895. einen grâven von T. 11002. Tˆyrus, Reich der Königin Elamie: ze Tˆyrô 9184. Ursîn, Graf von Salie: 10115. 10416. 10823. Valwen, Volk der Kumanen: 9898. Wirnt, 5755. W. von Grâvenberc 141. 10576. Wolfram, (her), ein wîse man von Eschenbach 6343. Wunsch, Personifikation 904. Zaradech, ein heidnischer König aus Asien, Bruder der Japhite: nom. 9224. 10074. 10701. 10780. 11081. 11137.

Auswahl-Bibliographie

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Auswahl-Bibliographie1 zum Wigalois Ausgaben, Übersetzungen Benecke, Georg Friedrich (Hrsg.): Wigalois, Der Ritter mit dem Rade, getihtet von Wirnt von Gravenberch. 2 Bde. Berlin 1819. – Kommentar zit. „Benecke 1819“. Pfeiffer, Franz (Hrsg.): Wigalois. Eine Erzählung von Wirnt von Gravenberg. Leipzig 1847 (= Dichtungen des deutschen Mittelalters 6). Baudissin, Wolf von (Übersetzer): Guy von Waleis. Der Ritter mit dem Rade. Von Wirnt von Gravenberg. Leipzig 1848. Kapteyn, J[ohannes] M[arie] N[eele] (Hrsg.): Wigalois, der Ritter mit dem Rade, von Wirnt von Gravenberc. Bd. 1: Text [m.n.e.]. Bonn 1926 (= Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde 9). Thomas, J[ohn] W[esley]: Wigalois. The Knight of Fortune’s Wheel by Wirnt von Grafenberg. Translated, with an Introduction, by J.W.Th. Lincoln and London 1977. Freeland, Beverly Mae: Wigalois A: A Prototype Edition of Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. PhD University of California. Los Angeles 1993. 504 S. – Microfiche-Edition: Ann Arbor 1993 (Nr. 9401084) 6 Fiches. [Edition der Handschrift A] Buschinger, Danielle (Übers.): Wirt [!] von Gravenberg: Wigalois. Le Chevalier à la roue. Traduit en français. [frz.] Paris 2004 (= Traductions des classiques du moyen âge 67). Lecouteux, Claude, Véronique Lévy (Übers.): Wirnt von Grafenberg: Wigalois, le chevalier à la roue. Roman allemand du XIIIe siècle. [mhd./frz.] Grenoble 2001.

Auszüge Langosch, Karl: Wirnt von Grafenberg. Wigalois. In: König Artus und seine Tafelrunde. Europäische Dichtung des Mittelalters. Stuttgart 1980 (= Universal-Bibliothek 9445), S. 307–356 (Inhaltsübersicht und Übersetzung von V. 7054–8389: Hauptkampf mit Roaz), Anmerkungen S. 611–612, Nachwort S. 750–754.

Internet-Links Müller-Hagedorn, Silke: Höfische Kultur des hohen Mittelalters. Eine Hypertext-Studie mit Modellen. Karlsruhe 2001; Textauszüge aus dem Wigalois: http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/eva/2001/geist-soz/4 http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2001/geist-soz/3/ http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2001/geist-soz/3/Texte/Ar tus/Wigalois/ fr_wigal.htm

1 Vgl. die umfassendere Bibliographie (371 Titel) von Sabine und Ulrich Seelbach: Wirnt von Grafenberg: Wigalois – eine Bibliographie. In: Perspicuitas. Internet-Periodicum für medävistische Sprach-, Literaturund Kulturwissenschaft. http://www.uni-due.de/perspicuitas/aufsaetze.shtml (online seit 13.8.2003). Eine Neubearbeitung mit ca. 740 Titeln ist in Vorbereitung.

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Auswahl-Bibliographie

Klein, Klaus (korrigiert von Bernd Schirok): Wirnt von Grafenberg (Überlieferung). In Handschriftencensus http://www.handschriftencensus.de/werke/432

Ausgaben weiterer im Kommentar öfter zitierter Texte des Mittelalters Biterolf und Dietleib. Neu hrsg. u. eingeleitet von André Schnyder. Bern, Stuttgart 1980 (= Sprache und Dichtung 31). Chrétien de Troyes: Erec et Enide: Kristian von Troyes, Erec und Enide. Textausgabe mit Variantenauswahl, Einleitung, erklärenden Anmerkungen und vollständigem Glossar hrsg. von Wendelin Foerster. Halle 1899. Freidank: Fridankes Bescheidenheit. [Hrsg.] von H[einrich] E[rnst] Bezzenberger. Halle 1872. Hartmann von Aue: Erec. Hrsg. von Manfred Günter Scholz. Übersetzt von Susanne Held. Frankfurt/M. 2007 (= Bibliothek des Mittelalters 5). Hartmann von Aue: Iwein. Hrsg. von G. F. Benecke und K. Lachmann. Neu bearb. 7. Ausg. von Ludwig Wolff. Bd. I: Text. Berlin 1968. Hartmann von Aue: Armer Heinrich. Hrsg. von Hermann Paul. Neu bearb. von Kurt Gärtner. 17., durchges. Aufl. Tübingen 2001 (= Altdeutsche Textbibliothek 3). Hartmann von Aue: Gregorius. Hrsg. von Hermann Paul. Neu bearb. von Burghart Wachinger. 15., durchges.u. erw. Aufl. Tübingen 2004 (= Altdeutsche Textbibliothek 2). Heinrich von dem Türlîn: Die Krone (Verse 1–12281). Nach der Hs. 2779 der Österr. Nationalbibl. nach Vorarbeiten von Alfred Ebenbauer (u.a.). Hrsg. von Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. Tübingen 2000. – dass. (Verse 12282–30042). Nach der Hs. Cod. Pal. germ 374 der UB Heidelberg nach Vorarbeiten von Fritz Peter Knapp und Klaus Zatloukal. Hrsg. von Alfred Ebenbauer und Florian Kragl. Tübingen 2005 (= ATB 112 u. 118). Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mhd./Nhd. Nach dem Text von Ludwig Etmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke. Stuttgart 1986 (= Universal-Bibliothek 8303) Das Nibelungenlied. Mhd./Nhd., nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Nhd. übers. und komm. von Siegfried Grosse. Stuttgart 1999 (= Universal-Bibliothek 644). Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Hrsg. von Florian Kragl. 2 Bde. Berlin, New York 2006. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revid. und komm. von Eberhard Nellmann. Übertragung von Dieter Kühn. 2 Bde. Frankfurt/M. 1994 (= Bibliothek des Mittelalters 8).

Forschungsliteratur Achnitz, Wolfgang: ‚Ein rîm an drîn worten stêt‘. Überlegungen zu Verbreitung und Funktion von Mehrreimen in mittelhochdeutscher Reimpaardichtung. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 129 (2000), S. 249–274. Achnitz, Wolfgang: Deutschsprachige Artusdichtung des Mittelalters. Eine Einführung. Berlin, New York 2012. Adams, Denise Ann: The Theme of Le Bel Inconnu in the Literature of England, France, Germany and Italy in the Middle Ages and After. Diss. Nottingham 1975. 5 M-Fiches. Behaghel, Otto: Rez. Wigalois, der Ritter mit dem Rade, von Wirnt von Gravenberc. Hrsg. von J.M.N. Kapteyn. In: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 49 (1928), Sp. 408–409.

Auswahl-Bibliographie

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Auswahl-Bibliographie

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Saran, Franz: Über Wirnt von Grafenberg und den Wigalois. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 21 (1896), S. 253–420. Saran, Franz: Zum Wigalois. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 22 (1897), S. 151–157. Schießl, Ute: Die Gawangestalt im ‚Wigalois‘. Diss. München 1968. Schiewer, Hans-Jochen: ‚Ein ris ich dar vmbe abe brach/ Von sinem wunder bovme‘. Beobachtungen zur Überlieferung des nachklassischen Artusromans im 13. und 14. Jahrhundert. In: Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985. Hrsg. von Volker Honemann und Nigel F. Palmer. Tübingen 1988, S. 222–278. – Zur Überlieferung des ‚Wigalois‘ passim. Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts ‚Wigalois‘. In: Fiktionalität im Artusroman. Hrsg. von Volker Mertens, Friedrich Wolfzettel u.a. Tübingen 1993, S. 145–159. Schiewer, H[ans]-J[ochen]: Wirnt von Grafenberg. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 9. 1998, Sp. 250/251. Schmidt, Karl: Die Grundlagen der territorialen Entwickelung der Grafschaft Mansfeld. In: Mansfelder Blätter 36/37 (1927), S. 5–148. [gedruckt 1930]. Schmidz – Vgl. unten, S. 369 Schneider, Hermann: Die Gedichte und die Sage von Wolfdietrich. Untersuchungen über ihre Entstehungsgeschichte. München 1913. – S. 265–268, 298–299, 323–330 zum ‚Wigalois‘. Schneider, Karin: Gotische Schriften in deutscher Sprache. Bd. I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300. 2 Bde. Wiesbaden 1987. Schnyder, Mireille: Ich-Geschichten. Die (Er-)findung des Selbst. In: Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Martin Baisch u.a. Königstein 2005, S. 75–90. Schnyder, Mireille: Rez. zu Wirnt von Grafenberg, Wigalois. Übers. von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. 2005. In: Mittellateinisches Jahrbuch 44 (2009), H. 1, S. 154–157. Schönbach, Anton: Rez. zu Meisner: Wirnt von Gravenberg (1874). In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 26 (1875), S. 698–702. Schönbach, Anton: Zum Wigalois I. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 22 (1878), S. 337–365. Schönbach, Anton: Zum Wigalois II. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 24 (1880), S. 168–179. Schönbach, Anton: Zum Wigalois III. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 25 (1881), S. 207–214. Scholz, Manfred Günter: Hören und Lesen. Studien zur primären Rezeption der Literatur im 12. und 13. Jahrhundert. Wiesbaden 1980, S. 125–135 (Das Buch als Sprecher). Schreiber, Albert: Über Wirnt von Graefenberg und den Wigalois. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 58 (1933), S. 209–231 (mit e. Taf.). Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg. Unerledigte Fragen an den ‚Wigalois‘. In: Euphorion 80 (1986), S. 235–277. Schröter, Michael: ‚Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe …‘ Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Norbert Elias. Frankfurt/M. 1985. Schultz, Alwin: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. 2 Bde. Leipzig 1880. Reprint Kettwig 1991. Schwietering, Julius. Die Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter. Berlin 1921 (= Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-Hist. Kl. 17,3), S. 82–89. Seelbach, Sabine: Kontingenz. Zur produktiven Aufnahme literarischer Erfahrung im ‚Wigalois‘ Wirnts von Grafenberg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 136 (2007), S. 162–177. Seelbach, Sabine: Labiler Wegweiser. Studien zur Kontingenzsemantik in der erzählenden Literatur des Hochmittelalters. Heidelberg 2010 (= Beihefte zum Euphorion 58). – Zum Wigalois S. 58–74, 155–160. Seelbach, Sabine: Rez. zu Christoph Fasbender: Der ‚Wigalois‘ Wirnts von Grafenberg. Eine Einführung. 2010. In: Arbitrium 2011, H. 3, S. 74–80.

366

Auswahl-Bibliographie

Seelbach, Ulrich: Kommentar zum ‚Helmbrecht‘ von Wernher dem Gartenaere. Göppingen 1987. Seelbach, Ulrich: Wirnt aus Gräfenberg und der Bamberger Königsmord. In: Wirnt von Gräfenberg. Ein fränkisches Volksstück von Manfred Schwab. Programmheft. Gräfenberg 18. und 19. November 2011, S. 8–15. Seelbach, Ulrich: Art. Wigalois. In: Enzyklopädie des Märchens. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 14. Lfg. 2. Berlin 2012, Sp. 785–788. Sprenger, Richard: Die Benutzung des ‚Parzival‘ durch Wirnt von Gravenberg. In: Germania 20 (1875), S. 432–437. Störmer-Caysa, Uta: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin, New York 2007. TPMA: Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. von Samuel Singer. 14 Bde. Berlin, New York 1995–2002. Thomas, Neil: Literary Transformation and Narrative Organization in Wirnt von Gravenberg’s ‚Wigalois‘. In: The Modern Language Review 80 (1985), S. 362–371. Thomas, Neil: A German View of Camelot: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois and Arthurian Tradition. Bern 1987. Thomas, Neil: The Medieval German Arthuriad. Some Contemporary Revaluations of the Canon. Bern etc. 1989 (= Europäische Hochschulschriften. I: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1153). – Zum ‚Wigalois‘ S. 83, 87, 88, 105–139, 149 154–157. Thomas, Neil: The Defence of Camelot. Ideology and Intertextuality in the ‚Post-Classical‘ German Romances of the Matter of Britain Cycle. Bern, Frankfurt/M. etc. 1992. Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s ‚Wigalois‘. Intertextuality and Interpretation. Woodbridge 2005. Thomas, Neil: Wirnts von Gravenberg ‚Wigalois‘ und die Auseinandersetzung mit der ‚Parzival‘-Problematik. In: Amsterdamer Beiträge zur Ältereren Germanistik 60 (2005), S. 129–160. Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur. Rituale der Inszenierung höfischer und politischer Vollkommenheit im ‚Wigalois‘ des Wirnt von Grafenberg. Berlin 2013 (= Regensburger Studien zur Literatur und Kultur des Mittelalters 2). Wackernagel, Wilhelm: Glücksrad und Glückskugel. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 6 (1848), S. 134–149. Waldstein, Ernst von: Die Wigalois-Bilder im ‚Sommerhause‘ der Burg Rungelstein. In: Mitteilungen der k. k. Central Commission zur Erforschung der Kunst- und historischen Denkmale. N.F. 13. Wien 1887, S. CLIX–CLXI. Waldstein, Ernst Carl: Die Bilderreste des Wigalois-Cyclus zu Runkelstein. In: Mitteilungen der k. k. Central Commission zur Erforschung der Kunst- und historischen Denkmale N.F. 18. Wien 1892, S. 34–38, 83–89, 129–132, mit 10 Bildtaf. Wehrli, Max: Wigalois. In: Der Deutschunterricht 17 (1965), S. 18–35. – Auch in: ders.: Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Freiburg i. Br. 1969, S. 223–241. Wennerhold, Markus: Späte mittelhochdeutsche Artusromane: ‚Lanzelet‘, ‚Wigalois‘, ‚Daniel vom Blühenden Tal‘, ‚Diu Crône‘. Bilanz der Forschung 1960–2000. Würzburg 2005 (= Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 27), S. 74–127, Bibliographie S. 281–301. Wolfzettel, Friedrich: Zur Stellung und Bedeutung der Enfances in der altfranzösischen Epik. I und II. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 83 (1973), S. 317–348 und 84 (1974), S. 1–32. Wüstemann, Sybille: Der Ritter mit dem Rad. Die ‚stæte‘ des ‚Wigalois‘ zwischen Literatur und Zeitgeschichte. Trier 2006 (= Literatur, Imagination, Realität 36). Yokoyama, Yoshihiro: Zur Frage des Abhängigkeitsverhältnisses Wirnts von Grafenberg von Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach. Ein kritischer Überblick über die bisherigen Forschungen. In: Hiyoshi-Studien zur Germanistik (Keio Universität Yokohama) Heft 17 (1993), S. 49–67. Yokoyama, Yoshihiro: Beneckes ‚Wörterbuch zum Wigalois‘ und die Lexikographie des Mittelhochdeutschen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 117 (1998), S. 55–74.

Auswahl-Bibliographie

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Yokoyama, Yoshihiro: Lemmatisierte Konkordanz zu Wirnts von Grafenberg ‚Wigalois‘. Unter Mitarbeit von Ute Recker-Hamm. Tübingen 2006 (= Indices zur deutschen Literatur 39). Ziegeler, Hans-Joachim: Wirnt von Grafenberg. In: Verfasserlexikon. 2. Aufl. Bd. 10 (1999), Sp. 1252–1267. Ziegeler, Hans-Joachim: Wigoleis vom Rade. In: Verfasserlexikon. 2. Aufl. Bd. 10 (1999), Sp. 1067–1070.

Zum Bel Inconnu und den anderen ‚Gawaniden-Romanen‘ Französische Texte Williams, G. Perrie (Ed.): Renaut de Beaujeu: Le Bel Inconnu. Roman d’Aventures. Paris 1929 (= Les classiques français du Moyen Age 38). Fresco, Karen (Ed.): Renaut de Bâgé: Le Bel Inconnu (Li Biaus Descouneüs; The Fair Unknown). With an Introduction by K. F. transl. by Colleen P. Donagher. Music ed. by Margaret P. Hasselman. New York, London 1992 (= Garland Library of Medieval Literature A 77) Olef-Krafft, Felicitas (Übers.): Renaut de Beaujeu. Der schöne Unbekannte. Ein Artusroman. Aus dem Altfranzösischen übersetzt. Mit 8 Miniaturen. Zürich 1995. Heuckenkamp, Ferdinand (Hrsg.): Le Chevalier au Papegau. Nach der einzigen Pariser Handschrift zum ersten Mal hrsg. Halle 1896. [1897] [S. LIX zum ‚Wigalois‘] Charpentier, Hélène et Patricia Victorin (Ed.): Le Conte du Papegau. Roman arthurien du XVe siècle. Édition bilingue [français/ancien français]. Publication, traduction, présentation et notes. Paris 2004 (= Champion classiques. Série Moyen âge 11). Vesce, Thomas E. (Transl.): The Knight of the Parrot. New York, London 1986 (= Garland Library of Medieval Literature B 55). Stengel, Edmund (Hrsg.): Li romans de Durmart le Galois. Altfranzösisches Rittergedicht. Zum ersten Mal hrsg. Stuttgart 1873 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 116). – Reprint: Amsterdam: Rodopi 1969.

Englische Texte Kaluza, Max (Hrsg.): Libeaus Desconus. Die mittelenglische Romanze vom schönen Unbekannten. Nach sechs Handschriften kritisch hrsg. Leipzig 1890 (= Altenglische Bibliothek 5). – S. CXXIV–CXXI Inhaltsangabe. Mills, Maldwyn (Ed.): Lybeaus Desconus. Oxford 1969. Weston, Jessie L. (Transl.): Sir Cleges. Sir Libeaus Desconus. London 1912; Reprint: New York 1970. Vinaver, Eugène (Ed.): The Works of Sir Thomas Malory. 2nd Ed. in 3 Vols. Oxford 1967, Vol. I, S. 289–363: The Tale of Sir Gareth of Orkney that was called Bewmaynes; Vol. III, S. 1427–1442: Commentary. Kölbing, Eugen (Hrsg.): The Lyfe of Ipomydon. Ipomedon in drei englischen Bearbeitungen. Breslau 1889.

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Auswahl-Bibliographie

Deutsche Texte Panzer, Friedrich (Hrsg.): ‚Merlin‘ und ‚Seifrid de Ardemont‘ in der Bearbeitung Ulrich Füetrers. Tübingen 1902 (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 227). Thoelen, Heinz (Hrsg.): Ulrich Füetrer: Das Buch der Abenteuer. Tl. 2. Von Wigoleis. Von Seyfrid. Göppingen 1997 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 638), S. 67–168 ‚Seyfrid von Ardemont‘. Brandstetter, Alois: Prosaauflösung. Studien zur Rezeption der höfischen Epik im frühneuhochdeutschen Prosaroman. Frankfurt/M. 1971. [darin: Wigoleis vom Rade. Text des ältesten Druckes von 1493, S. 190–235]. Melzer, Helmut (Hrsg.): Wigalois [Wigoleis vom Rade]. Mit einem Vorwort. (Text des Druckes von 1519). Hildesheim, New York 1973 (= Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken, Reihe A: 10). Fasbender, Christoph: Der ‚Wigelis‘ Dietrichs von Hopfgarten und die erzählende Literatur des Spätmittelalters im mitteldeutschen Raum. Mit einer Erstausgabe des Erfurter Fragments. Stuttgart 2010. Wolf, Siegmund A. (Hrsg.): Ritter Widuwilt. Die westjiddische Fassung des ‚Wigalois‘ des Wirnt von Gravenberc. Nach dem jiddischen Druck von 1699. Bochum 1974.

Italienischer Text Rajna, Pio (Hrsg.): I Cantari di Carduino giuntove quello di Tristano et Lancielotto quando combattettero al Petrone di Merlino. Bologna 1873 (= Poemetti Cavallereschi); Reprint: 1968. Walter, Philippe: Le Bel Inconnu de Renaut de Beaujeu. Rite, mythe et roman. Paris 1996. – S. 327–344 Übersetzung des Carduino ins Neufrz.

Sonstiges Day, M.L. (Ed.): De ortu Waluuanii nepotis Arturi. New York, London 1984. Knapp, Fritz Peter: Vom höfischen Roman zur historischen Biographie. Jung-Gaweins Abkunft und Aufstieg. In: Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin. Hrsg. Dorothea Walz. Heidelberg 2000, S. 989–999. – mit Nacherzählung des lat. ‚Walwan‘. Olrik, Jørgen (Hrsg.): Vigoleis. Kong Edvard af England. København 1921 (= Danske folkebøger fra de 16. og 18. Århundrede 5).

Auswahl aus der Forschungsliteratur zu den Gawaniden-Romanen Adams – S. oben, S. 360. Bauschke, Ricarda: Auflösung des Artusromans und Defiktionalisierung im ‚Bel Inconnu‘. Renauts de Beaujeu Auseinandersetzung mit Chrétien de Troyes. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 102 (1992), S. 42–63. – Überarbeitete Fssg. in: Fiktionalität im Artusroman. Dritte Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft in Berlin vom 13.–15. Februar 1992. Hrsg. von Volker Mertens und Friedrich Wolfzettel. Tübingen 1993, S. 84–116. Dillon, Bert: A Malory Handbook. London, Boston, Mass. 1978, S. 53–62. – detallierte Inhaltsangabe von Buch 7: Sir Gareth of Orkney.

Auswahl-Bibliographie

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Eming, Jutta: Überschreitung und Vermittlung. Die Figur des Zauberers im ‚Bel Inconnu‘. In: Zauberer und Hexen in der Kultur des Mittelalters. Hrsg. von Danielle Buschinger, Wolfgang Spiewok. Greifswald 1994, S. 59–76. Eming, Jutta: Funktionswandel – S. oben, S. 361. Fierz-Monnier, Antoinette: Initiation und Wandlung. Zur Geschichte des altfranzösischen Romans im zwölften Jahrhundert von Chrétien de Troyes zu Renaut de Beaujeu. Diss. Zürich 1951. 223 S. – die Hälfte der Arbeit ist dem ‚Bel Inconnu‘ gewidmet. Guerreau, Alain: Renaud de Bâgé: Le Bel Inconnu. Structure symbolique et signification sociale. In: Romania 103 (1982), S. 28–82. Lozac’hmeur, Jean-Claude: Guinglain et Perceval. In: Etudes celtiques 16 (1979), S. 278–281. Luttrell – S. oben, S. 363. Mills, Maldwyn: The Huntsman and the Dwarf in Erec and Libeaus Desconus. In: Romania 87 (1966), S. 33–58. Paris – S. oben, S. 364. Schmidz, Cornelia Catharina Dieudonnée: Sir Gareth of Orkeney. Studien zum Siebenten Buch von Malory’s Morte Darthur. Diss. Utrecht. Groningen 1963. – Kap. II: Der Gareth und die Romane vom Schönen Unbekannten, Carduino, Libeaus Desconus, Bel Inconnu und Wigalois, S. 34–66. Schmolke-Hasselmann, Beate: Der arthurische Versroman von Chrestien bis Froissart. Zur Geschichte einer Gattung. Tübingen 1980. (= Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 177). Seelow, Hubert: Die isländischen Übersetzungen der deutschen Volksbücher. Handschriftenstudien zur Rezeption und Überlieferung ausländischer unterhaltender Literatur in Island in der Zeit zwischen Reformation und Aufklärung. Reykjavík 1989, S. 106–113. Tyssens, Madeleine: Les sources de Renaut de Beaujeu. In: Mélanges de langue et de littérature du Moyen Age et de la Renaissance offerts à Jean Frappier. Genève 1970 (= Publications romanes et françaises 112), Tome 2, S. 1043–1065.