Wiener Ausgabe sämtlicher Werke: Band 17 Autobiographisches, Theoretisches, Lyrik, Rundfunk und Film, Revue 9783111183350, 9783111169316

Der Band Autobiographisches, Theoretisches, Lyrik, Rundfunk und Film bietet wichtige Epitexte zum Werk Horváths sowie ve

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Wiener Ausgabe sämtlicher Werke: Band 17 Autobiographisches, Theoretisches, Lyrik, Rundfunk und Film, Revue
 9783111183350, 9783111169316

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Lesetext
Autobiographisches
Theoretisches
Lyrik
Rundfunk und Film
Revue
Emendierte Endfassungen
Kommentar
Anhang

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Ödön von Horváth Wiener Ausgabe

Ödön von Horváth

Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Historisch-kritische Edition Am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Karl-Franzens-Universität Graz herausgegeben von Klaus Kastberger

Band 17

De Gruyter

Ödön von Horváth

Autobiographisches, Theoretisches, Lyrik, Rundfunk und Film, Revue Herausgegeben von Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Martin Vejvar

De Gruyter

Die Forschungsarbeiten an der Wiener Ausgabe werden unterstützt vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF; P 32509) und von der Kulturabteilung der Stadt Wien. Die Forschungsarbeiten an der Wiener Ausgabe werden seit Oktober 2015 am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Karl-Franzens-Universität Graz durchgeführt.

Dank an die Österreichische Nationalbibliothek (Wien) für die Überlassung von Reprorechten an den Faksimiles.

ISBN 978-3-11-116931-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-118335-0

Library of Congress Control Number: 2023930650

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autobiographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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AU1: Autobiographische Notiz (auf Bestellung) . . . . . . . AU2: Autobiographische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . AU3: Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… AU4: „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“. . . . . . . . AU5: Autobiographische Notiz (1932) . . . . . . . . . . . . AU6: (Brief an Unbekannt) . . . . . . . AU7: (Brief an Paul Fent) . . . . . . .

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Theoretisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TH1: Über unser Buch der Tänze . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH2: Natur gegen Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH3: Sladek oder die Schwarze Reichswehr . . . . . . . . . . . . . TH4: Typ 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH5: „Sie haben keine Seele“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH6: . . . . . . . . . . . . . . TH7: „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH8: Gebrauchsanweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH9: Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH10: Randbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH11: . . . . . . . . . . . . . . . . TH12: Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? . . . . . . . TH13: . . . . . . . . . . .

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Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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L1: Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte L2: Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . L3: Du . . . . . . . . . . . . . . . . . . L4: Das Buch der Tänze . . . . . . . . . L5: Hoffmaniade, eine Tanzgroteske . . . L6: . . L7: Lieder zum Schlagzeug . . . . . . . .

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Inhalt

L8: Litanei der frommen spanisch Feuer Leut L9: Die Flitterwochen . . . . . . . . . . . . L10: Dienstbotenlied . . . . . . . . . . . . . L11: „Muatterl schaug beim Fenster naus“ . . L12: „Und die Leute werden sagen“ . . . . .

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Rundfunk und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 RF1: Eines jungen Mannes Tag 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF2: Stunde der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF3: Ein neuer Casanova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF4: Ein Don Juan unserer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF5: Brüderlein fein! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF6: Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF7: Fünf Filme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF8: Kasimir und Karoline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF9: Die kleinen Paragraphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF10: Der Pfarrer von Kirchfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Revue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 R: Magazin des Glücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Emendierte Endfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Autobiographisches . Theoretisches . . . . Lyrik . . . . . . . . Rundfunk und Film . Revue . . . . . . . .

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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Chronologisches Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 Editionsprinzipien . . . Siglen und Abkürzungen Literaturverzeichnis . . Inhalt (detailliert) . . .

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Vorwort

Vorwort Der vorliegende Band versammelt eine Reihe vermischter Schriften Horváths, die nicht unter die Gattungen Drama und Prosa einzuordnen sind, welche in den Bänden 1 bis 16 der Wiener Ausgabe ediert wurden. Zu den vermischten Schriften zählen zunächst autobiographische und theoretische Texte, darunter die bekannten Autobiographischen Notizen (AU1 und AU2) und die Gebrauchsanweisung (TH8), weiters Lyrik, Texte für den Rundfunk und Film sowie eine Revue, Magazin des Glücks (R). Die Texte werden unter diesen Rubriken thematisch gereiht. Die Reihung innerhalb der Rubriken folgt chronologischen Gesichtspunkten.

Druckgeschichte Die hier versammelten vermischten Schriften wurden in der Editionsgeschichte eher stiefmütterlich behandelt. Ein beträchtlicher Teil davon wurde in den Gesammelten Werken 1970/71 erstmals publiziert, darunter das Interview (TH9) – prominent am Beginn von Band I –, die Autobiographische Notiz (auf Bestellung) (AU1), die Autobiographische Notiz (AU2), Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… (AU3), die Gebrauchsanweisung (TH8), das Buch der Tänze (L4), Stunde der Liebe (RF2), Magazin des Glücks (R), Ein Don Juan unserer Zeit (RF4), Brüderlein fein! (RF5), Die Geschichte eines Mannes (RF6) und einiges an Lyrik (Litanei der frommen spanisch Feuer Leut, Dienstbotenlied, Die Flitterwochen, A-erotisches Barmädchen, Lieder zum Schlagzeug und Und die Leute werden sagen) in Band IV. Auch in Band 11 der Kommentierten Werkausgabe von 1985–88 wurde einiges davon neuerlich gedruckt, ergänzt um unterschiedliche Varianten, etwa zur Gebrauchsanweisung (TH8). Weiteres Material brachten die beiden Supplementbände zur Kommentierten Werkausgabe, u.a. die Hoffmaniade (Abenteuer im lila Moloch; L5), Eines jungen Mannes Tag im Jahre 1930 (RF1) und Der Pfarrer von Kirchfeld (RF10) sowie eine Reihe erstmals oder neu edierter Fassungen aus dem genetischen Material bereits bekannter Texte. Verstreute Publikationen erfolgten in den Horváth-Blättern.1 Die längste und gängigste Fassung der Gebrauchsanweisung (TH8/TS2) wurde in ihrer ursprünglichen Gestalt und Orthographie erstmals in der Studienausgabe von Kasimir und Karoline im Reclam Verlag abgedruckt.2 Die verstreute Publikation vieler der hier versammelten Texte machte es bisher schwierig, sie in ihrer Gesamtheit und auch in ihren Wechselbeziehungen zu erkennen. So gibt es starke Interferenzen vor allem zwischen den autobiographischen und theoretischen Texten bzw. innerhalb dieser, etwa zwischen der Autobiographischen 1 2

Vgl. HB 1. Vgl. Horváth 2009, S. 160–166.

1

Vorwort

Notiz (AU2), Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München (AU3), „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (AU4), der Gebrauchsanweisung (TH8) und dem Interview (TH9), bzw. auch zwischen letzteren beiden.3 Auch wurde das genetische Material zu Texten wie Eines jungen Mannes Tag 1930 (RF1), Stunde der Liebe (RF2) oder Magazin des Glücks (R) bisher nicht oder nur ansatzweise veröffentlicht. Der vorliegende Band liefert nun das gesamte genetische Material und alle Endfassungen aus den Textgattungen Autobiographisches, Theoretisches, Lyrik, Rundfunk und Film sowie Revue.

Autobiographisches Genuin autobiographische Texte Horváths sind wenige überliefert. Allerdings hat der Autor auch einige Erzähltexte geschrieben, die mit autobiographischen Versatzstücken arbeiten und deshalb als Autofiktionen kategorisiert werden können.4 Die frühesten autobiographischen Texte sind im Kontext der Uraufführung von Horváths erstem Volksstück, Revolte auf Côte 3018 (1927), an den Hamburger Kammerspielen entstanden. Es handelt sich dabei um die Autobiographische Notiz (auf Bestellung) und die Autobiographische Notiz. Zweitere dürfte auf erstere zurückgehen und wurde schließlich in den Blättern der Hamburger Kammerspiele mit dem Titel Der Freihafen gedruckt. Auf dieser Druckfassung beruht die hier edierte Fassung AU2/TS2, die auch die Grundlage der emendierten Fassung der Autobiographischen Notiz bildet. Die Autobiographische Notiz gehört zu den bekanntesten autobiographischen Texten Horváths, hier fallen so bekannte Sätze wie: „Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung.“ Und: „Erst mit vierzehn Jahren schrieb ich den ersten deutschen Satz.“ (AU2/TS2) Auch der im Kontext der Uraufführung des Volksstücks Die Bergbahn am 4. Januar 1929 an der Volksbühne Berlin entstandene autobiographische Text Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… gehört zu den bekanntesten Texten Horváths. Er ist in der zum Ullstein-Verlag gehörenden Zeitschrift Der Querschnitt in Heft 2 von 1929 erschienen und hatte unmittelbare Werbezwecke. Horváth stand ja seit 11. Januar 1929 beim Ullstein-Verlag unter Vertrag, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Werk von ihm bei Ullstein erschienen wäre. Auf die erfolgreiche Uraufführung der noch im Volksbühnen-Verlag erschienenen Bergbahn verweist auch eine Fußnote in Fiume. Außerdem erörtert Horváth in dem Text seinen ‚Heimat‘-Bezug und äußert dabei so bekannte Sätze wie: „Ich bin eine typisch altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch – mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch.“ Bereits in diesem Text rechnet sich Horváth zum „deutschen Kulturkreis“, eine Formulierung, die im prekären Brief an den Neuen Bühnenverlag von 1934 wiederkehrt.5 Weniger bekannte Sätze, die aber dennoch nichts von Ihrer Tragkraft verlieren, sind folgende: „Worauf es ankommt, ist die Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit.“ Oder: „Ich glaube, es ist mir gelungen, durch meine ‚Bergbahn‘ den Beweis zu erbringen, daß auch ein nicht ‚Bodenständiger‘, nicht ‚Völkischer‘, eine heimatlose Rassemischung, etwas ‚Boden-

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Vgl. dazu die Ausführungen im „Chronologischen Verzeichnis“ in diesem Band. Vgl. WA 13, S. 33f. Vgl. WA 18/B83 und den Kommentar dazu.

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Vorwort

ständig-Völkisches‘ schaffen kann, – denn das Herz der Völker schlägt im gleichen Takt, es gibt ja nur Dialekte als Grenzen.“ (AU3/TS1) Auch der vierte autobiographische Text mit dem Incipit-Werktitel „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ hat es zu einiger Bekanntheit gebracht. Er ist in Form eines Typoskripts überliefert und dürfte im Herbst 1931 oder Anfang 1932 in München entstanden sein. Während der Text bis Bl. 4 autobiographisch ist, entwickelt er sich ab Bl. 5 zu einem theoretischen und programmatischen Bekenntnis Horváths und nimmt dabei so bekannte theoretische Texte wie die Gebrauchsanweisung (TH8) und das Interview (TH9) mit Willi Cronauer vorweg, die beide im Frühjahr 1932 entstanden sind. Bemerkenswert ist das literarische Erweckungserlebnis, das Horváth in AU4/TS1 beschreibt. So wurde er während einer Münchner Abendgesellschaft von dem bekannten Komponisten Siegfried Kallenberg angesprochen, der ihn bat, ihm eine Pantomime zu schreiben. Horváth vermutete, dass ihn Kallenberg mit jemand anderem verwechselte, klärte das Missverständnis jedoch nicht auf, sondern sagte zu. Dann habe er es noch mit allerhand „bürgerlichen Berufen“ versucht, „doch es wurde nichts daraus“, woraus er folgert: „[A]nscheinend war ich zum Schriftsteller geboren.“ (AU4/TS1/Bl. 4) Aus der Zusammenarbeit mit Kallenberg sind die Texte Das Buch der Tänze (1922), Horváths erste Buchpublikation, und einige Gedichte entstanden.6 Im Kontext der Uraufführung von Kasimir und Karoline im Herbst 1932 ist eine weitere Autobiographische Notiz (AU5/TS1) Horváths entstanden, die jedoch fragmentarisch geblieben ist und wahrscheinlich nicht veröffentlicht wurde. Zu den autobiographischen Texten werden hier auch zwei Briefe des Autors gerechnet, die erstmals im Band Briefe, Dokumente, Akten (WA 18) veröffentlicht wurden. Es handelt sich dabei um einen Brief an einen unbekannten Adressaten vom 6. März 1936 und um einen an den Wiener Journalisten Paul Fent vom 30. November 1937. In beiden Briefen gibt Horváth biographische Fakten preis. So heißt es in AU6/TS1: Ödön von Horváth, geb. 9. Dez. 1901 in Fiume, ungarischer Staatsbürger, schreibe aber nur deutsch, und zwar seit 1926. Habe folgende Stücke verfasst: (in Klammern der Ort der Uraufführung) „Die Bergbahn“ (Kammerspiele, Hamburg) „Italienische Nacht“ (Theater am Schiffbauerdamm, Berlin) „Geschichten aus dem Wienerwald“ (Deutsches Theater, Berlin) „Kasimir und Karoline“ (Komödie, Berlin) „Hin und Her“ (Schauspielhaus, Zürich). Erhielt den Kleist-Preis 1931. Das ist alles. (AU6/TS1)

Horváth versteht es, seine Biographie auf das Wesentliche zu verknappen. Das zeigt sich auch in AU7/TS1, in der Folgendes zu lesen ist: Fuhr nach Paris auf 1½ Jahr wo es mir reichlich mies ging und dann fing ich an zu schreiben, zuerst am „Simplicissimus“, dann Theaterstücke, die wurden gleich aufgeführt, das erste an den Hamburger Kammerspielen 1927. War ein enormer Durchfall, dasselbe Stück aber 29 in der Berliner Volksbühne ein Riesenerfolg. Dann „Italienische Nacht“ in Berlin und ebenfalls bei Reinhardt „Geschichten aus dem Wienerwald“. 1931 erhielt ich den Kleistpreis. Die weiteren Stücke wurden von mir uraufgeführt in Berlin (Kasimir und Karoline) Zürich (Hin und her) Prag (Figaro lässt sich scheiden; Dorf ohne Männer). Jetzt erschien der Roman „Jugend ohne Gott“ und im Frühjahr wird ein neuer erscheinen. Das ist alles. Damit ist es auch schon aus mit mir. (AU7/TS1)

Besonders die Schlussfloskeln lassen aufhorchen. Wie im Brief zuvor schließt Horváth mit dem Satz: „Das ist alles“, obwohl er bei Weitem nicht alles rekapituliert 6

Vgl. in diesem Band L4 und L6.

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Vorwort

hatte und ergänzt in diesem Fall noch: „Damit ist es auch schon aus mit mir“, was angesichts des Unfalltods ein halbes Jahr später eine sinistre Färbung bekommt. AU7/TS1 ist vermutlich aus dem Grund entstanden, dass Fent, der als Journalist u.a. für den Wiener Tag arbeitete, einen Bericht über Horváth plante, eventuell eine Rezension zum Roman Jugend ohne Gott, der am 26. Oktober 1937 erschienen war, oder eine Besprechung der Inszenierung von Himmelwärts in der Freien Bühne in der Komödie in Wien (UA 5. Dezember 1937). Weitere autobiographische Texte sind nicht überliefert.

Theoretisches Die Reihe der theoretischen Texte eröffnet ein Text mit dem Titel Über unser Buch der Tänze (TH1/TS1), in dem Horváth die spezifische Verbindung von Dichtung und Musik durch den Tanz beschreibt. Der Text entstand im Vorfeld der Uraufführung des Buches der Tänze 1926 in Osnabrück.7 Die Miszelle Natur gegen Mensch ist 1929 im Kontext der Uraufführung der Bergbahn an der Berliner Volksbühne entstanden und am 4. Januar 1929 in der Zeitschrift Tempo erschienen. Der Text kommentiert einerseits die Bedeutung des Dialekts für Horváths Volksstück, indem er aus der „Randbemerkung“ zur Bergbahn zitiert und den Dialekt als „psychologisches Problem“, als „Charaktereigenschaft der Umwelt, des Individuums oder auch nur einer Situation“ (TH2/TS1) kategorisiert. Andererseits widmet er sich dem Verhältnis von Natur und Mensch und kommt dabei zu dem Schluss: „Die Beherrschung der Natur ist das Endziel der menschlichen Gesellschaft. Die Natur ist der große Feind.“ (ebd.) So zumindest in den Augen des Ingenieurs und des Aufsichtsrats in der Bergbahn. Bei dem Text Sladek oder die Schwarze Reichswehr (TH3/TS1) handelt es sich um einen Kommentar zur Sladek-Figur und um eine Synopse der Handlung der ersten Fassung des Stückes, Sladek oder: Die schwarze Armee (1928). Der Text ist im Berliner Tageblatt vom 27. Januar 1929 in einer Art Sammelartikel unter dem Titel Drei Autoren werden aggressiv… erschienen. Neben Horváth sind darin Hans Borchardt und Peter Martin Lampel vertreten; alle drei Autoren mit erläuternden Texten zu ihren Bühnenstücken. Diesen ist ein Geleitwort des berühmten Regisseurs Leopold Jessner vorangestellt. Vermutlich wollte das Berliner Tageblatt damit die Inszenierungspraxis der Theater beeinflussen und propagierte Stücke „dokumentarischen Inhaltes“ und „zwingende[r] Gestaltung“.8 In der Einleitung schreibt die Zeitung: „Es ist begrüssenswert, wenn auch die ‚aggressiven‘ Stoffgebiete der Gegenwart für das Theater fruchtbar gemacht werden.“9 Der Text Typ 1902 ist eine Charakterstudie Horváths zu seiner Sladek-Figur, die unmittelbar vor der Uraufführung von Sladek, der schwarze Reichswehrmann (1929) in der Aktuellen Bühne des Lessingtheaters (UA 13. Oktober 1929 als Matinee) in der Zeitschrift Tempo erschienen ist. Diese gehörte zum Ullstein-Konzern, bei dem der Autor seit dem 15. Januar 1929 unter Vertrag stand.10 In den Briefen an den Journalisten P.A. Otte vom 6. und 8. September 1929 spricht Horváth davon, dass er ei7 8 9 10

Vgl. den Abschnitt „Rezeption“. Anonym: Drei Autoren werden aggressiv.... In: Berliner Tageblatt, 27.1.1929, 5. Beiblatt. Ebd. Vgl. WA 18/V1.

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Vorwort

nen Text zu veröffentlichen beabsichtige, in dem er „das Wesentliche an dem Stücke stark herausstreichen“ wolle, und macht sich sichtlich Sorgen wegen dieser „Sladekaufführerei“ durch ein ihm nicht bekanntes Ensemble.11 Das Stück wurde schließlich, wie Horváth befürchtet hatte, nicht allzu gut aufgenommen und unmittelbar nach der Uraufführung wieder abgesetzt.12 Der Titel Typ 1902 spielt auf Ernst Glaesers Erfolgsroman Jahrgang 1902 (1928) an. Wie Glaeser in seinem Roman behandelt auch Horváth im Sladek die Themen Pazifismus, Gewalt und Sexualität. Seinen Sladek verortet er irgendwo zwischen „Büchners Wozzek und dem Schweijk“ (TH4/TS1). Er ist ein „Traditionslose[r]“, ein „Entwurzelte[r]“, „dem jedes feste Fundament fehlt, und der so zum Prototyp des Mitläufers wird“ (ebd.). Zu den theoretischen Texten gehören auch zwei, die sich mit der Kritik an der jüngeren Literatur beschäftigen. Es ist dies der nur als Skizze überlieferte Text „Sie haben keine Seele“ (TH5/TS1), eine Replik auf eine Rezension von Peter Panter, einem Pseudonym Kurt Tucholskys,13 und der kurze Zeit später entstandene Entwurf eines offenen Briefes an Heinrich Mann (TH6/TS1). Die beiden Texte sind im Herbst 1929 bzw. im Frühjahr 1930 entstanden. In beiden stellt Horváth die jüngere Generation den „Vorkriegsquatscher[n]“ gegenüber (TH5/TS1). Im ersteren ist davon die Rede, dass die Jungen nicht an die „Seele“ glauben, weil sie nicht an das „Opfer“ (ebd.) glauben, und dass sie der „Kollektivismus“ freue, während die ältere Generation noch im „Individualismus“ wurzle. In zweiterem ist Horváth etwas selbstkritischer und schreibt, wenn auch nicht ganz ironiefrei: „Überhaupt bilden wir Jungen uns viel zu viel ein.“ (TH6/TS1) Und er gibt zu, auch hierin freilich nicht vollkommen ernst, dass die Jungen „verhätschelt“ (ebd.) werden. Zuletzt gesteht er ein, dass die Literatur auch ihr „Gutes“ habe, weil man mit ihr im Ansehen einer Frau steigen könne, „weil sie stolz darauf ist, es mit einem zu tun, der ein Feuilleton verfasste“ (ebd.). Bemerkenswert ist Horváths Beitrag zum 70. Geburtstag Gerhart Hauptmanns. Dabei hat sich der Autor für seine Grußbotschaft lange gequält, wie eine Reihe von Überarbeitungen in der knappen handschriftlichen Ausarbeitung (TS1) zeigen. Die definitive Fassung erschien schließlich in den Blättern des Deutschen Theaters, Heft VIII der Spielzeit 1931/32. Dort ist dann nur noch schlicht zu lesen: Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen, sonst nichts. Dieses „sonst nichts“ ist wahrscheinlich nur ein Zeichen der Jugend. Sofern wir also bestrebt sind zu lernen, müssen wir sehr glücklich sein, daß wir von Gerhart Hauptmann lernen können. NB. in puncto „sonst nichts“: jetzt hätt‘ ich es fast vergessen, nämlich das kleine Wort: Dank. (TH7/TS2)

Der wichtigste theoretische Text Horváths und auch sein wirkungsmächtigster ist die Gebrauchsanweisung.14 Diese ist vermutlich im Frühjahr 1932, parallel zur Fertigstellung des Volksstücks Kasimir und Karoline, entstanden. Dabei zieht Horváth in der Gebrauchsanweisung die Lehren aus den bisherigen Inszenierungen seiner Stücke. Die Gebrauchsanweisung ist in fünf Fassungen überliefert, wobei die erste noch den 11 12 13

14

WA 18/B24, S. 52; vgl. auch WA 18/B23 sowie den Kommentar in ebd., S. 317f. Vgl. WA 2, S. 9–13. Vgl. Martin Vejvar: „Überhaupt bilden wir Jungen uns viel zu viel ein …“. Ödön von Horváth reagiert auf Heinrich Mann. In: Marcel Atze/Volker Kaukoreit (Hg.): Erledigungen. Pamphlete, Polemiken und Proteste. (= Sichtungen, 14./15. Jg.) Wien: Praesens 2014, S. 267–271. Vgl. auch WA 4, S. 13.

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Vorwort

Titel „An das p.t. Publikum“ (TH8/TS1) trägt. Die längste und bekannteste Fassung ist TH8/TS2, die jedoch nicht die Fassung letzter Hand ist. Weitere Fassungen sind mit TH8/TS3–TS5 überliefert. Dabei handelt es sich bei allen diesen Textzeugen um Typoskripte, die handschriftlich überarbeitet wurden. Die Gebrauchsanweisung weist deutliche Bezüge zu dem autobiographischen Text „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (vgl. AU4) und zum Interview (vgl. TH9) mit Willi Cronauer auf, die kurze Zeit früher bzw. später entstanden sind. Der längsten Fassung der Gebrauchsanweisung, die auch als die verbindliche angesehen wird,15 kommt in der Horváth-Exegese eine besondere Bedeutung zu. Sie beginnt mit dem freudo-marxistischen16 Bekenntnis: „Das dramatische Grundmotiv aller meiner Stücke ist der ewige Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein.“ (TH8/TS2/Bl. 1) Horváth behauptet dann, dass seine Stücke „bisher nicht richtig im Stil gespielt worden“ seien, weshalb er sich jetzt veranlasst dazu fühle, „eine Gebrauchsanweisung zu schreiben“ (ebd.). Das Wesen seiner „Synthese aus Ernst und Ironie“ sei die „Demaskierung des Bewusstseins“ (ebd., Bl. 2). In einer aristotelisch-kathartischen Wendung verkündet er dann: „Die Leute gehen aus dem Theater mit weniger asozialen Regungen heraus, wie hinein.“ (ebd., Bl. 3) Im Zentrum der theoretischen Abhandlung steht aber die Frage nach dem neuen Volksstück, das Horváth konzipiert. Dieses will – und Horváth bezeichnet sich dabei „als treuer Chronist meiner Zeit“ (ebd., Bl. 4) – „die grosse Masse“ der Leute schildern, aber: „Um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muss ich ihn also einen Bildungsjargon sprechen lassen.“ (ebd., Bl. 4f.) Aus der Zerstörung des alten Volksstückes entstehe die „neue Form des Volksstückes“ (ebd., Bl. 5). Dabei wolle sich Horváth „mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker“ anlehnen, „denn an die Autoren der klassischen Volksstücke“ (ebd.).17 Zuletzt hält der Autor acht „Todsünden der Regie“ (ebd.) fest. Diese betreffen: Dialekt, Parodie, Satire (Karikatur), Naturalismus / Realismus, Ausnahmen davon, Tragödie vs. Komödie, stummes Spiel und Gradunterschiede im stilisierten Spiel (vgl. ebd., Bl. 5–7). Insgesamt muss man der Gebrauchsanweisung theoretische Fundiertheit und praktische Anschauung zugestehen. Hier spricht ein Autor, der sich Gedanken über sein dramatisches Tun und dessen dramaturgische Anverwandlung gemacht hat, auch wenn er damit keine „konsistente Theatertheorie“18 entworfen hat, wie dies etwa zeitgleich Brecht geleistet hat. Das Interview (TH9) mit Willi Cronauer wurde am 6. April 1932 im Bayerischen Rundfunk gesendet. Es ist damit etwas später als die Gebrauchsanweisung entstanden, aus der es jedoch wesentliche Bestandteile – vor allem die Passagen über das 15 16

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Vgl. GW IV, S. 659–665 und Horváth 2009, S. 160–166. Vgl. Erwin Rotermund: Zur Erneuerung des Volksstückes in der Weimarer Republik: Zuckmayer und Horváth. In: Dieter Hildebrandt/Traugott Krischke (Hg.): Über Ödön von Horváth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 18–45, hier S. 30; Julia Bertschik: „Affektives Kapital“. Zur Vernetzung von Erotik, Geschlecht und Politik bei Ödön von Horváth. In: Nicole Streitler-Kastberger/Martin Vejvar (Hg.): „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2018, S. 147–157, hier S. 147. Vgl. Elisabeth Tworek: „Ein Volksstück, das im besten Sinne bodenständig ist…“. Der Einfluss der bayerischen Volkskultur auf die Literatur Ödön von Horváths. In: Maske und Kothurn, 59. Jg., Heft 3 (2013), S. 73–87. Christopher Balme: Horváths Theorie des Theaters. In: Nicole Streitler-Kastberger/Martin Vejvar (Hg.): „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2018, S. 37–47, hier S. 37.

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Volksstück – entlehnt. Auch aus der Autobiographischen Notiz (AU2), aus Fiume… (AU3) und aus „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (AU4) übernimmt Horváth wesentliche Teile in das Interview, für dessen biographischen Abschnitt. Überliefert ist das Interview als Typoskript mit zahlreichen Korrekturen und Ergänzungen beider Autoren. Diese werden auch in die Transkription mitaufgenommen. Horváth spricht im Interview zunächst über seine k.u.k. Herkunft und die „Rassenmischun[g]“ (TH9/TS1/A2/Bl. 1), die er darstellt, auch über den „Weltkrieg“ (ebd., Bl. 2f.) und dessen prägenden Einfluss, und über sein literarisches Erweckungserlebnis durch die Begegnung mit Siegfried Kallenberg. Danach äußert er sich kurz über die Bergbahn. Den Kern des Interviews stellen die Ausführungen über das Volksstück im Allgemeinen dar. Hier ist, wie in der Gebrauchsanweisung, zu lesen: Will man also das alte Volksstück heute fortsetzen, so wird man natürlich heutige Menschen aus dem Volke - und zwar aus den massgebenden, für unsere Zeit bezeichnenden Schichten des Volkes auf die Bühne bringen. (ebd., Bl. 5)

In weiterer Folge spricht Horváth auch über den „Bildungsjargon“ (ebd., Bl. 6) und über seine „Synthese von Ernst und Ironie“ (ebd.). Beim Thema „Satire“, das Cronauer aufbringt, weicht das Interview jedoch signifikant von der Gebrauchsanweisung ab. Hier äußert Horváth: „[I]ch stehe zu Satire absolut positiv. Ich kann garnicht anders.“ (ebd.) Cronauer bezeichnet dies als „heikles Thema“ und führt in einer langen Stellungnahme dazu Folgendes aus: Es ist weiss Gott keine Ueberhebung, der wir uns schuldig machen - wir sehen darin eine Weltund Lebensanschauung und letzten Endes eine uns führende und weisende Selbstkritik. (ebd., Bl. 6f.)

Horváth kommentiert dies mit der Tatsache, dass seine Stücke oft als „derb“ und „ekelhaft“ (ebd., Bl. 7) betrachtet werden, was er sich nur so erklären kann, dass eben ein Teil des Publikums „über sich selbst nicht lachen“ (ebd.) könne, „und besonders nicht über mehr oder minder bewusstes, höchst privates Triebleben“ (ebd.), womit der Autor neuerlich zu einer freudianischen Deutung greift. In weiterer Folge ist auch von der „Parodie“ die Rede, die Horváth, wie schon in der Gebrauchsanweisung, ablehnt (ebd., Bl. 8). Zuletzt spricht Horváth von der Wirkungsästhetik des Theaters, auch hier deutlich an die Gebrauchsanweisung angelehnt. Als wesentliche Funktion des Theaters bezeichnet er dabei die „Erhebung“ bzw. „Erbauung“ (ebd., Bl. 13v und 9). Das Theater müsse für breite Bevölkerungsschichten zugänglich sein, weshalb er eine „Abschaffung der Garderobe und des gesellschaftlichen Kleidungszwanges“ (ebd., Bl. 10) fordert: Denn „es kommt ja nicht auf die vielen schönen Garderoben an, sondern auf die Menschen und die Köpfe die im Zuschauerraum sitzen“ (ebd.). Die Randbemerkung zu Glaube Liebe Hoffnung (1933) stellt einen weiteren zentralen theoretischen Text Horváths dar und gehört mit zu den kanonischen Texten des Autors. Über mehrere Zwischenfassungen (vgl. TH10/TS1–TS4) gelangt der Autor schließlich zur definitiven Fassung (TH10/TS5), die dem Stammbuch des Arcadia Verlags von Glaube Liebe Hoffnung vorangestellt wurde. Horváth habe mit dem Stück wieder einmal den „gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft“ zeigen wollen, „dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll -höchstens, dass mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst“ (TH10/TS5/S. 2). Wie in allen seinen Stücken versuche er dabei

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„möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge“ (ebd., S. 3) zu sein, wobei er es als „vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers“ bezeichnet, dass „die Leut sich selbst erkennen“ (ebd.). Und er fügt dem die folgenden Zeilen hinzu: Erkenne Dich bitte selbst! Auf dass Du Dir jene Heiterkeit erwirbst, die Dir Deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem Dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiss nicht über Dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter Dich stellt, so dass Du Dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! -- (ebd.)

Drei weniger bekannte theoretische Texte runden dieses Konvolut ab. Es ist dies der (TH11) in der Praterstraße in Wien,19 bekannt unter dem Titel Über Kasimir und Karoline, die Abhandlung Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? (TH12) und der sogenannte (TH13), in dem Horváth einen Großteil seines bisherigen Schaffens verwirft, darunter auch Glaube Liebe Hoffnung und sein gesamtes Haupt- und Spätwerk. Im schreibt Horváth über Kasimir und Karoline die wirkmächtigen Zeilen, dass es „die Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut mit der Ambition“ sei, „eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heisst durch die alltägliche Erkenntnis: ‚Sterben müssen wir alle!‘“ (TS11/TS1) Der Text ist in Zusammenhang mit der österreichischen Erstaufführung des Stückes in Wien durch die Gruppe Ernst Lönner im Jahr 1935 entstanden. Die Erstaufführung erfolgte im Februar 1935, die Wiederaufnahme im November 1935. Aus dieser Zeit stammt auch der Briefentwurf Horváths. Die vermutlich als Vortrag geplante Abhandlung Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? stammt wahrscheinlich aus den Jahren 1935 oder 1936. Horváth beschäftigt sich darin mit der Problematik des Schreibens in Zeiten der Zensur. Die Zensur befördere die „Bildbegabung, die visionäre Schau“, „mit anderen Worten: aus der Zensur entsteht das Symbol“ (TH12/TS1/Bl. 1). Wenn man zu direkt spreche, setze man sich „der Gefahr aus, dass man eingesperrt wird“ (ebd., Bl. 2). Die „vornehmste Aufgabe des Schriftstellers“ sei es „vernünftig zu sein“ (ebd., Bl. 2v) und es gebe nur eine „wahrhaftige Zensur“, nämlich das „Gewissen“ (ebd.). Im , der wahrscheinlich im Herbst 1937 entstanden ist, will Horváth „ein Programm im Stückeschreiben“ (TH13/TS1) formulieren. Dabei zieht er sein bisheriges Werk „zurück“ und behauptet, es seien nur „Versuche“ gewesen: Er nennt dabei, teils unter anderen Titeln, die Stücke Kasimir und Karoline, Glaube Liebe Hoffnung, Eine Unbekannte aus der Seine, Hin und her, Himmelwärts, Figaro läßt sich scheiden, Don Juan kommt aus dem Krieg und Der jüngste Tag. Der Text ist Ausdruck einer tiefen existenziellen Krise des Autors. In der Folge spricht er davon, dass er „auf dem Strich“ gegangen sei, dass er nun aber „ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft“ „unter dem Titel ‚Komödie des Menschen‘ fortan [s]eine Stücke schreiben [wolle], eingedenk der Tatsache, dass im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist“ (ebd.).

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Vgl. WA 18/BE8.

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Lyrik Horváth hat nur selten und ohne Ehrgeiz Lyrik geschrieben. Seine erste (überlieferte) literarische Arbeit war indes ein Gedicht, eine Art Ballade, mit dem Titel Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte (L1), die der junge Horváth vermutlich bereits mit dreizehn oder vierzehn Jahren geschrieben hat. Mit etwa 18 Jahren hat er die Gedichte Glück (L2) bzw. dessen Kurzfassung Du (L3) verfasst, ersteres ist im Poesiealbum der Jugendfreundin Gustl Emhardt überliefert.20 Bemerkenswerterweise war Horváths erste Buchpublikation ein lyrischer Text, die auf Anregung des Komponisten Siegfried Kallenberg zustande gekommene Sammlung von Prosagedichten Das Buch der Tänze (1922; L4). Diese vom Exotismus der Literatur der Jahrhundertwende und von expressionistischer Prosa beeinflussten Texte wurden auf dem ersten literarisch-musikalischen Abend der Kallenberg-Gesellschaft am 7. Januar 1922 mit musikalischer Untermalung von Annie Marée gelesen.21 Eine szenische Inszenierung im Stadttheater Osnabrück am 19. Februar 1926 wurde von der lokalen Presse verrissen. Horváth ließ deshalb in der Folge unter Mithilfe seines Vaters sämtliche noch greifbaren Exemplare des „ungeliebte[n] Erstlingswerk[s]“22 aufkaufen.23 Zeitgleich schrieb der Autor bereits an Stücken wie Revolte auf Côte 3018 und Zur schönen Aussicht, die Ausdruck eines völlig gewandelten und souveränen Umgangs mit literarischen Traditionen sind. Die Zusammenarbeit mit Kallenberg brachte indes noch weitere Lyrik hervor. So entstand die bisher unter dem Titel Abenteuer im lila Moloch (bzw. Molch) bekannte Hoffmaniade, eine Tanzgroteske (L5)24, die an das Buch der Tänze gemahnt, gleichzeitig aber auch schon Elemente des späteren Hörspiels Stunde der Liebe (RF2) vorwegnimmt. Wahrscheinlich dürfte die Hoffmaniade nach dem Buch der Tänze entstanden sein, ebenso die drei Gedichte Schlaf, meine kleine Braut, Sehnsucht und Ständchen (L6), deren Originale sich im Nachlass des Komponisten an der Bayerischen Staatsbibliothek fanden, inzwischen aber als verschollen gelten müssen. Die Gedichte sind auf Mai 1923 datiert. Die drei Lieder sind ironischer als das Buch der Tänze und verweisen deshalb auf die Kurzprosa, vor allem auf die etwa gleichzeitig entstandenen Sportmärchen (1923/24).25 Bemerkenswert scheint vor allem das Gedicht Sehnsucht, das in neusachlicher Manier von der Liebe handelt. Möglicherweise auch auf die Zusammenarbeit mit Siegfried Kallenberg zurück gehen die Lieder zum Schlagzeug (L7), von denen sich ein paar Entwürfe und Typoskripte im Nachlass Horváths befinden. Die Datierung ist schwierig. Sie könnten um 1924 entstanden sein, eventuell auch etwas später. Wiederholt ist in den verschiedenen Fassungen von einem „Stepptänzer“ die Rede, der durch die Welt „steppt“. In onomatopoetischer Weise imitiert Horváth in den verschiedenen Fassungen den Klang eines Schlagzeugs, etwa durch den Ausdruck „Bambum!“ (L7/TS5 und TS6). 20 21 22

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Vgl. das Faksimile in: HB 1 (1983), S. 53–61. Vgl. KW 11, S. 263. Martin Vejvar: Ein ungeliebtes Erstlingswerk. Ödön von Horváth revidiert sein „Buch der Tänze“ (1922). In: Marcel Atze/Volker Kaukoreit (Hg.): Lesespuren – Spurenlesen. Wie kommt die Handschrift ins Buch? Von sprechenden und stummen Annotationen. (= Sichtungen, 12./13. Jg.) Wien: Praesens 2011, S. 380–384. Vgl. KW 11, S. 263f. und WA 1, S. 2. Vgl. HB 1 (1983), S. 94–97; KW 16, S. 9f. Vgl. WA 13.

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Wiederholt ist auch vom „a-erotischen Barmädchen“ die Rede. Das dementsprechende Gedicht, das in verschiedenen Fassungen vorliegt, gehört zu den letzten Fassungen der Lieder zum Schlagzeug (vgl. L7/TS7–TS11). Die Litanei der frommen spanisch Feuer Leut (L8) ist als Typoskript aus der Hand des Autors überliefert, die Datierung ist nur grob auf Mitte der 1920er-Jahre festlegbar. Das Gedicht handelt in drastischer Manier von der Ausbreitung der Syphilis, dem „spanisch Feuer“, in Europa. Das Gedicht Die Flitterwochen (L9), als Typoskript überliefert, dürfte Mitte der zwanziger Jahre entstanden sein und kreist in ironischer Form um die Liebe. Das in dem Gedicht genannte „Lizulein“ ist Felicia Seyd, eine Freundin Horváths, der auch eine Fassung der Sportmärchen gewidmet ist.26 Sozialkritisch gebärdet sich das Dienstbotenlied (L10), das vermutlich Ende der 1920erJahre entstanden ist und in mehreren Typoskript-Durchschlägen vorliegt. Vermutlich spricht darin ein Dienstmädchen von seinem Leid. Die Pointe des Gedichts besteht darin, dass die Hierarchien zwischen Herrschaft und Dienstboten im Schlaf aufgehoben werden und alle um die Wette träumen. Das Gedicht „Muatterl schaug beim Fenster naus“ (L11) ist im Notizbuch Nr. 5 eingetragen, das Horváth zwischen September und November 1931 verwendet hat. Es handelt von einem neuerlichen Putsch Hitlers: Muatterl schaug beim Fenster naus Der Hitler macht an Putsch Die Reichswehr setzt an Stahlhelm auf Das ganze Land ist futsch! (L11/TS1)

Ähnlich politisch-brisant und zeitbezogen ist auch das letzte Gedicht, das von Horváth überliefert ist: „Und die Leute werden sagen“ (L12). Es wurde in den Manteltaschen des toten Horváth am 1. Juni 1938 gefunden, vermutlich auf eine leere Zigarettenpackung geschrieben.27 Überliefert ist es jedoch als Typoskript im Nachlass Horváths, wobei dieses wahrscheinlich eine Abschrift der Autorin und HorváthFreundin Hertha Pauli ist. Das Gedicht lautet folgendermaßen: Und die Leute werden sagen In fernen blauen Tagen Wird es einmal recht Was falsch ist und was echt Was falsch ist, wird verkommen Obwohl es heut regiert. Was echt ist, das soll kommen – Obwohl es heut krepiert. (L12/TS1)

Man muss diese Zeilen als Horváths literarisches Vermächtnis ansehen. Sie sind vermutlich das letzte, was der Autor geschrieben hat. Die Zeitdiagnose ist ähnlich scharf wie im Gedicht „Muatterl schaug zum Fenster naus“, nur dass sich in das vorliegende Gedicht noch eine Zukunftsperspektive eingeschrieben hat.

26 27

Vgl. WA 13/Sportmärchen/TS15. Vgl. GW IV, S. 45* und KW 11, S. 263.

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Rundfunk und Film Mit der Arbeit an Hörspielen und Filmskripts begab sich Horváth auf ein (nicht nur für ihn) neues Terrain. Er gehörte damit zu einer Vorhut von Autorinnen und Autoren, denn die ersten Hörspiele waren erst 1924 gesendet worden.28 Oder wie Jürgen Schröder schreibt: „Mit seinem Versuch, an dem Hörspiel-Boom der letzten Weimarer Jahre zu partizipieren, lag Ödön von Horváth […] im Trend der Zeit.“29 Auch der Film war zu der Zeit immer noch ein junges Medium. Beide medialen Formen hatten jedoch großen Einfluss auf die Kultur der Weimarer Republik und haben auch im Schreiben Horváths produktionsästhetische Spuren hinterlassen.30 Horváths erste Hörspielarbeit Eines jungen Mannes Tag 1930, die vermutlich Ende 1929 entstanden ist, blieb unvollendet und ist nur fragmentarisch ausgearbeitet. Der erste Entwurf RF1/E1, in dem auch der Teiltitel „Stunde der Liebe“ genannt wird, lässt vermuten, dass die beiden Hörspielprojekte zusammengehören und ein einziges darstellen. Doch Horváth hat schließlich Stunde der Liebe (RF2) aus ersterem ausgegliedert und zu einem eigenen Werkprojekt gemacht.31 Als Hauptfigur taucht schon in den frühen Entwürfen zu Eines jungen Mannes Tag 1930 eine Figur namens Peter, später Peter Kranzler, auf. Den Titel des Werkprojekts versieht Horváth mit der Gattungsbezeichnung „Hörspiel“ (RF1/E1 bzw. E3) bzw. „Fünf Szenen für Rundfunk“ (RF1/E7 und E9). Typisch für das Genre ist die Reflexion über technischen Fortschritt, die oft in die Texte selbst eingeflossen ist, was sich auch bei Horváth beobachten lässt.32 In der ersten dialogischen Ausarbeitung RF1/TS1 treten zunächst zwei Sprecher auf, die die Hauptfigur Peter vorstellen, einen „sympathischen jungen Mann“ (RF1/TS1/Bl. 2), und über den zeitgeschichtlichen Hintergrund, die gerade überwundene Inflation, sprechen: „„Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg, es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres vollbracht.“ (ebd.) Die Fassung RF1/TS6, die zwei Blätter umfasst, ursprünglich aber wohl länger war, ist die elaborierteste Fassung zu dem Werkprojekt Eines jungen Mannes Tag 1930, trägt aber nur noch den Titel „Hörspiel“. Zunächst äußert sich ein Sprecher, der das Publikum begrüßt und davon spricht, dass nun die Sendung eines Hörspiels von Ödön Horváth folgt, der einen Herrn Kranzler durch seinen Tag begleitet habe. Mit dem Läuten des Weckers wird der Tag eingeleitet; die Fassung geht dabei über ins Dialogische, indem ein Gespräch zwischen Herrn Kranzler und seiner Zimmerwirtin Frau Perzl wiedergegeben wird. Danach fehlen vermutlich sieben Blätter; das Typoskript setzt dann wieder ein bei einer Szene im „Tanzpalast“ (RF1/TS6/Bl. 13), die Kranzler und ein Fräulein zeigt. Es folgt eine Eifersuchtsszene, weil das Fräulein von einem spricht, der sie im Auto mitnehmen wollte. Kranzler will deshalb flüchten, doch der Sprecher des Hörspiels hält ihn in einer Art Metalepse zurück: „Sie dürfen das nicht so tragisch 28

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Vgl. Christopher Balme: Die ‚sachliche‘ Liebe: Zu Ödön von Horváths Hörspielen. In: Seminar, 23. Jg., Heft 1 (1987), S. 23–41. Jürgen Schröder: Ödön von Horváths „Stunde der Liebe“. In: Sprachkunst, 19. Jg., Heft 2 (1988), S. 123–135, hier S. 124. Vgl. etwa Marion Linhardt: Auswege ins Glück. Ödön von Horváth und die Revueästhetik der Weimarer Republik. In: Nicole Streitler-Kastberger/Martin Vejvar (Hg.): „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik. Salzburg und Wien 2018, S. 51–63. Vgl. Schröder 1988 (Anm. 29), S. 123. Vgl. Balme 1987 (Anm. 28), S. 34.

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nehmen …“ (ebd.). Daraufhin folgt ein Dialog zwischen dem Sprecher und Kranzler. Der Sprecher stellt sich vor als „Sprecher der deutschen Stunde in Bayern“ (ebd.), worauf sich Kranzler einen „Walzer“ (ebd.) wünscht. Der Schluss zeigt Kranzler wiedervereint mit dem Fräulein. Auf seinen Satz: „Ich hab gestern gelesen, wir haben keine Seele –“33, repliziert sie: „Komm! Red doch nicht so dummes Zeug –“ (ebd.). Damit endet diese Fassung und im Wesentlichen auch die Ausarbeitungen zu dem Werkprojekt Eines jungen Mannes Tag 1930, das unvollendet bleibt. Stunde der Liebe (RF2) ist das „einzig[e] abgeschlossen[e] und sendereif[e] Hörspiel“ Horváths.34 Christopher Balme bringt das Hörspiel mit den stilistischen Tendenzen der Neuen Sachlichkeit in Verbindung, „denn Künstler wie Kritiker sahen im Hörspiel und in der Funkreportage eine ‚objektive‘, den Grundsätzen dieser Zeitströmung ideal entsprechende Darstellungsform“.35 Das Hörspiel Stunde der Liebe trägt zunächst die Titel „Herr Eglhuber will heiraten“ bzw. „Herr Lederer möchte heiraten“ (vgl. RF2/E1–E4). Diese werden dann abgelöst durch den Titel „Verliebte Leut im Jahr 1930“ (vgl. RF2/E5–E7), der bereits die Idee mehrerer Paare inkludiert, die für das Werkprojekt charakteristisch wird. In RF2/E8 skizziert Horváth einen Strukturplan in sechs Szenen, die dies bereits in Szenentiteln umsetzen: „Bank“, „Dame mit der Rose“, „Tanzdiele“, „Büro“, „Nelly“ und „Das Ehepaar“. An Figuren nennt Horváth hier u.a. Herrn Reithofer, Herrn Blanquez, Herrn Kranzler und Harry, die aus der Spießer-Prosa und aus Eines jungen Mannes Tag 1930 bekannt sind.36 In RF2/E12 und E13 nennt Horváth erstmals den definitiven Titel Stunde der Liebe, außerdem skizziert er in E12 und E14 umfangreiche Strukturpläne, die bis zu zwölf Szenen umfassen. In RF2/TS5–TS9 arbeitet Horváth das Hörspiel über mehrere Zwischenstufen aus. Mit RF2/TS10 liegt die Endfassung in sieben Szenen vor. Die Folge der Szenen lautet: Englischer Garten, Englischer Garten, Konzertcafé, Schraudolfstraße, Lokal, Kino und Straße. Die Szenen zeigen unterschiedliche Paare, die vom Sprecher des Hörspiels belauscht werden. Dieser meldet sich gleich zu Beginn mit folgenden Anmerkungen zu Wort: Die Übertragung unserer Stunde der Liebe wird uns nur möglich durch eine sensationelle radiotechnische Erfindung, die es uns eben ermöglicht, jeden Menschen wo wir nur wollen zu belauschen -- und zwar, ohne dass dieser Mensch auch nur den leisesten Verdacht verspüren könnte, dass er belauscht wird. (RF2/TS10/Bl. 3)

Auf diese medientechnische Referenz folgt eine weitere: Ich und die Deutsche Stunde in Bayern sind uns natürlich dessen bewusst, dass unser Vorgehen nicht gerade besonders vornehm ist, aber im Dienste der Technik müssen wir auf derartige Sentimentalitäten pfeifen, denn einmal müssen wir halt unseren Apparat ausprobieren. (RF2/TS10/ Bl. 3f.)

Dementsprechend werden in der Folge sieben Paare belauscht, um etwas über die Liebe in neusachlichen Zeiten zu erfahren. Das erste Paar, das der Sprecher im englischen Garten findet, hat einen veritablen Beziehungsstreit, weil der Mann wegen der „wirtschaftliche[n] Lage“ (RF2/TS10/Bl. 5) keine Kinder möchte, die Frau aber schon; ein Thema, das in der Spießer-Prosa der Zeit, aber auch in Figaro läßt sich 33 34 35 36

Vgl. in diesem Band TH5 und TH6. Balme 1987 (Anm. 28), S. 25. Ebd., S. 24. Vgl. WA 14 und in diesem Band RF1.

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Vorwort

scheiden (1936) als Trennungsgrund wiederkehrt. Auch das zweite Paar im englischen Garten hat einen Krach, weil „Sie“ ihm gesteht, dass sie ihn anfangs „eigentlich nicht sehr lieb gehabt“ habe (ebd., Bl. 7). Er will sie zunächst aus Gründen der „Ehre“ (ebd., Bl. 8) sitzen lassen, doch zuletzt fordert er sie doch auf, ihm nachzufolgen. Die dritte Szene zeigt zunächst den Sprecher im Kaffeehaus, wie er sich einen Kaffee bestellt. Dann belauscht er einen Akademiker und ein Mädchen. Der Akademiker erzählt Witze, und das Mädchen lacht sehr laut. Der Akademiker, der Lallinger37 heißt, studiert Rechte und hält sich selbst für einen „ausgesprochene[n] Psychologe[n]“, was vermutlich auch der Grund sei, weshalb er „so ausgesprochen stark auf Frauen wirke“ (ebd., Bl. 9f.).38 In der vierten Szene belauscht der Sprecher einen Firmenchef, Herrn Lindt, und eine Stenotypistin. Der Chef bittet sie, länger im Büro zu bleiben. Als er die Tür versperrt, glaubt sie, dass er übergriffig wird, doch er will sie nur eines Diebstahls überführen. Sie gibt diesen schließlich zu, fühlt sich aber nicht als Diebin, weil der Chef sie ständig zu Überstunden nötige. Er behauptet zuerst sie zu entlassen, will sie dann aber doch nicht entlassen, weil sie schon so gut eingearbeitet seien. Schließlich bietet er ihr an, sie solle ihm entgegenkommen. Mit den Worten „Diskretion Ehrensache“ (ebd., Bl. 14) versucht er, sie zu Gefälligkeiten zu überreden. Dabei wird nicht klar, ob sie sich darauf einlässt, denn es ertönt bereits der nächste „(Gong)“ (ebd.). Die fünfte Szene zeigt einen Baron und seine Geliebte beim Tanz. Er erkundigt sich danach, wann ihr Mann einmal verreise, damit sie freie Bahn haben. Zuletzt versichert der Baron, dass es das „Höchste auf der Welt“ sei, „[w]enn man lieben darf“, und sie ergänzt: „Und wenn man geliebt wird.“ (ebd., Bl. 16) In der sechsten Szene begegnet der Leser einem alten Ehepaar im Kino. Dort wird der Film „Madame wünscht keine Kinder“ (ebd.) gezeigt.39 Die beiden kommen in Streit, weil einer der Kinobesucher dem Mann auf sein Hühnerauge gestiegen ist und die Frau den anderen Mann verteidigt. Während die Frau versucht, ihren Mann zu beruhigen, tobt dieser weiter. Mit den Worten „Wir haben nun glücklich dreissig Jahre gestritten --“ (ebd., Bl. 17) bringt er ihr Ehe-Verhältnis auf den Punkt. Die Frau ist so verärgert über seine Erregung, dass sie ihn schließlich kneift, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die siebente und letzte Szene schließlich zeigt einen alten Bekannten Horváths, nämlich Herrn Reithofer40, der sich zu heiraten anschickt, und zwar die junge Anna, ein Dienstmädchen. Damit nimmt Horváth die frühesten Ideen von RF2 wieder auf. Die Stunde der Liebe endet versöhnlich, denn Anna sagt nicht nein, und so hat das Hörspiel schließlich doch zu einem glücklichen Paar gefunden. Horváth hat mit dem Hörspiel Stunde der Liebe einen Text verfasst, der die Liebe in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen zu durchleuchten versucht. Über einige Zwischenstufen ist

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Der Name taucht auch im Roman Der ewige Spießer (vgl. WA 14) und in den Prosafragmenten (vgl. WA 13) auf. In ähnlichen Worten wird sich auch Alfred in Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) anpreisen, vgl. WA 3, S. 757. Vgl. Evelyne Polt-Heinzl/Christine Schmidjell: Geborgte Leben. Ödön von Horváth und der Film. In: Klaus Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 193–261, hier S. 212–216. Vgl. WA 14 und WA 13/ET16; vgl. auch in diesem Band die Revue Magazin des Glücks (R).

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daraus ein ,typischer‘ Horváth-Text geworden. Leider wurde er bis heute kaum wahrgenommen, obwohl er bereits in der Ausgabe Gesammelte Werke gedruckt wurde. Zu dem Hörspiel-Werkprojekt Ein neuer Casanova (RF3), das wahrscheinlich auch 1930 entstanden ist, gibt es nur einen Entwurf und eine knappe Textstufe. Auch hierin sollte es wieder um die Frage der Liebe in (neu-)sachlichen Zeiten gehen. Ein gewisser Professor Bosch, der die einleitenden Worte zu dem Thema spricht, vertritt folgende Sicht der Dinge: Es ist eine völlig irrige Auffassung, dass es in unserer Zeit keine Romantik mehr gibt und, dass alles die Sachlichkeit und Nüchternheit erstickt. Es gibt noch Wesen, die man im bürgerlichen Sinne als ein Original bezeichnen kann. Noch gibt es Leute, die Sinn haben für das Unbewusste in der Liebe, für dieses Mysterium und die da gleich heilige Schauer empfinden. (RF3/TS1)

Damit endet die Folge der Hörspiel-Projekte. Umfangreicher sind die Ausarbeitungen zu den Filmexposés, die aber vermutlich alle später entstanden sind. Horváth hat nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland als Bühnenautor keine Aufführungsmöglichkeiten mehr vorgefunden. Bereits geplante Inszenierungen von Glaube Liebe Hoffnung (1933) und Himmelwärts (1934) durch den Regisseur der Uraufführung von Geschichten aus dem Wiener Wald, Heinz Hilpert, konnten auf Druck höchster NS-Kreise, wie etwa des sogenannten Reichsdramaturgen Rainer Schlösser, nicht zustande kommen. Schlösser ließ Hilpert ausrichten, dass „Horvarth nicht in Frage käme“.41 In dieser Situation suchte Horváth einerseits durch einen Beitritt zum Reichsverband Deutscher Schriftsteller und eine Anbiederung an das NSRegime entgegenzuwirken;42 andererseits durch Kontakte zum Filmbusiness. Tatsächlich arbeitete er in den Jahren 1934 und 1935 – womöglich auch darüber hinaus – wiederholt an Filmdrehbüchern mit, teilweise jedoch unter Pseudonym, teilweise ohne Nennung seines Namens in den Filmcredits.43 Dass Horváth keine große Wertschätzung gegenüber dem Film hegte44 und auch das Drehbuchschreiben eine Qual für ihn bedeutete, wird am deutlichsten in einem Brief an seinen Jugendfreund Hans Geiringer vom 16. September 1934.45 Dass das Schreiben für den Film indes äußerst lukrativ war, bestätigt ein Brief Horváths an seine Eltern, in dem er über sein neues Quartier in Berlin-Nikolassee schreibt: „Es ist eine Villa und die zwei Zimmer sind sehr schön. Die Garage ist auch im Hause. –“46 Auch für das Auto, das Horváth von dem Film-Geld hatte erwerben können, war also gesorgt. Allerdings äußert er auch hier die Klage, mit dem Film „furchtbar viel zu tun“ zu haben.47 Dennoch hat Horváth immer wieder Ideen für Filmprojekte, basierend auf eigenen Werken, notiert, etwa auch in den beiden Listen Fünf Filme (RF7/E1 und E2) von 1936. Auch ein ‚filmisches‘ Schreiben des Autors in den Dramentexten ist nachweisbar.48 In der kur41

42 43 44

45 46 47 48

Vgl. WA 7, S. 7f.: Akt im Bundesarchiv Berlin, R 55–20296, Bl. 76f. Vgl. auch Michael Dillmann: Heinz Hilpert. Leben und Werk. Berlin: Edition Hentrich 1990, S. 112. Vgl. WA 18/B83 und AK2. Vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001 (Anm. 39), S. 235–258. Vgl. Nicole Streitler: „Ich muss etwas schreiben, was Geld bringt. Und sei es ein Scheissfilm.“ – Ödön von Horváths ambivalentes Verhältnis zum Film. In: Rohstoff 3 (Dezember 2006), S. 56–59. WA 18/B84. WA 18/B87. Ebd. Vgl. Linhardt 2018 (Anm. 30), S. 55.

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zen Abhandlung Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? von 1935/36 bereut er bereits sein Engagement für den Film, und zwar deshalb, weil er „wegen eines neuen Anzugs und so“ sein „Gewissen“ (TH12/TS1/Bl. 2v) verleugnet habe. Und er vermerkt, nicht ohne Ironie, dass ihm von all dem schließlich nur noch eine „Krawatte“ (ebd.) übriggeblieben sei. Den vermeintlichen End- und Höhepunkt dieser Entwicklung bildet jedoch ein Brief an Bernhard Diebold vom 19. Juni 1937, in dem Horváth schreibt: „Filmideen hab ich leider keine. Ich bin filmisch verblödet, ein optischer Idiot, ein Drehbuch-Cretin, ein Treatment-Tepp, usw. usw. –“49 An Ideen für Selbstbezichtigungen fehlt es dem Autor jedenfalls nicht. Die überlieferten Filmexposés bilden ein schmales Konvolut innerhalb der Texte zu „Rundfunk und Film“. Jenes mit dem Titel Ein Don Juan unserer Zeit (RF4/TS1) ist in der Genese von Don Juan kommt aus dem Krieg (1936) relativ früh anzusetzen, etwa 1934/35, trägt es doch den Titel und beinhaltet Motive der frühesten Konzeption, die noch unter dem Titel Ein Don Juan unserer Zeit gestanden ist.50 Das Filmexposé setzt, wie das spätere Stück, mit der „Fronttheater-Szene“51 ein, in der Don Juan auf die zwei Soubretten trifft. Er hatte sie in der Oper „Don Juan“ (RF4/TS1/ Bl. 1; wohl: Mozarts Don Giovanni, 1787) gesehen und sie hat ihn an eine „ferne Frau erinnert […], an seine einzige grosse Liebe, noch lange vor dem Kriege“ (ebd.): Seine unerhörte Aktivität im Suchen und Sehnen nach „IHR“, führt ihn zu einer Passivität gegenüber der einzelnen Frau, aber gerade diese Mischung in seinem Wesen reizt die Frauen, sodass sie ihm alle hemmungslos entgegenkommen. (ebd., Bl. 2)

Zurück in der Heimat, die von „Revolution und Nachkriegswirren“ und der „Auflösung einer alten Moral“ (ebd.) geprägt ist: „Durch die Frauen bekommt er auch seinen Beruf: sie protegieren ihn überallhin, obwohl ihm diese Art peinlich ist.“ (ebd., Bl. 3) Er wird zunächst „gehobene[r] Kammerdiene[r]“ in einem „Damentanz- und Spielklub der Inflation“, dann kommt er durch einen „Vamp“ zum Film: „Er muss nur gut aussehen und das genügt, um ein gefeierter Stummfilmstar zu werden.“ (ebd.) Nachdem er den Film verlassen hat, wird er Abgeordneter. Wieder reißen sich alle Frauen um ihn. Doch Don Juan kümmert sich eigentlich gar nicht um Politik, sondern nutzt seine Stellung nur, um mithilfe eines „Heer[s] von Detektivinnen“ nach seiner verlorenen Braut zu suchen. Schließlich wird ein „Attentat“ (ebd., Bl. 4) auf ihn verübt, und zwar von einem Mädchen, das er zu Beginn der Handlung, bei einer Anti-Kriegs-Demonstration kennen gelernt hatte. Mit ihr flieht er schließlich in ein anderes Land. Zunächst sind die beiden sehr glücklich und Don Juan glaubt, endlich seinen Frieden gefunden zu haben, doch den beiden geht das Geld aus, weshalb es zu „Reibereien“ kommt, „wie in jeder armen Ehe“ (ebd., Bl. 5): „Eines Tages schleudert sie ihm ihre Empörung ins Gesicht, ein Mann müsse arbeiten können und müsste auch etwas anderes im Kopf haben, als wie nur die Liebe -- -- und sie verlässt ihn.“ (ebd.) Es ist das erste Mal, dass eine Frau ihn verlässt. Er wird schließlich „Reisender 49 50 51

WA 18/B105. Vgl. WA 9/K1. Vgl. Jürgen Hein: Die „Fronttheater“-Szene in Don Juan kommt aus dem Krieg. Notizen zur Edition und Interpretation. In: Klaus Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 92–107.

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in Damenwäsche“ (ebd.) und hat damit sehr viel Erfolg. Don Juan „erfindet ein neues Korselett, lässt es patentieren und übers Jahr hat er eine Fabrik und überall Filialen“ (ebd.). Doch auch hier hat er Unglück, denn man wirft ihm vor, er habe sich an den Frauen „vergangen“ (ebd.). Durch den „Vamp“, der wieder auftaucht, wird er in eine „Spionageaffaire“ (ebd.) verwickelt und landet schließlich im „Zuchthaus“ (ebd., Bl. 6). Dort erhält er einen Brief von seiner „grossen Liebe“ (ebd., Bl. 2), die behauptet, sein Leben immer verfolgt zu haben und die jetzt, da es ihm schlecht geht, „mütterliche Gefühle“ (ebd., Bl. 6) für ihn habe. Als er freikommt, eilt er zu ihr, doch sie sind inzwischen beide alt geworden, und er erkennt, „dass es kein Ideal gibt, das vergänglich ist. Die wirklichen Werte liegen jenseits des Lebens.“ (ebd.) Schließlich betritt er ein „armseliges, leeres Cafe“ (ebd., Bl. 7), in dem sich ein Herr befindet, der mit ihm Billard spielen möchte: „[E]r ist hager, wie ein Skelett, trägt schwarze Glacehandschuhe und Don Juan kann sein Gesicht nie richtig sehen“ (ebd.). Er erkennt schließlich, dass er mit dem Tod spielt, und er weiß, dass der Tod gewinnen wird. In einer Nachbemerkung spricht Horváth davon, dass in dem Film neben dem Don Juan nur Frauen und der Tod auftreten sollen, und dass darin „Zeitprobleme von der Einstellung der Frau her zu beleuchten“ (ebd.) seien. Letzteres bleibt auch im späteren Stück Don Juan kommt aus dem Krieg (1936) erhalten, aber abgesehen davon nimmt die Handlung einen gänzlich anderen Verlauf. Das Filmexposé mit dem Titel Brüderlein, fein! (RF5) dürfte in den Jahren 1934/35 entstanden sein, als Horváth versuchte, in Berlin im Filmgeschäft Fuß zu fassen. Wie der Autor, der auf dem Filmexposé in der Korrekturschicht mit dem Pseudonym H. W. Becker zeichnet,52 im Untertitel desselben vermerkt, beruht das Exposé auf Ferdinand Raimunds Stücken Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär (1826), Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828) und Der Verschwender (1834). Vor allem an den Figuren zeigt sich diese Amalgamierung: neben Rappelkopf (aus dem Alpenkönig) tritt der Herr von Flottwell (aus dem Verschwender) auf. Das Filmexposé setzt mit der Charakterisierung Rappelkopfs ein, der als großer „Menschenfeind“ (RF5/TS1/Bl. 1) bezeichnet wird, der sogar seiner Tochter Maly gegenüber misstrauisch ist. Dieser wird es zuhause bald zu langweilig und sie will, gemeinsam mit ihrer Zofe Lieschen, nach Italien zu ihrem Geliebten reisen. Auf der Reise dorthin treffen sie mit dem reichen Herrn von Flottwell und dessen Diener Habakuk zusammen. Als die beiden Mädchen der Herren gewahr werden, die sich gerade darüber streiten, wer von beiden die Schönere ist, erschrecken sie und fliehen. Inzwischen hat Rappelkopf sein Haus verlassen, weil er vermutet, dass ihn seine Frau umbringen lassen will, und sein ganzes Geld mitgenommen. Von Flottwell lebt ein luxuriöses Leben voller Verschwendung, hofft aber, dass er die „rechte“ (ebd., Bl. 2) Frau findet, die ihn davon erlöst, und glaubt nun, eine solche in Maly gefunden zu haben. Diese erfährt in der Folge, dass ihr Geliebter in Italien geheiratet hat, weshalb sie ihre Reise abbricht und wieder umkehrt. Zuhause angekommen, muss sie feststellen, dass ihr Vater das Haus verlassen und das ganze Geld mitgenommen hat, sodass sie und ihre Mutter nun „bitterste Not“ (ebd., Bl. 3) leiden müssen. Die beiden ziehen in die Stadt, wo Maly durch ihre „zierliche Naturstimme“ (ebd.) eine Stelle am Theater bekommt. Lieschen wird Magd bei Herrn von Flottwell, und nachdem Habakuk sie erkannt hat, befragt sie Flottwell nach Maly, doch die Zofe kann keine Auskunft geben. Maly ist inzwischen eine allseits beliebte Sängerin, und als Flottwell eines Abends ins 52

Vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001 (Anm. 39), S. 235–241.

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Theater geht, erkennt er sie wieder. In der Pause stürmt er in die Garderobe und erklärt ihr seine Liebe. Auch sie ist nicht abgeneigt. Doch da erfährt Flottwell durch Habakuk, dass er sein ganzes Geld an seine „,Freunde‘“ (ebd., Bl. 4) verloren habe. Rappelkopf, der in ständiger Angst vor Einbrechern lebt, wird nun wirklich beraubt und muss deshalb sein verbliebenes Hab und Gut zusammenpacken und in die Stadt ziehen, wo er sich durchzuschlagen hofft. Auf der Landstraße trifft er Flottwell, und die beiden freunden sich an. Sie ziehen gemeinsam weiter und kommen an dem ehemaligen Schloss Flottwells vorbei. Dort sind inzwischen Habakuk und Lieschen die Besitzer. Rappelkopf und Flottwell landen schließlich in der Stadt, wo Flottwell ein Plakat sieht, laut dem Maly die „Jugend“ in Raimunds Bauer als Millionär spielt. Er überredet Rappelkopf, mit ihm ins Theater zu gehen. Dieser erkennt schließlich Maly und hat sodann das größte „Verlangen, sich mit allen zu versöhnen und zu vertragen“ (ebd., Bl. 6). Nach der Vorstellung warten die beiden auf Maly. Diese taucht schließlich auf, auch sie hatte sich nach Flottwell gesehnt, und es kommt zu einer „grossen Versöhnung“ (ebd.). In Malys Wohnung erfolgt schließlich auch die Aussöhnung mit Rappelkopfs Frau Sophie. Die Einbrecher, die Rappelkopf bestohlen hatten, sind inzwischen gefasst, und Rappelkopf erhält sein Geld zurück, mit dem er Maly und Flottwell ein Haus baut und seinem Schwiegersohn ein „Schreiner- und Baugeschäft“ (ebd.) einrichtet. Daraufhin wird die Hochzeit von Maly und Flottwell gefeiert, und die beiden werden schließlich von Habakuk und Lieschen bedient, die ihr Geld wieder verloren haben, denn, wie der Autor schließt, „nichts hat Bestand auf der Welt und Abschied muss genommen werden“ (ebd., Bl. 7). Das Exposé mit dem Titel Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. (RF6) trägt den handschriftlich eingetragenen Vermerk „Ein Tonfilmentwurf von Ödön Horváth“. Es dürfte im Umfeld der Arbeiten zu Brüderlein, fein!, also vermutlich 1934/35, entstanden sein und trägt Züge der beiden RaimundStücke Der Bauer als Millionär und Der Verschwender. So wird in ihm das Leben und Sterben eines reichen Mannes geschildert. Das Filmexposé ist allein als Typoskript aus der Hand Horváths überliefert. Die beiden Listen Fünf Filme (RF7/E1 und E2) befinden sich im Notizbuch Nr. 4 und dürften deshalb Anfang oder Mitte 1936 entstanden sein. Horváth erwägt darin, von bereits bestehenden Stücken Filmexposés herzustellen. Er notiert folgende Titel: „Denkschrift eines Dramatikers“, „Kasimir und Karoline“, „Die kleinen Paragraphen“, „Zwischen den Grenzen“, „Ein Pakt mit dem Teufel“ und „Ein Kuss im Parlament“ bzw. „Ein Kuss im Senat“. Rätsel gibt vor allem der erste Titel auf, zu dem kein zugrundeliegendes Stück auszumachen ist. Der Titel „Kasimir und Karoline“ ist eindeutig. Bei „Die kleinen Paragraphen“ handelt es sich um eine Film-Adaption von Glaube Liebe Hoffnung (1933). „Zwischen den Grenzen“ wäre eine Adaption von Hin und her (1934), „Ein Pakt mit dem Teufel“ von Himmelwärts (1934) und „Ein Kuss im Parlament“ bzw. „Ein Kuss im Senat“ von Eine Unbekannte aus der Seine (1933) oder Mit dem Kopf durch die Wand (1935). Über einen Film mit dem Titel „Kuss im Parlament“ schreibt Horváth in einem Brief an seinen Jugendfreund Hans Geiringer am 16. September 1934: Bei meinen sonstigen Filmen geht alles durcheinander. Den „Kuss im Parlament“ hat er verboten. In Deutschland ist damit also nichtsmehr zu machen. Vielleicht übernimmt ihn die amerikanische Fox, aber das ist nur sehr vielleicht!! (WA 18/B85)

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Demnach müsste das Filmexposé oder gar ein Drehbuch zu „Ein Kuss im Parlament“ bereits fertig vorgelegen haben. Es muss inzwischen als verloren erachtet werden. Zu dem in den Filmlisten RF7/E1 und E2 genannten Titel „Kasimir und Karoline“ findet sich im Notizbuch Nr. 4 im unmittelbaren Anschluss an die Listen ein nur ansatzweise ausgearbeitetes Filmexposé mit dem Titel Kasimir und Karoline (RF8). Es hat nur wenige Gemeinsamkeiten mit dem Volksstück desselben Titels. Das Filmexposé führt zunächst in ein Spielcasino, was den Erzähler dazu veranlasst, über das Glück zu räsonieren. Erst gegen Ende des Filmexposés kommen Kasimir und Karoline ins Spiel. Der letzte Satz des Exposés „Kasimir wurde arbeitslos“ (RF8/TS1/Bl. 94) ist eigentlich der Beginn des Volksstücks. An dieser Stelle bricht jedoch die Ausarbeitung ab. Ähnlich fragmentarisch ist das Filmexposé mit dem Titel Die kleinen Paragraphen (RF9) ausgearbeitet. Es fußt auf dem Volksstück Glaube Liebe Hoffnung, in dem die „kleine[n] Paragraphen“53 ja eine zentrale Rolle spielen, wie Horváth bereits in der Randbemerkung durchklingen lässt.54 Das Filmexposé setzt, anders als das Volksstück, mit dem Autounfall ein. In diesem Fall sind der Mann und die Frau, die von dem Unfall betroffen sind, nicht verheiratet. Die Frau stirbt jedoch wie im Volksstück, und der Mann spendet ihr einen Kranz, denn er „hatte ein Herz“ (RF9/TS1/ Bl. 96). In den weiteren Ausführungen des Filmexposés ist dann von einem Fräulein die Rede, das vor der Anatomie herumspaziert und lange überlegt, ob es läuten soll, was recht eindeutig dem Beginn der Handlung des ‚kleinen Totentanzes‘ Glaube Liebe Hoffnung entspricht. Schließlich läutet es doch und wird vom Vizepräparator empfangen, der meint, es könne sich ihm ruhig anvertrauen. Damit bricht das Filmexposé ab. Die beiden auf den Volksstücken beruhenden filmischen Entwürfe wirken wenig inspiriert. Deutlich elaborierter und inspirierter ist demgegenüber das auf Ludwig Anzengrubers Volksstück (1870) beruhende Filmexposé Der Pfarrer von Kirchfeld (RF10). Die Datierung des Exposés ist schwierig. Möglicherweise ist es schon 1935 entstanden, wahrscheinlich aber erst 1936/37. 1937 kam ein österreichischer Spielfilm desselben Titels heraus, bei dem Jakob und Luise Fleck Regie führten. In den Hauptrollen spielten Hans Jaray, Hansi Stork, Karl Paryla, Frida Richard und Ludwig Stoessel. Das Drehbuch wurde von Hubert Frohn verfasst, was ein Pseudonym Friedrich Torbergs war. Beteiligt war auch Otto Eis sowie ein dritter Autor, der zu einer „Schattenexistenz“55 überredet wurde. Möglicherweise war dies Ödön von Horváth. Das Filmexposé lehnt sich jedenfalls deutlich an Anzengrubers Volksstück an. In der Darstellung des Liebeskonflikts zwischen dem Pfarrer und der jungen Anna sind Dialoge teilweise wörtlich aus der Vorlage übernommen worden.56 Anders als die bisherigen Filmexposés enthält der Pfarrer von Kirchfeld nämlich auch ausgearbeitete Dialogpassagen, die direkter als die reinen Prosa-Exposés auf eine Verfilmung abzielen. Zu dem Filmexposé ist einiges an genetischem Material vorhanden. Die Endfassung ist in drei Durchschlägen überliefert, wobei ein Typoskript auch noch weitreichende handschriftliche Überarbeitungen aufweist. Vermutlich handelt es sich dabei um die Fassung letzter Hand. Die Handlung ist schnell umrissen. In dem Tiroler Ort Kirchfeld 53 54 55 56

WA 5/K3/TS7/SB Arcadia 1933, S. 26. Vgl. in diesem Band TH10/TS5/SB Arcadia 1933, S. 1f. Friedrich Torberg, zit. n. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001 (Anm. 39), S. 250. Vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001 (Anm. 39), S. 250.

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ist der Pfarrer Hell tätig, der bei seiner Gemeinde sehr beliebt ist, nicht nur weil er ein guter Pfarrer ist, sondern weil er auch überall, wo er kann, mit Rat und Tat zur Seite steht. Die junge Anna aus St. Jakob in der Einöde kommt nach dem Tod ihrer Mutter vorerst in das Wirtshaus des Gruber Franz, das aber kein gutes Umfeld für ein junges Mädchen ist. Sie wird deshalb vom Pfarrer Vetter als Haushaltshilfe zu Pfarrer Hell vermittelt. Anna ist überglücklich über diese neue Stelle und verspricht dem Pfarrer, immer bei ihm zu bleiben. Daraufhin schenkt ihr dieser das goldene Kreuz seiner verstorbenen Mutter. Als Anna dieses zum Kirchgang trägt, beginnt die Gemeinde zu munkeln, dass der Pfarrer offensichtlich doch kein Heiliger sei und mehr als nur Freundschaft zu dem Mädchen empfinde. Ein anderer Handlungsstrang dreht sich um den Wurzelsepp, einen Wilderer, der dem Pfarrer gegenüber sehr negativ eingestellt ist, weil sein Vater von dessen Vorgänger des Wilddiebstahls angezeigt wurde und im Gefängnis verstarb. Doch als seine Mutter Selbstmord verübt, weil ihr Sohn als Wilderer gegen das Gesetz verstößt, wird der Wurzelsepp weich und bittet den Pfarrer, der Mutter ein christliches Begräbnis zuzugestehen. Der Pfarrer willigt ein, wodurch sich der Wurzelsepp wieder zur Kirche bekehrt. Der junge Michel, ein Förster, den Anna schon aus Kindheitstagen kennt, hält schließlich um die Hand Annas an. Damit ist auch dieser Konflikt gelöst. Die beiden heiraten, das böse Gerede über den Pfarrer hört schlagartig auf, und er kann in seiner Gemeinde bleiben. Sowohl Anna als auch der Pfarrer sind „den Weg des Leidens zur Pflicht“ (RF10/TS6/Bl. 33) gegangen. Bei dem Filmexposé handelt es sich vermutlich um die letzte Arbeit Horváths für den Film.

Revue Die einzige Revue, die von Horváth überliefert ist, ist Magazin des Glücks (R). Wahrscheinlich geht die Arbeit an dem Werkprojekt auf eine Anregung Max Reinhardts zurück, der Robert A. Stemmle und Horváth damit beauftragte, eine Revue zu schreiben, „eine große Ausstattungsshow […], eine Art überdimensionales ‚Haus Vaterland‘, in dem die Besucher wahrhaft glücklich sein konnten“, wie Stemmle dazu anmerkte.57 Vermutlich waren auch Friedrich Holländer und Walter Mehring in das Projekt involviert, die Musik und Liedtexte beisteuern sollten. Das ,Haus Vaterland‘ war ein großes Vergnügungs-Etablissement am Potsdamer Platz in Berlin, in dem verschiedene Länder durch Abteilungen präsentiert wurden. Es existierte von 1928–1943. Es gab darin etwa ein bayrisches Bierlokal, einen Wiener Heurigen, ein japanisches Teehaus, ein türkisches Café und eine spanische Bodega.58 Die Revue Magazin des Glücks liegt in mehreren (fast) vollständigen Prosa-Exposés vor, jedoch in keiner szenischen Ausarbeitung.59 Sie kam schließlich – wegen der anhaltenden ‚Theaterkrise‘60, vermutlich aber auch aus politischen Gründen – nicht zur

57

58 59 60

Zitiert nach Traugott Krischke: Ödön von Horváth. Kind seiner Zeit. Berlin: Ullstein 1998, S. 159; vgl. auch GW IV, S. 39*f. Vgl. Linhardt (Anm. 30), S. 62. Vgl. K1/TS3 und TS4 sowie K2/TS1–TS3. Vgl. Anonym: Berliner Theater in der Krise. In: Blätter der Volksbühne Berlin, Jg. 1932/33, Heft 4 (März/April 1933), S. 1–3.

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Aufführung.61 Zu dem Werkprojekt, das auf 1932 zu datieren ist, ist relativ viel genetisches Material vorhanden, die Genese zerfällt in zwei Konzeptionen. Ein Teil der Entwürfe ist im Notizbuch Nr. 7 eingetragen, das Horváth auch für die Adaptierungsarbeiten von Kasimir und Karoline im Herbst 1932 benützt hat. Die frühen Entwürfe stehen noch unter den Titeln Reise um die Welt, Das Paradies und Zwischen Himmel und Hölle. Ein unmittelbarer Reinhardt-Bezug liegt mit R/K1/E2 vor, in dem Horváth „Reinhardt-Inszenierung“ und „Grosses Schauspielhaus“ notiert, diesen Entwurf aber wieder streicht, und Titelentwürfe wie „Rund um die Welt und durch die Zeit“ festhält, die er aber ebenfalls wieder tilgt. Aus R/K1/E3 ist ein vorläufiger Handlungsverlauf unter dem Titel „Reise um die Welt“ erkennbar: „Das Konsortium“, „Ich gehe aus am Sonnabend“, „Trennung“ und „Sich-wiederfinden“. Als Hauptfiguren ist ein „Paar“ vermerkt: ein „Österreicher“ und eine „Berlinerin“; das sind der spätere Reithofer und Annemarie. In R/K1/E8 ist der Titel „Das Paradies“ notiert und der Hinweis auf die Musik von Friedrich Holländer. Außerdem trägt das Werkprojekt hier die Gattungsbezeichnung „Zauberposse in zwei Teilen“. Davon ist jedoch nur der erste Teil skizziert. Die Folge der sieben Szenen lässt bereits die Reise durch verschiedene Länder („Sevilla“, „Neapel“, „Wien“, „Nordpol“ etc.) erkennen. R/K1/E10, ein Strukturplan in neun Szenen, endet nach mehreren Stationen im „Paradies“. R/K1/E13 ist ähnlich geartet, hier wird auch erstmals ein „Stierkampf“ erwähnt.62 Wie in der Zauberposse Himmelwärts, einer Vorarbeit des dramatischen „Märchens“ Himmelwärts,63 ist auch wiederholt eine Szene mit dem Titel „Denkmalsenthüllung“ angedacht (vgl. etwa R/K1/E17 und E20). In R/K1/E22 ist ein Dialog zwischen einem Er („Wiener“) und einer Sie ausgearbeitet. Darin schwärmt sie von dem neuen Lokal, in dem man um die ganze Welt reisen kann. Er ist zunächst skeptisch, lässt sich dann aber überreden, mitzukommen. In R/K1/E24 ist erstmals die „Prinzessin“ erwähnt, in R/K1/E25 Reithofer, hier allerdings noch abgekürzt, in R/K1/E27 der „Geldmensch“. Wiederholt ist auch schon in den frühen Entwürfen von der „A.G.“ oder dem „Konsortium“ die Rede. Die Frage der Sanierung oder Übernahme des Lokals spielt bis in die späten Fassungen eine zentrale Rolle. Auch von einer „Verhaftung Reithofers“ ist die Rede, außerdem wägt die Prinzessin ab, ob sie das Lokal oder doch einen Krieg finanzieren soll (vgl. R/K1/E29). Beide Motive bleiben bis in die späten Fassungen erhalten. In R/K2/E1 wird erstmals der Titel „Magazin des Glücks“ erwähnt, hier allerdings noch gestrichen und durch den Titel „Das liebe Leben / Zauberposse mit Gesang und Tanz“ ersetzt. Mit R/K2/TS1–TS3 liegen drei vollständig ausgearbeitete Fassungen eines Exposés vor, von denen zwei datiert sind, nämlich R/K2/TS2 und TS3, und zwar auf den 22. November und auf den 13. Dezember 1932. In R/K2/TS1 fällt erstmals die Gattungsbezeichnung „Revue“ (Bl. 2); bei dieser Fassung handelt es sich um ein Prosaexposé in zwölf Bildern. Die drei Fassungen unterscheiden sich neben einer sukzessiven Verringerung der Bildzahl auf zuerst 11, dann auf 10 Bilder auch im Personal und in der Handlungsführung. Mit R/K2/TS3 ist eine Fassung letzter Hand gegeben. Sie ist als Typoskript bzw. als Reinschrift überliefert. Diese umfasst zehn Bilder und trägt den Titel „Magazin des Glücks / Entwurf von Oedön Horváth und R. A. Stemmle“ plus das bereits erwähnte Datum. Die Handlung setzt mit einem Prolog ein, in dem 61 62 63

Vgl. GW IV, S. 39*–41* und KW 16, S. 235. Vgl. auch den Roman Der ewige Spießer (WA 14). Vgl. WA 7/Himmelwärts/VA1 und VA2.

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Reithofer und Annemarie an der „Auffahrt“ des „Magazins des Glücks“ (R/K2/TS3/ Bl. 2) auf ihre jeweiligen Partner warten, die jedoch nicht kommen. Außerdem wird hier bereits die Fürstin erwähnt, die ankommt und von Direktor King Atlas empfangen wird. Bei einer Sitzung des Aufsichtsrates bittet der Direktor um „finanzielle Unterstützung“ (ebd.), die Prinzessin glaubt aber nicht, dass man „wirklich von Illusionen glücklich werden kann“ (ebd.). King Atlas möchte der Fürstin beweisen, dass man im „Magazin“ wirklich glücklich werden kann, und will deshalb zwei Menschen von der Straße durch das Magazin schicken und beobachten, ob sie glücklich werden. Die Wahl fällt auf Reithofer und Annemarie, die von ihren Partnern versetzt wurden und vor dem „Magazin“ warten. King Atlas schlägt der Fürstin vor, dass sie eine Wette eingehen: Wenn die beiden wirklich glücklich werden, stellt die Fürstin „die Mittel zum Ausbau weiterer Illusionen“ (R/K2/TS3/Bl. 4) zur Verfügung. Vom Vesuv kommen Reithofer und Annemarie nach Paris. Die weiteren Stationen sind eine Südseeinsel, Chicago, ein Heurigen in Grinzing, der Orient, der Nordpol, das Paradies und eine Parkbank im Berliner Tiergarten. Wiederholt kommt es zu einem Krach und einer Entfremdung zwischen Reithofer und Annemarie. Doch am Ende finden die beiden wirklich zusammen, allerdings erst in der „Realität“ (R/K2/TS3/Bl. 12), im Berliner Tiergarten. King Atlas behauptet jedoch, dass auch dieser noch zum Magazin gehöre, und fühlt sich deshalb als Sieger der Wette. Der Schluss zeigt lauter Glückliche: In dem Park wird ein Denkmal enthüllt, das die Fürstin darstellt, als eine Göttin der Illusion. Im grossen Schlussbild wird King Atlas nun von der gerührten Fürstin wieder eingesetzt und alles schliesst mit einem Hymnus auf den Triumph der Illusion. (ebd.)

Damit endet das Magazin des Glücks. Horváth hat keine weiteren Revue-Texte mehr geschrieben.

Rezeption Die Rezeption der vermischten Schriften war bisher auf die verstreut publizierten Texte angewiesen und hatte auch keinen Zugang zu den Fassungen letzter Hand, wie sie in vielen Fällen vorliegen und erstmals im vorliegenden Band als kritische Edition veröffentlicht werden. Einen großen Einfluss auf die Rezeption der hier versammelten vermischten Schriften hatten die Verdikte von Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek, die neben dem dramatischen Werk, genau genommen neben den Volksstücken, fast nichts gelten lassen wollten.64 Dennoch haben sich vor allem die autobiographischen und theoretischen Texte als Steinbruch für Aussagen des Autors über sich und sein Werk inzwischen in der Horváth-Forschung fest etabliert. Die zeitgenössische Rezeption ist beschränkt auf die Prosagedichte des Bandes Das Buch der Tänze. Dieses wurde zunächst auf dem I. Musikalisch-literarischen Abend der Kallenberg-Gesellschaft am 7. Januar 1922 mit Musikbegleitung von Annie Marée gelesen. Einige Jahre später, am 19. Februar 1926, kam es zu einer szenischen Uraufführung des Buches im Stadttheater von Osnabrück.65 Die Kritiken dazu waren äu64

65

Vgl. Marcel Reich-Ranicki: Horváth, Gott und die Frauen. Die Etablierung eines neuen Klassikers der Moderne. In: Dieter Hildebrandt/Traugott Krischke (Hg.): Über Ödön von Horváth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 83–90; vgl. auch Hellmuth Karasek: Das Prosawerk Ödön von Horváths. In: ebd., S. 79–82. Vgl. KW 11, S. 263f. und WA 1, S. 2.

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Vorwort

ßerst negativ und veranlassten Horváth, mithilfe seines Vaters die gesamte noch vorliegende Restauflage des „ungeliebte[n] Erstlingswerk[s]“ aufzukaufen.66 Besonderes Augenmerk erhielt das Hörspiel Stunde der Liebe (RF2), Horváths einziges fertiggestelltes Hörspiel, dem Christopher Balme und Jürgen Schröder einschlägige Studien zukommen ließen.67 Schröder schreibt etwa, dass er „,Stunde der Liebe‘ für ein gültiges und gelungenes Horváthsches Werk“68 halte, und weist darauf hin, dass in wesentlichen Abhandlungen zum deutschsprachigen Hörspiel Horváths Texte bereits in den 1970er-Jahren als besonders sozialkritisch hervorgehoben werden.69 Er zeigt auch, dass Horváth viele zeittypische Eigenheiten des Hörspiels in seine Texte mitaufgenommen hat, und zwar sind dies […] der auffällige Experimental-Charakter, die Lust am Experiment mit dem neuen Medium Rundfunk (z.B. die dominierende Rolle des Sprechers, die ständige Selbstthematisierung des Rundfunks, der häufige Gebrauch der Blende, des Aus- und Einblendens, der Wechsel und die Verwirrung der verschiedenen Spielebenen, der bewußte Einsatz unterschiedlicher Geräusche, die „sensationelle radiotechnische Erfindung“ in der ‚Stunde der Liebe‘, die fiktive Einbeziehung des Hörers, des Radiopublikums […].70

Darüber hinaus betreibe Horváth aber im Hörspiel-Genre auch ein ganz individuelles Spiel mit eben diesen zeittypischen Elementen der Gattung, in dem er sich etwa über den „neusachlichen Technik-Kult“ lustig mache oder in die „ihm höchst adäquate Autor-Rolle“ des „Belauschers, des Voyeurs, des scheinbar unfreiwilligen Demaskierers seiner Figuren“ schlüpfe.71 Franz Xaver Kroetz hat gemeinsam mit Otto Düben das Hörspiel Stunde der Liebe 1973 für den Süddeutschen Rundfunk (SDR) aufgenommen,72 1974 folgte eine Produktion für den Schweizer Rundfunk (DRS) durch Amido Hoffmann. Geht man davon aus, dass der Film Der Pfarrer von Kirchfeld (AT 1937, R: Luise und Jakob Fleck) auf dem Exposé Horváths beruht, so ist damit eine filmische Umsetzung eines seiner Filmskripts gegeben.73 Die Lyrik Horváths hat bisher kaum Aufmerksamkeit erfahren, eine Ausnahme bildet hier Das Buch der Tänze (L4).74 Vielleicht kann der vorliegende Band zu einer neuen Lektüre auch der Lyrik anregen. Der fast schon geniale Titel der einzigen Revue Horváths, Magazin des Glücks (R), brachte es zu neuen literarischen, theatralischen und radiotechnischen Ehren. Der österreichische Philosoph Franz Schuh betreibt auf dem Radiosender Österreich 1 (Ö1) seit längerer Zeit eine explizit auf Horváths Revue bezogene Kolumne mit dem Titel Magazin des

66 67 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. Vejvar 2011 (Anm. 22). Vgl. Balme 1987 (Anm. 28) und Schröder 1988 (Anm. 29). Schröder 1988 (Anm. 29), S. 123. Vgl. auch ebd., S. 124. Ebd., S. 124. Ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. 124. Vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001 (Anm. 39), S. 248–252. Vgl. Franz Schüppen: Inspiration aus musikalischen Regionen im frühen und späteren Werk bei Ödön von Horváth. Münchner Anfänge im Buch der Tänze (1922) und Salzburg-Henndorfer Mozart-Variationen zu Don Juan und Figaros Hochzeit (1936). In: Neohelicon, 31. Jg., Heft 1 (2004), S. 221–259; vgl. auch Vejvar 2011 (Anm. 22); vgl. weiters Ramiro García-Corral: Eine künstlerische Reise in den Orient: Das Buch der Tänze von Horváth und Kallenberg. In: bockkeller – Die Zeitung des Wiener Volksliedwerks, Heft 5 (2017), S. 4–8.

22

Vorwort

Glücks.75 Von Dea Loher gibt es eine Theaterarbeit unter demselben Titel, die sich ebenfalls dezidiert auf Horváth bezieht. Sie wurde 2001 am Hamburger Thalia-Theater von Andreas Kriegenburg inszeniert. Loher erzählt darin in sieben kurzen Texten „unheimliche Geschichten von trostlosen Glückssuchern, die allesamt scheitern“.76 So ist auch den vermischten Schriften Horváths ein Nachleben gewährt, auch wenn sie vielleicht nicht (alle) zum Besten gehören, was er geschrieben hat.

75

76

Vgl. https://oe1.orf.at/collection/582986 (21.11.2022). Vgl. dazu auch Franz Schuh: Fortuna. Aus dem „Magazin des Glücks“. Wien: Zsolnay 2017. Dea Loher: Magazin des Glücks. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 2002.

23

Vorwort

24

Lesetext

Lesetext

25

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26

Lesetext

Autobiographisches

27

Lesetext

28

Lesetext

AU1: Autobiographische Notiz (auf Bestellung)

29

Fassung Autobiographische Notiz (a. B.)

AU1/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Autobiographische Notiz (auf Bestellung)

5

10

ÖLA 3/W 227 – BS 64 d, Bl. 1

Geboren bin ich am 9. Dezember 1901, und zwar in Fiume an der Adria, nachmittags um dreiviertelfünf (nach einer anderen Ueberlieferung um halbfünf). Als ich zweiunddreissig Pfund wog, verliess ich Fiume, trieb mich teils in Venedig und teils auf dem Balkan herum und erlebte allerhand, u.a. die Ermordung S. M. des Königs Alexanders von Serbien samt seiner Ehehälfte. Als ich 1.20 meter hoch wurde, zog ich nach Budapest und lebte dort bis 1.21 meter. War dortselbst ein eifriger Besucher zahlreicher Kinderspielplätze und fiel durch mein verträumtes und boshaftes Wesen unliebenswert auf. Bei einer ungefähren Höhe von 1.52 erwachte in mir der Eros, aber vorerst ohne mir irgendwelche besonderen Scherereien zu bereiten -- (meine Liebe zur Politik war damals bereits ziemlich vorhanden). Mein Interesse für Kunst, insbesondere für die schöne Literatur, regte sich relativ spät (bei einer Höhe von rund 1.70), aber erst ab 1.79 war es ein Drang, zwar kein unwiderstehlicher, jedoch immerhin. Als der Weltkrieg ausbrach, war ich bereits 1.67 und als er dann aufhörte bereits 1.80 (ich schoss im Krieg sehr rasch empor). Mit 1.69 hatte ich mein erstes ausgesprochen sexuelles Erlebnis -- und heute, wo ich längst aufgehört habe zu wachsen (1.84), denke ich mit einer sanften Wehmut an jene ahnungsschwangeren Tage zurück. Heut geh ich ja nurmehr in die Breite -- aber hierüber kann ich Ihnen noch nichts mitteilen, denn ich bin mir halt noch zu nah. B

15

20

B

12 24

B B

ScherereienN ] ÖdönN ]

Ödön Horvath. N

korrigiert aus: Scheererein

[O]|Ö|dön

30

N

Lesetext

AU2: Autobiographische Notiz

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Fassung Autobiographische Notiz

AU2/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

얍 Autobiographische Notiz von Ödön von Horvath.

5

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ÖLA 3/W 226 – BS 64 c, Bl. 1

Als der sogenannte Weltkrieg ausbrach, war ich dreizehn Jahre alt. An die Zeit vor 1914 erinnere ich mich nur, wie an ein langweiliges Bilderbuch. Alle meine Kindheitserlebnisse habe ich im Kriege vergessen. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Ich bin am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. Während meiner Schulzeit wechselte ich viermal die Unterrichtssprache und besuchte fast jede Klasse in einer anderen Stadt. Das Ergebnis war, dass ich keine Sprache ganz beherrschte. Als ich das erstemal nach Deutschland kam, konnte ich keine Zeitung lesen, da ich keine gotischen Buchstaben kannte, obwohl meine Muttersprache die deutsche ist. Erst mit vierzehn Jahren schrieb ich den ersten deutschen Satz. Wir, die wir zur grossen Zeit in den Flegeljahren standen, waren wenig beliebt. Aus der Tatsache, dass unsere Väter im Felde fielen oder sich drückten, dass sie zu Krüppeln zerfetzt wurden oder wucherten, folgerte die öffentliche Meinung, wir Kriegslümmel würden Verbrecher werden. Wir hätten uns alle aufhängen dürfen, hätten wir nicht darauf gepfiffen, dass unsere Pubertät in den Weltkrieg fiel. Wir waren verroht, fühlten weder Mitleid noch Ehrfurcht. Wir hatten weder Sinn für Museen noch die Unsterblichkeit der Seele -- und als die Erwachsenen zusammenbrachen, blieben wir unversehrt. In uns ist nichts zusammengebrochen, denn wir hatten nichts. Wir hatten bislang nur zur Kenntnis genommen. Wir haben zur Kenntnis genommen -- und werden nichts vergessen. Nie. Sollten auch heute einzelne von uns das Gegenteil behaupten, denn solche Erinnerungen können unbequem werden, so lügen sie eben. B

N

B

20

25

B

18 19 25

gepfiffen,N ] hattenN ] Bwerden,N ] B B

N

gepfiffen[ü] |,| [hä] |hatten| werden[ü] |,|

32

N

Fassung Autobiographische Notiz



AU2/TS2

Lesetext

Autobiographische Notiz Von Ödön von Horváth (Zur Uraufführung von Horváths „Revolte auf Höhe 3018“) B

5

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Als der sogenannte Weltkrieg ausbrach, war ich dreizehn Jahre alt. An die Zeit vor 1914 erinnere ich mich nur, wie an ein langweiliges Bilderbuch. Alle meine Kindheitserlebnisse habe ich im Kriege vergessen. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Ich bin am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. Während meiner Schulzeit wechselte ich viermal die Unterrichtssprache und besuchte fast jede Klasse in einer anderen Stadt. Das Ergebnis war, daß ich keine Sprache ganz beherrschte. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, konnte ich keine Zeitung lesen, da ich keine gotischen Buchstaben kannte, obwohl meine Muttersprache die deutsche ist. Erst mit vierzehn Jahren schrieb ich den ersten deutschen Satz. Wir, die wir zur großen Zeit in den Flegeljahren standen, waren wenig beliebt. 얍 Aus der Tatsache, daß unsere Väter im Felde fielen oder sich drückten, daß sie zu Krüppeln zerfetzt wurden oder wucherten, folgerte die öffentliche Meinung, wir Kriegslümmel würden Verbrecher werden. Wir hätten uns alle aufhängen dürfen, hätten wir nicht darauf gepfiffen, daß unsere Pubertät in den Weltkrieg fiel. Wir waren verroht, fühlten weder Mitleid noch Ehrfurcht. Wir hatten weder Sinn für Museen noch die Unsterblichkeit der Seele – und als die Erwachsenen zusammenbrachen, blieben wir unversehrt. In uns ist nichts zusammengebrochen , denn wir hatten nichts. Wir hatten bislang nur zur Kenntnis genommen. Wir haben zur Kenntnis genommen – und werden nichts vergessen. Nie. Sollten auch heute einzelne von uns das Gegenteil behaupten, denn solche Erinnerungen können unbequem werden, so lügen sie eben. B

25

N

2 22

B B

HorváthN ] zusammengebrochenN ]

korrigiert aus: Horvath korrigiert aus: zuzammengebrochen

33

N

Der Freihafen, Blätter der Hamburger Kammerspiele, 10. Jg (1926/27), Heft 3, S. 3

Der Freihafen, S. 4

Lesetext

34

Lesetext

AU3: Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München…

35

Fassung Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien…



AU3/TS1

Lesetext

Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… Von Ödön Horváth. BN

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Sie fragen mich nach meiner Heimat, ich antworte: ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Paß – aber: „Heimat“? Kenn’ ich nicht. Ich bin eine typisch altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch – mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. Ich spreche weitaus am besten Deutsch, schreibe nunmehr nur Deutsch, gehöre also dem deutschen Kulturkreis an, dem deutschen Volke. Allerdings: der Begriff „Vaterland“, nationalistisch gefälscht, ist mir fremd. Mein Vaterland ist das Volk. Also, wie gesagt: ich habe keine Heimat und leide natürlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit, denn sie befreit mich von einer unnötigen Sentimentalität. Ich kenne aber freilich Landschaften, Städte und Zimmer, wo ich mich zu Hause fühle, ich habe auch Kindheitserinnerungen und liebe sie, wie jeder andere. Die guten und die bösen. Ich sehe die Straßen und Plätze in den verschiedenen Städten, auf denen ich gespielt habe, oder über die ich zur Schule ging, ich erkenne die Eisenbahn wieder, die Rodelhügel, die Wälder, die Kirchen, in denen man mich zwang, den heiligen Leib des Herrn zu empfangen – ich erinnere mich auch noch meiner ersten Liebe: das war während des Weltkrieges in einem stillen Gäßchen, da holte mich in Budapest eine Frau in ihre Vierzimmerwohnung, es dämmerte bereits, die Frau war keine Prostituierte, aber ihr Mann stand im Feld, ich glaube in Galizien, und sie wollte mal wieder geliebt werden. Meine Generation, die in der großen Zeit die Stimme mutierte, kennt das alte Oesterreich-Ungarn nur vom Hörensagen, jene Vorkriegsdoppelmonarchie, mit ihren zweidutzend Nationen, mit borniertestem Lokalpatriotismus neben resignierter Selbstironie, mit ihrer uralten Kultur, ihren Analphabeten, ihrem absolutistischen Feudalismus, ihrer spießbürgerlichen Romantik, spanischer Etikette und gemütlicher Verkommenheit. Meine Generation ist bekanntlich sehr mißtrauisch und bildet sich ein, keine Illusionen zu haben. Auf alle Fälle hat sie bedeutend weniger als diejenige, die uns herrlichen Zeiten entgegengeführt hat. Wir sind in der glücklichen Lage, glauben zu dürfen, illusionslos leben zu können. Und das dürfte vielleicht unsere einzige Illusion sein. Ich weine dem alten Oesterreich-Ungarn keine Träne nach. Was morsch ist, soll zusammenbrechen, und wäre ich 얍 morsch, würde ich selbst zusammenbrechen, und ich glaube, ich würde mir gar keine Träne nachweinen. Manchmal ist es mir, als wäre alles aus meinem Gedächtnis ausradiert, was ich vor dem Kriege sah. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Und es widerfuhr mir das große Glück, erkennen zu dürfen, daß die Ausrottung der nationalistischen Verbrechen nur durch die völlige Umschichtung der Gesellschaft ermöglicht werden wird. Das ist mein Glaube. Lächeln Sie nicht! Dadurch, daß eine Erkenntnis oft als Schlagwort formuliert wird, verliert sie nichts von ihrer Wahrheit. Worauf es ankommt, ist die Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit.

2

BN

]

Fußnote: Der 27jährige Dichter ist der Autor des Volksstückes „Die Bergbahn“, das seine erfolgreiche Uraufführung an der Berliner Volksbühne erlebte.

36

Der Querschnitt, Heft 2 (1929), S. 136

Der Querschnitt, Heft 2 (1929), S. 137

Fassung Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien…

AU3/TS1

Lesetext

Ich glaube, es ist mir gelungen, durch meine „Bergbahn“ den Beweis zu erbringen, daß auch ein nicht „Bodenständiger“, nicht „Völkischer“, eine heimatlose Rassenmischung, etwas „Bodenständig-Völkisches“ schaffen kann, – denn das Herz der Völker schlägt im gleichen Takt, es gibt ja nur Dialekte als Grenzen.

37

Lesetext

38

Lesetext

AU4: „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“

39

Fassung „Wenn sich jemand…“

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AU4/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

얍 Wenn sich jemand bei mir erkundigt, ob ich ein Deutscher bin, so kann ich ihm darauf nur antworten: ich fühle mich als ein Individuum, BdasN BsichN unbedingt zum deutschen Kulturkreis zählt -- also bin ich sozusagen Deutscher. Warum ich mich zum deutschen Kulturkreis gehörend betrachte, liegt wohl vor allem daran, dass meine Muttersprache die deutsche ist. Und dies dürfte meiner Meinung nach der ausschlaggebende Grund sein -- dann folgt erst die Tatsache, dass ich entscheidende Entwicklungsjahre in Deutschland, und zwar in Südbayern und in Oesterreich verlebt habe. Mein Name ist zwar rein ungarisch -- und ich habe auch ungarisches Blut in mir, auch tschechisches und kroatisches -- ich bin also eine typische österreich-ungarische Mischung. Und soweit ich das beurteilen kann, Anwesende natürlich immer ausgenommen, Bund zwar jetzt in diesem speziellen Falle ich höchstpersönlichN Bsind die Produkte derartiger RassenmischungenN nicht gerade die Schlechtesten. Ich verweise nur auf einen der echtesten und grössten BRepräsentantenN deutschen Wesens, nämlich auf den Kunstmaler Albrecht Dürer aus Nürnberg, der ja auch BeinN halber Ungar gewesen ist -- sein Vater BbekanntlichN hiess ja noch Ajtosi, was zu deutsch soviel heisst, wie BTürer.N Ajto heisst Türe. Um aber jetzt noch etwas betonen zu können, muss ich von diesen historischen Höhen wieder auf meine derzeit lebende Person herabsteigen -- ich möchte nämlich nur folgendes noch betonen: immer wieder lese ich in Artikeln, dass ich ein ungarischer Schriftsteller bin. Das ist natürlich grundfalsch. Ich habe noch nie in meinem Leben -- ausser in der Schule -- irgendetwas ungarisch geschrieben, sondern immer nur deutsch. Ich bin also ein deutscher Schriftsteller, wenn das auch einigen Herrschaften unangenehm zu sein scheint. Sie fragen mich, wo ich geboren bin und wo ich aufgewachsen bin -- Wenn Sie 얍 sich also unbedingt mit einem Teile meines privaten Lebens beschäftigen wollen, so gebe ich Ihnen gerne Auskunft. Ich bin ja garnicht so. Also: geboren bin ich in Fiume B am adriatischen MeerN, und zwar vor dreissig Jahren. Von meinem ersten bis zu meinem fünften Lebensjahre gedieh ich sichtlich in Belgrad. Dann kam ich in die Volksschule, und zwar in Budapest. BHier warN ich auch in der Mittelschule tätig, so bis zu meinem dreizehnten Lebensjahre -- dann kam ich nach München, zuerst ins Wilhelmsgymnasium, dann in das Realgymnasium. Dann war ich zwei Jahre lang in Pressburg, ein Jahr wieder in Budapest und das letzte Jahr in Wien. Während meiner münchner Schulzeit brach der Weltkrieg aus. Wenn ich heute daran zurückdenke, so muss ich wohl sagen, dass ich heute das Gefühl habe, als könnte ich mich an die Zeit vor dem Weltkrieg nichtmehr erinnern. Ich muss mich schon ziemlich anstrengen, damit mir etwas aus dieser Friedenszeit BwiedereinfälltN -und ich glaube so ähnlich wird es wohl allen meinen Altersgenossen gehen. Der 2 2 12 12–13 14 15 16 17 28 30 37

dasN ] sichN ] Bund f höchstpersönlichN ] Bsind f RassenmischungenN ] BRepräsentantenN ] BeinN ] BbekanntlichN ] BTürer.N ] Bam f MeerN ] BHier warN ] BwiedereinfälltN ] B B

korrigiert aus: dass \sich/ \und f höchstpersönlich/ [sind derartige R] |sind f Rassenmischungen| [Vertreter] |Repräsentanten| [ei] |ein| \bekanntlich/ [Thürer.] |Türer.| [an der Adria] |am f Meer| korrigiert aus: Hier war [einfäll] |wiedereinfällt|

40

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 1

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 2

Fassung „Wenn sich jemand…“

N

B

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N

B

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N

B

N

B

B

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B

N

verdunkelteN ] SchliesslichN ] BAlso: 1920N ] BfassenN ] BzurückzukommenN ] BeineN ] BdiesemN ] BSchaffenN ] BNatürlichN ] B B

N

N

N

B

1 2 14 24 26 27 29 36 39

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 3

N

B

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Lesetext

Weltkrieg verdunkelte unsere Jugend und wir haben wohl kaum Kindheitserinnerungen. Schliesslich ist ja so ein Weltkrieg auch nichts alltägliches. Ganz am Anfang gefiel uns Buben der Weltkrieg ganz ausgezeichnet. Wir hatten viele schulfreie Tage, und es gab immer wieder eine Sensation -- deren fürchterliche Ursachen und Auswirkungen wir damals natürlich weder erfassen konnten noch sollten. Wir waren alle sehr begeistert und es tat uns ausserordentlich leid, dass wir nicht um fünf bis sechs Jahre älter waren -- dann hätten wir nämlich sofort hinauskönnen in das Feld. Natürlich spielte bei dieser Begeisterung auch der Gedanke an ein Zeugnis ohne Prüfungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. -- Aber ich denke, wir 얍 wollen nun über diese grauenvollen Jahre, 1914-1918, nicht weiter reden -- es ist ja allgemein bekannt, welch herrliche Zeiten uns der Weltkrieg beschert hat. Reden wir doch lieber über die schönen Künste, fragen Sie mich doch bitte mal, wieso ich Schriftsteller geworden bin -- das ist nämlich eine lustige Angelegenheit. Also: 1920 lernte ich hier in München in einer Gesellschaft den Komponisten Siegfried Kallenberg kennen. Ich besuchte damals die Universität und hatte, wie man so zu sagen pflegt, Interesse an der Kunst. Hatte mich selber aber in keiner Weise noch irgendwie künstlerisch betätigt -- höchstens, dass ich mich mit dem Gedanken beschäftigt habe, Du könntest doch eigentlich Schriftsteller werden, Du gehst doch zum Beispiel gern ins Theater, hast bereits allerhand erlebt, widersprichst gern und oft, und manchmal hast Du doch so einen eigentümlichen Drang in Dir, auch etwas zu schreiben -- ein Theaterstück zum Beispiel, oder eine Novelle oder gar einen Roman -- und dann weisst Du es doch auch, dass Du nie Konzessionen machen darfst und dass es Dir eigentlich gleichgültig ist, was die Leut über Dich reden -- -- Pathetische Naturen fassen all diese Erkenntnisse unter dem schönen Namen „dichterische Mission“ zusammen. Nun, um also auf meinen Freund Kallenberg zurückzukommen : Kallenberg wandte sich an jenem abend plötzlich an mich mit der Frage: „Wollen Sie mir eine Pantomime schreiben?“ Ich war natürlich ziemlich verdutzt, weil ich es mir garnicht vorstellen konnte, wieso er mit diesem Anliegen ausgerechnet an mich herantritt -ich war doch garkein Schriftsteller und hatte noch nie in meinem Leben irgendetwas geschrieben. Er muss mich verwechseln, dachte ich mir -- und ursprünglich wollte ich ihn auch aufklären. Dann aber durchzuckte mich blitzschnell (wie man so sagt) der Gedanke, warum sollst Du es denn nicht einmal probieren, eine Pantomime zu schreiben? Ich sagte Kallenberg: Ja -- setzte mich hin und schrieb die Pantomime. Die wurde dann später auch aufgeführt. Die erste Kritik, die ich über mein dichterisches Schaffen erhalten habe, begann mit folgen-얍den Worten: „Es ist eine Schmach -- usw“ Aber ich nahm mir das nicht sehr zu Herzen, sondern fing nun an, draufloszuschreiben. Natürlich versuchte ich es noch mit allerhand mehr oder minder bürgerB

5

AU4/TS1 (Grundschicht)

[überschattete] |verdunkelte| [Schlie] |Schliesslich| korrigiert aus: Also:1920 [nennen] |fassen| zur[ä]|ü|zukommen [ei] |eine| diese[r]|m| korrigiert aus: Schaffen, [Nun, das war auch] |Natürlich|

41

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 4

Fassung „Wenn sich jemand…“

AU4/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

lichen Berufen, aber es wurde nichts daraus -- anscheinend war ich zum Schriftsteller geboren.

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얍 Mein erstes Stück heisst „Die Bergbahn“. Das Stück hat zum Inhalt den Kampf zwischen Kapital und Arbeitskraft, mit besonderer Berücksichtigung der Stellung der sogenannten Intelligenz im Produktionsprozess. Es wurde im Herbst 1927 in Hamburg, an den dortigen Kammerspielen uraufgeführt -- erst 1929 im Januar in Berlin, an der Volksbühne. Ich bezeichnete die „Bergbahn“ (wie auch dann alle meine folgenden Stücke) als ein Volksstück. Die Bezeichnung „Volksstück“ war bis dahin in der modernen dramatischen Produktion nicht gebräuchlich. Natürlich gebrauchte ich diese Bezeichnung nicht willkürlich, das heisst: nicht einfach nur deshalb, weil das Stück ein bayerisches Dialektstück ist, sondern weil mir so etwas Aehnliches, wie Fortsetzung des alten Volksstückes vorschwebte. Des alten Volksstückes, Bdas für uns junge Menschen mehr oder minderN natürlich auch nur noch einen historischen Wert bedeutet. Denn die Gestalten dieser Volksstücke, also die Träger der Handlung, haben sich doch bekanntlich in den letzten zwei Jahrzehnten ganz unglaublich verändert. Sie werden mir nun vielleicht entgegnen, dass die sogenannten ewig-menschlichen Probleme des guten alten Volksstückes, auch heute noch die Menschen bewegen. Gewiss bewegen sie sie, aber anders. Es gibt eine ganze BAnzahlN ewig-menschlicher Probleme, über die unsere Grosseltern geweint haben, und über die wir heute lachen, und umgekehrt. Will man also das alte Volksstück heute Bfortsetzen,N so wird man natürlich heutige Menschen aus dem Volke (wie der schöne BfeudaleN Ausdruck lautet) auf die Bühne bringen -- also: Kleinbürger und Proletarier. Ich übergehe hier absichtlich den Bauernstand, denn auch der Bauernstand zerfällt ja in Kleinbürger und Proletarier. Also: zu einem heutigen Volksstück gehören heutige Menschen -- und mit dieser Feststellung gelangt man zu einem interessanten Resultat: nämlich, will man als Autor wahrhaft gestalten, so kann man an 얍 der völligen Zersetzung der Volksstücksprache durch den Bildungsjargon BnichtN vorübergehen. Der Bildungsjargon B(und seine Ursache)N BfordertN aber zu Kritik heraus -- und so muss der Dialog des neuen Volksstückes zu einer Synthese von Ernst und Ironie werden. Aus dieser Erkenntnis zog ich die Konsequenz -- ich schrieb bisher vier Volksstücke -- besagte „Bergbahn“, dann ein Stück aus der Inflationszeit, dann „Italienische Nacht“ und „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Mit vollem BBewusstseinN zerstörte ich das alte Volksstück, formal und ethisch -- und versuchte als dramatischer Chronist mehr die neue Form des Volksstückes zu finden. Diese neue Form dürfte weniger dramatisch BseinN -- sie ist mehr schildernd. Sie knüpft mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, als an die Autoren der früheren Volksstücke.

14–15 20 23 24 30 30–31 31 35 38

das f minderN ] AnzahlN ] Bfortsetzen,N ] BfeudaleN ] BnichtN ] B(und f Ursache)N ] BfordertN ] BBewusstseinN ] BseinN ] B B

[mehr oder minder] |das f minder| [Annzahl] |Anzahl| korrigiert aus: fortsetzen , \feudale/ korrigiert aus: nic \(und f Ursache)/ ford[{ern}]|ert| korrigiert aus: Bewustsein [{se}] |sein|

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ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 5

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 6

Fassung „Wenn sich jemand…“



AU4/TS1 (Grundschicht)

Bei den Kritikern und dem Publikum lösten meine Stücke bisher immer eine ziemliche Erregung aus -- (so konnte die „Italienische Nacht“ in Berlin nur unter Polizeischutz uraufgeführt werden) -- Diese Erregung ist mir persönlich ziemlich schleierhaft. Man wirft mir oft vor, ich sei zu derb, zu ekelhaft , zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an schönen Wörtern gibt -- man übersieht aber dabei, dass ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt so zu schildern, wie sie leider ist. Dass auf der Welt das gute Prinzip den Ton angibt, wird man doch wohl kaum beweisen können. Behaupten schon. Der Widerwille eines Teiles des Publikums gegen meine Stücke beruht wohl darauf, dass dieser Teil sich in den Personen auf der Bühne selbst erkennt. Und zwar nicht als festumrissener Typus , sondern in ihrem mehr oder minder bewussten privaten alltäglichen Gefühlsleben. B

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B

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Lesetext

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 7

N

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N B

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Zu Satyre und Karikatur stehe ich sehr positiv -- nur die Parodie, die lehne ich radikal ab. Parodie dürfte wohl das Billigste sein. 얍 Man spricht heutzutage viel über den Untergang des Theaters -- und natürlich geht es B denN Theatern wirtschaftlich BmiserabelN. Aber wem geht es heutzutage nicht wirtschaftlich miserabel? Es ist schon möglich, dass alle Theater zugrunde gehen -- aber dann werden eben Vereine und Liebhaberbühnen weiterspielen. Das Theater als Kunstform kann nicht untergehen -- aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen (sofern sie es sich nur einigermassen BmateriellN leisten können) das Theater brauchen. (Theater oder Kino ist jetzt für mich das gleiche -- ich sage nun kurz nur: Theater) Das Theater ist nämlich diejenige Kunstform, die am stärksten für das Publikum phantasiert. Phantasie ist ein Ventil für asoziale Regungen -- das Theater nimmt dem Zuschauer das Phantasieren-müssen ab, es phantasiert für ihn -- und gleichzeitig erlebt B N auch der Zuschauer die Produkte dieser Phantasie. Er lebt mit, das heisst vor allem: er begeht alle Schandtaten, die auf der Bühne vor sich gehen -- und verlässt dann das Theater als ein kleinerer Mörder, Räuber, Ehebrecher -- -- Man nennt diesen Zustand Erhebung.

Natürlich leiden die Theater sehr unter der wirtschaftlichen Krise -- und ich hätte hier einige kleine praktische Vorschläge: Abschaffung des Programmzettels, Abschaffung der Garderobe -- nicht wegen der Gebühr -- sondern, weil viele viele Menschen nicht ins Theater gehen , da sie keinen schönen Anzug mehr haben. Könnten die in ihren Mänteln sitzen , wie im Kino, wären die Theater sicher besuchter. B

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4 7 10 11 11 11–12 18 18 22 27 34 35 36

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ekelhaftN ] korrigiert aus: eckelhaft sie leiderN ] korrigiert aus: sie leider Bdieser TeilN ] [si] |dieser Teil| BTypusN ] [Typu] |Typus| Bin f minderN ] [mehr] |in f minder| Bbewussten f alltäglichenN ] korrigiert aus: bewusten \privatem/ alltäglichem BdenN ] korrigiert aus: denn BmiserabelN ] korrigiert aus: miserbal BmateriellN ] korrigiert aus: materiel BN] gestrichen: es BwegenN ] korrigiert aus: we en BgehenN ] korrigiert aus: ge en BsitzenN ] korrigiert aus: tzen B B

43

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 8

Fassung „Wenn sich jemand…“

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AU4/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

얍 Natürlich hat das Interesse am Theater auch aus sportlichen Gründen nachgelassen -aber nicht zuguterletzt, weil wir kein richtiges, echtes, im guten Sinne des Wortes bodenständiges Volkstheater mehr haben. BDassN wir es nicht haben, daran sind alle Instanzen schuld (sofern man bei so einer Frage überhaupt die Schuldfrage stellen B will).N 얍 Dass ich den Kleistpreis bekommen habe, habe ich aus der Zeitung erfahren. Erst einige Tage später bekam ich die offizielle Mitteilung vom Vorsitzenden der KleistStiftung, Fritz Engel. Ein Teil der Presse begrüsste diese Preisverteilung lebhaft, ein anderer Teil wieder zersprang schier vor Wut und Hass. Das sind natürlich Selbstverständlichkeiten. Nur möchte ich hier auch betonen, dass auch im literarischen Kampfe, bei literarischen Auseinandersetzungen von einer gewissen Presse in einem Tone dahergeschrieben wird, den man nicht anders als Sauherdenton bezeichnen kann.

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 9

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 10

15

얍 Nun möchte ich nur noch dem Bayerischen Rundfunk danken, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, mich hier zu äussern. Und vielleicht war es für manchen auch ganz interessant, mal einen Dramatiker über das Drama und über Theaterfragen zu hören -und nicht nur immer Kritiker.

3 5

B B

DassN ] will).N ]

korrigiert aus: Das korrigiert aus: will)

44

ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 11

Lesetext

AU5: Autobiographische Notiz (1932)

45

Fassung Autobiographische Notiz (1932)



B

Lesetext

Autobiographische Notiz.

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 41

Man muss sich auch mal mit sich selbst beschäftigen, besonders dann, wenn man aufgefordert wird, anlässlich etwa einer Aufführung etwas über sich selbst zu erzählen: Also: ich wurde am 9. Dez. 1901 geboren, und zwar in Fiume an der Adria. Diese Stadt gehörte damals noch zu Ungarn, heute zu 얍 Italien – und daran ist der d’Annunzio schuld und die Vorkriegs ung. Regierungen, die die dort lebenden Kroaten italienisiert haben. Meine Kindheit verbrachte ich in Belgrad, Budapest , Wien, München und Pressburg – mein Vater war an Öster.-Ung. Gesandtschaften und Botschaften tätig, daher dieser Wandertrieb. Daher kommt es aber auch, dass ich keine Heimat hab – nur eine Wahlheimat: Bayern. Meine Wahlheimat ist nicht das Produkt freier Wahl, sondern: ich weiss es nicht. Dass ich keine eigentliche Heimat habe, bereitet mir keine Sorgen – nur manchmal tut es mir leid, weil ich halt zuguterletzt auch ein sentimentaler Mitmensch bin. Oft – in grösserem Massstabe erst bei der Verleihung des Kleistpreises 1931 – 얍 musste ich hören: der „magyarische Literat“. Dies stimmt nicht ganz, sondern: ich bin ungarischer Staatsbürger, aber meine Muttersprache ist deutsch. Während meiner Schulzeit wechselte ich aber derart oft die Unterrichtssprache, dass ich dies ab und zu vergessen habe. Zeitweise sprach ich eine andere Sprache besser als wie meine Muttersprache. Im übrigen: ich bin eine typische altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, tschechisch, deutsch – nur mit semitisch kann ich leider nicht dienen. B

5

AU5/TS1 (Korrekturschicht)

B

NN B

N

N

BN

10

B

B

15

20

25

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 42

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1–5

4 4 4 6 10 14

Autobiographische f Also:N ][Autobiographische Notiz. Ein Interview. Einmal wurde ich interviewt – das ist meistens eine] [|Einmal wurde ich interviewt. Da fragte mich|] [|An ein Interview|] |Oft wurde ich schon gefragt, wer ich sei, woher ich komme, was ich für Pläne hätte in puncto [Theater] |dramatischer Werke|, epischer Werke, lyrischer Werke – warum ich mich|] |Autobiographische f Also:| Banlässlich f AufführungN ] \anlässlich f Aufführung/ Beiner AufführungN ] [der Au] |einer Aufführung| BetwasN ] [{ein}] |etwas| BN] gestrichen: der BBudapestN ] [Mü]|Bu|dapest BBayern. MeineN ] [Mei] |Bayern. Meine| B

46

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 43

Lesetext

AU6: (Brief an Unbekannt)

47

Fassung (Brief an Unbekannt)

5

10

AU6/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Ödön von Horváth, geb. 9. Dez. 1901 in Fiume, ungarischer Staatsbürger, schreibe aber nur deutsch, und zwar seit 1926. Habe folgende Stücke BverfasstN : (in Klammern der Ort der Uraufführung) „Die Bergbahn“ (Kammerspiele, Hamburg) „Italienische Nacht“ (Theater am Schiffbauerdamm, Berlin) „Geschichten aus dem Wienerwald“ (Deutsches Theater, Berlin) „Kasimir und Karoline“ (Komödie, Berlin) „Hin und Her“ (Schauspielhaus, Zürich). Erhielt den Kleist-Preis 1931. Das ist alles. Wien, 6. III. 36 Ödön Horváth

2

B

verfasstN ]

[ge] |verfasst|

48

HAN 296 / 30 – 3

Lesetext

AU7: (Brief an Paul Fent)

49

Fassung (Brief an Paul Fent)

AU7/TS1 (Korrekturschicht)

얍 Henndorf/bei Salzburg

Lesetext

am 30. Nov. 37

Ödön von Horváth an Paul Fent, 30.11.1937, Ödönvon-HorváthGesellschaft, Murnau

Mein lieber Paul Fent, hier will ich Ihnen nur einige Daten meines Lebens schicken, sie sind äusserlich so uninteressant, aber ich kann nix dafür. Also: Geboren am 9. Dez. 1901 im Fiume an der blauen Adria, lebte fast nie in Ungarn, immer im Ausland, wechselte in der Mittelschule 4x die Unterrichtssprache, war ein fauler, unaufmerksamer 얍 Schüler, absolvierte jedes Jahr nur mit gewaltigem Ach und Krach. Dann studierte ich 5 Semester Psychologie (ausgerechnet!) und es wurde mir zu fad, weil ich nicht folgen konnte. Ich war dann in einem Verlag tätig, ging weg, weil ich nichts davon verstand. Fuhr nach Paris auf 1½ Jahr wo es mir reichlich mies ging und dann fing ich an zu schreiben, zuerst am „Simplicissimus“, dann Theaterstücke, die wurden gleich aufgeführt, das erste an den Hamburger Kammerspielen 1927. War ein enormer 얍 Durchfall, dasselbe Stück aber 29 in der Berliner Volksbühne ein Riesenerfolg. Dann „Italienische Nacht“ in Berlin und ebenfalls bei Reinhardt „Geschichten aus dem Wienerwald“. 1931 erhielt ich den Kleistpreis. Die weiteren Stücke wurden von mir uraufgeführt in Berlin (Kasimir und Karoline) Zürich (Hin und her) Prag (Figaro lässt sich scheiden; Dorf ohne Männer). Jetzt erschien der Roman „Jugend ohne Gott“ und im Frühjahr wird ein neuer erscheinen. Das ist alles. Damit ist es auch schon aus mit mir. B

5

10

15

N

B

20

N

Viele herzliche Grüße von Ihrem Ödön Horváth

25

B

Bin zur Zeit im III. Reich ungemein unerwünscht. Grüsse an Ihre Frau!!

5 16 28

meinesN ] BerlinerN ] BBin f unerwünscht.N ] B B

[sch]|meines| Berlin\er/ \Bin f unerwünscht./

50

N

Lesetext

Theoretisches

51

Lesetext

52

Lesetext

TH1: Über unser Buch der Tänze

53

Fassung Über unser Buch der Tänze

TH1/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Über unser Buch der Tänze. von Ödön von BHorváthN.

5

10

15

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ÖLA 3/S 4 – BS 64 j, Bl. 1

Kurz nachdem ich Siegfried Kallenberg 1921 kennen lernte, schrieb ich auf seine Aufforderung hin sieben Tänze. Angewandte Dichtung, könnte man sagen. Unabhängig voneinander beschäftigte uns das Problem der Vertiefung des Verhältnisses von Dichtung und Musik und die daraus sich ergebende Erweiterung des Begriffes Tanz. Weder die auf mehr oder weniger doch nur bildhafte Handlung gestellte Pantomime, bei der die Musik im Gegensatz zum absoluten Tanz doch nur die Rolle der Begleitung inne hat, noch die aus absoluter Musik rein willkürlich geformte Tanzdichtung konnte uns befriedigen. Wir erstrebten eine innigere Verschmelzung von Dichtung und Musik, die durch die tänzerische Darstellung zur Einheit erhoben werden sollte. So entstand das Buch der Tänze. „Tänze“ -- weil das Wesentliche trotz der dramatischen Handlung nicht im pantomimisch-bildhaften, sondern im rein tänzerischen liegt. Die Vertonung hielt sich nicht sklavisch an die Bilder der Dichtung, sondern formte allein ihren inneren Gehalt, sozusagen die Atmosphäre. Während also die Dichtung dem Komponisten das Innere gab, gibt sie den Darstellern den Rahmen, die Handlung. Aus Dichtung und Musik schafft so der Tänzer die neue Einheit.

2

B

HorváthN ]

Horv[a]|á|th

54

Lesetext

TH2: Natur gegen Mensch

55

Fassung Natur gegen Mensch



TH2/TS1

Lesetext

Natur gegen Mensch Von Oedon von Horvath Das erste Stück des jungen Autors wird am Freitag in der Volksbühne uraufgeführt.

5

10

15

20

25

30

Ich bin am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. In die Schule ging ich in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München – wechselte viermal die Unterrichtssprache und beherrschte infolgedessen natürlich keine. Erst auf der Universität lernte ich richtig Deutsch, obwohl meine Muttersprache die deutsche ist. Hätte die „große Zeit“ drei Wochen länger gedauert, wäre ich Soldat geworden. Ich beteiligte mich an der ungarischen Revolution, floh 1919 aus Ungarn und studierte in Wien und München. Brach aber bald mein Studium ab und versuchte mir eine Existenz zu verschaffen in Berlin und Paris, ohne sonderlichen Erfolg. 1926 schrieb ich die „Bergbahn“. Ich versuchte, eine kleine Episode aus dem Kampfe der unselig zerrütteten Menschheit gegen die Natur zu gestalten. * Dialekt ist mehr als ein philologisches, ist ein psychologisches Problem. Ich befolgte bei der „Bergbahn“ weder philologische Gesetze noch habe ich einen Dialekt (hier Dialekte des ostalpenländischen Proletariats) schematisch stilisiert. Ich versuchte D i a l e k t e als C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t der Umwelt, des Individuums oder auch nur einer Situation zu gestalten. * Die Beherrschung der Natur ist das Endziel der menschlichen Gesellschaft. Die Natur ist der große Feind. Es gibt kaum erhebendere Momente in der Geschichte der Menschheit als jene, da infolge einer Naturkatastrophe die Menschen alle Unterschiede unter sich, die verbrecherischer Egoismus errichtet hatte, vergessen und sich auf ihre große Aufgabe, die Bekämpfung der Natur, besinnen. Meistens aber belügen die Menschen sich selbst: Sie bilden sich ein, die Natur überwunden zu haben, um ihre Mitmenschen betrügen zu können. Solange wir uns selbst belügen und betrügen lassen, solange schlägt uns die Natur. Auf der ganzen Linie.

56

Tempo, 4.1.1929

Lesetext

TH3: Sladek oder die Schwarze Reichswehr

57

Fassung Sladek oder die Schwarze Reichswehr



TH3/TS1

Lesetext

„Sladek oder die Schwarze Reichswehr“ Von Ödön von Horváth. BN

5

10

15

20

25

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Wer ist Sladek? – Geboren am 7. Juli 1902 an der böhmischen Grenze, gestorben in den Tagen der Wiedererstarkung nach der Inflation. Seinen Vater, einen Drogisten, hatte er kaum gekannt. Er liebte sein Grabkreuz aus kunstgewerblichen Gründen nicht. In der Familie Sladek hasste man sich um ein Stück Brot. Sladek wollte Kellner werden, ist aber keiner geworden, denn er lernte eine um fünfzehn Jahre ältere Frau kennen, eine Schneiderin, deren Mann als Soldat in Sibirien starb. Von ihr liess er sich aushalten, sie bewachte und beschützte ihn aus Eifersucht und Hörigkeit. 1918 stand Sladek bei Spartakus, 1920 bei Hitler. „Sladek ist,“ so schrieb mir Carl Mertens, „die dumpfe Kriegsjugend, die durch die Ereignisse frühreif wurde, ohne je in sich und mit sich fertig zu werden, dumpfes Brüten und Tasten, nicht schlecht, gutmütig und doch – vom Holze aus dem Mörderhelfer geschnitzt werden, Nachwuchs des kleinen Mittelstandes mit seinen Trancezuständen, das ist das Gros der vaterländischen Verbände, der Fortbildungsschulen und der Dilettantenbühnenvereine.“ Sladek ist also „Kriegsjugend“. Man kann diese Jugend in drei Gruppen teilen: die zahlenmässig kleine bewusst politisch Proletarische, die Grossbürgerliche mit dem Sexualzentrum und die Jugend einer sterbenden Kaste: des Mittelstandes. Sladek gehört zur letzteren. Er ist naturnotwendig Pessimist, liest nur Zeitungen, bildet sich ein, selbständig denken zu können und ist sehr stolz darauf. Sein Wahlspruch lautet: „In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.“ Er gerät in die Kreise der Schwarzen Reichswehr und wird wegen eines Fememordes begnadigt. „Man hat unter mich einen Schlussstrich gezogen“, sagt er und – inzwischen betritt schon fast eine neue Generation den Plan, die den Krieg nur aus amerikanischen Filmen kennt und sich an die Inflation nur dunkel erinnert. Ich behandelte das historische Material nicht als Reportage, sondern ich versuchte auf dem Hintergrunde dieses Zeitbildes Stationen des ewigen Kampfes zwischen Individualismus und Kollektivismus, Egoismus und Altruismus, Internationalismus und Nationalismus, diesem Totengräber der Völker, zu gestalten.

3

BN

]

gestrichen: [Nachdruck verboten.]

58

Berliner Tageblatt, 27.1.1929, 5. Beiblatt

Lesetext

TH4: Typ 1902

59

Fassung Typ 1902

TH4/TS1



Lesetext

Typ 1902 Gespräch mit Ödön Horvath Ödön Horvath, deutschsprachiger Ungar, Autor der „Bergbahn“, die voriges Jahr mit Erfolg in der Volksbühne gegeben wurde, hält sich in Berlin auf, um den Proben zu seinem neuen Stück, „ S l a d e k der schwarze Reichswehrm a n n “, das am Sonntag vormittag im Lessingtheater uraufgeführt wird, beizuwohnen. Man bittet ihn, einiges über die Hauptfigur des Stückes zu sagen. Wer ist Sladek?

5

10

15

„Sladek ist als Figur ein völlig aus unserer Zeit herausgeborener und nur durch sie erklärbarer Typ; er ist, wie ein Berliner Verleger ihn einmal nannte, eine Gestalt, die zwischen Büchners Wozzek und dem Schwejk liegt. Ein ausgesprochener Vertreter jener Jugend, jenes ‚Jahrgangs 1902‘ , der in seiner Pubertät die ‚große Zeit‘, Krieg und Inflation, mitgemacht hat, ist er der Typus des Traditionslosen, Entwurzelten, dem jedes feste Fundament fehlt, und der so zum Prototyp des Mitläufers wird. Ohne eigentlich Mörder zu sein, begeht er einen Mord. Ein pessimistischer Sucher, liebt er die Gerechtigkeit – ohne daß er an sie glaubt, er hat keinen Boden, keine Front… Die inhaltliche Form meines Stückes ist historisches Drama, denn die Vorgänge sind bereits historisch geworden. Aber seine Idee, seine Tendenz ist ganz heutig. Ich glaube, daß ein wirklicher Dramatiker kein Wort ohne Tendenz schreiben kann. Es kommt nur darauf an, ob sie ihm bewußt wird oder nicht. Allerdings lehne ich durchaus die dichterischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, auch im sozialen Drama, ab. Da ich die Hauptprobleme der Menschheit in erster Linie von sozialen Gesichtspunkten aus sehe, kam es mir bei meinem ‚Sladek‘ vor allem darauf an, die gesellschaftlichen Kräfte aufzuzeigen, aus denen dieser Typus entstanden ist. Meine nächste Arbeit ist ein Roman: ‚ H e r r R e i t h o f e r w i r d s e l b s t l o s ‘. Er erscheint demnächst im Propyläen-Verlag. Das Buch behandelt das Problem der Solidarität.“ W. E. O. B

B

20

25

30

N B

B

35

18 19

B

19 31

B

B

B

demN ] ‚JahrgangsN ]

1902‘N ] denenN ]

N

N

N

korrigiert aus: den korrigiert aus: „Jahrgangs doppelte Anführungszeichen innerhalb doppelter Anführungszeichen werden in TH4/TS1 zu einfachen korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. korrigiert aus: 1902 korrigiert aus: der

60

Tempo, vermutl. 13.10.1929

Lesetext

TH5: „Sie haben keine Seele“

61

Fassung „Sie haben keine Seele“

TH5/TS1 (Korrekturschicht)



B

„Sie haben keine Seele“ N

B

Lesetext

N

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 3

Wir, das heisst: wir, die sogenannte Nachkriegsgeneration, die wir schreiben, hören es immer wieder: „Ihr habt keine Seele, ihr schreibt aber erschreckend gut, Ihr seid kalt.“ Nur um mal diesen Blödsinn, dieses Schlagwort endgültig zu erledigen, befasse ich mich mit diesem Ausspruch, denn unserer Generation droht die Gefahr als eine abgestempelt zu werden, was gar nicht stimmt. Ich weiss mich hierin in dieser Abwehr mit allen einig und bitte sie nur um Nachsicht, falls sie in einem oder anderem Punkte einen anderen Sehwinkel gebraucht hätten. „Sie schreibt erschreckend gut –“. Danke. Wir nehmen das zur Kenntnis. Wir wissen 얍 es, dass wir präziser uns ausdrücken, als die Vorkriegsquatscher . Wir haben die gefallene Kriegsgeneration, unsere älteren Brüder, ersetzt und – gehen weiter . „Es ist fast zu virtuos“, – das ist einfach blöd. Das soll wohl heissen: es ist nur Form ohne Inhalt. Gut. Wir sind materialistisch geschult. An die Seele glauben wir nicht, weil wir an das „Opfer“ nicht glauben. Diesen letzten Weg trauen sich aber die romantischen Quatschköpf nicht mitzugehen. Sie gehen bis zur Sachlichkeit des Klosetts, besonders wenn das Scheissen seelisch gestaltet ist. Die Seele äussert sich auf dreierlei Art: B

5

B

N

N

B

N

B

B

10

N

B

B

N

BN

N

B

N

B

B

15

N

N

B

N

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 2

N

B

N

20

1.) Ewige Kraft. 2.) Das Individuum , was es alles opfern muss also geht es auf einer anderen Seite hinaus. 3.) Liebe zum nächsten. Falls wir so schreiben, dass wir kein Gefühl herausbringen können, so soll man 얍 es uns sagen: „Ihr schreibt schlecht!“ Alles andere ist eine Feigheit. Eine Feigheit dieser traurigen Burschen, die mit ihren romantischen Plattfüssen im Individualismus wurzeln. Uns freut der Kollektivismus. B

N

B B

N

BN

N

25

B

N

B

1 1 4 5 5–6 6 9 9 9 10 11 12 12 13 19 21 22 22–23 22 25 28 28

„SieN ] Seele“N ] Bgut, IhrN ] BNur umN ] Bbefasse ichN ] BalsN ] Beinen anderenN ] BgebrauchtN ] BN] Bgut –“.N ] BVorkriegsquatscherN ] BersetztN ] Bgehen weiterN ] Bvirtuos“,N ] BäussertN ] BEwigeN ] BIndividuumN ] BIndividuum f hinaus.N ] BN] BFallsN ] Bim IndividualismusN ] BN] B B

N

BN

[Wir] |„Sie| Seele\“/ gut[.“]|, Ihr| \Nur/ [U]|u|m [schreibe ich] |befasse ich| [als] |als| [anders] [|mit|] |eine[m]|n| anderen| gebrauch[{ }]|t| gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): Sehwinkel korrigiert aus: gut[,“] –“

| |

[{Qua}] |Vorkriegsquatscher| [nicht {ü}] |ersetzt| [sind {wei}] |gehen weiter| korrigiert aus: virtuos,“ [offenbart] |äussert| [Ihr] |Ewige| [{Opfer}] |Individuum| Individuum \,was f hinaus./ gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): opfern

[{Die}] |Falls| [in {der}] |im Individualismus| gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): wursteln

62

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 5

Fassung „Sie haben keine Seele“

TH5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Wir können diese Konflikte nur komisch sehen zwischen Individualismus und Kollektivismus.

63

Lesetext

64

Lesetext

TH6:

65

Fassung ()

5

10

TH6/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Sehr verehrter Herr Heinrich Mann, indem ich Ihnen zu allererst danke, dass Sie sich mit der Bj. L.N beschäftigen, erlaube ich mir einiges zu sagen, natürlich nur für meine Person und keineswegs im Namen der anderen 23. Was Sie über den einen sagten, erschüttert mich. Natürlich ist das völliger Idiotismus. Überhaupt bilden wir Jungen uns viel zu viel ein. Wir werden verhätschelt, wir sind obenauf, weil die BAltenN zusammengebrochen sind, nicht durch uns Jungen – aber wir tun nur zu oft, als hätten wir gesiegt. Weiter: Bder Satz über „wir Bsind dafür,N 얍 dass es den anderen gut geht, damit es auch uns gut geht“ und „wir können nicht bessern, das haben wir eingesehen.“N Wer, wie ich, nichts Grosses geleistet habe, sondern verkommen war und mich langsam emporgearbeitet habe, weiss, dass auch die Literatur ihr Gutes hat. Und wenn man nur in der Gunst einer Frau steigt, dass sie einem mehr liebt, weil sie stolz darauf ist, es mit einem zu tun, der ein Feuilleton verfasste.

15

2 7 9–10 9

j. L.N ] AltenN ] Bder f eingesehen.“N ] Bsind dafür,N ] B B

gemeint ist: jüngsten Literatur [{E }] |Alten| [die Sachlichkeit] |der f eingesehen.“| [gehen] |sind dafür,|

66

ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 21

ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 22

Lesetext

TH7: „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“

67

Fassung „Von Gerhart Hauptmann…“

TH7/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B N BVon BG.H.N können wir BjungenN Bühnenautoren B N lernen, sonst nichts. Dieses „sonst nichts“ ist wahrscheinlich nur ein Zeichen BunsererN Jugend. Sofern wir bestrebt sind zu lernen, müssen wir glücklich sein, dass wir von Gerhart Hauptmann lernen können. 5 NB. in puncto „sonst nichts“: jetzt hätt ich es fast vergessen, nämlich das kleine B WortN : Dank.N

ÖLA 3/W 50 – BS 41 a, Bl. 27

B N

1 1–6

] Von f Dank.N ]

BN B

1 1 1 2

B

G.H.N ] jungenN ] BN] BderN ]

6 7

B

B

WortN ] ]

BN

[Ödön Horváth:] 얍 [Gerhart Hauptmann] [|So|] [|Genau so { }|] [|Wenn mich wer fragt: wie stehen Sie zu Gerhart Hauptmann? So muss ich sagen:|] Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): Wenn mich wer fragt, wie stehen Sie zu Gerhart Hauptmann? So muß ich sagen: [|Als Gerhart Hauptmann „Vor Sonnenaufgang“ geschrieben hat|] Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): Als … geschrieben hat [|Als Gerhart Haupt|] [|Ger|] [|Von Gerhart Hauptmann können wir Jungen nur lernen, sonst nichts. Und sofern wir lernen wollen, haben wir Glück, dass es einen Gerhart Hauptmann gibt.|] [|Von G.H. können wir Jungen nur lernen, sonst nichts. Und sofern wir [lernen wollen,] |bestrebt sind zu lernen,| können wir glücklich sein, dass es einen Gerhart Hauptmann gibt. Aber ausserdem „lernen“ – jetzt hätt ich es fast vergessen – können, ja müssen wir G.H. noch etwas sein: dankbar. Einfach dankbar. Weil wir ihm viel, sehr viel zu verdanken haben.|] 얍 [|Von G.H. können wir [J]|j|ungen \Bühnenautoren/ nur lernen, sonst nichts. Dieses „sonst nichts“ ist wahrscheinlich nur ein Zeichen unserer Jugend. Sofern wir bestrebt sind[,] zu lernen, [können] |müssen| wir glücklich sein, dass [Hauptm] [|Gerhart Hauptmann|] |wir von Gerhart Hauptmann lernen können.| [Aber müssen dieses „lernen“] |NB. in puncto „sonst nichts“: jetzt hätt ich es fast vergessen, [dass wir aus\ser/ { } einen pädagogischen, noch etwas] |nämlich| das kleine Wörtchen: [d]|D|ank.| Denn selbst wenn einer von uns nicht lernen wollte, so müsste er dankbar sein. Wo wären wir heute ohne G. Hauptmann?|] |Von f Dank.| gemeint ist: Gerhart Hauptmann [J]|j|ungen [nur] (1) [unserer] |der| (2) \unserer/ [Wörtchen] |Wort| [Ödön]

68

ÖLA 3/W 50 – BS 41 a, Bl. 28

ÖLA 3/W 50 – BS 41 a, Bl. 27

Fassung „Von Gerhart Hauptmann…“

5

TH7/TS2

Lesetext

얍 Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen, sonst nichts. Dieses „sonst nichts“ ist wahrscheinlich nur ein Zeichen der Jugend. Sofern wir also bestrebt sind zu lernen, müssen wir sehr glücklich sein, daß wir von Gerhart Hauptmann lernen können. NB. in puncto „sonst nichts“: jetzt hätt’ ich es fast vergessen, nämlich das kleine Wort: Dank. B Ödön HorváthN

7

B

Ödön HorváthN ]

Reprographie der eigenhändigen Unterschrift

69

Blätter des Deutschen Theaters, Heft VIII, 1931/32

Lesetext

70

Lesetext

TH8: Gebrauchsanweisung

71

Fassung An das p.t. Publikum

TH8/TS1 (Korrekturschicht)



An das p. t. Publikum

Ich habe mich bisher immer gesträubt , irgendetwas über meine Stücke zu schreiben. Ich dachte, die Stücke sollen für sich selbst sprechen. Ich habe aber erleben müssen, dass das p. t. Publikum meine Stücke total missverstanden hat, ob es sie nun gelobt oder getadelt hat, – und so bin ich gezwungen, hier mal zu reden. Es sind bisher in Berlin 4 Stücke von mir gespielt worden. Die ersten 2 waren Versuche in puncto innerem Gehalt, die anderen 2 Versuche in puncto äusserer Form. Da ich, wie man so zu sagen pflegt, etwas „Neues“ bringe, liegt die Schuld des Missverstandenwerdens zu einem beträchtlichen Teil auf mir. Ich will aber jetzt den Kommentar zu meinen Stücken geben – ohne Kommentar trifft mich ein grosser Teil der Schuld. Also: es ist vollständig falsch, dass ich Satyre geben will. Ich denke nicht daran. 얍 Ich will die Leute so zeigen, wie sie sind – das heisst: wie ich sie sehe. Ich sehe sie nicht satyrisch. Ich bin auch kein Komiker. (Vielleicht müssen aber meine Stücke immer von lauter Komikern gespielt werden, da sie sonst zu „krass“ wären) Für mich ist die Komik etwas Tragisches. Ich schreibe Tragödien, die nur durch ihre „Menschlichkeit“ komisch werden . Ich wehre mich gegen das Wort „ Kitsch“. Ich verstehe das nicht. Das Leben ist doch kitschig! B

5

B

10

15

N

ÖLA 3/W 225 – BS 64 b, Bl. 2

N

B



ÖLA 3/W 225 – BS 64 b, Bl. 1

N

B

20

Lesetext

N

Kitsch. Man ist gegen den Kitsch. Man will seinen Geschmack bilden, – jeder Mensch begeht aber täglich durchschnittlich 10 Schweinereien. Zumindest als Gedankensünde.

ÖLA 3/W 225 – BS 64 b, Bl. 1v

25

30

얍 Ich wehre mich gegen den Vorwurf, ich würde mich nach keiner Seite hin entscheiden. Ein solcher Vorwurf ist das Produkt einer anmassend oberflächlichen Einstellung. Kunst ist ein Ventil für die Phantasie. Die „schlechten“ Eigenschaften. Die asozialen Triebe. Künstler immer auf Seite des Mörders. Und BnunN will ich Ihnen das Geheimnis verraten: ich bin nicht auf Seiten des Mörders, nein keineswegs! Und deshalb bin ich abstossend, hart, {unbequem}!

3 9 18 19 30

gesträubtN ] manN ] BwerdenN ] BKitsch“.N ] BnunN ] B B

[{ }] |gesträubt| [{man}] |man| korrigiert aus: wird korrigiert aus: Kitsch.“ nun[{}]

72

ÖLA 3/W 225 – BS 64 b, Bl. 2

Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

얍 B

B

Gebrauchsanweisung

Lesetext

N

ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 1

Das dramatische Grundmotiv aller meiner Stücke ist der ewige Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein . B

N N

5

Ich hatte mich bis heute immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine Stücke zu äussern -- nämlich ich bin so naiv gewesen , und bildete es mir ein, dass man (Ausnahmen bestätigen leider die Regel) meine Stücke auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen wird. Heute gebe ich es unumwunden zu, dass dies ein grober Irrtum gewesen ist, dass ich gezwungen werde, eine Gebrauchsanweisung zu schreiben . Erstens bin ich daran schuld, denn: ich dachte, dass viele Stellen, die doch nur eindeutig zu verstehen sind, verstanden werden müssten, dies ist falsch -- es ist mir öfters nicht restlos gelungen, die von mir angestrebte Synthese zwischen Ironie und Realismus zu gestalten. Zweitens: es liegt an den Aufführungen -- alle meine Stücke sind bisher nicht richtig im Stil gespielt worden, wodurch eine Unzahl von Missverständnissen naturnotwendig entstehen musste. Daran ist niemand vom Theater schuld, kein Regisseur und kein Schauspieler , dies möchte ich ganz besonders betonen -- sondern nur ich allein bin schuld. Denn ich überliess die Aufführung ganz den zuständigen Stellen -aber nun sehe ich klar, nun weiss ich es genau, wie meine Stücke gespielt werden müssen. Drittens liegt die Schuld am Publikum, denn: es hat sich leider entwöhnt auf das Wort im Drama zu achten, es sieht oft nur die Handlung -- es sieht wohl die dramatische Handlung, aber den dramatischen Dialog hört es nichtmehr. Jedermann kann bitte meine Stücke nachlesen: es ist keine einzige Szene in ihnen, die nicht dramaB

BN

N

B

B

N

BN

B

B

N

B

B

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N

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B

B

20

B

25

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B

15

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10

N B

B

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N

N

B

1 3–4 4 6 6 7 7 8

B

GebrauchsanweisungN ] Das f Unterbewusstsein.N ] BUnterbewusstseinN ] BmichN ] Bin irgendeinerN ] BN] Bich f gewesenN ] Bman f Regel)N ]

9 9 9 10 10 10 10–11 11 12

B

12 15 15 18 19 23 25

B

B

HeuteN ] ichN ] BunumwundenN ] BdiesN ] BN] Bist,N ] Bdass f schreibenN ] Bschreiben.N ] BErstens f denn:N ] B

dass vieleN ] RealismusN ] BN] Bschuld,N ] BSchauspielerN ] BDrittensN ] BhörtN ] B

N

[Kommentar] |Gebrauchsanweisung| \Das f Unterbewusstsein./ korrigiert aus: Unterbewustsein \[mich]/ [in irgend]einer [mich] ich2 bin3 nämlich1 so4 naiv5 gewesen6 [der weitaus grösste Teil des theaterbesuchenden Publikums Satire oder Ironie ,] |man f Regel)| [Ich] |Heute| \ich/ [\unumwunden/] |unumwunden| d[as]|ies| [\meinerseits/] ist[.]|,| \dass [{die}] [|es [Not] |notwendig ist,||] |ich| gezwungen f schreiben/ korrigiert aus: schreiben [Erstens und zweitens liegt die Schuld an mir: denn:] [|Zu 90 %|] |Erstens f denn:| korrigiert aus: dass viele [Ernst] |Realismus| Absatz eingefügt korrigiert aus: schuld

Schau[s]|s|\p/ieler korrigiert aus: [Drittens] |Zweitens| [kennt] [|{ }|] |hört|

73

Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

tisch wäre -- unter dramatisch verstehe ich nach wie vor den Zusammenstoss zweier Temperamente -- die Wandlungen usw. In jeder Dialogszene wandelt sich eine Person. Bitte nachlesen! Dass dies bisher nicht herausgekommen ist, liegt an den Aufführungen. Aber auch an dem Publikum. Denn letzten Endes ist ja das Wesen der Synthese aus Ernst und Ironie die De얍 maskierung des Bewusstseins. Sie erinnern sich vielleicht an einen Satz in meiner „ Italienischen Nacht“, der da lautet: „Sie sehen sich alle so fad gleich und werden Das ist mein Dialog. gern so eingebildet selbstsicher.“ Aus all dem geht schon hervor, dass Parodie nicht mein Ziel sein kann -- es wird mir oft Parodie vorgeworfen, das stimmt aber natürlich in keiner Weise. Ich hasse die Parodie! Satire und Karikatur -- ab und zu ja. Aber die satirischen und karikaturistischen Stellen in meinen Stücken kann man an den fünf Fingern herzählen -- ich bin kein Satiriker, meine Herrschaften , ich habe kein anderes Ziel, als wie dies: Demaskierung des Bewusstseins . Keine Demaskierung eines Menschen, einer Stadt – das wäre ja furchtbar billig! Keine Demaskierung auch des Süddeutschen natürlich – ich schreibe ja nur deshalb süddeutsch, weil ich anders nicht schreiben kann. Diese Demaskierung betreibe ich aus zwei Gründen: erstens, weil sie mir Spass macht -- zweitens, weil infolge meiner Erkenntnisse über das Wesen des Theaters, über seine Aufgabe und zuguterletzt Aufgabe jeder Kunst ist folgendes -- (und das dürfte sich nun schon allmählich herumgesprochen haben) -- die Leute gehen ins Theater, um sich zu unterhalten, um sich zu erheben, um eventuell weinen zu können, oder um irgendetwas zu erfahren. Es gibt also Unterhaltungstheater, ästhetische Theater und pädagogische Theater. Alle zusammen haben eines gemeinsam: sie nehmen dem Menschen in einem derartigen Masse das Phantasieren ab, wie kaum eine andere Kunstart – und lassen diese gestaltete Phantasie dem Zuschauer auch noch zum Erlebnis werden. Die Phantasie ist bekanntlich ein Ventil für Wünsche -- bei näherer Betrachtung werden es wohl asoziale Triebe und Wünsche sein, noch dazu meist höchst primitive. Im Theater findet also der Besucher zugleich das Ventil wie auch Befriedigung B

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5 6 6–8 7 8 8 8

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13 14 15–17 23–24 25 25 25–26 26 26 26

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vorN ] Denn f dieN ]

IronieN ] Bewusstseins.N ] BSie f selbstsicher.“N ] BItalienischenN ] BN] BDas f Dialog.N ] BN] B

HerrschaftenN ] BewusstseinsN ] BKeine f kann.N ] Bästhetische TheaterN ] BdemN ] Bin f MasseN ] Bwie f Kunstart –N ] BundN ] Bdiese f PhantasieN ] BdemN ] B

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korrigiert aus: vor,

[Und hier möchte ich gleich hinzufügen, was ich mit meinen Stücken bezwecke: Zuguterletzt die] |Denn f die| korrigiert aus: Ironie, korrigiert aus: Bewustseins -\Sie f selbstsicher.“/ korrigiert aus: Ital. gestrichen: [--] korrigiert aus: [das f Dialog.] [Das Dramatische liegt bei mir im Dialog -- im Kampf zwischen Bewustsein und Unterbewustsein. Die dramatische Handlung wird ja dadurch eigentlich überflüssig, tritt in zweite Linie.] korrigiert aus: Herrschaf ten korrigiert aus: Bewustseins \Keine f kann./ korrigiert aus: Theater ästhetische de[n]|m| \in f Masse/ [phantasieren statt den Zuschauern und --] |wie f Kunstart –| korrigiert aus: dund diese[s] gestaltete[t] Phantasie[rte] korrigiert aus: den

74

ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 2

Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

(durch das Erlebnis) seiner asozialen Triebe, wobei die scheinbare Antipathie des Zuschauers gegen gemeine asoziale Handlungen keine wahre Empörung ist, sondern eigentlich ein Mitmachen der Gemeinheiten. Er ist also über sich selbst empört. Man nennt diesen Zustand Erbauung. Es wird ein Kommunist auf der Bühne ermordet, in feiger Weise von einer Ue얍 berzahl von Bestien. Die Kommunistischen Zuschauer sind voll Hass und Erbitterung gegen die Weissen -- sie leben aber eigentlich das mit und morden mit und die Erbitterung und der Hass steigert sich, weil er sich gegen die eigenen asozialen Wünsche richtet. Beweis: es ist doch eigenartig, dass Leute ins Theater gehen, um zu sehen, wie ein (anständiger) Mensch umgebracht wird (der ihnen gesinnungsgemäss nahe steht) -- und dafür Eintritt bezahlen und hernach in einer gehobenen weihevollen Stimmung das Theater verlassen. Was geht denn da vor, wenn nicht ein durchs Miterleben mitgemachter Mord? Die Leute gehen aus dem Theater mit weniger asozialen Regungen heraus, wie hinein. (Unter asozial verstehe ich Triebe, die auf einer kriminellen Basis beruhen -- und nicht etwa Bewegungen, die gegen eine Gesellschaftsform gerichtet sind -- ich betone das extra, so ängstlich bin ich schon geworden, durch die vielen Missverständnisse) Dies ist eine vornehme pädagogische Aufgabe des Theaters. Und das Theater wird nicht untergehen, denn die Menschen werden in diesen Punkten immer lernen wollen -- ja je stärker der Kollektivismus wird, umso grösser wird die Phantasie. Solange man um den Kollektivismus kämpft, natürlich noch nicht, aber dann -- ich denke manchmal schon an eine Zeit, die man mit proletarischer Romantik bezeichnen wird. (Ich bin überzeugt, dass sie kommen wird) Mit meiner Demaskierung des Bewusstseins erreiche ich natürlich eine Störung der Mordgefühle -- daher kommt es auch, dass Leute meine Stücke oft ekelhaft und abstossend finden, weil sie eben die Schandtaten nicht so miterleben können. Sie werden auf die Schandtaten gestossen -- sie fallen ihnen auf und sie erleben sie nicht mit. Es gibt für mich ein Gesetz und das ist die Wahrheit. Ich habe Verständnis dafür, wenn mich jemand fragt -- Lieber Herr, warum nen얍 nen Sie dann Ihre Stücke Volksstücke? Auch hierauf will ich heute antworten, damit ich mit derlei Sachen für längere Zeit meine Ruhe habe: Also: das kommt so. Vor sechs Jahren schrieb ich mein erstes Stück, „Die Bergbahn“, und gab ihm den Untertitel und die Artbezeichnung: „Ein Volksstück“. Die Bezeichnung Volksstück war bis dahin in der jungen dramatischen Produktion in Vergessenheit geraten. Natürlich gebrauchte ich diese Bezeichnung nicht willkürlich, das heisst: nicht einfach BN

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N BN

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ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 3

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1 1 1 2 3–4 4 8 10

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10–11 23 24 25 27 33

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] Triebe,N ] BN] Basoziale HandlungenN ] BEr f Erbauung.N ] BN] BgegenN ] Bein f MenschN ] B

(der f steht)N ] (IchN ] BBewusstseinsN ] BekelhaftN ] BsieN ] BdieN ] B

[künstlerischen] Triebe[x]|,| gestrichen: und Wünsche. korrigiert aus: Handlungen asoziale \Er f Erbauung./ [Ich will dies an einem Beispiel erläutern:] korrigiert aus: ggegen (1) jemand (2) \ein f Mensch/ \(der f steht)/ korrigiert aus: Ich korrigiert aus: Bewustseins, korrigiert aus: eckelhaft eingefügt eingefügt

75

N

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ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 4

Fassung Gebrauchsanweisung

5

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

deswegen, weil das Stück ein bayerisches Dialektstück ist und die Personen Strekkenarbeiter sind, sondern deshalb, weil mir so etwas wie eine Fortsetzung, Erneuerung des alten Volksstückes vorgeschwebt ist -- also eines Stückes, in dem Probleme auf eine möglichst volkstümliche Art behandelt und gestaltet werden, Fragen des Volkes, seine einfachen Sorgen, durch die Augen des Volkes gesehen. Ein Volksstück, das im besten Sinne bodenständig ist und das vielleicht wieder Anderen Anregung gibt, eben auch in dieser Richtung weiter mitzuarbeiten -- um ein wahrhaftiges Volkstheater aufzubauen, das an die Instinkte und nicht an den Intellekt des Volkes appelliert. B

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Zu einem Volksstück, wie zu jedem Stück, ist es aber unerlässlich, dass ein Mensch auf der Bühne steht. Ferner: der Mensch wird erst lebendig durch die Sprache. Nun besteht aber Deutschland, wie alle übrigen europäischen Staaten, zu neunzig Prozent aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürgern, auf alle Fälle aus Kleinbürgern. Will ich also das Volk schildern, darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern als treuer Chronist meiner Zeit, die grosse Masse. Das ganze Deutschland muss es sein! Es hat sich nun durch das Kleinbürgertum eine Zersetzung der eigentlichen Dialekte gebildet, nämlich durch den Bildungsjargon. Um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können , muss ich ihn also einen Bildungsjargon sprechen las-얍sen. Der Bildungsjargon (und seine Ursachen) fordern aber natürlich zur Kritik heraus -- und so entsteht der Dialog des neuen Volksstückes, und damit der Mensch, und damit erst die dramatische Handlung -- eine Synthese aus Ernst und Ironie. Mit vollem Bewusstsein zerstöre ich nun das alte Volksstück, formal und ethisch -- und versuche die neue Form des Volksstückes zu finden. Dabei lehne ich mich mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, denn an die Autoren der klassischen Volksstücke. Und nun kommen wir bereits zu dem Kapitel Regie. B

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Ich will nun versuchen hauptsächlich möglichst nur praktische Anweisungen zu geben: (diese gelten für alle meine Stücke, ausser der „Bergbahn“) Bei Ablehnung auch nur eines dieser Punkte durch die Regie, ziehe ich das Stück zurück, denn dann ist es verfälscht. Zu den Todsünden der Regie zählt folgendes: 1. Dialekt. Es darf kein Wort im Dialekt gesprochen werden! Jedes Wort muss hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so, wie jemand der sonst nur Dialekt B

N

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5 8–9 14 15

B

durchN ] das f appelliert.N ] BvollendetenN ] BdasN ]

19 20 20 20 20 25 27 32–34

B

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heutigenN ] realistischN ] Bzu könnenN ] BihnN ] BeinenN ] BBewusstseinN ] BN] BBei f verfälscht.N ] B

korrigiert aus: duch \das f appelliert./ korrigiert aus: vollenendeten (1) die (2) das \heutigen/ [zu] |realistisch| \zu können/ \ihn/ [den] |einen| korrigiert aus: Bewustsein gestrichen: an \Bei f verfälscht./

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ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 5

Fassung Gebrauchsanweisung

5

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden. Sehr wichtig! Denn es gibt schon jedem Wort dadurch die Synthese zwischen Realismus und Ironie. Komik des Unterbewussten. Klassische Sprecher. Vergessen Sie nicht, dass die Stücke mit dem Dialog stehen und fallen! 2. In meinen sämtlichen Stücken ist keine einzige parodistische Stelle! Sie sehen ja auch oft im Leben jemand, der als seine eigene Parodie herumlauft -- so ja, anders nicht! 3. Satirisches entdecke ich in meinen Stücken auch recht wenig. Es darf auch niemand als Karikatur gespielt werden, ausser einigen Statisten, die gewissermassen als Bühnenbild zu betrachten sind. Das Bühnenbild auch möglichst bitte nicht karikaturistisch -- möglichst einfach bitte, vor einem Vorhang, mit einer wirklich primitiven Landschaft, aber schöne Farben bitte. 4. Selbstverständlich müssen die Stücke stilisiert gespielt 얍 werden, Naturalismus und Realismus bringen sie um -- denn dann werden es Milljöhbilder und keine Bilder, die den Kampf des Bewusstseins gegen das Unterbewusstsein zeigen -- das fällt unter den Tisch. Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog , die ich mit „Stille“ bezeichne -- hier kämpft sich das Bewusstsein oder Unterbewusstsein miteinander , und das muss sichtbar werden. 5. In dem so stilisiert gesprochenen Dialog gibt es Ausnahmen -- einige Sätze, nur ein Satz manchmal, der plötzlich ganz realistisch, ganz naturalistisch gebracht werden muss. 6. Alle meine Stücke sind Tragödien -- sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche muss da sein. 7. Es muss jeder Dialog herausgehoben werden -- ein stummes Spiel der anderen ist streng untersagt. Sehen Sie sich die Volkssängertruppen an. Zum Beispiel im ersten Bild beim Zeppelin: keine Statisten -- einzelne Leute mit angeklebten Bärten, Dicke, Dünne, Kinder, Elli und Maria, usw. müssen zusehen -- ohne Bewegung, nur die Sprecher selbst, die nicht. Von dem Verschwinden des Zeppelins ab haben alle die Bühne zu verlassen, nur Kasimir und Karoline nicht -- der Eismann kommt nur, wenn man ihn braucht, tritt er an den Kasten -- wenn Kasimir den Lukas haut, kommen die Leute herein, sehen stumm zu, wie das auf dem Bolzen hinaufläuft, gehen wieder ab. Stilisiert muss gespielt werden, damit die wesentliche Allgemeingültigkeit dieser Menschen betont wird -- man kann es garnicht genug überbetonen, sonst merkt es B

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8 14 15 15 16 17 17 18 19 21 24 24–25 28 28

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wenig.N ] MilljöhbilderN ] BBewusstseinsN ] BUnterbewusstseinN ] BDialogN ] BBewusstseinN ] BUnterbewusstseinN ] BmiteinanderN ] BDialogN ] BN] B7. EsN ] BanderenN ] Bselbst,N ] BabN ] B B

B

korrigiert aus: wenig gemeint ist: Milieubilder korrigiert aus: Bewustseins korrigiert aus: Unterbewustsein korrigiert aus: Diaöog korrigiert aus: Bewustsein korrigiert aus: Unterbewustsein korrigiert aus: mite nander korrigiert aus: Dialog, gestrichen: Zum Beispiel: korrigiert aus: 7.Es korrigiert aus: anderen, korrigiert aus: selbst korrigiert aus: ab,

77

N

ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 6

Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS2 (Korrekturschicht)

keiner. Die realistisch zu bringenden Stellen im Dialog und Monolog sind die, wo ganz plötzlich ein Mensch sichtbar wird -- wo er dasteht, ohne jede Lüge, aber das sind naturnotwendig nur ganz wenige Stellen. 8. Innerhalb dieses stilisierten Spieles gibt es natürlich Gradunterschiede, so zum 얍 Beispiel: Erste Gruppe: (am wenigsten stilisiert) Kasimir Karoline Erna Zweite Gruppe: Schürzinger Rauch Speer Elli Dritte Gruppe: Maria und alle Uebrigen. Karikaturistisch: die Statisten und die Abnormitäten. B

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N B

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Dieser Stil ist das Resultat praktischer Arbeit und Erfahrung, und kein theoretisches Postulat. Und er erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, er gilt vor allem nur für meine Stücke.

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1 1 1 2 3 3 3 25

realistischN ] bringendenN ] BMonologN ] BjedeN ] BwenigeN ] BStellen.N ] BN] B N] B B

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korrigiert aus: ralistisch korrigiert aus: bringen korrigiert aus: Momolg korrigiert aus: jeder korrigiert aus: wenig korrigiert aus: Stellen: gestrichen: zum Beispiel --

\ /

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ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 7

Fragm. Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Gebrauchsanweisung

ÖLA 3/W 235 – BS 64 g, Bl. 1

Ich hatte mich bis dato immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Weise über meine dramatische Produktion zu äussern, nämlich ich war so naiv und bildete es mir ein , dass man – Ausnahmen bestätigen (in diesem Falle leider) die Regel – meine dramatische Produktion auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen wird. Heute gebe ich es unumwunden zu, dass dies ein aus purer Nächstenliebe überheblicher Irrtum meinerseits gewesen ist. Heute bin ich u.a. um folgende Erfahrungen reicher: 1. dass der grössere Teil des p. t. Publikums Ironie mit Satire, und Satire mit Parodie verwechselt . 2. dass die Synthese von Ironie und Realismus, die ich erstrebe, als Zynismus gewertet wird. Oder als ungewollte Komik ( letzteres sind die ganz Dummen). 3. dass die Aufführungen den Stil meiner Stücke (bis auf wenige Szenen) nie richtig wiedergegeben haben -- (dies soll aber Gottbehüt kein Vorwurf sein, denn die Wirkungen eines Aufführungsstiles ersieht man erst aus der Praxis. Aus der Praxis lernen. Durch Erfahrungen klüger werden). Bevor ich nun auf die Verbotsparagraphen betreffend Wiedergabe meiner Stükke übergehe, will ich nur noch kurz folgendes bekanntgeben: nicht nur „Kasimir und Karoline“, sondern alle meine bisherigen und soweit ich mich überblicken kann, alle B

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3 4 4 4 4 5 5 5 5–6

B

korrigiert aus: Weise\,/

BN

WeiseN ] ] Bäussern,N ] Bwar soN ] BN] BesN ] BN] BeinN ] B– Ausnahmen f meineN ]

[(in der Form eines Vorwortes zu allerletzt)] äussern\,/ [--] [habe es mir erlaubt, so] |war so| [zu] \es/ [es] ein[zubilden] \–/ [(]Ausnahmen1 bestättigen2 [leider] die7 Regel8 \–/9 \(/leider6 in3 diesem4 Falle5) meine10 korrigiert aus: bestättigen \aus f Nächstenliebe/ ist[,]|.| [keine Gebrauchsanweisung zu geben.] \der f Publikums/ [S]|S|atire gestrichen: wird [Warum, das geht mich nichts an, interessiert mich nicht.] Ir[o]|o|nie [gar als Hanswurstiade oder] |als| (1) ungewollte (2) [\freiwillige/] korrigiert aus: letztereses \Gottbehüt/ [sondern nur eine Feststellung[.]|)| Ich kann es von niemand verlangen, ein Stück von mir richtig zu inszenieren, solange ich selbst nicht darüber im Klaren bin. Heute bin ich mir darüber im Klaren).] |denn f werden).| gestrichen: es [ist natürlich unmö] |die f Aufführungsstiles|

5 7 8 10 10 11 11 12 13 13

B

bestätigenN ] aus f NächstenliebeN ] Bist.N ] Bder f PublikumsN ] BSatireN ] BN] BN] BIronieN ] BalsN ] BungewollteN ]

13 15 15–17

B

15 16 16 17 18–19

BN

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letzteresN ] GottbehütN ] Bdenn f werden).N ] B

] die f AufführungsstilesN ] BderN ] Bwerden).N ] Bbetreffend f StückeN ] B

eingefügt korrigiert aus: werden. korrigiert aus: [[b] b etr. Regie und Darstellung] betr. f Stücke

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Fragm. Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS3 (Korrekturschicht)

meine nächsten Stücke haben ein einziges dramatisches Thema: Kampf des sozialen Bewusstseins gegen das asoziale Triebleben und umgekehrt. Die sogenannte dramatische Handlung ist eine rein sekundäre Angelegenheit, ist nur der Rahmen. Motive , sind Tragödien, reAlle meine Stücke, respektive jedes meiner spektive sind tragisch. Nun aber zur Gebrauchsanweisung betr. Regie (und auch dies gilt für alle meine 얍 Stücke): Es ist strengstens verboten: 1. Das Stück auf Milljöh hin zu inszenieren. In diesem Stück ist keine Milljöhschilderung . Es verleitet den Regisseur, dann fällt aber alles unter den Tisch. Es ist ein Stück, das ich nicht geschrieben habe. 2. Realistisch zu spielen. Das Stück muss überspitzt gespielt werden, es kann gar nicht genug übertrieben in Maske und Kostüm auf realistischer Basis gespielt werden, weil die Leut so dumm sind, und wenn man etwas nicht faustdick aufträgt, dann verstehen sie es nicht. Ich werde nun verschiedene Klassen, Schattierungen geben in der Ueberspitzung: Erste Gruppe: (ein stilisierter Realismus) B

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Lesetext

N B

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3. Das Stück darf nicht also anzengruberisch gespielt werden. Es basiert auf den Traditionen der Volkssänger -- die Szenen sind Auftrittszenen , bei denen der Hintergrund wechselt. Die Musik als Entree, wie bei einem Couplet. Die Regiebemerkungen müssen überhaupt peinlichst eingehalten werden, besonders, wenn es heisst: keine Musik. -- Natürlich genügen zu diesem Stück 10 Statisten, immer dieselben, gleich angezogen, am Anfang und am Ende. Statisten sind nur sichtbar, wenn sie auf der Bühne direkt in die Handlung eingreifen, sonst haben sie die Bühne zu verlassen -- es darf kein Wort der Dialoge unter den Tisch fallen. 4. Allerstrengstens verboten, Dialekt zu sprechen. Die Stücke sind keine Dialektstücke, sondern hochdeutsch – sie müssen hochdeutsch gesprochen werden, B

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2 3 4 4 4 4 4–5 5 6

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7 9

B

9 9–10 15 17 21 28 28-81,2

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ein f Thema:N ]

BewusstseinsN ] eineN ] Brespektive jedesN ] BN] BMotiveN ] BTragödien,N ] BrespektiveN ] BsindN ] BN] B

B

Stücke):N ] Das StückN ]

MilljöhN ] MilljöhschilderungN ] BIch werdeN ] B(ein f Realismus)N ] BAuftrittszenenN ] BAllerstrengstensN ] BDie f Ironie.N ] B B

B

(1) ein Thema: (2) ein f Thema: korrigiert aus: Beustseins

[etwas] |eine|

|

|

korrigiert aus: [jedes] resp. jedes

[\{dramatischen}/] M\o/tive [t]|T|ragödien\,/ korrigiert aus: resp. \sind/ [Lassen Sie den kontrollierenden Intellekt, der da sagt „Geh, es ist doch garnicht so tragisch“ beiseite, so haben Sie Tragödien.] korrigiert aus: Stü (1) Meine Stücke (2) Das Stück gemeint ist: Milieu gemeint ist: Milieuschilderung korrigiert aus: Ichiwerde [\ein überspitzter/] |(ein f Realismus)| korrigiert aus: Auftritt szenen korrigiert aus: Aller trengstens \Die f Ironie./

80

ÖLA 3/W 235 – BS 64 g, Bl. 2

Fragm. Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

durch diesen Gegensatz des Bildungsbürgers und des Nichtanderskönnens in puncto Trieb (infolge unseres Erdendaseins) entsteht ja bereits die Ironie. 5. Parodistisch zu spielen. Keines meiner Stücke ist eine Parodie. B

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N

\Abbruch der Bearbeitung\

1

B

durchN ]

[dadur] |durch|

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Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Gebrauchsanweisung

5

ÖLA 3/W 234 – BS 64 f, Bl. 1

Ich hatte mich bis heute immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine dramatische Produktion zu äussern, nämlich ich bin so naiv gewesen und habe es mir aus purer Nächstenliebe eingebildet, dass zumindest dreiviertel des p. t. Publikums (und natürlich auch dreiviertel der p. t. offiziellen Kritik) in der Lage sein müsste, meine dramatische Produktion auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen und begreifen, respektive nicht missverstehen zu können. Heute allerdings -- nachdem bereits vier Stücke von mir gespielt worden sind -- bin ich um einige Erfahrungen über die Auffassungsgabe im Allgemeinen reicher. So unter anderem: 1. dass jenes besagte Dreiviertel Ironie mit Satire oder gar mit Parodie (die ich hasse) verwechselt. 2. dass die Synthese von Ironie und Realismus , Relativität und Aktivität, die ich erstrebe, mit Zynismus verwechselt wird. (Hier muss ich ein Kuriosum einschalten: es gibt sogar welche, die meinen, ich sei „unfreiwillig komisch“ -- eine solche Dummheit schreiben auch namhafte Kritiker, z.B. Paul Fechter) B

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Bevor ich nun auf die Verbotsparagraphe betreffend Wiedergabe meiner Stücke übergehe, erlaube ich mir nur noch kurz folgendes bekanntzugeben: nicht nur Kasimir und Karoline , sondern alle meine bisherigen Stücke und soweit ich mich überblicken kann, auch alle meine nächsten Stücke haben und werden nur einen und immer denselben dramatischen Konflikt haben: Kampf des sozialen Bewusstseins gegen das asoziale Triebleben. Alle anderen „dramatischen Motive“ sind nur gewissermassen Rahmenhandlung. Alle meine Stücke sind Tragödien, meine dramatischen Motive sind tragisch. B

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8 8 9 11 11 11–12 13 14 16 16 16 18 19–20 21 22 23 23–24

begreifen,N ] respektiveN ] Bum einigeN ] BjenesN ] Boder garN ] B(die f hasse)N ] BRealismusN ] BN] Bschreiben f z.B.N ] B B

korrigiert aus: begreifen , korrigiert aus: resp. korrigiert aus: umeinige

jene[r]|s| [und Satire] |oder gar| \(die f hasse)/ korrigiert aus: Ralismus [S] schr[ieb]|eiben| [[sogar der bekannte] |erst anlässlich der Aufführung „G.W.W.“ der| Kritiker] |[sogar] |auch| namhafte Kritiker, z.B.| BFechter)N ] Fechter[.]|)| BN] [\Hätte er dies nicht geschrieben, hätte ich dieses Kuriosum natürlich nicht erwähnt./] BbetreffendN ] korrigiert aus: betr. BKasimir f KarolineN ] korrigiert aus: Kas und Kar Bauch f meineN ] korrigiert aus: alle auch meine BBewusstseinsN ] korrigiert aus: Bewustseins BasozialeN ] asozi[aol]|al|e BAlle f gewissermassenN ] [Die sogenannte dramatische „Handlung“ ist nur] Alle f gewissermassen | |

82

Fragm. Fassung Gebrauchsanweisung

TH8/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Gebrauchsanweisung

5

ÖLA 3/W 233 – BS 64 e, Bl. 1

Ich hatte mich bis heute immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine dramatische Produktion zu äussern, nämlich ich bin so naiv gewesen und habe es mir aus purer Nächstenliebe eingebildet, dass zumindest Dreiviertel des p.t. Publikums (und natürlich auch Dreiviertel der p.t. offiziellen Kritik) in der Lage sein müsste, meine dramatische Produktion auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen zu können. Heute allerdings -- nachdem bereits vier Stücke von mir gespielt worden sind -- bin ich naturnotwendig um einige Erfahrungen betreffend Begriffsvermögen und Auffassungsgabe im Allgemeinen reicher. So unter anderem: dass jenes besagte Dreiviertel die Synthese von Ironie und Realismus, Relativität und Aktivität, die in meinen Augen den einzigen wirklichen Wert meiner Stücke ausmacht. B

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Es besteht ja nun allerdings die Möglichkeit, dass dieses und alle anderen Missverständnisse (auf die einzugehen ich mir erspare, da sie zu dumm sind) mit einem winzigen Rechte sich damit verteidigen können, dass meine Stücke bisher nicht ganz richtig im Stil gespielt worden sind. Aber selbst zugegeben, dass dies stimmt, ist es eine sehr lächerliche Verteidigung mit fadenscheinigen Argumenten. Trotzdem habe ich mich entschlossen um einmal über die Basis volle Klarheit zu schaffen im folgenden einiges über die Wiedergabe meines Stückes „Kasimir und Karoline“ zu sagen -- das Grundsätzliche gilt natürlich auch für alle meine Stücke. Also: Es ist verboten: 1. B

N

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B

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NN

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\Abbruch der Bearbeitung\

9 9 9 10 11 12

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naturnotwendigN ] einigeN ] BbetreffendN ] BN] BRelativitätN ] Bin f ausmacht.N ]

12

B

15 19–20 19 20 20–21 21 21

B

B

ausmacht.N ]

einzugehen ichN ] um f schaffenN ] BBasisN ] BschaffenN ] B„Kasimir f Karoline“N ] Bdas GrundsätzlicheN ] BN] B

\naturnotwendig/ ein[e]|ige| korrigiert aus: betr. [natürlich] Relativit\ä/t (1) [ich erstrebe,] mit Satire oder gar mit Parodie (die ich hasse) verwechselt. (2) [die] in f ausmacht. korrigiert aus: ausmach[t,]|t,| [da man doch das Leben, wie es ist, nur so (1) schildern (2) gestalten kann.] korrigiert aus: einzugehenich \um f schaffen/ [Grundbas] |Basis| korrigiert aus: schaffen) korrigiert aus: „Kas und Kar“ [es] |das [Grund] |Grundsätzliche|| [dies]

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TH9: Interview

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Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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얍 Oedön von BHorvathN

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 1

C RONAUER Herr von Horvath, ich hab also das Vergnügen, Sie im Auftrage des Bayerischen Rundfunks 20 Minuten lang zu interviewen und hoffe, dass ich in dieser kurzen Zeit sehr viel von Ihnen erfahren kann. Seit Sie durch die Verleihung des Kleistpreises geehrt wurden, sind die Tageszeitungen und literarischen Blätter voll von Meinungen über Sie, und ich glaube fast, dass kein moderner Dramatiker die Herzen und Hirne der Kritik für und wider mehr entflammte, als Sie, Herr Horvath. Es wird also ganz interessant sein, von Ihnen selbst einmal wahre Daten und Meinungen zu hören. H ORVÁTH Also meine Meinung können Sie schon hören. 얍 Und um Ihnen die erste Frage zu ersparen, erzähle ich Ihnen gleich, wann und wo ich geboren bin und ob ich ein reinrassiger deutscher Schriftsteller bin oder bloss so eine Mischung . Darum bin ich ja schon ixmal gefragt worden und da kommts mir jetzt auch nichtmehr drauf an. 얍 Also wenn man mich fragt, ob ich ein Deutscher bin, so kann ich darauf nur antworten: ich fühle mich als ein Mensch, der sich unter allen Umständen zum deutschen Kulturkreis zählt – und warum ich mich zum deutschen Kulturkreis gehörend betrachte, liegt wohl vor allem daran, dass meine Muttersprache die deutsche ist. Und dies dürfte meiner Meinung nach der ausschlaggebende Grund sein. Dann erst folgt die Tatsache, dass ich entscheidende Entwicklungsjahre in Deutschland und zwar in Südbayern und in Oesterreich verlebt habe. Mein Name ist zwar rein ungarisch - und ich habe auch ungarisches Blut in mir, auch tschechisches und kroatisches - ich bin also eine typische österreich-ungarische Angelegenheit . Aber ich glaube in meinem persönlichen Interesse , dass die Produkte derartiger Rassenmischungen nicht unbedingt die N

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H ORVÁTH N ]

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korrigiert aus: Horva th überzählige oder fehlende Zeichenabstände werden in TH9/TS1/A2 stillschweigend emendiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. korrigiert aus: C RO wird in der Folge stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. korrigiert aus: literarische

[Die [heute schon stereotype] Frage nach Herkunft und Nationalität wollen wir nicht stellen, sondern gleich auf Ihr Schaffen --H ORV Nein, bitte Herr Cronauer, richten Sie diese Frage doch an mich, denn gerade meine Nationalität war - was mir ja unverständlich ist - oft der Streitpunkt gegnerischer Kritik - wenn ich mich so ausdrücken darf. C RO Gut - Herr [von] Horvath] korrigiert aus: H ORV wird in der Folge stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis.

Also f hören.N ] BUnd f ersparen,N ] BwannN ] BMischungN ] BDarum f an.N ] BAlsoN ] BwennN ] BMensch, derN ] Bzählt –N ] BausschlaggebendeN ] BAngelegenheitN ] Bin f InteresseN ] BpersönlichenN ] Bunbedingt dieN ]

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\Also f hören./ [Milieu.] [|Es wird|] [|Ich|] |Und f ersparen,| [wo] |wann| [{ }] |Mischung| [Wir haben heute in Europa eine s] |Darum f an.| \Also/ korrigiert aus: Wenn [Individuum] |Mensch| d[as]|er| zählt \–/ korrigiert aus: ausschlaggebender [Mischung] |Angelegenheit| \in f Interesse/ \persönlichen/ unbedingt\ /die

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Fassung Oedön von Horvath (Interview)

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schlechtesten sein müssen. - Es gibt bekanntlich 얍 solche Rassengemischte, die spätere Zeiten dann - und mit Recht - als die echtesten und grössten Repräsentanten deutschen Wesens bezeichnet haben. C RONAUER Zum Beispiel Nietzsche. der Kunstmaler und Dichter H ORVÁTH Ja, das war z.B. ein halber Pole. Und Albrecht Dürer ist ein halber Ungar gewesen . Bekanntlich hiess sein Vater Ajtosi, was zu Deutsch soviel heisst wie Türer. Ajto heisst Türe. - Aber lassen Sie mich von diesen historischen Höhen wieder zu mir heruntersteigen - ich möchte noch folgendes sagen: immer wieder lese ich in Artikeln, dass ich ein ungarischer Schriftsteller bin. Das ist natürlich grundfalsch. Ich habe noch nie in meinem Leben - ausser in der Schule – irgendetwas ungarisch geschrieben, sondern immer nur deutsch. Ich bin also ein deutscher Schriftsteller. C RONAUER Von Ihrer deutschen, ja absolut süddeutschen Art wird wohl jeder, der Ihre Arbeiten genauer kennt, überzeugt sein, auch wenn Sie nicht gerade deutscher Staatsbürger sind. Vielleicht darf ich Sie nun doch bitten - in Ergänzung des vorigen - uns zu sagen, wo Sie geboren sind? H ORVÁTH Wenn Sie sich also mit einem Teil meines Privatlebens schon beschäftigen wollen, so gebe ich Ihnen gerne Auskunft. - Also: geboren bin ich in Fiume am adriatischen Meer und zwar vor dreissig Jahren. Während ich mutierte kam ich als dreizehnjähriger ich hab schon früh mutiert nach München, wo ich am Wilhelmsgymnasium und am Realgymnasium tätig war. B

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C RONAUER f UndN ]

z.B. einN ] ] BderN ] Bund DichterN ] BDürerN ] BistN ] BN] BN] BwiederN ] BSchule –N ] Bnun dochN ] BN] BschonN ] BN] BvorN ] BWährend f alsN ] BN

dreizehnjährigerN ] ich f mutiertN ] BnachN ] BMünchen,N ] Bwo ichN ] Btätig war.N ] B

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korrigiert aus: müssen.\,/

[\wie dies heutzutage häufig von Leuten behauptet wird, die [die { }] |z.B.| Rolle [{des}] |eines| [Arztes] |Nervenarztes| [und \des/ Patienten verwechselt haben] |mit einem Patienten besetzen, um im Theaterjargon zu sprechen.|] [Ich denke zum Beispiel] [|[Aber] wir haben ja den grössten Repräsentanten deutschen|] |C RONAUER f Und| [ein] |z.B. ein| gestrichen: an de[n]|r| korrigiert aus: Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \+ Dichter/ korrigiert aus: Dürer, [der] |ist| [ist] [\zu/] [|zu diesem Züchterkomplex nur|] Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \w/ieder Eintragung von fremder Hand (Cronauer): Schule \–/ Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \nun doch/ [schon unbedingt] \schon/ [Ich bin ja garnicht so.] Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \vor/ [Von meinem ersten bis zu meinem fünften Lebensjahre gedieh ich sichtlich in Belgrad. Dann kam ich in die Volksschule und zwar in Budapest um dann schliesslich als] |Während f als| [dreizehnjähriger] \ich f mutiert/ [in] |nach| München\,/ [zu landen - wo wir ja gemeinsame Schuljahre, Herr Cronauer,] \wo ich/ [verbrachten.] |tätig war.|

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 2

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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C RONAUER Erfolgreich? H ORVÁTH Na – mehr oder minder. Mehr minder. C RONAUER Das war in den ersten Kriegsjahren. H ORVÁTH Ja, während ich da tätig war brach der Weltkrieg aus. Wenn ich daran zurückdenke, so muss ich sagen, dass ich heute das Gefühl habe, als könnte ich mich an die Zeit vor dem Weltkrieg nicht mehr erinnern. Ich muss mich schon ziemlich anstrengen, damit mir aus dieser Friedenszeit wieder etwas einfällt und ich glaube, so ähnlich wird es Ihnen und wohl allen unseren Altersgenossen gehen? C RONAUER Ja - da muss ich Ihnen vollkommen beistimmen. 얍 H ORVÁTH Der Weltkrieg verdunkelt unsere Jugend und wir haben wohl kaum Kindheitserinnerungen. Aber ich denke, wir wollen über diese vergangenen Jahre nicht weiter reden. C RONAUER Ja - übergehen wir diese Zeit und kommen wir lieber auf die schönen Künste zu sprechen. Wollen Sie uns nicht sagen, Herr Horvath, wie Sie eigentlich Schriftsteller geworden sind? H ORVÁTH Auf eine sehr komische Art und auf einen sogenannten inneren Drang hin. C RONAUER Sie hatten doch sicher schon sehr früh die Absicht, unter die „Literaten“ zu gehen? H ORVÁTH Ja - und auch nein. - Das kam nämlich ungefähr so: Ich besuchte 1920 in München die Universität und hatte, wie man so zu sagen pflegt, Interesse an der Kunst, hatte mich selber aber in keiner Weise noch irgendwie künstlerisch betätigt - nach aussen hin - innerlich, mit dem Gedanken schon, da sagte ich mir: Du könntest doch eigentlich Schriftsteller werden, Du gehst doch z.B. gern ins Theater, hast bereits allerhand erlebt, Du widersprichst gern, fast dauernd, und dieser eigentümliche Drang, das was man so sieht und erlebt und vor allem: was man sich einbildet, dass es die anderen erleben, niederzuschreiben , den hast Du auch - und dann weisst Du auch, dass man nie Konzessionen machen darf und dass es Dir immer schon gleichgültig war , was die Leute über Dich geredet haben - und so hatte ich eigentlich schon auch das, was pathetische Naturen als die B

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C RONAUER f minder.N ] ich f warN ] Bbeistimmen.N ] BN]

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] Art f hin.N ] BauchN ] BDas f nämlichN ] Bund f erleben,N ] BesN ] BN] BwarN ] Bgeredet habenN ] B

\C RONAUER f minder./ [meiner Münchner Schulzeit] |ich f war| korrigiert aus: beistimmen [Ganz am Anfang gefiel uns Buben der Krieg ganz ausgezeichnet. Wir hatten viele schulfreie Tage und es gab immer eine Sensation, deren fürchterliche Ursachen und Auswirkungen wir damals natürlich weder erfassen konnten noch sollten. Wir waren alle[s] sehr begeistert und es tat uns ausserordentlich leid, dass wir nicht um fünf Iahre älter waren - dann hätten wir nämlich sofort hinauskönnen in das Feld. Natürlich spielte bei dieser Begeisterung auch der Gedanke an ein Zeugnis ohne Prüfung eine nicht zu unterschätzende Rolle. -] [\Der Krieg ist vorbei und einen neuen können wir nicht verhüten./] Art[, Herr Cronauer] |und f hin.| \auch/ [Darüber bin ich mir noch nicht klar geworden, aber] [es] |Das| kam \nämlich/ \und f erleben,/ \es/ [niederzuscchreiben] [ist] |war| [reden] |geredet haben|

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 3

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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„Erkenntnis einer dich-얍terischen Mission“ bezeichnen. Durch einen Zufall lernte ich hier in München eines Abends den Komponisten Siegfried Kallenberg kennen. 1920. Kallenberg wandte sich an jenem Abend plötzlich an mich mit der Frage, ob ich ihm nicht eine Pantomime schreiben wolle. - Ich war natürlich ziemlich verdutzt, weil ich es mir garnicht vorstellen konnte, wieso er mit diesem Anliegen ausgerechnet an mich herantritt - ich war doch garkein Schriftsteller und hatte noch nie in meinem Leben irgendetwas geschrieben. Er muss mich wohl verwechselt haben, dachte ich mir - und ursprünglich wollte ich ihn auch aufklären, dann aber überlegte ich es mir doch anders: warum sollte ich es nicht einmal probieren, eine Pantomime zu schreiben. Ich sagte zu, setzte mich hin und schrieb die Pantomime. Die wurde dann auch später aufgeführt. Die erste Kritik, die ich über mein dichterisches Schaffen erhalten habe - ich glaube, dass Sie die interessiert? C RONAUER Gewiss. H ORVÁTH Sie war nämlich vernichtend und begann mit folgenden Worten: „Es ist eine Schmach und dergleichen. “ Aber ich nahm mir das weiter nicht sehr zu Herzen. C RONAUER Und widmeten sich dann ganz der Dichtkunst? H ORVÁTH Ah! - ich versuchte es noch mit allerhand mehr oder minder bürgerlichen Berufen - aber es wurde nie etwas richtiges daraus - anscheinend war ich doch zum Schriftsteller geboren. C RONAUER Nun darf ich Sie wohl bitten, uns gleich etwas über Ihre weiteren Arbeiten zu sagen. Ihr erstes Stück: „Die Bergbahn“, das einen Vorfall beim Bau der Zugspitzbahn dramatisch behandelt, machte Sie zuerst als Dramatiker bekannt? H ORVÁTH Ja - das Stück hat zum Inhalt den Kampf zwischen Kapital und 얍Arbeitskraft. Zwischen den beiden Parteien steht ein Ingenieur und durch ihn ist die Stellung der sogenannten Intelligenz im Produktionsprozess charakterisiert. C RONAUER Sie bezeichneten „Die Bergbahn“ - wie ja später alle Ihre Dichtungen als ein Volksstück. Fast ist ja uns heutigen Menschen der Charakter des „Volksstückes“ gänzlich verloren gegangen - es dürfte also von besonderem Interesse sein, von Ihnen Herr Horvath - den namhafte Kritiker - Kerr, Diebold, Polgar B

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[C RO Und wie kamen Sie zu Ihrer ersten veröffentlichten Arbeit? H ORV Das war 1920: Ich] |Durch f Zufall| BN] gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \Was war Ihre/ BlernteN ] [k]|l|ernte BichN ] \ich/ Beines AbendsN ] korrigiert aus: \eines abends/ B1920.N ] korrigiert aus: \1920/ Ban jenemN ] [eines] |an jenem| BAbendN ] korrigiert aus: Abends BSchmach f dergleichen.N korrigiert aus: Sch[ande] mach [u.s.w.] und dergleichen | | | | BHerzen.N ] Herzen[,]|.| [sondern fing nun an draufloszuschreiben -] BAh!N ] [O nein] |Ah!| Bzuerst f DramatikerN ] Eintragung von fremder Hand (Cronauer): BZwischenN ] [Der Held des Stückes, der] [z]|Z|wischen BeinN ] [ist] |ein| BN] [Das Stück wurde im Herbst 1927 an den Kammerspielen in Hamburg uraufgeführt und dann im Januar 1929 an der Volksbühne in Berlin gespielt.] B„Die Bergbahn“N ] korrigiert aus: die Bergbahn BKritiker f Polgar -N ] korrigiert aus: Kritiker \Kerr, Diebold, Polgar/ B

Durch f ZufallN ]

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Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

den Erneuerer des Volksstückes nannten - Ihre Beweggründe, die Sie zu dieser Bezeichnung führten, kennen zu lernen. H ORVÁTH Ich gebrauchte diese Bezeichnung Volksstück nicht willkürlich, d.h. nicht einfach deshalb, weil meine Stücke mehr oder minder bayerisch oder österreichisch betonte Dialektstücke sind , sondern weil mir so etwas Aehnliches, wie die Fortsetzung des alten Volksstückes vorschwebte. - Des alten Volksstückes, das für uns junge Menschen mehr oder minder natürlich auch nur noch einen historischen Wert bedeutet, denn die Gestalten dieser Volksstücke, also die Träger der Handlung haben sich doch in den letzten zwei Jahrzehnten ganz unglaublich verändert. - Sie werden mir nun vielleicht entgegen halten, dass die sogenannten ewig-menschlichen Probleme des guten alten Volksstückes auch heute noch die Menschen bewegen. - Gewiss bewegen sie sie - aber anders. Es gibt eine ganze Anzahl ewig-menschlicher Probleme, über die unsere Grosseltern geweint haben und über die wir heute lachen - oder umgekehrt. Will man also das alte Volksstück heute fortsetzen , so wird man natürlich heutige Menschen aus dem Volke - und zwar aus den massgebenden, für unsere Zeit bezeichnenden Schichten des Volkes auf die Bühne bringen. Also: zu einem heutigen Volksstück gehören heutige Menschen, und mit dieser Feststellung gelangt man zu einem interessanten Resultat: nämlich, will man als Autor wahrhaft gestalten, so muss man 얍 der völligen Zersetzung der Dialekte durch den Bildungsjargon Rechnung tragen. C RONAUER Ja - der heutige Mensch ist natürlich ein Anderer, als der verflossener Jahrzehnte - seine Sprache, seine Leidenschaften und seine Weltanschauung haben sich geändert. H ORVÁTH 얍 Natürlich . Und um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muss ich ihn also dementsprechend reden lassen. Nun hab ich zu meinen B

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kennenN ] Ich f BezeichnungN ] BVolksstückN ] Bd.h.N ] BmeineN ] BStückeN ] Bmehr f minderN ] BbayerischN ] Boder österreichischN ] BbetonteN ] BDialektstückeN ] BsindN ] BeinenN ] BN] BfortsetzenN ] BN] BN] BN] BDialekteN ] B

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korrigiert aus: kenen [Natürlich] gebrauchte2 [i] |I|ch1 diese3 Bezeichnung4 \Volksstück/ korrigiert aus: das h. [das] |meine| Stück\e/ [\„Die Bergbahn“/] [ein] |mehr f minder| bayerisch[es] \oder österreichisch/ \betonte/ Dialektstück\e/ [ist] |sind| [\einen/] [|ei|] |einen| [\Und das wird sich wohl allmählich schon herumgesprochen haben./] fort[ ][s]|s|etzen [wie der schöne, feudale Ausdruck lautet -] Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \des Volkes/ [\Nämlich Kleinbürger und Proletarier/] [Volksstücksprache] [|Umgangssprache oder [auch] des Dialekts|] [|{des}|] |Dialekte| geändert\./ [und natürlich auch der Bildungsjargon, um Ihr Wort aufzugreifen.] 얍 [Ja und die Ursache hierfür fordert zur Kritik heraus und] |Natürlich f und| [Jawohl] |Natürlich|

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Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

Gestalten, wie aber natürlich auch zu jedem Menschen in puncto ihrer Möglichkeit sich zu 100 % als soziale Wesen zu entwickeln und nicht nur etablieren , keine positive, eher eine skeptische Einstellung und 얍 dies glaube ich damit am besten zu treffen, indem ich eine Synthese von Ernst und Ironie gebe . Aus dieser Erkenntnis zog ich die Konsequenz. Mit vollem Bewusstsein zerstörte ich das alte Volksstück, formal und ethisch - und versuchte als dramatischer Chronist die neue Form des Volksstückes zu finden. C RONAUER Ist diese „neue Form“ des Volksstückes in dem bei Ihren Dichtungen doch besonders hervortretenden epischen Charakter zu suchen? H ORVÁTH Ja. Diese neue Form ist mehr eine schildernde als eine dramatische. Sie knüpft formal mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, als an die Autoren der früheren Volksstücke – C RONAUER Volksstücke. Und haben dabei einen starken satirischen Charakter. H ORVÁTH Ja, ich stehe zu Satire absolut positiv. Ich kann garnicht anders. C RONAUER Damit wären wir bei einem heiklen Thema angelangt - Sie wissen ja, dass man uns Jungen gerade unsere positive Stellung zu Satire und Ironie zum starken Vorwurf macht - als einen Mangel an Anteilnahme, an Bewunderung und an Ehrfurcht auslegt. Und es ist doch in Wirklichkeit gerade das Gegenteil. Es ist weiss Gott keine Ueberhebung, der wir uns schuldig machen - wir sehen darin eine Welt- und Lebensanschauung und letzten Endes eine uns führende und weisende 얍 Selbstkritik. - Aber das wird uns heute eben noch nicht zuerkannt, man missversteht unsere kämpferischen Absichten, bestreitet unsere Ehrlichkeit und versagt uns, die unserem Schaffen so notwendige Anteilnahme und Anerkennung. Man macht es uns doppelt schwer - man isoliert uns und wendet in der grossen Oeffentlichkeit den Blick fast ausschliesslich auf vergangene Zeiten. Vor B

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wie f Menschen,N ] aberN ] BauchN ] BN] Bin f undN ] B

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] Ja.N ] BformalN ] BVolksstücke –N ] BVolksstücke.N ] BUndN ] BdabeiN ] BCharakter.N ] BN] Bpositiv f anders.N ] BsoN ] BN B

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\wie f Menschen,/ \aber/ [i] |auch| [\als/] [in puncto \ihrer/ 100 % Erfüllung ihres sozialen Wesens keine positive Ei] |in f und| ihr[en]|er| (1) Möglichkeit (2) [\Entwick/] \[oder zu] |und nicht nur| etablieren/ positive\,/ [Einstellung] |eher f Einstellung[.]|und|| [oder zu gestalten - wenn Sie so lieber gesagt haben wollen -] [im Dialog] \{ab}/gebe\n/ \{so}/ Konsequenz[-]|.| [ich schrieb bisher vier Volksstücke: Die besagte „Bergbahn“, dann ein Stück aus der Inflationszeit, dann „Italienische Nacht“ und „Geschichten aus dem Wiener Wald“] [mehr] [Ganz richtig] [ja]|Ja|. \formal/ Volksstücke [-]|–| \Volksstücke./ Eintragung von fremder Hand (Cronauer): [Ihre Stücke] |Und| Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \dabei/ Eintragung von fremder Hand (Cronauer): Charakter[?]|.| [und Karikatur] positiv[, wö]|.| \Ich f anders./ Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \so/

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 7

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

lauter Geburtstags-, Jahrestags- und Todestaggedenkfeiern übersieht man, dass es eine nach neuen Formen und Idealen strebende Jugend gibt. - - Aber dass wir von unserem Thema nicht abgehen , es würde auch zu weit führen H ORVÁTH Da habens schon sehr recht, Herr Cronauer und ich erkläre es mir auch so , dass meine Stücke bei einem Teil der Presse oft eine ziemliche Erregung auslösten - Persönlich ist mir das ziemlich schleierhaft. Man wirft mir vor, ich sei zu derb, zu ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden gediegenen Eigenschaften gibt - und man übersieht dabei, dass ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt so zu schildern, wie sie halt leider ist. Und dass das gute Prinzip auf der Welt den Ton angibt, wird man wohl kaum beweisen können - behaupten schon. - Der Widerwille eines Teiles des Publikums beruht wohl darauf, dass dieser Teil sich in den Personen auf der Bühne selbst erkennt - und es gibt natürlich Menschen, die über sich selbst nicht lachen können - und besonders nicht über mehr oder minder bewusstes, höchst privates Triebleben. C RONAUER Ich glaube auch , dass es daran liegt, dass die meisten Menschen nicht aus der Erkenntnis heraus lachen und damit verstehen können. - Sie lachen lieber über einen blöden Witz - bei dem man sich weiter nichts denken braucht und der sie auch ‚persönlich‘ garnichts angeht. H ORVÁTH Jawohl. 얍 C RONAUER Ihre Stellung zur Parodie, würde mich noch interessieren, Herr Horvath. H ORVÁTH Die Parodie lehne ich als dramatische Form ab. Parodie hat meines Erachtens mit Dichtung garnichts zu tun und ist ein ganz billiges Unterhaltungsmittel . C RONAUER Nun, Herr Horvath, lassen Sie uns auf unser gemeinsames Steckenpferd, auf das Theater zu sprechen kommen. - Es ist uns ja leider nicht die Zeit gegeben, über die werdende neue Form des Theaters zu sprechen - aber vielleicht wird uns einmal hierzu Gelegenheit gegeben - denn ich bin überzeugt, dass Sie und auch ich, gerne hierüber plaudern würden - und es gäb da ja unendlich viel zu sagen: über das neue Drama, über das chorische Drama - den neuen Schauspieler - und Sprecher, über Regie und auch über neue Theaterführung, über den Mut zum Kämpferischen und Neuen, zur Heranbildung eines Publikums und dessen kritischer Presse. - In unserer Begeisterung und in unserem bestimmten Wissen um B

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Geburtstags-, Jahrestags-N ] abgehenN ] BDa f recht,N ] BesN ] Bauch soN ] Bder PresseN ] BN] Bsoliden f EigenschaftenN ] BN] BauchN ] B‚persönlich‘N ] BJawohl.N ] BHorvath.N ] BN] BUnterhaltungsmittelN ] BjaN ] BunendlichN ] BbestimmtenN ] B B

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korrigiert aus: Geburtstags-Jahrestags korrigiert aus: abegehen

[Ich stimme Ihnen zu,] |Da f recht,| \es/

[de[r]|s| [Presse] |Publikums|] |der Presse| [\oder/] [schönen Werten] |soliden f Eigenschaften| [\{ }/] Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \auch/ Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \‚/persönlich\‘/ Ja[.]|wohl.| korrigiert aus: Horvath [aus dichterischer Erkenntnis heraus] [Gefall] |Unterhaltungs-|mittel Eintragung von fremder Hand (Cronauer): \ja/ korrigiert aus: unednlich korrigiert aus: Bestimmten

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 8

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

die kulturelle Bedeutung und Aufgabe des Theaters treffen wir uns wohl im Glauben an dessen Fortbestand . Im Glauben an seine innere Entwicklung und der Ueberwindung aller äusseren Nöte ? H ORVÁTH Sicherlich . - Und wenn man auch heutzutage - und zwar sehr ernstlich über den Untergang des Theaters spricht. Natürlich geht es den Theatern wirtschaftlich miserabel - aber wem geht es heut nicht so? - Es ist schon möglich oder es ist sogar sicher , dass viele Theater zugrunde gehen - aber dann werden eben dafür Liebhaberbühnen erstehen C RONAUER Die - wenn ich Sie unterbrechen darf - sicher nicht unkünstlerischer, dabei aber grosszügiger und weniger geschäftstüchtig arbeiten werden. H ORVÁTH Das ist anzunehmen. Das Theater als Kunstform kann nicht untergehen, aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen es brauchen. Für mich ist das eine selbstverständliche, bestehende Tatsache. 얍 Es phantasiert also für den Zuschauer und gleichzeitig lässt es ihn auch die Produkte dieser Phantasie erleben . 얍 Es ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, dass fast alle Stücke irgendein kriminelles Moment aufweisen – ja: dass die weitaus überragende Zahl aller Dramenhelden bis zu den Statisten sich irgendeines Verbrechens schuldig machen, also eigentlich keine ausgesprochenen Ehrenmänner sind. Es ist doch eine sonderbare Tatsache, dass sich Leute einen Platz kaufen und ins Theater gehen und sich schön anziehen und parfümieren , um dann auf der Bühne mehr oder minder ehrenrührigen Dingen zu lauschen oder zuzuschauen wie einer oder auch zwei umgebracht werden, – und hernach das Theater verlassen und zwar in einer weihevollen Stimmung, ethisch erregt. Was geht da in dem einzelnen Zuschauer B

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2 2 3 3 4 6–7 7 9 10

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dessenN ] ] BN] BNöteN ] BSicherlichN ] Boder f sicherN ] BvieleN ] BDieN ] BwenigerN ]

11 13

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13 13 13–14 14 14 14–15 15–94,5

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15 16 19 20 21–22

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|

[, materiellen] korrigiert aus: Nöten

[Gewiss] [|Sicher|] [|Hoffentlich.|] |Sicherlich| \oder f sicher/ [alle] |viele| korrigiert aus: die Eintragung von fremder Hand (Cronauer): (1) [ich] (2) [nur] (3) [nicht] weniger

|

Das f anzunehmen.N ] BN]

EsN ] alsoN ] Bden ZuschauerN ] Blässt f ihnN ] BN] BerlebenN ] BEs f Erbauung.N ] B

fastN ] weitausN ] BkaufenN ] Bund parfümierenN ] Beiner f werden,N ] B

|

Eintragung von fremder Hand (Cronauer): [den] dessen Streichung von fremder Hand (Cronauer): [dieser Kunstform]

|

[Ja.] [|Sicher.|] [|Sicher.|] |Das f anzunehmen.| [Das Tehater 얍 ist diejenige Kunstform, die am stärksten für das Publikum phantasiert und Phantasie ist bekanntlich ein Ventil für asoziale Regungen - Das Theater nimmt nun dem Zuschauer das Phantasierenmüssen ab.] [e]|E|s \also/ [ihn] |den Zuschauer| [erlebt] |lässt f ihn| [der Zuschauer] \erleben/ 얍[Er lebt mit, das heisst vor allem: er begeht alle edlen und auch alle schändlichen Geschehnisse, die auf der Bühne vor sich gehen - und verlässt dann das Theater als ein kleiner Engel, oder auch als Mörder, Räuber und Ehebrecher - Man nennt diesen Zustand Erhebung] |Es f Erbauung.| [{nä}] |fast| \weitaus/ \kaufen/ \und parfümieren/ [einer {um}] |einer f werden,|

93

ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 9

ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 9

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

vor? Folgendes: seine 얍 scheinbare Antipathie gegen die kriminellen Geschehnisse auf der Bühne ist keine wahre Empörung, sondern eigentlich ein Mitmachen, ein Miterleben und durch dieses Miterleben ausgelöste Befriedigung asozialer Triebe. Der Zuschauer ist also gewissermassen über sich selbst empört. Man nennt diesen Zustand Erbauung . 얍 C RONAUER Und mit diesem Zustand „Erhebung“ wäre eigentlich die Aufgabe des Theaters erfüllt - Es wäre nur zu wünschen, dass diese Erbauung, die das Theater doch geben soll, auch den breiten Volksschichten, die ja heute kaum mehr in das Theater gehen - zuteil werden möge. H ORVÁTH Dass das Interesse am Theater im breiten Volke nachgelassen hat, liegt wohl auch daran , dass wir kein richtiges, echtes bodenständiges Volkstheater mehr haben - aber auf dem Wege zu ihm sind wir. Meiner Meinung nach. C RONAUER Aus psychologischen Gründen spreche ich eigentlich grundsätzlich nie über die sozialen und wirtschaftlichen Nöte unserer Zeit - aber glauben Sie nicht auch, dass viele Theaterfreunde - gerade aus dem Volke - wegen Geldmangel einfach nicht ins Theater gehen können? H ORVÁTH Natürlich leiden die Bühnen sehr unter der wirtschaftlichen 얍 Krise obgleich es andererseits zu denken gibt, dass die Kinos teilweise sogar sehr gut besucht sind - es liegt aber auch wo anders und hier hätte ich einen kleinen praktischen Vorschlag: Abschaffung der Garderobe und des gesellschaftlichen Kleidungszwanges. Viele, viele Menschen gehen nicht ins Theater, weil sie keinen schönen Anzug haben - könnten sie ihren Mantel anbehalten oder in ihrem Werktagskleide bleiben, wären die Theater sicher besuchter. - Und es kommt ja nicht auf die vielen schönen Garderoben an, sondern auf die Menschen und die Köpfe die im Zuschauerraum sitzen. C RONAUER Das ist ein sehr beachtenswerter Vorschlag und ich bin überzeugt - auch aus persönlicher Erfahrung - dass mit seiner Durchführung schon eine grosse Anzahl des verloren gegangenen Publikums zurückzugewinnen wäre. Nun sehe ich aber leider, dass die vorgeschrittene Zeit es mir nicht mehr erlaubt, Ihnen noch verschiedene Fragen vorzulegen. Ich muss unser Zwiegespräch beenden und ich B

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Lesetext

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ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 13v

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[{inneren}] [|ange|] [|asozialen|] |kriminellen| [e]|E|rbauung [Trifft nun der Zuschauer einen Autor wie mich, dessen Diktion sozusagen, es ihm [{dann sogleich}] |erschwert| seine kriminellen Triebe im Theater \metaphysisch plätschernd/ zu befriedigen, so wird er \häufig/ böse. Weil er \sich/ nicht [erbaut worden ist.] |korrekt erbaut fühlt.|] [nur können wir das nicht überall - oder meistens überhaupt nicht konstatieren. Ob das nun an der Dichtung oder an der Darstellung oder vielleicht auch am Publikum liegt, das ist hier nicht erörtern.] die\se/ [, sei es abgelenkt durch Kino, oder Sport,] dar[i]|a|n [weil] |dass| [echtes, im guten Sinn des Wortes] |echtes| korrigiert aus: \(/bodenständiges\)/ sind[.]|wir. f nach.| korrigiert aus: Nöten [das überlass ich gerne denen, dies von der Warte aus tun und denen es deshalb sicher nicht schlecht geht -] eingefügt

94

ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 10

Fassung Oedön von Horvath (Interview)

Lesetext

hoffe nur , dass die Zuhörer des Bayerischen Senders den gleichen Gewinn, wie ich, aus Ihren Aeusserungen und Anregungen gezogen haben. Ich danke Ihnen. H ORVÁTH Ganz meinerseits. B

B

TH9/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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B B

hoffe nurN ] H ORVÁTH f meinerseits.N ]

Eintragung von fremder Hand (Cronauer): hoffe\ /nur

[H ORV Nun möchte ich auch noch dem Bayerischen Rundfunk danken, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, mich hier zu äussern. Vielleicht war es für manchen nicht ganz uninteressant, mal einen Dramatiker über das Drama und über Theaterfragen zu hören - und nicht nur immer Kritiker.] |H ORV [Bitte] [|Mei|] |Ganz meinerseits.||

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Lesetext

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Lesetext

TH10: Randbemerkung

97

10/TS Fragm. Fragm. Fassung Fassung Ueber Ueber die die Entstehung …TH Entstehung… TH10 /TS11 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext 

 BIn die BMaschineN geratenN BVon der Maschine erfasst.N BIn der Maschinerie der Paragraphen.N

Ueber die Entstehung meines Volksstückes „Glaube Liebe Hoffnung“ 5 B

Februar 1932 traf ich in München einen Bekannten, einen Gerichtssaalberichterstatter namens Lukas Kristl. Dieser sagte zu mir damals ungefähr folgendes: ich (Lukas Kristl) verstehe die Dramatiker nicht, warum dass diese Dramatiker, wenn sie den Tatbestand und die Folgen eines wirklichen oder vermeintlichen (Justizirrtum) Verbrechens dramatisch bearbeiten, immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ selten begangen (oder in Hinblick auf den Justizirrtum nicht begangen) werden, und warum sich also die Dramatiker niemals um die vermeintlichen oder wirklichen Tatbestände und Folgen der kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf landab tausendfach und tausendemal begegnen -- für die vielmehr unschuldig verurteilt werden. Und deren Folgen sehr häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses ähneln, denn bekanntlich: einmal in Konflikt gekommen, dauernd in Konflikt -- ja er als Gerichtssaalberichterstatter sieht das ja Tag für Tag, wie diese kleinen unscheinbaren Paragraphen und Polizeivorschriften die Menschen nichtmehr auslassen, umklammern und schliesslich erwürgen. Dabei dreht es sich ursprünglich, primär um Vergehen, von denen die meisten Menschen garnicht wissen, dass es Vergehen sind, aber Unwissenheit schützt nicht vor Strafe, usw. Ich erwiderte ihm darauf ungefähr folgendes: die Leut im Theater sehen sich aber lieber an, wie einer umgebracht wird, als wie das, wie einer zum Beispiel wegen eines Vergehens bestraft wird, vielleicht gar noch bedingt. Dazu ziehen sich die Leut nicht an, um ins Theater zu gehen! Wenn schon Justiz, dann muss es schon ein N

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In f geratenN ] MaschineN ] BVon f erfasst.N ] BIn f Paragraphen.N ] BFebruarN ] Bin MünchenN ] B N] BKristl. DieserN ] Bich f versteheN ] B(oderN ] Bbegangen)N ] B N] BsichN ] B N] BTatbeständeN ] Bdenen wirN ] Btausendfach undN ] BbegegnenN ] BdennN ] BGerichtssaalberichterstatterN ] BTagN ] BunscheinbarenN ] BParagraphenN ] BPolizeivorschriftenN ] BerwiderteN ] Beines VergehensN ] B B

\In f geraten/ Maschine[n] \Von f erfasst./ [\In der Maschine der Paragr/] |In f Paragraphen.| [Im Fasching] |Februar| \in München/ [\{E} { }/] Kristl\./ [und] [d]|D|ieser [er verstünde] |ich f verstehe| \(/oder begangen\)/ [\{–}/] \sich/ [sich] Tatbest[a]|ä|nd\e/ [die] |denen wir| [\tausend und/] |tausendfach und| [begangen und abgeurteilt werden] |begegnen| korrigiert aus: den korrigiert aus: Gerichtssallberichterstatter korrigiert aus: tag korrigiert aus: unsxheinbaren korrigiert aus: Paragraphe korrigiert aus: Polzeivorschriften korrigiert aus: erwiederte korrigiert aus: ein Vergehen

98 98

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ÖLA 3/W 239 – BS 39 a [2], Bl. 1

Fragmentarische Fassung die Entstehung […]“ K103/TS /TS13 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragm. Fassung Ueber die „Ueber Entstehung …TH

richtiger korrekter Raub – Lust – politischer Mord sein, oder Justizmord -- der Tatbestand des Mordes ist die Hauptsach, auch in den Justizstücken, die sich mit den Folgen beschäftigen. (Tendenzstücken) Es interessiert nur z.B. der hingerichtete politische Führer, niemals aber die 1000 Jahre Zuchthaus für sein Gefolge. Als Künstler soll man sich zwar niemals nach den Leuten richten, aber man ge hört doch selbst auch nur zu den Leuten. Er sagte mir, auch ein Mord ist nicht mehr aufregend zuguterletzt, wie ein kleiner Paragraph Verbrechen, und er erzählte mir einige Fälle aus seiner Praxis. Das waren aber alles Fälle, die unbrauchbar waren für die Bühne. „Die Leut würden sagen, das gibt es nicht, und zwar mit Recht würden sie uns diesen Vorwurf machen. Man müsste also retouchieren.“ Und Kristl erzählte mir noch diesen Fall: B

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Es ist ein alltäglicher Fall. Der Kampf des einzelnen gegen die Allgemeinheit, und in diesem Kampfe gibt es keinen Frieden : nur einen Waffenstillstand, der immer wieder gebrochen wird. Es entstand dieses Stück. Ein Volksstück mit dem Titel „Glaube Liebe Hoffnung“ gab ich ihm. Und dieser Titel ist nicht ironisch gemeint. (Wie ich überhaupt nie „Ironie“ mache, Parodie hasse – es ist die Wirklichkeit, über die gelacht wird, es ist die Tragik.) Kristl gab mir Material. Ich sagte ihm, so ist es ein Feuilleton , wir müssen das Wesentliche herausschälen: den Kampf des Einzelnen gegen die Allgemeinheit, mit der Allgemeinheit. Individuum und Gesellschaft. Die grosse Komödie „Glaube Liebe Hoffnung“. Ich danke hiemit Lukas Kristl. Dass er mir diesen Stoff gab. Und auch für manche Anregung. Als Motto setzte ich dem Stück voraus: aus der Bibel Buch Moses Kapitel 8 Vers 21: „Und der Herr roch ……“ B

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\Raub f politischer/ (1) das (2) \der f Mordes/

Justizstücken f Gefolge.N ] ] BniemalsN ] BinN ] BFriedenN ]

[Tendenzstücken.] |Justizstücken f Gefolge.| [Märtyrer,] niema[{ }] |l|s

Und f gemeint.N ] (Wie f Tragik.)N ] BFeuilletonN ] BdenN ] B„UndN ] Broch ……“N ] B N]

\Und f gemeint./ \(Wie f Tragik.)/ korrigiert aus: Feuileton [des] |den| \„/Und korrigiert aus: roch \ ……/ [\{ }/]

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eingefügt (1) Ausgleich (2) Frieden

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ÖLA 3/W 239 – BS 39 a [2], Bl. 2

Fragm. Fassung Randbemerkungen



TH10/TS2 (Grundschicht)

Randbemerkungen

ÖLA 3/W 238 – BS 39 a [1], Bl. 3

Der kleine Totentanz „Von der Maschine erfasst“ ist mein sechstes Stück. Ich habe mich bisher immer dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine Stücke zu äussern, aber ich sehe mich leider gezwungen. Gezwungen durch die Missverständnisse in der Presse \Abbruch der Bearbeitung\ B

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korrigiert aus: „Totentanz

i[n]|r|gendeiner

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Fragmentarische Fassung „Randbemerkung“ K103/TS /TS35 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragmentarische Fassung der RandbemerkungTH

Randbemerkung



ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 4

Februar 1932 traf ich auf der Durchreise in München einen Bekannten, namens Lukas Kristl. Dieser ist ein Gerichtssaalberichterstatter, schon seit einigen Jahren, und er sagte mir damals ungefähr folgendes: ich (Kristl) verstehe die Dramatiker nicht, warum dass diese Dramatiker, wenn sie Tatbestand und Folgen eines wirklichen oder vermeintlichen (Justizirrtum) Verbrechens dramatisch bearbeiten, immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ selten begangen (oder in Hinblick auf den Justizirrtum nicht begangen) werden, und warum sich also die Dramatiker niemals um die vermeintlichen oder wirklichen Tatbestände und Folgen der kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf landab tausendfach und tausendmal begegnen -- und deren Folgen sehr häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses ähneln, dieser heroische Kampf gegen kleine unscheinbare Paragraphen und Polizeivorschriften, die die Menschen nichtmehr auslassen, umklammern und erwürgen -- dabei dreht es sich sogar noch meistens im allerersten Stadium um ein Vergehen, dass die Menschen garnicht wissen, dass es ein Vergehen ist, aber Unwissenheit schützt nicht vor Strafe, usw. und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis. Einen alltäglichen Fall. Und dieser Fall bildet das Material. Die Personen Elisabeth, der Schupo Al. Kl., die Frau Landgerichtsrat und der {Oberinspektor} leben noch, natürlich unter Pseudonym. Ich habe nichts beschönigt, nichts verhässlicht. Ein Fräulein betätigt sich als Reisende für eine Firma und verkauft ihre Artikel, besitzt allerdings keine behördliche Genehmigung: sie hat sich keinen Wandergewerbeschein verschafft, denn der kostet 150 Mark. Folge: Verurteilung zu einer Geldstrafe, im Nichteintreibungsfalle Gefängnis. Um nicht sitzen zu müssen und dadurch wieder ihren Beruf zu verlieren (sie hat inzwischen von der Firma als Vorschuss einen Wandergewerbeschein bekommen), leiht sie sich von einem ihr väterlich gesinntem Herrn 150 Mark, sagt ihm: das Geld benötige sie für den Wandergewerbeschein , bezahlt aber in Wahrheit ihre Geldstrafe. Der ältere Herr erfährt dies und hat sich auch noch verhört mit dem Zollinspektor, zeigt sie an. Tatbestand des Betruges. Das Fräulein bekommt 14 Tage, ohne Be-währungsfrist, weil sie schon eine Vorstrafe hat. Entlassen aus dem Gefängnis, steht sie nun da auch ohne Wandergewerbeschein. Das Wohlfahrtsamt gibt ihr nichts. B

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korrigiert aus: Gerichtsaalberichterstatter\,/

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Gerichtssaalberichterstatter,N ] Jahren,N ] Bbegangen)N ] Bwerden, undN ] BbegegnenN ] BeinenN ] BFall f Fall.N ] BUnd f Pseudonym.N ] BUnd dieserN ] Bleben f Pseudonym. N ]

Jahren\,/

20–21 22

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Ich f verhässlicht.N ] betätigt sichN ] Artikel,N ] WandergewerbescheinN ]

korrigiert aus: begangen korrigiert aus: werden),und korrigiert aus: begegn n

[folgenden] |einen | Fall[.]|aus f Fall.| \Und f Pseudonym./ \Und/ [D]|d|ieser (1) {leben} { } {natürlich.} (2) leben noch[.]|,| \natürlich f Pseudonym./ \Ich f verhässlicht./ (1) verkauft (2) betätigt sich korrigiert aus: Artikel , korrigiert aus: andergewerbeschein

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ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 5

Fragmentarische Fassung Fassung RandbemerkungTH der „Randbemerkung“ K103/TS /TS35 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragmentarische 

Und Kristl erzählte mir einen alltäglichen Fall. Aus diesem alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz „Von der Maschine erfasst“, wobei ich Lukas Kristl noch danken möchte für manche Anregung. Es war natürlich nur in allerletzter Linie meine Absicht ein Stück für eine sinngemässere Anwendung der kleinen Paragraphen zu schreiben, denn ein solches Vorgehen halte ich für sinnlos: es wird immer kleine Paragraphen geben, solange es eine menschliche Gesellschaft gibt. Es dreht sich nur um die Illusion des Einzelnen, der ihm diese kleinen Paragraphen erträglich macht. Es muss diese kleinen Paragraphen geben, vielleicht etwas sinnvoller angewandt. Es war vielmehr meine Absicht – wie bei allen meinen {bisher} Stücken sie gewesen ist und bei allen zukünftigen noch sein wird – voraussichtlich und hoffentlich , den ewigen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft (wobei natürlich das Individuum oft nur scheinbar das Sympathische ist, denn meistens basiert der Kampf des Individuums gegen die Gesellschaft auf dem Hervortreten bestialischer Züge) zu zeigen , diesen Krieg, in dem es keinen Frieden geben kann, höchstens dass mal irgend ein Einzelner für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst. Kristls Absicht war, ein Stück gegen die unsinnige , bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben – natürlich mit der Erkenntnis, dass es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in einer sozialen Gemeinschaft immer geben muss. Aber vielleicht kann man sie (verzeihen Sie das harte Wort) humaner anwenden. Und diese Absicht war auch meine Absicht, wobei ich Kristl nochmals für manche Anregung danken möchte. Aber darüber hinaus wollte ich auch, wie bei allen meinen Stücken. B

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erfasst“ f Anregung.N ] nur f LinieN ] Bfür f sinngemässereN ] BParagraphenN ] BParagraphenN ] Bgibt. EsN ] Bkleinen ParagraphenN ] BParagraphenN ] BvielmehrN ] B– wie f hoffentlichN ] B{bisher}N ] B N] Bden f zu zeigenN ] B B

erfasst“[.]|,| \wobei f Anregung./ [nicht] [|keines|] |nur in \aller/letzter Linie| [gegen die] |für f sinngemässere| korrigiert aus: Paragraphe korrigiert aus: Paragraphe korrigiert aus: gibt[,]|.| es korrigiert aus: kleine Paragraphe korrigiert aus: Paragraphe [aber] |vielmehr| \– wie f hoffentlich/ \{bisher}/

gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): sein wird zu8 zeigen9 [den Kampf] zwischen4 Individuum5 und6 Gesellschaft7, den1 ewigen2 Kampf,3 B(wobei f Züge)N ] korrigiert aus: \(wobei f Züge./ BmeistensN ] [oft] |meistens| BbasiertN ] [ist]|basiert| Bgegen f GesellschaftN ] \gegen f Gesellschaft/ Bdiesen Krieg,N ] \diesen Krieg,/ Bmal f MomenteN ] ma[n]|l| \irgend ein f Momente/ BKristls f Stücken.N ] \Kristls f Stücken./ BunsinnigeN ] korrigiert aus: unsinnigen Bbürokratisch-verantwortungsloseN ] korrigiert aus: bürokratisch-verantwortungslosen BParagraphenN ] korrigiert aus: Paragraphe BParagraphenN ] korrigiert aus: Paragr. Beiner f GemeinschaftN ] eine[m]|r| [soz. Staatswesen] |sozialen Gemeinschaft| BAber f anwenden.N ] [Man kann sie nur besser anwenden,] |Aber f anwenden.| BsieN ] eingefügt BStücken.N ] korrigiert aus: Stücken

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Fragmentarische Fassung „Randbemerkung“ K103/TS /TS35 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragmentarische Fassung der RandbemerkungTH

Als Motto setze ich diesem Stück einige Zeilen aus der Bibel vor Buch Moses Kapitel 8 Vers 21 (und dieses Motto könnte ich allen meinen Stücken voraussetzen) Und der HERR roch …. \Abbruch der Bearbeitung\

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Fragmentarische Fassung („Randbemerkung“) K103/TS /TS46 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragm. Fassung (Randbemerkung)TH  \Textverlust\

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 Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner BParagraphenN zu Bschreiben, Bmit der Hoffnung, dass man selbe vielleichtN (verzeihen Sie das harte Wort) humaner anwenden BkönnteN -- aber natürlichN B inN der BErkenntnisN, dass es kleine BParagraphenN immer geben wird, weil es sie in Bjeder wie auch immer geartetenN sozialen Gemeinschaft B N geben muss. B N B Und dieseN Absicht BwarN auch meine Absicht, wobei ich BKristlN nochmals für manche Anregung danken möchte. Aber Bich war mir auch im Klaren dass Bdieses „gegen kleineN Paragraphen“ gewissermassen nur das Material Bdarstellt,N BumN wiedermal den BgigantischenN Kampf zwischenN Individuum und Gesellschaft zeigen Bzu können (wie bei allen meinen Stücken)N, BdiesesN BewigeN Schlachten, bei BdemN es Bzu keinemN Frieden BkommenN kann -- höchstens dass mal ein Einzelner für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst. B Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich dabei auch befleissigt, nicht zu vergessen,N B NatürlichN B N Bdarf man hiebei nicht vergessenN, dass B Bdieser aussichtslose Boft er3 3–4 3–4

ParagraphenN ] korrigiert aus: Paragraphe schreiben f natürlichN ] schreiben\,/1 xmit f könnte. -- \aber/5 natürlich6 Bmit f vielleichtN ] (1) mit f vielleicht (2) \Zuguterletzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, dass man jene kleine Paragraphe vielleicht/ BkönnteN ] 4 korrigiert aus: könnte. BinN ] 5 [mit] |in| BErkenntnisN ] 5 [Einschränkung] |Erkenntnis| BParagraphenN ] 5 korrigiert aus: Paragraphe Bjeder f geartetenN ] 5–6 [einer irgendwiegearteten] |jeder f gearteten| B N] 6 [immer] B N] 6 [[Aber in] |mit|2 der3 Hoffnung4, dass man [sie]|selbe| vielleicht (verzeihen [s]|S|ie f könnte.]f x BUnd dieseN ] 7 [[Und] |Aber| [diese] [|Kristls|] |Kristls|] |Und diese| BwarN ] 7 [war] [|{war}|] |war| BKristlN ] 7 [Kristl] [|ihm|] |Kristl| Bich f zwischenN ] 8–10 (1) [darüber hinaus wollte ich auch] |dieser [Kampf] [|„Kampf“|] |Kampf| gegen die kleine Paragraphe\“/ war für mich|, wie bei allen meinen Stücken (auch den zukünftigen voraussichtlich und hoffentlich) in erster Linie den ewigen Kampf zwischen (2) \ich f zwischen/ Bdieses f kleineN ] 8–9 diese[r]|s| [{ }] |„gegen| [{klei}] |kleine| Bdarstellt,N ] 9 [liefern sollte.] |darstell[e]|t|,| BumN ] 9 [{um zu}] |um [zu]| BgigantischenN ] 10 [ewigen] |gigantischen| Bzu f Stücken)N ] 10–11 \zu f Stücken)/ BdiesesN ] 11 diese[r]|s| BewigeN ] 11 [grosse] |ewige| BdemN ] 11 [welchem] |dem| Bzu keinemN ] 11–12 [keinen] |zu keinem| BkommenN ] 12 [geben] |kommen| BWie f vergessen,N ] 14–15 \Wie f vergessen,/ BNatürlichN ] 16 [Wobei ich mir] [n]|N|atürlich B N] 16 [\auch/] Bdarf f vergessenN ] 16 [vollkommen darüber im Klaren bin,] |darf f vergessen| 16–105,3 Bdieser f Publikums,N ] (1) das Individuum oft nur scheinbar das Sympathische ist, denn meistens basiert doch dieser Kampf des Individuums gegen die Gesellschaft auf dem Hervortreten bestialischer Züge und Triebe. (2) \dieser f Publikums,/ 16–105,1 Bdieser f heroischeN ] [der] |dieser f heroische| 16–105,1 Boft f tragischeN ] \oft f tragische/ B B

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ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 6

6 /TS 4 (Korrekturschicht)  Lesetext Fragmentarische Fassung („Randbemerkung“) K3/TS10 (Korrekturschicht) Lesetext Lesetext Fragm. Fassung (Randbemerkung)TH

greifende, tragische und oft heroische Kampf des Einzelnen (gegen die Gesellschaft) auf bestialischen Trieben basiert. Als Beweis dient die Sympathie des Publikums, wobei die Sympathieentwicklung für dieses Individuum ja auch nur auf den bereitwillig gelockerten bestialischen Zügen des Publikums beruht . Das Heroische und das Niedrige des Kampfes war also nur die Form für die Bestialität, die bekanntlich weder gut ist noch böse. Meine Absicht ist also (wie in allen meinen Stücken) das Aufzeigen des Bestialischen, die alte Forderung: „Erkenne Dich selbst!“ Sie sehen sich bei mir im Spiegel, was rechts ist ist links, und umgekehrt. Aber Sie sind es! Auf dass Du aufrichtiger wirst und dadurch zu jener Heiterkeit gelangst, die Dir Deinen Kampf in der Gesellschaft zwar nicht {beschliesst} , aber erleichtert, in dem es Dich, vielleicht nicht über Dich, aber neben Dich stellt. Wie in allen meinen Stücken habe ich nichts beschönigt und nichts verhässlicht. Immer war es nur mein Ziel, zu zeigen -- so ist es. Erkenne Dich selbst -- und ich lasse die Hoffnung nicht sinken , dass es aufrichtiger wird . Ich bin überzeugt, dass nur Aufrichtigkeit, rücksichtsloseste Aufrichtigkeit unsern schweren Weg vom Einzelnen zur Gesellschaft erleichtert. Nur die Aufrichtigkeit ist die innere Heiterkeit. Und erlauben Sie mir bitte, dass ich in diesem Zusammenhange noch einiges über  meine Stücke sage -- es fällt mir schwer und ich habe mich immer dagegen gesträubt, aber heute bin ich gezwungen dazu. Nie und nimmer war es meine Absicht irgendetwas oder irgendwen auf der Basis der Ironie zu gestalten -- von der Parodie, die ich hasse, garnicht zu reden. Ich gestalte auch nicht satyrisch, am allerletzten irgendeinen Zustand, eine Stadt, eine literarische Form oder drgl. Ich schreibe nichts gegen, ich zeige es nur -- ich schreibe auch allerdings nie für jemand, und es besteht die Möglichkeit, dass das dann gleich „gegen“ wirkt. Ich habe nur zwei Dinge gegen die ich schreibe das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit. Meine Absicht ist also das Leben in dramatischer Form zu gestalten wobei jede Gestaltung ein Spiegelbild ist. Was rechts ist, ist links, und umgekehrt. Aber Ihr seid N

N B

N

N

B

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N

5

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10

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25

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B

30

B

B

3 3 3–4 4 5–9 5 5 6 6 7 10–12 10 11 15 15 24 25 29–106,1

B

wobeiN ] SympathieentwicklungN ] Bauf denN ] BberuhtN ] BDas f es!N ] B N] BN ] BbekanntlichN ] BwederN ] BAufzeigenN ] BAuf f stellt.N ] Bwirst undN ] B{beschliesst}N ] Bnicht sinkenN ] BwirdN ] B N] B„gegen“N ] Bin f Leut!N ]

29–106,1 30

B

B

B

wobei f Leut!N ] IhrN ]

korrigiert aus: (Wobei korrigiert aus: Sympathie entwicklung korrigiert aus: aus dem korrigiert aus: beruht)

\Das f es!/ [Ergreifende,] gestrichen: {Form} \bekanntlich/ [{ }] |weder| [Zeigen] |Aufzeigen| \Auf f stellt./ wirst[,] |und| [{beschleunigt}] |{beschliesst}| korrigiert aus: sinken nicht korrigiert aus: werden gestrichen: s korrigiert aus: gegen“ (1) zu zeigen, (2) \in f Leut!/ \wobei f Leut!/ [ihr]|Ihr|

105 105

N

ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 7

Fragmentarische Fassung („Randbemerkung“) K103/TS /TS46 (Korrekturschicht)  Lesetext (Korrekturschicht) Lesetext Fragm. Fassung (Randbemerkung)TH 

es halt doch, liebe Leut! Und das Leben ist kitschig. Und zwar nicht nur in seiner Sprache und Äusserungen , sondern sogar die Gefühle der Menschen sind verkitscht, das heisst sie sind verniedlicht und verfälscht. Aus Bequemlichkeit. Es ist natürlich unbequem für einen Autor dagegen anzukämpfen. Kitsch wirkt aber immer komisch, vorausgesetzt, dass er sichtbar wird. Der Zusammenprall des Kitsches, also des verniedlichten und verfälschten Lebens mit der Unerbittlichkeit des Lebens ist tragisch. Es ist vielleicht dies ein Grund, warum ich für einen Satiriker und Parodisten gehalten werde. Der Hauptgrund wird aber wohl der sein, dass sich das Publikum selbst erkennt, und dann sagt es: So soll ich sein? Unmöglich! Das ist Satire, Parodie! B

N

N

NN B N B

B

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B

5

B

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B

10

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\Abbruch der Bearbeitung\

1 1

B

halt dochN ] ]

B N

[es doch,] |halt doch,|

gestrichen: Eintragung von fremder Hand (Berliner Bearbeitung): Aber Ihr seid es

halt doch 1 1–2 2 2 4 6 7

UndN ] seiner SpracheN ] BÄusserungenN ] BsindN ] BAutorN ] B N] BundN ] B B

korrigiert aus: un korrigiert aus: seinen Sprach korrigiert aus: Aesserungen korrigiert aus: sin korrigiert aus: Aut or gestrichen: m eingefügt

106 256

Fassung Randbemerkung

TH10/TS5



Lesetext

Randbemerkung

SB Arcadia 1933, S. 1

von Ödön Horváth . B

5

10

15

Februar 1932 traf ich auf der Durchreise in München einen Bekannten, namens Lukas Kristl, der schon seit einigen Jahren Gerichtssaalberichterstatter ist. Er sagte mir damals ungefähr folgendes: ich (Kristl) verstehe die Dramatiker nicht, warum nämlich diese Dramatiker, wenn sie Tatbestand und Folgen eines Verbrechens dramatisch bearbeiten, fast immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ selten begangen werden -- und warum sich also diese Dramatiker fast niemals um die kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf-landab tausendfach und tausendmal begegnen, und deren Tatbestände ungemein häufig nur auf Unwissenheit basieren und deren Folgen aber trotzdem fast ebenso häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ja selbst der Todesstrafe ähneln. Und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis -- und aus diesem alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz „Glaube Liebe Hoffnung“. Die Personen Elisabeth, den Schupo (Alfons Klostermeyer), die Frau Amtsgerichtsrat und den Oberinspektor hat Kristl persönlich gekannt. Es ist mir ein Bedürfnis, ihm auch an dieser Stelle für die Mitteilung seiner Materialkenntnisse und für manche Anregung zu danken. Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung klei-얍ner Paragraphen zu schreiben -- aber natürlich in der Erkenntnis, dass es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in jeder wie auch immer gearteten sozialen Gemeinschaft geben muss. Zuguterletzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, dass man jene kleinen Paragraphen vielleicht (verzeihen Sie bitte das harte Wort!) humaner anwenden könnte. Und dies war auch meine Absicht, allerdings war ich mir jedoch dabei im Klaren, dass dieses „gegen kleine Paragraphen“ eben nur das Material darstellt, um wiedermal den gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll -höchstens, dass mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst. Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich auch bei diesem kleinen Totentanz befleissigt, es nicht zu vergessen, dass dieser aussichtslose Kampf des Individuums auf bestialischen Trieben basiert, und dass also die heroische oder feige Art des Kampfes nur als ein Formproblem der Bestialität, die bekanntlich weder gut ist noch böse, betrachtet werden darf. Wie in allen meinen Stücken habe ich auch diesmal nichts beschönigt und nichts verhässlicht. Wer wachsam den Versuch unternimmt, uns Menschen zu gestalten, muss zweifellos (falls er die Menschen nicht indirekt kennen gelernt hat) feststellen, dass ihre Gefühlsäusserungen verkitscht sind, das heisst: verfälscht, verniedlicht und nach masochistischer Manier geil auf Mitleid, wahrscheinlich infolge geltungsbedürftiger Bequemlichkeit -- wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht, wird 얍 B

20

25

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35

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N

N

B

3 18 43

Ödön HorváthN ] denN ] BBequemlichkeit --N ] B B

N

korrigiert aus: Odön Horvath korrigiert aus: der korrigiert aus: Bequemlichkeit - -

107

SB Arcadia 1933, S. 2

SB Arcadia 1933, S. 3

Fassung Randbemerkung

TH10/TS5

wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können, und hier möchte ich mir nur erlauben, rasch folgendes zu betonen: ich habe und werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische ab. Wie in allen meinen Stücken versuchte ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl die vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der es sich manchmal einbildet nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne Dich bitte selbst! Auf dass Du Dir jene Heiterkeit erwirbst, die Dir Deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem Dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiss nicht über Dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter Dich stellt, so dass Du Dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! -„Glaube Liebe Hoffnung“ könnte jedes meiner Stücke heissen. Und jedem meiner Stücke hätte ich auch folgende Bibelstelle als Motto voraussetzen können, nämlich: Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf; und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles was da lebet, wie ich getan habe. So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Mos. I. 8,21. B

5

10

15

20

Lesetext

2

B

JuxspiegelbilderN ]

Juxspiegel[{ }]bilder

108

N

Lesetext

TH11:

109

Fassung ()

5

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15

20

TH11/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 BAls ich vor einem halben Jahre von der erfolgreichen Aufnahme meines Stückes „ BKasimirN und Karoline“ in Wien erfuhr, habe ich mich sehr Bgefreut, dennN ich habe es immer gehofft und geahnt, dass BmeineN Stücke gerade in Wien Verständnis finden müssten. BDenn genau wie der Verfasser, sind auch seine sogenannten Kinder „K. u. K“ Erzeugnisse – d.h. sie streben nach Wahrheit, trotz der Illusion, dass es eine solche nicht Bgibt oder BnichtN geben darf.N N N Als mein Stück 1932 in Berlin uraufgeführt wurde, schrieb Bfast dieN gesamte Presse, es wäre Beine SatyreN auf München und auf das dortige Oktoberfest – ich muss es nicht betonen, dass dies eine völlige Verkennung Bmeiner AbsichtenN Bwar, eine Verwechslung von Schauplatz und InhaltN; es ist überhaupt keine Satyre, es ist die Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut mit der Ambition, eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heisst durch Bdie alltägliche ErkenntnisN : „Sterben müssen wir alle!“ B UnabhängigN von den zeitlich BbedingtenN Kostümierungen ist und war es in Berlin immer Sitte, zu fragen: „gegen wen richtet sich Bdas?“N Man hat nie gefragt: „Für wen tritt es ein?“ Das „gegen“ war B N und ist BdortN immer wichtiger, als das „für“. Ich habe die Wiener Aufführung noch nicht BgesehenN und ich freue mich sehr, B dass Herr Lönner sie wieder im Spielplan BaufgenommenN hat, Bund zwar aus dem egoistischen Wunsch, sie sehen zu können.N N BUnd es freut mich BumsomehrN, dass ich die Darsteller, die Bich in anderen Stücken und RollenN als wahrhafte Künstler kennen und schätzen gelernt habe, in meinem Stück sehen werde.N

1–6

B

Als f darf.N ]

2 2 3 4–6 6 6 7 8 9 9–10 12–13 14 14 15 16 16 17 18–19 18 18–19

B

19–21

B

Und f werde.N ]

19 20

B

umsomehrN ] ich f RollenN ]

KasimirN ] gefreut, dennN ] BmeineN ] BDenn f darf.N ] Bgibt f darf.N ] BnichtN ] Bfast dieN ] Beine SatyreN ] Bmeiner AbsichtenN ] Bwar f InhaltN ] Bdie f ErkenntnisN ] BUnabhängigN ] BbedingtenN ] Bdas?“N ] BN] BdortN ] BgesehenN ] Bdass f können.N ] BaufgenommenN ] Bund f können.N ] B

B

[„K] [|„Kasimir und Karoline“ ist|] [|Durch einen Zufall erfuhr ich [über] |vor||] [|Ich habe [kei] |keinerlei| Talent,|] [|Leider [fehlt mir] |bin ich nicht im Stande,| über irgendeines meiner Stücke, irgendetwas zu erzählen. Ich kann meine Stücke nicht erzählen, es [sind] |ist| [mir] immer die kürzeste Form, wie ich es ausdrücken kann.|] |Als f darf.| korrigiert aus: Kas. gefreut[.]|,| [–]|denn| [erstens] [meine] [|gerade|] \Denn f darf./ gibt [–] |oder f darf.| \nicht/ [die]|fast die| ein\e/ [Stück] |Satyre| \meiner Absichten/ war\,/ \eine f Inhalt/ d[as]|ie| [Bewustsein] |alltägliche Erkenntnis| [E] |Unabhängig| korrigiert aus: bedingsten das[“] |?“| [\dort/]f x xdort gesehen[,] [Sie sehen] |dass f können.| [untergebracht] |aufgenommen| (1) [damit] |dann kann ich sie sehen.| (2) \und f können./ [Da ich die Künstler, die es spielen kenne, freut es mich, sie in diesen Rollen sehen zu können.] |Und f werde.| [{umsomehr}] |umsomehr| (1) es spielen werden, (2) \ich f Rollen/

110

ÖLA 3/W 241 – BS 64 a, Bl. 1

Lesetext

TH12: Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?

111

Fragm. Fassung Was soll ein Schriftsteller…

TH12/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B WAS SOLL EIN SCHRIFTSTELLER HEUTZUTAG SCHREIBEN?N

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 1

Meine Damen und Herren! Der Titel meines Vortrages ist etwas lang; er wäre kürzer, wenn wir keine Zensur hätten. Es ist der Vorteil der Zensur immer schon gewesen, dass der Zensurierte sich anstrengen muss, Bilder zu finden. Die Zensur fördert also die Bildbegabung , die visionäre Schau , mit anderen Worten: aus der Zensur entsteht das Symbol. Ohne Zensur gibts kein Symbol. Und auch kein dichterisches Bild. Denn ein dichterisches Bild , das der Zensur gefällt, ist kein dichterisches Bild, sondern die Träumerei einer unbefriedigten Briefschreiberin. Sie werden nun mit Recht einwenden, dass wir keine Zensur haben oder nur so ein ganz bisserl eine, die sich auf alle öffentlichen Gebiete auch des Geisteslebens erstreckt. Nun, es ist möglich, dass der eine oder andere Staat des Abendlandes keine Zensur hat, so besteht aber eine inoffizielle, und die besteht immer. Und so wollen wir nun die Zensur deklinieren. Die Zensur ist ein Produkt der Angst. Die Angst hat viele Kinder. Ich erwähne nur die Lüge, die Hemmung, die Tücke, 얍 und zum Teil auch die Unwissenheit – (aber da ist noch ein anderer Vater dabei) – aber nicht die Dummheit! Oh, nein! Die Dummheit, das ist ein eigenes Gebiet, die bewohnt ein feines, schönes Haus. Aber wir wollen nicht über die Dummheit reden . Man soll solche Worte heutzutag garnicht in den Mund nehmen, man setzt sich noch der Gefahr aus, dass man eingesperrt wird. Und wenn nicht heute, dann in 1 Jahr, dann kommt einer und sagt: Sie, Sie haben mal gesagt, ich bin dumm. Sie das ist Landesverrat. Und dann wird man geköpft. Gebrauchen wir dafür Bilder, Symbole: z.B. Nationalismus, Antisemitismus, – Es werden noch manche sagen, er machts sich zu billig: die haben mich nicht verstanden. Ich sagte: Symbole der Dummheit. Ich könnte auch sagen, das Symbol der Dummheit wär ein Idiot in einem Abendkleid. Weder das Abendkleid ist dumm, noch die Schuhe – aber der Inhalt. Die Zensur übt jeder privat. 얍 Jeder sagt privat: nein, davon will ich nichts wissen. Das ist mir zu frei, d.h. zu unangenehm. Sie sehen, er übt auch gegen sich selbst Zensur. Er gebraucht das Bild B

5

N

B

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B

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B

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ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 2

B

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B

N

B

1

B

4–5 6 6 8–9 8 8 11 16 16 19 19–20 20 20–23

B

23–24 30 31

B

WAS f SCHREIBEN?N ]

Es f finden.N ] die BildbegabungN ] Bdie f SchauN ] BDenn f Briefschreiberin.N ] BBildN ] BdasN ] Bauch f GeisteslebensN ] Bund f auchN ] B(aber f dabei)N ] BredenN ] BheutzutagN ] BMundN ] Bman f geköpft.N ] B

Antisemitismus, –N ] d.h.N ] BBildN ] B

N

[Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?] |WAS f SCHREIBEN?| [Wir haben alle eine Zen] |Es f finden.| d[en]|ie| [Bildergla] |Bildbegabung| \die f Schau/ \Denn f Briefschreiberin./ [Symbol] |Bild| korrigiert aus: dass \\auch/ des Geisteslebens/ [– viele zählen] [|man wäre versucht|] |und f auch| \(aber f dabei)/ \reden/ \heutzutag/ [Wo] |Mund| (1) es ist zu direkt. (2) \man f geköpft./ Antisemitismus,– [\nordische Rass/] [aber] |d.h.| [Gef] |Bild|

112

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 1v

Fragm. Fassung Was soll ein Schriftsteller…

TH12/TS1 (Korrekturschicht)

der Freiheit für das Nichterinnertwerdenwollensein an seine Schwäche. Der Impotenzler als Freiheitskämpfer – und schon ist er ein verhängnisvoller und geschäftstüchtiger. Aber es gibt Länder ohne Zensur; z.B. Russland und Deutschland. In beiden Ländern braucht man keine Zensur. Denn es gibt nichts zu zensurieren. Denn beide Bewegungen sind Anti-geistig. Die Materie fehlt. Sie üben auch die Zensur nur gegen Autoren aus dem Auslande aus. 얍 1.) Die Zensur. 2.) Der Begriff des Schriftstellers. 3.) Die echte und die falsche Würde. 4.) Die Marlitt wird modern. 5.) Was ist Menschlichkeit? Verständnis und Verzeihung für die kleinen Schweinereien. Hass gegen die Grossen. (Heute ist es umgekehrt.) 6.) Sport. (Bilder) 7.) Der letzte Ritter. (Verlust der Ritterlichkeit) 8.) Das Gewissen. 9.) Die misshandelte Vernunft. (Die vornehmste Aufgabe des Schriftstellers ist es vernünftig zu sein. Ich könnte mir die Definition leicht machen, indem ich sage: vernünftig ist, wer klar ist . Aber die Klarheit ist heut unbeliebt. Und so komme ich am Ende wieder zum Anfang zurück: zur Zensur. Aber es gibt nur eine wahrhafte Zensur: das Gewissen! Und das dürfen wir nie verlassen! Auch ich habe es verlassen, habe für den Film z.B. geschrieben wegen eines neuen Anzugs und so. Es war mein moralischer Tiefstand. Heut hab ich noch eine Krawatte davon. Und die Pflicht der Anderen ist, seine Bücher zu kaufen – jawoll, seine Bücher, denn sonst bleibt ihm nichts anderes übrig, als in Schönheit zu sterben, nämlich zu verhungern.) 얍 10.) Wir leben in einer Zeit, in der ein grosser Teil der Welt von Verbrechern und Narren beherrscht wird. B

N

B

5

Lesetext

N

B

N

10

B

15

B

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 2v

N

N

B

N

20

BN

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B

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N N

11.) Das Ziel jedes Staates ist die Verdummung des Volkes. Keine Regierung hat ein Interesse daran, dass das Volk gescheit wird. Also steht jede Regierung in Feindschaft gegen die Vernunft, nämlich gegen die Vernunft der Anderen. Die Regierung ist umso stärker, je fester sie darauf schaut, dass das Volk verdummt wird. 12.) Und das Volk will nur hören, dass es wichtig ist. – – – B

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B

N

B

1 2 6–7 13 15 17–18 22 22–23 29 29 33 36

N

B

[seine Schwäche] [|die {F}|]|das Nichterinnertwerdenwollensein|

B

eingefügt

das NichterinnertwerdenwollenseinN ] erN ] BSie f aus.N ] BSchweinereien.N ] B(Heute f umgekehrt.)N ] BDer f Ritterlichkeit)N ] BN] BAber f unbeliebt.N ] Bsterben f verhungern.)N ] Bverhungern.)N ] BDas ZielN ] Bverdummt wird.N ]

\Sie f aus./ korrigiert aus: Schweinereien

[6.] |(Heute f umgekehrt.)| [Der f Ritterlichkeit)] [(nicht immer noch verständnisvoll sein)] [Aber klar sein heisst] |Aber f unbeliebt.| sterben[.]|,| \nämlich f verhungern.)/ korrigiert aus: verhungern. korrigiert aus: Die Ziele verdummt[.]|wird.|

113

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 3

Fragm. Fassung Was soll ein Schriftsteller…



TH12/TS1 (Korrekturschicht)

Der Sport ist eine internationale Reaktion auf die Röllchen. B

Lesetext

N

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 3v

× Der Sport ist auch ein Fundament zur Entwicklung der Individualität. Aber es ist eine völlig ungeistige Individualität. B

5

N

× 10

15

Die Arten des Sportes: Zuschauer und Aktive Die Liebe zur Missgeburt 얍 (Früher zum buckligen Geistigen) (Jetzt zum geraden Idioten) 얍 13.) Was hat die Beseitigung der Arbeitslosigkeit mit dem Kampf gegen die Vernunft zu tun? Die Antwort ist etwas kompliziert, aber sie fällt nicht schwer: sie hat eigentlich nichts damit zu tun. Uneigentlich alles. Der Begriff des Uneigentlichen. Der Schriftsteller ist kein Individualist. Aber: nur Freude und Erfolg, d.h. Geldverdienen – das geht nicht! Damit versündigt er sich gegen sein Talent. Und die Sünde gegen das Talent, das endet in der Hölle des Stumpfsinns. Er wird alt und nichts. Seine Kinder werden Idioten. Verantwortung, d.h. nichts anderes, wie einfach ausgedrückt: Gewissen. B

N

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B

N

25

B

(Ich weiss nicht, was ein Schriftsteller von den Zeitungen hat?! Von der Reklame?!)

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 5 17–19 22–24 27

[Röllchen.] |Röllchen.| (1) ein (2) auch ein BDie f Uneigentlichen.N ] [XXX] |Die f Uneigentlichen.| BUnd f Idioten.N ] \Und f Idioten./ B(Ich f Reklame?!)N ] [(Ich f Reklame?!)] B B

Röllchen.N ] auch einN ]

114

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 4

ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 4v

Lesetext

TH13:

115

Fassung ()



TH13/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

D ER G ORILLA (als Prolog) Die Tiere haben durch die Menschen ebenfalls das Paradies verloren. Protest dagegen, dass die Menschen von den Affen abstammen. Es ist vielleicht grotesk, in einer Zeit, die wie die , in der ich lebe, unruhig ist, und wo niemand weiss, was morgen sein wird, sich ein Programm im Stückeschreiben zu stellen. Trotzdem wage ich es, obwohl ich nicht weiss, was ich morgen essen werde. Denn ich bin überzeugt, dass es nur Sinn hat, sich ein grosses Ziel zu stecken . Zur Rechtfertigung und Selbstermunterung. – Ich habe in den Jahren 1932–1936 verschiedene Stücke geschrieben, sie sind, ausser zweien, gespielt worden, und zwar, wie man so zu sagen pflegt, mit Erfolg, ausser einem. Diese Stücke ziehe ich hiermit zurück, sie existieren nicht, es waren nur Versuche: Es sind dies: Kasimir und Karoline Liebe, Pflicht und Hoffnung Die Unbekannte der Seine Hin und Her. Himmelwärts. Figaro lässt sich scheiden Don Juan kommt aus dem Krieg. Das jüngste Gericht. B

N

B

5

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N N

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Einmal beging ich einen Sündenfall. Ich schrieb ein Stück, Mit dem Kopf durch die Wand , ich machte Kompromisse verdorben durch den neupreussischen Einfluss, und wollte ein Geschäft machen, sonst nichts. Es wurde gespielt und fiel durch. Eine gerechte Strafe. So habe ich mir nun die Aufgabe gestellt, frei von Verwirrung die Komödie des Menschen zu schreiben, ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft. Es gibt nichts Entsetzlicheres als eine schreibende Hur. Ich geh nichtmehr auf dem Strich und will unter dem Titel „Komödie des Menschen“ fortan meine Stücke schreiB

N

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B

N

B

B

B

N

BN

B

B BN

1–3 4 6 7 7–8 7 8 8 9 9 9 14 22 22–23 23 23 25 26 29-117,2 29 29 29

BN

D ER f abstammen.N ] dieN ] BN] BN] Bsich f stecken.N ] BZielN ] BsteckenN ] BSelbstermunterung. –N ] BN] B1932–1936N ] BN] BLiebe f HoffnungN ] BIchN ] BMit f WandN ] Bverdorben f Einfluss,N ] BneupreussischenN ] BN] BVerwirrungN ] Bwill f ist.N ] BN] BN] BfortanN ] B B

N

B

N

\D ER f abstammen./ korrigiert aus: der [materiell nicht gebettet bin und] [einen] [grosses zu] |sich f stecken.| [Programm] |Ziel| [stellen] |stecken| [Ermu] [|Selbstermunterung.|] |Selbstermunterung. –| [letzten] [folgende] |1932–1936| [die ich hiermit alle verleugne;] [Glaube] |Liebe f Hoffnung| [Da] |Ich| [„Das ewige Leben“] |Mit f Wand| \verdorben f Einfluss,/ [{deutschen}] |neupreussischen| [Gerechtes {In}] [Ver] |Verwirrung| \will f ist./ [So] [{ich}] \fortan/

116

N

ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6

Fassung ()

TH13/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

ben, eingedenk der Tatsache, dass im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel , nur im einzelnen eine Komödie ist. BN

2 2

BN

BN BN

] ]

N

[nur] [ist]

117

Lesetext

118

Lesetext

Lyrik

119

Lesetext

120

Lesetext

L1: Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte

121

Fassung Luci in Macbeth



L1/TS1 (Korrekturschicht)

Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte von Ed. v. Horváth

10

„So sieht der ‚liebe‘ Luci aus Der in Belgrad ist zuhaus.“ Da packt dich schon ein kalter Graus Und du reißt schleunigst aus. Doch lieber Leser bleibe hier Aus Lucis Leben muß ich dir Eine Schauergeschichte erzählen:

15

Der Luci war zwölf Jahre alt Als er schon ganz saukalt In „Macbeth“, „Hamlet“ usw. Hat gehen wollen ganz heiter.

5

B

Lesetext

ÖLA 3/W 205 – BS 72 c, Bl. 1

N

Da kaufte ihm ein Billet Der „liebe“ Papa für „Macbeth“ 20

Um Punkt Sieben die Vorstellung begann Der Luci vor Neugierde zerrann . B

B

N

N

Und endlich als es losging Der Luci zu heulen anfing. 25

얍 Weil auf der Bühne – oh schauerig Drei Hexen jodelten fürchterlich

30

ÖLA 3/W 205 – BS 72 c, Bl. 1v

Der Luci wußte nicht wie es kam Als ihm die erste Träne rann B

N B

N

Die Hexen jodelten immerzu fort Dem Luci schien es nicht geheuer am Ort 35

Und als endlich das erste Bild aus war Da flüchtete Luci aus dem Lokal Er rannte in einer Tour bis nach Haus „Die Vorstellung war für mich ein Graus“

40

얍 Und sogar in der Nacht Ist er oft aufgewacht.

13 20 21 30 30

saukaltN ] begannN ] BzerrannN ] BTräneN ] BrannN ] B B

ÖLA 3/W 205 – BS 72 c, Bl. 2

korrigiert aus: Sau kalt korrigiert aus: began korrigiert aus: zerann korrigiert aus: Trähne korrigiert aus: ran

122

Fassung Luci in Macbeth

L1/TS1 (Korrekturschicht)

Denn vor Geistern fürchtet er sich sehr Und Geister kamen immer noch mehr. B

5

N

In der Frühe seufzt der Luci schwer: „In ‚Macbeth‘ gehe ich nimmermehr!“ Diese Geschichte gibt dir eine Lehre: In das Theater gehören keine Zwerge! B

N

10

Ed. v. Horváth

1 7

B B

GeisternN ] gibtN ]

korrigiert aus: Geister korrigiert aus: giebt

123

Lesetext

Lesetext

124

Lesetext

L2: Glück

125

Fassung Glück

L2/TS1 (Korrekturschicht)



Glück. Ein Gedicht von Ödön Josef von Horváth



Dir: Gustl Emhardt.

Lesetext

HB 1 (1983), S. 53

5

얍 10

15

20

얍 25

35



45

HB 1 (1983), S. 55

Kann nicht mehr reden, Kann nur verstehen Ohne zu fragen Ohne zu wagen Zu sagen: – Fühle ich Dich: Mich! In meiner Hand meine Hand – Und der Frühling ist im Land –

HB 1 (1983), S. 56

Wenn ich schreibe: Schreibe ich Dir. Wenn ich schreite: Schreit ich zu Dir. Wenn ich denke: Denk ich an Dich. Wenn ich küsse: Küsse ich Dich.

30

40

Und der Frühling kommt ins Land – Nebeneinand Hand in Hand Liegen wir: Ich mit Dir, Wie in einem Traum, Unter blühendem Baum Umhüllt von der Nacht Und milder Blumenpracht.

HB 1 (1983), S. 54

Über der Welt Der Abend So liebesehnenlabend. Auf den Bergen Das Roth. In meiner Seele Der Tod.

HB 1 (1983), S. 57

Ich lag Auf einer Wiese Wie in einer Wiege Und dachte nicht –

126

Fassung Glück

얍 5

L2/TS1 (Korrekturschicht)

Und sah nicht Wie am Himmel Die Wolken Über das wogende Meer Mit Donner und Blitz Rollten. Wie Schiffe versanken, Wie Menschen ertranken –

Lesetext

HB 1 (1983), S. 58

Nur Dich Sah ich: Deine Beine, Dein Haar, Deiner Augen Paar. –

10

15

Und glücklich War ich. 20



25

40

HB 1 (1983), S. 59

Alle Gassen Sind verlassen Alle Menschen schlafen. Einsam bin ich – So ganz allein – Kann mir niemand rathen –?

30

35

Und kühler wird der Sonne Schein, Länger die Schatten: Dunkle Wolken ziehen Über fahle Matten. – Bald – Bald – Unheimlich kalt Rauscht der alte Wald. –



Wohin soll ich mich wenden? Wohin soll ich gehen? Kann ich etwas ändern An dem, das geschehen? Kann ich anders sein Als ich?! – –

HB 1 (1983), S. 60

Kannst Du lieben Mich? – 45

Ich hab meinen Vater ermordet. Meine Mutter hängte ich auf. Denn: Dich will ich nur lieben!! Du sei meine Braut! –

127

Fassung Glück



L2/TS1 (Korrekturschicht)

Doch: – wenn Du mich nicht lieben kannst So kauf mir einen Strick. Ich bind ihn dann an einen Baum Und häng mich auf damit. – B

5

N

–––––––––

4

B

BaumN ]

Baum[,]

128

Lesetext

HB 1 (1983), S. 61

Lesetext

L3: Du

129

Fassung Du



5

10

L3/TS1 (Grundschicht)

Du Wenn ich schreibe Schreibe ich Dir. Wenn ich schreite Schreit ich zu Dir. Wenn ich denke Denk ich an Dich. – Und wenn ich Dich küsse: Küßt Du mich nicht.

130

Lesetext

KW 11, S. 14

Lesetext

L4: Das Buch der Tänze

131

Fassung Das Buch der Tänze



L4/TS1

Lesetext

ÖDÖN J. M. VON HORVÁTH

Horváth 1922, o. Pag. [S. 3]

DAS BUCH DER TÄNZE 5

* 얍

D IE F OLGE

DER

T ÄNZE

Horváth 1922, o. Pag. [S. 5]

M ÄRCHEN D AS T EEHAUSMÄDCHEN P ESTBALLADE H AREM A SKET D IE P ERLE G ROTESKE : E PISODE IN C HINA

10

15

Diese Tänze wurden in Musik gesetzt von Siegfried Kallenberg.

20

얍 얍

25

Die junge Pharaonin lustwandelt auf silbernem Kiese im Parke, wo goldrote Blumen, wie staunende Augen zahmgewordener Antilopen, ihr Schreiten begleiten; wo kluge Kakadus mit prunkvollen Schleppen, wie die stolzer Königsbuhlen, im Schatten seltenartiger, breiter Kakteensträucher auf versteinerten Sphinxen schlafen; und schwanken: wie die leiswallenden Wellen des nahen Nils.

35



Und die Pharaonin hört heilige Weisen … wie ebengeweihte keusche Priesterinnen im niebetretenen Tempel der Isis wie gefangene stolze Königinnen zerfallener Reiche wie nackte brünstige Mädchen der Freude Heilige Weisen zwangen den stummen Sklaven zu tanzen.

45

Horváth 1922, S. 7 Horváth 1922, S. 9

Die schöne Pharaonin und ihr schwarzer Sklave im Parke. Die Pharaonin wie Mondschein auf erträumten Pyramiden. Der Sklave wie des Landes lange Nacht. Der Sklave und Pfauenfedern vertreiben glühendbegehrende Strahlen der langsam verschmachtenden Sonne. Die Pharaonin fühlt die ihre samtenen Haare liebkosende Luft. Und denkt an den alten Pharao, der irgendwo … Und lächelt … Und lauscht in das tiefe Schweigen der erbleichten Weiten.

30

40

M ÄRCHEN

Tanzen … bis ihr zartes Antlitz gleich einer hellen Silhouette in dunklem Grunde auf seiner schwarzen, breiten Brust ruht.

132

Horváth 1922, S. 10

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

Und der dumme Sklave fächelt … … Die junge Pharaonin lustwandelt auf silbernem Kiese. 5

* 얍

D AS T EEHAUSMÄDCHEN

Horváth 1922, S. 11

D IR , K AY C HRISTÈNSEN

10



Das Teehausmädchen erwachte … und alles lag vom Tau berauscht im Kreise, nur leise enteilte die Zeit.

Horváth 1922, S. 13

und das Teehausmädchen tanzte … und da tanzten die Wogen, die Wälder, die Wolken, die Welten … und alles spielte und sang im Kreise, nur leise enteilte die Zeit. Sieh, sogar die rote Sonne tanzt! doch schon glitt sie aus … saust hinab in endlosem Raum … Sieh, die rote Sonne starb.

15

20

Und da Mond und Sterne noch schliefen ward es ewige Nacht. Es erwachte nie wieder … Das Teehausmädchen.

25

* 30



P ESTBALLADE

Horváth 1922, S. 15

D IR , O TTO B ACHER 35

40

45



Ein Matrose steht in Kalkutta. Und eine fremde Sonne sendet so sengende Blicke auf seinen windschiefen Scheitel herab. Die rote Sonne das Cyklopenauge der tiefblauen Himmel. Unten im träggrauen Ganges ihr blasses Bild. Und weit über dem Ganges, weit über dem Meere lebt die Heimat … Grossvater baute das Haus in wiederkleingewordener Stadt … Du Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege Du Rosenfenster müde scheinen einer Alten weiße Haare durch das Grün und Rot und denkt …: Ein Matrose steht wo in der Welt …

48

133

Horváth 1922, S. 17

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

Bajadere braun und biegsam wie spielende Panther schmiegsam wie Urwald Lianen

5



10

Und Augen!! eigenartige Geschmeide heiliggepriesene Edelgesteine leuchtend in Purpur und weicher Seide … Zähne: mit Wüstensonnen kämpfende weiße Messerschneide.

Horváth 1922, S. 18

Matrose Blut bäumt, heult …: die!! Alle und Alles die Alte den Ganges den Heiland vergessen … Vergessen! … und wirft sich auf sie …

15

20

Doch Bajadere lächelt. Und er reißt sie an sich und beißt in sie … Und Bajadere ist tot.

25



Langsam, wie Kindheitserinnerungen die kranken Gehirnbänder in eines Wahnsinnigen kahlem Schädel entlanghuschen, und leise, wie in kühlen Vorfrühlingsnächten die ersten zagen Sonnenstrahlen sich in nackte Zinshausräume schleichen dämmert es in ihm… warum Alles so graugeworden warum rennt Alles im Kreise wie Silbergäule im Kreise, im Kreise, im Kreise … Grau aus dem Ganges grinst es hohle Höhlen rauben Augen Knochen zerbröckeln Fetzen gelbgrüner Haut wie entgleitende Schlangen Erbarmen! müde … … Mutter!!



Und ein Matrose starb in Kalkutta.

30

35

40

45

Horváth 1922, S. 19

Horváth 1922, S. 20

134

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

Und die Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege alt scheinen einer Mutter weiße Haare durch das grün und rot … und schaut hinaus in den Herbst und etwas würgt ihr altes Herz …: Vielleicht bis er wiederkommt bin ich schon tot.

5

*

10

얍 얍 15

H AREM Es gibt Gärten im weißen Wüstensand. Breit beschweren geheimnisvolle Gewebe die heißatmende Erde: Blüten mit glitzernden Helmen auf ernsten Köpfen; wie weithinsichtbare goldene Kuppeln heiliger Moscheen. Daneben streben gelbe und zarterbaute Minarets in den hellen Himmel hinein; lind liebkost sie der Wind; denn sie sind zerbrechlich als wären sie Glas.

Horváth 1922, S. 21 Horváth 1922, S. 23

20

Und hinter engen und vergitterten Fenstern, bewacht von fetten und dummen Eunuchen, leben Frauen ohne Schleier … liebende Blumen schlafen auf von Kaisern gebrachten Teppichen schreiten über weiche, seidene Polster spielen am Rande leislispelnder Fontänen Irgendwo tanzt eine nackte, schöne … Und irgendwo leidet eine vergessene Frau und schaut durch starke Stäbe auf einen bleichen, weit Hergereisten …

25

30

Schweigen … Schrei schrillt!! 얍 35

40

Weib weht in den Raum … Ihre kleine Brust will goldene Fesseln sprengen. Und er der Kalif in grün und gold rund wie ein Ball rollt hinterher! und hüpft vor Wut rot und eine nackte Damaszenerklinge klingt … Und der Raum hat kein Tor.

45

Weib weint im von rohen Häschern herabgerissenen Gewand krallt in die kostbar behangene Wand

135

Horváth 1922, S. 24

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

ermattetes Wild am Abgrundrand nackte Klinge klingt große Augen flehen und fragen wie hungernde Kinder an kalten Tagen Klinge klingt … Hoch hüpft der Kalif: Die Lust!

5

얍 10

Und eine singende Klinge treibt sie tanzen … und denken an langvergangene Zeiten draußen auf mondbegleiteten Heiden an den bleichen, weit Hergereisten …

Horváth 1922, S. 25

Es grinst der Allmächtige und reibt sich den Bauch. Denn sie tanzt! Und zerfällt in Stücke und umschmeichelt seine diamantenen Pantoffeln.

15

Da gleiten gelinde fette Finger in ihr langes, dunkles Haar und beugen ihr Antlitz in den glatten Nacken und er schaut in betende Augen. Und zeichnet einen dünnen roten Strich auf ihrem blassen Halse.

20

Schmunzelnd zieht er blaublutende Damaszenerklinge durch sein breites Maul, Als wärs eine feine Frucht. 25

* 얍 30

35



A SKET Einer büßt im Himalaya

Horváth 1922, S. 29

was er als König getan, der mit weicher Seide angetan in seiner Paläste Labyrinthen in Wolken heiliger Hyazinthen ging, und tausende schönster Frauen und weißer Elefanten seinem launischen Auge lauschten, und alle Dinge waren wie seine Sklaven … Einer leidet in öder Nacht, weil er vergaß, daß Einer ist, der Alles maß. Einer wartet.

40

Horváth 1922, S. 27

Wartet auf einen Morgen der da kam als träumten junge Mütter ohne Sorgen … Einer war geworden.

45

*

136

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1



Lesetext

D IE P ERLE

Horváth 1922, S. 31

F ÜR S IEGFRIED K ALLENBERG . 5



Tief …: im dunkelgrünkühlen Schoße der mächtigen Meere träumt die einsame Perle.

Horváth 1922, S. 33

Alle Abend, wenn die fahlen Strahlen des reifgewordenen Mondes auf den finsteren Fluten tanzen, erwacht die Perle und lächelt milde und blendet Alle; denn sie ist die Unberührte: lebt nicht wie ihre so jung dahinsterbenden Schwestern der Erde; die als bunte Blumen blühen.

10

Alle Abend, wenn die fahlen Strahlen des reifgewordenen Mondes auf den finsteren Fluten tanzen, starrt von verlassenen Gestaden der junge Siamese auf der Perle bleichen Bau; und träumt … wenn sie nur nicht so weit wäre wenn ich sie umarmte wenn ich sie besäße alle Herrlichkeiten der reichen Welt wären mein! wenn … wenn … …

15

B

20



N

Alle Nacht sinkt er in die schlafenden Wogen, wie ein von einem gealterten Sterne geschleuderter schwerer Stein; tastet in der Dunkelheit einem blinden Bettler gleich, der den schmalen Pfad querüber das hungernde Moor verlor. Und unten leuchtet und lockt die weiße Perle und zieht ihn immer tiefer und tiefer hinab in das Meer, in ein Grab ohne Grund. Überall kauert der Tod und lauert. Perle … Perle …

25

Horváth 1922, S. 34

30

Da Erde!!

35

Stehend auf Erde hat er die Perle mit seinem roten Netze gefangen.

40

Und er schleift sie mit sich in sein Reich; und sie muß tanzen, wie er will, immer ihm nach: durch den lauschenden Wald, über gesegnete Fluren, durch die funkelnde Stadt, hinauf auf die eisumbrandeten Berge… tanzen auf seiner 얍 werdenden Welt jauchzende Melodein! Denn er hat die Perle gefangen!

45

Breitet am Höchsten der nebelbefreiten Gefilde die Arme aus und will in die Welt schreien …: Glück!! 18

B

besäßeN ]

korrigiert aus: besässe

137

Horváth 1922, S. 35

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

… doch da er die Hände erhob, ließ des roten Netzes Ende los und die Perle schält sich daraus und stülpt sein rotes Netz über sein Haupt … 5

Und der Fischer muß tanzen, wie sie will, immer ihr nach: von den Gott erstrebenden Höhen herab, durch den weinenden Wald … in das erboste Meer. Grau steigt es vor ihm empor …: Das Nichts.

10

Und der Fischer bohrt die Fersen in den gelben Sand am Strand und bäumt sich auf … und beißt in die roten Seile und fleht sie an. Und betet. Doch die Götter bleiben taub.

15



Denn er ist von der Perle gefangen. Und am Morgen ist er tot. Verwest in seinem roten Netze.

Horváth 1922, S. 36

Tief … im dunkelgrünkühlen Schoße der mächtigen Meere träumt die einsame Perle.

20

* 25



E PISODE

IN

C HINA

Horváth 1922, S. 37

G ROTESKE 30

35



Nacht, laue, blaue Nacht. Südchinesische Märchenpracht. Erbebende Pfirsichblüten berauschen über schweigende Teiche auf schwebenden Stegen als Lampionen tastende Dämonen. Kleine Chinesin ergraute … denn ein kleiner Mandarin wartet in dunkeler Nacht. Was will wohl ein kleiner Mandarin …?

40

45

Mond und kleine Chinesin trippeln dahin … Wohin …? weint ein kleiner Mandarin allein in dunkeler Nacht. Mitternacht. Mitternacht. Traurig lacht dreht dann sacht langen Zopf um unter Kinn

138

Horváth 1922, S. 39

Fassung Das Buch der Tänze

L4/TS1

Lesetext

ein kleiner Mandarin. 얍 5

10

Einmal. Zweimal. Dreimal. Zunge quillt grün heraus. Alle Lampionen sterben aus.

Horváth 1922, S. 40

Nacht, laue, blaue Nacht. Südchinesische Märchenpracht.

*

139

Fassung Pestballade



10

15

P ESTBALLADE

25



Matrose Blut bäumt, heult …: die!! Alle und Alles die Alte den Ganges den Heiland vergessen … Vergessen! … und wirft sich auf sie …

KW 11, S. 232

Doch Bajadere lächelt.

40

45

KW 11, S. 231

Bajadere braun und biegsam wie spielende Panther schmiegsam wie Urwald-Lianen Und Augen! leuchtend wie Geschmeide auf purpurner Seide … Zähne: mit Wüstensonnen kämpfende weiße Messerschneide.

20

35

Lesetext

Ein Matrose steht in Kalkutta. Und eine fremde Sonne sendet so sengende Blicke auf seinen windschiefen Scheitel herab. Die rote Sonne das Cyklopenauge der tiefblauen Himmel. Unten im träggrauen Ganges ihr blasses Bild. Und weit über dem Ganges, weit über dem Meere lebt die Heimat … Großvater baute das Haus in wiederkleingewordener Stadt … Du Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege Du Rosenfenster müde scheinen einer Alten weiße Haare durch das Grün und Rot und denkt …: Irgendwo steht ein Matrose in der Welt –

5

30

L4/TS2

Und er reißt sie an sich und beißt sie … Und Bajadere ist tot. Langsam, wie Kindheitserinnerungen die kranken Gehirnbänder in eines Wahnsinnigen kahlem Schädel entlanghuschen, und leise, wie in kühlen Vorfrühlingsnächten die ersten zagen Sonnenstrahlen sich in nackte Zinshausräume schleichen dämmert es in ihm … warum Alles so graugeworden warum

140

Fassung Pestballade

L4/TS2

rennt Alles im Kreise wie Silbergäule im Kreise, im Kreise, im Kreise … Grau aus dem Ganges grinst es hohle Höhlen rauben Augen Knochen zerbröckeln Fetzen gelbgrüner Haut wie entgleitende Schlangen Erbarmen! müde … … Mutter!! Und ein Matrose starb fern …

5

10



B

KW 11, S. 233

N

Und die Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege alt scheinen einer Mutter weiße Haare durch das grün und rot … und schaut hinaus in den Herbst und etwas würgt ihr altes Herz …: Vielleicht bis er wiederkommt bin ich schon tot.

15

20

13

B

fernN ]

Lesetext

korrigiert aus: Fern

141

Fragmentarische Fassung (Harem)



L4/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

Es gibt Gärten im weißen Wüstensand. Breit beschweren geheimnisvolle Gewebe die heißatmende Erde: Blüten mit glitzernden Helmen auf ernsten Köpfen; wie weithinsichtbare goldene Kuppeln heiliger Moscheen. Daneben streben gelbe und zarterbaute Minarets in den hellen Himmel hinein; lind liebkost sie der Wind; denn sie sind zerbrechlich als wären sie Glas.

5

B B

Im Käfig von dummen Eunuchen bewacht schlafen des Kalifen hundert Frauen BN

B

N

B

N

N

B N

10

B B

oder spielen mit erbeuteten Altartüchern über weiche seidene Polster. Oder glotzen durch starke Stäbe in den Himmel N

BN

N

15

B

Schweigen – Da: ein Schrei! NN

\Abbruch der Bearbeitung\

8–18

B

Im f Schrei!N ]

8 8 8 9 10 11 11 12

BN

] dummenN ] BbewachtN ] BschlafenN ] BN] Boder f mitN ] BN] Büber f Polster.N ]

17–18

B

B

Da f Schrei!N ]

[[Und] |Und| hinter engen und vergitterten Fenstern, bewacht von fetten und dummen Eunuchen, leben Frauen ohne Schleier … [liebende Blumen] schlafen auf von Kaisern gebrachten Teppichen schreiten über weiche, seidene Polster spielen am Rande leislispelnder Fontänen [Irgendwo tanzt eine nackte, schöne …] [Und irgendwo leidet eine vergessene Frau und schaut] |Oder {sch} glotzen| durch starke Stäbe [auf einen] |in [einen] |die| [bleichen, weit Hergereisten …] |Himmel –| Schweigen… Schrei schrillt!!] |Im f Schrei!| [bewacht] [dummfetten] |dummen| korrigiert aus: \bewachen/ [leben] |schlafen| [schlafen auf von Kaisern gebrachten Teppichen] [schlafen] |oder spielen| [auf] |mit| [\und{B }/] [[spielen] |schlafen| am Rande [{rauschender}] [|der|] |einer {irrdischen}| Fontäne[n]] |über f Polster.| [{Schrei!}] [|{ }|] |Da f Schrei!|

142

Fotografie in ÖLA 84/SL 7

Lesetext

L5: Hoffmaniade, eine Tanzgroteske

143

Fassung Hoffmaniade, eine Tanzgroteske



L5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Hoffmaniade, eine Tanzgroteske.

BSB, NL Siegfried Kallenberg, Mss. 7822 [Beilage], Bl. 1

B N

Vorspiel. Scene vor dem Vorhang. Gedämpfte Bühnenmusik. Links vor dem Beschauer ein Kellner in schemenhafter Beleuchtung.

5

1. Auftritt. Tanz der fabelhaften Frau mit ihrem Cavalier. Am Schluß dieses Tanzes hört man wieder die Bühnenmusik, Frau und Tänzer verschwinden hinter dem rechten Vorhang, während sich die Vorderbühne verdunkelt. BN

B

N

B

10

N

1. Bild. Ein Vergnügungslokal. Man sieht Gesellschaft , tanzende Paare, Gläserklingen. Es treten nacheinander auf: Vier Solotänzerinnen, eine alte Blumenfrau, der Tod, die Spiegelbilder des zweiten Cavaliers. Nach den Solotänzen graue Uebergangsstimmung, dann die fabelhafte Frau mit ihrem Tänzer, Wiederaufleben der Tanzstimmung. Plötzlich Trompetenfanfaren … alles steht wie erstarrt. Die uralte Blumenfrau tritt auf, das Licht im Raum wird immer schwächer, nur die Tische der Cavaliere bleiben beleuchtet. (Die Spiegelbilder verkörpern die vier Lebensalter des Cavaliers). Im Hintergrund der Tod. Stummes Spiel zwischen Frau, Cavalier und dem Spieler. Wie sich der erste Cavalier auf den Spieler stürzen will, erhebt sich der Tod und schlägt den Cavalier nieder. Tod und Spiegelbilder verschwinden im Tumult. Die Frau lächelt dem Cavalier zu und bittet ihn, wieder zu spielen. Leidenschaftlich bewegte Musik zu der Mimik des Spielers und der Frau. Spieler bricht plötzlich die Musik ab und stürzt sich auf den Cavalier der fabelhaften Frau. Unter allgemeinem Tumult fällt der Vorhang. BN

B

N

B

15

B

N

B

20

B

N

B

B

25

N

N

N

N

B

B

30

N

2 . Bild. Straße vor dem Lokal, Passanten. Der Spieler kommt, setzt sich und wartet. (Diese Scene kann sich auch wie im Vorspiel vor dem Vorhang abspielen.) Zwei Tänzerinnen gehen nacheinander vorüber. Dann die Blumenfrau. Der Tod kommt mit seinem Cavalier. 얍 Die fabelhafte Frau mit ihrem Cavalier. Sie verliert eine große MargueriN

BN

B

N

B

2 8 9 10

BN

] ] BfabelhaftenN ] BBühnenmusik, FrauN ]

13 14 15 16 20 21 21 22 26 29 29 32 33–145,1

BN

BN

] GesellschaftN ] BalteN ] BzweitenN ] BvierN ] BImN ] BSpiel zwischenN ] BersteN ] BallgemeinemN ] B2N ] BN] BnacheinanderN ] BMargueriteN ] B

Leerzeile eingefügt Absatz eingefügt korrigiert aus: fabelhafte korrigiert aus: Bühnenmusik,Frau unregelmäßige Zeichenabstände werden in L5/TS1 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. Absatz eingefügt korrigiert aus: Gesllschaft korrigiert aus: altee korrigiert aus: 2. korrigiert aus: 4 korrigiert aus: Jm

Spiel\ /zwischen korrigiert aus: 1. korrigiert aus: allgemeinen korrigiert aus: 3 Absatz eingefügt korrigiert aus: nacheinader korrigiert aus: Margaruite

144

Mss. 7822 [Beilage], Bl. 2

Fassung Hoffmaniade, eine Tanzgroteske

L5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

te , die der Spieler aufhebt und an sich drückt. Gebärde der Verzückung, ekstatischer Tanz. Ein Polizist tritt auf, Spieler flieht, vom Polizisten verfolgt, beide verlieren sich im Dunkel der Scene. N

145

Lesetext

146

Lesetext

L6:

147

Fassung ()



L6/TS1

Schlaf meine kleine Braut

Lesetext

KW 11, S. 41

Schlaf, meine kleine Braut, ich will dich in meinen Armen halten wie Gott die Gebete einsamer Menschen. Schlaf, meine kleine Braut, geh in Märchenseide und lebe im Reiche dunkler Mittsommerträume und schau in der hohen Himmel Blau und wenn du vorübergehst an den heiligen Hainen so denke an mich.

5

10

Schlaf, meine kleine Braut und ich weiß, wenn ich über dein Haar streiche, so hältst du Hochzeit mit dem Märchenkönig. Schlaf meine kleine Braut, und er wird dir nichts tun, der böse Mann denn ich bin bei dir. Schlaf nun – – du – –

15

20



Sehnsucht

KW 11, S. 42

Durch meines Lebens graue Gasse geht das Nimmervondirlassen geht das Nimmervondirlassen und singt und singt so leise uralte Weise und summt und verstummt und weint wie Heimweh und es gaffen die grauen Gassen Wer bist du Nimmervondirlassen?

25

30



Ständchen

35

O liebes Nachtwächterlein, schlafe bitte bald ein Schau die Nacht wurde blond Nur es wachet der Mond Und der lacht in die blaublonde Nacht. O Augen liebes Geliebtchen bete zur heiligen Zain es wolle aus sein dein Kummerlein und wiege uns ein wie in einem daheim

40

BN

45

42

BN

]

unlesbarer Text im Original, in KW 11 mit […] markiert

148

KW 11, S. 43

Fassung ()

5

L6/TS1

O liebes glaub wie der Tag dann graut dann lausche laut wecke mich und meine Braut damit nur niemand zuschaut damit nur niemand etwas glaubt O liebes Nachtwächterlein schlafe, schlafe bald ein.

149

Lesetext

Lesetext

150

Lesetext

L7: Lieder zum Schlagzeug

151

Strukturplan in drei Teilen Lieder zum Schlagzeug

152

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Lesetext Bl. 1

Strukturplan in drei Teilen Lieder zum Schlagzeug

153

L7/E1

Lesetext

Fassung „Still!“



Still! Ein Etwas steppt durch das All Und sucht sein Ideall – stepptepptepptepp – stepp – Tepp. Bambum! Steppteppstepptepp Ein Etwas steppt durch die Welt Ohne Hirn ohne Geld Stepptepptepptepp – Stepptepptepptepp Ohne Melodie Zappelen die Knie Kikiriki! Bumbum!! Pst!

B B

B B

5 B B

10

B

N

N

1–15

1 3 4 4 6 7 7 12 15

B

N

N

N

B

N

N

N

B

Still! f Pst!N ]

Still!N ] UndN ] BsteppteppteppteppN ] BsteppN ] BSteppteppsteppteppN ] BEinN ] BdurchN ] BZappelenN ] BN] B B

Lesetext

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1

N

B N

15

L7/TS1 (Korrekturschicht)

[Der langen Rede kurzer Sinn: ein Stepptänzer hat sich {erschossen} Da er] [|Ein|] |O| [|Seht doch den uralten Mann Hinten und vorne nichts {daran} Nichts dran, Nichts dran, dran, dran, {dradra}! \Ohne Sinn/ \{ } Stille/ Seht wie er grinst\,/ [[und] |wie er| tanzt] |Oh der Tanz,|] [|Halt Dein Maul Dummer Gaul –|] [|Ich suche ein Ideal ralralralral –|] [|Es sucht ein Ideal Wohin? Wohin?|] [|General! {Schütz} unser Ideal! [{ }] |Und| [D]|d|ie Moral!|] |Still! f Pst!| Still[!]! [{U}] [|{Es}|]|Und| [S]|s|tepptepptepptepp stepp[t] [Bu] |Steppteppstepptepp| [Ein] |Ein| [über] |durch| Zappel[{ }]|en| [Pst!]

154

Fassung „Wie er lacht hinten in der Loge…“

얍 B

L7/TS2 (Korrekturschicht)

II. Wie er lacht hinten in der Loge sieben als wäre alles stehen geblieben Die Zeit, und alles. Nur, wenn die Toilettefrau drüben erscheint, so wird er ernst – N B

N

B

5

N

3 3 5–6

alsN ] wäreN ] Bdie f ernst –N ] B B

[{Nächs}] |als| [{würd}] |wäre| [Der Stepptänzer {Erschein}] |die f ernst –|

155

Lesetext

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1

Fassung „Ohne Hirn ohne Geld“



B

5

B

10

L7/TS3 (Korrekturschicht)

Ohne Hirn ohne Geld – Stepptepptepptepp – Stepptepptepptepp – N

Nach jeder Melodie Zappeln seine Kniee Ob Neger, ob Indianer Ob Jud ob Mohammedaner – Ob Christ, ob Tibetaner – Fragen all: General! Wo bleibt die Moral?! – Stepptepptepptepp – Stepptepptepptepp – N

1

B

Ohne f Geld –N ]

9–11

B

Fragen f Moral?!N ]

[Ein Stepptänzer steppt über die Welt Er hat] [weder] |Ohne| Hirn [noch] |ohne| Geld – [General! Wo bleibt die Moral?!] |Fragen f Moral?!|

156

Lesetext

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1v

Fassung Knie. Melodie



L7/TS4 (Korrekturschicht)

Knie. Melodie

5

B

B

10

B

8 10 11 11

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1v

Einer steppt über die Welt Ohne Hirn ohne Geld. Stepptepptepptepp – Stepptepptepptepp Nach jeder Melodie Zappeln seine Knie Kikiriki! Und ob Neger, Indianer Christ oder Mohammedaner Jud oder Tibetaner Fragen all: General! Wo bleibt die Moral?! N

N

N B

N

Kikiriki!N ] ChristN ] BJudN ] BoderN ] B B

Lesetext

[Ob Neger] |Kikiriki!| [Jud] |Christ| [Ob Christ] |Jud| [{oder}]|oder|

157

Fassung in drei Teilen



L7/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

I.

B B

5

B B B

10

B

15

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 2

Bambum! Steppteppteptepp Ein Tepp durchsteppt die Welt Ohne Hirn. Ohne Geld. Steppteppteptepp Steppteppteptepp Sieh! – ohne Melodie Zappelen die Knie! Kikiriki!! Bambum!!! Pst! –––– – eine Seele steppt ins All Und sucht sein Ideal – Pst – : – stepptepptepp – stepptep – tep – N

N

N N

N

N

B

N

B

N

20



B

II.

N

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 2v

B N B N

25

Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiss B

N

B N B N B

Mir Blüte von Arkansas mir wurd noch niemals heiss. N

4 5

B

7 8 9 15 15 18 22 24

B

25 25 26

BN

27 27

BN

B

StepptepptepteppN ] Ein f WeltN ]

StepptepptepteppN ] StepptepptepteppN ] BSieh!N ] B– eine SeeleN ] BinsN ] B– tep –N ] BII.N ] BN] B

] stand f meinerN ] BN] B

B

] MirN ]

Stepptepp[tepptepp]|teptepp| [Ein Etwas] [|Ein\e/| [|Tepp|] [|Seele|] |Ein Tepp| [steppt [durch] |quer| die Welt] |durchsteppt f Welt| Steppteppte[pptepp]|ptepp| Stepptepp[tepptepp]|teptepp| Sieh[?]|!| [Ein]|– eine| [Etwas] |Seele| [durch das] |ins| [– der \{gute}/ Tepp – tep –] |– tep –| [Hahaha] |II.| [Hahaha Hohoho Hihihi] [|Noch ist es nicht Nacht Noch Noch liegen die Fernen Mein Herz trank Noch bist Du schön. Noch singst Du dort droben|] gestrichen: 1.) [stand au] |stand auf| [{Deiner}] |[D]|m|einer| [Du Mädchen aus] [[|Du {kitschiges} Gestirne|] [Noch bist Du keine Dirne, Du süsses {Reis} Noch bist Du das war ich {weiss}] gestrichen: 2.) [Du] |Mir|

158

Fassung in drei Teilen

L7/TS5 (Korrekturschicht)

Noch bin ich unberühret in reiner Kitschigkeit Noch hat mich nicht verführet weder Mann noch Maid keitheit – keitheit – B

1

B

reinerN ]

N

[all meiner] |reiner|

159

Lesetext

Fassung in drei Teilen



L7/TS5 (Korrekturschicht)

II.

ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 2v

Rrrrrr – Rollerolle Wollewolle

5

B N

Rrrrr – B N

6 8

Lesetext

BN BN

] ]

[–] [{Gleit}]

160

Fragm. Fassung Lieder zum Schlagzeug



B

L7/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

Lieder zum Schlagzeug. Worte und Musik von Ödön von Horváth . N

B

N

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 1

I. 5

10

15

Bambum!! Stepptepptepptepp Ein Tepp durchsteppt die Welt. Ohne Charm. Ohne Geld. Stepptepptepptepp Stepptepptepptepp Sieh --- ohne Melodie Zappelen die Knie! Kikiriki!! Bambum!!! Pst! --- --- --eine Seele steppt ins All sie sucht ein Ideall Pst --: --- stepptepptepp --- stepptep --- tep --- ---

B N B

20



N

II.

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 2

Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiss Mir Blüte von Arkansas mir wurd noch niemals heiss. Ja, sexueller Schweiss sexsexsexsex uelluell uell Well!

25

B N

BBN

N

30

B N B B B

Noch heit – Noch heit. Erst neulich beim Fünfuhrtee Traf ich die Fünfhurfee Ja, Fee Ja, Fee Cafè Cafè ---N

N

BN

N

B

35

1 2 18 19 26 27 27–30

B

Lieder f Schlagzeug.N] HorváthN ] BN] BsieN ] BN] BN] BJa f Well!N ]

31 32 33 33 34 35

BN

B

] Noch f heit.N ] BErstN ] BN] BTraf ichN ] BCafèN ] B

N

[L i e d e r z u m S c h l a g z e u g .]|L i e d e r f S c h l a g z e u g .| Horv[a]|á|th [---] [S]|s|ie gestrichen: \1./ gestrichen: \2.)/ [Noch hat mich nicht [verführet] [|betastet|] weder Mann noch Maid Noch leb ich un[berühret] in rein[er] Kitschigkeit.] |Ja f Well!| [Ja, keit keit!] [\{ }/] |Noch f heit.| [Doch] |Erst| [sass ich] [Da] [[v]|V|erführte mich] |Traf ich| [Tee] |Cafè|

161

Fragm. Fassung Lieder zum Schlagzeug

Sie biss mir in den Popo Doch ich winkte dem Picolo: Krach!! Da wurd ich schwach (ach!) B

B

L7/TS6 (Korrekturschicht)

N

N

B N B

5

B

Doch ich winkte nun dem Portier Und sprach: „Mein Herr!“ Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller N

B

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 2 4 5 6–7

B

den PopoN ] Doch f Krach!!N ] BN] BDoch f PortierN ] BUnd f sexuellerN ]

7

B

B

StirneN ]

[das Knie] |den Popo| \Doch f Krach!!/ [Krach!!] \Doch f Portier/ [\Und daaaan –: Dann/] |Und [{sehr}] |sprach: f sexueller|| eingefügt

162

Lesetext

Fassung „Noch stand auf meiner Stirne…“



5

10

L7/TS7 (Grundschicht)

Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiss Mir Blüte von Arkansas mir wurd noch niemals heiss. Ja sexueller Schweiss --sexsexsexsexsex uelluelluelluell Well! Noch hat mich nie betastet weder Mann noch Weib Noch leb ich unbelastet in reiner Kitschigkeit. Noch heit.

163

Lesetext

ÖLA 3/W 250 – BS 72 d [4], Bl. 1

Fassung Aerotisches Barmädchen



B

L7/TS8 (Korrekturschicht)

Aerotisches Barmädchen.

Lesetext

N

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 4

Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiss. Denn es ist nicht nur heiss Sondern --- Gott weiss! Man trinkt Whisky, Cognak und Wein Und wahrlich: die Ly ist ein Schwein Wälzt sich rülpsend und --- sieh! Beisst ihrem Kavalier ins Knie. Dies ist zwar nicht fein. Doch manchmal muss man schon unkeusch sein --Oder zumindest so tun Als wär man ein läufiges Huhn. Als wär man von jedem Jüngel betört Als hätt man noch nie was von Lues gehört – Kusch! – Ich werde nicht sentimental. Nur radikal! Nur radikal! B

5

B

B

10

N

N

B

B BN B

15

N

N

N

B N

N

1

B

Aerotisches Barmädchen.N]

4 9 10 12 15–18

B

Schweiss.N ] rülpsendN ] BihremN ] BschonN ] BAls f radikal!N ]

15 15 16

BN

B

] Als wärN ] BN] B

[[Un]|A|e r o t i s c h e s B a r m ä d c h e n . ] |A e r o t i s c h e s B a r mädchen.| Schweiss\./ [dekolletiert] |rülpsend| ihre[n]|m| [doch] |schon| [[Denn] |„Und| Mutter [hatt zwölfmal Empfängnis] |ist stark in Bedrängnis.|] [[Und] |„Denn| Vater sitzt wiedermal im Gefängnis.] (1) |So ist das Leben. Nun eben – [Gröhlt nicht! Grinst nicht!]| [[Ich glaube --- :] [|Doch gröhlt nicht!|] |Kusch!| [i]|I|ch werde [gar] |nicht| sentimental\!/ [---] [Oh, könnt ich immer nur sagen: das [n]|N|ächstemal.] [|Oh leckts mich am Arsch allemal.|] [\ /] |Nur radikal! Nur radikal!|] (2) 2.) Als hätt man [nichts von {Keu}] |noch nie was von Lues gehört –| |1.) Als wär man von jedem Jüngel (1) betört (2) [\{entzück}/] [–] Kusch! [–] |–| Ich werde nicht sentimental. Nur radikal! Nur radikal!| gestrichen: 1.) korrigiert aus: Als wär gestrichen: 2.)

164

Fassung Aerotisches Barmädchen



L7/TS9 (Grundschicht)

Lesetext

Aerotisches Barmädchen.

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 5

Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiss Denn es ist nicht nur heiss Sondern --- Gott weiss Man trinkt Whisky, Cognak und Wein Und wahrlich: die Ly ist ein Schwein Wälzt sich rülpsend und --- sieh! Beisst ihrem Kavalier ins Knie. Dies ist zwar nicht fein, Doch manchmal muss man schon unkeusch sein Oder zumindest so tun Als wär man ein läufiges Huhn. Als wär man von jedem Jüngel betört Als hätt man noch nie was von Lues gehört --Kusch! --- Ich werde nicht sentimental . Nur radikal! Nur radikal!

5

B

N

B

10

N

B

15

N

B

N

20

Ödön von Horváth.

6 10 13 17

B

korrigiert aus: weis

B

weissN ] KavalierN ] BsoN ] BsentimentalN ]

Kava[r]|l|ier korrigiert aus: s

sentimental[{ }]

165

Fassung A-erotisches Barmädchen



B

L7/TS10 (Korrekturschicht)

A-erotisches Barmädchen.

N

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 3

Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiss Denn es ist nicht nur heiss Sondern --- Gott weiss! Man trinkt Whisky , Cognak und Sekt Allmählich wird alles bedreckt Ria rülpst, Schulze kotzt Draussen wird Lu vom Kellner gefotzt Während Annette, das arme Vieh Beisst ihrem Kavalier ins Knie Dies ist zwar nicht fein Doch manchmal muss man schon unkeusch sein Oder zumindest so tun Als wär man ein läufiges Huhn Als wär man von jedem Krüppel betört Als hätt man noch nie was von Lues gehört --Kusch! Ich werde nicht sentimental Nur radikal! Nur radikal!

5

B

N

B

N

B

10

15

20

1 7 8 10

A-erotisches Barmädchen.N ] WhiskyN ] BallesN ] Bvom KellnerN ] B B

Lesetext

N

[A-erotisches Barmädchen.]|A-erotisches Barmädchen.| Wh[y]|i|sk[i]|y| korrigiert aus: Alles vo[n]|m| [Emil] |Kellner|

166

Fassung A-erotisches Barmädchen



L7/TS11 (Korrekturschicht)

Lesetext

A-erotisches Barmädchen.

ÖLA 3/W 247 – BS 72 d [2], Bl. 1

Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiss Denn es ist nicht nur heiss Sondern --- Gott weiss! Man trinkt Whisky, Cognak und Sekt Allmählich wird alles bedreckt Ria rülpst, Emil kotzt Am Klo wird Lu vom Kellner gefotzt Während Lyette, das arme Vieh Beisst ihrem Kavalier ins Knie Dies ist zwar nicht fein Doch manchmal muss man schon unkeusch sein Oder zumindest so tun Als wär man ein läufiges Huhn Als wär man von jedem Krüppel betört Als hätt man noch nie was von Lues gehört Kusch! Ich werde nicht sentimental. Nur radikal! Nur radikal!

5

B

10

15

20

N

Ödön von Horváth . B

8 23

B B

allesN ] HorváthN ]

korrigiert aus: Alles

Horv[a]|á|th

167

N

Lesetext

168

Lesetext

L8: Litanei der frommen spanisch Feuer Leut

169

Fassung Litanei der frommen…



L8/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

Litanei der frommen spanisch Feuer Leut

ÖLA 3/W 249 – BS 72 e, Bl. 1

Jene Seuche, die Ende 1500 aus der neuen Welt nach Europa schlich, nannte das Volk „spanisch Feuer“ --- weil sie als Erster ein spanischer Matrose in die Frauenhäuser pflanzte.

5

Herr, hie fleht vermaledeites Kraut Mit Frass und Krebs gar wohl vertraut Der Eiter knospet aus der Haut Von Geschwür und Geschwulst überblaut --Herr, hie flehen Verbannte heut. Herr, hörst Du uns spanisch Feuer Leut?

10

B

N

15

Nie schien uns der Tag zu grell Wir soffen immer im Bordell Und griffen den Weibern ins Gestell Doch die Sonnen schwanden gar schnell --Und Niemand, der uns betreut. Herr, hörst Du uns spanisch Feuer Leut?

20

B

N

Herr, was wir auch immer begannen --Siehe, wir sind ja nur mehr Schrammen Die immererblühend sich selber verdammen. Herr, erlöse uns Menscher und Mannen Jeder von uns bereut. Herr! Höre uns spanisch Feuer Leut!

25

B

N

B

N

30

Ödön von Horvath.

14 21 28 28

Leut?N ] Leut?N ] BHerr!N ] BLeut!N ] B B

korrigiert aus: Leut ? korrigiert aus: Leut ? korrigiert aus: Herr ! korrigiert aus: Leut !

170

Lesetext

L9: Die Flitterwochen

171

Fassung Die Flitterwochen



L9/TS1 (Korrekturschicht)

Die Flitterwochen

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 6

Mein Liebchen das heisst Lizulein Und ich bin gross und sie ist klein. Halt ich abends ihre Hand Singt sie vom Morgenland. Und erbebt sie unter meinem Kuss Dann sagt sie nie: „ich muss jetzt fort --- oh, lasse mich!“ Sondern nur: „ Ich liebe Dich!“ Oh, Götter! wie bin ich doch zufrieden Oben, mitten und hiernieden!

5

10

B

N B

N

So steht dies in der „Lilie“ --Zeitschrift für Haus und Familie.

15

11 11

B B

IchN ] liebeN ]

Lesetext

[Wie] |Ich| lieb\e/ [ich]

172

Lesetext

L10: Dienstbotenlied

173

Fassung Dienstbotenlied



L10/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

Dienstbotenlied

ÖLA 3/W 248 – BS 72 d [3], Bl. 1

Ich bin nur ein armer Dienstbot Und schufte den ganzen Tag. Doch dunkelts, dann steh ich am Fenster Nachdem ich gegessen hab.

5

Und denk über Giebel und Dächer --Bin doch noch hübsch und jung Da ruft mich auch schon die Herrin Die boshaft ist und dumm.

10

Mein Herr das ist ein Hauptmann Mit Schmissen und Seitengewehr Und geht er über die Strasse So grüsst ihn das Militär.

15

So grüsst ihn mein Geliebter --Vielleicht zur selbigen Stund In der ich Schelte kriege Und bin doch ein fleissiger Hund!

20

B

N

Und abends in das Bette Sink ich wie ein Sack. Doch träum ich um die Wette Mit Herr und Herrin und Pack!

25

B

N

Ödön von Horvath.

21 26

B B

Hund!N ] Pack!N ]

korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: Pack !

174

Fassung Dienstbotenlied



B

L10/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

Dienstbotenlied

N

ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 7

Ich bin nur ein armer Dienstbot Und schufte den ganzen Tag. Doch dunkelts, dann steh ich am Fenster Nachdem ich gegessen hab.

5

Und denk über Giebel und Dächer, Bin ja doch nicht krumm – Da kreischt auch schon die Herrin Die boshaft ist und dumm. B

B

10

N

B

B

N

N

N

Mein Herr das ist ein Hauptmann Mit Schmissen und Seitengewehr Und geht er über die Strasse So grüsst ihn das Militär.

15

B

20

So grüsst ihn mein Geliebter --Vielleicht zur selbigen Stund In der ich Schelte kriege Und bin doch ein fleissiger Hund! N

B

Und abends in das Bette Sink ich wie ein Sack. Doch träum ich um die Wette Mit Herr und Herrin und Pack!

25

B

N

N

Ödön von Horváth . B

30

1

B

9 10 10 11 19

B

22 27 30

B

DienstbotenliedN ]

Dächer,N ] jaN ] Bnicht krumm –N ] BkreischtN ] BSo f Geliebter ---N ] B

Hund!N ] Pack!N ] BHorváthN ] B

(1) Dienstbotenlied (2) \Der politische Lustmord./

Dächer\,/ [---] \ja/ [noch hübsch und jung] |[auch] nicht krumm| [--] |–| [ruft mich] |kreischt| (1) So f Geliebter --(2) \Meine Herrin ist ’ne Dame/ korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: Pack ! Horv[a]|á|th

175

N

Lesetext

176

Lesetext

L11: „Muatterl schaug beim Fenster naus“

177

Fassung „Muatterl schaug beim Fenster naus“

L11/TS1 (Grundschicht)



5

Muatterl schaug beim Fenster naus Der Hitler macht an Putsch Die Reichswehr setzt an Stahlhelm auf Das ganze Land ist futsch!

178

Lesetext

ÖLA 3/W 365 – BS 33 [1], Bl. 5v

Lesetext

L12: „Und die Leute werden sagen“

179

Fassung „Und die Leute werden sagen“



L12/TS1 (Grundschicht)

Und die Leute werden sagen In fernen blauen Tagen Wird es einmal recht Was falsch ist und was echt

ÖLA 3/W 251 – BS 72 f, Bl. 1

5

Was falsch ist, wird verkommen Obwohl es heut regiert. Was echt ist, das soll kommen Obwohl es heut krepiert. B

6

B

ist, wirdN ]

Lesetext

N

korrigiert aus: ist,wird

180

Lesetext

Rundfunk und Film

181

Lesetext

182

Lesetext

RF1: Eines jungen Mannes Tag 1930

183

Strukturplan in fünf Teilen, Figurenliste

ÖLA 3/W 254 – BS 63 Lesetext b, Bl. 3v

184

Strukturplan in fünf Teilen, Figurenliste

RF1/E1–E2

185

Lesetext

Strukturplan in fünf Teilen, Figurenlisten

ÖLA 3/W 255 – BS 63Lesetext c, Bl. 6

186

Strukturplan in fünf Teilen, Figurenlisten

RF1/E3–E6

187

Lesetext

Strukturpläne, Dialogskizze

ÖLA 3/W 254 – BS 63Lesetext b, Bl. 1

188

Strukturpläne, Dialogskizze

RF1/E7–E9

189

Lesetext

Fragmentarische Fassung

5

10

15

20

25

30

35

40

RF1/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

얍 S PRECHER Meine Damen und Herren! Erlauben Sie, dass ich Ihnen einen sogenannten sympathischen jungen Mann vorstelle, namens Peter! Peter BverbeugN Dich! Geboren am 7. August 1904 kann er sich an den Weltkrieg natürlich nichtmehr so ganz erinnern. Sein Leben beginnt mit der Inflation! (Posaunenstoss) EIN ZWEITER S PRECHER Jene furchtbaren Tage der Inflation haben wir nun gottlob überwunden. Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg, es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres vollbracht. R UFE Bravo! (ein Militärmarsch Bertönt laut, dann immer schwächer)N P ETER Guten morgen, Herr Heilmann! H EILMANN Morgen! Wer sind Sie denn? P ETER Sie kennen mich nichtmehr? H EILMANN Keine Ahnung! P ETER Das ist aber schad! H EILMANN Was wollen Sie denn? P ETER BIchN kenne Sie BnochN ganz genau, wir haben uns mal bei Herrn Stanzer kennen gelernt -H EILMANN Wie war Ihr Name, bitte? P ETER Peter. H EILMANN Ach, ja Herr Peter! Verzeihen Sie, dass ich Sie nicht gleich BwiedererkannteN! Was machen Sie denn immer? P ETER Nichts. H EILMANN Wieso? P ETER Leider. Leider nichts. Ich möcht nämlich ganz gern was arbeiten, aber ich komm nicht BdazuN -- es ist alles so überfüllt, das ist halt BdieseN fürchterliche Zeit -H EILMANN Ja, die Not ist riesig gross. P ETER Aber Sie haben doch ein Geschäft, ein gutgehendes! H EILMANN Das ist nicht so Bschlimm! AuchN ich muss mich einschränken, auch ich lebe wie ein Prolet. P ETER Herr Heilmann. H EIL Na? P ETER Könnten Sie mir nicht mal fünf Mark leihen. 얍 H EIL Nein. P ETER Ich habe es sehr notwendig, mit fünf Mark könnt ich schon was anfangen -H EIL Was wollen Sie denn anfangen? P ETER Ich möcht zuerst was essen. H EIL Na guten morgen, Herr Peter! (ab) (Militärmusik verstummt) 3 11 18 18 22–23 27 27 31

verbeugN ] ertönt f schwächer)N ] BIchN ] BnochN ] BwiedererkannteN ] BdazuN ] BdieseN ] Bschlimm! AuchN ] B B

[c]|v|erbeug ertönt[)] |laut f schwächer)| [Sie] |Ich| n[i]|o|ch korrigiert aus: wiederekannte [f]|d|azu d[u]|i|ese korrigiert aus: schlimm!Auch

190

ÖLA 3/W 254 – BS 63 b, Bl. 2

ÖLA 3/W 254 – BS 63 b, Bl. 3

Fragmentarische Fassung

RF1/TS1 (Grundschicht)

Lesetext

P ETER So sind die Leut! Solang es einem noch einigermassen gut geht, sehen sie Dich lieb an. Da fahren sie mit den Autos vorbei und winken heraus. Aber wenn Du nichts hast, ist es aus mit ihnen. Es ist direkt, als gäbs keine reichen Leut mehr -\Abbruch der Bearbeitung\

191

Strukturplan in fünf Szenen

ÖLA 3/W 256 – BS 63Lesetext d, Bl. 5

192

Strukturplan in fünf Szenen

RF1/E10

193

Lesetext

Fragmentarische Fassung der ersten Szene



N

N

B

10

15

B

20

B

25

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 5

N

1.) Arbeiten und nicht verzweifeln! Peter, Alfred, Kommerzienrat, Baronin und Chor. P ETER (sucht Arbeit) Ich wollte nur fragen, ob Sie eine Stelle – S TIMME Bedauere, nein! S T Niemand wird eingestellt! S T Wegen Abbau geschlossen! S T Arbeit wollen Sie von mir? Ich bin pleite, Herr! S T Anfragen wegen Einstellung sind nutzlos? S T Was sind Sie eigentlich? P ETER Buchhalter. S T Buchhalter – Wissen Sie, der wievielte Sie heute sind? P ETER Nein. S T Der 17-te. (lacht) P ETER Ich dachte, Sie hätten noch eine Stelle frei? S T Zu spät! P ETER Sie haben doch anonciert – und die Zeitung ist erst vor einer viertel Stunde heraus – S T Wir haben schon seit gestern! Adieu! C HOR Adieu! (Stille) P ETER Hm. Das aber arg. Was soll man da machen? Was hat der gesagt? Arbeiten und nicht verzweifeln! Arbeiten ist gut und nicht verzweifeln ist noch besser. Irgendwas muss man tun. Ich möcht arbeiten. Und dann hab ich auch nichtsmehr – – Guten Tag, Herr Kommerzienrat! B

5

Lesetext

Eines jungen Mannes Tag 1930 Fünf Szenen für Rundfunk. B

B

RF1/TS2 (Korrekturschicht)

N

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

2 4 5 6 19 22

Fünf SzenenN ] [Hörspiel] |Fünf Szenen| Arbeiten f verzweifeln!N ] [Mit dem Hute in der Hand –] |Arbeiten f verzweifeln!| BPeter f Chor.N ] \Peter f Chor./ BIch f Stelle –N ] [Haben Sie] |Ich f Stelle –| BSieN ] [{ }] |Sie| BC HOR Adieu!N ] [S T Gut] |C HOR Adieu!| B B

194

Fragmentarische Fassung der ersten Szene

RF1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B (I.) P ERZL – K RANZLER (über den Traum)N B N

5

10

K RANZLER Es wird mir heut was Schlechtes passieren. P ERZL Soviel ich mich mit den Träumen auskenn, bedeutet das Glück. K RANZLER Was kann ich schon für ein Glück haben? Ich geh jeden Tag ins Büro und hab keine Möglichkeit zur Entwicklung – P ERZL Aber Sie können doch etwas verlieren. K RANZLER Was denn? P ERZL Ihre Stelle, Ihre Braut – K RANZLER Wenn ich es verlieren tät, so wär das ein Unglück. Wenn ich es nicht verlier, so ist das in der Ordnung. Wenn ich jetzt plötzlich Generaldirektor wär, das wär Glück. P ERZL Sie sind ein furchtbarer Materialist, Herr Kranzler! K RANZLER Ich muss es sein, Frau Perzl! Weil die ganze Welt ist materialistisch. P ERZL Ich nicht, Herr Kranzler! K RANZLER Sie sind auch nicht die Welt, Frau Perzl. B

15

N

B N

(II.) \Abbruch der Bearbeitung\

1 2 14 17

B

(I.) f Traum)N ]

] Ich f Perzl!N ] BN] BN B

[I. Morgenstund hat Gold im Mund II.] |(I.) f Traum)| [Das Leben ein Traum] [Ein Mater] |Ich f Perzl!| [\P ERZL /]

195

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 7

Figurenliste, Strukturpläne

ÖLA 3/W 256 – BS 63Lesetext d, Bl. 7

196

Figurenliste, Strukturpläne

RF1/E11–E13

197

Lesetext

Strukturplan in fünf Bildern mit Dialogskizze

ÖLA 3/W 256 – BS 63Lesetext d, Bl. 8

198

Strukturplan in fünf Bildern mit Dialogskizze

RF1/E14

199

Lesetext

Strukturplan in fünf Szenen

ÖLA 3/W 256 – BS 63Lesetext d, Bl. 9

200

Strukturplan in fünf Szenen

RF1/E15

201

Lesetext

Lesetext

202

Fragmentarische Fassung

5

10

15

20

25

RF1/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍× P ETER (sucht überall Arbeit, findet keine: trifft Alfred) × A LFRED Ich will Dir die Welt zeigen! Du wandelst scheints im Mond! Die Welt ist hart – und wer kein Geld hat ist ein Schuft! × A LFRED Jetzt steht Dir die Welt offen! Du bist ein neuer Mensch! Du kaufst Dir jetzt einen neuen Hut! P ETER Jetzt geh ich zu Anna. A LFRED Wer ist Anna? P ETER Anna, das ist meine Frau. Wir haben uns getrennt. Wir leben nicht zusammen, weil wir kein Geld hatten. Sie ist Sekretärin bei Lindt. (Schreibmaschine) B P ETER (erscheint als der rettende Engel)N P ETER – A NNA . P ETER Anna! Anna! A NNA Ich habe es Dir bereits gesagt, dass es keinen Sinn hat. P ETER Ich habe Geld. Und werde weiterhin verdienen. B P ETER Wir gehen gross aus. Zieh Dir das Kleid an.N × B(Jazzmusik)N P ETER Anna – – etwas drückt mich aber sehr, das Geld ist nicht ehrlich verdient. BIch kann das nichtmehr weitermachen. Bleiben wir zusammen in der Armut.N A NNA Nein! Das ist eine Rücksichtslosigkeit und eine Gefühlsroheit. (ab)

P ETER (allein) Es hat eigentlich keinen Sinn mehr zu leben. Man soll Schluss machen. Morgen ist wieder ein Tag, wieder von vorne – Hoffnung, Sehnsucht, nichts, aus. Ich werde jetzt noch ein paar Abschiedsbriefe schreiben – – Nein! Ich hab eigentlich niemanden auf der Welt! Ich bin allein. Jetzt werd ich mich erschiessen! Leb wohl, Du schöne Welt! (er schiesst; Stille) P ETER Jetzt hab ich mich nicht getroffen, ist das aber ärgerlich! M EHRERE S TIMMEN Was ist denn los?! P ETER Nichts! Ich wollte mich nur gerade erschiessen. S TIMME Quatsch! S TIMME Und warum? P ETER Weil es keinen Sinn hat. S TIMME Wie kannst Du so einen Blödsinn reden? Kennst Du mich? P ETER Nein. Bekannt kommst Du mir vor. S TIMME Wir \Abbruch der Bearbeitung\ B

N

30

35

13 18 19 20–21 27–29

P ETER f Engel)N ] P ETER f an.N ] B(Jazzmusik)N ] BIch f Armut.N ] BJetzt f Stille)N ] B B

\P ETER f Engel)/ \P ETER f an./ \(Jazzmusik)/ [A NNA Dann will ich nichtsmehr mit Dir zu tun haben!] |Ich f Armut.| [{E INE } (das] [|S TIMMEN Peter! Peter! Peter! Peter! [E INE S TIMME ] |P ETER Wer ruft denn da?||] |Jetzt f Stille)|

203

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 9

Notizen

ÖLA 3/W 363 – o. BS,Lesetext Bl. 35v

204

Notizen

RF1/E16–E17

205

Lesetext

Strukturplan in sieben Szenen

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Lesetext Bl. 36

206

Strukturplan in sieben Szenen

RF1/E18

207

Lesetext

Figurenliste

ÖLA 3/W 363 – o. BS,Lesetext Bl. 37v

208

Figurenliste

RF1/E19

209

Lesetext

Lesetext

210

Fragmentarische Fassung

RF1/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B I. D ER S PRECHER N B N Meine Damen und Herren! BWie Sie wissen,N ist der Rundfunk erfunden worden und das ist eine grosse Erfindung. Mit dem Rundfunk kann man nämlich in die entlegensten Gebiete gelangen, wir können unsere Ideen, Erfindungen und Entdeckungen verbreiten – – und ebenso auch das Leben eines ganz 5 einfachen Mannes, von dem man eigentlich nicht weiss. Wir wollen hier den Tag eines Mannes geben, der in der Stadt in einem Büro sitzt. Er soll es Ihnen Bzeigen, wieN er es macht und wir wollen ihm die Ratschläge geben, wie er es machen soll. 얍 B E INE BSCHRILLE N S TIMME Wie heisst der Mann?N D ER S PRECHER Wer war das? 10 V IELE S TIMMEN Wir. B D ER S PRECHER Wer ist das wir?N D IE S TIMMEN Es geht uns nichts an, was Du da uns zeigen willst. Wir wollen uns sehen, unser Angesicht. Wir wollen wissen, wie wir uns verhalten sollen. 15 Im Leben, das uns Schlingen stellt. D ER S PRECHER Der Mann heisst Strasser. Ludwig Strasser. E INE S TIMME Ich kenn ihn nicht. E INE ANDERE S TIMME Was geht mich der Herr Strasser an. Komm, wir tanzen – (Tanzmusik) 20 D ER S PRECHER Wer will die Geschichte vom Herrn Strasser hören? V IELE S TIMMEN Wir! D ER S PRECHER Nun … Bitte leise … Herr Strasser, darf ich bitten! Herr Strasser! Wo stecken Sie denn?! 얍 S TRASSER Hier! 25 S PRECHER Geboren? S TRASSER Am 7. August 1900. S PRECHER Waren Sie im Krieg? S TRASSER So halb. S PRECHER Und? 30 S TRASSER Ich bin froh, dass er vorbei ist. B S TI Bravo! B N E INE S TIMME Es lebe der Krieg! B N S TI Geh schmier ihm eine!N S PRECHER Was machen Sie den Tag über? 35 S TRASSER Ich steh in der Früh auf. S PRECHER Und? S TRASSER Und dann zieh ich mich an.

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 38

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 39

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 40

\Abbruch der Bearbeitung\ 1

1 1 6–7 8 8 11 31–33 31 32

B

I. D ER S PRECHER N ]

] Wie f wissen,N ] Bzeigen, wieN ] BEINE f Mann?N ] BSCHRILLE N ] BD ER f wir?N ] BS TI f eine!N ] BN] BN] BN B

[Herr Reithofer Herr Strasser] |I. DER SPRECHER| Absatz getilgt

[In Anbetracht] |Wie f wissen,| [sagen, wie] |zeigen, wie| 얍 [Der] |EINE f Mann?| \SCHRILLE / [E INE SCHRILLE S TIMME Wie heisst der {M}] |D ER f wir?| \S TI f eine!/ Absatz eingefügt Absatz eingefügt

211

ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 38

Fragmentarische Fassung Hörspiel

RF1/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Hörspiel

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 12

B N B N

D ER S PRECHER Meine Damen und Herren! Es folgt nun die Sendung eines Hörspieles. Herr Ödön Horváth hat versucht den Tag eines Herrn Kranzler zu beschreiben. Herr Kranzler ist ein junger Mann; er besucht sein Büro. Wir fangen an um 7 Uhr früh. Um 7 Uhr früh pflegt er aufzustehen und sich anzuziehen, jeden Wochentag, denn um 8 Uhr beginnt sein Büro. – Bitte stellen Sie Ihre Uhr auf 6 Uhr 59 Minuten 30 Sekunden. Es fehlen noch 25…20…15… … 7 Uhr! (Wecker läutet) H ERR K RANZLER (gähnt; streckt sich; gähnt … man hört, dass er sich wäscht) Oj! ist das Wasser kalt…Wo bleibt denn heut der Cafè?… ist die Perzl schon auf oder hat sie gar der Schlag getroffen … sie war immer schon bleich … Frau Perzl! Frau Perzl! F RAU P ERZL Hier habens doch Ihren Cafè! Im übrigen: haben Sie gehört, dass der Reichskanzler {garnicht reden muss}? H ERR K RANZLER Ich kümmer mich nicht um Politik. Mit Ihnen red ich schon gar nicht über Politik. BN

5

B

N

BN

B

10

15

N

B

N

B

N

\Textverlust\ 20

25

얍 F RL Guten abend, Herr Kranzler! K RANZLER Ah! Ich hab BSieN garnicht gesehen! F RL Ich bin aber jetzt gelaufen! Ich hab mich nur etwas verspätet … K RANZLER Wohin gehen wir? F RL Ich dachte tanzen. K RANZLER BGut. Können Sie tanzen?N F RL Natürlich. K RANZLER Ich kann Bnur nicht gutN tanzen. B (Unterhaltung über Sport)N B F RL Er hat mich zum Autofahren eingeladen.N

30

(Tanzpalast)

2 3

BN

4 5 6 7 7 15 21 25 27 28 29

BN

Absatz getilgt

B

[Mannes] |Herrn Kranzler|

BN

] ]

] Herrn KranzlerN ] BN] B7N ] B7N ] BIhrenN ] BSieN ] BGut. f tanzen?N ] Bnur f gutN ] B(Unterhaltung f Sport)N ] BF RL f eingeladen.N ]

[„Ein Tag eines Mannes.“] [[P ETER ] |H ERR | K RANZLER Ich lege Ihnen verschiedene Fragen vor: [1.) Was soll ich tun, dass] |1.) Beruf|] [|Herr Kranzler nimmt alles zu schwer.|]

Absatz getilgt

[5]|7| [5]|7| korrigiert aus: ihren korrigiert aus: sie

[Können Si] |Gut. f tanzen?| [auch] |nur f gut| \(Unterhaltung f Sport)/ \F RL f eingeladen./

212

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 13

Fragmentarische Fassung Hörspiel

B

5

10

RF1/TS6 (Korrekturschicht)

Liebe? – Eifersucht – K RANZLER Jetzt geh ich … ich hab einen Charakter … ich geh jetzt … DER S PRECHER Warum gehen Sie schon, Herr Kranzler? K RANZLER Es freut mich nicht mehr. DER S PRECHER Sie dürfen das nicht so tragisch nehmen … K RANZLER Ich nehms ja nicht tragisch – aber es ärgert einem halt! DER S PRECHER Schauen Sie: es gibt so grosse Probleme, da darf sowas überhaupt keine Rolle spielen! K RANZLER Spielt auch nicht, aber es ärgert mich halt! DER S PRECHER Ich kann Ihnen nicht helfen! K RANZLER Wer sind Sie eigentlich? DER S PRECHER Ich bin der Sprecher der deutschen Stunde in Bayern. Ich sag an, was kommt. K RANZLER Geh spielens mir an Walzer … mein Nachbar hat ein Radio und das hör ich rüber, wenn ich einschlaf … DER S PRECHER Was wollens denn? K RANZLER Irgendwas. (Walzer) K RANZLER – F RÄULEIN (Schluss) K RANZLER Ich hab gestern gelesen, wir haben keine Seele – F RL Komm! Red doch nicht so dummes Zeug – N

BN

B

15

N

BN

BN

20

Lesetext

1 1 14 16 17

Liebe?N ] ] BanN ] BN] BN] B

BN

korrigiert aus: (Liebe? Absatz eingefügt bewusst gesetzte Dialektalform Absatz eingefügt Absatz eingefügt

213

Konfigurationspläne

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Lesetext Bl. 10

214

Konfigurationspläne

RF1/E20

215

Lesetext

Fragmentarische Fassung

RF1/TS7 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B K OHL N Meine Mutter hat immer gesagt: ehrlich währt am längsten. Und mit dem Hute in der Hand, kommst Du durchs ganze Land – – aber es heisst: wer kein Geld hat, ist ein Schuft! A LFRED Sehr richtig! 5 K OHL A Du bist das! Ich hab Dich jetzt garnicht kommen hören! Ich war so in meine Gedanken BvertieftN. A LFRED Widrigkeit! Du sollst Dich überhaupt mal weniger mit Dir selbst beschäftigen! Weniger wär mehr in diesem Falle. Du bist auch viel zu ehrlich. BIch wüsste, wie Du 100 Mark verdienen kannst. In einem Nachmittag. Du musst nur dabei10 sitzen und musst immer nur „ja“ sagen. Nie „Bnein“.N Ich brauch nämlich einen Zeugen, das sieht dann besser aus.N K OHL B N Gegen welchen Paragraphen geht das? A LFRED Wenn Du BanN einem Nachmittag 100 M verdienst, so verstösst das immer gegen einen Paragraphen, vorausgesetzt, dass man die Paragraphen ernst nimmt – 15 aber wenn Du viel verdienst, musst Du sie nicht ernst nehmen. K OHL Zu was soll ich denn „ja“ sagen? A LFRED Ich treffe einen Generaldirektor, der will für seine Kinder einen Tierpark einrichten. Er sucht einen jungen Löwen. Man hat jetzt Löwen. K OHL Und Du? 20 A LFRED Ich hab natürlich keine Löwen! \Abbruch der Bearbeitung\

1 6 8–11 10 12 13

K OHL N ] vertieftN ] BIch f aus.N ] Bnein“.N ] BN] BanN ] B B

[A LFRED ] |K OHL | ver\t/ieft [K OHL ] |Ich f aus.| korrigiert aus: nein.“ [Gut.] [i]|a|n

216

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 10

Fragmentarische Fassung

5

10

15

20

RF1/TS8 (Grundschicht)

Lesetext

얍 E IN S PRECHER Meine Damen und Herren! Erlauben Sie, dass ich Ihnen einen jungen Mann vorstelle, er heisst Max Kohl und hat entschieden etwas sympathisches an sich. Geboren am 7. August 1907 kann er sich an den Weltkrieg natürlich nichtmehr so ganz und gar erinnern. Sein Leben beginnt mit der Inflation. (Posaunenstoss) E IN ZWEITER S PRECHER Jene furchtbaren Tage der Inflation haben wir nun gottlob überwunden! Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg, es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres Bvollbracht.N (Militärmusik -- auch während der folgenden Szene) M AX K OHL Guten morgen Herr Kommerzienrat! K OMMERZIENRAT Na wer ist denn das? M AX K OHL Wer? Ich? K OMMERZIENRAT Was wollen Sie denn von mir? M AX K OHL Kennen Sie mich denn nichtmehr, Herr Kommerzienrat? K OMMERZIENRAT Keine Ahnung! M AX BK OHL N Das aber schad! Ich kenne Sie nämlich noch ganz genau -K OMMERZIENRAT Woher denn? M AX K OHL Durch Herrn Kranzler. K OMMERZIENRAT Durch Kranzler? Wie war Ihr Name bitte? M AX K OHL Kohl. Max. Max Kohl. \Textverlust\

8 16

B B

vollbracht.N ] K OHL N ]

vollbracht[!]|.| K O [K ]|H |L

217

ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 11

Replik

ÖLA 3/W 257 – BS 63 Lesetext e, Bl. 14

218

Replik

RF1/E21

219

Lesetext

Lesetext

220

Lesetext

RF2: Stunde der Liebe

221

Figurenliste

ÖLA 3/W 257 – BS 63 Lesetext e, Bl. 14

222

Figurenliste

RF2/E1

223

Lesetext

Strukturplan in zwei Teilen

ÖLA 3/W 259 – BS 63Lesetext g, Bl. 2

224

Strukturplan in zwei Teilen

RF2/E2

225

Lesetext

Strukturplan in zwei Teilen, Figurenliste

ÖLA 3/W 259 – BS 63Lesetext g, Bl. 3

226

Strukturplan in zwei Teilen, Figurenliste

RF2/E3–E4

227

Lesetext

Strukturplan in vier Teilen

ÖLA 3/W 260 – BS 63Lesetext h, Bl. 4

228

Strukturplan in vier Teilen

RF2/E5

229

Lesetext

Fragmentarische Fassung

RF2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B L EDERER N Meine Damen und Herren! B Erlauben Sie,N dass ich mich vorstelle und Bschenken Sie mir bitte nur einige Minuten Ihre Aufmerksamkeit.N Also: ich heisse Lederer mit dem Vornamen Karl und bin am 8. März 1904 geboren, wo das spielt eigentlich keine Rolle und dann 5 geht es Sie auch nichts an. Ich trachte auch nur danach, Ihnen Dinge zu erzählen, die Sie genau soviel angehn, wie mich persönlich. Ich bin nämlich allmählich dahintergekommen, dass ich in einer gewissen Weise ein typisches Schicksal hab – B nämlich in puncto: Ehe. Oder man kann auch fragen:N wie stellt sich ein junger Mann heute zur Ehe? – Also ich stell mich sehr positiv dazu, aber ich find trotz10 dem keine Frau. BIch hab bisher viermal schon heiraten wollen, dreimal ist nichts daraus geworden … E INE SCHRILLE S TIMME War ich etwa daran schuld? L EDERER Das weiss ich nicht. E INE ANDERE S TIMME Oder ich?? 15 D RITTE Oder ich??N B L EDERER N Das liegt am wenigsten an mir und an den Frauen, sondern das liegt daran, dass ich monatlich nur 200 Mark verdiene. B E RSTE B N Das kann jeder sagen! V IERTE B N BEin geiziger Mensch.N B N 20 D RITTE Ein Verbrecher. B N Z WEITE Du hast eben keine Seele. B L EDERER Wer war das? Wer hat das gesagt, dass ich keine Seele hab? Z WEITE Ich. L EDERER Du, Anna. Das ist aber garnicht schön von Dir. 25 Z WEITE Du hast auch keine Seele … L EDERER Ich verdien 200 Mark. Du musst das wissen, sonst kannst Du meine Seele nicht begreifen.N N B (Lachen)N B N

1 2

B B

L EDERER N ] Erlauben Sie,N ]

eingefügt

[Wie Sie es be]

|Erlauben Sie,|

2–3 8 10–15 16 18–27

schenken f Aufmerksamkeit.N ] nämlich f fragen:N ] BIch f ich??N ] BL EDERER N ] BE RSTE f begreifen.N ] B B

[erlauben Sie mir] |schenken f Aufmerksamkeit.| [es ist das:] |nämlich f fragen:| xIch f ich?? eingefügt (1) Das müssen Sie wissen, denn sonst können Sie meine Seele nicht

begreifen. –

BN

(2) \E RSTE f begreifen./ gestrichen: 1.) gestrichen: 2.)

] ] BL EDERER f begreifen.N ] B(Lachen)N ] BN]

[Eine Null. Kein Geld hat] |Ein f Mensch.| gestrichen: 3.) gestrichen: 4.) \L EDERER f begreifen./ \(Lachen)/ [Ich werde mir nun erlauben Ihnen] [|Ich f ich??|]f x

18 19 19

BN

20 21 22–27 28 29

BN

] ] BEin f Mensch.N ]

BN

230

ÖLA 3/W 260 – BS 63 h, Bl. 4

Fragmentarische Fassung

B

RF2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

L EDERER Lach nicht! Ich bitte Dich, Anna, lach nicht! Das schickt sich nicht, selbst wenn ich nicht so aussehen tät, als wie wenn ich leiden tät. Erinnerst Du Dich denn nichtmehr, wie ich Dich bat, heiraten zu können? Und was hast Du gesagt?

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1–3

B

L EDERER f gesagt?N ]

\L EDERER f gesagt?/

231

Strukturplan in vier Szenen

ÖLA 3/W 261 – BS 63Lesetext i, Bl. 5

232

Strukturplan in vier Szenen

RF2/E6

233

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 261 – BS 63Lesetext i, Bl. 6

234

Strukturpläne

RF2/E7–E10

235

Lesetext

Lesetext

236

Fragmentarische Fassung

5

Lesetext

얍 S PRECHER Es ist uns gelungen durch ein neues Verfahren BGesprächeN einzufangen, – ohne, dass es die Sprechenden merken. Wir gehen nun auf die Jagd. Wir haben uns ein interessantes Problem gestellt: es ist doch Tatsache, dass heute die Liebe in einer anderen Weise vor sich geht. Bitte geben Sie acht! BEsN ist jetzt Nacht, B wirN gehn durch die Schellingstrasse, am Rande des englischen Gartens sitzt ein Paar. Es ist dunkel und sie scheinen verschlungen zu sein. Achtung! BWir müssen leise sprechen.N

S IE Und was hast Du dazu gesagt? E R Ich habe gesagt, dass das nicht weitergeht. B

10

RF2/TS2 (Korrekturschicht)

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 4 5 7–8 9

GesprächeN ] EsN ] BwirN ] BWir f sprechen.N ] Bhast DuN ] B B

[M] |Gespräche| [Das] |Es| [dort] |wir| \Wir f sprechen./ ha[t]|st| [die Fr] |Du|

237

ÖLA 3/W 261 – BS 63 i, Bl. 6

Werktitel

ÖLA 3/W 2 – BS 12Lesetext c, Bl. 1

238

Werktitel

RF2/E11

239

Lesetext

Lesetext

240

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut



B

Eine Liebe zweier junger Leut im Jahre 1930.

20

25

30

35

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 1

N

B

N

15

N

N

B

10

Lesetext

S PRECHER Sie hören nun das Hörspiel „Der Tag eines jungen Mannes von 1930“. Wir übertragen Ihnen aber zuerst noch die Versammlung im Löwenbräukeller mit dem Thema über die Misere der heutigen Jugend, über das Geheimrat Stanglmeier referierte. Er hatte in seinem Referat sich ziemlich schonungslos über den Niedergang der heutigen Jugend ausgesprochen. Die heutige Jugend, führte der Herr Geheimrat Stanglmeier aus, ist ganz anders als die frühere, sie sei schamlos, brutal, egoistisch, kennt nur flachen Genuss, ist dem Geiste unserer Klassiker abhold -- kurz: sie hat keine Seele, eine Jugend ohne Seele. Wir übertragen nun die Diskussion, der Herr Geheimrat, der Vorsitzende des Anti Jugend Bundes, hatte sein aufschlussreiches Referat soeben beschlossen. (Übertragung) P RÄSIDENT (läutet) Ich eröffne die Diskussion! R UFE Bravo! (Applaus) P RÄSIDENT Ich bitte um Ruhe! Darf ich bitten, gnädige Frau? Als erste Diskussionsrednerin: Frau Studienrat Hintertupfer. F RAU S TUDIENRAT (mit Tremolo) Werte Versammlung! Werte Mitglieder und Schwestern und Brüder! Ich danke dem Herrn Geheimrat für seine mannhaften Worte und für das jugendliche Feuer, mit dem er die Sache gegen die heutige Jugend vertritt. Ich kann ihm nur voll und ganz beipflichten, er hat es wunderbar formuliert: die heutige Jugend hat keine Seele -- geben wir ihr wieder eine Seele! Hauchen wir ihr die unsere ein und dafür wollen wir unermüdlich arbeiten. (Bravo!) P RÄS Herr Robert Koch, ein Vertreter der Jugend! K OCH Die Vorwürfe gegen die heutige Jugend muss ich energisch ablehnen, sie können nur im Geiste alter Trottel geboren wor-얍den sein. (Tumult) P RÄS Einen Ordnungsruf! K OCH Die gnädige Frau sagt, sie will uns ihre Seele einhauchen, also darauf tun wir verzichten! P RÄS Frecher Lümmel! Raus! (Tumult) P RÄS Der nächste Diskussionsredner: Herr Alois von Stetten. S TETTEN (lispelt) Wir haben soeben wieder schaudernd ein Beispiel für die unendliche Verrohung der heutigen Jugend erlebt. ( Zuruf : Halts Maul !) Wer war B

5

RF2/TS3 (Korrekturschicht)

B

N

BN

B

N

B

B

1

B

Eine f 1930.N ]

4 8 10–11 11

B

15 20 36

BN

37 37

B

übertragenN ] StanglmeierN ] BübertragenN ] BGeheimrat,N ] B

] SchwesternN ] Bein BeispielN ] B

B

ZurufN ] MaulN ]

N

N

B

N

(1) Eines jungen Mannes Tag im Jahre 1930. (2) \Eine f 1930./ korrigiert aus: übetragen korrigiert aus: Stangelmeier korrigiert aus: übetragen korrigiert aus: Geheimrat , unregelmäßige Zeichenabstände werden in RF2/TS3 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. Absatz eingefügt korrigiert aus: schwestern (1) die (2) ein Beispiel korrigiert aus: zuruf korrigiert aus: MAul

241

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 2

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut

Lesetext

das? (Zuruf: Ich!) Wer ist das ich? (Zuruf: Komm nur her, wennst was magst!) Unerhört! P RÄSIDENT (läutet) Unerhört! Unerhört! EINE SCHRILLE F RAUENSTIMME (kreischt) Unerhört! Unerhört! S TETTEN Ich fahre fort: mit Recht fragte der Herr Geheimrat, wo bleibt denn das Mädchen mit dem zarten Erröten, bei deren Anblick wir seinerzeit den Busen schwellen fühlten? Es bleibt nirgends, es ist nichtmehr da und das ist sehr beklagenswert. Als ich jung war, verging mein Tag mit lesen. Wer liest heut noch von der Jugend? Wie vergeht der Tag eines solchen Menschen? (Stille) P RÄSIDENT (läutet) Herr Alfred Kranzler! K RANZLER Es wurde hier zuvor gefragt, wie der Tag eines jungen Menschen heute abrollt. Da muss man Unterschiede machen: zum Beispiel: es gibt noch junge Männer, die sehr viel Geld von zuhaus haben, aber solche gibts nur wenig. Die überwiegende Mehrzahl arbeitet in Büros zu einem nicht gerade hohen Lohn, sie kann sich mit diesem Lohn nichts besonderes leisten. Sollte der Herr Geheimrat nur die Jugend der Reichen im Auge gehabt haben, dann hat er ja recht -- aber wir anderen und wir sind 얍 fast alle, bei uns spielt sich das anders ab. Darf ich es Ihnen schildern, wie zum Beispiel gestern mein Tag abgerollt ist? P RÄS Nur keine privaten Angelegenheiten! K RANZLER So sehr privat war ja das garnicht. So ähnlich schauts bei jedem aus, der zweihundert Mark ungefähr monatlich verdient, sofern er nicht arbeitslos ist. Und unverheiratet muss er sein, wie ich. Ich steh jeden Wochentag um 7 Uhr früh auf, und das ist schon höchste Zeit, denn um achte beginnt mein Büro. P RÄS Wo arbeiten Sie? K RANZLER Bei Steinhuber und Co. P RÄS Also zur Sache! K RANZLER Also wie ich gestern ins Geschäft gegangen bin, hab ich mich zufällig fast verspätet und daran war nicht ich schuld, sondern die Reichswehr. P RÄS Wieso die Reichswehr? K RANZLER Weil sie gerade an mir vorübergezogen ist und ich konnte also nicht durch. Es war, glaub ich, ein ganzes Regiment. Mit Musik. Sie haben den Fridericus Rex gespielt -- oder den Hohenfriedberger, nein, den Fridericus Rex -(Musik; die sich langsam entfernt) EINE F RAUENSTIMME Herr Kranzler! Herr Kranzler! K RANZLER Na was ist denn? Ah, Sie sinds Fräulein Klisch! K LISCH Ja, ich bins. Was spielt denn da die Reichswehr? K RANZLER Den Fridericus Rex. K LISCH Das ist eine schöne Melodie. Waren Sie eigentlich noch im Krieg? K RANZLER Nein, ich war zu jung dazu. K LISCH Ich kann mich an den Krieg überhaupt nicht erinnern. B

5

RF2/TS3 (Korrekturschicht)

N

BN

B

10

N

BN

B

15

20

25

BN

30

B

35

40

1 8 9 9 14 28 32

WerN ] ] BvergehtN ] BN] BgibtsN ] BN] Bich,N ] B

BN

N

korrigiert aus: Wers

[Arbeiten,] korrigiert aus: verget Absatz eingefügt korrigiert aus: gibst gestrichen: ich korrigiert aus: ich

242

N

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 3

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut

5

RF2/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

K RANZLER Ich kann mich schon etwas erinnern. K LISCH Das muss arg gewesen sein. 얍 K RANZLER Es hätt angenehmer sein können. K LISCH Hoffentlich versäumen wir nicht das Büro. Es ist schon zehn auf acht. K RANZLER Man kann ja nicht durch durch die Reichswehr, da müssen wir schon warten, bis es ganz aus ist. K LISCH Ich glaub , es wird bald aus. K RANZLER Das glaub ich wieder weniger. Da kommen ja immer mehr Soldaten . K LISCH Herr Kranzler, Sie wissen doch, ich bin jetzt erst seit vier Tag im Büro -- was ist der Chef eigentlich für ein Mensch? K RANZLER Ich kenn ihn menschlich nicht. (Tutensignal) S PRECHER Hier deutsche Stunde in Bayern! Bitte stellen Sie Ihre Uhr auf acht Uhr. Es fehlen noch -- -- Ich will nun mal anläuten, ob der Herr Kranzler schon im Büro ist. (Telefon) Hallo! B ÜRO Hier Steinhuber und Co. S PRECHER Hier deutsche Stunde in Bayern. Ich wollte mich nur erkundigen, ob der Herr Kranzler bereits bei Ihnen eingetroffen ist? B ÜRO Nein. Er ist noch nicht hier --- Hallo! Einen Moment! Jetzt kommt er gerade! Kranzler! Man hat bereits nach Ihnen gefragt! K RANZLER Wer? Der Chef? B ÜRO Nein. K RANZLER Na wenn schon! B ÜRO Der Chef sagte gestern , dass er sich das nichtmehr gefallen lassen will, dass Sie fast jede Woche einmal zu spät um drei bis vier Minuten kommen. K RANZLER Und das ist doch gar nicht der Rede wert. B ÜRO Aber der Chef hat es sich ausgerechnet, dass das dreimal 얍 zweiundfünfzig Minuten sind im Jahr also 156 Minuten, ist gleich fast drei Stunden. K RANZLER Frl. Stanzinger, eigentlich geht Sie das einen Dreck an. B ÜRO Ich bin eine pflichtbewusste Angestellte. K RANZLER Und eine schlechte Kollegin. B ÜRO (lacht) F RÄULEIN (leise) Es ist nur gut, dass sie nicht auch mich bemerkt hat, dass ich zu spät gekommen bin, so gleich in den ersten Tagen macht das einen schlechten Eindruck. K RANZLER Das Fräulein Stanzinger ist sehr boshaft. Hüten Sie sich vor ihr. Ich glaub, sie ist in den Chef verliebt. B

B

N

N

B

10

B

20

B

B

25

5 7 8 10 13 13 21 22 23 24 24 27 33

Reichswehr,N ] glaubN ] BSoldatenN ] BChefN ] BIhreN ] BaufN ] BDer Chef?N ] BNein.N ] BNa f schon!N ] BDer ChefN ] BgesternN ] BdreimalN ] BsieN ] B B

N

N

N

B

N

B

35

B

N

B

30

N

N

B

B

N

N

B

15

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 4

N

korrigiert aus: Reichswehr. korrigiert aus: g aub korrigiert aus: Sodaten korrigiert aus: Cheff korrigiert aus: Ihe korrigiert aus: auch

[Der Chef?] [Auch das.] [|Verschi|] |Nein.| [Krach.] |Na f schon!| [Er]|Der Chef| \gestern/ korrigiert aus: dri mal korrigiert aus: Sie

243

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ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 5

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut

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Lesetext

E INE S TIMME Ist der Chef schon da?! E INE ANDERE S TIMME Nein, er kommt nie vor zehn. S TIMMEN Geben Sie mir den Akt! -- Hier! -- Schreiben Sie mir das ab! -- (Telefon) Hier Steinhuber et Co. -- Wie? -- Herr Kranzler! Leihen Sie mir einen Bleistift! (Schreibmaschine) E INE S TIMME Der Chef! (kurze Stille) B ÜRO Fräulein Klisch zum Diktat zum Chef! (kurze Stille) DER C HEF Also schreiben Sie: Sehr geehrter Herr! Es ist natürlich völlig abwegig, wenn Sie sich an den Staatsanwalt wenden wollen. Ihre Drohung, unser Geschäftsgebaren als Betrug zu bezeichnen, löst bei uns lediglich ein mildes Lächeln aus. Wenn wir Sie nicht wegen Verleumdung belangen, so nur deshalb nicht, weil wir als korrekte Kaufleute nichts mit der Staatsanwaltschaft zu tun haben wollen. Mit vorzüglicher Hochachtung! B

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RF2/TS3 (Korrekturschicht)

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얍 DER C HEF Fräulein Klisch, Sie müssen heut noch etwas länger bleiben -- es ist ja schon ein Uhr -- Sie müssen heute noch etwas Überstunden machen, aber natürlich ist unser Geschäft bei diesen traurigen vaterländischen Zeiten nicht in der Lage, Überstunden zu bezahlen -F RL Ja, Herr Chef. (Tutensignal) S PRECHER Hier deutsche Stunde in Bayern! Ich muss hier leider das Hörspiel unterbrechen, es ist mir nämlich gerade eine Nachricht zugekommen. Ein gewisser Herr Alois Huber beschwert sich über das Hörspiel. Er sagt, er möcht seinen B GrüabigenN BhabenN, er möchte seine Ruh und er möcht nichtsmehr vom Kranzler wissen, der geht ihm gar nichts an, er möchte lieber ein grosses historisches Schauspiel oder dergleichen. Ich stehe aber auf dem Standpunkte, dass der Kranzler uns mehr interessiert als der Herr Huber. Er soll halt sein Radio ausschalten, aber nicht vergessen, seine Antenne zu erden. Meine Damen und Herren! Wenn ich das dem Herrn Kranzler erzählen würde, was der Herr Huber über ihn denkt, so würde er sagen --K RANZLER --- dass es mir ganz wurscht ist, was der Huber über mich denkt. S PRECHER Sehr richtig! F RL . K LISCH Bravo! K RANZL Sehens Fräulein, das freut mich aber sehr, dass Ihnen das auch wurscht ist. F RL Das freut mich auch, aber lassens mich jetzt arbeiten. (Schreibmaschine) K RANZ (rechnet) Addiert … 5; 7; 3; 4; 8, usw. 3 12 15 18 28

B

denN ] EsN ] BdeshalbN ] BN] BGrüabigenN ]

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habenN ]

korrigiert aus: dem korrigiert aus: es korrigiert aus: desshalb

[(Tutensignal)] bewusst gesetzte Dialektalform; gemeint ist eine spezifisch bayrische Form des Insich-Ruhens. (1) hah (2) haben

244

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 6

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut

RF2/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

(es schlägt vier) K RANZ Jetzt ist schluss und gar. Fräulein, kommens mit. F RL Leider kann ich nicht mit, denn ich muss noch Überstunden machen. Ich muss noch da bleiben. 얍 K RANZ Treffen wir uns halt später. Um acht Uhr. F RL (lacht) K RANZ Um acht Uhr also. Unter der Uhr. F RL Unter der Uhr. Wohin gehen wir denn? K RANZ Das werden wir schon sehen. Also auf Wiedersehen! F RL (lacht) EINE S TIMME Frl. Klisch zum Chef! Diktat! F RL Auf Wiedersehen! K RANZLER (für sich) Ein nettes Mädchen ist das, ich hab schon lang jetzt eins gesucht, wenn man so allein in der Stadt ist, dann ist die Stadt noch öder. -- Ich muss mir nur noch meine Wäsche holen, weil ich einen neuen Kragen dazu brauch. Wir gehen am besten in das Konzertcafe, da kann man auch tanzen und es ist gemütlich -- hoffentlich wird sie sich ihre Zeche selbst zahlen, ich hab ja jetzt nur noch sechzehn Mark -P RÄSIDENT (läutet energisch) Kommen Sie endlich zur Sache, Herr Kranzler! Es interessiert uns nicht, ob Sie einen reinen Kragen benötigten , Sie wollten uns doch erzählen, dass auch die heutige Jugend eine Seele bei der Liebe hat! Also bitte! K RANZLER Ja also wir haben uns um achte getroffen, sie war sehr pünktlich . F RL Das bin ich immer. K RANZ Ich freu mich sehr, dass Sie gekommen sind, ich hab nämlich gar kein Talent fremde Frauen anzusprechen. F RL Geh gehns zu! K RANZ Und dann freu ich mich, dass wir jetzt tanzen gehen. Ich hab nämlich gerad Geburtstag . F RL Ah! K RANZ Wichtig ist es ja eigentlich nicht, dass man geboren wird. F RL Für einen anderen aber kanns manchmal wichtig sein. 얍 (Stille) F RL Wohin gehen wir denn? K RANZLER Ins Miramar . F RL Können Sie gut tanzen? K RANZLER So halb. (Stille) B

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ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 7

K RANZ N ] F RL N ] BIch f bleiben.N ] BUhr.N ] BsechzehnN ] BbenötigtenN ] BpünktlichN ] BgekommenN ] BFrauenN ] BgehnsN ] BGeburtstagN ] BMiramarN ] B B

N

korrigiert aus: F RANZ korrigiert aus: F LR

\Ich f bleiben./ korrigiert aus: Uhr korrigiert aus: sechszehn korrigiert aus: benörigten korrigiert aus: pünkzlich korrigiert aus: gekkommen korrigiert aus: MFrauen korrigiert aus: gens korrigiert aus: Geburttag korrigiert aus: Mirmamar

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ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 8

Fragm. Fassung Eine Liebe zweier junger Leut

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RF2/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

F RL Wie alt sind Sie heut eigentlich? K RANZL 27. F RL Ich bin erst 23. K RANZ Das ist ein schönes Alter. F RL Für die Frau vielleicht das Schönste. (Stille) F RL Der Chef ist ein mieser Mensch. K RANZ Das ist was Altes. F RL Ich glaub, er ist ein Lebemann. K RANZ Er sieht manchmal so aus. Jetzt müssen wir da links. (Stille) F RL Der grosse Verkehr. In der Zeitung steht, jeder hat sein Auto. K RANZLER Ich nicht. F RL Ich auch nicht. K RANZLER Die Technik entwickelt sich kolossal. Neulich hat einer den künstlichen Menschen erfunden. F RL Es gibt viel künstliche Menschen. K RANZLER Im wahren Sinne des Wortes: ja. (Stille) F RL Es hat aber immer schon künstliche Menschen gegeben. K RANZLER Früher mehr wie heut. F RL Glauben Sie an die Zukunft? K RANZLER Ich schau nur in die Zukunft. F RL Und was sehens denn dort? 얍 K RANZLER Etwas Werdendes. (Stille) (Tanzmusik) K RANZ Die Garderob müssen wir nicht abgeben. K ELLNER Wo setzen sich die Herrschaften?

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K RANZLER Wir würden schon heiraten.

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\Abbruch der Bearbeitung\

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K RANZLER f heiraten.N ] \K RANZLER f heiraten./

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ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 9

Fragmentarische Fassung

RF2/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 S PRECHER Wir führen Sie nun in eine Versammlung. Es sprach gerade der Geheimrat Klaus über die moderne Jugend, über die sittliche Erneuerung. Er spricht die Schlusssätze. Nun beginnt die Diskussion. 5 B

VI. P RÄS (läutet) Ich eröffne die Diskussion! F RAU Die heutige Jugend heiratet nichtmehr, sie hat keine Seele! E R Das ist nicht richtig. Ich bin zum Beispiel verheiratet, aber es geht sehr schwer. Natürlich hört die bürgerliche Familie auf, wenn die Frau auch arbeiten muss. Das Geschwätz davon ist ja direkt ekelhaft . Sie können meine Seele garnicht verstehen, Sie müssen erst wissen, dass ich monatlich 200 Mark verdiene … Es ist eine sittliche Verrohung, dass Sie es wagen, uns hier zur Rechenschaft zu ziehen! Guten abend, gnädige Frau! N

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Vor diesem Bilde: VII. Ehe. VIII. Sportmann (im Auto) S IE Du bist nicht nett zu mir. Um Gotteswillen, jetzt hab ich gedacht, wir stossen schon zusammen! E R Ich habe am Sonntag einen schweren Kampf vor mir. Ich vertrete Deutschland. Verführ mich nicht! Ich muss fit sein! IX. Nelly (am Bahnhof: „Ich muss mit Dir brechen …“) N

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\Abbruch der Bearbeitung\

6 10 11 12 15–24 18 19 19 19 24

B

\VI./

B

VI.N ] ekelhaftN ] BN] BRechenschaftN ] B f brechen …“)N ] BVII.N ] BVIII.N ] B(im Auto)N ] BN] BIX.N ]

korrigiert aus: eckelhaft Absatz getilgt korrigiert aus: Rechenscaft

\ f brechen …“)/ \VII./ \VIII./ \(im Auto)/ Absatz eingefügt

\IX./

247

ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 10

Strukturpläne, Werktitel

ÖLA 3/W 267 – BS 63Lesetext j, Bl. 9

248

Strukturpläne, Werktitel

RF2/E12–E14

249

Lesetext

Werkverzeichnis, Werktitel, Strukturplan

ÖLA 3/W 364 – o. BS, Lesetext Bl. 5

250

Werkverzeichnis, Werktitel, Strukturplan

RF2/E16–E18

251

Lesetext

Werktitel

ÖLA 3/W 364 – o. BS, Lesetext Bl. 7v

252

Werktitel

RF2/E19

253

Lesetext

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe



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ÖLA 3/W 268 – BS 63 l, Bl. 1

Meine Damen und meine Herren! Ich heisse mit dem Vornamen Albert und habe mich entschlossen, Ihnen etwas aus meinem Liebesleben zu erzählen. Das ist nicht gerade einfach. Wenn man nämlich bekanntlich das Wort Liebe in den Mund nimmt, dann muss man vorsichtig werden. Und zwar automatisch weil nämlich die Liebe etwas überaus Hinterlistiges ist, da man sie mit dem puren Intellekt nirgends festnageln kann. Ich denke jetzt natürlich keineswegs an die niederen Funktionen des reinen Sexualtriebes an sich, sondern im Gegenteil. So viel als Einleitung. Denn ich werde nun nicht so fortfahren im Theoretischen - ich will jetzt alle Formulierungen hinter mir lassen. Das, worüber ich jetzt reden werde, ist etwas rein Privates von mir - als Bühnenkünstler bin ich mir nämlich dessen bewusst, dass auf die werten Damen und Herren nur das wirkt, was man sich aus der eigenen Seele reisst. Ein Fetzen Fleisch, mit Herzblut getränkt und so. Allerdings verfolge ich mit der Erörterung des absoluten Privaten an mir eine allgemein gültige Tendenz. Ich muss das betonen, damit keine Verwechselungen entstehen. Umsomehr, da ich nun nichts mehr von Tendenz reden möchte, weil ich das Ding an sich wirken lassen möchte. Und das wird es auch und zwar garantiert! Also. Kennen Sie das Fräulein Pollinger? Ich kenne es, das heisst, eigentlich habe ich es mal besser gekannt . Intimer. Jetzt treff ich es nur ab und zu. Wenn es mich an die Stätten der Vergangenheit zieht. Damals - damals war ich noch in meiner bayrischen Heimat. Es wollte gerade 얍 Frühling werden und es war ein grosses Wallen in der ganzen Natur. Damals lernten wir uns schätzen, aber ich will das alles lieber in einer Märchenform bringen, also: Es war einmal ein Fräulein, das fiel bei den besseren Herren nirgends besonders auf. Hingegen durfte sie ab und zu auf einem Motorrad hinten mitfahren, aber dafür erwartete man meistens etwas von ihr. Sie war auch trotz allem sehr gutmütig und verschloss sich den Herren nicht. Oft liebte sie zwar gerade diesen ihren einen nicht, aber es ruhte sie aus, wenn sie neben einem Herren sitzen konnte. Das hatte ihr das Leben bereits beigebracht. Es war ja fast alles in ihrem Leben einerlei, nur selten dachte sie intensiver an sich. Einmal ging sie mit einem Herren beinahe über ein Jahr. Dieser Herr war ich. Ende Oktober sagte sie: wenn ich von Dir ein Kind bekommen tät, das wär das grösste Unglück, dann erschrak sie über ihre Worte. Warum weinst Du , fragte ich, und hatte dabei das Gefühl, als könnte ich hypnotisieren. Ich habe es nicht gern, wenn Du weinst. Heuer fällt Allerheiligen auf einen Samstag, das gibt einen Doppelfeiertag und wir machen eine Bergtour und ich setzte ihr auseinander, dass die Erschütterungen beim Abwärtssteigen sehr gut dafür wären, dass sie kein Kind kriegt. B

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Lesetext

Stunde der Liebe B

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RF2/TS5 (Korrekturschicht)

3

B

Herren!N ]

4 6 8 15 22 36

B

mit\ /dem

B

korrigiert aus: b ekanntlichlich

mit demN ] bekanntlichN ] Bist, daN ] BFetzenN ] BgekanntN ] BDuN ]

N

korrigiert aus: Herren ! Überzählige oder fehlende Leerzeichen werden in RF2/TS5 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis.

ist[.], [D]|d|a Fetze\n/ korrigiert aus: geknnt korrigiert aus: du

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ÖLA 3/W 268 – BS 63 l, Bl. 2

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe

RF2/TS5 (Korrekturschicht)

Ich stieg dann mit ihr auf einen bekannten Ausflugsgipfel in der ferneren Umgebung, 2037 m hoch über dem fernen Meer. Als wir auf dem Gipfel standen, war es schon ganz Nacht, aber droben hingen die Sterne. Unten im Tal lag der Nebel und stieg langsam zu uns empor. Es war sehr still auf der Welt und plötzlich sagte meine Partnerin: der Nebel schaut aus, als würden darin die ungeborenen Seelen herumfliegen, aber ich ging auf diese Tonart nicht ein, weil es keinen ersichtlichen Grund gehabt hätte. Seit dieser Bergtour hatte sie oft eine kränkliche Farbe. Sie wurde auch nie wie얍 der ganz gesund und ab und zu tat es ihr im Unterleib schon ganz verrückt weh, aber sie trägt mir das nicht nach, sie ist eben eine starke Natur. Es gibt so Leute, die man nicht umbringen kann und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie heute noch. So weit das Märchen. Ja ich bin ein geschlagener Mann. Man hat es nicht leicht als Herr. Ob ich überhaupt jemals die Liebe find, ob es überhaupt eine Liebe gibt, verstehen Sie nicht, was ich unter Liebe versteh. Zum Beispiel jene Dame dort am dritten Tisch links, die habe ich auch schon mal gehabt, sie heisst Frau Schneider und wohnt in der Mauerkircherstr. 8 und dort rechts die Dame, das ist die Schwester einer Frau, deren Mutter sich in mich verliebt hat. Die hat immer zu mir gesagt: Albert, sie sind kein Frauenkenner, sie sind halt noch zu jung, sonst würden sie sich ganz anders benehmen. Sie stossen mich ja direkt von sich. Ich hab schon mit meinem Mann so viel durchzumachen gehabt, sie sind eben kein Psychologe. Aber ich bin ein Psychologe, weil ich sie gerade von mir stossen wollte. Ihr Mann ist ein ehemaliger Artilleriehauptmann. Mit einem anderen ehemaligen Artilleriehauptmann bin ich sehr befreundet und der ist mal zu mir gekommen und hat gesagt: Hand aufs Herz, lieber Albert, es ist doch den Tatsachen entsprechend, dass Du mich mit meiner Frau betrügst. Ich habe gesagt: Hand aufs Herz, es ist wahr. Hierauf wurde er plötzlich gerührt. Ich danke Dir, lieber Albert, hat er gesagt und dann hat er mir auseinander gesetzt, dass ich ja nichts dafür könnte, denn er wüsste es genau, dass der Mann nur der scheinbar aktive, aber eigentlich passive, während die Frau der scheinbar passive, aber eigentlich aktive Teil wäre. Das war schon immer so, hat er gesagt, zu allen Zeiten und bei allen Völkern. Das wird auch nicht anders, denn es muss so sein. (er sieht auf seine Uhr) B

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Lesetext

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\Textverlust\

4 25 30

sagteN ] betrügst.N ] BschonN ] B B

korrigiert aus: ssggte korrigiert aus: betrügs korrigiert aus: scho

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ÖLA 3/W 268 – BS 63 l, Bl. 3

Fragmentarische Fassung

RF2/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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얍 E R Warum weinst Du? Ich hab es nicht gern, dass Du weinst! S IE Es Bhat jaN auch Bkeinen Sinn –N E R Na endlich! BKomm, werd vernünftig!N BWir passen doch zusammen! Dass Du das nicht verstehst!N B (Stille – dann Gong)N

S PRECHER Also das war weniger erquicklich . Aber der Apparat funktioniert ausgezeichnet. Wir wollen nun weitergehen. Bitte folgen Sie mir. Ich gehe nun durch die Veterinärstrasse und wir gehen nun in ein Cafe. An dem einen Tische sitzt ein Student, ein Waffenstudent, er ist zwar nicht in Couleur, aber an den Schmissen erkennt man das. Ein sympathischer junger Mann. Er sitzt dort mit einem Fräulein, und sie scheinen sich sehr gut zu unterhalten, denn sie lacht immer wieder und sie lacht angenehm --B

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 1

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S IE (lacht) E R Und dann hat der Leutnant gesagt: „Mann! Steigen Sie doch ab von dem Ross!“ S IE Sie erzählen einem so interessante Sachen und das können Sie so gut. E R Ich bin ein guter Erzähler. Ein guter Erzähler bringt es weit im Leben. S IE Was studieren Sie eigentlich? Medizin? E R Jus. Recht. Ich werde Richter. Und ein Richter heutzutage muss auch ein Psychologe sein, wahrscheinlich kommt das daher, dass ich so stark auf Frauen wirke. S IE Nanana! E R Oh bitte! Darf ich? Sehr zum Wohl! S IE Prost! E R Was machen Sie denn jetzt hernach? S IE Wie meinen Sie das? 얍 E R Einfach. Eine kleine Freundin hat doch jeder Mann. S IE Das hab ich auch schon gehört. E R Und Sie gefallen mir. Sie haben so etwas mildes feines an sich, was man eigentlich bei Angehörigen ihrer Kaste nicht findet. Sie sind doch eine einfache Schneiderin, aber das ist tatsächlich toll. S IE Sie schmeicheln, Herr Doktor. E R Ich sage die Wahrheit. Ich kenne die Frauen. Ich habe einen Monatswechsel von sechshundert Mark, da lernt man die Frauen kennen. Und wissen Sie, was mir an Ihnen noch besonders gefällt? Dass Sie blond sind. Und blaue Augen haben. Sie erinnern mich an jemanden. S IE An wen? E R An eine grosse Liebe von mir. Sie haben Rasse. S IE Aber das ist alles nicht so schlimm -B

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3 3 4 4–5 6 8 36

hat jaN ] keinen Sinn –N ] BKomm f vernünftig!N ] BWir f verstehst!N ] B(Stille f Gong)N ] BerquicklichN ] Bgefällt?N ] B B

N

[ist] |hat ja| [umsonst --] |keinen Sinn –| Komm[!] |, werd vernünftig!| \Wir f verstehst!/ \(Stille f Gong)/ korrigiert aus: erquiklich korrigiert aus: gefällt

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 2

Fragmentarische Fassung

5

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RF2/TS6 (Korrekturschicht)

E R Einen Augenblick! Pardon! Da kommt ein Kommilitone von mir, den muss ich nur begrüssen -- er möchte mit mir anscheinend was reden. D ER K OMMILITONE Mensch! E R Na? K OM Wie kannst Du Dich mit einem Mädchen an einen Tisch setzen? E R Warum? K OM Und hier in unserem Cafe. Wenn Du ein Abenteuer haben willst, dann fang es nicht hier an. Du blamierst uns ja alle! E R Sie ist ein anständiges Mädchen. K OM Das geb ich schon zu, aber sie ist doch nicht salonfähig. Du musst Dich beherrschen. Hier kannst Du Dich nicht mit Schneiderinnen hersetzen, wenn Du unter das Volk gehen willst, dann bitte in die Kaschemme ! E R Was soll ich denn machen?! Ich will Euch natürlich keineswegs blamieren! 얍 K OM Geh mit ihr fort! Oder lass sie sitzen! E R Gut! Ich zahle! S IE Ich zahle meins. K OM Fräulein, stören Sie uns nicht! Wir haben wichtiges zu reden! Sie können sich ja dann anderswo mal treffen. S IE (ab) DIE ZWEI (lachen) Darf ich Dir eine Zigarette? E R Danke! B

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S PRECHER Und jetzt gehen wir wieder und sehen Sie dort oben sehen wir noch Licht im Fenster. Eine Frau sitzt an der Schreibmaschine. Ein Herr geht auf und ab. Zweiter Stock links, das Büro des Herrn Lindt.

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L INDT Wir müssen leider noch Überstunden machen, Sie müssen da bleiben. Schreiben Sie, Fräulein! Sehr geehrter Herr!

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S IE Darf ich jetzt gehen? L INDT Einen Augenblick! S IE Bitte. (Stille) S IE Was machen Sie da?! Machen Sie die Türe auf! L INDT Fällt mir nicht ein. S IE Was wollen Sie? L INDT Mit Ihnen reden. S IE Wieso? BN

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Lesetext

N

5 5 11 12 35 36 37

DichN ] setzen?N ] BSchneiderinnenN ] BKaschemmeN ] BN] BN] BS IE N ] B B

korrigiert aus: D ch korrigiert aus: setzen korrigiert aus: Schnei derinen korrigiert aus: Kascheme Absatz eingefügt Absatz eingefügt eingefügt

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 3

Fragmentarische Fassung

RF2/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

L INDT Sie haben gestohlen. S IE Nein. L Doch! Sie haben aus der Kasse gestohlen! Sie haben siebzehn Mark gestohlen! B

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\Textverlust\ 5

얍 S PRECHER Und nun gehen wir ins Odeonkasino. ( BMusik – Musik während er spricht)N B S PRECHER N Es sind die wirklich vornehmen Leute da, sie essen alle als hätten sie es nicht nötig, als wären sie schon ganz der Materie entwachsen. Es sind verschiedene Tische da, elegantes Publikum. In der Nische sitzt ein junges Paar.

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E R Gnädige Frau tanzen nicht gerne? S IE Nein. Doch mit Ihnen würde ich tanzen, Herr Doktor. Mein Mann sagt zwar, er sei nicht eifersüchtig. Übrigens: was halten Sie von meinem Mann? E R Offen gesagt nicht viel. S IE Sehen Sie, das sag ich auch immer. Aber warum soll ich mich scheiden lassen? Ich hab es nicht nötig, ich kann meinen kleinen Vergnügungen so auch nachgehen, er legt mir nichts in den Weg. E R Kennen Sie van der Velde? S IE Ja, leider. E R Es wirkt etwas ernüchternd . S IE Desillusionierend. E R Aber das Volk braucht so ein Buch. Ich sag das jetzt als Mediziner. S IE Finden Sie? Ich finde das Volk braucht es garnicht, das Volk soll nicht so aufgeklärt werden -- hören Sie nur diesen fabelhaften Tango. E R Den hab ich schon in Paris gehört. S IE Und ich in London. Aber er ist halt immer wieder schön. (Stille) E R Du, – S IE Attention! E R Jetzt hört uns keiner, die nebenan tanzen. S IE Und wie schlecht sie tanzen. Ein Skandal! E R Wann verreist er denn endlich? S IE Wer? B

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Nein.N ] Musik f spricht)N ] BS PRECHER N ] BkleinenN ] BVergnügungenN ] BauchN ] BmirN ] BN] BJa, leider.N ] BernüchterndN ] BIch f Mediziner.N ] BbrauchtN ] BDu, –N BS IE f E R N ] BWannN ] BS IE Wer?N ] B B

korrigiert aus: Nein

Musik[)]|– Musik f spricht)| eingefügt korrigiert aus: kle nen korrigiert aus: Vergügungen korrigiert aus: a ch korrigiert aus: mit

[Das ist jetzt Mode.] Ja[.]|,| \leider./ korrigiert aus: ernü hternd \Ich f Mediziner./ korrigiert aus: brauch Du \,–/ \S IE f E R / korrigiert aus: wann (1) S IE Morgen. (2) \S IE Wer?/

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 12

Fragmentarische Fassung

5

RF2/TS6 (Korrekturschicht)

E R Ich komm dann zu Dir -S IE Unter einer Bedingung. 얍 E R Die wäre? S IE Dass du Dich nicht in mich verliebst -- ich meine: dass es nur dabei bleibt, und dass Du nicht etwa mir Unannehmlichkeiten bereitest -E R Ich werde mich befleissigen -S IE Du Hund --(Musik verstummt plötzlich) B

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B N

S PRECHER Halt! Das ist aber sonderbar – – Jetzt sind schon 10 Minuten vergangen und noch immer steht dort drüben an der Ecke diese sonderbare Dame. Sie hat eine weisse Rose in der Hand und scheint auf jemanden zu warten. Es ist eine ältliche Dame. Warten wir, sie zieht einen Zettel hervor und überfliegt ihn -- sie liest leise -B

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NN B

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S IE (liest) Sehr verehrte gnädige Frau -- ich habe Ihr Heiratsinserat gelesen und würde Sie gerne treffen. Kennzeichen: weisse Rose – S PRECHER (leise) Jetzt kommt ein junger Mann mit einer weissen Rose, das könnte ihr Sohn sein. E R Pardon! S IE Ich bins. E R (schweigt) S IE Nun? E R Ja. S IE Ihr Brief war sehr nett. E R So? S IE Wollen wir nicht in ein Cafe gehen? E R Nein. S IE Sondern? E R Nirgends hin. S IE Wie meinen Sie das? E R Hören Sie: es ist eine ziemliche Unverfrorenheit, in der Zeitung sich als jüngere Witwe auszugeben -- oder glauben Sie 얍 dass ich mich mit Ihnen einlassen werde? Sie könnten ja meine Grossmutter sein! S IE Seien Sie doch nicht so roh! B

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 13

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Lesetext

5 8 10 11–12

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mir f bereitestN ] (Musik f plötzlich)N ] BN] BHalt! f Dame.N ]

11–12

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12 13 13 17 18 19 33 34

B

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Jetzt f Dame.N ]

Sie hatN ] eine weisseN ] BHandN ] BgnädigeN ] BRose –N ] B(leise)N ] BderN ] Boder glaubenN ] B

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mi[t]|r| [der Seele] |Unannehmlichkeiten bereitest| \(Musik f plötzlich)/ gestrichen: \VI./ (1) Nun treffen wir eine Dame (2) \Halt! f Dame./ [\Wie ich jetzt da um die Ecke biege, stoss ich fast mit einer Dame zusammen. Sie { }/] |Jetzt f Dame.| [mit] |Sie hat| eine[r] weisse[n] Hand[. Sie steht an der Ecke] gnädig\e/ Rose[.]|–| \(leise)/ korrigiert aus: die korrigiert aus: oderglauben

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 14

Fragmentarische Fassung

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RF2/TS6 (Korrekturschicht)

E R Ich bin nur anständig! Ehrlich! Es hat gar keinen Sinn! S IE Sie ärgern sich jetzt, aber Sie tun mir unrecht. E R Ich hab mir jetzt extra eine Rose gekauft -S IE Ich zahle Sie Ihnen. E R Eine Mark zwanzig. S IE Hier. Können Sie herausgeben? E R Nein. Ich hab weder Kleingeld noch Grossgeld. S IE So -E R Ich hab drei Tag nichts gegessen. S IE Nichts gegessen -E R Ich dachte endlich in ein Heim zu kommen, aber siehe da. Sie sagten, Sie hätten eine eigene Wohnung -- im Inserat . Und ich schrieb Ihnen, dass ich ein ganzer Mann bin. S IE Ein ganzer Mann. E R Sehr richtig. S IE Ich bin seit zehn Jahren Witwe. Mein Mann ist im Krieg gefallen. Ich hab schon viel hinter mir – E R Das müssen Sie auch nicht. S IE Wie meinen Sie das? E R Ich hab drei Tag nichts gegessen. (Stille) S IE Ich weiss nicht, was ich tu. E R Zuerst gib mir das Geld für die Rose. S IE Da -- Du musst mir nichts herausgeben -B

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Lesetext

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\Textverlust\

6 12 16–17

herausgeben?N ] InseratN ] Bhab f mir –N ] B B

korrigiert aus: herausgeben. korrigiert aus: Inseart (1) kanns nichtmehr aushalten. (2) \hab f mir –/

260

Fragmentarische Fassung

RF2/TS7 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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25

30

얍 III. (Der Sprecher geht nun an einem Konzertcafe vorbei, aus dem man die Musik heraushört. Noch dazu ein BPotpourriN. Der Sprecher betritt das Cafe, nun ist die Musik in der Nähe) E INE SCHRILLE S TIMME Was soll denn das? S PRECHER Wieso? D IE S TIMME BIch hör Musik.N Wo sind Sie denn jetzt? S PRECHER In einem Cafe. In einem Konzertcafe. Ich muss jetzt nur rasch Bmal –N eine Tasse Cafe trinken -B DER K ELLNER (unterbricht ihn) Was wünschen der Herr? B S PRECHER N Cafè.N D IE S TIMME Auch etwas Kuchen? S PRECHER Danke, nein! Süssigkeiten hab ich nicht gern, BHerr OberN! (Pause) S PRECHER Danke, BHerr OberN! Sagen Sie mal: wer sind denn die beiden Leute dort hinten in der Nische? F RÄULEIN Das ist ein Akademiker. S PRECHER Und sie? F RÄULEIN Kenn ich nicht. Ich glaub, sie hat was mit ihm. S PRECHER Dann werd ich mal einschalten -F RÄULEIN Was wollen Sie tun? S PRECHER Meinen Apparat einschalten. F RÄULEIN Ich versteh Sie nicht. S PRECHER Achtung! S IE (lacht) E R B(lispelt)N Noch einer, hören Sie nur: ein Herr kommt Bwütend nachhauseN und B weissN, dass der Hausfreund bei seiner Frau ist. Der Hausfreund versteckt sich aber in den Schrank. Der Mann rast herum, schreit immer „Da ist er nicht! BDaN ist er nicht!“ 얍 Endlich reisst er den Schrank auf, da steht der Hausfreund drinnen und zwar mit dem Revolver in der Hand. Der Mann haut die Tür wieder zu und schreit: „ BDaN ist er auch nicht!“ und sucht weiter -B EIDE (lachen)

4 8 9 11–12

B

korrigiert aus: Putporie

B

PotpourriN ] Ich f Musik.N ] Bmal –N ] BDER f Cafè.N ]

\Ich f Musik./ \mal –/ (1) [D IE S TIMME ] |D AS F RÄULEIN | Tasse oder Kännchen? S PRECHER Tasse. (2) \[DAS F RÄULEIN ] [ |die Kassierin|] |DER f Cafè.|/

12 14 16 27 27 28

B

eingefügt

B

29 32

B

[Fräulein] |Herr Ober| [Fräulein] |Herr Ober| \(lispelt)/ korrigiert aus: nachhause wütend (1) entdeckt (2) weiss korrigiert aus: Das korrigiert aus: Das

S PRECHER N ] Herr OberN ] BHerr OberN ] B(lispelt)N ] Bwütend nachhauseN ] BweissN ]

B

DaN ] DaN ]

261

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 5

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 6

Fragmentarische Fassung

RF2/TS7 (Korrekturschicht)

S IE Sie können es einem so gut sagen, Herr Lallinger! E R Ich hab auch ein Erzählertalent. Sie Was studierens denn eigentlich? Medizin? E R Rechte. S IE Sie können einen so durchdringend anschauen -E R Unerbittlich, nicht? S IE Es geht durch und durch -E R Heutzutag muss auch der Richter ein eherner Psychologe sein. Ich bin einer und wahrscheinlich ist auch das der tiefere Grund, dass ich so ausgesprochen stark auf Frauen wirke. S IE Das tun Sie auch, Herr Lallinger! E R Darf ich? Sehr zum Wohl! S IE Prost! (sie stossen an) E R Sie gefallen mir. Ich sage die Wahrheit. Ich kenne die Frauen. Ich habe einen Monatswechsel von sechshundert Mark. S IE Ah! (kurze Stille) E R Darf ich! Sehr zu Wohl! S IE Prost! S IE Jesusmariajosef! E R Was denn los? S IE Er. E R Wer er? S IE Mein Freund -- er hat uns gesehen -E R Das geht mich nichts an! 얍 D ER F REUND Also Du betrügst mich. Das ist ja recht nett von Dir. Wer ist denn das? E R Mein Herr! F REUND (unterbricht ihn) Mit Dir red ich ja gar nicht! Ich red mit ihr! E R Herr, sind Sie überhaupt satisfaktionsfähig ? F REUND Du leckst mich jetzt am Arsch! Und Du kannst Dich schämen! Wennst eine übers Maul haben willst, kannst gleich eine haben! Schwing Dich zu Deine Weiber, aber lass die Finger von den unseren! Anna, wie kannst Du Dich nur mit so einem Rotzlöffel ins Lokal setzen -- Meiner Seel, wannst jetzt nicht gleich mitkommst, geh ich nachhaus und zerreiss Dir alle Kleider im Schrank! S IE Ich komm ja schon! B

5

N

B

B

10

Lesetext

B

N

N

B

N

N

BN

15

BN

B

N

20

25

B

30

B

35

1 8 9 9 11 14

B

Lallinger!N ] ehernerN ] BtiefereN ] BausgesprochenN ] Bauch f Lallinger!N ] BN]

15 16–19 29 34 34

BN

B

] S IE f Prost!N ] BsatisfaktionsfähigN ] BnachhausN ] BalleN ] B

N

N

B

N

[Doktor.] |Lallinger!| \eherner/ \tiefere/ \ausgesprochen/ auch[.]|,| \Herr Lallinger!/ [Sie sind doch ein einfaches Mädchen. Aber Sie haben trotzdem etwas feines an sich, was m an sonst bei Angehörigen Ihrer Kaste nicht finden kann. S IE Aber, Herr Referendar! ER] [Sie sind eine germanische Erscheinung.] \S IE f Prost!/ korrigiert aus: Satisfaktionsfähig korrigiert aus: nachaus korrigiert aus: alles

262

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 7

Fragmentarische Fassung

B

RF2/TS7 (Korrekturschicht)

Lesetext

S PRECHER Zahlen! Zahlen, Herr Ober! K ELLNER Vierzig Pfennig ohne. S PRECHER Fünfzig mit. (Gong) N

B

N

5

IV. B N

S PRECHER So, jetzt hab ich auch meinen Cafe hinter mir. Ich geh jetzt durch die Schellingstrasse, es ist ziemlich still, drüben im zweiten Stock sitzt eine Dame an der Schreibmaschine – man sieht ihre Silhouette durch den Vorhang -- und dann ist noch ein Schatten da, der immer wieder verschwindet -- da geht anscheinend wer auf und ab und diktiert ihr. Einen Augenblick! (Stille) E R Haben Sies? S IE Ja. E R Weiter! Schreiben Sie, Fräulein! (er diktiert) Sehr geehrter Herr! 얍 S IE (hat geschrieben) E R Haben Sies? S IE Ja. (Stille) S IE Kann ich jetzt gehen? E R Einen Augenblick! (Stille) S IE (schreit plötzlich) Was machen Sie da?! E R Nichts. S IE Warum sperren Sie die Türe zu? Lassen Sie den Schlüssel! Machen Sie die Türe auf! E R Fällt mir nicht ein! S IE Machen Sie augenblicklich nachhaus! E R Hernach! S IE Ich schrei! E R Das würde ich Ihnen in Ihrem persönlichsten Interesse abraten! S IE Was wollen Sie denn? E R Zunächst nicht das, was Sie denken! Ich muss mit Ihnen reden. Nehmen Sie Platz, Man hat mich bestohlen. bitte! (Stille) B

10

15

B

N

B

20

25

30

B

35

B

N

N

1 1–4 7 9 10 10 16 16 32 35 35 35 36

B B

S PRECHER N ] Zahlen f (Gong)N ]

] sitztN ] B– man siehtN ] Bdurch f VorhangN ] B(er diktiert)N ] BN] B IhremN ] BN] BN] BN] B(Stille)N ] BN B

N

N BN

BN BN BN

B

N

[F REUND ] |S PRECHER | (1) (Musik bricht ab) (2) \Zahlen f (Gong)/

[(Gong)] [sieht man durch den Vorhang \die Silhouette/] |sitzt| [sitzen] |– man sieht| \durch f Vorhang/ \(er diktiert)/ Absatz vom Autor getilgt korrigiert aus: ihrem

[(Stille)]f x gestrichen: E R Absatz gestrichen

(Stille)

x

263

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 8

Fragmentarische Fassung

RF2/TS7 (Korrekturschicht)

Lesetext

B N

5

10

E R Geben Sies zu? S IE Was denn? E R Sie haben mich bestohlen. S IE Sind Sie verrückt?! E R Sie haben gestohlen. Sie haben achtundvierzig Mark gestohlen. Leugnen Sie nicht! Ich weiss es! Geben Sies ruhig 얍 zu, dann passiert Ihnen nichts, ausser nur ein klein wenig! Sie haben aus der Kasse gestohlen! S IE Was wollen Sie -E R Ich behalte Sie trotzdem, wenn Sie es zugeben. Ich bin mit Ihnen eingearbeitet. Ich versteh es, dass der Versuchung ein Mensch mal unterliegt bei diesen schwierigen Zeiten, verkennen Sie mich nicht -- wenn Sie es zugeben, passiert Ihnen nichts. (Stille) Er Nun? S IE Ja. E R Und wieviel? S IE 48 Mark. E R Sehen Sie – und jetzt sperr ich auch die Tür auf. Sie können nun gehen. S IE Herr Lindt – E R Was denn? S IE Ich danke Ihnen -E R Sie haben mir nichts zu danken! Halten Sie mich nur nicht für so dumm! Ich weiss, wie man Ihresgleichen behandeln muss! Ich hab mich mit Kriminalistik beschäftigt, ich weiss, wie man dahinterkommt! Sie sind natürlich entlassen und anzeigen tu ich Sie auch! Das werd ich mir noch überlegen! S IE Ich hab ja nicht für mich gestohlen? E R Egal! S IE Es war für wen anderen! E R Vielleicht für eine sterbende Mutter, was? S IE Nein. Für mich! E R Na also! S IE Ich komm nicht aus mit der Bezahlung! Sie zahlen mir die Überstunden nicht! Sie nützen mich aus, Sie stehlen! Sie stehlen! 얍 E R Kusch! Soll ich Sie auch noch anzeigen, Person! S IE Ich kann Sie nicht anzeigen, Ihr Diebstahl fällt unter keinen Paragraph! Machen Sie die Türe auf! E R Nein. BN

B

15

B

25

N

B

BN

30

35

N

N

B

20

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 9

B

1

BN

11 11 14 19 19 20 26 26

BN

N

]

] malN ] B(Stille)N ] BSehen f auf.N ] BN] BLindt –N ] BN] BtuN ] B

BN

N

[S IE Au! E R Tut Ihnen das weh? S IE Au! Kneifen Sie mich doch nicht in den Arm! Au!] gestrichen: Sie korrigiert aus: ma korrigiert aus: S(Stille) [Danke.] |Sehen f auf.| [{ }] Lindt[.]|–| gestrichen: Sie korrigiert aus: tun

264

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 10

Fragmentarische Fassung

RF2/TS7 (Korrekturschicht)

S IE Zeigen Sie mich an. E R (feierlich) Fräulein! Sie verkennen mich schon wieder und zwar total. Sie dürfen meine Erregung nicht missdeuten. Ich zeige Sie natürlich nicht an und Sie können auch Ihren Posten behalten, wenn Sie wollen, wir sind ja miteinander eingearbeitet, es hängt also lediglich von Ihnen ab -- Machen wir ein Kompromiss. S IE Wie verstehen Sie das? (Stille) E R Diskretion Ehrensache. (Gong) B

N

B

5

NN

B

N

B

B

N

10

V. S PRECHER 15

Lesetext

\Abbruch der Bearbeitung\

2 4–5 4–5 5 5–8

schon f zwarN ] wir f eingearbeitet,N ] Beingearbeitet,N ] BalsoN ] BMachen f Ehrensache.N ] B B

\schon f zwar/ \wir f eingearbeitet,/ korrigiert aus: eingearbeitet \also/ (1) S IE Sie sind ein schlechter Mensch, Herr Lindt. E R Mit einem guten Kern. S IE Sie könnten auch2 einen1 umbringen -[(Stille)] E R \(grinst)/ Diskretion Ehrensache. (2) \Machen f Ehrensache./

265

Fragmentarische Fassung

RF2/TS8 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

20

25

얍 (Musik aus einem Konzertcafe und zwar eine Potpourri Brheinischer LiederN. Zuerst schwach, dann immer stärker) E INE SCHRILLE S TIMME Hallo! Was soll denn das?! S PRECHER Wieso? D IE SCHRILLE S TIMME Ich höre Musik! Wo sind Sie denn jetzt? S PRECHER Ich bin jetzt in einem Cafe. In einem Konzertcafe. Ich muss jetzt nur rasch mal -DER K ELLNER (unterbricht ihn) Der Herr wünschen? S PRECHER Cafe. D ER K ELLNER Tasse oder Kännchen? S PRECHER Tasse. D ER K ELLNER Auch etwas Kuchen? S PRECHER Danke nein! Ich schwärme nicht für Süssigkeiten, Herr Ober! Sagen Sie mal: wer sind denn die beiden verliebten jungen BLeutN in der Nische? B K ELL Wo? S PRECHER Dort hinten.N D ER K ELLNER BDort?N Das ist ein Akademiker. S PRECHER Und wer ist sie? D ER K ELLNER Was weiss ich! (er lässt ihn stehen) S PRECHER Das aber ein unfreundlicher Mensch! Überhaupt werden die Leut anscheinend immer unfreundlicher -- also schalten wir mal ein, damit wir auf lustigere Gedanken kommen -- das Mädchen mit dem Akademiker lacht ja in einer Tur -Achtung bitte! S IE (lacht) D ER A KADEMIKER (lispelt) Noch einer! Kennen Sie BdenN? Ein Ehemann rast wütend nachhaus, weil er weiss, dass der Hausfreund gerade bei seiner Gattin ist. Aber der Hausfreund sieht ihn daherrasen und versteckt sich in einem grossen Schrank. \Textverlust\

2 15 16–17 18 26

rheinischer LiederN ] LeutN ] BK ELL f hinten.N ] BDort?N ] BdenN ] B B

[alter Militärmärsche] |rheinischer Lieder| [Leut] \K ELL f hinten./ \Dort?/ korrigiert aus: denn

266

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 4

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B Stunde der Liebe 1930 Sieben Szenen für Rundfunk.N B N

5

B

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 11

V. S PRECHER Meine Damen und Herren! Nun folgen Sie mir aber bitte auf die Spitze der Pyramide, unserer gesellschaftlichen Pyramide! (leise erklingt Jazzmusik) S PRECHER Wir betreten nun das Pavillon, draussen parken die Autos, in den Garderoben hängen teuere Pelze, es sind die wirklich vornehmen Leute da. (Musik immer lauter) S PRECHER Man tanzt. Man trinkt. Man isst. -- Für jeden Tisch ist ein Kellner da und dabei essen die Gäste, als hätten sie es nicht nötig, als wären sie schon ganz der Materie entwachsen und derweil sind sie doch nur satt. Ist es Ihnen schon aufgefallen, Herr Kommerzienrat, dass viele elegant gekleidete Leute so auf einen Haufen immer komisch wirken? N

B

10 B

N

BN

B

N B

N

B

N

B

N

E R Gnädigste tanzen nicht gern? S IE Ich tanze eigentlich nur mit meinem Mann. Hören Sie, Herr Baron , mein Mann sagt, er sei nicht eifersüchtig. Übrigens: Was halten Sie davon? von meinem Mann? S PRECHER Das ist eine gute aussehende Frau, sie hat etwas königliches an sich – – Wollen mal hören! B

B

20

B

N

B

15

N

N

N

N B B

B

N

B

N

N

N

\Textverlust\ 25

30

얍 S PRECHER Und nun gehen wir ins Odeonkasino. ( BMusik – Musik während er spricht)N B S PRECHER N Es sind die wirklich vornehmen Leute da, sie essen alle als hätten sie es nicht nötig, als wären sie schon ganz der Materie entwachsen. Es sind verschiedene Tische da, elegantes Publikum. In der Nische sitzt ein junges Paar.

E R Gnädige Frau tanzen nicht gerne?

1–2 2 8 9 9 9 11 14 14 14 17 17 18 18 18 21 21–22 21 25 26

Stunde f Rundfunk.N ] ] BS PRECHER N ] BdieN ] BvornehmenN ] BLeuteN ] BS PRECHER N ] BHerr Kommerzienrat,N ] Belegant gekleideteN ] BsoN ] BN] Bgern?N ] BeigentlichN ] BHörenN ] BBaronN ] BS PRECHER N ] BDas f hören!N ] BDas f eineN ] BMusik f spricht)N ] BS PRECHER N ] B

BN

\Stunde f Rundfunk./ gestrichen: \Über Leichen gehen/ eingefügt

\die/ korrigiert aus: vornehme

[Menschen] |Leute| eingefügt korrigiert aus: \Herr Kommerzienrat/

[vornehme] |elegant gekleidete| [so]|so| [heut] gern[?] |?| \eigentlich/ [Wissen] |Hören| [Doktor] |Baron| eingefügt

\Das f hören!/ \Das ist/ [E]|e|ine Musik[)]|– Musik f spricht)| eingefügt

267

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 12

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

5

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

Lesetext

S IE Nein. Doch mit Ihnen würde ich tanzen, Herr Doktor. Mein Mann sagt zwar, er sei nicht eifersüchtig. Übrigens: was halten Sie von meinem Mann? E R Offen gesagt nicht viel. S IE Sehen Sie, das sag ich auch immer. Aber warum soll ich mich scheiden lassen? Ich hab es nicht nötig, ich kann meinen kleinen Vergnügungen so auch nachgehen, er legt mir nichts in den Weg. E R Kennen Sie van der Velde? S IE Ja, leider. E R Es wirkt etwas ernüchternd . Sie Desillusionierend. E R Aber das Volk braucht so ein Buch. Ich sag das jetzt als Mediziner. S IE Finden Sie? Ich finde das Volk braucht es garnicht, das Volk soll nicht so aufgeklärt werden -- hören Sie nur diesen fabelhaften Tango. E R Den hab ich schon in Paris gehört. S IE Und ich in London. Aber er ist halt immer wieder schön. (Stille) E R Du, – S IE Attention! E R Jetzt hört uns keiner, die nebenan tanzen. S IE Und wie schlecht sie tanzen. Ein Skandal! E R Wann verreist er denn endlich? S IE Wer? E R Ich komm dann zu Dir -S IE Unter einer Bedingung. 얍 E R Die wäre? S IE Dass Du Dich nicht in mich verliebst -- ich meine: dass es nur dabei bleibt, und dass Du nicht etwa mir Unannehmlichkeiten bereitest -E R Ich werde mich befleissigen -S IE Du Hund --(Musik verstummt plötzlich) B

B

N B

N

B

N

N

BN B

N

B

10

N

B

B

15

B

N

N

N

B

20

N B

N

N

B

25

B

30

N

N

B

5 5 5 6 7 8 9 11 12 17 18–21 21 22

B

kleinenN ] VergnügungenN ] BauchN ] BmirN ] BN] BJa, leider.N ] BernüchterndN ] BIch f Mediziner.N ] BbrauchtN ] BDu, –N ] BS IE f E R N ] BWannN ] BS IE Wer?N ]

27 30

B

B

B

mir f bereitestN ] (Musik f plötzlich)N ]

korrigiert aus: kle nen korrigiert aus: Vergügungen korrigiert aus: a ch korrigiert aus: mit

[Das ist jetzt Mode.] Ja[.]|,| \leider./ korrigiert aus: ernü hternd \Ich f Mediziner./ korrigiert aus: brauch Du\, –/ \Sie f E R / korrigiert aus: wann (1) S IE Morgen. (2) \S IE Wer?/ mi[t]|r| [der Seele] |Unannehmlichkeiten bereitest| \(Musik f plötzlich)/

268

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 13

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

Lesetext

VI. S PRECHER Halt! Das ist aber sonderbar – – Jetzt sind schon 10 Minuten vergangen und noch immer steht dort drüben an der Ecke diese sonderbare Dame. Sie hat eine weisse Rose in der Hand und scheint auf jemanden zu warten. Es ist eine ältliche Dame. Warten wir, sie zieht einen Zettel hervor und überfliegt ihn -- sie liest leise -S IE (liest) Sehr verehrte gnädige Frau -- ich habe Ihr Heiratsinserat gelesen und würde Sie gerne treffen. Kennzeichen: weisse Rose – S PRECHER (leise) Jetzt kommt ein junger Mann mit einer weissen Rose, das könnte ihr Sohn sein. E R Pardon! S IE Ich bins. E R (schweigt) S IE Nun? E R Ja. S IE Ihr Brief war sehr nett. E R So? S IE Wollen wir nicht in ein Cafe gehen? E R Nein. S IE Sondern? E R Nirgends hin. S IE Wie meinen Sie das? E R Hören Sie: es ist eine ziemliche Unverfrorenheit, in der Zeitung sich als jüngere Witwe auszugeben -- oder glauben Sie, 얍 dass ich mich mit Ihnen einlassen werde? Sie könnten ja meine Grossmutter sein! S IE Seien Sie doch nicht so roh! E R Ich bin nur anständig! Ehrlich! Es hat gar keinen Sinn! S IE Sie ärgern sich jetzt, aber Sie tun mir unrecht. E R Ich hab mir jetzt extra eine Rose gekauft -S IE Ich zahle Sie Ihnen. E R Eine Mark zwanzig. S IE Hier. Können Sie herausgeben? E R Nein. Ich hab weder Kleingeld noch Grossgeld. S IE So -E R Ich hab drei Tag nichts gegessen. B

B

N

B

NN B

N

B

5

B

N

B

N

B

B

10

15

20

N

N

B

B

25

30

B

35

1 2–3

B

2–3

B

3 4 4 7 8 9 23 24 32

B

VI.N ] Halt! f Dame.N ] Jetzt f Dame.N ]

Sie hatN ] eine weisseN ] BHandN ] BgnädigeN ] BRose –N ] B(leise)N ] BderN ] Boder glaubenN ] Bherausgeben?N ] B B

N

N

N

N

\VI./ (1) Nun treffen wir eine Dame (2) \Halt! f Dame./

[\Wie ich jetzt da um die Ecke biege, stoss ich fast mit einer Dame zusammen. Sie { }/] |Jetzt f Dame.| [mit] |Sie hat| eine[r] weisse[n] Hand[. Sie steht an der Ecke] gnädig\e/ Rose[.]|–| \(leise)/ korrigiert aus: die korrigiert aus: oderglauben korrigiert aus: herausgeben.

269

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 14

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

Lesetext

S IE Nichts gegessen -E R Ich dachte endlich in ein Heim zu kommen, aber siehe da. Sie sagten, Sie hätten eine eigene Wohnung -- im Inserat . Und ich schrieb Ihnen, dass ich ein ganzer Mann bin. S IE Ein ganzer Mann. E R Sehr richtig. S IE Ich bin seit zehn Jahren Witwe. Mein Mann ist im Krieg gefallen. Ich hab schon viel hinter mir – E R Das müssen Sie auch nicht. S IE Wie meinen Sie das? E R Ich hab drei Tag nichts gegessen. (Stille) S IE Ich weiss nicht, was ich tu. E R Zuerst gib mir das Geld für die Rose. S IE Da -- Du musst mir nichts herausgeben -B

5

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

N

B

N

10

15

20

25

얍 VII. S PRECHER Ich glaube, jetzt fängt es an zu regnen -- das aber ärgerlich! Wir sind halt noch weit zurück in der Bekämpfung der Natur. Besonders aber der Natur in uns. -- Und wie das regnet! Auto! Auto! B R UF (Mann und BFrau = zwei Stimmen)N Auto! Auto!N B S PRECHER N Sakrament! Jetzt haben mir Bdie zwei da drüben dasN Auto weggeschnappt! BDas ärgert mich aber!N

E R Sind Sie frei? F AHRER Ja. S IE Den haben wir jetzt dem Herrn dort drüben weggeschnappt! Der wird sich jetzt ärgern! Du begleitest mich doch nachhaus? E R Ja. S IE Franz Josef Strasse 69 . F AHRER Franz Josef 69 . (Fahrt; Hupensignal) S IE Der fährt aber rasch, bei dem nassen Pflaster -E R Das ist nicht so arg. S IE Ja wenn Du fahren würdest, dann hätt ich keine Angst. Aber jetzt passiert so viel. Es muss doch schrecklich sein, als Krüppel zu leben! B

B

NN

30

B

N B

B

35

3 7–8

B

21 21 22 22 23 27–28 27–28 30 30 31

B

B

InseratN ] hab f mir –N ]

R UF f Auto!N ] Frau f Stimmen)N ] BS PRECHER N ] Bdie f dasN ] BDas f aber!N ] BDen f ärgern!N ] BDer f ärgern!N ] BStrasseN ] B69N ] B69N ] B

N

N

korrigiert aus: Inseart (1) kanns nichtmehr aushalten. (2) \hab f mir –/

\R UF f Auto!/ Frau[)] |= zwei Stimmen)| eingefügt

[da]|da|3 drüben4 \die/1 zwei2 das5 \Das f aber!/ \Den f ärgern!/ [Das {tät}] |Der f ärgern!| korrigiert aus: strasse 6[8]|9| 6[8]|9|

270

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 15

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

5

10

Lesetext

E R Manche Leut sind Krüppel und wissens garnicht. S IE Peter! E R Hm? S IE Warum willst Du jetzt nicht zu mir? E R Ich hab es Dir doch schon erklärt: ich muss mich schonen, ich vertrete übermorgen Deutschlands Farben, weisst Du was das heisst? Die ganze Welt blickt auf mich -- ich bin der rechte Läufer und wenn ich versag bricht der Sturm zusammen, könntest Du das verantworten? S IE Wenn wir verheiratet wären, dann ja. (Stille) E R Lass mich! 얍 S IE Du Ekel ! E R Begreif mich doch! S IE Scheusal! Ich möchte Dir am liebsten eine Ohrfeige geben! E R Begreif doch meine tragische Lage! Ich muss meine Pflicht achten! S IE Immer mit Deiner Pflicht! E R Ich sündige so schon genug! Ich halt mich ja nur noch vor Länderkämpfen zurück! Da ist eine patriotische Tat! N

B

B

15

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

N

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m Bl. 16

B N

20

25 B

E R Jeder Mensch hat Pflichten. Das ist die Tragik des Lebens. S IE Es ist schwer ein Mensch zu sein -E R So, jetzt bist Du da. S IE Adieu! E R Kitty! S IE Bis nach dem Länderspiel! (Gong) N

\Textverlust\ 30

얍 IX. B E IN

S PRECHER Lindwurmstrasse 247, dritter Stock links. Zwei Zimmer Küche, Kellerraum und Speicheranteil. Karl Hauser, Buchhalter, und seine Ehefrau Anna. Verheiratet seit zwei Jahren. Ein Kind, ein Sohn Walter Peter, ein Jahr alt. Der Sohn hat Geburtstag. Er liegt in der Wiege und weint und will nicht schlafen. FREMDER N

35

10 12 19

B

\(Stille)/

B

(Stille)N ] EkelN ] BN]

korrigiert aus: Eckel

26 30

B B

(Gong)N ] E IN FREMDER N ]

[S IE Adieu! E R Kitty! S IE Du kannst mich morgen anrufen --] \(Gong)/ \E IN FREMDER /

271

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 17

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

RF2/TS9 (Korrekturschicht)

Lesetext

(Kinderweinen) B N

얍BN (Stille) 5 E R Nun können wir ja anfangen. Es ist eine stille Nacht draussen. S IE Ja. Bitte -E R Ich habe hier eine Aufstellung gemacht, eine Inventur. Was wir hier zusammenhaben, das haben wir gemeinsam verdient. Da Du genau so ins Büro gehst wie ich. Ich schlage also vor, dass wir unser Hab auch teilen -10 S IE Ja. E R Du kannst hier sehen, wie ich die Teilung vollzogen habe. Den grossen Schrank bekommst Du, dafür will ich aber die Kommode und das Bild. S IE Nimm lieber das andere. E R Das gefällt mir nicht so gut. 15 S IE Mir auch nicht -E R (lächelt) Also gut, Anna -- es ist soweit alles klar, nur müssen wir uns jetzt BdenN B ScheidungsgrundN noch genau überlegen. Ich nehme mir meinen Urlaub nächste Woche und fahre fort und Du klagst wegen Verlassen. Die Schuld trage natürlich ich. 20 S IE Das tut mir sehr leid. E R Nach dem Gesetz muss einer schuld sein -- Es spielt auch für mich keine Rolle. S IE Denkst Du nicht wieder zu heiraten? 2

BN

]

3

BN

]

16 17

B B

denN ] ScheidungsgrundN ]

[S IE Schlaf, schlaf -- na sei doch so gut -- was soll man denn nur an[g]|f|angen -E R Jetzt schau aber, dass die Heulerei aufhört! Das ist ja fürchterlich! \S IE Sei nur nicht nervös! E R Aber was! S IE Jetzt schläft es. (Stille) [[S IE ] |E R | A] |Sie Warum schaust Du mich nicht an?| E R Ich hab gerade nachgedacht. Es geht so nichtmehr weiter S IE Still! Sonst wacht es wieder auf! E R Es. Wie das [kli] |klingt| „es“? ÷ E R Wir wollen vernünftig reden. Es ist, glaub ich, das Beste, wir lassen uns scheiden. [Wir] [|Ich ver|] |Wir verdienen beide nicht soviel, wir dachten es würde gehen.| S IE [{ }] |Ich hab nichts dagegen.| E R Das einzige ist das Kind. S IE Das gehört mir. E R Dir? Das ist klar. [Es soll] [S IE Weisst Du, was schwerer ist als verheiratet? (Einsam sein)] E R Ich fahre morgen weg auf 14 Tage. Wir müssen eine Posse aufführen. S IE Komm – E R Du! (Schluss)/] [(Kinderweinen) S IE Schlaf, schlaf -- da da -- (Kinderspielzeugklang) -- es schläft nicht, -- da da da -E R Jetzt wird es bald schlafen. S IE Jetzt, ja.] eingefügt (1) das Prozess (2) Scheidungsgrund

272

ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 18

Fragmentarische Fassung Stunde der Liebe 1930

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RF2/TS9 (Korrekturschicht)

Lesetext

E R Nein. Und Du? 얍 S IE Nein. E R Da wir keine Kinder haben, hat die Ehe natürlich keinen Sinn. Und Kinder können wir nicht haben, dann müsstest Du Deinen Beruf auflassen und ich könnt nicht genügend herbeischaffen. Wir könnten ja irgendwie auskommen, aber ich will keinen Menschen irgendwie in die Welt setzen -S IE Du sprichst wie ein Buch. E R Was soll das? S IE Es ist doch furchtbar traurig. E R Nur keine Sentimentalitäten! Dass es so traurig ist, daran sind die Menschen selbst schuld. S IE Wenn es nach mir ginge, wärs anders. E R Nach mir auch. S IE Ich habe gestern einen Artikel gelesen über den Verfall der Ehe. B

N

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S IE Was wirst Du jetzt machen? E R Wir können uns ab und zu treffen, oft treffen. \Abbruch der Bearbeitung\

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DassN ]

korrigiert aus: Das

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ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 19

Endfassung Stunde der Liebe

RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 STUNDE DER LIEBE Sieben Szenen für Rundfunk von Ödön BHorváthN.

ÖLA 3/W 270 – BS 63 a, Bl. 1

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얍 Mitwirkende:

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Sprecher Das erste Paar im Englischen Garten Das zweite Paar im Englischen Garten Eine schrille Stimme Ein Kellner Der Akademiker und sein Mädchen Herr Lindt und seine Stenotypistin Der Baron und die mondaine Dame Die Dame an der Kasse Die Platzanweiserin Herr und Frau Kommerzienrat Kranzler Der Herr Reithofer und das Fräulein Anna Nero Konzertcafe-, Tanz- und Kinomusik.

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얍 ERSTE SZENE

ÖLA 3/W 270 – BS 63 a, Bl. 3

S PRECHER Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte nur wenige einleitende Worte! Die Übertragung unserer Stunde der Liebe wird uns nur möglich durch eine sensationelle radiotechnische Erfindung, die es uns eben ermöglicht, jeden Menschen wo wir nur wollen zu belauschen -- und zwar, ohne dass dieser Mensch auch nur den leisesten Verdacht verspüren könnte, dass er belauscht wird. Nun hätte es vielleicht einen gewissen Reiz, Ihnen auf diese Weise unsere geistigen Grössen vorzuführen, doch denken wir, dass es wahrscheinlich ergötzlicher sein dürfte, Ihnen die Menschen in jener Situation zu zeigen, in der jeder einzelne allgemein interessieren dürfte, und zwar ohne Rücksicht auf Klasse und Religion. So bin ich nun beauftragt, jetzt durch unsere Stadt zu schlendern und falls mir zwo Menschen als ein Liebespaar dünken, meinen Apparat einfach einzuschalten. Ich und die Deutsche Stunde in Bayern sind uns natürlich dessen bewusst, dass unser Vorgehen nicht gerade besonders vornehm ist, aber im Dienste der Technik müssen wir auf derartige Sentimentalitäten 얍 pfeifen, denn einmal müssen wir halt unseren Apparat ausprobieren. Also bitte folgen Sie mir, ich bin jetzt in der Galeriestrasse und gehe Richtung Englischer Garten. Die Nacht ist mild und fein und so besteht begründeter Verdacht, dass wir im Englischen Garten am zuverlässigsten ein richtiges Liebespaar treffen werden. Nun bin ich im Garten. Drüben rechts steht eine helle Bank, die ist natürlich leer, aber dahinter seh ich eine dunkle und die ist natürlich besetzt -- Himmel, ist das aber dunkel! Bitte, wir 4

B

HorváthN ]

Horv[a]|á|th

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ÖLA 3/W 270 – BS 63 a, Bl. 4

Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

müssen nun leiser sprechen -- (leise) einen Augenblick noch, ich schalte gleich ein -- (er flüstert) Bitte geben Sie acht! (Stille) E R Das ist natürlich alles ganz anders. S IE Das sagst Du immer. E R Natürlich sag ich das immer. Aber Du verstehst mich halt nie. S IE Doch. Ich versteh Dich genau. Ich versteh Dich sicher besser als Du. E R Dich? S IE Als Du Dich selbst. E R (lacht gewollt) S IE Lach nicht! (Stille) E R Es geht so nichtmehr weiter. S IE Dann mach doch endlich Schluss. E R Gut! Jetzt mach ich Schluss! (Stille) S IE Sei nicht boshaft, bitte. 얍 E R Es ist Schluss. Es hat keinen Sinn mehr. Ich weiss ja garnicht, was Du von mir willst?! Ich bin ein Mann und sonst nichts! Und Du bist eine Frau und sonst nichts! Und wir beide sind Menschen und sonst nichts! S IE Du bist kein Mensch. E R Sondern? Vielleicht gar ein Aff? S IE Du hast keine Seele, Anton. E R Eine solche Seele hab ich allerdings nicht, wie Du sie von mir haben willst! Das wär ja der reinste Selbstmord! Bedenk doch nur meine wirtschaftliche Lage! S IE Ich glaub, wir reden aneinander vorbei. E R Das soll mich freuen! Ich möchte nur noch bemerkt haben, dass ich nicht daran denke, eine Familie zu gründen! Schlag Dir das aus dem Kopf bitte! Es laufen doch eh schon zuviel Kinder herum, wo wir doch unsere Kolonien verloren haben! Dass Du das nicht verstehen willst! S IE Es ist halt schwer -E R Also! (Stille) S IE (wimmert) E R Warum weinst Du jetzt? Ich hab es nicht gern, dass Du weinst! S IE Ich bin halt dumm -E R Na endlich! Komm, werd vernünftig -- wir passen doch so gut zusammen -- -(Gong) BN

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얍 ZWEITE SZENE

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S PRECHER Also das war weniger erquicklich , aber der Apparat funktioniert ausgezeichnet -- Halt! Da seh ich schon wieder zwei Leut -- sie sitzen zwar auf keiner Bank, gehen langsam hin und her. Er selbst bleibt immer wieder stehen und redet heftig in sie hinein -- einen Moment! B

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] reinsteN ] BerquicklichN ] BN B

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[nur] reinst\e/ korrigiert aus: erquiklich

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Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

(Stille) S IE Jetzt hör doch endlich auf bitte! E R Das sagst Du leicht! Ich versteh es nur nicht, dass Du mich nicht verstehst! S IE Es bleibt dabei. E R Aber warum denn nur? Sags mir doch nur, warum denn nur?! Hab ich Dir etwa etwas getan? Dann bitt ich Dich natürlich sofort um Verzeihung! S IE So quäl mich doch nicht! E R Aber Du quälst doch mich! Vorgestern haben wir uns noch getroffen und ich war so froh, Dich gefunden zu haben -- Du weisst, ich hab hier keine Seele, weil ich aus Augsburg komm -- und jetzt sagst Du mir ganz einfach, es ist aus. Eher hätt ich gedacht, dass die Welt zusammenstürzt, als wie dass ich von Dir heut noch sowas zu hören bekomm! Warum? Und bitte warum? Warum willst Du mich denn nichtmehr wiedersehen?! S IE Lass mich! E R Fällt mir nicht ein! 얍 S IE So lass mich doch! E R Nein! (Stille) S IE (leise) Bitte -- ich hab so Angst -E R Vor was denn bitte? S IE Vor Dir. E R Vor mir? S IE Und vor mir. E R Also das versteh ich schon garnicht! So wie wir zwei stehen -S IE (unterbricht ihn) Franz! Soll ich Dir was Wichtiges beichten? E R Wieso? S IE (sehr leise) Franz. Es gehört sich doch, dass man ehrlich ist -E R Natürlich gehört sich das! S IE (sehr leise) Aber es fällt mir so schwer, Dir das zu sagen -- : Ich hab Dich eigentlich nicht sehr lieb gehabt, und jetzt hab ich halt Angst, dass ich mich sehr in Dich verlieben könnt -E R (leise) Und warum willst Du das nicht? S IE (ebenso) Weil das nur eine Gefühlsroheit von Euch Männer ist. E R So probiers doch mal -S IE Ich habs schon probiert. (Stille) E R Du hast mich also garnicht geliebt, wie Du sagst. S IE Nein, Franz. E R Und Du meinst fernerhin wohl, dass ich mir das jetzt sehr zu Herzen nehmen werde? 얍 S IE Vielleicht -E R (schreit sie an) Das ist zuviel! Man hat halt auch noch seine Ehre! Adieu! (er lässt sie stehen) (Stille) S IE (ruft ihm nach) Franz! Franz! E R (aus einiger Entfernung) Was gibts denn?! S IE So lauf doch nicht so radikal weg! Sei doch nicht so gefühlsroh! E R Also komm!

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Endfassung Stunde der Liebe

RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

S IE Ich komm schon! (Gong)

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DRITTE SZENE (Musik aus einem Konzertcafe und zwar ein Potpourri rheinischer Lieder. Zuerst schwach, dann immer lauter) E INE SCHRILLE S TIMME Hallo! Was soll denn das?! S PRECHER Wieso? D IE SCHRILLE S TIMME Ich höre Musik! Wo sind Sie denn jetzt? S PRECHER Das ist sehr einfach. Ich bin jetzt in einem Konzertcafe. Ich muss nämlich nur mal rasch etwas – D ER K ELLNER (unterbricht ihn) Der Herr wünschen? S PRECHER Kaffee . D ER K ELLNER Tasse oder Kännchen? S PRECHER Tasse. D ER K ELLNER Auch etwas Kuchen? S PRECHER Danke nein! Ich hab nichts übrig für Süssigkeiten, Herr Ober! Sagen Sie mal: wer sind denn die beiden verliebten 얍 jungen Leut? D ER K ELLNER Wo? S PRECHER Dort drüben in der Nische. D ER K ELLNER Dort? Das ist ein Akademiker. S PRECHER Und wer ist sie? D ER K ELLNER Was weiss ich! (er lässt ihn stehen) S PRECHER Das aber ein unfreundlicher Mensch! Überhaupt werden die Leut anscheinend immer unfreundlicher -- also schalten wir mal ein, damit wir auf lustigere Gedanken kommen -- das Mädchen mit dem Akademiker lacht ja in einer Tour -- Achtung bitte! S IE (lacht) D ER A KADEMIKER (lispelt) Noch einer! Kennen Sie den? Was ist der Unterschied zwischen einem Bechsteinflügel und einer Konservenbüchse? S IE Das weiss ich nicht. D ER A KADEMIKER Ich auch nicht. B EIDE (lachen) D ER A KADEMIKER Prima, was? S IE Sehr! Und Sie könnens einem so gut sagen, Herr Lallinger! D ER A KADEMIKER Ich hab auch ein ausgesprochenes Erzählertalent! S IE Was studierens denn eigentlich? Medizin? D ER A KADEMIKER Nein, Rechte. S IE Sie können einen so durchdringend anschauen -D ER A KADEMIKER Unerbittlich, nicht? S IE Es geht direkt durch und durch -B

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einN ] PotpourriN ] Betwas –N ] BKaffeeN ] BTourN ] B B

korrigiert aus: eine korrigiert aus: Potpouri

[--] |etwas –| korrigiert aus: Cafe korrigiert aus: Tur

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Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

D ER A KADEMIKER Heutzutag muss auch der Richter ein ausgespro-얍chener Psychologe sein. Ich bin einer und wahrscheinlich dürfte dies auch der tiefere Grund sein, dass ich so ausgesprochen stark auf Frauen wirke. S IE Das tun Sie auch, Herr Lallinger. D ER A KADEMIKER Ich sage tatsächlich die Wahrheit. Ich kenne die Frauen. Ich habe einen Monatswechsel von sechshundert Reichsmark . S IE Wieviel? D ER A KADEMIKER Sechshundert. S IE Ah! (kurze Stille) D ER A KADEMIKER Darf ich? Sehr zum Wohl! S IE Prost! S PRECHER Zahlen! Zahlen, Herr Ober! D ER K ELLNER Eine Tasse Kaffee vierzig Pfennig ohne. S PRECHER Fünfzig mit. (Musik bricht plötzlich ab) B

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Lesetext

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VIERTE SZENE 20

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(Gong) S PRECHER Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt in der Schraudolfstrasse und die ist bereits ziemlich leer -- drüben im zweiten Stock sitzt ein Fräulein an der Schreibmaschine, man sieht ihre Silhouette durch den Vorhang -- und dann ist noch ein Schatten da, der immer wieder verschwindet -- anscheinend geht da wer auf und ab und diktiert -- Einen Augenblick! 얍 (Stille) E R Haben Sies, Fräulein? S IE Ja. E R Weiter! Schreiben Sie, Fräulein! (er diktiert, man hört das Klappern der Schreibmaschine) Sehr geehrter Herr! Es ist natürlich völlig abwegig, dass Sie sich an den Staatsanwalt wenden wollen. Punkt. Ihre Drohung, unser Geschäftsgebaren als Betrug zu bezeichnen, löst bei uns lediglich ein mildes Lächeln aus. Punkt. Wenn wir Sie nicht wegen Verleumdung belangen, so nur deshalb nicht, weil wir als korrekte Kaufleute nichts mit der Staatsanwaltschaft zu tun haben wollen. Punkt. Mit vorzüglicher Hochachtung! -- Haben Sies, Fräulein? S IE Ja. E R (summt den armen Gigolo) S IE Kann ich jetzt gehen, Herr Lindt? E R Moment! (er summt plötzlich nichtmehr) (Stille) S IE (schreit plötzlich) Herr Lindt! E R (aus einiger Entfernung) Wie bitte? B

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ReichsmarkN ] KaffeeN ] BistN ] BdeshalbN ] BHabenN ] B B

korrigiert aus: Em korrigiert aus: Cafe

\ist/ korrigiert aus: desshalb korrigiert aus: Habens

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Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

S IE Was machen Sie denn dort, Herr Lindt? E R Sehen Sies denn nicht? S IE Sie sperren die Türe zu -E R Und ziehe den Schlüssel ab. S IE (entsetzt) Machen Sie augenblicklich die Türe auf!! E R Fällt mir nicht ein! S IE So lassen Sie mich doch hinaus!! E R Zurück! S IE Ich schrei, Herr Lindt, ich schrei -E R (unterbricht sie) Schreien Sie nicht! In Ihrem persön-얍lichsten Interesse! (Stille) E R Nehmen Sie Platz, Fräulein! S IE Warum sperren Sie die Türe zu --? E R Weil ich Ihnen nun ein Geheimnis diktieren werde -- Sie werden mich bald verstehen, Fräulein! Nehmen Sie Platz! So. Schreiben Sie! (er diktiert wieder, sie schreibt zögernd) Sehr geehrter Herr! Es hat keinen Sinn, wenn ich leugne. Punkt. Ich gebe es zu -- Komma! -- dass -- Haben Sies? S IE Ja. E R -- dass ich Sie im Laufe der letzten vier Wochen nach und nach bestohlen habe und zwar -S IE (schreibt plötzlich nichtmehr) E R -- und zwar um einen Betrag in der Höhe von achtundvierzig Reichsmark. S IE (fährt plötzlich auf) Sind Sie verrückt, Herr Lindt?! E R (schreit sie an) Lügen Sie nicht! Ich weiss alles! Ganz und haargenau! Es sind achtundvierzig Mark! Ja oder nein?! S IE Nein, nie! E R (ändert plötzlich den Ton) Fräulein! Sie verkennen mich anscheinend -- wenn Sie es nun ehrlich eingestehen, dass Sie mich bestohlen haben, zeige ich Sie natürlich nicht an, denn ich kann es absolut verstehen, dass ein Mensch bei diesen schwierigen Zeiten mal der Versuchung unterliegt. Ich wiederhole: wenn Sie es nun eingestehen, bleibt es unter uns. (Stille) E R Nun, Fräulein? S IE (leise) Ja. E R Und wieviel? S IE Achtundvierzig. 얍 E R Na sehen Sie -- und nun sperren wir auch die Türe wieder auf, kurz und schmerzlos. Sie können gehen, Fräulein! S IE Herr Lindt -E R Wie bitte? S IE Ich danke Ihnen -E R (grinst) Machen Sie sich nicht lächerlich. Halten Sie mich nur ja nicht für weltfremd! Sie können nun allerdings gehen, aber ich vergass zuvor: ein für allemal gehen -- für eine Verbrecherin hab ich natürlich keine Arbeit! Sie sind natürlich B

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persönlichstenN ] ] BN] BE R N ] B

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korrigiert aus: persönlichstem Absatz eingefügt Absatz eingefügt eingefügt

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Endfassung Stunde der Liebe

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Lesetext

fristlos entlassen. Glotzen Sie mich doch nicht so an! Ja oder glaubten Sie gar etwa -S IE (unterbricht ihn) Ich habs ja nicht für mich getan! E R Egal! S IE Es war für wen andern! E R Vielleicht für eine sterbende Mutter, was? S IE Ich komm nicht aus mit dem Geld! Sie zahlen mir ja auch keine Überstunden, ich sitz ja fast jeden Tag bis in die Nacht hinein! Sie nützen mich aus, Sie stehlen! Sie stehlen! E R Maul halten! S IE Aber für Ihren Diebstahl gibts keinen Paragraph! E R Kusch oder ich zeig Sie an, freche Person! S IE Zeigen Sie mich an! Zeigen Sie mich nur an! (sie weint) E R (nach einer Kunstpause) Fräulein. Sie verkennen mich schon wieder und zwar total. Ich war jetzt gerade sehr erregt. Es könnte mir natürlich nicht im Traum einfallen, Sie anzuzeigen und -- ich entlasse Sie auch nicht, wir sind ja miteinander eingearbeitet -- es hängt also lediglich von Ihnen ab -S IE Wieso? 얍 E R Machen wir einen Kompromiss. S IE Wieso? E R Diskretion Ehrensache. (Stille) S IE Sie sind ein schlechter Mensch, Herr Lindt. E R (grinst) Noch schlechter. Aber mit einem guten Kern. S IE Ich glaub jetzt, Sie könnten auch über Leichen gehen -E R (grinst) Diskretion Ehrensache. (Gong) B

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

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FÜNFTE SZENE (Tanzmusik) S PRECHER Meine Damen und Herren! Nun folgen Sie mir aber bitte auf die Spitze unserer gesellschaftlichen Pyramide! Wir betreten das erste Lokal am Platze, draussen parken rassige Limousinen , in den Garderoben hängen kostbare Pelze, hier treffen wir die wirklich mondainen Leute. Man tanzt, man trinkt, man isst -- aber das sieht alles so aus, als hätten es diese vornehmen Gäste nicht nötig, als wären sie schon derart der Materie entwachsen -- Guten abend, Herr Baron! D ER B ARON Ah guten abend! Wie gehts Ihnen? S PRECHER Danke! Und Ihnen, Herr Baron? D ER B ARON Man lebt. Also auf Wiedersehen! S PRECHER Auf Wiedersehen, Herr Baron! B

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korrigiert aus: ein

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einenN ] ] Büber f gehenN ] BLimousinenN ] BN]

[einen] [umbringen] |über f gehen| korrigiert aus: Limusinen Absatz eingefügt

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Endfassung Stunde der Liebe

RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

(Stille) S PRECHER Mit wem sitzt 얍 er denn dort? Das aber eine gutaussehende Frau, sie hat etwas königliches an sich! -- Wollen mal hören! D ER B ARON Gnädigste tanzen nicht gerne? S IE Ich tanze eigentlich nur mit meinem Mann. Hören Sie, Baron, mein Mann behauptet immer, er könnte niemals eifersüchtig werden -- übrigens: Was halten Sie von meinem Mann? D ER B ARON Offen gestanden nicht viel. S IE Er ist fürchterlich zerfahren, ein armer Mensch und ein grenzenloser Optimist. D ER B ARON Kennen Sie das neue Buch von van der Velde? S IE Ja, leider. D ER B ARON Wieso leider? S IE Weil es desillusionierend wirkt. D ER B ARON Es ist halt für das Volk -S IE (unterbricht ihn) Finden Sie? Ich finde, das Volk sollte nicht so stark belehrt werden, es ist eh schon viel zu sehr aufgeklärt, es wäre besser, wenn man das Volk auf einem niedrigeren Niveau halten würde -- Hören Sie nur diesen bezaubernden Tango! D ER B ARON Den hab ich bereits in Paris gehört. S IE Und ich in London. (Pause) D ER B ARON Du -S IE (unterbricht ihn) Attention! D ER B ARON Jetzt kann uns keiner hören, unsere Nachbarn tanzen -S IE Und wie schlecht sie tanzen. Ein Skandal! D ER B ARON Wann verreist er denn endlich? 얍 S IE Wer? D ER B ARON Er. S IE Morgen. D ER B ARON Du, weisst Du, was das Höchste auf der Welt ist? S IE Nun? D ER B ARON Wenn man lieben darf. S IE Und wenn man geliebt wird. (Musik bricht plötzlich ab) BN

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SECHSTE SZENE

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(Gong) S PRECHER Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie, dass ich unterbreche, aber es fällt mir gerade ein, dass wir doch auch unbedingt ein Kino besuchen müssten -also darf ich Sie bitten, mir in das nächstgelegenste Kino zu folgen. Ich habe leider nurmehr wenig Zeit --

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] S PRECHER N ] BWeil esN ] Bdesillusionierend wirkt.N ] BN B

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Absatz eingefügt eingefügt

[Es wirkt auf mich] |Weil es| desillusionierend[.] |wirkt.|

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Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

D IE D AME AN DER K ASSE Was wünscht der Herr für einen Platz? S PRECHER Zu eins fünfzig. Was gibt man denn? D IE D AME AN DER K ASSE Madame wünscht keine Kinder. S PRECHER Was ist denn das? Ein Lustspiel oder gar eine Tragödie? D IE D AME AN DER K ASSE Ein Gesellschaftsstück. S PRECHER Aha! (er betritt den Zuschauerraum, die Musik spielt gerade einen Marsch) 얍 D IE P LATZANWEISERIN Darf ich um die Karte bitten! S PRECHER Hier. D IE P LATZANWEISERIN Danke! Erster Platz -- bitte hierher, der Herr! S PRECHER Was läuft denn jetzt? D IE P LATZANWEISERIN Die Wochenschau. S PRECHER Es ist so dunkel -D IE P LATZANWEISERIN Hier bitte! -- Bitte die Herrschaften links nachrücken! Links nachrücken bitte! E INE MÄNNLICHE S TIMME Na Donnerwetter! S PRECHER Hoppla! D IE MÄNNLICHE S TIMME So geben Sie doch gefälligst acht! S PRECHER Pardon! R UFE Setzen! Setzen! (Die Kapelle spielt nun die Träumerei von Schumann) D IE MÄNNLICHE S TIMME (grimmig) Der Kerl ist mir auf das Hühnerauge getreten -entsetzlich! S IE (unterdrückt) Er hat sich doch entschuldigt. E R Natürlich, aber natürlich -- Du nimmst immer die anderen in Schutz! S IE Fang nur nicht wieder an! E R Ob mir wer weh tut, ist Dir egal. S IE Du bist immer gleich so grob. E R Hör auf! S IE Nein! E R Ja! S IE Fällt mir nicht ein! E R Ich bin ins Kino gegangen, um nichts zu hören! Wir haben nun glücklich dreissig Jahre gestritten -S IE Schweig! Die Leut schaun schon! 얍 E R Was gehen mich die Leut an! Einmal wirds mir zu dumm! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird! Au! S IE Wirst Du jetzt aufhören? Wirst Du? E R Au! So kneif mich doch nicht in den Arm! -- Na warte! S IE Ich warte. (Gong)

SIEBENTE SZENE 45

S PRECHER Ich habe es nun soeben erfahren, dass dieses glückliche Ehepaar Herr und Frau Kommerzienrat Kranzler heisst -D IE SCHRILLE S TIMME Woher wissen Sie das?

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

S PRECHER Von einem gewissen Herrn Reithofer. Fragen Sie ihn nur selbst! D IE SCHRILLE S TIMME Stimmt das Herr Reithofer? H ERR R EITHOFER (er spricht gewollt hochdeutsch) Das stimmt sogar sehr. Ich bin nämlich mit der Anna, das ist der Frau Kommerzienrat ihr Dienstmädchen, ziemlich gut bekannt. Wir treffen uns ab und zu um diese Zeit, weil sie da den Nero auf die Strasse führen muss. Und dann tun wir etwas plaudern über alles Mögliche -(kurze Stille) A NNA (ruft) Nero! Nero! -- Ja wo ist er denn jetzt schon wieder der Nero?! Nero! H ERR R EITHOFER (ruft) Nero! Nero! A NNA Nero! Nero! H ERR R EITHOFER Nero! Nero! Das ist Dir so ein Saukopf, die-얍ser Nero! -- Da kommt er jetzt endlich! A NNA Ja wo warst Du denn schon wieder, Nero? Komm nur mal her, Nero! Willst Du jetzt gleich artig sein -H ERR R EITHOFER (unterbricht sie) Sie dürfen ihn nicht schlagen, Fräulein Anna! Er kann ja nichts dafür. Das ist halt der Frühling. A NNA Aber an die Leine kommst Du jetzt, Nero! (Stille) H ERR R EITHOFER Habens heut etwas länger Zeit? A NNA Ein bisserl länger. Die Herrschaft ist heut abends ins Kino. Sie haben sich wieder den ganzen Tag gestritten. H ERR R EITHOFER Er soll ihr halt mal eine richtige aufs Maul geben! A NNA Wenn ers nur tät! N ERO (knurrt) H ERR R EITHOFER Ist er bös, der Nero? A NNA Wenn Sie mich anrühren, beisst er Sie. H ERR R EITHOFER Woher wissen Sie denn, dass ich Sie anrühren möcht? A NNA (lacht) H ERR R EITHOFER Aber Sie habens erraten! N ERO (knurrt) H ERR R EITHOFER Halts Maul, Mistvieh! Ich werd doch Deiner Herrin ihren Arm noch berühren dürfen! N ERO (bellt) A NNA Kusch, Nero! So sei doch still! Und Sie hängen sich da wieder aus, ich kann auch allein gehen! (Stille) H ERR R EITHOFER Manchmal ist das Alleinsein sehr schwer. 얍 A NNA Ich bin oft ganz gern allein. (Stille) H ERR R EITHOFER Ich stell mir vor, dass das Verheiratetsein auch schon sehr schwer ist, aber das Alleinsein ist halt oft noch viel schwerer. A NNA Geh, Herr Reithofer, warum sinds denn jetzt auf einmal so verstimmt. H ERR R EITHOFER Das bin ich oft, auch aus dem heitersten Himmel. Aber ich bin ja garnicht verstimmt. Ich bin nur melancholisch. A NNA Sie reden halt zuviel mit sich. H ERR R EITHOFER Weil ich ein einsamer Mensch bin. N ERO (knurrt) H ERR R EITHOFER Was ist denn der Nero da für eine Rass?

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Endfassung Stunde der Liebe

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RF2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

A NNA Eine rauhhaarige. H ERR R EITHOFER Also das seh ich, dass er rauhe Haar hat. Aber ich mein, welcher Rasse dass der Nero angehört. Es gibt doch die verschiedensten Rassen, nicht? A NNA Ja. Aber ich kanns Ihnen nicht genau sagen, es ist ein ausländischer Name. (Stille) H ERR R EITHOFER So einem reinrassigen Hund gehts oft besser, als wie uns Menschen. Wissens, Fräulein Anna, manchmal denk ich schon, dass es in unserer Zeit keine Liebe mehr gibt. Ich glaub schon manchmal, dass das ein direkter Fluch ist, dass ich niemanden find. Ich trag mich sogar schon mit dem Gedanken, dass ich demnächst heirat, trotz dieser ständig drohenden Ar-얍beitslosigkeit. A NNA Na Sie werden schon eine finden! H ERR R EITHOFER Ich hätt sogar schon eine, aber die will halt nichts von mir wissen und da werd ich halt direkt melancholisch. A NNA Wer ist denn die? H ERR R EITHOFER Sie. A NNA Geh machens doch keine Witz! H ERR R EITHOFER Ich mach keine Witz. Ich bin ernst. A NNA Und Sie täten mich sogar heiraten? H ERR R EITHOFER Wie gesagt. N ERO (knurrt und bellt) H ERR R EITHOFER Also dieses Hundsvieh derschlag ich noch! (Stille) A NNA (langsam) Herr Reithofer. Wer hat Ihnen denn das gesagt, dass ich nichts von Ihnen wissen möcht? H ERR R EITHOFER (lächelt) Ich denk mirs halt. A NNA Und warum denken Sie sich denn das? H ERR R EITHOFER Weil ich halt mit der Zeit ein Pessimist geworden bin. A NNA Aber Herr Reithofer! N ERO (bellt ganz fürchterlich) (Gong, Stille) S PRECHER Meine Damen und Herren! Nun ist unsere Stunde der Liebe vorbei!

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Lesetext

RF3: Ein neuer Casanova

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Lesetext

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Fragm. Fassung Ein neuer Casanova

RF3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B Ein neuer CasanovaN

ÖLA 3/W 258 – BS 63 f, Bl. 1

S PRECHER Es folgt nun unser Hörspiel. Zur Einleitung wird Herr Professor Bosch einige Worte sprechen. Also: Herr Professor Bosch! P ROF (lispelt) Meine Damen und Herren! Es ist eine völlig irrige Auffassung, dass es in unserer Zeit keine Romantik mehr gibt und, dass alles die Sachlichkeit und Nüchternheit erstickt. Es gibt noch Wesen, die man im bürgerlichen Sinne als ein Original bezeichnen kann. Noch gibt es Leute, die Sinn haben für das Unbewusste in der Liebe, für dieses Mysterium und die da gleich heilige Schauer empfinden. Aber wir wollen auch nicht die Graziösen vergessen und so will ich Ihnen diesmal ein Exemplar vorführen, ein Kind unserer Zeit. Böse Zungen behaupten zwar, dass das nur eine neue Form des Spiessers ist, aber das sind wie gesagt böse Zungen. Das Kind, das ich Ihnen vorführen werde, heisst: Robert Metzger . Robert Metzger wurde mit 14 Geschwistern geboren und arbeitete sich mit zähem Fleiss und eiserner Energie empor. Er war vom Glück begünstigt ..... (Präsentiermarsch) (der sich langsam entfernt) B

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[Der neue Casanova.] [|Herr Reithofer wird zum Casanova|] [|Der neue Casanova|] |Ein neuer Casanova| [Bitte, Herr] [|Darf|] |Also f Bosch!| d[as]|ieses| korrigiert aus: Zeit, Me\t/zger Me\t/zger [als einziges Kind] |mit f Geschwistern| x(der f entfernt) [E INE SCHARFE S TIMME Das ist alles Quatsch! Lüg nicht, Krüppel damischer! (Stille) P ROF (unsicher) Wer war denn das? Wer hat denn da gerufen?] [(der f entfernt)]f x

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ÖLA 3/W 258 – BS 63Lesetext f, Bl. 1

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RF3/E1

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RF4: Ein Don Juan unserer Zeit

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Fassung Ein Don Juan unserer Zeit

RF4/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit. Filmexposé nach einer Komödie von BÖdön von HorváthN. 5

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November 1918, der Krieg ist aus, die Soldaten kehren heim. In eine Baracke , in der ein Fronttheater spielt, tritt ein Offizier aus dem Schlamm des Grabens und bedankt sich bei der ältlichen Soubrette des bereits abreisenden Ensembles für das künstlerische Erlebnis, das sie ihm gewährte, als er sie auf der Bühne sah. Die Soubrette ist geschmeichelt, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die den Mann für verrückt halten, und sie erkundigt sich bei ihm, in welchen Rollen er sie gesehen hätte. Der Offizier kann sich an die Rollen nichtmehr erinnern, denn er war inzwischen verschüttet, er weiss es nur, dass es eine Gesangspartie war und dass in dem Stück ein steinerner Reiter lebendig wurde. Es war die Oper „Don Juan“ -- und erst als dieser Name fällt, fangen die übrigen Schauspielerinnen an, den merkwürdigen Offizier näher zu betrachten und sie müssen es sich gestehen, dass er sie ganz besonders interessieren könnte. Der Offizier bedankt sich nun auch bei der Soubrette für ihr Lächeln, das ihn an eine ferne Frau erinnert hätte, an seine einzige grosse Liebe, noch lange vor dem Kriege. Er kenne zwar garnicht den richtigen Namen jener Frau, er sei nur eine einzige Nacht mit ihr zusammengewesen, aber schon damals hätte er mit einer gewissen Wehmut gefühlt, dass er diese Frau verlieren und dass keine sie ihm ersetzen könnte. Drum hätte er sich nun auch entschlossen, diese Frau zu suchen, er müsse sie finden und sollte er ewig suchen. -- So verlässt er das Grauen des Krieges und jagt mit dämonischer Wucht seiner Sehnsucht nach. Er ist 얍 der von einer grossen Leidenschaft Ergriffene, die ihn nunmehr ausschliesslich, einzig und allein, beherrschen soll. Er ist der Mann, der in dem Leben nur die Frau sieht, der sich aus dieser Frau ein Götterbild machte und dessen ganzes Sinnen und Trachten danach gerichtet ist, dieses Bild zu besitzen. Seine unerhörte Aktivität im Suchen und Sehnen nach „IHR“, führt ihn zu einer Passivität gegenüber der einzelnen Frau, aber gerade diese Mischung in seinem Wesen reizt die Frauen, sodass sie ihm alle hemmungslos entgegenkommen. Er nimmt sie auch alle, denn bewusst oder unbewusst, findet und sucht er in jeder einzelnen ein Teilchen seiner grossen Liebe, und er hofft auch, vielleicht eine zweite grosse Liebe zu finden, die ihn von seiner unstillbaren Sehnsucht befreit, die ihn selbst zerstört. Aber nach jedem Liebeserlebnis fühlt er sich noch einsamer und sehnt sich nur noch stärker nach „IHR“ -- Erst am Ende seines Lebens wird es ihm klar, dass er sich eigentlich nach dem Tode gesehnt hat. „Ein Don Juan“, meint die Soubrette, nachdem er die Baracke verlassen hat. Er kommt in die Heimat zurück -- Revolution und Nachkriegswirren, Auflösung einer alten Moral, all dies berührt ihn nicht innerlich. Er betritt die Wohnung, in der er damals seine grosse Liebe fand, noch in der glücklichen Friedenszeit. Aber in der Wohnung wohnt eine andere Frau, eine Zahnärztin. Er findet sie nicht, seine Frau, niemand kann es ihm sagen, wo sie jetzt wohnt -- und er kann auch nicht weiterforschen, denn er kennt ja ihren Namen nicht. So irrt er nun scheinbar planlos durch die B

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IN 221.002/2 – BS 17 a, Bl. 1

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Fassung Ein Don Juan unserer Zeit

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RF4/TS1 (Korrekturschicht)

Strassen und lernt bei einer grossen Frauenkundgebung gegen den Krieg ein Mädchen kennen, den Typus des „reinen Mädchens“. Sie will ihr junges Leben dem Kampfe gegen die Greuel des Krieges weihen, vernachlässigt jedoch ihre Ideale und Pflichten und kann Don Juan nicht widerstehen. Erschüttert durch seine Interesselosigkeit an ihren Idealen, 얍 wird sie von ihm verlassen, als sie nun dahinterkommt, dass er sie mit zahlreichen Frauen betrogen hat. Durch die Frauen bekommt er auch seinen Beruf: sie protegieren ihn überallhin, obwohl ihm diese Art peinlich ist. Aber schliesslich muss er doch leben und dazu muss man Geld verdienen . Seine erste Stellung ist diejenige eines „gehobenen Kammerdieners“ in einem Damentanz- und Spielklub der Inflation. Seine Anwesenheit jedoch genügt, um alle Mitglieder gegeneinander aufzubringen, jede ist auf jede eifersüchtig, trotz manchem männlichen Einschlag der einzelnen Damen, und der Klub fliegt auf. Seine zweite Stellung bekommt er durch eine Frau, die von einem Schieber ausgehalten wird. Sie, der Typ eines Vamps der Nachkriegszeit, bringt ihn als Schauspieler zum stummen Film. Er muss nur gut aussehen und das genügt, um ein gefeierter Stummfilmstar zu werden. Wenn er sich irgendwo in der Oeffentlichkeit zeigt, geraten die Frauen ausser sich und feiern ihn, wie einen König. Der „Vamp“, der keinen Mann liebt, fühlt plötzlich wahre Liebe zu Don Juan. Mit Bestürzung muss sie jedoch feststellen, dass er nicht auf sie eifersüchtig ist, denn „lieben“ tut er ja doch nur seine ferne Braut, die er nie vergessen kann. Zutiefst verletzt schleudert sie ihm ins Gesicht, dass er doch überhaupt kein Schauspieler sei, sondern nur ein gutaussehender Mann, der seinen Lebensunterhalt gewissermassen durch seine erotische Wirkung verdiene. Es wird ihm klar, dass sie recht hat, er verlässt sie und verlässt auch den Film. Das Damenkomitee einer politischen Partei fasst die Resolution, den unerhört beliebten ehemaligen Star, als Abgeordnetenkandidaten auftreten zu lassen, um die Stimmen der wahlberechtigten Frauen zu bekommen. So beginnt seine politische Laufbahn. Die Weiber entfalten eine unerhörte Wahlpropaganda für ihren Kandidaten und Don Juan siegt. Er tritt als Redner auf und alle 얍 Herzen schlagen für ihn -doch er bringt der Partei Unglück, denn auch hier fangen die Frauen an, eifersüchtig aufeinander zu werden und die Partei spaltet sich in lauter kleine und kleinste einander gehässig und erbittert bekämpfende Sekten. Und Don Juan kümmert sich eigentlich überhaupt nicht um Politik, sondern benützt seine einflussreiche Stellung, um mit Hilfe des amtlichen Apparates nach seiner grossen Liebe zu forschen, er beschäftigt auf Staatskosten ein ganzes Heer von Detektivinnen , doch es kommt nichts dabei heraus, nur ein grosser Skandal. Eine Journalistin enthüllt diesen sonderbaren „Korruptionsfall“ und die Wählerinnen Don Juans fangen ihn nun an, enttäuscht zu hassen. Er besucht die Journalistin persönlich, nachdem er gestürzt worden ist, um ihr den Fall zu erklären, sie empfängt ihn voll Hohn und bald darauf gibt sie sich ihm hin, trotzdem dass sie politisch seine schärfste Gegnerin ist, und trotzdem er nicht in der Absicht kam, um sie als Weib zu erobern. Als er das Haus in der Nacht verlässt, wird ein Attentat auf ihn verübt -- eine Revolverkugel streift dicht neben seinem Kopfe vorbei und die Attentäterin ist jenes Mädchen, das er seinerzeit bei der KundB

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Fassung Ein Don Juan unserer Zeit

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Lesetext

gebung gegen den Krieg kennen gelernt hatte und dessen erstes Erlebnis er gewesen ist. Das Mädchen hasst ihn aus tiefster Seele und ist sich nicht bewusst, dass es eine Hassliebe ist. Auf die Detonation des Schusses hin, eilt die Journalistin auf die Strasse und es entwickelt sich nun ein wilder Kampf zwischen den beiden Frauen. Die Journalistin ruft nach Verhaftung des Mädchens, obwohl Don Juan beteuert, dass er den Schuss abgefeuert hätte, aber das Mädchen bezichtigt sich selbst als Attentäterin und als Opfer Don Juans, schon um die Journalistin, die sie als ihre Nebenbuhlerin betrachtet, zu verletzen -- der Auftritt endet damit, dass Don Juan mit dem Mädchen in einem Auto flieht, knapp bevor die Polizei auf dem Tatort erscheint. Er flieht mit dem Mädchen in ein „anderes Land“, hinaus in das Dorf, weg von 얍 der Stadt, in die Einsamkeit. Und hier meint er nun kurze Zeit, sein Glück und seinen Frieden in ihrer Liebe gefunden zu haben. Aber bald genügt ihm ihre reine, keusche Hingebung nichtmehr -- es geht ihm auch das Geld aus und es kommt zu Reibereien, wie in jeder armen Ehe, wie bei kleinen Leuten, als wäre er garnicht der Don Juan. Eines Tages schleudert sie ihm ihre Empörung ins Gesicht, ein Mann müsse arbeiten können und müsste auch etwas anderes im Kopf haben, als wie nur die Liebe -- -- und sie verlässt ihn. Es ist das erstemal in seinem Leben, dass eine Frau ihn verlässt. Zuerst glaubt er, es sei das Alter, aber dann bekommt er moralische Anwandlungen und er beschliesst zu arbeiten. Er wird Reisender in Damenwäsche und das Geschäft floriert in ungeahntem Ausmass. Er ist bei seinen Kundinnen unglaublich beliebt und sie können sein Kommen kaum erwarten -- ja, einzelne vernichten sogar Wäschestücke, sehr zum Aerger ihrer Gatten, nur um sich von Don Juan ein neues Stück kaufen zu können. Es hagelt nur so Bestellungen und Don Juan erfindet ein neues Korselett, lässt es patentieren und übers Jahr hat er eine Fabrik und überall Filialen. Aber das geschäftliche Glück soll nicht lange dauern -- durch eifersüchtige weibliche Angestellte wird er, der diesmal wirklich unschuldig ist, vor Gericht gezerrt, er hätte sich an ihnen vergangen. Er wird zwar, nicht zuletzt durch eine feuerige Verteidigungsrede seiner Rechtsanwältin, freigesprochen, doch „etwas bleibt immer hängen“ und er ist moralisch erledigt, seine Existenz vernichtet. Es geht bergab. Da taucht der „Vamp“ wieder auf und tritt an ihn mit einem sonderbaren Geschäft heran -- er begreift nicht ganz den Sinn, tut jedoch mit, und es wird ihm erst bei ihrer Verhaftung klar, dass er in eine Spionageaffaire verwickelt ist. Er versucht die Frau zu schützen, verwickelt sich aber dadurch nur in Wi-얍dersprüche, macht sich erst recht verdächtig und wird zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Erst in der Zelle erfährt er, dass sie ihn verraten hat und längst geflohen ist. So sitzt er nun im Zuchthaus und gibt schon alle Hoffnung auf. Wenn er wieder frei wird, dann ist sein Leben vorbei und er ein alter Mann. Niemand kümmert sich um ihn, er bekommt keine Briefe. Aber eines Tages erhält er doch einen und als er ihn liest, fasst er sich ans Herz, so weh tut es ihm plötzlich vor lauter Glück. Der Brief stammt von jener Frau, nach der er sich immer sehnte, die er überall suchte und nirgends fand. Jetzt schreibt sie ihm, dass sie sein Leben immer verfolgt hat, dass sie sich aber nicht gemeldet hat, denn sie hätte gedacht, er hätte sie vielleicht schon längst vergessen, und vor dieser Erkenntnis hätte sie sich gefürchtet. Nun aber in seinem grossen Unglück fühlt sie mütterliche Gefühle für ihn und sie erwarte ihn, wenn er wieder frei wird -- -- sie warte auf ihn bis in den Tod. -- -- -B

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RF4/TS1 (Korrekturschicht)

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korrigiert aus: ver\ /letzen

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Fassung Ein Don Juan unserer Zeit

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RF4/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Endlich ist der Tag seiner Freiheit da. Er zieht sich seine altmodisch gewordenen Kleider an, lässt sich um das Geld, das er während all der Jahre im Zuchthaus verdiente, rasieren, frisieren und herrichten -- und eilt zu ihr. Er wird eingelassen. Im Salon hängt ihr Bild, so wie sie in seiner Erinnerung lebt. Versunken in den Anblick bemerkt er es garnicht, dass sie selbst eingetreten ist -- eine alte, sehr alte Frau. Erschüttert erkennt er in ihrem Antlitz, sucht in ihren Bewegungen sein Idol. Das also war seine Sehnsucht -- und während er mit ihr über Nebensächliches plaudert, wird er sichtbar älter und älter. Es dämmert ihm langsam auf, dass es kein Ideal gibt, das vergänglich ist. Die wirklichen Werte liegen jenseits des Lebens. Er verlässt das Haus. Es schneit, immer stärker. Durch das Schneegestöber taucht eine junge Frau auf mit einem Kinderwagen. 얍 Es ist das Mädchen, das ihn verlassen hat. Verdutzt erkennt sie ihn, ruft ihm sogar einige Worte nach, doch er erkennt sie nicht, verschwindet wieder im Schneegestöber. Er betritt ein armseliges, leeres Cafe. Apathisch fängt er an, Billard mit sich selbst zu spielen. Die alte Kellnerin kommt und sagt ihm, es wäre ein Herr hier, der möchte gerne mit ihm eine Partie Billard spielen. Er nickt ja -- und der Herr erscheint, er ist hager, wie ein Skelett, trägt schwarze Glacehandschuhe und Don Juan kann sein Gesicht nie richtig sehen. Der Herr spricht kein Wort, lässt nur Don Juan sprechen, dem es unheimlich wird -- er weiss nicht recht warum. Der Fremde gibt ihm etwas vor, 56, genau soviel, als Don Juan Jahre zählt. Don Juan beginnt und verfehlt. Nun spielt der fremde Herr. Mit automatischer Präzision klappt alles. Immer wieder drückt er die Nummertafel -- 28, 37, 42 -- da bemerkt plötzlich Don Juan, dass der Herr unter seinen Glacehandschuhen eine knöcherne Hand hat, er erblickt das Gelenk. Und nun weiss er, er spielt mit dem Tod, und der Tod wird gewinnen. 56 -- der Herr hat gewonnen, Don Juan fasst sich ans Herz, wie damals im Zuchthaus und bricht tot zusammen.

Ende 30

Bemerkung: Ausser der Figur des Don Juans spielen in diesem Filme nur Frauen und der Tod. Es soll auch versucht werden, in den Dialogen, Zeitprobleme von der Einstellung der Frau her zu beleuchten.

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Lesetext

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RF5: Brüderlein fein!

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Fassung Brüderlein fein!



RF5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Brüderlein fein! Ein Film aus der Biedermeisterzeit nach Motiven aus den Stücken Ferdinand Raimunds „Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ und „Der Verschwender“ frei bearbeitet von H.W. Becker B

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1. Der reiche Schreiner und Baumeister Rappelkopf ist ein ungeheurer Menschenfeind, obwohl er eigentlich keinen rechten Grund dazu hat, aber sein misstrauisches Wesen ist eben kaum mehr zu überbieten. Immer fühlt er sich belogen, betrogen, bestohlen - ja selbst seiner braven Tochter Maly traut er immer alles Schlechte zu und befürchtet auch immer nur allerhand Bosheiten von ihrer Seite. B

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2. In der Nähe der kleinen Stadt, in welcher R. lebt, haust auf seinem Schlosse der überaus reiche Herr von Flottwell, wie man so zu sagen pflegt „in Saus und Braus“. Maly hält es zu Hause nicht mehr aus und beschliesst mit ihrer Zofe Lieschen durchzubrennen und zu ihrem Geliebten nach Italien zu fahren. Die Beiden brennen auch durch, Rappelkopf tobt, als er dies erfährt, und nun steigert sich sein misstrauisches Wesen so sehr, dass er sich einbildet, seine Frau hege ein Mordkomplott gegen ihn. Er hatte nämlich seine Frau belauscht, als sie dem läppischen Diener Christian den Auftrag gab, eine Gans zu schlachten. Dabei hatte er es aber überhört, dass es sich um eine Gans dreht und bezog dieses Abschlachten auf sich selbst. Heimlich rafft er nun all sein Geld zusammen und verlässt sein Haus. B B

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3. Maly und Lieschen fahren unterdessen in ihrer Kutsche auf ihrer Reise nach dem Süden durch einen wunderbaren Wald, und die beiden Mädchen beschliessen, in einem Weiher am Waldrand ein Bad zu nehmen. Dabei 얍 werden sie von dem unwahrscheinlich reichen Edelmann Herrn von Flottwell überrascht, der gerade seiner Jagdleidenschaft frönt. Er ist fasciniert von Maly und auch sein ihn begleitender Diener Habakuk ist begeistert von Lieschen. Herr und Diener streiten sich gerade, wer die Schönere sei und fangen unwillkürlich an, lauter zu sprechen, da werden sie von den beiden Mädchen erkannt, die erschreckt in ihre Kutsche flüchten und eiligst davonfahren. 4. Herr von Flottwell und Habakuk ziehen etwas bedrückt auf ihr Schloss zurück, wo sie bereits von der grossen Jagdgesellschaft erwartet werden. Flottwell ist dank seines Geldes von vielen „Freunden“ umgeben, die ihn umschmeicheln und ausnutzen. Er selbst hatte sein Geld von seinem Vater geerbt, und seine Lebensphilosophie be2–3 3 4 9

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Fassung Brüderlein fein!

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RF5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

steht darin, sein Leben grossartig zu geniessen. Er hat keine Beziehung zum Geld und betrachtet sich von seinem Glück herausgefordert, ein Verschwender im wahren Sinne des Wortes. Aber er ist sich dessen auch bewusst, dass aller Wahrscheinlichkeit nach solch ein leichtsinniger Lebenswandel bereits auf Erden seine Sühne finden muss, und aus diesen Erwägungen heraus bildet er es sich ein, dass ihn nur eine Frau retten könnte, aber es müsste die rechte sein. Und nun bildet er sich weiter ein, diese rechte wäre Maly. Er lässt überall nach ihr forschen und sendet sofort berittene Kuriere in der Richtung, die die Kutsche Malys genommen hatte. Sie finden jedoch Maly nicht, denn sie ist bereits umgekehrt und zwar aus folgendem Grund: 5. Maly hatte noch am selben Abend in einem Wirtshaus, in dem sie mit Lieschen übernachten wollte, einen Postkurier getroffen, der, wie er bei der Anmeldung ihren Namen hörte, ihr einen Brief ihres Kunstmalers übergab, mit dem er unterwegs zu ihr war. In dem Brief steht unter schönen 얍 Redensarten die Mitteilung, dass er soeben in Italien geheiratet habe. Maly ist ausser sich vor Verzweiflung und fährt mit Lieschen im schnellsten Tempo zurück.

ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 3

6. Zu Hause angelangt erfährt sie, dass der Vater mit dem Gelde verschwunden ist, und dass also nun ihre Mutter und sie bitterste Not erwartet. Auch Lieschen muss sich nun von Maly trennen. 7. Rappelkopf hatte sich mit seinem Gelde in eine wilde Bergeinsamkeit zurückgezogen und lebt dort als grimmiger Menschenfeind.

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8. Frau Rappelkopf und Maly ziehen in die grosse Stadt, mieten sich ein kleines Zimmer, und in all dem Unglück hat Maly noch insofern Glück, dass sie durch ihre zierliche Naturstimme als kleine Sängerin ans Stadttheater engagiert wird. 30

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9. Lieschen bekommt durch einen Zufall einen Posten auf des Herrn von Flottwells Schloss - der Diener Habakuk erkennt sie wieder und teilt dies sofort seinem Herrn mit, der gerade an einem grossen Gelage beteiligt ist. Herr von Flottwell erkundigt sich sofort überaus aufgeregt nach dem Wohnsitz Malys, aber Lieschen kann ihm keine Auskunft geben. Er erfährt nur durch sie, wer Maly ist und auch einiges über ihr Schicksal. Lieschen und Habakuk kommen sich immer näher. B

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10. Maly tritt nun fast jeden Abend im Theater auf, denn sie ist allmählich ein Liebling des Publikums geworden. Eines Abends besucht Herr von Flottwell das Theater, erkennt in der Sängerin seine langgesuchte und herbeigesehnte Maly, stürzt in der Pause in die Garderobe und erklärt ihr seine Liebe. Maly ist etwas verwirrt, aber sie merkt es dennoch gleich, dass er ihr sehr gefällt. Sie verabreden, dass sie 얍 nach dem Theater zusammen essen wollen . Die Garderobiere macht vor Herrn von Flottwell einen Hofknicks, so sehr ist sie durch sein vieles Geld beeindruckt. B

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korrigiert aus: Flottwell korrigiert aus: essen.wollen

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ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 4

Fassung Brüderlein fein!

RF5/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Herr von Flottwell möchte gerade in seine Loge zurück, die Vorstellung hat schon wieder begonnen, da muss er in der Logentür von dem vor Aufregung ausser sich geratenen Habakuk erfahren, dass er sein ganzes Geld, das er leichtsinnigerweise in Unternehmungen seiner „Freunde“ gesteckt hatte, verloren hat, und dass er also nun ein bettelarmer Mensch ist. Herr von Flottwell ist sehr erschüttert und besonders darüber, dass ihm dieses Unglück gerade in dem Augenblick hat zustossen müssen, da er die für ihn richtige Frau gefunden zu haben meinte. Er verlässt auch sofort das Theater und lässt sich bei Maly entschuldigen, denn er kann sie ja nicht einmal mehr zu einem Abendessen einladen.

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11. Rappelkopf haust inzwischen noch immer in seiner Bergeinsamkeit und behütet in seiner Hütte, die er seinerzeit einer armen Familie abgekauft hatte, sein Geld. Immer wieder vermutet er Einbrecher und Mörder und brüllt dann zum Fenster heraus um Hilfe, sodass die Bauern aus dem nahe gelegenen Dorf eiligst herbeilaufen. Diese Scenen wiederholen sich immer wieder, und immer wieder stellt es sich heraus, dass die Einbrecher und Mörder nur in Rappelkopfs Phantasie vorhanden waren. Und allmählich denken natürlich die Bauern garnicht mehr daran, dem hilfebrüllenden Rappelkopf zu helfen, sondern rühren sich nicht von ihren Feldern und lachen ihn nur aus. Eines Tages dringen aber wirklich Einbrecher bei Rappelkopf ein und rauben ihm seinen Schatz. Wieder brüllt er um Hilfe, aber es rührt sich niemand. Da verdammt und verflucht er alle diese Menschen, die ihm nicht geholfen haben und muss nun wohl oder übel seine Hütte verlas-얍 sen, in die Stadt ziehen und dort versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen. B

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12. Auf der Landstrasse trifft er nach einigen grotesken Abenteuern Herrn von Flottwell, der nun ebenso wie er als ein Landstreicher durch die Welt zieht und auch bereits seine Abenteuer hinter sich hat. Sie ziehen gemeinsam weiter und Flottwell erzählt ihm von seiner grossen Liebe zu einer berühmten Sängerin. Rappelkopf lacht ihn nur höhnisch aus.

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13. Bei ihren Wanderungen kommen sie auch an dem Schloss, das ehemals Herrn von Flottwell gehörte, vorbei. Es stellt sich nun heraus, dass der derzeitige Schlossbesitzer der Diener Habakuk, und die derzeitige Schlossherrin Lieschen ist. Flottwell und Rappelkopf erfahren dies aber erst, nachdem sie auf Bettlerart je einen Teller Suppe erhalten haben. Es kommt zu einem Wiedersehen mit den ehemaligen Bediensteten, das aber von beiden Seiten mit grosser Reserve vor sich geht.

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14. Eines Tages kommen die beiden Landstreicher auch wieder in die grosse Stadt. Hier entdeckt Flottwell auf einem Theaterplakat den Namen seiner Maly. Sie spielt die „Jugend“ in Raimunds „Bauer als Millionär“. Er überredet Rappelkopf, mit ihm zusammen die Vorstellung zu besuchen, hoch droben auf dem letzten Stehplatz N

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Ra[y]|i|m[o]|u|nds

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ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 5

Fassung Brüderlein fein!

RF5/TS1 (Korrekturschicht)

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endlich willigt Rappelkopf ein, er hat natürlich noch keine Ahnung, dass die „Jugend“ seine Tochter ist. Flottwell bettelt sich das Eintrittsgeld in raffinierter Weise zusammen. 5

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15. Abends im Theater befinden sich nun droben auf der höchsten Galerie Flottwell und Rappelkopf, der sich von der Vorstellung nicht viel verspricht. In der ehemaligen Stammloge Flottwells sitzen Habakuk und Lieschen. - Nun tritt Maly als „Jugend“ auf und singt das Lied 얍 „Brüderlein fein“ - da erkennt sie Rappelkopf und wird durch dieses unverhoffte Wiedersehen mit seiner Tochter und unter dem Eindruck des Liedes plötzlich ein ganz weicher Mensch mit dem stärksten Verlangen, sich mit allen zu versöhnen und zu vertragen. Flottwell muss nun auch zu seiner grössten Ueberraschung erfahren, dass Maly Rappelkopfs Tochter ist. 16. Nach der Vorstellung warten die Beiden vor dem Bühneneingang, endlich kommt Maly heraus, sie wird bereits von vielen Kavalieren erwartet - erkennt aber sofort Flottwell trotz seines zerlumpten Aeussern und eilt auf ihn zu. Auch sie hatte sich nämlich immer nach ihm gesehnt und überall nach ihm fragen lassen, ohne dass natürlich jemand ihr Auskunft über sein Verbleiben und Schicksal geben konnte. Auch mit Rappelkopf gibt es nun ein Wiedersehen, und die Scene endet mit einer grossen Versöhnung. 17. So ziehen die drei in Malys Wohnung, wo es auch ein Wiedersehen und eine Versöhnung mit Rappelkopfs Frau Sophie gibt. Maly beschliesst, Flottwell und Rappelkopf schöne Kleider zu kaufen, was Flottwell nur nach längerem Zögern annimmt, und zwar nur deshalb, weil er an ihre wahre Liebe glaubt, die sie ihm dadurch bewiesen hatte, dass sie ihn auch als Bettler gern mochte.

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18. Am nächsten Tage erfährt Rappelkopf durch einen Bauern, den er auf der Strasse trifft, dass die Einbrecher, die ihm seinerzeit seine Schätze geraubt hatten, schon lange gefasst worden sind, und dass auch sein Geld bis auf den letzten Groschen im Polizeibüro nur darauf wartet, von ihm abgeholt zu werden. Rappelkopf ist überglücklich, holt sich das Geld und beschliesst, mit Herrn Flottwell, seinem zukünftigen Schwiegersohn, ein neues Schreiner- und Baugeschäft zu errichten. „Jetzt baue ich euch ein Haus!“ ruft er Flottwell und Maly zu.

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얍 19. Unter den Klängen des „Brüderlein fein“ steigt nun die Hochzeit zwischen Herrn von Flottwell und Maly Rappelkopf. Und wieder werden die Beiden von Habakuk und Lieschen bedient, die ebenfalls ihr Geld wieder verloren haben, denn nichts hat Bestand auf der Welt und Abschied muss genommen werden.

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ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 6

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20. Anmerkung: In diesem Film werden folgende Lieder verwendet: „Brüderlein fein“ „Das Hobellied“ 35 35

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korrigiert aus: zu .

[(Hobellied)]

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ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 7

Fassung Brüderlein fein!

RF5/TS1 (Korrekturschicht)

„Ach, wenn ich nur kein Mädchen wär“ „So leb denn wohl du stilles Haus“ „Ach, die Welt ist gar so freundlich, und das Leben ist so schön“ „Ein Aschen“ 5

ENDE

302

Lesetext

Lesetext

RF6: Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann.

303

Fassung Die Geschichte eines Mannes…

RF6/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. B Ein Tonfilmentwurf von Ödön HorváthN 5

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1. Auf dem Lande. Es jährt sich zum erstenmal der Todestag des Grossgrundbesitzers (Grossbauern) T. Seine Witwe hängt die Trauerkleider in den Schrank. Es ist Ende Februar und noch Fasching. Die Gutsangestellten veranstalten einen Kindermaskenball. Ein fremder Bursche (der Mann N) walzt vorbei, tritt ein -- er ist ein Kindernarr. Er maskiert sich als Teufel und wird der Liebling der Kinder. Frau T lernt ihn kennen. Und lieben. Sie hat lange keinen Mann mehr gehabt und er ist zwanzig Jahre jünger. Bald wird er Inspektor. Dann nimmt er mit Frau T das Sakrament der Ehe zu sich. Sie wird ihm von Tag zu Tag höriger. Nur ab und zu steigt ihr verstorbener Gatte aus seinem Grab. N ist ihr aber nicht treu. Er lässt sich fast wahllos mit jeder ein, nicht zuletzt deshalb, weil Frau T zwanzig Jahre älter ist. Einmal überrascht sie ihn mit dem Küchenmädchen -- immer quält sie ihn mit ihrer Liebe, stört ihn mit ihrer Eifersucht, usw. Bald hasst er sie. Nicht zuletzt deshalb, weil sie das Geld hat. Eines Tages erkältet sich Frau T, als sie ihm wiedermal nachspioniert. Der Arzt meint, sie müsse sich vor Zugluft hüten, sonst könnte es schlimm enden. N ist nun mit allen Mitteln bedacht, Zugluft herzustellen. So wird er geräuschlos und grotesk ihr Mörder. Das Begräbnis. Das Küchenmädchen ist auch dabei. Auch alle anderen Küchen얍 mädchen. Es ist sehr feierlich. Auch die bereits zwanzigjährige Tochter der Frau T ist dabei, samt ihrem Bräutigam, einem Menschen, dem man es ansieht, dass er beim besten Willen kein Glück haben kann. 2. Nach dem Begräbnis zieht N in die grosse Stadt. Mit viel Geld. Frau T hatte ihn als alleinigen Erben eingesetzt und ihre Tochter enterbt. Sie hasste nämlich ihre Tochter, da diese es mal versucht hatte, N in ihren Augen herabzusetzen. N hatte dieses Gespräch belauscht und hasste nun auch seine Stieftochter. Auch die Stieftochter hatte eine Auseinandersetzung über ihre Person zwischen Mutter und Stiefvater belauscht. Sie hatten sich alle gegenseitig behorcht, und kannten sich nun. In der grossen Stadt kauft sich N eine grosse Villa. Er hat Frauen, Freunde und Hunde. Er ist ein direkter Lebemann -- frisst, sauft, hurt und spielt. Hat Glück. Geht mit Zylinder und Frack. Mittendrinn ereilt ihn sein Schicksal. Er begegnet einem jungen Mädchen aus verarmter Familie, keusch, zurückhaltend, usw. Sie ist ihm ganz ausgeliefert, weil er durch einen glücklichen Zufall von einer kleinen Unterschlagung ihrerseits (Portokasse) erfuhr. Er könnte sie jederzeit dem Staatsanwalt ausliefern, sie fürchtet ihn. Sie wird seine grosse Liebe. B

35

B

40

3 33 39

Ein f HorváthN ] dieN ] BihnN ] B B

N

\Ein f Horváth/ korrigiert aus: das korrigiert aus: ihm

304

N

ÖLA 3/W 253 – BS 69, Bl. 1

ÖLA 3/W 253 – BS 69, Bl. 2

Fassung Die Geschichte eines Mannes…

5

10

Lesetext

Inzwischen sind aber Jahre vorbeigegangen und N wird infolgedessen älter. Er will es aber noch nicht merken. Seine Stieftochter besucht ihn überraschend. Sie hatte inzwischen geheiratet, dann ihren Mann verloren und ihr Vermögen. Sie ist Mutter -- ihr fünfjähriges Kind bringt sie nun mit zu N, überwindet sich des Kindes halber und bittet um Geld. Einen Augenblick erwacht in N der alte Kindernarr. Er gibt Geld, 얍 aber in einer derart protzig-beleidigenden Weise, dass sie es ablehnt. Hierüber ärgert er sich dermassen, dass er sofort sein Testament verfertigt: er vermacht sein ganzes Geld Waisenhäusern. Und wieder wird er immer älter. Eines abends geht er mit seiner grossen Liebe auf den grossen Ball in der grossen Oper. Stimmung, Sekt, Laune. Ein Küchenmädchen (sein Küchenmädchen!) wird fristlos wegen einer Nichtigkeit entlassen. Der Ball ist ein gesellschaftliches Ereignis. Im Kühlraum hängen geschlachtete Tiere. Ein junger Mann interessiert sich für Ns grosse Liebe -- N spioniert den Beiden nach und hört wie die grosse Liebe ihn für einen alten Kerl erklärt, vor dem man das Grausen bekommen kann. Das trifft ihn, dessen Ideal der Sonnenkönig ist, derart ins Herz, dass ihn der Schlag trifft. Abtransport ins Krankenhaus bei Tanzmusik. B

15

RF6/TS1 (Korrekturschicht)

ÖLA 3/W 253 – BS 69, Bl. 3

N

B

N

3. N ist von nun ab gelähmt. Er hört und sieht alles, kann aber weder sprechen noch schreiben. Nur mit Hilfe eines kleinen Glöckleins kann er sich mühsam verständigen. Im Rollstuhl. Die grosse Liebe ist weg. Was übrigblieb sind Lakaien, die ihm nun seine Launen zurückzahlen. Mit Zinsen. Die grosse Liebe ist an der Riviera und lässt sich kitschig photographieren. Der Arzt sagt ihm, dass er noch lange leben wird, aber sein Chauffeur erklärt ihm, dass das nicht wahr sei. Der Arzt hätte ihm gesagt, er würde höchstens noch zwei Monate leben. Er würde keinen Schnee mehr sehen. Nur den blühenden Frühling noch. N äussert den Wunsch, das Waisenhaus, dem er sein Geld vermachen will, zu besichtigen. Er wird hingefahren. Die Kinder spielen im 얍 Hof und nach der offiziellen Begrüssung, lässt man ihn allein in seinem Rollstuhl bei den Kindern sitzen. Die Kinder kommen näher an ihn heran, trauen sich aber nicht recht. Nur ein kleines Mädchen hat den Mut, sie tritt heran und läutet mit dem Glöckchen -- er starrt sie an und plötzlich wird es ihm bange: es ist das Kind seiner Stieftochter, die da mit ihm spielen möchte. Das Kind sieht ihn gross an und lacht. Dann wird es plötzlich ernst und betrachtet ihn durchdringend -- und unter diesem Kinderblick gehts zu Ende mit ihm. Er stirbt. BN

20

25

30

B

N

B

35

B

14 15 19 31 33 39

LiebeN ] trifftN ] BN] BihnN ] BdemN ] BXN ] B B

X

N

korrigiert aus: Liebe, korrigiert aus: trift

[aber] korrigiert aus: ihm

[seinem]|dem| \X/

305

N

ÖLA 3/W 253 – BS 69, Bl. 4

Lesetext

306

Lesetext

RF7: Fünf Filme

307

Titellisten Fünf Filme

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl.Lesetext 90v, 91

308

Titellisten Fünf Filme

RF7/E1–E2

309

Lesetext

Lesetext

310

Lesetext

RF8: Kasimir und Karoline

311

Fragm. Fassung Kasimir und Karoline



RF8/TS1 (Korrekturschicht)

Kasimir und Karoline

B

10

15

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 92

Das Glücksrad dreht sich. Es wird an einer Ziffer halten. Eine Ziffer wird gewinnen. Welche? Ja, wenn man das wüsste! „Ja, wenn man das wüsste!“ denkt ein Jeder, der gesetzt hat. Und auch Jeder, der nicht gesetzt hat. Das Glücksrad rollt. Ziffer 23. Niemand hat sie gesetzt. Die Bank gewinnt alles. Der Bankbeamte hat 22 gesetzt, denn laut Horoskop ist das seine Glückszahl. Und das kleine Mädchen setzte 19. Und der Herr setzte 21. Aber niemand setzte 23. Die Bank hat gewonnen. Das Glück ging vorbei. – Was ist das Glück? 얍 Ist es die Frau? Ist es der Mann? Der Mann denkt, es ist die Frau, die Frau denkt, es ist der Mann. B

5

Lesetext

N

N

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 93

BN

20

Was ist das Glück? Es ist die Ziffer 23. Die Ziffer, die keiner gesetzt hat, und also hat keiner gewonnen. Die Bank hat das Glück. Aber die Bank ist es gewohnt, zu gewinnen, und also ist es auch kein Glück. Was ist also das Glück? Kommt, wir wollen es vergessen, was es ist – denn wir wissen es nicht. „Du wirst nichts gewinnen“, 얍 sagt Kasimir zu Karoline. Karoline ist seine Braut. Kasimir ist ein Chauffeur. Er fuhr einen {Lastkraftwagen}. Aber die Firma ist pleite. Er ist arbeitslos. Und zwar seit vier Stunden. Vor vier Stunden sagte sein Chef: „Kasimir, wir machen Schluss. Entweder ich sanier mich oder ich häng mich auf. Auf alle Fäll bist Du entlassen.“ Kasimir wurde arbeitslos. B

N

B

B

N

N

B

BN B

25

B

30

\Abbruch der Bearbeitung\

4 9 16 20 20 22 23 24 24 27

ZifferN ] lautN ] BN] BDieN ] BhatN ] BalsoN ] BdennN ] BN] BnichtsN ] Bwir machenN ] B B

N

N

[Nummer] |Ziffer| [sein] |laut| [\Oder ist es nur eine Ziffer?/] [Also hat] [d]|D|ie. \hat/ [das] |also| [{wir}] |denn| [{es}] nicht\s/ [ich m] |wir machen|

312

N

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 94

Lesetext

RF9: Die kleinen Paragraphen

313

Fragm. Fassung Die kleinen Paragraphen

얍 B

N

N

B

N

N

B

B

N

B

N

N

B

20

B

B

B

30

N

N

N

N

B

B

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\ 4–10

4 9 9 12 13 14 14 18 22 24 28 29 30 31

B

1.) Ausserhalb f xN ]

Ausserhalb f schien.N ] auchN ] BbliebN ] BverladenN ] BTotenwagenN ] BKranz f gehörte.N ] BhatteN ] BStudierenden, dieN ] Bseziert N ] Bwollte läutenN ] BältererN ] BfragteN ] BxN ] BPräparatorN ] B B

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 97

N

B

25

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 96

N

B

15

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 95

1.) Ausserhalb der Stadt. Das Land war schön und die Sonne schien. An einer Kurve kam es zu einem Autounglück. In dem Auto war ein Herr und eine Dame. Die Dame war tot, der Herr, der das Auto lenkte, blieb, wie durch ein Wunder, unverletzt. Der Herr hatte die Dame kurz vorher 얍 kennen gelernt. Er wusste garnicht, wie sie hiess. Es war auch uninteressant. Es blieb auch nach ihrem Tode uninteressant. x Die Rettungsgesellschaft kam, aber der Arzt konstatierte nur den Tod. Die Dame wurde verladen , der Herr wurde verhört, es war höhere Gewalt. Er konnte nichts dafür. Er war unschuldig. Er fuhr mit dem Totenwagen , neben dem Chauffeur, in die Stadt und kaufte einen Kranz, denn er hatte ein Herz und wusste, was sich gehörte. x Den Kranz brachte er in die Anatomie, denn die Dame wurde untersucht. Es war keine Dame, und es hat sich keine 얍 Verwandtschaft gemeldet. Der Herr stand in der Anatomie und studierte die Tabellen, die für die Studierenden, die zukünftigen Ärzte an der Wand hingen. x Unterdessen ging draussen ein Fräulein auf und ab. Das Fräulein wusste, hier drin ist die Anatomie, wo man seziert. Es ging hin und her. Die Kastanienbäume blühten, denn es war Frühjahr, der Himmel war hellblau und die Sonne schien schon warm. Was wollte das Fräulein? Es hatte Hunger und wollte läuten , überlegte es sich aber immer wieder. 얍 Endlich läutete sie doch. x In der Tür erschien ein älterer , dicker Herr, es war der Vizepräparator. „Sie wünschen?“ fragte er. x F RÄULEIN Ich möchte den Präparator sprechen. V IZEPRÄPARATOR Sie können sich mir ruhig anvertrauen. B

10

Lesetext

Die kleinen Paragraphen.

B

5

RF9/TS1 (Korrekturschicht)

[1.) Der Herr mit der Dame im Auto. Das Autounglück. Die Dame ist tot. Er bleibt unverletzt. Die Dame ist eine fremde Frau, er forderte sie auf zum Mitfahren, sie mögen sich, er näherte sich ihr, dadurch kam es zum Autounglück. ] |1.) Ausserhalb f x| \Ausserhalb f schien./ \auch/ [war] |blieb| [{ }] |verladen| [{Ret}] |Totenwagen| Kranz[.]|,| \denn f gehörte./ [w] |hatte| [Stude] |Studierenden, die| [{die}] |seziert| [{ }] |wollte [läuten] |läuten|| korrigiert aus: älter [sagte] |fragte| [“] |x| [Vizepräparator] |Präparator|

314

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 98

Lesetext

RF10: Der Pfarrer von Kirchfeld

315

Fragmentarische Fassung

RF10/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 1.) Im Einöder Tal sieht man von droben auf der Landstrasse Bein kleines Pferdefuhrwerk fahrenN. Es fährt die Serpentinen hinauf und hinunter – an den Wasserfällen B vorbei und über Brücken.N 5

Es ist eine Art kleiner Lieferwagen, ähnlich demjenigen, den der Viehhändler führte. Am Bock sitzt der alte Pfarrer Vetter aus St. Jakob und hinten die Anna mit ihrem Bündel. \Abbruch der Bearbeitung\

2–3 4

B B

ein f fahrenN ] vorbei f Brücken.N ]

ein[en] kleine[n]|s| [Wagen fahr] |Pferdefuhrwerk fahren| vorbei[, über] |und f Brücken.|

316

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 1

Fragmentarische Fassung

RF10/TS3 (Grundschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

얍 Zeit sah ihn niemand mehr eine Kirche betreten. Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betrat, sitzen der Wirt und der Wurzelsepp mit gutgespieltem guten Gewissen in der Stube und trinken Schnaps, als hätten sie niemals irgendeinen unerlaubten Gedanken \Abbruch der Bearbeitung\

317

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 36v

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 B 2.)N An der Waldgrenze entdecken die beiden Förster eine BSchlingeN mit einem gefangenen Rehkitz. Michel stellt sofort BentrüstetN fest, dass diese Schlinge selbstver5 ständlich Bnur vonN einem Wilderer Bstammen könneN. Er BhätteN auch schon einen ganz bestimmten Verdacht, Bund zwar drehe es sich umN einen Einwohner Kirchfelds, Bum einen gewissen Wurzelsepp, der schon einmal vor Jahren wegen Wilddiebstahls eingesperrt worden sei.N B B3.)N Der Mann, den Michel im Verdacht hat - beobachtete beide Förster schon längere Zeit - Ber hatte gerade nach seiner BSchlingeN sehen wol10 len, als er die beiden erblickte,N und sich rasch im Unterholz versteckte. Er BmussN es B nunN mitansehen, wie seine Falle entdeckt BwirdN und sieht jetzt die beiden Förster rasch auf dem BkurzenN Steige zum B N Gruber Franz hinabeilen.N B4.)N BEr wolle mal beim Gruberfranz nachsehen, meint Michel im Hinabsteigen,N ob der BWurzelseppN sich nicht dort Baufhalte,N Bsagt er zu seinemN Kollegen Bwährend er mit ihm hinab15 steigt. BUnd dannN N erzählt BerN ihm B N von seinen verschiedenen immerhin erfolglos durchgeführten Haussuchungen beim BGruberfranzN, von dem die Behörde überzeugt ist, dass er den Wilderern und Schmugglern Hehlerdienste leistet, obwohl es bisher noch nicht gelungen sei, ihn zu überführen. B N B 5.)N Um ihnen zuvorzukommen und den Wirt zu warnen, BklettertN und BspringtN er 20 tollkühn über Wände und Schroffen und erreicht also noch vor dem Eintreffen der 3 3 4 5 5 5 6

2.)N ] SchlingeN ] BentrüstetN ] Bnur vonN ] Bstammen könne.N ] BhätteN ] Bund f umN ] B B

6–8 8–12 8 9–10 9 10 11 11 12 12 12 12–13

B

um f sei.N ] 3.) f hinabeilen.N ] B3.)N ] Ber f erblickte,N ] BSchlingeN ] BmussN ] BnunN ] BwirdN ] BkurzenN ] BN] B4.)N ] BEr f Hinabsteigen,N ]

13 14 14 14–15 15 15 15 16 18 19 19 19

B

B

WurzelseppN ] aufhalte,N ] Bsagt f seinemN ] Bwährend f dannN ] BUnd dannN ] BerN ] BN] BGruberfranzN ] BN] B5.)N ] BklettertN ] BspringtN ] B

\2.)/ [Wald][s]|S|chlinge \entrüstet/ \nur/ [nur von] |von| [gelegt worden sein konnte.] |stammen könne.| h[ab]|ätt|e [zwar wolle er noch keinen Namen nennen, aber er hätte das Gefühl, dass er auf der richtigen Fährte sei. Er wolle \jedoch/ nur so viel sagen, dass es sich um] |und f um| [handle,] |um f sei.| x3.) f hinabeilen. \3.)/ [er f erblickte,] [Wild][s]|S|chlinge muss[te] \nun/ korrigiert aus: w[u]|i|rde korrigiert aus: kurzem [\Wirtshaus/] korrigiert aus: \(4.)/ \4.)/ (1) und er möchte nun doch gleich mal drunten im Einöder Tal [im Wirtshaus] [des]|Der| Gruber[ ][F]|f|ranz [nachsehen] (2) \Er f Hinabsteigen,/ [Bewusste] [|Wurzel|] [|Bew|] |Wurzelsepp| aufhalte[.]|,| [Er fordert seinen] |sagt f seinem| [auf mit ihm hinabzusteigen und] |während f dann| [Und] |Und dann| \er/ [dabei] Gruber[ ][Franz]|franz| [3.) f hinabeilen.]f x korrigiert aus: \(5.)/ \5.)/ klettert[e] spr[a]|i|ng\t/

318

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 34

Fragmentarische Fassung

Lesetext

Beamten das Wirtshaus, wo er sofort mit dem Wirt im Keller verschwand, um zwei dort aufbewahrte gewilderte Rehe unter allerhand Gerümpel zu verbergen. 얍 Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betritt , sitzen der Wirt und der Wurzelsepp mit gutgespieltem guten Gewissen in der Stube und trinken Schnaps, als hätten sie niemals irgendeinen unerlaubten Gedanken gehabt.

B N

5

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

BN

B

N

B

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 35

N

B N

Die beiden Beamten unterhalten sich weiterhin über Kirchfeld und Michel meint, die Kirchfelder sind jetzt alle so anständig geworden, sie seien kaum wiederzuerkennen seit der neue Pfarrer dort sei. Dieser Pfarrer Hell sei der beste im ganzen Land, wobei der W.S. ironisch vor sich hinlächelt. M. bemerkt dies und betont es nochmals, indem er sich zum W.S. hinwendet, als würde er es zu ihm sagen: Jawohl! Der Pfarrer Hell ist ein richtiger Mensch! Und du red schon garnix über unsern Herrn Pfarrer! Mit naiver Miene erkundigt sich der Sepp warum er denn der einzige nicht Brave sei, aber M. erwidert ihm nur: „Mir sagt es eine innere Stimme, dass wir zwei uns nochmals treffen werden.“ „Wo?!“ fragt der Sepp. Darauf der M.: „Droben im Walde, wo manchmal so eigenartige Schlingen wachsen.“ „Das verbitte ich mir!“ schreit der Sepp, der es merkt, dass Michel ihn verdächtigt und es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden, die damit endet, dass der Wirt M. erklärt, er lasse seine Gäste nicht beleidigen. Wütend verlassen die beiden Förster das Wirtshaus und wenden sich auf der Strasse nach K. zu, wobei M. sich noch einmal zum Wirtshaus umdreht: „Wir sehen uns wieder!“ murmelt er vor sich hin. B

10

N

BN

B

N

B

B

15

B

N

N

N

B

N

B

B

B

20

N

N

N

B

N

B N

25

얍 Der Pfarrer dreht sich hin zu Anna: „Hast noch keinen Hunger?“ fragt er sie. Anna nickt Nein, und der Pfarrer fährt weiter.

3

BN

3 3 5 7 9 9 11 11 12 15

BN

16 17 18 19 21 24

B

]

] betrittN ] Bgehabt.N ] BN] BKirchfelderN ] BN] BW.S.N ] BM.N ] BzumN ] Beinzige nichtN ] B

[Der Wilderer ist\,/ wie gesagt\,/ aus Kirchfeld und wird der Wurzelsepp genannt. Ein jedes Kind weiss, dass er vom Wildern lebt. Auch sein Vater ist ein Wilderer gewesen, hat ein erschossen und endete im Gefängnis. Der Wurzelsepp war damals noch ein Kind und seit jener 얍 Zeit sah ihn niemand mehr eine Kirche betreten.] [\(6.)/] betr[at]|itt| \gehabt./ [Nach einer kurzen Begrüssung kommen sie bald ins] Eintragung von fremder Hand: K\i/rchfelder Eintragung von fremder Hand: [alle] gemeint ist: Wurzelsepp gemeint ist: Michel Eintragung von fremder Hand: [den] |zum| korrigiert aus: einzige nicht unregelmäßige Zeichenabstände werden in RF10/TS4

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 36

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 35

stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis.

nochmalsN ] Bwachsen.“N ] Bmir!“N ] BzwischenN ] BK.N ] BN]

noc\h/mals Eintragung von fremder Hand: wachsen.\“/ mir![,]|“| zw[e]ischen gemeint ist: Kirchfeld [Auf der Strasse durch das Einöder Tal sieht man (von droben) einen kleinen Wagen, der von einem Pferd gezogen wird, fahren. Der Wagen wird von dem alten Pfarrer Vetter kutschiert und hinten auf dem Wagen, der eine Art kleiner Lieferwagen ist, sitzt Anna. 얍 Der Wagen hält nun]

319

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 36

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

Im Wirtshaus freuen sich der Wirt und Sepp, dass sie den Michel so geärgert haben und S. fängt an zu trinken, er hat seinen „süffigen Tag“ . Er reminisziert dem Wirt, dass ihn der frühere Pfarrer angezeigt hat wegen des Wilderns, er eingesperrt worden sei, und mit der Zeit keinen Pfarrer mehr leiden kann. Er wird dabei rasch melancholisch und singt mit dem Wirt Lieder, die so beginnen wie z.B.: „Ja nimmt denn das Elend schon gar kein End?“ Vetter hält mit seinem Wagen vor dem Wirtshaus, dreht sich zu Anna um und sagt: „Hast noch immer keinen Hunger?“ Anna nickt wieder nein. „Ich hab zwar auch keinen Hunger“ , meint Vetter, „dafür aber Durst.“ Er steigt vom Wagen und betritt das Wirtshaus um ein Glas Bier zu trinken . A. bleibt draussen sitzen, holt aus ihrem Bündel einen Apfel heraus und beisst hinein. Es ist ein sehr heisser Tag und die beiden Förster gehen die staubige Strasse nach K. weiter. Sie knöpfen sich den Rock auf. Der Wirt und Sepp sahen aus der Stube draussen den Pfarrer vorfahren und erhoben sich interessiert , wohin denn der alte Pfarrer mit dem jungen Mädl fährt. Das ist doch der Pfarrer von Einöd , erkennt ihn der Gruber Franz. V. betritt die Stube und trinkt im Stehen ein Glas Bier und teilt dem Wirt mit, dass er die A. nach K. begleite, wo sie als Magd zum Hell kommt. Der Sepp, dem die A. gefällt, geht hinaus zum Wagen und fragt sie, woher sie kommt, wohin sie geht. Als er hört, dass sie zum H. kommt, ergeht er sich in ironischen Bemerkungen über den Pfarrer und sagt, es wäre das Letzte, wenn man es ihm zumuten würde, dass er einen Pfarrersknecht abgeben soll. V. erscheint nun wieder und fährt mit A. fort, und der Sepp meint schadenfroh zum Wirt: „Die bringen ihm jetzt die lebfrische Dirn, als täten sie es zu Fleiss!“ V. und A. fahren weiter. 얍 M. trennt sich von seinem Kollegen, der muss noch auf eine Alm hinauf, M. wandert allein auf der staubigen Strasse nach K. Er brummt über die riesige Hitze und trinkt bei einem Brunnen Wasser. Jetzt wird er von V. eingeholt, er grüsst den Pfarrer. Vetter hält und fragt ihn ob er nicht aufsitzen möcht. Er nähme ihn gern mit. Der Förster setzt sich hinten zu Anna hin und als er sie erblickt starrt er sie an und meint dann plötzlich, sie käme ihm so B

B

N

N

B

N

B

B

N

N

5

B

10

N

B

N

B

N

B

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B

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B

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N

B

B

N

N

B

1 2 2 2–4 2 9 10 10 12 15 16 17 20 20 22 24

B

sieN ] S.N ] Btrinken f Tag“N ] BEr f kann.N ] BreminisziertN ] BHunger“N ] BtrinkenN ] BA.N ] BdieN ] BinteressiertN ] BEinödN ] BV.N ] BH.N ] Ber sichN ] BdassN ] B„Die f Fleiss!“N ]

24 31

B

B

B

lebfrischeN ] sieN ]

N

N

B

25

N

Eintragung von fremder Hand: \sie/ gemeint ist: Sepp

trinken\,/ \er f Tag“/ \Er f kann./ [erzählt] |reminisziert| Eintragung von fremder Hand: Hunger\“/

trin[e]ken gemeint ist: Anna Eintragung von fremder Hand: di\e/ korrigiert aus: in[e]terssiert korrigiert aus: Einö gemeint ist: Vetter gemeint ist: Hell

er[n]sich [n]dass (1) (Bemerkungen über Anna - Hell ) (2) \„Die f Fleiss!“/ [leb] |lebfrische| korrigiert aus: wie

320

N

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 37

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

bekannt vor und ob sie denn nicht die A.B. aus St. Jakob wäre. Es stellt sich nun heraus, dass M. und A. als Kinder zusammengespielt haben - und die kl. A. war damals immer vom kl. Michel geschützt worden. So bringt er ihr viele Dinge aus der Kindheit wieder in Erinnerung, während sie nun weiterfahren. „Schad‘, dass ich damals als kleiner Bub weg hab müssen aus St.J. und äussert seine grosse Zufriedenheit darüber, was für ein schmuckes Dirndel aus der kl. A. geworden sei. „Und ein braves“, fügt V. hinzu. So kommen sie nun endlich in K. an und halten vor dem Pfarrhof. In dem kleinen Vorgarten ist die Pfarrersköchin Brigitte gerade damit beschäftigt eine zerbrochene Gartenglaskugel zu leimen und auf die Frage nach dem Pfarrer teilt sie V. mit, der Pfarrer sei beim Schmidthuber hinten, da sei nämlich eine Kuh sehr krank. Auf das überraschte Gesicht Annas hin, setzt ihr M. auseinander, während V. zum S. geht, dass der Pfarrer H. eben ein idealer Seelsorger sei, der sich nicht nur um das Seelenheil seiner Gemeinde kümmere, sondern auch überall mithelfe, überall sich nützlich mache, vor keiner Arbeit zurückschrecke und wenns pressiert auch die Rolle eines Viehdoktors übernehmen würde. Beim Schmidth. im Stall sehen wir den Pfarrer H. wie er sich in Hemdsärmeln 얍 wie ein richtiger Tierarzt bemüht. Kaum hat er seine Arbeit im Stall beendet und wäscht sich die Hände am Brunnen, da wird er von V. begrüsst, der ihm mitteilt, dass er mit dem Mädel eingetroffen sei. Rasch zieht sich H. seine Sutane an, und eilt mit V. zum Pfarrhof, den Dankworten S.H. enteilend. M. verabschiedet sich beim Wagen von A., die den Wagen verlassen hat und teilt ihr mit, er hoffe auf ein Wiedersehen, er sei sehr froh, seine Kindergespielin wiederzusehen. Dabei fängt er an sie zu tätscheln, wobei sie sich erkundigt, ob denn alle Kirchfelder s o wären. Er kommt zu keiner Antwort mehr, denn nun erscheinen H. und V. Michel grüsst und ab. V. stellt dem H. die A. vor. „So du bist also die A.B.,“ fragt H. und A. wird durch seine Persönlichkeit plötzlich sonderbar schüchtern und bringt vorerst kaum ein Wort hervor. „Ich habe dem hochwürdigen Herrn V. bereits die Hand darauf gegeben,“ fährt H. fort, „dass ich dich aufnehmen will.“ A. bleibt noch immer stumm und küsst H. die Hand, der sie unwillkürlich etwas zurückzieht. „Also - Anna, ich heisse dich B

B

B

5

B

N

N

B

N

B

N

B

B

N

N

N

B

B

10

B

B

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B

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30

B

B

B

25

N

B

1 2 2 3 5 5–6 6 6 7 8 11 11 12 12 15 17 21 24 30

sichN ] dieN ] Bkl.N ] BgeschütztN ] BSt.J.N ] BZufriedenheitN ] Bkl.N ] B„UndN ] Bbraves“,N ] BIn demN ] BnämlichN ] BKuhN ] BGesichtN ] BS.N ] BpressiertN ] BSchmidth.N ] BS.H.N ] BfängtN ] B„dassN ] B B

N

N

B

20

N

N

N

N

N

korrigiert aus: ich korrigiert aus: ie gemeint ist: kleine korrigiert aus: geschütz gemeint ist: St. Jakob korrigiert aus: Zufriedneheit korrigiert aus: kl

\„/Und braves\“,/ In\ /dem näml[c]ich Ku\h/ Gecht gemeint ist: Schmidthuber korrigiert aus: prssiert gemeint ist: Schmidthuber gemeint ist: Schmidthuber korrigiert aus: fägt korrigiert aus: dass

321

N

N

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 38

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

in meinem Hause willkommen.“ Dann wendet er sich B. , die noch immer im Vorgarten steht, und die Scene beobachtete, zu: „Das dürfte deine neue Gehilfin werden,“ sagt er zu ihr, „zeig ihr das Zimmer, wo sie wohnen soll, vielleicht die Kammer neben dir.“ Mit diesen Worten betritt er mit V. den Pfarrhof. In dem gemütlichen Wohnzimmer Hells bietet er V. im Sorgenstuhl Platz und bietet ihm auch eine Zigarre an, und indem V. sich eine anzündet, meint er: Das ist recht christlich von Ihnen, Herr Amtsbruder, dass Sie das Mädel auf meine Empfehlung hin ins Haus nehmen. Dann geht er nochmals zur Tür und ruft hinaus: „Brigitte, bring mal eine Flasche Wein aus dem Keller.“ Brigitte erscheint und er fragt sie vor V.: „Wie gefällt dir deine neue Stütze?“ „So, na das Dirndel ist recht nett und sauber und nicht ein bisschen aufdring얍 lich“, dabei wendet sie sich weg. Hell meint lächelnd zu V. allein geblieben: „Na das will ja was heissen, wenn die B. das Lob eines jungen Mädchen singt, sonst weiss sie ihnen wenig Gutes nachzusagen.“ Anna allein in ihrer neuen Kammer packt aus ihrem Bündel aus, sieht sich um und betrachtet neugierig die Möbel. Sie probiert das Bett auf seine Elastizität und sieht ein Heiligenbild an der Wand und murmelt vor sich hin: „Der sieht aus wie der Pfarrer Hell.“ Jetzt hört sie von unten Brigitte Anna rufen. Sie folgt rasch. B. gibt ihr die Flasche Wein auf einem Tablett mit 2 Gläsern in der Küche und sagt: „So mach dich gleich nützlich und trag es hinein zu dem hochwürdigen Herrn.“ Anna bringt den Wein in das Wohnzimmer, stellt ihn auf den Tisch. „Danke“, sagt H. und während er seinem Gast und sich die Gläser füllt, fragt er Anna: „Hat dir Brigitte schon alles gezeigt?“ A. fühlt sich wieder sonderbar befangen und kann nur ein „Ja“ herausbringen, dann verlässt sie das Zimmer. V. sieht sich um und meint: „Wie ist doch hier alles so freundlich, so recht wohlgefällig - so gottesfriedlich. Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren, sind noch BN

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zuN ] undN ] BneueN ] Bwerden“,N ] B„zeigN ] BgemütlichenN ] BSorgenstuhlN ] BPlatzN ] BSie f nehmen.N ] BN ] BDannN ] BKeller.“N ] BistN ] Bbisschen aufdringlich“,N ] BmeintN ] BB.N ] Bnachzusagen.“N ] BSieN ] BprobiertN ] BHeiligenbildN ] BHell.“N ] BdieN ] BTablettN ] BTisch.N ] BA.N ] B B

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gestrichen: Eintragung von fremder Hand: \zu/ korrigiert aus: udn Eintragung von fremder Hand: neu\e/ korrigiert aus: weden,“ korrigiert aus: zeig korrigiert aus: Eintragung von fremder Hand: gemütl\i/hen Eintragung von fremder Hand: Sor\g/enstuhl korrigiert aus: Plat Eintragung von fremder Hand: \Sie f nehmen./ gestrichen: Eintragung von fremder Hand: \(S. 9)/ eingefügt korrigiert aus: Keller. korrigiert aus: isr korrigiert aus: bischen aufdringlich,“ korrigiert aus: me nt korrigiert aus: B- gemeint ist: Brigitte korrigiert aus: nachzusagen. eingefügt korrigiert aus: proboert korrigiert aus: Heiligenblid korrigiert aus: Hell“

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 39

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

so jung und haben noch so viel vor sich. Ich bin schon ein alter Mann und sitz da oben in der Einöd, wo es kaum 5 Menschen gibt, denen es freudig erging. Alles herabgebracht vom Elend.“ Hell: „Das ist traurig, wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts dagegen tun können.“ V: „Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl.“ Hell (ergriffen): „Waren Sie denn immer so resigniert?“ Vetter (lächelnd): „Ach nein, ich war ja auch jung .“ In der Küche führt Brigitte A. in ihr Reich ein. Dabei erzählt ihr Anna, dass sie so froh sei, dass sie die Stellung hier bekommen habe. Unterwegs beim Gruberfr. hätte sie zwar einen Kirchfelder getroffen, der sich alle 얍 Mühe gegeben hätte, dem Pfarrer H. was Schlechtes nachzureden. Aber er hat doch nichts vorzubringen gewusst, und da hätte sie sich gedacht, was das für ein Herr sein muss, wenn ihm selbst die, die ihm übel wollen, nichts nachsagen könnten. Aber jetzt hätte sie ihn gesehen und gehört, wie gut und freundlich, dass er ist und jetzt täte es ihr fast weh, wenn sie ihm nicht dienen dürfte. H. geleitet V. auf seinen Wagen hinaus. Es ist inzwischen Nacht geworden. V. ist von dem Wein ganz leicht beschwipst und in seinem Schwips bedankt er sich nochmal und fährt in seiner Erzählung über den Schulmeister in Einöd fort, der gar liebe Kinder und ein braves Weib hätte, das ihn aufrecht hält. Und er fügt hinzu: „Wir haben es nicht, dürfen es nicht haben, und das ist auch sicher besser so, wenn man auch bedenkt, dass wenn man heute oder morgen zusammenbricht, man sich auf niemand stützen kann, auf keinen Menschen. „Aber lassen wir das“ , meint er und fährt mit seinem Wagen, nachdem ihm H. seine Laterne angezündet hat, fort. H. sieht ihn und winkt ihm noch eine Zeit lang nach und dann betritt er wieder den Pfarrhof und ruft nach B. B. u. A. sitzen gerade beim Abendessen. B. will H. folgen, doch A. hält sie zurück. Sie würden schon den Herrn bedienen. Sie betritt das Zimmer und H. fordert sie auf die leeren Gläser und Flaschen hinauszutragen und dabei sagt er ihr: „Du weisst wohl, dass Dienen kein leichtes Brot B

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 40

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

ist.“ Darauf Anna: „Ich fürchte mich nimmer vor dem Dienst. Und es schreckt mich auch nicht, dass du für einen geistigen Herrn noch so viel jung bist.“ V. fährt auf der dunklen Landstrasse durch das Einöder Tal. Plötzlich hört er in einiger Entfernung vor sich heisere Schreie. Er hält das Pferd erschrocken an und lauscht. Und durch die Hand dringt nun ein 얍 unartikulierter Gesang zu ihm hin, und zwischendurch immer heisere Flüche, als würde jemand mit jemanden furchtbar streiten. Aber die Stimme des anderen ist nicht zu vernehmen. Es ist der W.s. , der vom G.F. völlig betrunken nachhause wankt, dazwischen immer wieder sein Lieblingslied vom „Elend“ singt und in einer betrunkenen Weise mit Gott und der Welt hadert, und vor allem mit seinem Feind, dem Pfarrer von K. Als nun der W.s. Vetter auf dem Wagen erblickt und erkennt, rempelt er ihn an, er sei doch derjenige, der dem Hell die Dirn in das Haus gebracht hätte und erkundigt sich, ob er es dem H. zu Fleiss getan hätte. Sprachlos starrt ihn V. an. Das Gesicht des W.s. ist erkennbar durch den flimmernden Schein der Laterne und gehässig ruft er nun V. zu: „Frag doch nach 5 Wochen an, ob die Kirchfelder ihren Pfarrer noch für einen Heiligen halten?“ Boshaft lachend lässt er Vetter stehen, der völlig perplex vor sich hinmurmelt: „Du lieber Gott, ich werd doch da nicht etwas Unüberlegtes getan haben.“ Dann setzt er seinen Weg fort. Als der Wurzelsepp K. erreicht, graut der Morgen bereits. Er betritt das Haus seiner Mutter. Es ist eine halbverfallene Hütte, oberhalb des Dorfes. Es kommt zu einer grossen Scene zwischen Mutter und Sohn. Sie wirft ihm seinen liderlichen Lebenswandel vor, beschwört ihn sich zu bessern, versichert ihm, dass sie sich etwas antue, wenn er wieder eingesperrt werden würde. Der betrunkene Sepp, der zuerst versucht hat, zu widersprechen, lallt am Schluss nur noch etwas von irgendeinem Pfarrer und einem jungen Mädel, bedroht seine Mutter und schläft ein. Die Mutter stürzt verängstigt aus der Hütte und eilt nach K. hinunter, um mit dem Pfarrer Hell zu sprechen. In der Kirche tauft der Pfarrer H. gerade ein Kind. Nach der Taufe zieht er sich in 얍 der Sakristei um und will hinüber in das Pfarrhaus, da trifft er in der Sakristei die Mutter des Sepp, die ihn bittet, ihrem Sohn mal ins Gewissen zu reden. B

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Eintragung von fremder Hand: ist.\“/ gestrichen: (S. 11)

Dienst.[“] Eintragung von fremder Hand: f\ü/r Eintragung von fremder Hand: bist.\“/ gestrichen: (S. 12) Eintragung von fremder Hand: \er/ Eintragung von fremder Hand: heise\re/ gemeint ist: Wurzelsepp gemeint ist: Gruberfranz korrigiert aus: riner korrigiert aus: ent[sch] k u[l] n digt

S[v]|c|hein halten?\“/

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korrigiert aus: Boshalft

er\ /seinen [etwas ausserhalb] |oberhalb| Sc\e/ne \wieder/ wer[{ }]|d|en [dann plötzlich]

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 42

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Vor der Kirche steht aber bereits Sepp, der seiner Mutter nachgeschlichen ist. „Ich kann mir schon denken, was du mir zu sagen hast, aber ich verzichte auf jedes Wort von dir, weil ich dein Feind bin.“ Hell: „Mein Feind? Ich fürchte du bist nur der Feind des Kleides, das ich trage. Es kommt aber nicht darauf an, was man trägt, sondern wie man es trägt.“ Sepp: „Ihr predigt, liebet deinen Nächsten, und dabei tut ihr das Gegenteil. Dein Vorgänger hat mich angezeigt.“ Hell: „Gib acht, Sepp!“ Sepp: „Du hast dich überhaupt nicht in meine privaten Angelegenheiten hineinzumischen - sonst misch ich mich mal in die deinen.“ Hell: „In die Meinen? Das kannst du ruhig tun.“ Sepp: „Werden sehen.“ Im Garten hinter dem Pfarrhofe sitzen B. und A. Hell erscheint. Anna bringt H. den Farbkasten in die Kirche. H. sitzt auf einer Leiter in der leeren Kirche und bessert das Bild der heiligen Familie aus. A. sieht ihm bei der Arbeit etwas zu und meint dann plötzlich: „Nicht wahr , oft hab ich mir schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die Heilige Familie.“ Hell lächelnd: „Meinst du?“ „Ja! Eine Familie haben , ist doch etwas Schönes.“ Hell: „Gewiss.“ A. betrachtet ihn nun weiter bei der Arbeit und sagt plötzlich etwas schelmisch: „Ist der Heilige Joseph nicht etwas zu rot?“ Hell: „Findest Du?“ Anna: „Und der Thomas ist zu blau. “ Hell etwas entrüstet: „Aber der ist doch nicht zu blau, das verstehst du nicht, geh an deine Arbeit.“ Der Förster M. befindet sich wieder auf seinem Reviergang im Gebirge - er steigt nun direkt nach K. ab. M. kommt ins Wirtshaus, wo getanzt wird und sein Kollege erkundigt sich bei 얍 ihm, wo er denn die A. hätte. Michel erklärt ihm, sie sei zu Hause, sie könne nicht fort, denn die Brigitte wäre weg, wäre bei der Nachbarin und sie müsse den Pfarrer bedienen. Der W.s. der dieses Gespräch am Nebentisch hört, wirft hämisch ein: „Das glaub ich. Die B. bei der Nachbarin , und der Pfarrer und das Mädel allein daheim.“ Er wird entrüstet zur Ruhe gewiesen und aus dem Lokal gewiesen, etwas unsanft, und zwar vom Michel. Sepp lechzt nun nach Rache um dem Michel und dem verhassten Pfarrer eins auswischen zu können. „Ich werd mal nachschauen“, knurrt er und nähert sich dem Pfarrhof. Dort angekommen steigt er über den B

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„IchN ] bin.“N ] BnurN ] Bdas ichN ] Bträgt.“N ] B„IhrN ] B„DuN ] Btun.“N ] BN] BArbeitN ] BwahrN ] BmirN ] BselbstN ] BhabenN ] Bblau.N ] BArbeit.“N ] BN] BhämischN ] BNachbarinN ] Bdaheim.“N ] BwirdN ] Bnachschauen“,N ] B B

korrigiert aus: Ich korrigiert aus: bin. korrigiert aus: n r korrigiert aus: dasmich korrigiert aus: trägt. korrigiert aus: Ihr korrigiert aus: Du korrigiert aus: tun “ gestrichen: (S. 13,14)

A[b]rbeit Eintragung von fremder Hand: wah\r/ Eintragung von fremder Hand: m\i/r

s[r]|e|lbst korrigiert aus: habn korrigiert aus: blau= korrigiert aus: Arbeit. gestrichen: (Seite 15). korrigiert aus: ähmisch korrigiert aus: nachbarin korrigiert aus: daheim“. Eintragung von fremder Hand: wi\r/d korrigiert aus: nachschauen,“

325

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 43

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Vorgarten, schleicht sich ans Haus heran und zieht ganz leise den Fensterladen beiseite. Er sieht A. allein im Zimmer, die den Tisch, an dem H. zu Abend gegessen hat, abräumt, dann sieht er, wie sie auf einem Sekretär ein Schmuckstück entdeckt. Der Sepp lauscht nun angestrengt, kann aber durch die Fensterscheibe nichts hören, sieht nur die zwei miteinander reden, und wir sehen im Folgenden mit den Augen des W.s. den Pfarrer und die A. und hören auch immer wieder drinnen den Pfarrer und die A. sprechen. Als A. das Zimmer verlassen hat, setzt sich Hell an den Sekretär. Er sieht zum Fenster hinaus und erblickt Sepps Gesicht, der ihm höhnisch zugrinst, er tritt rasch an das Fenster, öffnet es und fragt S., warum er hier herumspioniere. Anna ist in ihrer Kammer angekommen, überglücklich mit dem Kreuz. Der W.s. kommt in das Wirtshaus zurück, er lässt es sich nun nicht mehr bieten, dass er wieder hinausgewiesen wird, er schreit dort herum, nun hätte er den Beweis für seine Behauptung. (ob die Anna morgen das Kreuz trägt oder nicht – wir werden es ja sehen!) Die Stimmung schlägt 얍 gegen den Pfarrer um . Die alte B. kommt nach Hause und ist überrascht noch Licht beim Pfarrer zu sehen. Hell macht einen ganz verstörten Eindruck: „Schnell meinen Rock, meinen Hut.“ Am nächsten Morgen beim Kirchgang - es ist ein Sonntag - entdecken die Kirchfelder am Hals der A. das Kreuz. Es entsteht ein Geraune - es fallen Ausdrücke wie „du Hergelaufene“ und bei der nun folgenden Predigt muss Hell bemerken , dass kein richtiger Kontakt mehr zwischen ihm und der Gemeinde besteht. Der Sepp, der die Kirche nicht betritt, wartet hämisch vor ihr, bis der Gottesdienst und Orgelklang aus ist, und als die Gläubigen die Kirche verlassen, zwinkern sie ihm alle zu, er hätte recht gehabt. Sie gehen wieder ins Wirtshaus . Michel wird verprügelt und verlässt das Lokal, fährt dann mit einem Gendarmen zurück, der den W.s. verhaften will. Alle nehmen die Partei Sepps. Es stellt sich aber nun heraus, dass er wegen Wilderns verhaftet werden soll. B

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ziehtN ] SchmuckstückN ] BN] Bkann aberN ] BnichtsN ] BN] BN] BN] BKreuz.N ] BN] B

ob f sehen!N ] ] BüberraschtN ] BN] BHell bemerkenN ] BhämischN ] BN] Bsoll.N ] BN] BN

korrigiert aus: zeiht korrigiert aus: Schmukstück gestrichen: ( s. 14) korrigiert aus: kannnaber korrigiert aus: nichts, gestrichen: (S. 17, 16, 19.20,) gestrichen: \{Erblickt} einen Gartenzwerg/ gestrichen: ( S. 21,22,23.) korrigiert aus: Kreuz,

[hört unten Stimmen und hört so das Gespräch Hell-Sepp zum Teil mit an\(/???)] \ob f sehen!/ gestrichen: ( S. 21) ü[{ }]|b|errascht gestrichen: (S. 26). Hell\ /bemerken korrigiert aus: hähmisch gestrichen: ( S. 24) korrigiert aus: soll gestrichen: ( S. 24)

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 44

Fragmentarische Fassung

RF10/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

Im Pfarrhaus macht die alte B. A. heftige Vorwürfe . Als M., der von der Rauferei her noch verbunden ist \Textabbruch\ B. stürzt entsetzt herein und teilt H. mit, dass die Mutter des W. Selbstmord begangen habe. S. sieht von oben, von einem Felsen aus wie die Leute unten schwarz gekleidet in das Haus der Mutter treten und wie ein Sarg in das Haus geliefert wird. Im Innersten getroffen, starrt er hinab. (Noch in derselben Nacht schleicht er in das Dorf zurück. B

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1 1 2 3 6 7 8

A.N ] ] BN] BW.N ] BInnerstenN ] BschleichtN ] BN] B

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korrigiert aus: A, gestrichen: ( S. 23) gestrichen: ( S. 25)

[S.]|W.| korrigiert aus: Innerten korrigiert aus: schleciht gestrichen: (S. 27, 28, …

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld



RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Der Pfarrer von Kirchfeld 1. In dem entlegenen Dorf St. Jakob in der Einöde wird das armselige Haus und das wenige Eigentum der verstorbenen Witwe Birkmüller versteigert. Die Photographie der Toten hängt umflort an der Wand und man hört die Stimme des Versteigerers und das Bieten der kauflustigen Dorfbewohner, die, wie es eben so menschliche Art ist, gern die Gelegenheit ergreifen, billig zu irgendwelchem Besitztum zu gelangen. Immer wieder hört man die Stimme des Versteigerers „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal“ - - und so kommt alles daran: die alten Truhen, der Sorgenstuhl, das Bettzeug und die Kücheneinrichtung. Vor dem Hause auf der Bank sitzt die einzige Tochter der Verstorbenen, die 18-jährige Anna, einsam und verbittert und hört immer wieder von drinnen die Stimme: „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal.“ - Zu dieser Zeit fährt durch die Dorfstrasse der reiche Viehhändler Loislmüller, begleitet von seiner dicken blonden Geliebten. Er hatte gerade zwei prächtige Schweine gekauft, die er auf seinem Wagen nun in seine Heimat transportieren will. Als er das Haus der Birkmüller erblickt, hält er überrascht und fragt eine vorübergehende Bäuerin, was denn dort los sei, da soviel Leute aus- und eingingen, und vor allem da er sähe, wieviel Gegenstände abtransportiert würden. Er erfährt nun, dass die brave Witwe Birkmüller gestorben ist und dass sie ihre Tochter Anna in grösster Armut zurückgelassen 얍 hat. Als Loislmüller von der Versteigerung hört, beschliesst er, sich an ihr zu beteiligen, um seine Geliebte unter Umständen mit einem günstig erworbenen Schmuckstück zu erfreuen. Anna sitzt noch immer auf der Bank vor dem Haus und plötzlich hört sie von drinnen her aufgeregte Stimmen. Sie horcht - -, da erscheint der Gerichtsvollzieher mit dem Gendarmen und den Dorfbewohnern in der Tür und der Gendarm fährt gleich auf sie los. Unter den zu versteigernden Sachen fehle nämlich ein Schmuckstück, ein altes Kreuz, das die verstorbene Frau Birkmüller an Feiertagen an einem Bändchen um den Hals getragen habe. Nach kurzem Hin und Her kann Anna nicht mehr leugnen, das Kreuz heimlich zu sich genommen zu haben - - sie muss es wieder herausgeben und nun wird das Kreuz zur Versteigerung ausgerufen. Loislmüller, der soeben erschienen ist, ersteigert es sofort und ist höchst befriedigt von seinem Fund. Anna verliess inzwischen ihren Platz, um den neugierigen Blicken zu entgehen und um nicht vor fremden Menschen weinen zu müssen. Sie geht um das Haus herum und nimmt Abschied, gewissermassen von jedem Winkel. Als sie wieder auf ihre Bank zurückkehrt, ist das Haus leer, die Versteigerung ist zu Ende und sie trifft nur noch eine alte Betschwester an. Die wendet sich nun an Anna und gibt ihr salbungsvolle Ratschläge . Sie solle immer nur beten, beten und wieder beten. Aber Anna, die anfangs apathisch ihr zugehört hat, unterbricht sie plötzlich hart: „Ich glaube nicht 얍 B

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Lesetext

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 46

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1.N ] St. JakobN ]

manN ] ] BRatschlägeN ] BN

eingefügt korrigiert aus: St.Jakob unregelmäßige Zeichenabstände werden in RF10/TS5 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. Eintragung von fremder Hand: \man/ gestrichen: hat

[T]|R|atschläge

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 47

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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2. Droben im Hochgebirge, unterhalb eines wilden Grates, über dessen zerklüftete Zakken die Grenze verläuft, gehen zwei Förster ihr Revier ab. Der Jüngere heisst Michel, ein gutmütiger pflichtbewusster Mensch, dessen einzige auffallende Schwäche eigentlich darin besteht, dass er sich selber sehr gefällt. Er hält sich für einen durchaus feschen Menschen, der er ja auch ist - - eben deshalb lässt seine Eitelkeit auch auf eine kleine Beschränktheit schliessen. Michel erklärt nun seinem Kollegen, der erst vor kurzer Zeit 얍 in diese Gegend versetzt worden ist, die Namen der verschiedenen Täler, Kare, Gipfel und Ortschaften. So z.B. liegt direkt unter dem Felsen, auf dem sie sich jetzt befinden, das schöne Dorf Kirchfeld, wo beide stationiert sind. Vier Gehstunden entfernt von Kirchfeld liegt das Dorf St. Jakob in der Einöde und ungefähr zwischen den beiden auf halbem Wege liegt das Wirtshaus des Gruberfranz, sozusagen mitten im Walde, etwas entfernt von der Landstrasse. Auf den Gruberfranz ist die Behörde nicht gut zu sprechen. Sie kann ihm zwar nichts Positives vorwerfen, aber sie ist fest davon überzeugt, dass er den Wilderern und Schmugglern Hehlerdienste leistet. Sein Wirtshaus steht auch deshalb keineswegs in einem guten Rufe. An der Waldgrenze finden die beiden Förster im Unterholz eine Wildschlinge mit einem gefangenen Rehkitz. Michel stellt sofort fest, dass diese Schlinge natürlich nur von einem Wilderer gelegt sein konnte. Er habe auch schon einen ganz bestimmten Verdacht. Zwar wolle er noch nicht darüber sprechen und keinen Namen nennen, aber er habe das Gefühl, dass er auf der richtigen Fährte sei. Er wolle nur soviel sagen, dass es sich um einen Einwohner Kirchfelds drehe und er möchte nun doch gleich mal im Wirtshaus des Gruberfranz nachsehen, ob der Bewusste sich nicht dort aufhalte, denn eine innere Stimme raune ihm dies zu. Er fordert seinen Kollegen auf, mit ihm hinabzusteigen und erzählt ihm dabei von seinen verschiedenen immerhin erfolg- 얍los durchgeführten Haussuchungen beim Gruberfranz. Der Mann, den Michel in Verdacht hat, hatte die beiden Förster nun schon längere Zeit beobachtet. Er hatte gerade nach seiner Wildschlinge sehen wollen, da erblickte er die beiden und versteckte sich rasch im Unterholz. Er beobachtete auch, dass seine B

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Lesetext

mehr an Gott“, sagt sie. Die Alte starrt sie entgeistert an, bekreuzigt sich und lässt sie rasch stehen. Loislmüller sitzt nun wieder auf dem Wagen neben seiner Geliebten und bindet ihr das Kreuz um den Hals. Sie ist hoch erfreut über dieses Geschenk und gibt ihm einen Kuss. Anna verlässt mit einem Bündel das Haus, streichelt noch einmal den Hofhund, der ihr traurig nachblickt, aber sie sieht sich nicht um. Vor der Kirche hält die Betschwester aufgeregt den Pfarrer an. Es ist dies der Pfarrer Vetter, ein alter gütiger Herr, der trotz seiner tiefen Religiosität leise resigniert mit seinem Leben bereits abgeschlossenen hat. Sie teilt ihm bestürzt mit, dass die Anna Birkmüller nicht mehr an den lieben Gott glaubt. Aber der Pfarrer Vetter wird nun ganz böse und weist die Alte zurecht, denn einen solchen Ausspruch könne er sich von der kreuzbraven Anna nicht vorstellen. B

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RF10/TS5 (Korrekturschicht)

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 48

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Gott“,N ]

GruberfranzN ] AnN ] BN] B

korrigiert aus: Gott“ Zeichensetzung bei direkter Rede wird in RF10/TS5 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. korrigiert aus: Gruber - franz

A[m]|n| [Rande] gestrichen: los

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 49

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

Schlinge entdeckt wurde und sieht nun , wie die beiden Förster rasch auf dem kürzesten Steige zum Gruberfranz hinabsteigen. Um ihnen zuvorzukommen und den Wirt zu warnen, klettert und springt er nun tollkühn über Wände und Schroffen hinab und erreicht so noch vor dem Eintreffen der beiden Förster das Wirtshaus, wo er sofort mit dem Wirt im Keller verschwindet und zwei dort aufbewahrte gewilderte Rehe geschickt unter allerhand Gerümpel verbirgt. Der Wilderer ist, wie gesagt, aus Kirchfeld und wird der Wurzelsepp genannt. Ein jedes Kind weiss, dass er vom Wildern lebt. Auch sein Vater ist ein Wilderer gewesen, hat einen Förster erschossen und endete im Gefängnis. Der Wurzelsepp war damals noch ein Kind. Seit jener Zeit hat er keine Kirche mehr betreten. Die meisten seiner Mitmenschen tun so, als verachteten sie ihn, heimlich achten sie ihn aber, denn es umweht ihn ja auch sozusagen die Romantik des Räuberhauptmanns. Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betritt, sitzen der Wurzelsepp und der Wirt mit gut gespieltem guten Gewissen in der Wirtsstube und trinken Schnaps, als hätten sie nie irgendeinen unerlaubten Gedanken gehabt. 얍 Nach einer kurzen Begrüssung lassen sich die beiden Beamten an einem Tisch nieder und der Wirt ruft „Anna!“ So nebenbei erkundigt sich Michel, wer denn diese Anna sei, worauf ihm der Wirt kurz auseinandersetzt, das wäre die neue Bedienung, die erst vor ungefähr 8 Tagen bei ihm eingetreten sei. Anna erscheint nun und fragt die beiden Förster nach ihren Wünschen. Michel hört aber garnicht auf ihre Worte, sondern starrt sie fasziniert an und meint dann plötzlich, sie käme ihm so bekannt vor und ob sie denn nicht die Anna Birkmüller aus St. Jakob wäre. Es stellt sich nun heraus, dass Michel und Anna als Kinder zusammen gespielt haben - - und Anna sei damals immer von Michel beschützt worden, so bringt er ihr viele Dinge aus der Kindheit wieder in Erinnerung. „Schad’, dass ich damals als kleiner Bub’ von St. Jakob weg hab’ müssen“, äussert der Michel seine grosse Zufriedenheit darüber , was für ein schmuckes Dirndl aus der kleinen Anna geworden ist . Dabei fängt er an, sie zu tätscheln wobei sie sich erkundigt, ob denn alle Kirchfelder so wären. „Oh“, erwidert der Michel, „in Kirchfeld sind jetzt alle Leut’ ungemein brav und anständig geworden, seit nämlich der neue Herr Pfarrer da ist!“ Dieser neue Pfarrer Hell sei der beste, den es auf der Welt gäbe, wobei der Wurzelsepp ironisch vor sich hin lächelt. Michel bemerkt dies und betont es nochmals: „Jawohl, der Pfarrer Hell ist ein richtiger Mensch.“ B

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3. In der Kirche zu Kirchfeld tauft der Pfarrer Hell ein Kind. Es ist keine grosse Taufgesellschaft dabei, nur eine ältere Frau und die Mutter des Kindes, ein etwas beschränkt aussehendes junges Weib. Nach der Taufzeremonie sehen wir den Pfarrer, wie er sich in der Sakristei umkleidet und dann rasch das neben der Kirche gelegene B

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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Pfarrhaus betritt. Im Pfarramt stehen bereits 6 Bauernburschen und warten auf ihn. „Seid’s alle da?“, begrüsst er sie und legt dann mit einer grossen Strafpredigt los. Das soeben getaufte Kind ist nämlich ein uneheliches und er macht den Burschen Vorhaltungen, wie gemein es wäre, dass der Richtige sich nicht zu seiner Vaterschaft bekenne. Durch seine derb-gutmütige Art bringt er es auch soweit, dass sich der richtige Vater reuevoll meldet. Nach dieser Szene betritt er sein Wohnzimmer, in welchem der Pfarrer Vetter aus St. Jakob bereits auf ihn wartet. Der alte Herr sitzt behaglich in dem Fauteuil und hat ein leeres Glas vor sich stehen. Hell entschuldigt sich, dass er ihn solange allein gelassen habe und will das Glas seines Gastes neu füllen. „Nein, nein“, wehrt Vetter ab, „es wird ja zuviel. Ich bin das ja nicht gewohnt.“ Hell bringt ihm nun noch eine Zigarre und nachdem sie Vetter angezündet hat, stellt er fest, dass es ihm lange nicht so behaglich gewesen wäre. „Wie hier alles doch so freundlich, so recht wohlgefällig und lebensfreudig - - so gottesfriedlich ist“, fährt er fort, „Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren 얍 und sind noch so jung, haben noch soviel vor sich. Ich bin schon ein alter Mann und zu wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben - -“ H ELL (unterbricht ihn, in Nachdenken versunken) Wie heisst doch Ihre Pfarre? V ETTER St. Jakob in der Einöde, Herr Amtsbruder, ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden, denen es so recht froh und freudig erginge; alles herabgebracht vom Elend. H ELL Das ist traurig , sehr traurig, wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts dawider tun können. V ETTER Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter - nur einem geht’s gar recht elend, das ist der Schulmeister; ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft noch immer, ich weiss nicht, auf was. H ELL (ergriffen) Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so resigniert? V ETTER (lächelnd) Ach nein, ich war ja auch jung. H ELL (wie um auf ein anderes Thema zu kommen) Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht? V ETTER Nun früher ist’s wohl redlich gegangen, aber letztere Zeit kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluss gefasst, zu gehen. Ich bin ja nicht wie der Schul- 얍meister, der hofft - (er lächelt und rückt Hell näher) und Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich. Er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht. Wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben - - ich stehe auch dann allein, und wenn ich heut’ oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen - - - aber lassen wir das! Ich muss mich aufs Bitten bei Ihnen legen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen. H ELL Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut. B

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

V ETTER Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte und dabei recht christlich ihr einziges Kind, ein Mädchen, erzog. Vor drei Wochen nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen alles, was vorhanden war und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern. Jetzt dient das arme Kind beim Gruberfranz, aber ich fürchte, das ist nicht das richtige Obdach - - und da dachte ich mir, ich wage es, Sie zu bitten, dass Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben. H ELL Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen. V ETTER (schüttelt ihm die Hand) Nun das ist recht christlich, ich danke Ihnen, Herr Amtsbruder.

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4. Im Wirtshaus des Gruberfranz nimmt das Gespräch über den Pfarrer Hell seinen Fortgang. Der Wurzelsepp hat sich in ironischen Bemerkungen über den hochwürdigen Herrn ergangen, wobei ihm Michel endlich versichert „du bist der einzige nicht Brave in Kirchfeld und über unsern Pfarrer redst du schon garnix.“ Mit naiver Miene erkundigt sich der Sepp, warum er denn der einzige nicht Brave sei. Aber Michel erwidert ihm nur „Mir sagt es eine innere Stimme, dass wir zwei uns nochmals treffen werden.“ „ Wo?“ , fragt der Sepp. Darauf der Michel: „Droben im Walde, wo manchmal so spassige Schlingen wachsen.“ „Das verbitt’ ich mir“, schreit der Sepp, der es merkt, dass Michel ihn verdächtigt und es kommt nun zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden, die damit endet, dass der Wirt Michel erklärt, er lasse seine Gäste nicht beleidigen. Sehr zum Verdruss des Wirtes und des Wurzelsepp mischt sich Anna auch in den Streit, ergreift die Partei Michels und erklärt auch, dass sie vom Pfarrer Hell nur Gutes gehört hätte. „Uebrigens“, meint sie nun auch, „unser Pfarrer in St. Jakob möcht’s gern sehen, dass ich zum hochwürdigen Herrn Hell als Bedienung komme.“ „Das glaube ich“, schreit der Wurzelsepp und biegt sich vor Lachen: „Der Pfarrer und die lebfrische Dirn! Die schicken’s zu ihm, grad als ob sie’s ihm zu Fleiss täten!“ M ICHEL Du hast das gottloseste Maul vom ganzen Land! D ER W URZELSEPP Wenn das Derndl zum Hell kommt, dann frag doch nach fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihren Pfarrer noch für einen Heiligen halten! B

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5. Im Pfarrhaus zu Kirchfeld betritt die alte Pfarrersköchin Brigitte das Wohnzimmer und meldet Hell, der gerade sein Brevier liest, dass ein Dirndl aus Einöd den hochwürdigen Herrn sprechen möchte. „Führ’ sie nur herein“, meint Hell, „das dürfte wohl deine Gehilfin werden, Brigitte.“ Brigitte, schon wieder in der Tür, wendet sich

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 55

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

noch einmal um: „So, na, das wär’ mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und nicht ein bissel aufdringlich.“ Worauf Hell lächelnd meint: „Na, das will ja was heissen, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiss sie ihnen wenig Gutes nachzusagen.“ Dabei erhebt er sich und geht Anna, die nebenan im Pfarramtsraum wartet, entgegen. „So, du bist also die Anna Birkmüller, mein Kind!“ Anna wird durch Hells Persönlichkeit plötzlich sonderbar schüchtern und bringt vorerst kaum ein Wort hervor. „Ich habe dem hochwürdigen Herrn Vetter bereits die Hand darauf gegeben“, fährt Hell fort, „dass ich dich aufnehmen will.“ Anna bleibt noch immer stumm und küsst Hell die Hand. Hell zieht seine Hand unwillkürlich etwas zurück: „Also - - Anna, ich heisse dich in meinem Hause willkommen. Du weisst wohl selbst, dass Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen , dass dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er für dich ohnedies schon sein mag.“ A NNA Ich fürcht’ mich nimmer vor’m Dienst (sie spricht nun plötzlich rasch und viel, als wäre auf einmal ein Bann gebrochen), oben beim Gruberfranz habe ich einen Kirchfelder getroffen, der gesagt hat, dass er dein Feind ist, hochwürdiger 얍 Herr, und der sich alle Mühe gegeben hat, dir was Schlechtes nachzureden und hat doch nichts vorzubringen gewusst. Ich hab’ auch mir denkt, was du für ein Herr sein musst, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, nicht zukönnen. Jetzt habe ich dich gesehen und gehört, wie gut und freundlich als du bist, jetzt tät’s mir fast weh, wenn du mich dir nicht dienen liessest. H ELL Gewiss, du sollst bleiben. A NNA Es schreckt mich auch nicht, dass du für einen geistlichen Herrn noch so viel jung bist. H ELL Dass ich jung bin? A NNA Ich denk’ besser kann eine arme Dirn nirgends aufgehoben sein als bei dir. Darauf H ELL Gewiss, Anna, du denkst brav! A NNA Ich weiss nicht , aber recht wird’s wohl sein. H ELL Recht und brav! (Er drückt ihr die Hand.) B

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6. Am Nachmittag kommt der Wurzelsepp betrunken nach Haus zu seiner Mutter, die in einer halbverfallenen Hütte etwas ausserhalb des Dorfes wohnt. Die Hütte wird allgemein nur das Hexenhaus genannt und die Mutter, eine alte Kräutersammlerin, steht im Ruf einer Hexe. Sehr zu Unrecht, denn sie ist eine rechtschaffene Frau, die nur allerdings, genau wie ihr Sohn, seit dem Tode ihres Mannes im Gefängnis nie mehr eine Kirche betreten hat. BN

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld



Lesetext

In der Hütte kommt es zu einer grossen Szene zwischen Mutter und Sohn. Sie wirft ihm seinen liederlichen Lebenswandel vor, beschwört ihn, sich zu bessern, und versichert ihm , dass sie sich etwas antue, wenn er eingesperrt werden würde. Der betrunkene Sepp, der zuerst versucht hat, zu widersprechen, lallt am Schluss nur noch etwas von irgendeinem Pfaffen, dem er es mal heimzahlen wird. Als Sepp eingeschlafen ist, verlässt die Mutter das Haus, um auf den Berg zu gehen und Kräuter zu sammeln. In der Dorfstrasse wird sie von den Kindern beschimpft und verhöhnt, die in typischer Kinderart ihr „alte Hexe“ nachrufen. Der Pfarrer Hell, der von drinnen diesen Lärm hört - er befindet sich gerade in seinem Garten - eilt auf die Strasse, weist die Kinder energisch zur Ordnung und beschützt die Mutter des Wurzelsepp. B

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7. Im Garten hinter dem Pfarrhofe sitzen Brigitte und Anna. Brigitte vor einem Spinnrad und Anna mit einem Sack voll Linsen vor sich auf dem Tisch, die sie verliest. Sie singt dazu und die alte Brigitte meint, das wären ja richtige Schelmenlieder. „Mir fallen’s halt alle so ein“, lacht Anna, „weil ich jetzt übermütig bin. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schindet sich ja im Vergleich zu mir und auch ein Stadtfräulein kann nicht schöner faulenzen.“ Brigitte droht freundlich, ihr den Brotkorb bald höher zu hängen, aber Anna fürchtet sich nicht und betont immer wieder, dass sie einen so guten Dienstplatz nirgends getroffen hätte. Besonders der 얍 hochwürdige Herr, das sei ein Mann, um den zu sein wäre ja eine wahre Freude! Bei dem müsst’ ja der ärgste Sünder wieder ein rechter Mensch werden. Brigitte unterbricht ihre Begeisterung und hänselt sie: „Läufst etwa nicht, von wo du stehst und hebt es dich nicht vom Sitz, wenn du seine Stimme oder seinen Tritt in der Nähe hörst?“ Da wird Anna verlegen und ziemlich verwirrt antwortet sie: „Das ist gewiss nicht so, das hat dir nur geträumt!“ Jetzt erscheint Hell in einem Fenster des Pfarrhofes und ruft nach Brigitte. Anna will sofort aufspringen und ins Haus gehen, doch Brigitte fährt sie gutmütig an: „Du bleibst!“ Hell, der nun erst Anna erblickt, ruft ihr zu, sie möchte doch sein Buch, das draussen in der Laube liegt , ins Haus bringen. Anna holt das Buch und führt den Auftrag aus. Sie befindet sich nun allein in Hells Zimmer und entdeckt auf seinem Sekretär ein Schmuckstück, ein goldenes Kreuz, das an einem Bande um den Hals getragen wird. Es hat eine starke Aehnlichkeit mit dem Kreuz ihrer verstorbenen Mutter - - sie nimmt es in die Hand, betrachtet es und viele Erinnerungen tauchen in ihr auf. So versunken steht sie da, dass sie garnicht bemerkt, dass Hell das Zimmer betrat und sie schon eine Zeitlang beobachtete. Plötzlich meint er: „Regt sich die Eitelkeit ein wenig bei dir?“ Anna zuckt erschrokken zusammen, erblickt ihn erst jetzt und legt das Kreuz rasch wieder zurück. „Nein, ich bin gewiss nicht eitel.“ „Na, na, na,“ 얍 meint Hell lächelnd. Anna sieht ihn gross BN

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

und traurig an, sodass er überrascht ganz ernst wird und sie sagt nun leise: dieses Kreuz erinnere sie nur an etwas sehr Trauriges.

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8. Am nächsten Tage befindet sich Michel wieder auf seinem Reviergang und erblickt von hoch droben auf einer Waldlichtung den Pfarrer Hell mit seinen Schulbuben, denen er in Gottes freier Natur, um nicht bei dem herrlichen Wetter in dem engen Klassenzimmer bleiben zu müssen, Religionsunterricht erteilt. Er erzählt ihnen aus der Bibel und sie hören alle andächtig zu. Und dann spielen die Buben auf einer Wiese gegeneinander Fussball und der hochwürdige Herr schiedsrichtert dabei. Und er ist ein gerechter Unparteiischer. Da kommt der Förster Michel droben vom Gebirg von seinem Reviergang herab und unterhält sich nun mit Hell über Anna. Es freut ihn sehr, dass der Pfarrer sie für ein braves Mädchen hält. Es wird ihm ganz weich und wehmütig um das Herz, da Hell ihm nun mitteilt, dass Anna in ihrem jungen Leben schon viel Unrecht widerfahren sei. Michel meint, eigentlich sollte man nur ein armes Mädchen heiraten, denn wozu wäre der Mann da, wenn nicht zum Schutz des schwachen Weibes. Es fällt dem braven Förster garnicht auf, dass er mit dieser Aeusserung auch seiner eigenen Eitelkeit schmeichelt. So begleitet nun Michel den Pfarrer nach Hause und wir erfahren es gewissermassen zwischen den Worten seiner Rede, 얍 dass er Anna gern heiraten würde. Am Pfarrhaus angekommen - es dämmert bereits - begrüsst er Anna, die im Garten gerade mit der Wäsche beschäftigt ist und bittet sie, mit ihm heut Abend zum Postwirt zu gehen, wo, wie alle Sonnabende, getanzt wird. Anna jedoch lehnt die Einladung ab, obwohl ihr Hell zuredet. Aber es sei doch niemand zu Hause, schwindelt sie, der den hochwürdigen Herrn bedienen könnte, da die alte Brigitte zu Besuch bei einer Nachbarin sei. Der brave Michel verabschiedet sich etwas melancholisch. Anna steht noch eine Weile stumm und sieht ihm nach, selbst dann noch, da er bereits um die Ecke verschwunden ist. „Nach was blickst du denn aus?“, fragt Hell sie plötzlich. „Ich schaue, wie die Sonne untergeht“, erwidert sie traurig. Hell sieht sie gross an: „An was denkst du, du hast feuchte Augen.“ A NNA Ich weiss nicht, ich war erst recht lustig, aber wie ich da so schaue, fallen mir auf einmal alle ein, die mir recht nahe gegangen sind und jetzt die Sonne nimmer untergehen sehen. H ELL Der Herr lasse sie ruhen in Frieden - - Die letzte meiner Familie, die ich zu beweinen hatte, war meine Schwester. A NNA Die war gewiss kreuzbrav. Darauf fährt dann der H ELL fort: Brav, klug und schön. Sie und die Mutter, beide lebten, als ich noch Student war - - ich dachte mir das so recht hübsch, wenn ich 얍 eine Pfarre bekäme, wie wir da immer beisammen leben und bleiben wollten. Eine Familie haben, ja, nur ihr angehören, ist doch etwas Schönes. Darauf die A NNA Nicht wahr, oft habe ich mir schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die heilige Familie. B

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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H ELL (lächelnd) Meinst du ? Darauf A NNA Ja, denn Kinder, die so zur Welt kommen, ohne dass sie oft Vater und Mutter wissen, sind doch recht traurig dran, sie machen niemand so richtig herzliche Freude, auch wenn sie brav sind - - und nachher wundert sich die Welt, wenn sie keine rechten Leut werden. H ELL Das denkst du brav und klug. A NNA (sieht zu Boden) Wie du mich aufgenommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav genannt, jetzt nennst du mich klug, wenn du mir noch eins sagst, so hast du mir alle guten Worte gegeben wie deiner Schwester selig. H ELL (fasst ihre Hand) Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und - schön. Aber sie war nicht so eitel wie du. A NNA (hebt überrascht den Kopf) Wie ich? H ELL (freundlich lächelnd) Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt. A NNA Wann denn? O, sag’s hochwürdiger Herr. Ich werd’ sie gewiss nimmer blikken lassen. 얍 H ELL Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette. Du hattest es in die Hand genommen - - ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich mein’, dass du es für dein Leben gern gehabt hättest. A NNA (starrt ihn einen Augenblick lang an, die Tränen treten ihr in die Augen, sie kommt aber zu keiner Antwort mehr, da draussen heftig nach dem Pfarrer gefragt und gerufen wird.) Es ist ein armer Bauer draussen , dessen Kuh sehr krank ist und der nun Hell bittet, sofort mit ihm in den Stall zu gehen und nachzuschauen. Hell folgt dem Bauern - - und wir sehen ihn, wie er sich im Stall wie ein richtiger Tierarzt bemüht. Auch diese kleine Episode soll dazu dienen, den Charakter eines Mannes zu schildern, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, seiner Gemeinde immer und überall zu helfen. - Er hat seine Arbeit im Stall noch kaum beendet, da stürzt die alte Brigitte aufgeregt zu ihm hin und teilt ihm mit, dass es ihr schon einige Male aufgefallen sei, dass Anna nicht betet und jetzt soeben habe sie ihr auf ihre Frage erklärt, es gebe keinen Gott. Die alte Brigitte bekreuzigt sich: „Das Mädel hat die Höll’ in sich“, beteuert sie. Aber Hell meint nur lächelnd „die werden wir ihr schon austreiben. Ich habe schon mehr Leute kennengelernt, die mal in ihrem Leben behauptet haben, es gäbe keinen Gott. Ich wär’ ein schlechter Pfarrer, wenn ich einem Dirndl nicht beweisen 얍 könnte, dass es einen Gott gibt.“ Und als er Anna nun zur Rede stellt und im Ernst von ihr hört, dass sie nicht an Gott glaube, forscht er eindringlich weiter und bringt Anna durch sein gütiges Wesen dazu, dass sie ihm stockend und unter Tränen erzählt, sie glaube nicht mehr an Gott, seit ihr seinerzeit ihr Schmuckstück, das Kreuz der B

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

Mutter, weggenommen und versteigert worden sei. Das sei ganz ein ähnliches Kreuz gewesen, wie dasjenige, das auf dem Sekretär des Pfarrers liegt. „Seht’s Hochwürden“ , sagt Anna, „wenn ich das Kreuz wiederbekommen würde, dann würde ich wieder an Gott glauben.“ „Warum denn nur dann?“ , fragt der Pfarrer und Anna antwortet, „weil ich dann wieder daran glauben könnte, dass es gute Menschen gibt.“ Mit einem plötzlichen Entschluss schenkt ihr nun Hell das Kreuzchen seiner Mutter. Er will es ihr beweisen, dass es gute Menschen und dass es also auch einen lieben Gott gibt. Anna, ausser sich, sinkt mit ihrem Gesicht auf seine Hände und schluchzt ganz verwirrt. Sie könne doch das Kreuz nicht annehmen, sie wäre es ja garnicht wert und das Kreuz sei schwer Gold. - Darauf H ELL Du sollst eben nicht denken, dass es von Gold, als vielmehr, dass es ein Kreuz ist. Ich habe es dieser Tage gedacht, wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiss, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie von mir in sein 얍 Haus geführt und da dachte ich auch an dich; ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, dass du bei mir bleiben wirst, dass du mich nicht verlassen wirst. A NNA (gibt ihm verwirrt und errötend die Hand) Mein Lebtag nicht. (Dann zieht sie ihre Hand wieder aus der seinen) Gute Nacht Hochwürden. H ELL Gute Nacht. Mit dir, Kind, ist der heilige Hauch des lange verlorenen Familienlebens wieder in mein Haus gezogen. A NNA (geht zur Türe und wendet sich noch einmal um) Und darf ich das Kreuzchen offen tragen, vor ganz Kirchfeld? H ELL Gewiss, warum fragst du? A NNA Ich habe nur gefragt, damit ich weiss, was dir recht ist. Nach allem andern frag’ ich nimmer. B

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9. Am nächsten Sonntag beim Kirchgang entdecken die Kirchfelder am Hals der Anna das Kreuz, das einige von ihnen als das Kreuz der verstorbenen Mutter des Hell kennen. Manche raunen sich bereits verschiedene Vermutungen zu und auch der Wurzelsepp hört davon läuten. Er sorgt natürlich sofort dafür, dass es sich ganz und gar herumspricht, dass der hochwürdige Herr Hell einem jungen Mädel ein goldenes Kreuz geschenkt hat. Warum, das könne man sich ja lebhaft vorstellen. 얍 Die Stimmung schlägt gegen den Pfarrer um, man schimpft nach dem Kirchgang im Wirtshaus über ihn und man schimpft auch über die Anna. Es fallen Worte wie „die Hergelaufene“ und dergleichen . Michel hört dies, verteidigt Anna und es kommt zu einer grossen Rauferei, bei der er blutig geschlagen wird. Mitten in der Rauferei betritt Hell das Lokal und erfährt durch einige hämische Bemerkungen, was hier vor sich ging und geht. Er verlässt erschüttert das Haus. Der Wurzelsepp folgt ihm jedoch und

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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schleicht ihm eine ganze Weile nach. Er sieht, wie der Pfarrer langsam mit müden Schritten auf einem Umweg nach Hause geht - - da ruft er den Pfarrer an. Der hält an und fragt ihn tonlos nach seinem Wunsche. „Pfarrer, ich möcht’ dir nur sagen“, antwortet der Sepp gehässig, „dass es mich freut, wie es dir jetzt geht. Hilft dir alles nix. Die Dirn ist dein Unglück. Oder leugnest du vielleicht, dass du der Anna gut bist?“ H ELL (sieht erschrocken und fassungslos auf ihn) - Der S EPP Du kannst es leugnen aber du wirst es schon spüren. H ELL (erregt) Ich stehe zu deiner Verunglimpfung, solange sie mich nicht allein betrifft. Aber dies ehrliche Mädchen lass aus dem Spiel. Es erfasst mich ein heiliger Zorn - S EPP (einfallend) Schrei nur herum, schrei nur zu, dann erfahrt’s das ganze Dorf noch zeitlicher. H ELL Keiner denkt im Dorf wie du. S EPP Da werden bald alle so denken wie ich. Du schenkst 얍 ihr das Kreuzel von deiner Mutter selig und gleichwohl du das Dirndl nicht haben kannst, gönnst du es doch keinem andern! Du willst es halten und nicht lassen für dein Lebentag. Sie hat’s ja selbst der alten Brigitte erzählt. Und diese Dirn’ soll dir gleichgültig sein? H ELL (gepresst) Bist du zu Ende? S EPP Nein, mir hat’s noch nicht die Red’ verschlagen. Du wirst ja im Land als ein Ausbund von Frömmigkeit verschrien, aber ich habe an dich so wenig geglaubt wie an die andern. H ELL Sepp du tust Unrecht. Auch dann Unrecht, wenn du, wie ich fürchte, nur der Feind des Kleides bist, das ich trage. S EPP Darüber wollen wir nicht streiten. Du trägst es ja einmal doch. H ELL Das Kleid macht nicht den Mann und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind. S EPP Das glaube ich selber; mit dem Gewand aber musste das sein, was ich meine; (mit Schadenfreude) Ja, Pfarrer, du musst es sein, musst, wenn du gleich nicht wolltest - - musst, ob dir’s jetzt das Herz abdrücken will, oder ob du in den Boden hineinstampfst - du musst. H ELL Mensch, was liegt auf dem Grund deiner Seele; woher dieser gehässige feindselige Jubel ? Darauf der S EPP Weil es mich freut. Und nun erfahren wir es, warum der Wurzelsepp und seine Mutter nie wieder eine 얍 Kirche betreten. Der Vater des Sepp wurde nämlich durch den Vorgänger Hells angezeigt und also ins Gefängnis gebracht, wo er dann verstorben ist. „Hilft dir alles nix“, fährt der Sepp nun mit gehässiger Schadenfreude fort, „die Dirn ist und bleibt dein Unglück. Ich weiss, du planst dir jetzt tausend Auswege - - aber du hast nur zwei Wege: du kannst die Anna entweder in Unehren halten und musst fort von Kirchfeld, oder du kannst sie mit Herzleid fortziehen lassen und dann ist dir Kirchfeld und die BN

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

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ganze Welt nichts mehr. Einen dritten Weg hast du nicht. Siehst, Pfarrer, da habe ich dich und habe dich so sicher, dass ich dich nicht einmal zu halten brauch’.“ Mit diesen Worten lässt er Hell stehen. 5

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10. Im Pfarrhaus macht die alte Brigitte Anna heftige Vorwürfe, die wäre das Unglück des hochwürdigen Herrn. Ueber beide würden im Dorf schon die wildesten Gerüchte verbreitet, sodass die Leut’ schon den ganzen Respekt vor dem Pfarrer an den Nagel gehängt hätten - - sogar im Wirtshaus sei gerauft worden, was doch nicht mehr der Fall gewesen wäre, seit der hochwürdige Herr Hell auf der Pfarre ist. „Und heut’ in der Predigt wirst selber bemerkt haben, wie alle auf dich geschaut, sich zugeblinkt und wie sie untereinander geplaudert haben, während doch sonst, während der Pfarrer redet, es in der Kirch’ totenstill war.“ Anna schluchzt ausser sich und bittet Brigitte, doch um Gotteswillen nichts Un얍 rechtes von ihr zu denken. Sie könne ja nichts dafür und sie weiss ja garnicht, wie das alles gekommen ist. Auch die alte Brigitte wird gerührt und weint mit und meint „da hat der Teufel seine Hand im Spiel“, „Es soll doch wirklich in der Welt nur Männer oder nur Weiber geben, alle zwei zusammen tun nie was Gutes.“ - BN

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 68

11. Wurzelsepp ist wieder in das Wirtshaus zurückgekehrt und hält dort grosse flammende Reden gegen den Pfarrer, die allgemein beifällig aufgenommen werden. Mitten in seiner Hetzerei wird er aber von Michel und einem Gendarmen unterbrochen, die ihn verhaften wollen. Der Gruberfranz ist nämlich der Hehlerei überführt worden und hat eingestanden, Gewildertes vom Wurzelsepp bezogen zu haben. Sepp flieht vor dem Gendarmen, zuallererst in seine Hütte und nimmt dort von seiner entsetzten Mutter kurz Abschied. Inzwischen wurde aber die Hütte bereits von Gendarmen und Förstern umstellt. Er schiesst durch das Fenster, trifft jedoch niemanden und flieht dann in die Berge hinauf. Die Mutter ist über all diese Ereignisse furchtbar entsetzt und begeht Selbstmord im Wildbach. B

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12. Es regnet in Strömen, es ist ein grauer Tag und in dem Zusammenleben der drei Leute im Pfarrhaus hat sich 얍 alles geändert. Der Pfarrer spricht mit Anna kaum ein Wort. Er bemüht sich sogar, ihr soviel wie möglich aus dem Weg zu gehen. Wenn Brigitte gezwungen ist, mit Anna zu reden, so geschieht das so, dass diese bemerken muss, wie sehr Brigitte sich Anna gegenüber zurückhält. Als Michel, der von der Rauferei her noch verbunden ist, an dem Haus vorbeigeht, bemerkt ihn Anna und läuft zu ihm hinaus und muss nun hören, dass die ganze Prügelei daher gekommen ist, dass die Dorfleute von dem Kreuz erfahren hätten, das der Pfarrer ihr geschenkt haben soll - - aber er glaube das noch immer nicht. Jetzt wird Anna klar, in welche Lage der Pfarrer durch ihr blosses Hiersein geraten ist. Sie BN

13 14 25 27–29 35

] bittetN ] Bund hatN ] BInzwischen f hinauf.N ] BN] BN B

gestrichen: Anna korrigiert aus: bitte

und\ /hat Eintragung von fremder Hand: Inzwischen f hinauf. gestrichen: alles

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 69

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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Lesetext

bedankt sich bei Michel, der, mutig geworden durch ihre Freundlichkeit, ihr seine Liebe erklärt, und Anna entschliesst sich, seinen Antrag anzunehmen. Sie bringt dieses Opfer, um damit den Pfarrer zu retten. So tritt sie nun sogleich mit Michel vor den Pfarrer hin und erklärt ihm mit innerem Zittern, dass sie sich soeben mit Michel versprochen habe. „Es wär’ auch nichts Unüberlegtes“, sagt sie und sieht Hell fest an. Michel lacht: „Das gewiss nicht, ich weiss, wie ich hab’ zureden müssen.“ „Du willst fort? “, fragt Hell Anna, „weisst du auch, dass ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüsst habe? Weisst du auch, dass sich alle von mir gewendet haben?“ Anna nickt traurig. H ELL Und doch, wenn dieser Tag zu Ende geht, so habe ich keine einzige Seele, kein einziges Herz mehr zu verlieren. Lebt wohl. 얍 Er verlässt rasch das Zimmer und ruft nach Brigitte: „Schnell, meinen Rock, meinen Hut, dann kannst du das Tor schliessen. Ich komme erst morgen wieder.“ B RIGITTE (äusserst erschrocken) Aber hochwürdiger Herr, du wirst doch nicht in der Nacht spazieren gehen, denk’ das Gered’ im Dorf wird ja immer grösser, wenn dich vielleicht einer sieht. H ELL (hat nun seine Ruhe wiedergewonnen) Nun Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht. B

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RF10/TS5 (Korrekturschicht)

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13. Im Innersten durchwühlt schreitet der Pfarrer durch die Nacht. Er verlässt das Dorf und steigt in den Wald immer höher und höher empor - - vorbei an den Bergwiesen, wo er den Schulbuben Unterricht gab. Es ist eine stürmische Nacht und plötzlich sieht er sich dem Wurzelsepp gegenüber, der ihn gleich sehr gehässig anfährt, er könne doch die Gendarmen heraufschicken, denn das sei ja seine Pflicht als Diener der Liebe. „Zeige mich genau so an“, brüllt er, „wie mein Vater angezeigt wurde, der dann im Gefängnis gestorben ist.“ Hell sieht ihn jedoch nur gross an, schüttelt verneinend den Kopf und fragt ihn dann leise: „Du hast mir halt zugerufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie - - und doch, sieh’ ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dir. Als ich dieses Kleid 얍 anzog, habe ich dem traurigen Anrecht des Hasses, wieder zu hassen, entsagt.“ Nun erzählt er dem Sepp, dass seine Mutter Selbstmord begangen habe aus Gram über ihren Sohn. Sepp wankt, beherrscht sich jedoch sofort und ruft dem Pfarrer zu: „Alles Lüge!“ Da donnert ihn Hell an: „Was willst du denn, dass du mir so sprichst, wo zur nämlichen Stunde da unten in deiner Hütte der Leib aufgebahrt wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben und da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet.“ So lässt er den Wurzelsepp im Aeussersten getroffen stehen. BN

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8 12 12 13 17 18 18 18 31

fort?N ] wohl.N ] BN] BBrigitte:N ] Bsieht.N ] B(hatN ] Bwiedergewonnen)N ] BNunN ] BN] B B

korrigiert aus: fort korrigiert aus: wohl.“ gestrichen: Er korrigiert aus: Brigitte korrigiert aus: sieht.“ korrigiert aus: hat korrigiert aus: wiedergewonnen: korrigiert aus: „Nun gestrichen: anzog

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 71

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

Sepp schleicht sich noch in derselben Nacht in das Dorf zurück, um von seiner toten Mutter Abschied zu nehmen. In der Hütte erblickt er sie durch die Fensterscheiben aufgebahrt liegen und, durch den grossen Schmerz überwältigt, begibt er sich noch in derselben Nacht heimlich zum Pfarrhof und erfährt dort durch Brigitte, die ihn in der Finsternis nicht erkennt, dass der Pfarrer nicht zu Hause sei. So wartet nun der Wurzelsepp auf ihn vor dem Haustor und als endlich Hell erscheint, bittet er ihn stockend um ein ehrliches christliches Begräbnis für seine Mutter. Der grosse Schmerz bricht plötzlich aus ihm heraus; er sinkt vor dem Pfarrer in die Knie und fleht ihn an, seine Mutter nicht als Selbstmörderin ausserhalb des Friedhofs 얍 verscharren zu lassen. „Sepp, was willst du denn aus mir machen“, fährt ihn der Pfarrer an, und fasst ihn mit beiden Händen an den Schultern, „nicht dir noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seinen Toten. O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, dass du nicht wüsstest, bevor du deine Bitte vorgebracht, dass ich ihr nichts nehmen werde, nicht kann, ja, nicht darf! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.“ Sepp sieht ihn gross an: „Verzeih mir, Pfarrer, so hab’ ich dich nicht geglaubt, aber du redest ganz anders als der frühere. Aber die Leut’ im Ort denken vielleicht doch nicht so wie du.“ „Ich werde die Leiche zu Grabe geleiten“, beruhigt ihn Hell. „Ich werde für die Tote sprechen. Ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie ‚Amen‘ sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.“ Sepp fasst Hells Hand zaudernd in seine beiden: „So tust du an mir? Das vergess’ ich dir all’ mein Lebtag nicht.“ Er wendet sich langsam eben und will gehen. Doch Hell ruft ihn noch einmal zurück: „Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.“ Sepp hält überrascht: „Du an mich?“ Hell: „Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, dann wirst du nicht aussen bleiben können, du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen. Solltest du etwa Stimmen um dich und Flüstern hören, so du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, lass dir deinen Schmerz nicht durch 얍 ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht zu mir.“ - - - „Du redest einem in die Seele hinein“, murmelt der Sepp ergriffen, „als ob du wüsstest, was einer sich zu tiefst drinnen denkt. O, du mein Gott, wenn du früher gekommen wärest, ich wär’ nicht so, wie ich jetzt bin.“ H ELL Und musst du denn so bleiben, wie du bist, Sepp? Ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast. Geh du nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. - Und nun fordert ihn Hell auf, sich freiwillig der irdischen Gerechtigkeit zu stellen. Sepp sagt nicht „nein“, nicht „ja“ und verlässt tief in Gedanken versunken den Pfarrer. BN

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14. Auf dem Friedhof zu Kirchfeld ist ein frisches Grab mit einem armseligen Holzkreuz und nur wenigen Blumen. In der Kirche liest Hell die erste Seelenmesse für die Verstorbene und die Orgelklänge und der Chorgesang schallen weit über das kleine Dorf 9 19 23 27 32 35

] ‚Amen‘N ] BdichN ] BN] BUndN ] Bhaben.N ] BN B

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 72

gestrichen: verscharren korrigiert aus: „Amen“ korrigiert aus: dch gestrichen: ein korrigiert aus: „Und korrigiert aus: haben.“

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 73

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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RF10/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

hinaus. Der Wurzelsepp erscheint nun auf dem Friedhof mit einem kleinen Strauss Alpenblumen und legt ihn auf das Grab seiner Mutter. Kurze Zeit verweilt er dort im Gebet, dann lauscht er den Orgelklängen und wendet sich langsam dem Kirchentor zu, betritt die Kirche, hält an, sieht sich um wie ein Kind, das wieder heimgefunden hat, erblickt plötzlich in der vollen Kirche (das Mitleid des ganzen Dorfes hat sich nämlich plötzlich seiner armen toten Mutter zugewendet 얍 und es wurde beschlossen, dass sich jeder an dem Begräbnis zu beteiligen hat) den Förster Michel und zwei Gendarmen. Er stockt und zögert einen Augenblick. Dann fliegt aber ein Lächeln über sein Gesicht und er schreitet festen Schrittes durch die ganze Kirche bis zum Altar. Alle Blicke wenden sich ihm zu. Es entsteht ein Raunen in der Kirche. Der eine Gendarm macht Miene, ihn gleich zu verhaften, der Michel flüstert ihm zu: „Später! Hernach!“ Der Sepp kniet vor dem Altar nieder und nun wird er auch von Hell entdeckt, der ihn anschaut, als wolle er sagen „Bist also doch wiedergekommen.“ BN

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 74

15. Nach dem Seelenamt nähert sich der Sepp vor der Kirche den Gendarmen und bittet sie, ihn zu verhaften. Er zieht nun auch öffentlich alle seine Beschuldigungen gegen den Pfarrer zurück und erklärt, Hell hätte ihm den Weg zum Guten gewiesen. Die Gemeinde ist von diesem Geständnis stark beeindruckt. B

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16. Als Hell nach Hause kommt, sieht er Michel und Anna im Garten sitzen. Als Anna ihn erblickt, lässt sie Michel allein und tritt auf Hell zu und erklärt ihm, sie müsse ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er führt sie in das Pfarrzimmer. „Ich habe dir zugelobt“, sagt sie, „dass ich dir treu diene und ich meine zu Gott, ich kann dir nicht treuer dienen, als wenn ich jetzt gehe, und so geh, wie du mich da siehst, für 얍 immer aus dem Pfarrhof, hinaus auf den Lebensweg“ - - - „Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine“, nickt ihr Hell zu, „du bist mir wenigstens echt geblieben. Geh denn mit Gott!“ Nun bittet Anna ihn, dass er selbst sie vorm Altar traue, er solle ihnen keinen andern schicken. „Und zeige mir, dass du zufrieden mit mir bist“, bittet sie ihn noch, „und sage mir auch jetzt zum letzten die lieben Worte, die du mir zum ersten gesagt hast, wie du mich aufgenommen hast bei dir, sage mir, dass ich auch da recht gedacht habe und brav.“ „Recht und brav“, lächelt Hell erschüttert. BN

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17. Durch dieses Opfer, das Anna dem Hell gebracht hat, hat sie ihn vor seiner Gemeinde gerettet. Die Kirchfelder hängen nun wieder mit einer schwärmerischen Liebe an ihrem Pfarrer. Die Hochzeit Michels und Annas wird sozusagen zu einem Volksfest. Das ganze Dorf beteiligt sich an ihr, ja, sogar von benachbarten Dörfern kommen Besuche und auch die Kollegen Michels sind zahlreich vertreten. Hell und Anna leiden unter der B

6 16 26 27 27 40

] GendarmenN ] BN] BLebensweg“N ] BdeineN ] BAnnasN ] BN B

N

gestrichen: und korrigiert aus: Gebdarmen gestrichen: immer korrigiert aus: Lebensweg korrigiert aus: Deine korrigiert aus: Anna

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 75

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS5 (Korrekturschicht)

lärmenden Freude. Anna, da sie Hell noch immer 얍 liebt, und Hell, der es weiss, dass Anna für ihn ein Opfer gebracht hat. Nun knien Michel und Anna vor dem Altar und über ihnen steht der Pfarrer, der sie zusammengibt. Einmal noch treffen sich Hell‘s und Anna‘s Augen und aus seinem gütig-lächelnden Blick schöpft sie neue Kraft und es wird ihr bewusst, dass sie beide den „dritten“ Weg gehen, den Weg des Leidens zur Pflicht. BN

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Lesetext

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] beideN ] BWegN ] BN B

gestrichen: liebt korrigiert aus: beiden korrigiert aus: weg

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 76

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)



Der Pfarrer von Kirchfeld N

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BN B

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 2

1. Wir sind in Tirol. In dem kleinen Dorf St. Jakob in der Einöde, das so hoch liegt, wird das armselige Haus und das wenige Eigentum der verstorbenen Witwe Birkmüller versteigert. In dem grossen Zimmer hängt die Photographie der Toten umflort an der Wand und man hört immer wieder die Stimme des Versteigerers „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal“ - - und so kommt alles daran: die alten Truhen, der Sorgenstuhl, das Bettzeug, die Kücheneinrichtung, alles – denn die Dorfbewohner ergreifen gerne die Gelegenheit, wie es eben so menschliche Art ist, billig zu irgendwelchem Besitztum zu gelangen. Vor dem Hause auf der Bank sitzt die einzige Tochter der Verstorbenen, die 18-jährige Anna, einsam und verbittert und hört immer wieder von drinnen die Stimme: „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal.“ - Zu dieser Zeit fährt durch die Dorfstrasse ein reicher Viehhändler, hinten auf seinem kleinen Wagen sitzt ein prächtiges Schwein und neben ihm auf der Bank seine dicke blonde Geliebte . Als er um die Eck beim Friedhof biegt und in ungefähr 300 meter Entfernung das Haus der Birkmüller sieht , hält er überrascht und fragt eine vorübergehende Bäuerin, was denn dort los sei, da soviel Leute aus- und B

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Lesetext

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1.N ] Wir f liegt,N ]

In f ZimmerN ] hängt f anN ] BdieN ] BmanN ] BN] B

immerN ] ] BMal“N ] BBettzeug,N ] BKücheneinrichtung,N ] Balles f gelangen.N ] BdieN ] BN] BeinN ] BreicherN ] BViehhändler,N ] Bhinten f BankN ] Bein prächtigesN ] BSchweinN ] Bseine f GeliebteN ] BN] BN

um f siehtN ]

eingefügt (1) [In dem] [entlegenen] [ hochgelegenen, [{teil}] [ tiroler ] kleinen ] Dorf St.

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Jakob in der Einöde [|Wir sind in Tirol, dem Lande der grossen Berge und Klöster.|] [|Wir sind in Tirol, dem Lande der grossen Berge \und [{ }] |Kir|/|] [|Wir sind in T|] {[|In dem hochgelegenen [{ }] armen Dorf |] (2) \Wir sind in Tirol. In dem hochgelegenen Dorf \am Rande der Gletscher// (3) [{\R/}] [|In dem hoch|] |Wir f liegt,| \In [einem] |dem| grossen Zimmer/ Die2 Photographie3 der4 Toten5 hängt1 umflort6 an7 korrigiert aus: Die eingefügt

[die Stimme] [|das Geraun|] [des Versteigerers und das Bieten der kauflustigen Dorfbewohner, die, wie es eben so menschliche Art ist, gern die Gelegenheit ergreifen, billig zu irgendwelchem Besitztum zu gelangen.] [I]|i|mmer [hört man] Mal“[\./] Bettzeug\,/ [und] Kücheneinrichtung[.]|,| \alles f gelangen./ [{die}] |die| [\und wenige Fremde/] [der] |ein| reiche\r/ Viehhändler\,/ [Loislmüller, begleitet von] |hinten f Bank| korrigiert aus: eine prächtige [Sau] |Schwein| seine[r] dicke[n] blonde[n] Geliebte[n] [Er hatte gerade zwei prächtige Schweine gekauft, die er auf seinem Wagen nun in seine Heimat transportieren will.] (1) das Haus der Birkmüller erblickt (2) [{ei}] |um f sieht|

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

eingingen, die allerhand Einrichtungsgegenstände abtransportieren. Er erfährt nun, dass die brave Witwe Birkmüller gestorben ist und dass sie ihre Tochter Anna in grösster Armut zurückgelassen 얍 hat. Als der Viehhändler von der Versteigerung hört, beschliesst er, sich an ihr zu beteiligen. Anna sitzt noch immer auf der Bank vor dem Haus und plötzlich hört sie von drinnen her aufgeregte Stimmen. Sie horcht - -, da erscheint der Gerichtsvollzieher mit dem Gendarmen und den Dorfbewohnern in der Tür und der Gendarm fährt gleich auf sie los. Unter den zu versteigernden Sachen fehle nämlich ein Schmuckstück, ein altes Kreuz, das die verstorbene Frau Birkmüller an Feiertagen an einem Bändchen um den Hals getragen habe. Nach kurzem Hin und Her kann Anna nicht mehr leugnen, das Kreuz heimlich zu sich genommen zu haben - - sie muss es wieder herausgeben und nun wird das Kreuz zur Versteigerung ausgerufen. Der Viehhändler , der soeben erschienen ist, ersteigert es sofort und ist höchst befriedigt von seinem Fund. Anna verliess inzwischen ihren Platz, um den neugierigen Blicken zu entgehen und um nicht vor fremden Menschen weinen zu müssen. Sie geht um das Haus herum und nimmt Abschied, gewissermassen von jedem Winkel. Als sie wieder auf ihre Bank zurückkehrt, ist das Haus leer, die Versteigerung ist zu Ende und sie trifft nur noch eine alte Betschwester an. Die wendet sich nun an Anna und gibt ihr salbungsvolle Ratschläge . Sie solle immer nur beten, beten und wieder beten. Aber Anna, die anfangs apathisch ihr zugehört hat, unterbricht sie plötzlich hart: „Ich glaube nicht 얍 mehr an Gott“, sagt sie. Die Alte starrt sie entgeistert an, bekreuzigt sich und lässt sie rasch stehen. Loislmüller sitzt nun wieder auf dem Wagen neben seiner Geliebten und bindet ihr das Kreuz um den Hals. Sie ist hoch erfreut über dieses Geschenk und gibt ihm einen Kuss. Anna verlässt mit einem Bündel das Haus, streichelt noch einmal den Hofhund, der ihr traurig nachbellt , aber sie sieht sich nicht um. Vor der Kirche hält die Betschwester aufgeregt den Pfarrer an. Es ist dies der Pfarrer Vetter, ein alter gütiger Herr, der trotz seiner tiefen Religiosität leise resigniert mit seinem Leben bereits abgeschlossen hat. Sie teilt ihm bestürzt mit, dass die Anna Birkmüller nicht mehr an den lieben Gott glaubt. Aber der Pfarrer Vetter wird nun ganz böse und weist die Alte zurecht, denn einen solchen Ausspruch könne er sich von der kreuzbraven Anna nicht vorstellen. B

N B

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 3

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die f EinrichtungsgegenständeN ] [und vor allem da er sähe, wieviel Gegenstände] |die f Einrichtungsgegenstände| Babtransportieren.N ] abtransportier[t]|en.| [würden.] BN] gestrichen: hat BderN ] eingefügt BViehhändlerN ] [Loislmüller] |Viehhändler| Bbeteiligen.N ] beteiligen[,]|.| [um seine Geliebte unter Umständen mit einem günstig erworbenen Schmuckstück zu erfreuen.] BDer ViehhändlerN ] [Loislmüller] |Der Viehhändler| BRatschlägeN ] [T]|R|atschläge BGott“,N ] korrigiert aus: Gott“ Zeichensetzung bei direkter Rede wird in RF10/TS6 stillB

schweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis.

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LoislmüllerN ] BnachbelltN ] B

Loislmülle\r/ (1) nachblickt (2) nach\bellt/

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 4

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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RF10/TS6 (Korrekturschicht)

2. Droben im Hochgebirge, unterhalb eines wilden Grates, über dessen zerklüftete Zakken die Grenze verläuft, gehen zwei Förster ihr Revier ab. Der Jüngere heisst Michel, ein gutmütiger pflichtbewusster Mensch, dessen einzige auffallende Schwäche eigentlich darin besteht, dass er sich selber sehr gefällt. Er hält sich für einen durchaus feschen Menschen, der er ja auch ist - - eben deshalb lässt seine Eitelkeit auch auf eine kleine Beschränktheit schliessen. Michel erklärt nun seinem Kollegen, der erst vor kurzer Zeit 얍 in diese Gegend versetzt worden ist, die Namen der verschiedenen Täler, Kare, Gipfel und Ortschaften. So z.B. liegt direkt unter dem Felsen, auf dem sie sich jetzt befinden, das schöne Dorf Kirchfeld, wo beide stationiert sind. Vier Gehstunden entfernt von Kirchfeld liegt das Dorf St. Jakob in der Einöde und ungefähr zwischen den beiden auf halbem Wege liegt das Wirtshaus des Gruberfranz, sozusagen mitten im Walde, etwas entfernt von der Landstrasse. Auf den Gruberfranz ist die Behörde nicht gut zu sprechen. Sie kann ihm zwar nichts Positives vorwerfen, aber sie ist fest davon überzeugt, dass er den Wilderern und Schmugglern Hehlerdienste leistet. Sein Wirtshaus steht auch deshalb keineswegs in einem guten Rufe. Am Rande der Waldgrenze finden die beiden Förster im Unterholz eine Wildschlinge mit einem gefangenen Rehkitz. Michel stellt sofort fest, dass diese Schlinge natürlich nur von einem Wilderer gelegt sein konnte. Er habe auch schon einen ganz bestimmten Verdacht. Zwar wolle er noch nicht darüber sprechen und keinen Namen nennen, aber er habe das Gefühl, dass er auf der richtigen Fährte sei. Er wolle nur soviel sagen, dass es sich um einen Einwohner Kirchfelds drehe und er möchte nun doch gleich mal im Wirtshaus des Gruberfranz nachsehen, ob der Bewusste sich nicht dort aufhalte, denn eine innere Stimme raune ihm dies zu. Er fordert seinen Kollegen auf, mit ihm hinabzusteigen und erzählt ihm dabei von seinen verschiedenen immerhin erfolg- 얍los durchgeführten Haussuchungen beim Gruberfranz. Der Mann, den Michel in Verdacht hat, hatte die beiden Förster nun schon längere Zeit beobachtet. Er hatte gerade nach seiner Wildschlinge sehen wollen, da erblickte er die beiden und versteckte sich rasch im Unterholz. Er beobachtete auch, dass seine Schlinge entdeckt wurde und sieht nun , wie die beiden Förster rasch auf dem kürzesten Steige zum Gruberfranz hinabsteigen. Um ihnen zuvorzukommen und den Wirt zu warnen, klettert und springt er nun tollkühn über Wände und Schroffen hinab und erreicht so noch vor dem Eintreffen der beiden Förster das Wirtshaus, wo er sofort mit dem Wirt im Keller verschwindet und zwei dort aufbewahrte gewilderte Rehe geschickt unter allerhand Gerümpel verbirgt. Der Wilderer ist, wie gesagt, aus Kirchfeld und wird der Wurzelsepp genannt. Ein jedes Kind weiss, dass er vom Wildern lebt. Auch sein Vater ist ein Wilderer gewesen, hat einen Förster erschossen und endete im Gefängnis. Der Wurzelsepp war damals noch ein Kind. Seit jener Zeit hat er keine Kirche mehr betreten. Die meisten seiner Mitmenschen tun so, als verachteten sie ihn, heimlich achten sie ihn aber, denn es umweht ihn ja auch sozusagen die Romantik des Räuberhauptmanns. B

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] sieht nunN ] BKellerN ] BauchN ] B

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korrigiert aus: St.Jakob unregelmäßige Zeichenabstände werden in RF10/TS6 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. gestrichen: los korrigiert aus: siehtnnun korrigiert aus: keller korrigiert aus: such

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 5

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 6

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betritt, sitzen der Wurzelsepp und der Wirt mit gut gespieltem guten Gewissen in der Wirtsstube und trinken Schnaps, als hätten sie nie irgendeinen unerlaubten Gedanken gehabt. 얍 Nach einer kurzen Begrüssung lassen sich die beiden Beamten an einem Tisch nieder und der Wirt ruft „Anna!“ So nebenbei erkundigt sich Michel, wer denn diese Anna sei, worauf ihm der Wirt kurz auseinandersetzt, das wäre die neue Bedienung, die erst vor ungefähr 8 Tagen bei ihm eingetreten sei. Anna erscheint nun und fragt die beiden Förster nach ihren Wünschen. Michel hört aber garnicht auf ihre Worte, sondern starrt sie fasziniert an und meint dann plötzlich, sie käme ihm so bekannt vor und ob sie denn nicht die Anna Birkmüller aus St. Jakob wäre. Es stellt sich nun heraus, dass Michel und Anna als Kinder zusammen gespielt haben - - und Anna sei damals immer von Michel beschützt worden, so bringt er ihr viele Dinge aus der Kindheit wieder in Erinnerung. „Schad’, dass ich damals als kleiner Bub’ von St. Jakob weg hab’ müssen“, meint der Michel und äussert seine grosse Zufriedenheit darüber, was für ein schmuckes Dirndl aus der kleinen Anna geworden sei. Dabei fängt er an, sie zu tätscheln wobei sie sich erkundigt, ob denn alle Kirchfelder so wären. „Oh“, erwidert der Michel, „in Kirchfeld sind jetzt alle Leut’ ungemein brav und anständig geworden, seit nämlich der neue Herr Pfarrer da ist!“ Dieser neue Pfarrer Hell sei der beste, den es auf der Welt gäbe, wobei der Wurzelsepp ironisch vor sich hin lächelt. Michel bemerkt dies und betont es nochmals: „Jawohl, der Pfarrer Hell, ein richtiger Mensch. Der hilft nicht nur als Seelsorger, sondern überall, wo er nur kann! Der hilft auch im Stall, wenns pressiert! “ B

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 7

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3. In der Kirche zu Kirchfeld tauft der Pfarrer Hell ein Kind. Es ist keine grosse Taufgesellschaft dabei, nur eine ältere Frau und die Mutter des Kindes, ein etwas beschränkt aussehendes junges Weib. Nach der Taufzeremonie sehen wir den Pfarrer, wie er sich in der Sakristei umkleidet und dann rasch das neben der Kirche gelegene Pfarrhaus betritt. Im Pfarramt stehen bereits 6 Bauernburschen und warten auf ihn. „Seid’s alle da?“, begrüsst er sie und legt dann mit einer grossen Strafpredigt los. Das soeben getaufte Kind ist nämlich ein uneheliches und er macht den Burschen Vorhaltungen, wie gemein es wäre, dass der Richtige sich nicht zu seiner Vaterschaft bekenne. Durch seine derb-gutmütige Art bringt er es auch soweit, dass sich der richtige Vater reuevoll meldet. Nach dieser Szene betritt er sein Wohnzimmer, in welchem der Pfarrer Vetter aus St. Jakob bereits auf ihn wartet. Der alte Herr sitzt behaglich in dem Fauteuil und hat ein leeres Glas vor sich stehen. Hell entschuldigt sich, dass er ihn solange allein gelassen habe und will das Glas seines Gastes neu füllen. „Nein, nein“, wehrt Vetter ab, „es wird ja zuviel. Ich bin das ja nicht gewohnt.“ Hell bringt ihm nun noch eine Zigarre und nachdem sie Vetter angezündet hat, stellt er fest, dass es ihm lange nicht so behaglich gewesen wäre. „Wie hier alles doch so freundlich, so recht wohlgefällig und lebensfreudig - - so gottesfriedlich ist“, fährt er fort, „Sie sitzen auf einer der einträgB

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sitzen derN ] ] BDer f pressiert!N ] BN] BtauftN ] B

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korrigiert aus: sitzender gestrichen: Nach

\Der f pressiert!/ gestrichen: 3.

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 8

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

lichsten Pfarren 얍 und sind noch so jung, haben noch soviel vor sich. Ich bin schon ein alter Mann und so wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben - - in der Einöd. “ H ELL (unterbricht ihn, in Nachdenken versunken) Wie heisst doch Ihre Pfarre? V ETTER St. Jakob in der Einöde, Herr Amtsbruder, wo es kaum fünf Menschen gibt , denen es freudig erginge; alles herabgebracht vom Elend. H ELL Das ist traurig, wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts dawider tun können. V ETTER Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl. H ELL (ergriffen) Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so resigniert? V ETTER (lächelnd) Ach nein, ich war ja auch jung. H ELL (wie um auf ein anderes Thema zu kommen) Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht? V ETTER Nun früher ist’s wohl redlich gegangen, aber letztere Zeit kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschreien und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluss gefasst, zu gehen. Ich bin ja nicht wie der Schul- 얍meister, der hofft - (er lächelt und rückt Hell näher) und Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich. Er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht. Wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben - - ich stehe auch dann allein, und wenn ich heut’ oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen - - - aber lassen wir das! Ich muss mich aufs Bitten bei Ihnen legen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen. H ELL Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut. V ETTER Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte und dabei recht christlich ihr einziges Kind, ein Mädchen, erzog. Vor drei Wochen nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen alles, was vorhanden war und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern. Jetzt dient das arme Kind beim Gruberfranz, aber ich fürchte, das ist nicht das richtige Obdach - - und da dachte ich mir, ich wage es Sie zu bitten, dass Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben. H ELL Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen. BN

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] in f Einöd.N ] BSt. f Amtsbruder,N ] Bwo f kaumN ] BgibtN ] BN] BElend.N ] BH ELL N ] BN] Bwohl.N ] BN] BN B

] H ELL f Schul- N ] BN] BIch mussN ] BN] BN B

gestrichen: und korrigiert aus: \in [St. Jakob] der Einöd / korrigiert aus: [St. f Amtsbruder,]

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[ein Dorf, in welchem Sie nicht] |wo f kaum| [finden] |gibt| [so recht froh und] korrigiert aus: Elend.“ korrigiert aus: [H ELL ] [ |Wirt|] [sehr traurig,] korrigiert aus: wohl, [ich lebe ja wie sie, fast schlechter - nur einem geht’s gar recht elend, das ist der Schulmeister, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft noch immer, ich weiss nicht, auf was.] [gottlos, so] korrigiert aus: [H ELL f Schul-] gestrichen: meister korrigiert aus: Ichmmuss gestrichen: \Überblendung?/

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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V ETTER (schüttelt ihm die Hand) Nun das ist recht christlich, ich danke Ihnen, Herr Amtsbruder. BN

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4. Im Wirtshaus des Gruberfranz nimmt das Gespräch über den Pfarrer Hell seinen Fortgang. Der Wurzelsepp hat sich in ironischen Bemerkungen über den hochwürdigen Herrn ergangen, wobei ihm Michel endlich versichert: „Du bist der einzige nicht Brave in Kirchfeld und über unsern Pfarrer redst du schon garnix.“ Mit naiver Miene erkundigt sich der Sepp, warum er denn der einzige nicht Brave sei. Aber Michel erwidert ihm nur „Mir sagt es eine innere Stimme, dass wir zwei uns nochmals treffen werden.“ „ Wo? “, fragt der Sepp. Darauf der Michel: „Droben im Walde, wo manchmal so eigenartige Schlingen wachsen.“ „Das verbitt’ ich mir“, schreit der Sepp, der es merkt, dass Michel ihn verdächtigt und es kommt nun zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen beiden, die damit endet, dass der Wirt Michel erklärt, er lasse seine Gäste nicht beleidigen. Sehr zum Verdruss des Wirtes und des Wurzelsepp mischt sich Anna auch in den Streit, ergreift die Partei Michels und erklärt auch, dass sie vom Pfarrer Hell nur Gutes gehört hätte. „Uebrigens“, meint sie nun auch, „unser Pfarrer in St. Jakob möcht’s gern sehen, dass ich zum hochwürdigen Herrn Hell als Bedienung komme.“ „Das glaube ich“, schreit der Wurzelsepp und biegt sich vor Lachen: „Der Pfarrer und die lebfrische Dirn! Die schicken’s zu ihm, grad als ob sie’s ihm zu Fleiss täten.“ M ICHEL Du hast das gottloseste Maul vom ganzen Land. D ER W URZELSEPP Wenn das Derndl zum Hell kommt, dann frag doch über fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihren Pfarrer noch für einen Heiligen halten?! B

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5. Im Pfarrhaus zu Kirchfeld betritt die alte Pfarrersköchin Brigitte das Wohnzimmer und meldet Hell, der gerade sein Brevier liest, dass ein Dirndl aus Einöd den hochwürdigen Herrn sprechen möchte. „Führ’ sie nur herein“, meint Hell, „das dürfte wohl deine Gehilfin werden, Brigitte.“ Brigitte, schon wieder in der Tür, wendet sich noch einmal um: „So, na, das wär’ mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und nicht ein bissel aufdringlich.“ Worauf Hell lächelnd meint: „Na, das will ja was heissen, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiss sie ihnen wenig Gutes nachzusagen.“ Dabei erhebt er sich und geht Anna, die nebenan im Pfarramtsraum wartet, entgegen. „So, du bist also die Anna Birkmüller, mein Kind!“ Anna wird durch Hells Persönlichkeit plötzlich sonderbar schüchtern

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[spassige] |eigenartige| korrigiert aus: Lachen korrigiert aus: täten. korrigiert aus: „Du korrigiert aus: halten?!“ gestrichen: 5. gestrichen: \Kirche Pfarrer repariert die Kirche/ korrigiert aus: um korrigiert aus: meint korrigiert aus: nachzusagen.

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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und bringt vorerst kaum ein Wort hervor. „Ich habe dem hochwürdigen Herrn Vetter bereits die Hand darauf gegeben“, fährt Hell fort, „dass ich dich aufnehmen will.“ Anna bleibt noch immer stumm und küsst Hell die Hand. Hell zieht seine Hand unwillkürlich etwas zurück: „Also - - Anna, ich heisse dich in meinem Hause willkommen. Du weisst wohl selbst, dass Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen , dass dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er für dich ohnedies schon sein mag.“ A NNA Ich fürcht’ mich nimmer vor’m Dienst (sie spricht nun plötzlich rasch und viel, als wäre auf einmal ein Bann gebrochen), oben beim Gruberfranz habe ich einen Kirchfelder getroffen, der gesagt hat, dass er dein Feind ist, hochwürdiger 얍 Herr, und der sich alle Mühe gegeben hat, dir was Schlechtes nachzureden und hat doch nichts vorzubringen gewusst. Ich hab’ auch mir denkt, was du für ein Herr sein musst, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, nicht zukönnen. Jetzt habe ich dich gesehen und gehört, wie gut und freundlich als du bist, jetzt tät’s mir fast weh, wenn du mich dir nicht dienen liessest. H ELL Gewiss, du sollst bleiben. A NNA Es schreckt mich auch nicht, dass du für einen geistlichen Herrn noch so viel jung bist. H ELL Dass ich jung bin? A NNA Ich denk’ besser kann eine arme Dirn‘ nirgends aufgehoben sein als bei dir. Darauf H ELL Gewiss, Anna, du denkst brav! A NNA Ich weiss nicht , aber recht wird’s wohl sein. H ELL Recht und brav. (Er drückt ihr die Hand.) B

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6. Am Nachmittag kommt der Wurzelsepp betrunken nach Haus zu seiner Mutter, die in einer halbverfallenen Hütte etwas ausserhalb des Dorfes wohnt. Die Hütte wird allgemein nur das Hexenhaus genannt und die Mutter, eine alte Kräutersammlerin, steht im Ruf einer Hexe. Sehr zu Unrecht, denn sie ist eine rechtschaffene Frau, die nur allerdings, genau wie ihr Sohn, seit dem Tode ihres Mannes im Gefängnis nie mehr eine Kirche betreten hat. In der Hütte kommt es zu einer grossen Szene zwischen Mutter und Sohn. Sie 얍 wirft ihm seinen liederlichen Lebenswandel vor, beschwört ihn, sich zu bessern, versichert ihm , dass sie sich etwas antue, wenn er eingesperrt werden würde. Der betrunkene Sepp, der zuerst versucht hat, zu widersprechen, lallt am Schluss nur noch etwas von irgendeinem Pfaffen, dem er es mal heimzahlen wird. Als Sepp eingeschlafen ist, verlässt die Mutter das Haus, um auf den Berg zu gehen und Kräuter BN

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willkommen.N ] sorgenN ] Bmag.“N ] BN] BIchN ] BN] BübelN ] BnichtN ] Bbrav.N ] BHand.)N ] BN] Bversichert ihmN ] B B

korrigiert aus: willkommen.\“/ korrigiert aus: worgen korrigiert aus: mag.[“] gestrichen: \Kommen Sie, Herr Amtsbruder!“ (ab mit Vetter; die beiden/ korrigiert aus: „Ich gestrichen: Herr korrigiert aus: überl

nich\t/ brav\./ korrigiert aus: Hand). gestrichen: In korrigiert aus: versichertnihn

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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zu sammeln. In der Dorfstrasse wird sie von den Kindern beschimpft und verhöhnt, die in typischer Kinderart ihr „alte Hexe“ nachrufen. Der Pfarrer Hell, der von drinnen diesen Lärm hört - er befindet sich gerade in seinem Garten - eilt auf die Strasse und weist die Kinder energisch zur Ordnung und beschützt die Mutter des Wurzelsepp. 7. Im Garten hinter dem Pfarrhofe sitzen Brigitte und Anna. Brigitte vor einem Spinnrad und Anna mit einem Sack voll Linsen vor sich auf dem Tisch, die sie verliest. Sie singt dazu und die alte Brigitte meint, das wären ja richtige Schelmenlieder. „Mir fallen’s halt alle so ein“, lacht Anna, „weil ich jetzt übermütig bin. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schindet sich ja im Vergleich zu mir und auch ein Stadtfräulein kann nicht schöner faulenzen.“ Brigitte droht freundlich, ihr den Brotkorb bald höher zu hängen, aber Anna fürchtet sich nicht und betont immer wieder, dass sie einen so guten Dienstplatz nirgends getroffen hätte. Besonders der 얍 hochwürdige Herr, das sei ein Mann, um den zu sein wäre ja eine wahre Freude. Bei dem müsst’ ja der ärgste Sünder wieder ein rechter Mensch werden. Brigitte unterbricht ihre Begeisterung und hänselt sie: „Läufst etwa nicht, von wo du stehst und hebst dich nicht vom Sitz, wenn du seine Stimme oder seinen Tritt in der Nähe hörst?“ Da wird Anna verlegen und ziemlich verwirrt antwortet sie: „Das ist gewiss nicht so, das hat dir nur geträumt!“ Jetzt erscheint Hell in einem Fenster des Pfarrhofes und ruft nach Brigitte. Anna will sofort aufspringen und ins Haus gehen, doch Brigitte fährt sie gutmütig an: „Du bleibst!“ Hell, der nun erst Anna erblickt, ruft ihr zu, sie möchte doch seine Farben zu ihm ins Haus bringen. Anna holt die Farben und führt den Auftrag aus. Sie befindet sich nun allein in Hells Zimmer und entdeckt auf seinem Sekretär ein Schmuckstück, ein goldenes Kreuz, das an einem Bande um den Hals getragen wird. Es hat eine starke Aehnlichkeit mit dem Kreuz ihrer verstorbenen Mutter - - sie nimmt es in die Hand, betrachtet es und viele Erinnerungen tauchen in ihr auf. So versunken steht sie da, dass sie garnicht bemerkt, dass Hell das Zimmer betrat und sie schon eine Zeitlang beobachtete. Plötzlich meint er: „Regt sich die Eitelkeit ein wenig bei dir?“ Anna zuckt erschrokken zusammen, erblickt ihn erst jetzt und legt das Kreuz rasch wieder zurück. „Nein, ich bin gewiss nicht eitel.“ „Na, na, na,“ 얍 meint Hell lächelnd. Anna sieht ihn gross und traurig an, sodass er überrascht ganz ernst wird und sie sagt nun leise: dieses Kreuz erinnere sie nur an etwas sehr Trauriges. „Es hat meiner Schwester selig gehört“, sagt Hell . BN

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8. Am nächsten Tage befindet sich Michel wieder auf seinem Reviergang und erblickt von hoch droben auf einer Waldlichtung den Pfarrer Hell mit seinen Schulbuben, de15 22–23 23–24 25 25 33 35 35–36 36

] „Du bleibst!“N ] Bseine f HausN ] Bdie FarbenN ] Bund führtN ] BN] BN] B„Es f Hell.N ] BHellN ] BN B

gestrichen: hochwärdige korrigiert aus: du bleibst.

[sein Buch, das draussen in der Laube läge, ins Haus] |seine f Haus| korrigiert aus: das Buch

und\ /führt gestrichen: meint gestrichen: \(S. 16)/

\„Es f Hell./ [{der}] |Hell|

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nen er in Gottes freier Natur, um nicht bei dem herrlichen Wetter in dem engen Klassenzimmer bleiben zu müssen, Religionsunterricht erteilt. Er erzählt ihnen aus der Bibel und sie hören alle andächtig zu. Und dann spielen die Buben auf einer Wiese gegeneinander Fussball und der hochwürdige Herr schiedsrichtert dabei. Und er ist ein gerechter Unparteiischer. Da kommt der Förster Michel droben vom Gebirg von seinem Reviergang herab und unterhält sich nun mit Hell über Anna. Es freut ihn sehr, dass der Pfarrer sie für ein braves Mädchen hält. Es wird ihm ganz weich und wehmütig um das Herz, da Hell ihm nun mitteilt, dass Anna in ihrem jungen Leben schon viel Unrecht widerfahren sei. Michel meint, eigentlich sollte man nur ein armes Mädchen heiraten, denn wozu wäre der Mann da, wenn nicht zum Schutz des schwachen Weibes. Es fällt dem braven Förster garnicht auf, dass er mit dieser Aeusserung auch seiner eigenen Eitelkeit schmeichelt. So begleitet nun Michel den Pfarrer nach Hause und wir erfahren es gewissermassen zwischen den Worten seiner Rede, 얍 dass er Anna gern heiraten würde. Am Pfarrhaus angekommen - es dämmert bereits - begrüsst er Anna, die im Garten gerade mit der Wäsche beschäftigt ist und bittet sie, mit ihm heut Abend zum Postwirt zu gehen, wo, wie alle Sonnabende, getanzt wird. Anna jedoch lehnt die Einladung ab, obwohl ihr Hell zuredet. Aber es sei doch niemand zu Hause, schwindelt sie, der den hochwürdigen Herrn bedienen könnte, da die alte Brigitte zu Besuch bei einer Nachbarin sei. Der brave Michel verabschiedet sich etwas melancholisch. Anna steht noch eine Weile stumm und sieht ihm nach, selbst dann noch, da er bereits um die Ecke verschwunden ist. „Nach was blickst du denn aus?“, fragt Hell sie plötzlich. „Ich schaue, wie die Sonne untergeht“, erwidert sie traurig. Hell sieht sie gross an: „An was denkst du, du hast feuchte Augen.“ A NNA Ich weiss nicht, ich war erst recht lustig, aber wie ich da so schaue, fallen mir auf einmal alle ein, die mir recht nahe gegangen sind und jetzt die Sonne nimmer untergehen sehen. H ELL Der Herr lasse sie ruhen in Frieden - - Die letzte meiner Familie, die ich zu beweinen hatte, war meine Schwester. A NNA Die war gewiss kreuzbrav. Drauf fährt dann der H ELL fort: Brav, klug und schön. Sie und die Mutter, beide lebten, als ich noch Student war - - ich dachte mir das so recht hübsch, wenn ich 얍 eine Pfarre bekäme, wie wir da immer beisammen leben und bleiben wollten. Eine Familie haben ist doch etwas Schönes. Darauf die A NNA Nicht wahr, oft habe ich mir schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die heilige Familie. H ELL (lächelnd) Meinst du ? Darauf A NNA Ja, denn Kinder, die so zur Welt kommen, ohne dass sie oft Vater und Mutter wissen, sind doch recht traurig dran, sie machen niemand so richtig herzB

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liche Freude, auch wenn sie brav sind - - und nachher wundert sich die Welt, wenn sie keine rechten Leut werden. H ELL Das denkst du brav und klug. A NNA (sieht zu Boden) Wie du mich aufgenommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav genannt, jetzt nennst du mich klug, wenn du mir noch eins sagst, so hast du mir alle guten Worte gegeben wie deiner Schwester selig. H ELL (fasst ihre Hand) Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und - schön. Aber sie war nicht so eitel wie du. A NNA (hebt überrascht den Kopf) Wie ich? H ELL (freundlich lächelnd) Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt. A NNA Wann denn? O, sag’s hochwürdiger Herr. Ich werd’ es gewiss nimmer blicken lassen. 얍 H ELL Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette. Du hattest es in die Hand genommen - - ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich mein’, dass du es für dein Leben gern gehabt hättest. A NNA (starrt ihn einen Augenblick lang an, die Tränen treten ihr in die Augen, sie kommt aber zu keiner Antwort mehr, da draussen heftig nach dem Pfarrer gefragt und gerufen wird.) Es ist ein armer Bauer draussen , dessen Kuh sehr krank ist und der nun Hell bittet, sofort mit ihm in den Stall zu gehen und nachzuschauen. Hell folgt dem Bauern - - und wir sehen ihn, wie er sich im Stall wie ein richtiger Tierarzt bemüht. Auch diese kleine Episode soll dazu dienen, den Charakter eines Mannes zu schildern, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, seiner Gemeinde immer und überall zu helfen. - Er hat seine Arbeit im Stall noch kaum beendet, da stürzt die alte Brigitte aufgeregt zu ihm hin und teilt ihm mit, dass es ihr schon einige Male aufgefallen sei, dass Anna nicht betet und jetzt soeben habe sie ihr auf ihre Frage erklärt, es gebe keinen Gott. Die alte Brigitte bekreuzigt sich: „Das Mädel hat die Höll’ in sich“, beteuert sie. Aber Hell meint nur lächelnd: „Die werden wir ihr schon austreiben. Ich habe schon mehr Leute kennengelernt, die mal in ihrem Leben behauptet haben, es gäbe keinen Gott. Ich wär’ ein schlechter Pfarrer, wenn ich einem Dirndl nicht beweisen 얍 könnte, dass es einen Gott gibt.“ Und als er Anna nun zur Rede stellt und im Ernst von ihr hört, dass sie nicht an Gott glaube, forscht er eindringlich weiter und bringt Anna durch sein gütiges Wesen dazu, dass sie ihm stockend und unter Tränen erzählt, sie glaube nicht mehr an Gott, seit ihr seinerzeit ihr Schmuckstück, das Kreuz der Mutter, weggenommen und versteigert worden sei. Das sei ganz ein ähnliches Kreuz gewesen, wie dasjenige, das auf dem Sekretär des Pfarrers liegt. „Seht’s Hochwürden“ , sagt Anna, „wenn ich das Kreuz wiederbekommen würde, dann würde ich BN

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Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

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wieder an Gott glauben.“ „Warum denn nur dann?“ , fragt der Pfarrer und Anna antwortet, „weil ich dann wieder daran glauben könnte, dass es gute Menschen gibt.“ Mit einem plötzlichen Entschluss schenkt ihr nun Hell das Kreuzchen seiner Mutter. Er will es ihr beweisen, dass es gute Menschen und dass es also auch einen lieben Gott gibt. Anna, ausser sich, sinkt mit ihrem Gesicht auf seine Hände und schluchzt ganz verwirrt. Sie könne doch das Kreuz nicht annehmen, sie wäre es ja garnicht wert und das Kreuz sei schwer Gold. - Darauf H ELL Du sollst eben nicht denken, dass es von Gold, als vielmehr, dass es ein Kreuz ist. Ich habe es dieser Tage gedacht, wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiss, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie von mir in sein 얍 Haus geführt und da dachte ich auch an dich; ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, dass du bei mir bleiben wirst, dass du mich nicht verlassen wirst. A NNA (gibt ihm verwirrt und errötend die Hand) Mein Lebtag nicht. (Dann zieht sie ihre Hand wieder aus der seinen) Gute Nacht Hochwürden. H ELL Gute Nacht. Mit dir, Kind, ist der heilige Hauch des lange verlorenen Familienlebens wieder in mein Haus gezogen. A NNA (geht zur Türe und wendet sich noch einmal um) Und darf ich das Kreuzchen offen tragen, vor ganz Kirchfeld? H ELL Gewiss, warum fragst du? A NNA Ich habe nur gefragt, damit ich weiss, was dir recht ist. Nach allem andern frag’ ich nimmer. B

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9. Am nächsten Sonntag beim Kirchgang entdecken die Kirchfelder am Hals der Anna das Kreuz, das einige von ihnen als das Kreuz der verstorbenen Mutter des Hell kennen. Manche raunen sich bereits verschiedene Vermutungen zu und auch der Wurzelsepp hört davon läuten. Er sorgt natürlich sofort dafür, dass es sich ganz und gar herumspricht, dass der hochwürdige Herr Hell einem jungen Mädel ein goldenes Kreuz geschenkt hat. Bei der Predigt hören sie ihm nicht zu. Warum, das könne man sich ja lebhaft vorstellen. 얍 Die Stimmung schlägt gegen den Pfarrer um, man schimpft nach dem Kirchgang im Wirtshaus über ihn und man schimpft auch über die Anna. Es fallen Worte wie „die Hergelaufene“ und dergleichen . Michel hört dies, verteidigt Anna und es kommt zu einer grossen Rauferei, bei der er blutig geschlagen wird. Mitten in der Rauferei betritt Hell das Lokal und erfährt durch einige hämische Bemerkungen, was hier vor sich ging und geht. Er verlässt erschüttert das Haus. Der Wurzelsepp folgt ihm jedoch und schleicht ihm eine ganze Weile nach. Er sieht, wie der Pfarrer langsam mit müden Schritten auf einem Umweg nach Hause geht - - da ruft er den Pfarrer an. Der hält an und fragt ihn tonlos nach seinem Wunsche. „Pfarrer, ich möcht’ dir nur sagen“, antwortet der Sepp gehässig, „dass es mich freut, wie B

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es dir jetzt geht. Hilft dir alles nix. Die Dirn ist dein Unglück. Oder leugnest du vielleicht, dass du der Anna gut bist?“ H ELL (sieht erschrocken und fassungslos auf ihn) - Der S EPP Du kannst es leugnen aber du wirst es schon spüren. H ELL (erregt) Ich stehe zu deiner Verunglimpfung, solange sie mich nicht allein betrifft. Aber dies ehrliche Mädchen lass aus dem Spiel. Es erfasst mich ein heiliger Zorn - S EPP (einfallend) Schrei nur herum, schrei nur zu, dann erfahrt’s das ganze Dorf noch zeitlicher. H ELL Keiner denkt im Dorf wie du. S EPP Da werden bald alle so denken wie ich. Du schenkst 얍 ihr das Kreuzel von deiner Mutter selig und gleichwohl du das Dirndl nicht haben kannst, gönnst du es doch keinem andern! Du willst es halten und nicht lassen für dein Lebentag. Sie hat’s ja selbst der alten Brigitte erzählt. Und diese Dirn’ soll dir gleichgültig sein? H ELL (gepresst) Bist du zu Ende? S EPP Nein, mir hat’s noch nicht die Red’ verschlagen. Du wirst ja im Land als ein Ausbund von Frömmigkeit verschrien, aber ich habe an dich so wenig geglaubt wie an die andern. H ELL Sepp du tust Unrecht. Auch dann Unrecht, wenn du, wie ich fürchte, nur der Feind des Kleides bist, das ich trage. S EPP Darüber wollen wir nicht streiten. Du trägst es ja einmal doch. H ELL Das Kleid macht nicht den Mann und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind. S EPP Das glaube ich selber; mit dem Gewand aber musste das sein, was ich meine (mit Schadenfreude) Ja, Pfarrer, du musst es sein, musst, wenn du gleich nicht wolltest - - musst, ob dir’s jetzt das Herz abdrücken will, oder ob du in den Boden hineinstampfst - du musst. H ELL Mensch, was liegt auf dem Grund deiner Seele; woher diese gehässige feindselige Jugend? Darauf der S EPP Weil es mich freut. Und nun erfahren wir es, warum der Wurzelsepp und seine Mutter nie wieder eine 얍 Kirche betreten. Der Vater des Sepp wurde nämlich durch den Vorgänger Hells angezeigt und also ins Gefängnis gebracht, wo er dann verstorben ist. „Hilft dir alles nix“, fährt der Sepp nun mit gehässiger Schadenfreude fort, „die Dirn ist und bleibt dein Unglück. Ich weiss, du planst dir jetzt tausend Auswege - - aber du hast nur zwei Wege: du kannst die Anna entweder in Unehren halten und musst fort von Kirchfeld, oder du kannst sie mit Herzleid fortziehen lassen und dann ist dir Kirchfeld und die ganze Welt nichts mehr. Einen dritten Weg hast du nicht. Siehst, Pfarrer, da habe ich dich und habe dich so sicher, dass ich dich nicht einmal zu halten brauch’.“ Mit diesen Worten lässt er Hell stehen. BN

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10. Im Pfarrhaus macht die alte Brigitte Anna heftige Vorwürfe, die wäre das Unglück des hochwürdigen Herrn. Ueber beide würden im Dorf schon die wildesten Gerüchte verbreitet, sodass die Leut’ schon den ganzen Respekt vor dem Pfarrer an den Nagel gehängt hätten - - sogar im Wirtshaus sei gerauft worden, was doch nicht mehr der Fall gewesen wäre, seit der hochwürdige Herr Hell auf der Pfarre ist. „Und heut’ in der Predigt wirst selber bemerkt haben, wie alle auf dich geschaut, sich zugeblinkt und wie sie untereinander geplaudert haben, während doch sonst, während der Pfarrer redet, es in der Kirch’ totenstill war.“ Anna schluchzt ausser sich und bittet Brigitte, doch um Gotteswillen nichts Un얍 rechtes von ihr zu denken. Sie könne ja nichts dafür und sie weiss ja garnicht, wie das alles gekommen ist. Auch die alte Brigitte wird gerührt und weint mit und meint „da hat der Teufel seine Hand im Spiel“, „Es soll doch wirklich in der Welt nur Männer oder nur Weiber geben, alle zwei zusammen tun nie was Gutes.“ - BN

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11. Wurzelsepp ist wieder in das Wirtshaus zurückgekehrt und hält dort grosse flammende Reden gegen den Pfarrer, die allgemein beifällig aufgenommen werden. Mitten in seiner Hetzerei wird er aber von Michel und einem Gendarmen unterbrochen, die ihn verhaften wollen. Der Gruberfranz ist nämlich der Hehlerei überführt worden und hat eingestanden, Gewildertes vom Wurzelsepp bezogen zu haben. Sepp flieht vor dem Gendarmen, zuallererst in seine Hütte und nimmt dort von seiner entsetzten Mutter kurz Abschied. Inzwischen wurde aber die Hütte bereits von Gendarmen und Förstern umstellt. Er schiesst durch das Fenster, trifft jedoch niemanden und flieht dann in die Berge hinauf. Die Mutter ist über all diese Ereignisse furchtbar entsetzt und begeht Selbstmord im Wildbach. B

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12. Es regnet in Strömen, es ist ein grauer Tag und in dem Zusammenleben der drei Leute im Pfarrhaus hat sich 얍 alles geändert. Als Michel, der von der Rauferei her noch verbunden ist, an dem Haus vorbeigeht, bemerkt ihn Anna und läuft zu ihm hinaus und muss nun hören, dass die ganze Prügelei daher gekommen ist, dass die Dorfleute von dem Kreuz erfahren hätten, das der Pfarrer ihr geschenkt haben soll - - aber er glaube das noch immer nicht. Jetzt wird Anna klar, in welche Lage der Pfarrer durch ihr blosses Hiersein geraten ist. Sie bedankt sich bei Michel, der, mutig geworden durch ihre Freundlichkeit, ihr seine Liebe erklärt, und Anna entschliesst sich, seinen Antrag anzunehmen. Sie bringt dieses Opfer, um damit den Pfarrer zu retten. BN

35

9 10 21 31 31

] bittetN ] Bund hatN ] BN] BN] BN B

BN

gestrichen: Anna korrigiert aus: bitte

und\ /hat gestrichen: alles

[Der Pfarrer spricht mit Anna kaum ein Wort. Er bemüht sich sogar, ihr soviel wie möglich aus dem Weg zu gehen. Wenn Brigitte gezwungen ist, mit Anna zu reden, so geschieht das so, dass diese bemerken muss, wie sehr Brigitte sich Anna gegenüber zurückhält.]

356

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 26

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

5

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

So tritt sie nun sogleich mit Michel vor den Pfarrer hin und erklärt ihm mit innerem Zittern, dass sie sich soeben mit Michel versprochen habe. „Es wär’ auch nichts Unüberlegtes“, sagt sie und sieht Hell fest an. Michel lacht: „Das gewiss nicht, ich weiss, wie ich hab’ zureden müssen.“ „Du willst fort? “, fragt Hell Anna, „weisst du auch, dass ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüsst habe? Weisst du auch, dass sich alle von mir gewendet haben?“ Anna nickt traurig. H ELL Und doch, wenn dieser Tag zu Ende geht, so habe ich keine einzige Seele, kein einziges Herz mehr zu verlieren. Lebt wohl. Er verlässt rasch das Zimmer und ruft nach Brigitte: „Schnell, meinen Rock, 얍 meinen Hut, dann kannst du das Tor schliessen. Ich komme erst morgen wieder.“ B RIGITTE (äusserst erschrocken) Aber hochwürdiger Herr, du wirst doch nicht in der Nacht spazieren gehen, denk’ das Gered’ im Dorf wird ja immer grösser, wenn dich vielleicht einer sieht. H ELL (hat nun seine Ruhe wiedergewonnen) Nun Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht. B

N

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 27

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N B

N

13. Im Innersten durchwühlt schreitet der Pfarrer durch die Nacht. Er verlässt das Dorf und steigt in den Wald immer höher und höher empor - - vorbei an den Bergwiesen, wo er den Schulbuben Unterricht gab. Es ist eine stürmische Nacht und plötzlich sieht er sich dem Wurzelsepp gegenüber, der ihn gleich sehr gehässig anfährt, er könne doch die Gendarmen heraufschikken, denn das sei ja seine Pflicht als Diener der Liebe. „Zeige mich genau so an“, brüllt er, „wie mein Vater angezeigt wurde, der dann im Gefängnis gestorben ist.“ Hell sieht ihn jedoch nur gross an, schüttelt verneinend den Kopf und fragt ihn dann leise: „Du hast mir halt zugerufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie - - und doch sieh’ ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dir.“ 얍 Sepp schleicht sich noch in derselben Nacht in das Dorf zurück, um von seiner toten Mutter Abschied zu nehmen. In der Hütte erblickt er sie durch die Fensterscheiben aufgebahrt liegen und, durch den grossen Schmerz überwältigt, begibt er sichBN

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BN

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5 9 10 14 15 15 15 21 29 29

B

29

BN

BN BN

fort?N ] ] BBrigitte:N ] Bsieht.N ] B(hatN ] Bwiedergewonnen)N ] BNunN ] BN] BN] BN] BN

]

korrigiert aus: fort gestrichen: Er korrigiert aus: Brigitte korrigiert aus: sieht.“ korrigiert aus: hat korrigiert aus: wiedergewonnen: korrigiert aus: „Nun Absatz vom Autor eingefügt gestrichen: Als ich dieses Kle anzog

[anzog, habe ich dem traurigen Anrecht des Hasses, wieder zu hassen, entsagt.“ Nun erzählt er dem Sepp, dass seine Mutter Selbstmord begangen habe aus Gram über ihren Sohn. Sepp wankt, beherrscht sich jedoch sofort und ruft dem Pfarrer zu: „Alles Lüge!“ Da donnert ihn Hell an: „Was willst du denn, dass du mir so sprichst, wo zur nämlichen Stunde da unten in deiner Hütte der Leib aufgebahrt wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben und da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet.“ So lässt er den Wurzelsepp im Aeussersten getroffen stehen.] gestrichen: \S. 27./

357

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 28

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

35

noch in derselben Nacht heimlich zum Pfarrhof und erfährt dort durch Brigitte, die ihn in der Finsternis nicht erkennt, dass der Pfarrer nicht zu Hause sei. So wartet nun der Wurzelsepp auf ihn vor dem Haustor und als endlich Hell erscheint, bittet er ihn stockend um ein ehrliches christliches Begräbnis für seine Mutter. Der grosse Schmerz bricht plötzlich aus ihm heraus; er sinkt vor dem Pfarrer in die Knie und fleht ihn an, seine Mutter nicht als Selbstmörderin ausserhalb des Friedhofs 얍 verscharren zu lassen. „Sepp, was willst du denn aus mir machen“, fährt ihn der Pfarrer an, und fasst ihn mit beiden Händen an den Schultern, „nicht dir noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seinen Toten. O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, dass du nicht wüsstest, bevor du deine Bitte vorgebracht, dass ich ihr nichts nehmen werde, nicht kann, ja, nicht darf! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.“ Sepp sieht ihn gross an: „Verzeih mir, Pfarrer, so hab’ ich dich nicht geglaubt, aber du redest ganz anders als der frühere. Aber die Leut’ im Ort denken vielleicht doch nicht so wie du.“ „Ich werde die Leiche zu Grabe geleiten“, beruhigt ihn Hell. „Ich werde für die Tote sprechen. Ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie ‚Amen‘ sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.“ Sepp fasst Hells Hand zaudernd in seine beiden: „So tust du an mir? Das vergess’ ich dir all’ mein Lebtag nicht.“ Er wendet sich langsam eben und will gehen. Doch Hell ruft ihn noch einmal zurück: „Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.“ Sepp hält überrascht: „Du an mich?“ Hell: „Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, dann wirst du nicht aussen bleiben können, du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen. Solltest du etwa Stimmen um dich und Flüstern hören, so du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, lass dir deinen Schmerz nicht durch 얍 ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht zu mir.“ - - - „Du redest einem in die Seele hinein“, murmelt der Sepp ergriffen, „als ob du wüsstest, was einer sich zu tiefst drinnen denkt. O, du mein Gott, wenn du früher gekommen wärest, ich wär’ nicht so, wie ich jetzt bin.“ H ELL Und musst du denn so bleiben, wie du bist, Sepp? Ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast. Geh du nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. - Und nun fordert ihn Hell auf, sich freiwillig der irdischen Gerechtigkeit zu stellen. Sepp sagt nicht „nein“, nicht „ja“ und verlässt tief in Gedanken versunken den Pfarrer.

40

14. Auf dem Friedhof zu Kirchfeld ist ein frisches Grab mit einem armseligen Holzkreuz und nur wenigen Blumen. In der Kirche liest Hell die erste Seelenmesse für die Verstorbene und die Orgelklänge und der Chorgesang schallen weit über das kleine Dorf

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BN

B

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B

6 8 16 20 20 24 29 32

] weigereN ] B‚Amen‘N ] BdichN ] BBitte.“N ] BN] BUndN ] Bhaben.N ] BN B

N

gestrichen: verscharren \w/ei\g/e\re/ korrigiert aus: „Amen“ korrigiert aus: dch korrigiert aus: Bitte“. gestrichen: ein korrigiert aus: „Und korrigiert aus: haben.“

358

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 29

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 30

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

5

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

Lesetext

hinaus. Der Wurzelsepp erscheint nun auf dem Friedhof mit einem kleinen Strauss Alpenblumen und legt ihn auf das Grab seiner Mutter. Kurze Zeit verweilt er dort im Gebet, dann lauscht er den Orgelklängen und wendet sich langsam dem Kirchentor zu, betritt die Kirche, hält an, sieht sich um wie ein Kind, das wieder heimgefunden hat, erblickt plötzlich in der vollen Kirche (das Mitleid des ganzen Dorfes hat sich nämlich plötzlich seiner armen toten Mutter zugewendet 얍 und es wurde beschlossen, dass sich jeder an dem Begräbnis zu beteiligen hat) den Förster Michel und zwei Gendarmen. Er stockt und zögert einen Augenblick. Dann fliegt aber ein Lächeln über sein Gesicht und er schreitet festen Schrittes durch die ganze Kirche bis zum Altar. Alle Blicke wenden sich ihm zu. Es entsteht ein Raunen in der Kirche. Der eine Gendarm macht Miene, ihn gleich zu verhaften, der Michel flüstert ihm zu: „Später! Hernach!“ Der Sepp kniet vor dem Altar nieder und nun wird er auch von Hell entdeckt, der ihn anschaut, als wolle er sagen „Bist also doch wiedergekommen.“ BN

10

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ÖLA 84/ SL 21, Bl. 31

15. Nach dem Seelenamt nähert sich der Sepp vor der Kirche den Gendarmen und bittet sie, ihn zu verhaften. Er zieht nun auch öffentlich alle seine Beschuldigungen gegen den Pfarrer zurück und erklärt, Hell hätte ihm den Weg zum Guten gewiesen. Die Gemeinde ist von diesem Geständnis stark beeindruckt. B

N

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16. Als Hell nach Hause kommt, sieht er Michel und Anna im Garten sitzen. Als Anna ihn erblickt, lässt sie Michel allein und tritt auf Hell zu und erklärt ihm, sie müsse ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er führt sie in das Pfarrzimmer. „Ich habe dir zugelobt“, sagt sie, „dass ich dir treu diene und ich meine zu Gott, ich kann dir nicht treuer dienen, als wenn ich jetzt gehe, und so geh, wie du mich da siehst, für 얍 immer aus dem Pfarrhof, hinaus auf den Lebensweg“ - - - „Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine“, nickt ihr Hell zu, „du bist mir wenigstens echt geblieben. Geh denn mit Gott!“ Nun bittet Anna ihn, dass er selbst sie vorm Altar traue, er solle ihnen keinen andern schicken. „Und zeige mir, dass du zufrieden mit mir bist“, bittet sie ihn noch, „und sage mir auch jetzt zum letzten die lieben Worte, die du mir zum ersten gesagt hast, wie du mich aufgenommen hast bei dir, sage mir, dass ich auch da recht gedacht habe und brav.“ „Recht und brav“, lächelt Hell erschüttert. BN

B

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N

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17. Durch dieses Opfer, das Anna dem Hell gebracht hat, hat sie ihn vor seiner Gemeinde gerettet. Die Kirchfelder hängen nun wieder mit einer schwärmerischen Liebe an ihrem Pfarrer. Die Hochzeit Michels und Annas wird sozusagen zu einem Volksfest. Das ganze Dorf beteiligt sich an ihr, ja, sogar von benachbarten Dörfern kommen Besuche und auch die Kollegen Michels sind zahlreich vertreten. Hell und Anna leiden unter der B

6 16 26 27 27 40

] GendarmenN ] BN] BLebensweg“N ] BdeineN ] BAnnasN ] BN B

N

gestrichen: und korrigiert aus: Gebdarmen gestrichen: immer korrigiert aus: Lebensweg korrigiert aus: Deine korrigiert aus: Anna

359

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 32

Fassung Der Pfarrer von Kirchfeld

RF10/TS6 (Korrekturschicht)

lärmenden Freude. Anna, da sie Hell noch immer 얍 liebt, und Hell, der es weiss, dass Anna für ihn ein Opfer gebracht hat. Nun knien Michel und Anna vor dem Altar und über ihnen steht der Pfarrer, der sie zusammengibt. Einmal noch treffen sich Hell‘s und Anna‘s Augen und aus seinem gütig-lächelnden Blick schöpft sie neue Kraft und es wird ihr bewusst, dass sie beide den „dritten“ Weg gehen, den Weg des Leidens zur Pflicht. BN

5

Lesetext

B

1 5 5

] beideN ] BWegN ] BN B

gestrichen: liebt korrigiert aus: beiden korrigiert aus: weg

360

N

B

N

ÖLA 84/ SL 21, Bl. 33

Lesetext

Revue

361

Lesetext

362

Lesetext

R: Magazin des Glücks

363

Lesetext

364

Lesetext

Konzeption 1: Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle

365

Strukturplan in drei Teilen, Werktitel

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 11

366

Strukturplan in drei Teilen, Werktitel

R/K1/E1–E2

367

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 15

368

Strukturpläne

R/K1/E3–E4

369

Lesetext

Strukturpläne, Notiz

ÖLA 3/W 362 – o. BS,Lesetext Bl. 14v

370

Strukturpläne, Notiz

R/K1/E5–E7

371

Lesetext

Strukturplan in sieben Szenen

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 19

372

Strukturplan in sieben Szenen

R/K1/E8

373

Lesetext

Strukturplan in sieben Szenen (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 20

374

Strukturplan in sieben Szenen (Fortsetzung)

R/K1/E8

375

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 22

376

Strukturpläne

R/K1/E9–E12

377

Lesetext

Strukturpläne, Bühnenskizze

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 23

378

Strukturpläne, Bühnenskizze

R/K1/E13–E16

379

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 24

380

Strukturpläne

R/K1/E17–E20

381

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 25

382

Strukturpläne

R/K1/E21–E22

383

Lesetext

Strukturplan in fünf Szenen (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 26

384

Strukturplan in fünf Szenen (Fortsetzung)

R/K1/E22

385

Lesetext

Strukturplan, Figurenliste, Dialogskizze

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 28

386

Strukturplan, Figurenliste, Dialogskizze

R/K1/E23–E25

387

Lesetext

Strukturplan in sechs Teilen

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 29

388

Strukturplan in sechs Teilen

R/K1/E26

389

Lesetext

Strukturplan in acht Bildern

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 30

390

Strukturplan in acht Bildern

R/K1/E27

391

Lesetext

Strukturplan in acht Bildern (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 31

392

Strukturplan in acht Bildern (Fortsetzung)

R/K1/E27

393

Lesetext

Strukturplan in drei Bildern

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 32

394

Strukturplan in drei Bildern

R/K1/E28

395

Lesetext

Notiz zum 9. Bild „Nordpol“

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 36

396

Notiz zum 9. Bild „Nordpol“

R/K1/E29

397

Lesetext

Notizen zum 8. Bild, Strukturplan in acht Bildern

398

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 37

Notizen zum 8. Bild, Strukturplan in acht Bildern

399

R/K1/E30–E31

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 362 – o. BS, Lesetext Bl. 38

400

Strukturpläne

R/K1/E32–E33

401

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 318 – BS 48 [2], Lesetext Bl. 1

402

Strukturpläne

R/K1/E34–E36

403

Lesetext

Fragmentarische Fassung

R/K1/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 Der Geldmensch will das Lokal mal incognito zuerst kennen lernen. Er BtrifftN die verzweifelte Lotte und löst sie aus -- vom Nordpol.

Das Konsortium. D IREKTOR (zum Reithofer) Wir haben Dich nochmals hierherbitten lassen -- denn Du weisst auch eine Schweinerei von mir -- Du könntest uns und Dir helfen. Markiere heute den reichen Mann, wir zeigen Dir alles -- der Geldmensch ist da, aber incognito. Wenn er erfährt, dass Du der bist, dann wird er schärfer auf das Geschäft. E R (willigt ein) E R Was kostet die Welt? E R Wieviel Hypothek ist auf der Welt? Grosser Umzug. Zuerst: nach Ungarn. E R Wenn ich Geld habe, ist das schon gut. BN

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ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 1

B

N BN

N

Ungarn. Operette. Duell. 20

Nach Paris. In Paris . Grosser Tanz. Montmartre. Da sitzt bereits die Berlinerin und der Geldmensch. Die Berlinerin möchte nachhause -- er hat aber die Garderobemarken. Er erscheint als grosser Herr und Lebemann. G ELDMENSCH Wer ist das? D IREKTOR Der wird das Geschäft finanzieren -L OTTE Aber das gibt es doch garnicht -- den kenn ich doch. Aufdeckung. G ELDMENSCH Das ist ein Schwindelunternehmen! Sowas finanzier ich nicht! Da finanzier ich lieber einen Krieg! Das ist etwas Ehrliches! D IREKTOR Das ist der Zusammenbruch. Gerichtsvollzieher sind schon da. Sie pfänden alles fort. B

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N

B

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N

L OTTE und E R (ab in das Paradies) -- Wir finden da nicht so bald hinaus. 얍 S IE Da drüben ist das Meer. Mondnacht auf dem Meere. Nach Spanien. Spanische Tänzerinnen. B

N

2 5 7

B

13 14 14 15 22 32 36 36

B

BN

trifftN ] ] BMarkiereN ]

korrigiert aus: trift Absatz eingefügt (1) Werde (2) Markiere

HypothekN ] Ungarn.N ] BN] BE R N ] BParisN ] BZusammenbruch.N ] BDaN ] BN]

Hypo[z]|t|hek [Paris.] |Ungarn.|

BN

B

Absatz eingefügt eingefügt korrigiert aus: Paris= korrigiert aus: Zusammenbruch= korrigiert aus: da Absatz eingefügt

404

ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 2

Fragmentarische Fassung

R/K1/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Die kleine österreichische Lüge. Unverständnis der Preussin . Wahrheitssuche. Stierkämpfer. Ueber den Stierkampf. Der Torero . Matador. Sie für die Tapferkeit, er für den Stier. -- Sie geht mit dem Matador. B

B

5

N

N

E R Ich geh nach Wien. Wien in Reparatur. (Gespräch über die Preussen) Er lässt es sich nicht gefallen, dass Wien in Reparatur ist -- und beschwert sich: möchte sein Geld zurückhaben. Erkennt den Geschäftsführer. E R Wie kommst Du her? G ESCHÄFTSFÜHRER Pst! Ich bin kein Wiener! Ich bin aus Chikago. E R Ich hab genau so die Schul besucht und war Kellner und jetzt bist Du hier Direktor. D IREKTOR Glück muss man haben. Ich weiss durch glücklichen Zufall eine grosse Schweinerei, von der leb ich -- von der Schweinerei der Anderen nämlich. Das Geld kann ich Dir leider nichtmehr herausgeben -E R Ich pass nichtmehr in die Zeit. D IREKTOR Du kannst bei uns auch in die Zeit zurückfahren. Biedermeier --- das bleichsüchtige Mädchen am Klavier. (Zusammenstoss mit Familie) (Absolute Autorität des Vaters) Ritter Alte Germanen. B

10

B

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N BN

BN

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BN

B

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N B

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B B

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N

B

N BN N

Lotte reist mit dem Matador inzwischen nach Chikago. Gangster. Maschinengewehre. Mord. --- Sie reisen weiter nach dem Nordpol. Matador nähert sich ihr, nützt die Kälte aus. S IE Nein, danke. Jetzt bin ich müde. Ich möchte nachhaus. Bekommt nun die Rechnung vom Matador. Wird ihr die Rechnung überreicht. Sie wird nicht aus dem Hause gelassen. Sie ist ganz verzweifelt. B

BN

30

1 2 9 9 10 10 11 13 14 14 16 17 20 20 20 21 26 27

PreussinN ] Der ToreroN ] BGeschäftsführer.N ] BN] BE R N ] BN] BN] BN] BglücklichenN ] BZufallN ] BN] BN] B(ZusammenstossN ] BFamilie)N ] BN] B(Absolute f Vaters)N ] Bihr,N ] BN] B B

korrigiert aus: reussin korrigiert aus: DerTorrero korrigiert aus: Geschäftsführer: Absatz eingefügt korrigiert aus: IE R Absatz eingefügt Absatz eingefügt Absatz eingefügt korrigiert aus: Glücklichen korrigiert aus: Zfall Absatz eingefügt Absatz eingefügt

\(/Zusammenstoss Familie\)/ [Duell.] \(Absolute f Vaters)/ korrigiert aus: ihr., Absatz eingefügt

405

N

Fragmentarische Fassung

5

10

R/K1/TS1 (Korrekturschicht)

얍 Im Paradies. Der Sündenfall. Die Tiere reden über den Krieg. D ER L ÖWE Krieg ist. B N D ER T IGER Die Leut sind so BdummN. Gerichtsvollzieher pfänden das Paradies. Ende: E R und L OTTE Und wenn wir das Paradies auch überwunden haben -- schön wars im Paradies, leben wir von der gemeinsamen Erinnerung.

Ballett der Ochsen und Kühe. der Hirsche und Löwen. B

(die gefangene Mücke) 15

Lesetext

sie bittet um ihr Leben

N

\Abbruch der Bearbeitung\

4 5 10–15

] dummN ] BBallett f LebenN ] BN B

Absatz eingefügt korrigiert aus: ddumm

\Ballett f Leben/

406

ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 3

Fragmentarische Fassung

R/K1/TS2 (Grundschicht)

Lesetext

얍 B Sinn und Ziel der Gründung.N Das Etablissement die Erde ist pleite, wenn der Geldmensch -- die einzige Hoffnung. Die Gründer und Geschäftsführer machen sich gegenseitig heftigste Vorwürfe, man hätte eventuell etwas anderes gründen sollen, wie diese Erde, und dergl. 5 Der Geldmensch wird sehnsüchtigst erwartet. Er ist ein Mensch, der einzige, der noch Geld hat -- der die Erde noch sanieren könnte. Er hat das Geld ererbt, finanziert Kriege und interessiert sich für die bildenden Künste.

10

Zur Zeit soll er sich eben entscheiden, ob er die Erde sanieren soll oder einen Krieg finanzieren, eine Revolution in Amerika -- eine todsichere Chance. Von all diesen Dingen weiss noch niemand etwas weder die Angstellten der Erde, noch die einzelnen Ressorts -- nur ein Geschäftsführer, ein alter Jud, der riecht etwas, wittert Unheil. Die Geschäftsführer von den verschiedenen Ländern erstatten Bericht. B

N

BN

B

N

15

Abends Ausgang des Liebespaares . Reithofer und Lotte. Sie sind noch per Sie. Er über seine Ankunft in Berlin -- jetzt gehts ihm schon gut. Sie betreten die Erde. L OTTE Wir sind ja nicht verlobt. Fahren nach Ägypten . Sphinx. Wahrsagereien: Sie werden ein glückliches Paar. Sie glaubt nichts, er auch nichts, trotzdem glaubt er vielleicht -- weil das Glauben ist doch ganz schön. Sie ist sehr für die Wahrheit. P AAR (ab) W AHRS Sie hat es an der Leber. W AHRSAGER Und er an der Milz. D IREKTOR DER A BT. A FRIKA Ist das wahr, dass die Sphinx wackelt? Warum wird mir das nicht sofort gemeldet? Es ist verboten in der Sphinx zu rauchen! B

N

B

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N BN

B

N

BN

BN

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B

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N

Italien. Südsehnsucht. Reithofer ist weniger dafür. Er mag den blauen Himmel nicht, ohne Wolken. Das ist so unecht. Und die Palazzos. Neapel. Vesus. Ausbruch des Vesuv für zehn Pfennig extra. Ihn interessiert das weniger. Gespräch über die Kleinheit der Menschen -- erster Kuss als Folge. B

\Textverlust\

1 10 11 12 16 19 19 20 23 24 26 30

B

\Sinn f Gründung./

B

Sinn f Gründung.N ] todsichereN BN] Bnoch dieN ] BLiebespaaresN ] BL OTTE f verlobt.N ] BN] BÄgyptenN ] BN] BN] BD IREKTOR DER N ] BblauenN ]

korrigiert aus: totsichere Absatz getilgt korrigiert aus: noch die korrigiert aus: Liebespares

\L OTTE f verlobt./ gestrichen: \W AHRS In den Sternen/ korrigiert aus: Agypten Absatz eingefügt Absatz eingefügt korrigiert aus: D IREKTOR [:] D ER (1) b[l] a n (2) blauen

||

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407

N

ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 4

Fragmentarische Fassung in neun Teilen

R/K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B Personen: Reithofer Lotte Geldmensch 5 Prinzessin Direktor.N

10

I. Strasse vor dem Etablissement. Hauptportal. Autos fahren vor, elegante Welt. Portier. Eingang für Personal und Eingang für Lieferanten . Rechts Telefonzelle. Bettler. Reithofer, ein stellungsloser Kellner kommt -- er begleitet seine Braut, die als Tellerputzerin in der Küche des Etablissements beschäftigt ist, an ihre Arbeitsstelle. Er ist melancholisch, weil er keine Arbeit hat, und beschäftigt sich mit allerhand Plänen, Geld zu verdienen -- auf allerhand Weise. Er ist überzeugt, dass wenn seine Garderobe in Ordnung wäre, er noch eine Karriere machen könnte. Seine Braut (Lotte), geht auf seine Verstimmtheit nur sehr ungern ein -- sie trennen sich mit leisem Krach. Er möchte ihr nach, um sie zu reden, da fährt die Prinzessin vor – er ist fasziniert, überlegt es sich und will nun der Prinzessin nach, wird aber nirgends, bei keiner Türe, eingelassen. Versucht sich immer wieder einzuschmuggeln und wird immer wieder herausgeworfen. Endlich erscheint sein Glück: ein Herr in Frack -- der ihn bittet, seine Kleidung mit ihm in der Telefonzelle wechseln zu dürfen -- es drehe sich um eine Wette. Es dreht sich aber um keine Wette, sondern der Herr ist ein Hochstapler, der einer älteren Dame beim Tanzen die Brillantohrringe aus den Ohren gebissen hat. Die ältere Dame erscheint nun auch in der Türe und schreit nach ihren Brillanten und der Polizei. Die Direktoren des Hauses erscheinen, Ueberfallkommando. Man untersucht auch die Telefonzelle -- der Dieb ist aber bereits in Reithofers Kleidern fort. Reithofer erscheint im Frack und wird nun ohne weiteres ohne jedem Verdacht in das Etablissement eingelassen. B

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ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 5

N

B

N

B

N

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B

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B

N

N

\Textverlust\ 35

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얍 V. In der Küche. Der Geldmensch incognito beim Tellerputzen. Lotte bekommt einen Riesenkrach von Oberkoch wegen des Staubes auf dem Teller der Prinzessin. Der Geldmensch versteht nichts vom Tellerputzen und zerbricht einige, nach und nach. Wird immer schärfer angefahren, es wird ihm gekündigt, er wird schadenersatzpflichtig gemacht, fristlos entlassen, usw --- da zerschlägt er zu Fleiss aus Wut 1–6 11 20 20–21 21 27

B

\Personen: f Direktor./

B

Personen: f Direktor.N ] LieferantenN ] BErN ] Breden f nach,N ] BaberN ] BBrillantohrringeN ]

korrigiert aus: Liferanten

[Er] |Er| reden\,/ [aber er] |da f nach,| \aber/ korrigiert aus: Brillantorringe

408

ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 6

Fragmentarische Fassung in neun Teilen

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25

35

VI. In der Südsee. Prinzessin und Reithofer verstehen sich bereits recht gut. Er hat sämtliche Nebenbuhler erledigt. Auch der Geldmensch und Lotte erscheinen. Er nähert sich ihr und sie verspricht es ihm, es sich noch zu überlegen. Während sie es sich aber nun überlegt, erblickt sie die Prinzessin und Reithofer. Krach. Lotte demaskiert Reithofer, der sich der Prinzessin gegenüber als ein leicht vertrottelter Aristokrat aufgespielt hatte. Prinzessin wird es schwindlig, Geldmensch bemüht sich um sie. Reithofer flieht. Lotte will dem Geldmenschen auseinandersetzen, dass sie es sich nun überlegt 얍 hätte, und zwar im positivem Sinne -- aber der Geldmensch hört kaum hin, er bemüht sich nur um die Prinzessin. (Direktor) Lotte allein. N

VII. Nordpol. Reithofer ist bereits durch verschiedene Länder geflohen -- hier am Nordpol erreicht ihn aber nun sein Schicksal. Er wird durch den Direktor verhaftet. Erkennt ihn und avanciert. Feierliche Einsetzung Reithofers als Rayonchef der Abt. Rhein – fast eine Krönung. Am Rhein. Mit Loreley. Prinzessin lauscht dem Gesange der Loreley und ist {entzückt} und {beglückt}, dies alles sanieren zu können. B

B

N

N

B

40

Lesetext

eine Menge Teller. Nun soll er aber gleich verhaftet werden, wegen einer Unmasse von Paragraphen. Polizei erscheint. Niemand tritt für ihn ein, nur Lotte. Aus Gerechtigkeitsgefühl und aus Wut über den Staub von zuvor. Geldmensch ist gerührt und gibt sich zu erkennen. Sofort ist es aus mit der Verhaftung. Er tritt an Lotte heran, mit der Frage, ob sie mit ihm eine Reise unternehmen möchte. Wohin sie will. Sie will in die Südsee.

B

30

R/K1/TS3 (Korrekturschicht)

N

VIII. Reithofer wird in sein neues Reich eingeführt. Grosser Empfang. Krönung. 26 35–36 35 37–40

(Direktor)N ] Feierliche f Krönung.N ] BEinsetzungN ] BAm f können.N ] B B

\(Direktor)/ \Feierliche f Krönung./ [Einfü] |Einsetzung| \Am f können./

409

ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 7

Fragmentarische Fassung in neun Teilen

R/K1/TS3 (Korrekturschicht)

Er trifft Lotte, die unter den Menschen auf der Strasse steht. Er kennt sie kaum mehr, vor lauter Stolz. Lotte möchte fort von dieser Welt. Inzwischen bekommt der Geldmensch durch seinen Sekretär die Nachricht, dass er sich verkalkuliert hat: würde er einen Krieg finanzieren, würde er um vier Mark 30 mehr verdienen. Sofort entschliesst sich der Geldmensch, den Krieg zu finanzieren -und nichts bringt ihn davon ab. Auch die Prinzessin natürlich nicht. Das Etablissement ist nun pleite. Die Gerichtsvollzieher kommen und bauen die Häuser ab -- den Palast und alles. In dem einen Palast steht auch Reithofer, der von seinem jähen Sturze hört. Auch er möchte nun fort von dieser Welt. B

5

Lesetext

N

BN

B

10

N

\Textverlust\

15

얍 IX. Paradies. Lotte zuerst --- dann Reithofer. Sie reden mit den Tieren. Baum der Erkenntnis. Sie finden sich wieder -- da erscheint der Gerichtsvollzieher und pfändet das ganze Paradies weg. Trotzdem bleiben sie beinander.

20

Ende.

2 8 9

B

\Lotte f Welt./

B

Lotte f Welt.N ] denN ] BjähenN ]

gestrichen: den korrigiert aus: jehen

410

ÖLA 3/W 318 – BS 48 [2], Bl. 1v

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)



5

10

Lesetext

Personen

ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 1

Reithofer, ein arbeitsloser Kellner aus Oesterreich Lotte, ein Mädchen mit Beruf aus Berlin Direktor Vizedirektor Prinzessin Nebenpersonen ------------1. Bild Strasse vor dem Etablissement - Hauptportal und Eingang für Personal und Lieferanten. Eine Telefonzelle BN

15

Autoauffahrt

20

Reithofer versucht, durch das Oeffnen der Autotüren einige Pfennige zu verdienen, geht aber öfters leer aus. Er ist melancholisch und beschäftigt sich mit allerhand Plänen betreffs seiner Zukunft und ist überzeugt, dass wenn seine Garderobe in Ordnung wäre, er noch eine ziemliche Karriere machen könnte. Nun fährt die Prinzessin vor und wird vor dem Hauptportal gross empfangen. Reithofer öffnete die Türe ihres Wagens , sie schwebte aber nur an ihm vorbei. Trotzdem ist er fasziniert von ihr und versucht nun , nachdem die Prinzessin im Etablissement verschwunden ist, ihr durch das Hauptportal zu folgen, wird aber vom Portier zurückgewiesen . B

N

B

25

N

B

N

30

Jetzt versucht er es, bei dem Eingang für Personal und Lieferanten, wird aber dort ebenfalls zurückgewiesen und zwar durch Lotte, die in dem Etablissement als Tellerputzerin beschäftigt ist. Da erscheint ein Herr im Frack im Hauptportal und macht einen etwas unsicheren Eindruck. Er entdeckt Reithofer und bittet ihn, seine Kleidung mit ihm in der Telefonzelle wechseln zu dürfen - es drehe sich um eine Wette. Reithofer willigt natürlich ein, denn er sieht nun die Gelegenheit, mit Hilfe des Fracks das Etablissement betreten zu können. B

35

40

N

Es drehte sich aber um keine Wette, sondern: der Herr ist ein internationaler Hochstapler, der soeben einer älteren Dame beim Tanzen die Brillantohrringe aus den Ohren gebissen hat. Die ältere Dame erscheint nun auch höchst erregt im Hauptportal und schreit nach ihren Brillanten und der Polizei, aber der Herr hatte die Telefonzelle in Reithofers Kleidern bereits verlassen. B

11 23 24 25–26 32 42

] WagensN ] BnunN ] BzurückgewiesenN ] Berscheint einN ] Bverlassen.N ] BN B

N

Absatz eingefügt korrigiert aus: wagens

[{wirk}] |nun| korrigiert aus: zurückgewisen korrigiert aus: erschei[t]|n|tein korrigiert aus: verlasssn[n]|.|

411

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

Auf das Geschrei hin erscheinen die Direktoren des Hauses und das Ueberfallkommando. Alles wird untersucht - auch die Telefonzelle. Reithofer erscheint nun im Frack und kann unbehelligt und ohne den Schatten jeglichen Verdachtes das Etablissement durch das Hauptportal betreten. 5

얍 2. Bild B N B SitzungN der Direktoren des Etablissements.

10

ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 2

Der Direktor eröffnet die Sitzung mit der Nachricht, dass das Etablissement pleite ist. Nur ein einziger Geldmensch könnte es noch sanieren und dieser Geldmensch ist die Prinzessin. Dann nimmt das Direktorium den Bericht der einzelnen Abteilungsleiter entgegen. (Inzwischen erhält der Direktor auch die Nachricht, dass die Prinzessin das Etablissement bereits feierlich betreten hat). B

15

20

25

N

Empfang der Prinzessin durch die Direktoren. Die Prinzessin erklärt, dass sie das Etablissement gerne sanieren würde; sie müsste es aber zuerst kennen lernen. Sie hätte die Möglichkeit, unter gleich günstigen Bedingungen einen Krieg zu finanzieren und sie wisse also nun noch nicht, zu was sie sich entscheiden solle. Der Direktor gibt der Prinzessin als Begleiter den Vizedirektor mit - die Prinzessin rauscht ab und der Direktor bespricht nun mit den Seinen einen gross angelegten Plan, mit dessen Hilfe er die Prinzessin in die richtige Stimmung versetzen möchte, um es mit absoluter Sicherheit zu erreichen, dass sie sein Etablissement irgend einem Krieg vorzieht. Der Plan besteht darin, die Prinzessin in der Abteilung „Neapel“ mit Hilfe des gesamten Personals in eine gefährliche Situation zu bringen, damit der Direktor selbst Gelegenheit hat, als rettender Engel aufzutreten. B

B

N

N

B

N

3. Bild Abteilung „ Neapel“. Im Hintergrund der Vesuv. BN

30

B

N

Der Direktor probiert die Szene mit dem Personal. Er überprüft auch noch einmal den Vesuv, ob der Ausbruch auch richtig funktioniert. B

35

N

Der Plan besteht darin, den Vesuv ausbrechen zu lassen, um die Prinzessin im letzten Moment aus einer durch das Erdbeben zerstörten Osteria zu retten. B

N

BN

6 7 14 20 25 25 29 30 32 35 36

] SitzungN ] BdassN ] BentscheidenN ] BdieN ] Bder f „Neapel“N ] BN] BNeapel“. ImN ] BSzeneN ] BVesuvN ] BN] BN

Absatz eingefügt

B

Si[z]|t|zung korrigiert aus: -dass

entsche[d]|i|den d[er]|ie| [den { }] |der f „Neapel“| Absatz eingefügt korrigiert aus: Neapel“. Im

Szene[{n}] Ve[u]|s|uv [Di]

412

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

Dieser Plan wird gestört durch Reithofer, der der Prinzessin nachgeschlichen ist, dem Direktor zuvorkommt und als rettender Engel auftritt. Die Prinzessin ist erfüllt von Dankbarkeit. 5

Sehr bald nach ihrem Erwachen aus der Ohnmacht äussert sie Hungergefühle und wünscht mit ihrem Retter - Reithofer - zu soupieren. Dabei entdeckt sie einen winzigen Schmutzfleck auf ihrem Teller. Sie beschwert sich erregt - Lotte, die Tellerputzerin, wird aus der Küche herbeizitiert und soll die Prinzessin persönlich um Verzeihung bitten. Trotzdem soll sie nun wegen dieses Schmutzfleckes fristlos entlassen werden. Reithofer ergreift aber ihre Partei und die Entlassung wird zurückgenommen. Die Prinzessin ist über das warme Eintreten Reithofers für Lotte indigniert und lässt ihn stehen. B

B

10

N

B

N

N

Der Vizedirektor entschliesst sich, mal in der Küche richtig nach dem Rechten zu sehen, und zwar incognito. 15

4. Bild In der Küche BN

20

25

Hier wird für alle Nationen gekocht. Die Köche geraten in Streit, da der Inhalt der Töpfe etwas durcheinander geraten ist und hierdurch die Selbständigkeit der einzelnen Nationen gefährdet erscheint. Lotte steht nun wieder auf ihrem Platz als Tellerputzerin neben dem Vizedirektor, der sich maskiert und verkleidet hat und ebenfalls als Tellerputzer fungiert. Dabei passiert ihm das Unglück, einen Teller 얍 zu zerbrechen. Er wird ernstlich verwarnt (vom Oberkoch), wird dadurch nervös, zerbricht abermals einen Teller, wird fristlos entlassen, gerät in Wut und zerbricht zu Fleiss einen Haufen Teller. Nun soll er verhaftet werden und niemand ergreift seine Partei ausser Lotte. Er gibt sich zu erkennen und ist tief gerührt über die menschlichen Qualitäten Lottes und beschliesst, ihr zum Dank für diesen Abend so ziemlich jeden Wunsch zu erfüllen. Er kleidet sie elegant und erfüllt ihren Wunsch, mit ihr nach Amerika zu reisen. B

N

30

5. Bild Nachtklub in Amerika. Im Parterre Sporthalle, im I. Stock Tanzgelegenheit. BN

B

35

N

Der Direktor inszeniert seinen neuen Plan betreffs der Prinzessin (denn es ist ihm bereits seit Anfang bekannt, dass die Prinzessin an einer ausserordentlichen Todesfurcht leidet). Er beschliesst, einen Raubüberfall markieren zu lassen. Mit ihm wieder als rettendem Engel. Aber auch diese Sache missglückt ihm abermals durch Reithofer, der der Prinzessin nachläuft und ständig eine Aussprache mit ihr wegen B

N

B

B

B

5 5 8 16 20 31 32 35–36 36 37 38

N

N

OhnmachtN ] Hungergefühle undN ] Baus f herbeizitiertN ] BN] BSelbständigkeitN ] BN] BAmerika. ImN ] BTodesfurchtN ] BMit ihmN ] BrettendemN ] BReithofer,N ] B B

korrigiert aus: Ohmacht korrigiert aus: Hungergefühle.und

[herb] |aus f herbeizi[z]|t|iert| Absatz eingefügt korrigiert aus: Selbsständigkeit Absatz eingefügt korrigiert aus: Amerika. Im

Todes[s]|f|urcht [Er] |Mit ihm| korrigiert aus: rettenden korrigiert aus: Reithofer ,

413

N

ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 3

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

des Vorfalles in Neapel sucht. Die Prinzessin will aber nichts mehr von ihm wissen. Trotz ihrer Errettung.

5

In diesem Nachtclub taucht auch der Vizedirektor mit Lotte auf. Lotte erkennt Reithofer, lässt den Vizedirektor, der sich immer wieder kosmetisch behandeln lässt, stehen und läuft nun Reithofer nach, der eigentlich nichts von ihr wissen will. 6. Bild Südsee.

BN

10

Zum letzten Mal versucht nun der bereits leise verzweifelte Direktor, seinen Plan zu realisieren. Die Prinzessin wird nun von Menschenfressern überfallen, gefangengenommen und soll nun gemästet und verzehrt werden . Aber wieder erscheint Reithofer und rettet sie. Die Prinzessin ist gerührt und söhnt sich mit Reithofer wieder aus und vergisst alles, was zwischen ihnen geschehen ist. Der Direktor wütend. Reithofer schlägt nun der Prinzessin vor, mit ihm nach Wien zu ziehen. B

N

B

B

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B

B

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7. Bild Wien. Der grösste Teil der Abteilung Wien befindet sich in Reparatur, nur eine kleine Vorkriegsunterabteilung ist geöffnet. Beim Heurigen in Grinzing 1912. BN

20

B

N

Reithofer und die Prinzessin verüben eine schmalzige Liebesszene. Sie beschliessen, zusammen in ein kleines Hotel zu gehen. Nun stellt es sich aber heraus, dass Reithofer die Zeche nicht zahlen kann. Er wird als Kellner entlarvt und zwar hauptsächlich durch Lotte, die mit dem Vizedirektor ebenfalls beim Heurigen sitzt und sich plötzlich erinnert, Reithofer im ersten Bild kurz gesprochen zu haben. Reithofer flieht. B

25

30

N

8. Bild Im Orient. BN

Der Direktor inszeniert hier folgendes: er lässt eine grosse Schar Wahrsager und Hellseher aufmarschieren , die der Prinzessin weissagen sollen, dass sie nur ja nicht den Krieg finanziere, 얍 da sie sonst ihr Geld verlieren würde. Sie solle unter allen Umständen das Etablissement sanieren, dann würde sich ihr Geld verdoppeln. B

N

B

N

35

8 11 11 12 13 14 14 15 18 20 23 30 33 33–34

] Zum letztenN ] BDirektor,N ] BMenschenfressernN ] Bund f werdenN ] BDieN ] Bist gerührtN ] BDirektor wütend.N ] BN] BVorkriegsunterabteilungN ] BverübenN ] BN] BScharN ] Bund f aufmarschierenN ] BN B

Absatz eingefügt korrigiert aus: Zumletzten korrigiert aus: Direktor ,

Menschen[.]|-|fressern [werden] |und f werden| [Dank] [d]|D|ie [erklärt] |ist gerührt| korrigiert aus: Direktor.wütend[v]|.| Absatz eingefügt korrigiert aus: Vorkriegunterabteilung

verübe[r]|n| Absatz eingefügt korrigiert aus: Schaar

[aufmarschier] |und f aufmarschieren|

414

ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 4

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

Reithofer auf der Flucht, verkleidet als Wahrsager, weissagt der Prinzessin das Gegenteil. Der Direktor ist verzweifelt und die Prinzessin, die occulte Neigungen hat, zeigt sich immer reservierter. BN

5

Auch Lotte und der Vizedirektor erscheinen und Reithofer weissagt den beiden, dass sie ein glückliches Paar werden würden, mit zahlreichen Kindern. Lotte stutzt und erkennt Reithofer (kraft ihres liebenden Herzens) und fährt ihm furchtbar über den Mund, dass er doch nicht derart lügen solle. 10

Reithofer muss nun abermals fliehen und Lotte zerkracht sich vollständig mit dem Vizedirektor, der über Lottes Abneigung, mit ihm zahlreiche Kinder zu zeugen, tief beleidigt ist, hauptsächlich in seiner Eitelkeit. 15

Lotte steht nun wieder allein auf der Welt. 9. Bild Am Nordpol. BN

20

Reithofer langt nun hier an nach einer abenteuerlichen Flucht durch viele Länder und weiss nicht mehr aus noch ein. (Monolog). Er versteckt sich plötzlich hinter einem Eisberg, da menschliche Wesen nahen und die nordpolhafte Stille stören. Es sind dies der Direktor, die Prinzessin und Gefolge. Der Direktor zeigt der Prinzessin als stimmungsvollen Clou seines Etablissements das Nordlicht. Die Prinzessin ist überwältigt von soviel Natur und entschliesst sich nun, das Etablissement zu sanieren. Direktor begeistert. B

N

B

B

25

N

N

Durch einen Zufall wird Reithofer entdeckt (er ist der Nordlichtmaschinerie zu nahe gekommen und hat einen Kurzschluss verursacht). Er wird festgenommen und der Vizedirektor unterzieht ihn einem Verhör. Dabei stellt es sich heraus, dass sich die Beiden schon seit der Schulbank kennen - auch der Vizedirektor ist einstens ein Kellner gewesen. Auf die erstaunte Frage Reithofers betreffs seiner schwindelnd hohen Karriere setzt ihm der Vizedirektor auseinander, dass er nur dadurch seinen Posten bekommen hat, indem er betrügerische Unkorrektheiten der anderen Direktoren erfahren hat. Reithofer erinnert sich nun plötzlich, dass er auch etwas nicht ganz Korrektes vom Vizedirektor weiss - und so muss ihm der Vizedirektor versprechen, ihn zu einem Abteilungsleiter avancieren zu lassen. Da Wien für unabsehbare Zeit in Reparatur ist, entschliesst sich Reithofer für die Abteilung „Rhein“. B

30

N

B

N

B

35

B

B

4 17 20 21 22 28 31 34 36 37

BN

[Auch Lot]

BN

] ] BabenteuerlichenN ] BErN ] BeinemN ] BNordlichtmaschinerieN ] BVizedirektorN ] Bder anderenN ] BVizedirektorN ] BDaN ]

Absatz eingefügt

abente[r]|u|erlichen korrigiert aus: Erv korrigiert aus: einen

Nordlichtmaschi[r]|n|erie Vized[o]|i|rektor [von den] |der anderen| korrigiert aus: Vize direktor korrigiert aus: Das

415

N

N

N

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

10. Bild Am Rhein. Mit Loreley BN

B

N

Die Prinzessin lauschte dem Gesange der Loreley und ist entzückt, dies alles sanieren zu können. Auch der Direktor schwelgt im Glück. Da erscheint aber der Sekretär der Prinzessin und bitte sie um Verzeihung: Er habe sich nämlich verkalkuliert und wenn die Prinzessin den Krieg und nicht das Etablissement finanzieren würde, würde sie um 4,20 M mehr verdienen. Nach einem kurzen seelischen Kampfe entschliesst sich die Prinzessin für den Krieg. Direktor ist ausser sich und möchte zu irgend einem Fenster hinausspringen. 얍 Feierliche Einsetzung Reithofers als Rayon-Chef der Abteilung Rhein - fast eine Krönung. Unter dem Spalier bildenden Publikum steht auch Lotte, an der er aber stolz vorüberzieht. Jetzt will er sie überhaupt gar nicht mehr kennen und Lotte möchte fort von dieser Welt. Sie erkundigt sich nach der Abteilung Paradies . B

5

N

B

N

B

B

10

N

B

N B

N

B

N

N

B

B

N

B

N

N

B

N

15

Mitten in der feierlichen Zeremonie platzt die Bombe: Die Prinzessin saniert den Krieg, das Etablissement ist pleite. Es erscheinen auch schon die Gerichtsvollzieher und pfänden alles weg. B

20

N

Von diesem grossen Sturze erholt sich Reithofer nicht so rasch. Es fallen ihm alle seinen Sünden ein und auch er erkundigt sich nach der Abteilung Paradies. B

N

11. Bild Im Paradies. BN

25

Lotte und Reithofer treffen sich, streiten sich unter dem Baum der Erkenntnis und finden sich wieder mit Hilfe verschiedener Vermittlungs-Aktionen der Tiere. B

N

B

N

Aber auch hier erscheint der Gerichtsvollzieher und pfändet. Das Paradies wird abmontiert - - - trotzdem bleiben Lotte und Reithofer nur erst recht beisammen. B

30

N

B

1 2 4–5 7 8 8 8 9 9 12 13 13 14 16 20 23 26 26–27 29 30

] MitN ] BsanierenN ] BPrinzessinN ] BMN ] BNach einemN ] BseelischenN ] BPrinzessinN ] Bfür denN ] BerN ] BüberhauptN ] Bkennen undN ] BParadiesN ] BBombe:N ] Bgrossen SturzeN ] BN] Bstreiten sichN ] Bund findenN ] BhierN ] BrechtN ] BN B

Absatz eingefügt korrigiert aus: mit

sanie[n]|r|en korrigiert aus: Prinzssin gemeint ist: Mark korrigiert aus: Nacheinen korrigiert aus: seelischem korrigiert aus: Prizessin korrigiert aus: fürden eingefügt

ü[v]|b|erhaupt korrigiert aus: kennen und

[Pardies] |Paradies| korrigiert aus: Bombe : korrigiert aus: [G]|g|rossen Sturze Absatz eingefügt korrigiert aus: streitensich korrigiert aus: undfinden

\hier/ \recht/

416

N

ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 5

Fassung in elf Bildern

R/K1/TS4 (Grundschicht)

Lesetext

Direktor erscheint und protestiert gegen die Pfändung. Er verspricht dem Gerichtsvollzieher zu prozessieren und zwar bis zur letzten Instanz. Es bleibt also vorläufig alles noch beim alten, bis zur Erledigung des Prozesses, dessen Ende nicht abzusehen ist. B

N

5

Ende

2

B

prozessierenN ]

[pr]prozessieren

417

Lesetext

418

Lesetext

Konzeption 2: Magazin des Glücks

419

Werktitel

ÖLA 3/W 366 – BS 25 [3], Lesetext Bl. 5

420

Werktitel

R/K2/E1

421

Lesetext

Lesetext

422

Fragm. Fassung in zwölf Bildern

R/K2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\



5

B

10

PERSONENVERZEICHNIS

ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 1

Reithofer ..................................................... Annemarie .................................................... King Atlas, Besitzer des „Magazin des Glücks“ ........ Gretel Klinke ................................................. Carl Maria Blind, der Dichter.............................. Rerebiz, der Detektiv........................................ Der Kiebitz ................................................... Der Fürst ...................................................... Die Fürstin .................................................... Zugführer und Portier ....................................... N

15



20

25

Die Stationen der Revue sind:

1. Die Auffahrt 2. Der Dressing-room 3. Das Direktionszimmer 4. Der Kindergarten 5. In Grinzing 6. Auf dem Montmartre in Paris 7. Auf Hawai 8. In Italien 9. In Grönland 10. Im Night-club in Chicago 11. Im Orient 12. Das Paradies. B

30

35

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ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 2

N

얍 Den rührigen Unternehmer Sam Klabaut, der jetzt kurz und bescheiden King Atlas genannt wurde, hatten folgende Erwägungen zur Gründung seines „Magazin des Glücks“ geführt: Die Welt ist trostlos und schlecht. Die Menschen verbringen ihre Tage in Hast, in Mühe und mit Arbeit. Und die Feiertage sind spärlich. Das Glück ist schwer zu finden. Die Welt viel zu gross und zu Bweit,N als dass jeder sie geniessen könnte. Sein Unternehmen nun, das Magazin des Glücks, sollte im kleinen der Menschheit das bieten und ersetzen, was sie auf dieser Welt ersehnte und erwünschte. In dem grossen Etablissement, in dem er Generaldirektor war, fand sich die Welt im kleinen wieder. Für ein Eintrittsgeld, das jeder ehrlich Arbeitende von seinem Einkommen ersparen konnte, bekam man eine Eintrittskarte in seine Wun-

5 27

B B

ReithoferN ] SpanienN ]

38

B

weit,N ]

korrigiert aus: Reithover (1) Spanien (2) Eintragung von fremder Hand (Stemmle): \Italien/ korrigiert aus: weit,,

423

ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 3

Fragm. Fassung in zwölf Bildern

R/K2/TS1 (Korrekturschicht)

derwelt. Hier war in verschiedenen Etagen Italien , Orient, Grönland, Paris, Chicago, Grinzing und das Paradies nachgebildet. Jede Etage war ein Land für sich. Man konnte sich den Sitten und Gebräuchen dieses Landes anpassen. Man konnte Speisen und Getränke dieser Länder verzehren. Man konnte auf ein paar Stunden die Sorgen der Umwelt vergessen und aus der trüben Wirklichkeit in eine fantastische Umgebung versetzt werden, und wenn die auch nur aus Pappe, Technik und Schein bestand, so konnte man sich doch in diesem abwechslungsvollen Etablissement recht wohl fühlen, und wieder neuen Lebensmut bekommen. B

5

Lesetext

N

B

10

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20

N

King Atlas hatte diese kleine Welt mit viel Liebe gebaut. Das Ganze war wohldurchdacht, auf das trefflichste organisiert und mit einer liebevollen Verspieltheit für die Menschen eingerichtet, wie es eben nur ein Philantrop und seltener Menschenbeglücker, wie 얍 King Atlas einer war, erfinden und durchführen konnte. Die Aussenwelt anerkannte umsomehr das Unternehmen King Atlas’, da er aus kleinen Verhältnissen, aus armseliger Umgebung eines Hinterhauses sich zum Besitzer dieses prachtvollen Etablissements heraufgearbeitet hatte, und das darum nur so prunkvoll und prächtig sein konnte, weil er auch die Schattenseiten dieser Welt kannte. Die Oeffentlichkeit wusste aber nicht, dass er die grossen Summen zu diesem Magazin des Glücks auf dem Wege einer Erbschaft erhalten hatte, der nicht ganz übersichtlich und klar genug war, um behaupten zu können, dass dieses Geld ihm zu Recht gehörte. Eine Verwandte von ihm hatte durch diesen Erbschaftsprozess fast ihr ganzes Vermögen verloren. Da aber King Atlas nur auf das Wohl der Menschheit bedacht war, hatte er dieses Mädchen in seinem Unternehmen angestellt. Annemarie hatte alles aufgegeben und war nun eine „Angestellte“ in diesem Unternehmen. B

B

N

B

ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 4

N

N

25

An einem Abend geschah in diesem Magazin des Glücks etwas Besonderes , das die Geschichte zu unserer Revue lieferte. B

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N

Wie jeden Abend fuhren die Gäste mit ihren Wagen vor der Auffahrt des Glücksmagazins vor. Fremde und sorgenvolle Leute, die für ein paar Stunden den Alltag vergessen wollten, strömten herein. Gleich rechts neben dem Eingang befand sich ein Dressing-Room, in dem alle Besucher für diese glücklichen Stunden vorbereitet wurden. Im grossen amerikanischen Stil waren hier Gelegenheiten gegeben worden, dass man sich vollständig restaurieren konnte. Nicht nur gebadet, frisiert, manikürt und massiert konnte man werden. Die zahlreichen Angestellten dieser Abteilung erfrischten auch die Besucher mit optimistischen Gesprächen und als Psychoanalytiker nahmen sie ihnen die Sorgen für ein paar Stunden ab und machten 얍 ihnen Mut und Hoffnung. Nicht nur für den Besuch des Magazin des Glücks. Unter diesen Angestellten befand sich auch ein junger Mann, der aus Wien zugewandert war und der durch eine Vermittlung, über die seine Kollegen nichts Näheres wussten, in dieser Abteilung für Vorbereitung eingestellt worden war. 1 7

B

15 24 24 26

B

B

ItalienN ] Etablissement rechtN ]

BesitzerN ] aufgegebenN ] B„Angestellte“N ] BBesonderesN ] B

|

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Eintragung von fremder Hand (Stemmle): [Spanien] Italien korrigiert aus: Etablissement recht unregelmäßige Zeichenabstände werden in R/K2/TS1 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis. korrigiert aus: Besitzers korrigiert aus: aufgeben Eintragung von fremder Hand (Stemmle): \„/Angestellte\“/ Eintragung von fremder Hand (Stemmle): [b] B esonder\e/s

| |

424

ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 5

Fragm. Fassung in zwölf Bildern

R/K2/TS1 (Korrekturschicht)

In dem grossen Sitzungssaal der Direktionsabteilung war eine grosse Versammlung. King Atlas führte mit der Souveränität eines kleinen lieben Gottes den Vorsitz. Die Teilnehmer an dieser Konferenz waren bunt und international zusammengewürfelt. Neben dem gemütlichen Wiener Fiaker sass ein Chinese. Neben den Orientalen ein Neger, der Spanier neben dem Indianer. Auf den ersten Blick machte das Ganze den Eindruck einer internationalen Weltkonferenz. Zumal der Chinese sich auch beschwerte, dass die Leute in China unzufrieden seien, kurzerhand nach Hawai auswanderten, weil es ihnen dort besser gefiele. Weil es dort angenehmer wäre zu leben. Oder der alte Wiener Herr beschwerte sich, dass Wien unbedingt modernisiert werden müsse. Die Leute hielten nichts mehr vom alten Wien und was Chicago recht, wäre Wien billig. Schliesslich merkte man aber doch, dass das Ganze nur eine Zusammenkunft der Geschäftsführer der einzelnen Unterabteilungen des Magazin des Glücks war. King Atlas entwickelte noch einmal seine strengen Geschäftsregeln und Paragraphen für die Angestellten. So sehr er für seine Gäste alles aufs Beste einzurichten wusste, wurde es den Angestellten nicht so sehr leicht und bequem gemacht. Wenn er auch alle seine Paragraphen in die Thesen von grossen kosmopolitischen Anschauungen zu kleiden versuchte, und Keplers Philosophie als Unterlage für seine Bestimmungen, die in seiner kleinen Welt durchgeführt werden sollte, gemacht hatte, war doch klar 얍 ersichtlich, dass alle Angestellten hier nichts zu lachen hatten. Der Dienst war streng und schwer. Die Bezahlung mässig und manche Bestimmungen standen mit dem Namen des Unternehmens „Magazin des Glücks“ nicht im rechten Zusammenhang. Zum Beispiel betonte er wieder, dass es aufs Strengste verboten wäre, dass männliche und weibliche Angestellte unter sich irgendwelche Verbindungen aufkommen lassen dürften. Als wichtige Neuerung in dem Betrieb gab er bekannt, dass es ihm gelungen sei, ein hochfürstliches Paar als grosse Attraktion zu gewinnen, die als illustre Gäste dem Unternehmen einen besonderen Reiz geben würden. Das Paar war für mehrere Abende verpflichtet, als Gäste zu erscheinen. Weiter sei das kleine Kind, das in der Kinderaufbewahrungsstelle, die sich neben der Auffahrt befand und wo die Mütter ihre Kinder den Kindergärtnerinnen zur Beschäftigung und Unterhaltung abgeben konnten, während sie das Magazin besuchten, noch immer nicht wieder abgeholt worden. Vor ungefähr fünf Tagen wäre es abgegeben worden, aber bis heute hätten sich die Eltern noch nicht wieder gemeldet. Selbstverständlich wäre es Pflicht, das Kind weiter zu verpflegen, bis sich die richtigen Eltern fänden. Tief empört gab er aber davon Kenntnis, dass im Paradies zwei falsche Tausendmarkscheine gewechselt wurden und beauftragte den Hausdetektiv Rerebiz, dafür zu sorgen, dass diese Täter, die seinem Prinzip: ein paar Stunden Glück für ehrlich verdientes Geld, nicht über den Haufen werfen dürften. B

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N

B

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Lesetext

N

Im Kindergarten waren eine Anzahl von Kindergärtnerinnen und Kindermädchen mit der Unterhaltung der abgegebenen Kinder beschäftigt. Puppentheater und Tierkinderzoo standen zur Verfügung. Aber den Mittelpunkt bildete das Baby, das nicht wieder abgeholt worden war. Alle kümmerten sich um dieses kleine Kind, besonders auch 얍 das Personal machte ihm Geschenke, wie die Weisen aus dem Morgenlande. Auch Reithofer , der diesen Abend freihatte, besah sich das kleine Kind und erkunB

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internationalN ] GeschäftsregelnN ] BReithoferN ] Bkleine KindN ] B B

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korrigiert aus: international, korrigiert aus: Geschäftsreglen korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: kleine/Kind

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Fragm. Fassung in zwölf Bildern

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digte sich interessiert, wie es hergekommen und was nun mit ihm geschehen würde. Gretel Klinke, ein patentes, modernes berliner Mädel, das hier als Kindermädchen angestellt war, und das speziell mit der Betreuung des elternlosen Babys beauftragt war, lernte Reithofer bei dieser Gelegenheit kennen und verliebte sich in ihn. Reithofer , der jetzt endlich einmal sich das Magazin des Glücks, in dem er angestellt war, als Privatmann ansehen wollte, hatte seinen Freund, den Dichter Carl Maria Blind, eingeladen, ihn durchgeschmuggelt und machte ihn jetzt mit Gretel Klinke bekannt, da er seine Stellung nicht gern aufgeben wollte, weil es ja verboten war, dass männliche und weibliche Angestellte irgendwelche Beziehungen untereinander unterhielten. Und so besuchte also Reithofer allein die verschiedenen Etagen und Gretel Klinke begnügte sich mit dem Dichter Blind. Die Verbindung der einzelnen Etagen stellte der kleine Train bleu her, der alle Gäste von Hawai nach Spanien, von Spanien nach China beförderte. Carl Maria Blind wurde immer von den Argusaugen des Detektiv Rerebiz überwacht und wurde vom Zugführer als blinder Passagier mitgeschmuggelt. Das fürstliche Paar fuhr auch mit diesem Zug. Und jetzt spielte sich in den verschiedenen Abteilen eine Komödie ab. Annemarie, die Verwandte des King Atlas, die auch mit dem Zug aus dienstlichen Gründen von einer Abteilung in die andere fahren musste, verliebte sich auch in Reithofer und fand diesmal mehr Entgegenkommen, als Gretel Klinke. die das mit Eifersucht bemerkte. Der Detektiv Rerebiz fand heraus, dass das fürstliche Paar 얍 garkein echtes Fürstenpaar sei, sondern die Gauner, die die falschen Tausendmarkscheine unter die Leute bringen wollten . Aber King Atlas wollte das nicht wahr haben. Er wollte es nicht glauben und fürchtete einen geschäftsschädigenden Skandal. Zumal ihm die Fürstin, die ihm sehr gut gefiel, erklärte, dass das Kind, das in seiner Kinderaufbewahrungsstelle nicht abgeholt worden sei, bestimmt aus einem anderen Fürstengeschlecht entführt worden sei und King Atlas in eine schlimme Situation kommen würde, wenn sie nicht vermittelnd gegen eine entsprechende Entschädigung das Kind zu den richtigen Eltern zurückbringen würde. Reithofer und Annemarie fanden nur selten Gelegenheit, miteinander allein zu sein und die ganze Fahrt durch das Magazin des Glücks war für sie wie eine Hochzeitsreise um die Welt. Ueberall waren sie glücklich und je höher hinauf sie fuhren, umso mehr fanden sie sich zueinander. Gretel Klinke drohte in ihrer Eifersucht, dem Chef zu verraten, dass die beiden Angestellten ein Liebesverhältnis miteinander unterhielten, was bedeuten würde, dass sie ihre Stellungen in diesem Glücksmagazin verlieren würden. Der Dichter Blind wurde als Schnorrer und blinder Passagier in dieser Welt, die ihn zu bewundernden Gesängen anregte, erkannt und er musste dem Zugführer vor jeder Weiterfahrt erst ein Gedicht aufsagen, ehe er mitfahren durfte, das im voraus das Land besinge, in das Train bleu fahren sollte. Der Zugführer, dessen Aufgabe es war, vorher immer schon die Eigenarten und Vorzüge der nächsten Etage anzukündigen, hatte mit diesen Gedichten des Carl Maria Blind einen viel stärkeren Erfolg, und sie erwieB

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R/K2/TS1 (Korrekturschicht)

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ReithoferN ] bei dieserN ] BReithoferN ] BReithoferN ] BReithoferN ] BwolltenN ] BReithoferN ] B B

korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: beidieser korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: wollte korrigiert aus: Reithover

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Fragm. Fassung in zwölf Bildern

R/K2/TS1 (Korrekturschicht)

sen sich als viel attraktiver, als die seinen nüchternen Empfehlungen. Und die Fahrt ging weiter zu den anderen Stationen. Die beiden Liebenden, Reithofer und Annemarie, entdeckten eine neue Gefahr für sich. Denn ein junger Mann, der sich Kiebitz nannte, und der schon überall durch seine stimmungsfördernde 얍 Regsamkeit aufgefallen war, entpuppte sich als ein Konkurrent für die Stelle Reithofers . Annemarie wiederum wurde ebenfalls eifersüchtig, als sie bemerken musste, wie ihr Reithofer mit Gretel Klinke Heimlichkeiten hatte, um deren Eifersucht zu beschwichtigen. Im Paradies endlich, das sich auf dem Dachgarten des Hauses befand, fand dieser seltsame Abend seinen Höhepunkt. Reithofer und Annemarie verrieten sich plötzlich, als sie hörten, dass das Kind von den Fürsten fortgeschafft werden sollte. King Atlas erfuhr zu seiner Ueberraschung, dass Annemarie ihren Freund Reithofer in den Betrieb eingeschmuggelt und ihm eine Stellung vermittelt hatte, und da sie beide jetzt in dem Betrieb tätig waren, ihr gemeinsames Kind bei der Kinderaufbewahrungsstelle „in Pflege“ gegeben hatten und es jetzt zur Aufregung des ganzen Etablissements wieder zu sich nahmen. Hierbei kam auch der Erbschaftsschwindel King Atlas‘ heraus. Gretel Klinke und der Dichter Carl Maria Blind fanden, dass sie gerade durch ihre Gegensätzlichkeit gut zueinanderpassten. Das „Fürstenpaar“ wurde festgenommen und schliesslich wurde diese kleine Welt des King Atlas, nachdem sich die richtigen Paare gefunden, zu einem wirklichen Magazin des Glücks. B

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Ende.

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seinenN ] ReithoferN ] BReithofersN ] BReithoferN ] BReithoferN ] BAtlasN ] BReithoferN ] B B

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korrigiert aus: seinn korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: Reithovers korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: Reithover korrigiert aus: Atals korrigiert aus: Reithover

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Notizen

ÖLA 3/W 263 – BS 49 Lesetext a, Bl. 9v

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Notizen

R/K2/E2

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Lesetext

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Fragm. Fassung Magazin des Glücks



R/K2/TS2 (Grundschicht)

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„M A G A Z I N D E S G L U E C K S “

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„Versuch zu einem Entwurf“ einer Revue. 5

Oedön Horváth und Robert Adolf Stemmle 22. November 1932. B

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얍 Figuren:

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Die Fürstin, Ihr Privatsekretär, Der Dichter Blind, Hofdamen und Gefolge, King Atlas, Generaldirektor des „Magazin des Glücks“, Direktor Wallburg, Reithofer, Annemarie, Der Portier und Zugführer.

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\Textverlust\



1. Bild: Auffahrt. Die Fürstin, Inhaberin des „Magazin des Glücks“, einer Illusionsfabrik, wird von ihrem Generaldirektor, King Atlas erwartet. Sie will ihr Magazin des Glücks nun endlich besichtigen, denn sie weiss nicht, was sie hat. Bevor die Fürstin erscheint, versucht Reithofer, ein Illusionserfinder, mit einem ausgearbeiteten Exposé King Atlas zu sprechen. King Atlas weist ihn ab. Er habe heute keine Zeit. Er müsse die Fürstin, die Besitzerin, empfangen und durch das Magazin führen. Reithofer erfährt durch den Portier, dass die Fürstin die Alleininhaberin ist. Dann fährt die Fürstin vor. Reithofer sieht sie und ist hingerissen, ohne jedoch die Absicht seines Besuches zu vergessen. Er kommt aber nicht, wie King Atlas ihm geraten, morgen durch den Eingang für Lieferanten, sondern er löst sich sofort eine Eintrittskarte und ist jetzt Gast des Magazins des Glücks. Er glaubt, jetzt King Atlas, eventuell sogar die Fürstin, für seine Illusionserfindung zu interessieren.

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2. Bild: Der Kongress. An dem Kongress beteiligen sich zuerst nur die Direktoren der verschiedenen Abteilungen des Magazin des Glücks . Wir lernen die Struktur, den Sinn und die Geschäftsordnung des Hauses kennen. King Atlas hofft, zum Ausbau des Magazin des Glücks und zur Erschaffung neuer Illusionen von der Fürstin eine grössere Summe zur Subvention zu bekommen. B

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HorváthN ] StemmleN ] BGlücksN ]

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korrigiert aus: Horvath

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Stemm[e]le G[k]|l|ücks

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Fragm. Fassung Magazin des Glücks

R/K2/TS2 (Grundschicht)

Jetzt kommt die Fürstin herein, lässt sich berichten und ist prinzipiell nicht abgeneigt, auf die Wünsche King Atlas‘ einzugehen, will aber vorher das Magazin des Glücks genau kennenlernen. Man bricht auf, um sie herumzuführen. Reithofer kommt und bietet King Atlas abermals seine Illusion an, verrät aber nicht, was er hat und möchte zuerst Geld sehen. King Atlas erklärt ihm, das hinge alles von der Fürstin ab.

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3. Bild: Dressing-room.

ÖLA 3/W 265 – BS 49 c, Bl. 5

Reithofer ist jetzt ein Gast und lässt sich auch genau so behandeln. Als erstes lässt er sich in dem Dressing-room auffrischen und herrichten und lernt dabei eine Angestellte kennen. Es ist Annemarie, der er sich zu nähern versucht, von ihr aber zurückgewiesen wird. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung. Reithofer beschwert sich, Annemarie wird entlassen. Jetzt tut Annemarie Reithofer leid. Er versucht sie zu trösten und steigt mit ihr in den train bleu, um mit ihr durch das Magazin des Glücks zu fahren.

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4. Bild: Hawaii . B

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Die Fürstin besichtigt mit Gefolge die glücklichen Inseln. Der Sekretär schlägt ihr dabei vor, dass es eigentlich ein gutes Geschäft wäre, diese glücklichen Inseln aufeinander zu hetzen und einen Krieg zu finanzieren, anstatt das Magazin des Glücks weiter aufzubauen. Die Fürstin zeigt sich abermals prinzipiell einverstanden und verlangt von ihm einen Kostenanschlag und eine Rentabilitätsberechnung. Der tüchtige Sekretär beauftragt den Dichter Blind, auf alle Fälle ein schneidiges Kriegslied für Hawaii zu fabrizieren. Der Dichter erklärt ihm, dass er ein Dichter sei und dazu eine Inspiration brauchte in Form eines Mädchens. Damit kann der Sekretär nicht dienen. King Atlas erscheint und erfährt die Intrige vom Krieg. Es wird ihm jetzt klar, dass man jetzt die Fürstin mit menschlicher Sympathie für das Magazin des Glücks herumkriegen müsse. Vor allen Dingen müsse man heute in allen Räumen des Magazins alle Minen springen lassen, um die Fürstin von dem Unternehmen zu bezaubern. Reithofer und Annemarie erscheinen. (Glück unter Palmen.) Mitten im Glück erklärt ihr Reithofer, er wäre noch glücklicher, wenn er seine Erfindung hier anbringen könnte. Sie fragt, was das für eine Erfindung sei. Er hüllt sich in geheimnisvolles Schweigen, worauf sie erklärte, sie hätte genug von den Palmen, sie möchte in kultiviertere Zonen. B

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5. Bild: Paris. Hier erfährt Reithofer nochmals, dass die Fürstin alles finanziert, und die geeignete Stelle ist, seine neue Illusion zu realisieren.

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Dressing-roomN ] HawaiiN ] BSekretärN ] BIntrigeN ] BmanN ] B B

Dressing-ro[m]|o|m korrigiert aus: Hwaii korrigiert aus: Sekträr korrigiert aus: Intrigue \man/

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Fragm. Fassung Magazin des Glücks

R/K2/TS2 (Grundschicht)

Lesetext

Die Fürstin sitzt am Nebentisch und Reithofer lässt Annemarie sitzen, ohne die Zeche zu begleichen. Er gerät in Komplikationen mit dem Gefolge der Fürstin, setzt sich aber durch seinen angeborenen Charme durch. Der Dichter, der noch immer kein Kriegsgedicht hat, und die Inspiration sucht, entdeckt die verlassene Annemarie, zahlt ihre Zeche, tröstet sie und hofft im Innern, dass ihm nun endlich das Kriegslied einfallen möchte, das dann die Fürstin so begeistern würde, dass sie ihr Geld für einen Krieg gäbe. B

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6. Bild: Vesuv.

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King Atlas hat inzwischen einen Plan gefasst, wie er sich bei der Fürstin in eine günstige menschliche Position hineinspielen kann. Er führt jetzt gewissermassen Regie. Sein Plan besteht darin, die Fürstin in Gefahren zu bringen, nämlich dadurch, dass er den Vesuv ausbrechen und die Erde sich dehnen lässt, worauf er die Fürstin, die von Natur aus überaus ängstlich ist und an einer unwahrscheinlichen Todesangst leidet, aus einer konstruierten Gefahr (aus einem bebenden Haus) rettet. Er hofft dann, die Sympathie der Fürstin zu gewinnen und sie so zu Dank zu verpflichten, dass sie das Magazin des Glücks wieder bevorschusst. Es kommt aber ganz anders. Reithofer rettet die Fürstin. Die Fürstin verliebt sich hierauf etwas in Reithofer. Annemarie, die Reithofer mit dem Dichter Blind gefolgt ist, wird eifersüchtig und aus Trotz hängt sie sich an den Dichter, dem hierauf sofort ein Kriegsgedicht einfällt. Es fehlt nur noch der Refrain. King Atlas ist sehr enttäuscht und schlägt der Fürstin vor, nach Chicago zu reisen, wo er bereits heimlich ein Attentat ausgeheckt hat. B

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7. Bild: Night-Club in Chicago.

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Das Bild beginnt damit, dass King Atlas mit richtigen Gangstern eine Entführung der Fürstin plant und von dem Lösegeld dann sein Magazin erneuern will. Annemarie stellt Reithofer zur Rede. Er weist sie aber ab, weil er die Fürstin weiter verfolgt, angeblich aus Liebe, in Wahrheit aber, um seine Illusion geschäftsbringend unterzubringen. Aber auch dieses Attentat King Atlas’ misslingt. Und zwar ebenfalls durch Reithofer, der gleich nach der Errettung der Fürstin seine Erfindung anbietet. Die Fürstin wird darauf stutzig und ist sehr enttäuscht über ihren Retter, dass er nicht aus Liebe, sondern aus Geschäftsprinzip sie errettet hat. Sie lässt ihn stehen. Und jetzt keimt in ihr der Gedanke, das Geld doch lieber für einen Krieg zu geben. Annemarie und der Dichter kommen. Annemarie wird nun Zeuge der Szene, wie die Fürstin Reithofer stehen lässt. Sie mimt nun die Unnahbare Reithofer gegenüber und geht mit dem Dichter, um sich an Reithofer zu rächen. Das Kriegslied gefällt der B

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Reithofer lässtN ] KriegsgedichtN ] BGefahrenN ] Bzu gewinnenN ] BChicagoN ] BerneuernN ] BangeblichN ] BErrettungN ] BderN ] B B

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korrigiert aus: Reithofer,lässt korrigiert aus: Kriegsgedich

Ge[a]fahren zu\ /gewinnen Ch[a]|i|cago er[r]|n|e[i]|u|[t]ern angeblic[j]|h| korrigiert aus: E[r]|r|ettung de[e]|r|

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Fragm. Fassung Magazin des Glücks

R/K2/TS2 (Grundschicht)

Lesetext

Fürstin sehr, sodass man die Befürchtung hegen muss, dass sie tatsächlich ihr Geld benutzen will, um die Inseln in einem Krieg aufeinander zu hetzen. King Atlas ist wütend auf den Störenfried Reithofer und beschliesst ihn durch seinen Direktor Wallburg hinauswerfen zu lassen. Aber Reithofer erkennt in dem Direktor Wallburg einen alten Freund aus der Zeit, als es ihnen beiden noch sehr drekkig ging und fragt ihn, wie er diese Position errungen hat, worauf ihm Wallburg antwortet, er habe diese Position nur bekommen, weil er eine dunkle Sache von King Atlas gewusst habe. Reithofer fällt nun ein, dass er auch eine dunkle Geschichte von Wallburg weiss und auf diese 얍 Weise wurde ihm eine Stelle als Geschäftsführer in einer Abteilung des Hauses versprochen. B

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PAUSE



8. Bild: Grinzing.

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Annemarie und der Dichter Blind sitzen beim Heurigen. Annemarie ist schon etwas beschwipst und durch diesen Schwips bringt sie den Dichter auf den richtigen Refrain, der ihm zu seinem Kriegslied noch gefehlt hat. Kaum hat er den Refrain gefunden, lässt er Annemarie sitzen, denn nun hat sie ja ihre Mission bei ihm erfüllt. Reithofer wird nun feierlich eingeführt als Direktor der Abteilung Grinzing. Er fühlt sich im siebenten Himmel. Annemarie steht unter den Spalierbildenden. Reithofer rauscht aber stolz an ihr vorbei und rächt sich für ihr Benehmen in Chicago. Während des ganzen Heurigentrubels verlässt Annemarie enttäuscht , ernüchtert und unglücklich die Stätte. B

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9. Bild: Orient. Die Fürstin besichtigt die Sphinx, Harems und Wahrsagerinnen. Eine Wahrsagerin prophezeit ihr unwahrscheinlich gute Dinge. Im heimlichen Auftrage King Atlas‘. Die Wahrsagerin warnt sie davor, einen Krieg zu finanzieren und rät ihr dringend, ihr gesamtes Geld in das Magazin des Glücks zu stecken. Da erscheint ihr Sekretär mit den Kalkulationen, aus denen es sonnenklar hervorgeht, dass der Krieg das bessere Geschäft ist. Die Fürstin kämpft noch mit ihrem Aberglauben, aber der Sekretär redet ihr diesen aus. Nun ist sie entschlossen, den Krieg zu finanzieren. King Atlas ist verzweifelt und beruft alle Direktoren ein. Unter ihnen auch Reithofer. King Atlas erklärt ihnen die Situation und dass er keinen Ausweg aus der Krise wüsste. Das Magazin des Glücks sei gefährdet. Reithofer gibt King Atlas die Idee, die Fürstin auf den Nordpol zu führen. Das sei ein Naturschauspiel comme il faut. Die Fürstin entschloss sich, den Nordpol anzusehen, obwohl sie kein Geld mehr für das Magazin des Glücks geben kann, weil sie es in den Krieg schon fest angelegt habe.

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BefürchtungN ] GeldN ] BbeschliesstN ] BschonN ] BAnnemarieN ] BenttäuschtN ] B B

Befür[h]|c|htung korrigiert aus: -Geld korrigiert aus: beschlies[s]|t| s[v]|c|hon A[b]|n|nemarie en[n]|t|täuscht

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Fragm. Fassung Magazin des Glücks



R/K2/TS2 (Grundschicht)

Lesetext

10. Bild: Nordpol.

ÖLA 3/W 265 – BS 49 c, Bl. 14

Annemarie steht verlassen auf dem Nordpol. Sie hält einen Monolog. Sie gibt sich der Illusion hin, am Nordpol erfrieren zu können. Das sei ein angenehmerer Tod, als in die reale Welt zurückzukehren. Reithofer erscheint, um sich zu überzeugen, ob das Naturschauspiel auch ordnungsgemäss funktioniert. Wie er das Mädchen dort einsam und verlassen auf dem Nordpol sitzen sieht, tut sie ihm sehr leid. In diesem Augenblick finden sich beide wieder zusammen. Die Fürstin erscheint mit King Atlas und grossem Gefolge. King Atlas führt die Polarpracht vor, schaltet das Nordlicht ein. Die Fürstin ist zwar sehr ergriffen von der Grösse der ewigen Polarnacht und meint, wenn sie das vorher gesehen hätte, hätte sie keinen Krieg finanziert. Aber jetzt sei es ja zu spät, der Sekretär habe schon die Verhandlungen mit den kriegführenden Parteien angefangen. King Atlas macht ihr Vorwürfe und erklärt ihr, dass ein Krieg trotzdem ein riskantes Geschäft sei, aber die Fürstin setzt ihm auseinander, dass man es schon geschickt genug angefangen habe. Man habe jede Insel mit Geld versehen und wenn eine gewänne , erziele man doch noch einen grossen Ueberschuss, der weit über das investierte Kapital hinausgeht. Auf dem Nordpol ist grosse Trauer und keine Stimmung. Da platzt plötzlich der Sekretär mit der Nachricht herein, die Insulaner, die zum Kriegführen verleitet werden sollten, wären scheinbar verrückt geworden, oder böswillige Konkurrenten seien am Werke, denn sie dächten nicht daran, Krieg zu führen. Eine Konkurrenz habe ihnen auseinandergesetzt, dass Frieden ein grosses Geschäft wäre. Sie wiesen das Geld zurück. Jetzt kann die Fürstin das Geld 얍 für das Magazin geben und Reithofers Illusion wird verwirklicht.

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11. Bild: Paradies.

ÖLA 3/W 265 – BS 49 c, Bl. 16

Reithofers grosse Illusionsattraktion war die Schaffung des Paradieses. Mit dem Geld der Fürstin ist auf dem Dachgarten des Magazins ein neues Elysium geschaffen worden. Alles ist glücklich. Annemarie und Reithofer haben sich gefunden. King Atlas kann seine philantropische Theorie, dass den Menschen heute für ein paar Stunden Illusion und Glück fehle, weiter verwirklichen. Die Fürstin freut sich auch an diesem glücklichen Bild. Der Dichter ersetzt in seinem Kriegslied alle kriegerischen Worte durch Worte des Friedens und bringt so ein Epos des Friedens, das von allen gesungen wird. Man beschliesst, das ganze „Magazin des Glücks“ in ein Paradies umzuwandeln, um so der realen Welt ein Vorbild zu geben. BN

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Natur[d]|s|chauspiel

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korrigiert aus: Fürtin korrigiert aus: derewigen

NaturschauspielN ] FürstinN ] Bder ewigenN ] BgewänneN ] BKonkurrenzN ] BN] BElysiumN ] BgeschaffenN ] BersetztN ] BFriedens undN ]

[G]|g|ewänne Konkurren[t]|z| [er] korrigiert aus: Elyseum [h]|g|eschaffen \er/setzt korrigiert aus: Friedens und

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Endfassung Magazin des Glücks



R/K2/TS3 (Grundschicht)

„MAGAZIN DES GLUECKS“

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Entwurf von Oedön H o r v á t h und R. A. Stemmle 13. Dezember 1932. B

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Prolog:

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Die Aussenfront und Auffahrt des „Magazins des Glücks“. Autos fahren vor. Gäste gehen in das Haus, das festlich erleuchtet ist, und aus dem aus allen Abteilungen die Musik heraustönt. Neben der Auffahrt wartet rechts ein junger Mann, Reithofer, ein oesterreichischer Kellner auf seine Freundin. Links wartet Annemarie, ein frisches, patentes berliner Mädel, Büroangestellte, auf ihren Freund. Die Fürstin fährt vor, wird empfangen und von dem Generaldirektor, King Atlas, ins Haus geführt. Die beiden jungen Leute warten vergeblich. N

Die Fassade des Magazins verdunkelt sich. In der oberen Etage wird eine Konferenz sichtbar, an der alle Abteilungsleiter teilnehmen, auch die Fürstin, die die Geldgeberin dieses Unternehmens ist. King Atlas bittet um finanzielle Unterstützung, um sein Unternehmen ausbauen zu können. Die Fürstin will es anschauen und bezweifelt, dass man wirklich von Illusionen glücklich werden kann. King Atlas schlägt vor, zwei Menschen durch das Magazin zu schicken und garantiert, dass sie glücklich werden würden. Die Fürstin ist einverstanden, will aber selbst die beiden Menschen von der Strasse heraufholen. Sie verlässt den Raum, während sich das Konferenzzimmer wieder verdunkelt und die Fassade wieder in der Lichtreklame erstrahlt .

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Zweites Bild: In Italien am Vesuv sind lauter glückliche Pärchen auf der Hochzeitsreise. (Opernparodie) Reithofer und Annemarie stehen dieser komischen Situation abwartend gegenüber. Es scheint aber so, als ob sie sich wirklich einander nähern würden. King Atlas frohlockt. Aber die Fürstin ist skeptisch. Weil aber King Atlas seiner Sache sicher ist, schlägt er eine Wette vor. Wenn sich das Paar wirklich findet, und glücklich wird, soll die Fürstin ihm die Mittel zum Ausbau weiterer Illusionen zur Verfügung stellen. Kaum hat die Fürstin eingewilligt, haben Reithofer und Annemarie schon BN

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Reithofer und Annemarie sind von ihren Bekannten versetzt worden. Reithofer nähert sich Annemarie und will sie einladen, bekommt aber eine Abfuhr. Da rauscht die Fürstin mit Gefolge die Treppe herunter, aus der geöffneten Tür heraus und lädt Reithofer und Annemarie als Gäste in das Magazin ein. Beide sind ganz verwundert. Ihnen kommt das 얍 Ganze wie ein Wunder vor und sie gehen ohne ein Wort zu sagen mit King Atlas und der Fürstin in das Magazin hinein, aus dem wieder alle Melodien lockend herausklingen.

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HorváthN] AutosN ] Bvor,N ] BerstrahltN ] BN] B B

korrigiert aus: H o r v a t h korrigiert aus: Auto

vor[m]|,| erstrah[t]|l|[l]|t| [in]

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Endfassung Magazin des Glücks

R/K2/TS3 (Grundschicht)

Lesetext

einen Krach. Man besteigt den train bleu, der die einzelnen Abteilungen untereinander verbindet, und fährt nach Paris. 얍

Drittes Bild:

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Kabarett in Paris. Reithofer und Annemarie werden nebeneinander placiert. Die Fürstin gefällt Reithofer ungeheuer und er missdeutet das Interesse, das sie für ihn zeigt, lässt Annemarie sitzen und geht zu der Fürstin. Darüber ist King Atlas sehr erbost und enttäuscht, denn insgeheim hat er gehofft, dass die Fürstin auch von den Illusionen hingerissen an ihm Gefallen finden würde. Während er jetzt die verlassene Annemarie väterlich und menschlich tröstet, aber aus eindeutigen Profithintergründen verlassen die Fürstin und Reithofer, der ihr sehr gefällt, Paris. King Atlas glaubt, dass die unscheinbare Annemarie dem Reithofer nicht gefällt, weil sein Sinn auf vornehme und mondäne Frauen gerichtet ist. Darum kleidet er sie ein und fährt mit ihr nach Chicago.

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Fünftes Bild:

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Vornehmes Gesellschaftsbild in Chicago. Annemarie ist als die auffallendste Erscheinung von vielen Kavalieren umschwärmt. Als Reithofer sie sieht, ist er tatsächlich überrascht und weil ihn die Fürstin enttäuscht hat, versucht er, wieder eine Verbindung herzustellen. Die Fürstin ist darüber sehr traurig, darf aber nichts sagen. King Atlas bemerkt diese Sympathie der Fürstin zu Reithofer, macht ihr Vorhaltungen und die Fürstin muss auf Reithofer verzichten für die Idee. Annemarie ist aber jetzt sehr stolz und lässt Reithofer, der mit den vornehmen Kavalieren nicht konkurrieren kann, abblitzen, der darüber ziemlich verzweifelt ist. King Atlas ist wütend über Annemarie. Reithofer erklärt King Atlas, dass das durchaus verständlich sei. Sie würde sich weiter so benehmen, wenn sie so als grosse Dame verkleidet herumläuft. Da hat King Atlas einen Plan: engagierte Gentlemenverbrecher sollen der Annemarie Kleider und Schmuck rauben. Mitten im Tanz umstellen die gemieteten Gangster die Gesellschaft. Anfangs protestiert man, dass Chicago immer als Verbrechernest dargestellt wird, aber die Sache wird ernst. Annemarie wird tatsächlich beraubt. Im gefährlichsten Augenblick errettet sie aber Reithofer und Annemarie ist B

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Südseeinsel . Die Fürstin und Reithofer sitzen zusammen. Zwischen beiden scheint eine Zuneigung aufzukeimen. Aber jetzt kommt King Atlas dazwischen. Und sofort zeigt sich die Fürstin wieder fremd; denn es ist ihr peinlich, wenn Reithofer erführe, welches Experiment sie mit ihm vorhat. King Atlas sagt, dass Annemarie in Chicago auf Reithofer warte und man begibt sich dorthin.

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Viertes Bild: B

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Süd[e]seeinsel

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korrigiert aus: bemerkt,

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ausN ] Reithofer,N ]

SüdseeinselN ] bemerktN ] BwürdeN ] BverkleidetN ]

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[mit]|aus| korrigiert aus: Reithofer , unregelmäßige Zeichenabstände werden in R/K2/TS3 stillschweigend korrigiert; vgl. Chronologisches Verzeichnis.

[W]|w|ürde korrigiert aus: verkleidet,

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Endfassung Magazin des Glücks

R/K2/TS3 (Grundschicht)

Lesetext

ihm wieder zugetan. Aber jetzt will wieder der beleidigte Reithofer nichts von ihr wissen. King Atlas ist verzweifelt und sieht nur mehr eine letzte Möglichkeit: er vertraut sich Reithofer an und verspricht ihm, Abteilungsleiter von Grinzing zu werden, wenn er das Mädchen als seine Geliebte betrachten würde und beide in „Glück machten“. Reithofer willigt ein. Die Fürstin hofft immer noch, dass sie die Wette gewinnen wird, weil dann auch Reithofer wieder frei ist. B

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Pause 10



Sechstes Bild:

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Beim Heurigen in Grinzing. Reithofer fungiert als Abteilungsleiter und macht Stimmung, er ist gewissermassen der Wirt und Annemarie die Wirtin. Es sieht so aus, als ob beide glücklich sind. (Falsches Glück.) Die Fürstin und King Atlas besuchen Grinzing und King Atlas versucht, die Gunst der Fürstin wieder zu gewinnen und hofft auf die Wirkungen seiner Illusionen. Er zeigt der Fürstin, dass er die Wette gewonnen hat, denn Reithofer und Annemarie sind wirklich nach aussen hin eine Seele und ein Herz. Anschliessend erklärt King Atlas der Fürstin das Projekt seiner neuen Illusionen . Als nächstes will er den Orient umbauen. Die Fürstin erklärt die Wette verloren und sich bereit, die Mittel zur Verfügung zu stellen. B

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Siebentes Bild:

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Orient. Unter King Atlas‘ Führung wird die Abteilung Orient umgebaut. Die Fürstin sieht zu. Plötzlich erscheint Reithofer und erklärt den beiden, dass ihm seine Annemarie weggelaufen sei und er selbst hätte auch genug. Das wäre kein Glück gewesen, sondern die Hölle auf Erden. Die Fürstin nimmt dieses Eingeständnis überrascht zur Kenntnis und lässt die Umbauarbeiten im Orient sofort einstellen. Es bleibt alles beim alten, sagt King Atlas resigniert, wie es schon Jahrtausende war. Fernerhin erkundigt er sich bei Reithofer, wohin denn Annemarie gelaufen sei. „Sie hat mir die Türe vor der Nase zugeworfen“ erklärt Reithofer, „und mir scheint, der Richtung nach muss sie nach dem Nordpol gelaufen sein.“

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Achtes Bild:

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Am Nordpol. Annemarie hält einen Monolog und bedauert sich selbst und findet sich überflüssig auf der Welt. Am liebsten möchte sie erfrieren, weil das der angenehmste Tod ist. Man schläft auf Erden ein und dann schneit es nur ein bisschen und man erwacht im Paradies. King Atlas reisst sie aus ihren Gedanken und setzt ihr auseinanB

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Endfassung Magazin des Glücks

R/K2/TS3 (Grundschicht)

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der, dass sie ins Paradies bequemer kommen könnte. Reithofer warte auf sie im Paradies. Er erklärt ihr, Sterben hat keinen Sinn, man muss leben. B

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Neuntes Bild:

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Paradies. Reithofer steht unter dem Baum der Erkenntnis und bedauert lebhaft in Form eines Monologes, dass der liebe Gott die Frauen erschaffen hat. Er beschimpft die Schlange King Atlas, die mit ihm solche Experimente gemacht hat. Da betritt Annemarie den Garten Eden und gerät mit Reithofer in eine heftige Auseinandersetzung. (Hassliebe.) King Atlas kommt, wird wütend über die verstockten Nichtliebhaber, die scheinbar auf keinen Fall glücklich werden wollen. Er weiss keinen neuen Ausweg mehr, gerät in sinnlose Wut und wirft die beiden Menschenkinder à la Erzengel aus dem Paradies hinaus. Kaum ist dies geschehen, erscheint die Fürstin und kündigt Atlas zum nächsten Ersten, weil er mit Geld Liebe und Glück zweier Menschenkinder erzwingen wollte und sie bezwungen hat und so gegen das heiligste Gesetz des Magazins des Glücks (Illusionsfabrik) gesündigt hat. Die Fürstin ist überhaupt über alles so enttäuscht. Sie möchte garkein Magazin des Glücks haben. King Atlas bittet sie immer noch, zu bleiben, denn er hätte noch eine letzte Ueberraschung für sie. Aber sie will nicht und geht hinaus. B

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Zehntes Bild: Berlin. Tiergarten. Auf einer Bank. Reithofer und Annemarie setzen sich auf diese Bank, nachdem sie aus dem Paradies hinausgeflogen sind. Sie danken Gott im Himmel, dass sie endlich wieder in die Realität zurückgekehrt sind, und nun vollzieht sich die so lang ersehnte Annäherung zwischen den Beiden auf besagter Bank im Tiergarten. King Atlas erscheint überraschend und findet beide in höchstem Glück, gratuliert ihnen und sich. Lässt die Fürstin herbeirufen und demonstriert ihr das Glück, und behauptet, er hätte die Wette doch noch gewonnen. Reithofer und Annemarie protestieren. Sie befänden sich nicht mehr in einer Illusionswelt, sondern auf einer Bank im Tiergarten. Nun spielt King Atlas seinen grossen Trumpf aus, beweist ihnen, dass sie sich geirrt hätten: die Tiergartenbank sei auch nur eine Abteilung des Magazins des Glücks. Fanfaren und Chöre ertönen . In dem Park wird ein Denkmal enthüllt, das die Fürstin darstellt, als eine Göttin der Illusion. Im grossen Schlussbild wird King Atlas nun von der gerührten Fürstin wieder eingesetzt und alles schliesst mit einem Hymnus auf den Triumph der Illusion. B

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insN ] bequemerN ] BhatN ] BSchlangeN ] BReithoferN ] BweilN ] BmöchteN ] Bsich.N ] Bdie FürstinN ] BBankN ] Bsei auchN ] BMagazinsN ] Bund f ertönenN ] BTriumphN ] BIllusion.N ] B B

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Emendierte Endfassungen

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Autobiographisches

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Autobiographische Notiz (auf Bestellung)

Endfassung, emendiert

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Autobiographische Notiz (auf Bestellung)

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Geboren bin ich am 9. Dezember 1901, und zwar in Fiume an der Adria, nachmittags um dreiviertelfünf (nach einer anderen Überlieferung um halb fünf). Als ich zweiunddreißig Pfund wog, verließ ich Fiume, trieb mich teils in Venedig und teils auf dem Balkan herum und erlebte allerhand, u.a. die Ermordung S. M. des Königs Alexanders von Serbien samt seiner Ehehälfte. Als ich 1.20 Meter hoch wurde, zog ich nach Budapest und lebte dort bis 1.21 Meter. War dortselbst ein eifriger Besucher zahlreicher Kinderspielplätze und fiel durch mein verträumtes und boshaftes Wesen unliebenswert auf. Bei einer ungefähren Höhe von 1.52 erwachte in mir der Eros, aber vorerst ohne mir irgendwelche besonderen Scherereien zu bereiten – (meine Liebe zur Politik war damals bereits ziemlich vorhanden). Mein Interesse für Kunst, insbesondere für die schöne Literatur, regte sich relativ spät (bei einer Höhe von rund 1.70), aber erst ab 1.79 war es ein Drang, zwar kein unwiderstehlicher, jedoch immerhin. Als der Weltkrieg ausbrach, war ich bereits 1.67 und als er dann aufhörte bereits 1.80 (ich schoß im Krieg sehr rasch empor). Mit 1.69 hatte ich mein erstes ausgesprochen sexuelles Erlebnis – Und heute, wo ich längst aufgehört habe zu wachsen (1.84), denke ich mit einer sanften Wehmut an jene ahnungsschwangeren Tage zurück. Heut geh ich ja nurmehr in die Breite – aber hierüber kann ich Ihnen noch nichts mitteilen, denn ich bin mir halt noch zu nah. Ödön Horváth.

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Autobiographische Notiz

Endfassung, emendiert

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Autobiographische Notiz Von Ödön von Horváth (Zur Uraufführung von Horváths „Revolte auf Höhe 3018“) 5

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Als der sogenannte Weltkrieg ausbrach, war ich dreizehn Jahre alt. An die Zeit vor 1914 erinnere ich mich nur wie an ein langweiliges Bilderbuch. Alle meine Kindheitserlebnisse habe ich im Kriege vergessen. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Ich bin am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. Während meiner Schulzeit wechselte ich viermal die Unterrichtssprache und besuchte fast jede Klasse in einer anderen Stadt. Das Ergebnis war, daß ich keine Sprache ganz beherrschte. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, konnte ich keine Zeitung lesen, da ich keine gotischen Buchstaben kannte, obwohl meine Muttersprache die deutsche ist. Erst mit vierzehn Jahren schrieb ich den ersten deutschen Satz. Wir, die wir zur großen Zeit in den Flegeljahren standen, waren wenig beliebt. Aus der Tatsache, daß unsere Väter im Felde fielen oder sich drückten, daß sie zu Krüppeln zerfetzt wurden oder wucherten, folgerte die öffentliche Meinung, wir Kriegslümmel würden Verbrecher werden. Wir hätten uns alle aufhängen dürfen, hätten wir nicht darauf gepfiffen, daß unsere Pubertät in den Weltkrieg fiel. Wir waren verroht, fühlten weder Mitleid noch Ehrfurcht. Wir hatten weder Sinn für Museen noch die Unsterblichkeit der Seele – und als die Erwachsenen zusammenbrachen, blieben wir unversehrt. In uns ist nichts zusammengebrochen, denn wir hatten nichts. Wir hatten bislang nur zur Kenntnis genommen. Wir haben zur Kenntnis genommen – und werden nichts vergessen. Nie. Sollten auch heute einzelne von uns das Gegenteil behaupten, denn solche Erinnerungen können unbequem werden, so lügen sie eben.

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Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg…

Endfassung, emendiert

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Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… Von Ödön Horváth.*

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Sie fragen mich nach meiner Heimat, ich antworte: Ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Paß – aber: „Heimat“? Kenn‘ ich nicht. Ich bin eine typisch altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch – Mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. Ich spreche weitaus am besten Deutsch, schreibe nunmehr nur Deutsch, gehöre also dem deutschen Kulturkreis an, dem deutschen Volke. Allerdings: der Begriff „Vaterland“, nationalistisch gefälscht, ist mir fremd. Mein Vaterland ist das Volk. Also, wie gesagt: Ich habe keine Heimat und leide natürlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit, denn sie befreit mich von einer unnötigen Sentimentalität. Ich kenne aber freilich Landschaften, Städte und Zimmer, wo ich mich zu Hause fühle, ich habe auch Kindheitserinnerungen und liebe sie wie jeder andere. Die guten und die bösen. Ich sehe die Straßen und Plätze in den verschiedenen Städten, auf denen ich gespielt habe, oder über die ich zur Schule ging, ich erkenne die Eisenbahn wieder, die Rodelhügel, die Wälder, die Kirchen, in denen man mich zwang, den heiligen Leib des Herrn zu empfangen – Ich erinnere mich auch noch meiner ersten Liebe: Das war während des Weltkrieges in einem stillen Gäßchen, da holte mich in Budapest eine Frau in ihre Vierzimmerwohnung, es dämmerte bereits, die Frau war keine Prostituierte, aber ihr Mann stand im Feld, ich glaube in Galizien, und sie wollte mal wieder geliebt werden. Meine Generation, die in der großen Zeit die Stimme mutierte, kennt das alte Österreich-Ungarn nur vom Hörensagen, jene Vorkriegsdoppelmonarchie, mit ihren zwei Dutzend Nationen, mit borniertestem Lokalpatriotismus neben resignierter Selbstironie, mit ihrer uralten Kultur, ihren Analphabeten, ihrem absolutistischen Feudalismus, ihrer spießbürgerlichen Romantik, spanischer Etikette und gemütlicher Verkommenheit. Meine Generation ist bekanntlich sehr mißtrauisch und bildet sich ein, keine Illusionen zu haben. Auf alle Fälle hat sie bedeutend weniger als diejenige, die uns herrlichen Zeiten entgegengeführt hat. Wir sind in der glücklichen Lage, glauben zu dürfen, illusionslos leben zu können. Und das dürfte vielleicht unsere einzige Illusion sein. Ich weine dem alten Österreich-Ungarn keine Träne nach. Was morsch ist, soll zusammenbrechen, und wäre ich morsch, würde ich selbst zusammenbrechen, und ich glaube, ich würde mir gar keine Träne nachweinen. Manchmal ist es mir, als wäre alles aus meinem Gedächtnis ausradiert, was ich vor dem Kriege sah. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Und es widerfuhr mir das große Glück, erkennen zu dürfen, daß die Ausrottung der nationalistischen Verbrechen nur durch die völlige Umschichtung der Gesellschaft ermöglicht werden wird. Das ist mein Glaube. Lächeln Sie nicht! Dadurch, daß eine Erkenntnis oft als Schlagwort formuliert wird, verliert sie nichts von ihrer Wahrheit. Worauf es ankommt, ist die Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit.

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Der 27jährige Dichter ist der Autor des Volksstückes „Die Bergbahn“, das seine erfolgreiche Uraufführung an der Berliner Volksbühne erlebte.

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Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg…

Endfassung, emendiert

Lesetext

Ich glaube, es ist mir gelungen, durch meine „Bergbahn“ den Beweis zu erbringen, daß auch ein nicht „Bodenständiger“, nicht „Völkischer“, eine heimatlose Rassenmischung, etwas „Bodenständig-Völkisches“ schaffen kann, – denn das Herz der Völker schlägt im gleichen Takt, es gibt ja nur Dialekte als Grenzen.

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„Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“

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Wenn sich jemand bei mir erkundigt, ob ich ein Deutscher bin, so kann ich ihm darauf nur antworten: Ich fühle mich als ein Individuum, das sich unbedingt zum deutschen Kulturkreis zählt – Also bin ich sozusagen Deutscher. Warum ich mich zum deutschen Kulturkreis gehörend betrachte, liegt wohl vor allem daran, daß meine Muttersprache die deutsche ist. Und dies dürfte meiner Meinung nach der ausschlaggebende Grund sein – Dann folgt erst die Tatsache, daß ich entscheidende Entwicklungsjahre in Deutschland, und zwar in Südbayern und in Österreich verlebt habe. Mein Name ist zwar rein ungarisch – und ich habe auch ungarisches Blut in mir, auch tschechisches und kroatisches – Ich bin also eine typische österreich-ungarische Mischung. Und soweit ich das beurteilen kann, Anwesende natürlich immer ausgenommen, und zwar jetzt in diesem speziellen Falle ich höchstpersönlich, sind die Produkte derartiger Rassenmischungen nicht gerade die Schlechtesten. Ich verweise nur auf einen der echtesten und größten Repräsentanten deutschen Wesens, nämlich auf den Kunstmaler Albrecht Dürer aus Nürnberg, der ja auch ein halber Ungar gewesen ist – Sein Vater bekanntlich hieß ja noch Ajtosi, was zu deutsch soviel heißt wie Türer. Ajto heißt Türe. Um aber jetzt noch etwas betonen zu können, muß ich von diesen historischen Höhen wieder auf meine derzeit lebende Person herabsteigen – Ich möchte nämlich nur folgendes noch betonen: Immer wieder lese ich in Artikeln, daß ich ein ungarischer Schriftsteller bin. Das ist natürlich grundfalsch. Ich habe noch nie in meinem Leben – außer in der Schule – irgendetwas ungarisch geschrieben, sondern immer nur deutsch. Ich bin also ein deutscher Schriftsteller, wenn das auch einigen Herrschaften unangenehm zu sein scheint. Sie fragen mich, wo ich geboren bin und wo ich aufgewachsen bin – Wenn Sie sich also unbedingt mit einem Teile meines privaten Lebens beschäftigen wollen, so gebe ich Ihnen gerne Auskunft. Ich bin ja gar nicht so. Also: Geboren bin ich in Fiume am adriatischen Meer, und zwar vor dreißig Jahren. Von meinem ersten bis zu meinem fünften Lebensjahre gedieh ich sichtlich in Belgrad. Dann kam ich in die Volksschule, und zwar in Budapest. Hier war ich auch in der Mittelschule tätig, so bis zu meinem dreizehnten Lebensjahre – Dann kam ich nach München, zuerst ins Wilhelmsgymnasium, dann in das Realgymnasium. Dann war ich zwei Jahre lang in Preßburg, ein Jahr wieder in Budapest und das letzte Jahr in Wien. Während meiner Münchner Schulzeit brach der Weltkrieg aus. Wenn ich heute daran zurückdenke, so muß ich wohl sagen, daß ich heute das Gefühl habe, als könnte ich mich an die Zeit vor dem Weltkrieg nicht mehr erinnern. Ich muß mich schon ziemlich anstrengen, damit mir etwas aus dieser Friedenszeit wieder einfällt – und ich glaube, so ähnlich wird es wohl allen meinen Altersgenossen gehen. Der Weltkrieg verdunkelte unsere Jugend, und wir haben wohl kaum Kindheitserinnerungen. Schließlich ist ja so ein Weltkrieg auch nichts Alltägliches. Ganz am Anfang gefiel uns Buben der Weltkrieg ganz ausgezeichnet. Wir hatten viele schulfreie Tage, und es gab immer wieder eine Sensation – deren fürchterliche Ursachen und Auswirkungen wir damals natürlich weder erfassen konnten noch sollten. Wir waren alle sehr begeistert, und es tat uns außerordentlich leid, daß wir nicht um fünf bis sechs Jahre älter waren – Dann hätten wir nämlich sofort hinauskönnen in das Feld. Natürlich spielte bei dieser Begeisterung auch der Gedanke an ein Zeugnis ohne Prüfungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. – Aber ich denke, wir wollen nun über diese grauenvollen Jahre, 1914-1918, nicht weiter reden – Es ist ja allgemein bekannt, welch herrliche Zeiten uns der Weltkrieg beschert hat. Reden wir

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„Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“

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doch lieber über die schönen Künste, fragen Sie mich doch bitte mal, wieso ich Schriftsteller geworden bin – Das ist nämlich eine lustige Angelegenheit. Also: 1920 lernte ich hier in München in einer Gesellschaft den Komponisten Siegfried Kallenberg kennen. Ich besuchte damals die Universität und hatte, wie man so zu sagen pflegt, Interesse an der Kunst. Hatte mich selber aber in keiner Weise noch irgendwie künstlerisch betätigt – höchstens, daß ich mich mit dem Gedanken beschäftigt habe, du könntest doch eigentlich Schriftsteller werden, du gehst doch zum Beispiel gern ins Theater, hast bereits allerhand erlebt, widersprichst gern und oft, und manchmal hast du doch so einen eigentümlichen Drang in dir, auch etwas zu schreiben – ein Theaterstück zum Beispiel, oder eine Novelle oder gar einen Roman – und dann weißt du es doch auch, daß du nie Konzessionen machen darfst und daß es dir eigentlich gleichgültig ist, was die Leut über dich reden – – Pathetische Naturen fassen all diese Erkenntnisse unter dem schönen Namen „dichterische Mission“ zusammen. Nun, um also auf meinen Freund Kallenberg zurückzukommen: Kallenberg wandte sich an jenem Abend plötzlich an mich mit der Frage: „Wollen Sie mir eine Pantomime schreiben?“ Ich war natürlich ziemlich verdutzt, weil ich es mir gar nicht vorstellen konnte, wieso er mit diesem Anliegen ausgerechnet an mich herantritt – Ich war doch gar kein Schriftsteller und hatte noch nie in meinem Leben irgendetwas geschrieben. Er muß mich verwechseln, dachte ich mir – und ursprünglich wollte ich ihn auch aufklären. Dann aber durchzuckte mich blitzschnell (wie man so sagt) der Gedanke, warum sollst du es denn nicht einmal probieren, eine Pantomime zu schreiben? Ich sagte Kallenberg: Ja – setzte mich hin und schrieb die Pantomime. Die wurde dann später auch aufgeführt. Die erste Kritik, die ich über mein dichterisches Schaffen erhalten habe, begann mit folgenden Worten: „Es ist eine Schmach – usw.“ Aber ich nahm mir das nicht sehr zu Herzen, sondern fing nun an draufloszuschreiben. Natürlich versuchte ich es noch mit allerhand mehr oder minder bürgerlichen Berufen, aber es wurde nichts daraus – Anscheinend war ich zum Schriftsteller geboren.

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Mein erstes Stück heißt „Die Bergbahn“. Das Stück hat zum Inhalt den Kampf zwischen Kapital und Arbeitskraft, mit besonderer Berücksichtigung der Stellung der sogenannten Intelligenz im Produktionsprozeß. Es wurde im Herbst 1927 in Hamburg, an den dortigen Kammerspielen uraufgeführt – erst 1929 im Januar in Berlin, an der Volksbühne. Ich bezeichnete die „Bergbahn“ (wie auch dann alle meine folgenden Stücke) als ein Volksstück. Die Bezeichnung „Volksstück“ war bis dahin in der modernen dramatischen Produktion nicht gebräuchlich. Natürlich gebrauchte ich diese Bezeichnung nicht willkürlich, das heißt: nicht einfach nur deshalb, weil das Stück ein bayerisches Dialektstück ist, sondern weil mir so etwas Ähnliches wie Fortsetzung des alten Volksstückes vorschwebte. Des alten Volksstückes, das für uns junge Menschen mehr oder minder natürlich auch nur noch einen historischen Wert bedeutet. Denn die Gestalten dieser Volksstücke, also die Träger der Handlung, haben sich doch bekanntlich in den letzten zwei Jahrzehnten ganz unglaublich verändert. Sie werden mir nun vielleicht entgegnen, daß die sogenannten ewig-menschlichen Probleme des guten alten Volksstückes, auch heute noch die Menschen bewegen. Gewiß bewegen sie sie, aber anders. Es gibt eine ganze Anzahl ewig-menschlicher Probleme, über die unsere Großeltern geweint haben, und über die wir heute lachen, und umgekehrt.

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„Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“

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Will man also das alte Volksstück heute fortsetzen, so wird man natürlich heutige Menschen aus dem Volke (wie der schöne feudale Ausdruck lautet) auf die Bühne bringen – also: Kleinbürger und Proletarier. Ich übergehe hier absichtlich den Bauernstand, denn auch der Bauernstand zerfällt ja in Kleinbürger und Proletarier. Also: Zu einem heutigen Volksstück gehören heutige Menschen – und mit dieser Feststellung gelangt man zu einem interessanten Resultat: Nämlich, will man als Autor wahrhaft gestalten, so kann man an der völligen Zersetzung der Volksstücksprache durch den Bildungsjargon nicht vorübergehen. Der Bildungsjargon (und seine Ursache) fordert aber zu Kritik heraus – und so muß der Dialog des neuen Volksstükkes zu einer Synthese von Ernst und Ironie werden. Aus dieser Erkenntnis zog ich die Konsequenz – ich schrieb bisher vier Volksstücke – besagte „Bergbahn“, dann ein Stück aus der Inflationszeit, dann „Italienische Nacht“ und „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Mit vollem Bewußtsein zerstörte ich das alte Volksstück, formal und ethisch – und versuchte als dramatischer Chronist mehr die neue Form des Volksstückes zu finden. Diese neue Form dürfte weniger dramatisch sein – Sie ist mehr schildernd. Sie knüpft mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an als an die Autoren der früheren Volksstücke. Bei den Kritikern und dem Publikum lösten meine Stücke bisher immer eine ziemliche Erregung aus – (so konnte die „Italienische Nacht“ in Berlin nur unter Polizeischutz uraufgeführt werden) – Diese Erregung ist mir persönlich ziemlich schleierhaft. Man wirft mir oft vor, ich sei zu derb, zu ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch, und was es dergleichen noch an schönen Wörtern gibt – Man übersieht aber dabei, daß ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt so zu schildern, wie sie leider ist. Daß auf der Welt das gute Prinzip den Ton angibt, wird man doch wohl kaum beweisen können. Behaupten schon. Der Widerwille eines Teiles des Publikums gegen meine Stücke beruht wohl darauf, daß dieser Teil sich in den Personen auf der Bühne selbst erkennt. Und zwar nicht als festumrissener Typus, sondern in ihrem mehr oder minder bewußten privaten alltäglichen Gefühlsleben.

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Zu Satire und Karikatur stehe ich sehr positiv – nur die Parodie, die lehne ich radikal ab. Parodie dürfte wohl das Billigste sein.

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Man spricht heutzutage viel über den Untergang des Theaters – und natürlich geht es den Theatern wirtschaftlich miserabel. Aber wem geht es heutzutage nicht wirtschaftlich miserabel? Es ist schon möglich, daß alle Theater zugrunde gehen – aber dann werden eben Vereine und Liebhaberbühnen weiterspielen. Das Theater als Kunstform kann nicht untergehen – aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen (sofern sie es sich nur einigermaßen materiell leisten können) das Theater brauchen. (Theater oder Kino ist jetzt für mich das gleiche – Ich sage nun kurz nur: Theater.) Das Theater ist nämlich diejenige Kunstform, die am stärksten für das Publikum phantasiert. Phantasie ist ein Ventil für asoziale Regungen – Das Theater nimmt dem Zuschauer das Phantasieren-müssen ab, es phantasiert für ihn – und gleichzeitig erlebt auch der Zuschauer die Produkte dieser Phantasie. Er lebt mit, das heißt vor allem: Er begeht alle Schandtaten, die auf der Bühne vor sich gehen – und verläßt dann das Theater als ein kleinerer Mörder, Räuber, Ehebrecher – – Man nennt diesen Zustand Erhebung.

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„Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“

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Lesetext

Natürlich leiden die Theater sehr unter der wirtschaftlichen Krise – und ich hätte hier einige kleine praktische Vorschläge: Abschaffung des Programmzettels, Abschaffung der Garderobe – nicht wegen der Gebühr – sondern, weil viele viele Menschen nicht ins Theater gehen, da sie keinen schönen Anzug mehr haben. Könnten die in ihren Mänteln sitzen wie im Kino, wären die Theater sicher besuchter. Natürlich hat das Interesse am Theater auch aus sportlichen Gründen nachgelassen – aber nicht zu guter Letzt, weil wir kein richtiges, echtes, im guten Sinne des Wortes bodenständiges Volkstheater mehr haben. Daß wir es nicht haben, daran sind alle Instanzen schuld (sofern man bei so einer Frage überhaupt die Schuldfrage stellen will).

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Daß ich den Kleistpreis bekommen habe, habe ich aus der Zeitung erfahren. Erst einige Tage später bekam ich die offizielle Mitteilung vom Vorsitzenden der KleistStiftung, Fritz Engel. Ein Teil der Presse begrüßte diese Preisverteilung lebhaft, ein anderer Teil wieder zersprang schier vor Wut und Haß. Das sind natürlich Selbstverständlichkeiten. Nur möchte ich hier auch betonen, daß auch im literarischen Kampfe, bei literarischen Auseinandersetzungen von einer gewissen Presse in einem Tone dahergeschrieben wird, den man nicht anders als Sauherdenton bezeichnen kann.

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Nun möchte ich nur noch dem Bayerischen Rundfunk danken, daß er mir Gelegenheit gegeben hat, mich hier zu äußern. Und vielleicht war es für manchen auch ganz interessant, mal einen Dramatiker über das Drama und über Theaterfragen zu hören – und nicht nur immer Kritiker.

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Autobiographische Notiz (1932)

Endfassung, emendiert

Lesetext

Autobiographische Notiz.

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Man muß sich auch mal mit sich selbst beschäftigen, besonders dann, wenn man aufgefordert wird, anlässlich etwa einer Aufführung etwas über sich selbst zu erzählen: Also: Ich wurde am 9. Dez. 1901 geboren, und zwar in Fiume an der Adria. Diese Stadt gehörte damals noch zu Ungarn, heute zu Italien – und daran ist der d’Annunzio schuld und die Vorkriegs ung. Regierungen, die die dort lebenden Kroaten italienisiert haben. Meine Kindheit verbrachte ich in Belgrad, Budapest, Wien, München und Preßburg – Mein Vater war an öster.-ung. Gesandtschaften und Botschaften tätig, daher dieser Wandertrieb. Daher kommt es aber auch, daß ich keine Heimat hab – nur eine Wahlheimat: Bayern. Meine Wahlheimat ist nicht das Produkt freier Wahl, sondern: ich weiß es nicht. Daß ich keine eigentliche Heimat habe, bereitet mir keine Sorgen – nur manchmal tut es mir leid, weil ich halt zu guter Letzt auch ein sentimentaler Mitmensch bin. Oft – in größerem Maßstabe erst bei der Verleihung des Kleistpreises 1931 – mußte ich hören: der „magyarische Literat“. Dies stimmt nicht ganz, sondern: Ich bin ungarischer Staatsbürger, aber meine Muttersprache ist deutsch. Während meiner Schulzeit wechselte ich aber derart oft die Unterrichtssprache, daß ich dies ab und zu vergessen habe. Zeitweise sprach ich eine andere Sprache besser als wie meine Muttersprache. Im übrigen: Ich bin eine typische altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, tschechisch, deutsch – nur mit semitisch kann ich leider nicht dienen.

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Lesetext

Theoretisches

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Über unser Buch der Tänze

Endfassung, emendiert

Lesetext

Über unser Buch der Tänze. von Ödön von Horváth.

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Kurz nachdem ich Siegfried Kallenberg 1921 kennen lernte, schrieb ich auf seine Aufforderung hin sieben Tänze. Angewandte Dichtung, könnte man sagen. Unabhängig voneinander beschäftigte uns das Problem der Vertiefung des Verhältnisses von Dichtung und Musik und die daraus sich ergebende Erweiterung des Begriffes Tanz. Weder die auf mehr oder weniger doch nur bildhafte Handlung gestellte Pantomime, bei der die Musik im Gegensatz zum absoluten Tanz doch nur die Rolle der Begleitung innehat, noch die aus absoluter Musik rein willkürlich geformte Tanzdichtung konnte uns befriedigen. Wir erstrebten eine innigere Verschmelzung von Dichtung und Musik, die durch die tänzerische Darstellung zur Einheit erhoben werden sollte. So entstand das Buch der Tänze. „Tänze“ – weil das Wesentliche trotz der dramatischen Handlung nicht im Pantomimisch-Bildhaften, sondern im rein Tänzerischen liegt. Die Vertonung hielt sich nicht sklavisch an die Bilder der Dichtung, sondern formte allein ihren inneren Gehalt, sozusagen die Atmosphäre. Während also die Dichtung dem Komponisten das Innere gab, gibt sie den Darstellern den Rahmen, die Handlung. Aus Dichtung und Musik schafft so der Tänzer die neue Einheit.

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Natur gegen Mensch

Endfassung, emendiert

Lesetext

Natur gegen Mensch Von Ödön von Horváth Das erste Stück des jungen Autors wird am Freitag in der Volksbühne uraufgeführt.

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Ich bin am 9. Dezember 1901 in Fiume geboren. In die Schule ging ich in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München – wechselte viermal die Unterrichtssprache und beherrschte infolgedessen natürlich keine. Erst auf der Universität lernte ich richtig Deutsch, obwohl meine Muttersprache die deutsche ist. Hätte die „große Zeit“ drei Wochen länger gedauert, wäre ich Soldat geworden. Ich beteiligte mich an der ungarischen Revolution, floh 1919 aus Ungarn und studierte in Wien und München. Brach aber bald mein Studium ab und versuchte mir eine Existenz zu verschaffen in Berlin und Paris, ohne sonderlichen Erfolg. 1926 schrieb ich die „Bergbahn“. Ich versuchte, eine kleine Episode aus dem Kampfe der unselig zerrütteten Menschheit gegen die Natur zu gestalten. * Dialekt ist mehr als ein philologisches, ist ein psychologisches Problem. Ich befolgte bei der „Bergbahn“ weder philologische Gesetze, noch habe ich einen Dialekt (hier Dialekte des ostalpenländischen Proletariats) schematisch stilisiert. Ich versuchte D i a l e k t e als C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t der Umwelt, des Individuums oder auch nur einer Situation zu gestalten. * Die Beherrschung der Natur ist das Endziel der menschlichen Gesellschaft. Die Natur ist der große Feind. Es gibt kaum erhebendere Momente in der Geschichte der Menschheit als jene, da infolge einer Naturkatastrophe die Menschen alle Unterschiede unter sich, die verbrecherischer Egoismus errichtet hatte, vergessen und sich auf ihre große Aufgabe, die Bekämpfung der Natur, besinnen. Meistens aber belügen die Menschen sich selbst: Sie bilden sich ein, die Natur überwunden zu haben, um ihre Mitmenschen betrügen zu können. Solange wir uns selbst belügen und betrügen lassen, solange schlägt uns die Natur. Auf der ganzen Linie.

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Sladek oder die Schwarze Reichswehr

Endfassung, emendiert

Lesetext

„Sladek oder die Schwarze Reichswehr“ Von Ödön von Horváth. 5

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Wer ist Sladek? – Geboren am 7. Juli 1902 an der böhmischen Grenze, gestorben in den Tagen der Wiedererstarkung nach der Inflation. Seinen Vater, einen Drogisten, hatte er kaum gekannt. Er liebte sein Grabkreuz aus kunstgewerblichen Gründen nicht. In der Familie Sladek haßte man sich um ein Stück Brot. Sladek wollte Kellner werden, ist aber keiner geworden, denn er lernte eine um fünfzehn Jahre ältere Frau kennen, eine Schneiderin, deren Mann als Soldat in Sibirien starb. Von ihr ließ er sich aushalten, sie bewachte und beschützte ihn aus Eifersucht und Hörigkeit. 1918 stand Sladek bei Spartakus, 1920 bei Hitler. „Sladek ist,“ so schrieb mir Carl Mertens, „die dumpfe Kriegsjugend, die durch die Ereignisse frühreif wurde, ohne je in sich und mit sich fertig zu werden, dumpfes Brüten und Tasten, nicht schlecht, gutmütig und doch – vom Holze, aus dem Mörderhelfer geschnitzt werden, Nachwuchs des kleinen Mittelstandes mit seinen Trancezuständen, das ist das Gros der vaterländischen Verbände, der Fortbildungsschulen und der Dilettantenbühnenvereine.“ Sladek ist also „Kriegsjugend“. Man kann diese Jugend in drei Gruppen teilen: die zahlenmäßig kleine bewußt politisch Proletarische, die Großbürgerliche mit dem Sexualzentrum und die Jugend einer sterbenden Kaste: des Mittelstandes. Sladek gehört zur letzteren. Er ist naturnotwendig Pessimist, liest nur Zeitungen, bildet sich ein, selbständig denken zu können und ist sehr stolz darauf. Sein Wahlspruch lautet: „In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.“ Er gerät in die Kreise der Schwarzen Reichswehr und wird wegen eines Fememordes begnadigt. „Man hat unter mich einen Schlußstrich gezogen“, sagt er und – inzwischen betritt schon fast eine neue Generation den Plan, die den Krieg nur aus amerikanischen Filmen kennt und sich an die Inflation nur dunkel erinnert. Ich behandelte das historische Material nicht als Reportage, sondern ich versuchte auf dem Hintergrunde dieses Zeitbildes Stationen des ewigen Kampfes zwischen Individualismus und Kollektivismus, Egoismus und Altruismus, Internationalismus und Nationalismus, diesem Totengräber der Völker, zu gestalten.

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Typ 1902

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Typ 1902 Gespräch mit Ödön Horváth Ödön Horváth, deutschsprachiger Ungar, Autor der „Bergbahn“, die voriges Jahr mit Erfolg in der Volksbühne gegeben wurde, hält sich in Berlin auf, um den Proben zu seinem neuen Stück, „ S l a d e k d e r s c h w a r z e R e i c h s w e h r m a n n “, das am Sonntagvormittag im Lessingtheater uraufgeführt wird, beizuwohnen. Man bittet ihn, einiges über die Hauptfigur des Stückes zu sagen. Wer ist Sladek?

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„Sladek ist als Figur ein völlig aus unserer Zeit herausgeborener und nur durch sie erklärbarer Typ; er ist, wie ein Berliner Verleger ihn einmal nannte, eine Gestalt, die zwischen Büchners Wozzek und dem Schwejk liegt. Ein ausgesprochener Vertreter jener Jugend, jenes ‚Jahrgangs 1902‘, der in seiner Pubertät die ‚große Zeit‘, Krieg und Inflation, mitgemacht hat, ist er der Typus des Traditionslosen, Entwurzelten, dem jedes feste Fundament fehlt, und der so zum Prototyp des Mitläufers wird. Ohne eigentlich Mörder zu sein, begeht er einen Mord. Ein pessimistischer Sucher, liebt er die Gerechtigkeit – ohne, daß er an sie glaubt, er hat keinen Boden, keine Front… Die inhaltliche Form meines Stückes ist historisches Drama, denn die Vorgänge sind bereits historisch geworden. Aber seine Idee, seine Tendenz ist ganz heutig. Ich glaube, daß ein wirklicher Dramatiker kein Wort ohne Tendenz schreiben kann. Es kommt nur darauf an, ob sie ihm bewußt wird oder nicht. Allerdings lehne ich durchaus die dichterischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, auch im sozialen Drama, ab. Da ich die Hauptprobleme der Menschheit in erster Linie von sozialen Gesichtspunkten aus sehe, kam es mir bei meinem ‚Sladek‘ vor allem darauf an, die gesellschaftlichen Kräfte aufzuzeigen, aus denen dieser Typus entstanden ist. Meine nächste Arbeit ist ein Roman: ‚ H e r r R e i t h o f e r w i r d s e l b s t l o s ‘. Er erscheint demnächst im Propyläen-Verlag. Das Buch behandelt das Problem der Solidarität.“ W. E. O.

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„Sie haben keine Seele“

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„Sie haben keine Seele“

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Wir, das heißt: wir, die sogenannte Nachkriegsgeneration, die wir schreiben, hören es immer wieder: „Ihr habt keine Seele, ihr schreibt aber erschreckend gut, Ihr seid kalt.“ Nur um mal diesen Blödsinn, dieses Schlagwort endgültig zu erledigen, befasse ich mich mit diesem Ausspruch, denn unserer Generation droht die Gefahr, als eine abgestempelt zu werden, was gar nicht stimmt. Ich weiß mich hierin in dieser Abwehr mit allen einig und bitte sie nur um Nachsicht, falls sie in einem oder anderem Punkte einen anderen Sehwinkel gebraucht hätten. „Sie schreibt erschreckend gut –“. Danke. Wir nehmen das zur Kenntnis. Wir wissen es, daß wir präziser uns ausdrücken als die Vorkriegsquatscher. Wir haben die gefallene Kriegsgeneration, unsere älteren Brüder, ersetzt und gehen weiter. „Es ist fast zu virtuos“, – das ist einfach blöd. Das soll wohl heißen: Es ist nur Form ohne Inhalt. Gut. Wir sind materialistisch geschult. An die Seele glauben wir nicht, weil wir an das „Opfer“ nicht glauben. Diesen letzten Weg trauen sich aber die romantischen Quatschköpf nicht mitzugehen. Sie gehen bis zur Sachlichkeit des Klosetts, besonders wenn das Scheißen seelisch gestaltet ist. Die Seele äußert sich auf dreierlei Art:

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1. Ewige Kraft. 2. Das Individuum, was es alles opfern muß, also geht es auf einer anderen Seite hinaus. 3. Liebe zum nächsten. Falls wir so schreiben, daß wir kein Gefühl herausbringen können, so soll man es uns sagen: „Ihr schreibt schlecht!“ Alles andere ist eine Feigheit. Eine Feigheit dieser traurigen Burschen, die mit ihren romantischen Plattfüßen im Individualismus wurzeln. Uns freut der Kollektivismus. Wir können diese Konflikte nur komisch sehen zwischen Individualismus und Kollektivismus.

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Sehr verehrter Herr Heinrich Mann,

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indem ich Ihnen zu allererst danke, daß Sie sich mit der jüngsten Literatur beschäftigen, erlaube ich mir einiges zu sagen, natürlich nur für meine Person und keineswegs im Namen der anderen 23. Was Sie über den einen sagten, erschüttert mich. Natürlich ist das völliger Idiotismus. Überhaupt bilden wir Jungen uns viel zu viel ein. Wir werden verhätschelt, wir sind obenauf, weil die Alten zusammengebrochen sind, nicht durch uns Jungen – aber wir tun nur zu oft, als hätten wir gesiegt. Weiter: der Satz über „wir sind dafür, daß es den anderen gut geht, damit es auch uns gut geht“, und „wir können nicht bessern, das haben wir eingesehen“. Wer, wie ich, nichts Großes geleistet habe, sondern verkommen war und mich langsam emporgearbeitet habe, weiß, daß auch die Literatur ihr Gutes hat. Und wenn man nur in der Gunst einer Frau steigt, daß sie einem mehr liebt, weil sie stolz darauf ist, es mit einem zu tun, der ein Feuilleton verfaßte.

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„Von Gerhart Hauptmann können wir…“

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Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen, sonst nichts. Dieses „sonst nichts“ ist wahrscheinlich nur ein Zeichen der Jugend. Sofern wir also bestrebt sind zu lernen, müssen wir sehr glücklich sein, daß wir von Gerhart Hauptmann lernen können. NB. in puncto „sonst nichts“: Jetzt hätt‘ ich es fast vergessen, nämlich das kleine Wort: Dank. Ödön Horváth

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Gebrauchsanweisung Das dramatische Grundmotiv aller meiner Stücke ist der ewige Kampf zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein. 5

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Ich hatte mich bis heute immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine Stücke zu äußern – nämlich ich bin so naiv gewesen und bildete es mir ein, daß man (Ausnahmen bestätigen leider die Regel) meine Stücke auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen wird. Heute gebe ich es unumwunden zu, daß dies ein grober Irrtum gewesen ist, daß ich gezwungen werde, eine Gebrauchsanweisung zu schreiben. Erstens bin ich daran schuld, denn: Ich dachte, daß viele Stellen, die doch nur eindeutig zu verstehen sind, verstanden werden müßten, dies ist falsch – Es ist mir öfters nicht restlos gelungen, die von mir angestrebte Synthese zwischen Ironie und Realismus zu gestalten. Zweitens: Es liegt an den Aufführungen – Alle meine Stücke sind bisher nicht richtig im Stil gespielt worden, wodurch eine Unzahl von Mißverständnissen naturnotwendig entstehen mußte. Daran ist niemand vom Theater schuld, kein Regisseur und kein Schauspieler, dies möchte ich ganz besonders betonen – sondern nur ich allein bin schuld. Denn ich überließ die Aufführung ganz den zuständigen Stellen – Aber nun sehe ich klar, nun weiß ich es genau, wie meine Stücke gespielt werden müssen. Drittens liegt die Schuld am Publikum, denn: es hat sich leider entwöhnt auf das Wort im Drama zu achten, es sieht oft nur die Handlung – Es sieht wohl die dramatische Handlung, aber den dramatischen Dialog hört es nicht mehr. Jedermann kann bitte meine Stücke nachlesen: Es ist keine einzige Szene in ihnen, die nicht dramatisch wäre – Unter dramatisch verstehe ich nach wie vor den Zusammenstoß zweier Temperamente – die Wandlungen usw. In jeder Dialogszene wandelt sich eine Person. Bitte nachlesen! Daß dies bisher nicht herausgekommen ist, liegt an den Aufführungen. Aber auch an dem Publikum. Denn letzten Endes ist ja das Wesen der Synthese aus Ernst und Ironie die Demaskierung des Bewußtseins. Sie erinnern sich vielleicht an einen Satz in meiner „Italienischen Nacht“, der da lautet: „Sie sehen sich alle so fad gleich und werden gern so eingebildet selbstsicher.“ Das ist mein Dialog. Aus all dem geht schon hervor, daß Parodie nicht mein Ziel sein kann – Es wird mir oft Parodie vorgeworfen, das stimmt aber natürlich in keiner Weise. Ich hasse die Parodie! Satire und Karikatur – ab und zu ja. Aber die satirischen und karikaturistischen Stellen in meinen Stücken kann man an den fünf Fingern herzählen – Ich bin kein Satiriker, meine Herrschaften, ich habe kein anderes Ziel, als wie dies: Demaskierung des Bewußtseins. Keine Demaskierung eines Menschen, einer Stadt – Das wäre ja furchtbar billig! Keine Demaskierung auch des Süddeutschen natürlich – Ich schreibe ja nur deshalb süddeutsch, weil ich anders nicht schreiben kann. Diese Demaskierung betreibe ich aus zwei Gründen: erstens, weil sie mir Spaß macht – zweitens, weil infolge meiner Erkenntnisse über das Wesen des Theaters, über seine Aufgabe und zu guter Letzt Aufgabe jeder Kunst ist folgendes – (und das dürfte sich nun schon allmählich herumgesprochen haben) – Die Leute gehen ins Theater, um sich zu unterhalten, um sich zu erheben, um eventuell weinen zu können,

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oder um irgendetwas zu erfahren. Es gibt also Unterhaltungstheater, ästhetische Theater und pädagogische Theater. Alle zusammen haben eines gemeinsam: Sie nehmen dem Menschen in einem derartigen Maße das Phantasieren ab wie kaum eine andere Kunstart – und lassen diese gestaltete Phantasie dem Zuschauer auch noch zum Erlebnis werden. Die Phantasie ist bekanntlich ein Ventil für Wünsche – Bei näherer Betrachtung werden es wohl asoziale Triebe und Wünsche sein, noch dazu meist höchst primitive. Im Theater findet also der Besucher zugleich das Ventil wie auch Befriedigung (durch das Erlebnis) seiner asozialen Triebe, wobei die scheinbare Antipathie des Zuschauers gegen gemeine asoziale Handlungen keine wahre Empörung ist, sondern eigentlich ein Mitmachen der Gemeinheiten. Er ist also über sich selbst empört. Man nennt diesen Zustand Erbauung. Es wird ein Kommunist auf der Bühne ermordet, in feiger Weise von einer Überzahl von Bestien. Die kommunistischen Zuschauer sind voll Haß und Erbitterung gegen die Weißen – Sie leben aber eigentlich das mit und morden mit, und die Erbitterung und der Haß steigert sich, weil er sich gegen die eigenen asozialen Wünsche richtet. Beweis: Es ist doch eigenartig, daß Leute ins Theater gehen, um zu sehen, wie ein (anständiger) Mensch umgebracht wird (der ihnen gesinnungsgemäß nahe steht) – und dafür Eintritt bezahlen und hernach in einer gehobenen weihevollen Stimmung das Theater verlassen. Was geht denn da vor, wenn nicht ein durchs Miterleben mitgemachter Mord? Die Leute gehen aus dem Theater mit weniger asozialen Regungen heraus wie hinein. (Unter asozial verstehe ich Triebe, die auf einer kriminellen Basis beruhen – und nicht etwa Bewegungen, die gegen eine Gesellschaftsform gerichtet sind – Ich betone das extra, so ängstlich bin ich schon geworden, durch die vielen Mißverständnisse.) Dies ist eine vornehme pädagogische Aufgabe des Theaters. Und das Theater wird nicht untergehen, denn die Menschen werden in diesen Punkten immer lernen wollen – Ja, je stärker der Kollektivismus wird, umso größer wird die Phantasie. Solange man um den Kollektivismus kämpft natürlich noch nicht, aber dann – Ich denke manchmal schon an eine Zeit, die man mit proletarischer Romantik bezeichnen wird. (Ich bin überzeugt, daß sie kommen wird.) Mit meiner Demaskierung des Bewußtseins erreiche ich natürlich eine Störung der Mordgefühle – Daher kommt es auch, daß Leute meine Stücke oft ekelhaft und abstoßend finden, weil sie eben die Schandtaten nicht so miterleben können. Sie werden auf die Schandtaten gestoßen – Sie fallen ihnen auf, und sie erleben sie nicht mit. Es gibt für mich ein Gesetz, und das ist die Wahrheit. Ich habe Verständnis dafür, wenn mich jemand fragt – Lieber Herr, warum nennen Sie dann Ihre Stücke Volksstücke? Auch hierauf will ich heute antworten, damit ich mit derlei Sachen für längere Zeit meine Ruhe habe: Also: das kommt so. Vor sechs Jahren schrieb ich mein erstes Stück, „Die Bergbahn“, und gab ihm den Untertitel und die Artbezeichnung: „Ein Volksstück“. Die Bezeichnung Volksstück war bis dahin in der jungen dramatischen Produktion in Vergessenheit geraten. Natürlich gebrauchte ich diese Bezeichnung nicht willkürlich, das heißt: nicht einfach deswegen, weil das Stück ein bayerisches Dialektstück ist und die Personen Strekkenarbeiter sind, sondern deshalb, weil mir so etwas wie eine Fortsetzung, Erneuerung des alten Volksstückes vorgeschwebt ist – also eines Stückes, in dem Probleme auf eine möglichst volkstümliche Art behandelt und gestaltet werden, Fragen des Volkes, seine einfachen Sorgen, durch die Augen des Volkes gesehen. Ein Volks-

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stück, das im besten Sinne bodenständig ist und das vielleicht wieder anderen Anregung gibt, eben auch in dieser Richtung weiter mitzuarbeiten – um ein wahrhaftiges Volkstheater aufzubauen, das an die Instinkte und nicht an den Intellekt des Volkes appelliert. 5

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Zu einem Volksstück, wie zu jedem Stück, ist es aber unerläßlich, daß ein Mensch auf der Bühne steht. Ferner: Der Mensch wird erst lebendig durch die Sprache. Nun besteht aber Deutschland, wie alle übrigen europäischen Staaten, zu neunzig Prozent aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürgern, auf alle Fälle aus Kleinbürgern. Will ich also das Volk schildern, darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern als treuer Chronist meiner Zeit, die große Masse. Das ganze Deutschland muß es sein! Es hat sich nun durch das Kleinbürgertum eine Zersetzung der eigentlichen Dialekte gebildet, nämlich durch den Bildungsjargon. Um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muß ich ihn also einen Bildungsjargon sprechen lassen. Der Bildungsjargon (und seine Ursachen) fordern aber natürlich zur Kritik heraus – und so entsteht der Dialog des neuen Volksstückes, und damit der Mensch, und damit erst die dramatische Handlung – eine Synthese aus Ernst und Ironie. Mit vollem Bewußtsein zerstöre ich nun das alte Volksstück, formal und ethisch – und versuche, die neue Form des Volksstückes zu finden. Dabei lehne ich mich mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, denn an die Autoren der klassischen Volksstücke. Und nun kommen wir bereits zu dem Kapitel Regie. Ich will nun versuchen, hauptsächlich möglichst nur praktische Anweisungen zu geben: (diese gelten für alle meine Stücke, außer der „Bergbahn“) Bei Ablehnung auch nur eines dieser Punkte durch die Regie, ziehe ich das Stück zurück, denn dann ist es verfälscht. Zu den Todsünden der Regie zählt folgendes: 1. Dialekt. Es darf kein Wort im Dialekt gesprochen werden! Jedes Wort muß hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden. Sehr wichtig! Denn es gibt schon jedem Wort dadurch die Synthese zwischen Realismus und Ironie. Komik des Unterbewußten. Klassische Sprecher. Vergessen Sie nicht, daß die Stücke mit dem Dialog stehen und fallen! 2. In meinen sämtlichen Stücken ist keine einzige parodistische Stelle! Sie sehen ja auch oft im Leben jemand, der als seine eigene Parodie herumlauft – so ja, anders nicht! 3. Satirisches entdecke ich in meinen Stücken auch recht wenig. Es darf auch niemand als Karikatur gespielt werden, außer einigen Statisten, die gewissermaßen als Bühnenbild zu betrachten sind. Das Bühnenbild auch möglichst bitte nicht karikaturistisch – möglichst einfach bitte, vor einem Vorhang, mit einer wirklich primitiven Landschaft, aber schöne Farben bitte. 4. Selbstverständlich müssen die Stücke stilisiert gespielt werden, Naturalismus und Realismus bringen sie um – denn dann werden es Milieubilder und keine Bilder, die den Kampf des Bewußtseins gegen das Unterbewußtsein zeigen – das fällt unter den Tisch. Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog, die ich mit „Stille“ bezeichne – Hier kämpft sich das Bewußtsein oder Unterbewußtsein miteinander, und das muß sichtbar werden.

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5. In dem so stilisiert gesprochenen Dialog gibt es Ausnahmen – einige Sätze, nur ein Satz manchmal, der plötzlich ganz realistisch, ganz naturalistisch gebracht werden muß. 6. Alle meine Stücke sind Tragödien – Sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche muß da sein. 7. Es muß jeder Dialog herausgehoben werden – Ein stummes Spiel der anderen ist streng untersagt. Sehen Sie sich die Volkssängertruppen an. Zum Beispiel im ersten Bild beim Zeppelin: keine Statisten – einzelne Leute mit angeklebten Bärten, Dicke, Dünne, Kinder, Elli und Maria, usw. müssen zusehen – ohne Bewegung, nur die Sprecher selbst, die nicht. Von dem Verschwinden des Zeppelins ab haben alle die Bühne zu verlassen, nur Kasimir und Karoline nicht – Der Eismann kommt nur, wenn man ihn braucht, tritt er an den Kasten – Wenn Kasimir den Lukas haut, kommen die Leute herein, sehen stumm zu, wie das auf dem Bolzen hinaufläuft, gehen wieder ab. Stilisiert muß gespielt werden, damit die wesentliche Allgemeingültigkeit dieser Menschen betont wird – Man kann es gar nicht genug überbetonen, sonst merkt es keiner. Die realistisch zu bringenden Stellen im Dialog und Monolog sind die, wo ganz plötzlich ein Mensch sichtbar wird – wo er dasteht, ohne jede Lüge, aber das sind naturnotwendig nur ganz wenige Stellen. 8. Innerhalb dieses stilisierten Spieles gibt es natürlich Gradunterschiede, so zum Beispiel: Erste Gruppe: (am wenigsten stilisiert) Kasimir Karoline Erna Zweite Gruppe: Schürzinger Rauch Speer Elli Dritte Gruppe: Maria und alle Übrigen. Karikaturistisch: die Statisten und die Abnormitäten.

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Dieser Stil ist das Resultat praktischer Arbeit und Erfahrung, und kein theoretisches Postulat. Und er erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, er gilt vor allem nur für meine Stücke. 40

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Ich hatte mich bis heute immer heftig dagegen gesträubt, mich in irgendeiner Form über meine dramatische Produktion zu äußern, nämlich ich bin so naiv gewesen und habe es mir aus purer Nächstenliebe eingebildet, daß zumindest Dreiviertel des p.t. Publikums (und natürlich auch Dreiviertel der p.t. offiziellen Kritik) in der Lage sein müßte, meine dramatische Produktion auch ohne Gebrauchsanweisung verstehen zu können. Heute allerdings – nachdem bereits vier Stücke von mir gespielt worden sind – bin ich naturnotwendig um einige Erfahrungen betreffend Begriffsvermögen und Auffassungsgabe im Allgemeinen reicher. So unter anderem: daß jenes besagte Dreiviertel die Synthese von Ironie und Realismus, Relativität und Aktivität, die in meinen Augen den einzigen wirklichen Wert meiner Stücke ausmacht. Es besteht ja nun allerdings die Möglichkeit, daß dieses und alle anderen Mißverständnisse (auf die einzugehen ich mir erspare, da sie zu dumm sind) mit einem winzigen Rechte sich damit verteidigen können, daß meine Stücke bisher nicht ganz richtig im Stil gespielt worden sind. Aber selbst zugegeben, daß dies stimmt, ist es eine sehr lächerliche Verteidigung mit fadenscheinigen Argumenten. Trotzdem habe ich mich entschlossen, um einmal über die Basis volle Klarheit zu schaffen, im folgenden einiges über die Wiedergabe meines Stückes „Kasimir und Karoline“ zu sagen – Das Grundsätzliche gilt natürlich auch für alle meine Stücke. Also: Es ist verboten: 1.

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C RONAUER Herr von Horváth, ich hab also das Vergnügen, Sie im Auftrage des Bayerischen Rundfunks 20 Minuten lang zu interviewen und hoffe, daß ich in dieser kurzen Zeit sehr viel von Ihnen erfahren kann. Seit Sie durch die Verleihung des Kleistpreises geehrt wurden, sind die Tageszeitungen und literarischen Blätter voll von Meinungen über Sie, und ich glaube fast, daß kein moderner Dramatiker die Herzen und Hirne der Kritik für und wider mehr entflammte als Sie, Herr Horváth. Es wird also ganz interessant sein, von Ihnen selbst einmal wahre Daten und Meinungen zu hören. H ORVÁTH Also meine Meinung können Sie schon hören. Und um Ihnen die erste Frage zu ersparen, erzähle ich Ihnen gleich, wann und wo ich geboren bin und ob ich ein reinrassiger deutscher Schriftsteller bin oder bloß so eine Mischung. Darum bin ich ja schon x-mal gefragt worden, und da kommts mir jetzt auch nicht mehr drauf an. Also wenn man mich fragt, ob ich ein Deutscher bin, so kann ich darauf nur antworten: Ich fühle mich als ein Mensch, der sich unter allen Umständen zum deutschen Kulturkreis zählt – und warum ich mich zum deutschen Kulturkreis gehörend betrachte, liegt wohl vor allem daran, daß meine Muttersprache die deutsche ist. Und dies dürfte meiner Meinung nach der ausschlaggebende Grund sein. Dann erst folgt die Tatsache, daß ich entscheidende Entwicklungsjahre in Deutschland, und zwar in Südbayern und in Österreich, verlebt habe. Mein Name ist zwar rein ungarisch – und ich habe auch ungarisches Blut in mir, auch tschechisches und kroatisches –, ich bin also eine typische österreich-ungarische Angelegenheit. Aber ich glaube in meinem persönlichen Interesse, daß die Produkte derartiger Rassenmischungen nicht unbedingt die schlechtesten sein müssen. – Es gibt bekanntlich solche Rassengemischte, die spätere Zeiten dann – und mit Recht – als die echtesten und größten Repräsentanten deutschen Wesens bezeichnet haben. C RONAUER Zum Beispiel Nietzsche. H ORVÁTH Ja, das war z.B. ein halber Pole. Und der Kunstmaler und Dichter Albrecht Dürer ist ein halber Ungar gewesen. Bekanntlich hieß sein Vater Ajtosi, was zu Deutsch so viel heißt wie Türer. Ajto heißt Türe. – Aber lassen Sie mich von diesen historischen Höhen wieder zu mir heruntersteigen – Ich möchte noch folgendes sagen: immer wieder lese ich in Artikeln, daß ich ein ungarischer Schriftsteller bin. Das ist natürlich grundfalsch. Ich habe noch nie in meinem Leben – außer in der Schule – irgendetwas ungarisch geschrieben, sondern immer nur deutsch. Ich bin also ein deutscher Schriftsteller. C RONAUER Von Ihrer deutschen, ja absolut süddeutschen Art wird wohl jeder, der Ihre Arbeiten genauer kennt, überzeugt sein, auch wenn Sie nicht gerade deutscher Staatsbürger sind. Vielleicht darf ich Sie nun doch bitten – in Ergänzung des vorigen – uns zu sagen, wo Sie geboren sind? H ORVÁTH Wenn Sie sich also mit einem Teil meines Privatlebens schon beschäftigen wollen, so gebe ich Ihnen gerne Auskunft. – Also: Geboren bin ich in Fiume am adriatischen Meer und zwar vor dreißig Jahren. Während ich mutierte, kam ich als Dreizehnjähriger, ich hab schon früh mutiert, nach München, wo ich am Wilhelmsgymnasium und am Realgymnasium tätig war. C RONAUER Erfolgreich?

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H ORVÁTH Na – mehr oder minder. Mehr minder. C RONAUER Das war in den ersten Kriegsjahren. H ORVÁTH Ja, während ich da tätig war, brach der Weltkrieg aus. Wenn ich daran zurückdenke, so muß ich sagen, daß ich heute das Gefühl habe, als könnte ich mich an die Zeit vor dem Weltkrieg nicht mehr erinnern. Ich muß mich schon ziemlich anstrengen, damit mir aus dieser Friedenszeit wieder etwas einfällt, und ich glaube, so ähnlich wird es Ihnen und wohl allen unseren Altersgenossen gehen? C RONAUER Ja – da muß ich Ihnen vollkommen beistimmen. H ORVÁTH Der Weltkrieg verdunkelt unsere Jugend, und wir haben wohl kaum Kindheitserinnerungen. Aber ich denke, wir wollen über diese vergangenen Jahre nicht weiterreden. C RONAUER Ja – übergehen wir diese Zeit, und kommen wir lieber auf die schönen Künste zu sprechen. Wollen Sie uns nicht sagen, Herr Horváth, wie Sie eigentlich Schriftsteller geworden sind? H ORVÁTH Auf eine sehr komische Art und auf einen sogenannten inneren Drang hin. C RONAUER Sie hatten doch sicher schon sehr früh die Absicht, unter die „Literaten“ zu gehen? H ORVÁTH Ja – und auch nein. – Das kam nämlich ungefähr so: Ich besuchte 1920 in München die Universität und hatte, wie man so zu sagen pflegt, Interesse an der Kunst, hatte mich selber aber in keiner Weise noch irgendwie künstlerisch betätigt – nach außen hin – innerlich, mit dem Gedanken schon, da sagte ich mir: Du könntest doch eigentlich Schriftsteller werden, du gehst doch z.B. gern ins Theater, hast bereits allerhand erlebt, du widersprichst gern, fast dauernd, und dieser eigentümliche Drang, das, was man so sieht und erlebt und vor allem: was man sich einbildet, daß es die anderen erleben, niederzuschreiben, den hast du auch – und dann weißt du auch, daß man nie Konzessionen machen darf, und daß es dir immer schon gleichgültig war, was die Leute über dich geredet haben – und so hatte ich eigentlich schon auch das, was pathetische Naturen als die „Erkenntnis einer dichterischen Mission“ bezeichnen. Durch einen Zufall lernte ich hier in München eines Abends den Komponisten Siegfried Kallenberg kennen. 1920. Kallenberg wandte sich an jenem Abend plötzlich an mich mit der Frage, ob ich ihm nicht eine Pantomime schreiben wolle. – Ich war natürlich ziemlich verdutzt, weil ich es mir gar nicht vorstellen konnte, wieso er mit diesem Anliegen ausgerechnet an mich herantritt – Ich war doch gar kein Schriftsteller und hatte noch nie in meinem Leben irgendetwas geschrieben. Er muß mich wohl verwechselt haben, dachte ich mir – und ursprünglich wollte ich ihn auch aufklären, dann aber überlegte ich es mir doch anders: warum sollte ich es nicht einmal probieren, eine Pantomime zu schreiben. Ich sagte zu, setzte mich hin und schrieb die Pantomime. Die wurde dann auch später aufgeführt. Die erste Kritik, die ich über mein dichterisches Schaffen erhalten habe – Ich glaube, daß Sie die interessiert? – C RONAUER Gewiß. H ORVÁTH Sie war nämlich vernichtend und begann mit folgenden Worten: „Es ist eine Schmach und dergleichen.“ Aber ich nahm mir das weiter nicht sehr zu Herzen. C RONAUER Und widmeten sich dann ganz der Dichtkunst? H ORVÁTH Ah! – Ich versuchte es noch mit allerhand mehr oder minder bürgerlichen Berufen – aber es wurde nie etwas Richtiges daraus – Anscheinend war ich doch zum Schriftsteller geboren. – C RONAUER Nun darf ich Sie wohl bitten, uns gleich etwas über Ihre weiteren Arbei-

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ten zu sagen. Ihr erstes Stück: „Die Bergbahn“, das einen Vorfall beim Bau der Zugspitzbahn dramatisch behandelt, machte Sie zuerst als Dramatiker bekannt? H ORVÁTH Ja – das Stück hat zum Inhalt den Kampf zwischen Kapital und Arbeitskraft. Zwischen den beiden Parteien steht ein Ingenieur, und durch ihn ist die Stellung der sogenannten Intelligenz im Produktionsprozeß charakterisiert. C RONAUER Sie bezeichneten „Die Bergbahn“ – wie ja später alle Ihre Dichtungen – als ein Volksstück. Fast ist ja uns heutigen Menschen der Charakter des „Volksstückes“ gänzlich verlorengegangen – Es dürfte also von besonderem Interesse sein, von Ihnen, Herr Horváth – den namhafte Kritiker – Kerr, Diebold, Polgar – den Erneuerer des Volksstückes nannten –, Ihre Beweggründe, die Sie zu dieser Bezeichnung führten, kennenzulernen. H ORVÁTH Ich gebrauchte diese Bezeichnung Volksstück nicht willkürlich, d.h. nicht einfach deshalb, weil meine Stücke mehr oder minder bayerisch oder österreichisch betonte Dialektstücke sind, sondern weil mir so etwas Ähnliches wie die Fortsetzung des alten Volksstückes vorschwebte. – Des alten Volksstükkes, das für uns junge Menschen mehr oder minder natürlich auch nur noch einen historischen Wert bedeutet, denn die Gestalten dieser Volksstücke, also die Träger der Handlung haben sich doch in den letzten zwei Jahrzehnten ganz unglaublich verändert. – Sie werden mir nun vielleicht entgegenhalten, daß die sogenannten ewig-menschlichen Probleme des guten alten Volksstückes auch heute noch die Menschen bewegen. – Gewiß bewegen sie sie – aber anders. Es gibt eine ganze Anzahl ewig-menschlicher Probleme, über die unsere Großeltern geweint haben und über die wir heute lachen – oder umgekehrt. Will man also das alte Volksstück heute fortsetzen, so wird man natürlich heutige Menschen aus dem Volke – und zwar aus den maßgebenden, für unsere Zeit bezeichnenden Schichten des Volkes auf die Bühne bringen. Also: Zu einem heutigen Volksstück gehören heutige Menschen, und mit dieser Feststellung gelangt man zu einem interessanten Resultat: Nämlich, will man als Autor wahrhaft gestalten, so muß man der völligen Zersetzung der Dialekte durch den Bildungsjargon Rechnung tragen. C RONAUER Ja – der heutige Mensch ist natürlich ein anderer als der verflossener Jahrzehnte – Seine Sprache, seine Leidenschaften und seine Weltanschauung haben sich geändert. H ORVÁTH Natürlich. Und um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muß ich ihn also dementsprechend reden lassen. Nun hab ich zu meinen Gestalten, wie aber natürlich auch zu jedem Menschen in puncto ihrer Möglichkeit, sich zu 100 % als soziale Wesen zu entwickeln und nicht nur etablieren, keine positive, eher eine skeptische Einstellung, und dies glaube ich damit am besten zu treffen, indem ich eine Synthese von Ernst und Ironie gebe. Aus dieser Erkenntnis zog ich die Konsequenz. Mit vollem Bewußtsein zerstörte ich das alte Volksstück, formal und ethisch – und versuchte als dramatischer Chronist, die neue Form des Volksstückes zu finden. – C RONAUER Ist diese „neue Form“ des Volksstückes in dem bei Ihren Dichtungen doch besonders hervortretenden epischen Charakter zu suchen? H ORVÁTH Ja. Diese neue Form ist mehr eine schildernde als eine dramatische. Sie knüpft formal mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an als an die Autoren der früheren Volksstücke – C RONAUER Volksstücke. Und haben dabei einen starken satirischen Charakter.

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H ORVÁTH Ja, ich stehe zu Satire absolut positiv. Ich kann gar nicht anders. C RONAUER Damit wären wir bei einem heiklen Thema angelangt – Sie wissen ja, daß man uns Jungen gerade unsere positive Stellung zu Satire und Ironie zum starken Vorwurf macht – als einen Mangel an Anteilnahme, an Bewunderung und an Ehrfurcht auslegt. Und es ist doch in Wirklichkeit gerade das Gegenteil. Es ist weiß Gott keine Überhebung, der wir uns schuldig machen – Wir sehen darin eine Welt- und Lebensanschauung und letzten Endes eine uns führende und weisende Selbstkritik. – Aber das wird uns heute eben noch nicht zuerkannt, man mißversteht unsere kämpferischen Absichten, bestreitet unsere Ehrlichkeit und versagt uns, die unserem Schaffen so notwendige Anteilnahme und Anerkennung. Man macht es uns doppelt schwer – Man isoliert uns und wendet in der großen Öffentlichkeit den Blick fast ausschließlich auf vergangene Zeiten. Vor lauter Geburtstags-, Jahrestags- und Todestaggedenkfeiern übersieht man, daß es eine nach neuen Formen und Idealen strebende Jugend gibt. – – Aber daß wir von unserem Thema nicht abgehen, es würde auch zu weit führen – H ORVÁTH Da habens schon sehr recht, Herr Cronauer, und ich erkläre es mir auch so, daß meine Stücke bei einem Teil der Presse oft eine ziemliche Erregung auslösten – Persönlich ist mir das ziemlich schleierhaft. Man wirft mir vor, ich sei zu derb, zu ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden gediegenen Eigenschaften gibt – und man übersieht dabei, daß ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt so zu schildern, wie sie halt leider ist. – Und daß das gute Prinzip auf der Welt den Ton angibt, wird man wohl kaum beweisen können – behaupten schon. – Der Widerwille eines Teiles des Publikums beruht wohl darauf, daß dieser Teil sich in den Personen auf der Bühne selbst erkennt – und es gibt natürlich Menschen, die über sich selbst nicht lachen können – und besonders nicht über mehr oder minder bewußtes, höchst privates Triebleben. C RONAUER Ich glaube auch, daß es daran liegt, daß die meisten Menschen nicht aus der Erkenntnis heraus lachen und damit verstehen können. – Sie lachen lieber über einen blöden Witz – bei dem man sich weiter nichts denken braucht, und der sie auch ‚persönlich‘ gar nichts angeht. – H ORVÁTH Jawohl. C RONAUER Ihre Stellung zur Parodie, würde mich noch interessieren, Herr Horváth. H ORVÁTH Die Parodie lehne ich als dramatische Form ab. Parodie hat meines Erachtens mit Dichtung gar nichts zu tun und ist ein ganz billiges Unterhaltungsmittel. C RONAUER Nun, Herr Horváth, lassen Sie uns auf unser gemeinsames Steckenpferd, auf das Theater zu sprechen kommen. – Es ist uns ja leider nicht die Zeit gegeben, über die werdende neue Form des Theaters zu sprechen – aber vielleicht wird uns einmal hierzu Gelegenheit gegeben – denn ich bin überzeugt, daß Sie und auch ich, gerne hierüber plaudern würden – und es gäb da ja unendlich viel zu sagen: über das neue Drama, über das chorische Drama – den neuen Schauspieler – und Sprecher, über Regie und auch über neue Theaterführung, über den Mut zum Kämpferischen und Neuen, zur Heranbildung eines Publikums und dessen kritischer Presse. – In unserer Begeisterung und in unserem bestimmten Wissen um die kulturelle Bedeutung und Aufgabe des Theaters treffen wir uns wohl im Glauben an dessen Fortbestand. Im Glauben an seine innere Entwicklung und der Überwindung aller äußeren Nöte? H ORVÁTH Sicherlich. – Und wenn man auch heutzutage – und zwar sehr ernstlich –

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Ödön von Horváth (Interview)

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über den Untergang des Theaters spricht. Natürlich geht es den Theatern wirtschaftlich miserabel – aber wem geht es heut nicht so? – Es ist schon möglich oder es ist sogar sicher, daß viele Theater zugrundegehen – aber dann werden eben dafür Liebhaberbühnen erstehen – C RONAUER Die – wenn ich Sie unterbrechen darf – sicher nicht unkünstlerischer, dabei aber großzügiger und weniger geschäftstüchtig arbeiten werden. H ORVÁTH Das ist anzunehmen. Das Theater als Kunstform kann nicht untergehen, aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen es brauchen. Für mich ist das eine selbstverständliche, bestehende Tatsache. Es phantasiert also für den Zuschauer, und gleichzeitig läßt es ihn auch die Produkte dieser Phantasie erleben. Es ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, daß fast alle Stücke irgendein kriminelles Moment aufweisen – ja: daß die weitaus überragende Zahl aller Dramenhelden bis zu den Statisten sich irgendeines Verbrechens schuldig machen, also eigentlich keine ausgesprochenen Ehrenmänner sind. Es ist doch eine sonderbare Tatsache, daß sich Leute einen Platz kaufen und ins Theater gehen und sich schön anziehen und parfümieren, um dann auf der Bühne mehr oder minder ehrenrührigen Dingen zu lauschen oder zuzuschauen, wie einer oder auch zwei umgebracht werden, – und hernach das Theater verlassen und zwar in einer weihevollen Stimmung, ethisch erregt. Was geht da in dem einzelnen Zuschauer vor? Folgendes: seine scheinbare Antipathie gegen die kriminellen Geschehnisse auf der Bühne ist keine wahre Empörung, sondern eigentlich ein Mitmachen, ein Miterleben und durch dieses Miterleben ausgelöste Befriedigung asozialer Triebe. Der Zuschauer ist also gewissermaßen über sich selbst empört. Man nennt diesen Zustand Erbauung. C RONAUER Und mit diesem Zustand „Erhebung“ wäre eigentlich die Aufgabe des Theaters erfüllt – Es wäre nur zu wünschen, daß diese Erbauung, die das Theater doch geben soll, auch den breiten Volksschichten, die ja heute kaum mehr in das Theater gehen – zuteil werden möge. H ORVÁTH Daß das Interesse am Theater im breiten Volke nachgelassen hat, liegt wohl auch daran, daß wir kein richtiges, echtes bodenständiges Volkstheater mehr haben – Aber auf dem Wege zu ihm sind wir. Meiner Meinung nach. C RONAUER Aus psychologischen Gründen spreche ich eigentlich grundsätzlich nie über die sozialen und wirtschaftlichen Nöte unserer Zeit – aber glauben Sie nicht auch, daß viele Theaterfreunde – gerade aus dem Volke – wegen Geldmangel einfach nicht ins Theater gehen können? H ORVÁTH Natürlich leiden die Bühnen sehr unter der wirtschaftlichen Krise – obgleich es andererseits zu denken gibt, daß die Kinos teilweise sogar sehr gut besucht sind – Es liegt aber auch woanders, und hier hätte ich einen kleinen praktischen Vorschlag: Abschaffung der Garderobe und des gesellschaftlichen Kleidungszwanges. Viele, viele Menschen gehen nicht ins Theater, weil sie keinen schönen Anzug haben – Könnten sie ihren Mantel anbehalten oder in ihrem Werktagskleide bleiben, wären die Theater sicher besuchter. – Und es kommt ja nicht auf die vielen schönen Garderoben an, sondern auf die Menschen und die Köpfe, die im Zuschauerraum sitzen. C RONAUER Das ist ein sehr beachtenswerter Vorschlag, und ich bin überzeugt – auch aus persönlicher Erfahrung –, daß mit seiner Durchführung schon eine große Anzahl des verloren gegangenen Publikums zurückzugewinnen wäre. Nun sehe ich aber leider, daß die vorgeschrittene Zeit es mir nicht mehr erlaubt, Ihnen noch

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Ödön von Horváth (Interview)

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verschiedene Fragen vorzulegen. Ich muß unser Zwiegespräch beenden, und ich hoffe nur, daß die Zuhörer des Bayerischen Senders den gleichen Gewinn wie ich aus Ihren Äußerungen und Anregungen gezogen haben. Ich danke Ihnen. H ORVÁTH Ganz meinerseits.

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Randbemerkung von Ödön Horváth. 5

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Februar 1932 traf ich auf der Durchreise in München einen Bekannten, namens Lukas Kristl, der schon seit einigen Jahren Gerichtssaalberichterstatter ist. Er sagte mir damals ungefähr folgendes: Ich (Kristl) verstehe die Dramatiker nicht, warum nämlich diese Dramatiker, wenn sie Tatbestand und Folgen eines Verbrechens dramatisch bearbeiten, fast immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ selten begangen werden – und warum sich also diese Dramatiker fast niemals um die kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf-landab tausendfach und tausendmal begegnen, und deren Tatbestände ungemein häufig nur auf Unwissenheit basieren, und deren Folgen aber trotzdem fast ebenso häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ja selbst der Todesstrafe ähneln. Und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis – und aus diesem alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz „Glaube Liebe Hoffnung“. Die Personen Elisabeth, den Schupo (Alfons Klostermeyer), die Frau Amtsgerichtsrat und den Oberinspektor hat Kristl persönlich gekannt. Es ist mir ein Bedürfnis, ihm auch an dieser Stelle für die Mitteilung seiner Materialkenntnisse und für manche Anregung zu danken. Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben – Aber natürlich in der Erkenntnis, daß es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in jeder wie auch immer gearteten sozialen Gemeinschaft geben muß. Zu guter Letzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, daß man jene kleinen Paragraphen vielleicht (verzeihen Sie bitte das harte Wort!) humaner anwenden könnte. Und dies war auch meine Absicht, allerdings war ich mir jedoch dabei im Klaren, daß dieses „gegen kleine Paragraphen“ eben nur das Material darstellt, um wieder mal den gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll – höchstens, daß mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes genießt. Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich auch bei diesem kleinen Totentanz befleißigt, es nicht zu vergessen, daß dieser aussichtslose Kampf des Individuums auf bestialischen Trieben basiert, und daß also die heroische oder feige Art des Kampfes nur als ein Formproblem der Bestialität, die bekanntlich weder gut ist noch böse, betrachtet werden darf. Wie in allen meinen Stücken habe ich auch diesmal nichts beschönigt und nichts verhäßlicht. Wer wachsam den Versuch unternimmt, uns Menschen zu gestalten, muß zweifellos (falls er die Menschen nicht indirekt kennengelernt hat) feststellen, daß ihre Gefühlsäußerungen verkitscht sind, das heißt: verfälscht, verniedlicht und nach masochistischer Manier geil auf Mitleid, wahrscheinlich infolge geltungsbedürftiger Bequemlichkeit – Wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht, wird wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können, und hier möchte ich mir nur erlauben, rasch folgendes zu betonen: Ich habe und werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische ab. Wie in allen meinen Stücken versuchte ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl die

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vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der es sich manchmal einbildet, nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne dich bitte selbst! Auf daß du dir jene Heiterkeit erwirbst, die dir deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiß nicht über dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter dich stellt, so daß du dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! – „Glaube Liebe Hoffnung“ könnte jedes meiner Stücke heißen. Und jedem meiner Stücke hätte ich auch folgende Bibelstelle als Motto voraussetzen können, nämlich: Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf; und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebet, wie ich getan habe. So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Mos. I. 8,21.

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Als ich vor einem halben Jahre von der erfolgreichen Aufnahme meines Stückes „Kasimir und Karoline“ in Wien erfuhr, habe ich mich sehr gefreut, denn ich habe es immer gehofft und geahnt, daß meine Stücke gerade in Wien Verständnis finden müßten. Denn genau wie der Verfasser, sind auch seine sogenannten Kinder „k. u. k“ Erzeugnisse – d.h. sie streben nach Wahrheit, trotz der Illusion, daß es eine solche nicht gibt oder nicht geben darf. Als mein Stück 1932 in Berlin uraufgeführt wurde, schrieb fast die gesamte Presse, es wäre eine Satire auf München und auf das dortige Oktoberfest – Ich muß es nicht betonen, daß dies eine völlige Verkennung meiner Absichten war, eine Verwechslung von Schauplatz und Inhalt; es ist überhaupt keine Satire, es ist die Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut mit der Ambition, eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heißt durch die alltägliche Erkenntnis: „Sterben müssen wir alle!“ Unabhängig von den zeitlich bedingten Kostümierungen ist und war es in Berlin immer Sitte, zu fragen: „Gegen wen richtet sich das?“ Man hat nie gefragt: „Für wen tritt es ein?“ Das „gegen“ war und ist dort immer wichtiger als das „für“. Ich habe die Wiener Aufführung noch nicht gesehen, und ich freue mich sehr, daß Herr Lönner sie wieder im Spielplan aufgenommen hat, und zwar aus dem egoistischen Wunsch, sie sehen zu können. Und es freut mich umso mehr, daß ich die Darsteller, die ich in anderen Stücken und Rollen als wahrhafte Künstler kennen und schätzen gelernt habe, in meinem Stück sehen werde.

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Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?

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WAS SOLL EIN SCHRIFTSTELLER HEUTZUTAG SCHREIBEN?

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Meine Damen und Herren! Der Titel meines Vortrages ist etwas lang; er wäre kürzer, wenn wir keine Zensur hätten. Es ist der Vorteil der Zensur immer schon gewesen, daß der Zensurierte sich anstrengen muß, Bilder zu finden. Die Zensur fördert also die Bildbegabung, die visionäre Schau, mit anderen Worten: Aus der Zensur entsteht das Symbol. Ohne Zensur gibts kein Symbol. Und auch kein dichterisches Bild. Denn ein dichterisches Bild, das der Zensur gefällt, ist kein dichterisches Bild, sondern die Träumerei einer unbefriedigten Briefschreiberin. Sie werden nun mit Recht einwenden, daß wir keine Zensur haben oder nur so ein ganz bisserl eine, die sich auf alle öffentlichen Gebiete auch des Geisteslebens erstreckt. Nun, es ist möglich, daß der eine oder andere Staat des Abendlandes keine Zensur hat, so besteht aber eine inoffizielle, und die besteht immer. Und so wollen wir nun die Zensur deklinieren. Die Zensur ist ein Produkt der Angst. Die Angst hat viele Kinder. Ich erwähne nur die Lüge, die Hemmung, die Tücke, und zum Teil auch die Unwissenheit – (aber da ist noch ein anderer Vater dabei) – aber nicht die Dummheit! Oh, nein! Die Dummheit, das ist ein eigenes Gebiet, die bewohnt ein feines, schönes Haus. Aber wir wollen nicht über die Dummheit reden. Man soll solche Worte heutzutag gar nicht in den Mund nehmen, man setzt sich noch der Gefahr aus, daß man eingesperrt wird. Und wenn nicht heute, dann in 1 Jahr, dann kommt einer und sagt: Sie, Sie haben mal gesagt, ich bin dumm. Sie das ist Landesverrat. Und dann wird man geköpft. Gebrauchen wir dafür Bilder, Symbole: z.B. Nationalismus, Antisemitismus – Es werden noch manche sagen, er machts sich zu billig: Die haben mich nicht verstanden. Ich sagte: Symbole der Dummheit. Ich könnte auch sagen, das Symbol der Dummheit wär ein Idiot in einem Abendkleid. Weder das Abendkleid ist dumm, noch die Schuhe – aber der Inhalt. Die Zensur übt jeder privat. Jeder sagt privat: Nein, davon will ich nichts wissen. Das ist mir zu frei, d.h. zu unangenehm. Sie sehen, er übt auch gegen sich selbst Zensur. Er gebraucht das Bild der Freiheit für das Nichterinnertwerdenwollensein an seine Schwäche. Der Impotenzler als Freiheitskämpfer – und schon ist er ein verhängnisvoller und geschäftstüchtiger. Aber es gibt Länder ohne Zensur; z.B. Russland und Deutschland. In beiden Ländern braucht man keine Zensur. Denn es gibt nichts zu zensurieren. Denn beide Bewegungen sind anti-geistig. Die Materie fehlt. Sie üben auch die Zensur nur gegen Autoren aus dem Auslande aus. 1.) Die Zensur. 2.) Der Begriff des Schriftstellers. 3.) Die echte und die falsche Würde. 4.) Die Marlitt wird modern. 5.) Was ist Menschlichkeit? Verständnis und Verzeihung für die kleinen Schweinereien. Haß gegen die Großen. (Heute ist es umgekehrt.) 6.) Sport. (Bilder) 7.) Der letzte Ritter.

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Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?

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(Verlust der Ritterlichkeit) 8.) Das Gewissen. 9.) Die mißhandelte Vernunft. (Die vornehmste Aufgabe des Schriftstellers ist es, vernünftig zu sein. Ich könnte mir die Definition leicht machen, indem ich sage: Vernünftig ist, wer klar ist. Aber die Klarheit ist heut unbeliebt. Und so komme ich am Ende wieder zum Anfang zurück: zur Zensur. Aber es gibt nur eine wahrhafte Zensur: das Gewissen! Und das dürfen wir nie verlassen! Auch ich habe es verlassen, habe für den Film z.B. geschrieben wegen eines neuen Anzugs und so. Es war mein moralischer Tiefstand. Heut hab ich noch eine Krawatte davon. Und die Pflicht der anderen ist, seine Bücher zu kaufen – jawohl, seine Bücher, denn sonst bleibt ihm nichts anderes übrig, als in Schönheit zu sterben, nämlich zu verhungern.) 10.) Wir leben in einer Zeit, in der ein großer Teil der Welt von Verbrechern und Narren beherrscht wird. 11.) Das Ziel jedes Staates ist die Verdummung des Volkes. Keine Regierung hat ein Interesse daran, daß das Volk gescheit wird. Also steht jede Regierung in Feindschaft gegen die Vernunft, nämlich gegen die Vernunft der Anderen. Die Regierung ist umso stärker, je fester sie darauf schaut, daß das Volk verdummt wird. 12.) Und das Volk will nur hören, daß es wichtig ist. – – – Der Sport ist eine internationale Reaktion auf die Röllchen. ×

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Der Sport ist auch ein Fundament zur Entwicklung der Individualität. Aber es ist eine völlig ungeistige Individualität. ×

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Die Arten des Sportes: Zuschauer und Aktive Die Liebe zur Mißgeburt (Früher zum buckligen Geistigen) (Jetzt zum geraden Idioten) 13.) Was hat die Beseitigung der Arbeitslosigkeit mit dem Kampf gegen die Vernunft zu tun? Die Antwort ist etwas kompliziert, aber sie fällt nicht schwer: Sie hat eigentlich nichts damit zu tun. Uneigentlich alles. Der Begriff des Uneigentlichen. Der Schriftsteller ist kein Individualist. Aber: nur Freude und Erfolg, d.h. Geldverdienen – das geht nicht! Damit versündigt er sich gegen sein Talent. Und die Sünde gegen das Talent, das endet in der Hölle des Stumpfsinns. Er wird alt und nichts. Seine Kinder werden Idioten. Verantwortung, d.h. nichts anderes, wie einfach ausgedrückt: Gewissen. (Ich weiß nicht, was ein Schriftsteller von den Zeitungen hat?! Von der Reklame?!)

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Es ist vielleicht grotesk, in einer Zeit, die wie die, in der ich lebe, unruhig ist, und wo niemand weiß, was morgen sein wird, sich ein Programm im Stückeschreiben zu stellen. Trotzdem wage ich es, obwohl ich nicht weiß, was ich morgen essen werde. Denn ich bin überzeugt, daß es nur Sinn hat, sich ein großes Ziel zu stecken. Zur Rechtfertigung und Selbstermunterung. – Ich habe in den Jahren 1932–1936 verschiedene Stücke geschrieben, sie sind, außer zweien, gespielt worden, und zwar, wie man so zu sagen pflegt, mit Erfolg, außer einem. Diese Stücke ziehe ich hiermit zurück, sie existieren nicht, es waren nur Versuche: Es sind dies: Kasimir und Karoline. Liebe, Pflicht und Hoffnung. Die Unbekannte der Seine. Hin und Her. Himmelwärts. Figaro läßt sich scheiden. Don Juan kommt aus dem Krieg. Das jüngste Gericht. Einmal beging ich einen Sündenfall. Ich schrieb ein Stück, Mit dem Kopf durch die Wand, ich machte Kompromisse, verdorben durch den neupreußischen Einfluß, und wollte ein Geschäft machen, sonst nichts. Es wurde gespielt und fiel durch. Eine gerechte Strafe. So habe ich mir nun die Aufgabe gestellt, frei von Verwirrung die Komödie des Menschen zu schreiben, ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft. Es gibt nichts Entsetzlicheres als eine schreibende Hur. Ich geh nicht mehr auf den Strich und will unter dem Titel „Komödie des Menschen“ fortan meine Stücke schreiben, eingedenk der Tatsache, daß im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist.

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Lyrik

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Luci in Macbeth

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Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte von Ed. v. Horváth

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„So sieht der ‚liebe‘ Luci aus Der in Belgrad ist zuhaus.“ Da packt dich schon ein kalter Graus Und du reißt schleunigst aus. Doch lieber Leser bleibe hier Aus Lucis Leben muß ich dir Eine Schauergeschichte erzählen:

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Der Luci war zwölf Jahre alt Als er schon ganz saukalt In „Macbeth“, „Hamlet“ usw. Hat gehen wollen ganz heiter.

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Da kaufte ihm ein Billet Der „liebe“ Papa für „Macbeth“ 20

Um Punkt sieben die Vorstellung begann Der Luci vor Neugierde zerrann. Und endlich als es losging Der Luci zu heulen anfing.

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Weil auf der Bühne – oh schauerig Drei Hexen jodelten fürchterlich

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Der Luci wußte nicht wie es kam Als ihm die erste Träne rann Die Hexen jodelten immerzu fort Dem Luci schien es nicht geheuer am Ort

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Und als endlich das erste Bild aus war Da flüchtete Luci aus dem Lokal Er rannte in einer Tour bis nach Haus „Die Vorstellung war für mich ein Graus“

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Und sogar in der Nacht Ist er oft aufgewacht.

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Denn vor Geistern fürchtet er sich sehr Und Geister kamen immer noch mehr.

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Luci in Macbeth

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In der Frühe seufzt der Luci schwer: „In ‚Macbeth‘ gehe ich nimmermehr!“

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Diese Geschichte gibt dir eine Lehre: In das Theater gehören keine Zwerge!

Ed. v. Horváth

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Glück

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Glück. Ein Gedicht von Ödön Josef von Horváth 5

Dir: Gustl Emhardt.

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Und der Frühling kommt ins Land – Nebeneinand Hand in Hand Liegen wir: Ich mit dir, Wie in einem Traum, Unter blühendem Baum Umhüllt von der Nacht Und milder Blumenpracht. Kann nicht mehr reden, Kann nur verstehen Ohne zu fragen Ohne zu wagen Zu sagen: – Fühle ich dich: Mich! In meiner Hand meine Hand – Und der Frühling ist im Land – Wenn ich schreibe: Schreibe ich dir. Wenn ich schreite: Schreit ich zu dir. Wenn ich denke: Denk ich an dich. Wenn ich küsse: Küsse ich dich. Über der Welt Der Abend So liebesehnenlabend. Auf den Bergen Das Rot. In meiner Seele Der Tod. Ich lag Auf einer Wiese Wie in einer Wiege Und dachte nicht –

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Und sah nicht Wie am Himmel Die Wolken Über das wogende Meer Mit Donner und Blitz Rollten. Wie Schiffe versanken, Wie Menschen ertranken – Nur dich Sah ich: Deine Beine, Dein Haar, Deiner Augen Paar. – Und glücklich War ich.

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Und kühler wird der Sonne Schein, Länger die Schatten: Dunkle Wolken ziehen Über fahle Matten. – Bald – bald – Unheimlich kalt Rauscht der alte Wald. – Alle Gassen Sind verlassen Alle Menschen schlafen. Einsam bin ich – So ganz allein – Kann mir niemand raten –? Wohin soll ich mich wenden? Wohin soll ich gehen? Kann ich etwas ändern An dem, das geschehen? Kann ich anders sein Als ich?! – – Kannst du lieben Mich? –

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Ich hab meinen Vater ermordet. Meine Mutter hängte ich auf. Denn: Dich will ich nur lieben!! Du sei meine Braut! –

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Doch: – wenn du mich nicht lieben kannst So kauf mir einen Strick. Ich bind ihn dann an einen Baum Und häng mich auf damit. –

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Wenn ich schreibe Schreibe ich dir. Wenn ich schreite Schreit ich zu dir. Wenn ich denke Denk ich an dich. – Und wenn ich dich küsse: Küßt du mich nicht.

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Das Buch der Tänze

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Ö DÖN J. M. D AS B UCH

VON DER

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H ORVÁTH T ÄNZE

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DER

T ÄNZE

M ÄRCHEN D AS T EEHAUSMÄDCHEN P ESTBALLADE H AREM A SKET D IE P ERLE G ROTESKE : E PISODE IN C HINA Diese Tänze wurden in Musik gesetzt von Siegfried Kallenberg.

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M ÄRCHEN

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Die junge Pharaonin lustwandelt auf silbernem Kiese im Parke, wo goldrote Blumen, wie staunende Augen zahmgewordener Antilopen, ihr Schreiten begleiten; wo kluge Kakadus mit prunkvollen Schleppen, wie die stolzer Königsbuhlen, im Schatten seltenartiger, breiter Kakteensträucher auf versteinerten Sphinxen schlafen; und schwanken: wie die leiswallenden Wellen des nahen Nils. Die schöne Pharaonin und ihr schwarzer Sklave im Parke. Die Pharaonin wie Mondschein auf erträumten Pyramiden. Der Sklave wie des Landes lange Nacht. Der Sklave und Pfauenfedern vertreiben glühendbegehrende Strahlen der langsam verschmachtenden Sonne. Die Pharaonin fühlt die ihre samtenen Haare liebkosende Luft. Und denkt an den alten Pharao, der irgendwo … Und lächelt … Und lauscht in das tiefe Schweigen der erbleichten Weiten.

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Und die Pharaonin hört heilige Weisen … wie ebengeweihte keusche Priesterinnen im niebetretenen Tempel der Isis wie gefangene stolze Königinnen zerfallener Reiche wie nackte brünstige Mädchen der Freude

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Heilige Weisen zwangen den stummen Sklaven zu tanzen. Tanzen …

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Das Buch der Tänze

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bis ihr zartes Antlitz gleich einer hellen Silhouette in dunklem Grunde auf seiner schwarzen, breiten Brust ruht. Und der dumme Sklave fächelt … … 5

Die junge Pharaonin lustwandelt auf silbernem Kiese.

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D AS T EEHAUSMÄDCHEN D IR , K AY C HRISTÈNSEN 15

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Das Teehausmädchen erwachte … und alles lag vom Tau berauscht im Kreise, nur leise enteilte die Zeit. und das Teehausmädchen tanzte … und da tanzten die Wogen, die Wälder, die Wolken, die Welten … und alles spielte und sang im Kreise, nur leise enteilte die Zeit. Sieh, sogar die rote Sonne tanzt! doch schon glitt sie aus … saust hinab in endlosem Raum … Sieh, die rote Sonne starb. Und da Mond und Sterne noch schliefen ward es ewige Nacht. Es erwachte nie wieder … Das Teehausmädchen.

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P ESTBALLADE 35

D IR , O TTO B ACHER

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Ein Matrose steht in Kalkutta. Und eine fremde Sonne sendet so sengende Blicke auf seinen windschiefen Scheitel herab. Die rote Sonne das Cyklopenauge der tiefblauen Himmel. Unten im träggrauen Ganges ihr blasses Bild. Und weit über dem Ganges, weit über dem Meere lebt die Heimat … Großvater baute das Haus in wiederkleingewordener Stadt … Du Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege Du Rosenfenster müde scheinen einer Alten weiße Haare durch das Grün und Rot und denkt …: 487

Das Buch der Tänze

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Ein Matrose steht wo in der Welt …

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Bajadere braun und biegsam wie spielende Panther schmiegsam wie Urwald Lianen Und Augen!! eigenartige Geschmeide heiliggepriesene Edelgesteine leuchtend in Purpur und weicher Seide … Zähne: mit Wüstensonnen kämpfende weiße Messerschneide.

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Matrose Blut bäumt, heult …: die!! alle und alles die Alte den Ganges den Heiland vergessen … Vergessen! … und wirft sich auf sie … Doch Bajadere lächelt. Und er reißt sie an sich und beißt in sie … Und Bajadere ist tot.

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Langsam, wie Kindheitserinnerungen die kranken Gehirnbänder in eines Wahnsinnigen kahlem Schädel entlanghuschen, und leise, wie in kühlen Vorfrühlingsnächten die ersten zagen Sonnenstrahlen sich in nackte Zinshausräume schleichen dämmert es in ihm … warum alles so graugeworden warum rennt alles im Kreise wie Silbergäule im Kreise, im Kreise, im Kreise … Grau aus dem Ganges grinst es hohle Höhlen rauben Augen Knochen zerbröckeln Fetzen gelbgrüner Haut wie entgleitende Schlangen Erbarmen! müde … … Mutter!!

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Das Buch der Tänze

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Und ein Matrose starb in Kalkutta.

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Und die Stube mit Heiland am Kreuze über kleiner Wiege alt scheinen einer Mutter weiße Haare durch das grün und rot … und schaut hinaus in den Herbst und etwas würgt ihr altes Herz …: Vielleicht bis er wiederkommt bin ich schon tot.

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Es gibt Gärten im weißen Wüstensand. Breit beschweren geheimnisvolle Gewebe die heißatmende Erde: Blüten mit glitzernden Helmen auf ernsten Köpfen; wie weithin sichtbare goldene Kuppeln heiliger Moscheen. Daneben streben gelbe und zarterbaute Minarets in den hellen Himmel hinein; lind liebkost sie der Wind; denn sie sind zerbrechlich als wären sie Glas. Und hinter engen und vergitterten Fenstern, bewacht von fetten und dummen Eunuchen, leben Frauen ohne Schleier … liebende Blumen schlafen auf von Kaisern gebrachten Teppichen schreiten über weiche, seidene Polster spielen am Rande leislispelnder Fontänen Irgendwo tanzt eine nackte, schöne … Und irgendwo leidet eine vergessene Frau und schaut durch starke Stäbe auf einen bleichen, weit Hergereisten … Schweigen … Schrei schrillt!!

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Weib weht in den Raum … Ihre kleine Brust will goldene Fesseln sprengen.

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Und er der Kalif in grün und gold rund wie ein Ball rollt hinterher! und hüpft vor Wut rot und eine nackte Damaszenerklinge klingt …

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und der Raum hat kein Tor. Weib weint im von rohen Häschern herabgerissenen Gewand 489

Das Buch der Tänze

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krallt in die kostbar behangene Wand ermattetes Wild am Abgrundrand nackte Klinge klingt große Augen flehen und fragen wie hungernde Kinder an kalten Tagen Klinge klingt … Hoch hüpft der Kalif: Die Lust!

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Und eine singende Klinge treibt sie tanzen … und denken an langvergangene Zeiten draußen auf mondbegleiteten Heiden an den bleichen, weit Hergereisten …

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Es grinst der Allmächtige und reibt sich den Bauch. Denn sie tanzt! Und zerfällt in Stücke und umschmeichelt seine diamantenen Pantoffeln.

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Da gleiten gelinde fette Finger in ihr langes, dunkles Haar und beugen ihr Antlitz in den glatten Nacken und er schaut in betende Augen. Und zeichnet einen dünnen roten Strich auf ihrem blassen Halse. Schmunzelnd zieht er blaublutende Damaszenerklinge durch sein breites Maul, Als wärs eine feine Frucht.

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Einer büßt im Himalaya

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was er als König getan, der mit weicher Seide angetan in seiner Paläste Labyrinthen in Wolken heiliger Hyazinthen ging, und tausende schönster Frauen und weißer Elefanten seinem launischen Auge lauschten, und alle Dinge waren wie seine Sklaven … Einer leidet in öder Nacht, weil er vergaß, daß einer ist, der alles maß. Einer wartet.

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Wartet auf einen Morgen der da kam als träumten junge Mütter ohne Sorgen … 45

Einer war geworden.

*

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Das Buch der Tänze

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Lesetext

D IE P ERLE F ÜR S IEGFRIED K ALLENBERG . 5

Tief …: im dunkelgrünkühlen Schoße der mächtigen Meere träumt die einsame Perle.

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Alle Abend, wenn die fahlen Strahlen des reifgewordenen Mondes auf den finsteren Fluten tanzen, erwacht die Perle und lächelt milde und blendet alle; denn sie ist die Unberührte: lebt nicht wie ihre so jung dahinsterbenden Schwestern der Erde; die als bunte Blumen blühen. Alle Abend, wenn die fahlen Strahlen des reifgewordenen Mondes auf den finsteren Fluten tanzen, starrt von verlassenen Gestaden der junge Siamese auf der Perle bleichen Bau; und träumt … wenn sie nur nicht so weit wäre wenn ich sie umarmte wenn ich sie besäße alle Herrlichkeiten der reichen Welt wären mein! wenn … wenn … … Alle Nacht sinkt er in die schlafenden Wogen, wie ein von einem gealterten Sterne geschleuderter schwerer Stein; tastet in der Dunkelheit einem blinden Bettler gleich, der den schmalen Pfad querüber das hungernde Moor verlor. Und unten leuchtet und lockt die weiße Perle und zieht ihn immer tiefer und tiefer hinab in das Meer, in ein Grab ohne Grund. Überall kauert der Tod und lauert. Perle … Perle … Da Erde!!

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Stehend auf Erde hat er die Perle mit seinem roten Netze gefangen. Und er schleift sie mit sich in sein Reich; und sie muß tanzen, wie er will, immer ihm nach: durch den lauschenden Wald, über gesegnete Fluren, durch die funkelnde Stadt, hinauf auf die eisumbrandeten Berge… tanzen auf seiner werdenden Welt jauchzende Melodein! Denn er hat die Perle gefangen! Breitet am Höchsten der nebelbefreiten Gefilde die Arme aus und will in die Welt schreien …: Glück!!

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Das Buch der Tänze

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… doch da er die Hände erhob, ließ des roten Netzes Ende los und die Perle schält sich daraus und stülpt sein rotes Netz über sein Haupt …

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Und der Fischer muß tanzen, wie sie will, immer ihr nach: von den Gott erstrebenden Höhen herab, durch den weinenden Wald … in das erboste Meer. Grau steigt es vor ihm empor …: Das Nichts. Und der Fischer bohrt die Fersen in den gelben Sand am Strand und bäumt sich auf … und beißt in die roten Seile und fleht sie an. Und betet. Doch die Götter bleiben taub. Denn er ist von der Perle gefangen. Und am Morgen ist er tot. Verwest in seinem roten Netze. Tief … im dunkelgrünkühlen Schoße der mächtigen Meere träumt die einsame Perle.

* E PISODE

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IN

C HINA

G ROTESKE

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Nacht, laue, blaue Nacht. Südchinesische Märchenpracht. Erbebende Pfirsichblüten berauschen über schweigende Teiche auf schwebenden Stegen als Lampionen tastende Dämonen. Kleine Chinesin ergraute … denn ein kleiner Mandarin wartet in dunkeler Nacht. Was will wohl ein kleiner Mandarin …?

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Mond und kleine Chinesin trippeln dahin … Wohin …? weint ein kleiner Mandarin allein in dunkeler Nacht. Mitternacht. Mitternacht. Traurig lacht dreht dann sacht langen Zopf um unter Kinn ein kleiner Mandarin.

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Das Buch der Tänze

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Einmal. Zweimal. Dreimal. Zunge quillt grün heraus. Alle Lampionen sterben aus. Nacht, laue, blaue Nacht. Südchinesische Märchenpracht.

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Hoffmaniade, eine Tanzgroteske

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Hoffmaniade, eine Tanzgroteske. Vorspiel. 5

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Scene vor dem Vorhang. Gedämpfte Bühnenmusik. Links vor dem Beschauer ein Kellner in schemenhafter Beleuchtung. 1. Auftritt. Tanz der fabelhaften Frau mit ihrem Cavalier. Am Schluß dieses Tanzes hört man wieder die Bühnenmusik, Frau und Tänzer verschwinden hinter dem rechten Vorhang, während sich die Vorderbühne verdunkelt. 1. Bild. Ein Vergnügungslokal. Man sieht Gesellschaft, tanzende Paare, Gläserklingen. Es treten nacheinander auf: Vier Solotänzerinnen, eine alte Blumenfrau, der Tod, die Spiegelbilder des zweiten Cavaliers. Nach den Solotänzen graue Übergangsstimmung, dann die fabelhafte Frau mit ihrem Tänzer, Wiederaufleben der Tanzstimmung. Plötzlich Trompetenfanfaren … alles steht wie erstarrt. Die uralte Blumenfrau tritt auf, das Licht im Raum wird immer schwächer, nur die Tische der Cavaliere bleiben beleuchtet. (Die Spiegelbilder verkörpern die vier Lebensalter des Cavaliers). Im Hintergrund der Tod. Stummes Spiel zwischen Frau, Cavalier und dem Spieler. Wie sich der erste Cavalier auf den Spieler stürzen will, erhebt sich der Tod und schlägt den Cavalier nieder. Tod und Spiegelbilder verschwinden im Tumult. Die Frau lächelt dem Cavalier zu und bittet ihn, wieder zu spielen. Leidenschaftlich bewegte Musik zu der Mimik des Spielers und der Frau. Spieler bricht plötzlich die Musik ab und stürzt sich auf den Cavalier der fabelhaften Frau. Unter allgemeinem Tumult fällt der Vorhang. 2. Bild. Straße vor dem Lokal, Passanten. Der Spieler kommt, setzt sich und wartet. (Diese Scene kann sich auch wie im Vorspiel vor dem Vorhang abspielen.) Zwei Tänzerinnen gehen nacheinander vorüber. Dann die Blumenfrau. Der Tod kommt mit seinem Cavalier. Die fabelhafte Frau mit ihrem Cavalier. Sie verliert eine große Margerite, die der Spieler aufhebt und an sich drückt. Gebärde der Verzückung, ekstatischer Tanz. Ein Polizist tritt auf, Spieler flieht, vom Polizisten verfolgt, beide verlieren sich im Dunkel der Scene.

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Schlaf, meine kleine Braut

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Schlaf, meine kleine Braut, ich will dich in meinen Armen halten wie Gott die Gebete einsamer Menschen. Schlaf, meine kleine Braut, geh in Märchenseide und lebe im Reiche dunkler Mittsommerträume und schau in der hohen Himmel Blau und wenn du vorübergehst an den heiligen Hainen so denke an mich. Schlaf, meine kleine Braut und ich weiß, wenn ich über dein Haar streiche, so hältst du Hochzeit mit dem Märchenkönig. Schlaf meine kleine Braut, und er wird dir nichts tun, der böse Mann denn ich bin bei dir. Schlaf nun – – du – –

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Sehnsucht

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Durch meines Lebens graue Gasse geht das Nimmervondirlassen geht das Nimmervondirlassen und singt und singt so leise uralte Weise und summt und verstummt und weint wie Heimweh und es gaffen die grauen Gassen Wer bist du Nimmervondirlassen?

Ständchen 35

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O liebes Nachtwächterlein, schlafe bitte bald ein Schau die Nacht wurde blond Nur es wachet der Mond Und der lacht in die blaublonde Nacht. O Augen liebes Geliebtchen bete zur heiligen Zain es wolle aus sein dein Kummerlein und wiege uns ein wie in einem daheim

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O liebes glaub wie der Tag dann graut dann lausche laut wecke mich und meine Braut damit nur niemand zuschaut damit nur niemand etwas glaubt O liebes Nachtwächterlein schlafe, schlafe bald ein.

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Lieder zum Schlagzeug

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Lieder zum Schlagzeug. Worte und Musik von Ödön von Horváth. I. 5

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Bambum!! Stepptepptepptepp Ein Tepp durchsteppt die Welt. Ohne Charm. Ohne Geld. Stepptepptepptepp Stepptepptepptepp Sieh – ohne Melodie Zappelen die Knie! Kikiriki!! Bambum!!! Pst! ––– eine Seele steppt ins All sucht ein Ideall Pst – : – stepptepptepp – stepptep – tep – – II.

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Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiß Mir Blüte von Arkansas mir wurd noch niemals heiß. Ja, sexueller Schweiß sexsexsexsex uelluell uell Well! Noch heit – Noch heit. Erst neulich beim Fünfuhrtee Traf ich die Fünfhurfee Ja, Fee Ja, Fee Café Café – –

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Sie biß mir in den Popo Doch ich winkte dem Piccolo: Krach!! Da wurd ich schwach (ach!) Doch ich winkte nun dem Portier Und sprach: „Mein Herr!“ Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiß.

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A-erotisches Barmädchen

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A-erotisches Barmädchen.

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Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiß Denn es ist nicht nur heiß Sondern – Gott weiß! Man trinkt Whisky, Cognak und Sekt Allmählich wird alles bedreckt Ria rülpst, Emil kotzt Am Klo wird Lu vom Kellner gefotzt Während Lyette, das arme Vieh Beißt ihrem Kavalier ins Knie Dies ist zwar nicht fein Doch manchmal muß man schon unkeusch sein Oder zumindest so tun Als wär man ein läufiges Huhn Als wär man von jedem Krüppel betört Als hätt man noch nie was von Lues gehört Kusch! Ich werde nicht sentimental. Nur radikal! Nur radikal!

Ödön von Horváth.

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Litanei der frommen spanisch Feuer Leut

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Litanei der frommen spanisch Feuer Leut Jene Seuche, die Ende 1500 aus der neuen Welt nach Europa schlich, nannte das Volk „spanisch Feuer“ – – weil sie als erster ein spanischer Matrose in die Frauenhäuser pflanzte.

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Herr, hie fleht vermaledeites Kraut Mit Fraß und Krebs gar wohl vertraut Der Eiter knospet aus der Haut Von Geschwür und Geschwulst überblaut – – Herr, hie flehen Verbannte heut. Herr, hörst du uns spanisch Feuer Leut?

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Nie schien uns der Tag zu grell Wir soffen immer im Bordell Und griffen den Weibern ins Gestell Doch die Sonnen schwanden gar schnell – – Und niemand, der uns betreut. Herr, hörst du uns spanisch Feuer Leut? Herr, was wir auch immer begannen – – Siehe, wir sind ja nur mehr Schrammen Die immererblühend sich selber verdammen. Herr, erlöse uns Menscher und Mannen Jeder von uns bereut. Herr! Höre uns spanisch Feuer Leut!

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Ödön von Horváth.

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Die Flitterwochen

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Die Flitterwochen

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Mein Liebchen das heißt Lizulein Und ich bin groß und sie ist klein. Halt ich abends ihre Hand Singt sie vom Morgenland. Und erbebt sie unter meinem Kuß Dann sagt sie nie: „ich muß jetzt fort – oh, lasse mich!“ Sondern nur: „Ich liebe Dich!“ Oh, Götter! wie bin ich doch zufrieden Oben, mitten und hiernieden! So steht dies in der „Lilie“ – Zeitschrift für Haus und Familie.

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Dienstbotenlied

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Dienstbotenlied

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Ich bin nur ein armer Dienstbot Und schufte den ganzen Tag. Doch dunkelts, dann steh ich am Fenster Nachdem ich gegessen hab. Und denk über Giebel und Dächer, Bin ja doch nicht krumm – Da kreischt auch schon die Herrin Die boshaft ist und dumm. Mein Herr das ist ein Hauptmann Mit Schmissen und Seitengewehr Und geht er über die Straße So grüßt ihn das Militär. So grüßt ihn mein Geliebter – – Vielleicht zur selbigen Stund In der ich Schelte kriege Und bin doch ein fleißiger Hund! Und abends in das Bette Sink ich wie ein Sack. Doch träum ich um die Wette Mit Herr und Herrin und Pack!

Ödön von Horváth.

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„Muatterl schaug beim Fenster naus“

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Muatterl schaug beim Fenster naus Der Hitler macht an Putsch Die Reichswehr setzt an Stahlhelm auf Das ganze Land ist futsch!

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„Und die Leute werden sagen“

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Und die Leute werden sagen In fernen blauen Tagen Wird es einmal recht Was falsch ist und was echt 5

Was falsch ist, wird verkommen Obwohl es heut regiert. Was echt ist, das soll kommen – Obwohl es heut krepiert.

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Lesetext

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Rundfunk und Film

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Stunde der Liebe

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STUNDE DER LIEBE Sieben Szenen für Rundfunk von Ödön Horváth. 5

Mitwirkende:

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Sprecher Das erste Paar im Englischen Garten Das zweite Paar im Englischen Garten Eine schrille Stimme Ein Kellner Der Akademiker und sein Mädchen Herr Lindt und seine Stenotypistin Der Baron und die mondaine Dame Die Dame an der Kasse Die Platzanweiserin Herr und Frau Kommerzienrat Kranzler Der Herr Reithofer und das Fräulein Anna Nero Konzertcafé-, Tanz- und Kinomusik.

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ERSTE SZENE S PRECHER Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte nur wenige einleitende Worte! Die Übertragung unserer Stunde der Liebe wird uns nur möglich durch eine sensationelle radiotechnische Erfindung, die es uns eben ermöglicht, jeden Menschen, wo wir nur wollen, zu belauschen – und zwar, ohne daß dieser Mensch auch nur den leisesten Verdacht verspüren könnte, daß er belauscht wird. Nun hätte es vielleicht einen gewissen Reiz, Ihnen auf diese Weise unsere geistigen Größen vorzuführen, doch denken wir, daß es wahrscheinlich ergötzlicher sein dürfte, Ihnen die Menschen in jener Situation zu zeigen, in der jeder einzelne allgemein interessieren dürfte, und zwar ohne Rücksicht auf Klasse und Religion. So bin ich nun beauftragt, jetzt durch unsere Stadt zu schlendern und, falls mir zwo Menschen als ein Liebespaar dünken, meinen Apparat einfach einzuschalten. Ich und die Deutsche Stunde in Bayern sind uns natürlich dessen bewußt, daß unser Vorgehen nicht gerade besonders vornehm ist, aber im Dienste der Technik müssen wir auf derartige Sentimentalitäten pfeifen, denn einmal müssen wir halt unseren Apparat ausprobieren. Also, bitte folgen Sie mir, ich bin jetzt in der Galeriestraße und gehe Richtung Englischer Garten. Die Nacht ist mild und fein, und so besteht begründeter Verdacht, daß wir im Englischen Garten am zuverlässigsten ein richtiges Liebespaar treffen werden. Nun bin ich im Garten. Drüben rechts steht eine helle Bank, die ist natürlich leer, aber dahinter seh ich eine dunkle, und die ist natürlich besetzt – Himmel, ist das aber dunkel! Bitte, wir müssen nun leiser sprechen – (leise) Einen Augenblick noch, ich schalte gleich ein – (Er flüstert.) Bitte geben Sie acht!

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Stunde der Liebe

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(Stille) E R Das ist natürlich alles ganz anders. S IE Das sagst du immer. E R Natürlich sag ich das immer. Aber du verstehst mich halt nie. S IE Doch. Ich versteh dich genau. Ich versteh dich sicher besser als du. E R Dich? S IE Als du dich selbst. E R (lacht gewollt.) S IE Lach nicht! (Stille) E R Es geht so nicht mehr weiter. S IE Dann mach doch endlich Schluß. E R Gut! Jetzt mach ich Schluß! (Stille) S IE Sei nicht boshaft, bitte. E R Es ist Schluß. Es hat keinen Sinn mehr. Ich weiß ja gar nicht, was du von mir willst?! Ich bin ein Mann und sonst nichts! Und du bist eine Frau und sonst nichts! Und wir beide sind Menschen und sonst nichts! S IE Du bist kein Mensch. E R Sondern? Vielleicht gar ein Aff? S IE Du hast keine Seele, Anton. E R Eine solche Seele hab ich allerdings nicht, wie du sie von mir haben willst! Das wär ja der reinste Selbstmord! Bedenk doch nur meine wirtschaftliche Lage! S IE Ich glaub, wir reden aneinander vorbei. E R Das soll mich freuen! Ich möchte nur noch bemerkt haben, daß ich nicht daran denke, eine Familie zu gründen! Schlag dir das aus dem Kopf bitte! Es laufen doch eh schon zu viel Kinder herum, wo wir doch unsere Kolonien verloren haben! Daß du das nicht verstehen willst! S IE Es ist halt schwer – E R Also! (Stille) S IE (wimmert) E R Warum weinst du jetzt? Ich hab es nicht gern, daß du weinst! S IE Ich bin halt dumm – E R Na endlich! Komm, werd vernünftig – wir passen doch so gut zusammen – – (Gong)

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S PRECHER Also das war weniger erquicklich, aber der Apparat funktioniert ausgezeichnet – Halt! Da seh ich schon wieder zwei Leut – Sie sitzen zwar auf keiner Bank, gehen langsam hin und her. Er selbst bleibt immer wieder stehen und redet heftig in sie hinein – einen Moment! (Stille) S IE Jetzt hör doch endlich auf, bitte! E R Das sagst du leicht! Ich versteh es nur nicht, daß du mich nicht verstehst! S IE Es bleibt dabei.

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Stunde der Liebe

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E R Aber warum denn nur? Sags mir doch nur, warum denn nur?! Hab ich dir etwa etwas getan? Dann bitt ich dich natürlich sofort um Verzeihung! S IE So quäl mich doch nicht! E R Aber du quälst doch mich! Vorgestern haben wir uns noch getroffen, und ich war so froh, dich gefunden zu haben – du weißt, ich hab hier keine Seele, weil ich aus Augsburg komm –, und jetzt sagst du mir ganz einfach, es ist aus. Eher hätt ich gedacht, daß die Welt zusammenstürzt, als wie daß ich von dir heut noch so was zu hören bekomm! Warum? Und bitte warum? Warum willst du mich denn nicht mehr wiedersehen?! S IE Laß mich! E R Fällt mir nicht ein! S IE So laß mich doch! E R Nein! (Stille) S IE (leise) Bitte – Ich hab so Angst – E R Vor was denn bitte? S IE Vor dir. E R Vor mir? S IE Und vor mir. E R Also das versteh ich schon gar nicht! So wie wir zwei stehen – S IE (unterbricht ihn.) Franz! Soll ich dir was Wichtiges beichten? E R Wieso? S IE (sehr leise) Franz. Es gehört sich doch, daß man ehrlich ist – E R Natürlich gehört sich das! S IE (sehr leise) Aber es fällt mir so schwer, dir das zu sagen – : Ich hab dich eigentlich nicht sehr lieb gehabt, und jetzt hab ich halt Angst, daß ich mich sehr in dich verlieben könnt – E R (leise) Und warum willst du das nicht? S IE (ebenso) Weil das nur eine Gefühlsroheit von euch Männer ist. E R So probiers doch mal – S IE Ich habs schon probiert. (Stille) E R Du hast mich also gar nicht geliebt, wie du sagst. S IE Nein, Franz. E R Und du meinst fernerhin wohl, daß ich mir das jetzt sehr zu Herzen nehmen werde? S IE Vielleicht – E R (schreit sie an.) Das ist zuviel! Man hat halt auch noch seine Ehre! Adieu! (Er läßt sie stehen.) (Stille) S IE (ruft ihm nach.) Franz! Franz! E R (aus einiger Entfernung) Was gibts denn?! S IE So lauf doch nicht so radikal weg! Sei doch nicht so gefühlsroh! E R Also komm! S IE Ich komm schon! (Gong)

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DRITTE SZENE

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(Musik aus einem Konzertcafé und zwar ein Potpourri rheinischer Lieder. Zuerst schwach, dann immer lauter.) E INE SCHRILLE S TIMME Hallo! Was soll denn das?! S PRECHER Wieso? D IE SCHRILLE S TIMME Ich höre Musik! Wo sind Sie denn jetzt? S PRECHER Das ist sehr einfach. Ich bin jetzt in einem Konzertcafé. Ich muß nämlich nur mal rasch etwas – D ER K ELLNER (unterbricht ihn.) Der Herr wünschen? S PRECHER Kaffee. D ER K ELLNER Tasse oder Kännchen? S PRECHER Tasse. D ER K ELLNER Auch etwas Kuchen? S PRECHER Danke, nein! Ich hab nichts übrig für Süßigkeiten, Herr Ober! Sagen Sie mal: Wer sind denn die beiden verliebten jungen Leut? D ER K ELLNER Wo? S PRECHER Dort drüben in der Nische. D ER K ELLNER Dort? Das ist ein Akademiker. S PRECHER Und wer ist sie? D ER K ELLNER Was weiß ich! (Er läßt ihn stehen.) S PRECHER Das aber ein unfreundlicher Mensch! Überhaupt werden die Leut anscheinend immer unfreundlicher – Also schalten wir mal ein, damit wir auf lustigere Gedanken kommen – Das Mädchen mit dem Akademiker lacht ja in einer Tour – Achtung bitte! S IE (lacht.) D ER A KADEMIKER (lispelt.) Noch einer! Kennen Sie den? Was ist der Unterschied zwischen einem Bechsteinflügel und einer Konservenbüchse? S IE Das weiß ich nicht. D ER A KADEMIKER Ich auch nicht. B EIDE (lachen.) D ER A KADEMIKER Prima, was? S IE Sehr! Und Sie könnens einem so gut sagen, Herr Lallinger! D ER A KADEMIKER Ich hab auch ein ausgesprochenes Erzählertalent! S IE Was studierens denn eigentlich? Medizin? D ER A KADEMIKER Nein, Rechte. S IE Sie können einen so durchdringend anschauen – D ER A KADEMIKER Unerbittlich, nicht? S IE Es geht direkt durch und durch – D ER A KADEMIKER Heutzutag muß auch der Richter ein ausgesprochener Psychologe sein. Ich bin einer und wahrscheinlich dürfte dies auch der tiefere Grund sein, daß ich so ausgesprochen stark auf Frauen wirke. S IE Das tun Sie auch, Herr Lallinger. D ER A KADEMIKER Ich sage tatsächlich die Wahrheit. Ich kenne die Frauen. Ich habe einen Monatswechsel von sechshundert Reichsmark. S IE Wieviel? D ER A KADEMIKER Sechshundert.

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Stunde der Liebe

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S IE Ah! (kurze Stille) D ER A KADEMIKER Darf ich? Sehr zum Wohl! S IE Prost! S PRECHER Zahlen! Zahlen, Herr Ober! D ER K ELLNER Eine Tasse Kaffee, vierzig Pfennig ohne. S PRECHER Fünfzig mit. (Musik bricht plötzlich ab.)

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VIERTE SZENE

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(Gong) S PRECHER Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt in der Schraudolfstraße, und die ist bereits ziemlich leer – Drüben im zweiten Stock sitzt ein Fräulein an der Schreibmaschine, man sieht ihre Silhouette durch den Vorhang – Und dann ist noch ein Schatten da, der immer wieder verschwindet – Anscheinend geht da wer auf und ab und diktiert – einen Augenblick! (Stille) E R Haben Sies, Fräulein? S IE Ja. E R Weiter! Schreiben Sie, Fräulein! (Er diktiert, man hört das Klappern der Schreibmaschine.) Sehr geehrter Herr! Es ist natürlich völlig abwegig, daß Sie sich an den Staatsanwalt wenden wollen. Punkt. Ihre Drohung, unser Geschäftsgebaren als Betrug zu bezeichnen, löst bei uns lediglich ein mildes Lächeln aus. Punkt. Wenn wir Sie nicht wegen Verleumdung belangen, so nur deshalb nicht, weil wir als korrekte Kaufleute nichts mit der Staatsanwaltschaft zu tun haben wollen. Punkt. Mit vorzüglicher Hochachtung! – Haben Sies, Fräulein? S IE Ja. E R (summt den armen Gigolo.) S IE Kann ich jetzt gehen, Herr Lindt? E R Moment! (Er summt plötzlich nicht mehr.) (Stille) S IE (schreit plötzlich.) Herr Lindt! E R (aus einiger Entfernung) Wie bitte? S IE Was machen Sie denn dort, Herr Lindt? E R Sehen Sies denn nicht? S IE Sie sperren die Türe zu – E R Und ziehe den Schlüssel ab. S IE (entsetzt) Machen Sie augenblicklich die Türe auf!! E R Fällt mir nicht ein! S IE So lassen Sie mich doch hinaus!! E R Zurück! S IE Ich schrei, Herr Lindt, ich schrei – E R (unterbricht sie.) Schreien Sie nicht! In Ihrem persönlichsten Interesse! (Stille) E R Nehmen Sie Platz, Fräulein! S IE Warum sperren Sie die Türe zu –?

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Stunde der Liebe

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E R Weil ich Ihnen nun ein Geheimnis diktieren werde – Sie werden mich bald verstehen, Fräulein! Nehmen Sie Platz! So. Schreiben Sie! (Er diktiert wieder, sie schreibt zögernd.) Sehr geehrter Herr! Es hat keinen Sinn, wenn ich leugne. Punkt. Ich gebe es zu – Komma! – daß – Haben Sies? S IE Ja. E R – daß ich Sie im Laufe der letzten vier Wochen nach und nach bestohlen habe und zwar – S IE (schreibt plötzlich nicht mehr.) E R – und zwar um einen Betrag in der Höhe von achtundvierzig Reichsmark. S IE (fährt plötzlich auf.) Sind Sie verrückt, Herr Lindt?! E R (schreit sie an.) Lügen Sie nicht! Ich weiß alles! Ganz und haargenau! Es sind achtundvierzig Mark! Ja oder nein?! S IE Nein, nie! E R (ändert plötzlich den Ton.) Fräulein! Sie verkennen mich anscheinend – Wenn Sie es nun ehrlich eingestehen, daß Sie mich bestohlen haben, zeige ich Sie natürlich nicht an, denn ich kann es absolut verstehen, daß ein Mensch bei diesen schwierigen Zeiten mal der Versuchung unterliegt. Ich wiederhole: Wenn Sie es nun eingestehen, bleibt es unter uns. (Stille) E R Nun, Fräulein? S IE (leise) Ja. E R Und wieviel? S IE Achtundvierzig. E R Na, sehen Sie – und nun sperren wir auch die Türe wieder auf, kurz und schmerzlos. Sie können gehen, Fräulein! S IE Herr Lindt – E R Wie bitte? S IE Ich danke Ihnen – E R (grinst.) Machen Sie sich nicht lächerlich. Halten Sie mich nur ja nicht für weltfremd! Sie können nun allerdings gehen, aber ich vergaß zuvor: ein für alle Mal gehen – Für eine Verbrecherin hab ich natürlich keine Arbeit! Sie sind natürlich fristlos entlassen. Glotzen Sie mich doch nicht so an! Ja oder glaubten Sie gar etwa – S IE (unterbricht ihn.) Ich habs ja nicht für mich getan! E R Egal! S IE Es war für wen andern! E R Vielleicht für eine sterbende Mutter, was? S IE Ich komm nicht aus mit dem Geld! Sie zahlen mir ja auch keine Überstunden, ich sitz ja fast jeden Tag bis in die Nacht hinein! Sie nützen mich aus, Sie stehlen! Sie stehlen! E R Maul halten! S IE Aber für Ihren Diebstahl gibts keinen Paragraph! E R Kusch, oder ich zeig Sie an, freche Person! S IE Zeigen Sie mich an! Zeigen Sie mich nur an! (Sie weint.) E R (nach einer Kunstpause) Fräulein. Sie verkennen mich schon wieder, und zwar total. Ich war jetzt gerade sehr erregt. Es könnte mir natürlich nicht im Traum einfallen, Sie anzuzeigen, und – ich entlasse Sie auch nicht, wir sind ja miteinander eingearbeitet – Es hängt also lediglich von Ihnen ab –

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Stunde der Liebe

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Endfassung, emendiert

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S IE Wieso? E R Machen wir einen Kompromiß. S IE Wieso? E R Diskretion Ehrensache. (Stille) S IE Sie sind ein schlechter Mensch, Herr Lindt. E R (grinst.) Noch schlechter. Aber mit einem guten Kern. S IE Ich glaub jetzt, Sie könnten auch über Leichen gehen – E R (grinst.) Diskretion Ehrensache. (Gong)

FÜNFTE SZENE 15

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(Tanzmusik) S PRECHER Meine Damen und Herren! Nun folgen Sie mir aber bitte auf die Spitze unserer gesellschaftlichen Pyramide! Wir betreten das erste Lokal am Platze, draußen parken rassige Limousinen, in den Garderoben hängen kostbare Pelze, hier treffen wir die wirklich mondainen Leute. Man tanzt, man trinkt, man ißt – aber das sieht alles so aus, als hätten es diese vornehmen Gäste nicht nötig, als wären sie schon derart der Materie entwachsen – Guten Abend, Herr Baron! D ER B ARON Ah, guten Abend! Wie gehts Ihnen? S PRECHER Danke! Und Ihnen, Herr Baron? D ER B ARON Man lebt. Also, auf Wiedersehen! S PRECHER Auf Wiedersehen, Herr Baron! (Stille) S PRECHER Mit wem sitzt er denn dort? Das aber eine gutaussehende Frau, sie hat etwas Königliches an sich! – Wollen mal hören! D ER B ARON Gnädigste tanzen nicht gerne? S IE Ich tanze eigentlich nur mit meinem Mann. Hören Sie, Baron, mein Mann behauptet immer, er könnte niemals eifersüchtig werden – Übrigens: Was halten Sie von meinem Mann? D ER B ARON Offen gestanden nicht viel. S IE Er ist fürchterlich zerfahren, ein armer Mensch und ein grenzenloser Optimist. D ER B ARON Kennen Sie das neue Buch von van der Velde? S IE Ja, leider. D ER B ARON Wieso leider? S IE Weil es desillusionierend wirkt. D ER B ARON Es ist halt für das Volk – S IE (unterbricht ihn.) Finden Sie? Ich finde, das Volk sollte nicht so stark belehrt werden, es ist eh schon viel zu sehr aufgeklärt, es wäre besser, wenn man das Volk auf einem niedrigeren Niveau halten würde – Hören Sie nur diesen bezaubernden Tango! D ER B ARON Den hab ich bereits in Paris gehört. S IE Und ich in London. (Pause) D ER B ARON Du – S IE (unterbricht ihn.) Attention!

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Stunde der Liebe

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D ER B ARON Jetzt kann uns keiner hören, unsere Nachbarn tanzen – S IE Und wie schlecht sie tanzen. Ein Skandal! D ER B ARON Wann verreist er denn endlich? S IE Wer? D ER B ARON Er. S IE Morgen. D ER B ARON Du, weißt du, was das Höchste auf der Welt ist? S IE Nun? D ER B ARON Wenn man lieben darf. S IE Und wenn man geliebt wird. (Musik bricht plötzlich ab.)

SECHSTE SZENE 15

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(Gong) S PRECHER Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie, daß ich unterbreche, aber es fällt mir gerade ein, daß wir doch auch unbedingt ein Kino besuchen müßten – Also darf ich Sie bitten, mir in das nächstgelegenste Kino zu folgen. Ich habe leider nur mehr wenig Zeit – D IE D AME AN DER K ASSE Was wünscht der Herr für einen Platz? S PRECHER Zu eins fünfzig. Was gibt man denn? D IE D AME AN DER K ASSE Madame wünscht keine Kinder. S PRECHER Was ist denn das? Ein Lustspiel oder gar eine Tragödie? D IE D AME AN DER K ASSE Ein Gesellschaftsstück. S PRECHER Aha! (Er betritt den Zuschauerraum, die Musik spielt gerade einen Marsch.) D IE P LATZANWEISERIN Darf ich um die Karte bitten! S PRECHER Hier. D IE P LATZANWEISERIN Danke! Erster Platz – Bitte hierher, der Herr! S PRECHER Was läuft denn jetzt? D IE P LATZANWEISERIN Die Wochenschau. S PRECHER Es ist so dunkel – D IE P LATZANWEISERIN Hier bitte! – Bitte die Herrschaften links nachrücken! Links nachrücken bitte! E INE MÄNNLICHE S TIMME Na Donnerwetter! S PRECHER Hoppla! D IE MÄNNLICHE S TIMME So geben Sie doch gefälligst acht! S PRECHER Pardon! R UFE Setzen! Setzen! (Die Kapelle spielt nun die Träumerei von Schumann.) D IE MÄNNLICHE S TIMME (grimmig) Der Kerl ist mir auf das Hühnerauge getreten – entsetzlich! S IE (unterdrückt) Er hat sich doch entschuldigt. E R Natürlich, aber natürlich – Du nimmst immer die anderen in Schutz! S IE Fang nur nicht wieder an! E R Ob mir wer weh tut, ist dir egal. S IE Du bist immer gleich so grob.

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Stunde der Liebe

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E R Hör auf! S IE Nein! E R Ja! S IE Fällt mir nicht ein! E R Ich bin ins Kino gegangen, um nichts zu hören! Wir haben nun glücklich dreißig Jahre gestritten – S IE Schweig! Die Leut schaun schon! E R Was gehen mich die Leut an! Einmal wirds mir zu dumm! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird! Au! S IE Wirst du jetzt aufhören? Wirst du? E R Au! So kneif mich doch nicht in den Arm! – Na warte! S IE Ich warte. (Gong)

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S PRECHER Ich habe es nun soeben erfahren, daß dieses glückliche Ehepaar Herr und Frau Kommerzienrat Kranzler heißt – D IE SCHRILLE S TIMME Woher wissen Sie das? S PRECHER Von einem gewissen Herrn Reithofer. Fragen Sie ihn nur selbst! D IE SCHRILLE S TIMME Stimmt das Herr Reithofer? H ERR R EITHOFER (Er spricht gewollt hochdeutsch.) Das stimmt sogar sehr. Ich bin nämlich mit der Anna, das ist der Frau Kommerzienrat ihr Dienstmädchen, ziemlich gut bekannt. Wir treffen uns ab und zu um diese Zeit, weil sie da den Nero auf die Straße führen muß. Und dann tun wir etwas plaudern über alles Mögliche – (kurze Stille) A NNA (ruft.) Nero! Nero! – Ja wo ist er denn jetzt schon wieder der Nero?! Nero! H ERR R EITHOFER (ruft.) Nero! Nero! A NNA Nero! Nero! H ERR R EITHOFER Nero! Nero! Das ist dir so ein Saukopf, dieser Nero! – Da kommt er jetzt endlich! A NNA Ja wo warst du denn schon wieder, Nero? Komm nur mal her, Nero! Willst du jetzt gleich artig sein – H ERR R EITHOFER (unterbricht sie.) Sie dürfen ihn nicht schlagen, Fräulein Anna! Er kann ja nichts dafür. Das ist halt der Frühling. A NNA Aber an die Leine kommst du jetzt, Nero! (Stille) H ERR R EITHOFER Habens heut etwas länger Zeit? A NNA Ein bisserl länger. Die Herrschaft ist heut abends ins Kino. Sie haben sich wieder den ganzen Tag gestritten. H ERR R EITHOFER Er soll ihr halt mal eine richtige aufs Maul geben! A NNA Wenn ers nur tät! N ERO (knurrt.) H ERR R EITHOFER Ist er bös, der Nero? A NNA Wenn Sie mich anrühren, beißt er Sie. H ERR R EITHOFER Woher wissen Sie denn, daß ich Sie anrühren möcht? A NNA (lacht.)

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Stunde der Liebe

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H ERR R EITHOFER Aber Sie habens erraten! N ERO (knurrt.) H ERR R EITHOFER Halts Maul, Mistvieh! Ich werd doch deiner Herrin ihren Arm noch berühren dürfen! N ERO (bellt.) A NNA Kusch, Nero! So sei doch still! Und Sie hängen sich da wieder aus, ich kann auch allein gehen! (Stille) H ERR R EITHOFER Manchmal ist das Alleinsein sehr schwer. A NNA Ich bin oft ganz gern allein. (Stille) H ERR R EITHOFER Ich stell mir vor, daß das Verheiratetsein auch schon sehr schwer ist, aber das Alleinsein ist halt oft noch viel schwerer. A NNA Geh, Herr Reithofer, warum sinds denn jetzt auf einmal so verstimmt. H ERR R EITHOFER Das bin ich oft, auch aus dem heitersten Himmel. Aber ich bin ja gar nicht verstimmt. Ich bin nur melancholisch. A NNA Sie reden halt zuviel mit sich. H ERR R EITHOFER Weil ich ein einsamer Mensch bin. N ERO (knurrt.) H ERR R EITHOFER Was ist denn der Nero da für eine Raß? A NNA Eine rauhhaarige. H ERR R EITHOFER Also das seh ich, daß er rauhe Haar hat. Aber ich mein, welcher Rasse daß der Nero angehört. Es gibt doch die verschiedensten Rassen, nicht? A NNA Ja. Aber ich kanns Ihnen nicht genau sagen, es ist ein ausländischer Name. (Stille) H ERR R EITHOFER So einem reinrassigen Hund gehts oft besser als wie uns Menschen. Wissens, Fräulein Anna, manchmal denk ich schon, daß es in unserer Zeit keine Liebe mehr gibt. Ich glaub schon manchmal, daß das ein direkter Fluch ist, daß ich niemanden find. Ich trag mich sogar schon mit dem Gedanken, daß ich demnächst heirat, trotz dieser ständig drohenden Arbeitslosigkeit. A NNA Na Sie werden schon eine finden! H ERR R EITHOFER Ich hätt sogar schon eine, aber die will halt nichts von mir wissen, und da werd ich halt direkt melancholisch. A NNA Wer ist denn die? H ERR R EITHOFER Sie. A NNA Geh machens doch keine Witz! H ERR R EITHOFER Ich mach keine Witz. Ich bin ernst. A NNA Und Sie täten mich sogar heiraten? H ERR R EITHOFER Wie gesagt. N ERO (knurrt und bellt.) H ERR R EITHOFER Also dieses Hundsvieh derschlag ich noch! (Stille) A NNA (langsam) Herr Reithofer. Wer hat Ihnen denn das gesagt, daß ich nichts von Ihnen wissen möcht? H ERR R EITHOFER (lächelt.) Ich denk mirs halt. A NNA Und warum denken Sie sich denn das? H ERR R EITHOFER Weil ich halt mit der Zeit ein Pessimist geworden bin. A NNA Aber Herr Reithofer!

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Stunde der Liebe

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N ERO (bellt ganz fürchterlich.) (Gong, Stille) S PRECHER Meine Damen und Herren! Nun ist unsere Stunde der Liebe vorbei!

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Ein Don Juan unserer Zeit

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Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit. Filmexposé nach einer Komödie von Ödön von Horváth. 5

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November 1918, der Krieg ist aus, die Soldaten kehren heim. In eine Baracke, in der ein Fronttheater spielt, tritt ein Offizier aus dem Schlamm des Grabens und bedankt sich bei der ältlichen Soubrette des bereits abreisenden Ensembles für das künstlerische Erlebnis, das sie ihm gewährte, als er sie auf der Bühne sah. Die Soubrette ist geschmeichelt, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die den Mann für verrückt halten, und sie erkundigt sich bei ihm, in welchen Rollen er sie gesehen hätte. Der Offizier kann sich an die Rollen nicht mehr erinnern, denn er war inzwischen verschüttet, er weiß es nur, daß es eine Gesangspartie war und daß in dem Stück ein steinerner Reiter lebendig wurde. Es war die Oper „Don Juan“ – und erst als dieser Name fällt, fangen die übrigen Schauspielerinnen an, den merkwürdigen Offizier näher zu betrachten, und sie müssen es sich gestehen, daß er sie ganz besonders interessieren könnte. Der Offizier bedankt sich nun auch bei der Soubrette für ihr Lächeln, das ihn an eine ferne Frau erinnert hätte, an seine einzige große Liebe, noch lange vor dem Kriege. Er kenne zwar gar nicht den richtigen Namen jener Frau, er sei nur eine einzige Nacht mit ihr zusammengewesen, aber schon damals hätte er mit einer gewissen Wehmut gefühlt, daß er diese Frau verlieren und daß keine sie ihm ersetzen könnte. Drum hätte er sich nun auch entschlossen, diese Frau zu suchen, er müsse sie finden, und sollte er ewig suchen. – So verläßt er das Grauen des Krieges und jagt mit dämonischer Wucht seiner Sehnsucht nach. Er ist der von einer großen Leidenschaft Ergriffene, die ihn nunmehr ausschließlich, einzig und allein, beherrschen soll. Er ist der Mann, der in dem Leben nur die Frau sieht, der sich aus dieser Frau ein Götterbild machte und dessen ganzes Sinnen und Trachten danach gerichtet ist, dieses Bild zu besitzen. Seine unerhörte Aktivität im Suchen und Sehnen nach „IHR“ führt ihn zu einer Passivität gegenüber der einzelnen Frau, aber gerade diese Mischung in seinem Wesen reizt die Frauen, sodaß sie ihm alle hemmungslos entgegenkommen. Er nimmt sie auch alle, denn bewußt oder unbewußt findet und sucht er in jeder einzelnen ein Teilchen seiner großen Liebe, und er hofft auch, vielleicht eine zweite große Liebe zu finden, die ihn von seiner unstillbaren Sehnsucht befreit, die ihn selbst zerstört. Aber nach jedem Liebeserlebnis fühlt er sich noch einsamer und sehnt sich nur noch stärker nach „IHR“ – Erst am Ende seines Lebens wird es ihm klar, daß er sich eigentlich nach dem Tode gesehnt hat. „Ein Don Juan“, meint die Soubrette, nachdem er die Baracke verlassen hat. Er kommt in die Heimat zurück – Revolution und Nachkriegswirren, Auflösung einer alten Moral, all dies berührt ihn nicht innerlich. Er betritt die Wohnung, in der er damals seine große Liebe fand, noch in der glücklichen Friedenszeit. Aber in der Wohnung wohnt eine andere Frau, eine Zahnärztin. Er findet sie nicht, seine Frau, niemand kann es ihm sagen, wo sie jetzt wohnt – und er kann auch nicht weiterforschen, denn er kennt ja ihren Namen nicht. So irrt er nun scheinbar planlos durch die Straßen und lernt bei einer großen Frauenkundgebung gegen den Krieg ein Mädchen kennen, den Typus des „reinen Mädchens“. Sie will ihr junges Leben dem Kampfe gegen die Greuel des Krieges weihen, vernachlässigt jedoch ihre Ideale und Pflichten und kann Don Juan nicht widerstehen. Erschüttert durch seine Interesselosigkeit an ihren Idealen, wird sie von ihm verlassen, als sie nun dahinterkommt, daß er sie mit

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zahlreichen Frauen betrogen hat. Durch die Frauen bekommt er auch seinen Beruf: Sie protegieren ihn überallhin, obwohl ihm diese Art peinlich ist. Aber schließlich muß er doch leben, und dazu muß man Geld verdienen. Seine erste Stellung ist diejenige eines „gehobenen Kammerdieners“ in einem Damentanz- und Spielklub der Inflation. Seine Anwesenheit jedoch genügt, um alle Mitglieder gegeneinander aufzubringen, jede ist auf jede eifersüchtig, trotz manchem männlichen Einschlag der einzelnen Damen, und der Klub fliegt auf. Seine zweite Stellung bekommt er durch eine Frau, die von einem Schieber ausgehalten wird. Sie, der Typ eines Vamps der Nachkriegszeit, bringt ihn als Schauspieler zum stummen Film. Er muß nur gut aussehen, und das genügt, um ein gefeierter Stummfilmstar zu werden. Wenn er sich irgendwo in der Öffentlichkeit zeigt, geraten die Frauen außer sich und feiern ihn wie einen König. Der „Vamp“, der keinen Mann liebt, fühlt plötzlich wahre Liebe zu Don Juan. Mit Bestürzung muß sie jedoch feststellen, daß er nicht auf sie eifersüchtig ist, denn „lieben“ tut er ja doch nur seine ferne Braut, die er nie vergessen kann. Zutiefst verletzt schleudert sie ihm ins Gesicht, daß er doch überhaupt kein Schauspieler sei, sondern nur ein gutaussehender Mann, der seinen Lebensunterhalt gewissermaßen durch seine erotische Wirkung verdiene. Es wird ihm klar, daß sie recht hat, er verläßt sie und verläßt auch den Film. Das Damenkomitee einer politischen Partei faßt die Resolution, den unerhört beliebten ehemaligen Star als Abgeordnetenkandidaten auftreten zu lassen, um die Stimmen der wahlberechtigten Frauen zu bekommen. So beginnt seine politische Laufbahn. Die Weiber entfalten eine unerhörte Wahlpropaganda für ihren Kandidaten, und Don Juan siegt. Er tritt als Redner auf, und alle Herzen schlagen für ihn – Doch er bringt der Partei Unglück, denn auch hier fangen die Frauen an, eifersüchtig aufeinander zu werden, und die Partei spaltet sich in lauter kleine und kleinste einander gehässig und erbittert bekämpfende Sekten. Und Don Juan kümmert sich eigentlich überhaupt nicht um Politik, sondern benützt seine einflußreiche Stellung, um mit Hilfe des amtlichen Apparates nach seiner großen Liebe zu forschen, er beschäftigt auf Staatskosten ein ganzes Heer von Detektivinnen, doch es kommt nichts dabei heraus, nur ein großer Skandal. Eine Journalistin enthüllt diesen sonderbaren „Korruptionsfall“, und die Wählerinnen Don Juans fangen ihn nun an, enttäuscht zu hassen. Er besucht die Journalistin persönlich, nachdem er gestürzt worden ist, um ihr den Fall zu erklären, sie empfängt ihn voll Hohn, und bald darauf gibt sie sich ihm hin, trotzdem daß sie politisch seine schärfste Gegnerin ist, und trotzdem er nicht in der Absicht kam, um sie als Weib zu erobern. Als er das Haus in der Nacht verläßt, wird ein Attentat auf ihn verübt – Eine Revolverkugel streift dicht neben seinem Kopfe vorbei, und die Attentäterin ist jenes Mädchen, das er seinerzeit bei der Kundgebung gegen den Krieg kennengelernt hatte und dessen erstes Erlebnis er gewesen ist. Das Mädchen haßt ihn aus tiefster Seele und ist sich nicht bewußt, daß es eine Haßliebe ist. Auf die Detonation des Schusses hin eilt die Journalistin auf die Straße, und es entwickelt sich nun ein wilder Kampf zwischen den beiden Frauen. Die Journalistin ruft nach Verhaftung des Mädchens, obwohl Don Juan beteuert, daß er den Schuß abgefeuert hätte, aber das Mädchen bezichtigt sich selbst als Attentäterin und als Opfer Don Juans, schon um die Journalistin, die sie als ihre Nebenbuhlerin betrachtet, zu verletzen – Der Auftritt endet damit, daß Don Juan mit dem Mädchen in einem Auto flieht, knapp bevor die Polizei auf dem Tatort erscheint. Er flieht mit dem Mädchen in ein „anderes Land“, hinaus in das Dorf, weg von der Stadt, in die Einsamkeit. Und hier meint er nun kurze Zeit, sein Glück und seinen

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Frieden in ihrer Liebe gefunden zu haben. Aber bald genügt ihm ihre reine, keusche Hingebung nicht mehr – Es geht ihm auch das Geld aus, und es kommt zu Reibereien, wie in jeder armen Ehe, wie bei kleinen Leuten, als wäre er gar nicht der Don Juan. Eines Tages schleudert sie ihm ihre Empörung ins Gesicht, ein Mann müsse arbeiten können und müsste auch etwas anderes im Kopf haben als wie nur die Liebe – – und sie verläßt ihn. Es ist das erste Mal in seinem Leben, daß eine Frau ihn verläßt. Zuerst glaubt er, es sei das Alter, aber dann bekommt er moralische Anwandlungen, und er beschließt zu arbeiten. Er wird Reisender in Damenwäsche, und das Geschäft floriert in ungeahntem Ausmaß. Er ist bei seinen Kundinnen unglaublich beliebt, und sie können sein Kommen kaum erwarten – Ja, einzelne vernichten sogar Wäschestücke, sehr zum Ärger ihrer Gatten, nur um sich von Don Juan ein neues Stück kaufen zu können. Es hagelt nur so Bestellungen, und Don Juan erfindet ein neues Korselett, läßt es patentieren, und übers Jahr hat er eine Fabrik und überall Filialen. Aber das geschäftliche Glück soll nicht lange dauern – Durch eifersüchtige weibliche Angestellte wird er, der diesmal wirklich unschuldig ist, vor Gericht gezerrt, er hätte sich an ihnen vergangen. Er wird zwar, nicht zuletzt durch eine feurige Verteidigungsrede seiner Rechtsanwältin, freigesprochen, doch „etwas bleibt immer hängen“, und er ist moralisch erledigt, seine Existenz vernichtet. Es geht bergab. Da taucht der „Vamp“ wieder auf und tritt an ihn mit einem sonderbaren Geschäft heran – Er begreift nicht ganz den Sinn, tut jedoch mit, und es wird ihm erst bei ihrer Verhaftung klar, daß er in eine Spionageaffaire verwickelt ist. Er versucht die Frau zu schützen, verwickelt sich aber dadurch nur in Widersprüche, macht sich erst recht verdächtig und wird zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Erst in der Zelle erfährt er, daß sie ihn verraten hat und längst geflohen ist. So sitzt er nun im Zuchthaus und gibt schon alle Hoffnung auf. Wenn er wieder frei wird, dann ist sein Leben vorbei und er ein alter Mann. Niemand kümmert sich um ihn, er bekommt keine Briefe. Aber eines Tages erhält er doch einen, und als er ihn liest, faßt er sich ans Herz, so weh tut es ihm plötzlich vor lauter Glück. Der Brief stammt von jener Frau, nach der er sich immer sehnte, die er überall suchte und nirgends fand. Jetzt schreibt sie ihm, daß sie sein Leben immer verfolgt hat, daß sie sich aber nicht gemeldet hat, denn sie hätte gedacht, er hätte sie vielleicht schon längst vergessen, und vor dieser Erkenntnis hätte sie sich gefürchtet. Nun aber in seinem großen Unglück fühlt sie mütterliche Gefühle für ihn, und sie erwarte ihn, wenn er wieder frei wird – – Sie warte auf ihn bis in den Tod. – – – Endlich ist der Tag seiner Freiheit da. Er zieht sich seine altmodisch gewordenen Kleider an, läßt sich um das Geld, das er während all der Jahre im Zuchthaus verdiente, rasieren, frisieren und herrichten – und eilt zu ihr. Er wird eingelassen. Im Salon hängt ihr Bild, so wie sie in seiner Erinnerung lebt. Versunken in den Anblick bemerkt er es gar nicht, daß sie selbst eingetreten ist – eine alte, sehr alte Frau. Erschüttert erkennt er in ihrem Antlitz, sucht in ihren Bewegungen sein Idol. Das also war seine Sehnsucht – und während er mit ihr über Nebensächliches plaudert, wird er sichtbar älter und älter. Es dämmert ihm langsam auf, daß es kein Ideal gibt, das vergänglich ist. Die wirklichen Werte liegen jenseits des Lebens. Er verläßt das Haus. Es schneit, immer stärker. Durch das Schneegestöber taucht eine junge Frau auf mit einem Kinderwagen. Es ist das Mädchen, das ihn verlassen hat. Verdutzt erkennt sie ihn, ruft ihm sogar einige Worte nach, doch er erkennt sie nicht, verschwindet wieder im Schneegestöber.

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Er betritt ein armseliges, leeres Café. Apathisch fängt er an, Billard mit sich selbst zu spielen. Die alte Kellnerin kommt und sagt ihm, es wäre ein Herr hier, der möchte gerne mit ihm eine Partie Billard spielen. Er nickt ja – und der Herr erscheint, er ist hager wie ein Skelett, trägt schwarze Glacéhandschuhe, und Don Juan kann sein Gesicht nie richtig sehen. Der Herr spricht kein Wort, läßt nur Don Juan sprechen, dem es unheimlich wird – Er weiß nicht recht warum. Der Fremde gibt ihm etwas vor, 56, genau soviel, als Don Juan Jahre zählt. Don Juan beginnt und verfehlt. Nun spielt der fremde Herr. Mit automatischer Präzision klappt alles. Immer wieder drückt er die Nummerntafel – 28, 37, 42 – Da bemerkt plötzlich Don Juan, daß der Herr unter seinen Glacéhandschuhen eine knöcherne Hand hat, er erblickt das Gelenk. Und nun weiß er, er spielt mit dem Tod, und der Tod wird gewinnen. 56 – Der Herr hat gewonnen, Don Juan faßt sich ans Herz, wie damals im Zuchthaus, und bricht tot zusammen.

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Bemerkung: Außer der Figur des Don Juans spielen in diesem Filme nur Frauen und der Tod. Es soll auch versucht werden, in den Dialogen, Zeitprobleme von der Einstellung der Frau her zu beleuchten.

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Brüderlein fein! Ein Film aus der Biedermeisterzeit nach Motiven aus den Stücken Ferdinand Raimunds „Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ und „Der Verschwender“, frei bearbeitet von Ödön von Horváth. 1. Der reiche Schreiner und Baumeister Rappelkopf ist ein ungeheurer Menschenfeind, obwohl er eigentlich keinen rechten Grund dazu hat, aber sein mißtrauisches Wesen ist eben kaum mehr zu überbieten. Immer fühlt er sich belogen, betrogen, bestohlen – Ja selbst seiner braven Tochter Maly traut er immer alles Schlechte zu und befürchtet auch immer nur allerhand Bosheiten von ihrer Seite. 2. In der Nähe der kleinen Stadt, in welcher Rappelkopf lebt, haust auf seinem Schlosse der überaus reiche Herr von Flottwell, wie man so zu sagen pflegt „in Saus und Braus“. Maly hält es zu Hause nicht mehr aus und beschließt, mit ihrer Zofe Lieschen durchzubrennen und zu ihrem Geliebten nach Italien zu fahren. Die beiden brennen auch durch, Rappelkopf tobt, als er dies erfährt, und nun steigert sich sein mißtrauisches Wesen so sehr, daß er sich einbildet, seine Frau hege ein Mordkomplott gegen ihn. Er hatte nämlich seine Frau belauscht, als sie dem läppischen Diener Christian den Auftrag gab, eine Gans zu schlachten. Dabei hatte er es aber überhört, daß es sich um eine Gans dreht, und bezog dieses Abschlachten auf sich selbst. Heimlich rafft er nun all sein Geld zusammen und verläßt sein Haus. 3. Maly und Lieschen fahren unterdessen in ihrer Kutsche auf ihrer Reise nach dem Süden durch einen wunderbaren Wald, und die beiden Mädchen beschließen, in einem Weiher am Waldrand ein Bad zu nehmen. Dabei werden sie von dem unwahrscheinlich reichen Edelmann Herrn von Flottwell überrascht, der gerade seiner Jagdleidenschaft frönt. Er ist fasziniert von Maly, und auch sein ihn begleitender Diener Habakuk ist begeistert von Lieschen. Herr und Diener streiten sich gerade, wer die Schönere sei, und fangen unwillkürlich an, lauter zu sprechen, da werden sie von den beiden Mädchen erkannt, die erschreckt in ihre Kutsche flüchten und eiligst davonfahren. 4. Herr von Flottwell und Habakuk ziehen etwas bedrückt auf ihr Schloß zurück, wo sie bereits von der großen Jagdgesellschaft erwartet werden. Flottwell ist dank seines Geldes von vielen „Freunden“ umgeben, die ihn umschmeicheln und ausnutzen. Er selbst hatte sein Geld von seinem Vater geerbt, und seine Lebensphilosophie besteht darin, sein Leben großartig zu genießen. Er hat keine Beziehung zum Geld und betrachtet sich von seinem Glück herausgefordert, ein Verschwender im wahren Sinne des Wortes. Aber er ist sich dessen auch bewußt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach solch ein leichtsinniger Lebenswandel bereits auf Erden seine Sühne finden muß, und aus diesen Erwägungen heraus bildet er es sich ein, daß ihn nur eine Frau retten könnte, aber es müßte die rechte sein. Und nun bildet er sich weiter ein, diese rechte wäre Maly. Er läßt überall nach ihr forschen und sendet sofort berittene Kuriere in der Richtung, die die Kutsche Malys genommen hatte. Sie finden jedoch Maly nicht, denn sie ist bereits umgekehrt und zwar aus folgendem Grund:

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Brüderlein fein!

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5. Maly hatte noch am selben Abend in einem Wirtshaus, in dem sie mit Lieschen übernachten wollte, einen Postkurier getroffen, der, wie er bei der Anmeldung ihren Namen hörte, ihr einen Brief ihres Kunstmalers übergab, mit dem er unterwegs zu ihr war. In dem Brief steht unter schönen Redensarten die Mitteilung, daß er soeben in Italien geheiratet habe. Maly ist außer sich vor Verzweiflung und fährt mit Lieschen im schnellsten Tempo zurück. 6. Zu Hause angelangt erfährt sie, daß der Vater mit dem Gelde verschwunden ist, und daß also nun ihre Mutter und sie bitterste Not erwartet. Auch Lieschen muß sich nun von Maly trennen. 7. Rappelkopf hatte sich mit seinem Gelde in eine wilde Bergeinsamkeit zurückgezogen und lebt dort als grimmiger Menschenfeind.

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8. Frau Rappelkopf und Maly ziehen in die große Stadt, mieten sich ein kleines Zimmer, und in all dem Unglück hat Maly noch insofern Glück, daß sie durch ihre zierliche Naturstimme als kleine Sängerin ans Stadttheater engagiert wird. 9. Lieschen bekommt durch einen Zufall einen Posten auf des Herrn von Flottwells Schloß – der Diener Habakuk erkennt sie wieder und teilt dies sofort seinem Herrn mit, der gerade an einem großen Gelage beteiligt ist. Herr von Flottwell erkundigt sich sofort überaus aufgeregt nach dem Wohnsitz Malys, aber Lieschen kann ihm keine Auskunft geben. Er erfährt nur durch sie, wer Maly ist und auch einiges über ihr Schicksal. Lieschen und Habakuk kommen sich immer näher. 10. Maly tritt nun fast jeden Abend im Theater auf, denn sie ist allmählich ein Liebling des Publikums geworden. Eines Abends besucht Herr von Flottwell das Theater, erkennt in der Sängerin seine langgesuchte und herbeigesehnte Maly, stürzt in der Pause in die Garderobe und erklärt ihr seine Liebe. Maly ist etwas verwirrt, aber sie merkt es dennoch gleich, daß er ihr sehr gefällt. Sie verabreden, daß sie nach dem Theater zusammen essen wollen. Die Garderobiere macht vor Herrn von Flottwell einen Hofknicks, so sehr ist sie durch sein vieles Geld beeindruckt. Herr von Flottwell möchte gerade in seine Loge zurück, die Vorstellung hat schon wieder begonnen, da muß er in der Logentür von dem vor Aufregung außer sich geratenen Habakuk erfahren, daß er sein ganzes Geld, das er leichtsinnigerweise in Unternehmungen seiner „Freunde“ gesteckt hatte, verloren hat, und daß er also nun ein bettelarmer Mensch ist. Herr von Flottwell ist sehr erschüttert und besonders darüber, daß ihm dieses Unglück gerade in dem Augenblick hat zustoßen müssen, da er die für ihn richtige Frau gefunden zu haben meinte. Er verläßt auch sofort das Theater und läßt sich bei Maly entschuldigen, denn er kann sie ja nicht einmal mehr zu einem Abendessen einladen. 11. Rappelkopf haust inzwischen noch immer in seiner Bergeinsamkeit und behütet in seiner Hütte, die er seinerzeit einer armen Familie abgekauft hatte, sein Geld. Immer wieder vermutet er Einbrecher und Mörder und brüllt dann zum Fenster heraus um Hilfe, sodaß die Bauern aus dem nahe gelegenen Dorf eiligst herbeilaufen. Diese Szenen wiederholen sich immer wieder, und immer wieder stellt es sich heraus, daß

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die Einbrecher und Mörder nur in Rappelkopfs Phantasie vorhanden waren. Und allmählich denken natürlich die Bauern gar nicht mehr daran, dem hilfebrüllenden Rappelkopf zu helfen, sondern rühren sich nicht von ihren Feldern und lachen ihn nur aus. Eines Tages dringen aber wirklich Einbrecher bei Rappelkopf ein und rauben ihm seinen Schatz. Wieder brüllt er um Hilfe, aber es rührt sich niemand. Da verdammt und verflucht er alle diese Menschen, die ihm nicht geholfen haben, und muß nun wohl oder übel seine Hütte verlassen, in die Stadt ziehen und dort versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen.

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12. Auf der Landstraße trifft er nach einigen grotesken Abenteuern Herrn von Flottwell, der nun ebenso wie er als ein Landstreicher durch die Welt zieht und auch bereits seine Abenteuer hinter sich hat. Sie ziehen gemeinsam weiter, und Flottwell erzählt ihm von seiner großen Liebe zu einer berühmten Sängerin. Rappelkopf lacht ihn nur höhnisch aus. 13. Bei ihren Wanderungen kommen sie auch an dem Schloß, das ehemals Herrn von Flottwell gehörte, vorbei. Es stellt sich nun heraus, daß der derzeitige Schloßbesitzer der Diener Habakuk und die derzeitige Schloßherrin Lieschen ist. Flottwell und Rappelkopf erfahren dies aber erst, nachdem sie auf Bettlerart je einen Teller Suppe erhalten haben. Es kommt zu einem Wiedersehen mit den ehemaligen Bediensteten, das aber von beiden Seiten mit großer Reserve vor sich geht. 14. Eines Tages kommen die beiden Landstreicher auch wieder in die große Stadt. Hier entdeckt Flottwell auf einem Theaterplakat den Namen seiner Maly. Sie spielt die „Jugend“ in Raimunds „Bauer als Millionär“. Er überredet Rappelkopf, mit ihm zusammen die Vorstellung zu besuchen, hoch droben auf dem letzten Stehplatz – Endlich willigt Rappelkopf ein, er hat natürlich noch keine Ahnung, daß die „Jugend“ seine Tochter ist. Flottwell bettelt sich das Eintrittsgeld in raffinierter Weise zusammen. 15. Abends im Theater befinden sich nun droben auf der höchsten Galerie Flottwell und Rappelkopf, der sich von der Vorstellung nicht viel verspricht. In der ehemaligen Stammloge Flottwells sitzen Habakuk und Lieschen. – Nun tritt Maly als „Jugend“ auf und singt das Lied „Brüderlein fein“ – Da erkennt sie Rappelkopf und wird durch dieses unverhoffte Wiedersehen mit seiner Tochter und unter dem Eindruck des Liedes plötzlich ein ganz weicher Mensch mit dem stärksten Verlangen, sich mit allen zu versöhnen und zu vertragen. Flottwell muß nun auch zu seiner größten Überraschung erfahren, daß Maly Rappelkopfs Tochter ist. 16. Nach der Vorstellung warten die beiden vor dem Bühneneingang, endlich kommt Maly heraus, sie wird bereits von vielen Kavalieren erwartet – erkennt aber sofort Flottwell trotz seines zerlumpten Äußern und eilt auf ihn zu. Auch sie hatte sich nämlich immer nach ihm gesehnt und überall nach ihm fragen lassen, ohne daß natürlich jemand ihr Auskunft über sein Verbleiben und Schicksal geben konnte. Auch mit Rappelkopf gibt es nun ein Wiedersehen, und die Szene endet mit einer großen Versöhnung.

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17. So ziehen die drei in Malys Wohnung, wo es auch ein Wiedersehen und eine Versöhnung mit Rappelkopfs Frau Sophie gibt. Maly beschließt, Flottwell und Rappelkopf schöne Kleider zu kaufen, was Flottwell nur nach längerem Zögern annimmt, und zwar nur deshalb, weil er an ihre wahre Liebe glaubt, die sie ihm dadurch bewiesen hatte, daß sie ihn auch als Bettler gern mochte. 18. Am nächsten Tage erfährt Rappelkopf durch einen Bauern, den er auf der Straße trifft, daß die Einbrecher, die ihm seinerzeit seine Schätze geraubt hatten, schon lange gefaßt worden sind, und daß auch sein Geld bis auf den letzten Groschen im Polizeibüro nur darauf wartet, von ihm abgeholt zu werden. Rappelkopf ist überglücklich, holt sich das Geld und beschließt, mit Herrn Flottwell, seinem zukünftigen Schwiegersohn, ein neues Schreiner- und Baugeschäft zu errichten. „Jetzt baue ich euch ein Haus!“ ruft er Flottwell und Maly zu.

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19. Unter den Klängen des „Brüderlein fein“ steigt nun die Hochzeit zwischen Herrn von Flottwell und Maly Rappelkopf. Und wieder werden die beiden von Habakuk und Lieschen bedient, die ebenfalls ihr Geld wieder verloren haben, denn nichts hat Bestand auf der Welt und Abschied muß genommen werden. 20

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20. Anmerkung: In diesem Film werden folgende Lieder verwendet: „Brüderlein fein“ „Das Hobellied“ „Ach, wenn ich nur kein Mädchen wär“ „So leb denn wohl du stilles Haus“ „Ach, die Welt ist gar so freundlich, und das Leben ist so schön“ „Ein Aschen“

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Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. Ein Tonfilmentwurf von Ödön Horváth

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1. Auf dem Lande. Es jährt sich zum ersten Mal der Todestag des Großgrundbesitzers (Großbauern) T. Seine Witwe hängt die Trauerkleider in den Schrank. Es ist Ende Februar und noch Fasching. Die Gutsangestellten veranstalten einen Kindermaskenball. Ein fremder Bursche (der Mann N) walzt vorbei, tritt ein – Er ist ein Kindernarr. Er maskiert sich als Teufel und wird der Liebling der Kinder. Frau T lernt ihn kennen. Und lieben. Sie hat lange keinen Mann mehr gehabt, und er ist zwanzig Jahre jünger. Bald wird er Inspektor. Dann nimmt er mit Frau T das Sakrament der Ehe zu sich. Sie wird ihm von Tag zu Tag höriger. Nur ab und zu steigt ihr verstorbener Gatte aus seinem Grab. N ist ihr aber nicht treu. Er läßt sich fast wahllos mit jeder ein, nicht zuletzt deshalb, weil Frau T zwanzig Jahre älter ist. Einmal überrascht sie ihn mit dem Küchenmädchen – Immer quält sie ihn mit ihrer Liebe, stört ihn mit ihrer Eifersucht, usw. Bald haßt er sie. Nicht zuletzt deshalb, weil sie das Geld hat. Eines Tages erkältet sich Frau T, als sie ihm wieder mal nachspioniert. Der Arzt meint, sie müsse sich vor Zugluft hüten, sonst könnte es schlimm enden. N ist nun mit allen Mitteln bedacht, Zugluft herzustellen. So wird er geräuschlos und grotesk ihr Mörder. Das Begräbnis. Das Küchenmädchen ist auch dabei. Auch alle anderen Küchenmädchen. Es ist sehr feierlich. Auch die bereits zwanzigjährige Tochter der Frau T ist dabei, samt ihrem Bräutigam, einem Menschen, dem man es ansieht, daß er beim besten Willen kein Glück haben kann. 2. Nach dem Begräbnis zieht N in die große Stadt. Mit viel Geld. Frau T hatte ihn als alleinigen Erben eingesetzt und ihre Tochter enterbt. Sie haßte nämlich ihre Tochter, da diese es mal versucht hatte, N in ihren Augen herabzusetzen. N hatte dieses Gespräch belauscht und haßte nun auch seine Stieftochter. Auch die Stieftochter hatte eine Auseinandersetzung über ihre Person zwischen Mutter und Stiefvater belauscht. Sie hatten sich alle gegenseitig behorcht und kannten sich nun. In der großen Stadt kauft sich N eine große Villa. Er hat Frauen, Freunde und Hunde. Er ist ein direkter Lebemann – frißt, sauft, hurt und spielt. Hat Glück. Geht mit Zylinder und Frack. Mittendrin ereilt ihn sein Schicksal. Er begegnet einem jungen Mädchen aus verarmter Familie, keusch, zurückhaltend, usw. Sie ist ihm ganz ausgeliefert, weil er durch einen glücklichen Zufall von einer kleinen Unterschlagung ihrerseits (Portokasse) erfuhr. Er könnte sie jederzeit dem Staatsanwalt ausliefern, sie fürchtet ihn. Sie wird seine große Liebe. Inzwischen sind aber Jahre vorbeigegangen, und N wird infolgedessen älter. Er will es aber noch nicht merken. Seine Stieftochter besucht ihn überraschend. Sie hatte inzwischen geheiratet, dann ihren Mann verloren und ihr Vermögen. Sie ist Mutter – Ihr fünfjähriges Kind bringt sie nun mit zu N, überwindet sich des Kindes halber und bittet um Geld. Einen Augenblick erwacht in N der alte Kindernarr. Er

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gibt Geld, aber in einer derart protzig-beleidigenden Weise, daß sie es ablehnt. Hierüber ärgert er sich dermaßen, daß er sofort sein Testament verfertigt: Er vermacht sein ganzes Geld Waisenhäusern. Und wieder wird er immer älter. Eines Abends geht er mit seiner großen Liebe auf den großen Ball in der großen Oper. Stimmung, Sekt, Laune. Ein Küchenmädchen (sein Küchenmädchen!) wird fristlos wegen einer Nichtigkeit entlassen. Der Ball ist ein gesellschaftliches Ereignis. Im Kühlraum hängen geschlachtete Tiere. Ein junger Mann interessiert sich für Ns große Liebe – N spioniert den beiden nach und hört wie die große Liebe ihn für einen alten Kerl erklärt, vor dem man das Grausen bekommen kann. Das trifft ihn, dessen Ideal der Sonnenkönig ist, derart ins Herz, daß ihn der Schlag trifft. Abtransport ins Krankenhaus bei Tanzmusik. 3. N ist von nun ab gelähmt. Er hört und sieht alles, kann aber weder sprechen noch schreiben. Nur mit Hilfe eines kleinen Glöckleins kann er sich mühsam verständigen. Im Rollstuhl. Die große Liebe ist weg. Was übrigblieb, sind Lakaien, die ihm nun seine Launen zurückzahlen. Mit Zinsen. Die große Liebe ist an der Riviera und läßt sich kitschig photographieren. Der Arzt sagt ihm, daß er noch lange leben wird, aber sein Chauffeur erklärt ihm, daß das nicht wahr sei. Der Arzt hätte ihm gesagt, er würde höchstens noch zwei Monate leben. Er würde keinen Schnee mehr sehen. Nur den blühenden Frühling noch. N äußert den Wunsch, das Waisenhaus, dem er sein Geld vermachen will, zu besichtigen. Er wird hingefahren. Die Kinder spielen im Hof, und nach der offiziellen Begrüßung läßt man ihn allein in seinem Rollstuhl bei den Kindern sitzen. Die Kinder kommen näher an ihn heran, trauen sich aber nicht recht. Nur ein kleines Mädchen hat den Mut, sie tritt heran und läutet mit dem Glöckchen – Er starrt sie an, und plötzlich wird es ihm bange: Es ist das Kind seiner Stieftochter, die da mit ihm spielen möchte. Das Kind sieht ihn groß an und lacht. Dann wird es plötzlich ernst und betrachtet ihn durchdringend – und unter diesem Kinderblick gehts zu Ende mit ihm. Er stirbt.

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1. Wir sind in Tirol. In dem kleinen Dorf St. Jakob in der Einöde, das so hoch liegt, wird das armselige Haus und das wenige Eigentum der verstorbenen Witwe Birkmüller versteigert. In dem großen Zimmer hängt die Photographie der Toten umflort an der Wand, und man hört immer wieder die Stimme des Versteigerers „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal“. – Und so kommt alles daran: die alten Truhen, der Sorgenstuhl, das Bettzeug, die Kücheneinrichtung, alles – Denn die Dorfbewohner ergreifen gerne die Gelegenheit, wie es eben so menschliche Art ist, billig zu irgendwelchem Besitztum zu gelangen. Vor dem Hause auf der Bank sitzt die einzige Tochter der Verstorbenen, die 18-jährige Anna, einsam und verbittert, und hört immer wieder von drinnen die Stimme: „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal.“ – Zu dieser Zeit fährt durch die Dorfstraße ein reicher Viehhändler, hinten auf seinem kleinen Wagen sitzt ein prächtiges Schwein und neben ihm auf der Bank seine dicke blonde Geliebte. Als er um die Eck beim Friedhof biegt und in ungefähr 300 Meter Entfernung das Haus der Birkmüller sieht, hält er überrascht und fragt eine vorübergehende Bäuerin, was denn dort los sei, da so viel Leute aus- und eingingen, die allerhand Einrichtungsgegenstände abtransportieren. Er erfährt nun, daß die brave Witwe Birkmüller gestorben ist und daß sie ihre Tochter Anna in größter Armut zurückgelassen hat. Als der Viehhändler von der Versteigerung hört, beschließt er, sich an ihr zu beteiligen. Anna sitzt noch immer auf der Bank vor dem Haus, und plötzlich hört sie von drinnen her aufgeregte Stimmen. Sie horcht – Da erscheint der Gerichtsvollzieher mit dem Gendarmen und den Dorfbewohnern in der Tür, und der Gendarm fährt gleich auf sie los. Unter den zu versteigernden Sachen fehle nämlich ein Schmuckstück, ein altes Kreuz, das die verstorbene Frau Birkmüller an Feiertagen an einem Bändchen um den Hals getragen habe. Nach kurzem Hin und Her kann Anna nicht mehr leugnen, das Kreuz heimlich zu sich genommen zu haben – Sie muß es wieder herausgeben, und nun wird das Kreuz zur Versteigerung ausgerufen. Der Viehhändler, der soeben erschienen ist, ersteigert es sofort und ist höchst befriedigt von seinem Fund. Anna verließ inzwischen ihren Platz, um den neugierigen Blicken zu entgehen und um nicht vor fremden Menschen weinen zu müssen. Sie geht um das Haus herum und nimmt Abschied, gewissermaßen von jedem Winkel. Als sie wieder auf ihre Bank zurückkehrt, ist das Haus leer, die Versteigerung ist zu Ende, und sie trifft nur noch eine alte Betschwester an. Die wendet sich nun an Anna und gibt ihr salbungsvolle Ratschläge. Sie solle immer nur beten, beten und wieder beten. Aber Anna, die anfangs apathisch ihr zugehört hat, unterbricht sie plötzlich hart: „Ich glaube nicht mehr an Gott“, sagt sie. Die Alte starrt sie entgeistert an, bekreuzigt sich und läßt sie rasch stehen. Loislmüller sitzt nun wieder auf dem Wagen neben seiner Geliebten und bindet ihr das Kreuz um den Hals. Sie ist hoch erfreut über dieses Geschenk und gibt ihm einen Kuß. Anna verläßt mit einem Bündel das Haus, streichelt noch einmal den Hofhund, der ihr traurig nachbellt, aber sie sieht sich nicht um. Vor der Kirche hält die Bet-

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schwester aufgeregt den Pfarrer an. Es ist dies der Pfarrer Vetter, ein alter gütiger Herr, der trotz seiner tiefen Religiosität leise resigniert mit seinem Leben bereits abgeschlossen hat. Sie teilt ihm bestürzt mit, daß die Anna Birkmüller nicht mehr an den lieben Gott glaubt. Aber der Pfarrer Vetter wird nun ganz böse und weist die Alte zurecht, denn einen solchen Ausspruch könne er sich von der kreuzbraven Anna nicht vorstellen. 2. Droben im Hochgebirge, unterhalb eines wilden Grates, über dessen zerklüftete Zakken die Grenze verläuft, gehen zwei Förster ihr Revier ab. Der Jüngere heißt Michel, ein gutmütiger pflichtbewußter Mensch, dessen einzige auffallende Schwäche eigentlich darin besteht, daß er sich selber sehr gefällt. Er hält sich für einen durchaus feschen Menschen, der er ja auch ist – Eben deshalb läßt seine Eitelkeit auch auf eine kleine Beschränktheit schließen. Michel erklärt nun seinem Kollegen, der erst vor kurzer Zeit in diese Gegend versetzt worden ist, die Namen der verschiedenen Täler, Kare, Gipfel und Ortschaften. So z.B. liegt direkt unter dem Felsen, auf dem sie sich jetzt befinden, das schöne Dorf Kirchfeld, wo beide stationiert sind. Vier Gehstunden entfernt von Kirchfeld liegt das Dorf St. Jakob in der Einöde, und ungefähr zwischen den beiden auf halbem Wege liegt das Wirtshaus des Gruberfranz, sozusagen mitten im Walde, etwas entfernt von der Landstraße. Auf den Gruberfranz ist die Behörde nicht gut zu sprechen. Sie kann ihm zwar nichts Positives vorwerfen, aber sie ist fest davon überzeugt, daß er den Wilderern und Schmugglern Hehlerdienste leistet. Sein Wirtshaus steht auch deshalb keineswegs in einem guten Rufe. Am Rande der Waldgrenze finden die beiden Förster im Unterholz eine Wildschlinge mit einem gefangenen Rehkitz. Michel stellt sofort fest, daß diese Schlinge natürlich nur von einem Wilderer gelegt sein konnte. Er habe auch schon einen ganz bestimmten Verdacht. Zwar wolle er noch nicht darüber sprechen und keinen Namen nennen, aber er habe das Gefühl, daß er auf der richtigen Fährte sei. Er wolle nur soviel sagen, daß es sich um einen Einwohner Kirchfelds drehe, und er möchte nun doch gleich mal im Wirtshaus des Gruberfranz nachsehen, ob der Bewußte sich nicht dort aufhalte, denn eine innere Stimme raune ihm dies zu. Er fordert seinen Kollegen auf, mit ihm hinabzusteigen, und erzählt ihm dabei von seinen verschiedenen immerhin erfolglos durchgeführten Haussuchungen beim Gruberfranz. Der Mann, den Michel in Verdacht hat, hatte die beiden Förster nun schon längere Zeit beobachtet. Er hatte gerade nach seiner Wildschlinge sehen wollen, da erblickte er die beiden und versteckte sich rasch im Unterholz. Er beobachtete auch, daß seine Schlinge entdeckt wurde, und sieht nun, wie die beiden Förster rasch auf dem kürzesten Steige zum Gruberfranz hinabsteigen. Um ihnen zuvorzukommen und den Wirt zu warnen, klettert und springt er nun tollkühn über Wände und Schroffen hinab und erreicht so noch vor dem Eintreffen der beiden Förster das Wirtshaus, wo er sofort mit dem Wirt im Keller verschwindet und zwei dort aufbewahrte gewilderte Rehe geschickt unter allerhand Gerümpel verbirgt. Der Wilderer ist, wie gesagt, aus Kirchfeld und wird der Wurzelsepp genannt. Ein jedes Kind weiß, daß er vom Wildern lebt. Auch sein Vater ist ein Wilderer gewesen, hat einen Förster erschossen und endete im Gefängnis. Der Wurzelsepp war damals noch ein Kind. Seit jener Zeit hat er keine Kirche mehr betreten. Die meisten seiner Mitmenschen tun so, als verachteten sie ihn, heimlich achten sie ihn aber, denn es umweht ihn ja auch sozusagen die Romantik des Räuberhauptmanns.

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Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betritt, sitzen der Wurzelsepp und der Wirt mit gut gespieltem guten Gewissen in der Wirtsstube und trinken Schnaps, als hätten sie nie irgendeinen unerlaubten Gedanken gehabt. Nach einer kurzen Begrüßung lassen sich die beiden Beamten an einem Tisch nieder, und der Wirt ruft „Anna!“ So nebenbei erkundigt sich Michel, wer denn diese Anna sei, worauf ihm der Wirt kurz auseinandersetzt, das wäre die neue Bedienung, die erst vor ungefähr acht Tagen bei ihm eingetreten sei. Anna erscheint nun und fragt die beiden Förster nach ihren Wünschen. Michel hört aber gar nicht auf ihre Worte, sondern starrt sie fasziniert an und meint dann plötzlich, sie käme ihm so bekannt vor, und ob sie denn nicht die Anna Birkmüller aus St. Jakob wäre. Es stellt sich nun heraus, daß Michel und Anna als Kinder zusammen gespielt haben – und Anna sei damals immer von Michel beschützt worden, so bringt er ihr viele Dinge aus der Kindheit wieder in Erinnerung. „Schad’, daß ich damals als kleiner Bub’ von St. Jakob weg hab’ müssen“, meint der Michel und äußert seine große Zufriedenheit darüber, was für ein schmuckes Dirndl aus der kleinen Anna geworden sei. Dabei fängt er an, sie zu tätscheln, wobei sie sich erkundigt, ob denn alle Kirchfelder so wären. „Oh“, erwidert der Michel, „in Kirchfeld sind jetzt alle Leut’ ungemein brav und anständig geworden, seit nämlich der neue Herr Pfarrer da ist!“ Dieser neue Pfarrer Hell sei der beste, den es auf der Welt gäbe, wobei der Wurzelsepp ironisch vor sich hin lächelt. Michel bemerkt dies und betont es nochmals: „Jawohl, der Pfarrer Hell, ein richtiger Mensch. Der hilft nicht nur als Seelsorger, sondern überall, wo er nur kann! Der hilft auch im Stall, wenns pressiert!“ 3. In der Kirche zu Kirchfeld tauft der Pfarrer Hell ein Kind. Es ist keine große Taufgesellschaft dabei, nur eine ältere Frau und die Mutter des Kindes, ein etwas beschränkt aussehendes junges Weib. Nach der Taufzeremonie sehen wir den Pfarrer, wie er sich in der Sakristei umkleidet und dann rasch das neben der Kirche gelegene Pfarrhaus betritt. Im Pfarramt stehen bereits sechs Bauernburschen und warten auf ihn. „Seid’s alle da?“, begrüßt er sie und legt dann mit einer großen Strafpredigt los. Das soeben getaufte Kind ist nämlich ein uneheliches, und er macht den Burschen Vorhaltungen, wie gemein es wäre, daß der richtige sich nicht zu seiner Vaterschaft bekenne. Durch seine derb-gutmütige Art bringt er es auch soweit, daß sich der richtige Vater reuevoll meldet. Nach dieser Szene betritt er sein Wohnzimmer, in welchem der Pfarrer Vetter aus St. Jakob bereits auf ihn wartet. Der alte Herr sitzt behaglich in dem Fauteuil und hat ein leeres Glas vor sich stehen. Hell entschuldigt sich, daß er ihn solange allein gelassen habe, und will das Glas seines Gastes neu füllen. „Nein, nein“, wehrt Vetter ab, „es wird ja zuviel. Ich bin das ja nicht gewohnt.“ Hell bringt ihm nun noch eine Zigarre, und nachdem sie Vetter angezündet hat, stellt er fest, daß es ihm lange nicht so behaglich gewesen wäre. „Wie hier alles doch so freundlich, so recht wohlgefällig und lebensfreudig – so gottesfriedlich ist“, fährt er fort, „Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren und sind noch so jung, haben noch so viel vor sich. Ich bin schon ein alter Mann und so wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben – in der Einöd.“ H ELL (unterbricht ihn, in Nachdenken versunken.) Wie heißt doch Ihre Pfarre? V ETTER St. Jakob in der Einöde, Herr Amtsbruder, wo es kaum fünf Menschen gibt, denen es freudig erginge; alles herabgebracht vom Elend.

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H ELL Das ist traurig, wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts dawider tun können. V ETTER Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl. H ELL (ergriffen) Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so resigniert? V ETTER (lächelnd) Ach nein, ich war ja auch jung. H ELL (wie um auf ein anderes Thema zu kommen) Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht? V ETTER Nun früher ist’s wohl redlich gegangen, aber letztere Zeit kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschreien, und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluß gefaßt zu gehen. Ich bin ja nicht wie der Schulmeister, der hofft – (Er lächelt und rückt Hell näher.) und Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich. Er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht. Wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben – Ich stehe auch dann allein, und wenn ich heut’ oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen – – Aber lassen wir das! Ich muß mich aufs Bitten bei Ihnen legen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen. H ELL Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut. V ETTER Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte und dabei recht christlich ihr einziges Kind, ein Mädchen, erzog. – Vor drei Wochen nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen alles, was vorhanden war, und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern. Jetzt dient das arme Kind beim Gruberfranz, aber ich fürchte, das ist nicht das richtige Obdach – und da dachte ich mir, ich wage es, Sie zu bitten, daß Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben. H ELL Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen. V ETTER (schüttelt ihm die Hand.) Nun, das ist recht christlich, ich danke Ihnen, Herr Amtsbruder. 4. Im Wirtshaus des Gruberfranz nimmt das Gespräch über den Pfarrer Hell seinen Fortgang. Der Wurzelsepp hat sich in ironischen Bemerkungen über den hochwürdigen Herrn ergangen, wobei ihm Michel endlich versichert: „Du bist der einzige nicht Brave in Kirchfeld, und über unsern Pfarrer redst du schon garnix.“ Mit naiver Miene erkundigt sich der Sepp, warum er denn der einzige nicht Brave sei. Aber Michel erwidert ihm nur „Mir sagt es eine innere Stimme, daß wir zwei uns nochmals treffen werden.“ „Wo?“, fragt der Sepp. Darauf der Michel: „Droben im Walde, wo manchmal so eigenartige Schlingen wachsen.“ „Das verbitt’ ich mir“, schreit der Sepp, der es merkt, daß Michel ihn verdächtigt, und es kommt nun zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen beiden, die damit endet, daß der Wirt Michel erklärt, er lasse seine Gäste nicht beleidigen. Sehr zum Verdruß des Wirtes und des Wurzelsepp mischt sich Anna auch in den Streit, ergreift die Partei Michels und erklärt auch, daß sie vom Pfarrer Hell nur Gutes gehört hätte. „Übrigens“, meint sie nun auch, „unser Pfarrer in St. Jakob möcht’s gern sehen, daß ich zum hochwürdigen Herrn Hell als Bedienung komme.“ „Das glaube ich“, schreit der Wurzelsepp und biegt sich vor Lachen: „Der Pfarrer und die lebfrische Dirn! Die schicken’s zu ihm, grad als ob sie’s ihm zu Fleiß täten.“ M ICHEL Du hast das gottloseste Maul vom ganzen Land.

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D ER W URZELSEPP Wenn das Derndl zum Hell kommt, dann frag doch über fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihren Pfarrer noch für einen Heiligen halten?!

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5. Im Pfarrhaus zu Kirchfeld betritt die alte Pfarrersköchin Brigitte das Wohnzimmer und meldet Hell, der gerade sein Brevier liest, daß ein Dirndl aus Einöd den hochwürdigen Herrn sprechen möchte. „Führ’ sie nur herein“, meint Hell, „das dürfte wohl deine Gehilfin werden, Brigitte.“ Brigitte, schon wieder in der Tür, wendet sich noch einmal um: „So, na, das wär’ mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und nicht ein bissel aufdringlich.“ Worauf Hell lächelnd meint: „Na, das will ja was heißen, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiß sie ihnen wenig Gutes nachzusagen.“ Dabei erhebt er sich und geht Anna, die nebenan im Pfarramtsraum wartet, entgegen. „So, du bist also die Anna Birkmüller, mein Kind!“ Anna wird durch Hells Persönlichkeit plötzlich sonderbar schüchtern und bringt vorerst kaum ein Wort hervor. „Ich habe dem hochwürdigen Herrn Vetter bereits die Hand darauf gegeben“, fährt Hell fort, „daß ich dich aufnehmen will.“ Anna bleibt noch immer stumm und küßt Hell die Hand. Hell zieht seine Hand unwillkürlich etwas zurück: „Also – Anna, ich heiße dich in meinem Hause willkommen. Du weißt wohl selbst, daß Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen, daß dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er für dich ohnedies schon sein mag.“ A NNA Ich fürcht’ mich nimmer vor’m Dienst (Sie spricht nun plötzlich rasch und viel, als wäre auf einmal ein Bann gebrochen.), oben beim Gruberfranz habe ich einen Kirchfelder getroffen, der gesagt hat, daß er dein Feind ist, hochwürdiger Herr, und der sich alle Mühe gegeben hat, dir was Schlechtes nachzureden, und hat doch nichts vorzubringen gewußt. Ich hab’ auch mir denkt, was du für ein Herr sein mußt, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, nicht zukönnen. Jetzt habe ich dich gesehen und gehört, wie gut und freundlich als du bist, jetzt tät’s mir fast weh, wenn du mich dir nicht dienen ließest. H ELL Gewiß, du sollst bleiben. A NNA Es schreckt mich auch nicht, daß du für einen geistlichen Herrn noch so viel jung bist. H ELL Daß ich jung bin? A NNA Ich denk’ besser kann eine arme Dirn‘ nirgends aufgehoben sein als bei dir. Darauf H ELL Gewiß, Anna, du denkst brav! A NNA Ich weiß nicht, aber recht wird’s wohl sein. H ELL Recht und brav. (Er drückt ihr die Hand.) 6. Am Nachmittag kommt der Wurzelsepp betrunken nach Haus zu seiner Mutter, die in einer halbverfallenen Hütte etwas außerhalb des Dorfes wohnt. Die Hütte wird allgemein nur das Hexenhaus genannt, und die Mutter, eine alte Kräutersammlerin, steht im Ruf einer Hexe. Sehr zu Unrecht, denn sie ist eine rechtschaffene Frau, die nur allerdings, genau wie ihr Sohn, seit dem Tode ihres Mannes im Gefängnis nie mehr eine Kirche betreten hat. In der Hütte kommt es zu einer großen Szene zwischen Mutter und Sohn. Sie wirft ihm seinen liederlichen Lebenswandel vor, beschwört ihn, sich zu bessern, versichert ihm, daß sie sich etwas antue, wenn er eingesperrt werden würde. Der betrun-

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kene Sepp, der zuerst versucht hat zu widersprechen, lallt am Schluß nur noch etwas von irgendeinem Pfaffen, dem er es mal heimzahlen wird. Als Sepp eingeschlafen ist, verläßt die Mutter das Haus, um auf den Berg zu gehen und Kräuter zu sammeln. In der Dorfstraße wird sie von den Kindern beschimpft und verhöhnt, die in typischer Kinderart ihr „alte Hexe“ nachrufen. Der Pfarrer Hell, der von drinnen diesen Lärm hört – er befindet sich gerade in seinem Garten – eilt auf die Straße und weist die Kinder energisch zur Ordnung und beschützt die Mutter des Wurzelsepp. 7. Im Garten hinter dem Pfarrhofe sitzen Brigitte und Anna. Brigitte vor einem Spinnrad und Anna mit einem Sack voll Linsen vor sich auf dem Tisch, die sie verliest. Sie singt dazu, und die alte Brigitte meint, das wären ja richtige Schelmenlieder. „Mir fallen’s halt alle so ein“, lacht Anna, „weil ich jetzt übermütig bin. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schindet sich ja im Vergleich zu mir, und auch ein Stadtfräulein kann nicht schöner faulenzen.“ Brigitte droht freundlich, ihr den Brotkorb bald höher zu hängen, aber Anna fürchtet sich nicht und betont immer wieder, daß sie einen so guten Dienstplatz nirgends getroffen hätte. Besonders der hochwürdige Herr, das sei ein Mann, um den zu sein wäre ja eine wahre Freude. Bei dem müßt’ ja der ärgste Sünder wieder ein rechter Mensch werden. Brigitte unterbricht ihre Begeisterung und hänselt sie: „Läufst etwa nicht, von wo du stehst, und hebst dich nicht vom Sitz, wenn du seine Stimme oder seinen Tritt in der Nähe hörst?“ Da wird Anna verlegen, und ziemlich verwirrt antwortet sie: „Das ist gewiß nicht so, das hat dir nur geträumt!“ Jetzt erscheint Hell in einem Fenster des Pfarrhofes und ruft nach Brigitte. Anna will sofort aufspringen und ins Haus gehen, doch Brigitte fährt sie gutmütig an: „Du bleibst!“ Hell, der nun erst Anna erblickt, ruft ihr zu, sie möchte doch seine Farben zu ihm ins Haus bringen. Anna holt die Farben und führt den Auftrag aus. Sie befindet sich nun allein in Hells Zimmer und entdeckt auf seinem Sekretär ein Schmuckstück, ein goldenes Kreuz, das an einem Bande um den Hals getragen wird. Es hat eine starke Ähnlichkeit mit dem Kreuz ihrer verstorbenen Mutter – Sie nimmt es in die Hand, betrachtet es, und viele Erinnerungen tauchen in ihr auf. So versunken steht sie da, daß sie gar nicht bemerkt, daß Hell das Zimmer betrat und sie schon eine Zeitlang beobachtete. Plötzlich meint er: „Regt sich die Eitelkeit ein wenig bei dir?“ Anna zuckt erschrokken zusammen, erblickt ihn erst jetzt und legt das Kreuz rasch wieder zurück. „Nein, ich bin gewiß nicht eitel.“ „Na, na, na,“ meint Hell lächelnd. Anna sieht ihn groß und traurig an, sodaß er überrascht ganz ernst wird, und sie sagt nun leise: Dieses Kreuz erinnere sie nur an etwas sehr Trauriges. „Es hat meiner Schwester selig gehört“, sagt Hell.

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8. Am nächsten Tage befindet sich Michel wieder auf seinem Reviergang und erblickt von hoch droben auf einer Waldlichtung den Pfarrer Hell mit seinen Schulbuben, denen er in Gottes freier Natur, um nicht bei dem herrlichen Wetter in dem engen Klassenzimmer bleiben zu müssen, Religionsunterricht erteilt. Er erzählt ihnen aus der Bibel, und sie hören alle andächtig zu. Und dann spielen die Buben auf einer Wiese gegeneinander Fußball, und der hochwürdige Herr schiedsrichtert dabei. Und er ist ein gerechter Unparteiischer.

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Da kommt der Förster Michel droben vom Gebirg von seinem Reviergang herab und unterhält sich nun mit Hell über Anna. Es freut ihn sehr, daß der Pfarrer sie für ein braves Mädchen hält. Es wird ihm ganz weich und wehmütig um das Herz, da Hell ihm nun mitteilt, daß Anna in ihrem jungen Leben schon viel Unrecht widerfahren sei. Michel meint, eigentlich sollte man nur ein armes Mädchen heiraten, denn wozu wäre der Mann da, wenn nicht zum Schutz des schwachen Weibes. Es fällt dem braven Förster gar nicht auf, daß er mit dieser Äußerung auch seiner eigenen Eitelkeit schmeichelt. So begleitet nun Michel den Pfarrer nach Hause, und wir erfahren es gewissermaßen zwischen den Worten seiner Rede, daß er Anna gern heiraten würde. Am Pfarrhaus angekommen – es dämmert bereits – begrüßt er Anna, die im Garten gerade mit der Wäsche beschäftigt ist, und bittet sie, mit ihm heut Abend zum Postwirt zu gehen, wo, wie alle Sonnabende, getanzt wird. Anna jedoch lehnt die Einladung ab, obwohl ihr Hell zuredet. Aber es sei doch niemand zu Hause, schwindelt sie, der den hochwürdigen Herrn bedienen könnte, da die alte Brigitte zu Besuch bei einer Nachbarin sei. Der brave Michel verabschiedet sich etwas melancholisch. Anna steht noch eine Weile stumm und sieht ihm nach, selbst dann noch, da er bereits um die Ecke verschwunden ist. „Nach was blickst du denn aus?“, fragt Hell sie plötzlich. „Ich schaue, wie die Sonne untergeht“, erwidert sie traurig. Hell sieht sie groß an: „An was denkst du, du hast feuchte Augen.“ A NNA Ich weiß nicht, ich war erst recht lustig, aber wie ich da so schaue, fallen mir auf einmal alle ein, die mir recht nahe gegangen sind und jetzt die Sonne nimmer untergehen sehen. H ELL Der Herr lasse sie ruhen in Frieden – Die letzte meiner Familie, die ich zu beweinen hatte, war meine Schwester. A NNA Die war gewiß kreuzbrav. Drauf fährt dann der H ELL fort: Brav, klug und schön. Sie und die Mutter, beide lebten, als ich noch Student war – Ich dachte mir das so recht hübsch, wenn ich eine Pfarre bekäme, wie wir da immer beisammen leben und bleiben wollten. Eine Familie haben ist doch etwas Schönes. Darauf die A NNA Nicht wahr, oft habe ich mir schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die heilige Familie. H ELL (lächelnd) Meinst du? Darauf A NNA Ja, denn Kinder, die so zur Welt kommen, ohne daß sie oft Vater und Mutter wissen, sind doch recht traurig dran, sie machen niemand so richtig herzliche Freude, auch wenn sie brav sind – und nachher wundert sich die Welt, wenn sie keine rechten Leut werden. H ELL Das denkst du brav und klug. A NNA (sieht zu Boden.) Wie du mich aufgenommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav genannt, jetzt nennst du mich klug, wenn du mir noch eins sagst, so hast du mir alle guten Worte gegeben wie deiner Schwester selig. H ELL (faßt ihre Hand.) Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und – schön. Aber sie war nicht so eitel wie du. A NNA (hebt überrascht den Kopf.) Wie ich? H ELL (freundlich lächelnd) Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt. A NNA Wann denn? Oh, sag’s hochwürdiger Herr. Ich werd’ es gewiß nimmer blicken lassen.

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H ELL Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette. Du hattest es in die Hand genommen – Ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich mein’, daß du es für dein Leben gern gehabt hättest. A NNA (starrt ihn einen Augenblick lang an, die Tränen treten ihr in die Augen, sie kommt aber zu keiner Antwort mehr, da draußen heftig nach dem Pfarrer gefragt und gerufen wird.) Es ist ein armer Bauer draußen, dessen Kuh sehr krank ist und der nun Hell bittet, sofort mit ihm in den Stall zu gehen und nachzuschauen. Hell folgt dem Bauern – und wir sehen ihn, wie er sich im Stall wie ein richtiger Tierarzt bemüht. Auch diese kleine Episode soll dazu dienen, den Charakter eines Mannes zu schildern, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, seiner Gemeinde immer und überall zu helfen. – Er hat seine Arbeit im Stall noch kaum beendet, da stürzt die alte Brigitte aufgeregt zu ihm hin und teilt ihm mit, daß es ihr schon einige Male aufgefallen sei, daß Anna nicht betet, und jetzt soeben habe sie ihr auf ihre Frage erklärt, es gebe keinen Gott. Die alte Brigitte bekreuzigt sich: „Das Mädel hat die Höll’ in sich“, beteuert sie. Aber Hell meint nur lächelnd: „Die werden wir ihr schon austreiben. Ich habe schon mehr Leute kennengelernt, die mal in ihrem Leben behauptet haben, es gäbe keinen Gott. Ich wär’ ein schlechter Pfarrer, wenn ich einem Dirndl nicht beweisen könnte, daß es einen Gott gibt.“ Und als er Anna nun zur Rede stellt und im Ernst von ihr hört, daß sie nicht an Gott glaube, forscht er eindringlich weiter und bringt Anna durch sein gütiges Wesen dazu, daß sie ihm stockend und unter Tränen erzählt, sie glaube nicht mehr an Gott seit ihr seinerzeit ihr Schmuckstück, das Kreuz der Mutter, weggenommen und versteigert worden sei. Das sei ganz ein ähnliches Kreuz gewesen wie dasjenige, das auf dem Sekretär des Pfarrers liegt. „Seht’s Hochwürden“, sagt Anna, „wenn ich das Kreuz wiederbekommen würde, dann würde ich wieder an Gott glauben.“ „Warum denn nur dann?“, fragt der Pfarrer, und Anna antwortet, „Weil ich dann wieder daran glauben könnte, daß es gute Menschen gibt.“ Mit einem plötzlichen Entschluß schenkt ihr nun Hell das Kreuzchen seiner Mutter. Er will es ihr beweisen, daß es gute Menschen und daß es also auch einen lieben Gott gibt. Anna, außer sich, sinkt mit ihrem Gesicht auf seine Hände und schluchzt ganz verwirrt. Sie könne doch das Kreuz nicht annehmen, sie wäre es ja gar nicht wert, und das Kreuz sei schwer Gold. – Darauf H ELL Du sollst eben nicht denken, daß es von Gold, als vielmehr, daß es ein Kreuz ist. Ich habe es dieser Tage gedacht, wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiß, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie von mir in sein Haus geführt, und da dachte ich auch an dich; ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, daß du bei mir bleiben wirst, daß du mich nicht verlassen wirst. A NNA (gibt ihm verwirrt und errötend die Hand.) Mein Lebtag nicht. (Dann zieht sie ihre Hand wieder aus der seinen.) Gute Nacht, Hochwürden. H ELL Gute Nacht. Mit dir, Kind, ist der heilige Hauch des lange verlorenen Familienlebens wieder in mein Haus gezogen. A NNA (geht zur Türe und wendet sich noch einmal um.) Und darf ich das Kreuzchen offen tragen, vor ganz Kirchfeld?

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H ELL Gewiß, warum fragst du? A NNA Ich habe nur gefragt, damit ich weiß, was dir recht ist. Nach allem andern frag’ ich nimmer. 5

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9. Am nächsten Sonntag beim Kirchgang entdecken die Kirchfelder am Hals der Anna das Kreuz, das einige von ihnen als das Kreuz der verstorbenen Mutter des Hell kennen. Manche raunen sich bereits verschiedene Vermutungen zu, und auch der Wurzelsepp hört davon läuten. Er sorgt natürlich sofort dafür, daß es sich ganz und gar herumspricht, daß der hochwürdige Herr Hell einem jungen Mädel ein goldenes Kreuz geschenkt hat. Bei der Predigt hören sie ihm nicht zu. Warum, das könne man sich ja lebhaft vorstellen. Die Stimmung schlägt gegen den Pfarrer um, man schimpft nach dem Kirchgang im Wirtshaus über ihn, und man schimpft auch über die Anna. Es fallen Worte wie „die Hergelaufene“ und dergleichen. Michel hört dies, verteidigt Anna, und es kommt zu einer großen Rauferei, bei der er blutig geschlagen wird. Mitten in der Rauferei betritt Hell das Lokal und erfährt durch einige hämische Bemerkungen, was hier vor sich ging und geht. Er verläßt erschüttert das Haus. Der Wurzelsepp folgt ihm jedoch und schleicht ihm eine ganze Weile nach. Er sieht, wie der Pfarrer langsam mit müden Schritten auf einem Umweg nach Hause geht – Da ruft er den Pfarrer an. Der hält an und fragt ihn tonlos nach seinem Wunsche. „Pfarrer, ich möcht’ dir nur sagen“, antwortet der Sepp gehässig, „daß es mich freut, wie es dir jetzt geht. Hilft dir alles nix. Die Dirn ist dein Unglück. Oder leugnest du vielleicht, daß du der Anna gut bist?“ H ELL (sieht erschrocken und fassungslos auf ihn.) – Der S EPP Du kannst es leugnen, aber du wirst es schon spüren. H ELL (erregt) Ich stehe zu deiner Verunglimpfung, solange sie mich nicht allein betrifft. Aber dies ehrliche Mädchen laß aus dem Spiel. Es erfaßt mich ein heiliger Zorn – S EPP (einfallend) Schrei nur herum, schrei nur zu, dann erfahrt’s das ganze Dorf noch zeitlicher. H ELL Keiner denkt im Dorf wie du. S EPP Da werden bald alle so denken wie ich. Du schenkst ihr das Kreuzel von deiner Mutter selig, und gleichwohl du das Dirndl nicht haben kannst, gönnst du es doch keinem andern! Du willst es halten und nicht lassen für dein Lebentag. Sie hat’s ja selbst der alten Brigitte erzählt. Und diese Dirn’ soll dir gleichgültig sein? H ELL (gepreßt) Bist du zu Ende? S EPP Nein, mir hat’s noch nicht die Red’ verschlagen. Du wirst ja im Land als ein Ausbund von Frömmigkeit verschrien, aber ich habe an dich so wenig geglaubt wie an die andern. H ELL Sepp, du tust Unrecht. Auch dann Unrecht, wenn du, wie ich fürchte, nur der Feind des Kleides bist, das ich trage. S EPP Darüber wollen wir nicht streiten. Du trägst es ja einmal doch. H ELL Das Kleid macht nicht den Mann, und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind. S EPP Das glaube ich selber; mit dem Gewand aber mußte das sein, was ich meine. (mit Schadenfreude) Ja, Pfarrer, du mußt es sein, mußt, wenn du gleich nicht wolltest – mußt, ob dir’s jetzt das Herz abdrücken will, oder ob du in den Boden hineinstampfst – du mußt.

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H ELL Mensch, was liegt auf dem Grund deiner Seele; woher diese gehässige feindselige Jugend? Darauf der S EPP Weil es mich freut. Und nun erfahren wir es, warum der Wurzelsepp und seine Mutter nie wieder eine Kirche betreten. Der Vater des Sepp wurde nämlich durch den Vorgänger Hells angezeigt und also ins Gefängnis gebracht, wo er dann verstorben ist. „Hilft dir alles nix“, fährt der Sepp nun mit gehässiger Schadenfreude fort, „die Dirn ist und bleibt dein Unglück. Ich weiß, du planst dir jetzt tausend Auswege – Aber du hast nur zwei Wege: Du kannst die Anna entweder in Unehren halten und mußt fort von Kirchfeld, oder du kannst sie mit Herzleid fortziehen lassen, und dann ist dir Kirchfeld und die ganze Welt nichts mehr. Einen dritten Weg hast du nicht. Siehst, Pfarrer, da habe ich dich und habe dich so sicher, daß ich dich nicht einmal zu halten brauch’.“ Mit diesen Worten läßt er Hell stehen. 10. Im Pfarrhaus macht die alte Brigitte Anna heftige Vorwürfe, die wäre das Unglück des hochwürdigen Herrn. Über beide würden im Dorf schon die wildesten Gerüchte verbreitet, sodaß die Leut’ schon den ganzen Respekt vor dem Pfarrer an den Nagel gehängt hätten – Sogar im Wirtshaus sei gerauft worden, was doch nicht mehr der Fall gewesen wäre, seit der hochwürdige Herr Hell auf der Pfarre ist. „Und heut’ in der Predigt wirst selber bemerkt haben, wie alle auf dich geschaut, sich zugeblinkt und wie sie untereinander geplaudert haben, während doch sonst, während der Pfarrer redet, es in der Kirch’ totenstill war.“ Anna schluchzt außer sich und bittet Brigitte, doch um Gotteswillen nichts Unrechtes von ihr zu denken. Sie könne ja nichts dafür, und sie weiß ja gar nicht, wie das alles gekommen ist. Auch die alte Brigitte wird gerührt und weint mit und meint, „Da hat der Teufel seine Hand im Spiel“, „Es soll doch wirklich in der Welt nur Männer oder nur Weiber geben, alle zwei zusammen tun nie was Gutes.“ – 11. Wurzelsepp ist wieder in das Wirtshaus zurückgekehrt und hält dort große, flammende Reden gegen den Pfarrer, die allgemein beifällig aufgenommen werden. Mitten in seiner Hetzerei wird er aber von Michel und einem Gendarmen unterbrochen, die ihn verhaften wollen. Der Gruberfranz ist nämlich der Hehlerei überführt worden und hat eingestanden, Gewildertes vom Wurzelsepp bezogen zu haben. Sepp flieht vor dem Gendarmen, zu allererst in seine Hütte und nimmt dort von seiner entsetzten Mutter kurz Abschied. Inzwischen wurde aber die Hütte bereits von Gendarmen und Förstern umstellt. Er schießt durch das Fenster, trifft jedoch niemanden und flieht dann in die Berge hinauf. Die Mutter ist über all diese Ereignisse furchtbar entsetzt und begeht Selbstmord im Wildbach. 12. Es regnet in Strömen, es ist ein grauer Tag, und in dem Zusammenleben der drei Leute im Pfarrhaus hat sich alles geändert. Als Michel, der von der Rauferei her noch verbunden ist, an dem Haus vorbeigeht, bemerkt ihn Anna und läuft zu ihm hinaus und muß nun hören, daß die ganze Prügelei daher gekommen ist, daß die Dorfleute von dem Kreuz erfahren hätten, das

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der Pfarrer ihr geschenkt haben soll – aber er glaube das noch immer nicht. Jetzt wird Anna klar, in welche Lage der Pfarrer durch ihr bloßes Hiersein geraten ist. Sie bedankt sich bei Michel, der, mutig geworden durch ihre Freundlichkeit, ihr seine Liebe erklärt, und Anna entschließt sich, seinen Antrag anzunehmen. Sie bringt dieses Opfer, um damit den Pfarrer zu retten. So tritt sie nun sogleich mit Michel vor den Pfarrer hin und erklärt ihm mit innerem Zittern, daß sie sich soeben mit Michel versprochen habe. „Es wär’ auch nichts Unüberlegtes“, sagt sie und sieht Hell fest an. Michel lacht: „Das gewiß nicht, ich weiß, wie ich hab’ zureden müssen.“ „Du willst fort?“, fragt Hell Anna, „weißt du auch, daß ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüßt habe? Weißt du auch, daß sich alle von mir gewendet haben?“ Anna nickt traurig. H ELL Und doch, wenn dieser Tag zu Ende geht, so habe ich keine einzige Seele, kein einziges Herz mehr zu verlieren. Lebt wohl. Er verläßt rasch das Zimmer und ruft nach Brigitte: „Schnell, meinen Rock, meinen Hut, dann kannst du das Tor schließen. Ich komme erst morgen wieder.“ B RIGITTE (äußerst erschrocken) Aber hochwürdiger Herr, du wirst doch nicht in der Nacht spazieren gehen, denk’ das Gered’ im Dorf wird ja immer größer, wenn dich vielleicht einer sieht. H ELL (hat nun seine Ruhe wiedergewonnen.) Nun, Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht. 13. Im Innersten durchwühlt schreitet der Pfarrer durch die Nacht. Er verläßt das Dorf und steigt in den Wald immer höher und höher empor – vorbei an den Bergwiesen, wo er den Schulbuben Unterricht gab. Es ist eine stürmische Nacht, und plötzlich sieht er sich dem Wurzelsepp gegenüber, der ihn gleich sehr gehässig anfährt, er könne doch die Gendarmen heraufschikken, denn das sei ja seine Pflicht als Diener der Liebe. „Zeige mich genau so an“, brüllt er, „wie mein Vater angezeigt wurde, der dann im Gefängnis gestorben ist.“ Hell sieht ihn jedoch nur groß an, schüttelt verneinend den Kopf und fragt ihn dann leise: „Du hast mir halt zugerufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie – und doch, sieh’, ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dir.“ Sepp schleicht sich noch in derselben Nacht in das Dorf zurück, um von seiner toten Mutter Abschied zu nehmen. In der Hütte erblickt er sie durch die Fensterscheiben aufgebahrt liegen und, durch den großen Schmerz überwältigt, begibt er sich noch in derselben Nacht heimlich zum Pfarrhof und erfährt dort durch Brigitte, die ihn in der Finsternis nicht erkennt, daß der Pfarrer nicht zu Hause sei. So wartet nun der Wurzelsepp auf ihn vor dem Haustor, und als endlich Hell erscheint, bittet er ihn stockend um ein ehrliches christliches Begräbnis für seine Mutter. Der große Schmerz bricht plötzlich aus ihm heraus; er sinkt vor dem Pfarrer in die Knie und fleht ihn an, seine Mutter nicht als Selbstmörderin außerhalb des Friedhofs verscharren zu lassen. „Sepp, was willst du denn aus mir machen“, fährt ihn der Pfarrer an, und faßt ihn mit beiden Händen an den Schultern, „nicht dir noch irgendeinem weigere ich die geweihte Erde für seinen Toten. Oh, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, daß du nicht wüßtest, bevor du deine Bitte vorgebracht, daß ich ihr nichts nehmen werde, nicht kann, ja, nicht darf! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt

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dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.“ Sepp sieht ihn groß an: „Verzeih mir, Pfarrer, so hab’ ich dich nicht geglaubt, aber du redest ganz anders als der frühere. Aber die Leut’ im Ort denken vielleicht doch nicht so wie du.“ „Ich werde die Leiche zu Grabe geleiten“, beruhigt ihn Hell. „Ich werde für die Tote sprechen. Ich werde die Gemeinde für sie beten lassen, und alle werden sie ‚Amen‘ sprechen, und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.“ Sepp faßt Hells Hand zaudernd in seine beiden: „So tust du an mir? Das vergeß’ ich dir all’ mein Lebtag nicht.“ Er wendet sich langsam eben und will gehen. Doch Hell ruft ihn noch einmal zurück: „Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.“ Sepp hält überrascht: „Du an mich?“ Hell: „Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, dann wirst du nicht außen bleiben können, du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen. Solltest du etwa Stimmen um dich und Flüstern hören, so du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, laß dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht zu mir.“ – – „Du redest einem in die Seele hinein“, murmelt der Sepp ergriffen, „als ob du wüßtest, was einer sich zu tiefst drinnen denkt. Oh, du mein Gott, wenn du früher gekommen wärest, ich wär’ nicht so, wie ich jetzt bin.“ H ELL Und mußt du denn so bleiben, wie du bist, Sepp? Ich habe dich lange gesucht, und du wolltest dich nicht finden lassen, und heute suchtest du mich, und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast. Geh du nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. – Und nun fordert ihn Hell auf, sich freiwillig der irdischen Gerechtigkeit zu stellen. Sepp sagt nicht „nein“, nicht „ja“ und verläßt tief in Gedanken versunken den Pfarrer. 14. Auf dem Friedhof zu Kirchfeld ist ein frisches Grab mit einem armseligen Holzkreuz und nur wenigen Blumen. In der Kirche liest Hell die erste Seelenmesse für die Verstorbene, und die Orgelklänge und der Chorgesang schallen weit über das kleine Dorf hinaus. Der Wurzelsepp erscheint nun auf dem Friedhof mit einem kleinen Strauß Alpenblumen und legt ihn auf das Grab seiner Mutter. Kurze Zeit verweilt er dort im Gebet, dann lauscht er den Orgelklängen und wendet sich langsam dem Kirchentor zu, betritt die Kirche, hält an, sieht sich um wie ein Kind, das wieder heimgefunden hat, erblickt plötzlich in der vollen Kirche (das Mitleid des ganzen Dorfes hat sich nämlich plötzlich seiner armen toten Mutter zugewendet, und es wurde beschlossen, daß sich jeder an dem Begräbnis zu beteiligen hat) den Förster Michel und zwei Gendarmen. Er stockt und zögert einen Augenblick. Dann fliegt aber ein Lächeln über sein Gesicht, und er schreitet festen Schrittes durch die ganze Kirche bis zum Altar. Alle Blicke wenden sich ihm zu. Es entsteht ein Raunen in der Kirche. Der eine Gendarm macht Miene, ihn gleich zu verhaften, der Michel flüstert ihm zu: „Später! Hernach!“ Der Sepp kniet vor dem Altar nieder, und nun wird er auch von Hell entdeckt, der ihn anschaut, als wolle er sagen „Bist also doch wiedergekommen.“ 15. Nach dem Seelenamt nähert sich der Sepp vor der Kirche den Gendarmen und bittet sie, ihn zu verhaften. Er zieht nun auch öffentlich alle seine Beschuldigungen gegen den Pfarrer zurück und erklärt, Hell hätte ihm den Weg zum Guten gewiesen. Die Gemeinde ist von diesem Geständnis stark beeindruckt.

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16. Als Hell nach Hause kommt, sieht er Michel und Anna im Garten sitzen. Als Anna ihn erblickt, läßt sie Michel allein und tritt auf Hell zu und erklärt ihm, sie müsse ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er führt sie in das Pfarrzimmer. „Ich habe dir zugelobt“, sagt sie, „daß ich dir treu diene, und ich meine zu Gott, ich kann dir nicht treuer dienen, als wenn ich jetzt gehe, und so geh, wie du mich da siehst, für immer aus dem Pfarrhof, hinaus auf den Lebensweg“ – – „Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine“, nickt ihr Hell zu, „du bist mir wenigstens echt geblieben. Geh denn mit Gott!“ Nun bittet Anna ihn, daß er selbst sie vorm Altar traue, er solle ihnen keinen andern schicken. „Und zeige mir, daß du zufrieden mit mir bist“, bittet sie ihn noch, „und sage mir auch jetzt zum letzten die lieben Worte, die du mir zum ersten gesagt hast, wie du mich aufgenommen hast bei dir, sage mir, daß ich auch da recht gedacht habe und brav.“ „Recht und brav“, lächelt Hell erschüttert.

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17. Durch dieses Opfer, das Anna dem Hell gebracht hat, hat sie ihn vor seiner Gemeinde gerettet. Die Kirchfelder hängen nun wieder mit einer schwärmerischen Liebe an ihrem Pfarrer. Die Hochzeit Michels und Annas wird sozusagen zu einem Volksfest. Das ganze Dorf beteiligt sich an ihr, ja, sogar von benachbarten Dörfern kommen Besuche, und auch die Kollegen Michels sind zahlreich vertreten. Hell und Anna leiden unter der lärmenden Freude. Anna, da sie Hell noch immer liebt, und Hell, der es weiß, daß Anna für ihn ein Opfer gebracht hat. Nun knien Michel und Anna vor dem Altar, und über ihnen steht der Pfarrer, der sie zusammengibt. Einmal noch treffen sich Hells und Annas Augen, und aus seinem gütig-lächelnden Blick schöpft sie neue Kraft, und es wird ihr bewußt, daß sie beide den „dritten“ Weg gehen, den Weg des Leidens zur Pflicht.

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Revue

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Magazin des Glücks

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„MAGAZIN DES GLÜCKS“

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Entwurf von Ödön H o r v á t h und R. A. Stemmle 13. Dezember 1932. Prolog:

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Die Außenfront und Auffahrt des „Magazins des Glücks“. Autos fahren vor. Gäste gehen in das Haus, das festlich erleuchtet ist, und aus dem aus allen Abteilungen die Musik heraustönt. Neben der Auffahrt wartet rechts ein junger Mann, Reithofer, ein österreichischer Kellner auf seine Freundin. Links wartet Annemarie, ein frisches, patentes Berliner Mädel, Büroangestellte, auf ihren Freund. Die Fürstin fährt vor, wird empfangen und von dem Generaldirektor, King Atlas, ins Haus geführt. Die beiden jungen Leute warten vergeblich. Die Fassade des Magazins verdunkelt sich. In der oberen Etage wird eine Konferenz sichtbar, an der alle Abteilungsleiter teilnehmen, auch die Fürstin, die die Geldgeberin dieses Unternehmens ist. King Atlas bittet um finanzielle Unterstützung, um sein Unternehmen ausbauen zu können. Die Fürstin will es anschauen und bezweifelt, daß man wirklich von Illusionen glücklich werden kann. King Atlas schlägt vor, zwei Menschen durch das Magazin zu schicken, und garantiert, daß sie glücklich werden würden. Die Fürstin ist einverstanden, will aber selbst die beiden Menschen von der Straße heraufholen. Sie verläßt den Raum, während sich das Konferenzzimmer wieder verdunkelt und die Fassade wieder in der Lichtreklame erstrahlt.

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Reithofer und Annemarie sind von ihren Bekannten versetzt worden. Reithofer nähert sich Annemarie und will sie einladen, bekommt aber eine Abfuhr. Da rauscht die Fürstin mit Gefolge die Treppe herunter, aus der geöffneten Tür heraus, und lädt Reithofer und Annemarie als Gäste in das Magazin ein. Beide sind ganz verwundert. Ihnen kommt das ganze wie ein Wunder vor, und sie gehen ohne ein Wort zu sagen mit King Atlas und der Fürstin in das Magazin hinein, aus dem wieder alle Melodien lockend herausklingen.

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Zweites Bild:

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In Italien am Vesuv sind lauter glückliche Pärchen auf der Hochzeitsreise. (Opernparodie) Reithofer und Annemarie stehen dieser komischen Situation abwartend gegenüber. Es scheint aber so, als ob sie sich wirklich einander nähern würden. King Atlas frohlockt. Aber die Fürstin ist skeptisch. Weil aber King Atlas seiner Sache sicher ist, schlägt er eine Wette vor. Wenn sich das Paar wirklich findet, und glücklich wird, soll die Fürstin ihm die Mittel zum Ausbau weiterer Illusionen zur Verfügung stellen. Kaum hat die Fürstin eingewilligt, haben Reithofer und Annemarie schon einen Krach. Man besteigt den train bleu, der die einzelnen Abteilungen untereinander verbindet, und fährt nach Paris.

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Drittes Bild:

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Kabarett in Paris. Reithofer und Annemarie werden nebeneinander plaziert. Die Fürstin gefällt Reithofer ungeheuer, und er mißdeutet das Interesse, das sie für ihn zeigt, läßt Annemarie sitzen und geht zu der Fürstin. Darüber ist King Atlas sehr erbost und enttäuscht, denn insgeheim hat er gehofft, daß die Fürstin auch von den Illusionen hingerissen an ihm Gefallen finden würde. Während er jetzt die verlassene Annemarie väterlich und menschlich tröstet, aber aus eindeutigen Profithintergründen verlassen die Fürstin und Reithofer, der ihr sehr gefällt, Paris. King Atlas glaubt, daß die unscheinbare Annemarie dem Reithofer nicht gefällt, weil sein Sinn auf vornehme und mondäne Frauen gerichtet ist. Darum kleidet er sie ein und fährt mit ihr nach Chicago. Viertes Bild:

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Südseeinsel. Die Fürstin und Reithofer sitzen zusammen. Zwischen beiden scheint eine Zuneigung aufzukeimen. Aber jetzt kommt King Atlas dazwischen. Und sofort zeigt sich die Fürstin wieder fremd; denn es ist ihr peinlich, wenn Reithofer erführe, welches Experiment sie mit ihm vorhat. King Atlas sagt, daß Annemarie in Chicago auf Reithofer warte, und man begibt sich dorthin. Fünftes Bild:

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Vornehmes Gesellschaftsbild in Chicago. Annemarie ist als die auffallendste Erscheinung von vielen Kavalieren umschwärmt. Als Reithofer sie sieht, ist er tatsächlich überrascht, und weil ihn die Fürstin enttäuscht hat, versucht er, wieder eine Verbindung herzustellen. Die Fürstin ist darüber sehr traurig, darf aber nichts sagen. King Atlas bemerkt diese Sympathie der Fürstin zu Reithofer, macht ihr Vorhaltungen, und die Fürstin muß auf Reithofer verzichten für die Idee. Annemarie ist aber jetzt sehr stolz und läßt Reithofer, der mit den vornehmen Kavalieren nicht konkurrieren kann, abblitzen, der darüber ziemlich verzweifelt ist. King Atlas ist wütend über Annemarie. Reithofer erklärt King Atlas, daß das durchaus verständlich sei. Sie würde sich weiter so benehmen, wenn sie so, als große Dame verkleidet, herumläuft. Da hat King Atlas einen Plan: Engagierte Gentlemenverbrecher sollen der Annemarie Kleider und Schmuck rauben. Mitten im Tanz umstellen die gemieteten Gangster die Gesellschaft. Anfangs protestiert man, daß Chicago immer als Verbrechernest dargestellt wird, aber die Sache wird ernst. Annemarie wird tatsächlich beraubt. Im gefährlichsten Augenblick errettet sie aber Reithofer und Annemarie ist ihm wieder zugetan. Aber jetzt will wieder der beleidigte Reithofer nichts von ihr wissen. King Atlas ist verzweifelt und sieht nur mehr eine letzte Möglichkeit: Er vertraut sich Reithofer an und verspricht ihm, Abteilungsleiter von Grinzing zu werden, wenn er das Mädchen als seine Geliebte betrachten würde und beide in „Glück machten“. Reithofer willigt ein. Die Fürstin hofft immer noch, daß sie die Wette gewinnen wird, weil dann auch Reithofer wieder frei ist.

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Pause

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Magazin des Glücks

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Sechstes Bild:

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Beim Heurigen in Grinzing. Reithofer fungiert als Abteilungsleiter und macht Stimmung, er ist gewissermaßen der Wirt und Annemarie die Wirtin. Es sieht so aus, als ob beide glücklich sind. (Falsches Glück.) Die Fürstin und King Atlas besuchen Grinzing, und King Atlas versucht, die Gunst der Fürstin wieder zu gewinnen, und hofft auf die Wirkungen seiner Illusionen. Er zeigt der Fürstin, daß er die Wette gewonnen hat, denn Reithofer und Annemarie sind wirklich nach außen hin eine Seele und ein Herz. Anschließend erklärt King Atlas der Fürstin das Projekt seiner neuen Illusionen. Als nächstes will er den Orient umbauen. Die Fürstin erklärt die Wette verloren und sich bereit, die Mittel zur Verfügung zu stellen. Siebentes Bild:

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Orient. Unter King Atlas’ Führung wird die Abteilung Orient umgebaut. Die Fürstin sieht zu. Plötzlich erscheint Reithofer und erklärt den beiden, daß ihm seine Annemarie weggelaufen sei, und er selbst hätte auch genug. Das wäre kein Glück gewesen, sondern die Hölle auf Erden. Die Fürstin nimmt dieses Eingeständnis überrascht zur Kenntnis und läßt die Umbauarbeiten im Orient sofort einstellen. Es bleibt alles beim alten, sagt King Atlas resigniert, wie es schon Jahrtausende war. Fernerhin erkundigt er sich bei Reithofer, wohin denn Annemarie gelaufen sei. „Sie hat mir die Türe vor der Nase zugeworfen“, erklärt Reithofer, „und mir scheint, der Richtung nach muß sie nach dem Nordpol gelaufen sein.“ Achtes Bild: Am Nordpol. Annemarie hält einen Monolog und bedauert sich selbst und findet sich überflüssig auf der Welt. Am liebsten möchte sie erfrieren, weil das der angenehmste Tod ist. Man schläft auf Erden ein, und dann schneit es nur ein bißchen, und man erwacht im Paradies. King Atlas reißt sie aus ihren Gedanken und setzt ihr auseinander, daß sie ins Paradies bequemer kommen könnte. Reithofer warte auf sie im Paradies. Er erklärt ihr, Sterben hat keinen Sinn, man muß leben. Neuntes Bild:

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Paradies. Reithofer steht unter dem Baum der Erkenntnis und bedauert lebhaft in Form eines Monologes, daß der liebe Gott die Frauen erschaffen hat. Er beschimpft die Schlange King Atlas, die mit ihm solche Experimente gemacht hat. Da betritt Annemarie den Garten Eden und gerät mit Reithofer in eine heftige Auseinandersetzung. (Haßliebe.) King Atlas kommt, wird wütend über die verstockten Nichtliebhaber, die scheinbar auf keinen Fall glücklich werden wollen. Er weiß keinen neuen Ausweg mehr, gerät in sinnlose Wut und wirft die beiden Menschenkinder à la Erzengel aus dem Paradies hinaus. Kaum ist dies geschehen, erscheint die Fürstin und kündigt Atlas zum nächsten Ersten, weil er mit Geld Liebe und Glück zweier Menschenkinder erzwingen wollte und sie bezwungen hat und so gegen das heiligste Gesetz des Magazins des Glücks (Illusionsfabrik) gesündigt hat. Die Fürstin ist überhaupt über alles so enttäuscht. Sie möchte gar kein Magazin des Glücks haben. King

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Magazin des Glücks

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Atlas bittet sie, immer noch zu bleiben, denn er hätte noch eine letzte Überraschung für sie. Aber sie will nicht und geht hinaus. Zehntes Bild: 5

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Berlin. Tiergarten. Auf einer Bank. Reithofer und Annemarie setzen sich auf diese Bank, nachdem sie aus dem Paradies hinausgeflogen sind. Sie danken Gott im Himmel, daß sie endlich wieder in die Realität zurückgekehrt sind, und nun vollzieht sich die so lang ersehnte Annäherung zwischen den beiden auf besagter Bank im Tiergarten. King Atlas erscheint überraschend und findet beide in höchstem Glück, gratuliert ihnen und sich. Läßt die Fürstin herbeirufen und demonstriert ihr das Glück, und behauptet, er hätte die Wette doch noch gewonnen. Reithofer und Annemarie protestieren. Sie befänden sich nicht mehr in einer Illusionswelt, sondern auf einer Bank im Tiergarten. Nun spielt King Atlas seinen großen Trumpf aus, beweist ihnen, daß sie sich geirrt hätten: die Tiergartenbank sei auch nur eine Abteilung des Magazin des Glücks. Fanfaren und Chöre ertönen. In dem Park wird ein Denkmal enthüllt, das die Fürstin darstellt, als eine Göttin der Illusion. Im großen Schlußbild wird King Atlas nun von der gerührten Fürstin wieder eingesetzt, und alles schließt mit einem Hymnus auf den Triumph der Illusion.

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Kommentar

Autobiographisches

Chronologisches Verzeichnis Autobiographisches AU1: Autobiographische Notiz (auf Bestellung) T1 = ÖLA 3/W 227 – BS 64 d, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „Autobiographische Notiz (auf Bestellung)“ (Korrekturschicht) Druck in: GW III, S. 7; KW 11, S. 182.

Die Autobiographische Notiz (auf Bestellung) dürfte etwa zeitgleich mit der Autobiographischen Notiz (AU2) entstanden sein. Krischke datiert sie auf die Uraufführung von Revolte auf Côte 3018 (vgl. KW 11, S. 268) im November 1927, zu der auch die Autobiographische Notiz verfasst wurde. Tatsächlich gibt es einige Hinweise im Text, die auf eine Verwandtschaft der Texte hindeuten, etwa die Angaben über Eros und Krieg. Vermutlich ist die vorliegende Fassung zuerst entstanden und wurde von Horváth dann zu AU2/TS1 umgearbeitet, die schließlich im Freihafen gedruckt wurde (vgl. AU2/TS2).

AU2: Autobiographische Notiz T1 = ÖLA 3/W 226 – BS 64 c, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), dünn, Durchschlag (blau) TS1 = Fassung mit Werktitel „Autobiographische Notiz / von Ödön von Horvath“ (Grundschicht) Druck in: GW III, S. 8; KW 11, S. 183; WA 1/BB/K1/TS2, S. 162.

Die Autobiographische Notiz ist einer der wenigen autobiographischen Texte, die Horváth verfasst hat, neben der Autobiographischen Notiz (auf Bestellung) (AU1/TS1) und dem Text Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München... (AU3/TS1). T1 ist das einzige Typoskript, das von der Autobiographischen Notiz erhalten ist. Es enthält die Fassung TS1, die eine Reinschrift darstellt. Anlass der Erstellung der Autobiographischen Notiz war die Uraufführung von Horváths erstem Volksstück Revolte auf Côte 3018 (unter dem Titel Revolte auf Höhe 3018) am 4. November 1927 an den Hamburger Kammerspielen, die den Text wahrscheinlich in Auftrag gegeben hatten. In der Notiz weist Horváth nicht nur auf seine mehrsprachige Kindheit und auf das späte Erlernen der deutschen (Schrift-)Sprache hin, sondern auch auf die Bedeutung des Weltkriegs für seine Biographie. Dieser prägte seine Jugend (und die vieler Jahrgangskollegen, wie Horváth in dem Text andeutet) und hinterließ deshalb deutliche und vielfache Spuren in seinem literarischen Werk. TS1 wurde schließlich im Programmheft Der Freihafen. Blätter der Hamburger Kammerspiele abgedruckt (vgl. den Kommentar zu AU2/TS2).

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Chronologisches Verzeichnis

D1 = Autobiographische Notiz In: Der Freihafen. Blätter der Hamburger Kammerspiele, 10. Jg. (1926/27), Heft 3, S. 3f. TS2 = Fassung mit Werktitel „Autobiographische Notiz / Von Ödön von Horvath“ Druck in: WA 1/BB/K1/TS3, S. 163.

Im Programmheft der Hamburger Kammerspiele Der Freihafen. Blätter der Hamburger Kammerspiele wurde Horváths Autobiographische Notiz abgedruckt, die in einer Reinschrift als Typoskript aus der Hand Horváths überliefert ist (vgl. AU2/TS1). In den folgenden Jahren hat der Autor nur selten weitere autobiographische Texte geschrieben, unter anderem den Text Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… (AU3/TS1), der im Februar 1929 im Kontext der Uraufführung von Die Bergbahn im Ullstein-Magazin Der Querschnitt veröffentlicht wurde.

AU3: Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… D1 = Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… In: Der Querschnitt, Heft 2 (1929), S. 136f. TS1 = Fassung mit Werktitel „Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… / Von Ödön Horváth“ Druck in: GW III, S. 9f.; KW 11, S. 184f.

Die vorliegende Druckfassung ist die einzige überlieferte Version des autobiographischen Textes Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München..., der im Februar 1929 in der Zeitschrift Der Querschnitt erschienen ist. Originaltyposkript ist keines vorhanden. Der Querschnitt erschien im Propyläen Verlag, der zum Ullstein-Verlag gehörte, bei dem Horváth seit 11. Januar 1929 unter Vertrag stand (vgl. WA 18/V1). Die Fußnote, die im Text mit dem Namen Horváths verknüpft ist, deutet darauf hin, dass TS1 im Zuge der Uraufführung des Volksstücks Die Bergbahn an der Volksbühne Berlin am 4. Januar 1929 entstanden ist. Das Volksstück war noch 1927 im VolksbühnenVerlag erschienen und stellt eine Umarbeitung der ersten Fassung Revolte auf Côte 3018 (1927) dar. Die Uraufführung der Bergbahn unter der Regie von Viktor Schwanneke war ein mäßiger Erfolg Horváths (vgl. WA 1), begründete aber seinen „Ruf als sozialkritischer Autor mit Hang zum Marxismus“ (WA 1, S. 21) und machte seinen Namen bei wichtigen Kritikern wie Alfred Kerr, Kurt Pinthus, Monty Jacobs und Erich Kästner bekannt (vgl. WA 1, S. 21–25). Im Zusammenhang mit der Uraufführung der Bergbahn ist auch der theoretische Text Natur gegen Mensch (TH2/TS1) entstanden, der am Tag der Uraufführung, dem 4. Januar 1929, in der Zeitschrift Tempo erschienen ist. Auf den Abdruck von TS1 folgt im Querschnitt ein Bericht über einen Vortrag von Thomas Mann. Bei der Fassung TS1 mit dem Titel Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München... handelt es sich um einen der bekanntesten autobiographischen Texte Horváths. Darin fällt u.a. die Wendung von der „altösterreichisch-ungarische[n] Mischung“, als die sich Horváth selbst kategorisiert. Auch von seiner „Heimatlosigkeit“ spricht der Autor, die er aber nicht bedauert, sondern als Vorteil betrachtet, weil sie ihn „von einer unnötigen Sentimentalität“ befreie. Zuletzt geht es in dem Text um die Generation, der Horváth angehört. Sie sei „illusionslos“, was sie von der vorhergehenden Generation unterscheide, die noch geglaubt hatte, in „herrlichen Zeiten“

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Autobiographisches

zu leben, womit Horváth auf die Kriegsbegeisterung vor dem Ersten Weltkrieg anspielt. Der Autor beteuert auch: „Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung“, ein Satz, der bereits in der Autobiographischen Notiz gefallen ist (vgl. AU2/TS1 und TS2), und er sieht in der „Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit“ die zentrale Aufgabe seiner Generation. Außerdem ist er nicht wenig stolz darauf, als „heimatlose Rassenmischung“, als nicht „Bodenständiger“ und nicht ,Völkischer‘ mit der Bergbahn ein bodenständiges Stück geschaffen zu haben, das „einzige, das die Bayern haben“ (Brief an Lotte Fahr vom 22.1.1929, WA 18/B10).

AU4: „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ T1 = ÖLA 3/W 243 – BS 64 m [1], Bl. 1–11 11 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), dünn, Durchschlag (violett), masch. Paginierung 1, 2, hs. Paginierung 3–11, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS1 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (Grundschicht) Druck in: KW 11, S. 207–214.

Die teilweise handschriftlich eingetragene Paginierung der Blätter BS 64 m [1], Bl. 1–11 weist diese eindeutig als zusammengehörig aus. An sich könnte man nach Bl. 4, wo Horváth nur knapp fünf Zeilen getippt hat, auch eine Zäsur setzen. Auf Bl. 1–4 verfasst Horváth einen autobiographischen Text ohne Titel, in dem es um seine Zugehörigkeit zum „deutschen Kulturkreis“ (Bl. 1) und seine Berufung zum Schriftsteller geht, die in dem (Halb-)Satz gipfelt: „anscheinend war ich zum Schriftsteller geboren“ (Bl. 4). Horváth schildert dabei die Kallenberg-Episode, nämlich wie der Komponist Siegfried Kallenberg (1867–1944) ihn bei einem gesellschaftlichen Abend ansprach und bat, eine Pantomime für ihn zu schreiben (vgl. auch TH1). Ab Bl. 5 entwickelt sich der Text in Richtung eines theoretischen oder programmatischen, der eine deutliche Vorstufe zur Gebrauchsanweisung (TH8) und zum Interview mit Willi Cronauer (TH9) darstellt. Nach Bl. 6 ist neuerlich eine Zäsur, und die folgenden Blätter sind dann nur teilweise beschrieben, was dem ganzen Manuskript einen fragmentarischen und patchworkartig zusammengesetzten Charakter verleiht. Die einzelnen Teile erscheinen wie Bausteine, die Horváth dann in anderem Zusammenhang wiederverwertete, was insbesondere für die bereits erwähnten theoretischen Texte Gebrauchsanweisung und Interview gilt. TS1 dürfte im Herbst 1931 oder Anfang 1932 in München entstanden sein. Horváth spricht an einer Stelle von „hier in München“ (Bl. 3) und erwähnt später vier Volksstücke, die er schon geschrieben habe: „Die Bergbahn“, „ein Stück aus der Inflationszeit“ – damit dürfte Sladek gemeint sein, der als Untertitel „Historie aus der Inflationszeit“ führt –, „Italienische Nacht“ und „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (Bl. 6). Von Kasimir und Karoline ist noch nicht die Rede. Dieses Stück wird dann erst in der Gebrauchsanweisung eine Rolle spielen, sodass diese etwas später datiert werden kann.

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AU5: Autobiographische Notiz (1932) H1 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 41–43 3 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, unliniertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Autobiographische Notiz (1932)“ (Korrekturschicht)

Die vorliegenden Blätter hat Horváth vermutlich im Zuge der Probenarbeiten an seinem Volksstück Kasimir und Karoline (1932) im Herbst 1932 verfasst. Die Position am Ende des Notizbuchs Nr. 7, das Horváth für die Adaptierungsarbeiten von Kasimir und Karoline im Zuge der Proben zur Uraufführung verwendet hat (vgl. WA 4/K5a–5c), lässt darauf schließen, dass sie etwa Ende Oktober/Anfang November 1932 entstanden sind. Die darin ausgearbeitete Autobiographische Notiz hat der Autor, dies lassen die ersten Zeilen vermuten, eben in Hinblick auf diese Aufführung geschrieben. Es handelt sich um kein „Interview“ im eigentlichen Sinne (vgl. TH9), auch wenn dieser Begriff in den ersten, wieder gestrichenen Notizen fällt, sondern um eine von Horváth allein verfasste Notiz über seine Herkunft. Die werkästhetischen Aspekte, die er noch in einer der gestrichenen Passagen am Beginn der Notiz erwähnt, finden in der Korrekturschicht keine Erwähnung mehr. Vermutlich brach Horváth die Arbeit daran bald wieder ab oder beschränkte sich in der letzten Fassung schlicht auf das Autobiographische. Ob die Notiz erschienen ist, konnte nicht eruiert werden.

AU6: (Brief an Unbekannt) H1 = HAN 296 / 30–3 (= Brief Ödön von Horváths an Unbekannt, Wien, 6.3.1936) Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Brief, hs., schwarze Tinte, 1 Blatt unliniertes Papier, hs. Eintragung mit schwarzer Tinte von fremder Hand auf der Rückseite TS1 = Fassung (Korrekturschicht) Druck in: WA 18/B90, S. 90.

Der vorliegende Brief an einen unbekannten Empfänger ist in Wien verfasst worden. Der Text enthält wichtige Eckpfeiler der Biographie Horváths, wie die Geburt am 9. Dezember 1901 in Fiume, die Tatsache, dass er ungarischer Staatsbürger ist, aber „deutsch“ schreibt, „und zwar seit 1926“. Die Stücke, die er danach erwähnt, sind: „Die Bergbahn“, „Italienische Nacht“, „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Kasimir und Karoline“ sowie „Hin und Her“, zu denen er auch die Orte der Uraufführungen notiert. Außerdem erwähnt er die Tatsache, dass er 1931 den Kleist-Preis erhalten hat, und schließt mit dem saloppen und sichtlich selbstironischen „Das ist alles.“ Horváth erwähnt unter den aufgeführten Stücken nicht den Sladek und Mit dem Kopf durch die Wand, vermutlich weil die beiden wenig erfolgreich waren. Den Kleist-Preis erhielt Horváth 1931 für das Volksstück Italienische Nacht. Gewährsmann für die Kleist-Stiftung war Carl Zuckmayer, der anlässlich der Uraufführung von Geschichten aus dem Wiener Wald einen offenen Brief an Horváth verfasste, der im Programmheft der Uraufführung abgedruckt wurde und in dem er Horváth beschied, dass sein Weg zum „neuen deutschen Drama“ führe (vgl. WA 18/B45, S. 65). Horváth und Zuck-

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Autobiographisches

mayer verband – vermutlich von da an – eine enge Freundschaft, ersterer war vor allem Mitte der dreißiger Jahre oft in Henndorf in Zuckmayers „Wiesmühl“ zu Gast.

AU7: (Brief an Paul Fent) H1 = ohne Signatur (= Brief Ödön von Horváths an Paul Fent, Henndorf, 30.11.1937) Ödön von Horváth-Gesellschaft, Murnau Brief, hs., 1 Blatt unliniertes Papier, gefaltet, schwarzblaue Tinte, Vorder-, Innen- und Rückseite beschrieben, adressiertes Kuvert, frankiert mit Briefmarke mit Motiv „Holzfäller vor Zeller See und Kitzsteinhorn“ (24 Groschen) mit Poststempel Salzburg, 30.XI.37, hs. Eintragung mit schwarzer Tinte von fremder Hand (vmtl. Paul Fent) TS1 = Fassung (Korrekturschicht) Druck in: WA 18/B126, S. 108f.

Der vorliegende Brief an den Journalisten Paul Fent, der eine Kurzbiographie Horváths enthält, ist am 30. November 1937 in Henndorf entstanden, also kurz nach dem Erscheinen des Romans Jugend ohne Gott. Wahrscheinlich plante Fent eine Rezension des Romans oder einen Bericht darüber. Denkbar ist auch, dass die Autobiographie als Hintergrundinformation für einen Bericht oder eine Bühnenkritik zur bevorstehenden Wiener Premiere von Himmelwärts am 5. Dezember 1937 gedacht war (vgl. WA 7, S. 18–20). Fent arbeitete als Journalist u.a. für die Zeitung Der Wiener Tag, in der allerdings die Kritik zur Uraufführung von Oskar Maurus Fontana übernommen wurde, der schon länger mit Horváth bekannt war. Der autobiographische Text enthält wichtige Stationen der Biographie Horváths, wie die Geburt 1901 in Fiume, die vielen Ortswechsel in der Schullaufbahn, die er mit mäßigem Erfolg absolvierte, die Studienjahre, für die er „Psychologie“ als Studienrichtung angibt – dabei hat er vor allem Literaturwissenschaft studiert (vgl. die Belegbögen in WA 18/D12–D15) –, die Tätigkeit bei einem Verlag (wahrscheinlich dem Schahin-Verlag, bei dem auch das Buch der Tänze (1922) erschienen ist), eineinhalb Jahre in Paris, von denen nichts bekannt ist, dann die wichtigsten literarischen Erfolge und der Kleist-Preis, wobei auch hier bemerkenswert ist, welche Texte Horváth erwähnt: Revolte auf Côte 3018 und Die Bergbahn, die er nicht namentlich nennt, „Italienische Nacht“, „Geschichten aus dem Wienerwald“, „Kasimir und Karoline“, „Hin und her“, „Figaro lässt sich scheiden“, „[Ein] Dorf ohne Männer“, „Jugend ohne Gott“ und den zu diesem Zeitpunkt noch unbetitelten Roman Ein Kind unserer Zeit. Wie in AU6/TS1 beendet Horváth die autobiographischen Ausführungen auch in AU7/TS1 mit einem Schlusssatz. In diesem Fall lautet er: „Damit ist es auch schon aus mit mir“. Der seitlich eingefügte Passus „Bin zur Zeit im III. Reich ungemein unerwünscht“ spricht vermutlich die Situation Horváths seit 1935 an, als er Deutschland verließ und sich in Österreich ansiedelte, vor allem aufgrund der Tatsache, dass im Deutschen Reich bereits seit 1933 ein de facto-Aufführungsverbot seiner Stücke herrschte. Möglicherweise gab es auch einen Vorfall in unmittelbarer zeitlicher Nähe, der diesen Eintrag motivierte. Der bereits erschienene Roman Jugend ohne Gott ebenso wie der Folgeroman Ein Kind unserer Zeit wurden im Frühjahr bzw. Herbst 1938 auf die Verbotsliste gestellt. Vielleicht spielt Horváth auf die bereits erfolgte kritische Aufnahme des Romans Jugend ohne Gott an, der am 26. Oktober 1937 ausgeliefert und ein halbes Jahr später „wegen seiner pazifistischen Tendenz“ verboten wurde.

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Theoretisches TH1: Über unser Buch der Tänze T1 = ÖLA 3/S 4 – BS 64 j, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (207 × 207 mm), geklebt auf ein Trägerblatt, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „Über unser Buch der Tänze“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 181.

Bei dem vorliegenden Typoskript handelt es um eine Abschrift des Textes, den Horváth für das Programmheft des Osnabrücker Stadttheaters anlässlich der Uraufführung der Pantomime Das Buch der Tänze (1922) am 20. Februar 1926 geschrieben hat. Ein nicht bekannter Abschreiber – möglicherweise war es Traugott Krischke – hat dieses Typoskript auf ein anderes Blatt geklebt und im Titel erläutert, dass dieser Text in dem erwähnten Programmheft erschienen ist. Die Texte zu der Pantomime Das Buch der Tänze (vgl. L4/TS1) schrieb Horváth auf Anregung Siegfried Kallenbergs. Sie sind nach Luci in Macbeth (vgl. L1/TS1), einem Jugendwerk, Horváths erstes literarisches Werk, vor allem sein erster publizierter Text (vgl. dazu im Detail den Kommentar zu L4/TS1). In dem autobiographischen Text „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ schildert Horváth die Begegnung mit Siegfried Kallenberg, die ihn dazu gebracht hat, seinen ersten literarischen Text zu verfassen, eine Art Erweckungserlebnis (vgl. AU4/TS1). In der vorliegenden Fassung TS1 beschreibt Horváth das spezifische Verhältnis zwischen Dichtung und Musik, die dem lyrischen Prosa-Werk Das Buch der Tänze zugrunde liegt, und die Verbindung, die zwischen den beiden durch den Tanz hergestellt wird, der sie erst zu einer „Einheit“ mache. Das „Wesentliche“ liege im „rein tänzerischen“, deshalb auch der Titel Das Buch der Tänze: „Aus Dichtung und Musik schafft so der Tänzer die neue Einheit.“

TH2: Natur gegen Mensch D1 = Natur gegen Mensch In: Tempo (Berlin), 4.1.1929. TS1 = Fassung mit Werktitel „Natur gegen Mensch / Von Oedon von Horvath“ Druck in: WA 1/K2/TS2, S. 195.

Am Tag der Uraufführung von Die Bergbahn an der Berliner Volksbühne (Theater am Bülowplatz) erschien in der Berliner Zeitschrift Tempo der vorliegende Text Horváths (TS1), der nur in Form dieses Abdruckes überliefert ist. Die Zeitschrift gehörte zum Ullstein-Verlagskonzern. Dass Horváths Text dort abgedruckt wurde, kündigt möglicherweise bereits den baldigen Wechsel des Autors vom Volksbühnen-Verlag zum Ullstein-Verlag an (vgl. dazu das Vorwort in diesem Band, S. 4; vgl. auch WA 18/V1). Unter dem Titel Natur gegen Mensch und einem Hinweis auf die Uraufführung desselben Tages stellt sich Horváth in dem kurzen Text zunächst persönlich vor und zitiert aus der „Randbemerkung“ zu seinem Stück die entscheidende Passage über den Dialekt als „psychologisches Problem“ (TS1; vgl. auch WA 1/BB/K1/TS1/SB Volksbühne

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Theoretisches

1927a, o. Pag. (S. 2) und WA 1/BB/K2/TS1/SB Volksbühne 1927b, o. Pag (S. 5)). Zuletzt erklärt er den titelgebenden Zusammenhang von „Natur gegen Mensch“ und konstatiert dazu: „Die Beherrschung der Natur ist das Endziel der menschlichen Gesellschaft. Die Natur ist der große Feind.“ (TS1) Er beschließt den Text mit der Feststellung: „Solange wir uns selbst belügen und betrügen lassen, solange schlägt uns die Natur. Auf der ganzen Linie.“ (ebd.)

TH3: Sladek oder die Schwarze Reichswehr D1 = Sladek oder die Schwarze Reichswehr In: Berliner Tageblatt, 27.1.1929, 5. Beiblatt. TS1 = Fassung mit Werktitel „Sladek oder die Schwarze Reichswehr. Von Ödön von Horváth“ Druck in: WA 2, S. 72.

Bei TS1 handelt es sich um einen Kommentartext Horváths zum Stück Sladek. Der Text ist am 27. Januar 1929 im Berliner Tageblatt erschienen. In ihm erläutert der Autor in narrativer Form die Figur des Sladeks und den Inhalt sowie die Intentionen seines Stückes. TS1 ist im Rahmen eines Sammelartikels mit dem Titel Drei Autoren werden aggressiv… erschienen. Neben dem Text Horváths wird darin einer von Hans Borchardt (eigentl. Hermann Joelsohn) (1888–1951) mit dem Titel Musik der nahen Zukunft sowie einer von Peter (eigentl. Joachim Friedrich) Martin Lampel (1894–1965) mit dem Titel Giftgas über Berlin abgedruckt. Bei den beiden Texten handelt es sich ebenfalls um inhaltliche Synopsen bzw. Erläuterungen zu den Bühnenstücken der beiden Autoren (vgl. den Kommentar in WA 2, S. 194–197). Die Uraufführung von Sladek, der schwarze Reichswehrmann fand jedoch erst am 13. Oktober 1929 in der „Aktuellen Bühne“ des Lessing-Theaters statt. Horváths Beteiligung an dem Sammelartikel dürfte auf die wenig früher erfolgte Uraufführung des Volksstücks Die Bergbahn (1927; UA 4.1.1929) an der Berliner Volksbühne zurückzuführen sein, die Alfred Kerr prominent im Berliner Tageblatt besprochen hatte. Den drei Texten ist in der Zeitung ein Vor- bzw. Geleitwort des bekannten Theater- und Filmregisseurs Leopold Jessner (1878–1945), einer der prägenden Figuren des Theaters der Weimarer Republik und Schöpfer der berühmten ,Jessner‘schen Treppe‘, vorangestellt. Hier heißt es: „Es ist begrüssenswert, wenn auch die ‚aggressiven‘ Stoffgebiete der Gegenwart für das Theater fruchtbar gemacht werden. Denn das Publikum ist durch Reaktionen, die sich aus politischen Bewegungen ergeben haben, zum grossen Teil konservativer geworden. Diese Widerstrebenden für die Sache, um die es geht, zu gewinnen, genügt aber nicht nur die Wirklichkeitskraft eines dokumentarischen Inhaltes. Dieser Inhalt muss zugleich seine zwingende Gestaltung erfahren. Gewiss nicht nach aristotelischen oder Gustav Freytagschen Rezepten. Jede Zeit mag ihre eigenen dramaturgischen Gesetze bestimmen. Aber diese Gesetze – wie auch immer beschaffen – müssen spürbar werden. Nur so kann diese literarische Tendenz aus dem Verruf einer blossen Sensation gerettet werden.“ (Jessner 1929) Offensichtlich wollte das Berliner Tageblatt mit dem vorliegenden Artikel Stücke präsentieren, die den hier genannten Jessner‘schen Kriterien für politisches Theater – „dokumentarische[r] Inhal[t]“, „zwingende Gestaltung“ – entsprachen. TS1 kommentiert zunächst die Figur des Sladek und stellt in der Folge eine Synopse des Schauspiels Sladek oder: Die schwarze Armee dar, wobei Horváth in seinem Text

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den Titel etwas abwandelt, nämlich zu: „Sladek oder die Schwarze Reichswehr“. Inhaltlich handelt es sich jedoch im Wesentlichen um eine Zusammenfassung dessen, was in der ersten Endfassung (WA 2/SL/K1/TS1) passiert, etwa mit dem Hinweis auf den Fememord und Sladeks Begnadigung, die er selbst mit dem Satz: „Man hat unter mich einen Schlussstrich gezogen“ (TS1 und WA 2/SL/K1/TS1/SB Volksbühne 1928, S. 101) kommentiert. Auch der Hinweis auf die „neue Generation“, die den „Plan“ „betritt“ und den Krieg nur noch aus „amerikanischen Filmen“ (TS1) kenne, bezieht sich eindeutig auf die Fassung in elf Bildern, im Speziellen auf das elfte und letzte Bild „Rummelplatz“, in dem Sladek mit Lotte ins Gespräch kommt und Lotte u.a. von einem „amerikanische[n] Film“ über den Weltkrieg erzählt (vgl. TS1/SB Volksbühne 1928, S. 99). Bereits auf K2, Sladek, der schwarze Reichswehrmann, verweist indes die Bemerkung, dass Sladek „in den Tagen der Wiedererstarkung nach der Inflation“ (TS1) stirbt. Der in dem Text erwähnte Carl Mertens (1902–1932) war als ehemaliger Offizier der Reichswehr radikaler Pazifist und Verfasser einiger anonym erschienener Artikel, die 1925 in der Zeitschrift Die Weltbühne veröffentlicht wurden und über die Fememorde und die schwarze Reichswehr berichteten. Die gesammelten Aufsätze wurden 1926 als Buch unter dem Titel Verschwörer und Fememörder und unter seinem Autorennamen publiziert. Hans-Peter Rüsing vertritt die These, Mertens Buch sei die „wichtigste Quelle“ Horváths gewesen (vgl. Rüsing 2003, S. 152 und WA 2, S. 4). Glaubt man TS1, hat sich Mertens in einem Brief an den Verfasser des Sladek gewandt, aus dem Horváth zu zitieren scheint. Da ein solcher Brief nicht überliefert ist, muss seine Existenz zumindest angezweifelt werden. Möglicherweise stellt Mertens eines der Vorbilder für den Journalisten Franz in WA 2/SL/K1/TS1 bzw. Schminke in WA 2/SL/ K2/TS1 dar. Bemerkenswert sind die Schlusszeilen von TS1, in denen Horváth schreibt: „Ich behandelte das historische Material nicht als Reportage, sondern ich versuchte auf dem Hintergrunde dieses Zeitbildes Stationen des ewigen Kampfes zwischen Individualismus und Kollektivismus, Egoismus und Altruismus, Internationalismus und Nationalismus, diesem Totengräber der Völker, zu gestalten.“ Horváth wird diese Themen in Der ewige Spießer (1930) und Italienische Nacht (1931), aber auch in Ein Kind unserer Zeit (1938) wiederaufgreifen (vgl. auch den Kommentar zu TH4/TS1).

TH4: Typ 1902 D1 = Typ 1902. Gespräch mit Ödön Horváth In: Tempo (Berlin), vermutl. 13.10.1929. TS1 = Fassung mit Werktitel „Typ 1902. Gespräch mit Ödön Horvath“

Der in der Zeitung Tempo. Berliner Abend-Zeitung des Ullstein-Verlags erschienene Text ist kein wirkliches Gespräch, sondern eine Selbstaussage Horváths zu seinem Sladek, der in der zweiten Fassung (Sladek, der schwarze Reichswehrmann) am 13. Oktober 1929 am Lessingtheater (Berlin) uraufgeführt wurde. Horváth hatte im Vorfeld dieser Aufführung große Bedenken gegen diese „Sladekaufführerei“ (Brief vom 8.9.1929 an P. A. Otte, WA 18/B24) und wollte die Aufführung verhindern, wenn diese nicht seinen Vorstellungen entsprach. Im zitierten Brief an den Journalisten P. A. Otte schreibt er: „Ich will aber vor der Vorstellung einen Artikel darüber schrei-

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ben, und das Wesentliche an dem Stücke stark herausstreichen: die Tragikomödie des proletarisierten Mittelstandes, des Menschen, der nicht weiss, wo seine Front liegt.“ Mit dem vorliegenden Text versucht Horváth ebendies zu leisten. Der Titel Typ 1902 schließt an Ernst Glaesers Erfolgsroman Jahrgang 1902 (1928) an, den Horváth vermutlich kannte. Wie Glaeser in seinem Roman, so hat auch Horváth im Sladek die Themen Pazifismus, Gewalt und Sexualität behandelt. Sein Sladek ist, wie er betont, „eine Gestalt, die zwischen Büchners Wozzek und dem Schweijk liegt“. Er sei ein „Traditionslose[r]“, ein „Entwurzelte[r], dem jedes feste Fundament fehlt, und der so zum Prototyp des Mitläufers wird“. Damit hat Horváth avant la lettre einen faschistischen Mitläufer gestaltet. Weiters beteuert er, dass die „Vorgänge“ seines Stückes bereits „historisch“ geworden seien, doch seine „Tendenz“ sei „ganz heutig“. Und er fügt hinzu: „Ich glaube, daß ein wirklicher Dramatiker kein Wort ohne Tendenz schreiben kann.“ Seine Aufgabe sei es gewesen, „die gesellschaftlichen Kräfte aufzuzeigen, aus der dieser Typus entstanden ist“. Zuletzt erwähnt er, dass seine nächste Arbeit ein Roman sei, und nennt den Titel „Herr Reithofer wird selbstlos“. Der genannte, noch in Arbeit befindliche Roman wird unter dem Titel Der ewige Spießer im Oktober 1930 im Propyläen-Verlag erscheinen. „Herr Reithofer wird selbstlos“ bildet einen der drei Teile des montierten Romans. Wie Horváth in dem Gespräch ergänzt, ist das Thema des Romans die „Solidarität“. Die Transkription folgt dem Druck des Textes in der Zeitung Tempo. Doppelte Anführungszeichen innerhalb doppelter Anführungszeichen werden in TS1 zu einfachen korrigiert.

TH5: „Sie haben keine Seele“ H1 = ÖLA 3/W 363 –o. BS, Bl. 2, 3, 5 3 Blatt des Notizbuchs Nr. 6 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (169 × 109 mm), schwarze Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „,Sie haben keine Seele‘“, konstituiert durch Bl. 3, 2, 5 (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 193f.

Die vorliegende Fassung mit dem Titel „Sie haben keine Seele“, den Horváth selbst unter Anführungszeichen setzt, befindet sich in Notizbuch Nr. 6, das Horváth von September bis Dezember 1929 verwendet hat, vorrangig auf seiner Reise zur Weltausstellung in Barcelona, die in den Roman Der ewige Spießer (1930) eingegangen ist. Allerdings sind die Blätter, auf denen sich der Text befindet, ursprünglich lose in das Notizbuch eingelegt und erst im Zuge seiner Restaurierung eingeklebt worden. Bei dem Text handelt es sich um eine Replik Horváths zu einer Rezension der ProsaAnthologie 24 neue deutsche Erzähler (hg. von Hermann Kesten, Berlin 1929), in der der Autor mit seinem Kurzprosatext Das Fräulein wird bekehrt (vgl. WA 13/ET16) aus dem Umfeld der Spießer-Prosa vertreten war. Krischke vermutet, dass es sich um eine Reaktion Horváths auf die Rezension der Anthologie in der Literarischen Welt vom 4. April 1930 durch Heinrich Mann handelt (vgl. auch TH6/TS1). Dies ist möglich, zumal die Blätter ja erst nachträglich in das Notizbuch eingeklebt worden sind, andererseits sind die Zitate, die Horváth in seinen Text einbaut, wie „Sie schreibt erschreckend gut –“ und „Es ist fast zu virtuos“, in Manns Text nicht auffindbar, weshalb die

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Vermutung nahe liegt, dass Horváth auf eine andere Kritik repliziert, vermutlich ist es jene von Kurt Tucholsky alias Peter Panter, in der dieser dezidiert auf Horváths Fräulein wird bekehrt eingeht (vgl. WA 13, S. 43; vgl. auch Vejvar 2014 sowie den Kommentar zu TH6). Was allerdings in Manns Text vorkommt, ist der Vorwurf, dass die Jungen keine Seele hätten, ein Vorwurf, den sie sich allerdings immer wieder einhandelten, wie Horváth zu Beginn des Textes erkennen lässt. Bemerkenswert ist, was Horváth dem entgegenhält. Er spricht davon, dass die jungen „materialistisch geschult“ seien und deshalb nicht an die „Seele“ glauben, weil sie nicht ans „Opfer“ glauben. Sollten sie „kein Gefühl herausbringen“, so solle man ihnen einfach sagen, dass sie schlecht schrieben. Außerdem unterscheidet Horváth zwischen den „Vorkriegsquatscher[n]“ und der jetzigen Generation, die dadurch gekennzeichnet sei, dass sie der „Kollektivismus“ freue, während die vorherige Generation noch im „Individualismus“ wurzle. Die Gegenüberstellung von Individualismus und Kollektivismus stellt eine Konstante im Werk Horváths dar. Bereits im Sladek (1928/29) schildert er die Problematik des Kollektivismus, noch deutlicher dann in Ein Kind unserer Zeit (1938). Die im vorliegenden Text vorgenommene Befürwortung des Kollektivismus erscheint dem Moment geschuldet und wird von Horváth später deutlich zurückgenommen. In den beiden späten Romanen Jugend ohne Gott (1937) und Ein Kind unserer Zeit spricht er sich deutlich für den ,Einzelnen‘ und gegen das Kollektiv aus. Der Satz „Sie hat keine Seele, eine Jugend ohne Seele“ findet sich in anderer Form auch in Horváths fragmentarisch ausgearbeitetem Hörspiel Eines jungen Mannes Tag im Jahre 1930 (vgl. in diesem Band RF1/TS6) und in dem Hörspiel Stunde der Liebe (1930) (vgl. in diesem Band RF2/TS3 und TS10).

TH6: H1 = ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 21, 22 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 3 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, liniertes Papier (164 × 99 mm), blauer Blattschnitt, schwarze Tinte TS1 = Fassung (Korrekturschicht) Druck in: Vejvar 2014; WA 18/BE5.

Der vorliegende offene Brief an Heinrich Mann befindet sich in Notizbuch Nr. 3, das Horváth von März bis April 1930 verwendet hat. Mit dem offenen Brief repliziert der Autor auf eine Besprechung der Prosa-Anthologie 24 neue deutsche Erzähler (hg. von Hermann Kesten, Berlin 1929), in der Horváth mit der Erzählung Das Fräulein wird bekehrt (WA 13/ET16) vertreten war. Die Besprechung stammte von Heinrich Mann und ist am 4. April 1930 in der Literarischen Welt erschienen. Mann hatte darin der jungen Generation Selbstüberschätzung und Seelenlosigkeit vorgeworfen, Einwände, auf die Horváth in seinem offenen Brief nur teilweise zu sprechen kommt, etwa wenn er schreibt: „Überhaupt bilden wir Jungen uns viel zu viel ein.“ (vgl. Vejvar 2014) Die ‚Seelenlosigkeit‘ hat Horváth in dem Text „Sie haben keine Seele“ (TH5/TS1) verarbeitet, wobei nicht ganz klar ist, ob der Autor mit diesem Text auf Heinrich Mann oder einen anderen Rezensenten, etwa Kurt Tucholsky, reagiert (vgl. den Kommentar zu TH5/TS1). Wie dort, geht es auch im offenen Brief um die Frage der Generationen, wobei Horváth zur jüngeren schreibt: „Wir werden verhätschelt, wir sind obenauf, weil die Alten zusammengebrochen sind“. Zuletzt vermerkt er, dass die Literatur auch „ihr

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Gutes“ habe, weil man damit immerhin erreichen kann, dass eine Frau einen mehr liebt, weil man „ein Feuilleton verfasste“. Der offene Brief wurde nicht veröffentlicht.

TH7: „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“ H1 = ÖLA 3/W 50 – BS 41 a, Bl. 27, 28 2 Blatt kariertes Papier (208 × 170 mm), (Handelsregister), schwarzblaue Tinte, roter Buntstift, Eintragungen mit Bleistift von fremder Hand (Berliner Bearbeitung) TS1 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“ (Korrekturschicht: schwarzblaue Tinte)

Im genetischen Konvolut zu dem Dramenprojekt Himmelwärts, genau genommen zu dessen Vorarbeiten 1 und 2, die Ende 1931, Anfang 1932 entstanden sein dürften (vgl. WA 7, S. 1 und 277), finden sich zwei Blätter, auf denen Horváth eine Grußbotschaft an Gerhart Hauptmann ausarbeitet. Über viele Varianten, die in der Transkription abgebildet sind, kommt so ein Text zustande, der in der letztgültigen Form in den Blättern des Deutschen Theaters (Berlin) anlässlich zu Gerhart Hauptmanns 70. Geburtstag (17. November 1932) am 16. Februar 1932 erschienen ist. Damit ist also ein Terminus ante quem gegeben. Die verschiedenen Varianten zu der Fassung kreisen um die Feststellung, dass die „jungen Bühnenautoren“ von Hauptmann nur „lernen“ können und enden fast alle mit einem Dank (vgl. auch den Kommentar zu TS2). D1 = „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“ In: Blätter des Deutschen Theaters, Heft VIII, Spielzeit 1931/32 TS2 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen…“ Druck in: KW 11, S. 195.

Die Druckfassung der Grußbotschaft für Gerhart Hauptmann zum 70. Geburtstag ist am 16. Februar 1932 erschienen. TS2 entspricht im Wesentlichen der letzten Variante von TS1. In der Fest-Nummer der Blätter des Deutschen Theaters waren neben Horváth u.a. folgende Autoren vertreten: Schalom Asch, Richard Billinger, Ferdinand Bruckner, Albert Einstein, Knut Hamsun, Georg Kaiser, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Eugene O’Neill, Romain Rolland, Felix Salten, George Bernard Shaw, Ernst Toller, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Carl Zuckmayer und Arnold Zweig.

TH8: Gebrauchsanweisung Da in den verschiedenen Fassungen der Gebrauchsanweisung von dem Volksstück Kasimir und Karoline die Rede ist, welches erst im Frühjahr 1932 fertig wurde, ist davon auszugehen, dass sie erst im Frühjahr 1932 entstanden sind, jedenfalls in Hinblick auf die Uraufführung von Kasimir und Karoline (UA 18.11.1932) und auf der Grundlage der Bühnen-Erfahrungen vor allem mit Italienische Nacht (UA 20.3.1931) und Geschichten aus dem Wiener Wald (UA 2.11.1931). Große Ähnlichkeit hat die Gebrauchsanweisung mit dem Interview mit Willi Cronauer (TH9), das am 6. April 1932

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im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wurde, das aber erst nach der Gebrauchsanweisung entstanden ist (vgl. WA 4, S. 13 und die Kommentare zu TH8/TS1–TS5). Die Gebrauchsanweisung ist jedenfalls bereits vor der Uraufführung von Kasimir und Karoline entstanden und nicht nachher, wie etwa Krischke noch vermutete (vgl. KW 11, S. 270). H1 = ÖLA 3/W 225 – BS 64 b, Bl. 1, 1v, 2 2 Blatt kariertes Papier (206 × 168 mm), schwarze Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „An das p.t. Publikum“ (Korrekturschicht) Druck in KW 11, S. 246f.

Bei der vorliegenden Fassung mit dem Titel „An das p.t. Publikum“ handelt es sich um eine Frühform der Gebrauchsanweisung, weshalb diese Fassung als Vorstufe jener kategorisiert wird. Vor allem der einleitende Satz lässt schon die Gebrauchsanweisung anklingen, aber auch die folgenden Punkte Satire und Triebtheorie, die Horváth, auf Freud Bezug nehmend, entwickelt. Später nicht mehr genannt wird die Thematik „Kitsch“, die in der vorliegenden Fassung noch einen großen Stellenwert hat. Zunächst schreibt Horváth diesbezüglich: „Ich wehre mich gegen das Wort ‚Kitsch‘. Ich verstehe das nicht. Das Leben ist doch kitschig!“ Zuletzt räumt er jedoch ein, dass der Mensch „seinen Geschmack bilden“ wolle, dabei jedoch „täglich durchschnittlich 10 Schweinereien“ begehe, „[z]umindest als Gedankensünde“. Diese Argumentationslinie taucht in späteren Fassungen der Gebrauchsanweisung nicht mehr auf. Horváth erwähnt in der vorliegenden Fassung vier Stücke, die bisher in Berlin von ihm gespielt wurden, damit sind wohl Die Bergbahn, Sladek, Italienische Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald gemeint. Die Fassung TS1 ist deshalb auf Herbst 1931/Frühjahr 1932 zu datieren. T1 = ÖLA 3/W 236 – BS 64 h, Bl. 1–7 7 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), dünn, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und rotem Buntstift, hs. Paginierung 1–7 TS2 = Fassung mit Werktitel „Gebrauchsanweisung“ (Korrekturschicht: schwarze Tinte) Druck in: GW IV, S. 659–665; KW 11, S. 215–221; Horváth 2009, S. 160–166.

Die längste überlieferte Fassung der Gebrauchsanweisung, die in Mappe BS 64 h vorliegt, wurde bisher immer als die späteste angesehen. Dies muss aber widerlegt werden, da die in den Mappen 64 e, f und g überlieferten Texte eindeutig später entstanden sind. Im Titel notiert Horváth zunächst „Kommentar“, was auf die Fassung TS1 „An das p.t. Publikum“ zurückverweist, in der der Autor festhält, dass er einen „Kommentar“ zu seinen Stücken verfassen will, da diese oft missverstanden wurden. Außerdem spricht Horváth in TS2 noch von „meine[n] Stücke[n]“ (wie in TS1), während er in den späteren Fassungen immer den Ausdruck „dramatische Produktion“ verwendet. Nicht zuletzt weisen die späteren Fassungen bereits in der Grundschicht den Titel „Gebrauchsanweisung“ auf (vgl. TS3–TS5), während eben TS2 noch den maschinenschriftlichen Titel „Kommentar“ führt, der handschriftlich zu „Gebrauchsanweisung“ korrigiert wurde. Bei der Gebrauchsanweisung handelt es sich um den zentralen werkästhetischen und also theoretischen Text Horváths. Dieser spielte vor allem in der Rezeption der Stücke auf dem Theater eine wichtige Rolle und wurde als eine Art Handreichung für die Regie gelesen. In der Gebrauchsanweisung fallen so zentrale Begriffe wie „Demas-

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kierung des Bewusstseins“ (Bl. 2), „neue Form des Volksstückes“ (Bl. 5) und „Bildungsjargon“ (Bl. 4). Außerdem setzt sich Horváth darin mit den Begriffen Satire und Parodie auseinander, entwickelt eine Art freudianisch-aristotelische Triebtheorie zu seiner Dramatik und verzeichnet eine Reihe von Anweisungen für die Regie, die er als die „Todsünden der Regie“ (Bl. 5) auflistet. Dazu gehört die Forderung, keinen „Dialekt“ (ebd.) zu verwenden, keine Parodien auf die Bühne zu bringen, auch mit Satire sparsam umzugehen, und die Stücke „stilisiert“ zu spielen, denn „Naturalismus und Realismus bringen sie um“ (Bl. 6): „Stilisiert muss gespielt werden, damit die wesentliche Allgemeingültigkeit dieser Menschen betont wird --“ (ebd.). Zuletzt unterscheidet Horváth im Personal von Kasimir und Karoline zwischen unterschiedlichen Graden der Stilisierung, wobei die beiden Hauptfiguren am wenigsten stilisiert gehören. Der Hinweis auf dieses Volksstück am Ende der Gebrauchsanweisung deutet darauf hin, dass Horváth selbige in Hinblick auf die Uraufführung des Stückes in Leipzig bzw. Berlin verfasst hat, also vor Herbst 1932. Die Datierung kann sich überdies an dem nach der Gebrauchsanweisung entstandenen Interview mit Willi Cronauer orientieren, in das große Teile der Fassungen der Gebrauchsanweisung eingeflossen sind, und das am 6. April 1932 im Bayerischen Rundfunk gesendet wurde. Die Gebrauchsanweisung ist also jedenfalls vor April 1932 entstanden. Die Schreibung von „Bewusstsein“ und „Unterbewusstsein“ – bei Horváth meist mit nur einem „s“ – wurde in TS2 durchgängig emendiert. Diese und alle weiteren Eingriffe wurden im kritischen Apparat vermerkt. TS2 liegt aufgrund ihrer Bedeutung für die Rezeption auch in emendierter Form vor (vgl. den Abschnitt „Emendierte Endfassungen“). T2 = ÖLA 3/W 235 – BS 64 g, Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS3 = fragm. Fassung mit Werktitel „Gebrauchsanweisung“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 251.

Die vorliegende Fassung TS3 umfasst zwei Blatt und ist damit neben TS2 die längste überlieferte Fassung der Gebrauchsanweisung. Hier tippt Horváth den Titel bereits maschinenschriftlich und verwendet den Ausdruck „dramatische Produktion“ (vgl. den Kommentar zu TS2). Die Wendung „p.t. Publiku[m]“, die Horváth in einer handschriftlichen Einfügung erwähnt, verweist zurück auf TS1. Die handschriftliche Ergänzung „aus purer Nächstenliebe“ ist in den folgenden Ansätzen bereits Teil der maschinenschriftlichen Grundschicht, was wesentlich für die Reihung ist. Im Zentrum von TS3 stehen die Erfahrungen, die Horváth bisher bei den Inszenierungen seiner Stücke gemacht hat. Er listet dabei folgende auf: „dass […] Ironie mit Satire, und Satire mit Parodie verwechselt“ wurde, „dass die Synthese von Ironie und Realismus“, die er anstrebt, „als Zynismus gewertet wird“, und dass die „Aufführungen den Stil meiner Stücke (bis auf wenige Szenen) nie richtig wiedergegeben haben“ (Bl. 1). Als gemeinsamen Nenner aller seiner Stücke nennt Horváth den „Kampf des sozialen Bewusstseins gegen das asoziale Triebleben und umgekehrt“ (ebd.). Als Verbote der Regie listet Horváth fünf Punkte auf: „Das Stück auf Milljöh hin zu inszenieren“, „Realistisch zu spielen“, „Das Stück darf nicht also anzengruberisch gespielt werden“, es ist „[a]llerstrengstens verboten, Dialekt zu sprechen“ und „[p]arodistisch zu spielen“ (Bl. 2).

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T3 = ÖLA 3/W 234 – BS 64 f, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (294 × 205 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS4 = Fassung mit Werktitel „Gebrauchsanweisung“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 249f.

T4 = ÖLA 3/W 233 – BS 64 e, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (294 × 205 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS5 = fragm. Fassung mit Werktitel „Gebrauchsanweisung“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 247–249.

Die Reihung von TS4 und TS5 folgt den beobachtbaren Eigenheiten, dass der Titel nun definitiv feststeht, dass von der „dramatische[n] Produktion“ die Rede ist, dass das „p.t. Publiku[m]“ hier bereits maschinenschriftlich vermerkt ist und dass der Ausdruck „aus purer Nächstenliebe“, der in TS3 noch handschriftlich hinzugefügt wurde, in TS4 und TS5 bereits in der maschinenschriftlichen Grundschicht vorkommt. Die Reihenfolge von TS4 und TS5 ergibt sich aus dem Zusatz zur Parodie „(die ich hasse)“, den Horváth in TS4 handschriftlich hinzufügt, der in TS5 aber schon Teil der maschinenschriftlichen Grundschicht ist. An bisherigen „Erfahrungen“ bei der Aufnahme seiner Stücke nennt Horváth in TS4 nur zwei, nämlich dass „Ironie mit Satire oder gar mit Parodie (die ich hasse) verwechselt“ wird, und dass „die Synthese von Ironie und Realismus, Relativität und Aktivität, die ich erstrebe, mit Zynismus verwechselt wird“. Der Schlusssatz „Alle meine Stücke sind Tragödien, meine dramatischen Motive sind tragisch“ setzt maschinenschriftlich um, was in TS3 noch handschriftlich überarbeitet wurde. In TS5 nimmt Horváth keine numerische Aufzählung der Missverständnisse vor, erwähnt die Verwechslung von Ironie mit Satire oder Parodie nicht mehr und konzentriert sich auf die „Synthese von Ironie und Realismus, Relativität und Aktivität“, wie er mit deutlichem Bezug auf TS4 wieder schreibt. Zuletzt möchte er eine Reihe von Verboten festhalten, bricht aber nach der Nennung des „1.“ ab.

TH9: Interview T1 = ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 1–10 H1 = ÖLA 3/W 237 – BS 64 i, Bl. 11–13, 13v Insgesamt 13 Blatt, davon 10 Blatt unliniertes Papier (295 × 209 mm), 3 Blatt hochkariertes Papier (226 × 148 mm), gerissen, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und rotem Buntstift, hs. Eintragungen mit Bleistift von fremder Hand (Willi Cronauer), masch. Paginierung 1–10 auf BS 64 i, Bl. 1–10, hs. Paginierung 1, 6, 9a auf BS 64 i, Bl. 11–13 TS1/A1 = Fassung mit Werktitel „Oedön von Horvath“ („Interview“), konstituiert durch BS 64 i, Bl. 1–10 (nicht gedruckt) TS1/A2 = Fassung mit Werktitel „Oedön von Horvath“ („Interview“), konstituiert durch BS 64 i, Bl. 1, BS 61 i, Bl. 11, BS 61 i, Bl. 1–6, BS 64 i, Bl. 12, BS 64 i, Bl. 6–9, BS 64 i, Bl. 13, BS 64 i, Bl. 13v, BS 64 i, Bl. 9, 10 (Korrekturschicht) Druck in: GW I, S. 7–16; KW 11, S. 196–206.

Das Interview mit Willi Cronauer, einem Schulkollegen Horváths, der Journalist beim Bayerischen Rundfunk war, ist als Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen beider Autoren überliefert. In der Transkription wird sowohl die Bearbeitung Horváths als auch jene Cronauers abgebildet. Die Fassung TS1, die die einzige

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überlieferte Fassung des Interviews ist, setzt sich aus einem Typoskript (aus zehn Blättern), die A1 bilden, und drei handschriftlich verfassten Ergänzungen (drei Blatt) zusammen, die A2 mitkonstituieren. Im Typoskript sind jeweils die Stellen markiert, an denen die handschriftlichen Zusätze platziert werden müssen. Da das Typoskript noch darüber hinaus gehende Markierungen enthält, ist davon auszugehen, dass auch Ergänzungen verloren gegangen sind. Insgesamt weist das Konvolut eine Fülle handschriftlicher Korrekturen beider Autoren auf. Im ganzen Textträger finden sich überdies überzählige oder fehlende Zeichenabstände zwischen Wörtern und Satzzeichen oder zwischen Wörtern. Diese werden stillschweigend korrigiert. Die abgekürzten Namen „Cro“ und „Cr“ für „Cronauer“ und „Hor“ oder „Horv“ für „Horváth“ werden stillschweigend ausgeschrieben. Inhaltlich gesehen führt das Interview viele Textbausteine der Gebrauchsanweisung (TH8) weiter aus. Einige Formulierungen aus der Gebrauchsanweisung gehen fast unverändert in das Interview ein, etwa die Passagen über das Volksstück oder über die Erbauung. Das Interview wurde am 6. April 1932 im Bayerischen Rundfunk gesendet (vgl. WA 4, S. 13). Leider gibt es davon keine Aufzeichnung mehr. Zeitlich ist das Interview deshalb in der Nähe der Fertigstellung des Volksstücks Kasimir und Karoline zu verorten, das im April 1932 fertig wurde. Das Stück wird im Interview nicht erwähnt. Stattdessen spricht Horváth dort von seinen vier Stücken, womit Die Bergbahn, Sladek, Italienische Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald gemeint sind. Die Gebrauchsanweisung ist etwas früher zu situieren, dort geht Horváth ausführlich auf Kasimir und Karoline ein. Sie ist jedenfalls, ebenso wie das Interview, bereits vor der Uraufführung des Volksstücks entstanden und nicht nachher, wie etwa Krischke noch vermutete (vgl. KW 11, S. 270, WA 4, S. 13 sowie den einleitenden Kommentar zu TH8).

TH10: Randbemerkung Die Randbemerkung stellt die „wichtigste Neuzutat“ (WA 5, S. 406) zu dem „kleinen Totentanz“ Glaube Liebe Hoffnung in Konzeption 3 dar. Über mehrere Zwischenstufen entwickelt Horváth diesen Text, der schließlich dem Stück in der Druckfassung des Arcadia-Verlags (Berlin 1933) vorangestellt wurde (vgl. den Kommentar zu TS5). T1 = ÖLA 3/W 239 – BS 39 a [2], Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (294 × 207 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Ueber die Entstehung meines Volksstückes ‚Glaube Liebe Hoffnung‘“ (Korrekturschicht) Druck in: WA 5, S. 248f.

Die erste Fassung der Randbemerkung trägt noch den Titel „Ueber die Entstehung meines Volksstückes ‚Glaube Liebe Hoffnung‘“. Dazu notiert Horváth die Alternativtitel „In die Maschine geraten“, „Von der Maschine erfasst“ und „In der Maschinerie der Paragraphen“. In der Fassung selbst erwähnt der Autor gleich zu Beginn seine Zusammenarbeit mit Lukas Kristl, dem „Gerichtssaalberichterstatter“, der ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Dramatiker sich fast ausschließlich mit „Kapitalverbrechen“ beschäftigten, die doch relativ selten sind. Stattdessen beharrt Kristl auf der Bedeutung der „kleinen unscheinbaren Paragraphen“, die „die Menschen

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nichtmehr auslassen, umklammern und schliesslich erwürgen“ (Bl. 1). Horváth erwidert ihm, dass die Leute sich nicht ins Theater setzen, um zu sehen, „wie einer zum Beispiel wegen eines Vergehens bestraft wird, vielleicht gar noch bedingt“, stattdessen wolle das Publikum schon lieber einen handfesten Mord. Man solle sich zwar nicht nur „nach den Leuten“ richten, aber man selbst gehöre ja auch zu den Leuten (Bl. 2). In der Folge erwähnt Horváth den konkreten „Fall“, den ihm Kristl geschildert habe, i.e. der Fall Klara Gramm, der das reale Vorbild des kleinen Totentanzes Glaube Liebe Hoffnung bildet. Horváth fasst den Inhalt dieses Falles, der hier nicht referiert wird, als den „Kampf des einzelnen gegen die Allgemeinheit“ (ebd.) zusammen. Weiters erwähnt Horváth in TS1, dass er nicht ironisch schreibe und dass er die Parodie hasse. Er schildere nur die „Wirklichkeit“, in der die „Tragik“ (ebd.) an sich schon aufgehoben sei. Damit schließt der Autor an die Gebrauchsanweisung an. Zuletzt bedankt er sich bei Kristl und erwähnt noch das Zitat aus dem Alten Testament (1 Moses 8,21), das er seinem Stück voranstellen wolle. T2 = ÖLA 3/W 238 – BS 39 a [1], Bl. 3 1 Blatt unliniertes Papier (293 × 209 mm), masch. Paginierung 1 TS2 = fragm. Fassung mit Werktitel „Randbemerkungen“ (Grundschicht) Druck in: WA 5, S. 250.

Die zweite Fassung zu einem Vorwort zu Glaube Liebe Hoffnung trägt den Titel „Randbemerkungen“, der in TS3 zu „Randbemerkung“ verkürzt wird. Der Satz „Ich habe mich bisher immer dagegen gesträubt…“ erinnert an die verschiedenen Fassungen der Gebrauchsanweisung, in denen am Beginn eine ähnliche Passage steht (vgl. TH8/ TS1–TS5). Dies deutet auf einen entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang dieser beiden Texte. Vermutlich dürften die verschiedenen Fassungen der Randbemerkung wenige Monate nach den Fassungen der Gebrauchsanweisung entstanden sein, also Ende 1932 (vgl. WA 5, S. 14f.). T3 = ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 4, 5 2 Blatt unliniertes Papier (293 × 229 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, masch. Paginierung 1 auf Bl. 4 TS3 = fragm. Fassung mit Werktitel „Randbemerkung“ (Korrekturschicht) Druck in: WA 5, S. 251–253.

Die vorliegende Fassung setzt wie schon TS1 mit dem Zusammentreffen Horváths mit dem Gerichtssaalberichterstatter Kristl ein. Dieser habe ihm erzählt, dass er sich wundere, warum die Dramatiker nie die „kleinen Verbrechen“ und stattdessen immer nur die „Kapitalverbrechen“ schildern. In der Folge schildert Horváth den „alltäglichen Fall“, den ihm Kristl erzählt hatte. Im Gegensatz zu TS1 wird dieser Fall in TS3 ausgeführt und Horváth erwähnt auch die Figuren des Stückes: Elisabeth, Alfred Klostermann, die Frau Landgerichtsrat – die spätere Frau Amtsgerichtsrat – und den Oberinspektor. Den Fall, der seinem Stück zugrunde liegt, schildert Horváth wie folgt: Ein „Fräulein“ habe ohne Wandergewerbeschein als Vertreterin gearbeitet, deshalb sei sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ihre Firma habe ihr in der Folge den Wandergewerbeschein vorgestreckt, aber um die Geldstrafe zu bezahlen, leiht sie sich bei einem Herrn die 150 Mark, behauptet aber, diese für den Wandergewerbeschein zu brauchen. Der ältere Herr zeigt sie deshalb wegen Betruges an, weshalb sie eine

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14-tägige Gefängnisstrafe bekommt und ihren Job verliert. Nach dem Gefängnis steht sie faktisch auf der Straße: „Entlassen aus dem Gefängnis, steht sie nun da auch ohne Wandergewerbeschein. Das Wohlfahrtsamt gibt ihr nichts.“ (Bl. 5) In weiterer Folge erwähnt Horváth den Titel, der „Von der Maschine erfasst“ heiße (vgl. TS1). Zuletzt erläutert Horváth die allgemeine Bedeutung seines Stückes, nämlich die Wirkungsmacht der „kleinen Paragraphen“, die es zwar in der menschlichen Gesellschaft geben müsse, die aber oft zu Ungunsten der Menschen angewendet würden. Zuletzt spricht er vom „ewigen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft“ (ebd.) und erwähnt auch wieder (wie in TS1) die Bibelstelle aus dem Alten Testament (1 Moses 8,21). Die Fassung fasert gegen Ende aus und ist deshalb auch als fragmentarische zu werten. T4 = ÖLA 3/W 240 – BS 39 a [3], Bl. 6, 7 2 Blatt unliniertes Papier (293 × 223 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, hs. Paginierung IV und V TS4 = fragm. Fassung (Korrekturschicht) Druck in: WA 5, S. 254–256.

Am Beginn von TS4 fehlt vermutlich ein Blatt. Die Fassung setzt an der Stelle ein, an der Horváth „Kristls Absicht“ erwähnt. Diese sei es gewesen, die Anwendung der kleinen Paragraphen „humaner“ (Bl. 6) machen zu wollen. Horváth erläutert aber, dass der Fall, der seinem Stück zugrunde liege, nur dazu gedient habe, wieder einmal den „gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können (wie bei allen meinen Stücken), dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen kann -- höchstens dass mal ein Einzelner für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst“ (ebd.). Weiters schreibt Horváth, dass er durch sein Stück den Lebenskampf jedes Einzelnen erleichtern wolle, indem er zur Selbsterkenntnis anleite: „Ich bin überzeugt, dass nur Aufrichtigkeit, rücksichtsloseste Aufrichtigkeit unsern schweren Weg vom Einzelnen zur Gesellschaft erleichtert. Nur die Aufrichtigkeit ist die innere Heiterkeit.“ (ebd.) In der folgenden Passage, die an TS2 sowie an die verschiedenen Fassungen der Gebrauchsanweisung (TH8) erinnert, schreibt Horváth, dass er Grundsätzliches zu seinen Stücken sagen müsse, wogegen er sich bisher immer gesträubt habe. Er formuliert dabei als ethisches Credo seines Schreibens folgende Zeilen: „Ich habe nur zwei Dinge gegen die ich schreibe das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit.“ (Bl. 7) Zuletzt beschreibt Horváth die Bedeutung des Kitsches für sein Schreiben. Er ist der Meinung, dass das Leben an sich „kitschig“ (ebd.) sei, vor allem die Gefühle der Menschen seien „verkitscht und verfälscht“. Deshalb bewege sich auch das Schreiben immer an der Grenze des Kitsches, aus dem jedoch Tragik resultiere: „Der Zusammenprall des Kitsches, also des verniedlichten und verfälschten Lebens mit der Unerbittlichkeit des Lebens ist tragisch.“ (ebd.) Der Autor schließt mit einem Blick auf Satire und Parodie, mit denen er immer wieder in Zusammenhang gebracht werde, was aber gegen seine Intentionen sei.

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D1 = Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern Stammbuch des Arcadia Verlags, Berlin 1933, S. 1f. TS5 = Fassung mit Werktitel „Randbemerkung“ Druck in: WA 5, S. 257f.

Die letzte Fassung der Randbemerkung ist nur in Form des Stammbuchs von Glaube Liebe Hoffnung im Arcadia Verlag überliefert. TS5 wird als definitive Fassung diesem entnommen. Sie setzt ähnlich wie TS3 mit der Begegnung mit Lukas Kristl im Februar 1932 ein. In der Folge erwähnt Horváth wieder den Gegensatz von „Kapitalverbrechen“ und „kleinen Verbrechen“, weiters den „alltäglichen Fall“, aus dem „der kleine Totentanz ‚Glaube Liebe Hoffnung‘“ entstanden sei. Wie in TS3 nennt der Autor dann die wichtigsten Figuren des Stückes: Elisabeth, Alfons Klostermeyer, die Frau Amtsgerichtsrat und den Oberinspektor. Weiters dankt er Kristl „für die Mitteilung seiner Materialkenntnisse und für manche Anregung“ (S. 1). Wie in TS4 spricht er von „Kristls Absicht“, „ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben“, und von der Hoffnung, „dass man jene kleinen Paragraphen vielleicht […] humaner anwenden könnte“ (S. 1f.). Wie in TS4 ist in der Folge vom „gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft“ (S. 2) die Rede. Auch die Passage über die „bestialischen Trieb[e]“ (ebd.) und den ,Kitsch‘ kehrt wieder (vgl. TS4). Außerdem beharrt Horváth darauf, keine Parodie zu schreiben: „[I]ch habe und werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische ab.“ (S. 2) Zuletzt geht es ihm, wie schon in TS4, um die Selbsterkenntnis, an der der Schriftsteller arbeite. Hier folgt die bekannte Passage: „Erkenne Dich bitte selbst! Auf dass Du Dir jene Heiterkeit erwirbst, die Dir Deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem Dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiss nicht über Dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter Dich stellt, so dass Du Dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! --“ (S. 3) Die „liebe Ehrlichkeit“ entspricht dabei der „Aufrichtigkeit“ von TS4 und ist keinesfalls ironisch zu betrachten, war es Horváth doch tatsächlich um Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun. Die Fassung endet mit dem Zitat aus dem Buch Mose des Alten Testaments (1 Moses 8,21), in dem es um das Verhältnis Gottes zu den Menschen und den steten Wechsel der Tages- und Jahreszeiten geht.

TH11: H1 = ÖLA 3/W 241 – BS 64 a, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (339 × 210 mm), schwarze Tinte TS1 = Fassung (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 666; KW 11, S. 222; WA 18/BE8, S. 157f.

Die vorliegenden Zeilen über die Inszenierung seines Volksstücks Kasimir und Karoline (1932) in Wien hat Horváth im Zuge der Wiederaufnahme der österreichischen Erstaufführung des Stückes im Herbst 1935 verfasst. Die Erstaufführung fand am 4. Februar 1935 in der Komödie statt, das Stück wurde ab. 9. Februar noch sechsmal in den Wiener Kammerspielen gezeigt und schließlich ab 29. November 1935 ins Repertoire des Kleinen Theaters in der Praterstraße übernommen, das Ernst Lönner, der

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Leiter der Gruppe Ernst Lönner, die die Erstaufführung zu verantworten hatte, inzwischen erworben hatte (vgl. WA 4, S. 12). Die Fassung ist unter dem Titel „Brief an das Kleine Theater in der Praterstraße“ bekannt (vgl. KW 11, S. 222). In dem Text gibt Horváth seiner Freude darüber Ausdruck, dass Kasimir und Karoline in Österreich gespielt wird. Dem gehen verschiedentliche Versuche voraus, seine Stücke in Wien zur Aufführung zu bringen, was etwa im Falle von Eine Unbekannte aus der Seine (1933) und Hin und her (1934) teilweise unter großem Getöse in der Presse gescheitert ist (vgl. WA 6). Der Autor von Geschichten aus dem Wiener Wald (1931), die als „Pamphlet österreichischen Wesens“ (Tarzan 1933) betrachtet wurden und deren Uraufführung in Berlin am 2. November 1931 auch in Österreich verfolgt wurde, hatte es in der Folge schwer, in Österreich gespielt zu werden. Kurz nach der Neuaufnahme von Kasimir und Karoline wurde im Dezember 1935 Mit dem Kopf durch die Wand (1935) im Wiener Theater Scala uraufgeführt und fiel durch (vgl. WA 7 und den Entwurf auf der Verso-Seite des vorliegenden Blattes, WA 7/MKW/K3/E13, S. 670f.). Dabei hatte Horváth, wie er in TS1 beteuert, immer „gehofft und geahnt“, dass seine Stücke gerade in Österreich verstanden und gespielt werden müssten. Horváth freut sich auch über die Darsteller, die dabei zum Einsatz kommen, da er sie bereits aus anderen Produktionen kannte. Es waren dies u.a. Fritz Grünne (Kasimir), Marianne Gerzner (Karoline), Egon Sala (Merkl Franz) und Hansi Prinz (Erna). Die Gruppe Ernst Lönner des Piscator-Schülers Ernst Lönner gehörte zu den avantgardistisch orientierten kleinen Theaterensembles, die im Wien der Zwischenkriegszeit einigermaßen erfolgreich Theater spielten, obwohl sie praktisch keine finanziellen Mittel hatten (vgl. Manker 2010). Als einzige weitere Inszenierungen von HorváthStücken in Österreich zu seinen Lebzeiten sind die Uraufführung von Glaube Liebe Hoffnung (1933; vgl. TH9) unter dem Titel Liebe, Pflicht und Hoffnung im Theater für 49 am 13. November 1936 (vgl. WA 5) und die Uraufführung von Himmelwärts in der Freien Bühne in der Komödie am 5. Dezember 1937 (vgl. WA 7) zu nennen.

TH12: Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? H1 = ÖLA 3/W 242 – BS 64 l, Bl. 1, 1v, 2, 2v, 3, 3v, 4, 4v 4 Blatt unliniertes Papier (230 × 145 mm), schwarze Tinte, Paginierung 2–6 TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?“, konstituiert durch Bl. 1, 2, 1v, 2v, 3, 3v, 4, 4v (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 668–671; KW 11, S. 223–226.

Die Fassung TS1 mit dem Titel Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? ist auf vier lose Blätter notiert, wobei die Abfolge der Blätter teilweise durch Paginae geregelt wird. Alle Blätter sind recto und verso beschriftet, was die Reihung erschwert. Außerdem ist den Blättern teilweise eine Foliierung unbekannter Hand (1, 7 und 8) beigegeben, aber nicht durchgängig, weshalb hier eine konsistente Foliierung von 1–4 vergeben wird. Es gibt gewisse Anhaltspunkte für die Reihung der Recto- und Verso-Seiten, etwa die Nummerierung der Abschnitte, die Horváth mit Bl. 3 beginnt. Der Text unternimmt eine Erkundung dessen, was ein zeitgemäßer Schriftsteller sein soll und könnte. Im Text fällt auch der Hinweis darauf, dass es sich um einen Vortrag gehandelt hat, den Horváth halten sollte. Über die genauen Umstände dazu ist nichts bekannt. Doch es ist zu vermuten, dass TS1 zwischen 1935 und 1936 entstan-

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den ist, als Horváth nach einer neuen Positionierung als Schriftsteller suchte. Die Fassung handelt auch davon, dass die freie Meinungsäußerung beschränkt ist und dass derjenige, der die falschen Worte, nämlich zu direkte, in den Mund nimmt, „eingesperrt“ oder sogar „geköpft“ wird, was Hinweise auf die Schärfe der Zensur unter dem Hitler-Regime sein dürften. Allerdings habe die Zensur auch positive Begleiterscheinungen, sie befördere nämlich die „Bildbegabung“, die „visionäre Schau“: „[A]us der Zensur entsteht das Symbol.“ (Bl. 1) Es gäbe aber auch eine private Zensur, die Selbstzensur, die jeder selbst übe. Zuletzt nähert sich Horváth seinem eigentlichen Thema, nämlich der Aufgabe des Schriftstellers in seiner Zeit und kommt dabei zu dem Schluss: „Die vornehmste Aufgabe des Schriftstellers ist es vernünftig zu sein.“ Vernünftig sein heiße aber „klar“ zu sein, was jedoch schwierig sei, angesichts der Zensur. Entscheidend für den Schriftsteller sei sein „Gewissen“: Dabei gesteht Horváth zu, selbst eine Zeit lang gegen sein Gewissen gehandelt zu haben, als er nämlich für den Film geschrieben habe, „wegen eines neuen Anzugs und so“ (Bl. 2v), was in den Jahren 1934 und 1935 der Fall war. Er bezeichnet diesen Ausflug in ein anderes Metier als „moralische[n] Tiefpunkt“ (ebd.). Markant ist auch die Stelle: „Wir leben in einer Zeit, in der ein grosser Teil der Welt von Verbrechern und Narren beherrscht wird.“ (Bl. 3) und „Das Ziel jedes Staates ist die Verdummung des Volkes“ (ebd.). Deshalb sei jede Regierung „in Feindschaft gegen die Vernunft“ (ebd.). Zuletzt zerfasert der Text in Einzelbeobachtungen, etwa zum Sport, der zu einer „ungeistige[n] Individualität“ führe. Auch zum „Begriff des Uneigentlichen“ wollte Horváth sich noch äußern. Letztlich landet er aber wieder bei der Einsicht, dass es dem Schriftsteller nicht ums „Geld“ gehen dürfe, denn sonst vergeude er sein „Talent“. Als entscheidende Richterinstanz nennt er am Schluss wieder das „Gewissen“; das auch im Roman Jugend ohne Gott (1937) eine entscheidende Rolle spielen wird. Eine zeitliche Nähe zu diesem Text ist wahrscheinlich. Posthum erschien eine überarbeitete Fassung dieses Textes unter dem Titel Zensur in der Pariser Tageszeitung am 20.6.1938.

TH13: H1 = ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6 1 Blatt unliniertes Papier (341 × 209 mm), Wasserzeichen „Drei Sterne“, schwarze Tinte TS1 = Fassung (mittig und unten; Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 227f.; WA 12/WP49/K/TS1, S. 564f.

Materiell ist das vorliegende Blatt aufschlussreich, da es ein charakteristisches Wasserzeichen trägt, nämlich drei Sterne. Blätter dieser Art hat Horváth auch für Entwürfe zum Werkprojekt Ein Kind unserer Zeit (vgl. WA 16) verwendet, mit dessen Ausarbeitung er frühestens im Sommer 1937 begonnen hat, sowie für die letzten Arbeit zu der Komödie Pompeji (vgl. WA 11), die Mitte/Ende Juli 1937 fertig wurde. Das lässt vermuten, dass auch das vorliegende Blatt frühestens zu diesem Zeitpunkt, wahrscheinlich jedoch erst im Herbst 1937 entstanden ist. Es stellt eines der bemerkenswertesten Blätter im gesamten literarischen Nachlass Horváths dar. Es ist Ausdruck eines Bestrebens, mit der Komödie des Menschen eine umfassende dramatische Bearbeitung der Menschheitsgeschichte zu verfassen, und zugleich Signum einer tiefen existenziellen Krise des Autors, der in TS1 einen Großteil seines bisherigen Schaf-

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fens verwirft, um „unter dem Titel ‚Komödie des Menschen‘ fortan [s]eine Stücke [zu] schreiben, eingedenk der Tatsache, dass im Ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist“. Ein weiterer Datierungshinweis auf Herbst 1937 liegt in den in dem Entwurf oben auf dem Blatt (WA 12/WP49/K/E7) genannten Stücken Pompeji und Das Dorf ohne Männer (eigentlich: Ein Dorf ohne Männer). Diese beiden listet Horváth in dem Werkverzeichnis in zwei Teilen von WA 12/WP49/K/E7 als ersten Teil auf, während den zweiten Teil zwei Stücke bilden sollten, die zu diesem Zeitpunkt (und auch später) nicht existieren: „Die Pythagoreer“ und „Die Diadochen“ (WA 12/WP45). Die zunächst notierte III. des dritten Teils streicht Horváth wieder, um darunter seine große Abrechnung mit sich selbst zu verfassen, die in den Worten gipfelt: „Es gibt nichts Entsetzlicheres als eine schreibende Hur. Ich geh nichtmehr auf dem Strich“, die vermuten lassen, dass Horváth sein bisheriges Schreiben als zu publikums- und markthörig betrachtet und von nun an einen anderen Weg gehen will, eben den oben zitierten der Komödie des Menschen. Wie ein nicht eindeutig in TS1 integrierbarer Teil erkennen lässt, soll vermutlich im Rahmen dieser Komödie ein Gorilla einen „Prolog“ sprechen, in dem er für die Affen das Wort ergreift, die wegen der Menschen das Paradies verloren haben und nun dagegen protestieren, dass die Menschen von ihnen abstammen sollen. Das Motiv der Abstammung von den Affen kehrt in späteren Textstufen zur Komödie des Menschen wieder (vgl. WA 12/WP49/K/TS5 und TS7).

Lyrik L1: Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte H1 = ÖLA 3/W 205 – BS 72 c, Bl. 1, 1v, 2 2 Blatt unliniertes Papier (300 × 209 mm), Bogen, schwarze Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte von Ed. v. Horváth“ (Korrekturschicht) Faksimile in: Krischke/Prokop 1977, S. 39–41.

Die „Zwerggeschichte“ Luci in Macbeth ist die früheste literarische Arbeit Horváths. Aufgrund der Angabe im Text, dass Luci zwölf Jahre alt ist, kann davon ausgegangen werden, dass Ödön von Horváth zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes dreizehn oder vierzehn Jahre alt war. Horváth zeichnet die Geschichte mit „Ed. v. Horváth“, seinem deutschsprachigen Namen, den er erst in München, in der Gymnasialzeit, verwendete (vgl. WA 18/D3 und D4). Auch der Name seines Vaters lautete Edmund. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Altersangabe zu Luci stimmt und die „Zwerggeschichte“ in München 1914 oder 1915 entstanden, also eine Arbeit des 13oder 14-jährigen Ödön von Horváth ist (vgl. anders KW 11, S. 262). In der Zwerggeschichte, die in großteils paargereimten Versen verfasst ist und eine Art Ballade darstellt, geht es um die Frage, ob Kinder bereits ins (Erwachsenen-)Theater gehen sollten. Die Antwort darauf fällt eindeutig aus und wird als Moral oder „Lehre“ der Geschichte verkündet: „In das Theater gehören keine Zwerge!“ (Bl. 2)

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L2: Glück H1 = Ödön von Horváth: Glück TS1 = Fassung mit Werktitel „Glück“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 11–13. Faksimile in: HB 1 (1983), S. 53–61.

Das Lang-Gedicht Glück ist nach Luci in Macbeth die zweite überlieferte literarische Arbeit Horváths. Der Autor hat das Gedicht Gustl Emhardt gewidmet, einer Jugendfreundin. Das Gedicht befindet sich im Original im Poesiealbum von Gustl Emhardt, das nicht mehr zugänglich ist, zwischen zwei Einträgen anderer Freunde, die auf 1918 bzw. 1920 datiert sind. Die beiden Datierungen bilden deshalb einen terminus post und ante quem für Horváths Eintrag. Das Gedicht stammt somit vom achtzehnjährigen Autor. Es ist als Faksimile in den Horváth-Blättern überliefert. Horváth widmete später auch der Jugendfreundin Felizia Seyd einen Text und zwar unter dem Namen „Lizulein“ eine Zusammenstellung der Sportmärchen in einem Poesiealbum (vgl. WA 13/Sportmärchen/TS15). Seyd wird auch im Gedicht Die Flitterwochen (L9) erwähnt. Das Gedicht Glück ist teilweise gereimt, meist in Paar- oder Kreuzreimen gehalten. Die Form ist konventionell, der Gehalt teilweise drastisch, vor allem gegen Ende des Gedichts, als vom Mord an den Eltern und vom angedrohten Selbstmord die Rede ist. Ein paar Verse des langen Gedichts Glück hat Horváth in der Folge extrahiert und zu dem kurzen und verknappten Gedicht Du (L3) zusammengestellt (vgl. den Kommentar dort).

L3: Du D1 = Ödön von Horváth: Du In: KW 11, S. 14. TS1 = Fassung mit Werktitel „Du“ (Grundschicht)

Das kurze Gedicht Du schließt unmittelbar an das Langgedicht Glück an, dessen originellste Zeilen es extrahiert, wobei der letzte Vers abgewandelt wird. Aus „Küsse ich Dich“ wird „Küßt Du mich nicht“, womit der Autor eine unerwartete Pointe setzt, die das Gedicht formal und inhaltlich avanciert erscheinen lässt. Es dürfte wenig später als Glück, also vermutlich 1918/19, entstanden sein. Das Gedicht ist ebenfalls Gustl Emhardt gewidmet (vgl. den Kommentar zu L2) und nur als Druck in der Kommentierten Werkausgabe überliefert.

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L4: Das Buch der Tänze D1 = Ödön J. M. von Horváth: Das Buch der Tänze (Exemplar in: ÖLA 3) München: Schahin 1922, 40 S. TS1 = Fassung mit Werktitel „Das Buch der Tänze“ Druck in: GW III, S. 11–24; KW 11, S. 24–37.

Horváths erste Buchpublikation, Das Buch der Tänze, ist 1922 im Schahin Verlag München erschienen, einem bibliophilen Verlag, der in der Schellingstraße angesiedelt war, in dem später große Teile von Horváths erstem Roman, Der ewige Spießer und die Konzeption 1 von Geschichten aus dem Wiener Wald, Die Schönheit aus der Schellingstrasse, verortet sein werden. Der Autor selbst verweist in dem autobiographischen Text „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (AU4/TS1) auf die Entstehung dieser ersten Buchpublikation (vgl. auch TH1/TS1). Horváth studierte zur Zeit ihrer Entstehung in München – die Germanistik befand sich in der erwähnten Schellingstraße – und lernte bei einer Abendgesellschaft den Komponisten Siegfried Kallenberg kennen, der ihn aufforderte, für ihn eine Pantomime zu schreiben. Horváth glaubte, dass ihn Kallenberg mit einem anderen Autor verwechselte, wollte die Verwechslung zunächst auch aufklären, entschied sich dann aber doch zur Mitarbeit. So wurde er zum Schriftsteller, und so kam seine erste Buchpublikation zustande. Das Buch der Tänze besteht aus sieben kleinen Prosaskizzen oder Prosagedichten. Diese sind lose gereiht und untereinander kaum motivisch verbunden. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie teils exotistische, teils groteske Elemente enthalten und wie eine Parodie auf die Literatur der Jahrhundertwende wirken. Materiell gesehen liegen ein paar Varianten zu den gedruckten Texten vor, die Traugott Krischke in Bd. 11 der Kommentierten Werkausgabe veröffentlicht hat. Als Textgrundlage für die Endfassung dient hier der Erstdruck des Buches im Schahin Verlag, von dem sich ein Widmungs-Exemplar an die Großmutter Horváths im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek befindet. Das Exemplar trägt die Nummer 5. Das Schicksal des Buches der Tänze ist bemerkenswert. Am 7. Januar 1922 erfolgte eine Lesung mit Musikbegleitung auf dem „Ersten literarisch-musikalischen Abend der Kallenberg-Gesellschaft“ durch die Schauspielerin Annie Marée. Am 19. Februar 1926 kam es zu einer szenischen Uraufführung des Buches im Stadttheater von Osnabrück. Die Rezensionen dazu waren äußerst negativ, sodass Horváth mithilfe seines Vaters die gesamte noch vorliegende Restauflage des „ungeliebte[n] Erstlingswerk[s]“ (Vejvar 2011) aufkaufte (vgl. KW 11, S. 263f. und WA 1, S. 2). Horváth hat später in keinem Zusammenhang auf sein Buch der Tänze verwiesen, für ihn existierte dieses Buch nicht mehr. Den Beginn seiner literarischen Laufbahn setzte er später mit den Sportmärchen und der verstreut erschienenen Kurzprosa (vgl. WA 13), sowie, als Dramatiker, mit den Volksstücken Revolte auf Côte 3018 bzw. Die Bergbahn (beide 1927) an (vgl. u.a. AU6/TS1). Die Uraufführungen der letzteren fanden 1927 (in Hamburg) bzw. 1929 (in Berlin) statt (vgl. WA 1). Inhaltlich kreist das Buch der Tänze um eine Reihe exotistischer Figuren, wie die Pharaonin und der Sklave in dem ersten Prosagedicht, oder das Teehausmädchen im zweiten. Allen gemeinsam ist, dass das Tanzen für sie eine große Rolle spielt, immer wieder beginnen die Figuren zu tanzen, wodurch es zu einer Doppelung des Tanz-Motivs kommt, das nicht nur tänzerisch dargestellt, sondern auch textlich thematisiert wird (vgl. auch TH1/TS1). In dem Prosagedicht Das Teehausmädchen endet das Tanzen

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letal, womit nach der lustwandlerischen Atmosphäre des Märchens eine düstere Note in das Buch der Tänze kommt. Diese wird im folgenden Text, der Pestballade wiederaufgenommen, in der die Bajadere, eine indische Tänzerin, und der Matrose ebenfalls sterben. Auch von der in der Heimat verbliebenen Mutter heißt es, dass sie wahrscheinlich stirbt, bevor sie ihren Sohn wiedersieht. In dem Prosagedicht Harem wird der Tanz der Haremsfrau zu ihrem Totentanz. Sehr kryptisch ist die Skizze Asket, in der von drei verschiedenen Männern die Rede ist, die büßen, leiden und etwas geworden sind. Tanz spielt in dieser Skizze keine Rolle. Alle Motivlinien, die des Tanzes, des Begehrens und des Todes, fließen in dem Abschnitt Die Perle zusammen, in der ein junger Siamese sich nach einer Perle verzehrt, die tief unten im Meer weilt. Die Skizze gipfelt in dem Satz, der als Motto über allen Miniaturen des Buches stehen könnte: „Überall kauert der Tod und lauert.“ (S. 34) Dem jungen Siamesen gelingt es, die Perle zu fangen und sie muss nach seinen Vorstellungen tanzen. Doch die Hierarchie dreht sich schließlich um, und die Perle zwingt den Fischer, nach ihren Vorstellungen zu tanzen. Am Morgen danach ist er tot. Und die Perle kehrt wieder ins Meer zurück und träumt weiter. Das letzte Prosagedicht Episode in China ist mit „Groteske“ (S. 37) untertitelt. Auch diese Skizze ist wieder sehr kryptisch. Sie handelt von einem kleinen Mandarin und einer kleinen Chinesin in einer „[s]üdchinesische[n] Märchenpracht“ (S. 39). Während die Chinesin mit dem Mond davontrippelt, erdrosselt sich der kleine Mandarin mit seinem eigenen Zopf. Damit endet die Reihe der Prosagedichte des Buches der Tänze. Bezüge zu späteren Texten Horváths sind nicht gegeben, sieht man vom Todes-Motiv ab. Das Buch der Tänze bildet einen spätimpressionistischen monolithischen Block im Werk des Autors. Es ist kein ,typischer‘ Horváth, lässt aber bereits eine Begabung für das Dichterische erkennen. Drei der sieben Prosagedichte tragen Widmungen: für Kay Christensen, Otto Bacher und Siegfried Kallenberg. Für Letzteren sind auch ein paar weitere Textdichtungen Horváths geschrieben, die nach dem Buch der Tänze entstanden sind: die Tanzgroteske Hoffmaniade (L5) sowie die Gedichte Schlaf, meine kleine Braut, Sehnsucht und Ständchen (vgl. KW 11, S. 41–43; L6), die von Traugott Krischke unter dem Titel Lieder für Siegfried Kallenberg veröffentlicht wurden. D2 = Pestballade In: KW 11, S. 231–233. TS2 = Fassung mit Werktitel „Pestballade“

D3 = Harem (Exemplar in: ÖLA 84/SL 7) Fotografie einer Doppelseite eines Exemplars von: Ödön von Horváth: Das Buch der Tänze. München: Schahin 1922, hs. Eintragungen mit (vermutlich) Bleistift TS3 = fragm. Fassung („Harem“) (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 233f.

Bei TS2 und TS3 handelt es sich um zwei Varianten zu dem bereits gedruckten Buch der Tänze. TS2 ist nur in Form des Abdrucks in der Kommentierten Werkausgabe (Bd. 11) überliefert. TS3 ist als Fotografie der von Horváth in seinem Handexemplar des Buches handschriftlich überarbeiteten Szene „Harem“ im Nachlass Krischke (ÖLA 84) erhalten. Dort war vermutlich eine weitere Fotografie enthalten, die aber

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nicht mehr vorliegt. Sie bildete wahrscheinlich die Grundlage für die Variante TS2 in der Kommentierten Werkausgabe. In TS2 überarbeitet Horváth das Kapitel „Pestballade“ von TS1. Die Überarbeitungen sind geringfügig, im Wesentlichen handelt es sich dabei um Wortumstellungen. Großflächiger fallen die Überarbeitungen in TS3 aus, wobei nur ein Teil des Kapitels „Harem“ in der überlieferten Fotografie abgebildet ist. Hier überarbeitet Horváth die zweite und dritte Strophe des Prosagedichts vollständig, wie in TS1 endet dieser Abschnitt jedoch mit einem (expressionistischen) „Schrei“.

L5: Hoffmaniade, eine Tanzgroteske T1 = BSB, NL Siegfried Kallenberg, Ms. 7822, Beilage, Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (282 × 209 mm), hs. Eintragungen (eventuell von fremder Hand) mit schwarzer Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „Hoffmaniade, eine Tanzgroteske“ (Korrekturschicht) Druck in: HB 1 (1983), S. 94–97; KW 16, S. 9f.

Die Datierung der Tanzgroteske Hoffmaniade, bisher bekannt unter dem Titel Abenteuer im lila Molch bzw. Abenteuer im lila Moloch ist unsicher. Die vorliegenden Editionen datieren sie auf ca. 1920. Wahrscheinlich ist sie jedoch erst nach dem Buch der Tänze (L4) entstanden; möglich wäre jedoch auch, dass sie eine Vorarbeit dazu bildet. Jedenfalls befindet sich das (vermutlich) originale Typoskript dazu im Nachlass Siegfried Kallenberg in der Bayerischen Staatsbibliothek (Musiksammlung). Ein Hinweis, dass dieses Typoskript von Horváth stammt, ist nicht vorhanden. Vermutlich diesem Typoskript folgen auch die Edition in KW 16 – dort findet sich ein Hinweis auf exakt die vorliegende Manuskriptnummer – und die Erstveröffentlichung in den Horváth-Blättern 1/1983. Ein Entwurf mit dem Titel Moloch findet sich auch in einer Mappe des Nachlasses Ödön von Horváth im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, er wurde bereits im Rahmen der Dramenfragmente ediert (vgl. WA 12/WP1/E1). Ob dieser Entwurf mit dem vorliegenden Werkprojekt zusammenhängt, ist fraglich, aber immerhin möglich. Die Datierung der Hoffmaniade dürfte jedenfalls auf 1922/23 anzusetzen sein. Inhaltlich handelt es sich um eine Art Totentanz in schriller, überzeichneter Manier. Im ganzen Typoskript finden sich unregelmäßige Zeichenabstände. Diese werden stillschweigend korrigiert.

L6: D1 = Lieder für Siegfried Kallenberg In: KW 11, S. 39–43. TS1 = Fassung Druck in: HB 1 (1983), S. 96–98.

Die Gedichte Schlaf, meine kleine Braut, Sehnsucht und Ständchen fanden sich im Nachlass des Münchner Komponisten Siegfried Kallenberg, der – wie zum Buch der Tänze (L4) – Kompositionen dazu schrieb (vgl. KW 11, S. 264). Die Originale im Nachlass Kallenberg sind heute nicht mehr vorhanden, weshalb die Gedichte hier nach

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dem Abdruck in der Kommentierten Werkausgabe wiedergegeben werden. Die Gedichte sind auf Mai 1923 datiert, Kallenbergs Kompositionen dazu stammen aus den Jahren 1923 und 1924. Ähnlich wie das Buch der Tänze wurden zwei der drei Lieder für Siegfried Kallenberg auf dem „IIl. Literarisch-musikalischen Abend“ der Kallenberg-Gesellschaft am 26. März 1924 vorgetragen (vgl. KW 11, S. 265). Die drei Lieder sind von Ton und Duktus dem Buch der Tänze verwandt, jedoch eindeutiger als Lyrik bzw. Lieder zu kategorisieren. Inhaltlich stehen das erste und das dritte Lied in einem Zusammenhang, indem beides Schlaflieder sind. Davon weicht das Gedicht Sehnsucht ab, das in neusachlicher Manier von der Liebe als einem „Nimmervondirlassen“ spricht. Die drei Lieder sind ironischer als das Buch der Tänze und verweisen deshalb auf die Kurzprosa, vor allem auf die etwa gleichzeitig entstandenen Sportmärchen (1923/24; vgl. WA 13).

L7: Lieder zum Schlagzeug H1 = ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (419 × 329 mm), Bogen, gefaltet, Bleistift E1 = Strukturplan in 3 Teilen mit Werktitel „Lieder zum Schlagzeug“ (links oben) TS1 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Still!“ (links unten; Korrekturschicht) TS2 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Wie er lacht hinten in der Loge sieben“ (rechts oben; Korrekturschicht)

Das vorliegende Manuskriptblatt enthält den Titel der geplanten Gedichtsammlung „Lieder zum Schlagzeug“ (vgl. auch TS6). Die Gedichte der geplanten Sammlung könnten inhaltlich und stilistisch betrachtet in der Nähe von Texten wie Mord in der Mohrengasse (1923/24) oder Niemand (1924) entstanden sein, darauf deutet etwa die Figur des Stutzers hin. Die geplante Gedichtsammlung wird in E1 in drei Teile gegliedert: „Unerotisches Barmädchen“, „Uralter Stutzer“ und „Ballade vom brünstigen Stepptänzer“. Die Fassung TS2 trägt die Nummerierung II, ist also vermutlich das Gedicht zum Titel „Uralter Stutzer“, während die Fassung TS1 keine Nummer trägt, aber unmittelbar an den dritten Teil „Ballade vom brünstigen Stepptänzer“ anschließt. Also dürfte es sich um dieses Gedicht handeln. Es wurde vermutlich vor TS2 niedergeschrieben. Das Blatt ist mit Bleistift handschriftlich verfasst, es dürfte sich also um eine frühe Ausarbeitung, vermutlich um den Beginn der Arbeit an den Liedern zum Schlagzeug handeln. H2 = ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 1v 1 Blatt unliniertes Papier (419 × 329 mm), Bogen, gefaltet, Bleistift TS3 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Ohne Hirn ohne Geld“ (links; Korrekturschicht) TS4 = Fassung mit Werktitel „Knie. Melodie“ (rechts; Korrekturschicht)

Bei den vorliegenden Gedichten mit den Titeln „Ohne Hirn ohne Geld“ und „Knie. Melodie“ handelt es sich um Varianten zu dem Gedicht „Ballade vom brünstigen Stepptänzer“ bzw. „Still!“ (vgl. E1 und TS1). Wieder ist hier nämlich vom Steppen die Rede. Der Stepptänzer steppt über die ganze Welt, und alle fragen sich, wo denn dabei die „Moral“ bleibe. Horváth variiert dieses Gedicht in TS5 noch einmal, bevor er es in TS6 reinschreibt.

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H3 = ÖLA 3/W 245 – BS 72 d [1], Bl. 2, 2v 1 Blatt unliniertes Papier (419 × 329 mm), Bogen, gefaltet, Bleistift TS5 = Fassung in 3 Teilen (Korrekturschicht)

Auf dem vorliegenden Bogen notiert Horváth neuerlich drei Lieder zum Schlagzeug. Das Blatt ist gefaltet und auf mehreren Seiten beschrieben, sodass die Foliierung gewisse Schwierigkeiten bereitet. Die Rückseiten werden alle mit „v“ für verso bezeichnet. Das erste Gedicht auf dem Bogen trägt die Nummer I und erstmals den IncipitTitel „Bambum!“, steht aber in einer werkgenetischen Linie mit den drei Stepp-Gedichten TS1, TS3 und TS4. Dies zeigt sich vor allem an der Wiederaufnahme der Zeilen „Stepptepptepptepp“ und „Ohne Hirn. Ohne Geld“. Das zweite trägt die Nummer II und ist neu. Darin spricht vermutlich das ,a-erotische Barmädchen‘ (vgl. auch E1, TS6 und TS7), das sich als „Blüte von Arkansas“ bezeichnet und das von sich berichtet, dass auf seiner Stirne noch „nie sexueller Schweiss“ gestanden sei. Die Nummerierung der Verse 1 und 2 kann man als hinfällig betrachten. Der Reim stellt eine unmittelbare Verbindung zwischen den Versen her. Das dritte Gedicht trägt ebenfalls die Nummer II, ist auch neu und wird in der Folge nicht mehr wiederaufgenommen. Es handelt sich dabei um ein Lautgedicht, in dem vor allem mit den Konsonanten r und l gespielt wird. Es erinnert an das Gedicht Regatta in den Sportmärchen (vgl. WA 13/SM/TS20, S. 93), was ein weiterer Beleg für die Datierung sein könnte, denn die Sportmärchen sind größtenteils 1923/24 entstanden. T1 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), dünn, Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit Bleistift TS6 = fragm. Fassung mit Werktitel „Lieder zum Schlagzeug / Worte und Musik von Ödön von Horváth“ (Korrekturschicht) Druck (Grundschicht) in: GW IV, S. 686f.; KW 11, S. 18f.

Die in Mappe BS 72 d [2] versammelten Blätter vermitteln einerseits einen definitiven, andererseits einen sehr provisorischen Eindruck, obwohl der Titel von Bl. 1 eine Reinschrift erwarten ließe. Auf das Gedicht mit dem Incipit-Werktitel „Bambum!“ (Bl. 1) folgt jenes mit dem Incipit-Werktitel „Noch stand auf meiner Stirne nie…“ (Bl. 2). Bei letzterem handelt es sich um das spätere Gedicht A-erotisches Barmädchen, das Horváth in der Folge noch einige Male überarbeiten wird (vgl. TS7–TS11). Zuletzt sind in der vorliegenden Mappe die Gedichte Die Flitterwochen (Bl. 6) und Dienstbotenlied (Bl. 7) überliefert, die vermutlich nicht zu den Liedern zum Schlagzeug zählen. Die Typoskripte der beiden Gedichte tragen fast keine Korrekturen (vgl. L9 und L10). T2 = ÖLA 3/W 250 – BS 72 d [4], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (286 × 222 mm), Durchschlag (violett) TS7 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiss“ (Grundschicht)

Bei der vorliegenden Fassung handelt es sich um eine erste Reinschrift des zweiten Gedichts der Lieder zum Schlagzeug von TS6. Dieses entwickelt sich schließlich zum Gedicht A-erotisches Barmädchen, das in der bisherigen Editionspraxis als getrennt von den Liedern zum Schlagzeug gereiht wurde, deren Teil es aber eindeutig ist. In der

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vorliegenden Fassung, die noch deutlich kürzer als die endgültige Fassung TS11 ist, setzt Horváth die Korrekturen von TS6 um bzw. arbeitet Teile ganz neu aus. Da das Typoskript keine Korrekturen aufweist, es sich also um eine Reinschrift handelt, ist davon auszugehen, dass damit ein (vorläufiger) Endzustand erreicht ist. Doch in den Fassungen TS8–TS11 wird Horváth das Gedicht noch einmal grundsätzlich überarbeiten und neu aufzäumen. Dabei entsteht auch der endgültige Titel A-erotisches Barmädchen. Das Gedicht kreist in der Fassung TS7 nur um das Ich, das sich in Vers 2 als „Blüte von Arkansas“ bezeichnet. Auch die Thematik des „sexuelle[n] Schweiss[es]“ kehrt hier wieder (vgl. TS6), wobei das lyrische Ich am Ende des Gedichts beteuert: „Noch hat mich nie betastet weder Mann noch Weib / Noch leb ich unbelastet in reiner Kitschigkeit. / Noch heit.“ T3 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 4 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), dünn, Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit Bleistift und grüner Tinte TS8 = Fassung mit Werktitel „Aerotisches Barmädchen“ (Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt trägt eine Fülle von Korrekturen und Überarbeitungsspuren, die mit Bleistift und grüner Tinte ausgeführt sind, was für zwei Überarbeitungsphasen spricht. Vermutlich liegen jedoch zwischen TS7 und TS8 einige Bearbeitungsschritte, da das Gedicht mit TS8 eine völlig neue Richtung nimmt. Es führt hier erstmals den Titel „Aerotisches Barmädchen“, den Horváth aus „Unerotisches Barmädchen“ korrigiert. Schon der Einstieg des Gedichts ist verändert. Die „Blüte von Arkansas“ findet sich nicht mehr am Beginn des Gedichts, der gänzlich überarbeitet wurde und hier lautet: „Rings von den Stirnen tröpfelt vornehmlich sexueller Schweiss“. Der Fokus schwenkt also vom a-erotischen Barmädchen zu einer panoramatischen Gesamtaufnahme der Bar, in der es hoch her geht. Da fließt nicht nur „sexueller Schweiss“, sondern da heißt es auch: „Man trinkt Whisky, Cognak und Wein / Und wahrlich: die Ly ist ein Schwein“. Außerdem fallen hier erstmals die Begriffe „läufiges Huhn“, „Lues“ und der Einwurf „Kusch!“ Auch der Schluss verweist schon auf die folgenden Fassungen. Hier notiert Horváth erstmals „Ich werde nicht sentimental! / Nur radikal! Nur radikal!“, was bis in die endgültige Fassung des Gedichts (TS11) erhalten bleibt. Das Wort „radikal“ findet sich wiederholt bei Horváth. Wenn sich Anna, Sladeks Zimmerwirtin, „bemacht“, als sie erstochen wird, kommentiert das Sladek mit „Radikal.“ (WA 2/Sladek/SB Volksbühne 1929, S. 39). Und im Volksstück Italienische Nacht legt Martin ein revolutionäres Bekenntnis ab, wenn er sagt: „[D]erartige italienische Nächte gehören gesprengt! Radikal, radikal!“ (WA 2/Italienische Nacht/Horváth 1931, S. 72) T4 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 5 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), Durchschlag (violett), dünn, hs. Eintragungen mit Bleistift TS9 = Fassung mit Werktitel „Aerotisches Barmädchen“ (Grundschicht)

Das Gedicht führt in TS9 neuerlich den Titel Aerotisches Barmädchen, der indes bereits in E1 angelegt war, aber erst in TS8 verwendet wurde. Horváth notiert als handschriftlichen Zusatz dazu zuerst „Bekenntnisse eines“, streicht diesen Eintrag jedoch wieder. Die Verse des Beginns nehmen größtenteils jene von TS8 wieder auf. Doch neben der Grundschicht, die im Wesentlichen TS8 und den dort vorgenommenen Korrekturen

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entspricht, finden sich eine Fülle von Korrekturen und Ergänzungen, die jedoch größtenteils in weiterer Folge nicht wiederaufgenommen werden. Die Fassung TS9 wird aufgrund der Komplexität und Unauflösbarkeit der vielen Korrekturen in der Grundschicht transkribiert. T5 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 3 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), dünn, Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit Bleistift TS10 = Fassung mit Werktitel „A-erotisches Barmädchen“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 686; KW 11, S. 20.

Mit TS10 liegt bereits eine beinahe Reinschrift des Gedichts A-erotisches Barmädchen vor. Der Beginn nimmt die Änderungen der vorhergehenden Fassungen auf, der Wein ist hier schon ersetzt durch „Sekt“, der auf „bedreckt“ reimt. Statt von Ly ist hier von Ria, Schulze, Lu und von Annette die Rede, die ihrem Kavalier ins Knie beißt. Die Begriffe „läufiges Huhn“, „Lues“ und „Kusch!“ kehren hier wieder. Und auch der Schluss, der bereits in TS8 ausgearbeitet und in TS9 reingeschrieben wurde, wird in TS10 übernommen. T6 = ÖLA 3/W 247 – BS 72 d [2], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (290 × 220 mm), hs. Eintragungen mit Bleistift TS11 = Fassung mit Werktitel „A-erotisches Barmädchen“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 11, S. 20.

T7 = ÖLA 3/W 247 – BS 72 d [2], Bl. 2, 3 2 Blatt unliniertes Papier (290 × 220 mm), Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit Bleistift

Bei den drei Blättern der Mappe ÖLA 3/W 247 handelt es sich um eine Reinschrift und zwei identische Durchschläge der Letztfassung des Gedichts A-erotisches Barmädchen, das als Teil der Lieder zum Schlagzeug anzusehen ist (vgl. E1 und den Kommentar dazu). Auf allen drei Blättern ergänzt Horváth den Akzent auf seinem Namen. Darüber hinaus gibt es keine handschriftlichen Eingriffe. Die endgültige Fassung des Gedichts weist nur noch geringfügige Änderungen gegenüber TS10 auf. So wird Schulze durch Emil ersetzt, statt Annette schreibt Horváth Lyette, was an die frühere Ly (vgl. TS8 und TS9) erinnert. Außerdem wird „Draussen“ durch „Am Klo“ ersetzt. Die Letztfassung des Gedichts A-erotisches Barmädchen ist durchgängig und größtenteils paarförmig gereimt, nur am Beginn reimen drei Verse. Insgesamt umfasst das Gedicht 17 Verse.

L8: Litanei der frommen spanisch Feuer Leut T1 = ÖLA 3/W 249 – BS 72 e, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (282 × 222 mm), Durchschlag (violett) TS1 = Fassung mit Werktitel „Litanei der frommen spanisch Feuer Leut“ (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 684; KW, S. 15.

Das Gedicht Litanei der frommen spanisch Feuer Leut ist als Typoskript aus der Hand des Autors überliefert. Aufgrund inhaltlicher und formaler Elemente ist eine Entste-

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hung Mitte der 1920er-Jahre wahrscheinlich. Mit der „Seuche“, von der im kurzen Einleitungstext die Rede ist, ist die Syphilis gemeint. Formal handelt es sich bei den drei Strophen des Gedichts um Sextinen (Sechszeiler), von denen jeweils die ersten vier Verse reimen und die letzten beiden. Das Gedicht ist von (expressionistischer) Drastik gekennzeichnet.

L9: Die Flitterwochen T1 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 6 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit grüner Tinte TS1 = Fassung mit Werktitel „Die Flitterwochen“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 685; KW 11, S. 17.

Das Gedicht Die Flitterwochen könnte in Murnau entstanden sein, da in ihm vom „Lizulein“ die Rede ist, was der Kosenamen von Felizia Seyd war, den Horváth auch in der Poesiealbum-Fassung der Sportmärchen (1923/24; vgl. WA 13/Sportmärchen/TS15) in der Widmung verwendet. Auch das vorliegende Gedicht ist gewissermaßen Lizzie Seyd gewidmet, hat sie sich doch sogar in den Text als „Lizulein“ eingeschrieben. Der Zwölfzeiler, dessen Verse paarförmig gereimt sind, kreist um die Liebe und schildert ein perfektes Liebesglück. Allerdings setzt Horváth auch hier wieder eine ironische Pointe an den Schluss, in dem von der „Lilie“, der „Zeitschrift für Haus und Familie“, die Rede ist, die ein solches Liebesglück beschreibe. Das Gedicht spart also nicht mit Mehrdeutigkeit und Uneindeutigkeit. So einfach ist die Liebe nicht zu haben, auch wenn sie vollkommen erscheint. Das Gedicht hätte vermutlich zunächst einen Titel mit dem Adjektiv „Romantische“ tragen sollen, wie Horváth am Kopf des Blattes tippt, was er aber bereits in der Grundschicht wieder streicht.

L10: Dienstbotenlied T1 = ÖLA 3/W 248 – BS 72 d [3], Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (282 × 220 mm), Durchschlag (violett) TS1 = Fassung mit Werktitel „Dienstbotenlied“, konstituiert durch Bl. 1 (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 684f.; KW 11, S. 16.

T2 = ÖLA 3/W 246 – BS 72 d [2], Bl. 7 1 Blatt unliniertes Papier (282 × 220 mm), Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit Bleistift TS2 = Fassung mit Werktitel „Dienstbotenlied“ (Korrekturschicht)

Das Dienstbotenlied ist in zwei identischen Durchschlägen aus der Hand Horváths (T1) und einer Korrekturfassung (T2) überliefert, deren Grundlage wahrscheinlich das Positiv der Durchschläge von T1 darstellt. Das Gedicht besteht aus fünf vierzeiligen Strophen (Quartetten), die teilweise kreuzförmig gereimt sind, teilweise reimen nur der 2. und der 4. Vers, teilweise handelt es sich dabei um unreine Reime. Der losen Form entspricht die Kalamität des Inhalts. Ein Dienstbote spricht in dem Text über sein Los, vermutlich ist es ein Dienstmädchen, da in Vers 13 vom „Geliebte[n]“ die Rede ist. Der Text, der auch nicht mit Expressivität spart – „Und bin doch ein fleißiger Hund“ –, endet, wie schon L9, mit einer Pointe: Im Schlaf heben sich die Hierar-

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Lyrik

chien zwischen Dienstpersonal und Herren auf: alle träumen da „um die Wette“. Die Entstehung des Gedichtes dürfte auf Mitte oder Ende der 1920er-Jahre zu datieren sein. Die Korrekturfassung TS2, deren Grundschicht TS1 bildet, ist als später zu betrachten. Sie trägt den alternativen Werktitel „Der politische Lustmord“. Der Eintrag „Meine Herrin ist ‘ne Dame“ neben der vierten Strophe könnte andeuten, dass Horváth hier eine weitere Strophe über die Herrin einfügen wollte. Beide Korrekturen wurden in der Transkription nicht realisiert, da ihr Status fraglich ist, und als gestrichen ausgewiesen.

L11: „Muatterl schaug beim Fenster naus“ H1 = ÖLA 3/W 365 – BS 33 [1], Bl. 5v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 5 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (150 × 87 mm), roter Blattschnitt, schwarze Tinte TS1 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Muatterl schaug beim Fenster naus“ (Grundschicht)

Das Gedicht mit dem Incipit-Werktitel „Muatterl schaug beim Fenster naus“ ist im Notizbuch Nr. 5 eingetragen, das Horváth zwischen September und November 1931 verwendet hat. Dieses enthält vor allem Entwürfe, die in Zusammenhang mit der Uraufführung von Geschichten aus dem Wiener Wald stehen, die am 2. November 1931 im Deutschen Theater Berlin unter der Regie von Heinz Hilpert stattfand. Das Gedicht, das bisher unveröffentlicht ist, hat eine deutliche antifaschistische Schlagrichtung. Es thematisiert das Erstarken des Hitler-Nationalsozialismus und warnt vor dessen weiterer Ausbreitung. Es steht damit in deutlichem Zusammenhang zu antifaschistischen Äußerungen in den Volksstücken Italienische Nacht, Geschichten aus dem Wiener Wald (beide 1931) und Kasimir und Karoline (1932). Damit ist das Gedicht ein weiterer Beleg für Horváths frühe antifaschistische Haltung, die ihm die Gegnerschaft völkischer bzw. rechtskonservativer Kritiker wie Rainer Schlösser und Paul Fechter einbrachte (vgl. WA 2, S. 224 und WA 3, S. 32).

L12: „Und die Leute werden sagen“ T1 = ÖLA 3/W 251 – BS 72 f, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (269 × 212 mm), dünn TS1 = Fassung mit Incipit-Werktitel „Und die Leute werden sagen“ (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 688; KW 11, S. 21.

Das vorliegende Gedicht fand sich in den Manteltaschen des verunglückten Ödön von Horváth am 1. Juni 1938 in Paris, vermutlich auf eine leere Zigarettenpackung notiert (vgl. KW 11, S. 263). Es handelt sich also gewissermaßen um das literarische Vermächtnis des Autors. Das Gedicht ist nicht im Original überliefert, sondern nur in einer Abschrift, die wahrscheinlich von der Autorin und Freundin des Autors Hertha Pauli stammt. Das Gedicht stellt eine antithetische Behauptung auf, nämlich, dass es das Echte und das Falsche gebe, wobei das Falsche in der zeitgenössischen Gegenwart „regier[e]“, während das Echte „krepier[e]“. Die Hoffnung des lyrischen Ich besteht jedoch darin, dass das Echte sich irgendwann durchsetzen werde. Mit diesem „Prinzip

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Hoffnung“ (Ernst Bloch), das auch die späten Texte Horváths kennzeichnet – man denke etwa an Ein Sklavenball / Pompeji, Jugend ohne Gott (alle 1937), Ein Kind unserer Zeit und an das Fragment Adieu, Europa! (beide 1938) –, starb der Autor.

Rundfunk und Film RF1: Eines jungen Mannes Tag 1930 Das Hörspiel-Projekt Eines jungen Mannes Tag 1930 ist wahrscheinlich im Herbst 1929 entstanden. Dies lassen vor allem Entwürfe vermuten, die sich im Notizbuch Nr. 7 befinden (E16–E18), das Horváth von September bis November 1929 verwendete, und die vermutlich erst am Ende der Werkgenese zu situieren sind. H1 = ÖLA 3/W 254 – BS 63 b, Bl. 3v 1 Blatt kariertes Papier (329 × 209 mm), schwarzblaue Tinte E1 = Strukturplan in 5 Teilen mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Hörspiel von Ödön Horváth“ (links oben) E2 = Figurenliste (rechts oben)

Das vorliegende Blatt dürfte das erste zu dem Hörspiel-Projekt Eines jungen Mannes Tag 1930 sein. Horváth skizziert darin zunächst eine Art Strukturplan in fünf Teilen unter dem genannten Titel, den er mit der Gattungsbezeichnung „Hörspiel“ versieht. Von Anfang ist also für den Autor klar, dass er ein Hörspiel schreiben möchte. Die fünf Teile von E1 lauten: „Mit dem Hute in der Hand“, „Ehrlich währt am längsten!“, „Man hat jetzt Löwen“, „Stunde der Liebe“ und „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft!“. Dieser Strukturplan ließe aufgrund seiner fünf Teile vermuten, dass die beiden Hörspielprojekte Stunde der Liebe und Eines jungen Mannes Tag 1930 zusammengehören. In Wirklichkeit wurde jedoch das Werkprojekt Stunde der Liebe schließlich aus dem vorliegenden Hörspielprojekt ausgegliedert. Die Figurenliste E2 nennt nur Peter, dessen Familienname Kranzler hier noch gestrichen ist, später aber wieder gültig wird, und Alfred. H2 = ÖLA 3/W 255 – BS 63 c, Bl. 6 1 Blatt kariertes Papier (259 × 208 mm), schwarzblaue Tinte E3 = Strukturplan in 5 Teilen mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Hörspiel“ (links oben) E4 = Figurenliste (links mittig) E5 = Figurenliste (rechts oben) E6 = Figurenliste (rechts mittig)

Die auf dem vorliegenden Blatt verzeichneten Entwürfe schließen an E1 und E2 an, weshalb sie diesen unmittelbar nachgereiht wurden. Die fünf Teile des Strukturplans sind gegenüber E1 etwas modifiziert, vor allem wurde auch ihre Reihenfolge verändert. Sie lauten: „Mit dem Hute in der Hand“, „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft“, „Man hat jetzt Löwen“, „Du sollst nicht stehlen!“ und „Stunde der Liebe“. Der Teil „Du sollst nicht stehlen!“ ist neu, „Stunde der Liebe“ ist jetzt an den Schluss gerückt. Die Aufzählung der Teile ist wieder, wie in E1, mit dem Titel „Inhalt“ versehen. Darunter und daneben skizziert Horváth drei Figurenlisten, die alle im Wesentlichen

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dieselben Figuren enthalten: Peter, Kommerzienrat, Alfred, Generaldirektor, Anna, Lindt und – in E4 und E6 – jeweils zwei Sprecher. H3 = ÖLA 3/W 254 – BS 63 b, Bl. 1 1 Blatt kariertes Papier (329 × 209 mm), schwarzblaue Tinte, roter Buntstift E7 = Strukturplan in 5 Szenen mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Fünf Szenen für Rundfunk“ und Dialogskizze zur ersten Szene (links oben und mittig) E8 = Strukturplan in 5 Szenen (rechts mittig) E9 = Dialogskizze mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Fünf Szenen für Rundfunk“ (unten)

In den vorliegenden Entwürfen werden die Teile der Strukturpläne erstmals als „Szenen“ bezeichnet. Der Untertitel lautet jetzt nicht mehr schlicht „Hörspiel“, sondern „Fünf Szenen für Rundfunk“ (E7 und E9). Die Reihenfolge der Szenen in E7 ist folgende: „Mit dem Hute in der Hand“, „Du sollst nicht stehlen!“, „Stunde der Liebe“, „Ehrlich währt am längsten!“ und „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft“. Zur ersten Szene notiert Horváth eine kleine Dialogskizze zwischen Peter und einer Frauen-Figur namens Perzl (vgl. WA 14). Peter gibt an, man müsse „bescheiden“ sein, doch Frau Perzl widerspricht ihm und behauptet, man müsse „unverschämt“ sein, was Peter mit den Worten „Ich bin ein guter Mensch“ quittiert. In E8 werden die beiden ersten Szenen von E7 vertauscht. Die Dialogskizze E9 setzt mit den beiden Sprechern und einem Militärmarsch ein. Dann folgt ein Dialog zwischen Peter und einem gewissen Heilmann. Dieser wird abgelöst von einer Baronin. Peter heißt hier Trumpf und klagt über seine finanzielle Lage und die Schlechtigkeit der Leute: „Wenn man nichts hat, sie geben Dir nichts.“ T1 = ÖLA 3/W 254 – BS 63 b, Bl. 2, 3 2 Blatt kariertes Papier (329 × 209 mm), hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte und rotem Buntstift TS1 = fragm. Fassung (Grundschicht)

Das erste Typoskript im Material zu Ein Tag eines jungen Mannes 1930 dürfte relativ früh entstanden sein. Es enthält noch den Namen Heilmann, der zum frühesten Bestand des Werkprojekts zu zählen ist (vgl. E9). Wie in E9 äußert sich zunächst ein Sprecher, der das Publikum begrüßt und die Hauptfigur, den „sympathischen jungen Mann“ (Bl. 2) namens Peter, vorstellt. Ein Hinweis auf die Gattung Hörspiel und den Autor fehlt. Stattdessen ertönt ein Posaunenstoß und tritt ein zweiter Sprecher auf, der über die Tage der „Inflation“ spricht, die jetzt „gottlob überwunden“ seien: „Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg, es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres vollbracht.“ (Bl. 2) Auch ein Militärmarsch ist hier wieder zu hören (vgl. E9). Dann kommt es zum Dialog zwischen Peter und Heilmann. Peter erinnert Heilmann daran, dass sie sich schon kennen. Sie hätten sich nämlich bei einem Herrn Stanzer kennengelernt. Zu Peter notiert Horváth wohl in einer späteren Korrektur den Familiennamen Kohl. Heilmann ist ein Geschäftsmann, und Peter möchte, dass er ihm hilft, denn: „Ich möchte nämlich ganz gern was arbeiten, aber ich komm nicht dazu -- es ist alles so überfüllt, das ist halt diese fürchterliche Zeit --“ (Bl. 2). Als Peter Heilmann dann um Geld bittet, lehnt dieser ab. Peter ist frustriert und äußert am Schluss: „So sind die Leut! Solang es einem noch einigermassen gut geht, sehen sie Dich lieb an. Da fahren sie mit den Autos vorbei und winken he-

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raus. Aber wenn Du nichts hast, ist es aus mit ihnen. Es ist direkt, als gäbs keine reichen Leut mehr --“ (Bl. 3). Die Fassung wird in der Grundschicht transkribiert, da die handschriftlichen Korrekturen vermutlich später entstanden sind, darunter auch der handschriftlich hinzugefügte Satz „Und heut ist wieder ein Tag“ am Ende des Typoskripts. H4 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 5 1 Blatt kariertes Papier (328 × 210 mm), schwarzblaue Tinte, roter Buntstift E10 = Strukturplan in 5 Szenen mit Notizen und einer Replik (oben) TS2 = fragm. Fassung der ersten Szene mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Fünf Szenen für Rundfunk“ (unten; Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt führt die Strukturpläne der vorhergehenden Blätter weiter. In E10 lauten die fünf Szenen: „Mit dem Hute in der Hand“ (nachträglich gestrichen), „Ehrlich währt am längsten!“, „Stunde der Liebe“, „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft!“ und „Das Leben ein Traum?“. Mit dem letzten Titel, der neu ist, schließt Horváth an Calderón bzw. Grillparzer an. Zur ersten Szene notiert Horváth, dass Peter auf der Suche nach Arbeit sei, aber keine finde. Er sucht um Unterstützung an und trifft schließlich Alfred. In der zweiten Szene geht es um den Löwen, der in einem früheren Strukturplan schon durch den Titel „Man hat jetzt Löwen“ präsent war (vgl. E3). Alfred rät ihm, er solle sich als Besitzer des Löwen ausgeben, und er selbst wäre der Agent, der den Löwen verkaufe. In TS2 arbeitet Horváth die erste Szene aus und notiert dazu die folgenden Figuren: Peter, Alfred, Kommerzienrat, Baronin und Chor. Tatsächlich kommen in der Szene jedoch nur Peter und eine bzw. mehrere Stimmen vor. Die fragmentarische Fassung, die den Titel „Eines jungen Mannes Tag 1930 / Fünf Szenen für Rundfunk“ trägt, beginnt mit dem Bildtitel der ersten Szene: „Arbeiten und nicht verzweifeln!“. Zuvor hatte Horváth noch notiert: „Mit dem Hute in der Hand –“, diesen Bildtitel aber durch ersteren ersetzt. Alfred ist auf der Suche nach Arbeit, wie es in E10 vorgesehen war. Er trifft auf eine Stimme, die ihm jedoch sagt, dass wegen „Abbau[s] geschlossen“ sei. Auf die Frage nach seinem Beruf, bekennt er, dass er Buchhalter sei, worauf sich die Stimme über ihn lustig macht und meint, er sei heute schon der 17. Buchhalter. Zuletzt hadert Peter mit seinem Schicksal, denn er möchte arbeiten, findet aber keine Stelle: „Arbeiten ist gut und nicht verzweifeln ist noch besser.“ Nach der Ausführung dieser ersten, wahrscheinlich noch fragmentarischen Szene bricht die Textstufe ab. H5 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 7 1 Blatt kariertes Papier (328 × 210 mm), schwarzblaue Tinte TS3 = fragm. Fassung der ersten Szene (oben; Korrekturschicht) E11 = Figurenliste mit Werktitel „Das Leben ein Traum“ (mittig links) E12 = Strukturplan in 5 Szenen mit Notizen (unten links) E13 = Strukturplan in 3 Szenen mit Werktitel „Ein Tag eines jungen Mannes 1930“ und Notizen (unten rechts)

Das vorliegende Blatt setzt mit einer Textstufe ein, in der Horváth ein Gespräch zwischen der Perzl und Kranzler ausarbeitet, und zwar, wie eine Notiz besagt, „über den Traum“. Wie die ersten beiden Repliken zeigen, hat Kranzler etwas Schlechtes geträumt, das die Perzl so deutet, dass er Glück haben werde. Kranzler zweifelt aber da-

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ran, dass er Glück haben könnte, denn: „Ich geh jeden Tag ins Büro und hab keine Möglichkeit zur Entwicklung“. Perzl meint darauf, er könnte ja auch seine Stelle verlieren, was Kranzler als „Unglück“ kategorisiert. Ein Glück wäre jedoch, wenn er Generaldirektor würde, meint er. Worauf ihn die Perzl als „Materialist“ bezeichnet. Er verteidigt sich damit, dass alle „materialistisch“ seien. Die Perzl beteuert jedoch, dass sie das nicht sei. Damit bricht die Textstufe ab. Eine römische II darunter lässt erkennen, dass die erste Szene vollständig ausgearbeitet wurde und danach bereits die zweite kommen sollte. Auf der unteren Seite des Blattes notiert Horváth jedoch drei Entwürfe, die die erste Ausarbeitung von TS2 wieder obsolet machen. Die Figurenliste E11 mit dem Werktitel „Das Leben ein Traum“ etwa sieht keine Frau Perzl mehr vor, sondern folgende Figuren: Kranzler, der grosse Bruder, die Braut und der Doktor. Der Strukturplan E12 nennt die Szenen: „Morgenstund hat Gold im Mund“ (in TS2 in der Grundschicht schon notiert), „Du sollst nicht stehlen!“, „Ehrlich währt am längsten“, „Stunde der Liebe“ und „Das Leben ein Traum“. Folgt man diesem Strukturplan, so ist mit „Das Leben ein Traum“ nur ein Szenentitel, kein Werktitel gemeint, wie es in E11 schien. Die Notizen von E12 lassen folgenden Handlungsverlauf erkennen: Alfred soll „Überstunden“ machen, dann im „Konkurrenzkampf“ zurückgedrängt werden oder selbst zurückdrängen, dann folgt der „Bruch mit der Geliebten“ und zuletzt der „Selbstmord“. Erstmals wird damit die tragische Ausrichtung des Werkprojekts wirklich deutlich. In E13 notiert Horváth noch einmal drei der fünf Szenentitel: „Morgenstund hat Gold im Mund“, „Du sollst nicht stehlen!“ und „Ehrlich währt am längsten“. Der Autor verwendet also, wie in E12 und früheren Entwürfen schon angedeutet, nur Redewendungen und eines der zehn Gebote als Szenentitel. Die Notizen sehen für die erste Szene doch wieder die Perzl vor (vgl. TS3). Die zweite Szene soll Kranzler im Büro zeigen. Er macht dort Überstunden, wird aber um die zusätzliche Entlohnung geprellt. Zuletzt notiert Horváth hierzu eine „diebische Stenotypistin“. Zur dritten Szene hält der Autor neuerlich die Notiz „Zurückdrängen im Konkurrenzkampf“ fest. H6 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 8 1 Blatt kariertes Papier (328 × 210 mm), schwarzblaue Tinte, roter Buntstift E14 = fragm. Strukturplan in 5 Bildern mit Dialogskizze zum 5. Bild (oben)

Das vorliegende Blatt entspricht materiell den vorhergehenden, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass darin die zuvor gereihten Entwürfe fortgesetzt werden. Horváth notiert darauf den Strukturplan E14, der eine Dialogskizze zum fünften Bild umfasst. Erstmals verwendet Horváth dabei den Begriff „Bild“ statt „Szene“ wie zuvor. Die fünf Bilder lauten: „Mit dem Hute in der Hand“, „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft“, „Stunde der Liebe“, „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft! (Ehrlich währt am längsten!)“ und „Das Leben ist kein Traum!“. Damit sind bereits bekannte Titel wiederaufgenommen. Zum fünften Bild arbeitet Horváth neuerlich (vgl. TS2) einen Dialog zwischen Peter und mehreren Stimmen aus. Diese Stimmen sagen ihm, er solle sich ihnen anschließen, denn es fehle ihm eine „Kleinigkeit“, die „Solidarität“ (vgl. dazu WA 14, S. 852). Außerdem nehmen sie den Titel – der sich von den bisherigen markant abhebt – wieder auf, wenn sie sagen: „Das Leben ist kein Traum! Du musst nur wollen!“ Da Horváth die Szene unten mit einem Strukturzeichen markiert, ist davon auszugehen, dass er sie als vollständig ausgearbeitet betrachtete.

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H7 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 9 1 Blatt kariertes Papier (328 × 210 mm), schwarzblaue Tinte E15 = Strukturplan in 5 Szenen mit Werktitel „Ein Tag eines jungen Mannes 1930“ (links oben) TS4 = fragm. Fassung (rechts und links unten; Korrekturschicht)

Der Strukturplan E15 enthält bekannte Szenentitel: „Mit dem Hute in der Hand“, „Wer kein Geld hat, ist ein Schuft!“, „Stunde der Liebe“, „Ehrlich währt am längsten“ und „Das Leben ist kein Traum!“. Die Fassung TS4 enthält an Figuren: Peter, Alfred, Anna und Stimmen. Zunächst trifft Peter, der auf Arbeitssuche ist, auf Alfred, der ihn desillusioniert: „Die Welt ist hart – und wer kein Geld hat ist ein Schuft!“ Nach dieser Bekehrung behauptet Alfred, dass Peter jetzt „ein neuer Mensch“ sei und er sich einen „neuen Hut“ kaufen solle. Dieses inhaltliche Element erklärt den bisherigen Szenentitel „Mit dem Hute in der Hand“. Peter beschließt, zu Anna, seiner Frau, von der er getrennt lebt, zu gehen. Sie ist „Sekretärin bei Lindt“. Er erklärt ihr, dass er jetzt Geld habe und mit ihr „gross“ ausgehen wolle. Doch dann gesteht er ihr, dass er das Geld nicht „ehrlich“ verdient habe und so nicht weitermachen könne. Auf seine Frage, ob sie auch in der Armut zusammenblieben, reagiert sie ungehalten: „Das ist eine Rücksichtslosigkeit und eine Gefühlsroheit.“ Sie geht ab und lässt den völlig verzweifelten Peter zurück, der sich in der Folge erschießen will, sich aber nicht trifft. Da tauchen mehrere Stimmen auf, die ihm sagen, dass das „Quatsch“ sei und dass er „Blödsinn“ rede. An dieser Stelle bricht die Fassung unvollendet ab. H8 = ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 35v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 6 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (169 × 109 mm), Bleistift E16 = Notizen mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag“ (oben) E17 = Notizen (unten)

H9 = ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 36 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 6 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (169 × 109 mm), Bleistift E18 = Strukturplan in sieben Szenen mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag / Hörspiel“

Die Entwürfe zum Hörspiel Eines jungen Mannes Tag, die sich im Notizbuch Nr. 6 befinden, dürften zu den spätesten Ausarbeitungen zu dem Werkprojekt gehören und sind auf etwa November 1929 zu datieren. Darauf lässt vor allem die Tatsache schließen, dass der in E18 skizzierte Tagesablauf in weiten Teilen TS5 entspricht. In E16 und E17 fertigt Horváth Notizen zu einer Sprecherfigur, die das Publikum begrüßt und in das Hörspiel einführt. Singulär bleibt die Idee, die in E16 notiert ist, dass der junge Mann in „drei Abteilungen“ „zerfällt“, wovon nur zwei festgehalten sind: „Stadt“ und „Land“. Dazu vermerkt Horváth die Gegensatzpaare: „reich“ und „arm“ bzw. „Bauer“ und „Knecht“ bzw. „Arbeiter“ und „Angestellter“. Wie diese genau gemeint sind, ist nicht klar. Vielleicht wollte Horváth hier mehrere junge Männer zeigen oder aber der titelgebende junge Mann sollte verschiedene Stationen durchlaufen; eine Idee, die durch E18 wieder aufgehoben wird.

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H10 = ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 37v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 6 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (169 × 109 mm), Bleistift E19 = Figurenliste mit Werktitel „Ein Tag eines Mannes / Hörspiel“ und Notizen (unten) Druck in: WA 14/K3/E35, S. 366f.

In E19 notiert Horváth den Titel „Ein Tag eines Mannes“ und die Gattungsbezeichnung „Hörspiel“. Darunter skizziert er eine Figurenliste, die folgende Figuren umfasst: der Sprecher, Herr Reithofer, die Zimmervermieterin, der Hausherr, der Cheff, der Kollege, die Kollegin. Die Hauptfigur heißt hier also Reithofer, einer von Horváths Lieblingsnamen (vgl. WA 2/Italienische Nacht, WA 14 und in diesem Band RF2 und R). Daneben trägt er eine Reihe von Notizen ein: Demnach sollen auf einer „Strasse“ zwei Figuren zusammentreffen: ein Polizist und ein Chauffeur; in einem „Wäschegeschäft“ soll es um einen „reine[n] Kragen“ gehen; und zuletzt notiert Horváth „Mädchen. (Der Tanz)“. Damit sind Elemente von E18 wiederaufgenommen und weiterentwickelt. H11 = ÖLA 3/W 363 – o. BS, Bl. 38–40 3 Blatt des Notizbuchs Nr. 6 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, kariertes Papier (169 × 109 mm), schwarzblaue Tinte TS5 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Die Fassung TS5 ist ebenfalls im Notizbuch Nr. 6 eingetragen (vgl. E16–E19). Zunächst notiert Horváth die Figurennamen Reithofer (vgl. den Kommentar zu E19) und Strasser. Letzterer spielt in Zur schönen Aussicht eine zentrale Rolle (vgl. WA 1). Horváth streicht diese Figurennamen jedoch wieder, um TS5 einzutragen. Darin meldet sich zunächst ein Sprecher zu Wort und rekurriert auf die moderne Erfindung des Rundfunks. Außerdem kündigt er an, dass er „den Tag eines Mannes“ wiedergeben will, „der in der Stadt in einem Büro sitzt“ (Bl. 38). Dann meldet sich das Publikum zu Wort, das den Namen des Mannes erfahren will. Er heißt „Ludwig Strasser“ (Bl. 39). Erst auf dem dritten Blatt kommt er selbst zu Wort. Er gibt an, am „7. August 1900“ (Bl. 40) geboren zu sein. Schließlich schildert er seine Morgenrituale. Nach dem Anziehen bricht die Fassung TS5 ab. Teile davon wandern in TS6 weiter, in der die Hauptfigur jedoch Kranzler heißt. H12 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 12, 13 2 Blatt unliniertes Papier (283 × 222 mm), eingerissen, schwarzblaue Tinte, roter Buntstift, Paginierung 1 und 7 bzw. 9 TS6 = fragm. Fassung mit Werktitel „Hörspiel“ (Korrekturschicht: schwarzblaue Tinte)

Die vorliegenden beiden Blätter sind vermutlich Reste einer Gesamtfassung des „Hörspiels“, das bis dato den Titel Eines jungen Mannes Tag 1930 trug, der in der Grundschicht von TS6 erwähnt wird. Dass es sich um eine längere Textstufe gehandelt haben könnte, darauf lassen die mit rotem Buntstift notierten Paginae 1 und 9 schließen. Warum Horváth den Titel unterdrückt, darüber kann nur spekuliert werden. Möglicherweise deutet sich darin bereits der Übergang zu dem Hörspiel Stunde der Liebe an. Aussagekräftig ist der ebenfalls gestrichene Titel „Herr Kranzler nimmt alles zu schwer“, der die bereits in anderen Entwürfen und Textstufen vorkommenden Selbstmordabsichten Kranzlers plausibler macht. Zunächst äußert sich ein Sprecher, der das Publikum begrüßt und davon spricht, dass nun die Sendung eines Hör-

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spiels von Ödön Horváth folgt, der einen Herrn Kranzler durch seinen Tag begleitet habe. Kranzler arbeite in einem Büro und stehe an jedem Werktag um sieben Uhr auf, denn um acht beginne sein Arbeitstag. In der Folge läutet der Wecker, und Kranzler erwacht, gähnt, streckt sich und wäscht sich. Dann wundert er sich, wieso sein Kaffee noch nicht da ist, und ruft nach der Frau Perzl, die offensichtlich seine Hausmeisterin ist. Diese bringt den Kaffee und will mit ihm über den Reichskanzler sprechen, was er aber rüde zurückweist: „Mit Ihnen red ich schon garnicht über Politik.“ Die Szene findet sich in ähnlicher Form im Roman Der ewige Spießer (vgl. WA 14). Bl. 13 war zuerst das Blatt mit der Pagina 7, in der Korrektur erhält es jedoch die Pagina 9. Dementsprechend fehlen zwischen dem Beginn des Hörspiels und diesem Blatt sieben Blätter. Sie sind vermutlich verloren gegangen. Auf Bl. 13 folgt ein Dialog zwischen Kranzler und einem Fräulein. Die beiden beschließen, tanzen zu gehen. Hier soll auch eine „Unterhaltung über Sport“ stattfinden, und das Fräulein spricht auch davon, dass man sie zum Autofahren eingeladen hat. Ob sich das auf Kranzler bezieht oder auf einen Konkurrenten, ist unklar. Im Tanzpalast kommt es dann jedenfalls zu einer Eifersuchtsszene, weshalb Kranzler gehen will, doch der Sprecher hält ihn auf und fordert ihn auf, es „nicht so tragisch“ zu nehmen. Der Sprecher erklärt auch, dass er der Sprecher der „deutschen Stunde in Bayern“ sei, worauf ihn Kranzler bittet, einen Walzer zu spielen. Links unten auf Bl. 13 ist noch ein kurzer Dialog zwischen Kranzler und dem Fräulein notiert, dessen Positionierung innerhalb der Fassung nicht ganz klar ist. Jedenfalls scheint er am „Schluss“ zu stehen. Vermutlich dürfte Kranzler geblieben sind und sich mit dem Fräulein wieder ausgesöhnt haben, denn die beiden sollen gemeinsam den „Schluss“ bilden. Kranzler meint, er habe gestern gelesen, dass sie keine Seele hätten (vgl. in diesem Band TH5 und TH6). Darauf reagiert das Fräulein pragmatisch mit: „Komm! Red doch nicht so dummes Zeug –“. Damit endet die Fassung TS6. H13 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 10 1 Blatt kariertes Papier (328 × 210 mm), schwarzblaue Tinte E20 = Konfigurationspläne mit Werktitel „Ein Tag eines jungen Mannes 1930“ TS7 = fragm. Fassung (unten; Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt markiert eine teilweise Neuorientierung innerhalb der Werkgenese von Ein Tag eines jungen Mannes 1930. Der in TS1 in der Korrekturschicht schon hinzugefügte Name Kohl wird hier zum Namen der Hauptfigur (vgl. auch TS8). Sie trägt auch keinen Vornamen mehr (vgl. anders TS8). In E20 vermerkt Horváth eine Reihe von Konfigurationsplänen, die allesamt Kohl mit unterschiedlichen Figuren umfassen, darunter ein Kommerzienrat, Alfred, ein Generaldirektor, Lindt und Anna (vgl. E4–E6). Darunter notiert Horváth die Fassung TS7, die Kohl und Alfred in einem Dialog zeigt. Die erste Replik Kohls, die er eigentlich an sich selbst richtet, dann aber von Alfred überhört wird, verknüpft eine Reihe von Redewendungen, die bisher bereits als Szenen- oder Bildtitel aufgetaucht sind. Kohl meint hier: „Meine Mutter hat immer gesagt: ehrlich währt am längsten. Und mit dem Hute in der Hand, kommst Du durchs ganze Land – – aber es heisst: wer kein Geld hat, ist ein Schuft!“ Alfred kommentiert dies mit den Worten: „Sehr richtig!“ Dann erklärt er Kohl, er solle sich nicht so viel mit sich selbst beschäftigen und schlägt ihm ein Geschäft vor. Er müsse eine Stunde lang nur ja sagen, dann könne er 100 Mark verdienen. Es gehe um einen Generaldirektor, der für seine Kinder einen Tierpark einrichten wolle, wofür er einen

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Löwen brauche. Auch dieses Motiv ist in früheren Strukturplänen als Szenentitel schon vorgesehen. Auf Kohls Frage, ob Alfred einen Löwen habe, erwidert der, dass er natürlich keinen habe. Damit endet die Fassung TS7. T2 = ÖLA 3/W 256 – BS 63 d, Bl. 11 1 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), eingerissen, Wasserzeichen „Papyrus Rex M.K. Papier“, Paginierung 1 TS8 = fragm. Fassung (Grundschicht)

Mit der Fassung TS8 setzt Horváth die Idee, die Hauptfigur Kohl zu nennen, die sich schon in E20 und TS7 findet, in einem Typoskript um. Dabei gibt er ihr zusätzlich den Vornamen Max, während die Hauptfigur in früheren Entwürfen noch Peter geheißen hatte. Die Fassung beginnt, wie schon in früheren Textstufen, mit den beiden Sprechern, die das Publikum begrüßen. Ein Hinweis auf das Medium und den Autor, wie er in TS6 vorkommt, fehlt in TS8. Stattdessen sprechen die beiden Sprecher von der Zeit, in der die Handlung spielt. Es ist die Zeit nach der Inflation, die nun „gottlob überwunden“ sei. Ähnlich wie in dem autobiographischen Text Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München... (AU3) von 1929 formuliert Horváth in TS8 über die Hauptfigur Max Kohl, die von den Sprechern vorgestellt wird: „Sein Leben beginnt mit der Inflation.“ (vgl. auch TS1) Die Ablösung des ersten Sprechers durch den zweiten wird durch einen „(Posaunenstoss)“ markiert. Am Ende der Replik des zweiten setzt „Militärmusik“ ein und begleitet die ganze folgende Szene. In dieser treffen Max Kohl und ein Kommerzienrat aufeinander. Kohl fragt ihn, ob er sich nicht mehr an ihn erinnern könne, und dieser verneint. Kohl weist daraufhin, dass sie sich bei einem gewissen Kranzler kennengelernt haben. Damit wandert der Name Kranzler, der zuvor meist für die Hauptfigur Peter verwendet wurde, in eine Nebenfigur ab. Die Fassung TS8 bricht unmittelbar nach dieser Szene ab. Möglicherweise waren auch noch andere Blätter dieser Fassung vorhanden, die verloren gegangen sind. H14 = ÖLA 3/W 257 – BS 63 e, Bl. 14 1 Blatt unliniertes Papier (220 × 180 mm), unregelmäßig geschnitten, gerissen, schwarzblaue Tinte E21 = Replik mit Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930“ (rechts)

H14 markiert den Übergang zu dem Werkprojekt Herr Eglhuber will heiraten bzw. Stunde der Liebe (RF2/E1), zu dem sich auf dem vorliegenden Blatt ebenfalls ein Entwurf findet. In E21 notiert Horváth unter dem Werktitel „Eines jungen Mannes Tag 1930“ die Replik eines Professors, der behauptet, es werde nur noch über „Sport und Boxen“ berichtet und nichts mehr über „die geistigen Güter“. Darunter vermerkt Horváth „(Münchner N. Nachrichten)“, was ein Hinweis auf die Zeitung sein dürfte, in der der Autor darüber etwas gelesen hat (die konservativ-monarchistische Zeitung kommt auch in Materialien zum Ewigen Spießer vor, vgl. etwa WA 14, S. 734). Mit diesem Entwurf, der wahrscheinlich am Ende der Werkgenese steht, endet das Werkprojekt Eines jungen Mannes Tag 1930, das höchst fragmentarisch geblieben ist. Der Szenentitel „Stunde der Liebe“, der sich in einigen Entwürfen des Werkprojekts findet (vgl. E1, E3, E7, E8 etc.), wird in der Folge zum Titel eines eigenständigen Werkprojekts (vgl. RF2). Auch findet sich eine Fassung, die zunächst den Titel Eines jungen Mannes Tag 1930 trug, dann aber zu Eine Liebe zweier junger Leut im Jahr 1930 geändert wird, ein Titel, der schließlich in Stunde der Liebe übergehen wird.

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RF2: Stunde der Liebe Das Werkprojekt Stunde der Liebe trägt zunächst die Titel „Herr Eglhuber will heiraten“ bzw. „Herr Lederer möchte heiraten“. Dass diese in Stunde der Liebe eingehen, ist an E5 und E6 zu erkennen, in denen der Übergang stattfindet. Das Werkprojekt dürfte von Horváth im unmittelbaren Anschluss an das Hörspiel-Projekt Eines jungen Mannes Tag 1930 begonnen worden sein, also im Jahr 1930. Für die Datierung hilfreich sind auch Entwürfe, die zum genetischen Material des Volksstücks Ein Wochenendspiel / Italienische Nacht (1930/31) gehören, auf denen auch Titelnennungen wie „Liebe eines jungen Mannes im Jahr 1930“ und „Eine Liebe zweier junger Leut im Jahr 1930“ zu finden sind (vgl. WA 2/Italienische Nacht/K1/E7–E8 und RF2/E11 in diesem Band). H1 = ÖLA 3/W 257 – BS 63 e, Bl. 14 1 Blatt unliniertes Papier (220 × 180 mm), unregelmäßig geschnitten, gerissen, schwarzblaue Tinte E1 = Figurenliste mit Werktitel „Herr Eglhuber will heiraten.“ (oben)

H1 markiert den Übergang des Hörspiel-Projekts Eines jungen Mannes Tag 1930 zu dem Werkprojekt Stunde der Liebe, das hier noch unter den Titeln „Herr Eglhuber will heiraten“ bzw. „Herr Lederer möchte heiraten“ steht (vgl. auch RF1/E21). In E1 notiert Horváth zu Herrn Egelhuber drei weibliche Figuren: „die Dame“, „das berufstätige Mädchen“ und „das emporstreben wollende Mädchen“. Damit sind für Horváth charakteristische Typen genannt. H2 = ÖLA 3/W 259 – BS 63 g, Bl. 2 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), schwarzblaue Tinte E2 = Strukturplan in 2 Teilen mit Werktitel „Herr Lederer möchte heiraten“, einer Replik und einer fragm. Szenenfolge in 4 Szenen

Der vorliegende Strukturplan E2 ist in zwei Teile unterteilt. Der erste beinhaltet eine „Versammlung“, der zweite lautet: „Herr Lederer sagt, er kann nicht heiraten.“ Der Zusatz erklärt diesen Zusammenhang: „weil er nur knappe 200 Mark im Monat verdient.“ In einer Replik erklärt er, dass er schon dreimal hätte heiraten können, aber es ist nichts daraus geworden, weil er ein „Verantwortungsbewustsein“ habe. Zuletzt notiert Horváth eine Art Szenenfolge, einen Reigen von Frauenfiguren, wie sie in der Figurenliste E1 teils schon vorgesehen waren: „Die emporwollende Jo“, „Das Mädel mit der Angst vor der wahren Liebe“ und „Das Mädel, das heiraten möchte, aber es geht halt nicht.“ Von der vierten Szene notiert Horváth nur die Szenennummer, dann bricht er den Entwurf ab. H3 = ÖLA 3/W 259 – BS 63 g, Bl. 3 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), schwarzblaue Tinte E3 = Strukturplan in 2 Teilen mit Werktitel „Herr Lederer möchte heiraten“ und einer Figurenliste (oben) E4 = Figurenliste mit Werktitel „Herr Karl Lederer möchte heiraten / Ein Hörspiel“ und einer Replik (unten)

Die beiden Entwürfe E3 und E4 sind sehr aufschlussreich. In E3 notiert Horváth wie schon in E2 zwei Teile: „Versammlung“ und „Herr Lederer sagt, er könne nicht heira-

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ten“. Zum zweiten Teil vermerkt er eine Figurenliste mit dem Titel „Seine Frauen“. Die ersten drei entsprechen E2, die vierte, die Horváth noch ergänzt, ist eine „Witwe, die er durch das Zeitungsinserat kennen gelernt hat“. Wieder ist also ein Reigen an Frauenfiguren geplant, mit denen Lederer zusammentrifft. E4 enthält als einziger Entwurf dieses Werkprojekts die Gattungsbezeichnung „Ein Hörspiel“ (vgl. aber den gestrichenen Titel in E5). Außerdem ergänzt Horváth im Haupttitel „Herr Lederer möchte heiraten“ den Vornamen „Karl“. Die erste Figurenliste, die Horváth dazu notiert, enthält folgende Figuren: „Herr Karl Lederer“, „Der Präsident“, „Der Geheimrat“ und „Die alte Dame“. Diesen Eintrag streicht er jedoch wieder und notiert rechts unten eine Replik Lederers: „Sie müssen wissen, dass ich monatlich nur 200 Mark verdien, denn sonst können Sie meine Seele nicht begreifen.“ Diese Replik stellt eine leichte Adaption jener dar, die sich schon in E2 findet, in der noch vom „Verantwortungsbewustsein“ die Rede war. Die vier Frauenfiguren, die Horváth darunter in einer neuen Figurenliste bzw. einem Konfigurationsplan notiert, entsprechen im Wesentlichen E3: Jo soll nun eine „Tänzerin“ sein. Das „Mädel mit der Angst vor der wahren Liebe“ lernt Herr Lederer in einem „Tanzlokal“ kennen, das „Mädel, das wegen Geld nicht heiraten kann“, im „Büro“, die Witwe“ lernt er neuerlich durch ein „Zeitungsinserat“ kennen. Damit endet E4. H4 = ÖLA 3/W 260 – BS 63 h, Bl. 4 1 Blatt unliniertes Papier (283 × 222 mm), schwarzblaue Tinte E5 = Strukturplan in 4 Teilen mit Werktitel „Verliebte Leut im Jahre 1930.“ (links oben) TS1 = fragm. Fassung (rechts und links unten; Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt markiert den Übergang des Titels „Herr Lederer möchte heiraten“ in „Verliebte Leut im Jahre 1930“, der sich schließlich in „Stunde der Liebe“ transformieren wird. Der Strukturplan E5 umfasst vier Teile, die nach Frauenfiguren unterteilt sind: „Das Fräulein Höherhinaus“ – eine Vorläuferin der Karoline im Volksstück Kasimir und Karoline (1932) –, „Nelly“, „Frau Weiskann“ und „Anna“. Zu Frau Weiskann notiert Horváth die Replik: „Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist.“ Die ebenfalls auf dem Blatt befindliche Fassung TS1 enthält eine Anrede des Publikums durch die Hauptfigur Karl Lederer. Dieser behauptet ein „typisches Schicksal“ zu haben, und zwar im Punkt: „wie stellt sich ein junger Mann heute zur Ehe?“ Er behauptet in der Folge, „sehr positiv“ dazu zu stehen, „aber ich find trotzdem keine Frau“. Als Grund dafür führt er wieder das geringe Einkommen von 200 Mark monatlich an (vgl. E2 und E4). Die Fassung franst unten aus und wird dialogisch, so dass die involvierten Frauen zu Wort kommen sollen. Diese beschimpfen Karl Lederer als „Verbrecher“ und „geiziger Mensch“ und behaupten, er habe „keine Seele“ (vgl. E4). H5 = ÖLA 3/W 261 – BS 63 i, Bl. 5 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), schwarzblaue Tinte E6 = Strukturplan in 4 Szenen mit Werktitel „Verliebte Leut im Jahre 1930. / Hörspiel in 4 Szenen“ und einer Dialogskizze

Die Zusammengehörigkeit der Werktitel „Herr Lederer möchte heiraten“ und „Verliebte Leut im Jahre 1930“ erweist sich auch mit dem vorliegenden Blatt noch einmal. Horváth stellt nämlich den exakt E5 entsprechenden Strukturplan in E6 wieder

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unter den zuletzt genannten Titel. Außerdem ergänzt er den Untertitel „Hörspiel in 4 Szenen“, der den darunter notierten vier Abschnitten entspricht. Diese sind wieder nach den vier Frauenfiguren von E5 unterteilt. Zu Frau Weiskann notiert Horváth eine Dialogskizze zwischen Frau Weiskann und einer Stimme, die ihr einen „Brief“, einen „Liebesbrief“ übergibt. Vermutlich ist er von „ihm“, also von Herrn Lederer. H6 = ÖLA 3/W 261 – BS 63 i, Bl. 6 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), schwarzblaue Tinte E7 = gestrichener fragm. Strukturplan in 4 Szenen mit Werktitel „Verliebte Leut im Jahre 1930“ (links oben) E8 = Strukturplan in 6 Szenen mit Notizen (rechts oben) E9 = Strukturplan in 5 Szenen mit Notizen (rechts mittig) E10 = Strukturplan in 4 Szenen mit Konfigurationsplänen (mittig unten) TS2 = fragm. Fassung (unten; Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt weist einige der komplexesten Entwürfe zu dem Hörspiel-Projekt Stunde der Liebe auf, wobei diese unter dem in E7 notierten Titel „Verliebte Leut im Jahre 1930“ stehen. In E7 hält Horváth eine Reihe von Szenentiteln fest: „Herr Reithofer und das Fräulein“ (vgl. den Kommentar zu RF3/TS1), „Herr Kranzler im Büro“ und „Das Heiratsinserat“; die vierte Szene bleibt ohne Titel. Bemerkenswert ist der Rückgriff auf die Namen Reithofer und Kranzler, wobei letzterer vor allem in früheren Entwürfen vorgekommen ist. In E8 skizziert Horváth einen Strukturplan in sechs Szenen, die neue Aspekte bringen: „Bank“, „Dame mit der Rose“, „Tanzdiele“, „Büro“, „Nelly“ und „Das Ehepaar“. Zu Nelly notiert Horváth „Angst vor der Liebe“ und zum Ehepaar: „Krach und Versöhnung“. Wieder soll also ein Reigen verschiedener Figuren unter dem Aspekt der Liebe gezeigt werden. E9 sieht fünf Szenen vor: „Arbeitslos“, „Im Büro“, „Das Heiratsinserat“, „Die wirklich vornehmen Leute“ und „Im Tanzlokal“. E10 weist ähnlich gelagerte vier Szenen auf: „Arbeitslos“, „Im Büro“, „Das Heiratsinserat“ und „Die wirklich vornehmen Leute“. Zu diesen Szenentiteln notiert Horváth Figurennamen: Herr Reithofer, Herr Kranzler, Graf Blanquez und Harry. Damit scheint ersichtlich, dass Herr Reithofer die Hauptfigur ist, Herr Kranzler eine Figur im Büro; Graf Blanquez und Harry verweisen, wie Reithofer, auf das parallel entstehende Romanprojekt Herr Reithofer wird selbstlos bzw. Der ewige Spießer (vgl. WA 14). In TS2 arbeitet Horváth eine Rede des Sprechers am Beginn des Hörspiels aus: Dieser spricht davon, dass es durch „ein neues Verfahren“ möglich geworden sei, „Gespräche einzufangen, – ohne, dass es die Sprechenden merken“. Außerdem sei es eine Tatsache, „dass heute die Liebe in einer anderen Weise vor sich geht“. Zuletzt belauscht er ein Paar in der „Schellingstrasse, am Rande des englischen Gartens“. Sie fragt, was er dazu gesagt habe, und er antwortet: „Ich habe gesagt, dass das nicht weitergeht.“ Damit bricht die Fassung TS2 ab. H7 = ÖLA 3/W 2 – BS 12 c, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (222 × 142 mm), schwarze Tinte E11 = Werktitel (mittig rechts) Druck in: WA 2, S. 254f.

Auf dem vorliegenden Blatt, das auch zur Werkgenese von Ein Wochenendspiel / Italienische Nacht (1930/31) zählt, befindet sich überdies ein Entwurf zu dem Hörspielprojekt Stunde der Liebe. Horváth notiert hier den Titel „Liebe eines jungen Mannes

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im Jahre 1930“, den er wieder streicht, und zweimal den Titel „Eine Liebe zweier junger Leut im Jahre 1930“, die er stehen lässt. Dies wird auch der Titel einer ausführlichen Textstufe zu dem Hörspiel (vgl. TS3). Im Verlauf des Werkgenese geht der Titel in „Stunde der Liebe“ bzw. „Stunde der Liebe 1930“ über (vgl. TS9 und TS10). T1 = ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 1–9 9 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 1–9 TS3 = fragm. Fassung mit Werktitel „Eine Liebe zweier junger Leut im Jahre 1930“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 78–85; KW 15, S. 116–124.

Die vorliegende Fassung trug zunächst den Werktitel „Eines jungen Mannes Tag im Jahre 1930“, zu dem Horváth aber handschriftlich den in der Beschreibung genannten Titel „Eine Liebe zweier junger Leut im Jahre 1930“ notiert (vgl. auch E11). Dies zeigt, dass die beiden Werkprojekte unmittelbar ineinander übergehen. Die Fassung TS3 ist aber nur fragmentarisch ausgearbeitet. Am Ende fasert sie aus in einen Strukturplan, der weitere Szenen/Bilder andeutet, die möglicherweise früher zu situieren sind. Der Sprecher (vgl. TS2) kündigt das Hörspiel mit dem Titel „Der Tag eines jungen Mannes von 1930“ an. Zuerst werde aber noch die „Versammlung im Löwenbräukeller mit dem Thema über die Misere der heutigen Jugend“ übertragen. Auch hier fällt wieder die Bemerkung, dass die heutige Jugend „keine Seele“ habe (Bl.1; vgl. TH5/TS1, TH6/TS1, RF1/TS6 und RF2/TS1 sowie TS4). Den Vortrag hält ein gewisser Geheimrat Stanglmeier. Anschließend meldet sich eine Frau Studienrat Hintertupfer zu Wort, die dem Geheimrat recht gibt und dazu auffordert, der Jugend eine neue Seele einzuhauchen, nämlich die „unsere“ (Bl. 1). Danach äußert sich ein junger Mann namens Robert Koch, „ein Vertreter der Jugend“ und widerspricht den bisherigen Wortmeldungen, die nur „im Geiste alter Trottel geboren worden sein“ (Bl. 1f.) können. Darauf kommt es zu einem „Tumult“. Ein gewisser Alois von Stetten (vgl. zum Namen Zur schönen Aussicht, in WA 1), der sich dann zu Wort meldet, behauptet, das sei gerade wieder ein Beispiel für die „Verrohung der heutigen Jugend“ (Bl. 2) gewesen. Daraufhin wird er durch Zwischenrufe in seinen Ausführungen gestört. Von Stetten fragt sich, wie der Tag eines jungen Mannes vergehe, worauf sich Kranzler meldet, der behauptet, dass es nur noch sehr wenige „junge Männer“ gebe, die „sehr viel Geld von zuhaus“ hätten: „Die überwiegende Mehrzahl arbeitet in Büros zu einem nicht gerade hohen Lohn, sie kann sich mit diesem Lohn nichts besonderes leisten.“ (ebd.) Die Jugend, die Stanglmeier beschrieben habe, sei die reiche, bei den armen sehe es aber anders aus. Und so schildert er seinen Tag: „Ich steh jeden Wochentag um 7 Uhr früh auf, und das ist schon höchste Zeit, denn um achte beginnt mein Büro.“ (Bl. 3) Er erzählt dann noch, dass er gestern zu spät ins Büro gekommen sei, wegen einer Parade der Reichswehr. Da meldet sich ein Fräulein Klisch zu Wort und fragt ihn, ob er noch im Krieg gewesen sei, was er verneint. Auch am heutigen Tag paradiert die Reichswehr und Klisch und Kranzler kommen nicht durch. Da meldet sich der Sprecher wieder zu Wort und verkündet: „Hier deutsche Stunde in Bayern!“ (Bl. 4) Und er erkundigt sich im Büro, ob Kranzler schon angekommen sei. Da kommt er just herein und wird von der Büroangestellten Stanzinger darüber aufgeklärt, dass sich der Chef schon darüber aufgeregt habe, dass er immer zu spät komme. Aufs Jahr gerechnet wären die drei, vier Minuten täglich „fast drei Stunden“ (Bl. 5). Da taucht der Chef auf und fordert

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Fräulein Klisch gleich auf, zum Diktat zu kommen. Er diktiert ihr einen Brief an ein anderes Unternehmen, das sie wegen Betrugs geklagt hatte. Wieder unterbricht der Sprecher und behauptet, ein Herr Alois Huber habe sich über das Hörspiel beschwert: „[E]r möchte seine Ruh und er möchte nichtsmehr von Kranzler wissen, der geht ihm garnichts an, er möchte lieber ein grosses historisches Schauspiel oder dergleichen.“ (Bl. 6) Um Punkt vier will Kranzler das Büro verlassen und fordert Fräulein Klisch auf, mit ihm zu kommen, doch sie meint, sie müsse „Überstunden“ (ebd.) machen. Kranzler verabredet sich daraufhin um acht mit ihr. Sie wollen in ein „Konzertcafe“ (Bl. 7) gehen, denn Kranzler hat Geburtstag. Der Präsident unterbricht Kranzler und fordert ihn auf, endlich zum Punkt zu kommen, denn er wolle wissen, ob „auch die heutige Jugend eine Seele bei der Liebe hat“ (ebd.). Auf ihrem Weg zum Konzertcafé unterhalten sich das Fräulein und Kranzler über Autos, den „grosse[n] Verkehr“ und den „künstlichen Menschen“ (Bl. 8). Zuletzt versichert Kranzler, dass er „nur in die Zukunft“ schaue. Auf Bl. 9 bricht die Fassung mit der Notiz „Wir würden schon heiraten“ ab. Im Typoskript T1 finden sich zahlreiche überzählige und fehlende Zeichenabstände. Diese werden stillschweigend korrigiert. Alle anderen editorischen Eingriffe sind im kritischen Apparat verzeichnet. T2 = ÖLA 3/W 262 – BS 63 k, Bl. 10 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte und rotem Buntstift, hs. Paginierung 10 TS4 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Ob Bl. 10 die Fassung TS3, mit der es in einer Mappe liegt, fortsetzt, ist fraglich, weshalb das Blatt separat gereiht wird, obwohl die Paginierung eine Zusammengehörigkeit suggeriert. In TS4 meldet sich neuerlich der Sprecher zu Wort, der eine „Versammlung“ ankündigt. Ein gewisser Geheimrat Klaus habe gerade über die „moderne Jugend“ gesprochen. Er eröffnet nun die Diskussion. Eine Frau meldet sich und beschwert sich darüber, dass die heutige Jugend „keine Seele“ mehr habe und nicht mehr heirate. Daraufhin meldet sich ein Mann, der behauptet, verheiratet zu sein, aber dass „die bürgerliche Familie“ aufhöre, wenn die Frau auch arbeiten müsse. Und er versichert, dass es schwer sei, wenn man nur 200 Mark verdiene. Zuletzt bemerkt er: „Es ist eine sittliche Verrohung, dass Sie es wagen, uns hier zur Rechenschaft zu ziehen!“ Horváth setzt unter diese Replik ein Strukturzeichen, womit er das Ende signalisiert. Doch unter dem Strukturzeichen notiert er handschriftlich noch den Vermerk: „Vor diesem Bilde“ und hält darunter drei neue Bilder fest: „Ehe“, „Sportmann“ und „Nelly“. Zum Sportmann notiert Horváth eine knappe Dialogskizze zwischen „Er“ und „Sie“. Sie beschwert sich, dass er nicht nett zu ihr sei. Und er entgegnet, sie solle ihn nicht verführen, er habe am Sonntag „einen schweren Kampf“ vor sich. Zu Nelly vermerkt Horváth, dass sie sich am Bahnhof befinde und sage: „Ich muss mit Dir brechen…“. Damit bricht die Ausarbeitung ab. H8 = ÖLA 3/W 267 – BS 63 j, Bl. 9 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), eingerissen, schwarze Tinte, roter Buntstift E12 = Strukturplan in 12 Szenen mit Werktitel „Stunde der Liebe / Ein Hörspiel von Ödön Horváth“ und Notizen (links) 13 E = Werktitel (rechts oben) E14 = fragm. Strukturplan in 11 Szenen mit einer Dialogskizze und Notizen (rechts unten)

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Das vorliegende Blatt ist das einzige Entwurfsblatt, auf dem sich der Werktitel „Stunde der Liebe 1930“ findet (vgl. aber auch TS5, TS9 und TS10). Hier ist er gleich zweimal vermerkt, in E12 und E13. In ersterem notiert Horváth überdies einen ausführlichen Strukturplan in zwölf Szenen, die folgendermaßen lauten: „Sprecher“, „Englischer Garten“, „Sportmann“, „Student“, „Herr Lindt“, „Bahnhof“, „Inserat“, „Odeon-Casino“, „Dienstmädchen und Arbeiter“, „Nelly“, „Versammlung“ und „Ehe“. Damit ist ein weitaus größerer Szenenbogen und Figurenreigen angedeutet, als dies etwa noch TS3 beinhaltete. Dies gilt auch für den Strukturplan E14, der im Wesentlichen die Szenen von E12 wiederaufnimmt, wobei die Szenenfolge hier um eine Szene verkürzt ist. Außerdem wird der „Englisch[e] Garten“ vorgezogen und der „Sportmann“ wandert weiter nach hinten. Es fehlt die Szene „Versammlung“. H9 = ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 4v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 3 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, liniertes Papier (164 × 99 mm), blauer Blattschnitt, schwarze Tinte E15 = gestrichenes Werkverzeichnis (nicht gedruckt) Druck in: WA 14/K4/E1–E2, S. 454f.

H10 = ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 5 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 3 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, liniertes Papier (164 × 99 mm), blauer Blattschnitt, schwarze Tinte E16 = gestrichenes Werkverzeichnis (links oben) E17 = Werktitel (rechts oben) E18 = Strukturplan in 9 Szenen (unten) Druck in: WA 14/K4/E1–E2, S. 454f.

Die Entwürfe zu Stunde der Liebe im Notizbuch Nr. 3 dürften zu den spätesten zählen. Dies zeigt sich an der Elaboriertheit vor allem von E18, einem Strukturplan in neun Szenen, der unmittelbar an E12–E14 anzuschließen scheint. Horváth hat das Notizbuch Nr. 3 von März bis April 1930 verwendet. Es enthält vor allem Entwürfe zum Werkprojekt Ein Wochenendspiel, einer Vorstufe zum Volksstück Italienische Nacht (1931; vgl. auch den Kommentar in WA 2, S. 537). E18 weist folgende Szenentitel auf: „Bank“, „Nelly“, „Cafè“, „Lindt“, „Pavillon“, „Inserat“, „Sportsmann“, „Kino“ und „Junge Ehe“. In E15–E17 notiert Horváth den Werktitel „Stunde der Liebe 1930“, einmal mit dem Zusatz „Ein Hörspiel“, einmal mit dem Untertitel „7 Szenen für Rundfunk“. Dass er dann in E18 wieder neun Szenen notiert, mag verwundern; vermutlich ist der Werktitel jedoch einem Denken in konventionellen Größen geschuldet, das der Strukturplan E18 wieder überwindet. H10 = ÖLA 3/W 364 – o. BS, Bl. 7v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 3 mit schwarzem, leicht strukturiertem Kunstledereinband, liniertes Papier (164 × 99 mm), blauer Blattschnitt, schwarze Tinte E19 = Werktitel

Der vorliegende Entwurf schließt an E17 an, indem Horváth auch hier wieder den Werktitel „Stunde der Liebe 1930“ mit dem Zusatz „Sieben Szenen für Rundfunk“ notiert. Die folgenden (fragmentarischen) Fassungen gehen teils – zumindest von der Nummerierung her – über diese Szenenzahl hinaus, zuletzt (vgl. TS10) entscheidet sich der Autor jedoch für die Strukturgröße sieben.

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T3 = ÖLA 3/W 268 – BS 63 l, Bl. 1–3 3 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), dünn, Durchschlag (violett), hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 2, 3 TS5 = fragm. Fassung mit Werktitel „Stunde der Liebe“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 15, S. 125–127.

TS5 ist die erste überlieferte Fassung mit dem Werktitel „Stunde der Liebe“. Das Typoskript weist kaum handschriftliche Korrekturen auf, ist also faktisch eine Reinschrift. Allerdings ist diese höchst fragmentarisch und umfasst gerade einmal drei Blatt, was gegenüber TS3 doch eine wesentliche Verkürzung darstellt. Es handelt sich überdies noch um eine Vorstufe zur definitiven Fassung von Stunde der Liebe (vgl. TS10). Die Fassung setzt ohne Sprecher gleich direkt mit der Hauptfigur Albert ein, der aus seinem „Liebesleben“ (Bl. 1) erzählen will. Dabei will er „etwas rein Privates“ zum Besten geben, weil nur das wirkt, „was man sich aus der eigenen Seele reisst“ (ebd.). Er beginnt dann vom Fräulein Pollinger zu erzählen und behauptet, sie einmal „[i]ntimer“ gekannt zu haben. Das sei jedoch schon eine Zeitlang her. Und in der Folge erzählt er das „Märchen vom Fräulein Pollinger“, wie es dann in den Roman Der ewige Spießer (1930) eingegangen ist (vgl. WA 14). Die Fassung endet mit einer Reflexion Alberts über die Liebe. Er bezeichnet sich darin als „geschlagener Mann“ (Bl. 3) und sinniert: „Ob ich überhaupt jemals die Liebe find, ob es überhaupt eine Liebe gibt […].“ Er erzählt dann noch von verschiedenen „Damen“, die er „gehabt“ habe, darunter die Frau eines Artilleriehauptmanns. Dieser habe ihm erklärt, dass „der Mann nur der scheinbar aktive, aber eigentlich passive, während die Frau der scheinbar passive, aber eigentlich aktive Teil wäre“; die Passage findet sich in ähnlicher Form im Roman Der ewige Spießer bzw. dessen Vorstufe Herr Reithofer wird selbstlos (vgl. WA 14, S. 756 und 841) und wird auch in das Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald (vgl. WA 3, S. 755) eingehen. Im ganzen Typoskript finden sich unregelmäßige Zeichenabstände. Diese werden in der Transkription von TS5 stillschweigend korrigiert. Alle weiteren editorischen Eingriffe sind im kritischen Apparat vermerkt. T4 = ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 1–3, 12–14 (vgl. T7) 6 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte und rotem Buntstift, hs. Paginierung 3–5 auf Bl. 1–3, gestrichene hs. Paginierung 7–9 sowie hs. Paginierung 13–15 auf Bl. 12–14 TS6 = fragm. Fassung (Korrekturschicht: schwarzblaue Tinte)

Die ersten beiden Blätter fehlen, die Fassung TS6 setzt deshalb mit der Pagina 3 ein. Im ganzen Typoskript finden sich handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen. Diese werden in der Transkription der Fassung abgebildet. Diese zeigt zunächst eine Frau, die weint, und einen Mann, der sie tröstet mit den Worten: „Komm, werd vernünftig! Wir passen doch zusammen!“ (Bl. 1) Unmittelbar darauf mischt sich der Sprecher ein, der meint, dass das „weniger erquicklich“ (ebd.) war, dass der „Apparat“ aber ausgezeichnet funktioniere, weshalb er in ein „Cafe“ weitergehe. Dort belauscht er ein anderes Paar, einen Jus-Studenten und eine Schneiderin. Der Student behauptet hier: „Eine kleine Freundin hat doch jeder Mann.“ (Bl. 2) Auch schmeichelt er dem Fräulein, indem er ihr sagt, dass sie ihn an eine „grosse Liebe“ (ebd.) erinnere. Dann taucht jedoch ein Kommilitone des Jus-Studenten auf und wirft ihm vor, ihn und seine anderen Kommilitonen zu blamieren, indem er sich in ihrem Café

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mit einem Mädchen treffe. Also lässt der Student das Mädchen fallen, und die beiden Studenten bleiben lachend zurück. Wieder schaltet sich der Sprecher ein und geht weiter in das Büro des Herrn Lindt. Dort sitzt ein Fräulein an der Schreibmaschine. Der Chef wirft ihr vor, dass Sie aus der Kassa siebzehn Mark gestohlen habe. Sie bestreitet das. In der Folge ist von Materialverlusten auszugehen; vermutlich ist nämlich auch diese Szene noch nicht zu Ende. Wahrscheinlich fehlt hier das Blatt mit der Pagina 6. Die Fassung wird dann fortgesetzt durch die Bl. 12–14, die die handschriftlichen Paginae 7–9 tragen und erst in der Überarbeitung (mit den Paginae 13–15) Teil von TS9 werden. Auf die Zusammengehörigkeit dieser Blätter weisen neben den Paginae auch die mit rotem Buntstift eingetragenen Szenennummerierungen in römischen Ziffern hin. Ein Teil der handschriftlichen Korrekturen auf diesen Blättern gilt erst für TS9, etwa die neu eingetragenen Szenennummern bzw. die Streichung der alten. T5 = ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 5–10 6 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und rotem Buntstift, Paginierung 6–11 TS7 = fragm. Fassung (Korrekturschicht: schwarze Tinte)

Die vorliegende Fassung TS7 ist eine unmittelbare Vorstufe der Endfassung des Werkprojekts Stunde der Liebe. Vermutlich ist davon Material verloren gegangen, denn Bl. 5 setzt gleich mit der III. Szene ein. Wir befinden uns in einem Konzertcafé, in dem Musik gespielt wird (vgl. TS8). Wieder taucht der Sprecher auf. Er belauscht einen Akademiker, der einem Mädchen Witze erzählt. Wie der Student in TS6 behauptet der Akademiker, dass er ein guter Psychologe sei, weshalb er so „ausgesprochen stark auf Frauen wirke“. Außerdem habe er einen „Monatswechsel von sechshundert Mark“ (Bl. 6), was ihm gute Möglichkeiten bei den Frauen verschaffe. Da taucht plötzlich der Freund des Mädchens auf und macht den beiden eine Szene. Das Mädchen geht schließlich mit ihrem Freund mit. Die vierte Szene spielt in einem Büro. Wieder meldet sich der Sprecher, der in die Schellingstrasse geht. Ein Herr diktiert dort einem Mädchen. Als das Diktat zu Ende ist, möchte das Mädchen gehen, doch der Herr – es ist der bereits aus anderen Entwürfen und Textstufen bekannte Herr Lindt – schließt die Türe ab (vgl. TS6). Er erklärt dem Mädchen, dass er um 48 Mark bestohlen worden sei, und fordert sie auf, zuzugeben, dass sie diese gestohlen habe. Dabei verspricht er ihr, sie nicht zu entlassen, wenn sie es gesteht. Doch als sie es zugibt, wirft er sie dennoch hinaus. Worauf das Fräulein behauptet, dass er im Gegenteil sie bestohlen habe, denn sie habe immer Überstunden gemacht und er habe sie nicht dafür bezahlt. Schließlich schlägt er ihr einen Kompromiss vor. Auf ihre Vermutung: „Sie könnten einen auch umbringen“, erwidert er: „Diskretion Ehrensache“, was bei Horváth eine Chiffre für Prostitution ist (vgl. WA 14, S. 833). Damit endet die Szene. Horváth notiert auf Bl. 10 unten noch „V.“ für Szene 5 und den Sprecher, diese wird jedoch erst auf dem folgenden Bl. 11 ausgearbeitet, das bereits zu TS9 zählt.

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T6 = ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 4 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), dünn, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 6 TS8 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Das vorliegende Blatt dürfte Teil einer umfangreicheren Fassung des Werkprojekts Stunde der Liebe gewesen sein, deren andere Blätter verloren gegangen sind. Da die Szene schon große Ähnlichkeit mit der Endfassung TS10 hat, wird sie TS7 nachgereiht. Beide Blätter mit der Pagina 6 spielen in einem Konzertcafé, in dem ein Mädchen und ein Akademiker, der Witze erzählt, belauscht werden. T7 = ÖLA 3/W 269 – BS 63 m, Bl. 11–19 (vgl. T4) 9 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und rotem Buntstift, hs. Paginierung 13–15 und gestrichene Pag. 7–9 auf Bl. 12–14, hs. Paginierung 20, 21 auf Bl. 18, 19, masch. Paginierung 12 auf Bl. 11, masch. Paginierung 16 auf Bl. 15, masch. Paginierung 17 auf Bl. 16, masch. Paginierung 19 auf Bl. 17 TS9 = fragm. Fassung mit Werktitel „Stunde der Liebe 1930 / Sieben Szenen für Rundfunk“ (Korrekturschicht: schwarze Tinte)

Die vorliegende Fassung ist eine unmittelbare Vorstufe der Endfassung von Stunde der Liebe (TS10). Die Einfügung des Werktitels auf Bl. 11 lässt vermuten, dass die Fassung erst hier einsetzt, obwohl sie damit erst mit Szene V beginnt. Die maschinenschriftliche Paginierung 12 auf Bl. 11 deutet darauf hin, dass dieses Material Teil einer früheren Fassung war, dann aber für TS9 weiterverwendet wurde. Die erste Szene ist nur fragmentarisch ausgearbeitet. Wir folgen dem Sprecher „auf die Spitze der Pyramide, unserer gesellschaftlichen Pyramide“, in einen „Pavillon“, in dem die „wirklich vornehmen Leute“ verkehren. Es wird getanzt, gegessen und getrunken, wobei alle nur essen, als hätten sie es gar nicht nötig. Schließlich belauschen wir ein Tanzpaar. Eine Frau verrät ihrem Tanzpartner, dass ihr Mann behaupte, nicht eifersüchtig zu sein. Sie will seine Meinung dazu hören. Doch diese Replik ist auf dem Blatt nicht mehr ausgeführt. Stattdessen notiert Horváth unten noch: „Eine gut aussehende Frau, sie hat etwas königliches an sich – – Wollen mal hören!“ Die Bl. 12–14, die zuvor in TS6 verwendet wurden, setzen dann vermutlich diese Fassung fort, denn Horváth korrigiert darauf die Paginae von 7–9 zu 13–15. Der Sprecher geht weiter ins „Odeonkasino“ (Bl. 12). Auch hier sind „die wirklich vornehmen Leute“ da, und Horváth arbeitet darin neuerlich eine Tanzszene aus zwischen einem Herrn und einer Dame. Das Gespräch der beiden kommt von der scheinbar nicht vorhandenen Eifersucht des Mannes (wie auf Bl. 11) auf „van der Velde“ (Bl. 12) zu sprechen, womit der niederländische Gynäkologe Theodoor Hendrik van de Velde (1873–1937) gemeint ist, der mit seinem Buch Die vollkommene Ehe (1926) den Prototypen eines Aufklärungsbuches geschrieben hat. Die Frau findet, das Volk brauche so ein Buch nicht, der Mann ist da anderer Ansicht. Zuletzt vereinbaren sich die beiden für ein Techtelmechtel am nächsten Tag, wenn der Ehemann der Frau verreist ist. Die Frau stellt jedoch die Bedingung, dass er sich nicht in sie verliebe, worauf er meint: „Ich werde mich befleissigen --“ (Bl. 13). Es folgt die Szene VI, in der eine ältliche Dame mit einer weißen Rose auf jemanden wartet. Sie hält einen Zettel in der Hand, den sie überfliegt. Es handelt sich dabei um die Antwort auf ihr Heiratsinserat. Der junge Mann, der ihr den Brief geschrieben hat, taucht schließlich auf, ist aber nicht bereit, mit ihr in ein Café zu ge-

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hen, denn: „Sie könnten ja meine Grossmutter sein!“ (Bl. 14) Die Szene endet damit, dass die Frau dem Mann das Geld für die Rose, das Erkennungszeichen, zurückgibt, denn er hat seit drei Tagen nichts gegessen und hatte gehofft, durch das Inserat in ein „Heim“ (Bl. 14) zu kommen. Auf Bl. 15 folgt Szene VII, in der es zu regnen beginnt. Der Sprecher möchte sich ein „Auto“ (Bl. 15) nehmen, doch es wird ihm von einem Paar weggeschnappt, das wir in der Folge in ihrem Auto belauschen. Es ist der aus früheren Entwürfen bekannte „Sportmann“, der nicht mit zu der Frau nachhause kommen möchte, weil er sich schonen muss: „[I]ch vertrete übermorgen Deutschlands Farben, weisst Du was das heisst? Die ganze Welt blickt auf mich -- ich bin der rechte Läufer und wenn ich versag bricht der Sturm zusammen, könntest Du das verantworten?“ Die Frau antwortet darauf mit: „Wenn wir verheiratet wären, dann ja.“ (ebd.) Darauf ergibt sich eine „Stille“, die der Mann mit den Worten „Lass mich!“ bricht. Sie bezeichnet ihn in der Folge als „Ekel“ (Bl. 16), wodurch er in neuen Erklärungsnotstand gerät und sich darauf hinausredet, dass jeder Mensch seine „Pflichten“ (ebd.) habe. Die Szene endet mit einer Verabredung „nach dem Länderspiel“ und einem „Gong“ (ebd.). In der Folge fehlt ein Blatt, das die Pagina 18 getragen hat, und mit ihm eine ganze Szene (XIII), denn auf Bl. 17 mit der Pagina 19 folgt bereits Szene IX. Hier meldet sich zuerst ein fremder Sprecher zu Wort. Er befindet sich in der „Lindwurmstrasse 247, dritter Stock links“, beim Buchhalter Karl Hauser und seiner Frau Anna. Die beiden haben einen Sohn, Walter Peter, dessen erster Geburtstag gefeiert wird, doch der Kleine liegt nur in seiner Wiege, weint und schläft nicht. Die maschinenschriftliche Ausarbeitung bricht unmittelbar darauf ab, und Horváth notiert den weiteren Dialogverlauf handschriftlich, streicht diese Einfügung jedoch wieder und schließt mit Bl. 18 mit der Pagina 20 an. Das Kind schläft endlich, und die Eltern wollen eine „Inventur“ (Bl. 18) machen. Die beiden arbeiten in einem Büro und haben deshalb ein gemeinsames „Hab“, über dessen „Teilung“ sie miteinander diskutieren. Sie wollen sich nämlich scheiden lassen. Dafür will der Mann sich eine Woche Urlaub nehmen und fortfahren, wodurch der „Scheidungsgrund“ „Verlassen“ gegeben sei. Die Schuld trage er. Auf ihre Frage, ob er nicht wieder heiraten wolle, antwortet er mit nein. Sie gleichfalls nicht. Da die beiden dann davon sprechen, dass sie keine Kinder haben, ist der Anfang der Szene wohl als obsolet zu betrachten. Er versichert dann noch, keine Kinder in die Welt setzen zu wollen, was sie als „furchtbar traurig“ (Bl. 19) einordnet. Sie erzählt dann noch, einen Artikel über den „Verfall der Ehe“ (ebd.) gelesen zu haben. Zuletzt beschließen die beiden, sich „ab und zu“ zu „treffen“, bzw. „oft“, wie er noch korrigiert. Damit bricht die Ausarbeitung ab. Vermutlich lagen noch einige Arbeitsschritte zwischen dieser Fassung und der Endfassung von Stunde der Liebe (TS10). T8 = ÖLA 3/W 270 – BS 63 a, Bl. 1–21 21 Blatt unliniertes Papier (280 × 218 mm), dünn, rostige Abdrücke von Heftklammern, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 1–21 TS10 = Endfassung mit Werktitel „Stunde der Liebe / Sieben Szenen für Rundfunk / von / Ödön Horváth“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 85–99; KW 15, S. 128–144.

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T9 = ÖLA 3/W 270 – BS 63 a, Bl. 22–63 42 Blatt unliniertes Papier (283 × 224 mm), Durchschlag (violett), masch. Paginierung 1–21 auf Bl. 22–42 und auf Bl. 43–63

Die Endfassung des Werkprojekts Stunde der Liebe ist als originale Reinschrift (T8), in zwei Durchschlägen (T9) und einer Fotokopie in Mappe ÖLA 3/W 270 überliefert. Verzeichnet werden hier nur die Reinschrift und die beiden Durchschläge. Die Transkription erfolgt nach dem originalen Typoskript T8, das handschriftliche Korrekturen Horváths enthält und deshalb als Fassung letzter Hand anzusehen ist. Die Endfassung von Stunde der Liebe umfasst sieben Szenen, wenngleich Horváth im Laufe der Werkgenese bis zu zwölf Szenen für sein Hörspiel geplant hatte (vgl. etwa E12). Die Folge der Szenen lautet: Englischer Garten, Englischer Garten, Konzertcafé, Schraudolfstraße, Lokal, Kino und Straße. Zwischen der Endfassung TS10 und den davor gereihten Typoskripten dürften noch etliche Arbeitsschritte gelegen sein, denn die Endfassung bringt einige neue Szenen, die bisher noch nicht ausgearbeitet waren. Die erste Szene im Englischen Garten ist in TS6 vorgebildet, wobei dort nur die letzten Repliken enthalten sind, weil davor zwei Blätter fehlen. Die Szene zeigt ein Paar, das nahe daran ist, sich zu trennen, das dann aber doch zusammenbleibt. Auch die zweite Szene dürfte vermutlich im Englischen Garten spielen. Dieses Paar ist ebenfalls geneigt, sich zu trennen, bleibt dann aber auch zusammen. Die Frau hat hier große Angst davor, sich wirklich zu verlieben. Die dritte Szene spielt im Konzertcafé, wo „rheinisch[e] Lieder“ (Bl. 8; vgl. TS8) gespielt werden. Hier trinkt der Sprecher einen Kaffee und belauscht ein weiteres Pärchen, nämlich einen Akademiker, der Witze erzählt, und ein Mädchen (vgl. TS7 und TS8). Der Akademiker spricht auch hier davon, dass er Rechte studiert und „ein ausgesprochener Psychologe“ (Bl. 9f.)sei, was der „tiefere Grund“ sei, „dass ich so ausgesprochen stark auf Frauen wirke“ (Bl. 10). Die vierte Szene spielt in der Schraudolfstraße, in einem Büro, in dem Herr Lindt einem Fräulein diktiert. Anders als in der Vorstufe (vgl. TS7) sagt Herr Lindt dem Fräulein an, dass sie ihn bestohlen habe. Sie leugnet es, anders als in den Vorstufen, nicht mehr, wird aber, wie dort, letztlich nicht entlassen, sondern kann weiter für Herrn Lindt arbeiten. Unter der Devise „Diskretion Ehrensache!“, die bei Horváth eine Chiffre für Prostitution ist – es handelt sich hier also um sexuelle Nötigung –, sieht Herr Lindt noch einmal darüber hinweg (vgl. WA 14, S. 833). Die fünfte Szene spielt in einem Lokal. Hier treffen „die wirklich mondainen Leute“ (Bl. 14) aufeinander. Eine Frau tanzt mit einem Baron und spricht mit ihm über ihren Mann, der behauptet, nicht eifersüchtig zu sein. Anschließend unterhalten sie sich über van de Velde (vgl. den Kommentar zu TS9) und über den Tango, der gespielt wird. Die Szene endet ähnlich wie in TS9 damit, dass sich die beiden für den nächsten Tag verabreden, wenn der Mann der Frau verreist ist. Hier adaptiert Horváth nur die letzten Repliken. Diese kreisen jetzt um das „Höchste auf der Welt“, das es sei, „[w]enn man lieben darf“ und „[w]enn man geliebt wird“ (Bl. 16). Die sechste Szene spielt in einem Kino. Der Sprecher tritt ein und kauft sich eine Karte. Gespielt wird der Film „Madame wünscht keine Kinder“ (vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001, S. 212–214). Der Sprecher tritt einem Mann auf das Hühnerauge, wodurch sich ein Dialog zwischen ihm und seiner Frau entspinnt. Die beiden haben sich „nun glücklich dreissig Jahre gestritten“ (Bl. 17). Sie zanken noch etwas weiter, dann endet die Szene. Die folgende siebente Szene spielt vor dem Haus des Ehepaars Kranzler, das in der vorigen Szene bei einem Ehezwist belauscht wurde. Hier treffen der Herr Reitho-

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fer (vgl. den Kommentar zu RF3/TS1) und das Dienstmädchen der Kranzlers aufeinander. Das Dienstmädchen führt den Hund Nero aus, und Reithofer, der „gewollt hochdeutsch“ (Bl. 18) spricht, begleitet Anna. Die beiden sprechen über das Alleinsein und Reithofer bekennt, dass er sich „mit dem Gedanken“ trägt, „dass ich demnächst heirat, trotz dieser ständig drohenden Arbeitslosigkeit“ (Bl. 20f.). Das Fräulein Anna sagt ihm, er werde schon eine finden, worauf er erwidert, er habe sie schon gefunden, nämlich das Fräulein Anna, aber die wolle wahrscheinlich nichts von ihm wissen. Sie entgegnet ihm, dass das gar nicht so sei, und glaubt gar nicht, dass es ihm ernst ist. Die Szene endet mit Reithofers Bekenntnis, ein „Pessimist“ (Bl. 21) zu sein. Neuerlich ertönt ein „Gong“, und der Sprecher verabschiedet sich von den „Damen und Herren“ mit den Worten: „Nun ist unsere Stunde der Liebe vorbei!“ (ebd.). Damit enden TS10 und zugleich die Ausarbeitungen zu dem Werkprojekt Stunde der Liebe.

RF3: Ein neuer Casanova H1 = ÖLA 3/W 258 – BS 63 f, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), schwarze Tinte TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Ein neuer Casanova“ (ganzseitig; Korrekturschicht) E1 = Notiz (oben rechts)

H1 ist das einzige Blatt, das zu dem Werkprojekt Ein neuer Casanova überliefert ist. Es dürfte wie die vorhergehenden Hörspiel-Projekte auf das Jahr 1930 datieren. Horváth changiert im Titel noch zwischen „Der neue Casanova“ und „Herr Reithofer wird zum Casanova“, entscheidet sich dann aber für „Ein neuer Casanova“. Die Idee eines Stückes mit dem Titel „Casanova“ findet sich noch in Entwürfen aus der frühen Zeit der Arbeit an Don Juan kommt aus dem Krieg, also etwa Mitte oder Ende 1934 (vgl. WA 9/K1/E10; vgl. auch WA 12/WP32). Die Figur Reithofer verweist auf das 1930 entstandene Romanprojekt Der ewige Spießer bzw. dessen Vorstufe Herr Reithofer wird selbstlos (1929/30; vgl. WA 14). Der Name Reithofer war einer der von Horváth bevorzugten Namen für Männerfiguren, wie auch aus Teilen der Kurzprosa und anderen Hörspiel- und Revue-Projekten deutlich wird (vgl. WA 13/ET16; vgl. auch in diesem Band RF1/E19, RF2/E7, E10 und TS10; vgl. auch R). In E1 notiert Horváth „Der Zeppelin“. Ob diese Notiz zu dem vorliegenden Werkprojekt gehört, ist unsicher. Ein Zeppelin spielt erst im 1932 fertiggestellten Volksstück Kasimir und Karoline eine zentrale Rolle. In TS1 arbeitet Horváth den Einstieg in das Hörspiel-Projekt aus. Weitere Blätter waren wahrscheinlich nicht vorhanden. Zunächst tritt ein Sprecher auf, der auf das folgende Hörspiel hinweist und den Professor Bosch vorstellt, der dann auftritt. Dieser lispelt und spricht über Liebe und „Romantik“, die es auch im Zeitalter der „Sachlichkeit und Nüchternheit“ noch gebe. Und er erzählt von einem „Kind unserer Zeit“ namens Robert Metzger, der mit 14 Geschwistern geboren wurde und sich „mit zähem Fleiss und eiserner Energie“ emporgearbeitet habe. An dieser Stelle wird der Professor von einer „scharfe[n] Stimme“ mit dem Vorwurf unterbrochen, dass das alles „Quatsch“ sei. Horváth streicht diesen Einwurf wieder und hat die Bearbeitung wohl in der Folge überhaupt abgebrochen. Damit endet das Hörspiel-Projekt Ein neuer Casanova.

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RF4: Ein Don Juan unserer Zeit T1 = IN 221.002/2 – BS 17 a, Bl. 1–7 7 Blatt unliniertes Papier (290 × 228 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 1–7 TS1 = Fassung mit Werktitel „Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit. Filmexposé nach einer Komödie von Ödön von Horváth“ (Korrekturschicht) Druck in: WA 9, S. 137–140; KW 15, S. 159–165.

Das Filmexposé mit dem Titel Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit dürfte entgegen dem Hinweis im Titel, dass es „nach einer Komödie von Ödön von Horváth“ entstanden sei, vor dieser, zumindest vor dem endgültigen Stück Don Juan kommt aus dem Krieg (1936; vgl. WA 9), entstanden sein. Es trägt deutliche Züge der frühen Entwürfe, besonders des Strukturplans WA 9/K1/E4, ist also der frühen Konzeptionsphase zuzuordnen, als das Stück noch den Titel Ein Don Juan unserer Zeit tragen sollte, und deshalb auf 1934/35 zu datieren. Die Motive, die im Filmexposé auftauchen, sind im erwähnten Strukturplan schon vorgebildet, etwa der lesbische Damenklub, Don Juans Karriere als Filmstar, seine politische Karriere, das Attentat, die Journalistin, das junge Mädchen, das ein Kind von ihm bekommt, seine Arbeit als „Reisender in Damenwäsche“, die Spionageaffäre, seine Verurteilung, die Zeit im Zuchthaus und schließlich sein Tod. Das violette Farbband, das Horváth für dieses Typoskript verwendet, findet sich auch in WA 9/K1/TS6, was einen zusätzlichen Anhaltspunkt für eine relativ frühe Positionierung darstellt. TS1 setzt mit der Fronttheater-Szene ein. Don Juan kommt dorthin, als die ältlichen Soubretten gerade die Koffer packen, und bedankt sich bei einer von ihnen für das „künstlerische Erlebnis“ (Bl. 1), das sie ihm gewährt hat, als er sie in der Oper Don Giovanni gesehen hat, und für ihr Lächeln, „das ihn an eine ferne Frau erinnert hätte, an seine einzige grosse Liebe, noch lange vor dem Kriege“ (ebd.). Er will diese Frau wiederfinden und jagt mit „dämonischer Wucht seiner Sehnsucht nach“ (ebd.). Da er sie nicht finden kann, ihm aber viele Frauen begegnen und auch verfallen, „sucht er in jeder einzelnen ein Teilchen seiner grossen Liebe“ (Bl. 2). Das ist das Motiv vom „stückerlweise“ Zusammensuchen der großen Liebe, wie Horváth es im Laufe der Arbeit am Stück entwickelt und wie es am deutlichsten in der Endfassung (K5/TS10/A11/BS 19 a, Bl. 19) zu finden ist. Nach der Rückkehr in die Heimat sucht Don Juan das Haus auf, in dem seine ehemalige Braut wohnte, doch in ihrer Wohnung wohnt jetzt eine Zahnärztin. Niemand kann ihm sagen, wo seine Braut jetzt lebt, und er kann nicht weiter nach ihr forschen, weil er ihren Namen nicht kennt, was an WA 9/K1/TS3 erinnert. Bei einer Frauendemonstration lernt er den Typus des „reinen Mädchens“ (Bl. 2) kennen. Doch er interessiert sich nicht für ihre Ideale, betrügt und verlässt sie. Durch eine Reihe von Frauen macht Don Juan dann Karriere. Er übernimmt zunächst die „Stellung […] eines ‚gehobenen Kammerdieners‘ in einem Damentanz- und Spielklub der Inflation“ (Bl. 3). Doch seine bloße Anwesenheit bringt in diesen Damenklub ein Durcheinander (vgl. WA 9/K1/TS4 und TS7). Dann kommt er durch einen „Vamp“ (der Figurenname taucht bereits in WA 9/K1/E9 und E13 auf) zum Film. „Er muss nur gut aussehen und das genügt, um ein gefeierter Stummfilmstar zu werden“ (Bl. 3). Der Vamp entdeckt seine „wahre Liebe“ (ebd.) für Don Juan, doch als sie feststellt, dass er noch immer nur seine „ferne Braut“ (ebd.) liebt, ist sie zutiefst verletzt und wirft ihm vor, kein richtiger Schauspieler zu sein. Er „verlässt sie und verlässt auch den Film“ (ebd.). Stattdessen wird er Abgeordneter

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(vgl. WA 9/K1/E2, E3, E13, E49 und E50). Doch auch in der Partei fangen die Frauen an, eifersüchtig aufeinander zu werden. Don Juan ist aber gar nicht an Politik interessiert, sondern nutzt seine Stellung nur, um nach seiner verschollenen Braut zu suchen. Eine Journalistin deckt diesen eigenartigen „Korruptionsfall“ (Bl. 4) auf, und Don Juan wird von nun an von vielen gehasst. Er besucht die Journalistin, und sie gibt sich ihm hin, obwohl sie seine politische Gegnerin ist. Es wird ein Attentat auf ihn verübt (vgl. WA 9/K1/E2–E4 und E13). Die Attentäterin ist das junge Mädchen, das er auf der Frauendemonstration kennen gelernt hat. Es kommt zu einem Streit zwischen der Attentäterin und der Journalistin. Don Juan flieht schließlich mit dem jungen Mädchen „in ein ‚anderes Land’, hinaus in das Dorf, weg von der Stadt, in die Einsamkeit“ (Bl. 5), wo er eine Zeit lang glücklich nur der reinen Liebe des Mädchens lebt (vgl. WA 9/K1/E2–E4). Dann kommt es jedoch zu Streitereien zwischen den beiden, weil ihnen das Geld ausgeht. Sie verlässt ihn. Don Juan wird „Reisender in Damenwäsche“ (Bl. 5). Er ist bei seinen Kundinnen sehr beliebt und erfindet schließlich ein neues Korselett. Er eröffnet eine Fabrik und überall Filialen, doch schließlich wird er von seinen eifersüchtigen weiblichen Angestellten der sexuellen Belästigung angeklagt. Er wird zwar freigesprochen, ist aber moralisch und finanziell erledigt. Der Vamp taucht wieder auf und verwickelt ihn in eine Spionageaffäre. Er wird zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. In der Zelle erhält er einen Brief von jener Frau, die er immer liebte, die er überall suchte und nirgends fand. Sie verspricht, auf ihn zu warten, wenn notwendig, bis in den Tod. Als er sie nach seiner Entlassung aufsucht, ist sie „eine alte, sehr alte Frau“ (Bl. 6). Er erkennt, dass es sein „Idol“ (ebd.) nicht mehr gibt. Er verlässt sie und begegnet im Schneegestöber einer jungen Frau mit Kinderwagen. Es ist das junge Mädchen, aber er erkennt sie nicht wieder. Er betritt ein leeres Café und stellt sich an den Billardtisch. Eine Kellnerin sagt ihm, dass da ein Herr sei, der mit ihm spielen will. Im Laufe des Spiels bemerkt Don Juan, dass er mit dem Tod spielt, und bricht nach verlorenem Spiel tot zusammen. Diese Konfrontation mit einem personifizierten Tod erinnert an den Auftritt des „steinernen Gastes“ im Don Giovanni und wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit (einem anderen Stück). Es kann als Indiz dafür gewertet werden, dass das Filmexposé einer frühen Konzeptionsphase zugehört, in der Horváth sich in einigen Details noch an Da Pontes Version des Stoffes orientierte. T2 = IN 221.002/3 – BS 47 h, Bl. 1–7 7 Blatt unliniertes Papier, dünn (285 × 228 mm), Durchschlag, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 1–7 TS2 = Fassung mit Werktitel „Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit. Filmexposé nach einer Komödie von Ödön von Horváth“ (nicht gedruckt) Druck in: WA 9, S. 141–144.

T3 = IN 221.002/3 – BS 47 h, Bl. 8–14 7 Blatt unliniertes Papier, dünn (285 × 228 mm), Durchschlag, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 1–7 TS3 = Fassung mit Werktitel „Ein Don Juan unserer Zeit oder: Die Sage vom Don Juan in unserer Zeit. Filmexposé nach einer Komödie von Ödön von Horváth“ (nicht gedruckt) Druck in: WA 9, S. 145–148.

Bei den beiden Typoskripten T2 und T3 handelt es sich um Durchschläge eines nicht überlieferten Typoskripts, das eine geringfügig überarbeitete Fassung von T1 war, die

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als Reinschrift vorlag. Die Unterschiede der beiden Fassungen TS2 und TS3 zu TS1 sind gering, es handelt sich dabei im Wesentlichen um kleinere stilistische Korrekturen, die am Gesamtkonzept, der stationendramaartigen Handlung und den entscheidenden Motiven nichts ändern (vgl. den Abdruck dieser beiden Fassungen in WA 9/K2/TS2 und TS3).

RF5: Brüderlein fein! T1 = ÖLA 3/W 252 – BS 2, Bl. 1–7 7 Blatt unliniertes Papier (280 × 220 mm), Durchschlag, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 2–7 TS1 = Fassung mit Werktitel „Brüderlein fein!“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 629–635 und in KW 15, S. 151–158.

Das vorliegende Filmexposé Brüderlein fein! dürfte in den Jahren 1934/35 entstanden sein, als Horváth als Drehbuchschreiber in Berlin sein Auskommen zu finden versuchte. Die Datierung ist aber unsicher, möglicherweise ist das Filmexposé auch erst 1936/37 entstanden und belegt Horváths Versuch, im österreichischen Filmgeschäft Fuß zu fassen. Die Besinnung auf die österreichische Volkstheater-Tradition, die der Autor in dem Exposé vornimmt, begleitet sein Schaffen spätestens seit der Posse Hin und her (1934). Wie er im Untertitel verrät, vermischt er in dem vorliegenden Treatment Motive aus den Stücken Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär (1826), Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1928) und Der Verschwender (1834) von Ferdinand Raimund. Dies zeigt sich vor allem an den Namen der Hauptfiguren, Rappelkopf und Herr von Flottwell, sowie an deren Schicksal. Dass Horváth das Filmskript zunächst mit „Ödön von Horvath“ zeichnete, diesen Namen dann aber durch das Pseudonym „H.W. Becker“ ersetzte, welches der Name eines wirklichen Drehbuchautors war, lässt erkennen, dass er seine Arbeit für den Film eher geringachtete und seinen wertvollen Autorennamen dafür nicht verwenden wollte. Außerdem dürfte er politische Skrupel gehabt haben. Filme, an denen der Autor mit Sicherheit mitgearbeitet hat, aber unter dem Pseudonym H. W. Becker bzw. ungenannt, sind Das Einmaleins der Liebe und Fiakerlied / Fahr’n ma, Euer Gnaden (vgl. auch Polt-Heinzl/Schmidjell 2001, S. 235–248). Eine Beteiligung Horváths an der Produktion Der Pfarrer von Kirchfeld (nach Anzengruber; vgl. RF10) ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert (vgl. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001, S. 248–252). Krischke weist darauf hin, dass mit dem Titel Brüderlein fein! 1942 unter der Regie Hans Thimigs von der Wien-Film ein Streifen produziert wurde. In den Hauptrollen spielten Marthe Harell, Winnie Markus und Hans Holt. Der Handlungsverlauf stimme mit dem Exposé Horváths überein. Seine vermeintliche Urheberschaft wird in der Produktion jedoch nicht genannt (vgl. GW IV, 42*).

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RF6: Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. T1 = ÖLA 3/W 253 – BS 69, Bl. 1–4 4 Blatt unliniertes Papier (282 × 222 mm), gelocht, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 1–4 TS1 = Fassung mit Werktitel „Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann / Ein Tonfilmentwurf von Ödön Horváth “ (Korrekturschicht) Druck in: KW 15, S. 147–150.

Das Exposé mit dem Titel „Die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann“ trägt den handschriftlich eingetragenen Vermerk „Ein Tonfilmentwurf von Ödön Horváth“. Aufgrund dieses Untertitels liegt die Annahme nahe, dass dieses Exposé in der Zeit entstanden ist, in der Horváth dezidiert für den Tonfilm arbeitete, also 1934/35. Die skizzierte Handlung trägt Züge der Raimund-Stücke Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär und Der Verschwender, die Horváth auch in einem anderen Filmexposé (vgl. RF5) verarbeitet hat. Eine entstehungsgeschichtliche Nähe zu diesem Exposé könnte deshalb gegeben sein. Die Handlung des Exposés ist folgende: Nach dem Tod ihres Mannes, eines Grossgrundbesitzers, verliebt sich die Witwe in einen jungen Mann, der zufällig vorbeikommt und sich anlässlich eines Kindermaskenballs als „Kindernarr“ (Bl. 1) herausstellt. Die beiden heiraten, aber der junge Mann ist der um zwanzig Jahre älteren Frau nicht treu. Er betrügt sie sogar mit ihrem Küchenmädchen. Sie stirbt schließlich an einer Erkältung und aufgrund der Zugluft, der sie ihr Mann ausgesetzt hat (vgl. WA 3, S. 753). Nach dem Begräbnis, auf dem auch die Tochter der Frau mit ihrem Bräutigam anwesend ist, zieht N in die grosse Stadt, wo er in Saus und Braus lebt. Er lernt ein junges Mädchen aus einer verarmten Familie kennen und lieben. Sie wird seine „grosse Liebe“ (Bl. 2). Seine Stieftochter bittet ihn um Geld, doch er gibt es so „protzig-beleidigen[d]“ (Bl. 3), dass sie es nicht annehmen kann. Infolgedessen enterbt er sie und vermacht alles Waisenhäusern. Als er älter wird, ekelt sich seine junge Frau immer mehr vor ihm und lässt sich mit einem jungen Mann ein. N erleidet einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Er ist gelähmt. Er wünscht sich, das Waisenhaus zu sehen, dem er sein Geld vermacht hat. Dort begegnet er der Tochter seiner Stieftochter. Angesichts dieses „Kinderblicks“ (Bl. 4) stirbt er.

RF7: Fünf Filme H1 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 90v, 91 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E1 = Titelliste „Fünf Filme“ (Bl. 91) E2 = Titelliste „Fünf Filme“ (Bl. 90v) Druck in: WA 6/K2/E20–E21, S. 466f. und WA 7/K2/E1–E2, S. 228f.

Die vorliegenden Blätter aus dem Notizbuch Nr. 4 dürfte Horváth Anfang oder Mitte 1936 erstellt haben. In dem erwähnten Notizbuch finden sich vor allem Entwürfe und Textstufen zu dem Werkprojekt Don Juan kommt aus dem Krieg, und zwar zu dessen K4 und K5, die auf Anfang und Frühjahr 1936 zu datieren sind (vgl. WA 6,

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S. 180). Weiters enthält es Skizzen zu den Werkprojekten Das jüngste Gericht, einer Vorarbeit des Schauspiels Der jüngste Tag (vgl. WA 10), und Die Komödie des Menschen (vgl. WA 12/WP49), die beide 1936 entstanden sind (vgl. auch WA 7/Himmelwärts/K1/E1 und E7 sowie K2/E3). Die vorliegenden Bl. 90v und 91 sind umrahmt von Entwürfen zu dem Werkprojekt Kaiser Probus in Wien, das wahrscheinlich auf 1936 zu datieren ist (vgl. WA 12/WP48), und zu einem Filmexposé zu Kasimir und Karoline (vgl. RF8), das wohl ebenfalls erst 1936 entstanden ist. Die beiden Listen „Fünf Filme“ sind wahrscheinlich früher erstellt worden als das im Notizbuch ein paar Blätter später folgende Werkverzeichnis WA 7/Himmelwärts/K2/E3. E1 und E2 enthalten folgende Titel: „Denkschrift eines Dramatikers“, „Kasimir und Karoline“, „Die kleinen Paragraphen“, „Zwischen den Grenzen“, „Ein Pakt mit dem Teufel“ und „Ein Kuss im Parlament“ bzw. „Ein Kuss im Senat“. Rätsel wirft der Titel „Denkschrift eines Dramatikers“ auf, der sonst nirgendwo belegt ist und auch keine Rückschlüsse auf einen anderen Titel zulässt. In E1 ersetzt der Titel „Kasimir und Karoline“ den Titel „Kaiser Probus in Wien“, den Horváth zunächst an der zweiten Stelle der Liste notiert hatte, ohne dass damit ein inhaltlicher Zusammenhang gegeben zu sein scheint. Das fragmentarische Filmexposé zu Kasimir und Karoline, das Horváth auf Bl. 92–94 desselben Notizbuchs skizziert (vgl. RF8), hat nichts mit den zuvor ausgearbeiteten Skizzen zu Kaiser Probus in Wien zu tun. Der Titel „Die kleinen Paragraphen“ dürfte eine filmische Umsetzung von Glaube Liebe Hoffnung (1933; vgl. WA 5) sein, denn in E1 ersetzt Horváth diesen Titel durch den ersteren (vgl. RF9). Der als vierter genannte Titel „Zwischen den Grenzen“ dürfte auf die Posse Hin und her (1934) verweisen, deren Titel Horváth in E1 zunächst notiert hatte. Der Titel „Ein Pakt mit dem Teufel“ bezieht sich auf das „Märchen“ Himmelwärts (1934), wie die handschriftliche Korrektur in E1 ersehen lässt. Mit dem zuletzt genannten Titel „Ein Kuss im Parlament“ dürfte eine filmische Umsetzung der Komödie „L’inconnue de la Seine“ geplant sein, wie die handschriftliche Korrektur in E1 vermuten lässt, wobei mit dem Titel „L’inconnue de la Seine“ wohl die dunkle „Komödie“ Eine Unbekannte aus der Seine (1933; vgl. WA 6) gemeint ist (vgl. den Brief Horváths an Hans Geiringer vom 16. September 1934, in dem der Titel genannt wird; ob ein Drehbuch zu dem Zeitpunkt wirklich schon fertig war, ist fraglich; vgl. WA 18/B84). Möglicherweise verweist der Titel jedoch auch auf die Komödie Das unbekannte Leben bzw. Mit dem Kopf durch die Wand (1935; vgl. WA 7). Dies würde die Annahme der späten Entstehung der beiden Listen – Ende 1935 oder Anfang 1936 – stützen. Allerdings dürfte in die Zeit ihrer Niederschrift der ‚Durchfall‘ (vgl. WA 10, S. 482f. und WA 7/Mit dem Kopf durch die Wand/K3/TS22, S. 672f. sowie in diesem Band TH13/TS1) von Mit dem Kopf durch die Wand im Wiener Theater Scala fallen, weshalb es eher unwahrscheinlich ist, dass Horváth über die Weiterverwertung des Stoffes der Komödie von 1935 spekulierte.

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RF8: Kasimir und Karoline H1 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 92–94 3 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Kasimir und Karoline“ (Korrekturschicht)

Den Titel „Kasimir und Karoline“ erwähnt Horváth in den beiden Listen „Fünf Filme“ (vgl. RF7/E1 und E2). Die Ausarbeitung des Filmexposés desselben Titels sowie jenes mit dem Titel „Die kleinen Paragraphen“ (vgl. RF9), der ebenfalls in den beiden Titellisten enthalten ist, dürfte Horváth im unmittelbaren Anschluss an die Erstellung derselben verfasst haben. Die entsprechenden Einträge folgen im Notizbuch Nr. 4 unmittelbar aufeinander. Zu datieren sind die genannten Filmexposés deshalb auf Anfang oder Mitte 1936. Bei dem Filmexposé Kasimir und Karoline handelt es sich um den Versuch, aus der Handlung des gleichnamigen Volksstücks ein Filmexposé zu entwickeln. Die Handlung setzt am Tag ein, an dem Kasimir, der hier wie im Volksstück Chauffeur ist, arbeitslos wird. In einer Art Vorspann ist vom Glückspiel die Rede, vom Roulette. Dort wird auf einzelne Zahlen gesetzt, aber keiner gewinnt. Dies veranlasst den Erzähler zu einer Reflexion über die Frage, was denn Glück eigentlich sei. Er lässt die Frage aber letztlich fallen, denn niemand wisse, was Glück eigentlich sei. Der Schwenk zu den beiden Hauptfiguren Kasimir und Karoline erfolgt über Kasimirs Satz „Du wirst nichts gewinnen“, von dem jedoch nicht ganz klar ist, ob er sich auf das Glückspiel bezieht oder nur eine allgemeine Bemerkung darstellt. Die Fassung des Filmexposés bricht mit dem Satz „Kasimir wurde arbeitslos“ ab, der den Beginn des Volksstücks markiert. Das Filmexposé verbleibt damit in einem rudimentären Anfangsstadium.

RF9: Die kleinen Paragraphen H1 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 95–98 4 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte TS1 = fragm. Fassung mit Werktitel „Die kleinen Paragraphen“ (Korrekturschicht)

Unmittelbar auf das Filmexposé Kasimir und Karoline folgt im Notizbuch Nr. 4 jenes zu Die kleinen Paragraphen, bei dem es sich, wie aus der Titelliste RF7/E1 hervorgeht, um eine Adaption des kleinen Totentanzes Glaube Liebe Hoffnung handeln dürfte. Der Titel „Die kleinen Paragraphen“ bezieht sich auf die Randbemerkung zu Glaube Liebe Hoffnung, in der von den ‚kleinen‘ Paragraphen – gemeint sind mindere Straftaten wie Betrug – und ihrer inhumanen Anwendung die Rede ist (vgl. WA 5 und in diesem Band TH10/TS5). Das Filmexposé, das nur fragmentarisch ausgearbeitet ist, beginnt mit dem Autounfall eines Herrn und einer Dame. Anders als im Volksstück sind die beiden nicht verheiratet, sondern kennen sich noch kaum. Der Herr bleibt bei dem Unfall „wie durch ein Wunder“ „unverletzt“ (Bl. 95). Die Rettung kommt, aber der Arzt kann nur noch den Tod der Dame feststellen. Der Herr wird verhört, aber als unschuldig ausgewiesen, und der Unfall als „höhere Gewalt“ (Bl. 96) eingestuft. Der Begriff spielt

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auch in Glaube Liebe Hoffnung eine wichtige Rolle, behauptet doch Elisabeth dort, dass sie durch „höhere Gewalt“ nicht nach Kaufbeuren gekommen sei, weil die Ölzufuhr des Autos ihres Anhalters ausgesetzt habe (vgl. WA 5/K3/TS7/SB Arcadia 1933, S. 17). Der Herr kauft der verunglückten Dame in TS1 einen Kranz, denn er „hatte ein Herz“ (Bl. 96). Schließlich wird sie in die Anatomie gebracht, wo sie untersucht werden soll. Vor der Anatomie spaziert ein Fräulein herum, das sich überlegt, ob es klingeln soll. Schließlich tut es dies und trifft auf den Vizepräparator, der ihr die Tür öffnet. Sie verlangt nach dem Präparator, doch der Vizepräparator teilt ihr mit, sie könne sich ruhig ihm anvertrauen. Damit bricht das Filmexposé Die kleinen Paragraphen ab, auch hier, ähnlich wie im Fall von Kasimir und Karoline (RF8) am eigentlichen Beginn der Volksstück-Handlung.

RF10: Der Pfarrer von Kirchfeld H1 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 1 1 Blatt kariertes Papier (330 × 210 mm), schwarze Tinte, Paginierung 4 TS1 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Bei dem vorliegenden Blatt handelt es sich um eine handschriftliche Notiz zu einer ersten Szene von Der Pfarrer von Kirchfeld. Die Szene ist später weiter nach hinten verschoben worden und in ähnlicher Form in TS4 eingegangen, dort aber nachträglich wieder gestrichen worden. T1 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 77–108 32 Blatt unliniertes Papier (298 × 209 mm), Durchschlag (schwarz), Paginierung 2–32, hs. Eintragungen von fremder Hand mit schwarzer Tinte TS2 = Fassung eines Filmexposés in 17 Szenen mit Werktitel „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (nicht gedruckt)

T1 enthält die erste vorliegende Gesamtfassung des Filmexposés zu Der Pfarrer von Kirchfeld. Das Typoskript weist fast keine handschriftlichen Korrekturen auf und bildet vermutlich die Verweisfassung für TS4, aber auch die Grundschicht der Fassungen TS5 und TS6. T2 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 36v 1 Blatt unliniertes Papier (285 × 225 mm), Paginierung 5, hs. Eintragungen mit schwarzem Buntstift TS3 = fragm. Fassung (Grundschicht)

Auf der Rückseite eines Blattes der Korrekturfassung des Filmexposés Der Pfarrer von Kirchfeld (TS4) befindet sich die hier vorliegende Fassung einer kurzen Szene im Wirtshaus mit dem Wirt und dem Wurzelsepp. Sie ist in leicht adaptierter Form in TS4 eingegangen.

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T3 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 34–44 11 Blatt unliniertes Papier (285 × 225 mm), Paginierung 4–14, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und hs. Eintragungen von fremder Hand mit Bleistift und schwarzer Tinte TS4 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Bei der Fassung TS4 handelt es sich um eine Korrekturfassung zu einem vollständigen Typoskript des Filmexposés Der Pfarrer von Kirchfeld, wahrscheinlich zu TS2, vielleicht aber auch zu TS5 oder TS6, womit TS4 später zu reihen wäre. Von der Fassung TS4 fehlen die ersten drei Blätter mit den Paginae 1–3. Die Fassung setzt erst bei einem Blatt mit der Pagina 4 ein. Die Abkürzung der Namen lässt darauf schließen, dass diese schon so gut eingeführt waren, dass Horváth sie abkürzen konnte. Die vielen Verweise auf Seitenzahlen, die sich in dem Typoskript befinden, beziehen sich auf eine der vollständigen Fassungen des Filmexposés, wahrscheinlich auf TS2 oder TS5 bzw. TS6. Die Korrekturschicht wird inklusive der Eintragungen fremder Hand, die vermutlich von einem (zeitgenössischen oder späteren) Bearbeiter stammen, transkribiert. Unregelmäßige Zeichenabstände werden in der Transkription stillschweigend korrigiert, alle anderen Eingriffe sind im kritischen Apparat nachgewiesen. T4 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 45–76 32 Blatt unliniertes Papier (298 × 209 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und hs. Eintragungen von fremder Hand mit Bleistift, Paginierung 2–32 TS5 = Fassung in 17 Szenen mit Werktitel „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 15, S. 166–191.

T5 = ÖLA 84/SL 21, Bl. 2–33 32 Blatt unliniertes Papier (298 × 209 mm), Durchschlag (schwarz), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte, Paginierung 2–32 TS6 = Fassung in 17 Szenen mit Werktitel „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (Korrekturschicht)

Das Filmexposé mit dem Werktitel Der Pfarrer von Kirchfeld ist im Nachlass Krischke (ÖLA 84) am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek als vollständige Fassung in drei Durchschlägen zu je 32 Blatt überliefert (T1, T4 und T5). Die Blätter tragen keine Foliierung, werden aber hier mit einer versehen, um die Auffindbarkeit der Textträger zu gewährleisten. Bei T1 handelt es sich um einen praktisch nicht korrigierten Durchschlag, dessen Grundschicht die Grundlage von T4 und T5 bildet und deshalb hier nicht gedruckt wird. Letztere enthalten Korrekturen, die unterschiedlich geartet sind, sodass drei verschiedene vollständige Fassungen des Filmexposés vorliegen (TS2, TS5 und TS6). Außerdem ist das Filmexposé in der Korrekturfassung TS4 fragmentarisch überliefert. Bei T1 handelt es sich um die früheste Fassung, T4 dürfte die zweite vollständige Fassung darstellen. Das Typoskript T5 ist vermutlich die Letztfassung und trägt vor allem auf dem ersten Blatt sehr viele Korrekturen, die den Beginn des Filmexposés betreffen. Der Abdruck des Filmexposés in Supplementband I (KW 15) der Kommentierten Werkausgabe folgt im Wesentlichen T4, das aber vermutlich nicht die Fassung letzter Hand darstellt. In den Transkriptionen werden alle Eingriffe in den Text im kritischen Apparat ausgewiesen. Ausgenommen davon ist die Kommasetzung nach direkter Rede und vor dem Verbum dicendi, die stillschweigend korrigiert wird. Auch die Schreibung von St. Jakob – ohne Leerzeichen – wird ohne Ausweis emendiert wie alle unregelmäßigen Zeichenabstände.

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Das Filmexposé beruht auf dem Volksstück Der Pfarrer von Kirchfeld (1870) von Ludwig Anzengruber. 1937 kam ein österreichischer Film mit dem Titel Der Pfarrer von Kirchfeld heraus. Regie führten Jakob und Luise Fleck. In den Hauptrollen spielten Hans Jaray, Hansi Stork, Karl Paryla, Frida Richard und Ludwig Stoessel. Das Drehbuch wurde von Hubert Frohn verfasst, was ein Pseudonym Friedrich Torbergs war. Beteiligt war auch Otto Eis sowie ein dritter Autor, der zu einer „Schattenexistenz überredet“ wurde (Friedrich Torberg, zit. n. Polt-Heinzl/Schmidjell 2001, S. 250). Möglicherweise war dies Ödön von Horváth. Es war allerdings im Filmgeschäft nicht unüblich, dass mehrere Firmen am selben Stoff arbeiteten. Polt-Heinzl und Schmidjell vermuten, dass Horváth eventuell auch für Paul Hörbigers 1935 neu gegründete FilmFirma Algefa an dem Drehbuch gearbeitet haben könnte (vgl. ebd., S. 252). Demnach wäre das Filmexposé früher, etwa um 1935, entstanden. Die Handlung des Filmexposés hält sich „nur in den zentralen Handlungssträngen“ an die Vorlage: „In der Gestaltung des Liebeskonflikts zwischen dem Pfarrer und seiner jungen Magd sind zum Teil Dialoge der Vorlage wörtlich übernommen.“ (ebd., S. 250) Letztlich habe Horváth allerdings etwas Eigenständiges und durchaus Horváth-Typisches geschaffen: „In siebzehn Szenen leitet Horváth das politisch-religiöse Aufklärungsstück über in ein zeitloses Liebesdrama mit allen Versatzstücken des populären Heimatfilms, wobei allerdings die Akzentuierung der sozialen Not der Bevölkerung auffällt.“ (ebd.) Die Handlung, die in allen überlieferten vollständigen Fassungen die gleiche ist, sieht folgendermaßen aus. Die junge Anna kommt nach dem Tod ihrer Mutter von St. Jakob in der Einöde nach Kirchfeld, wo sie beim Pfarrer Hell im Haushalt helfen soll. Das junge Mädchen weckt in dem noch jungen Pfarrer bisher unbekannte Gefühle, doch er hält die notwendige Distanz. Als er ihr das goldene Kreuz seiner verstorbenen Mutter schenkt und Anna dies in der Kirche trägt, beginnen die Kirchfelder an eine Affäre des Pfarrers mit dem Mädchen zu glauben. Der Wurzelsepp, ein Wilderer, ist dem Pfarrer gegenüber sehr negativ eingestellt, weil sein Vater von dessen Vorgänger des Wilddiebstahls angezeigt wurde und im Gefängnis verstarb. Doch als seine Mutter Selbstmord verübt, weil ihr Sohn als Wilderer gegen das Gesetz verstößt, wird der Wurzelsepp weich und bittet den Pfarrer, der Mutter ein christliches Begräbnis zuzugestehen. Der Pfarrer willigt ein, wodurch sich Wurzelsepp wieder zur Kirche bekehrt. Der junge Michel, ein Jäger, hatte sich schon zu Beginn der Handlung in Anna verliebt, die er noch aus Kindheitstagen kennt, und bittet nun um ihre Hand. Anna nimmt seinen Antrag an, obwohl sie dadurch ein Opfer bringt, denn sie liebt den Pfarrer. Dieser gibt sie frei und ist damit rehabilitiert. Die Hochzeit Annas und Michels wird zu einem Volksfest. Mit TS6 endet die Reihe der Ausarbeitungen zum Pfarrer von Kirchfeld. Horváth hat nach diesem Filmexposés wahrscheinlich keine weiteren Exposés verfasst.

Revue R: Magazin des Glücks Das Werkprojekt Magazin des Glücks geht auf eine Anregung Max Reinhardts zurück, der Ödön von Horváth und Robert Adolf Stemmle damit beauftragte, eine Revue für ihn zu schreiben (vgl. Krischke 1998, 159): „Reinhardt schwebte eine große Ausstattungsshow vor, eine Art überdimensionales ‚Haus Vaterland‘, in dem die Besucher

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wahrhaft glücklich sein konnten.“ (zit. n. ebd.) Diese Worte gibt R.A. Stemmle zu dem Projekt zu Buche. Das „Haus Vaterland“ war von 1928–1943 ein großes Vergnügungs-Etablissement am Potsdamer Platz in Berlin, in dem verschiedene Länder durch Abteilungen präsentiert wurden. So gab es darin etwa ein bayrisches Bierlokal, einen Wiener Heurigen, ein japanisches Teehaus, ein türkisches Café und eine spanische Bodega. Vermutlich waren auch Walter Mehring (Liedtexte) und Friedrich Holländer (Musik) in die Produktion der Revue eingebunden, von der zwar mehrere fast vollständige Fassungen weitgediehener Exposés vorliegen (vgl. K1/TS3, TS4 und K2/TS1–TS3), die aber schließlich – wegen der anhaltenden „Theaterkrise“ (GW IV, S. 40*), vermutlich aber auch aus politischen Gründen – nicht zur Aufführung kam (vgl. GW IV, S. 39*–41* und KW 16, S. 235). Für die Rolle einer „Amerikanerin“ (GW IV, S. 40*) bzw. als Sängerin hatte Max Reinhardt Zarah Leander vorgesehen, King Atlas sollte von Max Pallenberg, Reithofer von Hermann Thimig, Annemarie von Grete Mosheim gespielt werden (vgl. GW IV, S. 40*). Die relativ große Zahl an Entwürfen und Textstufen zu dem Werkprojekt Magazin des Glücks, das in der Frühphase noch zwischen den Titeln Reise um die Welt, Das Paradies und Zwischen Himmel und Hölle changiert, gehen auf den Herbst 1932 zurück, als Horváth parallel an den Adaptierungsarbeiten zu Kasimir und Karoline arbeitete (vgl. WA 4/K5a–5c). Dies lässt sich vor allem daraus schließen, dass sich ein Großteil der Entwürfe zu dem Werkprojekt im Notizbuch Nr. 7 befindet, das Horváth in dieser Zeit verwendet hat. Außerdem ist ein vorläufiges Exposé mit dem Titel Magazin des Glücks (K2/TS2) auf den 22. November 1932 datiert, das definitive Exposé unter dem gleichen Titel auf den 13. Dezember 1932 (K2/TS3). Motivische Überschneidungen gibt es vor allem zu der Zauberposse Himmelwärts (vgl. WA 7/VA1 und VA2, Herbst 1931), in der das „Paradies“ „Arkadien“ genannt wird. Weiters finden sich im vorliegenden Werkprojekt motivische Elemente, die an den Roman Der ewige Spießer (1930) denken lassen, etwa das Reisemotiv und der Stierkampf. Ersteres weist auch voraus auf den pikaresken Roman Himmelwärts, den Horváth Anfang 1933 fragmentarisch ausarbeitete (vgl. WA 13/WP17). Nicht zuletzt besteht durch den vorübergehenden Titel Zwischen Himmel und Hölle eine Nähe zu dem fertiggestellten dramatischen „Märchen“ Himmelwärts (1934), in dem sich Szenen „Auf der Erde“, „Im Himmel“ und „In der Hölle“ abwechseln.

Konzeption 1: Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle H1 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 11 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E1 = Strukturplan in 3 Teilen (oben und mittig) E2 = gestrichene Werktitel (unten)

Das vorliegende Blatt befindet sich im Notizbuch Nr. 7, in dem der Großteil der Entwürfe und Textstufen zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle enthalten sind. Von E1 ist nicht völlig klar, ob er zu dem Werkprojekt gehört. Es ist aber sehr wahrscheinlich, da etliche Elemente des Werkprojekts – Gründung des Hauses, Chef, Angestellte, Küchenmädel, Koch, das junge

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Paar – auch in späteren Entwürfen und Textstufen vorkommen. Bei E1 handelt es sich um einen Strukturplan in drei Teilen, der folgende Abschnitte umfasst: „Die Gründer des Hauses“, „Die Kehrseite der Medaille“ und „Das junge Paar“. Zum ersten Teil notiert Horváth den „Mann, der die Idee gehabt hat“, und den „Chef“, zum zweiten Teil „Die Angestellten“ und „Küchenmädel / Koch“ und zum dritten Teil „Wir gehen da hinein – es ist das der neue Palast“ sowie einen „Streit“. Ähnliche Handlungsverläufe finden sich auch in späteren Entwürfen und Textstufen. Auf dem unteren Teil des vorliegenden Blattes notiert Horváth zunächst „Reinhardt-Inszenierung / Grosses Schauspielhaus“, was vermutlich auf die zu schreibende Revue bezogen ist, die ja von Max Reinhardt in Auftrag gegeben wurde (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt) und am Großen Schauspielhaus als Silvester-Programm gespielt werden sollte (vgl. GW IV, S. 40* und KW 16, S. 235). Darunter vermerkt Horváth drei Werktitel-Entwürfe, zu denen der erste Eintrag wahrscheinlich den Auftakt bildete. Zunächst notiert er: „Durch die“, streicht dies und ersetzt es durch „Über die“; darunter hält er fest: „Rund um die Welt und durch die Zeit“ und noch eine Zeile darunter notiert er: „Rund um die Welt und gegen die Zeit“. Alle Titeleinträge streicht Horváth wieder. Sie werden aber in ähnlicher Form in späteren Entwürfen wiederaufgenommen. Man hat E2 als Keimzelle für den Titel „Reise um die Welt“ anzusehen, den das Werkprojekt im Frühstadium trägt. H2 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 15 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E3 = Strukturplan in 4 Teilen mit Werktitel „Reise um die Welt“ (links) E4 = Strukturplan in 4 Szenen zum 1. Teil „Die Geschichte des Konsortiums“ (rechts oben)

Auf dem vorliegenden Blatt im Notizbuch Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt) notiert Horváth weitere Entwürfe. Zunächst setzt er an mit „1.) Ein Abend in“, streicht diese Notiz jedoch wieder und notiert stattdessen den Werktitel „Reise um die Welt“. Möglicherweise handelt es sich bei dem Eintrag „Ein Abend in“ um einen weiteren Werktitelentwurf zu Kasimir und Karoline, wie sie sich im Notizbuch Nr. 7 gehäuft finden. Wahrscheinlicher ist aber, dass Horváth damit bereits einen Werktitel oder einen Bildtitel für das Werkprojekt Reise um die Welt festhält. Diesen Werktitel setzt er über E3, einen Strukturplan in vier Teilen, die lauten: „Das Konsortium“, „Ich gehe aus am Sonnabend“, „Trennung“ und „Sich-wiederfinden“. Im Mittelpunkt der Handlung sollte ein „Paar“ stehen (vgl. E1), und zwar ein „Österreicher“ und eine „Berlinerin“; damit sind in deutlicher Form bereits der spätere Reithofer und Lotte bzw. Annemarie präfiguriert. Zum ersten Teil notiert Horváth ein „Auftritts-Lied“, zum zweiten eine „Fahrt mit der Bahn“, zum dritten: „sie trennt sich von ihm in Spanien, in Italien“ und „er von ihr, zwar nicht in der Türkei, aber im Biedermeier“. Damit wird erstmals das Zeitreise-Motiv genannt, das hier wie das Picaro-Motiv gewissermaßen nur als Ironie auftaucht, da man sich ja in einer artifiziellen Themenpark-Umgebung befindet. Das Zeitreise-Motiv ist bereits in den gestrichenen Titel-Varianten von E2 angeklungen und wird das Werkprojekt bis zu den letzten Entwürfen und Textstufen begleiten. In E4 notiert Horváth einen Strukturplan in vier Szenen zum ersten Teil „Die Geschichte des Konsortiums“, die da lauten: „Gründung“, „Hoffnung“, „Pleite“ und „Sanierung“. Damit ist bereits der spätere Handlungsverlauf angedeutet, der sich etwa noch in TS1 und TS3 findet.

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H3 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 14v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E5 = gestrichener Strukturplan in 2 Teilen (oben) E6 = Notiz zum 1. Teil „Geschichte des Konsortiums“ (mittig) E7 = Strukturplan in 2 Teilen mit Notizen und einer Dialogskizze (unten)

Vermutlich sind die vorliegenden Entwürfe nach jenen von Bl. 15 des Notizbuchs Nr. 7 entstanden; abgesichert ist dies aber nicht. Allerdings ist die Titellosigkeit und die Wiederaufnahme des Motivs der „Eisenbahn“ (vgl. E3) ein Hinweis darauf, dass die vorliegenden Entwürfe nach E3 und E4 entstanden sind. E5 und E7 sind von der Makrostruktur her identisch: „Eisenbahn – Einsteigen“ und „Sitzung“ lauten die Teiltitel, nur dass E5 gestrichen wurde. Zum Teiltitel von E6 „Geschichte des Konsortiums“ vermerkt Horváth: „Der Reiche, der es sich im letzten Moment überlegt: er finanziert lieber einen Krieg – bei beidem ist die Bilanz gleich. Aber Krieg ist 1.) besseres Renomée 2.) sicherer. 3.) Traditionelles.“ In E7 notiert Horváth neuerlich die Teiltitel von E5 und vermerkt zur „Sitzung“, dass sie – gemeint ist wohl das Konsortium – einen „Mann mit Geld“ brauchen. Das ist die in den späteren Entwürfen und Textstufen „Geldmensch“ genannte Figur (vgl. etwa TS1–TS3). Durch eine „Verwechslung“ wird der Österreicher dafür gehalten. Er spielt die Rolle (vgl. ebd.) und „begegnet dem Mädchen“, womit wohl Lotte gemeint ist. Zuletzt notiert Horváth am rechten Rand eine Dialogskizze zwischen dem Direktor und einem „{Kapell}“, womit wohl Kapellmeister gemeint ist. Der Direktor sagt, er brauche dringend „den X“, sonst sei „alles aus“. Auch dieses Motiv kehrt in späteren Entwürfen und Fassungen wieder. H4 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 19, 20 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E8 = Strukturplan in 7 Szenen zum ersten Teil mit Werktitel „Das Paradies / Zauberposse in zwei Teilen“ mit Notizen und Dialogskizzen

Auf Bl. 19 und 20 entwirft Horváth einen sehr umfangreichen Strukturplan zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle, das hier erstmals den Werktitel „Das Paradies“ erhält. Darunter spezifiziert Horváth die Gattung mit dem Eintrag „Zauberposse in zwei Teilen“. Dieser Gattungsbegriff findet sich auch in den Vorarbeiten zu dem Stück Himmelwärts (1934), die ebenfalls auf den Herbst 1932 zurückgehen (vgl. WA 7/Himmelwärts/VA1 und VA2). Er steht in Zusammenhang mit Horváths experimenteller Suche nach neuen (komödienhaften) Gattungsformen nach den vier großen Volksstücken. Diese Suche nach neuen Gattungen wiederum ist Folge eines gewandelten Verständnisses des eigenen Schreibens, das sich spätestens nach der Machtübernahme Hitlers und Horváths faktischem Aufführungsverbot als notwendig erwies. Unterhalb des Gattungstitels notierte Horváth ursprünglich „Musik von Friedrich Holländer“, strich diesen Eintrag jedoch wieder. Der Strukturplan E8 umfasst folgende Szenen des ersten Teiles: „Das Konsortium“, „Vor dem Hause“, „Die Sphinx“, „Neapel, Sevilla“, „,Ich pass nicht in diese Zeit‘“, „,Ich geh z’haus nach Wien‘“ und „Lotte am Nordpol mit dem Matador“. Der Entwurf lässt damit erstmals deutlich das pikareske Reisemotiv erkennen, das das Paar nach Ägypten, Italien und Spanien führt, und Lotte, die hier erstmals namentlich genannt

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wird, sogar bis an den Nordpol. Bereits in E8 wird deutlich, dass diese Reise jedoch nur eine Miniatur-Reise in einer Art ,Haus Vaterland‘ (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt) ist, denn zur sechsten Szene, die die Rückkehr nach Wien beinhaltet, heißt es: „Wien in Reparatur. (Beschwerde)“. Szene fünf enthält in deutlicher Manier eine fiktive Zeitreise, indem dort „Biedermeier / Ritter / Germanen“ erwähnt sind (vgl. K1/E3). Die ebenfalls in Szene sechs genannte „Schweinerei“ erklärt sich in TS1, wonach der Gründer des Etablissements erpressbar ist, weil ein anderer eine „Schweinerei“ von ihm weiß. Zur siebenten Szene notiert Horváth eine ausführliche Dialogskizze zwischen Lotte und einem Matador, der hier erstmals genannt wird. Er möchte sich empfehlen, das heißt, nach Hause fahren, da sein „Töchterchen“ Diphterie hat. Lotte versteht nicht ganz, weshalb er erklärt, dass das doch alles „aus Pappe“ sei und die Kälte am Nordpol nur eine „künstliche Kälte“. Zuletzt kann Lotte ihre Rechnung nicht bezahlen, wird aber von einem „Incognito“, den Horváth schon zu „Neapel“ notiert hatte, ausgelöst. H5 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 22 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E9 = Strukturplan in 2 Szenen mit gestrichenem Werktitel „Das Paradies“ (links oben) E10 = fragm. Strukturplan in 9 Szenen (rechts oben und mittig) E11 = gestrichener fragm. Strukturplan in 1 Szene (links unten) E12 = fragm. Strukturplan in 2 Szenen mit Dialogskizze (rechts unten)

Das vorliegende Blatt befindet sich im Notizbuch Nr. 7, in dem der Großteil der Entwürfe und Textstufen zu dem Werkprojekt Reise rund um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle überliefert sind (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Die chronologische Reihung der Entwürfe entspricht deshalb größtenteils der Abfolge im Notizbuch. Auf dem Blatt sind vier Entwürfe zu unterscheiden. In E9 notiert Horváth zunächst den Werktitel „Das Paradies“, streicht diesen jedoch wieder und trägt darunter zwei Szenen- oder Bildtitel ein: „Denkmalsenthüllung“ und „Roulette“. Ersteres ist ein Titel, der in Horváths Entwürfen zu den beiden Vorarbeiten zu dem „Märchen“ Himmelwärts, die etwa zeitgleich entstanden sind, immer wieder vorkommt (vgl. WA 7/VA1 und VA2). Zweiteres ist ein neuer Titel, der aber in der Folge nicht mehr auftaucht. Rechts davon hält Horváth einen umfangreichen, wenn auch fragmentarischen Strukturplan E10 in neun Szenen fest. Diese lauten: „Die A.G.“, „Die Sphinx“, „Hawai“, „Spanien“, „Wien“, „Nordpol“, „Paris“ und „Paradies“. Einzig die achte Szene bleibt unbetitelt. Die meisten Szenentitel des vorliegenden Entwurfs bleiben auch in den Entwürfen auf den folgenden Blättern des Notizbuchs erhalten. In E11 notiert Horváth noch einmal den ersten Szenentitel „Die A.G.“, streicht diesen jedoch sofort wieder und setzt in E12 anders an: Hier sollte zunächst eine Szene stehen, die „Das Liebespaar“ heißt, und dieses beim Zeitungslesen und bei der Suche nach einer Freizeitbeschäftigung zeigt. Dem folgt in E12 die vorher erste Szene „Die A.G.“.

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H6 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 23 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E13 = fragm. Strukturplan in 9 Szenen mit Werktitel „Zauberposse“ und Dialogskizze (oben) E14 = Bühnenskizze (rechts unten) E15 = fragm. Strukturplan in 6 Szenen (links unten) E16 = Strukturplan in 7 Szenen (rechts ganz unten)

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. dazu den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). In E13 notiert Horváth einen Strukturplan in neun Szenen, der im Wesentlichen E10 entspricht. Die Szenenfolge lautet hier: „Die A.G.“, „Die Sphinx“, „Hawai“, „Stierkampf“, „Wien“, „Nordpol“, „Paris“ und „Paradies“. Spanien ist damit durch einen „Stierkampf“ ersetzt. Die achte Szene ist unbetitelt. Zur ersten Szene skizziert der Autor rechts auf dem Blatt einen Dialog; zunächst zwischen dem Geldgeber und dem Chef des Konsortiums, in dem der Geldgeber beschließt, sich den „Betrieb“ incognito ansehen zu wollen (vgl. E8). Dann erscheint das Liebespaar (vgl. E12), das behauptet, nach „Ägypten“ zu wollen. Es wird vom Chef zur vierten Türe links geschickt. Damit wird neuerlich ersichtlich, dass es sich bei der Reise in verschiedene Länder (vgl. die Szenen-Titel in E13) nur um fiktive Reisen in einer Art ,Haus Vaterland‘ (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt) handelt. Unter der Dialogskizze notiert Horváth eine Bühnenskizze, in der die Positionen des Liebespaars und von Ägypten verzeichnet sind. Zuletzt trägt Horváth am unteren Rand des Blattes zwei Strukturpläne E15 und E16 ein. E15 ist fragmentarisch, indem nur fünf der genannten sechs Bilder betitelt sind. Auffallend sind die Bildtitel der ersten beiden Szenen: „Büro“ und „Er – Sie“. Laut einer Notiz soll im dritten Bild „Ägypten“ eine „Wahrsagerei“ stattfinden. Zum „Stierkampf“ im fünften Bild vermerkt Horváth „Umzug“. Der Strukturplan E16 nimmt die Szenentitel von E15 wieder auf und erweitert sie um „Wien“ und „Nordpol“ in der sechsten und siebenten Szene (vgl. E10). H7 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 24 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E17 = Strukturplan in 7 Szenen (links oben) E18 = gestrichener fragm. Strukturplan in 4 Szenen (rechts oben) E19 = gestrichener fragm. Strukturplan in 1 Szene (mittig) E20 = Strukturplan in 10 Szenen mit Notizen und einer Replik (unten)

Auf einem weiteren Blatt des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt) notiert Horváth E17–E20. Im Wesentlichen orientiert er sich dabei an dem Strukturplänen E13 und E16. Bemerkenswert ist aber, dass die Szene „Denkmalsenthüllung“, die bereits in früheren Strukturplänen genannt wurde (vgl. E9 und E10), hier wiederaufgenommen wird, und zwar in E17, in dem sie die siebente Szene darstellt, in E19, in dem sie an erster Stelle genannt wird, und schließlich auch in E20, in dem sie wieder an der siebenten Position steht. Die Szenenfolge des ausführlichsten Strukturplans des Blattes, E20, lautet: „Büro“, „Er – Sie“, „Ägypten“, „Stierkampf-Umzug“, „Hawai“, „Nordpol“, „Denkmalsenthüllung“, „Wien“, „Paris“ und „Paradies“. Zur letzten Szene, „Paradies“, notiert Horváth eine Replik des Geldgebers (vgl. E13), der behauptet, dass die Leute keinen Krieg mehr haben wollen, weshalb er jetzt das „Vergnügen finanzieren“ müsse.

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H8 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 25, 26 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E21 = fragm. Strukturplan in 11 Szenen (Bl. 25, links) E22 = Strukturplan in 5 Szenen mit Dialogskizzen zur 1. und 2. Szene und Notizen (Bl. 25, rechts und unten sowie Bl. 26)

Auch die vorliegenden Blätter befinden sich in Notizbuch Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). In E21 notiert Horváth einen fragmentarischen Strukturplan in elf Szenen, die folgendermaßen lauten: „Büro“, „Er – Sie“, „Sphinx“, „Stierkampf – Umzug“, „Hawai“, „Wien“, „Nordpol“, „Denkmalsenthüllung“, „Paris“ und „Paradies“. Damit sind fast exakt dieselben Szenen wie in E20 genannt. Die neunte Szene bleibt unbetitelt. Rechts auf Bl. 25 beginnt Horváth mit der Ausarbeitung einer Dialogskizze zur ersten Szene. In dieser treffen Er und Sie aufeinander. Sie erklärt, dass es da ein neues Lokal gebe, in dem man um die ganze Welt reisen könne. Er erwidert jedoch, dass es überall dasselbe sei, was Sie entschieden zurückweist. Er meint dann noch, durch seinen Beruf als Kellner schon viel herumgekommen zu sein, nur in der Südsee war er noch nicht, weshalb er sich dann doch zu einem Besuch des Etablissements überreden lässt. Diese Dialogskizze zur ersten Szene eröffnet zugleich den Strukturplan E22 in fünf Szenen, deren zweite bis fünfte auf Bl. 26 notiert sind. Hier vermerkt der Autor zunächst eine Dialogskizze zur zweiten Szene, die in Ägypten bei der „Sphinx“ spielt. Wer das Rätsel der Sphinx errät, erhält 100 Mark von der Direktion bzw. eine „Pulle Sekt“, wie Horváth korrigierend ergänzt. Er errät das Rätsel, weshalb Er und Sie dann Sekt trinken. Die dritte Szene spielt im „Büro“, auf sie folgt eine Szene in der „Südsee“, in der sie Sekt trinken. Weiters ist dazu „Inkognito – Stierkampf“ notiert, was vermutlich heißen soll, dass sie mit dem Inkognito zu einem Stierkampf geht, denn in der letzten Szene verliert dieser sie an den Matador. Zuvor hatte sie der Inkognito schon verloren, weil der Sekt zu Ende war. H9 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 28 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E23 = Strukturplan in 2 Bildern (links oben) E24 = fragm. Figurenliste (rechts oben) E25 = Dialogskizze und Notizen zum 1. Bild (mittig und unten)

Das vorliegende Blatt ist in Notizbuch Nr. 7 enthalten (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Zunächst notiert Horváth den Strukturplan in zwei Bildern E23. Erstmals ist damit im Rahmen dieses Werkprojekts von Bildern die Rede. E23 umfasst ein Bild, zu dem Horváth „Sitzung des Konsortiums“ notiert, und ein zweites Bild, zu dem der Autor festhält, dass „sie“ – damit sind wohl „Er“ und „Sie“ gemeint – sich den Eintritt nicht leisten können, aber dass „er“ sich hineinschnorre. In E24 hält Horváth erstmals die Figur der Prinzessin fest. Diese spielt in den folgenden Entwürfen und Textstufen eine wichtige Rolle. Zuletzt notiert Horváth E25, eine Dialogskizze und Notizen zum ersten Bild. Darin sollen Autos vor dem „Imperial-Palast“ vorfahren, wie das Lokal hier erstmals heißt. Eine Figur namens „Reith“, womit Reithofer gemeint ist, klagt darüber, dass er eine schöne Frau, die vorbeigeht, nicht haben könne, weil er kein Geld habe. Wieder schwindelt er sich hinein. Weiters no-

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tiert Horváth hier ein „Überfallkommando“ und einen Herrn, der der alten Dame das „Kollier“ aus dem Ohr gebissen habe. H10 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 29 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E26 = Strukturplan in 6 Teilen

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Hier notiert Horváth einen Entwurf der den Titel „Das Teller zerbrechen“ trägt. Möglicherweise geht es darin um Reithofer (vgl. E23), der als Kellner (vgl. E22) eine Reihe von Tellern zerbricht; eventuell auch um den „Geldmenschen“ (vgl. E27). Beim ersten Teller bekommt er jedenfalls einen „Lohnabzug“, beim zweiten die „Kündigung“, beim dritten die „Fristlose Entlassung“ und beim vierten „Gefängnis wegen Sachbeschädigung“. Als er alle Teller zerbrochen hat, landet er im „Zuchthaus“ bzw. erleidet er seinen „Tod“. In den folgenden Entwürfen fällt diese tragische Handlungsführung wieder weg. Stattdessen landen die Figuren im „Paradies“ (vgl. E27 und E34). H11 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 30, 31 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E27 = Strukturplan in 8 Bildern mit Konfigurationsplänen, Notizen, Repliken und Dialogskizzen

Die vorliegenden Blätter sind Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Auf den beiden Blättern notiert Horváth einen Strukturplan in sieben Teilen E27, vermutlich Bildern, wobei dies nicht eindeutig entschieden werden kann. Die Bilderfolge lautet: „Strasse“, „Konsortium“, „Empfangssaal – Tanzsaal“, „Küche“, „Papiti“, „Er – Chef“, „Mädel – Er“ und „Paradies“. Weiters vermerkt Horváth hier die Figuren „Er“, „Sie“, den „Geldmensch“, der hier erstmals so genannt wird, die „Prinzessin“ und das „Konsortium“. Dazu ist die Replik eines „Alte[n]“ festgehalten, der behauptet: „Da drinnen ist die ganze Welt aufgebaut in den rosigsten Farben.“ Zum dritten Bild notiert Horváth zwei Dialogskizzen. In der ersten überredet der Chef die Prinzessin „ihn“ zu „umgarnen“, gemeint ist wohl der „Geldmensch“, der das Etablissement retten soll. Die zweite Dialogskizze, in der es zuerst um schmutzige Teller und ein Küchenmädl geht, läuft darauf hinaus, dass „Er“ fort möchte, worauf die Prinzessin antwortet: „Nach Papiti! Wir können hier überallhin.“ Das vierte Bild zeigt den Geldmenschen in der Küche, wo er schließlich mit dem Mädl abgeht. Im fünften Bild verlässt er das Mädl wegen der Prinzessin. Nach seiner „Demaskierung“ verlässt die Prinzessin ihn. Im sechsten Bild kommt es zu einer „Erkennungsszene“ zwischen ihm und dem Chef, worauf er „avanciert“. Der Geldmensch verlässt das Mädel. Im siebten Bild sind das Mädel und „Er“ zu sehen. Hier heißt es, dass sie wieder zurückkommt und er stolz sei, weshalb er sie fahren lasse. Auch eine „Pleite“ ist hier notiert. Das nominell siebente, faktisch achte Bild spielt dann im „Paradies“. Damit endet der Strukturplan E27.

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H12 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 32 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E28 = fragm. Strukturplan in 3 Bildern mit Notizen und einer Dialogskizze

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Möglicherweise sind die drei Bilder des fragmentarischen Strukturplans, der erst mit dem dritten Bild einsetzt, als Varianten zu dem vorhergehenden Strukturplan E27 zu sehen, eventuell auch als Alternative zu Bl. 31, denn im dritten Bild soll das Mädl „ihn“ erkennen. „Er“ ist auf der Flucht, und es wird ein Steckbrief zu ihm verfasst. Das vierte Bild spielt in der Küche, das fünfte zeigt ihn auf der Flucht, am Nordpol, wo er durch den Chef verhaftet wird. Als dieser ihn erkennt, wird er jedoch zum Chef „avanciert“. Zuletzt notiert Horváth, dass ihn das Mädl auf der Flucht sieht, dass sie mit dem Geldmenschen zusammen ist und „ihn“ fahren lässt, worauf „Er“ verhaftet wird. Möglicherweise sollte dies auch in einem „andere[n] Bild“ gezeigt werden und im fünften Bild nur die Flucht „durch fünf Erteile. Nordpol und überall“. H13 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 36 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E29 = Notiz zum 9. Bild „Nordpol“

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Es handelt sich dabei um eine Notiz zum neunten Bild „Nordpol“. Vermutlich ist dies als Variante zu einem vorhergehenden Strukturplan oder als Erweiterung notiert worden (etwa zu E27 oder E28). Das vorliegende Bild zeigt jedenfalls Reithofer am „Nordpol“ (vgl. E28), der vom Vizedirektor verhaftet wird. Darauf erscheint der Direktor, der von jemandem eine „Schweinerei“ weiß, der auch von ihm eine wisse (vgl. TS1). Schließlich erscheint die Prinzessin, die sich vom Sekretär davon überzeugen lässt, dass Krieg das bessere Geschäft sei, weshalb sie sich dafür entscheidet, den Krieg zu finanzieren. H14 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 37 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E30 = Notizen zum 8. Bild „Orient“ (oben) E31 = fragm. Strukturplan in 8 Bildern mit Notizen, Repliken und einer Dialogskizze (unten)

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Auf dem oberen Teil des Blattes skizziert Horváth eine Variante E30 zum achten Bild, das den Titel „Orient“ trägt. Dort ist Reithofer allein zu sehen, dann stoßen jedoch der Direktor und der Vizedirektor zu ihm, der hinter dem Mädel her ist. Auf dem unteren Teil des Blattes notiert Horváth einen fragmentarischen Strukturplan E31 in acht Bildern, wobei nur die ersten vier Bilder und das achte Bild angeführt sind. Auch finden sich in dem überaus fragmentarischen Strukturplan keine Bildtitel. Einzig zum achten Bild, das wie in E30 mit „Orient“ betitelt ist. Hier geht es vor allem um das Mädel, um das Reithofer und der Vizedirektor streiten. Der Wahrsager meint zu Reithofer: „Ihr werdet kein Paar“, wo-

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rauf der Vizedirektor kontert: „Sie werden doch nicht so dumm sein und werden sich an den hängen.“ Das Mädel will letztlich auch nichts von Reithofer wissen, „weil er ein Hochstapler ist“. Zuletzt stellt der Direktor den Vizedirektor vor die Alternative Beruf oder Mädel, worauf er sich für den Beruf entscheidet: „Mein Beruf! Meine Pflicht!“ H15 = ÖLA 3/W 362 – o. BS, Bl. 38 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 7 mit ziegelrotem Kartoneinband und Spiralbindung, kariertes Papier (210 × 132 mm), schwarzblaue Tinte E32 = Strukturplan in 3 Bildern mit Notizen (oben) E33 = Strukturplan in 5 Bildern mit Notizen, Repliken und Dialogskizzen (unten)

Auch das vorliegende Blatt ist Teil des Notizbuchs Nr. 7 (vgl. den einführenden Kommentar zu diesem Werkprojekt). Auf dem oberen Teil des Blattes befindet sich der Strukturplan E32 in drei Bildern: „Strasse“, „Konsortium“ und ein unbetiteltes drittes Bild, das zunächst „Empfangssalon“ geheißen hatte, was Horváth aber wieder streicht. An Figuren notiert Horváth zum zweiten und dritten Bild die „Prinzessin“ und das „Küchenmädel“. Dieses gelangt im dritten Bild an den „reiche[n] Geldmensch[en]“. Die Prinzessin indes beanstandet einen Teller, der nicht ganz sauber sei. Auf dem unteren Teil des Blattes ist der Strukturplan E33 in fünf Bildern notiert. Die Bilderfolge lautet hier: „Strasse“, „Konsortium“, „Nach Tahiti“, „Küche“ und „Prinzessin beschwert sich über den Teller“. Zum zweiten Bild vermerkt Horváth, dass er – vermutlich der Geldmensch – glaubt, sich in der Türe geirrt zu haben. Zur „Küche“ notiert der Autor, dass der Geldmensch einen Teller zerbricht (vgl. E26). In einer weiteren Dialogskizze meint die Prinzessin, dass „Er“ viel Geld habe, doch der Chef widerspricht ihr: „Nichts hat er!“ Zuletzt hält Horváth wie schon in E27 die „Erkennungs-Szene“ fest. Damit bricht die Reihe der Entwürfe zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies im Notizbuch Nr. 7 ab. Sie werden abgelöst durch lose Blätter, auf denen Horváth unter dem Titel Zwischen Himmel und Hölle weitere Strukturpläne und Fassungen ausarbeitet. H16 = ÖLA 3/W 318 – BS 48 [2], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), schwarze Tinte E34 = Strukturplan in 11 Bildern mit Werktitel „Zwischen Himmel und Hölle. / Zauberposse“, Notizen und einer Replik sowie dem alternativen Werktitel „Planet“ (links) E35 = Strukturplan in 6 Bildern mit einer Replik (rechts oben) E36 = Strukturplan in 7 Bildern mit Notizen und Repliken (rechts mittig und unten)

Das vorliegende Blatt ist das einzige überlieferte lose Blatt mit handschriftlichen Entwürfen zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle. Es enthält drei Strukturpläne unterschiedlichen Umfangs. Da das Werkprojekt den Gattungstitel „Zauberposse“ führt, ist davon auszugehen, dass es sich um ein dramatisches Werkprojekt handelt. E34 umfasst elf Bilder, wobei diese nicht durchnummeriert sind. Neben dem Werktitel „Zwischen Himmel und Hölle“, der hier zum ersten und einzigen Mal vorkommt, notiert Horváth wohl alternativ den Titel „Planet“. Die Bilderfolge von E34 lautet „Auffahrt“, „Sitzung“, „Küche“, „Neapel“, „Sport–Amerika“, „Südsee“, „Orient“, „Nordpol“, „Wien“, „Krönung“ und „Paradies“. Zur „Küche“ notiert Horváth „Kleider“, zum Bild „Sport-Amerika“ „Nachtklub“, zum Bild „Krönung“ „Deutsche Kleinstadt“ und „Loreley“, zum Bild „Paradies“ „Abfahrt“

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sowie die Replik eines Gerichtsvollziehers „Sie können ja auch Protest einlegen –“. Ein Großteil der hier genannten Bildtitel kommt in vorhergehenden Strukturplänen im Notizbuch Nr. 7 vor. Mit „Auffahrt“ ist, wie spätere Entwürfe und Textstufen zeigen, die Auffahrt für Autos vor dem Etablissement gemeint. Bei E35 handelt es sich um einen Strukturplan in sechs Bildern mit der Folge: „Auffahrt“, „Sitzung“, „Küche“, „Neapel“, „Sport-Tanz“ und „Südsee“. Damit ist ein Teil des Strukturplans E34 wiederaufgenommen, vor allem ist darin aber die pikareske Struktur bestätigt, die die Hauptfigur(en) an verschiedene Orte des Etablissements bringt. Ähnliches gilt für E36, einen Strukturplan in sieben Bildern, die im Wesentlichen E35 entsprechen, der „Sport-Tanz“ ist hier wieder zu „Amerika“ korrigiert, zuletzt notiert Horváth ein siebtes Bild „Wien“ (vgl. E34). Bemerkenswert sind die Notizen zu E36. Demnach soll es im Bild „Neapel“ zu einem „Krach“ zwischen einer Prinzessin und einem Mädchen kommen, für das ein Kellner Partei ergreift. Vermutlich zum Bild „Südsee“ notiert Horváth „Gruppe aus Pommern verlangen Marsch“ und „Rassenvorurteil: wir verpatzen unsere Rasse“. T1 = ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 1–3 Insgesamt 3 Blatt, davon 2 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), Wasserzeichen „Aeolus M.K. Papier“, 1 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), dünn, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte TS1 = fragm. Fassung (Korrekturschicht)

Auf den Blättern der Mappe BS 48 [1] befinden sich drei Prosaexposés zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle. Solche Prosaexposés dienen bei Horváth üblicherweise der Klärung handlungsmäßiger Abläufe und werden für gewöhnlich am Beginn der Arbeit an einem dramatischen Werkprojekt oder aber zur neuen Orientierung in einer späteren Werkphase ausgearbeitet (vgl. etwa WA 15/VA1/TS1 und WA 7/Mit dem Kopf durch die Wand/K3/TS9). Im Fall des Werkprojekts Magazin des Glücks stellen Prosaexposés den Großteil der Ausarbeitungen dar. Horváth wollte in diesem Fall – ähnlich wie bei den Filmexposés – keine oder nur wenige Dialoge ausarbeiten. In diesem und den folgenden Prosaexposés werden Szenenbeschreibungen und ähnliche Notizen nicht als Szenenanweisungen formatiert, da es sich um keine Dramentexte handelt. Das erste Prosaexposé TS1 ist nur durch die Staffelung der Orte strukturiert (vgl. 34 E –E36), enthält aber keine numerische Unterteilung. An Figuren werden hier bereits der Geldmensch, Lotte, der Direktor des Etablissements und Reithofer genannt (vgl. auch TS2 und TS3). Die skizzierte Handlung setzt im Lokal ein, wo der Geldmensch „incognito“ auftaucht und Lotte auslöst, „vom Nordpol“, wie es in der Apposition heißt (Bl. 1). Danach wird Reithofer vom Konsortium gebeten, den „reichen Mann“ zu „markieren“, damit der „Geldmensch“, von dem das Konsortium weiß, „schärfer auf das Geschäft“ wird (ebd.). Es folgen die Destinationen Ungarn und Paris, womit neuerlich das pikareske Reiseschema ironisch realisiert wird (vgl. E34–E36). Allerdings sind die Orte hier nur als Örtlichkeiten im Etablissement zu verstehen, das ähnlich wie das historische „Haus Vaterland“ in Berlin bekannte Orte der Welt inszeniert, wie Horváth dies auch in der Endfassung der Revue Magazin des Glücks (K2/TS3) realisiert hat. In Paris sitzen der Geldmensch und die Berlinerin am Montmartre, wo sie „[g]rosse[n] Tanz“ sehen. „Er“, also Reithofer, taucht „als grosser Herr und Lebemann“ auf. Die Täuschung des Geldmenschen scheitert, weshalb das Etablissement vom „Gerichtsvollzieher“ gepfändet wird. Lotte und Reithofer verschwinden „ab in

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das Paradies“ (Bl. 1). Dabei landen sie zuerst am Meer, dann in Spanien, wo sie einen Stierkampf sehen (Bl. 2; vgl. den Roman Der ewige Spießer in WA 14), und wo Lotte schließlich mit dem Matador weggeht. Reithofer geht darauf nach Wien, das jedoch „in Reparatur“ ist, worüber er sich beschwert und weshalb er sein Geld zurückhaben will (vgl. Bl. 2). Außerdem meint er, dass er nicht mehr in die Zeit passe, worauf ihm der Direktor erwidert, dass er im Etablissement auch in die Vergangenheit zurückfahren könne. Es folgen dementsprechend „Biedermeier“, „Ritter“ und „Alte Germanen“ (ebd.). Lotte reist unterdessen mit dem Matador nach „Chikago“, wo sie mit „Gangster[n]“ in Berührung kommt. Dann geht es weiter an den Nordpol (vgl. ebd.). Der Matador will sich ihr nähern, doch sie ist müde und will nach Hause. Sie verlangt deshalb die Rechnung, wird aber nicht nach Hause gelassen, weshalb sie sehr „verzweifelt“ (ebd.) ist. Zuletzt landet sie wieder im „Paradies“, wo der „Sündenfall“ inszeniert ist (Bl. 3). Die Tiere reden dort über den „Krieg“ und darüber, wie „dumm“ die Menschen sind (ebd.). Schließlich wird auch das Paradies vom Gerichtsvollzieher gepfändet (vgl. ebd.). Das „Ende“ zeigt Lotte und Reithofer, die in der gemeinsamen Erinnerung ans Paradies schwelgen und davon leben (vgl. ebd.). Handschriftlich notiert Horváth dann noch ein „Ballett der Ochsen und Kühe“, „der Hirsche und Löwen“ sowie eine „gefangene Mücke“, die um ihr Leben bittet. Damit endet die Ausarbeitung. T2 = ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 4 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), Wasserzeichen „Aeolus M.K. Papier“ TS2 = fragm. Fassung (Grundschicht)

Das vorliegende Blatt dürfte zu keiner der längeren überlieferten Fassungen der Zauberposse Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle gehören und eine eigene fragmentarische Fassung TS2 konstituieren. Eventuell bildet es jedoch den Auftakt zu TS3. Gleich zu Beginn der Fassung TS2 ist vom Etablissement „die Erde“ die Rede, womit das Lokal von TS1, das an das ,Haus Vaterland‘ gemahnt, wiederaufgenommen wird. Es ist „pleite“ und der ebenfalls schon in TS1 genannte „Geldmensch“ die „einzige Hoffnung“. Er wird deshalb „sehnsüchtig“ erwartet: „Er hat das Geld ererbt, finanziert Kriege und interessiert sich für die bildenden Künste.“ Momentan müsse er sich entscheiden, ob er „die Erde sanieren soll oder einen Krieg finanzieren, eine Revolution in Amerika“. Derzeit wisse noch niemand von der finanziellen Krise der Erde, nur der „Geschäftsführer, ein alter Jud“. Nach einem Absatz schwenkt der Fokus des Erzählers zum „Liebespaa[r]“ Reithofer und Lotte, die ebenfalls auf TS1 zurückgehen. Er, ein Österreicher, erzählt von seiner „Ankunft in Berlin“. Dann betreten beide die Erde. Dort fahren sie nach Ägypten, wo sie die Sphinx sehen und eine Wahrsagerin treffen, die ihnen prophezeit, dass sie ein „glückliches Paar“ werden. Sie reisen dann weiter nach Italien, wegen ihrer „Südsehnsucht“. Doch Reithofer mag keinen „blauen Himmel“. Sie kommen nach Neapel, wo sie für zehn Pfennig extra einen Ausbruch des Vesuvs erleben können. Doch Reithofer interessiert das weniger. Sie führen dann noch ein „Gespräch über die Kleinheit der Menschen“, und in der Folge küssen sie sich erstmals. Damit bricht die Ausarbeitung vermutlich ab. Es könnte aber auch sein, dass weitere Blätter der Fassung existiert haben. Möglicherweise bildet diese Fassung auch den Auftakt zu TS3, da dies jedoch weder materiell noch von der formalen Gestaltung her nachweisbar ist, wurde von einer Zusammenstellung der beiden Textträger abgesehen.

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T3 = ÖLA 3/W 317 – BS 48 [1], Bl. 5–7, ÖLA 3/W 318 – BS 48 [2], Bl. 1v Insgesamt 4 Blatt, davon 3 Blatt unliniertes Papier (284 × 224 mm), 1 Blatt unliniertes Papier (283 × 223 mm), hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und Kopierstift TS3 = fragm. Fassung in 9 Teilen (Korrekturschicht) Druck in: KW 16, S. 149–153.

Mit den vorliegenden Blättern ist eine fragmentarische Fassung des Werkprojekts Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle gegeben. Von ihr fehlt mindestens ein Blatt, das auf Bl. 5 gefolgt wäre und auf dem die Teile II–IV ausgearbeitet waren, denn Bl. 6 setzt den I. Teil von Bl. 5 mit Teil V und VI fort, auf Bl. 7 folgt Teil VIII; Bl. 1v liefert den abschließenden Teil IX. Am Kopf von Bl. 5 notiert Horváth eine Figurenliste mit den Figuren: Reithofer, Lotte, Geldmensch, Prinzessin und Direktor. Diese gehört vermutlich bereits zu der folgenden Textstufe. Der I. Teil zeigt die „Strasse vor dem Etablissement“: „Autos fahren vor, elegante Welt. Portier. Eingang für Personal und Eingang für Lieferanten.“ So lautet die Szenenanweisung vom Beginn der Fassung. Wieder tauchen Reithofer und Lotte auf (vgl. TS1 und TS2). Reithofer ist ein „stellungsloser Kellner“ (Bl. 5), seine Braut Lotte arbeitet als „Tellerputzerin“ (Bl. 5) in der Küche des Etablissements. Reithofer ist „melancholisch“, weil er keine Stellung hat und „beschäftigt sich mit allerhand Plänen, Geld zu verdienen“ (ebd.). Auch ist er überzeugt, dass er bessere Chancen im Leben hätte, „wenn seine Garderobe in Ordnung wäre“ (ebd.). Seine Braut Lotte „geht auf seine Verstimmtheit nur sehr ungern ein“, weshalb sie sich mit „leisem Krach“ trennen (ebd.). Danach will ihr Reithofer nach, um mit ihr zu reden, da fährt jedoch eine Prinzessin vor, der er dann folgen will. Er wird jedoch nicht eingelassen. Da taucht ein Mann im Frack auf, der mit ihm wegen einer Wette die Kleider tauschen möchte. Reithofer willigt ein und wird fortan eingelassen. Der Mann im Frack war jedoch ein Dieb, der einer älteren Dame beim Tanz die Brillantohrringe herausgerissen hat. Anschließend fehlt mindestens ein Blatt, wahrscheinlich aber zwei, die die Teile II–IV enthalten haben. Auf Bl. 6 folgt der V. Teil, der in der Küche spielt. Lotte wird dort gerügt wegen des Staubes auf dem Teller der Prinzessin. Der „Geldmensch“ taucht incognito auf und putzt ebenfalls Teller, lässt aber einige fallen, weshalb er gekündigt wird. Lotte ergreift für ihn Partei, was ihn rührt. Er gibt sich zu erkennen und lädt Lotte ein, mit ihm zu verreisen. Sie will in die Südsee. Der VI. Teil spielt dementsprechend dort. Von Reithofer heißt es, dass er sich bereits sehr gut mit der Prinzessin verstehe und dass er alle Nebenbuhler erledigt habe. Als der „Geldmensch“ und Lotte dort auftauchen, eskaliert die Situation. Lotte entlarvt Reithofer, der sich als „ein leicht vertrottelter Aristokrat“ ausgegeben hatte (Bl. 6). Der Prinzessin wird „schwindlig“ (ebd.), doch der „Geldmensch“ bemüht sich um sie. Reithofer flieht schließlich. Lotte bleibt allein zurück, weil sich der „Geldmensch“ nun nur um die Prinzessin kümmert (vgl. Bl. 7). Der VII. Teil spielt am Nordpol. Reithofer wird durch den Direktor verhaftet, er erkennt ihn und avanciert. Der VIIl. Teil zeigt Reithofer, der in sein „neues Reich“ eingeführt wird. Hier kommt es zu einem „[g]rosse[n] Empfang“ und der „Krönung“ (Bl. 7). Dabei trifft Reithofer Lotte, die unter den Menschen steht, erkennt sie aber „vor lauter Stolz“ kaum mehr. In einer handschriftlich eingefügten Notiz heißt es, Lotte wolle fort von dieser Welt. Der „Geldmensch“ entscheidet, dass er sein Geld doch lieber in einen Krieg investiert, weil er damit „vier Mark 30“ mehr verdient (ebd.). Das Etablissement ist damit endgültig pleite. Die Häuser werden abgetragen. Auch Reithofer möchte jetzt fort von dieser Welt (vgl. ebd.).

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Der IX. Teil, der auf der Rückseite von H1 ausgearbeitet ist, spielt folglich im „Paradies“ (Bl. 1v). Lotte ist dort zuerst, dann auch Reithofer: „Sie reden mit den Tieren“, treffen auf den „Baum der Erkenntnis“ und „finden sich wieder“. Obwohl der Gerichtsvollzieher kommt und alles pfändet, bleiben sie zusammen. Damit endet die Ausarbeitung. T4 = ÖLA 3/W 264 – BS 49 b, Bl. 1–5 5 Blatt unliniertes Papier (289 × 223 mm), dünn, rostige Abdrücke von Heftklammern TS4 = Fassung in 11 Bildern (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 604–610; KW 16, S. 154–162.

Das vorliegende Prosaexposé trägt keinen Titel. Vermutlich lautet dieser noch Reise um die Welt oder Das Paradies. An Figuren werden hier genannt: Reithofer (ein arbeitsloser Kellner aus Österreich; vgl. den Kommentar zu RF3/TS1), Lotte (ein Mädchen mit Beruf aus Berlin), Direktor, Vizedirektor, Prinzessin und Nebenpersonen. Die Fassung weist elf Bilder auf: „Strasse vor dem Etablissement“, „Sitzung der Direktoren des Etablissements“, „Abteilung ‚Neapel‘“, „In der Küche“, „Nachtklub in Amerika“, „Südsee“, „Wien“, „Im Orient“, „Am Nordpol“, „Am Rhein“ und „Im Paradies“ und erinnert damit sehr stark an Strukturpläne von K1 und an die Fassung TS3, weshalb TS4 an den Schluss von K1 gestellt wird. Die Fassung TS4 dreht sich zentral um die Prinzessin, die für eine Rettung des Etablissements, das vor dem finanziellen Ruin steht, gewonnen werden soll. Der Direktor versucht dies durch verschiedene Aktionen, doch immer kommt ihm Reithofer in die Quere, der durch einen im ersten Bild stattfindenden Kleidungstausch ins Etablissement eintreten konnte. Neben der Prinzessin verliebt sich Lotte, die Tellerputzerin, in Reithofer, sodass dieser nun zwischen den beiden steht. Lotte enttarnt ihn schließlich als Kellner, sodass die Prinzessin von ihm ablässt. Reithofer gelingt es, durch eine falsche Wahrsagerei den Vizedirektor von Lotte abzubringen. Reithofer kommt dem Vizedirektor hinter einige Inkorrektheiten, durch die er seine „schwindelnd hoh[e] Karriere“ (Bl. 4) gemacht hat, weshalb ihn der Vizedirektor kaufen muss und zum Abteilungsleiter der Abteilung „Rhein“ macht. Doch dem Etablissement droht immer noch der Konkurs. Die Prinzessin hatte sich zwar, nachdem sie das Nordlicht in der Abteilung „Nordpol“ erblickt hat, dazu entschlossen, das Etablissement zu sanieren, doch ihr wieder aufgetauchter Sekretär rechnet ihr vor, dass sie, wenn sie einen Krieg finanziere, um „4,20“ (ebd.) Mark mehr verdienen könne. Deshalb entscheidet sie sich dafür. Reithofer wird in einer Art Krönungs-Zeremonie zum Abteilungsleiter gekürt und will Lotte nicht mehr kennen. Diese ist darüber sehr betrübt und will ins Paradies. Auch Reithofer sehnt sich danach, nachdem er erfährt, dass das Etablissement pleite ist. Im Paradies treffen sich Reithofer und Lotte, sie streiten unter dem „Baum der Erkenntnis“ (Bl. 5) und versöhnen sich durch „Vermittlungs-Aktionen“ der Tiere. Doch auch das Paradies wird durch den Gerichtsvollzieher abmontiert. Einzig der Protest des Direktors vermag einen Aufschub zu erwirken. Damit endet die Fassung TS4. Es handelt sich um die letzte Ausarbeitung zu dem Werkprojekt Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle. Einige der Motive dieses Werkprojekts dürften in die Zauberposse Himmelwärts weitergewandert sein (vgl. WA 7/Himmelwärts/VA1 und VA2), die meisten sind jedoch in die in der Folge ausgearbeitete Revue Magazin des Glücks (R/K2) eingegangen.

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Konzeption 2: Magazin des Glücks H1 = ÖLA 3/W 366 – BS 25 [3], Bl. 5 1 Blatt des Notizbuchs o. Nr. mit blauem Blattschnitt, liniertes Papier (152 × 89 mm), schwarze Tinte E1 = Werktitel

Das Notizbuch o. Nr. mit der Signatur BS 25 [3] hat Horváth vermutlich 1932 vor allem für private Aufzeichnungen verwendet (vgl. aber auch WA 12/WP20/E1 und WA 13/WP17/E6). Auf dem vorliegenden Blatt notiert er den Titel „Das liebe Leben“, der „Magazin des Glücks“ ersetzt. Als Gattungsbezeichnung vermerkt er „Zauberposse mit Gesang und Tanz“. Mittig auf dem Blatt ist der Titel „Im Reiche der Illusionen“ festgehalten und unten auf dem Blatt noch einmal der Titel „Das liebe Leben“. Vor allem auf der unteren Hälfte des Blattes finden sich zahlreiche Streichungen, erkennbar sind dort „Palast“ und „Im Palast“ sowie „Die Welt“, „Das Leben“, „Theater“ und „Die konstruierte Liebe“. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Titelvarianten für ein und dasselbe Werkprojekt. Die Tatsache, dass der Titel „Das liebe Leben“ zuletzt notiert wird, bestätigt möglicherweise die Gültigkeit dieses Titels. Der zunächst notierte Titel „Magazin des Glücks“ lässt annehmen, dass der vorliegende Titelentwurf Teil des Werkprojekts Magazin des Glücks ist, und damit eine Titelvariante gegeben ist. Da der Titel „Magazin des Glücks“ hier erstmals genannt wird, ist der Entwurf Konzeption 2 zuzurechnen. Auf Bl. 7 desselben Notizbuchs notiert Horváth im Rahmen einiger privater Notizen „Arcadia“ und „Stemmle“, womit er vermutlich ein Treffen mit Robert Adolf Stemmle, dem Co-Autor von Magazin des Glücks, im Arcadia-Verlag meint. T1 = ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 1–9 9 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), Wasserzeichen „Manila Schreibmaschinen“, hs. Eintragungen mit schwarzer Tinte und hs. Eintragungen von fremder Hand mit violetter Tinte, Paginierung 2–10 TS1 = fragm. Fassung in 12 Bildern (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 611–616; KW 16, S. 163–170.

Die vorliegenden Blätter bilden das erste Prosaexposé, das vermutlich bereits den Titel Magazin des Glücks getragen hat. Das Titelblatt mit der Pagina 1 fehlt, es ist wahrscheinlich verloren gegangen. Deshalb ist die Datierung nicht so leicht möglich wie im Fall der beiden letzten Exposés (TS2 und TS3). Aufgrund der konsequenten Schreibung des Namens „Reithover“ ist die Vermutung nicht abwegig, dass das Typoskript von jemand anderem als Horváth getippt wurde. Das „Personenverzeichnis“ auf Bl. 2 umfasst folgende Figuren: Reithofer, Annemarie, King Atlas (Besitzer des „Magazin des Glücks“), Gretel Klinke, Carl Maria Blind (Dichter), Rerebiz (Detektiv), der Kiebitz, der Fürst, die Fürstin, Zugführer und Portier. Einige dieser Figuren finden sich bereits in den Arbeiten zu Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle (R/K1). Auf Bl. 2 werden die „Stationen der Revue“ aufgelistet. Es sind dies: „1. Die Auffahrt“, „2. Der Dressing-room“, „3. Das Direktionszimmer“, „4. Der Kindergarten“, „5. In Grinzing“, „6. Auf dem Montmartre in Paris“, „7. Auf Hawai“, „8. In Italien“, „9. In Grönland“, „10. Im Night-club in Chicago“, „11. Im Orient“ und „12. Im Paradies“. Damit ist ein Handlungsbogen gegeben, der die fiktiven Orte dieses ,Hauses Vaterland’ abbildet. Das Ende im Paradies und viele der erwähnten Stationen gehen auf

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die Entwürfe und Textstufen von Konzeption 1 Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle zurück. Die Errichtung des „Magazins des Glücks“ durch Sam Klabaut, King Atlas genannt, fand, wie es zu Beginn des Exposés heißt, aus folgenden Gründen statt: „Sein Unternehmen nun, das Magazin des Glücks, sollte im kleinen der Menschheit das bieten und ersetzen, was sie auf dieser Welt ersehnte und erwünschte. In dem grossen Etablissement, in dem er Generaldirektor war, fand sich die Welt im kleinen wieder. Für ein Eintrittsgeld, das jeder ehrlich Arbeitende von seinem Einkommen ersparen konnte, bekam man eine Eintrittskarte in seine Wunderwelt. Hier war in verschiedenen Etagen Italien, Orient, Grönland, Paris, Chicago, Grinzing und das Paradies nachgebildet.“ (Bl. 3) King Atlas wird deshalb auch als „Philantrop und seltener Menschenbeglücker“ (ebd.) bezeichnet. Zu seinen Angestellten gehört Annemarie, die durch den „Erbschaftsprozess“, der King Atlas reich gemacht hat, alles verloren hat. Das „Magazin des Glücks“ ist nun folgendermaßen aufgeteilt: Am Beginn kommen die Menschen in einen „Dressing-Room“ (Bl. 4), in dem sie „gebadet, frisiert, manikürt und massiert“ werden können. Außerdem gibt es eine Art psychologische Vorbereitung auf das „Magazin des Glücks“: „Die zahlreichen Angestellten dieser Abteilung erfrischten auch die Besucher mit optimistischen Gesprächen und als Psychoanalytiker nahmen sie ihnen die Sorgen für ein paar Stunden ab […].“ (ebd.) Die Arbeitsbedingungen für die Angestellten sind indes nicht gerade rosig: „Der Dienst war streng und schwer. Die Bezahlung mässig und manche Bestimmungen standen mit dem Namen des Unternehmens ‚Magazin des Glücks‘ nicht im rechten Zusammenhang. Zum Beispiel betonte er [King Atlas; Anm.] wieder, dass es aufs Strengste verboten wäre, dass männliche und weibliche Angestellte unter sich irgendwelche Verbindungen aufkommen lassen dürften.“ (Bl. 6) Bei der „Auffahrt“ zum Magazin gibt es auch einen Kindergarten, in dem Eltern ihre Kinder abgeben können. Leider wurde das von einem Elternpaar in ungebührlicher Weise ausgenützt, sie haben nämlich ihr Kind seit fünf Tagen nicht mehr abgeholt. In diesem Kindergarten arbeitet auch ein „berliner Mädel“ namens Gretel Klinke, das sich in den Angestellten Reithofer (vgl. den Kommentar zu RF3/TS1) verliebt. Reithofer, der einmal das Magazin als „Privatmann“ (Bl. 7) erleben will, lässt die Liebe aber nicht aufkommen, weil er seinen Job nicht verlieren will. Stattdessen überlässt er Gretel seinen Freund, den Dichter Carl Maria Blind, mit dem er durchs Magazin gehen wollte: „Die Verbindung der einzelnen Etagen stellte der kleine Train bleu her, der alle Gäste von Hawai nach Spanien, von Spanien nach China beförderte.“ (ebd.) Zwischen den verschiedenen Abteilungen spiele sich eine „Komödie“ (ebd.) ab. Auch Annemarie verliebt sich in Reithofer. Die Fahrt durch das Magazin des Glücks ist für die beiden wie eine „Hochzeitsreise um die Welt“ (Bl. 8). Parallel dazu gibt es einen „Skandal“ (ebd.) um das von King Atlas engagierte Fürstenpaar, das vermutlich gefälschtes Geld verwendet hat. Gretel Klinke ist sehr eifersüchtig auf Annemarie und droht damit, dem King deren Verhältnis mit Reithofer zu verraten. Weiters wird das Glück Annemaries und Reithofers durch einen Mann namens Kiebitz gefährdet, der die Stelle Reithofers haben möchte (vgl. Bl. 8f.). Zuletzt kommt heraus, dass Annemarie Reithofer seine Stelle vermittelt hatte, und dass die beiden ein Kind hätten, nämlich jenes, das so lange im Kindergarten abgestellt worden war. Sie nehmen es schließlich wieder zu sich. Gleichzeitig fliegt der Erbschaftsschwindel King Atlas’ auf. Gretel Klinke und der Dichter Blind finden zusammen, weil sie bemerken, dass sie „gerade durch ihre Gegensätzlichkeit gut zueinanderpassten“ (Bl. 9). Das Fürstenpaar wird festgenommen, und nachdem sich die richtigen Paare

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gefunden haben, wird das Magazin des Glücks erst wirklich zu einem solchen. Damit endet die Fassung TS1. Im Typoskript finden sich wiederholt unregelmäßige Zeichenabstände. Diese werden stillschweigend korrigiert. Alle weiteren editorischen Eingriffe werden im kritischen Apparat ausgewiesen. H2 = ÖLA 3/W 263 – BS 49 a, Bl. 9v 1 Blatt unliniertes Papier (284 × 222 mm), Wasserzeichen „Manila Schreibmaschinen“, Bleistift E2 = Notizen

Auf der Rückseite des letzten Blattes der Fassung TS1 hält Horváth ein paar Notizen fest, die die Entwicklung Reithofers nachzeichnen. Demnach soll dieser zunächst „Chef“ werden „durch die Fürstin“, danach soll er „durch unwahrscheinlichen Ehrgeiz Abteilungsleiter“ werden und schließlich wird er „abgesetzt“. Die Idee, dass Reithofer Abteilungsleiter wird, findet sich in K1/TS4 und K2/TS3, vermutlich ist jedoch E2 Konzeption 2 zuzurechnen und erst nach der Abfassung von TS1 entstanden. T2 = ÖLA 3/W 265 – BS 49 c, Bl. 1–16 16 Blatt unliniertes Papier (285 × 222 mm), fleckig, Wasserzeichen „Manila Schreibmaschinen“, schwarzes und teilweise rotes Farbband, Paginierung 2, 4–17 TS2 = fragm. Fassung in 11 Bildern mit Werktitel „Magazin des Gluecks / ‚Versuch zu einem Entwurf‘ einer Revue“ (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 617–623; KW 16, S. 171–178.

Die vorliegende Fassung eines Prosaexposés zu dem Werkprojekt Magazin des Glücks trägt auch erstmals diesen Titel. Im Untertitel des Titelblatts sind die beiden Autoren Ödön von Horváth und Robert Adolf Stemmle genannt, außerdem das Datum 22. November 1932. Dies ermöglicht eine genaue Datierung dieser Fassung und des Werkprojekts Magazin des Glücks. Das Typoskript besteht aus 16 Blatt, wobei vermutlich ein Blatt mit der Pagina 3 verloren gegangen ist. Dieses hat vermutlich die „Stationen der Revue“ wie in TS1 enthalten. An Figuren nennt das Personenverzeichnis: die Fürstin, ihren Privatsekretär, den Dichter Blind, Hofdamen und Gefolge, King Atlas (Generaldirektor des „Magazin des Glücks“), Direktor Wallburg, Reithofer, Annemarie, den Portier und den Zugführer. Das ist im Wesentlichen auch das Figureninventar von TS1. Im ersten Bild „Auffahrt“ wird das „Magazin des Glücks“ als „Illusionsfabrik“ (Bl. 3) bezeichnet. Die Fürstin kommt erstmals ins Magazin. Sie ist die „Alleininhaberin“, und Reithofer, der „Illusionserfinder“ ist, möchte sie für seine „Illusionserfindung“ (ebd.) interessieren. Im zweiten Bild „Kongress“ versucht der Direktor King Atlas die Fürstin zu weiteren Subventionen zu überzeugen, um das Magazin weiter ausbauen zu können. Auch Reithofer taucht hier auf und bietet King Atlas seine Illusion an. Das dritte Bild spielt im „Dressing-room“. Reithofer betritt das Magazin als Gast und lässt sich hier behandeln. Dabei nähert er sich der Angestellten Annemarie, die ihn jedoch zurückweist. Annemarie wird nach einer Auseinandersetzung entlassen. Reithofer hat Mitleid mit ihr und nimmt sie im „train bleu“ (Bl. 5) mit durch das Magazin. Das vierte Bild ist in der Abteilung „Hawaii“ situiert. Die Fürstin besichtigt die „glücklichen Inseln“, und ihr Sekretär versucht sie davon zu überzeugen, dass es eigentlich ein gutes Geschäft wäre, diese Inseln „aufeinander zu hetzen und einen Krieg zu finanzieren“ (Bl. 6). Reithofer und Annemarie erleben ein „Glück unter Palmen“ (ebd.). Reithofer wäre aber glücklicher, wenn er endlich seine „Erfindung“

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(ebd.) anbringen könnte. Annemarie sehnt sich schließlich nach „kultiviertere[n] Zonen“ (ebd.). Das fünfte Bild spielt in „Paris“. Hier versucht Reithofer die Fürstin von seiner „Illusion“ (Bl. 7) zu überzeugen und lässt dafür Annemarie sitzen. Der Dichter Blind, der für ein Kriegsgedicht beauftragt wurde, versucht Annemarie zu trösten und erhofft sich durch sie die nötige Inspiration. Das achte Bild ist in der Abteilung Neapel, beim „Vesuv“, situiert. Wie in K1/TS4 spekuliert King Atlas darauf, die Fürstin in Gefahr zu bringen und sie daraus zu retten, um so ihre „Sympathie“ zu gewinnen, damit sie das Magazin des Glücks „bevorschusst“ (Bl. 8). Doch Reithofer rettet die Fürstin, worauf sie sich in ihn verliebt. Währenddessen hängt sich Annemarie „aus Trotz“ an den Dichter Blind, weshalb diesem ein „Kriegsgedicht“ (ebd.) einfällt. King Atlas plant ein Attentat auf die Fürstin in Chicago. Das siebente Bild spielt deshalb in Chicago, wo King Atlas die Entführung der Fürstin plant, um mit dem Lösegeld dann das Magazin erneuern zu können. Auch Reithofer will die Fürstin für seine Geschäfte missbrauchen, folgt ihr deshalb und weist Annemarie zurück. Doch auch die Entführung der Fürstin scheitert, nämlich wegen Reithofer, der sie rettet und ihr gleich seine „Erfindung anbietet“ (Bl. 9). Die Fürstin ist sehr enttäuscht über ihren Retter, weil er sie nur „aus Geschäftsprinzip“ gerettet hat (ebd.) und lässt ihn deshalb sitzen: „Und jetzt keimt in ihr der Gedanke, das Geld doch lieber für einen Krieg zu geben.“ (ebd.) King Atlas will Reithofer, den „Störenfried“ (ebd.), durch seinen Direktor Wallburg hinauswerfen, doch Reithofer weiß eine „dunkle Geschichte von Wallburg“ (ebd.) und so wird ihm die „Stelle als Geschäftsführer in einer Abteilung des Hauses versprochen“ (Bl. 10; vgl. K1/TS4). Dann folgt eine „Pause“ (Bl. 11). Anschließend fährt die Handlung mit dem achten Bild „Grinzing“ fort. Annemarie bringt den Dichter auf die Idee für einen Refrain, der ihm bei seinem Kriegsgedicht noch gefehlt hat. Der Dichter lässt sie daraufhin sitzen. Reithofer wird feierlich als Direktor der Abteilung Grinzing eingeführt (vgl. K1/TS4); auch Annemarie ist dabei, doch Reithofer lässt sie abblitzen, weil sie sich in Chicago als unnahbar gegeben hatte. Annemarie verlässt daraufhin die „Stätte“ (Bl. 12). Das neunte Bild ist im „Orient“ situiert. Hier trifft die Fürstin auf eine Wahrsagerin, die sie „im heimlichen Auftrage King Atlas‘“ (Bl. 13) davor warnt, ihr Geld in einen Krieg zu stecken, und ihr rät, es für das Magazin des Glücks einzusetzen. Doch der wieder aufgetauchte Sekretär der Fürstin rechnet ihr vor, dass der Einsatz des Geldes für einen Krieg rentabler ist. Damit scheint das Ende des Magazins besiegelt. Doch Reithofer rät King Atlas, die Fürstin an den Nordpol zu führen, das sei ein „Naturschauspiel comme il faut“ (ebd.). Das zehnte Bild führt deshalb an den „Nordpol“. Annemarie will dort lieber erfrieren, als weiterzuleben. Doch Reithofer sieht sie und hat Mitleid mit mir, worauf sie sich versöhnen. Die Fürstin betrachtet die „Polarpracht“ (Bl. 14), denkt aber nicht mehr daran, das Magazin zu retten. Dann muss sie jedoch erfahren, dass die Insulaner eingesehen hätten, dass Frieden ein viel größeres Geschäft sei, weshalb sie keinen Krieg mehr führen wollen. Die Fürstin kann deshalb doch das Magazin finanzieren und Reithofers Illusion kaufen. Dementsprechend spielt das elfte und letzte Bild im „Paradies“: „Reithofers grosse Illusionsattraktion war die Schaffung des Paradieses.“ (Bl. 16) Auf dem Dachgarten des Magazins wird „ein neues Elysium“ (ebd.) geschaffen. King Atlas kann so seine „philantropische Theorie“ (ebd.) verwirklichen. Der Dichter Blind ersetzt die kriegerischen Worte in seinem Gedicht durch „Worte des Friedens“ (ebd.) und schafft so ein „Epos des Friedens, das von allen gesungen wird“. Schließlich beschließt man, das ganze Magazin des Glücks „in

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ein Paradies umzuwandeln, um so der realen Welt ein Vorbild zu geben“ (ebd.). Damit endet die Fassung TS2, die mit Ausnahme des fehlenden Blattes 3, das vermutlich einen Überblick über die Stationen der Revue gegeben hatte, vollständig ist. T3 = ÖLA 3/W 266 – BS 49 d, Bl. 1–12 12 Blatt unliniertes Papier (285 × 222 mm), fleckig, schwarzes und teilweise rotes Farbband, Wasserzeichen „Manila Schreibmaschinen“ TS3 = Endfassung in 10 Bildern mit Werktitel „Magazin des Gluecks / Entwurf von Oedön Horvath und R. A. Stemmle“ mit Prolog (Grundschicht) Druck in: GW IV, S. 623–628; KW 16, S. 179–184.

Die vorliegende Fassung ist die letzte überlieferte Version der Revue Magazin des Glücks. Es handelt sich dabei neuerlich um ein Prosaexposé. Die Gattungsbezeichnung wird im Titel nicht erwähnt, der jedoch beide Autoren nennt und das Datum „13. Dezember 1932“, womit auch TS3 eine genaue Datierung aufweist (vgl. TS2). Als einzige Fassung der Revue enthält das vorliegende Typoskript einen Prolog. Dieser spielt wie etliche Fassungen zuvor an der „Auffahrt“ des „Magazins des Glücks“ (Bl. 2). Vor der Auffahrt warten Reithofer und Annemarie auf ihre jeweiligen Partner, die jedoch nicht kommen. Die Fürstin fährt vor und wird vom Generaldirektor King Atlas empfangen. Auf einer Versammlung aller Abteilungsleiter bittet King Atlas „um finanzielle Unterstützung“ (ebd.). Die Fürstin bezweifelt jedoch, „dass man wirklich von Illusionen glücklich werden kann“ (ebd.). King Atlas will es ihr jedoch beweisen und schlägt vor, zwei Menschen von der Straße durch das Magazin zu schicken. Reithofer will Annemarie ins Magazin einladen, bekommt jedoch von ihr eine Abfuhr. Doch die Fürstin rauscht die Treppe herunter und lädt die beiden ein. Das zweite Bild spielt in „Italien am Vesuv“ (Bl. 4), wo sich lauter glückliche Pärchen auf der „Hochzeitsreise“ befinden. Reithofer und Annemarie beginnen sich einander anzunähern, und King Atlas schlägt der Fürstin eine Wette vor. Wenn die beiden miteinander wirklich glücklich werden, soll die Fürstin dem Magazin „die Mittel zum Ausbau weiterer Illusionen zur Verfügung stellen“ (ebd.). Reithofer und Annemarie haben jedoch ihren ersten Krach und fahren mit dem „train bleu“ (ebd.) weiter nach Paris, wo das dritte Bild spielt. Dort verliebt sich Reithofer in die Fürstin und lässt Annemarie sitzen. King Atlas will sie trösten, kleidet sie neu ein, weil er glaubt, dass Reithofer „mondäne Frauen“ (Bl. 5) gefallen, und fährt mit ihr nach Chicago. Das vierte Bild spielt auf einer Südseeinsel, wo Reithofer und die Fürstin sich einander annähern. Doch da taucht King Atlas auf und sagt ihnen, dass Annemarie in Chicago auf Reithofer wartet. Also begeben sie sich dorthin. Das fünfte Bild ist deshalb in Chicago situiert. Dort macht Annemarie in einem „[v]ornehme[n] Gesellschaftsbild“ Furore und wird von allen „Kavalieren umschwärmt“ (Bl. 7). Diesmal lässt sie Reithofer abblitzen und der beschwert sich bei King Atlas, dass das nur logisch wäre, wenn man sie „als grosse Dame verkleidet“ (ebd.). King Atlas beschließt deshalb, Annemarie ihre Kleider und ihren Schmuck rauben zu lassen. Sie wird tatsächlich beraubt und im „gefährlichsten Augenblick“ von Reithofer gerettet. Sie ist ihm daraufhin wieder gewogen, aber Reithofer will jetzt nichts mehr von ihr wissen. King Atlas sieht nur noch die Chance, sich Reithofer anzuvertrauen und ihm zu versprechen, dass er „Abteilungsleiter von Grinzing“ wird, wenn er mit dem Mädel „in Glück“ macht. Reithofer ist damit einverstanden. Doch die Fürstin „hofft immer noch, dass sie die Wette gewinnen wird, weil dann auch Reithofer wieder frei ist“ (ebd.). Auf dieses Bild folgt eine „Pause“ (ebd.).

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Emendierte Endfassungen

Das daran anschließende sechste Bild ist beim „Heurigen in Grinzing“ angesiedelt. Reithofer und Annemarie sind gewissermaßen das Wirtsehepaar und wirken glücklich; allerdings verrät eine Bemerkung in Klammern, dass es ein „[f]alsches Glück“ (Bl. 8) sei. King Atlas und die Fürstin besuchen Grinzing, und King Atlas kann die Fürstin davon überzeugen, dass Reithofer und Annemarie glücklich sind. Erstere ist deshalb bereit, die Mittel für den Umbau des Magazins zur Verfügung zu stellen. Das siebente Bild spielt im „Orient“. Die Abteilung wird unter der Führung King Atlas‘ umgebaut. Die Fürstin sieht dabei zu. Doch dann taucht Reithofer auf und sagt, Annemarie sei im davongelaufen und ihre Beziehung sei die „Hölle“ gewesen (Bl. 9). Die Fürstin lässt daraufhin sofort die Umbauarbeiten stoppen. Reithofer glaubt, Annemarie sei Richtung „Nordpol“ (ebd.) gelaufen. Dementsprechend begeben sich alle dorthin. Das achte Bild spielt deshalb am „Nordpol“ (Bl. 10). „Annemarie hält einen Monolog und bedauert sich selbst“ (ebd.). Sie wünscht sich den Tod, am liebsten würde sie einfach „erfrieren“: „Man schläft auf Erden ein und dann schneit es nur ein bisschen und man erwacht im Paradies.“ (ebd.) Doch King Atlas kann sie davon überzeugen, am Leben zu bleiben, indem er ihr verrät, dass Reithofer im „Paradies“ (ebd.) auf sie warte. Das neunte Bild ist im „Paradies“ situiert. Dort klagt Reithofer „unter dem Baum der Erkenntnis“ (Bl. 11) über die Frauen. Annemarie taucht auf und die beiden geraten in eine „heftige Auseinandersetzung“ (ebd.). In Klammern ist hinzugefügt „Hassliebe“. King Atlas weiß sich keinen Rat mehr und die Fürstin kündigt ihm „zum nächsten Ersten“ (ebd.), „weil er mit Geld Liebe und Glück zweier Menschenkinder erzwingen wollte und sie bezwungen hat und so gegen das heiligste Gesetz des Magazins des Glücks (Illusionsfabrik) gesündigt hat“ (ebd.). Die Fürstin ist enttäuscht und verlässt das Magazin. Das zehnte Bild schließlich spielt im Berliner „Tiergarten“ (Bl. 12). Reithofer und Annemarie sind glücklich, dass sie endlich wieder in der „Realität“ (ebd.) angekommen sind und nähern sich nun auf einer Parkbank wirklich einander an. King Atlas taucht auf und gratuliert den beiden zu ihrem Glück. Er behauptet, dass er nun doch die Wette gewonnen habe, denn auch die Bank gehöre noch zum Magazin des Glücks. Daraufhin ertönen „Fanfaren und Chöre“: „In dem Park wird ein Denkmal enthüllt, das die Fürstin darstellt, als eine Göttin der Illusion.“ (ebd.) King Atlas wird wieder als Direktor eingesetzt und „alles schliesst mit einem Hymnus auf den Triumph der Illusion“ (ebd.). Damit endet die Fassung TS3 und mit ihr die Ausarbeitungen für die Revue Magazin des Glücks. Horváth hat keine weiteren Revuetexte geschrieben, weshalb diesem Text ein Ausnahmestatus in seinem Werk zukommt. Im Typoskript der Fassung TS3 finden sich wiederholt unregelmäßige Zeichenabstände. Diese werden stillschweigend korrigiert. Alle anderen Eingriffe sind im kritischen Apparat nachgewiesen.

Emendierte Endfassungen In emendierter Form werden jene Texte Horváths aus diesem Band geboten, die die Fassung letzter Hand darstellen; einzig im Fall der Gebrauchsanweisung werden zwei Fassungen abgebildet. Von dem Hörspiel Eines jungen Mannes Tag 1930 existiert keine abgeschlossene letzte Fassung, weshalb auf eine Emendation dieses Werkprojekts verzichtet wurde. Alle emendierten Endfassungen werden nach den Rechtschreibregeln der Entstehungszeit (Duden 1929) normalisiert. Alle editorischen Ein-

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Chronologisches Verzeichnis

griffe werden umgesetzt. Alle weiteren Normalisierungen finden sich in den Editionsprinzipien am Ende dieses Bandes aufgelistet (vgl. S. 637f.).

Autobiographisches Autobiographische Notiz (auf Bestellung) Die emendierte Fassung folgt AU1/TS1, die die einzige überlieferte Fassung des Textes darstellt. Autobiographische Notiz Die emendierte Fassung folgt AU2/TS2, der Druckfassung der Autobiographischen Notiz in der Zeitschrift Der Freihafen. Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… Die emendierte Fassung folgt AU3/TS1, der Druckfassung des Textes in der Zeitschrift Der Querschnitt. „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ Die emendierte Fassung folgt AU4/TS1, der Typoskript-Fassung des Textes. Autobiographische Notiz (1932) Die emendierte Fassung folgt AU5/TS1, der Manuskript-Fassung des Textes in Horváths Notizbuch Nr. 7.

Theoretisches Über unser Buch der Tänze Die emendierte Fassung folgt TH1/TS1, der Typoskript-Fassung des Textes. Natur gegen Mensch Die emendierte Fassung folgt TH2/TS1, der Druckfassung des Textes in der Zeitschrift Tempo. Sladek oder die Schwarze Reichswehr Die emendierte Fassung folgt TH3/TS1, der Druckfassung des Textes im Berliner Tageblatt. Typ 1902 Die emendierte Fassung folgt TH4/TS1, der Druckfassung des Textes in der Zeitschrift Tempo. „Sie haben keine Seele“ Die emendierte Fassung folgt TH5/TS1, der handschriftlichen Fassung des Textes in Notizbuch Nr. 6.

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Emendierte Endfassungen

Die emendierte Fassung folgt TH6/TS1, der handschriftlichen Fassung des Textes in Notizbuch Nr. 3. Die Emendation der Abkürzung „j. L.“ für „jüngste Literatur“ wird umgesetzt. „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen …“ Die emendierte Fassung folgt TH7/TS2, der Druckfassung des Textes in den Blättern des Deutschen Theaters. Gebrauchsanweisung Die Gebrauchsanweisung wird in zwei Fassungen gegeben, in der Langfassung, die bisher immer als letzte angesehen wurde (TH8/TS2), und in der tatsächlich letzten überlieferten Fassung des Textes, der Fassung letzter Hand (TH8/TS5). Ödön von Horváth (Interview) Die emendierte Fassung folgt TH9/TS1/A2, der korrigierten und erweiterten Fassung des Interviews. Randbemerkung Die emendierte Fassung folgt TH10/TS5, der Druckfassung der Randbemerkung im Stammbuch des Arcadia-Verlags.

Die emendierte Fassung folgt TH11/TS1, der Typoskript-Fassung des Textes. Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? Die emendierte Fassung folgt TH12/TS1, der Typoskript-Fassung des Textes.

Die emendierte Fassung folgt TH13/TS1, der handschriftlichen Fassung des Textes. Der nicht integrierbare Textblock am Beginn des Textes wird in die emendierte Fassung nicht aufgenommen. Der inkorrekte Dativ „auf dem Strich“ wurde zu „auf den Strich“ korrigiert.

Lyrik In der Lyrik erfolgt keine Korrektur der Zeichensetzung. Luci in Macbeth Die emendierte Fassung folgt L1/TS1, der handschriftlichen Fassung des Textes. Glück Die emendierte Fassung folgt L2/TS1, dem Faksimile der handschriftlichen Fassung aus Gustl Emhardts Poesiealbum in den Horváth-Blättern 1/1983.

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Chronologisches Verzeichnis

Du Die emendierte Fassung folgt L3/TS1, der Druckfassung in der Kommentierten Werkausgabe. Das Buch der Tänze Die emendierte Fassung folgt L4/TS1, der Druckfassung im Schahin Verlag von 1922. Hoffmaniade, eine Tanzgroteske Die emendierte Fassung folgt L5/TS1, der Typoskriptfassung im Nachlass Siegried Kallenberg in der Bayerischen Staatsbibliothek.

Die emendierte Fassung folgt L6/TS1, der Druckfassung in der Kommentierten Werkausgabe. Lieder zum Schlagzeug Die emendierte Fassung folgt L7/TS6, dem korrigierten Typoskript mit Titel „Lieder zum Schlagzeug“. Im letzten Vers wird „Schweiß“ ergänzt. Die emendierte Fassung des A-erotischen Barmädchens, das vermutlich ebenfalls zu den Liedern zum Schlagzeug zu rechnen ist, folgt L7/TS11, der vermutlich letzten Fassung des Gedichts. Dreifache Bindestriche werden zu einem Gedankenstrich vereinheitlicht, vier zu zweien. Litanei der frommen spanisch Feuer Leut Die emendierte Fassung folgt L8/TS1, der Typoskriptfassung des Textes. Die Flitterwochen Die emendierte Fassung folgt L9/TS1, der Typoskriptfassung des Gedichts. Drei Bindestriche werden zu einem Gedankenstrich vereinheitlicht. Dienstbotenlied Die emendierte Fassung folgt L10/TS2, der von Horváth handschriftlich korrigierten Typoskript-Fassung des Gedichts. „Muatterl schaug beim Fenster naus“ Die emendierte Fassung folgt L11/TS1, der handschriftlichen Fassung im Notizbuch. „Und die Leute werden sagen“ Die emendierte Fassung folgt L12/TS1, der vermutlich nicht von Horváth stammenden Typoskriptfassung.

Rundfunk und Film Stunde der Liebe. Sieben Szenen für Rundfunk Die emendierte Fassung folgt RF2/TS10, der überlieferten Typoskript-Fassung von Stunde der Liebe.

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Emendierte Endfassungen

Ein Don Juan unserer Zeit Die emendierte Fassung folgt RF4/TS1, der überlieferten Typoskript-Fassung von Ein Don Juan unserer Zeit. Brüderlein fein! Die emendierte Fassung folgt RF5/TS1, der überlieferten Typoskript-Fassung von Brüderlein fein! Im Untertitel wurde H.W. Becker durch Ödön von Horváth ersetzt. Die Bindestriche wurden durch Gedankenstriche ersetzt. Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann. Die emendierte Fassung folgt RF6/TS1, der korrigierten Typoskript-Fassung der Geschichte eines Mannes. Der Pfarrer von Kirchfeld Die emendierte Fassung folgt RF10/TS6, der korrigierten Typoskript-Fassung von Der Pfarrer von Kirchfeld. Ein und zwei Bindestriche wurden zu einem Gedankenstrich vereinheitlicht, drei Bindestriche zu zwei Gedankenstrichen.

Revue Magazin des Glücks Die emendierte Fassung folgt R/K2/TS3, der Fassung letzter Hand der Revue Magazin des Glücks, datiert auf den 13. Dezember 1932.

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Chronologisches Verzeichnis

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Emendierte Endfassungen

Anhang

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Chronologisches Verzeichnis

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Editionsprinzipien

Editionsprinzipien Die Wiener Ausgabe (WA) sämtlicher Werke Ödön von Horváths ist eine historischkritische Edition. Sie umfasst alle abgeschlossenen und Fragment gebliebenen Werke sowie alle verfügbaren Briefe und Lebensdokumente des Autors. Den Ausgangspunkt bilden die umfangreichen werkgenetischen Materialien aus dem Nachlassbestand des Autors im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (teilweise als Leihgabe der Wienbibliothek im Rathaus). Die einzelnen Bände der WA sind in Vorwort, Text- und Kommentarteil gegliedert. In ihrem Zusammenspiel machen diese Teile den Entstehungsprozess der Werke transparent und bieten die Möglichkeit eines schrittweisen Nachvollzugs bis in die Letztfassungen der Texte. Das Vorwort skizziert die Entstehungsgeschichte unter Miteinbeziehung der zeitgenössischen Rezeption. Der Textteil reiht die genetischen Materialien chronologisch, wobei die Edition in Auswahl und Textkonstitution auf Lesbarkeit zielt. Dem Lesetext ist ein kritisch-genetischer Apparat beigegeben. Dieser macht die Änderungsprozesse des Autors deutlich, auf denen die konstituierten Fassungen basieren, ferner verzeichnet er alle Eingriffe der Herausgeber. Die Endfassung des Werkes wird zusätzlich in emendierter Form dargestellt. Im Kommentarteil findet sich ein chronologisches Verzeichnis, das alle vorhandenen Textträger formal und inhaltlich beschreibt und Argumente für die Reihung der darauf befindlichen Entwürfe (E) und Textstufen (TS) sowie für die Konstitution der innerhalb der Textstufen vorliegenden Fassungen liefert. Simulationsgrafiken dienen zur Darstellung komplexer genetischer Vorgänge.

1 Textteil 1.1 Genetisches Material Das genetische Material wird in zwei unterschiedlichen Formen zur Darstellung gebracht: Entwürfe erscheinen in diplomatischer Transkription, Fassungen innerhalb von Textstufen werden linear konstituiert.

1.1.1 Diplomatische Transkription und Faksimile (Entwürfe) Von genetischen Materialien, deren Topografie sich nicht in eine lineare Folge auflösen lässt, wird eine diplomatische Transkription geboten. Hierbei handelt es sich um sogenannte Entwürfe (E), in denen Horváth auf meist nur einem Blatt in Form von Strukturplänen u.ä. das grobe Konzept von Werken und Werkteilen oder knappe Textskizzen entwirft. Die diplomatische Transkription versteht sich als eine Orientierungshilfe zur Entzifferung des nebenstehend faksimilierten Originals und gibt dessen Erscheinungsbild nicht in allen Details, sondern nur insofern wieder, als dies der Ermöglichung einer vergleichenden Lektüre dient. Den verwendeten Schriftgrößen kommt dabei keine distinktive Funktion zu; sie dienen dazu, die räumlichen Verhältnisse des Originals annähernd wiederzugeben. Folgende Umsetzungen finden statt:

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Editionsprinzipien

• Überschriebene Zeichen oder Wörter werden links neben den ersetzenden wiedergegeben, wobei der ursprüngliche Ausdruck gestrichen und der neue Ausdruck mittels zweier vertikaler Linien eingeklammert wird: tä|e|xt; text|text|. • Unlesbare Wörter erscheinen als { }, gegebenenfalls mehrfach gesetzt; unsicher entzifferte Zeichen und Wörter als: te{x}t, {text}. • Gestrichener Text in Zeilen erscheint als: text. Vertikale oder kreuzförmige Streichungen werden als solche dargestellt. • Mit Fragezeichen überschriebener oder mit Wellenlinie gekennzeichneter Text wird als solcher wiedergegeben. • Unterstreichungen erscheinen als: text, text. • Deutlich von einem Wort abgesetzte Punkte werden entsprechend dargestellt: text . • Eingerahmte oder in eckige Klammern gestellte Ziffern, Wörter und Textpassagen erscheinen als: [text], gegebenenfalls auch über mehrere Zeilen gestellt. • Der vom Autor zur Strukturierung verwendete Stern (manchmal eingekreist und bis hin zu dicken schwarzen Punkten intensiviert) erscheint als: . • Das vom Autor zur Strukturierung verwendete große X erscheint als: . • Von Horváth zur Markierung verwendete An- und Durchstreichungen werden individuell angepasst wiedergegeben. • Verweispfeile und Linien werden schematisch dargestellt, sofern sie Wörter und Textblöcke miteinander verbinden. Dienen solche Zeichen der Abgrenzung von Textteilen, werden sie nicht wiedergegeben. • Liegen auf einem Blatt mehrere Entwürfe nebeneinander, werden diese ab dem zweiten Entwurf zur besseren Unterscheidung grau hinterlegt. • Aktuell nicht relevanter Text (Entwürfe zu anderen Werken und Werkvorhaben) erscheint in grau 50 %: text. • Die im Zuge der Berliner Bearbeitung von Horváths Nachlass partiell vorgenommene Transkription schwer lesbarer Wörter bzw. allfällige Kommentare direkt in den Originalen erscheinen kursiv und in grau 50 %: text.

1.1.2 Lineare Textkonstitutionen (Fassungen) Textausarbeitungen des Autors, die eine lineare Lektüre zulassen, werden (ohne Faksimileabdruck) konstituiert. Hierbei handelt es sich um Fassungen oft im Rahmen umfänglicher Textstufen (TS). Folgende Prinzipien kommen zur Anwendung: • Schichtwahl: Im Lesetext wird entweder die Grundschicht oder die in der jeweiligen Arbeitsphase gültige Korrekturschicht einer Textstufe ediert. Die Grundschicht wird im Allgemeinen dann gewählt, wenn es um die Präsentation frühester Schreibansätze geht; in eher seltenen Fällen liegen Typoskripte auch ohne handschriftliche Korrekturschichten vor. Ein genauer Ausweis der Schichtwahl (im Fall des Vorliegens komplexer Schichtungen differenziert nach unterschiedlichen Schreibwerkzeugen und Farben – z.B. schwarze Tinte, roter Buntstift) erfolgt im chronologischen Verzeichnis. • Punktuelle Streichungen und Einfügungen, die aus einer späteren Bearbeitungsphase stammen, weil das Material im Laufe des Produktionsprozesses dorthin weitergewandert ist, werden im Lesetext nicht berücksichtigt. Besondere Auffälligkeiten werden gegebenenfalls im chronologischen Verzeichnis beschrieben.

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Editionsprinzipien

• Textausarbeitungen, die linear in eine Fassung nicht sinnvoll integriert werden können, aber offensichtlich aus der gegenwärtigen Bearbeitungsphase stammen, erscheinen im Lesetext eingerückt und grau hinterlegt. • Deutlich gesetzte Leerzeilen werden in entsprechender Anzahl wiedergegeben. Emendiert (und im kritisch-genetischen Apparat ausgewiesen) werden offensichtliche Schreib- und Tippfehler des Autors sowie inkonsequente Ersetzungen oder offensichtlich falsche Setzungen von Figuren- oder Ortsnamen. Folgende Normierungen finden statt: Regie- und Szenenanweisungen erscheinen kursiv, Figurennamen in Kapitälchen (innerhalb von Regie- oder Szenenanweisungen nur dann, wenn sie vom Autor grafisch hervorgehoben wurden, ansonsten bleiben sie ohne Auszeichnung). Von Horváth hs. fallweise anstelle von (runden Klammern) gesetzte [eckige Klammern] werden als runde Klammern wiedergegeben. Autortext erscheint in Times New Roman 11,75 pt. Herausgebertext innerhalb des Autortextes wird unter Backslashes in Helvetica 8,75 pt. gesetzt; im Einzelnen umfassen diese Eintragungen den Abbruch von Textbearbeitungen ohne Anschluss an den folgenden Text bzw. am Ende von Texten durch den Eintrag: \Abbruch der Bearbeitung\ sowie den Verlust von Text (z.B. durch Abriss oder Blattverlust): \Textverlust\. Unsicher entzifferte Buchstaben bzw. unsicher entzifferte Wörter erscheinen als: te{x}t, {text}; unlesbare Wörter (gegebenenfalls mehrfach gesetzt) als: { }. Blattwechsel wird durch 얍 angezeigt, die Angabe des neuen Textträgers mit Signatur erfolgt in der Randspalte. Die Ansatzmarke: text kennzeichnet im Lesetext Wörter oder Textpassagen, die aus Änderungsvorgängen des Autors oder Eingriffen der Herausgeber hervorgegangen sind; nachgewiesen wird beides im kritisch-genetischen Apparat. B

N

1.1.3 Kritisch-genetischer Apparat Werden Fassungen in der Grundschicht ediert, verzeichnet der kritisch-genetische Apparat die Veränderungsprozesse nur in dieser Schicht (Sofortkorrekturen). Werden Fassungen in der Korrekturschicht ediert, verzeichnet er alle Änderungsprozesse im Übergang von der Grundschicht zur Korrekturschicht; Sofortkorrekturen in der Grundschicht werden hier nicht mehr verzeichnet, sondern als Ausgangspunkt gesetzt. Ferner weist der kritisch-genetische Apparat alle Eingriffe der Herausgeber nach (diese werden von Herausgeberkommentaren eingeleitet, wie z.B. korrigiert aus:, gestrichen:, gemeint ist:). Autortext erscheint in Times New Roman 10 pt, Herausgebertext in Helvetica 9 pt.

1.2 Emendierte Endfassungen (Normierter Lesetext) Was die Gestalt der Endfassungen betrifft, werfen die bisherigen Leseausgaben Horváths zahlreiche Fragen auf. Um den Benutzern der Wiener Ausgabe einen einheitlich normierten Lesetext zu bieten, erscheinen die Endfassungen der Texte zusätzlich in emendierter Form. Die Basis der Emendation bieten die zeitgenössischen Rechtschreibregeln (Duden 1929). Gegenüber den (nicht immer konsequent gepflogenen) Eigentümlichkeiten von Horváths Schreibung ergeben sich Abweichungen vor allem in folgenden Punkten:

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Editionsprinzipien

• Zusammengeschriebene Wörter und Wortgruppen wie „garnicht“, „garkein“, „nichtmehr“ werden getrennt. • Doppel-s anstelle von ß wird berichtigt (mit Ausnahme des Doppel-s im Format Figurennamen, z.B. G ROSSMUTTER ). • Die Interjektionen, bei Horváth oft: „A“ und „O“, werden auf „Ah“ und „Oh“ vereinheitlicht. • Falschschreibung von Fremdwörtern wird korrigiert, sofern es sich nicht um stilistische Setzungen handelt. Werden bereits zu Horváths Lebzeiten gemäß zeitgenössischer Rechtschreibkonvention veraltete Fremdwortschreibungen verwendet (z.B. „Affaire“, „Couvert“), so wird die Schreibung Horváths beibehalten. • Fehlende Accents werden nachgetragen, ebenso fehlende Punkte, auch in „usw.“ etc. • Gedankenstriche, die in Typoskripten als -- realisiert sind, erscheinen als –. • Die groß geschriebene Anrede „Du“, „Ihr“ etc. wird klein gesetzt, die Höflichkeitsform erscheint groß. Ebenfalls groß bleiben persönliche Anreden in Zitaten innerhalb von Figurenreden (z.B. in von Figuren vorgelesenen Briefen, Schildern etc.). • Kleinschreibung am Beginn ganzer Sätze nach Doppelpunkten und Gedankenstrichen wird korrigiert. • Kommasetzung, im Einzelnen: – Überzählige Kommata in als- und wie-Vergleichen werden getilgt. – Fehlende Kommata in vollständigen Hauptsätzen, die durch „und“ oder „oder“ verbunden sind, werden ergänzt; ebenso in Relativsätzen und erweiterten Infinitiv- und Partizipialgruppen. – Nach Interjektionen wie „Ja“, „Nein“, „Na“, „Ah“, „Oh“, „Geh“ wird nur dann ein Komma gesetzt, wenn die Interjektionen betont sind und hervorgehoben werden sollen. Wenn sie in den Folgetext integriert sind, werden sie nicht durch Kommata getrennt, z.B. „Na und?“ • Grammatikalische Fehler werden nur so weit korrigiert, als es sich dabei nicht um stilistische Setzungen handelt; alle dialektal geprägten Formen bleiben erhalten. • Figurennamen erscheinen in Kapitälchen (auch in Regie- und Szenenanweisungen). • Normierungen in Regieanweisungen: Bilden Regieanweisungen ganze Sätze (auch in Verbindung mit vorangegangenen Figurennamen), so wird abschließend ein Punkt gesetzt.

2 Kommentarteil 2.1 Chronologisches Verzeichnis Das chronologische Verzeichnis beschreibt alle zu einem Werk vorhandenen Textträger und sichert die Reihung der darauf befindlichen werkgenetischen Einheiten argumentativ ab. Textträger und Text werden getrennt sigliert: Die Materialsigle bezeichnet den Textträger und unterscheidet Handschrift (H), Typoskript (T) und Druck (D). Die Textsigle bezeichnet die auf dem Textträger befindliche werkgenetische Einheit und differenziert Entwürfe (E) und Textstufen (TS) mit teilweise mehreren Ansätzen (A).

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Editionsprinzipien

Die Beschreibung des Textträgers umfasst folgende Elemente: Signatur: Wiener Signatur (ÖLA bzw. IN) des Nachlassbestands und Berliner Signatur (BS), gegebenenfalls auch andere Angaben zu Bezeichnung und Herkunft des Textträgers Materielle Beschreibung: Umfang, Papierart samt Angaben über spezielle Erscheinung, Größe in Millimeter, Angabe über Teilung, Faltung, Reißung o.ä., Wasserzeichen, Schreibmaterial, Paginierung vom Autor samt Seitenzahlen und Blattnachweisen, Eintragungen fremder Hand Der Beschreibung des Textträgers folgt eine Auflistung und formale Beschreibung der auf dem jeweiligen Textträger befindlichen Entwürfe, Textstufen und Ansätze. Umfasst ein Textträger mehrere werkgenetische Einheiten und ist eine dieser Einheiten im Entstehungsprozess später einzuordnen, wird sie erst dort verzeichnet und kommentiert. Die Beschreibung des Textträgers wird an der späteren Stelle wiederholt. Auch das Weiterwandern von Textträgern (durch Übernahme von Blättern in spätere Fassungen) wird vermerkt. Sofern die Entwürfe und Fassungen veröffentlicht sind, wird deren Erstdruck in einer abschließenden Zeile verzeichnet. Das konkrete Erscheinungsbild der Texte in den Erstdrucken weicht jedoch von den in der Wiener Ausgabe gebotenen Neueditionen oftmals gravierend ab. Der nachfolgende werkgenetische Einzelkommentar beschreibt die Entwürfe, Textstufen und Ansätze auch inhaltlich. Argumente für deren Reihung (manchmal in Form von gesetzten Wahrscheinlichkeiten) werden genannt und Beziehungen zu anderen Einheiten im werkgenetischen Material hergestellt; gegebenenfalls wird auch auf den Zusammenhang mit anderen Werken des Autors verwiesen. Folgende werkgenetische Begriffe finden Verwendung: Konzeption Als Konzeption (K) gilt eine übergeordnete Gliederungseinheit des genetischen Materials innerhalb eines Werkes. Sie bezeichnet eine meist längere Arbeitsphase, die sich durch eine prinzipielle Annahme des Autors über die makrostrukturelle Anlage des Werkes von einer anderen Phase deutlich unterscheidet. Einzelne Konzeptionen sind durch Unterschiede in der Struktur (drei Teile/sieben Bilder/etc.) und/oder wichtige Strukturelemente (zentrale Motive und Schauplätze, Figurennamen der Hauptpersonen etc.) voneinander getrennt. Vorarbeit Frühere Werkvorhaben, aus denen der Autor im Zuge der Entstehungsgeschichte eines Werkes einzelne Elemente entlehnt und/oder übernimmt, werden dem jeweiligen Werk als Vorarbeiten (VA) zugeordnet. Im Falle des Vorliegens mehrerer Vorarbeiten werden diese nach genetischen Zusammenhängen gruppiert und/oder in eine Folge gebracht. Entwurf In einem Entwurf (E) legt Horváth die Gesamtstruktur eines Werkes oder eines einzelnen Strukturelements (Bild, Kapitel, Szene, …) fest. Entwürfe sind fast ohne Ausnahme handschriftlich ausgeführt und zumeist auf ein einziges Blatt be-

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Editionsprinzipien

schränkt. Zur näheren Beschreibung stehen (spezifisch für den Dramentext) folgende Begriffe zur Verfügung: • Strukturplan: Skizzierung des Gesamtaufbaus eines Werkes bzw. einer Werkkonzeption (enthält z.B. Gliederung in Akte oder Teile, Szenen, Titeleintrag und -varianten, Schauplätze, knappe Schilderung wichtiger Handlungselemente und erste Repliken einzelner Figuren). • Konfigurationsplan: Skizzierung einzelner Szenen (= Auftritte). • Skizze: Punktuell bzw. schematisch ausgearbeitete Textsequenz. Der Begriff wird auch für grafische Entwürfe (z.B. zum Bühnenbild) verwendet. • Darüber hinaus können Entwürfe auch lose Notizen zu Motiven, Figuren, Schauplätzen, Dialogpassagen oder Handlungselementen enthalten. Textstufe Eine Textstufe (TS) bezeichnet eine klar abgrenzbare Arbeitseinheit im Produktionsprozess, die intentional vom Anfang bis zum Ende einer isolierten Werkeinheit (Bilderfolge, Bild, Akt, Kapitel, Unterkapitel, …) reicht und (anders als der Entwurf) bereits der konkreten Ausformulierung des Textes dient. Materiell umfasst der Begriff alle Textträger, die der Autor in dieser Arbeitseinheit durch schriftliche Bearbeitung oder Übernahme aus einer frühen Arbeitsphase zur Zusammenstellung aktueller Fassungen verwendet hat. Ansatz Ein neuer Ansatz (A) liegt dann vor, wenn der Autor innerhalb einer Textstufe eine materielle Ersetzung von Textträgern oder Teilen davon (Blattbeschneidungen, Austausch von Blättern) vornimmt. Innerhalb einer Textstufe bilden die einander folgenden Ansätze eine genetische Reihe; textlich repräsentiert sich in ihnen in der jeweils gültigen Textschicht die jeweils aktuelle Fassung des Textes. Der letzte Ansatz einer Textstufe, d.h. der letztmalige Austausch von Textträgern, bildet die materielle Grundlage der letzten Fassung innerhalb der jeweiligen Textstufe. Die Abfolge der Ansätze innerhalb einer Textstufe wird in komplizierten Fällen in Simulationsgrafiken dargestellt. Fassung Der Begriff der Textstufe ist ein dynamischer; er bezeichnet die Gesamtheit des in einer Arbeitsphase vorliegenden genetischen Materials, das in Grund- und Korrekturschicht und in verschiedene Ansätze differenziert sein kann. Der Begriff der Fassung bezeichnet im Gegensatz dazu die konkrete Realisation eines singulären Textzustands (z.B. K1/TS7/A5 – Korrekturschicht). Die Fassungen, die im Textteil konstituiert werden, stellen eine Auswahl innerhalb einer Vielzahl von Möglichkeiten dar. Der Produktionsprozess wird von ihnen an möglichst aussagekräftig gesetzten Punkten unterbrochen und ein jeweils aktuelles Textstadium linear fixiert. Endfassung Der Begriff Endfassung bezeichnet eine Fassung, in der sich aus Autorensicht eine endgültige Textgestalt repräsentiert. Durch spätere Wiederaufnahme der Arbeit können innerhalb einer Werkgenese mehrere Endfassungen (meist auch als Abschluss einzelner Konzeptionen) vorliegen.

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Editionsprinzipien

Stammbuch Mit dem Begriff Stammbuch (SB) bezeichneten Horváths Theaterverlage in kleiner Auflage hergestellte Drucke, die nicht für den allgemeinen Verkauf, sondern für den Gebrauch an Theatern bestimmt waren. Oft tragen solche Stammbücher den Aufdruck: „Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt“ sowie den meist handschriftlich notierten Vermerk „ST“ (für „Stammbuch“). Mit diesen Anmerkungen wurde der für die jeweilige Aufführung autorisierte Text gekennzeichnet. Vorarbeiten und Konzeptionen, Entwürfe, Textstufen und Ansätze werden im chronologischen Verzeichnis über Siglen gereiht, die Reihung von TS und E erfolgt innerhalb der jeweiligen Kategorie, sodass sich als genetische Abfolge z.B. ergeben kann: K2/E1, K2/TS1, K2/TS2/A1, K2/TS2/A2, K2/E2, K2/E3, K2/TS3 usw.

2.2 Simulationsgrafiken In den Simulationsgrafiken wird die Abfolge von Ansätzen innerhalb einer Textstufe dargestellt und zwar in der Art, dass die Textträger mit syntagmatisch zusammengehörendem Text untereinanderstehen und die ersetzenden Textträger rechts von den ersetzten positioniert werden. Ausgangspunkt der Darstellung ist der früheste Ansatz der jeweiligen Textstufe. Die Textträger werden an allen rekonstruierbaren Positionen abgebildet und damit die materiellen Vorgänge der Textentstehung und -ersetzung simuliert. Die ungefähre Form des Textträgers ist in der Grafik durch einen Rahmen wiedergegeben. Die Paginierung Horváths – so vorhanden – und die Berliner Blattnummer sind eingetragen. An seiner ersten Position wird der Textträger mit durchgezogenen Rahmenlinien dargestellt, an allen späteren mit strichlierten, wobei der Textträger so lange eingeblendet bleibt, wie er Gültigkeit hat. Die doppelt-strichpunktierten Linien kennzeichnen Schnitte, die punktierten Linien „Klebenähte“, die nach dem Ankleben von neuem Text auf den Originalen erkennbar sind. Zur Illustration der Funktionsweise dient die nachstehend abgebildete Simulationsgrafik zu einer Textstufe der Hofrat-Konzeption aus Geschichten aus dem Wiener Wald. Diese Grafik, die ausschließlich Material der Mappe BS 37 c darstellt, zeigt einen relativ gleichmäßig verlaufenden Produktionsprozess: Horváth beginnt (links oben eingetragen) auf Bl. 14 mit der Ausarbeitung des Bildes, bricht jedoch mitten auf Bl. 15a ab, setzt auf Bl. 15b mit dem Text neu an und kommt bis Bl. 17. Er korrigiert den Text dieser Blätter handschriftlich und macht sich am Fuß von Bl. 17 Notizen zum weiteren Textverlauf. Auf Bl. 18 und 19 schreibt er den Text von Bl. 17 ins Reine und setzt ihn dann auf Bl. 19 neu fort, bricht jedoch wieder ab, noch bevor er das Blatt vollgeschrieben hat. Bl. 19 wird dann durch Bl. 20 ersetzt, Bl. 20 gemeinsam mit Bl. 21 durch Bl. 22–24. In dieser Art schreibt sich Horváth in immer neuen Ansätzen bis ans Ende des Bildes durch. Bei Bl. 32 wendet der Autor ein Verfahren an, das ihm kürzere Rückschritte ermöglicht: Er schneidet Bl. 32a von Bl. 32 ab und klebt ein Stück mit neuem Text an. Die anschließenden Blätter 33 bis 37 sind in einem Zug geschrieben.

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Editionsprinzipien

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Siglen und Abkürzungen

Siglen und Abkürzungen Schriftarten (allgemein) Times New Roman

Autortext

Helvetica

Herausgebertext, im Autortext unter Backslashes

Diplomatische Transkriptionen (Entwürfe) text, text

getilgtes Zeichen, getilgter Text. Tilgungen über mehrere Zeilen (meist durch Kreuz) werden grafisch entsprechend dargestellt

tä|e|xt

überschriebenes und ersetzendes Zeichen

text|text|

überschriebener und ersetzender Text

text, text

unterstrichener Text

text

unterwellter Text; mit Fragezeichen überschriebener Text wird grafisch entsprechend dargestellt

[text]

eingerahmter oder in eckige Klammern gestellter Text oder Ziffer; falls über mehrere Zeilen reichend, grafisch entsprechend dargestellt Strukturierungszeichen: Stern, Punkt Strukturierungszeichen: großes X

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unlesbares Wort, ggfs. mehrfach gesetzt

Times New Roman, 50 % grau

Eintragung fremder Hand, Berliner Bearbeitung

Times New Roman, 50 % grau

aktuell nicht relevanter Text grau hinterlegte Fläche zur Abgrenzung verschiedener Ent-

Lineare Konstitutionen (Fassungen) textN, B N

Ansatzmarke; kennzeichnet Wörter oder Textpassagen, die aus Änderungen des Autors hervorgegangen sind, sowie Eingriffe der Herausgeber



Blattwechsel; Angabe des Textträgers in der Randspalte

B

eingerückt, grau hinterlegt; Textzusätze des Autors in der aktuellen Fassung, die sich in den Lesetext linear nicht integrieren lassen

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unlesbares Wort, ggfs. mehrfach gesetzt

\Abbruch der Bearbeitung\ \Textverlust\

Herausgebertext im Autortext

643

Siglen und Abkürzungen

Kritisch-genetischer Apparat text\e/

nachträglich eingefügtes Zeichen

\text/

nachträglich eingefügter Text

text[e]

getilgtes Zeichen

[text]

getilgter Text

t[ä]|e|xt

getilgtes Zeichen in Verbindung mit Ersetzung

[text] |text|

getilgter Text in Verbindung mit Ersetzung

[text]|text|

überschriebener Text

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unlesbares Wort, ggfs. mehrfach gesetzt

[text]

rückgängig gemachte Tilgung

text

mit Fragezeichen überschriebener oder mit Wellenlinie versehener Text

durch Verweisungszeichen des Autors umgestellter und gegenseitig ausgetauschter Text

text f text

Text von bis

[text]f x

Textverschiebung

text

x

neuer Textanschluss

text2 text1

vom Autor geänderte Wort- oder Satzfolge

(1), (2) …

Variantenfolge

korrigiert aus:

gemeint ist: Eintragung von fremder Hand: eingefügt verweist auf K3/TS7

irrrorrrp

gestrichen:

Herausgeberkommentare in Helvetica 9 pt.

Signaturen ÖLA BS IN IN 221.000/34 – BS 38 a [1], Bl. 1 ÖLA 3/W 365 – BS 33 [1], Bl. 9 BSB

(vormals: Österreichisches) Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Berliner Signatur Inventarnummer Signatur Wienbibliothek im Rathaus, Wien Signatur Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Bayerische Staatsbibliothek, München

Abkürzungen K VA H T

Konzeption Vorarbeit Handschrift Typoskript

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Siglen und Abkürzungen

D SB E TS A Bl. Pag. hs. masch. fragm. r v o. BS AU TH L RF R WA WP NL

Druck Stammbuch Entwurf Textstufe Ansatz Blatt Pagina (vom Autor eingefügt) handschriftlich maschinenschriftlich fragmentarisch recto (Vorderseite) verso (Rückseite) ohne Berliner Signatur Autobiographisches Theoretisches Lyrik Rundfunk und Film Revue Wiener Ausgabe Werkprojekt Nachlass

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Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis GW GWA GA

HB Horváth 2009 KW

KW 15 KW 16 WA

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Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 4 Bänden. Hg. v. Dieter Hildebrandt/Walter Huder/Traugott Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970–71. Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 8 Bänden. Hg. v. Traugott Krischke/Dieter Hildebrandt. 2., verbesserte Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978. Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 4 Bänden. Hg. v. Traugott Krischke unter Mitarbeit von Susanna Foral-Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. (= Gedenkausgabe anlässlich des 50. Todestages, Abdruck von Texten und genetischem Material aus den Gesammelten Werken und Bibliothek Suhrkamp-Bänden, der 5. Band mit Skizzen, Fragmenten und einem Gesamtkommentar ist nicht erschienen) Horváth-Blätter. Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Hg. v. Klaus Kastberger und Kerstin Reimann. Stuttgart: Reclam 2009. Ödön von Horváth: Kommentierte Werkausgabe in 14 Einzelbänden. Hg. v. Traugott Krischke unter Mitarbeit von Susanna Foral-Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984–88. Ödön von Horváth: Himmelwärts und andere Prosa aus dem Nachlass. Hg. v. Klaus Kastberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001. Ödön von Horváth: Ein Fräulein wird verkauft und andere Stücke aus dem Nachlass. Hg. v. Klaus Kastberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. Ödön von Horváth: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke. Historisch-kritische Edition am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Hg. v. Klaus Kastberger. Berlin: de Gruyter 2009ff. Ödön von Horváth: Frühe Dramen. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2019. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 1) Ödön von Horváth: Sladek. Italienische Nacht. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2016. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 2) Ödön von Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald. Hg. v. Erwin Gartner und Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Charles-Onno Klopp, Kerstin Reimann und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2015. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 3 [2 Teilbände])) Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Hg. v. Klaus Kastberger und Kerstin Reimann unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2009. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 4) Ödön von Horváth: Glaube Liebe Hoffnung. Hg. v. Martin Vejvar unter Mitarbeit von Nicole Streitler-Kastberger. Berlin: de Gruyter 2020. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 5) Ödön von Horváth: Eine Unbekannte aus der Seine. Hin und her. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2012. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 6) Ödön von Horváth: Himmelwärts. Mit dem Kopf durch die Wand. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2018. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 7) Ödön von Horváth: Figaro läßt sich scheiden. Hg. v. Nicole Streitler unter Mitarbeit von Andreas Ehrenreich und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2011. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 8)

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Literaturverzeichnis

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Ödön von Horváth: Don Juan kommt aus dem Krieg. Hg. v. Nicole Streitler unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 9) Ödön von Horváth: Der jüngste Tag. Ein Dorf ohne Männer. Hg. v. Nicole Streitler und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2011. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 10) Ödön von Horváth: Ein Sklavenball / Pompeji. Hg. v. Martin Vejvar unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Nicole Streitler-Kastberger. Berlin: de Gruyter 2015. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 11 [2 Teilbände]) Ödön von Horváth: Dramenfragmente und Werkprojekte Drama. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Martin Vejvar und David Joshua Wimmer. Berlin: de Gruyter 2021. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 12) Ödön von Horváth: Sportmärchen, Kurzprosa und Werkprojekte. Hg. v. Martin Vejvar unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Nicole Streitler-Kastberger. Berlin: de Gruyter 2017. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 13) Ödön von Horváth: Der ewige Spießer. Hg. v. Klaus Kastberger und Kerstin Reimann unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 14 [2 Teilbände]) Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2013. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 15) Ödön von Horváth: Ein Kind unserer Zeit. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger unter Mitarbeit von Sabine Edith Braun und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2014. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 16) Ödön von Horváth: Briefe, Dokumente, Akten. Hg. v. Martin Vejvar unter Mitarbeit von Orsolya Ambrus, Erwin Gartner, Nicole Streitler-Kastberger und Elisabeth Tworek. Mit einem Dossier: Akten zu Ödön von Horváth, eingeleitet und aktenkundlich kommentiert von Holger Berwinkel. Berlin: de Gruyter 2022. (= Wiener Ausgabe, Bd. 18)

Anonym: Drei Autoren werden aggressiv.... In: Berliner Tageblatt, 27.1.1929, 5. Beiblatt. Anonym: Berliner Theater in der Krise. In: Blätter der Volksbühne Berlin, Jg. 1932/33, Heft 4 (März/April 1933), S. 1–3. Balme, Christopher: Die ‚sachliche‘ Liebe: Zu Ödön von Horváths Hörspielen. In: Seminar, 23. Jg., Heft 1 (1987), S. 23–41. Balme, Christopher: Horváths Theorie des Theaters. In: Nicole Streitler-Kastberger/Martin Vejvar (Hg.): „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2018, S. 37–47. Bertschik, Julia: „Affektives Kapital“. Zur Vernetzung von Erotik, Geschlecht und Politik bei Ödön von Horváth. In: Nicole Streitler-Kastberger/Martin Vejvar (Hg.): „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2018, S. 147–157. Dillmann, Michael: Heinz Hilpert. Leben und Werk. Berlin: Edition Hentrich 1990. García-Corral, Ramiro: Eine künstlerische Reise in den Orient: Das Buch der Tänze von Horváth und Kallenberg. In: bockkeller – Die Zeitung des Wiener Volksliedwerks, Heft 5 (2017), S. 4–8. Hein, Jürgen: Die „Fronttheater“-Szene in Don Juan kommt aus dem Krieg. Notizen zur Edition und Interpretation. In: Klaus Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 92–107. Jessner, Leopold: [Geleitwort]. In: Anonym: Drei Autoren werden aggressiv.... In: Berliner Tageblatt, 27.1.1929, 5. Beiblatt. Karasek, Hellmuth: Das Prosawerk Ödön von Horváths. In: Dieter Hildebrandt/Traugott Krischke (Hg.): Über Ödön von Horváth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 79–82. Krischke, Traugott: Ödön von Horváth. Kind seiner Zeit. Berlin: Ullstein 1998.

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Literaturverzeichnis

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Inhalt (detailliert)

Inhalt (detailliert) Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autobiographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AU1: Autobiographische Notiz (auf Bestellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Autobiographische Notiz auf Bestellung“ (AU1/TS1) . . . . . . . . . AU2: Autobiographische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Autobiographische Notiz“ (AU2/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Autobiographische Notiz“ (AU2/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . AU3: Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… . . . . . . . . . . . Fassung „Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München…“ (AU3/TS1) . AU4: „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ (AU4/TS1) . . . . . . . . . AU5: Autobiographische Notiz (1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Autobiographische Notiz (1932)“ (AU5/TS1) . . . . . . . . . . . . . AU6: (Brief an Unbekannt) . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung (Brief an Unbekannt) (AU6/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AU7: (Brief an Paul Fent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung (Brief an Paul Fent) (AU7/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Theoretisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH1: Über unser Buch der Tänze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Über unser Buch der Tänze“ (TH1/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH2: Natur gegen Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Natur gegen Mensch“ (TH2/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH3: Sladek oder die Schwarze Reichswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Sladek oder die Schwarze Reichswehr“ (TH3/TS1) . . . . . . . . . . . . TH4: Typ 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Typ 1902” (TH4/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH5: „Sie haben keine Seele“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „,Sie haben keine Seele‘“ (TH5/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH6: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung () (TH6/TS1) . . . . . . . . . . . . . . TH7: „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen …“ . . . . Fassung „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen …“ (TH7/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen …“ (TH7/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH8: Gebrauchsanweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „An das p.t. Publikum“ (TH8/TS1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Gebrauchsanweisung“ (TH8/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Gebrauchsanweisung“ (TH8/TS3) . . . . . . . . . . . . Fassung „Gebrauchsanweisung“ (TH8/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Gebrauchsanweisung“ (TH8/TS5) . . . . . . . . . . . . TH9: Interview. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Oedön von Horvath“ („Interview”) (TH9/TS1/A2) . . . . . . . . . . . . TH10: Randbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Ueber die Entstehung meines Volksstückes ‚Glaube Liebe Hoffnung‘“ (TH10/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Randbemerkungen‘“ (TH10/TS2) . . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert)

Fragmentarische Fassung „Randbemerkung‘“ (TH10/TS3) . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (TH10/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Randbemerkung“ (TH10/TS5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH11: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung (TH11/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . TH12: Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben?“ (TH12/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 TH : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung (TH13/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L1: Luci in Macbeth. Eine Zwerggeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Luci in Macbeth” (L1/TS1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 L : Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Glück“ (L2/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 L : Du . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Du“ (L3/TS1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 L : Das Buch der Tänze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Das Buch der Tänze“ (L4/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Pestballade“ (L4/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung („Harem“) (L4/TS3) . . . . . . . . . . . . . . . 5 L : Hoffmaniade, eine Tanzgroteske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Hoffmaniade, eine Tanzgroteske“ (L5/TS1) . . . . . . . . . . . L6: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung (L6/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L7: Lieder zum Schlagzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in drei Teilen „Lieder zum Schlagzeug“ (L7/E1) . . . . . . . Fassung „Still!“ (L7/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Wie er lacht hinten in der Loge sieben“ (L7/TS2) . . . . . . . . Fassung „Ohne Hirn ohne Geld“ (L7/TS3) . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Knie. Melodie“ (L7/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung in drei Teilen (L7/TS5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Lieder zum Schlagzeug“ (L7/TS6) . . . . . . . Fassung „Noch stand auf meiner Stirne nie sexueller Schweiss“ (L7/TS7) . Fassung „Aerotisches Barmädchen“ (L7/TS8) . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Aerotisches Barmädchen“ (L7/TS9) . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „A-erotisches Barmädchen“ (L7/TS10) . . . . . . . . . . . . . . Fassung „A-erotisches Barmädchen“ (L7/TS11) . . . . . . . . . . . . . . L8: Litanei der frommen spanisch Feuer Leut. . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Litanei der frommen spanisch Feuer Leut“ (L8/TS1). . . . . . . L9: Die Flitterwochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Die Flitterwochen“ (L9/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 L : Dienstbotenlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Dienstbotenlied“ (L10/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Dienstbotenlied“ (L10/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 L : „Muatterl schaug beim Fenster naus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Muatterl schaug beim Fenster naus“ (L11/TS1) . . . . . . . . . 12 L : „Und die Leute werden sagen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Und die Leute werden sagen“ (L12/TS1) . . . . . . . . . . . . .

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Rundfunk und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF1: Eines jungen Mannes Tag 1930 . . . . . . . . . . . Strukturplan in fünf Teilen, Figurenliste (RF1/E1–E2) . Strukturplan in fünf Teilen, Figurenlisten (RF1/E3–E6)

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Inhalt (detailliert)

Strukturpläne, Dialogskizze (RF1/E7–E9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF1/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in fünf Szenen (RF1/E10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung der ersten Szene (RF1/TS2) . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung der ersten Szene (RF1/TS3) . . . . . . . . . . . . . . Figurenliste, Strukturpläne (RF1/E11–E13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in fünf Bildern mit Dialogskizze (RF1/E14) . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in fünf Szenen (RF1/E15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF1/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notizen (RF1/E16–E17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in sieben Szenen (RF1/E18). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Figurenliste (RF1/E19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF1/TS5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Hörspiel“ (RF1/TS6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfigurationspläne (RF1/E20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF1/TS7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF1/TS8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Replik (RF1/E21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF2: Stunde der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Figurenliste (RF2/E1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in zwei Teilen (RF2/E2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in zwei Teilen, Figurenliste (RF2/E3–E4) . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in vier Teilen (RF2/E5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in vier Szenen (RF2/E6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (RF2/E7–E10). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werktitel (RF2/E11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Eine Liebe zweier junger Leut im Jahre 1930“ (RF2/TS3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne, Werktitel (RF2/E12–E14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkverzeichnis, Werktitel, Strukturplan (RF2/E16–E18) . . . . . . . . . . . . . Werktitel (RF2/E19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Stunde der Liebe“ (RF2/TS5) . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF2/TS8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Stunde der Liebe 1930“ (RF2/TS9) . . . . . . . . . . Endfassung „Stunde der Liebe“ (RF2/TS10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 RF : Ein neuer Casanova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Ein neuer Casanova“ (RF3/TS1) . . . . . . . . . . . . Notiz (RF3/E1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 RF : Ein Don Juan unserer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Ein Don Juan unserer Zeit“ (RF4/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . RF5: Brüderlein fein! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung „Brüderlein fein!“ (RF5/TS1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RF6: Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann.. Fassung „Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann.“ (RF6/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 RF : Fünf Filme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titellisten „Fünf Filme“ (RF7/E1–E2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 RF : Kasimir und Karoline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Kasimir und Karoline“ (RF8/TS1) . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert)

RF9: Die kleinen Paragraphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung „Die kleinen Paragraphen“ (RF9/TS1) . RF10: Der Pfarrer von Kirchfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF10/TS1) . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF10/TS3) . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (RF10/TS4) . . . . . . . . . . . . . . Fassung in 17 Szenen „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (RF10/TS5) . . Fassung in 17 Szenen „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (RF10/TS6) . .

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Revue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R: Magazin des Glücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption 1: Reise um die Welt / Das Paradies / Zwischen Himmel und Hölle . Strukturplan in drei Teilen, Werktitel (R/K1/E1–E2) . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (R/K1/E3–E4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne, Notiz (R/K1/E5–E7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in sieben Szenen (R/K1/E8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (R/K1/E9–E12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne, Bühnenskizze (R/K1/E13–E16). . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (R/K1/E17–E20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (R/K1/E21–E22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan, Figurenliste, Dialogskizze (R/K1/E23–E25) . . . . . . . . . . . Strukturplan in sechs Teilen (R/K1/E26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in acht Bildern (R/K1/E27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan in drei Bildern (R/K1/E28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notiz zum 9. Bild „Nordpol“ (R/K1/E29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notizen zum 8. Bild „Orient“, Strukturplan in acht Bildern (R/K1/E30–E31) . Strukturpläne (R/K1/E32–E33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturpläne (R/K1/E34–E36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (R/K1/TS1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung (R/K1/TS2). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung in neun Teilen (R/K1/TS3) . . . . . . . . . . . . . Fassung in elf Bildern (R/K1/TS4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption 2: Magazin des Glücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werktitel (R/K2/E1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung in zwölf Bildern (R/K2/TS1) . . . . . . . . . . . . Notizen (R/K2/E2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung in elf Bildern „Magazin des Gluecks“ (R/K2/TS2) . Endfassung in zehn Bildern „Magazin des Gluecks“ mit Prolog (R/K2/TS3) .

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Emendierte Endfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autobiographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autobiographische Notiz (auf Bestellung) . . . . . . . . . . . . . . . . Autobiographische Notiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiume, Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien, München… . . . . . . . . . „Wenn sich jemand bei mir erkundigt…“ . . . . . . . . . . . . . . . . Autobiographische Notiz (1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über unser Buch der Tänze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natur gegen Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sladek oder die Schwarze Reichswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typ 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Sie haben keine Seele“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Von Gerhart Hauptmann können wir jungen Bühnenautoren lernen …“ Gebrauchsanweisung (Langfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert)

Gebrauchsanweisung (Fassung letzter Hand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ödön von Horváth (Interview) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Randbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was soll ein Schriftsteller heutzutag schreiben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luci in Macbeth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Du . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Buch der Tänze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoffmaniade, eine Tanzgroteske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lieder zum Schlagzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A-erotisches Barmädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Litanei der frommen spanisch Feuer Leut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Flitterwochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstbotenlied. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Muatterl schaug beim Fenster naus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Und die Leute werden sagen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rundfunk und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stunde der Liebe. Sieben Szenen für Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Don Juan unserer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brüderlein fein! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geschichte eines Mannes (N), der mit seinem Gelde um ein Haar alles kann.. Der Pfarrer von Kirchfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magazin des Glücks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Chronologisches Verzeichnis . Autobiographisches . . . . Theoretisches . . . . . . . Lyrik . . . . . . . . . . . Rundfunk und Film . . . . Revue . . . . . . . . . . . Emendierte Endfassungen.

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549 549 554 569 580 608 627

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Editionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Textteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Genetisches Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Diplomatische Transkription und Faksimile (Entwürfe) 1.1.2 Lineare Textkonstitution (Fassungen). . . . . . . . . 1.1.3 Kritisch-genetischer Apparat . . . . . . . . . . . . . 1.2 Emendierte Endfassungen (Normierter Lesetext). . . . . . 2 Kommentarteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Chronologisches Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Simulationsgrafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert)

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