Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen [1 ed.] 9783428419418, 9783428019410

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Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen [1 ed.]
 9783428419418, 9783428019410

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WOLF-DIETER

HAUENSCHILD

Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 79

Recht

Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen

Von

Dr. Wolf-Dieter Hauenschild

D U N G K E R

& H U M B L O T /

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Buchdruckerei Bruno Lude, Berlin 65 Printed in Germany

„ . . . Ich wenigstens halte es f ü r eine heilige Pflicht, i n parlamentarischen Dingen, wo nicht die Ehre es v e r bietet, mich anzuschließen der Überzeugung der M e h r heit der Partei meiner Freunde, d. h. derjenigen, die i m allgemeinen die Grundsätze theilen, die ich f ü r die richtigen halte; denn ich halte es f ü r einen Egoismus, den schon K a n t bezeichnet hat als Egoismus des Verstandes u n d der Theorie, u n d den w i r i m allgemeinen Leben Rechthaberei nennen, seine Ansicht durchführen zu w o l len, ohne sich unterzuordnen der vernünftigen M a j o r i t ä t seiner Genossen..." (Karl Theodor Welcher in der 115. Sitzung der deutschen constituierenden Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. am 15.11.1848, Stenographische Berichte, V. Band, Seite 3277)

Vorwort Die Diskussion über die Rechtsnatur der Fraktion leidet vornehmlich daran, daß man i n der Regel die Fraktion zu sehr aus dem Blickwinkel der Partei sieht und zu wenig ihre organisatorische Verwurzelung i m Parlament. Als Thema dieser Arbeit wurde daher „Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen" gewählt, u m breitere Untersuchungen gerade auch über das Wesen der Fraktion, ihre Funktion i m Parlament durchführen zu können. Es soll der Versuch unternommen werden, den Standpunkt dieser Keimzellen staatlicher Willensbildung i m Verfassungsgefüge der deutschen parlamentarischen Demokratie zu bestimmen. Die Fraktion ist ein lebendiges politisches Gebilde von erheblicher eigener K r a f t und Vitalität. Das macht es nötig, i m Laufe der Untersuchungen an einigen Punkten einen eigenen Standpunkt zu beziehen, der sich nicht wissenschaftlich, sondern nur m i t politischen Argumenten absichern läßt. Es scheint dem Verfasser ein Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit zu sein, diesen eigenen Standpunkt kurz zu umreißen: Der Verfasser ist der Meinung, daß sich die bestehenden Verhältnisse ändern und daß sie verändert werden können. Er glaubt nicht, daß diese Veränderung bei deutschen Verhältnissen notwendig das Zwei-Parteien-System zum Ziel haben muß. I m übrigen ist i h m sein Untersuchungsgegenstand natürlich „ans Herz gewachsen", so daß er grundsätzlich einen „fraktionsfreundlichen" Standpunkt bezieht.

Vorwort

6

Es ist schließlich ein besonderes Anliegen des Verfassers, Herrn Professor Dr. Gerhard Wacke zu danken für seine Unterstützung durch Rat und Tat, besonders dafür, daß er dem Verfasser i n dem Seminar für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Hamburg Asyl gewährt hat. Dank gesagt werden soll auch zahlreichen anderen Personen, die durch Hinweise und i n Diskussionen geholfen haben. Hamburg, i m Frühjahr 1968 Wolf-Dieter Hauenschild

Inhaltsverzeichnis Vorwort

5

Einleitung

13

A. Der Begriff

der Fraktion

13

I . Definition u n d Abgrenzung

13

I I . Einheitlichkeit des Fraktionsbegriffes B. Kurzer

Abriß der bisherigen

13

Aussagen zum Thema

I. Aussagen i m geschriebenen Recht

15 15

I I . Aussagen i n der Rechtsprechung

16

I I I . Aussagen i n der L i t e r a t u r

18

I V . Aussagen i n Praxis

19

Erstes Kapitel Das historische Werden der Fraktionen A. Allgemeines

21

I. Begrenzung der Untersuchung auf die Zeit von 1848 bis 1918 I I . Z u den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen B. Fraktionen

in den deutschen Parlamenten

von 1848 bis 1918

I. Fraktionen i n der Frankfurter Nationalversammlung I I . Fraktionsbildung i n Preußen

D. Funktion

und Arbeitsweise

und Bedeutung

der Fraktionen

der Fraktionen

B. Geschäftsordnung, C. Organisation

Diskontinuität

Satzung, Statut, Arbeitsordnung

der Fraktion

23 23

28 30

Kapitel

Die Fraktion im Jahre 1966 und Ende der Fraktion,

22

28

Zweites

A. Anfang

21

25

I I I . Fraktionen i m Reichstag C. Organisation

21

39 39 44 46

8

nsverzeichnis I. Die Fraktions(voll)versammlung

46

1. Mitgliedschaft 2. Arbeitsweise 3. Zuständigkeit

47 49 50

I I . Der Fraktionsvorstand

53

1. Mitgliedschaft 2. Arbeitsweise 3. Zuständigkeit

53 54 55

I I I . Der Fraktionsvorsitzende

58

I V . Der Fraktionsgeschäftsführer

62

V. Die Arbeitskreise

64

V I . Sonstige organisatorische Gliederungen

66

V I I . Das Fraktionssekretariat D. Rechte und Pflichten

66

der Fraktionsmitglieder

67

I . Der allgemeine Rechtsstatus

67

I I . Der besondere Rechtsstatus

70

I I I . Durchsetzungsmöglichkeiten 1. Die Durchsetzungsmöglichkeiten der F r a k t i o n 2. Die Durchsetzungsmöglichkeiten des einzelnen Mitgliedes E. Die Finanzen der Fraktion F. Rechtsgeschäftlicher G. Vertretung H. Fraktion

;

73

Verkehr

75

vor Gericht

77

und Partei

77

Drittes

Kapitel

Die Funktionen der Fraktion A. Pie Funktionen Rechts

71 71 73

der Fraktion

nach den Normen

80 des

geschriebenen

I. Das Geschäftsordnungsrecht der Parlamente

81 81

1. Die Rechte der F r a k t i o n a) Die Initiativrechte b) Die Beteiligungsrechte c) Die Schutzrechte

82 82 84 87

2. Die Pflichten der F r a k t i o n 3. Bestimmungen m i t Bezug auf die A r b e i t der F r a k t i o n

89 91

I I . Sonstige Normen 1. Die Rechte der F r a k t i o n 2. Die Pflichten der F r a k t i o n 3. Bestimmungen m i t Bezug auf die A r b e i t der F r a k t i o n I I I . Zusammenfassung

94 94 95 96 97

nsverzeichnis Β . Die Funktionen

der Fraktion

im normfreien

Bereich

99

I. F u n k t i o n der F r a k t i o n i n Bezug auf das Parlament

100

1. Parlamentarische A r b e i t i m allgemeinen 101 2. Parlamentarische A r b e i t i m besonderen: Welche Gesichtspunkte sind bei der Regelung parlamentarischer A r b e i t zu beachten? 104 a) Der aa) bb) cc)

Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit Entscheidung der Mehrheit Minderheitenschutz Freiheit des Abgeordneten

104 105 107 108

b) Der aa) bb) cc) dd)

Gesichtspunkt der Effektivität Funktionsabhängige Organisationstypen Der Faktor „ Z e i t " Der Faktor „Wichtigkeit" Der Faktor „Richtigkeit"

111 112 115 116 117

c) Der Gesichtspunkt der P r a k t i k a b i l i t ä t aa) Die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen bb) Die natürliche Gruppenbildung i m Parlament

119 120 122

3. F u n k t i o n der F r a k t i o n f ü r die parlamentarische A r b e i t I I . F u n k t i o n der F r a k t i o n i m Verhältnis zwischen Parlament Regierung 1. Verhältnis zwischen Regierungsfraktion u n d Regierung 2. Die Rolle der Opposition 3. Zusammenfassung

126 und

131 131 136 139

I I I . Die F u n k t i o n der F r a k t i o n i n Bezug auf den einzelnen Abgeordneten 140 I V . Die F u n k t i o n der F r a k t i o n i n Bezug auf die Partei C. Zusammenfassendes

Ergebnis

144

Viertes

Kapitel

Die Rechtsnatur der Fraktion A. Die Fraktion

146

— rechtlich ein Teil der Partei

147

I. Gründe dafür

147

I I . Gründe dagegen B. Die Fraktion

— eine Körperschaft

142

148 des öffentlichen

Rechts

151

I. Der herkömmliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts 152 I I . Moecke: F r a k t i o n als „Verein des öffentlichen Rechts"

153

1. Begriff u n d Begriffsbildung 2. K r i t i k

153 154

I I I . Andere Lösungsmöglichkeiten

156

nsverzeichnis

10 C. Die Fraktion

— ein Organ des Parlaments

158

I. Allgemeines: Stand der Meinungen

158

I I . Theorie der Organschaft, Merkmale des Organbegriffes 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Existenz einer Körperschaft Vorhandensein einer Organisation E i n abstrakt formulierter Zuständigkeitskomplex Organwalter Handeln f ü r die Körperschaft Zusammenfassung

159 160 160 162 163 164 167

I I I . Sind die Fraktionen demnach Organe des Parlaments?

167

I V . Auseinandersetzung m i t den widersprechenden Meinungen

168

Fünftes

Kapitel

Schlußfolgerungen A. Allgemeine

Folgerungen

aus der Organqualität

171 der Fraktionen

I. Die sogenannten Rechte u n d Pflichten der F r a k t i o n I I . Z u m Prinzip der Gewaltenteilung

180

1. Begriffliches 2. Die Unfreiheit des Abgeordneten 3. Die Unvereinbarkeit von liberaler Honoratiorendemokratie u n d modernem, massendemokratischen Parteienstaat 4. Der Verlust an Öffentlichkeit bei der parlamentarischen A r b e i t 5. Zusammenfassung anfangs aufgezeigter

Probleme

I. Anfang u n d Ende, Diskontinuität I I . Die F r a k t i o n u n d i h r Apparat 1. Rechtsbeziehungen zwischen F r a k t i o n u n d Mitarbeiter 2. Finanzen, Eigentum, rechtsgeschäftlicher Verkehr I I I . Die innere Ordnung der F r a k t i o n 1. Die Fraktionsautonomie 2. Der Mitgliederausschluß 3. Der Fraktionszwang

171 176

I I I . Z u m Prinzip der Repräsentation

B. Lösungsmöglichkeiten

171

180 181 183 188 189 191 191 194 194 197 199 199 201 202

Ergebnisse

206

Literaturverzeichnis

207

Abkürzung8verzeichni8 Abs. AH AöR

Absatz Abgeordnetenhaus A r c h i v des öffentlichen Rechts

Art. Β Bay BBG

Artikel B u n d (es) Bayern Bundesbeamtengesetz i n der Fassung v o m 22.10. 65 ( B G B l I, S. 1776)

BGBl BGH Β GHZ

Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des B G H i n Z i v i l sachen Berlin Bremen Bürgerschaft Bundestag Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des B V e r f G Gesetz über das Bundesverfassungsgericht v o m 12.3. 51 ( B G B l I, S. 243)

Bin Bre BS BT BVerfG BVerfGE BVerfGG BW Diss. DJZ DöV DS dt. DVB1 Einf.

Baden-Württemberg Dissertation Deutsche Juristenzeitung Die öffentliche V e r w a l t u n g Drucksache deutsch(e, -er, -es) Deutsches Verwaltungsblatt Einführung

G

Gesetz

GG

Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. M a i 1949 ( B G B l I, S. 1)

GO

Geschäftsordnung

GVB1

Gesetz u n d Verordnungsblatt

H.

Heft

Hbg

Hamburg

Hes

Hessen

i. d. F.

i n der Fassung

Abkürzungsverzeichnis

12 IPA

Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft

i. S. d.

i m Sinne des

iVm

i n Verbindung m i t

L

Land(es)

Leg.Per.

Legislaturperiode

LT

Landtag

Nds

Niedersachsen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NV

Nationalversammlung

NW

Nordrhein-Westfalen

OLG

Oberlandesgericht

Pr

Preußen, preußisch(e, -er, -es)

R

Reich

Reg.

Regierung

RGBl

Reichsgesetzblatt

RG

Reichsgericht

RGZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen

RNr.

Randnummer

ROP

Recht u n d Organisation der Parlamente, Loseblattsammlung des Parlamentsrechts, herausgegeben von der I P A

RP

Rheinland-Pfalz

RT

Reichstag

S.

Seite

s.

siehe

SH

Schleswig-Holstein

SJ Z

Süddeutsche Juristenzeitung

SL

Saarland

SSW

Südschleswiger Wählerverband

Sten. Ber.

Stenographische Berichte

StGH

Staatsgerichtshof

üb.

über

Verf.

Verfassung

VerfG

Verfassungsgericht

Vers.

Versammlung

VGH

Verfassungsgerichtshof

V.V.d.dt.StR.L. Veröffentlichungen

der Vereinigung der deutschen Staats-

rechtslehrer WP

Wahlperiode

WRV

Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919

Wttbg

Württemberg

Zif.

Ziffer

zit.

zitiert

Einleitung Α. Der Begriff der Fraktion I . Definition und Abgrenzung

Das Wort „Fraktion" ist abzuleiten von dem lateinischen Verb „frangere", zu Deutsch „brechen". I m Englischen und Französischen bedeutet „fraction" unter anderem „Bruchstück", „Bruchteil" und i m politischen Bereich „Bruchteil einer Versammlung". I m Deutschen gebraucht man das Wort „Fraktion" i n der Medizin und i n der Chemie, was hier nicht interessiert, vor allem aber i m politisch-soziologischen Bereich. Unter „Fraktion" i m weiteren Sinne versteht man dabei eine i n sich gefestigte Zusammenfassung von einem Teil der Mitglieder einer Körperschaft, zum Beispiel bei Vereinen, politischen Parteien u. ä.; aktuelles Beispiel: die „Chinesischen" und die „Moskauer Fraktionen" i n den kommunistischen Parteien. „Fraktion" i m engeren Sinne jedoch ist organisierte Verbindung von gewählten Abgeordneten eines Parlaments. Für die vorliegende Arbeit soll dieser engere Begriff noch u m einen Grad weiter eingeschränkt werden, weil nämlich nur die Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente i n der Bundesrepub l i k Deutschland auf ihr Wesen und ihre Rechtsnatur h i n untersucht werden sollen. „Fraktion" i m Sinne dieser Arbeit ist also eine organisierte Vereinigung von Mitgliedern des Bundes- bzw. eines Landesparlaments, die i n diesem auch als „Fraktion" auftritt. Π . Einheitlichkeit des Fraktionsbegriffs

Es kann bezweifelt werden, ob man überhaupt von einem einheitlichen Fraktionsbegriff ausgehen kann. Dagegen spricht erstens, daß die Bestimmungen der parlamentarischen Geschäftsordnungen unterschiedliche Regelungen treffen: die Mindestmitgliederzahl für Fraktionen ist verschieden festgesetzt; es ist unterschiedlich geregelt, wer eine Fraktion bilden kann, nach einigen Geschäftsordnungen nur Mitglieder ein und derselben Partei, nach anderen Mitglieder einer Partei und auch andere, parteilose Abgeordnete, nach wieder anderen Geschäftsordnungen spielt eine etwaige Parteimitgliedschaft überhaupt keine Rolle; auch regeln die Geschäftsordnungen die Kompetenzen der Fraktionen i n den Einzelfällen verschieden.

14

Einleitung

Zweitens kann gegen einen einheitlichen Fraktionsbegriff sprechen, daß Fraktioen sehr unterschiedlich groß sein können. Die kleinsten Fraktionen haben heute 5 Mitglieder, die größte Fraktion hatte am 28.10. 65 251 Mitglieder. (Dabei ist interessant zu vermerken, daß das größte Landesparlament, der Bayrische Landtag, insgesamt nur 204 A b geordnete zählt.) Auch können sich drittens Unterschiede ergeben aus der Zugehörigkeit einer Fraktion zu einer bestimmten Partei. Dennoch kann man alle diese Bedenken hintanstellen und von einem einheitlichen Fraktionsbegriff ausgehen. Hierfür sind vor allem historische und funktionelle Gründe anzuführen, die i m einzelnen aber erst i m folgenden dargelegt werden können. Hier sei nur so viel gesagt: Fraktion ist ein historisch einheitlich gewachsenes Institut, ein Begriff. A l l e Parlamente kennen heute i n ihren geschriebenen Geschäftsordnungen dieses Institut „Fraktion". Sofern auch parteilose Abgeordnete Fraktionen bilden können, werden diese nicht anders als die Parteifraktionen von den Geschäftsordnungen bei der parlamentarischen Arbeit berücksichtigt, abgesehen von § 10 I 4 GO BT 1 . Man spricht von „den Fraktionen"; wesensmäßige Unterschiede zwischen Reichstags-, Landtags- oder sogar Bundestagsfraktionen, zwischen SPD-Fraktionen und Zentrumsfraktionen sind nicht feststellbar; alle Fraktionen haben i n den Parlamenten die gleichen Funktionen. Die verfassungsrechtlichen Veränderungen — auch der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zum parlamentarischen Regierungssystem — haben diese Funktionen der Fraktionen nur quantitativ, nicht qualitativ verändert. Alle deutschen Parlamente kennen heute i n ihren geschriebenen Geschäftsordnungen das Institut „Fraktion". Die Fraktionen selbst ähneln sich weitgehend i n Organisation und Arbeitsweise. Zahlenmäßig extrem verschieden große Fraktionen kann es auch i n einem einzigen Parlament geben. Schließlich: sieht man einmal von den strengen Bestimmungen i n einigen Parlamenten 2 ab, wo nur Mitglieder einer Partei Fraktionen bilden können, so kann man immerhin allgemein aus den Geschäftsordnungen und aus der parlamentarischen Praxis herleiten, daß die Fraktionen Gesinnungsgenossenschaften darstellen. Ein bloß vorübergehender, zu1

Entgegen Altmann, Rechtsstellung, S. 223. § 17 I GO B W ; § 9 I GO H b g ; § 3 I GO Nds; § 21 I GO SH; diese Bestimmungen sind verfassungsrechtlich bedenklich. Denn die politischen Parteien haben kein Monopol hinsichtlich der politischen Meinungsbildung. Sie sind nach A r t . 21 G G u n d den entsprechenden Bestimmungen der Länderverfassungen n u r zur „ M i t w i r k u n g " an der politischen Willensbildung des Volkes aufgerufen. Z u dieser Problematik näheres am Ende der Arbeit. 1

Β. Kurzer Abriß der bisherigen Aussagen zum Thema

15

fälliger Zusammenschluß, eine „ad-hoc-Fraktion", muß daher von dem hier verwendeten einheitlichen Fraktionsbegriff als ein aliud ausgeschlossen werden. Zusammenfassend ist daher festzustellen: Fraktion w i r d i n dieser Arbeit als Begriff verstanden, losgelöst von den i n den Parlamenten bestehenden konkreten Fraktionen. B. K u r z e r A b r i ß der bisherigen Aussagen z u m T h e m a I . Aussagen i m geschriebenen Recht

Gibt irgendeine Norm des geschriebenen Rechts ausdrücklich Auskunft über Wesen und Rechtsnatur der Fraktion? Eine immer größer werdende Zahl von Normen des geschriebenen Rechts erwähnt die Fraktionen: einige Länderverfassungen 3 , Bundes- und Ländergesetze 4 , Erlasse und Verordnungen 5 , alle parlamentarischen Geschäftsordnungen, sowohl die des Bundes® als auch die der einzelnen Länderparlamente 7 , Haushaltspläne von Bund 8 und Ländern 9 u. a. m. Diese Normen, die die Fraktionen wenigstens beiläufig erwähnen, kann man, ohne allzu sehr zu vereinfachen, i n zwei Gruppen aufteilen, nämlich in: 1. solche, die darüber, was eine Fraktion eigentlich ist, keine ausdrücklichen Aussagen machen, sondern von einem vorgegebenen Frak8 Verfassungen von: BW, A r t . 37; Bre, A r t . 86 Abs. 1, A r t . 105 Abs. 3; Nds, A r t . 14; RP, A r t . 86, A r t . 91 Abs. 1, A r t . 130 Abs. 1; SL, A r t . 72 Abs. 2, 80, 82 Abs. 2; Württemberg-Hohenzollern, A r t . 66 Abs. 1. 4 B W a h l G § 54; W a h l P r ü f G §§ 3, 6, 7; RichterWahlG § 5 Abs. 2; VereinsG § 2 Abs. 2 Ziff. 2; B B G § 116 Abs. 1 Ziff. l c ; B V e r f G G §§ 6, 48; die Diätengesetze aller Länderparlamente m i t Ausnahme des Berliner Diätengesetzes; die WahlPrüfGe von BW, B i n , Hes, Nds, NW, RP; B W G über den S t G H § 52 Abs. l c ; Bay G über die Errichtung einer Akademie f ü r politische Bildung, A r t . 4, 5 Abs. 1, 14 Abs. 2; G über den Bay Landessportbeirat, A r t . 2 Abs. 2; Bre G über die Deputationen, § 4; Bre RichterG, § 9; G über die W a h l zur Hbg BS, § 15 Abs. 2; G über den Hbg V G H , § 42; S L G Nr. 308 § 4 Abs. 1; S L G Nr. 391 A r t . 3; SL G Nr. 695 § 19 Abs. 1, 3; S L G Nr. 717 § 45 Abs. 1, 2; S L G Nr. 645 über den V G H §§ 36 Abs. 1, 47 Abs. 1; S L G Nr. 806 über die Veranstalt u n g von Rundfunksendungen i m SL, § 16 Abs. 3; W a h l G f ü r den S H L T § 12 Abs. 2; S H G über die Landesplanung § 4 Abs. 2a. 5 Erlaß des BMinisters des I n n e r n über die Errichtung einer BZentrale f ü r Heimatdienst, § 5 Abs. 1; Gemeinsame GO der Ministerien des L Hes §§ 76, 81; Beschluß des Nds LMinisteriums des I n n e r n betreffend die LZentrale f ü r politische B i l d i m g § 5 Abs. 1. 6 Besonders §§ 10 ff. GO BT. 7 Besonders § 17 GO B W ; GO Bay §§ 7 ff.; GO B i n §§ 7 ff.; GO Bre §§ 7 ff.; GO H b g §§ 9 ff.; GO Hes §§ 8 ff.; GO Nds §§ 3 ff.; GO N W §§ 5 ff.; GO RP §§ 7 ff. ; GO S L A r t . 7 ff. ; GO S H §§ 21 ff. 8 1965 K a p i t e l 0201 T i t e l 301. β Bay 1965 0101/601; B i n 1965 B/302; Bre 1965 010/307; H b g 1965 100/571; Hes 1965 0101/301; Nds 1965 0101/304; N W 1965 0101/314, 316; S L 1965 0101/253; S H 1965 0101/600, 601.

Einleitung

16

tionsbegriff ausgehen und den Fraktionen und ihren Mitgliedern bestimmte Befugnisse oder Bevorrechtigungen zuteilen oder aberkennen, woraus sich dann allenfalls indirekt Aussagen über die Rechtsnatur der Fraktion und ihr Wesen ableiten ließen 1 0 » 1 1 und 2. solche, die ausdrücklich eine Aussage darüber machen, was eine Fraktion ist 1 2 . Für die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage kämen also lediglich die Normen der zweiten Gruppe i n Frage. Das sind die Geschäftsordnungen der Parlamente. Diese sagen übereinstimmend, daß die Fraktionen Vereinigungen von Abgeordneten seien, die eine festgelegte Zahl von Mitgliedern mindestens umfassen, einen Namen und einen Vorsitzenden vorweisen müßten und dann die verschiedensten Funktionen erfüllten 1 3 . A n keiner Stelle irgendeiner Geschäftsordnung ist jedoch eine Aussage darüber gemacht, was diese Fraktionen eigentlich wesensmäßig und rechtlich sind. Lediglich die alte Geschäftsordnung des L T von SH zählt die Fraktionen neben dem Präsidium, dem Ältestenrat und den Ausschüssen zu den Organen des L T 1 4 . Diese Geschäftsordnung wurde jedoch durch die neue, jetzt geltende Geschäftsordnung vom 17.12.56 abgelöst, die eine derartige Qualifizierung der Fraktionen nicht mehr enthält. Da somit keine Norm des geschriebenen Rechts etwas über Wesen und Rechtsnatur der Fraktionen aussagt, ist weiterhin zu untersuchen, ob Rechtssprechung und Lehre eine einheitliche Meinung entwickelt haben, bzw. welche Auffassungen hier vertreten werden.

Π . Aussagen in der Rechtsprechung

Die höchstrichterliche Rechtsprechung beschäftigt sich nur i n obiter dicta mit Wesen und Rechtsnatur der Fraktion. Das BVerfG spricht von den Fraktionen als von „notwendigen Einrichtungen des Verfassungslebens" 15 , von „ständigen" und „durch die Geschäftsordnung mit eigenen 10

s. S. 15 A n m . 3,4, 5,8, 9.

11

Moecke, Rechtsnatur, S. 277.

12

s. S. 15 A n m . 6, 7.

13

s. S. 15 A n m . 6,7.

14

GO S H v o m 31. 3. 50 (GVB1 S. 117 ff.) u n t e r B.: Organe des Landtages V I I . : »Fraktionen". 15 BVerfGE 10,4 ff. (14); B V e r f G N J W 66,1499 ff. (1504).

Β. Kurzer Abriß der bisherigen Aussagen zum Thema

17

Rechten ausgestatteten Teilen" oder „Gliederungen" des Parlaments 16 . Diesen Formulierungen kann zwar einiges über das Wesen der Fraktion entnommen werden, nicht aber eine präzise juristische Aussage zu deren Rechtsnatur 17 . „Teil" oder „Gliederung" eines Verfassungsorgans ist kein Begriff der juristischen Systematik. A n anderer Stelle 1 8 meint das BVerfG, daß „Fraktion" üblicherweise die Bezeichnung für die parlamentarische Vertretung einer Partei sei. A n wieder anderer Stelle 1 9 bezeichnet es die Fraktionen als „Organe des Landtags", also als Organe des Parlaments. Das wäre schon eine relevantere Aussage i m Sinne einer juristischen Systematik, denn m i t dem Organ-Begriff verbinden sich bestimmte Vorstellungen und Konsequenzen; allein, man w i r d diese Aussage des BVerfG nur schwerlich i n diesem Sinne interpretieren können. Das Gericht wollte i n diesem Fall nur klarstellen, daß die Fraktion ihrem Wesen nach i n das Parlament gehöre und nicht ein Teil der Partei sei, sie existiere m i t allen Rechten und Pflichten nur i m „innerparlamentarischen Raum" 2 0 . Damit sollte begründet werden, daß der Fraktion die A k t i v legitimation i n diesem besonderen Fall zu verweigern war. Das BVerfG sagt i n dieser Entscheidung zwar, daß die Fraktionen Organe der Parlamente seien, es ist aber nicht richtig, allein von dieser Aussage her darauf schließen zu wollen, daß das Gericht hiermit seine Ansicht zur Rechtsnatur der Fraktionen äußern wollte 2 1 . Man w i r d all diesen Äußerungen des BVerfG insgesamt zwar Indizien für seine Meinung zu diesem Problem entnehmen können, besonders zum „Wesen" der Fraktion, man kann ihnen aber nicht entnehmen, daß das BVerfG den Fraktionen diese oder jene Rechtsnatur ausdrücklich zuerkennt. Der Nds StGH 2 2 meint, daß der Begriff der Fraktion kein verfassungsrechtlicher Begriff der geschriebenen Nds Verfassung sei, wenngleich er auch i n A r t . 14 der Verfassung auftauche; er ergäbe sich lediglich aus der Geschäftsordnung des Landtages: die Fraktion sei ein „Teil des Verfassungsorgans Landtag". Damit ist aber ebenso viel gesagt, wie i n den Urteilen des BVerfG. Immerhin könnte „Fraktion" ja ein Begriff des ungeschriebenen Nds Verfassungsrechts sein. Auch der StGH für das Deutsche Reich hat keine rechtlich bestimmt qualifizierbaren Äußerungen zur Rechtsnatur der Fraktionen gemacht, 16 BVerfGE 1, 208 ff. (223, 229), 351 ff. (359), 372 ff. (378), 2, 143 ff. (144, 160), 347 ff. (365); B V e r f G N J W 66, 1499 ff. (1504), so auch: O L G Düsseldorf N J W 66, 1235. 17 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 163. 18 BVerfGE 1, 208 ff. (223). 19 BVerfGE 1,208 ff. (229). 20 B V e r f G 1, 208 ff. (229). 21 So auch Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 163; Rinck, S. 59 f.; Werberger, S. 131; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I l d . 22 U r t e i l vom 19.1.1963, Nds L T DS 4. W P Nr. 1068, S. 5623 ff. (5627).

2 Hauenschild

18

Einleitung

wenngleich diese oftmals vor seinen Schranken auftraten, dort nach ständiger Rechtsprechung als „streitende Teile i. S. d. A r t . 19 WRV anerkannt 2 3 und für legitimiert gehalten wurden, selbständige Anträge zu stellen 24 . I m übrigen befassen sich nur zwei arbeitsgerichtliche Entscheidungen ausdrücklich mit der Rechtsnatur der Fraktionen 2 5 . Es geht i n ihnen um die Frage, wer Arbeitgeber von zwei Fraktionssekretärinnen war. Sowohl i n der ersten wie auch i n der zweiten Instanz w i r d hierzu übereinstimmend festgestellt, daß die Fraktionen als nicht-rechtsfähige Vereine des Bürgerlichen Rechts anzusehen seien, wobei angedeutet, aber offengelassen wird, daß den Fraktionen daneben vielleicht auch ein öffentlichrechtlicher Status zukomme. So ist zu sagen, daß man keinesfalls von einer i n der Rechtsprechung einheitlichen Meinung zur Rechtsnatur der Fraktion sprechen kann. Die meisten Entscheidungen vermeiden eine Stellungnahme 26 . Wo das nicht der Fall ist, spricht man entweder von einer organschaftlichen Stellung innerhalb des Parlaments oder von einem nicht-rechtsfähigen Verein — sui generis. Π Ι . Aussagen in der Literatur

I n der Rechtslehre werden die Fraktionen so gut wie gar nicht auf Wesen und Rechtsnatur hin untersucht. Lediglich zwei Dissertationen befassen sich m i t der Frage der Rechtsnatur 27 . Die ältere Dissertation hält die Fraktionen für nicht-rechtsfähige Vereine des Bürgerlichen Rechts, stellt aber die Forderung auf, daß man sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkennen sollte 28 . Die jüngere, die sich allerdings nur m i t den Fraktionen des Bundestages beschäftigt, hält die Fraktionen für Rechtssubjekte des Verfassungsrechts sui generis 29 . Die Fraktionen haben nach ihr eine „öffentlich-recht23 RGZ 102, 415 ff. (422) — R G Z 128, 46* ff. (57*), i m Grundsatz auch RGZ 138,1* ff. (30*). 24 Anschütz, Verfassung A r t . 19 A n m . 8; Apelt, W., Geschichte, S. 283; Joël, S. 143; Rinck, S. 37. 25 Arbeitsgericht Bonn, U r t e i l v o m 2. 5. 58, — 1 CA 45/58 — LArbeitsgericht Düsseldorf, U r t e i l v o m 17.12. 58, — 3a Sa 197/58 —. 26 So besonders das oben S. 17 A n m . 22 zitierte U r t e i l des Nds StGH. 27 Lebenstein, Die Rechtsstellung der Partei u n d F r a k t i o n nach Deutschem Reichsstaatsrecht, Diss. F r a n k f u r t 1925; Werberger, Die staatsrechtliche Stellung der Bundestagsfraktion, Diss. Würzburg 1959. 28 Lebenstein, S. 135,140. 29 Werberger, S. 211; ähnlich auch: Altmann, Rechtsstellung, S. 223.

Β. Kurzer Abriß der bisherigen Aussagen zum Thema

19

liehe Rechtssubjektivität mit starker Annäherung an eine Rechtspersönlichkeit i m Verfassungsrecht" 30 . Damit ist aber systematisch nicht viel gesagt. Die Verfasserin meint darum auch, daß sich die Fraktionen m i t den bisher bekannten Begriffen des öffentlichen und privaten Rechts nicht fassen ließen 31 . Ebendies nimmt auch Moecke zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen über die Rechtsnatur der Fraktionen 3 2 . Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Fraktionen „Vereine des öffentlichen Rechts" seien, d. h. Körperschaften des öffentlichen Rechts, aber nicht solche des Verwaltungsrechts wie der überwiegende Teil der bisher bekannten, sondern solche des Verfassungsrechts. Die übrigen Autoren, die sich m i t der Rechtsnatur der Fraktionen beschäftigen, fassen sich meist sehr kurz und wiederholen nur das, was ohnehin schon i n den Geschäftsordnungen der Parlamente steht 3 3 » 3 4 . Auch hier gehen die Meinungen dennoch sehr auseinander. Die Mehrzahl hält die Fraktionen für Organe der Parlamente 35 , ein Teil für Organe oder Untergliederungen der Parteien 3 6 und einige schließlich auch für Rechtssubjekte sui generis 37 . I V . Aussagen der Praxis

Die Fraktionen selber haben sich über ihre Rechtsnatur noch nicht viele Gedanken gemacht 38 . Soweit sie überhaupt Geschäftsordnungen oder Satzungen haben, geben diese über die Rechtsnatur keinerlei Auskunft 3 9 . 30

Werberger, S. 255. Werberger, S. 123 ff.; so auch Moecke, Rechtsnatur, S. 278. 32 Moecke, Die Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, N J W 65, 276 ff.; ders., Die parlamentarischen Fraktionen als Vereine des öffentlichen Rechts, N J W 65, S. 567 ff.; ders., Die verfassungsmäßige Stellung der F r a k tionen, D Ö V 66, S. 162 ff. 83 So auch Moecke, Rechtsnatur, S. 277 f. 84 ζ. B.: Pereis, Geschäftsgang, S. 451; Schneider-Dennewitz i n Bonner K o m mentar, A r t . 40 A n m . I I 2; Seifert- Geeb, Erläuterung zu A r t . 40 GG, S. 140 a ; Röder, S. 90; Stier-Somlo, Dt.R.u.LStR.I., S. 589 f. 35 Anschütz, Verfassung, A r t . 19 A n m . 8, A r t . 36 Anm. 2; Giese, Staatsrecht, S. 197 f.; Hatschek, Dt.u.Pr.StR.I., S. 450; Henke, S. 111; v. d. Heydte, Das Parlament, S. 21; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d; Per eis, Geschäftsgang, S. 450; ders., L T e Geschäftsgang, S. 643; Radbruch, Die politischen Parteien, S. 292; Seifert-Geeb, Erläuterung zu A r t . 40 GG, S. 140 a. 38 Böhm, S. 833; Eisermann, S. 74; Kirchheimer, S. 316 ff. (318: „ V o r m u n d schaft der Partei" über die Fraktion) ; Wildenmann, S. 158. 37 Altmann, Rechtscharakter, S. 753; Kremer, S. 31: „verfassungsrechtliche I n s t i t u t i o n " ; Maunz-D., A r t . 40 A n m . 14: ständig vorhandene Teile, aber keine Organe; Rinck, S. 84 f.: Teile eines obersten Staatsorgans. 88 So der Mitarbeiter der F r a k t i o n der CDU-CSU i m Bundestag, Herr Butterhof, i m Gespräch m i t dem Verfasser. 39 Bericht, S. 67. 81

2*

20

Einleitung

Neuerdings gibt es eine Stellungnahme der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, IPA, einer Vereinigung von Abgeordneten aller deutschen Parlamente, zu diesem Thema. Die I P A hat eine Kommission zur Untersuchung der Rechtsnatur der Fraktionen eingesetzt, die sich den oben dargestellten Auffassungen von Moecke angeschlossen hat und einen Gesetzesvorschlag vorbereitet, u m den Fraktionen m i t einem Gesetz zu dieser Rechtsnatur zu verhelfen 4 0 · 4 1 . Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen: Eine einheitliche und unbestrittene Auffassung von Wesen und Rechtsnatur der Fraktionen gibt es nicht. Die verschiedenen Meinungen jedoch lassen sich folgendermaßen einteilen: 1. die Fraktion ist rechtlich und wesensmäßig ein Teil der Partei; 2. die Fraktion ist lediglich ein privatrechtlicher Zusammenschluß von Abgeordneten, ein nichtrechtsfähiger Verein sui generis; 3. die Fraktion ist ein Institut des öffentlichen Rechts, und zwar entweder a) ein „Verein" oder eine sonstige Körperschaft des öffentlichen Rechts oder b) Gliederung, Organ des Parlaments.

40

DS Nr. 335 der I P A v o m 19.4.1964, Anlage. Die Fraktionen werden i m übrigen so behandelt, als seien sie nicht dem Staate inkorporiert. So wurde dem Verfasser z. B. folgender Sachverhalt m i t geteilt: die Angestellten der Fraktionen des Bundestages erhalten zu ihren Bezügen zusätzliche Vergütungen i n Höhe der f ü r oberste Bundesbehörden (so auch f ü r den Bundestag) üblichen Ministerialzulage. Die Ministerialzulage ist normalerweise steuerfrei, § 3 Ziff. 12. EinkommensteuerG. Trotz der Vorsprachen der zuständigen Stellen der Fraktionen lehnte der Bundesfinanzminister die Steuerfreiheit dieser „Ministerialzulage" f ü r Fraktionsangestellte ab m i t der Begründung, die Fraktionen seien keine staatlichen Stellen. Erfolg: die Fraktionen zahlen ihren Angestellten den Betrag zusätzlich, den sie durch die Besteuerung verlieren, damit diese ihre „Ministerialzulage" ebenso erhalten, als wäre sie steuerfrei. Dieser Auffassung des Bundesfinanzministers w i d e r spricht das jüngste U r t e i l des BVerfG, N J W 66, 1499 ff. (1504)*, zu dem hier interessierenden Problemkreis. 41

Erstes Kapitel

Das historische Werden der Fraktionen A. Allgemeines I . Begrenzung der Untersuchung auf die Zeit von 1848 bis 1918

Es soll nur ein begrenzter Zeitraum i n diesem Kapitel untersucht werden, nämlich die Zeit von 1848 bis zum ersten Weltkrieg. M i t dem Zusammentritt der Frankfurter und Berliner Nationalversammlung beginnt die repräsentativ-parlamentarische Entwicklung i n Deutschland. Fragt man daher nach den historischen Vorläufern der heutigen Fraktionen, so sind deren erste i n den Fraktionen der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 zu sehen1. Hier treten zum ersten Mal Abgeordnete i n Erscheinung, die vom Volke i n allgemeiner und gleicher Wahl gewählt worden sind und das Volk insgesamt repräsentieren 2 . Sie unterscheiden sich damit auch von den Abgeordneten der ständischen Volksvertretungen i n den süddeutschen Staaten. I n der weiteren Entwicklung des Parlamentarismus i n Deutschland bis zum heutigen Tage zeigt sich um die Zeit des ersten Weltkrieges ein Einschnitt: i n der Republik von Weimar werden, vom Beispiel der Württembergischen Zweiten Kammer abgesehen3, zum ersten M a l die Fraktionen i n den Geschäftsordnungen des Reichstags und der Länder-Parlamente erwähnt 4 , während sie bis dahin zwar auch existierten, aber durch das geschriebene Geschäftsordnungsrecht ignoriert wurden. Die Fraktionen haben sich also gegen das geschriebene Geschäftsordnungsrecht der Parlamente durchgesetzt. Dieser Prozeß ist für die vor1 Bergsträsser, L., Entwicklung, S. 9; ders., Geschichte, S. 80 ff.; Lebenstein, S. 9; Naumann, S. 5. 2 I m Sinne der herrschenden Lehre von der Repräsentation, so etwa Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 54 f. 8 Sie hat am 12. 8.1909 sich eine neue GO gegeben, die i n den §§ 14, 15 Bestimmungen über Mitgliedervereinigungen, sprich: Fraktionen, u n d über den Ältestenrat enthält, s. W t t b g I I . Kammer, 1909, Sten. Ber. Bd. 89, DS Bd. 105, Nr. 372, S. 617 ff. 4 §§ 7 ff. GORT v. 12.12. 22 R G B l I I , S. 101 ff., sowie die GOen der Länderparlamente bei Zschucke, die Geschäftsordnungen der dt. Parlamente, B e r l i n 1928.

1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

22

liegende Untersuchung interessant, weil er Aufschlüsse geben kann über das Wesen, insbesondere die Funktion der Fraktion. Der Kampf der Fraktionen um ihre geschäftsordnungsmäßige Anerkennung ist u m die Zeit des ersten Weltkrieges gewonnen, i n einigen Länderparlamenten früher, i m Reich und i n einigen anderen Ländern später. Nach 1918 wurde nur etwas formell anerkannt, was schon vorher bestand. I m übrigen unterscheiden sich die Fraktionen der Weimarer Zeit i n keiner Weise, weder politisch-soziologisch, noch organisatorisch oder funktionell von dem, was man heute Fraktion nennt. Aus diesen Gründen kann die Zeit nach 1918 für die Darstellung des historischen Werdens der Fraktionen i m Rahmen dieser Untersuchung vernachlässigt werden. U m aber die Gleichartigkeit der Fraktionen nach dem ersten Weltkrieg m i t den heute existierenden Fraktionen nachzuweisen, sind i n den Anmerkungen zu den Kapiteln 2 und 3 auch die Quellen angegeben, die die gleiche Regelung einer Angelegenheit während der Weimarer Zeit beweisen 5 .

I I . Zu den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen

Wenn man diesen abgegrenzten Zeitraum daraufhin untersuchen w i l l , wie die Fraktionen entstanden sind, was sie für das Parlament, für die Entwicklung des Geschäftsordnungsrechts und des weiteren für die Entwicklung des Parlamentarismus i n Deutschland überhaupt bedeuten, só kann man sich bei der Beantwortung dieser Fragen auf keine fundierte Untersuchung stützen. Zwar gibt es eine große Zahl von Arbeiten über die Entwicklung der politischen Parteien, über das Verhältnis zwischen Partei und Fraktion, über die Politik, die von den Fraktionen i m Reichstag betrieben wurde, und ihre Bedeutung, aber nur wenige Arbeiten erwähnen etwa die Aufspaltung der Parlamente i n Fraktionen und die Bedeutung dieses Umstands für die Arbeit und die Entscheidung des Parlaments. Ein Grund dafür könnte i n der allgemeinen Vernachlässigung des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts durch die Staatsrechtswissenschaft gesehen werden. Wenn Hatschek i n seinem grundlegenden Werk über das „Parlamentsrecht des Deutschen Reiches" 6 von einer neuen Wissenschaft des Parlamentsrechts spricht, so muß man heute sagen, daß dieser Zweig der Rechtswissenschaft bisher sträflich vernachlässigt worden ist, obwohl i n den Arbeiten von Hatschek, Pereis 7 und deren Schülern 5 6 7

Gekennzeichnet durch (W) hinter dem Verfassernamen. B e r l i n - Leipzig 1915, S. 1. Besonders: Das autonome Reichstagsrecht, B e r l i n 1903.

Β. Fraktionen in deutschen Parlamenten von 1848 bis 1918

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einst hier ein rühmlicher Anfang gemacht wurde 8 . Hinzu kommt, daß auch i n diesen Arbeiten die Fraktionen nur i n den Fußnoten erwähnt werden, da sie damals eben noch keine „legalen" Erscheinungen des Parlamentsrechts waren. Es versteht sich von selbst, daß derlei historische Untersuchungen nicht i m Rahmen dieser Arbeit umfassend und lückenlos geboten werden können. Versucht werden soll aber, einzelne, besonders typische Entwicklungen aufzuzeigen, soweit diese für die weitere Arbeit von Bedeutung sind. B. Fraktionen in deutschen Parlamenten von 1848 bis 1918 I. Fraktionen in der Frankfurter Nationalversammlung Politische Parteien spielten bei der Wahl von 1848 keine Rolle. Daher bildete sich diese Versammlung als das klassische „Honoratioren-Parlament", als eine Versammlung von unabhängigen Persönlichkeiten, die vornehmlich aufgrund ihres Ansehens gewählt worden waren 9 . I n dieser Versammlung herrschte zunächst ein Chaos von Anschauungen und Interessen. Es erwies sich sehr bald, daß eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit ohne Bildung von einheitlich auftretenden Gruppen unmöglich war 1 0 . Dreihundert bis fünfhundert einzelne Abgeordnete konnten nicht jeweils zu den einzelnen Fragen zu Wort kommen, es konnte nicht jeder Antrag jedes Abgeordneten diskutiert werden. Es waren daher Gremien notwendig, die eine Auswahl der Redner trafen und sich auf bestimmte Anträge einigten, damit die Verhandlungen i m Plenum gekürzt und gestrafft werden konnten. Die Abgeordneten Blum, v. Gagern und Lichnowski forderten auf zur Partei- bzw. Fraktionsbildung i m Parlament 1 1 . Die entscheidenden Fragen wirkten als Katalysatoren: großdeutsche oder kleindeutsche Lösung, Republik oder Monarchie, Alleinentscheidungs- oder Vereinbarungsprinzip — je nach der Beantwortung dieser Fragen entstanden Gruppen, die sich um die hervorragendsten Vertreter dieser einzelnen Meinungen scharten 12 . 8 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 167, spricht von „völliger Ignorierierung des ganzen Problemkreises durch die Staatsrechtswissenschaft". 9 Bergsträsser, L., Entwicklung, S. 9; Huber II., S. 608 f.; Triepel, Staatsverfassung, S. 13 f.; Werberger, S. 12. 10 Appens, S. 40; Eisenmann, S. 5 f.; Tormin, S. 15. 11 Paulskirche, 1848, Sten. Ber., Bd. 1, 18. Sitzung S. 122, 21. Sitzung S. 468; υ. Mohl, Vorschläge, S. 34 ff.; Valentin, Die erste Deutsche NV, S. 27. 11 Appens, S. 35 ff.; Bergsträsser, L., Geschichte, S. 80; ders., Die Parteien von 1848, S. 188; Kremer, S. 15; Lebenstein, S. 9; Naumann, S. 6 f.; Rinck, S. 3; Sulzbach, S. 154 f.; Tormin, S. 15; Valentin, Die erste Deutsche NV, S. 28, 31; Werberger, S. 12.

24

1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

Diese Gruppen grenzten sich nun immer mehr dadurch gegeneinander ab, daß man sich innerhalb derselben auch i n sekundären Fragen einigte. Man traf sich auch außerhalb der Versammlung, besprach das gemeinsame weitere Vorgehen i m Plenum und Schloß dafür Kompromisse 13 . Hier tauchte der Begriff „ F r a k t i o n " 1 4 zum ersten M a l auf, und zwar als Bezeichnung einer zunächst noch lockeren Vereinigung von gleichgesinnten Mitgliedern der Nationalversammlung. Diese Fraktionen nannten sich nach den Gaststätten, i n denen sie tagten: Café Milani, Casino, Württemberger Hof, Deutscher Hof u. a. m. 1 5 . Sie zeigten eine gewisse innere Organisation, einige hatten sogar eine schriftliche Satzung 16 . Wenngleich auch die Fluktuation zwischen diesen Fraktionen noch sehr groß war 1 7 , zeigte sich jedoch schon bald, daß sie die eigentlichen Kräfte i n der Paulskirchenversammlung waren. Die Abgeordneten stimmten i n den meisten Fällen so ab, wie es i n der Fraktionssitzung vorher beschlossen worden war. Die Vorstellung, daß man sich i n erster Linie nach den i m Plenum geäußerten Ansichten richtete, muß revidiert werden. Selbst i n der Versammlung der Paulskirche gelang es nur sehr selten einmal einem Redner, die Abgeordneten derartig zu fesseln, daß sie gegen die Abmachung i n der Fraktion stimmten 1 8 . Leichter war es da schon, den Abgeordneten i n vertraulichen Vorberatungen aus dem Fraktionsverband herauszubrechen, zumal da der Zusammenhalt noch nicht sehr groß war. Wenn aber die Fraktionen i m wesentlichen einheitlich abstimmten, so bezog sich das nicht nur auf die materiellen Fragen, sondern auch auf die Fragen der Geschäftsordnung. Daher galt schon i n der Frankfurter Nationalversammlung, daß der einzelne Abgeordnete sich außerhalb einer Fraktion kaum noch wirksam politisch betätigen konnte 1 9 . So klagte der Abgeordnete Dr. Wuttke 2 0 , 13 Appens, S. 35; Eisenmann, S. 7; Kremer, S. 15; Tormin, S. 10 ff.; Wendorf, S. 2; dazu allgemein auch Sulzbach, S. 113,154 f. 14 Auch „ C l u b b " oder Partey" genannt. 15 Appens, S. 36; Bergsträsser, L., Geschichte, S. 81; Blum, Die dt. Revolution, S. 268 f.; Duverger, S. 3; Eisenmann, S. 8 ff.; Huber II., S. 613; Valentin, Die erste Deutsche NV, S. 29. 16 Siehe die Statuten der einzelnen „Parteyen" bei Eisenmann, S. 8 ff.; Appens, S. 39; Bergsträsser, L., Geschichte, S. 82. 17 Huber II., S. 609; Tormin, S. 11. 18 Appens, S. 39 f.; Tormin, S. 11 ff., 15, 19; der spätere Hamburger Bürgermeister Kirchenpauer schrieb 1848 aus F r a n k f u r t an den Senatssyndikus K a r l Merck i n Hamburg (zit. nach Schwarz-Tormin, S. 11): „Die Beschlüsse werden i n den Clubbs gefaßt u n d danach läßt sich das definitive Resultat bestimmen, die großen Redner mögen nachdem auf der Tribüne sagen, was sie wollen." 19 Bergsträsser, L., Die Parteien von 1848, S. 195; Rinck, S. 4; Tormin, S. 15; Valentin, Die erste Deutsche NV, S. 32. 20 Pc.ulskirche, 1848, Sten. Ber., Bd. 6, S. 4375.

Β. Fraktionen in deutschen Parlamenten von 1848 bis 1918

25

„ . . . d a ß . . . nach dem v o m hohen Hause beschlossenen Geschäftsgange denjenigen Abgeordneten, welche keinem der zehn Klubbs (oder w i e der Euphemismus lautet: „Fractionen") sich angeschlossen haben, der Ausdruck ihrer Meinung außerordentlich erschwert w i r d . "

Es zeigt sich somit, daß sich i m Frankfurter Parlament Fraktionen bildeten, obwohl man i m außerparlamentarischen Bereich noch keineswegs von Parteien sprechen konnte 2 1 . Das beweist, daß sich die Fraktionen an den Sachfragen bildeten, die das Parlament zu entscheiden hatte 2 2 , und daß sie schon für die parlamentarischen Beratungen i n der Paulskirche eine Notwendigkeit darstellten. Die politische Einflußnahme und Beeinflussung erfolgte nicht i n der Richtung von der Bevölkerung zum Parlament, sondern vom Parlament i n die Bevölkerung 2 3 . Als man nämlich merkte, daß man ohne den Rückhalt i n der Bevölkerung dem politischen Willen nicht i n dem Maße Ausdruck verleihen konnte, wie es die Landesherren mit ihren Bataillonen und sonstigen staatlichen Machtmitteln vermochten, bemühte man sich darum, Einfluß auf die Bevölkerung i m Lande zu gewinnen. Man tat das, indem man Rechenschaftsberichte über seine Arbeit veröffentlichte, Reden hielt und Zeitungen herausgab 24 , so daß sich erst daraufhin eine politische Anhängerschaft der Fraktionen i n der Bevölkerung formierte. Ähnlich gestaltete sich die Entwicklung i n den meisten deutschen Ländern, i n denen i m Zuge der Revolution und danach vom Volke gewählte Parlamente errichtet wurden. I m folgenden werden jedoch nur die Verhältnisse i n Preußen und i m Reichstag berücksichtigt, da sie beispielhaft für die Verhältnisse i m übrigen Deutschland sind. I I . Fraktionsbildung in Preußen

Auch i n der Berliner Nationalversammlung bildeten sich Fraktionen. Man kann von einer Fraktion „Vincke" und einer Fraktion „Waldeck" sprechen 25 . Den Beginn der parlamentarischen Entwicklung i n Preußen, die erste Legislaturperiode der Preußischen Zweiten Kammer, schildert sehr anschaulich Ferdinand Fischer 2*. Er beschreibt die mannigfaltigen Frak21

Rehm, S. 25; Duverger, S. 1. Siehe oben S. 23 A n m . 12. 23 Bergsträsser, L., Geschichte, S. 82; Duverger, S. 196. 24 Bergsträsser, L., Geschichte, S. 81 f.; ders., Die Parteien von 1848, S. 199 ff.; ders., Entwicklung, S. 10; Kremer, S. 15; Lebenstein, S. 9; Werberger, S. 13. 25 Treitschke, Parteien u n d Fraktionen, S. 366; Grotewold, S. 255; Rehm, S. 25. 26 Geschichte der Preußischen K a m m e r n v o m 26. Februar—27. A p r i l 1849, B e r l i n 1849. 22

1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

26

tionsbildungen 2 7 ; er betont die Bedeutung der Fraktionen für die Arbeit der Zweiten Kammer 2 8 und läßt durchblicken, daß die großen Fraktionen ihren Einfluß auch bei der Wahl des Parlamentspräsidenten und der der Kommissionsmitglieder geltend machten 29 . Durch Friedrich Naumanns Schrift „Die politischen Parteien" 3 0 ist die weitere Entwicklung i n Preußen dargestellt worden. Naumann zählt für das Jahr 1855 i m Preußischen Landtag (II. Kammer) neun Fraktionen, einschließlich der Fraktion der Polen 31 . Auch hier waren die Fraktionen erst lockere Gruppierungen, die sich nach ihren Führern (Graf Schlieff en, v. Arnim) oder nach ihren Versammlungsorten ("bei Tietz", „bei Karl") nannten 3 2 . Naumann schildert diese Fraktionsbildung sehr realistisch 33 : „ . . . vor allem die Bevölkerung, die diese Abgeordneten wählte, wählte mehr den M a n n u n d weniger die Partei. Sie schickte einen M a n n nach B e r l i n ; der soll sich die Dinge dort erst einmal ansehen, w o er am besten Anschluß finde. Der Abgeordnete sucht sich die P a r t e i . .

Naumann gebraucht hier Partei und Fraktion als Synonyme, da es außerhalb der Parlamente noch keine Parteien gab 34 . Uber diese Parteien sagt er dann weiter 3 5 : „ . . . die Gruppenbildungen waren keineswegs so fest gebunden, daß es w i e ein Bekenntnisakt oder w i e eine Verleugnung erschien, w e n n einer eines Tages „bei Tietz" oder „ b e i K a r l " auftauchte, u m dort an den Beratungen teilzunehmen."

Aber diese losen, innerparlamentarischen Verbindungen wurden immer fester, geschlossener und begannen aus dem Parlament i n die Bevölkerung hineinzustrahlen, sobald die zur Entscheidung anliegenden Fragen wichtiger und der Widerstand der Krone größer wurden 3 6 . Die Liberalen versagten von Anfang an aus Protest gegen die oktroyierte Verfassung und gegen das Verhalten der Regierung i m sogenannten Heereskonflikt die Mitarbeit und entwickelten eigene Gegenvorstellungen 37 . Die Opposition zwang zur Rückversicherung bei der Bevölkerung 3 8 . 27

Fischer, S. 239 ff.; Wendorf, S. 2 ff.; Plate, Handbuch, S. 189. Fischer, S. 339. 29 Fischer, S. 372 f. 80 Friedrich Naumann, Die politischen Parteien, B e r l i n 1910. 81 Naumann, S. 8. 32 Naumann, S.S. 38 Naumann, S. 8 f.; so auch: Nipper dey, Th., S. 11. 34 Bergsträsser, Die Parteien von 1848, passim, besonders S. 187 ff.; Leberstein, S. 118; Naumann, S. 9; Nipper dey, Th., S. 9; ähnlich: Grotewold, passim. 85 Naumann, S. 8. 86 Naumann, S. 10 ff. 37 Siehe schon Fischer, S. 339; Grotewold, S. 208 f.; so auch Wegge, S. 62 ff., 77 ff. 38 Naumann, S. 10; Wegge, S. 100 A n m . 4, zitiert einen „Ersten Bericht der Demokratischen Partei i n der Zweiten K a m m e r zu B e r l i n " v. 12. 3. 49, einen Rechenschaftsbericht f ü r die Wähler. 28

Β. Fraktionen in deutschen Parlamenten von 1848 bis 1918

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Die Folge dieser Bemühungen war die Geburt der politischen Parteien aus den Fraktionen 3 9 , d. h. die Fraktionen schufen sich Organisationen außerhalb des Parlaments, m i t deren Hilfe sie Einfluß auf die Bevölkerung und damit wiederum über das Mittel der Wahl stärkeren Einfluß i m Parlament gewinnen wollten. Es kam zu den zahlreichen Gründungen politischer Vereine i n den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: Deutscher Nationalverein 1859, Preussischer Volksverein 1862, Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein 186340. Für die Fraktion, also die parlamentarische Vereinigung, hatte das zur Folge, daß sie einerseits durch den größeren Rückhalt i n der Bevölkerung an Macht gewann, daß sich aber andererseits das Schwergewicht der Arbeit der Abgeordneten meist aus dem Parlament i n die Parteiorganisation verlagerte und nunmehr i n erster Linie nicht die Fraktion, sondern die Partei den politischen Kurs bestimmte. Die politische Einflußnahme erfolgte nunmehr i n zunehmendem Maße i n der Richtung Bevölkerung (Partei) — Parlament 4 1 . Die Fraktionen waren somit zwar die Schöpferinnen der Parteien, m i t deren Erstarken wurden sie jedoch immer mehr zu bloßen Werkzeugen. Sie wurden zu „Ausschüssen der Parteien", mit denen diese ihren Einfluß i m Parlament geltend machten 42 . Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß sich die Fraktionen m i t Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mehr nach ihren Führern oder Versammlungsorten benannten, sondern daß sich nun neue offizielle Fraktionsbezeichnungen bildeten, die die Namen der entsprechenden Parteien widerspiegelten 43 . Dabei ergab es sich, daß entweder die Partei den Namen der Fraktion übernahm, den diese durch die Sitzordnung i m Plenum oder aufgrund ihrer Tradition erhalten hatte (Zentrumspartei), oder daß die Fraktion sich nach der Partei nannte (Fraktion „Deutsche Fortschrittspartei"). M i t Aufkommen der Parteiorganisationen außerhalb der Parlamente wurde auch ein begrifflicher Unterschied zwischen Partei und Fraktion gemacht, indem diese Begriffe nicht mehr synonym gebraucht wurden 4 4 . „Partei" meinte nunmehr i n erster Linie die außerparlamentarische Or39 Duverger, S. 2, 7, 15; Kaak, S. 17; Lebenstein, S. 10; Naumann, S. 10 ff.; Sultan, S. 96; Tormin, S. 116; ν . d. Heydte, Freiheit der Parteien, S. 501, hält dagegen die Partei f ü r die Voraussetzung der Fraktionen. 40 Nipperdey, Th., S. 12,16,18; Tormin, S. 116 ff. 41 Duverger, S. 196; Naumann, S. 21; Lebenstein, S. 11; Rinck, S. 12. 42 Huber, S. 493; Lebenstein, S. 11; Nawiasky, Staatslehre, S. 95,111. 43 Plate, Handbuch, S. 192 f. 44 Wie noch bei Eisenmann passim, Fischer passim, besonders S. 339 ff. ; Bergsträsser, Die Parteien von 1848, S. 189.

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1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

ganisation der Gesinnungsgenossen, während der Fachausdruck für den Zusammenschluß i m innerparlamentarischen Bereich „Fraktion" wurde 4 5 . Die Fraktionen i m Parlament deckten sich jedoch nicht immer m i t den Parteien i n der Bevölkerung. Verschiedene Fraktionsspaltungen führten dazu, daß zu einer Partei bisweilen mehrere Fraktionen gehörten, was bei der zunächst noch sehr lockeren Organisation der Partei durchaus möglich war 4 6 . Es bestand dann zwischen den Fraktionen ein Streit darüber, wer „ i n Wahrheit" die Partei vertrat 4 7 . I I I . Fraktionen i m Reichstag

I m Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes und später i m Reichstag des Bismarckschen Reiches kam es sofort zu Fraktionsbildungen 4 8 aus den gleichen Gründen und nach dem gleichen Muster wie i n der Frankfurter Nationalversammlung und i n den preußischen Parlamenten. I m Reichstag waren die Fraktionen jedoch nur noch Vertretungen der politischen Parteien 49 . Es waren daher nicht mehr nur hervorragende Persönlichkeiten und gleiche Beantwortung von politischen Grundfragen anlaßgebend für die Fraktionsbildung, sondern auch und i n zunehmendem Maße die gleiche Parteizugehörigkeit der Abgeordneten. Auch i m Reichstag kam es allerdings vor, daß eine Partei durch verschiedene Fraktionen vertreten wurde 5 0 . C. Organisation und Arbeitsweise der Fraktionen Der nicht sehr reichhaltigen Literatur über die Fraktionen der Deutschen Parlamente der Zeit von 1848 bis 1918 ist immerhin zu entnehmen, daß sich diese Fraktionen hinsichtlich ihrer Organisation und Arbeitsweise nicht sehr entscheidend voneinander unterschieden haben, anders etwa als die den Fraktionen entsprechenden Parteien. Es ist daher zulässig, diesen Komplex zusammenfassend zu erörtern. Die i n den A n merkungen angegebenen Quellen aus den verschiedenen Epochen und Parlamenten dienen als Belege für diese Einheitlichkeit 5 1 . 45

Bergsträsser, Die Parteien von 1848, S. 189; Frey er, S. 73; Rinck, S. 1. Grotewold, S. 39; Huber II., S. 609; Nipperdey, Th., S. 9 ff., 36. 47 Nipperdey, Th., S. 36. 48 R T 1. (1920) Sten. Ber., 266. Sitzung, S. 8965; Baumbach, S. 70; Grotewold, S. 57; Oncken, ν. Bennigsen, Bd. 2, S. 24 ff.; Rey scher, S. 286; Richter, I. Bd., S. 5 ff. 49 Rinck, S. 5; allerdings waren die Parteien meist noch keine straffen p o l i tischen Organisationen: so Stoltenberg, S. 16. 50 Grotewold, S. 22; Nipperdey, Th., S. 36. 51 Z u m folgenden siehe: 1. f ü r die F r a n k f u r t e r N V : Appens, S. 38 ff.; Berg46

C. Organisation und Arbeitsweise der Fraktionen

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Die Fraktionen konstituierten sich unter einem gemeinsamen Fraktionsvorstand. Dieser bestand anfangs aus einem oder mehreren i m Parlament besonders angesehenen Männern, später aus den Parteiführern. Es gab ordentliche Fraktionsmitglieder, später die Parteimitglieder, und außerordentliche, die sogenannten Hospitanten. Letztere schlossen sich mehr oder minder eng einer Fraktion an, um besser an der parlamentarischen Arbeit teilnehmen zu können und u m etwa von der Fraktion i n einen Ausschuß geschickt zu werden. Die inneren Angelegenheiten der Fraktion wurden nach einem meist schriftlich festgelegten Statut geregelt; einige Fraktionen hatten auch ein schriftlich abgefaßtes Programm 5 2 . Der finanzielle Bedarf der Fraktion wurde durch Beiträge der Fraktionsmitglieder aufgebracht. Neben den parlamentarischen Sitzungen fanden regelmäßig-ordentliche und außerordentliche Fraktionssitzungen statt. I n diesen wurde beraten, w u r den Beschlüsse darüber herbeigeführt, welche Haltung man bei Abstimmungen, Anträgen und Wahlen i m Plenum einnehmen wollte. Auch w u r den hier die Fraktionsredner bestimmt, sowie die Mitglieder, die die Fraktion i m Präsidium, i n den Ausschüssen und sonstigen parlamentarischen Gremien vertreten sollten. Einen förmlichen Fraktionszwang, d. h. die statutenmäßig festgelegte absolute Bindung des Abgeordneten an den Fraktionsbeschluß mit Sanktionsandrohung gab es nur i n wenigen Fällen 5 3 . Man legte den Abgeordneten meist nahe, sich bei Dissens der Stimmabgabe zu enthalten 5 4 . I m übrigen war die Skala der Beeinflussungsmöglichkeiten damals genauso groß wie heute: oftmals genügte schon die gezielte Information durch den Fraktionskollegen, i n schweren Fällen jedoch wurde m i t dem Ausschluß gedroht. Bedenkt man dabei, daß schon i n der Frankfurter Nationalversammlung ein fraktionsloser Abgeordneter fast zur Bedeutungslosigkeit verdammt w a r 5 5 , so w i r d klar, daß die Ausschlußdrohung seit jeher das wirksamste Mittel war, u m der „Fraktionsraison" Geltung zu verschaffen. strässer, L., Die Parteien von 1848, S. 187 f.; Eisenmann, S. 8 ff.; Tormin, S. 10 ff. 2. f ü r die Pr. Parlamente: Fischer, S. 340 ff.; Naumann, S. 7 ff. 3. f ü r den Reichstag: Baumbach, S. 64ff.; v. Treitschke, Parteien u n d Fraktionen, S. 362ff.; Frey er, S. 73 ff.; v. Gerlach, S. 28 ff.; Grotewold, passim, besonders S. 21 ff.; v. Mohl, Kritische Erörterungen, S. 51 ff.; Molt, S. 308 ff., 316 ff.; Nipperdey, Th., passim, besonders S. 159 ff.; Reyscher, S. 286, 290. 52 Siehe die Statuten u n d Programme der Fraktionen der Paulskirchenversammlung bei Eisenmann, S. 8 ff.; Statuten der Zentrumsfraktion von 1859 bei Wendorf, S. 137; desgl., von 1871 bei Ketteier, S. 4 f. 53 z. B. bei der F r a k t i o n „Donnersberg" i n der Paulskirche, siehe Tormin, S. 13; bei der F r a k t i o n der Polen i m RT, siehe Freyer, S. 87; Grotewold, S. 329; Stoltenberg, S. 36 f. 54 Bergsträsser, L., Die Parteien von 1848, S. 198; Nipperdey, Th., S. 160, 382; so auch bei den Polen: Grotewold, S. 329. 55 Siehe oben unter B. I. a. E.

1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

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Oben wurde davon gesprochen, daß die Fraktionen ursprünglich lockere Vereinigungen von Abgeordneten waren. Das soll aber nicht heißen, daß die Fraktionen i n den Plenarsitzungen des Parlaments nicht einheitlich agiert hätten. Das Gegenteil war vielmehr die Regel 56 . Die Abgeordneten gehörten entweder zu einer Fraktion und hielten sich dann auch an deren Beschlüsse und Abmachungen oder sie waren fraktionslos. Der Übergang von einer Fraktion zu einer anderen war zu Beginn der parlamentarischen Entwicklung i n Deutschland häufiger und auch m i t weniger Gesichtsverlust verbunden, als das heute der Fall ist 5 7 . Auch war die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten größer 58 . Man suchte sich eben „seine Fraktion" aus und war nicht von vornherein festgelegt auf eine bestimmte. Hatte man sich aber einer Fraktion angeschlossen, so hielt man auch zu ihr, war das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, so trennte man sich eben wieder 5 9 . Später sorgten dann die Parteien durch ihren Einfluß bei der Wahl der Abgeordneten dafür, daß dies anders wurde, daß sich „ihre" Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenschlossen und auch zusammen blieben. D . F u n k t i o n u n d Bedeutung der F r a k t i o n e n

Fraktionen gibt es also seit Beginn der parlamentarischen Entwicklung i n Deutschland 60 . Es gilt dabei jedoch zweierlei festzuhalten: Die Fraktionen existierten zwar als politische Machtfaktoren, eine rechtliche A n erkennung wurde ihnen jedoch erst i n den Jahren kurz vor und nach dem ersten Weltkrieg zuteil, da man zunächst i n ihnen allgemein negative Erscheinungen sah 61 . Die Bindung des Abgeordneten an den Fraktionsbeschluß widersprach dem Dogma des freien Mandats; die Aufspaltung des Parlaments i n Fraktionen entsprach nicht den traditionellen Vorstellungen von einem Parlament, entsprach nicht der Idee des Honoratiorenparlaments m i t je nach der Sachfrage wechselnden Mehrheiten. Die 56

Molt , S. 314, 316. Obermann, S. 100. 58 Nach Eisenmann, S. 46 f., gehörten i n der F r a n k f u r t e r Nationalversamml u n g 146 Abgeordnete keiner F r a k t i o n an; nach Tormin, S. 15, waren es etwa 150. 59 Dazu die klassischen Worte von Bagehot, S. 158: Change your leader i f you w i l l , take another i f you w i l l , but obey No. 1 w h i l e you serve No. 1, and obey No. 2 w h e n y o u have gone over to No. 2. The penalty of not doing so is the penalty of impotence; i n diesem Sinne auch: Jolly , S. 160; Rey scher, S. 286. 60 Bergsträsser, Parteien — Fraktionen, S. 85. 61 P r A H , 6./I., DS, Bd. 2, S. 438; Bergsträsser, L., Problematik, S. 4; v. Blume, S. 374; Fischer, S. 345 f., 372; Lebenstein, S. 120 f.; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 90 ff.; Nipperdey, Th., S. 393; Triepel, Staatsverfassung, S. 14 ff.; Zenker, S. 42; diese Auffassung ist auch heute anzutreffen, so etwa i n der A r beit von Dechamps; siehe dazu die Analyse bei Bergsträsser, L., Parteien — Fraktionen, S. 86 f.; Gerhardt, S. 20 ff. 57

D. Funktion und Bedeutung der Fraktionen

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Fraktionen haben sich also neben und auch gegen das geschriebene Geschäftsordnungsrecht durchgesetzt 62 . Es soll nun die These gewagt werden, daß die Fraktionen seit jeher, also schon seit etwa 1848, die entscheidenden Kräfte i n den Parlamenten gewesen sind, die ihre Machtstellung jedoch erst i n den folgenden Jahrzehnten institutionell befestigen konnten. U m diese These zu untermauern, sollen zwei beispielhafte Entwicklungen näher beschrieben und noch einige allgemeine Hinweise gegeben werden. Ihr lückenloser Beweis würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. A u f die unzureichende bisherige wissenschaftliche Untersuchung der innerparlamentarischen Verhältnisse dieser Zeit ist schon an anderer Stelle hingewiesen worden. Das Quellenmaterial ist schwer zugänglich und dürftig 6 3 . Das meiste muß „geheimnisvollen Bemerkungen" 6 4 entnommen werden, da es sich ja bei der Ausbildung der Machtstellung der Fraktion um eine mindestens bis 1918 offiziell ungewollte Entwicklung handelte. Für die Bedeutung der Fraktionen beispielhaft ist das Absterben der Abteilungen und die Übernahme ihrer Funktionen durch die Fraktionen i m Preußischen Abgeordnetenhaus und die entsprechende Entwicklung später i m Reichstag 65 . Nach der Geschäftsordnung für das Preußische Abgeordnetenhaus vom 28. 3. 184966, die zwar mehrfach geändert, jedoch erst nach dem ersten Weltkrieg ganz aufgehoben wurde, gliederte sich das Haus nach Belgischem und Französischem Vorbild und nach dem Vorbild der Frankfurter und der Berliner Nationalversammlung 6 7 i n sieben Abteilungen 6 8 . Sie wurden durch Verlosung aller Mitglieder zu Beginn jeder Session gebildet, hatten einen Vorsitzenden, einen Schrift62

Plate, Geschäftsordnung, S. 2, 229; Triepel, Staatsverfassung, S. 19. Oncken, v. Bennigsen, Bd. 2, S. 245; Stoltenberg, S. 7. 64 Pereis, Das autonome Reichstagsrecht, S. 22 A n m . 110, spricht von einer „geheimnisvollen Bemerkung" des Abgeordneten Aegidi i n RT/Norddt. Bund, 1/1867, Sten. Ber., 9. Sitzung, S. 128; bei näherem Zusehen ist diese Bemerkung jedoch gar nicht so geheimnisvoll; es ist als sicher anzunehmen, daß Aegidi m i t der „Praxis", die sich „über die A r t u n d Weise der W a h l i n die Kommissionen" . . . „ zu bilden angefangen hat", den vermutlich v o m Abgeordnetenhaus übernommenen Brauch meint, die Kommissionssitze v o r den Kommissionswahlen durch interfraktionelle Absprachen auf die Fraktionen nach deren Stärkeverhältnis zu verteilen. 65 Dazu allgemein: v. Mohl, Geschäftsordnungen, S. 293 ff.; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 370. ββ Abgedruckt: P r A H , 1/1849, Sten. Ber., S. X X V ff. 87 Siehe dazu die Geschäftsordnung der Frankfurter NV, (Dt. Const. NV. 1848/ 49, Sten. Ber., 1. Bd., S. 163 ff., 173 f.) u n d der Berliner N V (Versammlung zur Vereinbarung der Preußischen Staatsverfassung 1848, Sten. Ber., Bd. 1, S. 21); P r A H , 7/1, Sten. Ber., 6. Sitzung, S. 67, 69; Plate, Geschäftsordnung, S. 3, 25. 68 GO Pr A H , a.a.O., §§ 2 ff. es

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1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

führer und Stellvertreter für beide und waren ursprünglich mit drei Aufgaben beliehen: 1. Vorberatung aller Vorlagen 0 9 , 2. Wahlprüfung 7 0 , 3. Wahl der Kommission, d. h. Ausschußmitglieder 71 . Die Vorberatungen i n den Abteilungen 7 2 wurden jedoch schon i m Herbst 1849 aufgegeben 73 , da sie zu zeitraubend waren, und weil wegen der Größe und Zusammensetzung der Abteilungen die Beratungen der Abgeordneten i n ihnen nicht gründlich genug waren 7 4 . Verweisungen an die Abteilungen gab es seit dem Herbst 1849 nicht mehr. Dieser Zustand wurde auch bei der ersten größeren Revision der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses i m Jahre 1862 formell sanktioniert. Nunmehr w u r den die Vorlagen nach der Geschäftsordnung nur noch i n den den heutigen Ausschüssen entsprechenden Kommissionen beraten 75 . Fast ebenso entscheidend und nicht i n der Geschäftsordnung vermerkt waren aber die Vorberatungen i n den Fraktionen, die es — hatten sie doch eigentlich zur Fraktionsbildung geführt — seit der Entstehung der Fraktionen gab. Die Vorberatungen i n den Abteilungen wurden zu dem Zeitpunkt überflüssig, da sich die Abgeordneten zu Fraktionen zusammenschlossen, also von Anfang an. Nicht i n den Abteilungen, sondern i n den Fraktionen wurden die Abgeordneten informiert. I n den Fraktionen fanden die Vorberatungen statt. Hier sagte man dem Abgeordneten, wie er i n den Fällen stimmen sollte, i n denen er sich nur schlecht oder gar nicht eine eigene Meinung bilden konnte. Die Wahlprüfung war i m Abgeordnetenhaus zumindestens formell die Domäne der Abteilungen, bis sie i m Jahre 1919 völlig beseitigt wurden 7 6 . Schon i m Jahre 1861 wurde versucht, diese Aufgabe auf besondere Kom69 GO Pr A H , a.a.O., §§ 15 I I I ff.; siehe auch ebenda, § 15 I I der vorläufigen GO P r A H ; Plate, Geschäftsordnung, S. 1. 70 GO Pr A H , a.a.O. §§ 3 ff. 71 GO P r A H , a.a.O. §19. 72 F ü r die erste Leg.Per. Fischer, S. 11; zum Vorteil solcher Vorberatungen siehe noch Mittermaier, S. 650; Roelker bei Cushing, S. X I . 73 P r A H , 2/1, Sten. Ber., 10. Sitzung, S. 151; 58. Sitzung, S. 1281; Plate, Geschäftsordnung, S. 11. Auch i n der Paulskirche sind die Abteilungen bald bedeutungslos geworden: Bergsträsser, L., Parteien — Fraktionen, S. 85. 74 Das w u r d e schon bei der Beratung der Geschäftsordnung bemerkt, u n d daher wurde die Vorberatung i n den Abteilungen auch n u r subsidiär gegenüber den Kommissionsberatungen eingeführt; siehe dazu P r A H 1/1849, Sten.Ber., 19. Sitzung, S. 324 f.; dazu auch: v. Mohl, Geschäftsordnungen, S. 294 f.; Cohen, S. 97. 75 Plate, Geschäftsordnung, S. 11. 76 Verf. geb. Pr. LVers., 1919 DS Nr. 5, S. 81 ff. unter I B ; desgl., Sten. Ber., 1. Sitzung, S. 11.

D. Funktion und Bedeutung der Fraktionen

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missionen zu übertragen, wenngleich auch ohne Erfolg . Seit 1877 w u r den jedoch nur noch unbestrittene und unzweifelhafte Wahlen den A b teilungen zur „Vorprüfung" überlassen. Alle übrigen Wahlen wurden durch eine besondere Wahlprüfungskommission überprüft 7 8 , i n der die Fraktionen bestimmend waren. Denn auch die Wahl der Kommissionsmitglieder durch die Abteilungen, ihre dritte Funktion, wurde schon sehr früh zur reinen Farce: schon seit Anfang der sechziger Jahre, wahrscheinlich noch früher 7 9 , hatte sich nämlich i m Abgeordnetenhaus der Brauch gebildet, daß die Fraktionen sich untereinander vor den Kommissionswahlen einigten wer — formell von den Abteilungen — i n die einzelnen Kommissionen gewählt werden sollte 80 . Der Abgeordnete Berger bezeichnete daher die Abteilungen i m Jahre 1876 als „Trompeten", i n welche die Fraktionen „hineinblasen" 8 1 . Man hat i n mehreren Anläufen versucht, diesen Zustand durch eine Neufassung der Geschäftsordnung zu legalisieren, indem diese Befugnis den Fraktionen offiziell zugebilligt werden sollte. Dann jedoch hätte man auch Bestimmungen über die Fraktionen treffen müssen, was man offenbar nicht wollte. So wurde erst i m Jahr 191182 durch die Geschäftsordnungskommission der Versuch gemacht, die Fraktion als Institut der Geschäftsordnung einzuführen 83 und ihr die Bestimmung der Komissionsmitglieder zu übertragen 84 . Dieser Vorschlag der Kommission wurde jedoch nicht angenommen 85 , und erst die verfassungsgebende Preußische Landesversammlung hat i n ihrer 1. Sitzung die Geschäftsordnung i n diesem Sinne geändert 86 . Die tatsächliche Macht der Fraktionen i n dieser für die parlamentarische Entwicklung i n Deutschland sehr frühen Zeit soll zweitens verdeutlicht werden durch die Erwähnung des sogenannten Seniorenkonvents und seiner Bedeutung. Der Seniorenkonvent entstand i m Preussischen Abgeordnetenhaus i n der Mitte der sechziger Jahre, vielleicht auch noch früher, als eine ständige, i n der Geschäftsordnung jedoch nicht vorgesehene Versammlung von Vertrauensmännern aller Fraktionen 8 7 , i n 77

Plate, Geschäftsordnung, S. 27. Plate, Geschäftsordnung, S. 28 f. 79 Fischer, S. 372 f. 80 Pr A H 6/1, DS Nr. 72, S. 438; P r A H 7/1, Sten. Ber., 6. Sitzung, S. 65, 68. 81 P r A H 12/III, Sten. Ber., 56. Sitzung, S. 1450. 82 P r A H 21/IV, D Nr. 357 A—C, S. 3245 ff. 83 Siehe S. 61 ff. der genannten DS. 84 Siehe S. 68 ff. der genannten DS. 85 Ebenso auch ein zweiter Kommissionsvorschlag aus der folgenden Session: Pr A H 21/V, DS Nr. 965 A + B , S. 6821 ff., besonders Nr. 965 B, S. 7 f. 88 Verf. geb. Pr. LVers., 1919, DS Nr. 5, S. 81 ff., unter I E, G ; desgl., Sten. Ber., 1. Sitzung, S. 11. 87 Dechamps, S. 132; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 175; Plate, Geschäftsordnung, S. 229. 78

3 Hauenschild

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1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

der man sich zunächst vor allem über der Verteilung der Kommissionssitze auf die Fraktionen einigte, später aber i n zunehmendem Maße auch mit anderen, allgemein interessierenden Fragen befaßte: Arbeitsplan, Hedeordnung, Geschäftsordnung, Verteilung der übrigen Ämter des Hauses etc. 88 . A n diese Vereinbarungen hat man sich — von einigen Ausnahmen abgesehen — dann wohl stets gehalten 89 , wenngleich es leicht möglich gewesen wäre, daß ζ. B. die Abteilungen andere als die vorgeschlagenen Mitglieder i n die Kommissionen gewählt hätten. Denn i n den Abteilungen bildeten sich aufgrund des Lossystems willkürliche Mehrheiten und die Preußische Verfassung vom 31.1.1850 statuierte i m A r tikel 83 das freie Mandat. Daß sich die Abteilungsmitglieder jedoch i n der überwiegenden Zahl der Fälle nach den Beschlüssen des Seniorenkonvents richteten, zeugt von dem großen Einfluß, den dieser und m i t i h m die Fraktionen i m Parlament ausübten 90 . Denn ohne Fraktionsdisziplin läßt sich nicht erklären, wie man auf diese Weise i m Seniorenkonvent überhaupt etwas hat regeln können. Unumgänglich für so ein Verfahren war, daß die Abgeordneten sich an die Beschlüsse ihrer Fraktionen hielten und daß die Fraktionen zu den Vereinbarungen i m Seniorenkonvent standen. Die Regelung irgendeiner Angelegenheit durch den Seniorenkonvent ist nur denkbar, wenn sich alle Beteiligten diszipliniert und loyal verhielten 9 1 . Dann allerdings konnten die Beteiligten, d. h. die Fraktionen, aus diesen Vereinbarungen auch Vorteile ziehen. Was hier für das Preußische Abgeordnetenhaus aufgezeigt wurde, gilt i n gleicher Weise auch für den Reichstag. Das mag nicht zuletzt seinen Grund darin haben, daß der Reichstag sein Verfahren nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses regelte 92 . Schon seit Beginn der Reichstagsverhandlungen gab es sicher, wie schon oben erwähnt, Fraktionen i m Reichstag und wahrscheinlich auch 88 F ü r den R T siehe: P r A H , 21/IV, DS Nr. 357 A—C, S. 3245 ff., besonders S. 58 der DS; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 185 ff.; Lebenstein, S. 12; Plate, Geschäftsordnung, S. 2,230; Werberger, S. 19. 89 F ü r den R T : Hatschek, Parlamentsrecht, S. 195; Pereis, Reichstagsrecht, S. 31 m i t Nachweisen. 90 Molt, S. 317. 91 v. Mohl, Kritische Erörterungen, S. 58. 92 Der Konstituierende Reichstag des Norddeutschen Bundes übernahm i n seiner ersten Sitzung am 25. 2. 67 (Sten. Ber., S. 5) die GO des P r A H p r o v i sorisch, i n der 7. Sitzung v o m 7.3. 67 (Sten. Ber., S. 66) definitiv; dieselbe übern a h m auch der R T des Norddeutschen Bundes i n der Session 1867 i n seiner ersten Sitzung v o m 10.9.67 (Sten. Ber., S. 3); i n der Session 1868 k a m es i n der 21. Sitzung am 12. 6. 68 (Sten. Ber., S. 368; DS Nr. 117, S. 433 ff.) zu einer Neufassung, die aber an den hier interessierenden Bestimmungen der GO Pr A H nichts veränderte. Diese GO galt dann f ü r den R T des Deutschen Reiches von der Annahme am 21. 5. 71 (Sten. Ber., S. 5) bis zu der Auflösung des R T i m Jahre 1918; siehe dazu: Jungheim, S. 1; Plate, Geschäftsordnung, S. V : die Geschichte der GO P r A H ist die „Urgeschichte" der GO R T ; Zschucke, S. 10 f.

D. Funktion und Bedeutung der Fraktionen

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einen Seniorenkonvent 98 . Letzterer ist wenigstens seit Anfang der siebziger Jahre aktenmäßig nachgewiesen 94 . Auch für den Reichstag ist zu bemerken, daß die Abteilungen schon sehr bald zur Bedeutungslosigkeit herabsanken und an ihre Stelle weitestgehend Fraktionen und Seniorenkonvent traten, wenngleich auch hier von der Bildung der Abteilungen erst 1914 abgesehen wurde 9 5 . Vorberatungen i n den Abteilungen hat es i m Reichstag nicht mehr gegeben, sie waren zu dieser Zeit (1867) ja auch i m Abgeordnetenhaus schon abgeschafft. Die Wahlprüfimg durch die Abteilungen wurde 1876 auf die unzweifelhaften Fälle beschränkt durch eine Neufassung der §§ 3—7 der Geschäftsordnung 96 . Wahrscheinlich schon seit 186797, bestimmt aber seit 1875 wurden die Kommissionssitze durch eine Vereinbarung i m Seniorenkonvent auf die Fraktionen entsprechend ihrer Stärke verteilt 9 8 . M i n destens seit 1876 entschied der Seniorenkonvent über die Größe der Kommissionen 99 und seit 1881 über die Besetzung der Ehrenämter des Hauses, besonders über die Schriftführerstellen und die Vorsitzenden der Kommissionen 1 0 0 . Auch hier stand diese Praxis der Geschäftsordnung entgegen. Hatschek 101 berichtet davon, daß schon i m März 1868 der Vorstand des Reichstags bei der Erledigung seiner Geschäfte auf die Wünsche der Fraktionen Rücksicht nahm. Ende der siebziger Jahre übernahm der Seniorenkonvent offiziell die Aufgaben des Vorstandes 102 . Seit 1881 ist der erste Vizepräsident, seit 1899 der Präsident des Deutschen Reichstags Vorsitzender des Seniorenkonvents 103 . Aus den Jahren 1871 und 1874 stammen Bemerkungen 1 0 4 , aus denen auf eine Einflußnahme der Fraktionen auf die Gestaltung der Rednerliste 93 R T l . / I . (1871), Sten. Ber., 35. Sitzung, S. 704; R T Norddt. B u n d 1. )1870), 19. Sitzung, S. 291; siehe auch die auf Seite 31 A n m . 63 zitierte Äußerung des Abgeordneten Aegidi; R T 13./I., Sten. Ber., 5.. Sitzung, S. 1700 D ; Hatschek , Parlamentsrecht, S. 176; Roßmann, S. 27. 94 R T 13./I., Sten. Ber., 55. Sitzung, S. 1700 D ; v. Gerlach, S. 45 ff.; nach Hatschek, Parlamentsrecht, S. 176, gibt es den Seniorenkonvent seit 1874. 95 R T 13./II., Sten. Ber., 1. Sitzung, S. 4; ν . Gerlach, S. 46 ff.; Tormin, S. 123. 96 R T 2./III. 1875/76, Sten. Ber., 38. Sitzung, S. 922. 97 R T Norddt. B u n d 1867, Sten. Ber., 9. Sitzung, S. 128. 98 R T 2./III. (1875/76), Sten. Ber., 15. Sitzung, S. 304; v. Mohl, Kritische E r örterungen, S. 57. 99 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 188. 100 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 191. 101 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 172. 102 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 172. 103 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 178. 104 Pr A H lim. (1871/72), Sten. Ber., S. 1610 ff.; R T 2./I. (1874), DS Nr. 97, S. 307 ff. (310); v. Gerlach, S. 29 ff.; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 190.



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1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

geschlossen werden kann. I m Jahre 1911 w i r d es als „Gebrauch des Hauses" bezeichnet, daß die Redner nach Fraktionsstärke zu Wort kommen 1 0 5 . Seit 1887/88 w i r d der Anlage 1 der Stenographischen Berichte, dem alphabetischen Verzeichnis der Reichstagsmitglieder, eine Liste der Fraktionen und ihrer Mitglieder angehängt. I m Reichstagshandbuch von 1898 ist vermerkt, daß sich i m Obergeschoß des Reichstagsgebäudes neben Kommissions- auch Fraktionssitzungssäle befänden 1 0 6 . Jedoch auch i m Reichstag w i r d beinahe parallel zu den Beratungen i m Abgeordnetenhaus und auch m i t Hinweis auf diese erst 1912 zum ersten M a l i m Plenum beraten, ob man Fraktion und Seniorenkonvent i n die Geschäftsordnung aufnehmen sollte 1 0 7 . Auch hier w i r d aber diese Neuerung abgelehnt, und Fraktion wie Seniorenkonvent bleiben weiterhin i m „parlamentarischen U n t e r g r u n d " 1 0 8 . Erst am 12. 12. 1922 n i m m t der Reichstag eine neue Geschäftsordnung an, die zum ersten Male Bestimmungen über diese beiden Institute enthält 1 0 9 . Wenn damit auch die oben aufgestellte These nicht völlig bewiesen ist, so ist zumindest nach dem, was hier berichtet werden konnte, festzustellen, daß die Fraktionen schon sehr f r ü h i m deutschen parlamentarischen Leben eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Einflußnahme der Fraktionen konnte i n verschiedene Richtungen gehen: abgesehen von ihren Möglichkeiten einer außerparlamentarischen Wirksamkeit konnten sie einmal den einzelnen Abgeordneten m i t einem Fächer von Möglichkeiten beeinflussen, der von der gezielten Information bis zur Ausschlußdrohung reichte; zum anderen aber konnten sie i n das Plenum hinein wirken, sei es direkt durch ihr geschlossenes Auftreten, sei es indirekt über den Seniorenkonvent. Der Wahrheitsgehalt der oben aufgestellten These w i r d weiter erhärtet durch eine Reihe von Bemerkungen und Erscheinungen, auf die hier n u r hingewiesen werden kann, ohne näher auf sie einzugehen und ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben: Fischer 110 sagt folgendes über die Zweite Preußische Kammer (Abgeordnetenhaus) vom Frühjahr 1849: „Wer die Geschichte der K a m m e r n verfolgen, ihre Richtung und i h r Streben ermitteln, ihre Beschlüsse erklären w i l l , der muß auf das Parteileben zurückgehen." 105

R T 12./II., Sten. Ber., 102. Sitzung, S. 3758 D. Amtliches Reichstagshandbuch, 10. Legislaturperiode, Berlin 1898, S. 303. 107 RT, 13./I., Sten, Ber., 55. Sitzung, S. 1700 ff. 108 So spricht Labandy Parlamentarische Rechtsfragen, S. 9, von geheimen Zusammenkünften der Fraktionsführer. 109 Bekanntmachung vom 17. 2. 23 (RGBl S. 101). 110 Fischer, S. 339. 108

D. Funktion und Bedeutung der Fraktionen

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Der Reichstagsabgeordnete Baumbach e r k l ä r t 1890 1 1 1 : „ . . . i n der Regel ist es doch n u r Fertiges, was i m Plenum gebracht w i r d , d. h. das Ergebnis der Vorberathungen i n der Commission u n d i n der F r a c t i o n . . . "

Desgleichen m e i n t Frey er 112 i m Jahre 1892: » . . . alle wichtigen Angelegenheiten des Reichstages werden, bevor sie zur Beschlußfassung gelangen, v o n allen Parteien, p r i v a t i m sowohl wie amtlich, hinlänglich e r ö r t e r t . . . "

1911 heißt es i n einem Bericht der Geschäftsordnungskommission des Preußischen Abgeordnetenhauses 113 : „ . . . die Fraktionen machten j a alles; was auch i m Hause vorgehe, es vergehe keine Minute, ohne daß von ihnen nicht die Rede s e i . . . "

Weitere Anhaltspunkte für die Richtigkeit der These lassen sich den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen der einzelnen Parlamente entnehmen. Aus vielen Einzelheiten ergibt sich, daß die Fraktionen die Debatten beherrschten 114 . Beispielsweise kamen meist immer die gleichen Redner zu Wort, trat immer nur ein kleiner Kreis von Abgeordneten als Antragsteller auf, unterstützten sich immer die gleichen Abgeordneten, wurden immer den gleichen Gruppen durch Anträge auf Schluß der Debatte das Wort abgeschnitten 115 . Anhaltspunkte ergeben sich weiterhin aus der Zusammenschau vieler Einzelzeugnisse i n der allgemeinen Literatur über die Deutschen Parlamente i n dieser Z e i t 1 1 6 und aus den Biographien der hervorragenden Parlamentarier 1 1 7 . Schließlich kann man einen Anhaltspunkt für Macht und Bedeutung der Fraktionen auch der Polemik entnehmen, die gegen die Fraktionen und ihre Bildung geführt wurde 1 1 8 . Wären die Fraktionen unbedeutend gewesen, hätten sie nicht diese Reaktionen hervorrufen können. 111

Baumbach, S. 64. Freyer, S. 120. 113 P r A H , 21./IV., DS Nr. 357 A—C, S. 324 ff., S. 54 der Anlage. 114 Dazu etwa die Debatte u m die Revision der GO P r A H v o m 31. 5.1862, Pr A H , 7./I., Sten. Ber., 6. Sitzung, S. 57 ff., besonders die Ausführungen des Abgeordneten Krause, a.a.O., S. 70 f. 115 Siehe die Klage des Abgeordneten Reichensberger P r A H , 7./I., Sten. Ber., 6. Sitzung, S. 68 f.; Baumbach, S. 41; v. Mohl, Kritische Erörterungen, S. 71; Molt, S. 311 u n d Übersicht, S. 320 f.; Nipperdey, Th., S. 160. 116 Apelt, W., Geschichte, S. 192; Appens, S. 39 f.; Bergsträsser, L., Parteien — Fraktionen, S. 85 ff.; ders., Die Parteien von 1848, S. 188; v. Gerlach, passim, besonders S. 28 ff.; Grotewold, passim; Hatschek, Dt.u.PrStRT, S. 422; Jolly, S. 67, 155 ff., 175; Lebenstein, S. 12; v. Mohl, Kritische Erörterungen, S. 51 ff.; ders., Encyklopädie, S. 650 ff.; Molt, S. 309 ff., 318; Nipperdey, Th., besonders S. 159 ff.; Richter, passim; Stoltenberg, passim; Wendorf, S. 6 ff.; Zenker, Parlamentarismus, S. 12 f.; v. Treitschke, Parteien u n d Fraktionen, S. 347 ff., 362 ff. 117 Oncken, v. Bennigsen, Bd. 2, S. 24 ff.; Parisius, v. Hoverbeck, besonders die K a p i t e l 15—18, S. 152 ff.; Reyscher, S. 286; Richter, passim. 118 Laband, Buchbesprechung i n AöR, Bd. 12, S. 277 ff. (280 f.); v. Mohl, Encyklopädie, L . 654; v. Treitschke, Regierung u n d Regierte, S. 153; ders., Parteien u n d Fraktionen, S. 362 ff.; Triepel, Staatsverfassung, S. 17. 112

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1. Kapitel: Das historische Werden der Fraktionen

Wenn man trotz allem die oben aufgestellte These für überspitzt formuliert hält, muß man dennoch wenigstens folgendes zugeben: Fraktionen hat es i n den deutschen Parlamenten von Anfang an gegeben; sie faßten die Abgeordneten dieser Parlamente bis auf einen kleinen Teil zusammen, berieten und informierten sie, schalteten die Extreme aus und traten i n der Regel geschlossen m i t einheitlichen Meinungen i m Parlament auf. Fragen der Geschäftsordnung, die Besetzung der Parlamentsämter regelten sie untereinander durch Vereinbarung i m Seniorenkonvent unter Ausschluß der fraktionsungebundenen Abgeordneten. Der Verfasser geht noch einen Schritt weiter und glaubt die Quellen so interpretieren zu können, daß die Fraktionen seit jeher die entscheidenden Faktoren i n den Parlamenten gewesen sind. Nach seiner Meinung hat es zu keiner Zeit das Parlament der unabhängigen Einzelpersonen mit den jeweils nach der Sache wechselnden Mehrheiten i n Deutschland gegeben, sofern man vielleicht von den Uranfängen des deutschen Parlamentarismus, den ersten Sitzungen der Nationalversammlungen von Frankfurt und Berlin absieht 119 .

119

I n diesem Sinne: Tormin, S. 15,124.

Zweites Kapitel

Die Fraktion im Jahre 1966 Bei der Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse i n den heutigen Fraktionen ist es möglich, sich auf Vorarbeiten der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zu stützen. Diese hat i m Jahre 1959 eine Kommission eingesetzt, um die Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen zu untersuchen. Gleichzeitig wurde ein umfangreicher Fragebogen an die Fraktionen aller Parlamente gesandt, u m Material für diese Untersuchung zu erhalten. Die Antworten der Fraktionen wurden von Gottfried Zieger ausgewertet und zu mehreren Berichten zusammengestellt. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf den Bericht vom 23. November 1961, Drucksache Nr. 236 der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft 1 . A . A n f a n g und Ende der Fraktion, Diskontinuität

Vorschriften, die den Vorgang der Bildung einer Fraktion beschreiben, gibt es i n den Geschäftsordnungen der Parlamente nicht. Lediglich eine Voraussetzung für die Fraktionsbildung ist überall zu finden: Die Fraktion muß die Vereinigung einer bestimmten Mindestzahl von Abgeordneten sein. Diese Mindestzahl w i r d entweder generell von der Geschäftsordnung gefordert 2 oder von den Parlamenten zu Beginn jeder Legislaturperiode durch besonderen Beschluß 3 festgelegt und schwankt derzeitig zwischen 3 Mitgliedern i m Landtag von Schleswig-Holstein 4 und 1 Z u bemerken ist noch folgendes: I n dem „Bericht" erscheinen die F r a k tionen anonym. Der Verfasser hat versucht, sich i n einer eigenen Befragungsaktion Material zu beschaffen. E r w a r dabei jedoch nicht sehr erfolgreich, da man, von einigen lobenswerten Ausnahmen abgesehen, nicht i n der Lage, bzw. nicht bereit war, detaillierte Auskünfte zu erteilen. (Uber die gleiche Schwierigkeit während der Weimarer Republik klagt Lebenstein, S. 81; dazu auch Eschenburg, Die Ordnung der Parteien, i n : Die Zeit, v o m 24. Jan. 1964.) Wo er jedoch die Aussagen des Berichts durch eigene Ermittlungen bestätigen kann, möge man i h m gestatten, dies durch Nennung der betreffenden F r a k t i o n u n d der Auskunftsperson bzw. der Bestimmung der entsprechenden Fraktionssatzung zu tun. * GO B W § 17 I ; GO Bay § 7 I ; GO B i n § 7 I ; GO Bre § 7 I ; GO Hes § 8 I ; GO Nds § 31; GO N W § 161; GO RP § 71. 8 GO B T § 101 ; GO H b g § 9 I ; GO S H § 211 ; GO S L A r t . 7 I. 4 Beschluß des L T S H v o m 29. Okt. 62, zit. ROP S. 098606.

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

15 i m Bundestag 5 . I m Bund, i n Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein können sich i m übrigen nur Mitglieder einer Partei zusammentun®. I n den anderen Landesparlamenten w i r d von diesem Erfordernis abgesehen. I m Bundestag gibt es daneben noch die Besonderheit, daß Mitglieder nicht ein und derselben Partei sich m i t Zustimmung des Bundestages zu einer Fraktion zusammenschließen können. Diese Vorschrift, ursprünglich als Sicherheitsvorkehrung gegen die Fraktionsbildung aus heterogenen Splittergruppen gedacht 7 , gelangte bei der Regierungsbildung i m Herbst 1965 zu großer Aktualität: Obwohl sich früher die CDU-CSUFraktion des Bundestages stets ohne besondere Zustimmung des Plenums gebildet hatte, entsann man sich bei den Sozialdemokraten nunmehr des § 10 Absatz I Satz 4 Geschäftsordnung des Bundestages und erklärte, man wollte die Zustimmung zur Bildung dieser Fraktion verweigern. Das hätte zur Folge gehabt, daß die Fraktion der Sozialdemokraten als stärkste Fraktion i n den Bundestag eingezogen wäre. U m die Zustimmung jedoch verweigern zu können, wäre ein Zusammengehen m i t der FDP-Fraktion notwendig gewesen. I n der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 19. Okt. 1965 entschied sich jedoch diese Fraktion für die Zustimmung, so daß die Bildung der CDU-CSU-Fraktion von der Mehrheit i m Plenum bestätigt wurde. Immerhin aber war die Drohung, diese Zustimmung zu verweigern, sicherlich für die FDP eine wichtige Waffe, u m ihre eigenen Wünsche i n den Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien durchzusetzen 8 . Daß ein Abgeordneter jeweils nur einer Fraktion angehören darf, w i r d i n den Geschäftsordnungen der Landtage von Bayern, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein und der Bremer Bürgerschaft ausdrücklich erklärt 9 . I n den anderen Parlamenten gilt diese Forderung wohl gewohnheitsrechtlich. Das gleiche kann von der Forderung gesagt werden, die i n der Geschäftsordnung des Landtages von Bayern enthalten ist, daß nämlich die Abgeordneten keine Fraktion bilden dürfen, deren Parteien vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sind 1 0 . 5

Unverändert seit dem Beschluß v. 16. Jan. 52; B T 1., Sten. Ber., 185. Sitzung, S. 78, 94 Α. β GO B T § 10 I 1. Satz; GO B W § 17 I ; GO H b g § 9 I ; GO S H § 21 I ; GO Nds §31. 7 BT, 1, Sten. Ber., 179. Sitzung, S. 74 12 D ; zu diesem Problem Bergsträsser, L., Entwicklung, S. 24 f.; Kremer, S. 42; Ritzel-Koch, § 10 A n m . 6 d. 8 Die Welt Nr. 238 v. 13.10. 65, S. 2. • GO Bay § 7 I ; GO Nds § 3 I I ; GO S L A r t . 7 I ; GO S H § 21 I I I ; GO Bre §71. 10 GO Bay § 7 I I .

Α. Anfang und Ende der Fraktion, Diskontinuität

41

Die Geschäftsordnung des Landtages Hessen spricht i m § 35 von „ . . . i m Landtag zugelassenen F r a k t i o n e n . . . " , über ein Zulassungsverfahren w i r d nichts gesagt. Die „Zulassung" kann daher nur in der unwidersprochenen Hinnahme der Anzeige der Bildung der Fraktion an den Präsidenten liegen. Es kann i n dieser Formulierung aber auch ein Anzeichen dafür zu finden sein, daß sich die Parlamente, gestützt auf ihre verfassungsrechtlich gewährleistete Geschäftsordnungsautonomie, bestimmte eng begrenzte Aufsichtsmöglichkeiten bei der Fraktionsbildung zubilligen. I n diese Richtung weisen auch die Bestimmungen, die die Festsetzung der Mindestmitgliederzahl der Fraktion einem Beschluß des Parlaments vorbehalten 11 , die für die Bildung von Fraktionen aus M i t gliedern „nicht ein und derselben Partei" die Zustimmung des Parlaments fordern 1 2 und die schließlich eine zu MißVerständnissen Anlaß gebende Bezeichnungswahl verhindern sollen 13 . Zwei Gesichtspunkte können für diese Aufsichtsmöglichkeiten des Parlaments als maßgeblich bezeichnet werden: 1. Gewährleistung von Klarheit und Durchsichtigkeit der parlamentarischen Verhältnisse; 2. Fraktionen sollen handlungsfähige Organisationen sein mit Gewicht für die parlamentarische Arbeit. Hier spielt besonders auch der Gedanke eine Rolle, daß man die parlamentarischen Möglichkeiten radikaler Splittergruppen einschränken möchte 14 . Eine allgemeine Aufsicht des Parlaments über die Fraktionen w i r d von diesen jedoch strikt abgelehnt 15 , und die hier aufgezeigten Möglichkeiten sind auch entsprechend gering. Die Bildung der Fraktion ist also allein den Abgeordneten überlassen. Die Geschäftsordnungen der Parlamente befassen sich erst m i t dem, was durch die Einigungsbemühungen der Abgeordneten hervorgebracht wird. Der Tatbestand der Bildung muß nämlich nach allen Geschäftsordnungen dem Präsidium bzw. dem Präsidenten des Parlaments angezeigt werden. I n dieser Anzeige müssen auch die Bezeichnung der Fraktion, die Namen des Vorsitzenden, der Mitglieder und Gäste angegeben werden 1 6 . Die tatsächliche Bildung der Fraktionen vollzieht sich somit i n der Weise 17 , daß sich i n der Regel die Abgeordneten einer Partei nach der 11

GO B T § 101; GO Hbg § 91; GO S H § 211; GO S L A r t . 7 I. GO B T § 101. 13 GO Bre § 7 I I , I I I ; GO Nds § 3 I I I . 14 Ritzel-Koch, § 10 A n m . 5 d ; BS Hbg/SPD Eckström. 15 L T BW/FDP, Kisegger. 16 GO B T § 10 I I ; GO B W § 17 I I I ; GO Bay § 7 I ; GO B i n § 7 I I I ; GO Bre § 7 I I I ; GO H b g § 9 I I ; GO Hes § 8 I ; GO Nds § 3 I I I ; GO N W § 16 I I ; GO RP § 7 I I ; GO S L A r t . 7 I I I ; GO S H § 2 1 I I . 17 Z u m folgenden siehe Bericht S. 68 f.; Werberger, S. 35 ff. 12

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Wahl zu einer konstituierenden Sitzung versammeln 18 . Bisweilen erscheinen i n dieser konstituierenden Sitzung auch Mitglieder der leitenden Organe der betreffenden Partei, die nicht Abgeordnete sind. Zu dieser Sitzung läd ein entweder das oberste Organ der betreffenden Partei 1 9 oder, wenn schon i n der vorhergehenden Legislaturperiode eine gleiche Fraktion bestand, deren Vorsitzender 20 , sein Stellvertreter oder das älteste Fraktionsmitglied. I n dieser Versammlung bringen die Abgeordneten auf irgendeine Weise, sei es durch bloßes Erscheinen, sei es durch besondere Willenserklärung, durch Akklamation, zum Ausdruck, daß sie eine Fraktion bilden wollen. Damit ist i n der Regel auch die Bezeichnung für die Fraktion festgestellt. Diese darf nach Bestimmungen der Geschäftsordnung der Bremer Bürgerschaft und der Geschäftsordnung des Landtages von Niedersachsen 21 nicht zu Verwechslungen Anlaß geben. Nach der Geschäftsordnung der Bremer Bürgerschaft soll die Bezeichnung außerdem den Namen der entsprechenden Partei wiedergeben, falls diese auch sonst i m Bundestag oder anderen Landtagen vertreten ist. Anderenfalls soll die Bezeichnung wenigstens die politischen Ziele der Fraktion oder die berufliche oder soziale Struktur ihrer Anhänger erkennen lassen. I n der konstituierenden Sitzung w i r d der Vorsitzende bzw. der gesamte Vorstand gewählt. Möglich ist auch, daß die früheren Mitglieder des Vorstandes ihr A m t vorläufig weiterführen, sofern sie wieder ein Abgeordnetenmandat erhalten haben 22 . Zumindest i n diesem Moment aber, i n dem eine ausreichende Anzahl von Abgeordneten sich als Fraktion versammelt, ihren Namen festgestellt und einen Vorsitzenden bestimmt hat, muß die Bildung der Fraktion als vollzogen gelten 23 . Über das Ende der Fraktionen läßt sich nach dem geschriebenen Recht noch weniger sagen. Zu vermuten wäre, daß m i t Ende der Wahlperiode sich die Fraktionen ebenso wie das Parlament auflösen. Für die Parla18 So w a r die konstituierende Sitzung nach den B T - W a h l e n v o m 19. 9. 65 der B T / C D U - C S U a m 18.10. 65, Die Welt Nr. 243 v. 19.10. 65, S. 2; die der B T / SPD am 19.10. 65, Die Welt Nr. 244 v. 20.10. 65, S. 2 (gemeinsame Sitzung der alten u n d neuen Fraktion); dazu auch Lambach (W), S. 15. 19 Hbg BS/SPD, Eckström. 20 BT/CDU-CSU, Rösing; Lambach (W), S. 15. 11 GO Bre § 7 I I ; GO Nds § 3 I I I . 21 BT/CDU-CSU, Rösing; L T BW/SPD § 12 I ; BT/SPD § 12; so w u r d e der endgültige Vorstand der B T / C D U - C S U nach der W a h l v o m 19. 9. 65 erst am 7./8.12. 65 gewählt: Die Welt Nr. 285 v. 8.12. 65, S. 2. 28 Obermann, S. 81,101; Rinck, S. 20; so auch B T CDU-CSU, Butterhof; Werberger, S. 36 ff. fordert noch zusätzliche Meldung an den Präs. Dies k a n n aber nach dem Wortlaut der Bestimmungen nicht richtig sein: die B i l d i m g . . . ist dem Präs. anzuzeigen; siehe a u d i : Stier-Somlo (W), Parlament, S. 370.

Α. Anfang und Ende der Fraktion, Diskontinuität

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mente gilt der Grundsatz der Diskontinuität. Gilt dieser auch für die Fraktionen 2 4 ? Nach den tatsächlichen Vorgängen 25 läßt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten, wenngleich die Fraktionen zwar öffentlich betonen, daß sie diesem Grundsatz unterlägen 26 . Sie konstituieren sich nach jeder Wahlperiode neu und wählen neue Organe, bzw. bestätigen die alten Organe ausdrücklich. Arbeitsverträge für Fraktionsangestellte, Zeitschriftenlieferungsverträge gelten teilweise nur für eine Wahlperiode oder werden zu deren Ende gekündigt. Die Kontrolle des Finanzgebarens mancher Fraktionen erfolgt für die gesamte Legislaturperiode. Die Geschäftsordnung einer Fraktion erklärt ihre Gültigkeit nur für eine Wahlperiode und verlangt für die Zukunft erneute Beratung und Beschlußfassung. Aber diese Indizien sprechen nicht eindeutig für die Diskontinuität. I n der Regel sind die Fraktionsgeschäftsordnungen nicht so formuliert, als wollten sie nur für eine Legislaturperiode gelten 27 . Vor allem sind die arbeits- und vermögensrechtlichen Beziehungen i n der Regel so geordnet, als bestände die Fraktion auf unbestimmte Zeit. A k t i v a und Passiva werden „stillschweigend" übernommen. Es findet eine „Gesamtrechtsnachfolge", ein Übergang des Vermögens uno actu statt, der nach außen meist i n keiner Weise erkennbar ist. Die oftmals i n der Geschäftsordnung der Fraktion angedeutete kommissarische Weiterführung der Geschäfte durch den Vorstand der alten Fraktion 2 8 , die stillschweigende Übernahme der alten Satzung 29 , läßt es zumindest zweifelhaft erscheinen, daß i n der Praxis die Zäsur zwischen alter und neuer Fraktion vollzogen wird. Gegen die strikte Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität spricht auch die Regelung des § 6 I I des Niedersächsischen Diäten-Gesetzes, nach der Sitzungsgelder für Fraktionssitzungen auch zwischen der Auflösung des alten Landtages und der Konstituierung des neuen gezahlt werden können. Diese Unsicherheit und Inkonsequenz ist unmittelbar i n Beziehung zu setzen mit der Unsicherheit über die Rechtsnatur der Fraktion. Ob die Fraktion nämlich dem Grundsatz der Diskontinuität unterliegt und gegebenenfalls i n welchem Umfang, hängt entscheidend von ihrer Rechtsnatur ab. Darum w i r d sich diese Frage erst eindeutig beantworten lassen, wenn die Rechtsnatur der Fraktion geklärt worden ist. 24

Bejahend: Rinck, S. 23; Werberger, S. 121 ff. Z u m folgenden Bericht, S. 68 ff. 2β BT/CDU-CSU, Butterhof, Rösing; L T BW/SPD, Ungerer. 27 L T BW/SPD § 12 I I . 28 BT/SPD § 12, siehe auch Beschluß der BT/SPD auf ihrer konstituierenden Sitzung am 28. 9. 61, S. 2; L T BW/SPD § 12 I ; so auch Obermann, S. 103. 2e BT/CDU-CSU, Butterhof; B T / F D P , Schaible; L T BW/SPD § 12 I I . 25

2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

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Ein weiterer Grund für den Untergang der Fraktion neben dem der Auflösung des Parlamentes könnte das Herabsinken der Mitgliederzahl unter das von der Geschäftsordnung festgesetzte M i n i m u m sein. M i t Ausnahme der Geschäftsordnung des Bundestages und der Parlamente von Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, sagen die übrigen Geschäftsordnungen 80 : Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens χ M i t g l i e d e r n . . . Daraus läßt sich schließen, daß Vereinigungen von nicht so vielen Abgeordneten keine Fraktionen sind, sondern allenfalls Gruppen, ein Begriff, der ja gerade für diesen Fall geprägt wurde. I m Bundestag, den Parlamenten von Hamburg und Schleswig-Holstein 31 heißt es dagegen, daß „zur Bildung" einer Fraktion mindestens χ Mitglieder notwendig seien. Das aber hört sich nur oberflächlich anders an; i m Grunde meinen diese Bestimmungen dasselbe. Vereinigungen, die nicht diese Mindestzahl von Mitgliedern aufweisen, sind keine Fraktionen 3 2 , und Fraktionen, die unter diese Zahl herabsinken, verlieren ihre Fraktionseigenschaft und sind nunmehr nur noch als Gruppen zu qualifizieren. Andere Möglichkeiten eines Untergangs der Fraktionen könnten sein: 1. Das Verbot der entsprechenden Partei durch das Bundesverfassungsgericht; 2. die Auflösung als actus contrarius zur Bildung der Fraktion; 3. die Spaltung einer Fraktion. Da sich diese Möglichkeiten anhand von praktischen Vorfällen jedoch nicht nachweisen lassen, sollen sie an dieser Stelle der Arbeit nicht weiter untersucht werden. Hierauf w i r d der Verfasser jedoch nach K l ä rung der Rechtsnatur der Fraktionen zurückkommen. Dann nämlich w i r d zu prüfen sein, ob sich diese Möglichkeiten überhaupt mit der Rechtsnatur der Fraktion vereinbaren lassen, und wenn ja, i n welcher Weise. B. Geschäftsordnung, Satzung, Statut, Arbeitsordnung

Da die Geschäftsordnungen der Parlamente keine besonderen Vorschriften für die interna der Fraktionen enthalten, regeln diese ihre 30

GO B W § 17 I ; GO Bay § 7 I Satz 1; GO B i n § 7 I Satz 2 (Die Mindeststärke einer F r a k t i o n beträgt 10 Abgeordnete); GO Bre § 7 I Satz 1; GO Hes § 8 1 Satz 1; GO N W § 16 I Satz 1; GO RP § 7 I Satz 2 (Eine F r a k t i o n besteht aus mindestens 8 Mitgliedern); GO S L A r t . 7 I Satz 2 (Eine F r a k t i o n muß mindestens ein Zehntel der ges. Z a h l der Abgeordneten umfassen). 31 GO B T § 10 I Satz 2; GO H b g § 9 I Satz 2; GO Nds § 3 I : Fraktionen sind Vereinigungen, zu denen sich Abgeordnete zusammenschließen können, die der gleichen Partei angehören, falls diese Partei mindestens den nach dem L W a h l G erforderlichen A n t e i l an der Gesamtstimmenzahl erreicht hat. 32 So insbesondere auch f ü r Nds S t G H siehe L T Nds, 4., DS Nr. 1069, S. 5635.

Β. Geschäftsordnung, Satzung, Statut, Arbeitsordnung

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eigenen Angelegenheiten selbst. Ein Drittel aller Fraktionen besitzt eine geschriebene Geschäftsordnung 33 , die von der Geschäftsordnung des Bayrischen Landtages ausdrücklich gefordert wird, wobei an dieser Stelle noch gesagt wird, daß die Fraktionsgeschäftsordnung weder der Geschäftsordnung des Landtages noch der Verfassung widersprechen dürfe 3 4 . Ist keine geschriebene Geschäftsordnung vorhanden oder gibt dieselbe auf eine bestimmte Frage keine Antwort, so soll die Geschäftsordnung des betreffenden Parlamentes oder auch die Geschäftsordnung der Parteiorganisation „entsprechend" angewendet werden 3 5 . I m übrigen möchte man sich i n diesen Fällen freie Hand i n der Führung der Fraktion lassen; man scheut sich vor einer zu starren Festlegung und w i l l die einzelnen Streitfragen von Fall zu Fall gesondert regeln. I n den meisten Fällen haben sich auch bestimmte ungeschriebene Regeln herausgebildet. I m merhin haben sich aber einige Fraktionen, die noch keine Geschäftsordnung haben, an die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft m i t der Bitte gewandt, eine Mustergeschäftsordnung für Fraktionen auszuarbeiten. I n den Fällen, i n denen eine geschriebene Geschäftsordnung vorhanden ist, ist diese meistens so formuliert, daß sie nicht nur für die Fraktion einer bestimmten Legislaturperiode gilt. Nach jeder Wahl übernimmt daher die Fraktion die alte Geschäftsordnung durch besonderen Beschluß 36 oder auch stillschweigend 37 , wobei Änderungen einem Beschluß der Vollversammlung m i t einfacher oder qualifizierter Mehrheit der Fraktionsmitglieder vorbehalten bleiben. Die Auslegung i m Einzelfall w i r d durch den Vorsitzenden oder die gesamte Fraktion getroffen. Über den Geltungsgrund der Geschäftsordnungen ist nur wenig zu erfahren. Meist w i r d die Verbindlichkeit der Geschäftsordnung als selbstverständlich hingenommen, i n einigen Fällen ist sie abhängig von der Zustimmung der Mehrheit, von einem einstimmigen Beschluß der Fraktion oder davon, daß sie jedem Fraktionsmitglied gegen schriftliche Bestätigung ausgehändigt wird. Zusammenfassend ergibt die Befragungsaktion der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, daß alle Fraktionen — sowohl die mit geschriebener Geschäftsordnung wie die ohne eine solche — eine ähnliche 33

Z u m folgenden siehe Bericht S. 2 f. GO Bay § 7 I I I . 35 B T / F D P § 13; H b g BS/SPD, Eckström; H b g BS/CDU, Drews; Hbg BS/FDP, Philipp. 36 BT/SPD, Goller; BT/CDU-CSU, Rösing. 37 BT/FDP, Schaible; L T BW/SPD § 12 I I . 34

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Struktur hinsichtlich ihrer Organisation und ihrer Arbeitsweise aufweisen 38 . Vielfach ergeben sich die Unterschiede allein aus der Größe der einzelnen Fraktionen: Die CDU-CSU-Fraktion i m Bundestag als die größte Fraktion hatte am 1. 6. 64 251 Mitglieder, die FDP-Fraktion i m Landtag von Schleswig-Holstein und die Fraktion der GDP-BHE i m Landtag von Hessen als die kleinsten hatten 5 Mitglieder (Mai 1964), wenn man einmal von der Sonderregelung für die Vertretung des SSW i m Landtag von Schleswig-Holstein absieht. I m folgenden w i r d auf die Herausarbeitung von Unterschiedlichkeiten bewußt verzichtet, da dies über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge. C. Organisation der Fraktion 3 9 Wichtigste Organe jeder Fraktion sind Vorstand und Mitgliederversammlung 40 . Die großen Fraktionen haben außerdem Arbeitskreise für bestimmte Sachgebiete, die den Ausschüssen des Parlaments entsprechen und entweder i n der Fraktionsgeschäftsordnung institutionell verankert sind oder von Fall zu Fall gebildet werden. Ferner gibt es bei großen Fraktionen für interne Auseinandersetzungen und Streitigkeiten Ehrenräte, Vermittlungsausschüsse und Ältestenräte. I . Die Fraktions(voll)versammlung 41

Das beschlußfassende Organ der Fraktion ist die Vollversammlung aller Fraktionsmitglieder. So eindeutig jedoch dieser Terminus „Vollversammlung der Fraktionsmitglieder" klingt, so unterschiedlich und ungewiß ist, was sich dahinter verbirgt. Zunächst einmal gibt es die konstituierende Vollversammlung, über die schon oben das Wichtigste gesagt wurde und die auch als Begriff nicht weiter problematisch ist. Auch der Unterschied zwischen ordentlicher und außerordentlicher Fraktionsversammlung ist verständlich: ordentlich nennt man die turnusmäßig stattfindenden, ordnungsgemäß unter Wahrung der vorgeschriebenen Fristen einberufenen Versammlungen der Fraktion, während man als außerordentliche solche bezeichnen kann, die i n besonderen Fällen für besondere Fragen, überraschend, d. h. entgegen dem gewohnten Gang einberufen werden. 88

Heinen (W), S. 117. ® Domes, S. 15 ff.; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 533 ff.; Heinen (W), S. 116 ff.; Kaak, S. 102 ff.; Werberger, S. 35 ff. 40 Bericht S. 10. 41 Z u m folgenden Bericht S. 10—15; Domes, S. 40. 8

C. Organisation der Fraktion

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1. Mitgliedschaft Unbestimmt w i r d der Begriff „Vollversammlung der Fraktionsmitglieder" dadurch, daß sich für alle Fraktionen nicht eindeutig sagen läßt, was ein Fraktionsmitglied ist und welche Befugnisse i h m i n der Vollversammlung zustehen. Deshalb soll hier kurz dargestellt werden, wer alles nach den geschriebenen Geschäftsordnungen der Fraktionen bzw. nach ihren ungeschriebenen „Gesetzen" zu den Mitgliedern einer Fraktion zählen kann. Man kann grob drei Gruppen unterscheiden: 1. Abgeordnete, die gleichzeitig auch Mitglied der betreffenden Partei 4 2 sind, und zwar a) solche, die nur ihr parlamentarisches Mandat bekleiden; diese sind i n jedem Fall Vollmitglieder der Fraktion, genießen alle Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder und b) diejenigen Abgeordneten, die neben ihrem Abgeordneten-Mandat ein Regierungsamt übernommen haben, sei es nun das A m t des Regierungschefs oder das eines Ministers. Sie haben teilweise gesteigerte Mitgliedschaftsrechte: sie sind von bestimmten Pflichten entbunden (Erscheinungspflicht, Pflicht zur Wahrung der Fraktionsdisziplin) und nehmen bevorzugte Stellungen kraft ihres A m tes ein (automatische Mitgliedschaft als Regierungsmitglied i m Fraktionsvorstand); zum Teil sind ihre Rechte innerhalb der Fraktion aber auch schwächer als die der und 1. a) genannten, indem ihre M i t w i r k u n g bei der Fraktionsarbeit auf die bloße Beratung beschränkt ist 4 8 . 2. Abgeordnete, die nicht Mitglieder der betreffenden Partei sind, sondern sich der Fraktion angeschlossen haben. Diese Abgeordneten werden i n der Regel als Hospitanten oder Gäste bezeichnet. Doch w i r d diese Klassifizierung meist nicht strikt durchgehalten. Das hat seinen Grund darin, daß das Assoziationsverhältnis verschieden stark sein kann: der Assoziierte kann durch Beschluß die Eigenschaften eines Vollmitgliedes (oben 1. a) erhalten, er kann sich befristet, bedingt der Fraktion anschließen oder auch nur für bestimmte Sachgebiete. Die Skala der Möglichkeiten ist denkbar weit und der Status des Hospitanten nicht eindeutig faßbar 44 . Die Regel ist jedoch das feste Assoziationsverhältnis zwischen dem Hospitanten und der Fraktion. 42 48 44

L T BW/SPD § 11. Bericht S. 45 f. Berichts.49.

2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

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Der Hospitant hat dann meist nach einer Probezeit die vollen M i t gliedschaftsrechte und -pflichten m i t Ausnahme derjenigen, die die Fragen der Partei und der Parteilinie betreffen 45 . I n diesen Fällen können naturgemäß nur die Parteimitglieder entscheiden. 3. Parteimitglieder ohne Abgeordnetenstatus, und zwar a) Regierungsmitglieder b) höchste Parteifunktionäre, auch Abgeordnete anderer Parlamente. Diese Gruppe besitzt i n einigen Fällen die volle 4 6 , i n den meisten nur eine partielle Mitgliedschaft i n der Fraktion. Häufig sind diese Personen Fraktionsmitglieder kraft Amtes. Sie besitzen ihre mitgliedschaftlichen Rechte entweder aufgrund einer Generalklausel — „alle Fraktionsmitglieder haben gleiche Rechte und Pflichten" — oder aufgrund von Spezialbestimmungen, beschränkt auf bestimmte Geschäfte: Teilnahme nur als Berater, Abstimmung i n besonderen Fällen. Daneben gibt es noch eine Anzahl von Personen, die zwar nicht Fraktionsmitglieder sind, dennoch aber teils verpflichtet, teils berechtigt sind, an den Vollversammlungen der Fraktionen teilzunehmen 47 : die unter 3. genannten Personen, falls sie nicht ausdrücklich die Fraktionsmitgliedschaft besitzen, ferner der oder die Leiter des Fraktionssekretariates, die Pressereferenten, Sachverständige, wissenschaftliche Mitarbeiter. Diese haben oftmals eine beratende Stimme, was für die Meinungsbildung und das Abstimmungsergebnis von erheblicher Bedeutung sein kann 4 8 . Zur „Vollversammlung der Fraktionsmitglieder" können nun alle diese Personen gehören, es kann damit aber auch eine Versammlung nur einzelner dieser Gruppen gemeint sein. Das richtet sich i n erster Linie nach der geschriebenen oder ungeschriebenen Geschäftsordnung. Es richtet sich ferner oftmals nach dem zu verhandelnden Problem, und es ist auch abhängig von der Beschaffenheit der Fraktion selbst und der Geschäftsordnung des betreffenden Parlaments. Da beispielsweise die Geschäftsordnungen der Landtage von Bayern und Rheinland-Pfalz den Begriff des Gastes bzw. Hospitanten nicht kennen, fehlt diese Gruppe möglicherweise auch i n der Fraktionsversammlung; i n Parlamenten, i n denen es nicht auf die übereinstimmende Parteizugehörigkeit zur Bildung einer Fraktion ankommt, lassen sich die Unterschiede zwischen den Mitglieder45

B T / F D P § 8. Bericht S. 8 ff., S. 30 f. 47 Dazu auch B T / F D P § 10; L T BW/SPD § 35; Kaufmann (W), Regierungsbildung, S. 215, berichtet davon, daß zu wichtigen Beratungen der Reichstagsfraktionen die Führer der entsprechenden Fraktionen des P r L T hinzugezogen wurden. 48 Duverger, S. 207; v. d. Heydte, Soziologie, S. 81. 46

C. Organisation der Fraktion

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gruppen 1. und 2. möglicherweise nicht feststellen. Ob sich die Fraktion gar nur aus parteilosen Abgeordneten gebildet hat, ob sie groß oder klein ist, ob sie oder ihre Partei an der Regierung beteiligt ist, — all das sind Kriterien, die ausschlaggebend sind für das, was jeweils unter dem Begriff „Vollversammlung der Fraktion" verstanden wird. Bisweilen w i r d ein Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern gemacht. Zu den ordentlichen zählen dann i n jedem Fall die unter 1 a) genannten, meistens aber auch die der 2. Kategorie. 2. Arbeitsweise U m eine straffe und erfolgreiche Arbeit i n den Fraktionssitzungen zu gewährleisten, haben sich i n allen Fraktionen recht konkrete geschriebene wie ungeschriebene Regeln einer Verfahrensordnung herausgebildet, die eine erstaunliche Übereinstimmung mit den Verfahrensordnungen der Parlamente erkennen lassen. Die Fraktionsvollversammlung w i r d einberufen durch den Vorstand 4 9 , d. h. durch den Vorsitzenden oder ein beauftragtes Vorstandsmitglied. Oftmals hat auch ein zahlenmäßig oder bruchteilmäßig bestimmtes M i t gliederquorum ein Einberufungsrecht, i n seltenen Fällen sogar der Parteivorstand. Vielfach ist eine besondere Form, sind Ladungsfristen üblich. Die Fraktion tagt regelmäßig vor jeder Plenarsitzung des Parlaments. I n einem größeren Zeitabstand, periodisch werden andere Sitzungen einberufen: zur Wahl von Funktionsträgern und zur Besprechung der allgemeinen politischen Situation. Daneben werden unregelmäßig Sitzungen aus besonderen Anlässen einberufen. Geleitet werden die Sitzungen durch den Fraktionsvorsitzenden 50 , der auch über eine begrenzte Ordnungsgewalt verfügt (Ordnungsruf, Ausschluß von der Sitzung, Streichung von der Anwesenheitsliste, was u. U. den Verlust eines Tagegeldes bedeuten kann). Es w i r d vielfach eine Rednerliste geführt und die Redezeit beschränkt. Protokollführer verzeichnen Beschlüsse und Abstimmungsergebnisse. Zumindest die sog. „ordentlichen" Fraktionsmitglieder sind zur Teilnahme verpflichtet 51 und haben ihre Abwesenheit zu entschuldigen. Der Vorstand, der Vorsitzende 49 50 61

BT/SPD § 16. H b g BS/SPD, Eckström. L T BW/SPD § 11.

4 Hauenschild

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oder auch die Fraktion beschließt eine Tagesordnung. A u f Pünktlichkeit des Sitzungsbeginns w i r d besonders geachtet. Nach Eintritt i n die Tagesordnung w i r d entsprechend dem jeweiligen Tagesordnungspunkt von bestimmten Mitgliedern Referat und Korreferat gehalten. Daran schließt sich die Aussprache der Mitglieder an. Wenn die Sache dazu reif ist, w i r d durch Beschluß oder i n sonstiger Weise die Meinung der Fraktion festgestellt. Das kann eine Entscheidung i n der Sache selbst sein, es kann aber auch eine Verweisung an einen Arbeitskreis, den Vorstand oder einen sonstigen Beauftragten sein zur weiteren Prüfung und Untersuchung. Die Beschlußfähigkeit der Versammlung unterliegt sehr verschiedenen Regeln: manche Versammlungen sind unbeschadet ihrer Besetzung beschlußf ähig, bei anderen muß die Mehrheit der „ordentlichen" Mitglieder anwesend sein 52 . Regelmäßig müssen Zweifel an der Beschlußfähigkeit vor der Abstimmung geäußert werden. Die Beschlüsse müssen von Fall zu Fall und von Fraktion zu Fraktion verschieden m i t einfacher oder auch qualifizierter Mehrheit der anwesenden — „ordentlichen" — M i t glieder gefaßt werden. I n der Regel genügt die einfache Mehrheit 5 3 und die qualifizierte w i r d nur für besondere Fälle gefordert, wie ζ. B. Änderung der Satzung, Aufnahme von Hospitanten, Ausschluß von Mitgliedern, Abberufung des Vorstandes oder eine sonstige Neubesetzung von Fraktionsämtern 5 4 . Stimmengleichheit gilt als Ablehnung oder die Stimme des Vorsitzenden gibt den Ausschlag. Die Beschlüsse binden auch die Abwesenden, Ausnahmen hiervon sind zulässig. Über den Grad der Bindungswirkung soll an anderer Stelle unter dem Stichwort „Fraktionszwang" näheres gesagt werden.

3.

Zuständigkeit

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Die Vollversammlung besitzt als oberstes beschlußfassendes Organ der Fraktion eine umfassende Zuständigkeit. Diese Zuständigkeit läßt sich dreifach unterteilen: Ohne Zweifel am wichtigsten ist die Zuständigkeit zur Bestimmung der Grundlinien der Politik der Fraktion 5 6 , sodann ist die Vollversammlung als letzte Instanz zuständig für die Regelung der inneren Verhältnisse der Fraktion und schließlich besitzt sie umfassende Befugnisse zur Kontrolle der Arbeit der Fraktion und ihrer einzelnen Mitglieder. 62 63 54 55 56

BT/SPD § 1 ; B T / F D P § 7; L T BW/SPD § 1 I V . B T / F D P § 7; L T BW/SPD § 11. Bericht S. 32 ff.; B T / F D P §§ 3,7; L T BW/SPD § 11. Röder (W), S. 91 ff. Kremer, S. 53.

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ad 1 : Bestimmung der Grundlinien der Politik der Fraktion Bestimmung der Grundlinien der Politik heißt Festlegung des gegenwärtigen und zukünftigen Gesamtverhaltens. Dazu ist eine Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Lage notwendig. Notwendig ist ferner eine sachliche Aufklärung, sind Ideen, Vorschläge und Pläne und notwendig ist auch die Prüfung all dessen an den Wertmaßstäben, die die Fraktion dem politischen Handeln übergeordnet hat. A l l dies w i r d i n den Fraktionsversammlungen praktiziert. Die M i t glieder werden unterrichtet, beraten; sie können Anregungen geben und von anderen aufnehmen. Hier findet der entscheidende Gedankenaustausch und die Meinungsbildung des einzelnen statt. Aber hier werden auch die verschiedenen Meinungen konzentriert, zusammengefaßt, vereinheitlicht und gesiebt. Extreme werden, wenn möglich und ratsam, abgemildert oder gar „ausgeschaltet". Schließlich w i r d durch Kompromisse und Abstimmungen eine Meinung als die der Mehrheit festgelegt und durch besonderen Beschluß für verbindlich erklärt 5 7 . Verbindlich heißt i n diesem Zusammenhang, daß sich das Mitglied diesem Beschluß zu fügen hat, es hat der „Fraktionsraison" Genüge zu tun. Die Fraktionen verlangen von ihren Mitgliedern diese Gefolgschaft. Wenn die Fraktion die Politik bestimmt, so heißt das, daß ihre M i t glieder sich danach zu richten haben. Sie dürfen keine andere Politik betreiben als die der Fraktion. Das bedeutet praktisch, daß das Recht zur Initiative i m Parlament, zur Stellung von Anträgen und Anfragen, sich vom einzelnen Abgeordneten auf die Fraktion verlagert hat. Die Fraktionen verlangen regelmäßig 5 8 , daß ein Mitglied, das selbständig i m Parlament tätig werden möchte, das placet der Fraktion einholt, bevor es tätig wird. I n Sonderfällen genügt das Einverständnis des Fraktionsvorsitzenden. Zumindest ohne sein placet w i r d ein Mitglied i m Parlament nur sehr selten überhaupt aktiv werden können. Möglich wäre das i n den Fällen, i n denen die Fraktion überhaupt noch keine verbindliche Festlegung ihrer Politik vollzogen hat, i n besonders aktuellen, drängenden Fällen. Der vom A b geordneten Benda und Genossen eingebrachte Entwurf eines achten Strafrechtsänderungsgesetzes 59 (Verjährung nationalsozialistischer Straftaten) soll ein solcher Fall gewesen sein. Es bleibt zu bemerken, daß der oben skizzierte Vorgang der Bestimmung der Politik durch die Fraktionsversammlung nach den Aussagen 67 Kremer, S. 38 f.: I n einigen Fraktionen w i r d diese „Fraktionsfrage" n u r i n wichtigen Angelegenheiten gestellt, w e n n es auf die Geschlossenheit der A b stimmung besonders a n k o m m t ; Michels, S. 192. 58 L T BW/SPD § 1 I I ; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 501 f. 59 BT, 4., DS Nr. 2965 (neu).



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der Fraktionen der Regelfall ist. Nicht gesagt zu werden braucht, daß das nicht immer so sein muß, daß es Fraktionen gibt, bei denen sich keine dauerhaften Kompromisse bilden lassen. Hier sind dann oftmals keine Grundlinien der Politik sichtbar. Oder es werden von verschiedenen Mitgliedern verschiedene „Grundlinien" vertreten. Schließlich gibt es auch Fraktionen, i n denen einige wenige Personen oder auch nur ein einzelner Mann die Grundlinien der Politik bestimmen. I n den meisten Fällen ist es aber wohl so wie oben dargestellt. ad 2: Regelung der inneren Verhältnisse der Fraktion Die Fraktionsversammlung ist kompetent für die grundsätzliche Auslegung und die Änderung der Geschäftsordnung 60 , sofern eine solche vorhanden ist. Sie bestimmt ferner die Mitglieder, die die einzelnen Ämter der Fraktion (Vorstand, Vorsitzender, Geschäftsführer, Rechnungsprüfer u. a.) wahrnehmen sollen. Sie bestimmt aber auch die Mitglieder, die von der Fraktion i n die einzelnen Gremien des Parlaments geschickt werden (Vorstand, Ältestenrat, Ausschüsse usw.) 61 . Auch entscheidet sie i n den meisten Fällen, wer die Meinung der Fraktion vor dem Parlament vertritt 6 2 . Schließlich kann sie dem Vorstand, einem Arbeitskreis oder einzelnen Mitgliedern besondere Aufträge erteilen, ζ. B. den Auftrag zur Untersuchung bestimmter rechtlicher Probleme, bestimmter Sachfragen. Die Fraktionsversammlung ist ferner kompetent für die Aufnahme 6 3 und den Ausschluß von Mitgliedern. Sie hat das letzte Wort i n Fragen der Fraktionsdisziplin: so kann sie ζ. B. bestimmte Abstimmungen i m Plenum „freigeben", d. h. dem einzelnen Fraktionsmitglied vor der Abstimmung ausdrücklich freistellen, wie es stimmt, auf jede Form der Fraktionsdisziplin verzichten, was allerdings regelmäßig nur i n Fragen ohne besondere politische Bedeutung geschieht 64 . Auch können Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern einer Fraktion vor die Vollversammlung gebracht werden, u m eine Einigung oder eine grundsätzliche Klarstellung herbeizuführen. Schließlich ist die Fraktionsversammlung auch die Instanz, die die Beiträge der Mitglieder an die Fraktionskasse festsetzt. ad 3: Die Fraktionsversammlung als Kontrollinstanz Die Vollversammlung der Mitglieder ist die oberste Kontrollinstanz für die gesamte Arbeit der Fraktion. Aus diesem Grunde müssen der 60

BT/SPD §§ 38, 39; L T BW/SPD § 11. BT/SPD § 4; L T BW/SPD § 1 I I I . 62 BT/SPD § 2; L T BW/SPD § 1 I I I . 63 B T / F D P § 1. 64 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 535; Kirchheimer, S. 312 f.; Kremer, S. 40 f.: auch i n wichtigen Angelegenheiten; Thamm (W), S. 22: bei Interpellationen. 61

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Vorstand und der oder die Rechnungsprüfer regelmäßig Rechenschaftsberichte über die Arbeit und die finanzielle Lage der Fraktion ablegen. Oftmals läßt sich die Versammlung auch Berichte der einzelnen Arbeitskreise und der Mitglieder vorlegen, die i n den Ausschüssen und sonstigen Gremien des Parlamentes für die Fraktion tätig sind. Es ist zu vermuten, daß die Vollversammlung aus diesen Berichten die entsprechenden Konsequenzen zieht, indem sie ζ. B. Mitglieder, die ihren Aufgaben nicht gerecht werden, abberuft oder sie nicht wieder neu zur Wahl stellt. I I . Der Fraktionsvorstand 65 1.

Mitgliedschaft

Die Vorstandsmitglieder lassen sich unterteilen i n ordentliche und außerordentliche Mitglieder. Außerdem gibt es noch eine weitere A n zahl von Personen, die von Fall zu Fall berechtigt sind, an den Vorstandssitzungen teilzunehmen. Ordentliche Mitglieder sind der „Vorsitzende des Vorstandes" oder auch „Fraktionsvorsitzende" bzw. „Erste Vorsitzende", ferner ein oder mehrere, bisweilen als „gleichberechtigt" bezeichnete Stellvertreter und schließlich mehrere Beisitzer 66 . Der Vorsitzende und seine Stellvertreter werden i n einigen Fraktionen auch als „geschäftsführender Fraktionsvorstand" bezeichnet 67 . Wieviel Stellvertreter bzw. Beisitzer zum Vorstand gehören, läßt sich nicht einheitlich sagen, ist abhängig von der Größe der Fraktion und ändert sich auch häufig entsprechend der personellen Situation. Z u den außerordentlichen Vorstandsmitgliedern m i t vollem oder beschränktem Stimmrecht 6 8 können die von der Partei gestellten Regierungsmitglieder gehören, auch wenn sie nicht den Status des Abgeordneten besitzen; ferner Parlamentspräsidenten und deren Stellvertreter 6 9 , der Parteivorsitzende, die Obmänner bzw. Vorsitzenden der Fraktionsarbeitskreise, sofern sie nicht schon zu den ordentlichen Vorstandsmitgliedern gehören 70 , schließlich die parlamentarischen Geschäftsführer 71 , die Leiter des Sekretariats und der Pressereferent 72 . 65

Z u m folgenden Bericht S. 15—21; Domes, S. 43 ff.; Heinen (W), S. 118. BT/SPD § 10. Nach Dübber, A n den Stellwerken, S. 108, gehören bei der SPD/BT der Vorsitzende, 3 Stellvertreter u n d 3 Geschäftsführer zum geschäftsführenden Fraktionsvorstand. 68 Bericht S. 31. 89 B T / F D P § 5, L T BW/SPD § 2 I. 70 BT/SPD § 10; L T BW/SPD § 2 I. 71 BT/SPD § 10; B T / F D P § 5, H b g BS/SPD, Eckström; L T BW/SPD § 2 I. 72 BT/SPD § 35. 88

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Gehören diese Personenkreise nicht zum Vorstand, so sind sie wenigstens i n der Regel berechtigt, an den Vorstandssitzungen teilzunehmen 78 . Diese Möglichkeit haben auf Antrag auch andere Fraktionsmitglieder, sowie hervorragende Parteimitglieder, insbesondere wenn sie eigene Vorschläge und Anträge vor dem Vorstand vertreten wollen 7 4 . Bisweilen werden sie dazu auch ausdrücklich geladen. Ordentliche Vorstandsmitglieder werden gewählt, i m überwiegenden Teil der Fälle von den „ordentlichen" Fraktionsmitgliedern 7 5 . Die Modalitäten der Wahl sind sehr unterschiedlich. Die Wahlperiode kann sich über die Legislaturperiode des Parlaments erstrecken, kann aber auch kürzer sein, bis zu einem Jahr. Vorschlagsberechtigt sind der bisherige Vorstand, aber auch die übrigen Fraktionsmitglieder. Die Wahl erfolgt geheim oder auch durch Akklamation. Meistens w i r d der Vorsitzende allein gewählt und die übrigen Vorstandsmitglieder en bloc. Die Wiederwahl ist zulässig, ebenso eine Abberufung. Hier gibt es jedoch die verschiedensten Kautelen, u m Überraschungen zu vermeiden — einfaches, konstruktives Mißtrauensvotum, qualifizierte Mehrheiten. Als Grund für die Abberufung w i r d an einer Stelle „ungenügende Pflichterfüllung" genannt. Die außerordentlichen Vorstandsmitglieder werden zu solchen kraft ihrer Ämter oder durch Kooptation. 2. Arbeitsweise Über das Verfahren bei der Tätigkeit des Vorstandes w i r d wenig gesagt. Meist werden den ordentlichen Vorstandsmitgliedern bestimmte Ressorts vom Vorsitzenden oder durch Vereinbarung zwischen den Vorstandsmitgliedern zugeteilt, Kassenführung, Pressedienst, Schriftführung usw. 7 6 . Der Vorsitzende beruft ein, oftmals hat auch eine Minderheit der Vorstandsmitglieder dazu die Befugnis. Die Leitung der Sitzung liegt beim Vorsitzenden oder einem seiner Stellvertreter. M i t der Leitungsbefugnis ist i n manchen Fraktionen auch eine beschränkte Ordnungsgewalt verbunden. Es gibt i n der Regel eine vorher festgelegte Tagesordnung, ein Protokoll w i r d geführt. Wann der Vorstand beschlußfähig ist, ist nicht be78

B T / F D P § 5. BT/SPD § 5. 75 BT/SPD § 11; L T BW/SPD § 2 I I ; zur W a h l des Vorstandes der B T / C D U CSU siehe „Die W e l t " Nr. 286 v. 9.12. 65, S. 2. 78 Heinen (W), S. 118; Lambach (W), S. 17. 74

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sonders festgelegt. Die Regeln für die Beschlußfassung sind je nach Fraktion und Beratungsgegenstand verschieden. 3. Zuständigkeit Die Aufgaben des Vorstandes müssen i n engem Zusammenhang m i t den Funktionen der Fraktionsversammlung gesehen werden. Allgemein gesprochen hat der Vorstand die Aufgabe, die Geschäfte der Fraktion zu führen 7 7 . Er ist gleichsam die Exekutive der Fraktion. Wichtigstes Geschäft ist dabei die laufende Beobachtung und Kontrolle der politischen Entwicklung und die Einleitung der notwendigen Maßnahmen der Fraktion. Dementsprechend hat der Vorstand die Sitzung der Vollversammlung der Fraktion vorzubereiten 78 , also eine Tagesordnung aufzustellen, Vorbesprechungen zu führen und Referenten zu bestellen. Der Vorstand hat ferner der Vollversammlung Vorschläge und Vorlagen zu unterbreiten. Er muß über die Vorberatungen i n den verschiedensten Gremien, sowohl denen der Fraktion wie denen des Parlamentes, berichten und dabei das pro und contra darstellen 79 , u m der Fraktion die Grundlagen für eine sachgemäße und politisch richtige Entscheidung zu schaffen. Er hat die Beschlüsse der Versammlung auszuführen, ihre Aufträge zu beraten und zu erledigen, delegierte Rechte wahrzunehmen. Der Vorstand soll weiter der Fraktion einen Haushaltsplan unterbreiten und zu Ende des Rechnungsjahres Rechnung legen. Schließlich hat er Differenzen zwischen Mitgliedern zu bereinigen und auf Fraktionsdisziplin zu achten. Vom gesamten T u n des Vorstands w i r d i n einigen Fällen gefordert, daß es sich i n Übereinstimmung m i t den Richtlinien der Partei befinden soll 8 0 . Da i n den meisten Fällen zwischen Partei- und Fraktionsvorstand Personalunion besteht, w i r d diese Forderung keine allzu großen Probleme aufwerfen. I m übrigen ist das wohl auch entscheidend eine Frage der Persönlichkeiten. Für wichtige Entscheidungen w i r d ferner gefordert, daß der Vorstand einen Fraktionsbeschluß herbeiführt, bevor er oder eines seiner M i t glieder öffentlich die Fraktion bindende Erklärungen abgibt. Auch diese Forderung ist mehr theoretischer Natur; denn vielfach muß schnell reagiert werden, so daß eine vorherige Befragung unmöglich ist. Es ist eine Soll-Vorschrift, parlamentarische Geschäftsführer klagen über sie, ins77

BT/SPD § 14; B T / F D P § 6; L T BW/SPD § 2 I I I ; Heinen (W), S. 118. BT/SPD § 15; B T / F D P § 6; L T BW/SPD § 2 I I I , I V . 7 ® BT/SPD § 15. 80 BT/SPD § 14. 78

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

geheim aber erklären sie, daß zwar zunächst nach solchen vorher nicht abgesprochenen Äußerungen i n der Fraktion oft „der große Aufstand ausbricht", daß aber schon bald danach „alles nur halb so schlimm" ist. U m diese Aufgabe sachgemäß und politisch wirkungsvoll erfüllen zu können, hat der Vorstand einen Katalog von Berechtigungen und Befugnissen. A m wichtigsten ist ein umfassendes Informationsrecht. Alle Mitglieder und sonstigen Mitarbeiter der Fraktion müssen ihn ständig über alle Angelegenheiten informieren, die auch nur entfernt von Interesse sein könnten. Die Abgeordneten sind verpflichtet, bei jeder Verhinderung einer Sitzungsteilnahme dem Vorstand hiervon Anzeige zu machen. Sie müssen laufend über die Arbeit der Ausschüsse und der anderen Gremien informieren. Eigene Anfragen, Anträge und Gesetzesvorlagen müssen sie zunächst dem Vorstand zur Begutachtung vorlegen 81 . Die Obmänner der Fraktion i n den Parlamentsausschüssen müssen für ein einheitliches Auftreten der Fraktionsmitglieder i m Ausschuß Sorge tragen und haben bisweilen dem Vorstand über die dort geleistete Arbeit der eigenen Fraktionsgenossen Bericht zu erstatten 82 . Sie sind neben der Fraktion auch dem Vorstand als dem Exekutivorgan der Fraktion verantwortlich. Wichtig ist auch die dem Informationsrecht des Vorstandes entsprechende Informationspflicht der Regierungsmitglieder der Fraktion bzw. der entsprechenden Partei. Der Vorstand ist vor wichtigen Kabinettssitzungen zu unterrichten, sowie auch über die laufende Arbeit der Regierung und deren Vorhaben und Pläne. Schließlich sind auch die oftmals zahlreichen Mitarbeiter der Fraktion dem Vorstand zur Berichterstattung verpflichtet. Der Vorstand ist seinerseits berechtigt, von allen diesen Personen Berichte und Informationen anzufordern. Eng mit diesem Informationsrecht des Vorstandes verbunden sind seine Einwirkungsmöglichkeiten. Die vorgelegten Anträge, Anfragen und Vorlagen werden vom Vorstand begutachtet und gebilligt oder verworfen 8 3 . B i l l i g t er ein Vorhaben, so kann er dem Betreffenden freie Hand lassen oder auch selbst die ganze Angelegenheit vor die Fraktionsversammlung bringen, u m deren Zustimmung zu erwirken. B i l l i g t er es nicht, so bleibt dem abschlägig Beschiedenen nur die Möglichkeit, die Sache von sich aus vor der Versammlung der Fraktion zu vertreten. Riskiert er die Verstimmung seiner Fraktion, so kann er i n einem solchen Fall natürlich auch diese umgehen und „eigenmächtig" vor das Plenum des Parlaments treten. 81 82 83

Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 501 f.; BT/SPD § 5. BT/SPD § 22; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 549. B T / F D P § 12.

C. Organisation der Fraktion

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Hieran w i r d deutlich, daß sich zwischen dem Vorstand und den übrigen Fraktionsmitgliedern ein Überordnungs-Unterordnungsverhältnis herausbilden kann 8 4 . Welcher Abgeordnete traut sich zu, seine Fraktion gegen den Vorstand für die eigene Sache zu gewinnen 85 ? Wer wollte gar i m Parlament ohne den Rückhalt seiner Fraktion auftreten? Daß es diese Fälle gibt, soll nicht geleugnet werden. Meistens w i r d es hier aber auch gar nicht zu extremen Situationen kommen. Kompromisse und „beiderseitiges" Nachgeben sind die Regel, u n d oftmals w i r d der einzelne wenigstens eine Minderheit seiner Fraktionskollegen zu sich herüberziehen können. Immerhin aber fügten sich bei der Regierungskrise i m Herbst 1966 selbst die Minister der FDP-Fraktion ihrem Vorstand, der sie aufforderte, die Rücktrittsgesuche einzureichen, obwohl man sich unmittelbar vorher mit den Kabinettskollegen geeinigt hatte 8 6 . Bemerkenswert bleibt, daß dem Vorstand aufgrund seiner Stellung wie auch zur Erfüllung seiner besonderen Funktionen eine besondere Machtposition innerhalb der Fraktion eingeräumt ist. Hierzu gehört auch sein umfassendes Vorschlagsrecht bei allen Wahlvorgängen innerhalb der Fraktion 8 7 , sein Recht zur Errichtung neuer Arbeitsinstitutionen 8 8 , zur Berufung und Bestellung von Arbeitsausschüssen, zur Überweisung von Vorlagen und anderen Aufträgen an dieselben. Hierzu gehören ferner seine Zustimmungs- und Entscheidungsrechte, ob und wen man bei der Arbeit als Sachverständigen hinzuzieht, und es gehört dazu auch eine beschränkte Ordnungsgewalt über die Fraktionsmitglieder. Zu der bevorrechtigten Stellung des Vorstandes gehört schließlich auch seine Weisungsbefugnis gegenüber dem Sekretariat und seine Dispositionsfreiheit i n Vermögensangelegenheiten, insbesondere bei der Eingehung von Verbindlichkeiten. Der Vorstand stellt ein, entläßt und besoldet die Angestellten der Fraktion 8 9 . Er verteilt die Aufgaben unter mehreren Geschäftsführern. Letztere, sowie die Fraktionsangestellten sind i h m gegenüber verantwortlich. Er hat ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber dem Kassenwart der Fraktion. Hier wie auch oben zum Stichwort „Vollversammlung der Fraktionsmitglieder" ist wesentlich nur das Gerüst der Organisations- und Ver84 Kremer, S. 31; Michels, S. 140 f.; Obermann, S. 103 u n d Wildenmann, S. 158 ff., sprechen von einer „hierarchischen Gliederung" der F r a k t i o n ; Lohmar, S. 74, spricht von einer i n 4 Stufen gegliederten Hierarchie; Fraktionsvorsitzender u n d Geschäftsführer — Fraktionsvorstand — Vorsitzende der Arbeitskreise — eigentliche F r a k t i o n —. 85 Dazu schon Thamm (W), S. 19 f. 88 Siehe dazu: „Die Welt", v. 28.10. 66, S. 1 u n d 3. 87 BT/SPD §§ 13,17. 88 Bericht S. 26 f. 89 BT/SPD § 18; B T / F D P § 6; L T BW/SPD § 2 I I I , I V .

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

fahrensregeln, der Aufgaben und Rechte dargestellt worden. Leben gew i n n t die Institution „Fraktionsvorstand" jedoch erst, wenn man die betreffenden Personen m i t i n die Betrachtung einbezieht. Das soll aus vielerlei offenbaren Gründen unterbleiben, insbesondere auch, w e i l es für die Klärung von Wesen und Rechtsnatur der Fraktion allein auf die Institutionen ankommt. Es muß aber festgehalten werden, daß i m Einzelfall ein Fraktionsvorstand anders aussehen, daß er insbesondere realiter ein minus oder plus von Aufgaben und Rechten auf sich vereinigen kann. Die bevorzugte Stellung des Fraktionsvorstandes läßt sich jedoch noch um weitere Stufen erhöhen, indem er wichtige eigene Funktionen i n Ämtern einzelner Personen zusammenfaßt. Daher soll noch das A m t des Fraktionsvorsitzenden und das des Fraktionsgeschäftsführers untersucht werden. I I I . Der Fraktionsvorsitzende 00

Der Fraktionsvorsitzende „repräsentiert die Fraktion nach innen und nach außen" 91 . Diese oder eine ähnliche Bestimmung findet sich beinahe i n jeder Fraktionsgeschäftsordnung 92 . Sie kann jedoch etwas Verschiedenes bedeuten. Sie kann einerseits bedeuten, daß der Vorsitzende innerhalb des Vorstandes nur primus inter pares ist, m i t h i n also nur für den Vorstand handelt, dessen „Sprachrohr" er ist; sie kann aber andererseits auch bedeuten, daß dem Fraktionsvorsitzenden über seine Rolle als Vorsitzender des Vorstandes hinaus eine besondere Stellung als Vorsitzender der Fraktion zukommt. Untechnisch gesprochen ist er i m ersten Fall Organ des Fraktionsvorstandes und i m zweiten Fall ein besonderes Organ der Fraktion. Beide Stellungen des Fraktionsvorsitzenden gibt es bei den Fraktionen der deutschen Parlamente. I n der Theorie, d. h. nach den Fraktionsgeschäftsordnungen soll er i n der Mehrzahl der Fälle nur primus inter pares sein, i n der Praxis ist er meist mehr. Die Aufgaben und die besonderen Befugnisse des Fraktionsvorsitzenden gründen sich somit auf denen des Vorstandes. Bei dem Vorsitzenden laufen die Fäden der Information zusammen. Er ist berechtigt, an den Sitzungen der Arbeitskreise teilzunehmen. Nach § 66 I I der Geschäftsordnung der Bürgerschaft von Bremen darf der Vorsitzende der i n einem Ausschuß vertretenen Fraktionen an den Sitzungen dieses Ausschusses m i t beratender Stimme teilnehmen, auch wenn er nicht zu den Aus80 91 92

Bericht S. 21. B T / C D U - C S U § 6. L T BW/SPD § 2 I V : „der Fraktionsvorsitzende v e r t r i t t die Fraktion".

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Schußmitgliedern gehört 9 3 , nach § 54 I I I der Geschäftsordnung des A b geordnetenhauses von Berlin sind die amtierenden Fraktionsvorsitzenden sogar berechtigt, an den geheimen Aussprachen aller Ausschüsse mit beratender Stimme teilzunehmen und nach A r t . 18 I Geschäftsordnung des Landtages des Saarlandes bilden die Fraktionsvorsitzenden zusammen mit dem Präsidium des Landtages den Ältestenrat. Dem Vorsitzenden werden i n der Regel alle Initiativanträge der Abgeordneten der Fraktion vorgelegt und seine Begutachtung ist von entscheidender Bedeutung. Er ist zu benachrichtigen, wenn Fraktionsmitglieder i n besondere Organisationen oder Körperschaften innerhalb oder außerhalb des Parlamentes delegiert werden. Nach einer Fraktionssatzung kann er sogar m i t dem Vorstand eine derartige Delegation verhindern 9 4 . Er vertritt den Vorstand gegenüber der Vollversammlung der Fraktion und muß ihr dessen Vorschläge und Rechenschaftsberichte unterbreiten. Er bestimmt definitiv Referenten und Sachverständige und weist einzelnen Mitgliedern besondere Aufgaben zu. Er beruft ferner, wie schon erwähnt, die Sitzungen des Vorstandes ein und leitet sie 95 . Nach Bundestag/CDU—CSU § 6 soll der Vorsitzende die übrigen Mitglieder des Vorstandes und die besonders beauftragten Mitglieder der Fraktion „betreuen". Meistens hat der Fraktionsvorsitzende auch eine alleinige Entscheidungsgewalt i n bestimmten Einzelfällen: so bezüglich der Auslegung der Geschäftsordnung 96 und i n Fragen der Fraktionsdisziplin, so hinsichtlich der Kürzung oder Streichung des Fraktionsbeitrages bei finanzschwachen Mitgliedern und so steht i h m schließlich die Entscheidung über die Zulassung von Gästen zu Sitzungen der Fraktion zu und ebenso darüber, ob es sich bei einem bestimmten Problem u m eine Angelegenheit der Partei oder um eine solche der Fraktion handelt 9 7 . Der Fraktionsvorsitzende führt seine Fraktion auch i n der Plenardebatte des Parlaments 98 . I n entscheidenden Fragen bringt er meistens selbst die Meinung der Fraktion zum Ausdruck 9 9 . I m übrigen aber ist er zu benachrichtigen, wenn ein Abgeordneter sich zusätzlich aktiv an der Debatte beteiligen w i l l , und ebenso, wenn ein Fraktionsmitglied i n der Abstimmung gegen die Fraktion zu stimmen gedenkt 1 0 0 . 93 So jetzt auch i m B T , siehe Beschluß des B T v. 9.12. 65 zu § 68 GO BT, zit. ROP S. 090615 A n m . 6. 94 Bericht S. 27. 95 B T / C D U - C S U § 6. 98 BT/SPD § 38. 97 B T / F D P § 8. 98 B T / C D U - C S U § 6; Deneke, S. 527. 99 Lambach (W), S. 17. 100 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 501 f.

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Der Fraktionsvorsitzende „repräsentiert die Fraktion nach außen" bedeutet, daß er i n den Augen der Öffentlichkeit die Fraktion i n einem umfassenden Sinne verkörpert. Was er sagt, w i r d als autorisierte Äußerung der Fraktion verstanden, i m Falle der Regierungsfraktion sogar als Meinungsäußerung der Regierung. Als der Vorsitzende der Fraktion der CDU-CSU i m Bundestag i m Juni 1966 i n Amerika Vorschläge zur Lösung des Deutschland-Problems machte, sah man hierin einen offiziellen Beitrag aus dem deutschen Regierungslager. Adenauer rügte deshalb folgerichtig diese Äußerungen, die i m Gegensatz zu dem Eindruck, den sie hervorrief en, nicht m i t der Bundesregierung abgesprochen waren, und sagte: „Den Barzel kennt man draußen nicht, aber den Fraktionsvorsitzenden der CDU kennt man 1 0 1 ." Daß der Fraktionsvorsitzende die Fraktion „nach außen repräsentiert", bedeutet aber auch, daß er oder sein Stellvertreter die Anträge und Anfragen der Fraktion m i t Wirkung für diese unterzeichnen können 1 0 2 . Es heißt ferner vielfach auch, daß der Vorsitzende die rechtlich für die Fraktion handelnde Person sei: auf seinen Namen lautet in einigen Fällen das Bankkonte der Fraktion; er schließt bisweilen persönlich die Arbeitsverträge m i t den Fraktionsangestellten 103 und geht sonstige rechtsgeschäftliche Bindungen für die Fraktion ein. Von besonderer Bedeutung ist endlich, daß der Fraktionsvorsitzende i n immer stärkerem Maße i n die Arbeit der Regierung eingeweiht und einbezogen w i r d 1 0 4 . Soweit es sich um den Vorsitzenden der Regierungsfraktion handelt, läßt sich dies aus dem schon Gesagten leicht zusammenreimen. Aber auch die Führer der Oppositionsfraktionen werden, besonders auf der Bundesebene, i n den wichtigsten Fragen konsultiert, zumindest von den Vorhaben und Plänen der Regierung informiert. Interessantestes Beispiel dafür aus der jüngsten Vergangenheit ist die Information der Oppositionsführer über das geheime Waffenlieferungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel 1 0 5 . Derartige Konsultationen und Informationen können sowohl auf eine Initiative der Regierung zurückgehen, es kommt aber auch vor, daß die 101 Zit. nach Die Zeit, Nr. 26 v. 24.6.66, S. 4; dazu ebenda: Strobel, Bonn: Barzel ist schwer angeschlagen; Schwellen, Washington: Beifall f ü r Barzel. 102 So ausdrücklich i n : GO Bay § 57 I ; GO Bre § 31 I I I ; GO Hes § 46; GO Nds § 38 I ; GO N W § 87 I I ; GO S L A r t . 38 I I ; Lechner-Hülshoff, § 97 GO B T A n m . 2, § 105 GO B T A n m . 2; Trossmann, S. 48; das w a r i n der Weimarer Republik streitig, k a m aber praktisch auch damals bisweilen vor, dazu Thamm (W), S. 19 ff.; Hoppe (W), S. 56. 108 L T BW/SPD §2 I V . 104 Nawiasky, Staatslehre, S. 113; Schüle, S. 103,106. 105 E i n historisches Beispiel ist die Unterrichtung des SPD-Abgeordneten Dr. Südekum durch den Reichskanzler i m J u l i 1914, siehe dazu: Bergsträsser, L., Entwicklung, S. 16.

C. Organisation der Fraktion

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Fraktionen, insbesondere die oppositionellen, derartiges ausdrücklich verlangen. A u f diese Weise werden die Abgeordneten mittelbar über die anstehenden Fragen unterrichtet und die Regierung kann sich für ihre Vorhaben und Pläne ein B i l d von der gegenwärtigen und zukünftigen parlamentarischen Situation machen und Anregungen entgegennehmen. Sie kann sich so gegen überraschende parlamentarische Entscheidungen absichern und optisch i n schwierigen Fragen die Opposition an der Regierungsverantwortung beteiligen. Kann sie bei späteren Vorwürfen der Öffentlichkeit darauf hinweisen, daß die maßgeblichen Oppositionsführer unterrichtet waren, so w i r d damit ein Teil der Vorwürfe auf die Opposition abgelenkt. Überspitzt formuliert könnte man sagen, daß die Versammlung der Fraktionsführer ein Konzentrat des Parlaments, ein „Parlament i m Kleinstformat" darstellt: wie die Fraktionsführer stimmen, werden i n der Regel auch ihre Fraktionen stimmen und berücksichtigt man dann das zahlenmäßige Verhältnis der Fraktionen zueinander, so weiß man recht genau, wie die Entscheidung des Gesamtparlaments aussehen wird. So wartet ζ. B. auch die Presse für ihre Berichterstattung oft nicht Beschlüsse und Entschließungen des Parlaments ab, sondern befragt die Fraktionsvorsitzenden, ihre Stellvertreter oder Sprecher. Dieses so vielseitige und m i t großer politischer Macht 1 0 6 ausgestattete A m t ist für jeden Parlamentarier erstrebenswert. Es erfordert einen ungeheuren Arbeitseinsatz und bei den heute i n sich stark differenzierten Fraktionen der „Volksparteien" ein hohes diplomatisches Geschick. I n der Regel ist es das sichere Sprungsbrett für ein Regierungsamt. Manche Fraktionsvorsitzenden schlagen aber sogar ein Ministeramt aus, u m das zu bleiben, was sie sind 1 0 7 . Anzumerken ist noch abschließend, daß nach einigen Diätengesetzen die Fraktionsvorsitzenden 108 , bzw. „der Führer der Opposition" 1 0 9 besondere Entschädigungen erhalten. 106 H e r r Prof. Dr. Wacke berichtet i n seiner staatsrechtlichen Vorlesung davon, daß ein süddeutscher Abgeordneter i n einer Verfassungsberatung sich bei der A b s t i m m u n g über den Satz „ A l l e Staatsgewalt geht v o m Volke aus" der Stimme enthalten habe m i t der Begründung, dieser Satz sei nicht wahr, er müsse richtiger heißen: „ A l l e Staatsgewalt geht von dem Fraktionsvorsitzenden aus"; zur Bedeutung der Fraktionsführer allgemein auch: Michels, S. 104 f.; Zundel, Kanzler-Sturz auf Stottern, i n : Die Zeit Nr. 45 v. 4.11. 66, S. 3. 107 So der BT-Abgeordnete Barzel, siehe Zundel: Barzel, unser bestes Stück, i n : Die Zeit, 1965, Nr. 7, S. 2; ders., M e h r Macht f ü r die Fraktion, i n : Die Zeit, 1964, Nr. 50, S. 4; ebenso der Abgeordnete der Hamburger BS Oswald Paulig, siehe: Die Welt v. 5. 4. 66, Nr. 80, S. 3. 108 Diäten Ge von: B W § 2 I I c), N W § 2 I I , RP § 6 I I , Bay A r t . 3 I I b) (Fraktionsvorstand), Hes § 21, I I I , V (Fraktionsvorstand). 109 Diäten G von S H §§ 2 I I c), 5 V I I .

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966 I V . Der Fraktionsgeschäftsführer

Jede Fraktion hat mindestens einen Geschäftsführer, auch „Fraktionssekretär" oder, falls es sich dabei um einen Abgeordneten handelt, „parlamentarischer Geschäftsführer" genannt. Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Geschäftsführer einer Fraktion nicht unbedingt Abgeordneter zu sein braucht. Auch dann w i r d er von den meisten Geschäftsordnungen wie auch durch die Praxis aus dem Verwaltungsapparat der Fraktion herausgehoben und m i t eigenen Kompetenzen beliehen 1 1 0 . Manchmal w i r d er als besonderes Fraktionsorgan bezeichnet. Abgesehen von den durch das Mandat bedingten Unterschieden sind die Kompetenzen des Geschäftsführers m i t und desjenigen ohne Abgeordnetenstatus allenfalls graduell unterschiedlich. Es werden jedenfalls weder durch die Geschäftsordnungen noch durch die politische Praxis m i t der oben angegebenen Ausnahme qualitative Unterschiede gemacht 111 . Die Geschäftsführer werden durch die Vollversammlung (Wahl) 1 1 2 oder den Fraktionsvorstand i n ihr A m t gerufen und sind Angestellte der Fraktion, i n der Hegel auch als Abgeordnete. Sie sind besonders bei den kleineren Landtagsfraktionen meist deren einzige hauptamtliche Berufspolitiker. Sie sind i n seltenen Fällen der Fraktion, meist nur dem Vorstand oder gar dem Vorsitzenden 113 für ihre Arbeit unmittelbar verantwortlich. Sie handeln i n der Regel i m Auftrage des Vorstandes oder des Vorsitzenden. Das bedingt ein enges Verhältnis vor allem zum Vorsitzenden, dem der Geschäftsführer die „tägliche Kleinarbeit", vor allem die Leitung und Überwachung des Fraktionssekretariats abnimmt 1 1 4 . Der Geschäftsführer n i m m t regelmäßig — auch wenn er nicht Abgeordneter ist — als Vollmitglied oder doch wenigstens m i t beratender Funktion an den Vorstandssitzungen teil 1 1 5 . I h m können neben der Leitung des Sekretariats und der rechtsgeschäftlichen Vertretungsbefugnis der Fraktion die Erledigung einzelner Angelegenheiten sowie auch die laufende Geschäftsführung übertragen werden 1 1 6 . Nicht selten kommt es 110

Z u m folgenden Bericht S. 27—29. Bericht S. 65; nach § 54 GO B i n können — m i t Genehmigung des Präsidenten — Mitteilungen u n d Protokolle über geheime Aussprachen u n d V e r schlußsachen auch an Fraktionsgeschäftsführer ohne Mandat weitergegeben werden. 118 L T BW/SPD § 2 I I . 118 B T / F D P § 6. 114 L T BW/SPD § 6; Lambach (W), S. 17. 115 L T BW/SPD § 21. ne B T / F D P § 6; Z u m Aufgabenbereich der pari. Gesch.-Führer siehe auch BT/SPD § 19; Kremer, S. 31. 111

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vor, daß sich der Fraktionsvorsitzende zur Vorbereitung einer Fraktionssitzung m i t dem Geschäftsführer bespricht, statt eine Vorstandssitzung einzuberufen. Die Dispositionsfreiheit des Geschäftsführers ist unterschiedlich groß. Sie kann so groß sein, daß er, wenngleich auch formell i m Auftrage des Vorstandes, selbständig Sitzungen der Fraktion anberaumt, Arbeitskreise zu bestimmten Fragen zusammenstellt, Referenten bestimmt und Fraktionsmitglieder m i t Vertretungsaufgaben betraut 1 1 7 . Sie kann aber auch lediglich i n der selbständigen Leitung des Sekretariats bestehen. Abhängig w i r d das sein von dem persönlichen Verhältnis des Geschäftsführers zu den Fraktionsmitgliedern, besonders zu den Vorstandsmitgliedern und dem Vorsitzenden. Ferner w i r d es abhängig sein von seinem politisch-taktischen und diplomatischen Geschick, vor allem aber auch davon, ob er selber Abgeordneter ist oder nicht. Der Geschäftsführer ohne Abgeordnetenstatus hat sicherlich engere Befugnisse als sein „parlamentarischer Kollege". Er hat nach einer Fraktionssatzung lediglich „ . . . alle weniger wesentlichen V o r g ä n g e . . . unter eigener Verantwortung selbst (zu) erledigen.. ." 1 1 8 . Damit ist zwar noch nicht gesagt, was unter „weniger wesentlich" zu verstehen ist, immerhin weist aber diese Formulierung auf eine Trennung zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem h i n und auf eine Beschränkung des mandatslosen Geschäftsführers auf das weniger Wichtige. Der parlamentarische Geschäftsführer ist i n jeder Hinsicht Gehilfe des Fraktionsvorsitzenden. Das kommt vor allem bei der Unterstützung des Fraktionsführers i n der Plenardebatte zum Ausdruck. Der Geschäftsführer hat die Diskussionsbeiträge der Fraktion zu koordinieren und ebenso die Fragen i n der Fragestunde 119 . Er achtet auf die Weiterbehandlung der Anträge der Fraktion, hält Kontakt zu den anderen Fraktionen und „spielt" seinem Vorsitzenden i n der Debatte „die Bälle z u " 1 2 0 . Er h i l f t i h m auch bei der internen Kontrolle der Fraktion, muß sich über alles informieren, achtet auf Stellungnahmen der Mitglieder und muß die allgemeine politische und parlamentarische Situation dauernd beobachten. 117 L T BW/SPD § 6: E r hat f ü r eine ordnungsgemäße Besetzung der Ausschüsse zu sorgen." 118 Z i t i e r t nach Bericht S. 28. 119 Nach BT/SPD § 3 muß sich ein M i t g l i e d m i t dem pari. Geschäftsführer „verständigen", w e n n es unvorhergesehen i n die Plenardebatte eingreifen w i l l ; nach Hennis , Bundestag, S. 36, liegt der A b l a u f der Debatten i n der Hand der parlamentarischen Geschäftsführer; dafür, daß dies Verfahren zu MißVerständnissen u n d Beschneidungen der Redefreiheit der Abgeordneten führen kann, siehe: Hennis , Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 V. 25. 3. 66, S. 32. 120 Zundel: „Barzel unser bestes Stück", Die Zeit, 1965, Nr. 7, S. 2.

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Er muß schließlich Verbindung halten zur Parlamentsverwaltung, zu den Parteiorganen, zur Presse und zur Öffentlichkeit überhaupt. Man kann sagen, daß er für die Fraktion gegenüber der Öffentlichkeit an vorderster Front kämpft. Wer immer sich i n irgendeiner Angelegenheit allgemein an die Fraktion wendet, gerät zunächst an den Geschäftsführer. Dieser muß über alles Bescheid wissen und kann sich nur i n Notfällen und auch dann meist nur zum Schaden der Fraktion hinter derselben oder seiner Inkompetenz verstecken. Diese Bedeutung des Geschäftsführers hat ihren Niederschlag i n einigen Bestimmungen der parlamentarischen Geschäftsordnungen gefunden. So entsendet nach § 6 I der Geschäftsordnung des Bundestages jede Fraktion einen parlamentarischen Geschäftsführer i n den Vorstand des Bundestages. Ferner dürfen nach § 85 I der Geschäftsordnung des Landtages von Rheinland-Pfalz die hauptamtlichen Fraktionssekretäre an den nicht vertraulichen Sitzungen der Ausschüsse teilnehmen. Nach § 54 der Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses dürfen Protokolle und sonstige Mitteilungen über geheime Aussprachen sowie Verschlußsachen auch an die amtierenden Fraktionsgeschäftsführer weitergegeben werden. V. Die Arbeitskreise

Einige Fraktionen zählen zu ihren „Organen" oder „organisatorischen Gliederungen" die Arbeitskreise, die manchmal auch „Arbeitsgruppen", „Arbeitsausschüsse" oder „eigene Ausschüsse der Fraktionen" genannt werden 1 2 1 . Dies sind Arbeitseinrichtungen der Fraktionen, die entweder aufgrund der Geschäftsordnung der Fraktion permanent 1 2 2 für bestimmte Fragen — Äußeres, Inneres, Wirtschaft, K u l t u r , Finanzen, Arbeit und Soziales usw. — oder ad hoc eingerichtet werden. Sie konstituieren sich auf Beschluß der Fraktionsversammlung oder des Vorstandes, können aber auch durch eine Anregung einzelner M i t glieder, vor allem des Fraktionsvorsitzenden oder des Geschäftsführers gebildet werden. Manchmal ist ihre Mitgliederzahl bestimmt, immer w i r d sie möglichst klein gehalten, u m eine Aufsplitterung der Fraktion zu vermeiden. Die Arbeitskreise setzen sich zusammen aus Mitgliedern der entsprechenden Ausschüsse des Parlaments, deren Vertretern 1 2 3 und auch aus sonstigen 121 Z u m folgenden Bericht S. 22—26; Domes, S. 40 ff.; Trossmann, S. 47 f.; zu ähnlichen Einrichtungen i n England siehe: Crick , S. 36; Fellowes, S. 16. 122 BT/SPD § 26, B T / F D P § 9, L T BW/SPD § 3 I. 123 B T / F D P § 9.

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Fraktionsmitgliedern, die durch die Fraktionsversammlung oder den Vorstand bzw. den Vorsitzenden i n diese Funktion berufen werden. Der Fraktionsvorsitzende, oftmals aber auch der Pressereferent und die übrigen Fraktionsmitglieder sind berechtigt, an den Arbeitskreissitzungen teilzunehmen. Diese Sitzungen werden manchmal auch als Teil-Fraktions-Sitzungen bezeichnet, was einerseits wohl darauf hinweist, daß für die Arbeitskreismitglieder eine Teilnahmepflicht mit allen entsprechenden Konsequenzen besteht, was andererseits aber auch bedeuten kann, daß die Arbeitskreise, wie es i n einer Fraktionssatzung heißt, „Spiegelbild der Fraktion" sein sollen: bei ihrer Bildung sollen m i t h i n alle i n der Fraktion vorhandenen politischen Richtungen und Tendenzen berücksichtigt werden. Über die Organisation der Arbeitskreise ist nicht viel zu erfahren. Meist übernimmt der Obmann der Fraktion i n dem entsprechenden Parlamentsausschuß den Vorsitz und bildet zusammen m i t den übrigen Ausschußmitgliedern der Fraktion den Vorstand des Arbeitskreises. Es kommt auch vor, daß die Fraktionsversammlung 1 2 4 , der Fraktionsvorstand oder auch der Arbeitskreis selbst 125 einem Mitglied den Vorsitz überträgt. Der Vorsitzende beruft regelmäßig den Arbeitskreis zu Sitzungen ein m i t bestimmten Tagesordnungen, die auch den übrigen Fraktionsmitgliedern zugestellt werden 1 2 8 . Die Tagesordnungspunkte werden eingehend beraten, oftmals zusammen mit Sachverständigen. Es werden Vorlagen, Anträge, Anfragen und Vorschläge ausgearbeitet und m i t den entsprechenden Empfehlungen und Begutachtungen an die Fraktionsversammlung oder auch den Vorstand weitergeleitet. Die Arbeitskreise sind sachverständige Hilfsorgane der Fraktion und auch der einzelnen Mitglieder. Sie sollen die Arbeit der Fraktion durch sachkundige Vorarbeit und Vertiefung fördern. Vor allem haben sie die Aufgabe, die Fraktionsmitglieder i n den Parlamentsausschüssen zu unterstützen 1 2 7 . Die ständigen Arbeitskreise werden entweder auf eigene Initiative tätig oder i m Auftrage der Fraktion, des Vorstandes oder auch eines einzelnen Mitgliedes. Sie müssen, wie schon erwähnt, über ihre Tätigkeit dem Vorstand oder der Vollversammlung allgemein Bericht erstatten, aber auch besondere Informationen an das entsprechende Gremium oder die betreffende Person weitergeben. U m gerade diese Informationskanäle möglichst kurz zu halten, sind die Vorsitzenden der ständigen Arbeitskreise i n der Regel 124 125 128 127

L T BW/SPD § 3 I I I . B T / F D P § 9. L T BW/SPD § 3 I I . Partsch, S. 84.

5 Hauenschild

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

ex officio Vorstandsmitglieder oder wenigstens berechtigt, an den Vorstandssitzungen teilzunehmen. V I . Sonstige organisatorische Gliederungen 128

Zur Beseitigung von internen Differenzen kennen einige Fraktionen noch besondere Institutionen, wie den Fraktionsehrenrat 1 2 9 , den Vermittlungsausschuß und den Fraktionsältestenrat. Sie werden von der Vollversammlung der Fraktion gewählt und haben die Funktion eines Schiedsgerichts. Der Vorsitzende des „Fraktionsehrenrates" muß aus diesem Grunde die Befähigung zum Richteramt haben. Fühlt sich ein Abgeordneter von einem Fraktionskollegen i n seiner Ehre verletzt, soll ein Mitglied wegen „fraktionsschädlichen Verhaltens" ausgeschlossen werden oder bestehen Streitigkeiten zwischen Mitgliedern oder zwischen M i t gliedern und Vorstand, so treten diese Gremien — sofern vorhanden — i n Aktion. Sie sollen eine gütliche Einigung herbeiführen, Entscheidungsbefugnisse kommen ihnen nicht zu 1 3 0 . Sie werden auf Antrag tätig. Als „Berufung" gegen die Entscheidung des „Vermittlungsausschusses" gilt die Anrufung des Parteiehrengerichts. V I I . Das Fraktionssekretariat

Zur Organisation einer Fraktion gehört schließlich auch das Fraktionssekretariat 1 8 1 , auch „Fraktionsbüro" oder „Fraktionsgeschäftsstelle" genannt. Jede Fraktion hat ein solches Sekretariat m i t meist mehreren Angestellten, das von dem oben schon erwähnten Geschäftsführer geleitet w i r d und einen Hilfsapparat der Fraktion darstellt. Nur 5 Fraktionen haben keine eigenen Angestellten 1 8 2 . Vom Sekretariat werden die büromäßigen Aufgaben der Fraktion erfüllt. Dazu gehört in erster Linie die umfangreiche Korrespondenz, die nach den Weisungen des Geschäftsführers, aber auch nach denen der einzelnen Abgeordneten durchgeführt wird. Auch den einzelnen Abgeordneten stehen nämlich die Angestellten des Sekretariats für Schreibarbeiten wie auch zur Zusammenstellung von Material zur Verfügung 1 8 3 . Zu diesem Zweck gehören zu den Sekretariaten i m weiteren Sinne auch 128

Bericht S. 26. Dieses G r e m i u m w u r d e f ü r die B T / C D U - C S U zusammengerufen i m Z u sammenhang m i t dem F a l l „ G r a f H u y n " : Die Welt, Nr. 273 v. 24.11. 65, S. 2. 180 Bericht S. 44. 181 Bericht S. 27,29; Domes, S. 45 f.; Heinen (W), S. 119. 182 Bericht S. 66. 188 BT/SPD § 36. 129

D. Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder

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wissenschaftliche Mitarbeiter, die die sachverständige Arbeit zu leisten haben. Daneben ist das Sekretariat Zentrum der innerfraktionellen Geschäftsabwicklung. So führt der verfahrensmäßige Weg von Anträgen und A n fragen einzelner Fraktionsmitglieder innerhalb der Fraktion über das Fraktionssekretariat zum Vorstand oder den zuständigen Gremien. Das Sekretariat ist zu benachrichtigen, wenn ein Abgeordneter an einer Sitzung nicht teilnehmen kann. Die Sitzungsprotokolle und auch alle sonstigen wichtigen A k t e n und Unterlagen werden i m Fraktionssekretariat gesammelt und stehen den Mitglieder zur Einsichtnahme zur Verfügung. D. Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder 134 Wenn i m folgenden die „Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder" behandelt werden, ist es notwendig, zur Klarstellung vorauszuschicken, daß es sich hierbei um satzungsmäßige Rechte und Pflichten handelt, um solche also, die sich aus der geschriebenen oder auch ungeschriebenen Geschäftsordnung der Fraktion ergeben. Diese Rechte und Pflichten lassen sich grob i n zwei Kategorien einteilen: 1. Kategorie: Rechte und Pflichten aus dem allgemeinen Rechtsstatus eines Fraktionsmitgliedes; diese stehen also jedem Mitglied i n gleicher Weise zu. 2. Kategorie: Rechte und Pflichten aus dem besonderen Rechtsstatus, der abhängig ist von der individuellen Funktionsträgerschaft des einzelnen Abgeordneten innerhalb der Fraktion.

I . Der allgemeine Rechtsstatus

Der auch für die Arbeit des Fraktionsmitgliedes üblichen Bedeutung entsprechend sollen die Pflichten zuerst genannt werden. A l l e Pflichten lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen, nämlich die Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion. Das widerspricht nur scheinbar den herkömmlichen Vorstellungen von der Pflicht eines Abgeordneten. Denn Arbeit für das Wohl der Fraktion heißt von dieser aus gesehen: Arbeit für das Wohl des Volkes. Die Fraktion w i l l durch ihre Arbeit auf ihre Weise dem Volkswohl dienen. Je erfolgreicher sie bei dieser Arbeit ist, desto mehr glaubt sie i h m dienen zu können. U m aber erfolgreich zu sein, bedarf sie der gemeinsamen Anstrengung ihrer Mitglieder. Wenn 184

5*

Z u m folgenden: Bericht S. 34—50.

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

diese daher für die Fraktion arbeiten, wirken sie i n demselben Maße für das Wohl des Volkes. Vergegenwärtigt man sich dabei, daß es i m Parteienstaat grundsätzlich verschiedene Wege geben kann, u m das allgemeine Wohl zu erreichen, daß jede Fraktion aber immer nur einen Weg zu wählen i n der Lage ist, so ergibt sich daraus von selbst, daß der Abgeordnete als Fraktionsmitglied der Fraktion immer nur auf ihrem einen Weg folgen kann und darum auch dazu verpflichtet sein muß 1 3 5 . Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion bedeutet darum grundsätzlich: Unterordnung des Eigenen unter das Gemeinsame. Der Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion soll das Mitglied durch positives Tun nachkommen, durch seinen vollkommenen Einsatz für ihre Ziele. Dieser Einsatz besteht i n erster Linie i n einer aktiven Mitarbeit i n der Fraktion und i m Parlament. Das Mitglied ist verpflichtet, an den Sitzungen von Fraktion, Parlament und den jeweiligen Untergliederungen teilzunehmen 1 3 6 . Es hat alle Forderungen der Fraktion an seinen Arbeitseinsatz zu erfüllen. Das kann i m Einzelfall heißen: Pflicht zur Übernahme von Vertretungen verhinderter Kollegen, Pflicht zur Betreuung der Wählerschaft und zum Besuch von für die Fraktion bedeutsamen Veranstaltungen 1 3 7 . Das Mitglied muß sich über alle wichtigen politischen Fragen informieren, um jederzeit Rede und A n t w o r t stehen zu können. Alle Mitglieder müssen darauf achten, daß sie einheitlich i m Parlament und vor der Öffentlichkeit auftreten, sie müssen sich gegenseitig unterstützen 1 3 8 , w e i l es nur dann glaubwürdig erscheint, daß die Fraktion weiß, was sie w i l l , und i n der Lage ist, eine kraftvolle Politik zu treiben und sich durchzusetzen. Damit hängt zusammen die Pflicht der Ausschußmitglieder der Fraktion, sich vorher über die Tagesordnungspunkte der Ausschußsitzungen zu einigen 1 3 9 und eine einheitliche Fraktionsmeinung i n dem entsprechenden Arbeitskreis der Fraktion oder durch Besprechung mit dem Vorstand herauszubilden. Die Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion kann aber auch ein Unterlassen fordern. Die Mitglieder haben tunlichst Äußerungen, die die Fraktion kompromittieren könnten, zu unterlassen. Lehnt die Fraktion die Initiative eines einzelnen ab, so besteht nach einigen Fraktionssatzungen die Pflicht, von ihr abzulassen. Andere Fraktionen verlangen das 135 So schon Jolly , S. 160 ff.; nach Kremer, S. 67, ist davon auszugehen, daß sich die Auffassung des Abgeordneten v o m Gemeinwohl meist m i t der seiner F r a k t i o n deckt. 136 BT/SPD §§ 7,20; L T BW/SPD § 11. 137 BT/SPD § 9. 138 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 532 f. 189 BT/SPD §§ 23,24.

D. Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder

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Gleiche, formulieren diese Forderung aber etwas milder. Wieder andere Fraktionen gestatten es dem Abgeordneten erst nach dem ablehnenden Beschluß, Unterschriften zu sammeln, und fordern, daß bei Einbringung der Vorlage i m Parlament ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß die Fraktion als solche die Vorlage nicht unterstütze. Nicht gern gesehen ist die Unterstützung der Initiativen von Mitgliedern anderer Fraktionen, sofern die Gesamtfraktion das ablehnt 1 4 0 . Überhaupt hat das Mitglied alles zu unterlassen, was der Fraktionssatzung oder den Beschlüssen der Fraktion widerspricht. Insbesondere w i r d von vielen Satzungen das offene Sympathisieren m i t fraktionsschädigenden, m i t undemokratischen oder totalitären Gruppen und Organisationen untersagt. Auch w i r d bisweilen dem Abgeordneten eine Schweigepflicht bezüglich der Dinge auferlegt, die i h m aufgrund seiner Tätigkeit bekannt geworden sind. Die Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion fordert die Unterwerfung unter ein Fraktionsreglement, das allerdings verschieden streng sein kann und von dem Einzelheiten i m vorstehenden schon erwähnt wurden. Zusammenfassend ist hier nochmals eine gewisse Reglementierung der Diskussion der Fraktionsmitglieder sowohl i n der Plenardebatte des Parlaments als auch i n den verschiedenen Fraktionsversammlungen zu nennen. So kann vor allem i m Plenum nicht jedes Mitglied beliebig lange das Wort ergreifen: es gibt vorher bestimmte Redner, die die Fraktionsmeinung zu vertreten haben. W i l l ein Mitglied unvorhergesehen das Wort ergreifen, so hat es sich mit der Fraktionsführung zu verständigen. Diese übt eine gewisse Ordnungsgewalt aus, der sich der Einzelne zu unterwerfen hat. Zu den Sitzungen sollen die Mitglieder pünktlich erscheinen, bei Verhinderung sich vorher entschuldigen und für Vertretung sorgen 141 . Sie haben die Ordnung der Sitzungen, die Rednerliste und die Begrenzung der Redezeit zu respektieren und den vorgeschriebenen Geschäftsgang einzuhalten. Alle Initiativen von einzelnen M i t gliedern sind vorher den entsprechenden Fraktionsgremien zur Begutachtung vorzulegen 142 , sei es nur zur Unterrichtung über die Absicht des Mitgliedes, sei es zur E r w i r k u n g einer Entscheidung darüber, ob das Mitglied überhaupt tätig werden darf. Schließlich haben die Mitglieder der Fraktionsführung Anzeige zu machen, wenn sie nicht i n der Lage sind, mit der Fraktion zu stimmen. Dann w i r d ihnen i n der Regel „nahegelegt", entweder der Abstimmung fernzubleiben oder sich der Stimme zu enthalten 1 4 3 . 140 141 142

S. 42 f. 143

Thamm (W), S. 16 ff.; Bratfisch (W), S. 6; Hoppel (W), S. 55. BT/SPD § 7, L T BW/SPD § 6; siehe a u d i A r t . 4 V I Bay Diäten G. BT/SPD §§ 5, 6; B T / F D P § 12; L T BW/SPD § 1 I I ; Domes, S. 156; Kremer, Kremer, S. 40 f.

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Zu den Pflichten der — ordentlichen — Mitglieder zählt auch die Pflicht, Beiträge an die Fraktionskasse zu leisten 1 4 4 . A u f Schwierigkeiten stößt es, Rechte der Fraktionsmitglieder zu nennen, Ansprüche des Einzelnen gegenüber dem Fraktionsverband. Die meisten Fraktionssatzungen begnügen sich mit der lapidaren Feststellung, alle Mitglieder hätten „die gleichen Rechte und Pflichten"; manchen läßt sich entnehmen, daß dem schwächeren Mitgliedstatus von Hospitanten, Regierungsmitgliedern und sonstigen Fraktionsmitgliedern ohne Abgeordnetenstatus ein minus an allgemeinen Rechten entspricht. Nur wenige erwähnen überhaupt einzelne Rechte aller Mitglieder. Einige Fraktionen kennen ein Recht der Mitglieder auf Anhörung in der Fraktionsversammlung, ein Recht auf Benutzung der fraktionseigenen Mittel, insbesondere des Sekretariats und des Stabes wissenschaftlicher M i t arbeiter; ein beschränktes Recht aller Mitglieder auf Benutzung der Informationsquellen der Fraktion ist festzustellen, Mitglieder können an allen Arbeitskreissitzungen der Fraktion teilnehmen 1 4 6 ; schließlich kann man von einem Recht aller Mitglieder auf Einhaltung der Fraktionsgeschäftsordnung sprechen, von Mitwirkungsrechten bei Satzungsfragen, von Rechten zum Minderheitenschutz. Läßt man die Fälle einer abgestuften Mitgliedschaft außer Betracht, so läßt sich auch aus dem Gebot der allgemeinen Gleichheit aller Mitglieder einiges ableiten: alle Mitglieder haben das gleiche Stimmrecht, sieht man von der i n Stichentscheidungen bisweilen ausschlaggebenden Stimme des Vorsitzenden ab; alle Mitglieder haben nach den Satzungen sicherlich auch das gleiche passive Wahlrecht für die von der Fraktion zu besetzenden Ämter. Ob man aus diesem „Gleichheitssatz" ein Verbot willkürlicher Behandlung einzelner herleiten kann, scheint fraglich, besonders wegen der Begrenzung eines solchen Verbots. Π . Der besondere Rechtsstatus

I m Zusammenhang m i t den Rechten und Pflichten des Vorstandes wurde oben schon auf eine gewisse hierarchische Gliederung der Fraktion hingewiesen. Allgemein läßt sich sagen, daß sich die Rechte und Pflichten des Mitgliedes steigern, wenn es eine Funktion i n der Fraktion übernimmt 1 4 ·. 144

Bericht S. 57, L T BW/SPD § 9. BT/SPD § 27; Trossmann, S. 47. 146 Lohmar, S. 69 f., 76 f.; dazu allgemein: Hofstätter, S. 136 f. 145

Gruppendynamik,

D. Rechte und Pflichten der Fraktionsmitglieder

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Man könnte einwenden, daß diese Rechte und Pflichten nicht originär dem Abgeordneten zuständen, sondern dem durch die Verfassung der Fraktion unabhängig von bestimmten Personen eingerichteten Amt, daß also das Mitglied diese Rechte nur aufgrund seiner Amtsträgerschaft innehabe. Dem ist aber entgegenzusetzen, daß die Verfassungen der Fraktionen, von den oben unter C I . — V I . beschriebenen Organen abgesehen, solche abstrakt formulierten Ämter nicht kennen. Die Fraktionen verfassen sich vielmehr entsprechend ihrer personellen Struktur; oft werden für bestimmte Personen bestimmte Ämter eingerichtet oder schon bestehende m i t besonderen Funktionen, besonderen Rechten und Pflichten ausgestattet. Aus diesem Grunde kann man die terminologische Ungenauigkeit i n Kauf nehmen und davon sprechen, daß das Mitglied zusätzliche Rechte und Pflichten habe, wenn es eine Funktion übernimmt. Diese besonderen Rechte und Pflichten sind i m einzelnen oben bei der Behandlung der Organisation der Fraktion schon erwähnt worden. Zusammenfassend läßt sich wohl sagen, daß die Pflicht zur Arbeit für das Wohl der Fraktion sich inhaltlich nicht ändert, sondern nur verstärkt wird. Vorstandsmitglieder unterliegen i n der Regel stärkeren Bindungen an den Fraktionsbeschluß als die „einfachen" Fraktionsmitglieder 1 4 7 . Der Kreis der Rechte jedoch w i r d mit der besonderen Funktion größer: die Informations- und Kontrollrechte erweitern sich, das Mitglied erhält ein besonderes Stimmrecht i n besonderen Gremien, es erwirbt zusätzliche Entscheidungbefugnisse und die Kompetenz zur Leitung und Betreuung anderer Mitglieder; so haben ζ. B. die Obleute der Fraktionen i n den Ausschüssen hinsichtlich der übrigen Ausschußmitglieder der Fraktion derartige Leitungs- und Betreuungsrechte und -pflichten 1 4 8 . I I I . Durchsetzungsmöglichkeiten

Nach der Erwähnung der einzelnen Rechte und Pflichten der Mitglieder ist zu prüfen, welche Möglichkeiten einerseits die Fraktion hat, um dafür zu sorgen, daß die Mitglieder ihre Pflichten erfüllen, und was andererseits das Mitglied unternehmen kann, u m seine Rechte gegenüber der Fraktion geltend zu machen. I. Die Durchsetzungsmöglichkeiten

der Fraktion

Die Durchsetzungsmöglichkeiten der Fraktion sind i n hohem Maße umstritten, da sowohl das Grundgesetz als auch die Verfassungen der Länder das freie Mandat fordern. Das verbietet den Fraktionszwang, die 147 148

Kirchheimer, S. 315 A n m . 27. BT/SPD § 22.

2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

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stärkste Form der Fraktionsdisziplin 1 4 9 . Dieser außerordentlich schillernde Begriff, der oft zu demagogischen Zwecken mißbraucht wird, soll später 1 5 0 noch genauer untersucht werden. Hier soll die Feststellung genügen, daß man unter Fraktionszwang die Korrumpierung der freien Gewissensentscheidung des Abgeordneten durch die Fraktion versteht. Diesen Fraktionszwang lehnen alle Fraktionen ab und sind bestrebt, immer wieder darauf hinzuweisen, daß sie einen derartigen Fraktionszwang nicht kennten; das Gewissen sei für jedes ihrer Mitglieder die letzte Instanz. Allerdings betonen das nur drei Fraktionssatzungen ausdrücklich. Für alle anderen ist die Ablehnung des Fraktionszwanges eine Selbstverständlichkeit 151 . Wenngleich also der Fraktionszwang i m oben skizzierten Sinne als Durchsetzungsmöglichkeit ausscheidet, kennen alle Fraktionen einen Katalog von anderen Möglichkeiten. Hier sind zunächst die harmlosen Disziplinarmittel zu nennen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung i n den Sitzungen notwendig sind: Sachruf, Ordnungsruf, Wortentziehung, Sitzungsausschluß, manchmal unter Streichung von der Anwesenheitsliste (was den Ausfall von Tagegeldern bedeuten kann), Bußen i n Höhe von 10—50 DM, die von der Vollversammlung festgesetzt oder bestätigt werden müssen und deren Nicht-Zahlung nach einer Geschäftsordnung die Zurückziehung des betreffenden Mitgliedes aus Ausschüssen zur Folge haben kann 1 5 2 . Zeigt ein Mitglied keine zufriedenstellende M i t arbeit oder andere Pflichtwidrigkeiten, so ist das dem Vorstand oder Vorsitzenden meist durch den entsprechenden Obmann oder auch durch andere Mitgleider zu melden. Die Angelegenheit w i r d dann i m Vorstand oder auch i n der Fraktionsversammlung behandelt. Das Ergebnis kann sein eine ausdrückliche Mißbilligung des fraglichen Verhaltens, eine Ermahnung zu besserer Mitarbeit und eine Abberufung aus Funktionen innerhalb der Fraktion oder aus Parlamentsgremien. Selbstverständlich verringern sich die Chancen des gescholtenen Mitgliedes, die Stufenleiter der Fraktionshierarchie hinaufklimmen zu können oder i n Parlamentsgremien entsandt zu werden. Als stärkste Sanktionsmittel steht der Fraktion die Androhung, Einleitung und der Vollzug des Ausschlusses 153 zur Verfügung 1 5 4 . Hierzu ist i n der Regel eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung der Fraktions149

S. 337. 150 151 152 153 154

Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 501 ; v. Mangoldt, I m 5. K a p i t e l unter B. I I I . 3. Heinen (W), S. 118; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 336. Bericht S. 58. Dazu ausführlich 5. K a p i t e l B. I I I . 2. Kremer, S. 45.

Fraktionszwang,

73

E. Die Finanzen der Fraktion

Versammlung erforderlich 1 5 5 . Bei Hospitanten ist der Ausschluß dagegen meist mit geringeren Formalitäten verbunden, es genügt die Aufhebung des Aufnahmebeschlusses. Schwächer sind die Durchsetzungsmöglichkeiten der Fraktion gegenüber einem Regierungsmitglied. Dies ist eine Folge davon, daß Regierungsmitglieder regelmäßig aufgrund ihres Amtes i n der Fraktion eine stärkere Stellung haben und unabhängiger sind. Dennoch fordert eine Fraktionssatzung, daß Regierungsmitglieder auch i m Kabinett an die Entscheidungen gebunden sind, an denen sie i n der Fraktion mitgewirkt haben. 2. Die Durchsetzungsmöglichkeiten

des einzelnen

Mitgliedes

Die Durchsetzungsmöglichkeiten des einzelnen Mitgliedes stehen zu diesem Katalog der Möglichkeiten der Fraktion i n gar keinem Verhältnis. Fühlt sich das Mitglied durch eine Maßnahme der Fraktion beschwert, so bleibt i h m — falls nicht besondere Gremien zuständig sind — nur die Möglichkeit, die Angelegenheit dem Vorstand oder auch der Gesamtfraktion vorzutragen. Gegen derartige Vorstandsentscheidungen kennen einige Fraktionen ein „Appellationsrecht"; die „Berufung" vor der Vollversammlung 1 5 6 . W i r d dem Mitglied hier kein Recht zuteil, so bleibt i h m nur der Weg des Austritts. Eine Fraktionssatzung 157 macht das „Ausscheiden aus persönlichen Gründen" von der Zustimmung der Fraktion abhängig. Liegt diese nicht vor, beharrt das Mitglied dennoch bei seinem Austrittsbegehren, so kann die Fraktion ihrerseits den Ausschluß beschließen. Das kann den Austritt seines gegen die Fraktion gerichteten, propagandistischen Zwecks berauben 158 . Neben der Beschwerde an Vorstand und Vollversammlung und dem Austritt stehen dem Mitglied nach den Fraktionssatzungen keine weiteren Möglichkeiten zur Gegenwehr offen. E. D i e Finanzen der F r a k t i o n 1 5 9

Jede Fraktion benötigt Geldmittel, u m die anfallenden Kosten zu decken: Personalkosten des Mitarbeiterstabes, Sachkosten für das Sekre155

Bericht S. 7; B T / F D P § 3. I n diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß nach BT/SPD § 5 der Einbringer einer v o m Vorstand abgelehnten Vorlage verlangen kann, daß die Ablehnung der F r a k t i o n mitgeteilt w i r d . 157 Bericht S. 6 f. 158 Dazu auch Bratfisch (W), S. 55 f. 158 Dazu Bericht, S. 57 ff. 158

2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

74

tariat und die Kosten der Informations- und Bildungsarbeit der Fraktion. Diese Geldmittel werden zum überwiegenden Teil aufgebracht durch M i t t e l aus dem Parlamentsetat, zu einem geringen Teil aus Beiträgen 1 6 0 , Sonderumlagen 161 , Bußen der Fraktionsmitglieder und aus freiwilligen Spenden. Die Zuwendungen aus dem Etat des Parlamentes bestehen meist aus einem gleichen Sockelbetrag für jede Fraktion des Parlaments und einem der Mitgliederzahl der Fraktion entsprechenden Betrag: für jedes M i t glied pro Monat oder pro Jahr eine bestimmte Summe. I m Bundestag erhalten die Fraktionen außerdem noch Zuschläge für ihren Gesetzgebungsdienst. Die Zuwendungen sind oft zweckgebunden: für Kosten des Sekretariats, für Informations- und Bildungsarbeit, für die Unterhaltung eines Fraktionskraftfahrzeuges. Die Haushaltspläne (1965) von Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein entziehen die Prüfung dieser Titel den Rechnungshöfen 162 . Die Fraktionen sollen die ordnungsgemäße Verwendung dieser M i t t e l i n eigener Verantwortung prüfen und den entsprechenden Nachweis i n Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und Schleswig-Holstein durch Vorlage eines Prüfungsvermerks gegenüber dem Vorstand, bzw. dem Präsidenten und den Vizepräsidenten des Landtags erbringen. Die Fraktionen erhielten aus dem Parlamentsetat, der Höhe nach gestaffelt, i m Jahre 1965 folgende Beträge: Nordrhein-Westfalen 5 640 000,— DM, Bundestag 3 123 200,— DM, Bayern 2000000,— DM, Niedersachsen 1353600,— DM, Hessen 603200,— DM, Saarland 576000,— DM, Hamburg 522000,— DM, Berlin 402000,— DM, Schleswig-Holstein 304700,— DM, Bremen 75000,— D M 1 6 3 . Obwohl nur eine Fraktionssatzung diese Geldquelle erwähnt, geben dennoch über die Hälfte aller Fraktionen an, daß sie ihre Auslagen allein durch diese M i t t e l deckten 164 . Demgegenüber sind alle anderen Finanzquellen der Fraktion zweitrangig, auch die Beiträge, die, sofern sie überhaupt noch erhoben werden, regelmäßig von der Vollversammlung festgesetzt 165 und unmittelbar bei der Parlamentskasse aus den dem Abgeordneten zustehenden Beträgen einbehalten werden 1 6 6 . 160

Lambach (W), S. 17. BT/SPD §§ 28,32. 1ββ So die Erläuterungen zu den entsprechenden, oben S. 15 A n m . 9 angegebenen Haushaltsstellen. 168 Siehe oben S. 15 A n m . 8 u n d 9 angegebenen Haushaltsstellen. 184 Bericht S. 58. 181

185

BT/SPD § 28; B T / F D P § 4; L T BW/SPD § 9.

188

Siehe Beschluß der BT/SPD v o m 28. 9.61, K u r z p r o t o k o l l S. 2.

F. Rechtsgeschäftlicher Verkehr

75

Der Fraktionsvorstand, der Vorsitzende oder ein besonderes Gremium stellt i n der Regel für jedes Jahr einen Haushaltsplan auf 1®7. Dieser w i r d durch die Fraktionsversammlung verabschiedet. Die Rechnungsführung obliegt meist einem dazu bestimmten Vorstandsmitglied (Schatzmeister, Fraktionskassierer). Die Verfügungsbefugnis über die M i t t e l ist unterschiedlich geregelt 168 . Für die laufenden Ausgaben des täglichen Bedarfs hat der Vorsitzende oder der Geschäftsführer, bisweilen zusammen m i t einem anderen Vorstandsmitglied, die Verfügungsmacht. Für außergewöhnliche Ausgaben liegt die Verfügungsbefugnis beim Vorsitzenden oder beim Vorstand. Manchmal w i r d die Zustimmung der Fraktion gefordert. Bei der Rechnungsprüfung ist eine laufende Kontrolle durch den Vorstand oder gewählte Kassenprüfer 169 von einer periodischen Kontrolle zu unterscheiden. Letztere erfolgt i n Abständen von 1/A Jahr bis zu einem Jahr und w i r d von besonderen Prüfungsinstanzen durchgeführt 1 7 0 . Diese Prüfungsinstanzen sind entweder gewählte Fraktionsmitglieder, M i t glieder des Vorstandes oder Wirtschaftsprüfer. Die Ergebnisse dieser Prüfungen werden dann der Fraktion zur Entlastung des Vorstandes vorgelegt. Ein Unterschied i n der Prüfung hinsichtlich der einzelnen Quellen ist nicht feststellbar. Bisweilen erfolgt die Prüfung auch durch den Rechnungsprüfer der Parteiorganisation. Über die Prüfung durch den entsprechenden Rechnungshof — soweit eine solche überhaupt gefordert w i r d — ist nichts zu erfahren, besonders nichts über A r t und Umfang einer solchen Prüfung. Einige Fraktionen erwähnen die Notwendigkeit einer schriftlichen Bestätigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Parlamentszuschüsse durch den Fraktionsvorsitzenden gegenüber dem Parlamentspräsidenten 171 . Eine Fraktion läßt ihre Finanzen durch den Finanzminister i n seiner Eigenschaft als „Aufsichtsperson der Generalfinanzkontrolle" prüfen. Hierbei kann es sich nur u m eine Regierungsfraktion handeln. Denn allgemein läßt sich sagen, daß die Fraktionen eine besondere Scheu vor einer öffentlichen Finanzkontrolle haben. F. Rechtsgeschäftlicher Verkehr 1 7 2 Über die generelle Vertretungsbefugnis des Vorsitzenden nach innen und nach außen wurde oben schon berichtet. Sie gibt dem Vorsitzenden 167

BT/SPD § 30 hier: „Wirtschafts- u n d Stellenplan." L T BW/SPD §10. L T BW/SPD § 4 „Schatzmeister". 170 BT/SPD § 31 ; L T BW/SPD § 5. 171 Beschluß des Präsidiums des Nds L T v. 15. 2. 62, zitiert nach U r t e i l des Nds S t G H 3/62, Nds L T 4. WP, DS Nr. 1069, S. 5634. 178 Bericht S. 21 ff. 1β8

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

bisweilen auch eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis. Oftmals ist der Vorsitzende aber intern gebunden und nicht zur Vornahme von Rechtsgeschäften befugt oder wenigstens nicht allein 1 7 3 . Das ist dann der Fall, wenn die Gesamtvertretung des Vorstandes (Unterschriftsleistung aller Vorstandsmitglieder) vorgesehen ist oder die des Vorsitzenden mit einem anderen Vorstandsmitglied oder dem Geschäftsführer. Die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis des Vorsitzenden kann aber auch durch eine interne Geschäftsverteilung, durch Delegation einzelner Sachgebiete auf andere Vorstandsmitglieder oder den Geschäftsführer beschränkt sein; ferner dadurch, daß der Vorsitzende Geschäfte des „täglichen Bedarfs" vornehmen darf, bei „wichtigen Geschäften" aber die Zustimmung des Vorstandes oder der Vollversammlung der Fraktion einholen muß. Oftmals ist für die „Geschäfte des täglichen Bedarfs" auch der Geschäftsführer zur Vertretung der Fraktion befugt. Generell läßt sich sagen, daß sich eine einheitliche Regelung der Vertretung der Fraktion für den rechtsgeschäftlichen Verkehr nicht feststellen läßt. Dieser gesamte Komplex w i r d sehr leger gehandhabt. Man fürchtet, daß festgelegte Regeln das Leben der Fraktion beengen, daß sie auf Kosten der Praktikabilität gehen könnten. Zu bemerken ist dazu, daß sich die Geschäftspartner der Fraktion daran nicht stören. Sie kontrahieren m i t „der Fraktion": Banken richten Konten auf den Namen der Fraktion ein (nur i n 4 Fällen auf den Namen des Fraktionsvorsitzenden oder des Geschäftsführers 174 ), Haftpflichtversicherungen versichern die Kraftfahrzeuge der Fraktion, die Angestellten schließen Arbeitsverträge mit der Fraktion, nur selten m i t „dem Fraktionsvorstand" 1 7 5 , „dem Fraktionsvorsitzenden" oder dem „Geschäftsführer der Fraktion" 1 7 6 . I n drei Fällen ist allerdings auch das entsprechende Organ der Partei der Arbeitgeber 1 7 7 . Zu den Arbeitsverträgen läßt sich noch folgendes feststellen: sie beruhen i n der Mehrzahl der Fälle auf freier Vereinbarung. Einige Fraktionen halten allerdings die Tarifordnung für Angestellte des öffentlichen Dienstes für unmittelbar anwendbar. Einige Fraktionen bemühen sich u m eine solche Anerkennung. Die meisten Fraktionen geben an, daß die Arbeitsverhältnisse „ i n Anlehnung" an diese Tarifordnung auszugestalten seien 178 . Eine Fraktion richtet sich nach den „Besoldungsregeln der Beamten". 173 174 175 176 177 178

L T BW/SPD §§ 4,10. ζ. B.: Hbg BS/SPD, Eckström. BT/SPD § 36. H b g BS/CDU, Drews. Der Parteivorstand nominell bei der BT/SPD nach Goller. BT/FDP, Schaible.

H. Fraktion und Partei

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G. V e r t r e t u n g vor G e r i A t 1 7 9

Die Fraktion kann vor Gericht auftreten, wenngleich diese Fälle bisher äußerst selten waren. Sie w i r d dann durch ihre Vorsitzenden oder den gesamten Vorstand vertreten. I n einem Fall wurde Klage gegen die i m Rubrum einzeln aufgeführten Vorstandsmitglieder erhoben. H . F r a k t i o n und P a r t e i 1 8 0

Über das grundsätzliche rechtliche Verhältnis zwischen Partei und Fraktion enthalten die Fraktionssatzungen keine Angaben. Sieht man von den Parlamenten ab, i n denen auch parteilose Abgeordnete eine Fraktion bilden können, sieht man ferner von den Fraktionen ab, die sich aus Mitgliedern mehrerer Parteien, aus Parteimitgliedern und parteilosen Abgeordneten zusammensetzen, so kann man m i t Henke davon ausgehen, daß die Fraktion die „Partei i m Parlament" 1 8 1 ist. Zwischen Partei- und Fraktionsführung besteht Personalunion, zumindest eine enge Verflechtung 182 . Diese Tatsache w i r d an Einzelregelungen innerhalb der Fraktionen deutlich: i n 24 Fraktionen können nur Parteiangehörige ipso iure die Mitgliedschaft erwerben, nur bei 6 Fraktionen ist das ausdrücklich auch für parteilose Abgeordnete möglich, und zwar wenn diese von der Partei nominiert wurden 1 8 3 . I n 2 Fraktionen erlischt die Fraktionsmitgliedschaft automatisch mit der Parteimitgliedschaft 184 . Einige Fraktionen kennen als Ausschlußgrund „parteischädigendes Verhalten" 1 8 5 . Einige Fraktionssatzungen verlangen, daß der Vorstand seine Arbeit i m Einvernehmen mit der Parteiführung verrichten soll, daß die Mitglieder eingedenk sein sollen, daß sie auch die Partei repräsentieren, daß überhaupt eine laufende Verbindung zwischen Partei und Fraktion aufrechterhalten werden soll, damit Partei- und Fraktionsstellen gut zusammenarbeiten können 1 8 8 . Durch die zahlreichen Mitwirkungsrechte von Parteifunktionären bei der Fraktionsarbeit w i r d die Übereinstimmung zwischen Partei und 179

Bericht S. 66. Bericht S. 54 L; Duverger, S. 195—214. 181 Henke, Recht der Parteien, S. 110; die gleiche Formulierung findet sich auch schon bei Lebenstein (W), S. 16. 182 Domes, S. 47; Dübber, A n den Stellwerken, S. 103, 108 f.; Duverger, S. 195f.; Henke, S. I l l ; Kaak, S. 91; Kirchheimer, S. 316; Kremer, S. 31 f.; Lohmar, S. 74; Michels, S. 134 ff.; Wildenmann, S. 154. 183 Bericht, S. 4. 184 Bericht, S. 6. 185 Bericht, S. 7. 188 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 531 f. 180

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2. Kapitel: Die Fraktion im Jahre 1966

Fraktion gewährleistet und überwacht. Die Partei w i r k t m i t bei der Konstituierung der Fraktion. Hohe Parteifunktionäre können an den Fraktionssitzungen 187 und auch an den Sitzungen des Fraktionsvorstandes teilnehmen 1 8 8 . Sie haben dieses Recht kraft ihres Amtes, oder es w i r d ihnen besonders verliehen. Der Parteivorstand hat bisweilen ein Einberufungsrecht zu außerordentlichen Fraktionssitzungen. Bei der Besetzung des Fraktionsvorstandes soll nach einer Fraktionssatzung die Stärke der Parteibezirke angemessen berücksichtigt werden. Zu nennen ist auch i n diesem Zusammenhang § 29 der Geschäftsordnung der Fraktion der SPD i m Bundestag, wonach Überschüsse aus den Fraktionsbeiträgen der Abgeordneten an den Parteivorstand abzuführen sind, und außerdem noch die zahlreichen schon erwähnten Hilfsfunktionen der Partei: Arbeitgeber des Fraktionspersonals, Rechnungsprüfung, Durchführung von Rechtsgeschäften für die Fraktion usw. Wildenmann hat i n seiner eingehenden Studie „Partei und F r a k t i o n " 1 8 9 nachzuweisen versucht, daß die Parteiführungsstäbe die eigentliche politische Macht auch innerhalb des Parlaments besäßen und die Fraktionen lediglich ihre Organe, Instrumente seien 190 . Späteren Untersuchungen muß es vorbehalten bleiben, ob man davon auch i m Rechtssinne sprechen kann. Es ist jedoch schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß weder nach den Satzungen der Fraktionen, noch nach denen der Parteien eine solche organisatorische Eingliederung der Fraktion als Ganzes vorgenommen w i r d 1 9 1 . Man kann diese Problematik auch von den Fraktionen aus sehen und sagen, daß die Fraktionen einen erheblichen Einfluß auf die Parteien ausübten und daß ihre Führungsstäbe i n den Parteien bestimmten 1 9 2 . Die Fraktionsmitglieder äußern sich sehr bestimmt dahingehend, daß ihre Gemeinschaft nicht organisatorischer Teil der Partei sei 1 9 3 , sondern daß 187

Bericht, S. 13; B T / F D P § 10. Bericht, S. 16; B T / F D P § 5. 189 Meisenheim a. d. Glan, 1954. 190 Wildenmann, S. 155, 162; so auch: Abendroth, S. 332 f.; Böhm, S. 833; Deneke, S. 524; Eisermann, S. 74, 78 f.; Kafka, S. 84; an diesem Ergebnis zweifeln: Bergsträsser, L., Parteien — Fraktionen, S. 87 f., i n seiner Besprechung dieser A r b e i t von Wildenmann; Kaak, S. 103; Lohmar, S. 74 A n m . 201. 191 F ü r die Fraktionen des BTes: Kaak, S. 84 ff., 102 ff.; Lohmar, S. 75; Werberger, S. 112 ff. 192 Domes, S. 135 f.; Dübber, A n den Stellwerken, S. 102 f.; v. d. Gablenz, S. 9; Koellreutter (W), Parteien, S. 49; Kirchheimer, S. 316 f.; Kremer, S. 95; Lohmar, S. 75; Menzel, S. 597; Röder (W), S. 90, 93 f.; Rollmann, i n Die Zeit, Nr. 2 v. 7.1. 66, S. 26, fordert ein stärkeres Eigengewicht der Partei neben Regierung u n d F r a k t i o n ; so f ü r England: Fraenkel, Deutschland, S. 56. 193 Hbg BS/SPD, Eckström; Kaak, S. 91; I P A DS K F Nr. 1 v. 15. 6. 62, S. 21 ff.; I P A DS Nr. 312 v. 11.10. 63; Abgeordneter Rolling i n : I P A K F - D S Nr. 4 v. 12.10. 62, S. 19 f. 188

H. Fraktion und Partei

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die Fraktion neben der Partei stehe und eine gewisse Unabhängigkeit von der Partei zu erstreben bemüht sei. Lohmar 194 spricht von einem „Dualismus von Parteiführung und Fraktionen". Die Abgeordneten gehören allgemein zur Führung der Partei 1 9 5 . I n der Tat kommt es bisweilen sogar vor, daß die Fraktion eine Entscheidung gegen die Parteiführung fällt 196.

194

Lohmar, S. 79,88. Kremer, S. 31: die F r a k t i o n ist der „ E x t r a k t " der Partei; Lohmar, S. 112; Michels, S. 134 ff. 1M Domes, S. 125 ff.; Raak, S. 102 ff.; Leibholz, Strukturwandel, S. 20; ders., Parteienstaat u. repräsent. Dem., S. 3; Lohmar, S. 87; Michels, S. 135 ff. 195

Drittes Kapitel

Die Funktionen der Fraktion Nach der Schilderung der äußeren und inneren Verfassung der Fraktion ist es zur Ergründung ihres rechtlichen Wesens notwendig, einiges über ihre Funktionen zu sagen. Hier gilt es wiederum anzumerken, daß weder i n den Verfassungen noch i n den parlamentarischen Geschäftsordnungen, noch an einer sonstigen Stelle des geschriebenen Rechts ausdrücklich etwas über die Funktion der Fraktion gesagt wird. Allerdings w i r d vielfach davon gesprochen, daß die Geschäftsordnungen der Parlamente und auch sonst vereinzelte Normen die Fraktionen mit Rechten und Pflichten ausstatteten 1 . Dieser Normen-Komplex soll daher an erster Stelle untersucht werden. Dabei ist jedoch eine Vorbemerkung notwendig: Wenn i m folgenden von „Rechten" und „Pflichten" der Fraktion gesprochen wird, dann ist das an dieser Stelle der Untersuchung terminologisch zweifelhaft. Weil nämlich noch keinerlei Aussagen über die Rechtsnatur der Fraktionen gemacht werden konnten, steht noch nicht fest, ob die Fraktion überhaupt Rechte und Pflichten haben kann. Beide Begriffe werden daher i n einem untechnischen Sinne gebraucht. Dies geschieht zur Vereinfachung, aber auch deshalb, weil i m geschriebenen Recht, i n der Rechtsprechung und i m Schrifttum i n diesem Zusammenhang auch sonst von „Rechten" und „Pflichten" der Fraktion gesprochen wird. Hiermit sind Rechtspositionen gemeint, die den Fraktionen als solchen gegenüber den Parlamenten oder anderen staatlichen Stellen zustehen, bzw. diesen gegenüber den Fraktionen und die i n irgendeiner Weise, sei es gerichtlich oder faktisch durchsetzbar sind. Die Funktionen der Fraktion lassen sich jedoch nicht nur anhand dieser Normen bestimmen. Die Normen spiegeln sogar die Funktionen nur sehr unvollkommen wider. Die Fraktionen erfüllen nämlich i n erster Linie Funktionen, die i m Bereich des ungeschriebenen Geschäftsordnungsrechts der Parlamente, oder richtiger wohl i n einem überhaupt normenfreien Bereich, angesiedelt sind. Daher soll eine Untersuchung dieses Bereichs der Untersuchung der Normen folgen. 1 Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 245; v. d. Heydte, Soziologie, S. 78; Lebenstein (W), S. 122; Moecke, Rechtsnatur, S, 279; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 167; Radbruch (W), Die politischen Parteien, S. 292; Rinck, S. 53 ff., 60 f.

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

81

A . D i e Funktionen der F r a k t i o n nach den N o r m e n des geschriebenen Rechts

Da keine Norm eine besondere Auskunft über die Funktionen der Fraktion i m allgemeinen gibt, bleibt lediglich der Weg einer Sichtung und systematischen Ordnung aller der Bestimmungen, die möglicherweise etwas für die Beantwortung der gestellten Frage hergeben. Dabei ist eine Beschränkung auf die Normen, die die Fraktionen m i t Rechten und Pflichten ausstatten, nicht möglich, da die Fraktionen über die Ausfüllung dieser Rechte und Pflichten hinaus noch andere Tätigkeiten entfalten, die nicht normiert sind, die aber doch zu ihren Funktionen gehören. Es sollen daher auch die Bestimmungen i n die Betrachtungen einbezogen werden, die sich allgemein auf die Tätigkeit der Fraktionen beziehen, ihre Arbeit sowie die Arbeit i n ihnen besonders qualifizieren und honorieren und somit die Stellung der Fraktion i m Parlament kennzeichnen. Da weitaus der größte Teil der Normen, die für die Untersuchung i n Betracht kommen, zum Geschäftsordnungsrecht der Parlamente gehört, soll dieses zunächst untersucht werden. I . Das Geschäftsordnungsrecht der Parlamente

Die Fraktionen werden von den geltenden Geschäftsordnungen der 12 deutschen Parlamente sehr unterschiedlich berücksichtigt: Die Geschäftsordnung des Landtages von Bayern, als die längste, nennt das Stichwort „Fraktion" am häufigsten, nämlich i n ihren 153 Paragraphen 73mal; ihr folgt die Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses, die i n 98 Paragraphen die Fraktion 52mal erwähnt. I n der kürzesten Geschäftsordnung, der des Landtages von Schleswig-Holstein, taucht der Fraktionsbegriff i n 70 Paragraphen 16mal auf und i n der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft i n 75 Paragraphen 18mal. I m folgenden soll nun versucht werden, die Bestimmungen systematisch zu ordnen. Da diese systematische Ordnung vorgenommen wird, u m allgemeine Aussagen über die Funktionen der Fraktion machen zu können, ist es nicht erforderlich, auf alle Einzelregelungen der 12 Geschäftsordnungen mit ihren insgesamt 1268 Paragraphen einzugehen. Vielmehr muß hier generalisierend vorgegangen werden. Für den angestrebten Zweck ist es beispielsweise wichtiger festzustellen, daß die Fraktion i m Plenum Anfragen an die Regierung stellen kann, als i m Einzelfall aufzuzeigen, wann und wo sie zur Stellung großer Anfragen befugt ist und wann und wo sie nur kleine Anfragen einbringen kann. Infolgedessen sind Einzelheiten, die sich oftmals aus der Größe und der besonderen Zusammensetzung des Parlaments ergeben können, vernachlässigt worden. Außerdem sind i n den Anmerkungen nur die Geschäftsordnungsbestimmungen 6 Hauenschild

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3. Kapitel : Die Funktionen der Fraktion

genannt, die sich zu dem betreffenden Punkt ausdrücklich äußern. Das bedeutet aber nicht, daß nur i n den genannten Parlamenten diese Regelungen gelten. Vielfach ergibt sich die gleiche Regelung aus dem Gesamtzusammenhang der Geschäftsordnung oder sie gilt kraft Gewohnheitsrechts, zum Beispiel die Anwendung des Systems d'Hondt für die Verteilung der Ausschußsitze. Als Gliederungspunkte für die folgende Untersuchung bieten sich die Rechte der Fraktionen einerseits und ihre Pflichten andererseits an. Weiterhin ist noch ein dritter Gesichtspunkt zu wählen, der für die Untersuchung interessant ist: eine große Anzahl der Bestimmungen läßt eine Bevorzugung der Fraktionen i m parlamentarischen Betrieb vor einzelnen Abgeordneten sowie vor sonstigen Abgeordnetengruppen, die nicht Fraktion sind, erkennen; andere Bestimmungen lassen Rückschlüsse auf den Charakter der Arbeit i n den Fraktionen zu; alle diese Normen machen allgemeine Aussagen über die Tätigkeit der Fraktionen. Da sich aus ihnen deshalb möglicherweise Folgerungen für die Funktionen der Fraktion ziehen lassen, sollen die Geschäftsordnungen auch unter diesem Gesichtspunkt geprüft und gesichtet werden: Bestimmungen m i t Bezug auf die Arbeit der Fraktionen.

1. Die Rechte der

Fraktionen

2

Die Rechte der Fraktion kann man grob i n drei Gruppen gliedern: Z u der ersten Gruppe zählen die Rechte, die es den Fraktionen ermöglichen, die Arbeit des Parlaments durch Initiativen i m Plenum i n Gang zu bringen und zu steuern. Diese Rechte werden i m folgenden kurz „ I n i t i a tivrechte" genannt. I n einer zweiten Gruppe lassen sich die Rechte zusammenfassen, die eine Beteiligung der Fraktionen i n der gesamten Arbeit des Parlaments gewährleisten sollen, kurz die „Beteiligungsrechte". Die dritte Gruppe bilden schließlich die Bestimmungen, die den Schutz der Fraktion bezwecken und daher „Schutzrechte" genannt werden. a) Die Initiativrechte Dem Inhalt nach kann man 2 Arten von Initiativrechten unterscheiden: Die Fraktionen können erstens Anträge stellen, die sich lediglich auf die Form des Ablaufs der parlamentarischen Verhandlungen beziehen: Verkürzung und Aufhebung von Fristen 3 , Schlußanträge 4 , Anträge auf 2 3 4

Dazu Radbruch (W), Die politischen Parteien, S. 292. GO B W §50. GO B W § 76; GO Bay § 102 I V ; GO B i n § 63 V I I ; GO S L A r t . 34 I V .

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

83

namentliche Abstimmung®, Widerspruch gegen Änderung oder Nichtbeachtung der Tagesordnung 6 , Anträge auf Wiederholung oder Aussetzung einer Abstimmung 7 , Anträge auf Herbeirufung von Regierungsmitgliedern 8 , Anträge aus Ausschluß der Öffentlichkeit 9 , Anträge auf Einberufung des Ältestenrates 10 , Anträge auf Besprechung von Berichten und Antworten der Regierung auf mündliche, kleine und große A n fragen 11 , u. a. m. Die Fraktionen haben zweitens das Recht, sachliche Initiativen durch Stellung von Anträgen der verschiedensten A r t 1 2 zu ergreifen. Hierzu gehören vor allem Gesetzesanträge 13 und Anträge auf Annahme von Entschließungen 14 ; die Fraktionen können kleine und große Anfragen an die Regierung richten 1 5 ; meist ist zur Stellung von Abänderungsanträgen i n der 3. Lesung eines Gesetzes die Unterstützung durch eine Fraktion notwendig 1 6 ; auch bei Anträgen auf Änderung der Geschäftsordnung ist dies bisweilen der Fall 1 7 . Die Initiativrechte lassen sich ferner formell danach unterscheiden, ob sie überhaupt nur Fraktionen zustehen oder ob sie einerseits den Fraktionen zustehen, andererseits aber auch einer Anzahl von Abgeordneten, die größer oder zumindest genauso groß sein muß wie die Mindestmitgliederzahl einer Fraktion. Fast alle genannten Initiativrechte stehen nicht nur den Fraktionen, sondern auch „wildgewachsenen" Abgeordnetengruppen zu. Eine Beantwortung der Frage, welche Initiativen nur eine Fraktion ergreifen kann und welche auch eine sonstige Abgeordnetengruppe mit Fraktionsstärke oder mehr Mitgliedern, ist generell nicht möglich. Nach den Geschäftsordnungen des Bundestages und der Parlamente von Bremen und dem Saarland können alle Initiativen auch von zufälligen Abgeordnetengruppen ergriffen werden, die die Mindeststärke einer Fraktion erreichen. Nach den Geschäftsordnungen der Landtage von Bayern, Nieder5

GO B W § 94 I I I ; GO B i n § 75 I ; GO N W § 54 I ; GO SL A r t . 66 I. « GO B W § 75 I I I . 7 GO B T §§ 87, 88; GO B W § 49; GO Bay §§ 64, 141; GO Hes § 105; GO S L A r t . 68. 8 GO B W § 38 I I ; GO Bay § 126; GO B i n § 88; GO Hes § 42. 9 Verf RP A r t . 86; GO RP § 17 I ; GO S L A r t . 33 I I . 10 GO B i n § 18 I I ; GO H b g § 13 I I . 11 GO B W §§ 58 V I , 61 I I ; GO B i n §§ 40 I I , 45 I V , 47 I I , 48 I ; GO Hes § 71; GO Nds § 49 I V ; GO N W § 94 I I I ; GO S L A r t . 81 I I I . 12 GO B T § 97; GO Bay § 67 I ; GO B i n § 38 I ; GO Bre § 31 I I I ; GO Nds § 38 I ; GO RP § 52 I I ; GO S L A r t . 381. 18 GO B W § 52; GO Bay § 57 I ; GO Hes § 46; GO S L A r t . 38 I ; GO S H § 29 I I . 14 GO B T § 8 1 I I 2 ; GO B i n § 3 9 I I ; GO Nds § 39 I. 15 GO B T §§ 75 I V , 110; GO B W § 59; GO B i n § 46 I, I I ; GO Hes § 62; GO Nds § 491; GO N W § 93 I ; GO RP § 88 I ; GO SL A r t . 811; GO SH § 35 I. 18 GO B T § 86; GO B W § 47 I I ; GO B i n § 33; GO Hes § 48 I I ; GO Nds § 39 I. 17 GO B W § 102.

6*

84

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

sachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein müssen sich mehr Abgeordnete zusammentun, als notwendig sind, u m eine Fraktion zu bilden. I n Baden-Württemberg, Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz genügt i n der Regel eine freie Gruppe m i t Fraktionsstärke und nur i n Einzelfällen müssen es mehr sein 18 . I n Hamburg kann nur i n einem F a l l 1 9 eine Abgeordnetengruppe m i t Fraktionsstärke eine Initiative ergreifen, i n allen anderen Fällen müssen es mehr Abgeordnete sein 20 . Ein Grund für diese nur i n Einzelfällen unterschiedliche Regelung ist nur i m Fall des § 44 I der Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses ersichtlich: Mißtrauensanträge sollen nur Fraktionen stellen oder Gruppen von mindestens einem Viertel der anwesenden Abgeordneten, nur dann ist ein solcher Antrag „seriös". Einige Bestimmungen behalten ferner einzelne Initiativen nur den Fraktionen vor 2 1 . Ein gemeinsamer Grund für diese Besserstellung der Fraktionen ist nicht ersichtlich; allenfalls könnte man annehmen, daß ein Teil dieser Bestimmungen 2 2 dem Schutz der kleinen Fraktionen vor Majorisierung durch die großen dienen und ein anderer 23 eine straffe Durchführung der parlamentarischen Arbeit gewährleisten soll: Nicht zufällige und kurzlebige Gruppierungen sollen diese Initiativen ergreifen dürfen. Wenn wieder andere 24 schließlich bestimmen, daß nur Fraktionen die Einberufung des Ältestenrates verlangen können, so ist das keine Besonderheit, da i n i h m ohnehin nur die Vertreter der Fraktionen sitzen. b) Die Beteiligungsrechte U m eine Beteiligung der Fraktionen an der gesamten Arbeit des Parlaments sicherzustellen, ist vor allem eine Vertretung der Fraktionen i n den Gremien notwendig, die die Arbeit des Plenums vorbereiten. Die Fraktionen haben daher ein durch die Geschäftsordnungen der Parlamente 25 , vereinzelt sogar durch die Verfassungen 26 , ausdrücklich garan18

GO B W § 37 I I I ; GO B i n § 44 I ; GO Hes §§ 42, 71; GO L T RP §§ 17 1,101 I I I . GO Hbg § 33 I. 20 GO Hbg §§ 20 I I , V, 38 I , 86; der G r u n d f ü r diese unterschiedliche Behandl u n g liegt vermutlich darin, daß man bei Herabsetzung der Mindeststärke für Fraktionen von 10 auf 6 diese Bestimmungen übersehen hat. 21 GO B W § 26 I I I ; GO B i n §§ 18 I I , 31 I I , I I I , 33, 38 I I , 40 I I , 46 I I , 63 V I I , 75 I ; GO Bre § 63 I I ; GO H b g § 13 I I . « GO B i n §§ 31 I I , I I I , 38 I I , 751; GO Bre § 63 I I . 23 GO B W § 26 I I I ; GO B i n §§ 33, 40 I I , 46 I I , 63 V I I , 75 I. 24 GO B i n § 18 I I ; GO H b g § 13 I I . 25 GO B T §§ 12, 13; GO B W §§ 14, 19 I I I ; GO Bay §§ 10 I, 16 I, 17 I, 20 I I , 46; GO B i n § 7 I V ; GO H b g § 10; GO Hes §§ 10, 35; GO Nds §§ 4 I, 9 I ; GO N W § 18; GO S L A r t . 9, 10, 18 I , 30; GO S H §§ 7 I, 10 I, 12 I I ; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 376. 28 Verf. Bre A r t . 86 1,105 I I ; Verf. RP A r t . 911; Verf. S L A r t . 72 I I , 80. 19

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

85

tiertes Recht auf Beteiligung an den verschiedenen Vorbereitungs- und Leitungsgremien des Parlaments: am Vorstand, am Ältestenrat, an den regulären Ausschüssen, sowie an den Untersuchungsausschüssen und i n Bayern am Zwischenausschuß. Recht auf Beteiligung bedeutet jedoch nur, daß jede Fraktion durch wenigstens ein Mitglied i m Vorstand und i m Ältestenrat vertreten ist und daß jede Fraktion bei der Verteilung der Ausschußsitze zu berücksichtigen ist. I n diesem Zusammenhang spielt der Proporz, das Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen, eine entscheidende Rolle: Die Fraktionen haben das Recht auf anteilsmäßige Beteiligung am Vorstand, Ältestenrat, an den Ausschüssen und den Stellen der Ausschuß Vorsitzenden; das Recht auf Beteiligung an den genannten Gremien des Parlaments steht somit zwar als solches jeder Fraktion zu; i n welchem Maße sie es jedoch i n Anspruch nehmen kann, ist abhängig von der Zahl ihrer Mitglieder 2 7 . Wie dieses Recht i m Einzelfall wahrgenommen werden kann, ist sehr unterschiedlich geregelt: Teilweise obliegt es der Fraktion, die entsprechenden Mitglieder auszuwählen und selber zu benennen 28 , teilweise kann sie dem Parlament oder, i m Fall der Wahl der Ausschußvorsitzenden, dem Ausschuß Vorschläge unterbreiten. Das Parlament bzw. der Ausschuß muß dann entsprechend der Fraktionsstärke eine einzelne oder eine bestimmte Zahl der vorgeschlagenen Personen wählen 2 0 . Für alle Parlamente einheitlich läßt sich nichts sagen; i n der Praxis ist wohl der Regelfall, daß die Fraktion ernennt und das Parlament bzw. der entsprechende Ausschuß nur noch bestätigt 30 . U m eine Berücksichtigung aller Fraktionen bei der Verteilung der Sitze i n den genannten Gremien zu ermöglichen, werden bisweilen die Zahlen der zu verteilenden Sitze verändert: Es werden zusätzliche Schriftführer27 GO B T § 12; GO B W §§ 14, 19 I I ; GO Bay §§ 8 I I , 10 I 2 b, I I ; GO B i n § 9 1; GO H b g §§ 10, 62 I ; GO Hes § 10; GO Nds § 4 I ; GO N W § 18; GO S L A r t . 9, 10: GO S H § 12 I I . 28 GO B T §§ 6, 13, 68 I I ; GO B W § 14; GO Bay §§ 16 I, 27 I ; GO B i n §§ 17, 19, 20 I I I ; GO H b g §§ 11, 62 I I ; GO Hes §§ 20, 25 I I ; GO Nds §§ 5 I, 18 I I ; GO N W §§ 19, 24 I ; GO PR §§ 9, 79 I ; GO S L A r t . 18 I, 20 I I I ; GO S H § 7 I ; Stier Somlo (W), Parlament, S. 370; Trossmann, S. 35. 29 GO B T § 3 i V m § 12, 69 I ; GO B W § 19 I I , I I I ; GO Bay §§ 10 I, 20, 46; GO H b g § 101; GO Hes §§ 12 I I , 26 i V m § 10; GO Nds § 9 I, I I i V m § 8 I ; GO N W § 8 I I I ; GO RP §§ 3, 76 I ; GO S L A r t . 10, 20 I I i V m A r t . 9; GO S H §§ 10 I , 12 I I ; Trossmann , S. 37. 80

S. 48.

GO Bay § 17 I ; GO N W § 8 I I I ; GO RP § 3; GO S L A r t . 20 I I ; Trossmann,

86

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

stellen i m Vorstand geschaffen 31 ; die Zahl der Ältestenratsitze w i r d variabel gehalten 32 und ebenso w i r d die Zahl der Ausschußsitze entsprechend festgesetzt 83 . A n einer Stelle w i r d sogar ausdrücklich gefordert, daß sich i n den Ausschüssen keine anderen Mehrheitsverhältnisse bilden dürfen als i m Plenum 3 4 . Stellt die stärkste Fraktion den Präsidenten des Parlaments 85 , so stellt die zweitstärkste den 1. Vizepräsidenten und die drittstärkste den 2. Vizepräsidenten, die viertstärkste den 1. Schriftführer, dann evtl. wieder die stärkste Fraktion den 2. Schriftführer usw. 8 6 . Die Stellen der Ausschußvorsitzenden, ihrer Vertreter, sowie die der Ausschußmitglieder werden auf die Fraktionen nach dem System d'Hondt verteilt 3 7 . Allerdings ist für die Verteilung der Stellen der Ausschußvorsitzenden und ihrer Vertreter entsprechend den Höchstzahlen nicht die jeweilige Nummer des Ausschusses maßgeblich, sondern seine politische Wichtigkeit. Die Fraktion, die jeweils an der Reihe ist, hat ein Wahlrecht 88 . Zu den Bestimmungen, die eine möglichst umfassende Beteiligung der Fraktion am gesamten parlamentarischen Betrieb gewährleisten sollen, gehören eine Reihe weiterer Einzelregelungen, die sich alle von der Geltung des Proporzgrundsatzes ableiten lassen: Wahlen innerhalb der Parlamente erfolgen nach dem Verhältniswahlsystem 39 . Die Fraktionen erstellen Listen ihrer Kandidaten, von denen die ihrer Stärke entsprechende Zahl als gewählt gilt. Auch die Reihenfolge richtet sich nach dem Stärkeverhältnis 4 0 . Die stärkste Fraktion stellt regelmäßig i n der Aussprache den ersten Redner 41 . I n der Fragestunde 31 GO B T § 3; GO Bay § 10 I I ; GO Hes § 12 i V m § 10; GO Nds § 8 I ; GO N W § 8 I I I ; GO RP § 3. 32 GO B T § 13; GO Bay § 161; GO B i n § 17; GO H b g § 11; GO N W § 19; GO SL A r t . 18 I ; GO S H § 71. 33 GO B T § 16 I ; GO B W § 19 I ; GO Bay § 26 I , I I I ; GO B i n § 20 I I I ; GO H b g § 61 I I I ; GO Hes § 25 I ; GO N W § 23; GO RP § 77 I I ; GO S L A r t . 20 I ; GO S H § 121, I I . 34 GO Hes §25 I. 35 GO Bay § 10 I ; GO Hes § 12 I I ; GO Nds § 8 I ; Roßmann (W), S. 22. 38 GO Bay § 10 I ; GO Hes § 12 I I ; GO Nds § 8 I i V m §§ 9, 4 I ; GO S L A r t . 10 i V m A r t . 8. 37 GO Bay § 17 I ; GO H b g §§ 10, 62 I ; GO Nds § 4 I ; GO N W § 24 I I ; GO RP § 78; GO SL A r t . 9 i V m A r t . 20 I I I ; Lechner-Hülshoff, § 12 GO B T A n m . 3, 4. 88 GO Bay § 17 I ; GO RP § 78; Trossmann, S. 31. 89 GO B T § 12; GO Bay § 54; GO B i n § 9 I ; GO H b g § 10; GO Hes §§ 10, 13 I I I ; GO Nds § 41; GO N W § 18; GO RP §§ 3,76 I ; GO SL A r t . 10. 40 GO B T § 11; GO B W § 17 I V ; GO Bay § 81; GO B i n § 8 I ; GO Hes § 9 I ; GO N W § 17; GO RP § 8; GO S L A r t . 8; Stier Somlo (W), Parlament, S. 370. 41 Thamm (W), S. 105; GO B W § 79 I I ; GO H b g § 21 I I ; GO Hes § 85 I ; GO Nds § 63 I ; GO RP § 27 I ; GO S L A r t . 51.

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

87

w i r d die Reihenfolge der Fragen unter Berücksichtigung der Fraktionsstärke festgelegt 42 . Damit können zunächst die stärksten Fraktionen ihre Fragen stellen. Da die Fragestunden zeitlich begrenzt sind, bietet sich hier ein Mittel, u m lästige Fragen kleiner Fraktionen von der Debatte auszuschließen. Der Proporz spielt weiterhin eine Rolle bei der Verteilung der Redezeit auf die einzelnen Fraktionen 4 3 , sofern das Parlament eine solche festsetzt: Die Fraktionen erhalten dann i n den meisten Parlamenten Redezeiten entsprechend ihrer Stärke. I m Berliner Abgeordnetenhaus gibt es dagegen die Regelung, daß alle Fraktionen die gleiche Redezeit erhalten 4 4 . c) Die Schutzrechte Die Bestimmungen der Geschäftsordnungen, die dem Schutz der Fraktionen dienen, bezwecken zweierlei: Erstens soll gewährleistet werden, daß jede Fraktion ihre Ansichten i m Parlament zur Geltung bringen kann und zweitens soll i n gewissem Umfang eine Majorisierung, nämlich die Überrumpelung der einzelnen Fraktion verhindert werden. Z u der Gruppe der Schutzrechte zählen i n erster Linie die Bestimmungen, die es den Fraktionen ermöglichen, ihre Ansichten und Meinungen i n besonderer Weise zum Ausdruck zu bringen. Daß jede Fraktion i m Parlament allgemein das Recht hat, ihre Meinung frei und ungehindert zu äußern, versteht sich von selbst und bedarf keiner näheren Begründung: Nachdem die Fraktionen durch die Geschäftsordnungen anerkannt worden sind, können sie auch durch ihre Sprecher die Fraktionsmeinung vertreten lassen. Dieses allgemeine, auch jedem Abgeordneten zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung w i r d jedoch für die Fraktionen ergänzt durch besondere Befugnisse: Wie schon erwähnt, steht nach einigen Geschäftsordnungen bei einer Redezeitbeschränkung allen Fraktionen die gleiche Redezeit zu 4 5 , nach anderen eine dem Stärkeverhältnis entsprechende 46 . Die Fraktionen sind berechtigt, nach nicht-namentlichen Abstimmungen schriftlich oder durch kurze mündliche Erklärungen ihr Votum zu begründen 47 , was dann i n die stenografischen Berichte aufgenommen wird. Auch wenn sie die zugeteilte Redezeit verbraucht haben, erhalten sie neue Redezeit, wenn ein Regierungsmitglied während der parlamentarischen Beratung das Wort er42 43 44 45 46 47

GO Bay §781. Thamm (W), S. 103; GO Bay § 111 I. GO B i n § 68. Siehe oben 44. Siehe oben A n m . 43. GO B W § 95 I I ; GO Hbg § 34; GO Hes § 111 I ; GO N W § 57 I.

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

88

greift 4 8 . Schlußanträge sind regelmäßig erst zulässig, wenn alle Fraktionen Gelegenheit hatten, ihre Meinung zu äußern 49 . I n dem oben skizzierten Recht auf Beteiligung an den parlamentarischen Gremien liegt auch das Recht auf Äußerung der Fraktionsmeinung i n diesen Gremien. Schließlich ist i n einer der jüngsten Geschäftsordnungen, der des Landtages von Rheinland-Pfalz 50 , statuiert, daß an Pressekonferenzen von Ausschüssen jede i n dem Ausschuß vertretene Fraktion m i t einem Vertreter zu beteiligen ist. Dem Schutz der Fraktion dient weiterhin, daß ihnen damit, daß sie ihre Mitglieder aus Vorstand, Ältestenrat und Ausschüssen abberufen können 5 1 , Möglichkeiten gegeben sind, der Fraktionsräson Nachdruck zu verleihen: Ist die Fraktion der Meinung, daß eines ihrer Mitglieder die Fraktion i m Ausschuß etwa nicht richtig oder nicht genügend stark vertritt, so kann sie das Mitglied — von wenigen Ausnahmen abgesehen — durch ein fraktionstreueres ersetzen. Die meist obligatorische Beteiligung aller Fraktionen an Vorstand, Ältestenrat und Ausschüssen gewährleistet neben der Möglichkeit zur Meinungsäußerung i n diesen Gremien eine kontinuierliche Unterrichtung aller Fraktionen von den anstehenden Problemen. Hier gilt es ferner anzumerken, daß der Ältestenrat bisweilen ein Parlamentsorgan ist, i n dem keine Beschlüsse gefaßt werden können, die auf einer Majorisierung der Minderheit beruhen 52 . Über die Tagesordnung soll eine „Verständigung" unter den Vertretern der Fraktionen herbeigeführt werden 5 3 . Folgerichtig darf die Tagesordnung auch nicht ohne weiteres geändert werden, sondern die Fraktionen sind von jeder Änderung zu benachrichtigen 54 ; nach einer Geschäftsordnung haben sie ausdrücklich ein besonderes Einspruchsrecht gegen die Änderung der Tagesordnung 5 5 . Es ist ersichtlich, daß hierin ein Schutz gegen Überrumpelung einzelner Fraktionen liegt: Keine Fraktion soll unvorbereitet i n die Debatte gehen müssen; die Besprechung eines Punktes der Tagesordnung, 48

GO B T § 48 I I ; GO Bay § 125 I I ; GO H b g § 8 1 I V ; GO B i n § 68 I V . GO B W § 82 I ; GO B i n § 66 I I I ; GO Hes § 83 I I ; GO N W § 46 I I I ; GO RP § 241; GO S H § 5 0 I V . 50 a.a.O. § 31 V. 51 GO Bay §§ 10 I I I , 16 I , 27 I ; GO N W §§ 19 I, 24 I ; GO RP § 79 I I I ; Bratfisch (W), S. 9; Trossmann, S. 35 f. 52 GO B T § 14 I ; GO SL A r t . 18 I V . 53 GO B T § 14 I ; GO B W § 16; GO Hbg § 12 I ; GO Hes § 22 I ; GO N W § 21; GO RP § 10 I ; GO S L A r t . 18 I V ; GO S H § 7 I I ; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 370. 54 Dazu auch Thamm (W), S. 63; GO B T § 14 I I ; GO H b g § 12 I I ; GO RP § 10 I I . 55 GO B W § 75 I I I . 49

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

89

den eine Fraktion u. U. mühsam durch Kompromisse und Zugeständnisse i n anderen Punkten erkauft hat, soll nicht ohne ihr Einverständnis abgesetzt oder verhindert werden. Auch die Geltung des Proporzgrundsatzes bei Wahlen und Abstimmungen dient dem Schutz der Fraktion und ihrer besonderen Auffassungen, sowie der Verhinderung einer einfachen Majorisierung: A l l e Fraktionen sind zu beteiligen und zu hören. Schließlich gibt es noch eine ganze Reihe von Bestimmungen, die das gleiche bezwecken, jedoch mehr organisatorischer, verfahrensmäßiger Natur sind: Ausschußvorsitzende und Stellvertreter sollen nicht derselben Fraktion angehören 56 ; die Berichterstatter der Ausschüsse sollen i n ihren Berichten vor dem Plenum alle i m Ausschuß geäußerten A n sichten berücksichtigen 57 ; der Berichterstatter soll nicht der gleichen Fraktion wie der Antragsteller angehören 58 ; nach der Begründung eines Antrags soll nicht ein Redner der Fraktion des Antragstellers zuerst das Wort ergreifen 5 9 ; i n Unterausschüssen soll jede i m Hauptausschuß vertretene Fraktion mindestens einen Sitz haben 6 0 ; durch Tod und Verlust des Mandats erledigte Abgeordnetensitze werden bis zur Neubesetzung bei der Fraktion mitgezählt, der der ausgeschiedene Abgeordnete angehört h a t 6 1 ; gelegentlich w i r d sogar zur Feststellung der Reihenfolge der Fraktionen und ihres Stärkeverhältnisses für die gesamte Legislaturperiode an dem Stand bei deren Beginn festgehalten 62 .

2. Die Pflichten

der

Fraktion

Es fällt auf, daß die Geschäftsordnungen den Fraktionen nur i n einer Hinsicht Pflichten auferlegen: A l l e Fraktionen müssen den Parlamentspräsidenten oder dem Präsidium den Tatbestand ihrer Bildung anzeigen, ferner die Fraktionsbezeichnung mitteilen sowie die Namen der Vorsitzenden, Mitglieder und Gäste 63 . Hinter dieser Pflicht steht, daß die Fraktion für das Parlament nicht existiert, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommt. Andere Pflichten der Fraktionen sind den Geschäftsordnungen nicht zu entnehmen. 58

GO BW § 21 I I ; GO Bay § 28; GO RP § 78 I I ; Trossmann, S. 31.

57

GO Hes § 33 V. GO B W §271.

58

59

GO BT § 33 I I ; GO BW § 79 I I ; GO Hes § 85 I I ; GO RP § 27 I I ; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 379; Thamm (W), S. 107. 60 81 82 83

GO Bay § 31 I I . GO B T § 9 I I ; GO B i n § 8 I I ; GO Hes § 9 I I ; GO N W § 17; GO RP § 8. GO Bay §8. Siehe oben S. 15 A n m . 6, 7.

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

90

Wenn dennoch i m Schrifttum von Pflichten der Fraktionen nach der Geschäftsordnung gesprochen w i r d 6 4 , so liegt der Gedanke nahe, daß man diese aus den oben geschilderten Rechten der Fraktionen konstruieren könnte. Ist das aber möglich? Eine Pflicht der Fraktion, i m Parlament eine Initiative zu ergreifen, kann sicher aus dem entsprechenden Recht nicht konstruiert werden. Es wäre immerhin denkbar, daß sich eine Fraktion aus ihr richtig erscheinenden politischen Gründen zu völliger Passivität i m Plenum entschließt, etwa u m durch diese A r t der Obstruktion die Arbeit des Parlaments lahmzulegen und Zugeständnisse bei ihren Forderungen zu erzwingen oder u m nach außen zu dokumentieren, daß sie m i t einem bestimmten Vorgehen des Parlaments, m i t bestimmten Entscheidungen und Beschlüssen nichts zu t u n haben w i l l 6 5 . Eine Pflicht, die zum Schutze der Fraktion eingeräumten Berechtigungen wahrzunehmen, läßt sich auch nicht konstruieren. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß man m i t rechtlichen Mitteln die Fraktion i n diesem Sinne „zu ihrem Glück zwingen" könnte. Fraglich wäre allenfalls, ob sich eine Pflicht der Fraktion zur Beteiligung an der parlamentarischen Arbeit konstruieren läßt. Denkbar wäre etwa die Pflicht, Mitglieder i m Vorstand, Ältestenrat und Ausschüsse zu entsenden, oder die Pflicht, Wahlvorschläge für diese Gremien zu unterbreiten. Aber auch diese Pflichten sind aus dem geschriebenen Geschäftsordnungsrecht nicht konstruierbar. Eine rechtliche Sanktion ist nicht ersichtlich und auch hier gilt, daß die Möglichkeit einer derartigen Obstruktion erhalten bleiben muß. Man muß hier allerdings eine Unterscheidung treffen: Die Pflicht des einzelnen Abgeordneten zur Mitarbeit i m Parlament w i r d von den Geschäftsordnungen statuiert 6 6 . Dabei ist jedoch zweifelhaft, was dies zu bedeuten hat. Allenfalls kann darin die Pflicht zur Teilnahme an den Sitzungen des Parlaments und zur Übernahme von Ämtern i m Parlament liegen 67 . Aber schon wenn man daraus eine Pflicht zur aktiven Teilnahme an der Debatte, eine Abstimmungspflicht ableiten wollte, ginge man zu weit. Es muß dem Abgeordneten ein völlig passives Verhalten erlaubt sein, wenn er nach ernsthafter, gewissenhafter Überzeugung keinen anderen Weg sieht. I m übrigen bleibt auch hier die Frage nach einer mög64 65

Lebenstein, S. 122; Moecke, Rechtsnatur, S. 279; Rinck, S. 15, 53.

Binding , Notwehr, S. 13 ff.; v. Gerlach, S. 54 ff. ββ GO B T § 16 I ; GO B W § 70; GO Bay § 3 I ; GO B i n § 1 1 ; GO Bre § 11; GO Hes § 1; GO Nds § 11; GO RP § 12 I ; GO S L A r t . 2 I ; GO S H § 411; Bratfisch (W), S. 40; Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 221, 223; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 369, m i t weiteren Nachweisen. 67 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 509 ff. ; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 601 ff.; Ritzel-Koch, GO B T § 16 Anm. 1; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 369.

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen R e c h t s 9 1 liehen rechtlichen Sanktion unbeantwortet 6 8 . Selbst wenn man aber derartige Rechtspflichten des Abgeordneten anerkennte, ließe sich eine entsprechende Pflicht der Fraktion zur Mitarbeit i m Parlament nicht konstruieren. Denn Pflicht der Fraktion zur Mitarbeit i m Parlament müßte sinnvollerweise mehr bedeuten, als daß ihre Mitglieder i n den Versammlungen sitzen und Ämter übernehmen. So bleibt als Ergebnis, daß die Geschäftsordnungen der Parlamente, den Fraktionen außer der „Meldepflicht" nach ihrer Bildung keine weiteren Pflichten auferlegen 69 . Es zeigt sich an dieser Stelle, daß auf keinen Fall die Geschäftsordnungen der Parlamente den Fraktionen Antriebskräfte für ihr Handeln liefern. Anders ist es etwa beim Vorstand, dem Ältestenrat und besonders bei den Ausschüssen: Hier gibt es bestimmte geschäftsordnungsmäßige Pflichten, und die Tätigkeit und Funktion dieser Gremien erschöpft sich wesentlich in der Erfüllung dieser Pflichten. 3. Bestimmungen

mit Bezug auf die Arbeit

der

Fraktionen

Nach der Schilderung der Rechte der Fraktion und nach der Feststellung, daß diesen Rechten keine entsprechenden Pflichten gegenüberstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Geschäftsordnungen die Fraktionen gegenüber einzelnen Abgeordneten und vor allem auch gegenüber wilden Gruppen von Abgeordneten erheblich bevorzugen. Sie räumen den Fraktionen für ihre Arbeit eine bessere und einflußreichere Stellung i m Parlament ein und gewähren auch sonst bestimmte Vergünstigungen. Das w i r d vor allem i n den Parlamenten deutlich, die verlangen, daß Anträge i m Plenum entweder von Fraktionen gestellt werden müssen oder von Abgeordnetengruppen, die mehr Mitglieder zählen, als einer Fraktionsstärke entspricht 70 . So besteht ζ. B. für den Bundestag die Übung 7 1 , daß auf Antrag einer Fraktion das Plenum vorzeitig einberufen wird, während nach A r t i k e l 39 I I I des Grundgesetzes und § 25 I I der Geschäftsordnung des Bundestages ein solcher Antrag mindestens von einem Drittel der Mitglieder des Hauses getragen werden müßte. I m Bayerischen Landtag können 5 Abgeordnete, wenn sie eine Fraktion gebildet haben 72 , die Aussetzung der Schlußabstimmung verlangen, was sonst nur 20 Abgeordneten möglich ist 7 3 . I m Landtag von Schleswig-Holstein kön68 80 70 71 72 73

Bratfisch (W), S. 40, verneint eine solche Sanktion m i t Recht. Smend (W), Verfassung, S. 144. S. 84 A n m . 20—24. Trossmann, S. 49. GO Bay § 7 I. GO Bay § 64.

92

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

nen 3 Abgeordnete eine Fraktion bilden 7 4 und als solche Gesetzesanträge einbringen und große Anfragen stellen, Initiativen, die sonst nur von 15 Abgeordneten ergriffen werden können 7 5 . I n allen Parlamenten können Abgeordnete nur über die Fraktionen i n den Vorstand, den Ältestenrat und die Ausschüsse delegiert werden 7 6 . „Wilde" Abgeordnete können regelmäßig nur dann delegiert werden, wenn sie sich zu diesem Zweck einer Fraktion anschließen. I m Ältestenrat sitzen neben dem Parlamentspräsidium überhaupt nur die Vertreter der Fraktionen. I n den genannten Gremien sind die Abgeordneten an die Politik und die Entschlüsse ihrer Fraktion gebunden: Sie können abberufen werden, wenn ihr Verhalten der Fraktion nicht gefällt 7 7 . Durch die Regelung der Reihenfolge entsprechend der Stärke der Fraktionen stehen fraktionslose Abgeordnete und solche, die nicht i m Auftrage oder wenigstens m i t Billigung der Fraktion sprechen, regelmäßig am Ende der Rednerliste 78 . W i r d für einen Tagesordnungspunkt die Redezeit festgesetzt, so geschieht das meistens durch Vereinbarung i m Ältestenrat 7 9 . Nicht alle Geschäftsordnungen verlangen ausdrücklich eine Berücksichtigung fraktionsloser Abgeordneter 80 , und wenn das geschieht, dann kommen diese Abgeordneten nur sehr kurz zu Wort 8 1 . Die oben unter dem Titel „Schutzrechte" aufgeführten Bestimmungen stehen ebenfalls lediglich den Fraktionen zu. Die Fraktionen erhalten ein Protokoll von den Plenar- 8 2 und von den Ausschußsitzungen 83 . Sie werden benachrichtigt von Ort, Zeit und Tagesordnung der Ausschußsitzungen 84 . Die Bediensteten der Fraktion können bisweilen während der Sitzung die Abgeordneten i m Sitzungssaal aufsuchen 85 . I m Landtag von Baden-Württemberg können Fraktionen ohne besondere Genehmigung des Präsidenten i m Wortlaut vorbereitete Erklärun74

GO S H § 211 i V m Beschluß des L T v. 29.10. 62, zit. ROP S. 0986 06. GO SH §§ 29 I I I ; 35 I. 76 GO B i n § 7 I V ; Waldecker (W), S. 94. 77 Siehe oben S. 88 A n m . 51. 78 GO Nds § 63 I. 79 GO B T § 39 I ; GO Bay § 111 I ; GO Hes § 901; GO Nds § 68 I ; GO N W § 64 I ; GO S L A r t . 56 I ; GO S H § 4 9 I V . 80 Berücksichtigt werden diese: GO Bay § 111 I ; GO B i n § 68 I I ; GO Nds § 68 I ; GO N W § 641; GO SL A r t . 561; GO S H § 49 I V . 81 5 M i n u t e n : GO B i n § 6 8 I I ; GO S H § 49 I V . 82 GO B i n § 91. 83 GO SL A r t . 28 V. 84 GO N W § 28. 85 GO RP § 4 0 I V . 75

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen R e c h t s 9 3 gen abgeben 86 . Auch ihre nicht schriftlich begründeten Anträge werden i m Gegensatz zu Anträgen, die nicht von Fraktionen eingebracht wurden, nach Ablauf einer Frist von 2 Wochen ipso iure auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung gesetzt 87 . Eine Begünstigung der Fraktionen enthält auch die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin i n ihren Bestimmungen über Vertraulichkeit und Geheimhaltung 88 . Vertrauliche Protokolle und Aktenstücke dürfen auch die hauptamtlichen Mitarbeiter der Fraktionen einsehen. Auch können ihnen Mitteilungen von vertraulichen Aussprachen gemacht werden. Mitteilungen über geheime Aussprachen sowie Protokolle von diesen und Verschlußsachen dürfen außer an den Präsidenten und besondere Bedienstete des Abgeordnetenhauses auch an die amtierenden Fraktionsvorsitzenden und an die Fraktionsgeschäftsführer weitergegeben werden, und zwar — m i t Genehmigung des Präsidenten — auch dann, wenn der Geschäftsführer kein Abgeordneter ist. Auch können die Fraktionsvorsitzenden an den geheimen Sitzungen aller Ausschüsse mit beratender Stimme teilnehmen. Man kann von einem geschäftsordnungsmäßigen, gegenseitigen Vertretungsrecht der Mitglieder einer Fraktion sprechen: Die Fraktionsmitglieder können sich gegenseitig ohne weiteres i n den Ausschüssen vertreten 8 0 ; schriftliche Anträge der Fraktion bedürfen nur der Unterzeichnung durch den Fraktionsvorsitzenden, bzw. den Geschäftsführer 90 ; Zustellung von Drucksachen an die Fraktion gilt als Zustellung an den Abgeordneten 91 . Zur Kennzeichnung des Charakters der Fraktionsarbeit tragen möglicherweise auch die Bestimmungen bei, die die Folgen des Ausschlusses eines Abgeordneten von den Plenarsitzungen beschreiben: Der Abgeordnet darf während der Ausschlußfrist zwar noch an den Fraktionssitzungen teilnehmen — i m Gegensatz zu den Plenar- und Ausschußsitzungen des Parlaments — er erhält aber bisweilen für diese kein Tagegeld 92 oder wenigstens nur für eine Sitzung i n der Woche 93 . I n diesem Zusammenhang heißt es i n der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages 94 : Für den 86

GO B W §80 I I . GO B W § 53 V. 88 GO B i n §§ 52—54. 89 Siehe der Beschluß des B T v o m 9.12. 65 zu § 68 GO BT, zit. ROP S. 090615 A n m . 6; GO Hbg § 64 I I ; GO SL A r t . 20 I I ; Trossmann, S. 36; Waldecker (W), S. 94. 90 Siehe oben S. 60 A n m . 102. 91 GO B i n § 28 I I I ; GO Nds § 29 I I ; GO SL A r t . 39 I I ; GO S H § 22 I. 92 GO Nds § 70 V I I i V m § 3 Nds DiätenG. 93 GO B T § 42 I I I l i t b; GO Bay § 124 I I . 94 GO Bay § 1241. 87

94

3. Kapitel : Die Funktionen der Fraktion

ausgeschlossenen Abgeordneten ruhen während dieser Zeit „seine Rechte als Abgeordneter innerhalb des Hauses m i t Ausnahme des Rechts auf Teilnahme an den Fraktions- und Fraktionsvorstandssitzungen". I I . Sonstige Normen

Gegenüber dieser Fülle geschäftsordnungsmäßiger Bestimmungen kommen von den sonstigen Normen des geschriebenen Rechts nur sehr wenige für die Suche nach der Funktion der Fraktion i n Betracht. I m folgenden sollen diese Bestimmungen nach den gleichen Gesichtspunkten wie das Geschäftsordnungsrecht systematisiert werden. 1. Die Rechte der Fraktion Einige Verfassungen sowie auch einige Gesetze ermöglichen es den Fraktionen, als Partei vor den Verfassungsgerichten auf zutreten: Die Fraktion kann die Organklage erheben, wenn sie behauptet, daß sie oder das Parlament durch ein Staatsorgan oder den Teil eines Staatsorgans i n ihrer bzw. seinen verfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten verletzt worden sei 95 . Nach einigen Bestimmungen kann die Fraktion eine A r t abstrakte Normenkontrollklage erheben 96 . Schließlich kann die Fraktion auch als Partei i m Wahlprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgericht auftreten 97 . I n diesem Verfahren kann die Fraktion ferner nach einigen Wahlprüfungsgesetzen schon vorher tätig werden 9 8 : Sie kann Beteiligte i m Verfahren vor dem Wahlprüfungsausschuß des Parlaments sein. Die Fraktionen sind nach vielen Bestimmungen darüber hinaus an den verschiedensten außerparlamentarischen Gremien zu beteiligen 99 , und 95 G G A r t . 93 I Ziff. 1; B V e r f G G §§ 63, 64; Geiger, B V e r f G G § 63 A n m . 4; so auch Giese-Schunck, GG A r t . 93, Anm. I I 4; Goessl, S. 123; Hartmann (W), passim, besonders S. 42; Hamann, G G A r t . 93 A n m . Β 1; ferner i n den Ländern: B W Verf. A r t . 68 I Ziff. 1; BW, G über den S t G H §§ 8 I Ziff. 1, 44, 45 I ; Nds Verf. A r t . 42 I Ziff. 1; Nds, G über den S t G H §§ 30, 31; N W Verf. A r t . 75 Ziff. 2; NW, G über den V e r f G H für das L NW, §§ 41, 42; RP Verf. A r t . 130 I ; RP, L G über den V e r f G H §§ 23, 27; SL Verf. A r t . 99; SH Verf. A r t . 37 Ziff. 1. 96 Bay, G über den VerfGH, A r t . 42 I I I ; RP Verf. A r t . 130 I ; RP, L G über den V e r f G H §§ 23 ff., 27; SL, G über den S t G H § 47 I ; ferner vor allem auch i n älteren LGen: Baden, L G über die Staatsgerichtsbarkeit § 18; WürttembergHohenzollern, Verf. A r t . 66 I i V m A r t . 65 I ; Württemberg-Hohenzollern, G über den S t G H § 20. 97 BVerfGG § 48; BW, G über den S t G H § 51 I l i t c; SL, G über den V e r f G H § 36 I Ziff. 4; Hbg, G über das H b g V e r f G § 42 I I I ; Nds, G über den S t G H § 20 I I l i t d. 98 W a h l p r ü f G §§ 6, 7; B i n W a h l p r ü f G § 5 I I I ; Nds W a h l p r ü f G §§ 2 I Ziff. 5, 18 I Ziff. 2; RP W a h l p r ü f Ο § 9 I l i t f. 99 Β Wahlprüf G § 3 I I ; RichterWahlG § 5 I I ; B V e r f G G § 6; B W W a h l p r ü f G

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

95

zwar meist dann, wenn diese Gremien entweder eine gewisse parlamentarische Kontrolle gewährleisten oder wenn i n ihnen alle maßgeblichen politischen Kräfte vertreten sein sollen. Bisweilen gilt i n diesem Zusammenhang die Existenz der Fraktion einer bestimmten Partei als ein „Seriositätsindiz" für die letztere 1 0 0 . Einen gewissen Schutz für die Fraktionsmitglieder stellt es ferner dar, wenn einige Verfassungen die Indemnitätsbestimmungen auch auf die Äußerungen, die i n den Fraktionssitzungen fallen, ausdehnen 101 . Weitere Rechte der Fraktionen sind nicht ersichtlich. Soweit sich Rechte aus dem rechtsgeschäftlichen Verkehr der Fraktion ergeben, spielen sie i n diesem Zusammenhang keine Rolle. Welche Rechte die Fraktionen etwa aus den Verfassungen herleiten können (Grundrechte?) läßt sich an dieser Stelle der Arbeit noch nicht sagen. Denn die Beantwortung ist erst nach Klärung der Rechtsnatur der Fraktion möglich. 2. Die Pflichten der Fraktion Pflichten der Fraktion, aus denen sich irgendwelche Anhaltspunkte für Funktion und Rechtsnatur der Fraktion ergeben, sind den Normen des geschriebenen Rechts nicht zu entnehmen. Ob und welche Pflichten die Fraktion eventuell aufgrund der Verfassung hat, ist ebenso wie bei den entsprechenden Rechten erst nach Klärung der Rechtsnatur der Fraktion zu sagen. § 4 I I ; Bay, G über den LSportbeirat A r t . 2 I I ; Bre, G über die Deputationen § 4; Bre, RichterG § 9; Hes W a h l p r ü f G § 2; Hes, G über die Aufnahme u n d V e r w a l t u n g von Schulden des L Hes § 5; Hes, RichterG §§ 9,10; Hes, AusführungsG zur V w G O § 5 I I ; Nds, G betreffend den Staats vertrag über den N D R § 9; NW, G über den W D R § 8 I I ; N W , WohnungsbauförderungsG § 9 I I I ; SL, WiedergutmachungsG § 19 I I I ; SL, FinanzausgleichsG § 45 I ; SL, EnteignungsentschädigungsG § 4 I l i t d ; SH, G über den Staatsvertrag über den N D R § 8; SH, W a h l G § 12 I I ; — Erlaß des B I n n e n M i n über die Errichtung der Bundeszentrale f ü r Heimatdienst § 5 I ; Beschluß des L T S L über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der „Heimstätte S L G m b H " v o m 15.5.62, DS 439, 464; Erlaß des L I n n e n M i n von Nds betreffend LZentrale f ü r politische B i l d u n g § 5 I , — Ferner noch viele andere Gesetze u n d zahlreiche sonstige Bestimmungen, nach denen Vertreter des Parlaments i n Gremien gesandt werden, wobei diese A b geordneten durch das Parlament gewählt werden, was i m m e r Verhältniswahl bedeutet. Siehe oben S. 86 A n m . 39. loo g über die Errichtung einer Akademie f ü r politische B i l d u n g A r t . 4, 14 I I ; SH, W a h l G § 12 I I ; siehe auch E n t w u r f zu einem G über die polit. Parteien B T I V . 1964 DS Nr. 2853 § 6 I ; S H LandesplanungsG § 4 I I a. ιοί B W v e r f . A r t . 37; Nds Verf. A r t . 14; S L Verf. A r t . 83 I , I I ; siehe auch Anschütz (W), Verfassung, A r t . 36 A n m . 2; Apelt (W), Geschichte, S. 186; Dohna (W), S. 441; Hatschek (W), Dt.u.Pr.StR I, S. 450; v. Mangoldt-Klein, A r t . 46 A n m . I I I b; Maunz-DArt. 46 A n m . 16; Nawiasky-Leusser, A r t . 27 RNr. 4; Radbruch (W), Die politischen Parteien, S. 292; Stier-Somlo (W), Dt. R u n d LStR I, S. 574.

96

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Bemerkenswert ist allenfalls, daß die Fraktionen nach ihren eigenen Angaben hinsichtlich ihrer Einkünfte und ihres Vermögens keiner Steuerpflicht unterliegen 1 0 2 . Einige Fraktionen haben jedoch Steuern für ihre Kraftfahrzeuge zu entrichten, und eine Fraktion hat die Umsatzsteuerpflicht für ihren Pressedienst erwähnt 1 0 3 . 3. Bestimmungen

mit Bezug auf die Arbeit

der

Fraktion

Einige Bestimmungen lassen eine gewisse Gleichsetzung von Fraktions- und Plenarsitzung erkennen. Hierzu gehören die schon genannten Verfassungsartikel, die die Indemnität der Abgeordneten auf ihre Äußerungen i n den Fraktionssitzungen erstrecken: Die Arbeit i n der Fraktion ist qua Verfassungsrecht i n diesem Sinne „Ausübung des Abgeordnetenmandats" 1 0 4 . Hierzu gehören ferner die Bestimmungen, die eine diätenrechtliche Gleichsetzung vornehmen: Die Abgeordneten erhalten für Plenar-, Ausschuß-, Fraktions- 1 0 5 und teilweise sogar für Fraktionsvorstands- 106 und Fraktionsarbeitskreissitzungen 107 ein gleiches Tagegeld. Reisekosten für Fahrten zu Fraktionssitzungen und Reisen i m Auftrage der Fraktion werden erstattet 1 0 8 . Bei Wegfall der Gelder wegen Ausschließung von den Plenarsitzungen werden auch die Sitzungsgelder für Fraktionssitzungen gekürzt oder gestrichen 109 . Die Arbeit der Fraktion w i r d außerdem dadurch besonders finanziell und personell gefördert, daß die Fraktionen erhebliche Zuwendungen aus dem Etat des Parlaments erhalten 1 1 0 und das Parlament ihnen auch Beamte als Hilfskräfte zur Verfügung stellt 1 1 1 . A u f diese Weise können die Fraktionen einen Apparat für ihre Arbeit unterhalten; sie können — sofern das nicht schon diätenrechtlich geregelt ist — ihren Mitgliedern 102

Bericht, S. 67. Bericht, S. 67. Siehe oben S. 95 A n m . 101; so auch: Geller-Kleinr ahm-Fleck, S. 222. 105 DiätenG von: B W § 1 I Ziff. 4; Bay A r t . 4 I ; Hes § 21; Nds § 2 I ; RP § 4 I ; S H § 3 I. 106 DiätenG von: B W § 1 I Ziff. 4; Bay A r t . 3 I, 4 I ; Hes § 2 I ; N W § 4 I ; RP § 4 1 ; S H §§ 3,5 dazu Ausführungsanweisung. 107 DiätenG von: B W § 1 1 Ziff. 4; Hes § 2 I ; N W § 4 I ; RP § 4 I ; SH §§ 3, 5 dazu Ausführungsanweisung. 108 DiätenG von: B W § 1 I Ziff. 2 l i t b ; Bay § 13 I I ; H b g § 7 I I ; Hes § 1 I I I Ziff. 3; Nds § 2 I ; S H § 5 I. 109 DiätenG von: Bay A r t . 4 V, V I ; Hes § 4; Nds § 1 0 I V ; S H § 4. 110 Bundeshaushaltsplan 65 Kap. 0201, T i t . 301; B i n Haushaltsplan 1965 E i n zelplan BO, Stelle 307; Bre DiätenG § 12 I ; H b g DiätenG § 7 I, I I ; Hes Haushaltsplan 65 Kap. 0101, Tit. 301; Nds DiätenG § 17; RP DiätenG § 12 I ; SL DiätenG § 1 I I ; S H DiätenG § 9. 111 So die Regelung des parlamentarischen Hilfsdienstes i n BW, siehe: Die Welt, Nr. 166 v. 21. 7. 65, S. 2. 103

104

Α. Die Funktionen nach den Normen des geschriebenen Rechts

97

für Fraktionssitzungen Tagegelder zahlen und Ersatz für sonstige Unkosten leisten. I n einigen Parlamenten erhalten die Fraktionsvorsitzenden oder der Oppositionsführer eine besondere Entschädigung 112 . Schließlich scheint noch eine Bestimmung i n diesem Zusammenhang bemerkenswert: nach § 116 I Ziff. 1 l i t c) BBG kann als ruhegehaltsfähige Dienstzeit für einen Beamten die Zeit angerechnet werden, die dieser hauptberuflich i m Dienst einer Fraktion des Bundestages oder der Landtage tätig war, bevor er i n das Beamtenverhältnis berufen wurde. I I I . Zusammenfassung

Aus einer Zusammenschau der angeführten Einzelregelungen lassen sich i m wesentlichen drei Aussagen zur Funktion der Fraktion ableiten: l.Die Fraktionen der Parlamente

haben Funktionen

im Bereich der Geschäftsordnung

Sie haben den entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der Ämter des Hauses. Sie können, von Einzelfällen abgesehen, alle Anträge stellen, um die Arbeit des Hauses zu steuern. Dieses und dazu die umfassende Geltung des Proporzgrundsatzes lassen erkennen, daß die Fraktionen für den geschäftsordnungsmäßigen Ablauf der Parlamentsarbeit die entscheidenden Kräfte sind 1 1 3 .

2. Die Fraktionen haben Funktionen bei der Bildung politischer Meinungen im Parlament

und Vertretung

I n diesem Zusammenhang muß noch einmal darauf hingewiesen werden, daß sich zu Fraktionen nach dem überwiegenden Teil der Geschäftsordnungen der Parlamente nur Abgeordnete derselben Partei zusammenschließen können, bzw. daß dies die Regel ist 1 1 4 . Die Fraktion hat besondere Rechte, um ihre Meinungen i m Plenum zu vertreten. Sie w i r d vor einer totalen Majorisierung geschützt und genießt auch Schutz vor den 112 B W DiätenG § 2 I I c); Bay DiätenG § 3 I I ; Hes DiätenG § 4 I Ziff. 3; N W DiätenG § 2 I I ; RP DiätenG § 6 I I ; S H DiätenG §§ 2 I I c), 5 V I I . us BVerfGE 10, 4 ff. (14); Bratfisch (W), S. 6; Hartmann (W), S. 34; Röder (W), S. 94; Stier-Somlo (W), Parlament, S. 370; Trossmann, S. 48. 114

Lebenstein

7 Hauenschild

(W), S. 16.

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

98

Verfassungsgerichten. Als Vertreterin von bestimmten politischen Meinungen i m Parlament obliegt ihr auch die Vertretung dieser Meinungen i m außerparlamentarischen Raum, wobei ihr allerdings die Partei jeweils zu Hilfe kommt. Sie gilt als Repräsentant für bestimmte, von ihr vertretene politische Meinungen und Strömungen i n der Bevölkerung. 3. Der Arbeit der Fraktion wird vom Parlament und auch vom Verfassungsgeber eine andere Qualität beigemessen als der Arbeit von losen, zufälligen Gruppen oder von einzelnen Abgeordneten Die Meinung der Fraktion w i r d bei der Ordnung der Geschäfte des Parlaments besonders berücksichtigt 1 1 5 ; Bildung und Vertretung der Fraktionsmeinung w i r d durch die Geschäftsordnungen gefördert. Die Arbeit der Fraktion w i r d finanziell und personell unterstützt. Indemnitätsrechtlich und auch diätenrechtlich w i r d eine Gleichstellung von Plenar-, Ausschuß- und Fraktionsarbeit vollzogen. Die Bestimmung des BBG weist darauf hin, daß die Tätigkeit für eine Fraktion der Tätigkeit eines Beamten ähnlich ist. Schließt jemand mit einer Fraktion einen Arbeitsvertrag, so w i r d das beamtenrechtlich ebenso behandelt, als schlösse er diesen Vertrag mit einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft, einem ihrer Verbände oder einem kommunalen Spitzenverband. Diese Tätigkeit ist also entweder öffentlich-rechtlich oder kommt einer öffentlich-rechtlichen wenigstens sehr nahe. Dieses bisherige Ergebnis ist unbefriedigend, w e i l die Untersuchung der Normen nur bestimmte Bereiche ergeben hat, i n denen die Fraktionen tätig werden können. Diese Tätigkeiten müssen also zu der Funktion der Fraktion zählen. Es fragt sich aber, ob sie allein die Funktion der Fraktion schlechthin ergeben, oder ob diese Tätigkeiten zusammen m i t anderen, bisher noch nicht genannten, die wesensmäßige Funktion der Fraktion ergeben. Es soll m. a. W. die Frage gestellt werden, ob man „Funktion der Fraktion" nicht unter weiter gefaßten Gesichtspunkten sehen muß, die diesen bisher geschilderten Tätigkeiten überzuordnen sind. Die aufgezeigten Rechte der Fraktion, die besondere Qualifizierung der Fraktionsarbeit wären dann nur sekundär gegenüber dieser wesensmäßigen Funktion der Fraktion, wären von dieser abgeleitet und hätten ihren Grund darin, daß durch sie die Fraktionen instand gesetzt werden sollen, ihre eigentliche, wesensmäßige Funktion zu erfüllen. Dafür, daß man Funktion der Fraktion unter solchen übergeordneten Gesichtspunkten sehen muß, sprechen schon an diesem Punkt der Untersuchung zwei Argumente: 115

So auch i m englischen Unterhaus: Fellowes, S. 12 f.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

99

1. das i n diesem Abschnitt erarbeitete Gesamtergebnis: das Nebeneinander der verschiedenartigsten Berechtigungen und Qualifizierungen verlangt nach einem einheitlichen Motiv; 2. das historische Argument: Fraktionen hat es seit Beginn der parlamentarischen Entwicklung i n Deutschland gegeben. Sie haben von Anfang an eine entscheidende Rolle i n den Parlamenten gespielt, obwohl sie von den parlamentarischen Geschäftsordnungen ignoriert und von der öffentlichen Meinung als negative Erscheinungen angesehen wurden und sich infolgedessen gegen diese beiden Widerstände durchsetzen mußten. Das läßt die Vermutung aufkommen, daß die Fraktionen i m Rahmen des Parlamentes Funktionen erfüllen, die sie für das parlamentarische Leben unentbehrlich machen, was nach dem bisher zu ihrer Funktion erarbeiteten Ergebnis nicht behauptet werden kann. Dieses Motiv, der übergeordnete Gesichtspunkt, die wesensmäßige Funktion der Fraktion läßt sich jedoch nur dann finden, wenn man das gesamte Betätigungsfeld der Fraktion i n die Betrachtung m i t einbezieht, wenn man also nicht nur die Funktion der Fraktion nach den Normen des geschriebenen Rechts untersucht, sondern auch die Funktion der Fraktion i m normfreien Bereich. B. D i e Funktionen der F r a k t i o n i m normfreien Bereich

Wenn von einer Funktion der Fraktion i m normfreien Bereich gesprochen wird, so bedarf das zur Vermeidung von Mißverständnissen einiger Erläuterungen. „Normfreier Bereich" ist die Bezeichnung für das Feld, auf dem die Fraktionen sich nicht aufgrund irgendwelcher Normen des geschriebenen Rechts betätigen oder — um dem wirklichen Grund für die Betätigung der Fraktion gerechter zu werden — auf dem die Betätigung der Fraktionen nicht von Normen des geschriebenen Rechts begleitet, geleitet und begrenzt wird. „Normfreier Bereich" w i l l nicht sagen, daß es für diesen Bereich der Tätigkeit der Fraktionen überhaupt keine Normen gäbe. Zwei Normgruppen bieten sich vielmehr auch hier an: Normen des geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungsrechts und parlamentarisches Gewohnheitsrecht. Wie weit jedoch die Fraktionen bei ihrer Tätigkeit an verfassungsrechtliche Bestimmungen gebunden sind, läßt sich, wie schon erwähnt, erst nach Klärung ihrer Rechtsnatur sagen. A u f die Geltung einiger Regelungen kraft Gewohnheitsrechts wurde oben schon i m Abschnitt über das geschriebene Recht hingewiesen. Sicherlich könnte man ebenso i n dem nun zu untersuchenden Bereich Regelungen finden, die schon eine Geltung kraft Gewohnheitsrechts beanspruchen könnten. Es ist indes 7·

100

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

sehr gefährlich, i n diesem Bereich von Gewohnheitsrecht zu sprechen und eine Geltung von Regeln kraft dieses Rechtsentstehungsgrundes anzunehmen. Denn die Fraktionen wollen ihren Betätigungsdrang möglichst frei und ungebunden entfalten. Sie wollen von rechtlichen Festlegungen frei bleiben. Es w i r d sich darum selten eine communis opinio der Beteiligten feststellen lassen. Aus diesem Grunde soll nicht untersucht werden, welche Regelungen etwa schon kraft Gewohnheitsrechts gelten. Es soll vielmehr danach gefragt werden, was die Fraktionen tun, ohne daß ihnen diese Tätigkeit durch irgendeine geschriebene Norm zugewiesen wird. Die i m folgenden geschilderten Kompetenzen fallen den Fraktionen somit i m Zusammenspiel des parlamentarisch-politischen Lebens gleichsam von selbst zu. Als Grund dafür, daß keine geschriebene Norm diese Aufgabe erwähnt, kann man angeben, daß es sich hierbei eigentlich u m Selbstverständlichkeiten handelt, wenn man das Wesen der Fraktion richtig erfaßt 1 . Die Funktionen der Fraktion i m normfreien Bereich lassen sich nicht so einfach systematisch aufgliedern wie die Funktionen der Fraktion nach den geschriebenen Normen. Dennoch kann man eine grobe Einteilung auf diese Weise treffen, daß man die Funktionen der Fraktion i n ihren Beziehungen zu den wichtigsten Kräften des parlamentarisch-politischen Lebens untersucht: zum Parlament, zur Regierung, zum einzelnen Abgeordneten und zur Partei. Diese Einteilung soll noch keine Aussage über den Charakter der Funktion der Fraktion machen, etwa darüber, für wen die Fraktion Aufgaben erfüllt. Parlament, Regierung, Abgeordneter und Partei sind lediglich bestimmte Bezugspunkte, um die Untersuchung zu gliedern. I . Funktion der Fraktion in Bezug auf das Parlament

Wenn man nach der wesensmäßigen Funktion der Fraktion fragt, nach dem Motiv für die besonderen Berechtigungen und Qualifizierungen durch das geschriebene Recht, insbesondere durch die Geschäftsordnungen, dann ist es vor allem fruchtbar, die Rolle der Fraktion bei der Arbeit des Parlaments zu untersuchen. Dies soll i m folgenden geschehen. 1 Über diese Selbstverständlichkeiten sagt Bagehot, S. 156: The key of the difficulties of most discussed and unsettled questions is commonly i n their indiscussed parts: they are l i k e a background of a picture, which looks obvious, easy, just w h a t any one m i g h t have painted, but which, i n fact, sets the figures on their right position, chastens them, and make them w h a t they are. Nobody w i l l understand Parliament government w h o fancies i t an easy thing, a natural thing, a t h i n g not needing explanation. Y o u have not a perception of the first elements i n this matter t i l l you k n o w that government by a club is a standing wonder.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

101

Die Untersuchung verfolgt den Zweck, sichtbar zu machen, warum die Parlamente, die doch bei der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten weitestgehend autonom sind, dennoch alle den Fraktionen bei ihrer Organisation so bevorzugte Stellen einräumen. Dabei interessiert vornehmlich folgende Frage: Erfüllen die Fraktionen eine Funktion, die erstens für die Arbeit des Parlaments notwendig ist, die zweitens aber nur von solchen Abgeordnetengruppen übernommen werden kann, wie es die Fraktionen sind? Ist die Fraktion also für die parlamentarische Arbeit notwendig oder könnte diese auch ohne Fraktionen geleistet werden? Die Untersuchung gliedert sich i n der Weise, daß zunächst allgemein das beschrieben wird, was parlamentarische Arbeit ist; sodann soll untersucht werden, was für die parlamentarische Arbeit notwendige Voraussetzung ist, um dann an letzter Stelle Aussagen über die Funktion der Fraktion machen zu können. 1. Parlamentarische

Arbeit im allgemeinen

Parlamentarische Arbeit i m allgemeinen ist die Tätigkeit, die ein Parlament erfüllen muß, u m seine verfassungsmäßige Funktion zu erfüllen. Die verfassungsmäßige Funktion des Parlaments besteht i n Mitregierung und Kontrolle der Regierung 2 . Dabei sind Mitregierung alle diejenigen Akte des Parlaments, die zur Leitung der Staatsgeschäfte ergehen: Wahl und A b w a h l der Regierung, Festlegung der Regierung auf die Meinung des Parlaments, Gesetzesbeschlüsse, Entschließungen, feierliche Deklarationen, Friedensschlüsse und Kriegserklärungen, Ratifizierungen von völkerrechtlichen Verträgen u. ä. 3 . Kontrolle der Regierung ist zwar nicht ohne jeden Einfluß auf die Leitung der Staatsgeschäfte, sie ist aber als etwas qualitativ anderes von dieser zu trennen, da sie selbst unmittelbar noch nicht Leitung ist. Das Parlament kontrolliert die Regierung, indem es allgemein die Politik der Regierung zur Diskussion und damit i n Frage stellt und besonders einzelne Sachverhalte und Probleme durch Untersuchungsausschüsse, A n fragen, Spezialdebatten prüfen läßt. Kontrolle der Regierung übt das Parlament schließlich auch bei der Gesetzgebungsarbeit aus. Gerade unter Berücksichtigung des großen Übergewichts der Regierung an Fach2 Ä h n l i c h : Friesenhahn, S. 34; u. Mohl, Das Repräsentativsystem, S. 393 f.; Müller-Meiningen, S. 54; Sternberger, Parlamentarische Regierung, S. 18 f.; für England: Crick , S. 9. 3 Ä h n l i c h : Domes, S. 166.

102

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

leuten ist es verständlich, daß das Parlament kaum noch i n der Lage ist, gegenüber der Regierung eigene Initiativen zu entfalten 4 . Daher ist seine Gesetzgebungsarbeit weitestgehend Kontrolle der Regierungsvorschläge auf ihre Übereinstimmung h i n m i t den Vorstellungen des Parlaments. Es ist hierzu zu betonen, daß Kontrolle der Regierung nicht i n striktem Verneinen der Regierungsarbeit liegen kann. Das Parlament prüft aber die Vorhaben und Aktionen der Regierung auf ihre rechtliche und politische Richtigkeit hin, wobei die eigenen Vorstellungen maßgeblich sind. Betrachtet man die Funktion des Parlaments nicht i m Hinblick auf ihren Gehalt, sondern unter formellen Gesichtspunkten, so ergibt sich, daß das Parlament hier ebenfalls zwei verschiedene Kategorien von Funktionen hat, solche nämlich, die ihren Endpunkt i n einem Gesamtakt (Beschluß) des Parlaments haben, und solche, bei denen dieser Endpunkt i n dem A k t eines einzelnen Abgeordneten oder mehrerer einzelner Abgeordneter besteht. Für die erste Gruppe ist typisch das Gesetzgebungsverfahren, zu dem zwar auch Handlungen einzelner Abgeordneter gehören (Anträge), das aber mit einem Beschluß, der Schlußabstimmung i n der dritten Lesung, endet. Für die zweite Gruppe ist typisch die Anfrage des einzelnen Abgeordneten i n der Fragestunde. Erfüllt das Parlament seine Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, i n dieser Weise, so erschöpft sich seine Tätigkeit meistens i n der Stellung der Frage. Geht man zurück auf die anfangs gegebene Definition von parlamentarischer Arbeit, so besteht diese i n Mitregierung und Kontrolle der Regierung einerseits und andererseits i n Gesamtakten des Parlaments und Einzelakten von Abgeordneten. Dieses vorläufige Ergebnis läßt aber einen weiten Bereich der parlamentarischen Arbeit unberücksichtigt: die Bemühungen der Abgeordneten nämlich, die nötig sind, damit es zu diesen Gesamtakten und Einzelakten kommt. Es müssen Mehrheiten geschaffen werden, deren Ansichten dann als die des Parlaments gelten können; denn wenn man das Parlament zunächst und ursprünglich als eine Versammlung vom einzelnen Abgeordneten betrachtet, so gibt es solche Mehrheiten a priori nicht 5 . Es genügt nicht, daß ein einzelner Abgeordneter sich meldet und kundtut, daß er diese oder jene Meinung vertrete. Damit ist allenfalls eine Minderheit geschaffen, die zusammen m i t anderen Minderheiten sich zu einer Mehrheit zusammenschließen kann. Damit das erreicht werden kann, sind Aussprachen und Diskussionen m i t anderen notwendig. Man muß Kompromise eingehen, sich informieren, kurzum eine Tätigkeit entfalten, 4 Nach Domes, S. 133, sind i m I I . u n d I I I . B T von 974 Gesetzen allein 793 aufgrund einer I n i t i a t i v e der BReg i n das Parlament gekommen. 5 Dazu auch: Bagehot, S. 156 ff.; Barbarino, S. 99; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 139.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

103

die man auch als parlamentarische Arbeit charakterisieren muß und die sogar den größten und eigentlichen Teil der parlamentarischen Arbeit ausmacht®. Dies ist vorbereitende Tätigkeit, sie besteht i m Vereinheitlichen der Meinungen. Diese A r t parlamentarischer Arbeit ist auch bei Einzelakten notwendig. Es leuchtet ein, daß nicht jeder Abgeordnete seine Meinung i m Plenum zum besten geben kann. Schon aus zeitlichen Gründen kann nicht jeder einzelne die Fragen stellen, die i h m persönlich am Herzen liegen; es besteht die Gefahr, daß viele nur ein Problem zur Sprache bringen, jeweils jedoch aus dem Blickpunkt ihres Kirchturms. Auch bei den Einzelakten ist daher eine Koordination notwendig, eine Konzentration auf das, was wichtig ist. Auch das ist vorbereitende parlamentarische Arbeit, Vereinheitlichung der Meinungen. Parlamentarische Arbeit ist also materiell Mitregierung und Kontrolle der Regierung und formell Gesamtakt und Einzelakt einerseits und Vorbereitung derselben andererseits. Wenn jedoch auch die Vorbereitung als parlamentarische Arbeit gilt, muß noch ein Wort zur Abgrenzung gesagt werden: Nicht jede vorbereitende Tätigkeit kann als parlamentarische Arbeit angesehen werden. So sind etwa Besprechungen m i t den Wählern oder m i t Parteipolitikern ohne Abgeordnetenstatus, auch m i t Abgeordneten anderer Parlamente sicher nicht parlamentarische Arbeit i m hier gebrauchten Sinne 7 . Parlamentarische Arbeit ist auch nicht die Tätigkeit, die der Abgeordnete speziell als Parteimitglied verrichtet, etwa die Geschäftsleitung eines Kreisverbandes. Entgegen Schule 9 sind aber Koalitionsverhandlungen sicherlich parlamentarische Arbeit, da die Regierungsbildung zur Funktion des Parlaments gehört: zur Mitregierungsfunktion. Nur die vorbereitende Tätigkeit der Abgeordneten ist parlamentarische Arbeit, die i n jedem Fall notwendig ist, damit das Parlament seine Funktionen erfüllen kann 9 . Parlamentarische Arbeit ist somit nicht nur Erfüllung der Funktionen des Parlaments, sondern auch das, was von den Abgeordneten geleistet werden muß, damit das Parlament funktionsfähig ist. β ν . d. Heydte, Das Parlament, S. 5, 7; Kremer, S. 64; Neumann-Hof er, S. 58, 61; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, A r t . 37, A n m . 10 b); Tatarin-Tarnheyden, S. 425 f. 7 Parlamentarische A r b e i t s t i m m t überein m i t dem Tätigkeitsbereich des Abgeordneten, f ü r den der Grundsatz der Indemnität g i l t ; siehe dazu die oben S. 95 A n m . 101 zitierten Meinungen; ferner auch Dohna, S. 441; Stier-Somlo, Reichsverfassung, S. 146. 8 Schule, S. 40 f. • So schon Anschütz, Enzyklopädie, S. 143 f.; Dohna, S. 442: Tätigkeit innerhalb des Organismus des Parlaments.

104

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

I m folgenden Abschnitt soll daher untersucht werden, was notwendig ist, u m ein Parlament funktionsfähig zu machen. U m jedoch Wiederholungen zu vermeiden und u m für die weitere Untersuchung einen Standpunkt über den Einzelheiten zu gewinnen, sollen primär nicht einzelne Tätigkeiten beschrieben, sondern die Gesichtspunkte und Prinzipien erarbeitet werden, die notwendigerweise bei der Organisation des P a r l iaments zu berücksichtigen sind, wenn es seine Funktionen erfüllen soll. 2. Parlamentarische

Arbeit im besonderen:

Welche Gesichtspunkte sind bei der Regelung parlamentarischer Arbeit zu beachten? U m die oben gestellte Frage nach der Notwendigkeit der Fraktionen für die parlamentarische Arbeit richtig beantworten zu können, soll der Versuch unternommen werden, losgelöst von den gegebenen, parlamentarischen Verhältnissen diese Gesichtspunkte, Prinzipien und Faktoren herauszufinden. Wenngleich damit zunächst einmal die Fraktionen aus der Untersuchung ausgeklammert werden, ist dennoch nur auf die Gesichtspunkte einzugehen, die für die gestellte Frage, für die „Funktion der Fraktion", von Interesse sind. M i t der Darstellung der folgenden Grundsätze kann daher keineswegs eine Vollständigkeit aller für die gesamte Organisation des Parlaments wichtigen Grundsätze gemeint sein. Es w i r d zugestanden, daß es neben den genannten noch andere Grundsätze gibt, die dann allerdings aber für die vorliegende, weitere Untersuchung bedeutungslos sind. a) Der Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit Das Parlament muß seine Funktion auf verfassungsmäßige Weise erfüllen. Es besitzt zwar aufgrund der Verfassungen 10 das sogenannte Selbstorganisationsrecht 11 , das Hecht auf autonome Regelung seiner Organisation 12 , demzufolge die Geschäftsordnungen überwiegend als autonome Satzungen angesehen werden 1 3 ; das Parlament muß aber bei der 10 G G A r t . 40 I ; Verfassungen von: B W A r t . 32 I ; Bay A r t . 20 I I I ; B i n A r t . 29; Bre A r t . 106; H b g A r t . 18 I ; Hes A r t . 99; Nds A r t . 8 I ; N W A r t . 38 I ; RP A r t . 851; S L A r t . 721; SH A r t . 13IV. 11 Giese-Schunck, A r t . 40 A n m . I I 2. 12 Binding , Notwehr, S. 11; Feistel, S. 66, 179; Hamann, Grundgesetz, A r t . 40 A n m . A ; Maunz-D., A r t . 38 RNr. 7, A r t . 40 RNr. 1; Nawiasky-Leusser, A r t . 20 RNr. 2; a. M. Lebenstein, S. 123. 13 Breiholdt, S. 295 f.; Feistel, S. 1291; Giese-Schunck, A r t . 40 A n m . I I 3; Lechner-Hülshoff, S. 159 A n m . 4; Maunz, § 34 I I l b , S.308; Nawiasky-Leusser, A r t . 20 RNr. 16; Stier-Somlo, Parlament, S. 368 f.; a. M. besonders Hatschek, Dt.u.Pr.StR.I., S. 433 „Konventionalregeln" ; Lebenstein, S. 123.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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Regelung seiner Organisation die einschlägigen Verfassungsbestimmungen und -prinzipien und auch die gesetzlichen Regelungen beachten 14 . Aus den Verfassungen lassen sich die folgenden Prinzipien ableiten, die bei der parlamentarischen Arbeit zu berücksichtigen sind und i m Zusammenhang mit der parlamentarischen Funktion der Fraktion interessieren 15 . aa) Entscheidung der Mehrheit 1 6 Die Verfassungen ordnen an, daß die Mehrheit der Mitglieder des Parlaments entscheidet 17 . Das bedeutet, daß ein Beschluß des Parlaments durch Abstimmung über die verschiedenen Meinungen zustandekommt und daß die am stärksten vertretene Meinung als die Meinung des Parlaments, also als die der gesamten Körperschaft gilt. Die Minderheitsmeinung geht i n der zum Beschluß des Parlaments erhobenen Mehrheitsmeinung auf 1 8 . Die Entscheidung der Mehrheit setzt voraus, daß überhaupt Mehrheiten gebildet werden können, was schon oben kurz angedeutet wurde. Dabei kommt es darauf an, Mehrheiten zu bilden, die etwas Gemeinsames wollen, nicht solche, die gemeinsam etwas nicht wollen. Die Entscheidung nämlich, daß das Parlament einen bestimmten Beschluß nicht fassen w i l l , ist ungleich leichter herbeizuführen als ihr positives Gegenstück 19 . Nicht umsonst ist durch das Grundgesetz das konstruktive Mißtrauensvotum eingeführt worden. Es ist unvergleichbar schwerer, sich auf einen neuen gemeinsamen Regierungschef zu einigen als einen Regierungschef zu stürzen. Zum Sturz können sich heterogene Elemente zusammentun, nicht aber zur Wahl und zu der entsprechenden positiven Zusammenarbeit m i t dem Gewählten 2 0 . 14 So ausdrücklich die Verfassungen von Bre A r t . 106; Hes. A r t . 99; Feistel, S. 131 f., 181; Hamann, Grundgesetz, A r t . 40 A n m . Β 3; Lechner-Hülshoff, S. 159 f. A n m . 4; Leibholz-Rinck, A r t . 40 A n m . 2; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I V 2; Maunz, § 34 I I l b , S. 308; Nawiasky-Leusser, A r t . 20 RNr. 14; Roßmann, S. 13; Waldecker, S. 105. 15 Da die Fraktionen bei diesem T e i l der Untersuchung aus den angegebenen Interesse, die die Fraktionen erwähnen oder ihnen sogar eine bestimmte v e r fassungsrechtliche Stellung mittelbar oder u n m i t t e l b a r zugestehen. Diese w u r den i m übrigen auch schon oben unter Α. 1.1. b) behandelt. 16 Dazu Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 123 ff. 17 GG A r t . 42 I I ; Verfassungen von: B W A r t . 33 I I ; Bay A r t . 23 I ; B i n A r t . 31 I I ; Bre A r t . 90; H b g A r t . 19; Hes A r t . 88; Nds A r t . 9 I I ; N W A r t . 44 I I ; RP A r t . 88; SL A r t . 76; S H A r t . 121. 18 BVerfGE 2, 143 (161 f.); Maunz-D., A r t . 38 RNr. 7; Schmitt, Geistesgeschichtl. Lage, S. 14; so auch i n England: Fellowes, S. 39. 19 Duverger, S.420. 20 υ. d. Heydte, Das Parlament, S. 7; Bergsträsser, ler-Meiningen, S. 17 f.

Entwicklung, S. 24 f.; M ü l -

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3. Kapitel : Die Funktionen der Fraktion

U m Mehrheiten bilden zu können, ist es notwendig, die Meinungen der Abgeordneten zu erforschen, zu sichten und Kompromisse zu schließen 21 . Hier beginnen aber schon die Schwierigkeiten. Jeder Abgeordnete w i r d zwar gern bereit sein, seine Meinung zu äußern, er w i r d aber zunächst nicht geneigt sein, von dieser Meinung wieder abzurücken. Dennoch setzt eine Sichtung, eine Ordnung der Meinungen der Abgeordneten gerade das voraus. Die Feinheiten müssen ausgeklammert werden. Wie aber soll das geschehen? Durch Mehrheitsbeschluß? Dann bliebe am Ende überhaupt keine Meinung mehr übrig, denn für jede würde sich sicher eine widersprechende Mehrheit finden lassen. Als Illustration dafür lassen sich die anfänglichen Beratungen der Paulskirchenversammlung von 1848 anführen. Mehrheitsbildung ist ein dynamischer Prozeß, der aus vielen „Spezialmeinungen" immer wenigere „Generalmeinungen" herausfiltert. Mehrheitsbildung ist i m Parlament nur dann möglich, wenn vorher Gruppenbildung erfolgt 2 2 . Es müssen zunächst Gruppen von Abgeordneten gebildet werden, die m i t einer einheitlichen Meinung i m Parlament auftreten. Das impliziert eine gewisse Unterwerfung des einzelnen unter die Meinung der Gruppe, eine Identifikation m i t seiner Gruppe. Wenn das System funktionieren soll, muß der Abgeordnete seine i n Einzelheiten divergierenden Meinungen unterdrücken. Wenn nicht durch diese Gruppenbildung schon eine Mehrheit gebildet werden kann, indem etwa eine Gruppe die Mehrheit der Abgeordneten umfaßt, kommt als weiteres Erfordernis hinzu, daß einige Gruppen sich zusammenschließen. Das bedingt eine weitere Unterwerfung des einzelnen unter seine Gruppe, denn er muß über sie hinausgreifende Zugeständnisse machen, Kompromisse m i t noch unterschiedlicheren Ansichten schließen 23 . Außerdem bedingt der Kompromiß zwischen den Gruppen, daß diese durch eine eigene Organisation i n der Lage sein müssen, bestimmte Personen herauszustellen, die für die Gruppen verhandelnd auftreten können. Zur Klarstellung: Diese Gruppenbildung kann nicht erst i m Plenarsaal erfolgen. Die Mitglieder einer Gruppe müssen vielmehr miteinander sprechen, müssen sich sammeln und untereinander Absprachen treffen, Kompromisse schließen. Die Abgeordneten sprechen bei diesem Geschäft nicht zur Gesamtkörperschaft, sondern nur zu den Angehörigen ihrer 21 Bergsträsser, L., Problematik, S. 8; Cushing, S. 5; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 138 f., 145; Friesenhahn, S. 25; Kaufmann, Grundtatsachen, S. 18. 22 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 131 f.; Krüger, Staatslehre, S. 283; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 338; Radbruch (W), Die politischen Parteien, S. 286 f. 23 So schon Eisenmann, S. 7.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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Gruppe und wollen auch nur zu diesen sprechen. Nach der Problemstellung muß also gleichsam eine „itio i n partes" erfolgen, wobei — u m i m Rahmen dieser theoretischen Überlegung zu bleiben — auch die „partes" sich jeweils erst neu bilden müssen. U m also i m Parlament die von der Verfassung vorausgesetzten Mehrheiten bilden zu können, ist es unabdingbar notwendig, daß zunächst die Abgeordneten i n Gruppen zusammengefaßt werden 2 4 . Diese Gruppenbildung muß folglich organisatorisch irgendwie vorgesehen sein. Damit ist als erstes das „Konzentrations-Prinzip" gefunden. Es bedeutet, daß für die parlamentarische Arbeit unerläßlich ist eine Konzentration der Abgeordneten zu Gruppen 2 5 , die m i t einheitlichen Meinungen auftreten und zumindestens so weit eine gewisse Organisation aufweisen, daß sie Gruppensprecher herausstellen können. bb) Minderheitenschutz Die Verfassungen fordern weiterhin, daß die Minderheiten nicht von der Arbeit des Parlaments ausgeschlossen werden; Opposition muß möglich sein; die Rechte der Opposition sind i n der Verfassung „verbürgt". Das ist abzuleiten aus den verfassungsrechtlich anerkannten Ideen von repräsentativer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit 26 . Insofern werden die Möglichkeiten für die Bildung von Mehrheitsentscheidungen eingeschränkt. Die Mehrheit soll nicht diktatorisch herrschen. Ergibt sich das aus dem Zusammenspiel der oben beschriebenen Gruppen nicht von selbst — etwa wenn keine Gruppe allein die Mehrheit der Abgeordneten umfaßt —, so müssen organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, damit eine uneingeschränkte Diktatur der Mehrheit verhindert werden kann. Dies soll als zweites Prinzip für die Organisation des Parlaments „Vertretungsprinzip" genannnt werden. Nach i h m ist die Vertretung der Minderheiten bei der parlamentarischen Arbeit organisatorisch zu gewährleisten. 24

Apelt, W., Geschichte, S. 196; Bergsträsser, L., Die Parteien von 1848, S. 196; Eisenmann, S. 6; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 131 ff. 25 Smend, Verfassung, S. 155, spricht v o m integrierenden Sinn des Parlamentsrechts. 26 So das B V e r f G vornehmlich i n den beiden Parteiverbotsentscheidungen BVerfGE 2 , 1 ff. (12 f.), 5, 85 ff. (140 f., 199); so auch die Parteirechtskommission, S. 125 f.; ferner: Barbarino, S. 99, 417; Besson, S. 234; Feistel, S. 145; Friedrich, Demokratie, S. 58 ff.; Goessl, S. 98; Hamann, Recht auf Opposition, S. 242 ff. m i t vielen Nachweisen; Hesse, S. 22; Laun, Fraktionszwang, S. 192; v. MangoldtKlein, A r t . 21 A n m . I I I 5; Maunz-Dürig, A r t . 20 RNr. 37, 38, 59, A r t . 21 RNr. 6; Nawiasky-Leusser, A r t . 2 RNr. 7; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 194, 197 f.; ders., Parlamentarismus, S. 117; Varain, S. 247 ff.; M or stein Marx, S. 32 ff., bejaht einen verfassungsrechtlich gewährleisteten Minderheitenschutz, meint aber von seinem formalistischen Ausgangspunkt, daß dieser Schutz nicht „echt demokratisch" sei (S. 39 f.).

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Fraglich ist dabei, was als Minderheit bezeichnet werden kann und muß. Kann schon der einzelne Abgeordnete „Minderheit" sein? Das ist gewiß nicht i n jeder Beziehung auszuschließen. Man denke aber etwa an das Problem der Redezeitbegrenzung, der Besetzung von Ausschüssen; man denke auch an das Recht, Anträge zu stellen. Hier w i r d es schon fraglich, ob jeder Abgeordnete mit jeder Sache berücksichtigt werden kann, ob er berücksichtigt werden muß. Wollte man das ohne Einschränkung bejahen, so handelte man damit dem oben erarbeiteten „Konzentrations-Prinzip" entgegen und setzte es praktisch außer Kraft. Denn hat der einzelne Abgeordnete alle wesentlichen Rechte i m Parlament auch außerhalb der Gruppe, vielleicht sogar gegen sie, so fördert das den Zerfall einmal gebildeter Gruppen und verhindert die Gruppenbildung überhaupt. Zwischen Konzentrations-Prinzip und Vertretungsprinzip muß also ein Kompromiß gefunden werden. Dies kann dadurch geschehen, daß man sagt: Die Organisation muß so beschaffen sein, daß die Gruppenbildung ermöglicht, erleichtert und gefördert wird; bei der Arbeit des Parlaments soll aber nicht nur die Mehrheit herrschen, sondern es ist organisatorisch zu gewährleisten, daß wenigstens alle diese Gruppen an der Arbeit maßgeblich und mitbestimmend teilnehmen können. Wenn man das Vertretungsprinzip beschränkt auf die durch Abgeordnetengruppen gebildeten Minderheiten, wenn man es „ i m Lichte" des Konzentrations-Prinzips sieht, dann bekommt es sogar noch eine auf Konzentration zielende Wirkung: Die Abgeordneten werden sich zu Gruppen zusammentun, um an der parlamentarischen Arbeit i n erhöhtem Grade teilnehmen zu können. Aus diesem Grunde ist m i t Vertretungsprinzip i m folgenden immer das durch das Konzentrations-Prinzip „beschränkte" Vertretungsprinzip gemeint: Es ist danach organisatorisch zu gewährleisten, daß wenigstens die sich i n den Parlamenten bildenden Gruppen von Abgeordneten an der gesamten Arbeit des Parlaments teilnehmen können. cc) Freiheit des Abgeordneten Die Verfassungen fordern schließlich, daß die Abgeordneten i n Ausübung ihrer Tätigkeit von allen rechtlichen Bindungen frei und nur ihrem Gewissen unterworfen sein sollen 27 . Dem steht möglicherweise das Konzentration- wie auch das Vertretungsprinzip entgegen. Denn wenn organisatorisch gewährleistet und darauf hingewirkt wird, daß die Abgeordneten sich zu Gruppen zusammenschließen und daß nur diese Gruppen 27

G G A r t . 38 I 2; Länder-Verf.: B W A r t . 27 I I I ; Bay A r t . 13 I I ; Bre A r t . 83 I ; Hbg A r t . 7; Nds A r t . 3 I ; N W A r t . 30 I I ; RP A r t . 79; S L A r t . 68 I I ; S H A r t . 9 I I ; so auch Dennewitz-Schneider, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38 A n m . I I 4; Forsthoff, Parteien, S. 22; Leibholz-Rinck, A r t . 21 A n m . 5.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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maßgeblich an der parlamentarischen Arbeit beteiligt werden, dann hat es zur Folge, daß die originäre Tätigkeit des einzelnen durch diese Regelungen beschränkt wird, daß er neben seinem Gewissen also auch noch der Organisation unterworfen ist. Ist daher Konzentration verfassungsrechtlich vielleicht doch unzulässig? 28 Dagegen ist zunächst auf bestimmte, den betreffenden Verfassungsbestimmungen immanente Schranken hinzuweisen. Diese Bestimmungen meinen zunächst einmal nicht, daß die Abgeordneten eine unbeschränkte Freiheit genießen. Sie sollen nur bei der Ausübung ihres Abgeordnetenberufes frei sein 29 . Abgeordnetenberuf heißt Vertretung des Volkes. Was dies i m einzelnen bedeutet, ist zweifelhaft und bisher ungeklärt. Sicher ist nur so viel: Der Abgeordnete ist Bestandteil des Parlaments und seine Aufgabe besteht i n der Teilnahme und Mitarbeit an dessen Aufgaben; es sind also A u f gaben des Parlaments, die der Abgeordnete zu erfüllen hat 3 0 . Da der Abgeordnete als einzelner nun nicht stellvertretend für das gesamte Parlament handelt, er vielmehr innerhalb dieses Gesamtverbandes tätig wird, ist er diesem Gesamtverband auch unterworfen, d. h. der einzelne Abgeordnete kann nur i n dem Umfang Tätigkeiten entfalten, den der Gesamtverband i h m zugesteht 31 . Das w i r d vor allem durch die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments verdeutlicht. Eine Harmonie zwischen diesen beiden Forderungen der Verfassung — Konzentrationsprinzip und Vertretungsprinzip einerseits, Freiheit des Abgeordneten andererseits — ist aber möglich, wenn man die Unterscheidung t r i f f t zwischen Form und Inhalt der parlamentarischen Arbeit. Das Parlament ist befugt, die Form der parlamentarischen Arbeit zu reglementieren. Diesen Formvorschriften muß sich der Abgeordnete unterwerfen und insofern kann auch eine Beeinträchtigung seiner formellen Möglichkeiten zulässig sein. Nicht aber ist es zulässig, den Abgeordneten i n dem festzulegen, was er i m Rahmen dieser organisatorischen Möglichkeiten zu t u n gedenkt. Der Abgeordnete hat die Freiheit, unter Beachtung der Formvorschriften für die parlamentarische Arbeit das zu tun, was er nach freier Gewissensentscheidung für richtig hält. Er kann 28

So grundsätzlich: Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 94. Bratfisch, S. 51; Nawiasky-Leusser, A r t . 13 RNr. 7; siehe auch S. 108 Anm. 27. 30 Das G G spricht abgesehen von A r t . 38 I 2 i m m e r n u r von Funktionen des BT, so i n den A r t . 20 I I , 39 I I , I I I , 40 I I I , 41 I , 43 I, 44 I, 45 I, 45 a I, 45 b, 46 I I I I I I V , 59 a I, 61 I , 63 I I I I , 64 I I , 66, 67 I, 68 I, 76 I, 77 I I I I V , 93 I, 94 I, 95 I I I , 96 I I , 98 I I ; Binding , Notwehr, S. 11; Schmid , Parlamentarische Disziplin, S. 450. 31 So schon: v. Mohl, K r i t . Erörterungen, S. 64; ferner: Feistel, S. 144 f.; Hamann, Grundgesetz, A r t . 38 A n m . Β 8a; Schmid , Parlamentarische Disziplin, S. 529 f.; so auch BVerfGE 10, 4 ff. (13). 29

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

nicht gezwungen werden, bestimmte Meinungen zu äußern. Geregelt werden kann jedoch, i n welcher Form er seine Meinungen äußert 32 . Kommt man auf die oben gestellte Frage zurück, ob nämlich das Konzentrations-Prinzip oder das Vertretungsprinzip gegen die Freiheit des Abgeordneten verstößt, so ist folgende A n t w o r t zu geben: Diese Prinzipien verstoßen gegen die Freiheit, wenn dadurch der Abgeordnete gezwungen wird, sich bestimmten Gruppen anzuschließen und damit u. U. gegen seine Gewissensentscheidung bestimmte Meinungen zu unterstützen und zu vertreten. Hier würde die Grenze des Bereichs zulässiger Regelungen überschritten und der Abgeordnete unzulässig i n seiner Freiheit beschränkt. Die genannten Prinzipien lägen i m Widerstreit m i t dieser verfassungsrechtlich garantierten Freiheit. Dieser Konflikt t r i t t jedoch nicht ein, wenn der Abgeordnete nicht gezwungen wird, sondern wenn er sich freiwillig einer Gruppe anschließt, freiwillig m i t mehreren Gleichgesinnten eine Gruppe bildet 3 3 . Denn eine Gewissensentscheidung muß ja nicht starr und unabänderbar sein 34 . Frei sein soll der Prozeß der Meinungsbildung, der von einer „Gewissensentscheidung" zur anderen fortschreitet. Die Meinung A des Abgeordneten w i r d i n der Diskussion mit anderen, durch Erfahrung, Erkenntnis und Belehrung aus sich heraus zur Meinung A ' und A " . Wichtig ist, daß sich die Meinung m i t Willen des Abgeordneten ändert, so daß er schließlich aus eigenem Entschluß m i t der Meinung A " stimmt oder diese Meinung i m Plenum vertritt. W i r d er jedoch gezwungen, stattdessen die Meinung X zu vertreten und für sie zu stimmen, „ändert" er also seine Meinung nicht aus freiem Entschluß, sondern gegen seinen Willen, so ist die Entscheidungsfreiheit nicht mehr vorhanden. Eine Regelung der parlamentarischen Arbeit, die das bewirkt, ist verfassungswidrig. Damit ist ein weiteres Prinzip gefunden, das für die Organisation der parlamentarischen Arbeit unabdingbar ist: das Prinzip der Freiwilligkeit. Dies bedeutet: Da es für die parlamentarische Arbeit als notwendig angesehen wird, daß die Abgeordneten sich zu Gruppen zusammenschließen und daß diese Gruppen dann ferner die i m Parlament vorhandenen Meinungen wirksam vertreten, muß diese Gruppenbildung auf freiwilliger Basis vor sich gehen. Der Abgeordnete muß frei sein i n der Wahl der Gruppe und frei auch i n der Entscheidung über die Dauer der Zugehörigkeit zu der Gruppe. Die Gruppe wiederum muß frei darin sein, welche Meinungen sie vertreten, welche Politik sie betreiben w i l l . Trotz allem aber bleibt das Problem der Beschränkung der Freiheit des Abgeordneten noch nicht restlos geklärt. Denn durch die organisa32 33 34

BVerfGE 10, 4 ff. (14); Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 221, 223. υ. Gerlach, S. 35 ff., 40; dazu allgemein: Krüger, Staatslehre, S. 284. v. d. Heydte, Das Parlament, S. 8.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich torisch zu fördernde Gruppenbildung und die dahingehende Beschränkung des Vertretungsprinzips, daß nur Gruppen entscheidend an der Arbeit des Parlaments beteiligt sind, werden die Möglichkeiten des einzelnen Abgeordneten erheblich beschnitten. Das Freiwilligkeitsprinzip schafft hier eine gewisse Milderung 3 5 : Jeder Abgeordnete hat die Möglichkeit, sich der Gruppe anzuschließen, die seinen Vorstellungen entspricht. Es bleibt aber immerhin die nicht nur theoretische Möglichkeit, daß ein Abgeordneter alle schon vorhandenen Gruppen ablehnt und keine Gesinnungsgenossen zur Gründung einer eigenen Gruppe findet 38. Hier muß das Parlament, u m der durch die Verfassung garantierten Freiheit zu entsprechen, dem alleinstehenden Abgeordneten ein Mindestmaß an Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnen 37 . Auch die Gruppen dürfen also nicht absolut herrschen. Diese Problematik leitet jedoch über zu dem zweiten Gesichtspunkt, der neben dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit unbedingt bei der Regelung der parlamentarischen Arbeit zu berücksichtigen ist: b) Der Gesichtspunkt der Effektivität Gestände man allen einzelnen Abgeordneten die oben aufgezählten Initiativrechte zu, gälte der Gleichheitssatz auch für die Abgeordneten eines Parlaments, so stände zwar der Forderung der Verfassung, daß die Abgeordneten bei ihrer Tätigkeit frei sein sollen, keine Bestimmung der parlamentarischen Organisation entgegen, aber das Parlament wäre m i t Sicherheit nicht funktionsfähig. Das weist hin auf einen neuen Gesichtspunkt für die Organisation parlamentarischer Arbeit, der hier der Gesichtspunkt der Effektivität genannt werden soll. Die Organisation eines Parlaments ist mit Rücksicht auf den Effekt seiner Arbeit zu verfassen 38 . Wenn die parlamentarische Arbeit überhaupt einen Sinn haben soll, muß sie wie jede andere Arbeit auch effektiv sein, es muß „dabei etwas herauskommen". Unter mehreren organisatorischen Möglichkeiten ist daher immer diejenige zu wählen, die den besten Effekt verbürgt. Das Parlament ist so zu organisieren, daß der Effekt der parlamentarischen Arbeit nicht nur nicht verhindert, sondern i m Gegenteil gefördert wird. 85

Obermann, S. 86: „ . . . e i n freiheitliches V e n t i l gegen die Allmacht der Parteien u n d Fraktionen i m P a r l a m e n t . . . " 88 Z u diesen sogenannten Wilden siehe Obermann, S. 83 ff. 37 Z u r Berücksichtigung des einzelnen Abgeordneten i m Englischen U n t e r haus siehe: Crossmann i n der Einleitung zu Bagehot, S. 42 f.; Fellowes, S. 12 f., 16 f. 38 Binding , Notwehr, S. 11 f.; Cushing, S. 3.

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Dabei fragt es sich, was m i t der parlamentarischen Arbeit erreicht werden, was ihr Effekt sein soll. Worauf zielt parlamentarische Arbeit? Der Effekt der parlamentarischen Arbeit kann nur darin bestehen, daß das Parlament insgesamt seine verfassungsrechtlichen materiellen Funktionen erfüllt, also Mitregierung und (öffentliche) Kontrolle der Regierung. Vom Gesichtspunkt der Effektivität her ist also organisatorisch dafür zu sorgen, daß das Parlament seine Mitregierungs- und Kontrollfunktionen möglichst gut erfüllen kann. A n dieser Stelle ist jedoch etwas über den Zusammenhang zwischen den materiellen Funktionen des Parlaments und seiner Organisation aufzuzeigen. aa) Funktionsabhängige Organisationstypen Dechamps89 hat unterschieden zwischen Meinungsparlamenten und Handlungsparlamenten. „Meinungsparlamente" haben i m wesentlichen die Aufgabe, die Meinungen der Bevölkerung möglichst getreu widerzu spiegeln, um nach der hier gebrauchten Unterscheidung der parlamentarischen Funktionen „Kontrolle der Regierung" auszuüben. Mitregierungsfunktionen haben die Meinungsparlamente nur i n sehr geringem Maße (Budgetrecht). Die Regierung ist i n ihren Handlungsmöglichkeiten weitestgehend unabhängig vom Parlament. Sie kann aus eigenem freien Entschluß handeln. Das Parlament hat mehr die Funktion des „öffentlichen Kommentators". Beispiele für diese Gattung sind die Parlamente i n den kontinentaleuropäischen Staaten der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts 40 . „Handlungsparlamente" dagegen haben starke M i t regierungsfunktionen. Die Regierung ist von ihnen abhängig. Sie ist auf die Mitarbeit des Parlaments angewiesen, an die politischen Meinungen seiner Mehrheit gebunden und kann wenig ohne bzw. gegen das Parlament unternehmen. So ist etwa das Englische Unterhaus schon seit langem ein typisches Handlungsparlament 41 . Untersucht man den Zusammenhang zwischen Meinungsparlament und Kontrollfunktion sowie den zwischen Handlungsparlament und M i t regierungsfunktion auf die jeweils günstigste Organisation hin, so kann man allgemein sagen, daß den beiden Funktionen zwei unterschiedliche Organisationen der Parlamente entsprechen. Ist das Parlament wesentlich nur Kommentator der Regierungstätigkeit, so ist es am besten, wenn möglichst viele und möglichst verschiedene Meinungen i m Parlament zur Sprache kommen. W i r d die Regierungs39 Bruno Dechamps, Macht u n d A r b e i t der Ausschüsse, Meisenheim/Glan 1954, S. 139 f.; dazu auch Eschenburg, Zweiparteiensystem, S. 407. 40 Dazu auch: Hoppe, S. 4 A n m . 8. 41 Daneben hat es aber auch die F u n k t i o n eines Meinungsparlaments, n u r die Mitregierungsfunktion überwiegt; dazu Bagehot, S. 152.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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tätigkeit von möglichst verschiedenen Seiten erörtert und beleuchtet, so ist die Arbeit dieses Parlaments effektiv zu nennen. Die Arbeit des Meinungsparlaments ist daher auch dann effektiv, oftmals sogar dann ganz besonders, wenn kleine Minderheiten und einzelne Abgeordnete große Mitwirkungsmöglichkeiten bei der parlamentarischen Arbeit haben 42 . Ganz anders muß ein Handlungsparlament organisiert sein, bei dem mindestens das Schwergewicht seiner Arbeit i n Mitregierung besteht. Mitregierung bedeutet, daß das Parlament für den Handelnden einen Plan erstellt, nach dem dieser sich zu richten hat. Das heißt, das Parlament muß sagen, was es w i l l : es muß zu eindeutigen Entscheidungen gelangen, mehrdeutige Pläne sind unbrauchbar. Effektivität der Arbeit von Handlungsparlamenten erfordert daher eine solche Organisation, die das Erstellen eindeutiger Pläne begünstigt, was durch stabile Mehrheiten 4 8 zu erreichen ist, am vollkommensten theoretisch dann, wenn alle Abgeordneten überhaupt nur eine Meinung haben und Diskussionen mit „Andersgläubigen" überflüssig sind. Es versteht sich von selbst, daß es die extremen Formen dieser zwei Parlamentstypen nur i n Ausnahmefällen gibt. Die Unterscheidung soll aber deutlich machen, daß die Effektivität der parlamentarischen Arbeit i n beiden Fällen nach unterschiedlichen Organisationstypen verlangt. Offen bleibt dabei die Frage, wie die Organisation auszusehen hat, wenn beide Funktionen zusammentreffen. I n diesem Fall muß man beachten, daß die Mitregierungsfunktion für das Leben des Staates von existentiellerer Bedeutung ist als die Kontrollfunktion 4 4 . Ist die Arbeit des Parlaments i m Rahmen der Mitregierungsfunktion nicht effektiv, — kann keine Regierung gebildet werden, kommen keine (Gesetzes-)Beschlüsse zustande, dann nimmt das Gemeinwesen als solches Schaden. Daher ist es wichtiger, die Organisation i n diesen Fällen entsprechend der Mitregierungsfunktion zu gestalten, ein Handlungsparlament zu schaffen, als daß man sich nach den Erfordernissen der Kontrollfunktion richtet. Wenn die Parlamente also beide Funktionen zu erfüllen haben, 42 Dazu der Hinweis von Fellowes, S. 7, daß das Unterhaus eine echte K o n trolle ausübte, als eine beträchtliche Anzahl von Abgeordneten noch nicht gruppenmäßig gebunden w a r ; dazu allgemein: Hofstätter, Gruppendynamik, S. 165 f. 43 Crick, S. 1 ff.; Eschenburg, Zweiparteiensystem, S. 407; Jolly, S. 156; Obermann, S. 100; Varain, S. 249. 44 Κ . Adenauer hat einmal nach Domes, S. 175, gesagt: „Regiert muß w e r den!"; so auch: Barbarino, S. 99; Fellowes, S. 18; i n diesem Sinne ist auch das Wort von Friesenhahn, a.a.O., S. 12, zu verstehen: „Jeder Staat muß eine Regierung haben. Nicht jeder Staat braucht aber ein Parlament."

8 Hauenschild

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

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muß man sich bei der Regelung organisatorischer Probleme primär nach den Erfordernissen der Mitregierungsfunktion richten, und zwar u m so mehr, je stärker diese Funktion dem Parlament verliehen ist. Erst an zweiter Stelle ist die Kontrollfunktion zu beachten und dafür zu sorgen, daß auch sie effektiv wahrgenommen werden kann 4 5 . Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Opposition als solche bei der parlamentarischen Organisation u m so stärker berücksichtigt werden muß, je mehr Macht auch der Regierung eingeräumt w i r d 4 6 . U m zu erkennen, wie heute ein Parlament organisiert sein muß, damit seine Arbeit effektiv ist, muß man daher zunächst klären, ob das Parlament heute mehr Meinungs- oder mehr Handlungsparlament ist. Das letztere ist i n der Bundesrepublik Deutschland eindeutig der Fall 4 7 . Die Regierung ist nach dem Grundgesetz und den Länderverfassungen abhängig vom Parlament. Sie w i r d von diesem gewählt und kann von i h m abberufen werden. Die Normsetzungsbefugnis liegt i m Grundsatz beim Parlament. Einige staatsleitende Maßnahmen können nur unter M i t w i r k u n g des Parlaments getroffen werden. Also kommt es wesentlich darauf an, die deutschen Parlamente so zu organisieren, daß sie für die Mitregierungsfunktion geeignet sind 4 8 , ohne dabei die auf jeden Fall auch notwendige, aber i n diesem Sinne zweitrangige Kontrollfunktion unberücksichtigt zu lassen 49 . Zum Teil kann für die Lösung dieses Problems zurückverwiesen werden auf das, was bei der Erarbeitung des Konzentrations-, Vertretungsund Freiwilligkeitsprinzips gesagt wurde: Ein Parlament ist handlungsunfähig, also zum Mitregieren ungeeignet, wenn es nicht i n der Lage ist, Gruppen und Mehrheiten zu bilden 5 0 . Es kann seine Kontrollfunktion nur unvollkommen ausüben, wenn die Abgeordneten nicht frei ihre Meinung äußern, wenn nicht die Meinungen aller Gruppen allgemein bei der parlamentarischen Arbeit Berücksichtigung finden. Das soll hier jedoch noch näher erläutert werden i m Hinblick auf drei Faktoren, die unter dem Gesichtspunkt der Effektivität parlamentarischer Arbeit von besonderer Bedeutung sind. 45 Barbarino, gen, S. 67 f. 46 47 48 49

S. 99; Beeck (WRV), S. 11; Crick , S. 45; Domes, S. 11; v. Knoerin-

Crick , S. 1 f. Beeck (WRV), S. 11. Kaufmann, Grundtatsachen, S. 22. Zenker, Parlamentarismus, S. 15.

50 Friesenhahn, S. 66 Leitsatz 1 ; nach Ritter, S. 23, w a r dem Englischen U n t e r haus i n der Zeit von 1832—1867 die Ausübung seiner Mitregierungsfunktion fast unmöglich, w e i l die Abgeordneten nicht gruppenmäßig gebunden waren u n d der Einzelne das Sagen hatte.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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bb) Der Faktor „ Z e i t " 5 1 Die Arbeit des Parlaments ist nur dann effektiv, wenn sie innerhalb einer angemessenen Zeit zu Ergebnissen führt. Die Fülle der Aufgaben, m i t denen heute das Parlament beliehen ist, verlangt nach Straffung der parlamentarischen Arbeit m i t dem Ziel, möglichst schnell und reibungslos zu Ergebnissen zu kommen. Gerade die Mitregierungsfunktion des Parlaments fordert schnelle Aktionen und Reaktionen. Das gilt besonders für die Plenararbeit. Man kann das gesamte Parlament regelmäßig nur an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten zusammenrufen. Die Plenararbeit ist also i n der Regel auf eine bestimmte Zeit begrenzt, innerhalb derer das Parlament zu Ergebnissen kommen muß. Daß es von sich aus i m Einzelfall seine Sitzungen zeitlich ausdehnen und verlängern kann, spricht nicht dagegen. Aus dieser zeitlichen Begrenzung folgt, daß nicht jeder Abgeordnete m i t jeder Sache vor dem Plenum gehört werden kann. Damit ergibt sich das Problem der Auswahl und der Begrenzung. Dies läßt sich durch Mehrheitsentscheidung sicher nur i n Einzelfällen lösen, prinzipiell aber nicht. Dagegen spricht das Verfassungsgebot des Minderheitenschutzes, aber auch andere Gründe, auf die noch später zurückzukommen ist. Hier gilt es hingegen festzuhalten, daß sich das vom Gesichtspunkt der Effektivität ergebende Zeitproblem bewältigen läßt, wenn man organisatorisch folgendes berücksichtigt: Die Arbeit des Parlaments ist nur dann effektiv, wenn sich möglichst schnell möglichst wenige Meinungen i m Parlament herausbilden, die möglichst klar vertreten werden; um daher die parlamentarische Arbeit effektiv zu gestalten, muß man die Erfüllung dieser Forderung organisatorisch ermöglichen und vereinfachen. Aus dieser Forderung läßt sich nun sehr leicht das Konzentrationsprinzip heraussezieren. I n der Tat ist es so, daß die Gruppenbildung für die Straffung und damit auch für die Effektivität der parlamentarischen Arbeit ebenso wichtig ist wie für die Bildung beschlußfähiger Mehrheiten 5 2 . Andererseits zeigt auch hier das Vertretungsprinzip die Grenze: Konzentration aus Gründen der Effektivität darf nicht so weit gehen, daß die M i t w i r k u n g und Vertretung der i m Parlament existierenden wichtigen Meinungen unterdrückt w i r d ; man erleichterte damit zwar die Mitregierungsfunktion erheblich, machte die Kontrollfunktion aber unmöglich. Denn diese kann, wie oben erwähnt, gerade dann besonders gut erfüllt werden, wenn i m Parlament viele Meinungen vertreten werden. 51 52

8*

Dazu Binding , Notwehr, S. 12,17, 24 L;Partsch, Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 131 ff.

S. 94 ff.

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Schließlich zeigt sich hier auch eine natürliche Begrenzung des Freiwilligkeitsprinzips. Denn wenn ein Abgeordneter für seine Spezialmeinung i n einer angemessenen Zeit keine Gesinnungsgenossen findet, dann ist eben diese Meinung für den Effekt der parlamentarischen A r beit ohne jede Bedeutung 53 . Allenfalls i m Rahmen der Kontrolle durch Einzelakte sind auch die Ansichten Einzelner von Wichtigkeit. Daraus kann man die Forderung ableiten, daß bei Ausübung der Kontrollfunktion durch Einzelakt — Anfrage an die Regierung — der einzelne Abgeordnete auch ohne Unterstützung zu berücksichtigen ist. cc) Der Faktor „Wichtigkeit" Effektivität der parlamentarischen Arbeit kann jedoch nicht nur bedeuten, daß das Parlament seine Arbeit möglichst schnell erledigen soll. Denn da es unmöglich alle i n seiner Funktion gelegenen Möglichkeiten v o l l ausschöpfen kann, kommt es darauf an, daß es die wichtigsten herausgreift. Dasselbe kann auch an folgendem erläutert werden: Es wäre vorstellbar, daß man die Lösung des Zeitproblems dem Zufall überläßt, indem man eine bestimmte Redezeit insgesamt und pro Redner festsetzt und die Auswahl der Redner vom Zeitpunkt ihrer Meldung abhängig macht; oder man läßt durch das Los entscheiden, wer jeweils seine besonderen Probleme darlegen, seine Anträge stellen kann. Ein solches Verfahren würde die Gefahr i n sich bergen, daß zwar viele nebensächliche Dinge zur Sprache kämen, nicht aber das, was eigentlich zur Sprache kommen müßte. Es muß daher organisatorisch auf irgendeine Weise abgesichert werden, daß sich das Parlament mit den Problemen beschäftigt, die wichtig sind. Die Frage danach, was denn wichtig sei, wer darüber wie entscheiden solle und könne, soll bei der Behandlung des Faktors „Richtigkeit" beantwortet werden. A n dieser Stelle muß aber wiederum auf das Konzentrations- und Vertretungsprinzip verwiesen werden. Denn was wichtig ist, kann i m Parlament niemals irgendeine Einzelperson feststellen. Immer müssen mehrere (Gruppen) eine Sache für wichtig halten, damit sie allgemein i m Parlament als wichtig gelten kann. Unter Beachtung des Vertretungsprinzips kann man sagen, daß alles, was Gruppen von Abgeordneten für wichtig halten, auch als wichtig für die Behandlung durch das gesamte Parlament gelten muß 5 4 . Die Abgeordneten können sich dadurch zu Gruppen zusammentun, daß sie sich i n einem freiwilligen Kompromiß auf das Grundproblem aller ihrer Anliegen einigen oder ebenfalls i m Wege eines Kompromisses eine Auswahl dessen aus ihren vielen Anliegen treffen, was vorrangig, 58 54

So schon Cushing, S. 18. I n diesem Sinne: Bagehot, S. 153.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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was wichtig erscheint 55 . I n beiden Fällen muß den Abgeordneten das, was sie gemeinsam t u n wollen, richtig erscheinen. Damit ergibt sich der dritte Faktor des Effektivitätsgesichtspunktes. dd) Der Faktor „Richtigkeit" Damit die Arbeit des Parlaments effektiv ist, damit also das Parlament seine Funktionen erfüllen kann, genügt es nicht, wenn organisatorisch gewährleistet wird, daß Ergebnisse möglichst schnell herbeigeführt werden und daß die Abgeordneten sich nur mit dem beschäftigen, was ihnen wichtig ist, sondern es kommt nicht zuletzt auch darauf an, daß die parlamentarische Arbeit zu richtigen Ergebnissen führt, und zwar richtig i m Hinblick auf die Funktion des Parlamentes. Das Parlament muß dazu kommen, daß es richtige Mitregierungsakte erläßt und daß es die Regierung richtig kontrolliert. Dabei stellt sich wieder die oben schon aufgeworfene Frage: Was ist richtig? Wer soll entscheiden, was richtig ist? Gibt es objektive Maßstäbe? Alle Fragen, die vom Parlament aufgegriffen werden können, sind unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten zu sehen, nämlich dem sachlichen und dem politischen. Der sachliche Aspekt ist die vornehmlich wissenschaftlich-objektive Betrachtungsweise eines Problems, die Suche nach den der Sache entsprechenden Lösungen. Unter diesem Aspekt dürfte es eigentlich immer nur eine Lösung geben. Die Lebenserfahrung, aber auch die objektive Wissenschaft zeigen jedoch, daß dem nicht so ist. Uber jedes i m Parlament anstehende Problem lassen sich i n der Regel nur i n begrenztem Umfang sichere Aussagen machen 56 . Das übrige liegt i m Bereich der Vermutungen und Prognosen. Dieser Bereich soll i n diesem Zusammenhang der „politische" genannt werden. Der politische Aspekt ist also spekulativer Natur. Eine objektive Aussage über die Richtigkeit einer politischen A n t w o r t läßt sich immer erst „hinterher", i n einer historischen Betrachtung machen, nachdem die A n t w o r t gegeben, die politische Entscheidung getroffen ist. So sind es etwa politische Fragen, ob man i m Jahre 1966 die Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze anerkennen soll, ob man m i t Ulbricht reden, aber auch, ob man die Subventionen für die Landwirtschaft zugunsten des Bildungsetats antasten soll. Selbst wenn man diese Fragen vor der entscheidenden A n t w o r t sachlich bis zu einem gewissen Grade klären kann, bleibt dennoch ein Rest für die politische Beantwortung zurück. Die Politiker, und hier besonders die Abgeordneten, müssen sich aber auch i n diesen politischen Fragen entscheiden, dies ist sogar ihre ureigenste Aufgabe. Sie entscheiden sich entsprechend ihrer politischen Grundanschauung, ihres 55

Kremer, S. 35. Bergsträsser, L., Parteien - Fraktionen, S. 86; v. Knoeringen, gemein dazu: Krüger, Staatslehre, S. 237. 56

S. 81 ff.; a l l -

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Herkommens, entsprechend den Traditionen und Wertvorstellungen, i n denen sie wurzeln 5 7 . Festzuhalten ist also, daß man nur sehr begrenzt sagen kann, was nach objektiven Maßstäben richtig oder falsch ist, nur i n den Bereichen nämlich, die einer sachlichen, objektiven Beurteilung unterliegen. Schon die Frage aber, ob man sich überhaupt m i t einer Sache i m Parlament beschäftigen soll, ob sie „wichtig" ist, läßt sich meist nur politisch beantworten. So ist auch nur nach politischen Gesichtspunkten zu entscheiden, was getan werden muß, damit die Arbeit des Parlaments i n dem Sinne effektiv ist, daß sie zu den richtigen Ergebnissen führt: daß richtig M i t regierungsakte erlassen werden, die Regierung richtig kontrolliert wird. Man kann daher i m einzelnen nicht sagen, was das Parlament tun muß, damit nach objektiven Maßstäben die Arbeit des Parlaments effektiv ist. Was richtig ist, läßt sich objektiv nicht sagen, nur subjektiv hat jeder einzelne Abgeordnete eine Meinung davon, die sich meist aus diesem Gemisch von sachlichen und politischen Urteilen und Erfahrungen zusammensetzt. Richtigkeit ist damit für das Parlament ein variabler Begriff. Was als richtig gilt, ist abhängig von der Sachfrage und den Mehrheitsverhältnissen i m Parlament. Daher muß immer wieder aufs neue verbindlich festgestellt werden, was i n dieser oder jener Angelegenheit als richtig gelten muß. Man kann sogar sagen, daß dies die eigentliche Aufgabe des Parlaments ist. Sowohl i m Rahmen der Mitregierungs- als auch i n dem der Kontrollfunktion ist das Parlament aufgerufen, immer wieder verbindlich das festzustellen, was es für politisch richtig hält. Das bedeutet, daß das Ziel, der Endpunkt jeder parlamentarischen Arbeit die Aussage des Parlaments ist, daß unter sachlichen und vor allem politischen Gesichtspunkten dieses für richtig und jenes für falsch gehalten wird. Die Voraussetzung für eine effektive parlamentarische A r beit ist also, daß diese politische Urteilsbildung ermöglicht, die politische Entscheidung herbeigeführt wird. 57 Friesenhahn, S. 14; v. d. Gablenz, S. 19; v. Knoeringen, S. 83; NeumannHof er, S. 56; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 145 f., unterscheidet objektive, ideologische, egoistische u n d taktische Gesichtspunkte; Smend, V e r schiebung, S. 280, spricht von dem „irrationale(n) Wesen des poltischen K a m p fes"; Thoma, Ideologie, S. 215: die Entscheidungen i n der P o l i t i k sind immer voluntaristischer, niemals intellektualistischer A r t ; folgerichtig unterscheidet etwa auch die Kommission f ü r die Finanzreform i m m e r zwischen sachlichen u n d eigentlich politischen Fragen, f ü r deren Beantwortung sie sich als unzuständig erklärt, siehe: Gutachten über die Finanzreform i n der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart - K ö l n - B e r l i n - Mainz 1966, S. 4 Ziff. 13, S. 18 Ziff. 65 f.; siehe zu diesem Problemkreis aber auch die Schrift von Schmölders, Die Polit i k e r u n d die Währung, bes. S. 135 ff., der zu einer sehr negativen Beurteilung der Sachkenntnis u n d des Sachverstandes der Abgeordneten kommt, wodurch die Wahrscheinlichkeit „politischer" Entscheidungen noch größer w i r d .

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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Das setzt zunächst eine bestmögliche Unterrichtung und Aufklärung der Abgeordneten voraus, vor allem die Unterrichtung des Parlaments durch die Regierung. Einwandfreie Klärung der Sachfragen muß Voraussetzung für jede politische Entscheidung sein. Ferner ist Voraussetzung wie bei jeder parlamentarischen Entscheidung: Gruppenbildung, Konzentration der Abgeordneten. Die Herbeiführung politischer Entscheidungen des Parlaments erfordert die Bildung politischer Meinungen i m Parlament, die Bildung von Gruppen, die m i t einheitlicher politischer Meinung als Mehrheit des Parlaments auftreten und dem Handeln ein Ziel setzen 58 . Da die politische Beurteilung der Lage durch das Parlament, die politische A k t i o n und Reaktion seine eigentliche Aufgabe ist, nach dem, was hier gesagt wurde, kann damit das Konzentrations- und Vertretungsprinzip weiter konkretisiert werden: Es ist notwendig bei der Organisation des Parlaments zu berücksichtigen, daß sich freiwillig (Freiwilligkeitsprinzip!) Gruppen von Abgeordneten bilden, die m i t einheitlichen politischen Meinungen i m Parlament auftreten; diese Gruppen sind i n jeder Beziehung bei der Regelung parlamentarischer Arbeit zu berücksichtigen. Z u diesen Gruppen ist weiter noch folgendes zu sagen: Politische Entscheidungen können freiwillig nur solche Abgeordnete gemeinsam trefen, die zumindest ähnliche politische Grundanschauungen haben. Man macht nur dann freiwillig Abstriche von der eigenen Meinung, sieht m i t anderen ein gemeinsames Grundproblem, wenn man überhaupt m i t dem anderen gemeinsame Probleme sieht, diese i n ähnlicher Weise sieht wie der andere, die Gewichte i n ähnlicher Weise verteilt. T r i f f t das alles nicht zu, so ist eine Einigung zwar nicht ausgeschlossen, sie ist aber zufällig, rational nicht vorhersehbar, nicht typisch. Wenn man aber gerade unter dem Gesichtspunkt der Effektivität organisatorisch etwas regeln w i l l , ist es wenig sinnvoll, auf Zufälle zu hoffen oder willkürlich zu reglementieren. Vielmehr sind die Vorgänge zu unterstützen und zu fördern, die typisch sind. W i l l man daher Gruppen mit einer einheitlichen politischen Meinung i m Parlament, kann man nur den typischen Weg zur Bildung einer solchen Gruppe glätten. Man muß fördern, daß diejenigen sich zusammentun, die eine gleiche oder mindestens ähnliche politische Grundanschauung haben. c) Der Gesichtspunkt der Praktikabilität Als letzter Gesichtspunkt, der bei der Regelung der parlamentarischen Arbeit notwendig zu berücksichtigen ist, soll der Gesichtspunkt der 58

Varain, S.247.

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3. Kapitel : Die Funktionen der Fraktion

Praktikabilität behandelt werden. Nach ihm kommt es vor allem auf die praktische Brauchbarkeit der Verfahrensordnung an 5 9 . Eine Verfahrensordnung ist nur dann praktisch brauchbar, wenn sie die funktionelle, aber vor allem auch die menschliche Komponente der parlamentarischen Arbeit gebührend berücksichtigt 60 . Es muß „einkalkuliert" werden, daß sich das Parlament aus Menschen zusammensetzt, die wie alle anderen auch die typisch menschlichen Eigenarten, Fehler und Schwächen haben. Die psychologische Situation der Parlamentarier muß berücksichtigt werden, ihr natürliches Verhalten, die Bedingungen für ihre Arbeit. Denn es soll nicht i m „luftleeren Raum" konstruiert, Forderungen nicht zum Dogma erhoben werden, die nicht befolgt werden können. Vielmehr kann nur dann eine Verfahrensordnung praktikabel sein, wenn sie diese realen Gegebenheiten berücksichtigt und sogar von ihnen ausgeht. U m i m Rahmen der über dieser Untersuchung stehenden Fragestellung zu bleiben, sollen nur zwei Dinge angesprochen werden, nämlich die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen und die natürliche Gruppenbildung i m Parlament. aa) Die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen Neumann-Hof er 81 gebührt der Verdienst, die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen für die Arbeit des Parlaments nachgewiesen zu haben 6 2 . M i t der Notwendigkeit vertraulicher Beratungen begründet er die Wichtigkeit von Ausschußsitzungen. Die Notwendigkeit vertraulicher Beratungen leitet er ab von einem „psychologischen Gesetz", daß nämlich ein Redner i m Ausdruck und i m Inhalt seiner Gedanken u m so sicherer sein muß, je größer die Zahl der Personen ist, zu denen er zu sprechen hat. Ein öffentlicher Redner, der sich seiner Sache nicht vollkommen sicher ist, oder zumindest nicht diesen Anschein erweckt, erw i r b t keine Zustimmung, kein Vertrauen, er macht sich unmöglich 63 . I m Gespräch m i t einem begrenzten Personenkreis, m i t dem man zudem 59 So schon Mittermaier, S. 643 f.; Laband, Parlamentar. Rechtsfragen, S. 5; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 123. 60 v. Knoeringen, S. 37. el Neumann-Hof er, Die Wirksamkeit der Kommissionen i n den Parlamenten, Z. f. Politik, 4. Bd., 1911, S. 51 ff. 82 So schon vorher i n kurzen Bemerkungen: Eisenmann, S. 7; v. Mohl, Beiträge, S. 39; später: Max Weber, S. 63 ff.; Hatschek, Dt.u.Pr.StR I, S. 427; Koellreutter, Parteien, S. 77; Deneke, S. 525; Domes, S. 164 f.; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 130 ff.; Krüger, Staatslehre, S. 444 ff.; Partsch, S. 83; diese N o t wendigkeit w i r d von den meisten K r i t i k e r n der Proporzionalisierung übersehen, so etwa von Smend, Verschiebung, S. 280 ff. 88 Neumann-Hof er, S. 58; sehr i n s t r u k t i v auch: Müller-Meiningen, S. 118 ff.: Über die K u n s t u n d W i r k u n g der Parlamentsrede i m allgemeinen; Krüger, Staatslehre, S. 444 f.; Sultan, S. 131 f.; Thoma, Ideologie, S. 214.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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noch i n einer besonderen persönlichen Beziehung steht, ist es dagegen weniger schädlich, vage Gedanken, Vermutungen und Ideen zu äußern. Hier herrscht die Atmosphäre der Vertraulichkeit. Das bedeutet zunächst nicht Ausschluß der Öffentlichkeit, Unterbindung jeder Berichterstattung 64 . Aber es bedeutet eine Beschränkung: Es werden entweder nur bestimmte Berichterstatter zugelassen oder nur bestimmte Fakten an die Presse zur Veröffentlichung freigegeben 65 . Die Beschränkung der Öffentlichkeit ist notwendig, um die Atmosphäre der Vertraulichkeit zu erzeugen. Uberspitzt formuliert könnte man folgendes sagen: Wenn man nach dem lateinischen Sprichwort den I r r t u m für ein Element des Menschlichen schlechthin hält, so fordert die Öffentlichkeit von dem Politiker i n diesem Sinne eine „Entmenschlichung"; er darf sich nicht irren. Dieser Umstand w i r d durch nichts besser gekennzeichnet als durch eine schlagkräftige Bemerkung, die man Konrad Adenauer zuschreibt und die zu ihrer Zeit sowohl Heiterkeit als auch Empörung auslöste. Als man ihn nämlich einmal öffentlich darauf hinwies, daß er am Vortage das Gegenteil von dem gesagt habe, was er jetzt behaupte, entgegenete er, daß er inzwischen ja auch 24 Stunden älter geworden sei. Wer vor dem Plenum der Öffentlichkeit auftritt, muß ihren Anspruch auf Seriosität achten. Vor dem Plenum t r i t t der Abgeordnete daher regelmäßig i n der Pose des Unfehlbaren auf. Hier muß jeder Plan, jeder Vorschlag, jedes Wort überlegt, überzeugt und fest sein. Was hier gesagt wird, gilt definitiv. M i t den Äußerungen, die vor dem Plenum fallen, w i r d der Abgeordnete beim Wort genommen 66 . I n jeder Zeitung kann man das nachlesen. Man muß sich aber den langen Weg von der zunächst einmal recht vagen Idee irgendeines Abgeordneten bis hin zum endgültigen Beschluß des Plenums vergegenwärtigen. Es ist sicher die Ausnahme, wenn ein Abgeordneter einen Vorschlag einbringt, der ohne weiteres zu einem Beschluß des Parlaments, einem Gesetzesbeschluß gar, führt. Auch hat nicht jeder Abgeordnete zu jedem Antrag gleich eine feststehende und unumstößliche Ansicht. Die meisten werden schwanken, die Sache sich oft überlegen, sich eingehend informieren müssen, das Bedürfnis haben, darüber einmal m i t anderen quasi „ i n Kladde" zu reden 67 . Es kommt hinzu, daß sich diese Gespräche meist i m politischen Bereich bewegen, wo feststehende, objektiv-richtige Aussagen von der Sache her nicht möglich sind. Hier w i r d der einzelne zunächst einmal sehr vorsichtig 64

Neumann-Hofer, S. 58; Hatschek, Dt.u.Pr.StR. I, S. 428. Neumann-Hof er, S. 80. ββ Neumann-Hof er, S. 62; ähnlich auch: v. Mohl, Geschäftsordnungen, S. 306; Deneke, S. 511,519. 67 Kremer, S. 33. 65

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

sein, sich nicht binden, unverbindlich bleiben wollen. A l l das ist aus den oben geschilderten Gründen i m Plenum nicht möglich 68 . Hier ist die gesamte Öffentlichkeit Zuhörer und Zuschauer. Es muß also — wiederum um die parlamentarische Arbeit überhaupt zu ermöglichen — ein Gremium, ein organisatorisches Institut geschaffen werden, i n dem das alles möglich ist, weil hier der „Grundsatz der Vertraulichkeit" herrscht 69 » 70 . Voraussetzung für das Entstehen einer solchen vertraulichen Atmosphäre kann sein: ein freundschaftliches Verhältnis unter den Beteiligten, ein erhöhtes Maß an Kollegialität, zahlenmäßige Beschränkung 71 , Loyalität, gleiche politische Grundanschauungen, ein gemeinsames Wollen. bb) Die natürliche Gruppenbildung i m Parlament Bei den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung spielt immer die Notwendigkeit von Gruppenbildungen eine Rolle. Es w i r d gefordert, daß Gruppenbildung organisatorisch angeregt und gefördert werden soll. Offen bleibt bisher die Frage, wie man das bewerkstelligen kann. Theoretisch ließe sich das Problem auf die verschiedenste Weise lösen. Ein, wenngleich auch untauglicher, Versuch war die Bildung von Abteilungen i m Reichstag und i m Preußischen Abgeordnetenhaus. Es soll aber nach der Lösung gesucht werdéh, die am besten dem Grundsatz der Praktikabilität entspricht. Aus diesem Grund sind Forderung und reale Gegebenheiten einander gegenüberzustellen. Faßt man das zusammen, was bisher über die Gruppen gesagt wurde, wie sie aussehen sollen, so ergibt sich folgende Feststellung: Es ist für die parlamentarische Arbeit unabdingbar, daß i n den Parlamenten die Abgeordneten sich freiwillig (Freiwilligkeitsprinzip) zu verschiedenen (Vertretungsprinzip) Gruppen zusammentun (Konzentrationsprinzip), 68

Kaufmann, Grundtatsachen, S. 23. Neumann-Hof er, S. 58; Hofstätter, Gruppendynamik, S. 95, meint, daß „Konvergenzverhalten n u r i n geschlossen Gruppen möglich" sei, „Unterredungen, von denen jedes Wort i n die Öffentlichkeit übertragen w i r d , sind zu G r u p penleistungen v o m Typus des Bestimmens durchaus untauglich; es fehlt ihnen der notwendige Meinungsspielraum". 70 Wie notwendig diese A r t von Beratung ist, zeigt sich an einer Einrichtung der „ M u t t e r der Parlamente", des Englischen Unterhauses: dieses k a n n sich auf A n t r a g zu einem sogenannten „committee of the whole house" erklären; das hat dann zur Folge, daß die Diskussion durch Wegfall strenger Geschäftsordnungsbestimmungen u n d durch Beschränkung der Berichterstattung ungezwungener u n d damit dem hier gemeinten Sinne vertraulich w i r d ; dazu Cohen, S. 96 ff.; Crick, S. 81; Cushing, S. 86 ff.; ν . Gerlach, S. 48; Hatschek, Dt.u.Pr.StR. I, S. 427; Mittermaier, S. 651; zu einem solchen „committee" erklärt sich das Parlament generell bei der Beratung des HaushaltsG u n d des JahressteuerG, so Vogel, Die pari. Behandlung von Haushalts- u. SteuerGen i n G r o ß - B r i t a n nien, i n : Deutsches Steuerrecht, 1965, S. 402 ff. (403); v. Mohl, Geschäftsordnungen, S. 297 A n m . 1 ; Roelker bei Cushing, S. X I f. 71 Dazu allem: Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 128 ff.; Max Weber, S. 63. 69

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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die i m Parlament mit einheitlichen politischen Meinungen auftreten (Effektivität); die Mitglieder dieser Gruppen müssen gleiche oder ähnliche politische Grundanschauungen haben (Grundsatz der Effektivität und der Praktikabilität); i n ihnen müssen vertrauliche Beratungen möglich sein (Grundsatz der Praktikabilität). Man könnte daran denken, für jedes Element dieser Forderung eine eigene Gruppe zu schaffen: besondere Gremien für die Beratung, andere für die Filtrierung der Meinungen, wieder andere für vertrauliche Beratungen usw. Es ist aber unschwer zu erkennen, daß dies kaum praktikabel wäre. A m besten wäre es daher, wenn man organisatorisch solche Gruppen schaffen könnte, die die gesamte Forderung erfüllen. Es fragt sich daher, was dieser Forderung an realen Gegebenheiten gegenübersteht: das Parlament als eine Versammlung von einzelnen Abgeordneten, von Individuen m i t theoretisch voneinander völlig verschiedenen Vorstellungen und Zielen? I n Wirklichkeit ist das nicht der Fall. Es zeigt sich nämlich, daß sich i m Parlament aus mancherlei Gründen auf natürliche Weise Gruppen bilden, die genau den Forderungen entsprechen, die oben aufgestellt wurden 7 2 . Der weitaus überwiegende Teil der Abgeordneten w i r d heute i n Deutschland über die Partei ins Parlament gewählt. Die Partei stellt den Abgeordneten als Kandidaten auf und bürgt für ihn. Sie tut das als Gegenleistung dafür, daß der Kandidat sich zu ihren Zielen bekennt und seine eigene politische Grundanschauung auf die der Partei abstimmt, wenn er diese überhaupt nicht gar erst durch die Partei erhält. W i r d der Kandidat dann ins Parlament gewählt, so t r i f f t er dort i n der Regel noch andere Mitglieder seiner Partei oder wenigstens solche, die sich zu seiner Partei bekennen. Damit finden sich hier Abgeordnete zusammen, die eine gleiche oder ähnliche politische Grundanschauung haben, die etwas Gleiches wollen. Ist die Möglichkeit zur Gruppenbildung aufgrund der Zugehörigkeit zu derselben Partei nicht gegeben, so kann sich auch sonst herausstellen, daß mehrere das gleiche wollen. Denn es ist praktisch niemals so, daß i n einem Parlament von etwa 200 Abgeordneten auch 200 politische Grundanschauungen gegebens sind, die sich nicht auf verschiedene gemeinsame Nenner bringen lassen 73 . Ist daher nicht die Partei maßgeblich für die Gruppenbildung, so sind es die wichtigen i m Parlament zur Debatte stehenden Sachfragen. Das zeigt besonders gut das Beispiel der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49: A n den großen Sachfragen 72 So schon Eisenmann, S. 5; v. Mohl, Encyklopädie, S. 650; ders., Lebenserinnerungen, S. 262. 73 Dazu auch: Barbarino, S. 106 iL; Friedrich, Demokratie, S. 21.

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3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

teilte sich das Parlament i n Gruppen, die mit gemeinsamen Antworten auftraten und auch i n anderen Fragen gemeinsam handelten 74 . Es gibt also i n jedem Parlament natürlich gewachsene Gruppen von Abgeordneten, die politisch das gleiche wollen und sich auch i n der Regel sehr schnell auf freiwilliger Basis zusammenschließen. Diese Gruppen erfüllen die oben aufgestellten Forderungen i n ihrem Kern. Es ist daher unnötig, Gruppenbildung auf künstlichem Wege herbeizuführen, sondern es entspricht vielmehr am besten dem Grundsatz der Praktikabilität, wenn man zur Lösung der angeführten organisatorischen Probleme auf diese Gruppen zurückgreift. Denn diese Gruppen lösen die Probleme von sich aus, wenn man sie nur wirken läßt, gleichsam aus dem „Gesetz, nach dem sie angetreten". Die sozialpsychologischen Untersuchungen zur Gruppendynamik verdeutlichen das sehr gut 7 5 . Sehen sich mehrere Individuen einer Aufgabe gegenüber, so vergrößert sich mit der Steigerung der gemeinsamen Bemühungen der Kontakt zwischen diesen Individuen. M i t dem Kontakt wächst die Sympathie 7 6 . Es entsteht das sogenannte „Wir-Bewußtsein" 7 7 . Die sozialen Distanzen zwischen den zur Gruppe zusammengeschlossenen Personen nehmen ab. Die Mitglieder scheinen einander ähnlich. Interne Differenzen werden klein gehalten 78 , es zeigt sich das „Phänomen der Meinungskonvergenz" 79 . Die Gruppe erhält eine eigenständige, den Wechsel der Mitglieder überdauernde Realität 8 0 . Der Zusammenschluß nach innen w i r d verstärkt durch Vergrößerung des Distanz zu Außenstehenden, zu anderen Gruppen 8 1 . Innerhalb der Gruppe bildet sich eine eigenständige Organisation, die zu einer Rollenverteilung führt 8 2 . Verschiedene Mitglieder haben i m Rahmen der Organisation Funktionen für die Gruppe zu erfüllen. Dabei ist die Führerrolle eines oder mehrerer Mitglieder besonders wichtig und bei jeder Gruppe anzutreffen (Koordination der Bemühungen der Gruppenmitglieder auf das gemeinsame Ziel hin). Max Weber 8 3 spricht von dem stets beherrschenden „Prinzip 74 Sulzbach, S. 113,154 f.; Bergsträsser, L., Die Parteien von 1848, S. 188; siehe auch oben 1. K a p i t e l unter Β . I. 75 Dazu Hofstätter, Gruppendynamik, 1965, passim; ders., Fischer-Lexikon „Psychologie", S. 155 ff.; Weippert, Die B i l d u n g sozialer Gruppen, passim. 76 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 154 ff.: K o n t a k t u n d Sympathien sind zueinander direkt proportional. 77 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 97 ff., 117 ff.; Weippert, S. 8 f. 78 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 501; Hofstätter, Gruppendynamik, S. 85 ff.; Sulzbach, S. 113. 79 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 74 ff. 80 Weippert, S. 8 f. 81 Deneke, S. 517,519, 522; Hofstätter, Gruppendynamik, S. 98 ff., 102 f., „ W i r Gruppe" u n d „Die-Gruppen". 82 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 111 ff., 125. 83 Max Weber, S. 52.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

125

der kleinen Zahl". Eine Hierarchie bildet sich heraus 84 . Die Gruppe setzt i n der Regel i n unklaren Situationen die Norm 8 5 , nach der sich die M i t glieder richten können und sich auch tatsächlich richten 8 6 . Dabei ist der Ursprung dieser Norm meist nicht klar ersichtlich oder rational zu begründen. Normgemäßes Verhalten gilt unter den Gruppenmitgliedern vielmehr als Selbstverständlichkeit 87 . Wichtigster Arbeitsvorteil der Gruppen gegenüber den Einzelnen ist der Umstand, daß die Gruppe leichter i n der Lage ist, die Lösung eines Problems zu finden 88. Dies ist allerdings i n erheblichem Maße abhängig von der Größe der Gruppe, der Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern, ihrer Unabhängigkeit und noch weiteren Faktoren, auf die i m einzelnen nicht eingegangen werden kann 8 9 . Es entspricht also am besten den Grundsätzen der Praktikabilität, wenn man die oben aufgeworfenen Probleme auf die Weise löst, daß man diese natürlich gewachsenen Gruppen organisatorisch anerkennt, ihre Bildung anregt, unterstützt und fördert. Diesen Gruppen muß die Aufgabe zufallen, die Abgeordneten auf freiwilliger Basis zusammenzufassen, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, untereinander Kompromisse zu schließen, um i m Parlament eine Mehrheit zu bilden. Die Funktion des Unterhändlers, des Gruppenrepräsentanten, übernehmen besondere Gruppenmitglieder, die durch die interne Organisation der Gruppe ausgewählt werden. Die Gruppen vertreten i m Parlament die verschiedenen dort bestehenden politischen Ansichten, Parteiungen, Grundanschauungen. Das Freiwilligkeitsprinzip w i r d dadurch beachtet, daß der Abgeordnete frei darüber entscheiden kann, welcher Gruppe er sich anschließen und wie lange er dort bleiben w i l l . Er w i r d keiner Gruppe zugeteilt. Die Gruppen erhöhen die Effektivität der parlamentarischen Arbeit, da sie sehr schnell eine begrenzte Anzahl von Meinungen i m Parlament artikulieren und sich klar gegeneinander abgrenzen können. Denn die Gruppen vollziehen intern die Vorklärung der Meinungen, die dann gebündelt und getrennt nach politischer Grundanschauung i m Plenum vorgebracht werden können. Infolgedessen ist eine Beschlußfassung i m Parlament durch Abstimmung über die Grup84

Weippert, S. 20. Nach Hofstätter, Gruppendynamik, S. 56 ff., eine „Leistung vom Typus des Bestimmens". 88 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 61; Weippert, S. 12 ff. 87 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 56 ff., 82 f. 88 Deneke, S. 517,519; Hofstätter, Gruppendynamik, S. 27 ff., 161. 89 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 162, 164 ff., nennt drei Bedingungen als Voraussetzung f ü r die Erzielung eines optimalen Resultats von Gruppenleistungen, nämlich 1. die Kommunikationsbedingung, 2. die Akzeptierungsbedingung u n d 3. die Unabhängigkeitsbedingung; siehe auch ders., Fischer-Lexikon, S. 160, m i t weiteren Nachweisen. 85

126

. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

penmeinungen schnell möglich. Auch treffen die Gruppen eine Auswahl dessen, was von den verschiedenen politischen Standpunkten aus gesehen für eine parlamentarische Behandlung wichtig und richtig erscheint, so daß das Parlament sich nicht m i t politisch unwichtigen Dingen zu beschäftigen hat und seine Arbeit i m Sinne seiner Funktion richtig, effektiv ist. Denn die entscheidenden politischen Kräfte können den Verhandlungsstoff bestimmen. Schließlich zeigen auch die Gruppen intern eine solche Atmosphäre, daß vertrauliche Beratungen i n ihnen möglich sind; dafür sprechen die gemeinsamen politischen Ziele, das Gemeinschaftsgefühl, die m i t dem Kontakt wachsende Sympathie, die begrenzte Zahl u. a. m. Man kann sagen, daß vom Standpunkt der Praktikabilität aus gesehen diese Lösung die einzig mögliche ist. Andere Lösungen widersprechen den realen Gegebenheiten. Es käme zu einer Zweigleisigkeit zwischen den natürlich gewachsenen und den organisatorischen Gruppenbildungen. Dabei würde die Organisation austrocknen 90 , wenn man nicht durch drastische Maßnahmen die Realität veränderte. Dafür ist das Nebeneinander von Fraktionen und Abteilungen i m alten Reichstag und i m Preußischen Abgeordnetenhaus ein typisches Beispiel. 3. Funktion der Fraktion für die parlamentarische

Arbeit

Nach diesen theoretischen Überlegungen zur Organisation des Parlaments ist es unschwer zu sagen, was Funktion der Fraktion für die Arbeit des Parlamentes ist. Denn die Fraktionen sind eben diese Gruppen i m Parlament, die vorhanden sein müssen, damit das Parlament überhaupt seine eigenen Funktionen erfüllen kann 9 1 . Bei ihnen liegt der Schwerpunkt der parlamentarischen Arbeit überhaupt 9 2 . M i t der A n erkennung der Fraktionen durch die parlamentarischen Geschäftsordnungen, m i t der oben i m einzelnen dargestellten Übertragung von Zuständigkeiten und Berechtigungen auf die Fraktionen lösen die Parlamente die vorstehend geschilderten organisatorischen Probleme. Das zeigt ein Blick auf die Praxis der parlamentarischen Arbeit: Die Fraktionen werden i n der Regel von Abgeordneten einer Partei gebildet oder wenigstens von Abgeordneten „verwandter" 9 3 Parteien. Daß parteilose Abgeordnete Fraktionen bilden, w i r d praktisch durch 90

Kaufmann, Regierungsbildung, S. 206. So schon: v. Gerlach, S. 30,41; Rehm, S. 22. 92 Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 535; Kaufmann, S. 211 f. 93 v. d. Heydte, Soziologie, S. 194. 01

Regierungsbildung,

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

127

das Wahlrecht ausgeschlossen. Verbindungen von Abgeordneten m i t verschiedenen politischen Grundanschauungen, sogenannte „ad-hoc-Fraktionen" sind zwar nach einigen Geschäftsordnungen theoretisch möglich, praktisch aber sind sie aus den oben angegebenen psychologischen Gründen nur sehr selten und dann von kurzer Dauer 9 4 . Die Parlamente werden versuchen, solchen Verbindungen die Anerkennung als Fraktion zu versagen, etwa durch Heraufsetzung der Mindestmitgliederzahl. I m Bundestag kann man i m übrigen solchen Gebilden die Zustimmung nach § 1014 GOBT verweigern. Damit ist gewährleistet, daß die Fraktionen Gruppen m i t einheitlichen politischen Grundanschauungen sind 9 5 . Aus diesem Fundus heraus läßt sich dann nicht nur die gemeinsame Beantwortung einer Frage ableiten, sondern die meisten Fragen werden sich von daher einheitlich beantworten lassen. Zumindestens w i r d man sich i m Hinblick auf das gemeinsame Ziel fast immer einigen können. Das Konzentrationsprinzip kann auf diese Weise verwirklicht werden 9 6 . Vor der Plenarsitzung, aber auch sonst w i r d eine einheitliche Meinung der Fraktion gebildet. Ähnliche Meinungen werden zusammengefaßt, extreme und unseriöse Vorschläge werden von vornherein ausgeschaltet. Durch Diskussion und Abstimmung, durch Einigung w i r d festgestellt, was vom — übergeordneten — Standpunkt der Fraktion aus richtig erscheint und daher i m Parlament vertreten werden soll 9 7 . Die Lösung der genannten organisatorischen Probleme durch Anerkennung der Fraktion berücksichtigt auch hinreichend das Freiwilligkeitsprinzip 9 8 . Die Fraktionen bilden sich auf freiwilliger Basis. Fraktionswechsel, Austritt oder Ausschluß des Abgeordneten führen nicht zum Verlust des Mandats 99 . I m Plenum treten die Fraktionen dann i n der Tat einheitlich auf und stimmen auch einheitlich ab. Markmann 100 hat das Abstimmungsverhalten der Parteifraktionen i m Reichstag der Weimarer Republik (II.—V. 94

Obermann, S. 51,57,79 ff. a. M. Gerhardt, S. 22. 98 Deneke, S. 526; v. Gerlach, S. 33; Kremer, S. 33 ff.; Stier-Somlo, Parlament, S. 370; Sultan, S. 133 ff.; Obermann, S. 103, spricht davon, daß aus einem „integralen Abgeordnetenbewußtsein" ein „funktionales Fraktionsbewußtsein" geworden sei. 97 Kremer, S.35. 98 Bratfisch, S. 42; Obermann, S. 7. 99 Bratfisch, S. 56; Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 221 f.; Ipsen, Hamburgs V e r fassung u n d Verwaltung, S. 272; v. Mangoldt-Klein, A r t . 38 A n m . I V 4 c); Maunz-D., A r t . 21 RNr. 96; Nebinger, S. 191. 100 Das Abstimmungsverhalten der Parteifraktionen i n den Deutschen Parlamenten, Meisenheim 1955. 95

128

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

Wahlperiode), i m Bundestag (1949/1950) und i n den Landtagen von Hessen und Württemberg-Baden (1947—1950) untersucht. Er mußte ein besonders geschlossenes Abstimmungsverhalten bei allen Fraktionen feststellen 1 0 1 . Fälle, i n denen die Abgeordneten gegen die Mehrheit der Fraktion stimmen, sind außerordentlich selten, ebenso wie Spaltungen bei Abstimmungen quer durch alle Fraktionen 1 0 2 . Hierin, i n den A b stimmungen i m Plenum, äußert sich die Fraktionsdisziplin besonders deutlich, der die Abgeordneten unterstehen, bzw. der sie sich beugen 103 . Nur bei atypischen Fraktionen, ad-hoc-Fraktionen, ist die Abstimmungsdichte geringer 1 0 4 . Auffallend ist außerdem, daß u m so geschlossener abgestimmt wird, je wichtiger eine Entscheidung ist, daß Oppositionsfraktionen i n der Regel dichter abstimmen als Regierungsfraktionen, und daß die Geschlossenheit i n der Regierungsfraktion ferner abhängig ist von ihrer „Übermacht" 1 0 5 » l o e . Die Fraktionen stellen sehr festgefügte Gruppen dar. Nach den Untersuchungen von Obermann 107 gehören 90—100 °/o aller Abgeordneten der von i h m untersuchten deutschen Parlamente während der Dauer der Sitzungsperiode nur der Fraktion an, die ihnen durch ihre Parteizugehörigkeit politisch vorgezeichnet war. Dabei zeigt sich insbesondere eine festere Stabilität der großen Fraktionen 1 0 8 . Man kann also m i t Recht davon sprechen, daß die Fraktionen die Institute der parlamentarischen Organisation sind, die die Abgeordneten zu einheitlich auftretenden Verbänden zusammenfassen. Aber auch das Vertretungsprinzip findet seine organisatorische Berücksichtigung m i t der Anerkennung der Fraktionen durch die Geschäftsordnung. Hat man durch Fraktionsbildung erst einmal die für die Meinungsbildung des Parlaments unerheblichen und unbedeutenden, auch störenden Meinungen eliminiert, so sind die übriggebliebenen 101

Markmann, S. 74 f., 201; Kremer, S. 32 ff., 40; so auch f ü r das A b s t i m mungsverhalten der Mehrheitsfraktion i m B T i n der 2. u n d 3. W P : Domes, S. 121: 9 5 % der durchschnittlich an den Abstimmungen teilnehmenden A b geordneten ( = 7 8 % der Gesamtfraktion) stimmten f ü r die Vorschläge der Regierung, siehe auch S. 131 f. 102 Markmann, S. 202. loa Markmann, S. 202. 104

Markmann, S. 202. Markmann, S. 87,202, 205. 106 So für den Bismarckschen R T : v. Gerlach, S. 34 f.; f ü r den Weimarer R T : Apelt, W., Geschichte, S. 191 f.; f ü r die heutigen Verhältnisse: Kaak, S. 100; Kremer, S. 37 f.; f ü r die britischen Verhältnisse: Fellowes, S. 40. 107 Emil Obermann, A l t e r u n d Konstanz der Fraktionen, Meisenheim 1956, Veränderungen i n den deutschen Parlamentsfraktionen seit 1920, besonders S. 7. 108 Obermann, S. 29,46, 51,117 f.: „Parlamente kommen u n d gehen, die F r a k tionen bleiben bestehen." 105

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

129

Gruppen, die Fraktionen, von um so erheblicherer Bedeutung. Die Fraktionen müssen daher bei der Arbeit des Parlaments i n vollem Umfang berücksichtigt werden, und dies ist auch der Fall. So wird, wie oben des näheren dargestellt, ihr Recht auf Meinungsäußerung i m Plenum und i n allen anderen Parlamentsgremien berücksichtigt und geschützt. Die Fraktionen ermöglichen es, daß alle Abgeordneten wenigstens mittelbar an den Beratungen und Beschlüssen des Parlaments, seines Vorstandes, Ältestenrates und seiner Ausschüsse teilnehmen können. Sie können dafür sorgen, daß das, was sie für wichtig und richtig halten, auch i m Parlament zur Sprache kommt. A u f diese Weise werden alle wichtigen, i n der Bevölkerung herrschenden politischen Meinungen i m Parlament vertreten und können hier Berücksichtigung finden. Das gilt auch für die wichtigen Minderheiten. Gelingt es ihnen, so viele Abgeordnete ins Parlament zu bringen, daß eine Fraktion gebildet werden kann, so können die Ansichten der Minderheit hier zur Sprache kommen und genießen einen erheblichen Schutz. Bezeichnend dafür ist, daß den Vertretern des SSW i m schleswig-holsteinischen Landtag die Rechte einer Fraktion zugesprochen werden: Diese Minderheit i n der Bevölkerung erscheint so wichtig, daß sie i m Parlament durch eine „Fraktion" vertreten sein soll. Die Fraktionsberatungen sind regelmäßig vertraulich 1 0 9 . Hier finden die Parlamentarier damit das Auditorium, dem sie auch ihre noch unpräzisen und unausgegorenen Gedanken zu Gehör bringen können. Hier werden i n vertraulicher Atmosphäre Pläne, Ideen und Meinungen erörtert, die der Abgeordnete ohne Nachteil für sich selbst und seine Freunde vor der unbeschränkten Öffentlichkeit des Plenums noch nicht äußern kann, und zwar sowohl ihres Inhalts wegen als auch wegen der Form, i n der sie sich noch befinden. Der Abgeordnete w i r d nicht festgelegt auf seine Änderungen i n der Fraktionsversammlung, weil sie i n der Regel aus diesem Kreis nicht nach außen dringen. Sie sind unverbindlich, provisorisch. A u f diese Weise kann der Abgeordnete bei einer Änderung seiner Meinung leichter sein Gesicht wahren, als wenn er vor aller Öffentlichkeit von der einmal geäußerten Ansicht mit einem Sprung zur Gegenseite hinüberwechselt 110 . Denn die Meinung des einzelnen A b geordneten ist noch wandelbar und auch überspitzte Formulierungen und Scherze werden i m Kreis der „politischen Freunde" nicht so ernst genommen, fallen nicht so sehr ins Gewicht. Der berühmte Ausspruch des 109 Neumann-Hofer, S. 58; Heinen (W), S. 118; w i e ernst es die F r a k t i o n m i t der Beachtung des Grundsatzes der Vertraulichkeit n i m m t , zeigt, daß als G r u n d f ü r den Ausschluß des Abgeordneten Bodensteiner aus den Fraktionssitzungen der B T / C D U - C S U u. a. auch der Verstoß gegen diesen Grundsatz ausdrücklich genannt wurde, so Obermann, S. 76 f. 110

Zenker, Parlamentarismus, S. 35.

9 Hauenschild

130

3. Kapitel: Die Funktionen der Fraktion

konservativen Reichstagsabgeordneten v. Oldenburg 1 1 1 über den Leutnant und seine zehn Mann, die i n der Lage sein müßten, auf Befehl des Preußischen Königs den Reichstag zu räumen, hätte gewiß i n einer Sitzung der konservativen Fraktion Heiterkeit, vielleicht Zustimmung provoziert, niemals aber diese Wogen der Empörung, die er i m Reichstag auslöste 112 . Gewiß ist es sehr fraglich, ob i n einer Fraktion m i t über 200 Abgeordneten eine vertrauliche Atmosphäre überhaupt entstehen kann. Außerdem informiert die Presse oftmals sehr ausführlich über die Fraktionssitzungen und über das, was einzelne Abgeordnete dort äußern. Dennoch kann das Gesagte aber aufrechterhalten bleiben. Vertraulichkeit bedeutet, wie oben schon erwähnt, nämlich auch bei Neumann-Hof er nicht Ausschluß jeder Öffentlichkeit, Unterbindung jeglicher Berichterstattung. Wenn i m übrigen i n den Vollversammlungen der großen Fraktionen keine Vertraulichkeit mehr besteht, so herrscht diese dafür i n den Vorstandssitzungen 113 . Wie gezeigt wurde, besteht aber gerade i n den großen Fraktionen die Pflicht, vor der Vollversammlung den Vorstand zu informieren und die eigenen Vorhaben und Pläne zunächst m i t diesem zu besprechen. I n diesem Zusammenhang müssen auch die interfraktionellen Beratungen erwähnt werden, Besprechungen zwischen Delegierten der Fraktionen, die zu unterscheiden sind von den Beratungen i m Ältestenrat und i n den Ausschüssen. Interfraktionelle Beratungen werden durchgeführt, wenn man sich über Probleme einigen w i l l , die einer vertraulichen Erörterung bedürfen und denen eine Erörterung i m Lichte der Öffentlichkeit überhaupt oder zum gegenwärtigen Zeitpunkt abträglich ist 1 1 4 . Z u diesen Beratungen kommen die Spezialisten der Fraktionen für das betreffende Problem zusammen, ohne daß dabei bestimmte Formalitäten gewahrt werden müssen, wie das etwa zur Bildung und Einberufung von Ausschüssen erforderlich ist. Auch zur Abstimmung des procedere der parlamentarischen Arbeit, zur schnellen Information, oftmals während der Debatte, über den Standpunkt und die Verhandlungsmöglichkeiten des anderen werden solche Gespräche geführt. Faßt man zusammen, was i m Vorstehenden über die Funktion der Fraktion für die Arbeit des Parlaments gesagt wurde, so läßt sich die anfangs gestellte Frage i n der Tat dahingehend beantworten, daß ohne 111

R T 12./III., Sten. Ber., 26. Sitzung ν. 29.1.1910, S. 898 D. Neumann-Hof er, S. 59. 118 Dazu Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 129 f. 114 Beispielsweise die Beratungen über den Gesetzentwurf zur Einreise von Zonenfunktionären, siehe Die Welt, Nr. 108 v. 10.5.66, S. 1; Die Zeit, Nr. 20 v. 13.5.66, S. 8; die Beratungen über die Notstandsgesetze: Die Welt, Nr. 19 v. 24.1. 66, S. 1; Die Welt, Nr. 280 v. 2.12. 65, S. 1; solche interfraktionellen Beratungen forderte schon Max Weber, S. 62 ff. 112

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

131

Fraktionen eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit unvorstellbar i s t 1 1 5 und daß es dies deshalb auch nie gegeben hat 1 1 8 . Ein nur oberflächlicher Blick i n die Verhältnisse anderer Staaten zeigt, daß sich auch hier Gruppen wenigstens nach dem Muster der Frankfurter Fraktionen von 1848 bilden, die eine i m wesentlichen gleiche Bedeutung für die parlamentarische Arbeit der betreffenden Länder haben 1 1 7 . Die Fraktion ist kein Institut besonders der deutschen parlamentarischen Organisation, sondern eine Erscheinung jeder parlamentarischen Demokratie. Daß sich Unterschiede aus der jeweiligen historischen und geschäftsordnungsmäßigen Situation ergeben können, soll damit nicht geleugnet werden 1 1 8 . I I . F u n k t i o n der F r a k t i o n i m Verhältnis zwischen P a r l a m e n t u n d Regierung

Bei der Untersuchung der Funktion der Fraktion i n diesem Bereich muß man trennen zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen, denn es zeigt sich, daß hier prinzipielle Unterschiede bestehen. 1. Verhältnis zwischen Regierungsfraktion

und

Regierung

119

Formal betrachtet kann man sagen, daß es nach einer Wahl noch keine Regierungsfraktion gibt, es sei denn, eine Partei/Fraktion hätte die absolute Mehrheit der Sitze des Parlaments gewonnen. Ist das nicht 115 ν . Blume, S. 374; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d); Markmann, S. 201 f.; Molt, S. 318; Thoma, Parlamentarismus, S. 115 f. 118 Entgegen der herrschenden Meinung: Altmann, Rechtscharakter, S. 572; Böhm, S. 652; Glum, S. 157; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d):„ . . . das Parlament (ist) n u r noch ein F r a k t i o n s p a r l a m e n t . . . " ; Leibholz, Strukturwandel, passim, besonders S. 13 ff.; Moecke, Rechtsnatur, S. 279; Röder, S. 95; Schmitt, Verfassungslehre, S. 217 ff., 315 ff.; Sethe, E i n Parlament i m Geheimen, i n : Die Zeit, Nr. 44 v. 29.10. 65, S. 5; Triepel, Staatsverfassung, S. 18 f.; Werner Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten, S. 218; zu der Vorstellung von der „guten alten Zeit", i n der noch das freie I n d i v i d u u m bestimmte, siehe auch Hofstätter, Gruppendynamik, S. 10 f. 117 So f ü r England: ausdrücklich i m Sinne der Untersuchung: Bagehot, S. 157 ff.; ähnlich: Crossmann i n der Einleitung zu Bagehot, S. 39; Fellowes, S. 7; Fraenkel, Deutschland, S. 45; Leibholz, Strukturwandel, S. 20 f.; Loewenstein, Parteidisziplin, S. 31 ff.; Ritter, S. 22 ff.; Treitschke, Regierung u n d Regierte, S. 151 ff.; ders., Parteien u n d Fraktionen, S. 199 ff.; — f ü r Frankreich: Leibholz, Strukturwandel, S. 20; Loewenstein, Parteidisziplin, S. 27 ff.; f ü r den Schweizer Nationalrat: Cron, S. 96,138; f ü r Schweden: Hastad, The Parliament of Sweden, S. 72 ff., 122 ff.; f ü r Israel: Badi, The Government of the State of Israel, S. 66— 68,74,267 f.; f ü r Australien: Loewenstein, Parteidisziplin, S. 36 f. 118 A u f eine rechtsvergleichende Behandlung des Themas ist wegen der i n diesen Unterschieden wurzelnden Schwierigkeiten, dazu Friesenhahn, S. 13, verzichtet worden. 119 Dazu allgemein: Domes, Mehrheitsfraktion u n d Bundesregierung, K ö l n / Opladen 1964; Koellreutter, Parteien, S. 71 ff.

9*

132

. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

der Fall, so kann man zunächst alle Fraktionen als potentielle Regierungsfraktionen betrachten. Die Fraktionen erfüllen daher nach der Wahl, oftmals selbst noch i m statu nascendi 120 , ihre erste, sehr wichtige Funktion: M i t w i r k u n g bei der Regierungsbildung. Dieses Geschäft 121 läßt sich nur sehr schwer i n juristisch verwertbare Formen fassen 122 . Wenngleich man sich heute i n der Regel, durch schlechte Erfahrungen gewitzt, davor hütet, sich vor der Wahl hinsichtlich seiner Koalitionsmöglichkeiten und -absichten festzulegen, steht dennoch häufig schon vor der Wahl fest, wer bei einem bestimmt angenommenen Wahlergebnis mit wem koalieren wird. Dabei ergibt sich die schwierige Frage, wer Vertragspartner eines Koalitionsabkommens ist. Hierzu gehen die Meinungen auseinander. Während ein Teil der Autoren 1 2 3 die Fraktionen als Kontrahenten nennt, w i r d überwiegend angenommen 124 , daß die Parteien die entscheidenden Kräfte seien. Dafür lassen sich hauptsächlich die Argumente ins Feld führen, daß die Partei das größere politische Gewicht hat, oftmals schon die vorbereitenden Gespräche führt, bevor das Wahlergebnis feststeht, und sich i m Wahlkampf entsprechend verhält. Die Schwierigkeit einer eindeutigen Aussage hängt mit der starken personellen Verflechtung von Parei- und Fraktionsführung zusammen und außerdem mit der — wohl berechtigten — Scheu der Politiker, sich in diesem Bereich juristisch eindeutig festzulegen. Für die Untersuchung der Funktion der Fraktion ist jedoch allein maßgeblich und darum hier auch festzuhalten, daß ohne M i t w i r k u n g der Fraktionen Koalitionsabkommen wirksam nicht geschlossen werden können 1 2 5 . Bezeichnend dafür ist die Bildung der Bundesregierung i m Herbst 1965 und die wichtige Rolle, die Rainer Barzel in diesem Zusammenhang spielte 126 , der i n erster Linie Fraktionsvorsitzender war und sonst kein hervorragendes Parteiamt bekleidete. Bezeichnend ist auch, daß damals sehr heftig um die „uneingeschränkte Präsentationsmöglichkeit der Fraktionen" gegenüber dem Vorschlagsrecht des Bundes120

Werberger, S. 63. Dazu allgemein: Schule, Koalitionsvereinbarungen i m Lichte des Verfassungsrechts, Tübingen 1964; Sternberger, B i l d u n g u n d Formen der K o a l i tionsregierung, i n : Lebende Verfassung, S. 101 ff.; zu der jüngsten Reg.-Bildung i n N W (1966) siehe: Die Welt, Nr. 159 v. 12. 7. 66, S. 3, Nr. 165 v. 19. 7. 66, S. 3; zu der Reg.-Bildung i n H b g (1966) siehe: Die Welt, Nr. 80 v. 5. 4. 66, S. 3. 122 Schule, S. 32. 123 Anschütz, Verfassung, A r t . 56 A n m . 3; v. d. Heydte, Soziologie, S. 79 f.; Kaufmann, Regierungsbildung, S. 208 f.; Thoma, Parlamentarismus, S. 120 f. 124 Glum, S. 157; Henke, i n Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 21; Maunz-D., A r t . 21 RNr. 98; Schule, S. 32 f.; Sternberger, Lebende Verfassung, S. 114 ff. 125 Schule, S. 30 f., 33. 126 Dazu: Die Welt, Nr. 219 v. 21. 9. 65, S. 1 f.; Nr. 220 v. 22. 9. 65, S. 1; Nr. 228 v. 1.10. 65, S. 1; Nr. 235 v. 9.10. 65, S. 1; Nr. 236 v. 11.10. 65, Nr. 1; Nr. 245 v. 21.10. 65, S. 2; Nr. 246 v. 22.10. 65, S. 2. 121

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

133

kanzlers aus Art. 64 GG gestritten wurde 1 2 7 . Die Fraktionen wirken demnach bei den Koalitionsverhandlungen mit, die Form dieser M i t w i r k u n g kann aber unterschiedlich sein. Meist w i r d nur die engste Fraktionsführung, der Vorsitzende und seine Stellvertreter, direkt an den Verhandlungen teilnehmen und die Fraktionsversammlung hat dann das Ergebnis dieser Verhandlungen zu billigen 1 2 8 . Steht nach den ersten Gesprächen fest, welche Fraktionen einen bestimmten Regierungschef unterstützen wollen, und erst i n diesem Zeitpunkt kann man zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen unterscheiden 129 , so ist damit die Funktion der Fraktion bei der Regierungsbildung noch keineswegs erschöpft. Denn für die Unterstützung fordert die Fraktion vor der Regierung den Preis, daß diese möglichst das tut, was die Fraktion w i l l 1 3 0 . Die Fraktion w i r d also versuchen, die Regierung so eng wie möglich an sich zu binden, sie auf ihre Politik festzulegen. Das erfolgt durch eingehende Besprechung der politischen Sachfragen. Hier versucht man Kompromisse zu schließen und den Partner festzulegen. Wichtigste Werkzeuge der Fraktion i n diesem Bemühen, das sicherste Band für die Zukunft sind die Personen, die die Fraktion aus den eigenen Reihen i n die Regierung bringt. Regierungsmitglieder verbürgen wie kein zweites eine präzise Informationsquelle und wichtige Einflußmöglichkeiten für die Fraktion, sie sind ihr bestes Kontrollorgan. Aus diesem Grunde w i r d jede Fraktion versuchen, möglichst viele M i t glieder auf möglichst wichtige Ministersessel zu heben. Die Formen und Möglichkeiten sind mannigfaltig. Man denke nur an die zahlreichen Indiskretionen und die „Interview-Politik" prominenter Politiker 1 3 1 . Genauere, allgemein geltende Angaben lassen sich nicht treffen. Auch i n diesem Bereich spielen die Gewichte der politischen Realitäten, vor allem die beteiligten Personen die entscheidende Rolle 1 3 2 . 127

Dazu: Die Welt, Nr. 236 v. 11.10. 65, S. 2; Nr. 237 v. 12.10. 65, S. 1 f.; Nr. 238 v. 13.10. 65, S. 1. 128 Dazu: Zundel, Kanzlersturz auf Stottern, i n : Die Zeit, Nr. 45 v. 4.11.66, S. 3. 129 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 540. 130 Eschenburg, Südweststaat, S. 62, spricht sehr plastisch von einer „ W a h l k a p i t u l a t i o n " ; siehe auch Glum, S. 151; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 195. 131 Domes S. 51 ff., 64 ff., m i t vielen Nachweisen; Eschenburg, Die kranke Regierungspartei, i n : Die Zeit, Nr. 47 v. 20.11. 64, S. 4. 132 Siehe dazu Domes, S. 50 ff., 62 ff.; S. 74 ff. unterscheidet Domes vier Phasen i n der B i l d u n g der BReg. i n den Jahren 1953/57:1. Abgrenzung der Partner, 2. Verhandlung über Reg.-Programm u n d Zahl der Kabinettssitze, 3. Gespräche über Kabinettsbildung, 4. Kanzlerwahl: Domes meint, daß sich beim A b l a u f dieser Phasen die Gewichte von der Parteiführung zur Mehrheitsfraktion h i n verschöben; ob man dies verallgemeinern kann, scheint angesichts der Begrenztheit des Untersuchungszeitraumes problematisch; so auch Domes, S. 161 f.

134

. Kapitel : Die

nt

der Fraktion

Ist die Regierung i m A m t und beginnen Parlament und Regierung mit der eigentlichen Arbeit, so ist eine stetige und sehr enge Zusammenarbeit zwischen Regierung und Regierungsfraktionen festzustellen 133 . Das ist auch Voraussetzung des parlamentarischen Systems 134 . Regierung, Regierungsfraktion und Verwaltung bilden nunmehr weitestgehend eine Einheit 1 3 5 . Man kann zwischen generellen und speziellen Besprechungen unterscheiden wie zwischen ordentlichen und außerordentlichen Fraktionssitzungen. Die Regierung berichtet „ihren" Fraktionen laufend über ihre Arbeit, versucht, die Fraktionen für diese zu gewinnen und nimmt Anregungen entgegen. Tauchen besondere Probleme auf, so w i r d immer der Fraktionsvorsitzende oder der gesamte Vorstand konsultiert. Nach dem Koalitionsabkommen auf Bundesebene aus dem Jahre 1961 wurden die Fraktionsvorsitzenden von jeder Kabinettssitzung benachrichtigt, waren sie berechtigt, an diesen Sitzungen teilzunehmen 1 3 6 ' 1 3 7 . Regelmäßig w i r d keine Angelegenheit von der Regierung vor das Plenum des Parlaments gebracht, bevor sie nicht m i t den Regierungsfraktionen besprochen ist und die Regierung sich der Zustimmung der Fraktion versichert hat 1 3 8 . Vielfach werden die eigenen Pläne verändert, um zunächst die Zustimmung der Fraktion zu erlangen. Initiativanträge der Regierung werden bisweilen i m Bundestag von den Regierungsfraktionen eingebracht, u m den Umweg über den Bundesrat nach A r t . 76 Abs. 2 GG zu sparen 139 . Nur sehr selten und nur dann, wenn die Regierung mit einer sonstigen Mehrheitsbildung für ihre Vorlage rechnet, wagt sie es, ohne die Zustimmung der Fraktion vor das Plenum zu ziehen 140 . Das geschieht zudem nur i n den Fällen von untergeordneterer politischer Bedeutung, denn es ist für beide Seiten m i t dem Geruch der Illoyalität behaftet und kann bei wichtigen Dingen zur ernsten Krise führen. Loyalität nämlich i n jeder Beziehung ist für das Verhältnis zwischen Regierungsfraktion 133

Lohmar, S. 74 A n m . 201, 75 ff.; Parteirechtskommission, S. 68 f., 74 f. So schon v. Mohl, Das Repräsentativsystem, S. 400; ferner Jolly , S. 169; Kaufmann, Regierungsbildung, S. 216, spricht von einer Verantwortung der Mehrheit f ü r die P o l i t i k der Regierung. 135 υ. Knoeringen, S. 99 ff.; Lohmar, S. 126; Domes, S. 153 ff.; Hennis , B u n destag, S. 31; f ü r die britischen Verhältnisse: Fellowes, S. 7 f.; Crick, S. 34. 138 Schule, S. 103,106. 137 H i e r zeigt sich der Unterschied zwischen dem deutschen u n d dem englischen parlamentarischen System sehr deutlich: i n England, so Crick, S. 36 ff., hat der Regierungschef zugleich die Stellung, die Aufgaben u n d Befugnisse des deutschen Fraktionsvorsitzenden. 138 So t r u g etwa BKanzler Erhard die Grundsätze seiner Reg.-Erklärung dem Vorstand der B T / C D U - C S U vor, bevor er sie i m Parlament verlas, i n : Die Welt, Nr. 261 v. 9.11. 65, S. 1; dazu auch Deneke, S. 528. 139 Partsch, S. 103. 140 Domes, S. 129 f. (zweckgebundene Verwendung der Einkünfte aus der Mineralölsteuer); v. Knoeringen, S. 99; zur Frage der Erhöhung der Sektsteuer, bei der die B T / F D P gegen Koalitionspartner u n d Reg. stimmte, siehe Die Welt, Nr. 278 V. 30.11. 65, S. 1. 134

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

135

und Regierung i n erster Linie entscheidend 141 . So geschieht es bisweilen, daß die Regierungsfraktion die Regierung sogar gegen das Parlament i n Schutz n i m m t 1 4 2 . Z u nennen ist noch eine Erscheinung, die kennzeichnend ist für das Verhältnis zwischen der Regierung und den sie stützenden Fraktionen und die eine A r t „Kurzschluß-Effekt" darstellt: Der Weg vom Abgeordneten zur Regierung läuft nicht über das Plenum des Parlamentes, also über das Forum der Öffentlichkeit, sondern der Abgeordnete wendet sich i n den vertraulichen Fraktionssitzungen an den Regierungschef oder den betreffenden Minister selbst 143 . A u f diese Weise w i r d die Regierung i n unangenehmen Situationen zu einem guten Teil gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt 144 . Mitglieder der Regierungsfraktion werden unangenehme Fragen aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht i m Plenum stellen 1 4 5 . Tun sie es dennoch, so führt das meist zu ernsten Krisen i n der Fraktion oder Koalition. Anders ist es m i t „bestellten" Anfragen der Regierung. Sie werden von den Regierungsfraktionen gestellt, u m der Regierung die Möglichkeit zur Rechtfertigung, zur Propaganda zu geben oder um von den entscheidenden Problemen abzulenken 146 . A u f diese Weise fällt die Regierungsfraktion für die Erfüllung der parlamentarischen Funktion der öffentlichen Kontrolle der Regierung aus 1 4 7 . Sie übernimmt i m Gegenteil oft die Rolle des Verteidigers der Regierungspolitik, was bei der Identität zwischen dieser und der Politik der Regierungsfraktion nur natürlich ist. Damit soll aber nicht jegliche Kontrollfunktion der Regierungsfraktion verneint werden. Nur eine öffentliche Kontrolle w i r d von ihr nicht durchgeführt. Immerhin w i r d aber auch i n den Fraktionssitzungen die Regierung kontrolliert 1 4 8 . Oft141 So der Abgeordnete F. J. Strauß nach einer Sitzung der CSU-Landesgruppe i n B T / C D U - C S U a m 11.10. 65, i n : Die Welt, Nr. 237 v. 12.10. 65, S. 2. 142 ζ. B. i n der Frage der Rechtmäßigkeit des sog. Petersberger Abkommens; dazu allgemein: Bergsträsser, L., Entwicklung, S. 26; siehe auch Bagehot, S. 158. 143 Thamm, S. 55. 144 So auch i n England: Crick, S. 42; Fellowes, S. 16 f. 145 Eschenburg, Es w a r ein Husarenstreich, i n : Die Zeit, Nr. 26 v. 24. 6. 66, S. 5; v. Knoeringen, S. 100 f.; Rollmann, E r f ü l l t der B T noch seine Aufgaben? i n : Die Welt, Nr. 151 v. 2.7. 66, S. I I ; zu dieser Problematik sehr i n s t r u k t i v der F a l l „ G r a f H u y n " , i n : Die Welt, Nr. 274 v. 25.11. 65, S. 2. 140 So schon ν . Gerlach, S. 87; Hennis, Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25. 3. 66, S. 32; Hoppe, S. 47, 65 f.; Hatschek, Dt.u.Pr. StR.I, S. 662; Thamm, S. 49 ff., 55. 147 Domes, S. 170; Heinen, S. 119; Müller-Meiningen, S. 120; Sternberger, Parlamentarische Regierung, S. 17; Crick, S. 42. 148 Domes, S. 130 ff., 136 ff., 169 ff.; Müller-Meiningen, S. 126; dem Verfasser w u r d e vertraulich folgender Sachverhalt aus H a m b u r g mitgeteilt: Ergibt sich i m Laufe des Etatjahres, daß sich Teile des Haushaltsplanes nicht realisieren lassen, so entscheidet die Reg.-Fraktion darüber, w i e die Prioritäten zu setzen sind; für die britischen Verhältnisse: Crick, S. 5; Fellowes, S. 39.

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. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

mais kann hier sogar schneller und wirkungsvoller aufgrund der gesteigerten Informationsmöglichkeiten eingegriffen werden. Abschließend bleibt zu bemerken, daß das Verhältnis zwischen Regierung und Regierungsfraktion sehr unterschiedlich, enger oder weiter gestaltet sein kann. Es gibt jedoch weder auf Bundesebene, noch auf der Ebene der Länder den Fall, daß sich die Regierung nicht auf eine bestimmte Fraktion stützt und beide nicht i n einem ähnlichen Verhältnis zueinander stehen, wie es hier geschildert wurde. Keinesfalls darf man sich dabei aber dieses Verhältnis nach dem Schema von Befehl und Gehorsam vorstellen. 2. Die Rolle der

Opposition 149

Anknüpfend an das oben Gesagte kann man also von Oppositiönsfraktionen erst dann sprechen, wenn sich die Fronten nach der Wahl geklärt haben. Oppositionsfraktionen sind dann diejenigen, die an der Regierungsbildung nicht beteiligt sind 1 5 0 . Die Hauptaufgabe der Oppositionsfraktionen besteht i n der öffentlichen Kontrolle der Regierung 1 5 1 . Sie sind die eigentlichen Gegenspieler der Regierung samt der Regierungsfraktion 152 . Die Oppositionsfraktionen sind es, die i m Plenarsaal, aber auch sonst durch öffentliche Verlautbarungen der Regierung die unangenehmen Fragen stellen und öffentlich Aufklärung von zweifelhaften Vorgängen verlangen. Wichtigste Instrumente für diese — mehr negative — Kontrolle sind die parlamentarischen Fragestunden 153 und die Ausschußsitzungen, be149 Dazu allgemein: Duverger, S. 418 ff.; Carlo Schmid, Der Regierung w i e ein Schatten folgen, i n : Wirtschaftsztg., 4. Jahrgang, Nr. 79, S. 2; Grube, Die Stellung der Opposition i m S t r u k t u r w a n d e l des Parlamentarismus, Diss. K ö l n 1965, passim; Kr alewski-Neunr either, Oppositionelles Verhalten i m ersten Deutschen Bundestag, K ö l n - Opladen 1963, passim. 150 Eg gibt bisweilen auch eine Oppositionsfraktion innerhalb der Regierungskoalition, deren Rolle hier aber nicht weiter untersucht werden soll; dazu: Deneke, S. 508; Duverger, S. 421; Kafka, S. 90 ff. 151 Hamann, Recht auf Opposition, S. 249; Hoppe, S. 4; v. Knoeringen, S. 101, 109; Lohmar, S. 128; Rollmann, E r f ü l l t der Bundestag noch seine Aufgabe?, i n : Die Welt, Nr. 151 v. 2. 7. 66, S. I I . 152 Hennis, Bundestag, S. 31; BVerfGE 10, 4 ff. (19); a. M.: Henke, S. 193. 153 Hennis, Bundestag, S. 30; Hoppe, S. 3, 60 f.; nach Sternberger, Parlamentarische Regierung, S. 17, werden 4/7 aller Fragen von der Parlamentsminderheit gestellt; Thamm, passim, auf S. 53 berichtet er, daß von insgesamt 376 i n den Jahren 1923—28 i m Reichstag eingebrach ten Interpellationen 283 von den Oppositionsfraktionen stammten, daß ferner (S. 55) die D.N.V.P. 1926 i n der Opposition 26, 1927 als Regierungsfraktion 3 u n d 1928 wiederum als Oppositionsfraktion 19 Interpellationen eingebracht habe; zu ähnlichen Ergebnissen k o m m t auch Hoppe, S. 53 f., 61; folgerichtig hat die BT/SPD angekündigt, daß sie sich f ü r eine Vereinfachung der Fragestunde einsetzen werden, i n : Die Welt, Nr. 63 V. 16. 3. 66, S. 1.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

137

sonders die Sitzungen der Untersuchungsausschüsse 154 . Daneben dient diesem Zweck die Beteiligung an der parlamentarischen Beratung der Vorlagen von Regierung und Regierungsfraktion 155 . Bei Verfassungsänderungen sind diese Kontrollmöglichkeiten der Oppositionsfraktion regelmäßig noch durch das Erfordernis von qualifizierten Mehrheiten gesteigert, so daß hier nicht an der Opposition „vorbeiregiert" werden kann. öffentliche Kontrolle der Regierung und ihrer Politik kann ferner durch die große Debatte i m Plenum ausgeübt werden 1 5 6 . Hier w i r d die Regierung gezwungen, öffentlich Farbe zu bekennen, und die oppositionellen Fraktionen haben die Möglichkeit zur K r i t i k vor den Ohren der Öffentlichkeit, wobei das Moment des großen Spektakels eine nicht zu unterschätzende psychologische Rolle spielt. I n der Debatte hat die Opposition besonders die Möglichkeit zur positiven K r i t i k der Regierung. Sie kann ihre eigenen Vorstellungen der Öffentlichkeit unterbreiten und ihre K r i t i k von dieser Basis aus führen, ohne als „ewiger Neinsager" dazustehen. So ist die Plenardebatte das wirkungsvollste Mittel für die über eine negative K r i t i k der Regierung hinausgehende allgemeine Funktion der Oppositionsfraktionen. Es entspricht daher auch nur dieser ihrer Funktion, wenn sie versuchen, Plenardebatten häufiger zu veranstalten und durch Rundfunk- und Fernsehübertragungen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen 157 . Die oppositionellen Fraktionen haben weiter durch Heranziehung von Mitarbeitern die Möglichkeit, ein beschränktes kritisches Gegengewicht zu der Ubermacht der Administration zu bilden. Durch gezielte Untersuchungen kann hier oftmals auch eine wirksame Kontrolle ausgeübt werden, bzw. die Mitarbeiter können der Fraktion die sachlichen Grundlagen für die öffentliche Kontrolle und K r i t i k liefern 1 5 8 » 1 5 9 . 154

Siehe dazu auch die Untersuchungen von Neunreither, passim, bes. S. 61 ff. Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 545; Kralewski, passim, bes. S. 206 ff.; Partsch, S. 103. 156 Crick, S. 81 ; ν . Knoeringen, S. 68 f., 98 ff. 157 Dazu Beschluß der BT/SPD v o m 25.11. 65, i n : Die Welt, Nr. 275 v. 26.11. 65, S. 2; ferner ihre Erklärung, das Schwergewicht ihrer parlamentarischen A k t i v i t ä t i n Z u k u n f t mehr auf Anträge, Debatten, Anfragen u n d die aktuelle Stunde legen zu wollen, i n : Die Welt, Nr. 274 v. 25.11. 65, S. 2; Nr. 281 v. 3.12. 65, S. 1; Hennis, Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25. 3. 66, S. 32; ders., Bundestag, S. 30; v. Knoeringen, S. 102. 158 Dazu Apelt, Gesetzgebungstechnik, S. 12 ff., 18; Crick, S. 9; Domes, S. 153; Eschenburg, Südweststaat, S. 57 ff.; v. Knoeringen, S. 101; Lohmar, i n : Die Zeit, Nr. 49 v. 3.12. 65, S. 9; Müller, Ist der Bundestag n u r eine Dekoration?, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 21.11. 66, S. 32; Rollmann, E r f ü l l t der B T noch seine Aufgaben, i n : Die Welt, Nr. 151 v. 2. 7. 66, S. I I ; Kralewski, S. 215. 159 Aus diesem Grunde wäre ein Ausbau des Mitarbeiterstabes gerade bei den oppositionellen Fraktionen sehr notwendig u n d auch wichtiger als für die Regierungsfraktionen, w e i l diese sich i n der Regel auf die Beamtenschaft stützen können; siehe dazu A n m . 158. 155

138

. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

Man kann endlich auch darin eine Kontrollwahrnehmung der Oppositionsfraktionen sehen, daß sie es sind, die die Zuständigkeiten des Parlaments gegenüber der Regierung wahren, eine „Wachhundfunktion" 1 6 0 ausüben. Sie sind es, die immer wieder versuchen, die Eigenständigkeit der Legislative gegenüber der Exekutive zu stärken 1 6 1 . Hier steht ihnen als letztes M i t t e l die Organklage zur Verfügung: Die Fraktion kann geltend machen, daß das Parlament, dem sie angehört, i n seinen, i h m durch das GG oder die Landesverfassung übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sei. Neben dieser Funktion einer umfassenden öffentlichen Kontrolle der Regierung ist die parlamentarische Mitregierungsfunktion für die oppositionellen Fraktionen von zweitrangiger Bedeutung, man kann sogar sagen, daß diese Funktion ihnen überhaupt nicht zukommt. Denn Kontrolle heißt nicht stures Nein-Sagen. Kontrolle bedingt auch eine gewisse positive Mitarbeit, verlangt von den Kontrollierenden Alternativen, eigene Initiativen und Analysen 1 6 2 » 1 6 3 . Auch muß die Bereitschaft der Opposition vorausgesetzt werden, jederzeit i n besonderen Situationen die Verantwortung für eine Regierung selber zu übernehmen, etwa durch Sturz der bestehenden Regierung. Alles, was aber über dieses „Mitregieren" hinausgeht, kann schwerlich zur Funktion der Oppositionsfraktion gezählt werden 1 6 4 und, was wichtiger ist, sie darf dafür nicht haftbar gemacht werden 1 6 5 . Das setzt voraus, daß die oppositionellen Fraktionen sich i n diesem Bereich auch Zurückhaltung auferlegen. Sie müssen darauf bedacht sein, daß sich die Fronten i m Parlament nicht verwischen 166 . Sie haben sich allein auf ihre eigentliche Funktion, die öffentliche Kontrolle, zu beschränken, da ein anderer diese Funktion nicht ausüben kann. Information, Konsulta160

Goessl, S. 161. Lohmar, S. 126; Neunreither, S. 74; Rollmann, E r f ü l l t der B T noch seine Aufgaben?, i n : Die Welt, Nr. 151 v. 2.7. 66, S. I I , gibt zu, daß aus diesen G r ü n den auch die Reg.-Fraktion nicht an einer Stärkung des Parlaments interessiert ist. 162 Lohmar, S. 128, allerdings ohne die Trennung zwischen K o n t r o l l - u n d Mitregierungsfunktion; Partsch, S. 103. 183 Bisweilen muß die K o n t r o l l e auch von der Sache her auf vertraulicher Basis vollzogen werden. Dann ist eine öffentliche Kontrolle durch die Opposit i o n gar nicht möglich, so etwa bei der Überprüfung der Verf.-Schutzämter u n d Nachrichtendienste; so: Die Welt, Nr. 270 v. 20.11. 65, S. 2; Nr. 31 v. 7.2. 66, S. 3; Die Zeit, Nr. 5 v. 28.1. 66, S. 5. 184 So w i l l die BT/SPD i n Z u k u n f t weniger Gesetzesentwürfe einbringen, i n : Die Welt, Nr. 274 v. 25.11. 65, S. 2; Barbarino, S. 110; Hennis, Bundestag, S. 30, 33. 185 Gegen derartige Versuche der Vorsitzende der BT/SPD Erler i m B T am 29.11. 65, i n : Die Welt, Nr. 278 v. 30.11. 65, S. 6. 188 Eschenburg, Zweiparteiensystem, S. 415; v. Knoeringen, S. 99 ff. 181

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

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tion, Berücksichtigung der Meinungen der oppositionellen Fraktionen bei der Erarbeitung der Regierungspolitik ist notwendig, u m eine wirksame kontinuierliche parlamentarische Arbeit zu gewährleisten 167 . Mitregierung darüber hinaus ist dagegen nicht Funktion der Oppositionsfraktionen, weil es dem parlamentarischen System widerspricht und seine Balance zerstört 1 6 8 . Es muß dabei bedacht werden, daß anderenfalls auch der Glaube an die Wirksamkeit der öffentlichen Kontrolle der Regierung durch die Opposition bei der Bevölkerung schwindet und Meinungen entstehen, daß „die da oben" ja doch „unter einer Decke stünden" 1 6 9 . Es bleibt schließlich zu bemerken, daß die Regierungsfraktion die Opposition immer nur dann w i r d mitregieren lassen, wenn sie unpopuläre Maßnahmen treffen und dafür die Verantwortung vor der Bevölkerung nicht allein tragen w i l l 1 7 0 . Hier könnte man von einem wohlverstandenen Eigeninteresse der Oppositionsfraktion sprechen, die Verantwortung i n solchen Fällen nicht auf sich zu nehmen.

3. Zusammenfassung Faßt man die Funktionen der Fraktion i n ihrem Verhältnis zur Regierung, bzw. i n dem Verhältnis zwischen Regierung und Parlament zusammen, so ergibt sich, daß i n der parlamentarischen Demokratie mit parlamentarischem System, wie es derzeit der Verfassungslage i n der Bundesrepublik Deutschland entspricht, die Fraktionen praktisch die Funktionen des Parlaments wahrnehmen, allerdings mit verteilten Rollen. Die M i t w i r k u n g des Parlaments bei der Führung des Staates liegt bei den Regierungsfraktionen. Sie bestimmen letztlich entscheidend, welche Gesetze und wie diese gemacht werden. Sie sind es auch, die die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament, von den politischen Vorstellungen der Abgeordneten, zur Geltung bringen und durchsetzen. Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament dagegen liegt i n den Händen der Oppositionsfraktionen 1 7 1 ' 1 7 2 . 167

Dafür: W. Brandt, i n : Die Welt, Nr. 31 v. 7. 2, 66, S. 3. Hier muß besonders die Praxis des Englischen Unterhauses als v o r b i l d lich notiert werden; Crick , S. 9; ν. Knoeringen, S. 98. 169 Abendroth, S. 333 f. 170 Siehe dazu die Äußerungen des Abgeordneten K u r t Schumacher, i n : BT, I., Sten. Ber., 6. Sitzung v o m 21.9.49, Bd. 1, S. 32 CD: „ M a n k a n n also als Opposition nicht die Ersatzpartei f ü r die Regierung sein u n d die Verantwortung f ü r etwas übernehmen, w o f ü r die Verantwortung zu übernehmen sich manche Regierungsparteien gegebenenfalls scheuen werden." 171 Domes, S. 166, 169; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 542 ff.; Grube, S. 48 ff.; Hennis, Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25.2.66, S. 32; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 104; Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 634; Sternberger, Parlamentarische Begierung, S. 17 f.; ders., Lebende Verfassung, S. 138 ff., 139: „das ausgebildete 168

140

. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

I I I . F u n k t i o n der F r a k t i o n i n Bezug auf den einzelnen Abgeordneten

Diese Funktion der Fraktion läßt sich am besten dadurch charakterisieren, daß die Fraktion die „Heimat des Abgeordneten" 1 7 3 genannt wird. Wenngleich viele Abgeordnete gerade die Kämpfe i n den Fraktionen schildern — nach einigen Berichten angeblich ein bellum omnium contra omnes 174 — bleibt es eine Tatsache, daß insbesondere der neugewählte Abgeordnete zunächst einmal nicht i m gesamten Parlament, sondern i n der Fraktion sein Zuhause sieht. Das w i r d besonders deutlich an den Verhältnissen i m Bundestag. Die Abgeordneten, die aus allen Teilen des Landes nach Bonn kommen, kennen sich meist noch nicht einmal dem Namen nach. Nach ihrer A n k u n f t w i r d ihnen i m Bundestagsgebäude ein Zimmer zugewiesen. Der Termin für die konstituierende Sitzung des Bundestages w i r d festgesetzt, und nun kann der Abgeordnete m i t seiner Arbeit beginnen. Doch was soll er tun? Das Bundestagshandbuch durchlesen, die Geschäftsordnung studieren, Anträge und Gesetzesentwürfe gar vorbereiten? Er w i r d das alles nicht tun, sondern zunächst einmal die Fraktion aufsuchen, der er sich anzuschließen gedenkt, bzw. zu seinen politischen Freunden und Gesinnungsgenossen gehen und mit ihnen eine Fraktion gründen 1 7 6 . I n der Fraktion findet besonders der neue Abgeordnete einen Kreis von wohlgesonnenen Kollegen, wenn nicht gar von politischen und persönlichen Freunden, die zum größten Teil schon parlamentarische Erfahrungen haben und wissen, was zu t u n ist. Diese führen i h n zunächst i n die „niederen Weihen" seines Daseins als Abgeordneter ein. Er w i r d informiert; es w i r d i h m gesagt, wie er sich verhalten soll 1 7 6 . Da die Fraktionen nach den Wahlen eine emsige Tätigbipolare Verhältnis zwischen parlamentarischer Regierung u n d parlamentarischer Opposition (läßt sich) als eine neue u n d moderne Gestalt nicht zwar j u r i stischer, w o h l aber vitaler Gewaltenteilung verstehen" ; f ü r die britischen V e r hältnisse: Crick , S. 5; Crossman i n seiner Einleitung zu Bagehot, S. 43 ff.; Fellowes, S. 39. 172

Der Verfasser muß sich der an sich reizvollen Fragestellung verschließen, ob die Verteilung der Gewichte zwischen Regierung/Regierungsfraktion u n d Opposition i n Verbindung m i t einer verbesserten ökonomischen Planung u n d m i t der Auswertung der Ergebnisse der Meinungsforschung zu einem Ende des Parteienstaates führen w i r d , w i e Lohmar, S. 128 f., i m Anschluß an E. Krippendorff meint; nach seiner Auffassung muß das bei einer konsequenten Oppositionspolitik i m hier aufgezeigten Sinne nicht notwendig der F a l l sein. Das englische Beispiel scheint f ü r diese Meinung des Verfassers zu sprechen. Wie der Verfasser: v. Knoeringen, S. 110 ff. 173

Obermann, S. 11. Müller, Ist der Bundestag n u r eine Dekoration?, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 21.11. 66, S. 32. 174

175 v. Gerlach, S. 28; Lohmar, S. 68 f.; Müller-Meiningen (W), S. 118 ff.; Obermann, S. 101. 176 Lambach (W), S. 16; siehe Notiz i n : Die Welt, Nr. 165 v. 19. 7. 66, S. 3, h i n -

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

141

keit entfalten, w i r d der Abgeordnete schon bald teilnehmen an dem regen Gedankenaustausch innerhalb der Fraktion. Hier kann er die ersten Versuche unternehmen, zur Meinungsbildung des Parlamentes einen Beitrag zu leisten 1 7 7 . Da die Fraktion eine große Anzahl eigener Ämter und auch Parlamentsämter zu verteilen hat, kann der Abgeordnete schon bald durch seine Wahl i n diese Ämter zu höheren Ehren gelangen. Die Fraktion erfüllt eine große Anzahl von Funktionen für die Arbeit des einzelnen Abgeordneten, für seine Wirksamkeit i m Parlament. Vieles ist dazu schon i n den bisherigen Untersuchungen gesagt worden. Hier soll besonders noch auf die psychologischen und die rein arbeitstechnischen Funktionen hingewiesen werden. Die Fraktion erleichtert die Meinungsbildung des Abgeordneten. I n der Auseinandersetzung m i t den übrigen Fraktionsmitgliedern kann er sich i n vertraulicher Atmosphäre seine eigene Meinung bilden und sich darin üben, diese rhetorisch wirksam vorzutragen. Seine eigenen Ideen kann er hier einer ersten Kontrolle unterziehen 178 . Der Abgeordnete weiß, daß er nicht ungeschützt i m kalten Wind des Plenums steht, sondern daß die Fraktion gleichsam sein Mantel ist. A u f den psychologischen Effekt des Geborgenseins i n der Gruppe soll nur am Bande hingewiesen werden 1 7 9 . Der Abgeordnete kann sich zur Artikulierung seiner Gedanken der rhetorisch wirksameren Fraktionskollegen bedienen, kann seine Vorschläge i n den Presseorganen seiner Fraktion veröffentlichen 180 . Schließlich kann er sich auch der Schreibkräfte des Fraktionsbüros bedienen. Er w i r d umfassend durch die Fraktion informiert und kann sich informieren lassen: Archiv und Sachverständige stehen i h m zur Verfügung. Dabei kann er sicher sein, daß die Probleme auch von seinem politischen Standpunkt aus, zumindestens von einem verwandten, gesehen werden 1 8 1 . sichtlich der jungen Abgeordneten der C D U - F r a k t i o n i n L T N W ; Äußerungen des Abgeordneten Meineke, i n : Hamburger Kurs, Nr. 4, A p r i l 1966, S. 14 f.; Abgeordneter Apel, i n : Hamburger Kurs, Nr. 11, Dezember 1965, S. 7. 177 Kremer, S. 51. 178 Kirchheimer, S. 314; Kremer, S. 51; Müller-Meiningen (W), S. 120, 199. 179 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 91; Kremer, S. 34, spricht von einer „ i n allen Menschen existente(n) Sehnsucht nach Wertungsgewißheit". 180 Kirchheimer, S. 314. 181 Dazu die Äußerung des BT-Abgeordneten Edert, zitiert bei Obermann, S. 101 A n m . 38, wonach „ein Abgeordneter, der keiner F r a k t i o n angehört, weder eine ausreichende Gelegenheit hat, sich zu unterrichten, noch eine Möglichkeit, seinen Einfluß geltend zu machen; siehe dazu i m übrigen: Crick, S. 56 f., 60 ff.; Eschenburg, Südweststaat, S. 56; Müller, Ist der Bundestag n u r eine Dekoration?, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 21.11. 66, S. 32; Partsch, S. 85 ff.; Reif, S. C 36 f.; Max Weber, S. 73,109 f.

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. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

Abschließend stellt sich die Frage, wessen Funktion die Fraktion i n diesem Zusammenhang erfüllt. I n den vorhergehenden Abschnitten wurde dargestellt, daß die Fraktionen Funktionen des Parlaments erfüllen: Gilt das aber auch für das, was hier über „die Funktion der Fraktion i n Bezug auf den einzelnen Abgeordneten" gesagt wurde? Fraglich könnte das deshalb sein, w e i l die Fraktion hier immerhin etwas für den einzelnen Abgeordneten unternimmt. Dennoch kann man auch i n diesem Zusammenhang feststellen, daß die Fraktion Funktionen des Parlaments wahrnimmt. Denn die hier geschilderten Aufgaben sind notwendig, u m die Arbeit des Parlaments, das aus der Summe aller Abgeordneten, also aus Menschen besteht, zu bewältigen. Diese müssen sich für eine rationelle Arbeit ihnen angemessene Bedingungen und Institute schaffen. Oder anders ausgedrückt: Das Parlament selbst muß ein Interesse daran haben, daß jemand dem Abgeordneten diese Hilfe zuteil werden läßt 1 8 2 . Deshalb bildet es Fraktionen, bzw. ermöglicht und fördert durch seine Organisation die Bildung von Fraktionen. Die Fraktionen werden zwar i m Interesse der einzelnen Abgeordneten tätig, erfüllen aber dennoch Funktionen des Gesamtparlaments. Sie erfüllen keine Aufgaben des einzelnen Abgeordneten, dieser hat nur Aufgaben als Teil des Parlaments. Sie erfüllen aber Aufgaben des Parlaments für den Abgeordneten, i n seinem Interesse. I V . Funktion der Fraktion in Bezug auf die Partei

A n das eben Gesagte anschließend muß festgestellt werden, daß die Fraktionen Funktionen der Partei wahrnehmen. Diese Aussage gilt wenigstens i m politisch-soziologischen Sinne. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Fraktionen die parlamentarischen Vertretungen der Parteien sind. Daneben erfüllen die Fraktionen noch gewichtige andere Funktionen für die Partei. Abgesehen von ihren Funktionen innerhalb der Organisationen der Parteien — hier ist meist keine besondere satzungsmäßige Berücksichtigung festzustellen — sind sie besonders prädestiniert für autorisierte Meinungsäußerungen der Partei. Sie spielen eine große Rolle bei der Meinungsbildung i n der Partei und üben gewiß auch eine werbende Funktion für die Partei aus: Das Ansehen einer Partei richtet sich überwiegend danach, wie ihre Vertreter i m Parlament sich verhalten. Wenn hier gesagt wurde, daß Aufgabe der Fraktion Vertretung der Partei i m Parlament sei, und dies als eine Funktion der Partei angesehen 182 Crick, S. 60 ff.; Eschenburg, Südweststaat, S. 57 ff., 59: Wenn das Parlament gründliche A r b e i t leisten w i l l , dann muß es auch f ü r seine Mitglieder die Voraussetzungen dazu schaffen; Apelt, Gesetzgebungstechnik, S. 18 ff.; ebenda: Pensei, S. 22 ff.; Lacherbauer, S. 26 ff.; Rief, S. 28.

Β. Die Funktionen der Fraktion im normfreien Bereich

143

wurde, so kann man darin jedoch auch eine parlamentarische Funktion sehen. Denn wie oben zum Stichwort Vertretungsprinzip ausgeführt wurde, muß es sich das Parlament aus verfassungsrechtlich-demokratischen, aber auch aus Gründen der Effektivität und der Praktikabilität angelegen sein lassen, daß es diese parteilichen Gruppierungen gibt, ja es bedient sich sogar dieser natürlichen Gruppenbildungen, u m eigene organisatorische Probleme zu lösen. Indem die Fraktionen somit die Parteien vertreten, erfüllen sie eine Funktion des Parlaments und eine Funktion der Partei 1 8 3 . Z u dieser letzteren Funktion, Vertretung der Partei i m Parlament, gilt es jedoch noch einiges zu sagen. Wenn man nämlich diese Funktion erörtert, ist dabei das verfassungsrechtlich abgesicherte Prinzip des freien Mandats zu berücksichtigen, daß nämlich die Abgeordneten nicht bei der Ausübung ihres Mandats rechtlich gebunden sein sollen 1 8 4 . Wenn das für den Abgeordneten gilt, muß es auch für die parlamentarische Vereinigung der Abgeordneten gelten. Denn die Abgeordneten versammeln sich i n der Fraktion nicht als „Privatleute", sondern i n ihrer „amtlichen" Eigenschaft als Abgeordnete. Also kann auch die Fraktion nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sein 1 8 5 . Wenngleich auch die Fraktion Funktionen der Partei erfüllt, kann es dennoch demnach i m Verhältnis dieser beiden Körperschaften zueinander keine diesbezügliche rechtliche Bindung geben. Die Fraktion kann sich theoretisch von der Partei trennen und andere Meinungen i m Parlament vertreten, was auch bisweilen vorkommt. Daran zeigt sich, daß diese Funktion der Fraktion qualitativ anders ist als die bisher geschilderten: Die bisher geschilderten Funktionen sind notwendig m i t dem Begriff der Fraktion i m Sinne der heutigen Verfassungslage verbunden: Die Fraktionen werden immer die Abgeordneten i m Parlament zusammenfassen und die erheblichen Meinungen zur Geltung bringen; sie werden immer ihre Rollen als Regierungs- und Oppositionsfraktionen spielen; sie werden auch immer den Abgeordneten bei seiner Tätigkeit unterstützen. Ohne Wahrnehmung all dieser Funktionen ist die Fraktion begrifflich nicht vorstellbar, diese Funktionen gehören zum Wesen der Fraktion. Nicht zum Begriff der Fraktion gehört jedoch, daß diese i m Parlament die Meinung einer bestimmten Partei v e r t r i t t 1 8 6 . Fraktionen können sich teilen, können sich auflösen, zusammenschließen, können sich von ihren Parteien trennen; 188 Auch Maunz-D., A r t . 40 A n m . 14, unterscheidet offensichtlich verschiedene Funktionskreise der F r a k t i o n ; ähnlich: Altmann, Rechtsstellung, S. 223. 184 Siehe oben S. 108 A n m . 27. 185 v. d. Heydte, Freiheit der Parteien, S. 501; Breithaupt, Das Parteiengesetz v. 24. J u l i 1967, i n : JZ 67, 501 (503) bezeichnet das Gegenteil als „ k a u m sehr erwünscht". 186 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 163. A n m . 12.

144

. Kapitel: Die

nt

der Fraktion

sie bleiben dennoch Fraktionen, wenn sie nur den Bestimmungen der parlamentarischen Geschäftsordnung entsprechen. Auch können i n den meisten Parlamenten sogar parteiungebundene Abgeordnete eine Fraktion gründen. Der Begriff der Fraktion ist demnach nicht notwendig m i t der Vertretung einer politischen Partei i m Parlament verbunden. Augenblicklich ist dies eine rein theoretische Überlegung. Gerade die personelle Verflechtung zwischen Partei und Fraktion führt regelmäßig zu anderen Ergebnissen. Jedoch: Diese Überlegungen scheinen wichtig, um das Wesen der Fraktion zu erhellen und u m besonders den qualitativen Unterschied sichtbar zu machen zwischen der Funktion der Fraktion für das Parlament und ihrer Funktion für die Partei.

C. Zusammenfassendes Ergebnis

Als Ergebnis der Untersuchungen zur Funktion der Fraktion läßt sich folgendes sagen: Die Fraktion ist das Instrument, dessen sich das Parlament bedient, u m eine rationelle Arbeit organisatorisch zu ermöglichen. Dieses Institut hat die Funktion, i m Plenum die einzelnen Abgeordneten zusammenzufassen und für die Vertretung aller erheblichen Meinungen zu sorgen. Es hat ferner den einzelnen Abgeordneten für seine Arbeit funktionsfähig zu machen. Die Fraktion ist damit gleichsam ein personelles, sachliches und auch psychologisches Hilfsmittel des Parlaments für den einzelnen Abgeordneten. Die Fraktionen sind aber auch diejenigen Institute, die realiter die materiellen verfassungsrechtlichen Aufgaben des Parlaments wahrnehmen. Das w i r d besonders i n der Verteilung dieser Funktionen auf Regierungs- und Oppositionsfraktionen deutlich. Bei einigen Autoren fällt i n diesem Zusammenhang das Stichwort „itio i n partes" 1 8 7 . Dazu ist jedoch zu bemerken, daß trotz der Verteilung der einzelnen Aufgaben des Parlaments auf die Fraktionen die Erfüllung dieser Aufgaben immer noch rechtlich Funktion des Parlaments bleibt und nicht zur Funktion der Fraktionen wird. Die „partes" entscheiden nicht endgültig. Sie können überstimmt, ihr Beschluß kann jederzeit modifiziert werden. Eine Gleichberechtigung aller Fraktionen m i t der Notwendigkeit zur gütlichen Einigung i n Streitfragen ist nicht vorhanden. Auch ist die Trennung der Funktionen nicht streng und absolut durchgeführt. 187 v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I l d ; Altmann, Rechtscharakter, S. 753; zu diesem Verfahren, das aus dem Verfassungsrecht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stammt, siehe Pütter, Historische Entwicklung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reiches, 2. Bd. (1786), S. 76—82, 89 f., 395 ff.; es gab ein derartiges Verfahren auch i m R T des Bismarckschen Reiches, siehe A r t . 28 I I R V ; dazu Richter, I. Bd., S. 51.

C. Zusammenfassendes Ergebnis

145

Die Fraktionen erfüllen m i t ihrer Arbeit originäre Funktionen des Parlaments. Sie handeln für das Parlament, da sie handlungsfähig sind, das Parlament, bestehend aus einer bestimmten Zahl einzelner Abgeordneter, aber nicht handlungsfähig ist, sondern erst durch seine Organisation i n Fraktionen handlungsfähig w i r d 1 8 8 . Gerade die Untersuchungen über die „Funktionen der Fraktion i m normfreien Bereich" haben gezeigt» daß jeder Versuch, das Parlament unter Ausschaltung der Fraktionen handlungsfähig zu machen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Nunmehr läßt sich erklären, warum die Fraktionen durch das Geschäftsordnungsrecht gegenüber zufälligen Gruppen und einzelnen A b geordneten bevorzugt werden: Die Fraktionen sind eben mehr als diese Personen und Personengruppen, sie sind Instrumente des Gesamtparlaments, derer sich dieses zur Erfüllung seiner Aufgaben aus den dargelegten Gründen und zu dem dargestellten Zweck bedient. Überspitzt formuliert könnte man sagen, daß der einzelne Abgeordnete und die zufällige Gruppe eine Systemwidrigkeit darstellen 1 8 9 . „Nulla salus nisi i n fr actione 1 9 0 ." Wenn man aber den Einzelnen trotzdem geschäftsordnungsmäßige Möglichkeiten gibt, so deshalb, weil auch einzelne Abgeordnete bestimmte Funktionen innerhalb der Organisation des Parlaments erfüllen können. Wenn ferner eine gewisse Gleichsetzung von Plenar-, Ausschuß- und Fraktionsarbeit festgestellt werden konnte, so fügt sich das lückenlos in das gezeigte Ergebnis ein. Denn da die Fraktionen mit ihrer Arbeit Funktionen des Parlaments erfüllen, ist diese Arbeit parlamentarische Arbeit. Die Arbeit i m Plenum, i n den Ausschüssen und i n den Fraktionen und ihren Gremien ist von gleicher Qualität. Wenn schließlich gesagt wurde, daß die Fraktionen auch Funktionen der Partei ausüben, so ist das für das hier erarbeitete Ergebnis belanglos 1 9 1 . Es widerlegt nichts. Zudem gehört die Vertretung einer bestimmten Partei nicht zu dem Begriff der Fraktion. Vertretung einer bestimmten Partei, Werbung, Meinungsbildung für diese ist nur eine Folge, ein Reflex der parlamentarischen Arbeit der Fraktion.

188

a. M., jedoch ohne Begründung: Altmann, Rechtscharakter, S. 752. Zenker, Parlamentarismus, S. 12. 190 υ. Gerlach, S. 31; i n diesem Sinne: Koellreutter, Parteien, S. 63 f.; Lohmar, S. 68 f.; Obermann, S. 101. 191 Siehe dazu die Ausführungen bei Henke, S. 93 f., über das Verhältnis zwischen der Parteiführerstellung u n d dem „ A m t " des Abgeordneten. 189

10 Hauenschild

Viertes Kapitel

Die Rechtsnatur der Fraktion Nachdem i n den vorhergehenden Kapiteln geklärt wurde, was man sich historisch und erscheinungsmäßig unter der Fraktion vorzustellen hat und was sie für Funktionen erfüllt, sollen i n diesem Kapitel die Schlußfolgerungen daraus für die Rechtsnatur der Fraktion gezogen werden. Welche Rechtsfiguren möglicherweise i n Frage kommen, wurde zu Beginn der Arbeit i n einem Überblick dargestellt. Es sind nun i n erster Linie die herkömmlichen Lösungsmöglichkeiten zu untersuchen, da von diesen auszugehen ist. Erst wenn diese Bemühungen scheitern sollten, bliebe der Weg, ausgehend von dem, was ist, neue Rechtsfiguren zu entwickeln. Z u dem Katalog der herkömmlichen Lösungsmöglichkeiten lassen sich von vornherein zwei Aussagen machen: Da keine Fraktion sich als Verein i n das Vereinsregister hat eintragen lassen1, scheidet diese Rechtsfigur aus: Die Fraktion ist kein Verein des Bürgerlichen Rechts. Nach § 2 I I Ziff. 2 VereinsG 2 sind die Fraktionen keine Vereine i m Sinne dieses Gesetzes (§2 1 VereinsG). Weiterhin läßt sich folgendes sagen: Es ist denkbar, daß die Fraktionen juristisch gesehen als bürgerlich-rechtliche Vereinigungen zu qualifizieren sind. Ihrer körperschaftlichen Verfassung wegen könnte man sie immerhin als nicht-rechtsfähige Vereine qualifizieren, wobei man u. U. an die Rechtsfigur des m i t öffentlichen Funktionen Beliehenen denken könnte. Nach dem, was jedoch oben über Entstehung, Organisation und Funktion der Fraktion gesagt wurde, muß man zu der Erkenntnis kommen, daß diese Lösung auch nur eine Notlösung ist. Die Möglichkeit, die Fraktion als nichtrechtsfähigen Verein des Bürgerlichen Rechts (nichtsrechtsfähiger Verein sui generis, m i t öffentlichen, öffentlich-rechtlichen Funktionen beliehen) zu qualifizieren, kann daher auch erst dann i n Betracht gezogen werden, wenn andere, prima facie besser passende Rechtsfiguren nicht i n Frage kommen 3 . Dies sind von den eingangs erwähnten Möglichkeiten die folgenden drei: 1 2 3

Moecke, Rechtsnatur, S. 278. V o m 5. 8.1964, B G B l I S . 593. Moecke, Rechtsnatur, S. 278; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 162.

Α. Die Fraktion — rechtlich ein Teil der Partei

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1. Die Fraktion ist rechtlich ein Teil der Partei; 2. die Fraktion ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ; 3. die Fraktion ist ein Organ des Parlaments. A . D i e F r a k t i o n — rechtlich ein T e i l der P a r t e i

Von den drei Möglichkeiten, die einer näheren Untersuchung vorrangig für würdig befunden wurden, scheint diese Qualifizierung nach dem bisher Dargelegten am wenigsten zu passen. Da sie jedoch von einem Teil der Literatur vertreten wird, muß einiges dazu gesagt werden. I . Gründe dafür

Für eine rechtliche Einordnung der Fraktion i n die Partei sprechen i n erster Linie politisch-soziologische Gründe, die Kraft des Faktischen. Es w i r d besonders verwiesen auf die personelle Verflechtung zwischen Partei und Fraktion, darauf, daß die Fraktion ja nur das „parlamentarische Organ" der Partei sei, daß sogar i n einigen Parlamenten sich nur Mitglieder von Parteien zu Fraktionen zusammenschließen könnten. Ferner w i r d für diese Meinung die M i t w i r k u n g der Partei bei der Gründung und der Geschäftsführung ins Feld geführt. Als juristischer Grund werden A r t . 21 GG und entsprechende Bestimmungen der Länderverfassungen zitiert: M i t der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Partei würde auch die verfassungsrechtliche Anerkennung der Fraktion vollzogen 4 . Z u all dem ist zu sagen, daß die Kraft des Faktischen allein rechtlich keineswegs etwas besagen muß. Nur wenn keine anderen Aussagen zu finden sind, kann dem Faktischen eine normative K r a f t beigelegt werden. Niemand sähe etwa i n den von der Partei lancierten Beamten oder gar i n der Regierung, die ja faktisch immer aus der Prominenz der obsiegenden Partei gebildet wird, und die alle „Parteimeinungen" vertreten, rechtlich Teile oder Untergliederungen der Partei. Personelle Verflechtung, sogar Identität der Personen, Vertretung der Parteimeinungen, M i t w i r k u n g an der Gründung und Geschäftsführung besagen allein nichts hinsichtlich der Rechtsnatur der Fraktionen 5 . Daß i n vier Parlamenten nur Parteimitglieder Fraktionen bilden können, ist ebenfalls nicht ausschlaggebend. Diese Bestimmungen wurden nicht getroffen, u m über die Rechtsnatur der Fraktionen eine Aussage zu machen, sondern dafür sind zahlreiche andere Gründe entscheidend. Man 4 BVerfGE 10, 4 ff. (14); Geller-Kleinrahm-Fleck, Soziologie, S. 78; Leibholz-Rinck, A r t . 21 A n m . 5. 5 Lebenstein (W), S. 118.

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S. 221, 245; v. d. Heydte,

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

wollte klare Fronten schaffen, Verbindungen „heterogener Elemente" 6 , ad-hoc-Fraktionen verhindern; möglicherweise hat es i n den betreffenden Parlamenten auch immer nur Parteifraktionen gegeben; man hat m i t der Möglichkeit einer Fraktionsbildung aus parteiungebundenen Abgeordneten nicht gerechnet. I m übrigen zeigt man sich auch i n diesem Punkt nicht sehr dogmatisch. Für die Hamburger Bürgerschaft, die für die Bildung von Fraktionen besonders strenge Erfordernisse aufstellt, wurde dem Verfasser von Seiten der Mehrheitsfraktion erklärt, daß man den ganzen Fragenkomplex i n das vernünftige Ermessen der Parlamentarier stellen wolle. Sollten sich solche parteiungebundenen größeren Abgeordnetengruppen bilden, etwa durch Fraktionsspaltungen, so werde man die Geschäftsordnung eben ändern. Das alles seien Fragen, die beweglich, nach Zweckmäßigkeitserwägungen und nach dem Prinzip der Loyalität und Verfassungstreue gehandhabt werden sollten 7 . Es bleibt das Argument aus A r t . 21 GG und den entsprechenden Bestimmungen der Länderverfassungen. Aber auch diesen Bestimmungen kann für die Rechtsnatur der Fraktionen hinsichtlich der hier untersuchten Lösungsmöglichkeit nichts entnommen werden. Denn selbst wenn man aus diesen Bestimmungen eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen ableiten wollte, besagte das nichts für die Rechtsnatur der Fraktion, insbesondere nichts für eine mögliche rechtliche Einordnung in die Organisation der Partei. Dafür können keinerlei Gründe aus A r t . 21 GG abgeleitet werden. Was auch sollte die verfassungsrechtliche Anerkennung i n diesem Zusammenhang für die Rechtsnatur bedeuten? Selbst für die Partei ist das noch weitgehend ungeklärt 8 . Das Argument aus A r t . 21 GG pp. ist also nur ein scheinbares. I I . Gründe dagegen

Es zeigt sich somit, daß die Argumente für eine rechtliche Eingliederung der Fraktion i n die Organisation der Partei nichts hergeben. Dagegen gibt es nun aber gewichtige Argumente, die gegen diese Einordnung zeugen und die aus dem, was i n den vorigen Kapiteln geschildert wurde, sich herleiten lassen. Die Fraktion ist historisch der Partei vorgegeben. Ihre Zuständigkeit und Aufgaben ergeben sich aus den „Modalitäten parlamentarischer 6

Ritzel-Koch, § 10 A n m . 6 d. So der Geschäftsführer der SPD-Fraktion i n der Hamburger Bürgerschaft, H e r r Eckström, i n einem Gespräch m i t dem Verfasser i m F r ü h j a h r 1965. 8 Siehe etwa die Formulierungen bei Hamann, Grundgesetz, A r t . 21 Anm. A . 3; Henke, S. 80 ff.; ders., Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 1,9; Hesse, S. 11 f.; v. d. Heydte, Freiheit der Parteien, S. 463; Leibholz-Rinck, A r t . 21 Anm. 3 u n d 5; ν . Mangoldt-Klein, A r t . 21 A n m . I I 4; Maunz-D., A r t . 21 RNr. 2 u n d 3; Schule, S. 38 f. 7

Α. Die Fraktion — rechtlich ein Teil der Partei

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Arbeit" 9 . Die Fraktionen erfüllen ihrem Wesen nach Funktionen und Aufgaben des Parlaments und nicht solche der Partei. Der i n Bund und Ländern geltende Grundsatz des freien Mandats verhindert eine rechtliche Bindung der Fraktion an Aufträge und Weisungen der Partei, er spricht für eine rechtliche Trennung überhaupt 1 0 . Fraktionen sind i n der Auswahl ihrer Mitglieder nicht an die Parteizugehörigkeit gebunden. Ein Parteiausschluß und -austritt muß nicht aus rechtlichen Gründen den Ausschluß oder Austritt aus der Fraktion nach sich ziehen 11 . Umgekehrt ist es genauso. I n der überwiegenden Zahl der Parlamente können sich Fraktionen aus parteiungebundenen Abgeordneten bilden 1 2 . Weiterhin sprechen gegen die rechtliche Inkorporation der Fraktion i n die Partei: verschiedene Entwürfe zu Parteigesetzen. Fraktionen werden nicht als wesentliche Bestandteile der Partei charakterisiert, ihre rechtliche Verwurzelung i m Parlament w i r d betont 1 3 . Keine Parteisatzung macht die Fraktionen zu organischen Gliederungen der Partei 1 4 . Es kommt vor, daß sich eine Fraktion gegen die Partei entscheidet 15 . Schließlich sprechen auch einige grundsätzliche und verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Lösung. Wenn man nicht nur von den augenblicklich stabilen parlamentarischen Verhältnissen ausgeht 16 und die hier untersuchte Lösungsmöglichkeit an angenommenen kritischen Situationen prüft, so zeigt sich ihre Zweifelhaftigkeit: Was geschieht, wenn sich die Partei oder die Fraktion spaltet oder m i t einer anderen fusioniert? Wer muß sich hier nach wem richten? Müssen die ausgetretenen Abgeordneten erst eine neue Partei gründen, i n die sie als Fraktion inkorporiert werden können, bevor sie als Fraktion i m Parlament anerkannt werden? A l l e i n das, was oben über die Entstehung der Fraktion gesagt wurde, spricht dagegen. Weiterhin würde auf diese Weise die Fraktion rechtlich aus dem Parlament herausgenommen werden, sie wäre lediglich nur noch ein Instru9

Forsthoff, Parteien, S. 22. Altmann, Rechtscharakter, S. 753; ders., Rechtsstellung, S. 223; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 531; v. d. Heydte, Soziologie, S. 195 f.; Lebenstein (W), S. 120; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I l d ; Moecke, Rechtsnatur, S. 278; Werberger, S. 148,184. 11 Werberger, S. 239. 12 So i n : BT, Bay, B i n , Bre, Hes, N W , RP, S L ; siehe dazu auch Werberger, S. 147,150. 13 B T I I I . 1959 DS Nr. 1509 (BReg.) S. 16; B T I V . 1964 DS Nr. 2853 (CDU-CSU/ FDP); B T I V . 1965 DS Nr. 3112 (SPD); so auch die Parteienrechtskommission, S. 59 ff.; auch das Parteiengesetz v. 24. J u l i 67 ( B G B l I S. 773) §§ 7, 8, besagt hier nichts anderes. 14 Siehe oben S. 78 A n m . 191. 15 Siehe oben S. 79 A n m . 196. 1β Dagegen auch Kaak, S. 119. 10

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4. Kapitel: Die echtsnatur der Fraktion

ment der Partei, nur noch deren Werkzeug. Das widerspricht aber dem Wesen der Fraktion, wie es hier verstanden wird. Das Parlament würde nicht von sich aus tätig, schaffte sich nicht eigene Instrumente zur Herausarbeitung und Verdeutlichung seines eigenen Willens. Damit wäre eine weitere Einbuße an politischer Substanz für das Parlament verbunden. Eine ständige Konferenz der Parteiführer wäre ehrlicher und rationeller. Die Idee der Repräsentation des Volkes durch freie und ungebundene Abgeordnete würde zur Farce. Die Bestimmungen der Verfassungen über die Anerkennung der politischen Parteien schreiben eine derartige Inkorporation der Fraktion i n die Partei auch nicht vor. Einiges wurde dazu oben schon gesagt. I m übrigen: Wenngleich auch die Parteien öffentliche Aufgaben wahrnehmen, so daß man m i t dem Bundesverfassungsgericht davon sprechen kann, daß sie „Funktionen eines Verfassungsorgans" ausüben 17 , ist ihr Betätigungsfeld dennoch der gesellschaftliche, nicht-staatliche Bereich 18 . Rechtlich bleibt ihre Tätigkeit auf diesen Bereich beschränkt 19 . Sie sind Körperschaften des Privatrechts 20 , denn „öffentlich" i n diesem Sinne ist nicht gleichzusetzen m i t „öffentlich-rechtlich" 2 1 . Die Tätigkeit der Fraktion hingegen ist öffentlich-rechtliche, staatliche Tätigkeit, weil sie parlamentarische Tätigkeit ist 2 2 . Sie w i r d von Personen ausgeübt, die einen besonderen rechtlichen Status haben: den öffentlich-rechtlichen Status der Abgeordneten. Mitglieder der Fraktionen sind nicht Menschen i n ihrer Eigenschaft als Parteimitglieder. Wesensmäßige Funktion der Fraktion ist nicht Vertretung der Partei. Die Fraktion w i r d vielmehr aus Abgeordneten gebildet, sie erfüllt ihrem Wesen nach Funktionen des Parlaments. Die Parteien w i r k e n m i t an der politischen Willensbildung des Volkes, die Fraktionen an der staatlichen Willensbildung 2 8 . Beides ist nicht das Gleiche 24 . Von dieser verfassungsrechtlichen Situation her muß 17 BVerfGE 1, 208 (225) ständige Rspr. bis B V e r f G DVB1. 66, S. 637; dazu Goessl, S. 102; Lebenstein, S. 47 ff.; Leibholz, V o l k u n d Partei, S. 195; Menzel, S. 586; nach Giese, Parteien, S. 378 f., sind die Parteien sogar als Staatsorgan anzusehen. 18 So ausdrücklich B V e r f G N J W 66, 1499 ff. (1503); Altmann, Rechtsstellung, S. 221; Henke, S. 80; v. d. Heydte, Soziologie, S. 66 f.; Krüger, Staatslehre, S. 371; Parteirechtskommission, S. 70 f.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 240. 19 Kewenig, S. 833; Kremer, S. 79; auch O L G Düsseldorf N J W 66, S. 1235. 20 Maunz-D., A r t . 21 RNr. 44 u n d 45; Peters, Lehrbuch, S. 105; auch B G H N J W 65, S. 859. 21 Dazu vor allem der Aufsatz von Peters, öffentliche u n d staatliche A u f gabe, passim, besonders S. 879 f., 892 f., 895; auch Hesse, S. 44; Ossenbühl, Der öffentliche Status, N J W 65, S. 1561 ff. (1562 ff.). 22 So ausdrücklich: B V e r f G N J W 66, S. 1499 (1504); auch Henke i n Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 15. 28 So ausdrücklich: B V e r f G DVB1. 66, S. 636 ff. (637 f.); auch Hartmann, S. 33. 24 Hesse, S. 25 f.; Menzel, S. 596.

Β. Die Fraktion — eine Körperschaft des öffentlichen Rechts

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eine rechtliche Trennung zwischen Partei und Fraktion vollzogen werden. Es zeigt sich somit, daß ein Vakuum, welches durch die normative K r a f t des Faktischen ausgefüllt werden könnte, nicht besteht. Somit sind die politisch-soziologischen Argumente nicht durchschlagend. Die Fraktion ist rechtlich kein Teil der Partei 2 5 . Gegen eine rechtliche Einordnung der Fraktion i n die Partei spricht schließlich rechtspolitisch die oben schon angedeutete Überlegung, daß die Fraktion i m Falle einer Einordnung noch mehr als bisher schon zu einem Instrument der Partei, insbesondere des Parteivorstandes, würde. Das ist zwar von dem Gesichtspunkt der Vervollkommnung des Parteienstaates möglicherweise zu bejahen. Das Vertrauen des Volkes i n die Unabhängigkeit der Abgeordneten und i n die Bedeutung des Parlaments als seiner Vertretung gegenüber der „anonymen Macht des Staates" erlitte jedoch eine empfindliche Einbuße. Denn die weitgehende A u f hebung des Prinzips der Gewaltenteilung — i m Sinne der traditionellen Vorstellung — durch die Allgegenwart der Parteien ist den interessierten Kreisen der Bevölkerung durchaus bekannt. Die Unabhängigkeit der Fraktion ist daher gegenüber der Partei zu stärken 26 , um dem Parlament die Anerkennung durch die Bürgerschaft zu erhalten, die es als Repräsentativorgan existentiell benötigt. B. D i e F r a k t i o n — eine Körperschaft des öffentlichen Rechts

Daß die Fraktionen — wie auch die Parteien — von der Rechtswissenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts anzuerkennen seien, wurde schon von Lebenstein 27 während der Weimarer Republik gefordert. Lebenstein vollzieht aber seine eigene Forderung noch nicht. Für i h n sind die Fraktionen nicht-rechtsfähige Vereine des Bürgerlichen Rechts 28 . Erst Moecke 29 macht m i t dieser Forderung ernst. Für ihn sind die Fraktionen „Vereine des öffentlichen Rechts". Was bedeutet das? 25 Altmann, Rechtscharakter, S. 753; ders., Rechtsstellung, S. 223; Henke, S. 21, 110; ders., i n Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 5; v. d. Heydte, Das Parlament, S. 21; ders., Freiheit der Parteien, S. 500; ders., Soziologie, S. 194; Lebenstein, S. 118 ff.; v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d ; Maunz-D., A r t . 40 A n m . 14; Moecke, Rechtsnatur, S. 278; Rinck, S. 24; Werberger, S. 143, 151. 2 · Forsthoff, Parteien, S. 24; Moecke, Verf. m. Stellung, S. 165; so auch: I P A DS Nr. 312 v. 11.10. 63, so der Abgeordnete Bölling, i n I P A K F - D S Nr. 4 v. 12.10. 62, S. 18 f.; I P A K F - D S Nr. 1 v. 15. 6. 62, S. 21 ff.; ähnlich: Breithaupt, Das Parteiengesetz v o m 24. J u l i 1967, i n : J Z 67, S. 501 (503). 27 Die Rechtsstellung von Partei u n d F r a k t i o n nach dt. Reichsstaatsrecht, Diss. Frft. 1925, S. 140 ff.; ähnlich: Altmann, Rechtsstellung, S. 220 ff.; Ber natzik, S. 420 f. 28 Lebenstein, S. 135. 29 Die Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, N J W 65, 567 ff. ; Die verfassungsmäßige Stellung der Fraktionen, D Ö V 66,162 ff.

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4. Kapitel : Die Rechtsnatur der Fraktion I . Der herkömmliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Redits

Der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde von der Wissenschaft entwickelt, u m die Rechtsnatur von bestimmten Erscheinungen des staatlichen Lebens zu klären, von Verbänden nämlich, die dem staatlichen Behördenapparat nicht inkorporiert sind, aber dennoch staatliche Aufgaben wahrnehmen 8 0 . Otto Mayer 31 spricht von „rechtsfähigen Verwaltungen", „juristischen Personen, die dazu geschaffen und da sind, daß sie ein bestimmtes Stück öffentlicher Verwaltung als ihnen rechtlich zugehörig besitzen und i n ihrem Namen führen und wahrnehmen lassen". Mayer charakterisiert diese „rechtsfähigen Verwaltungen" auch i n der Weise, daß sie sich einerseits nach innen gegenüber ihren Mitgliedern absondern und andererseits auch nach außen gegenüber dem Staat oder einem dazwischengeschobenen anderen Verwaltungsträger umfassenderer Zuständigkeit 8 2 . Überspringt man die umfassende Diskussion dieses Begriffs bis zum heutigen Tage, so lassen sich drei Merkmale für den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts herausarbeiten, die nicht eliminiert werden können, ohne daß man diesen Begriff neu definiert. 1. Es muß sich u m einen Verband auf personeller Grundlage handeln, der durch eine Organisation handlungsfähig ist 8 3 ; 2. Dieser Verband muß ein — nicht notwendigerweise rechtsfähiges — Glied der mittelbaren Staatsverwaltung sein 3 4 ; hier sind die Stichworte „hoheitliche Gewalt" 8 5 , „Staatsaufsicht" 3 ® zu notieren; 3. Zur Anerkennung des Verbandes als Körperschaft des öffentlichen Rechts bedarf es eines wie auch immer gearteten staatlichen Aktes 3 7 . 30 Dazu Fleiner, Institutionen, S. 104 ff.; Forsthoff, § 24 I I 1, 2; Jellinek, W., § 8 I I ; Mayer, O., § 55; Peters, Lehrbuch, 7. Kapitel, S. 101 ff.; Weber, W., K ö r perschaften, Anstalten u n d Stiftungen des öffentlichen Rechts, besonders S. 11 ff.; Wolff , V e r w R I § 34; ders., V e r w R I I § 84. 31 Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1924,2. Bd., § 55, S. 329. 32 Mayer, O., a.a.O., S. 325,330 f. 38 Forsthoff, § 24 I I 2, S. 426; Mayer, O., S. 322 A n m . 1; Peters, Lehrbuch, S. 111; Weber, W., Körperschaften, S. 25, 30, 73 f.; Wolff , V e r w R I § 34 I b 2. 84 Forsthoff, § 24 I I 2, S. 425, 429; Mayer, O., S. 329; Peters, Lehrbuch, S. 103; Weber, W., Körperschaften, S. 38 f., 59; Wölfl V e r w R I § 34 I b 2; ders., V e r w R I I § 84 I I a. 35 Fleiner, Institutionen, S. 104; Forsthoff, § 24 I I 2, S. 429; Peters, Lehrbuch, S. 104 f.; Wolff , V e r w R I § 341 b 2. 88 Fleiner, Institutionen, S. 116; Forsthoff, § 24 I I 2, S. 430; Mayer, O., S. 331, 395; Peters, Lehrbuch, S. 105; Weber, W., Körperschaften, S. 21; Wolff, V e r w R I § 341 b 2. 37 Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 252; Forsthoff, § 24 I I 2, S. 431 f.; Lebenstein, S. 50, 55; Mayer, O., S. 331, 344 (für d. öffentl. Genossenschaft); Ossenbühl, Der öffentl. Status, S. 1562; Peters, Lehrbuch, S. 104 f., 108; Weber, W., Körperschaften, S. 67 ff.; Wolff, V e r w R I § 341 b 2, I I a.

Β. Die Fraktion — eine Körperschaft des öffentlichen Rechts

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I I . Moecke: Fraktion als „Verein des öffentlichen Redits"

2. Begriff

und Begriff sbildung™

Auch Moecke räumt ein, daß diese, wie er sagt, „herkömmliche" Rechtsfigur der Körperschaft des öffentlichen Rechts auf die Fraktion nicht passe 89 . Vor allem sei die Fraktion keine Gliederung der mittelbaren Staatsverwaltung. Daher kehrt Moecke an den Ausgangspunkt dieser Begriffsbildung zurück 4 0 und sagt: es gibt den formalen Begriff der K ö r perschaft, nämlich des aufgrund einer Organisation einheitlich handelnden menschlichen Verbandes. Diesen formalen Begriff gibt es nach Moecke nicht nur i m Privatrecht, sondern auch i m öffentlichen Recht. Worin sich die öffentlich-rechtlichen Körperschaften von den privatrechtlichen prinzipiell unterscheiden, sagt Mocke nicht 4 1 , sondern er postuliert nur, daß es sie gäbe, und fährt dann bei seiner Begriffsbildung fort, daß man bisher nur die öffentlich-rechtliche Körperschaft aus der Sparte des Verwaltungsrechts gekannt und untersucht habe, während es i n Wahrheit neben diesen verwaltungsrechtlichen Körperschaften auch noch andere, etwa verfassungsrechtliche gäbe 42 . Diese zeichneten sich dadurch aus, daß sie „notwendige Einrichtungen unseres Verfassungslebens" seien, „integrierte Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung" 4 3 . Da diese Eigenschaften nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes 44 den Fraktionen zugehörten, seien diese „Körperschaften des Verfassungsrechtes" oder, wie Moecke zur besseren Unterscheidung sagt, „Vereine des öffentlichen Rechts" 45 . Bis zu diesem Punkt kann man Moecke wohl m i t geringen Vorbehalten folgen 46 . Man kann sogar seine Ausführungen noch ergänzen: Wenn man 88 Siehe zu dieser Problematik auch: Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 211 f., 232 ff., 257 ff., 269 f., „Körperschaft k r a f t Wesens". 89 Rechtsnatur, S. 278,280, so auch: Werberger, S. 210. 40 Rechtsnatur, S. 281; ders. deutlicher: Verfassungsmäßige Stellung, S. 163. 41 Verfassungsmäßige Stellung, S. 163 f., A n m . 19 a.E.: „öffentliche A u f gaben, Einordnung i n die staatliche Organisation u n d gesetzliche Grundlage sind n u r Indizien, die sich zu einer öffentlichen Rechtsstellung verdichten müssen. A u f die überwiegenden Merkmale k o m m t es an!" Siehe dazu auch Ossenbühl, Der öffentliche Status, S. 1562 ff., besonders S. 1564; die Kriterien, die Weber, W., Körperschaften, S. 38 f., anbietet, sind f ü r die Einordnung der Fraktionen unbrauchbar; eher schon könnte m a n M.'s „ V e r e i n e . . . " zu den Mischformen i m Sinne Webers, S. 63, zählen. 42 Rechtsnatur, S. 281; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 163 f. 48 Rechtsnatur, S. 279 f. 44 Siehe dazu oben S. 16 f. A n m . 15 u n d 16. 45 Rechtsnatur, S. 281; ders., Vereine, S. 567; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 163; Weber, W., Körperschaften, S. 16 f., bestreitet, daß es solche V e r eine gäbe. 46 Ä h n l i c h f ü r die Parteien: Lebenstein, S. 53.

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

zu den Merkmalen dieses allgemeineren Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts zählt, daß diese Körperschaften staatliche Funktionen ausüben, so könnte der Gedanke an die qualitative Verschiedenheit staatlicher Funktionen einen Schritt weiter führen. Denn die Funktion des Staates ist nicht nur Verwaltung, Exekutive, sondern auch Gesetzgebung ist staatliche Funktion. Wie nun i m Bereich der Exekutive bestimmte Aufgaben auf die Körperschaften des öffentlichen Rechts verlagert werden, so könnte man sich auch eine Delegation von Aufgaben i m Bereich der Legislative vorstellen 4 7 und hier als Delegatar die Fraktion annehmen. Dem Terminus „mittelbare Verwaltung" entsprechend könnte von „ m i t telbarer Gesetzgebung" die Rede sein, von „mittelbarer Parlamentstätigkeit". Das wäre wohl auch i n Einklang zu bringen mit den Funktionen der Fraktion i m Hinblick auf die Funktionen des Parlaments, wie es oben geschildert wurde. 2. Kritik Einsetzen muß die K r i t i k allerdings dort, wo Moecke näher erläutert, was er unter diesen „Vereinen des öffentlichen Rechts" versteht. Moecke geht nämlich zur näheren Erläuterung dieses Begriffs wieder von dem aus, was man heute unter dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts versteht 48 . Er gesteht seinen „Vereinen des öffentlichen Rechts" alle rechtlichen Eigenschaften der herkömmlichen „Körperschaft des Verwaltungsrechts" zu, eliminiert jedoch das, was sich „aus der Zugehörigkeit zum Verwaltungsrecht ergibt" 4 9 . Was sich aus der Exekutivfunktion ergibt, w i r d aus der Definition des traditionellen öffentlich-rechtlichen Körperschaftsbegriffs gestrichen und das Ergebnis ist die „neutrale" Körperschaft des öffentlichen Rechts, der „Verein des öffentlichen Rechts" 50 . Dieser Methode kann jedoch nicht gefolgt werden. Durch die Sprünge vom heutigen Punkt der Entwicklung des Körperschaftsbegriffes zu dem Ausgangspunkt dieser Entwicklung und von dort wieder zurück ins Heute zerstört Moecke die Schlüssigkeit seiner Folgerungen. Der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts, der am Ausgangspunkt der Entwicklung steht und auch Moeckes Ansatzpunkt bildet, besagt lediglich, daß es, wie den Verein i m privaten Recht, auch i m öffentlichen Recht durch körperschaftliche Organisation handlungsfähige Verbände gibt, die 47

Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 231. Rechtsnatur, S. 281; ders., Vereine, S. 568 ff.; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 169 ff. 49 Rechtsnatur, S. 278 ff.; ders., Vereine, S. 567 ff. 50 Vereine, S. 567 ff. 48

Β. Die Fraktion — eine Körperschaft des öffentlichen R e c h t s 1 5 5 deshalb dem öffentlichen Recht angehören, weil sie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens sind, integrierte Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung, weil sie allgemein staatliche Funktionen wahrnehmen. Diese Begriffsdefinition ist jedoch praktisch unbrauchbar. Sie ist für praktische Bedürfnisse zu lückenhaft und inhaltslos. So ist etwa über die Rechtsfähigkeit dieser Verbände nichts gesagt, insbesondere nichts über ihre zivilrechtliche Rechtsfähigkeit 51 , ebenso wenig über die Ausgliederung dieser Körperschaften aus dem unmittelbar staatlichen Verband, was für die Fraktion bedeutete: Ausgliederung aus dem Parlament. Auch ist nichts gesagt über Gründung und Organisation, über das Verhältnis dieser Körperschaften zu anderen Körperschaften und sonstigen Institutionen des öffentlichen und privaten Rechts, über ihr Verhältnis zu Einzelpersonen. Da es Moecke bei seiner Untersuchung aber gerade um die Klärung dieser Fragen geht 5 2 , vollzieht er den Sprung aus der Vergangenheit zurück i n die Gegenwart und beantwortet die ihn interessierenden Fragen aus der heutigen Definition des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsbegriffes unter Zuhilfenahme des Kunstgriffes, daß er all das, was auf die Fraktion nicht paßt, m i t dem Argument ablehnt, daß sich diese Begriffsmerkmale aus der heutigen verwaltungsrechtlichen Färbung dieses Begriffs erklärten 5 3 . Die Frage jedoch, ob andere Begriffsmerkmale, die Moecke für die Fraktion passend erscheinen, sich vielleicht auch aus dieser Färbung erklärten, stellt sich für ihr nicht. Warum ist aber etwa die Fraktion Dienstherr des öffentlichen Rechts, warum öffentliche Kasse, warum kommen ihr die Beschränkungen der Zwangsvollstreckung nach § 882 a ZPO zugute 54 ? Moecke befindet sich i n dem Dilemma, daß der heute übliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts zu sehr spezialisiert, zu sehr auf die mittelbare Verwaltung des Staates zugeschnitten ist, als daß man die Fraktion unter ihn subsumieren könnte. Der Begriff der öffentlichrechtlichen Körperschaft, auf den er daher zurückgreift, ist jedoch nur so allgemein zu definieren 55 , daß er für die Erforschung der Rechtsnatur der Fraktion wenig hergibt, keine Lösung aber für die aktuellen Probleme bereithält, die den Anlaß für Moeckes Untersuchungen bilden. 51 Nach Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 267, folgt aus der öffentlichrechtlichen Rechtsfähigkeit eines Verbandes keineswegs zwingend seine p r i v a t rechtliche Persönlichkeit. 52 Rechtsnatur, S. 281; ders., Vereine, S. 567 ff.; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 162. 53 Rechtsnatur, S. 280 f. 54 So Moecke, Vereine, S. 568 f.; ders., Rechtsnatur, S. 281; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 170. 55 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 163, spricht selber von einer „geringeren Rechtsposition" der Vereine des öffentlichen Rechts; später, S. 169 ff., scheinen i h m ähnliche Bedenken, wie hier dargestellt, zu kommen.

156

4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

Moeckes Lösung muß aus diesen Gründen abgelehnt werden. Daher erübrigt es sich auch, auf weitere bedenkliche Einzelheiten seiner Untersuchung hinzuweisen: etwa auf Moeckes Annahme, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts per definitionem eine juristische Person und damit rechtsfähig sei 5 6 ; bedenklich ist auch das Verfahren, das bürgerliche Vereinsrecht auf die „Vereine des öffentlichen Rechts" entsprechend anzuwenden, daraus also eine A r t allgemeinen Körperschaftsrechts zu machen 57 ; was meint Moecke schließlich, wenn er davon spricht, daß die Fraktionen nur die „originär ihren Mitgliedern zustehenden gemeinsamen Rechte und Pflichten i n der parlamentarischen Arbeit" wahrnähmen 58 , daß die Selbständigkeit der Fraktion gegenüber dem Parlament verstärkt werden müßte 5 9 . Moecke selbst gibt i n seinem letzten Aufsatz 60 die Erklärung für sein unrichtiges Verständnis der Rechtsnatur der Fraktionen, indem er als die Grundlage seiner Erkenntnis bezeichnet, „ . . . daß die Fraktionen ihre Rechte und Pflichten nicht von dem Parlamentsganzen, sondern von den einzelnen Mitgliedern herleiten". Diese Erkenntnis ist nur insoweit richtig, als das Parlament natürlich aus der Summe der einzelnen Abgeordneten besteht, aber eben aus der Summe! Das Parlament erlangt damit ein eigenes Wesen über den Abgeordneten, das allerdings nicht losgelöst von den Personen gedacht werden kann. Das Parlament umfaßt die Abgeordneten wie die Fraktionen, das Präsidium und die Ausschüsse 61. Ein Kampf einer Fraktion gegen das Parlament ist nicht vorstellbar, sondern nur ein Kampf i m Parlament gegen eine andere Fraktion oder etwa gegen die Mehrheit. Denkbar wäre auch ein Kampf einer Fraktion gegen die Parlamentsverwaltung; diese ist aber nicht das Parlament. Durch Moeckes Lösung w i r d das Parlament geschwächt. Nur wenn die Fraktionen aber innerhalb des Parlaments aufgewertet werden, w i r d sowohl ihre Position wie die des Parlamentes gestärkt: Die Fraktionen erhalten Legalität, das Parlament Vitalität.

I I I . Andere Lösungsmöglichkeiten

Sähe man die Fraktion als Körperschaft des öffentlichen Rechts an, so würde man ihrer Struktur als Körperschaft gerecht; ebenso würde damit 58 Moecke, Rechtsnatur, S. 280 f.; so auch Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 252; Peters, Lehrbuch, S. 104 f.; dagegen: Wolff , V e r w R I I § 84 I I I b 1; zu dieser mehr terminologischen Streitfrage siehe Bachof, a.a.O., S. 259 ff. 57 Moecke, Rechtsnatur, S. 280; ders., Vereine, S. 568; dagegen: Forsthoff, § 24 I I 1, S. 424. 58 Moecke, Rechtsnatur, S. 278; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 163. 59 Moecke, Vereine, S. 571; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 165; ähnlich Werberger y S. 159. 80 Verfassungsmäßige Stellung, S. 168. 81 Entgegen: Altmann, Rechtsstellung, S. 223.

Β. Die Fraktion — eine Körperschaft des öffentlichen R e c h t s 1 5 7 der Tatsache gebührend Rechnung getragen, daß die Fraktionen öffentlich-rechtliche Funktionen ausüben und gegenüber der Partei rechtlich unabhängige Gebilde sind. Auch praktische Schwierigkeiten bei den bürgerlich-rechtlichen Hilfsgeschäften, die persönliche Haftung der M i t glieder würden beseitigt. Die Fraktionen würden Vorteile bei Zwangsvollstreckung und Konkurs gewinnen, ihre Angestellten wären solche des öffentlichen Dienstes. Aber dieser Erfolg läßt sich nicht auf dem von Moecke gezeigten Weg erreichen. Man müßte vielmehr von dem oben skizzierten formalen K ö r perschaftsbegriff ausgehen und davon eigenständige Ergebnisse ableiten, was jedoch notwendigerweise zu einer bisher völlig unbekannten Rechtsfigur führte. Eine derartige Neuentwicklung läge nur dann wirklich vor und wäre nur dann sinnvoll, wenn man eine solche „Körperschaft des Verfassungsrechts" unabhängig von den unmittelbar staatlichen Organen konstruierte und dieser Begriff auch inhaltlich von rechtlicher Relevanz wäre, d. h. wenn man praktisch mit ihm arbeiten könnte. Eine derartige Konstruktion soll aber an dieser Stelle nicht versucht werden. Denn die Untersuchung soll sich wenigstens zunächst nur auf die bisher bekannten Rechtsfiguren erstrecken. I m übrigen sind solche Bemühungen für eine Suche nach der Rechtsnatur der Fraktionen unfruchtbar. Es wurde gezeigt, daß die Fraktionen Funktionsträger, wesentliche Bestandteile des Parlaments sind. Die Fraktionen führen nicht dem Parlament gegenüber ein Eigenleben 62 , sondern das Leben, das sie führen, ist parlamentarisches Leben, Leben des Parlaments. Würden die Fraktionen i m außerparlamentarischen Raum rechtlich verfestigt, bedeutete das eine Einschränkung der Parlamentsautonomie, die gegen das Verfassungsrecht verstieße. Überhaupt brächte diese Lösung eine ungesunde Zementierung der gegenwärtigen parlamentarischen Verhältnisse mit sich 03 . Man kann sich auch Moeckes „Vereine des öffentlichen Rechts" als Begriff inhaltlich ergiebig nicht vorstellen, wenn sowohl Bildung wie Untergang und Auflösung, Spaltung und Austritt von Mitgliedern ohne die Erfüllung irgendwelcher Voraussetzungen vor sich geht. I m übrigen: Kann man sich solche Körperschaften vorstellen, die nur aus drei Mitgliedern bestehen, sind das überhaupt noch Körperschaften? Die Fraktionen sind keine Körperschaften des öffentlichen Rechts, es sei denn, man definiere diesen Begriff neu, was jedoch nicht auf die Weise geschehen kann, die Moecke vorgeschlagen hat. 62 63

Entgegen Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 165. Das gibt auch Moecke zu i n : Verfassungsmäßige Stellung, S. 164.

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion C. D i e F r a k t i o n — ein Organ des Parlaments

Es bleibt daher von den aufgezeigten drei Lösungen noch die Möglichkeit, die Fraktion rechtlich innerhalb des Parlaments zu installieren. Da sie wesensmäßig nur Funktionen des Parlaments ausübt, da ihre Arbeit durch das geschriebene Recht qualitativ der Arbeit von Plenum und Ausschüssen gleichgestellt wird, leuchtet diese Möglichkeit am meisten ein 6 4 . Das Parlament ist verfassungsrechtlich ein Staatsorgan 65 , begrifflich eine Körperschaft 66 . Eine Körperschaft läßt sich rechtlich aufgliedern i n Mitglieder, Träger der körperschaftsrechtlichen Befugnisse und Aufgaben, und Organe, vermittels derer die Körperschaft handlungsfähig wird. Mitglieder einer Körperschaft können natürliche und juristische Personen sein. Mitglieder des Parlaments, daran besteht kein Zweifel, sind nicht die Fraktionen, sondern die Abgeordneten. Die Parlamente haben zahlreiche Organe: den Präsidenten, das Präsidium, den Ältestenrat, die Ausschüsse usw. Kann man nun auch die Fraktionen zu den Organen des Parlaments zählen? I . Allgemeines: Stand der Meinungen

Die Gegner einer derartigen Ansicht stützen sich vor allem auf folgende Argumente: Die einzelne Fraktion könne nicht für das Parlament handeln 6 7 , wie etwa der Präsident oder auch die Ausschüsse, die immerhin ein reduziertes Parlament darstellten; das Handeln der Fraktion werde nicht ipso iure unmittelbar als Handeln des Parlaments angesehen, diesem als eigenes Handeln zugerechnet 68 , die Fraktion repräsentiere nicht das Parlament i n seiner Gesamtheit 69 ; sie nehme keine vom Parlament übertragenen Aufgaben wahr 7 0 , sondern originäre Rechte der Mitglieder 7 1 ; wenn die Fraktion ein Organ des Parlaments sei, dann sei sie zugleich mittelbares Organ des Staates, stelle also innerhalb der ihr zukommenden 64

Henke, S. 110; v. d. Heydte, Das Parlament, S. 21; Lebenstein, S. 125. A r t . 20 I I G G ; Jellinek, System, S. 237; Stier-Somlo, Reichsverfassung, S. 132; a. M. Binding , Notwehr, S. 7 f. 68 Allerdings keine Körperschaft des öffentlichen Rechts i m herkömmlichen (s.o.) Sinne; so Feistel, S. 66 A n m . 3; Maunz-D., A r t . 38 RNr. 7; Stier-Somlo, Reichstag, S. 385 f. 87 Altmann, Rechtscharakter, S. 753; ders., Rechtsstellung, S. 222; GellerKleinrahm-Fleck, S. 246; Moecke, Rechtsnatur, S. 278; ders., Verfassungsmäßige Stellung, S. 162; Werberger, S. 139. 88 Maunz-DArt. 40 RNr. 4,14. 89 Altmann, Rechtscharakter, S. 753; ders., Rechtsstellung, S. 222; Maunz-D A r t . 40 RNr. 14; Werberger t S. 138. 70 Trossmann, S. 46: die Fraktionen sind weder v o m B T eingesetzt, noch erhalten sie von i h m Aufträge u n d Weisungen. 71 Moecke, Rechtsnatur, S. 278. 65

C. Die Fraktion — ein Organ des Parlaments

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Kompetenzen den Staat dar, was jedoch nicht der Fall sei 7 2 ; die Fraktion setze keine staatliche Akte, bilde nicht den Staatswillen 7 8 , ja nicht einmal den Willen des Parlaments 7 4 ; es sei ein Charakteristikum des Organs, daß es, wenn vorgesehen, obligatorisch sei 7 5 ; die Fraktion sei jedoch eine rein interne Angelegenheit der Gründer, die Fraktionsbildung lediglich von ihnen abhängig 76 . Diejenigen, welche i n den Fraktionen Organe der Parlamente sehen, begründen das zum großen Teil überhaupt nicht näher. Sie argumentieren i m Hinblick auf die Vielzahl der angeführten Gegenargumente kaum überzeugender: Die Fraktionen seien organisatorisch durch die Geschäftsordnungen der Parlamente i n dieselben eingegliedert 77 ; ihnen seien Zuständigkeiten übertragen worden 7 8 ; i n der Vertretung des Willens der politischen Parteien i m Parlament erfüllten sie eine parlamentarische Funktion 7 9 ; sie seien zur Geltendmachung von Rechten des Parlaments i m Wege der Organklage befugt 8 0 » 8 1 . Insgesamt gesehen befriedigen alle Argumente nicht, w e i l sie sehr oberflächlich erscheinen. Sie lassen es insbesondere alle an einer gründlichen Untersuchung des Wesens der Fraktion fehlen sowie auch daran, was man sich eigentlich unter einem Organ des Parlamentes vorzustellen hat. Da i n dieser Untersuchung bisher das Wesen der Fraktion behandelt worden ist, fehlt zur Entscheidung der Frage, ob die Fraktion ein Organ des Parlaments ist, noch die Klarstellung, was ein Organ des Parlamentes ist. I I . Theorie der Organschaf^t, Merkmale des Organbegriffs

Die wissenschaftliche Diskussion über das Problem der Organschaft ist unübersehbar 82 . A m umfassendsten und einleuchtendsten erscheint der Beitrag von Hans-Julius Wolff , sein zweibändiges Werk „Organschaft 72

Werberger, S. 138. Werberger, S. 138; Triepel, Staatsverfassung, S. 29, f ü r die Partei. 74 Altmann, Rechtsstellung, S. 222. 75 Werberger, S. 141. 76 Lebenstein, S. 125; Moecke, Rechtsnatur, S. 278; Werberger, S. 141. 77 Pereis, Geschäftsgang, S. 450 f.; ders., LTe-Geschäftsgang, S. 643. 78 ν . Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d. 79 v. Mangoldt-Klein, A r t . 40 A n m . I I I 1 d. 80 Giese-Schunck, A r t . 40 A n m . I I 3, A r t . 93 A n m . I I 4. 81 Die Gegner der Organschaft der Fraktionen erklären diese Möglichkeit m i t dem I n s t i t u t der Prozeßstandschaft; so: Bachof, S. 118 f.; Goessl, S. 156. 82 I n A u s w a h l : Beseler, Volksrecht u n d Juristenrecht, S. 161, 181 ff.; v. Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts u n d die neueren Staatsrechtstheorien, S. 123 ff.; Forsthoff, § 22, S. 377 ff., 391 ff.; Giese, Staatsrecht, S. 28 ff.; Hatschek, 73

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

und Juristische Person" 83 . Die folgenden Bemerkungen beruhen i m wesentlichen auf seinen Gedankengängen 84 . „Organschaft" heißt nach Wolff : Vertretung einer Körperschaft, sofern die Befugnis zum Handeln des Vertreters und zur Zurechnung seines Verhaltens durch eine Gruppenorganisation bestimmt ist 8 5 . „Organ" ist nicht eine bestimmte Person oder Personenmehrheit, sondern der durch die Gruppenorganisation i m voraus abstrakt begründete Zuständigkeitskomplex 8 6 . Der oder die physischen Personen, die diese Zuständigkeit wahrnehmen, die real für die Körperschaft handeln, sollen m i t Wolff 87 „Organwalter" genannt werden. Denn zwischen dem Organ als dem abstrakt formulierten geistigen Gebilde und den natürlichen Personen, die diesem Gebilde Leben einhauchen, muß unterschieden werden 8 8 . I m einzelnen ist Voraussetzung für das Vorliegen von Organschaft folgendes: 1. Existenz einer Körperschaft Von Organschaft i m juristischen Sinne kann man nur sprechen, wenn ein bestimmtes Verhalten einem Personenverband zugerechnet werden soll 8 9 » 9 0 . 2. Vorhandensein einer Organisation Wenn man nicht schon „Körperschaft" als Personenverband m i t Organisation definiert, ist zumindestens für den Tatbestand der Organschaft Dt. u. Pr. StR. I, S. 6 ff.; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 30 ff.; ders., Allgemeines Staatsrecht, S. 87 ff.; Jellinek, Staatslehre, 16. K a pitel, S. 540 ff.; ders., System, S. 223—245; Laun, Staatslehre, § 23, S. 79 ff.; Peters, Lehrbuch, S. 109 ff., 115 ff.; Krüger, Staatslehre, S. 256 ff.: „Organ" heißt bei K r ü g e r i m Hinblick auf das Staatsorgan „ A m t " ; dabei ist jedoch das, was i m folgenden als Tatbestandsmerkmal „Auswahlformel" genannt w i r d , i n diesem Begriff nicht enthalten; Stier-Somlo, Politik, S. 141 ff.: Lehre von den Staatsorganen; zum Streit zwischen der sogenannten „organischen" u n d der „anorganischen" Lehre, siehe Wolff , Vertretung, S. 224 ff., m i t weiteren Nachweisen. 83 Berlin, 1933/34. 84 Besonders auf Band I I : Theorie der Vertretung, B e r l i n 1934 (zit.: Vertretung). 85 Vertretung, S. 91, 236; ähnlich: Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 90. 88 Vertretung, S. 104, später S. 237 f. statt „Zuständigkeitskomplex" auch „Kompetenzkomplex" ; Krüger, Staatslehre, S. 256. 87 Vertretung, S. 104,229 ff. 88 Gerhardt, A m t u n d Person, passim; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 37 f. 89 Wenn man von den Rechtsfiguren „ A n s t a l t " und „ S t i f t u n g " absieht. 90 Wolff , Vertretung, S. 91, 253.

C. Die Fraktion — ein Organ des Parlaments

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notwendig, daß das Verhalten des Organs deshalb der Körperschaft zugerechnet wird, weil diese Rechtsfolge durch die Organisation der Körperschaft i m voraus abstrakt bestimmt ist 9 1 . Darin zeigt sich der Unterschied zwischen Organschaft und Vertretung: Vertretung w i r d begründet durch rechtsgeschäftliche Einzelakte nach Maßgabe der allgemeinen Rechtsordnung 92 » 9 3 . I n der Körperschaft werden die Angelegenheiten mehrerer verselbständigt und zu eigenen Angelegenheiten der Körperschaft zusammengefaßt, oder der Körperschaft werden durch besondere Normen bestimmte Angelegenheiten als eigene übertragen. I n beiden Fällen w i r d über den der Körperschaft angehörenden Mitgliedern rechtlich ein Gebilde geschaffen, m i t dem diese nicht mehr identisch sind, das rechtlich ein eigenes Leben entfaltet und eigene Rechtspositionen erwerben kann 9 4 . Die Hervorbringung dieses Gebildes, die Übertragung von Angelegenheiten auf die Körperschaft, erfolgt aber zu dem Zweck und ist nur dann sinnvoll, wenn die Körperschaft selbst diese ihre nunmehr eigenen A n gelegenheiten, ihre Funktionen praktisch wahrnehmen kann. Das erreicht die Körperschaft durch ihre Organisation 95 . Durch ihre Organisation verteilt die Körperschaft die eigenen und oft sehr unterschiedlichen Funktionen auf Personen, die zwar noch nicht individuell bestimmt, aber aufgrund der Organisationsnormen jederzeit bestimmbar sind 9 6 . Die Organisation ist objektives Recht, das die Personen bindet, die zur Körperschaft gehören: die Mitglieder also und die Organwalter 9 7 . Organisationsnormen gibt es auf allen Stufen der Rechtsordnung: Die Verfassung enthält solche Normen, etwa A r t . 20 GG; sie finden sich i n Gesetzen — etwa das Vereinsrecht des BGB —, ferner i n Rechts- und Verwaltungsverordnungen sowie i n autonomen Satzungen. Das hat zur Folge, 91

Beseler, S. 181 ff.; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 30; ders., Allgemeines Staatsrecht, S. 92; Heller, Staatslehre, S. 89, 230 f.; Jellinek, System, S. 136, 224 f.; Wolff , Vertretung, S. 91, 253 ff.; ders., Juristische Person, S. 495. 92 Wolff , Vertretung, S. 240 ff. 98 Nach Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 88, liegt der Unterschied z w i schen Organschaft u n d Vertretung darin, daß der Vertretene nicht selbst handelt, während die Körperschaft durch i h r Organ selbst tätig w i r d . 94 Beseler, S. 161; v. Gierke , Grundbegriffe, S. 71 f., 123; Heller, Staatslehre, S. 231 f.: „ . . . die organisierte Wirkungsmacht (ist) niemals identisch m i t der Summe der einzelnen Machtquanten"; Wolff, Vertretung, S. 253; ders., J u r i stische Person, S. 495. 95 Hatschek, Dt. u. Pr. StR. I, S. 6; Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 73, 124; Beseler, S. 161,181 f.; v. Gierke, Grundbegriffe, S. 73,124. 96 v. Gierke, Grundbegriffe, S. 72 f., 124; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 33, 40; ders., Allgemeines Staatsrecht, S. 92. 97 Wolff, Vertretung, S. 240 ff.; bezüglich der parlamentarischen Geschäftsordnungen: Schule, S. 91. 11 Hauenschild

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

daß die Organisationsnorm einer niederen Stufe nicht der einer höheren widersprechen darf 9 8 . So dürfen etwa die Geschäftsordnungen der Parlamente, die oben als autonome Satzungen charakterisiert wurden, nicht den Gesetzen oder gar der Verfassung widersprechen 99 . Die Organisationsnormen regeln verbindlich die interna corporis, besonders die Verteilung der Kompetenzen. 3. Ein abstrakt formulierter

Zuständigkeitskomplex

Je nachdem, ob ein oder mehrere Organe geschaffen werden sollen, und je nach der Zahl der Zuständigkeiten der Körperschaft faßt die Organisation eine oder mehrere Zuständigkeiten i n einem Punkte zusammen und versieht diesen Zuständigkeitskomplex m i t einer Formel für die Auswahl der natürlichen Person, die diese Zuständigkeiten wahrnehmen soll. Dieser durch die Organisationsnormen abstrakt formulierte Zuständigkeitskomplex ist Organ der Körperschaft. Damit sind Organ und Körperschaft nicht nur ihrer systematischen Zuordnung nach von gleicher Substanz, sondern es sind auch beides rechtstechnische Begriffe, m i t denen reale Sachverhalte erfaßt werden können. Wenn eine Körperschaft beispielsweise die Funktionen X, Y und Ζ hat, so kann sie durch ihre Organisationsnormen festlegen: wer die Voraussetzung A erfüllt, soll die Funktion X und Ζ ausüben, wer dagegen die Voraussetzung Β erbringt, ist zuständig für Y. Das Beispiel soll verdeutlichen, was m i t „abstrakt formulierter Zuständigkeitskomplex" gemeint ist: nicht die natürliche Person ist begrifflich das Organ, sondern „Organ" ist ebenso wie auch „Körperschaft" ein rechtstechnischer Begriff, der zwar völlig auf eine oder mehrere natürliche Personen bezogen ist, der aber nur besagt, wie diese Personen gefunden werden sollen und was sie für Kompetenzen haben. Es kann sich u m eine Vielzahl von Personen 100 und um eine Vielzahl von Kompetenzen handeln, die i n dem Begriff „Organ" zusammengefaßt sind 1 0 1 . Z u dem individuellen Organbegriff gehört daher eine abstrakte Formel, m i t deren Hilfe man die Organwalter auswählen kann, und es gehört eine Aufzählung der Funktionen der Körperschaft, für die diese Organwalter zuständig sein sollen. Dabei meint „zuständig" immer nur die organisationsrechtliche Befugnis zur Wahrnehmung einer Funktion der Körperschaft, zu der eingangs zitierten „Vertretung einer Gruppe". 98 ββ 100 101

Wolff, Vertretung, S. 241,244. Siehe oben S. 105 A n m . 14. ν . Gierke, Grundbegriffe, S. 126 f.; Wolff, Wolff, Vertretung, S. 272.

Vertretung, S. 243.

C. Die Fraktion — ein Organ des Parlaments 4. Organwalter

163

102

Organschaft kann nur dann vorliegen, wenn es natürliche Personen gibt, die die Gruppe realiter vertreten können, vermittels derer also die Körperschaft ihre eigenen Funktionen überhaupt wahrnehmen kann 1 0 3 . Wie schon oben erwähnt, kann ein individuelles Organ so definiert sein, daß nach der Auswahlformel des Organwalters nur eine Person für die i m Organ vereinigten Zuständigkeiten i n Frage kommt — Wolff nennt diese Organe „ Ä m t e r " 1 0 4 —, oder es können auch eine Vielzahl von Personen zuständig sein. Die körperschaftliche Organisation kann einer unbestimmten oder nur minimal bestimmten Zahl bestimmbarer I n d i v i duen Zuständigkeiten übertragen 1 0 5 . Es kann geschehen, daß Organwalter wiederum eine Körperschaft ist mit einer Organisation und eigenen Organen 1 0 6 . Davon w i r d vor allen Dingen dann gesprochen werden können, wenn die Funktionen der übergeordneten Körperschaft durch die Organisation nicht den einzelnen Organwaltern, sondern diesen Personen i n ihrer Gesamtheit übertragen werden: Das Staatsvolk organisiert sich i n der Verfassung und schafft sich i m Parlament ein Organ; es überträgt nicht Funktionen den einzelnen Abgeordneten, sondern den Abgeordneten i n ihrer Gesamtheit, dem Parlament 1 0 7 ; die Funktion der Gesetzgebung, die als ein Teil der Staatsgewalt letztlich dem Volke zusteht, ist durch die Staatsorganisation, die Organisation des Volkes als Staatsvolk, dem Parlament übertragen worden. Eine für alle Organisationen einheitliche Auswahlformel für Organwalter gibt es nicht 1 0 8 und kann es bei der Verschiedenartigkeit der organisierten Körperschaften auch nicht geben. Organwalter können gewählt, ernannt, beauftragt werden; es können ipso iure Personen mitbestimmten Eigenschaften sein, m i t bestimmten Fähigkeiten. Für den Organbegriff notwendig ist lediglich eine abstrakte Auswahlformel überhaupt 1 0 9 . Durch die begriffliche Trennung von Organ und Organwalter w i r d die doppelte Natur der Aktionen der natürlichen Personen deutlich, die 102 Bei Hatschek, Dt. u. Pr. StR. I, S. 6 „Organträger"; nach Krüger, Staatslehre, S. 265 ff.: „Amtsträger". 103 Helfritz, Vertretung der Städte u. Landgemeinden, S. 30; Jellinek, System, S. 81,136, 223 f.; Krüger, Staatslehre, S. 265. 104 Vertretung, S. 240. 105 Wolff , Vertretung, S. 243 f. 106 Wolff, Vertretung, S. 244 A n m . 2. 107 Wolff, Vertretung, S. 257. 108 v. Gierke, Grundbegriffe, S. 126 ff.; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 33 ff. ; Jellinek, System, S. 138 f., spricht v o n den Möglichkeiten der „Verpflichtung" u n d „Berechtigung". 109 Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 92; Stier-Somlo, Politik, S. 141; Wolff, Vertretung, S. 243, 266 f.

11*

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

Organwalter sind 1 1 0 . Der Organwalter kann einmal als Privatmann handeln. Dann werden seine Handlungen i h m zugerechnet. Handelt er dagegen als Organ, also quasi amtlich, so handelt durch Vermittlung der Organisation die Körperschaft. Dies ist wesentlich für den Begriff des Organs und der Organschaft: I n ihrer Eigenschaft als Organwalter, d. h. bei Wahrnehmung des i n dem Organbegriff beschlossenen Zuständigkeitskomplexes, handelt die Person nur i m „rechtselementaren Sinn", bei einer normativ-subjektiven Zurechnung handelt die Körperschaft 111 . Es besteht also eine Identität von Körperschaftshandeln und Organwalterhandeln, ja Körperschaftshandeln ist immer Organwalterhandeln. Körperschaft ist ein ideeller Begriff, eine ideelle Person; handeln können jedoch nur materiell existente Personen: die Organwalter 1 1 2 . Hat man sich einmal diesen Zusammenhang zwischen Körperschaft, Organ und Organwalter klargemacht, so kann man nun der Einfachheit halber davon sprechen, daß die Organe handeln. Gemeint ist damit, daß der betreffende Organwalter i n seiner „amtlichen" Eigenschaft für die Körperschaft handelt. Spricht man davon, daß die Körperschaft handelt, so bedeutet das, daß diese durch ihre Organe ( = Organwalter) tätig wird. 5. Handeln für die Körperschaft Nach dem bisher Gesagten bleibt eine Frage noch ungeklärt: Organschaft heißt Vertretung der Körperschaft; die Organe sind für die Erfüllung bestimmter Funktionen der Körperschaft zuständig; Organe sind Zuständigkeitskomzlexe; die Organwalter handeln für die Körperschaft. Was bedeutet das alles? Wie lassen sich diese Aussagen auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Heißt „Vertretung der Körperschaft" nur Vertretung außenstehenden Dritten gegenüber? Sind alle Stellen, die Funktionen der Körperschaft erfüllen, Organe oder nur diejenigen, die bestimmte Funktionen erfüllen, etwa willensbildende Funktionen? Eine Fülle von Fragen tut sich auf, die sich alle i n einer Frage zusammenfassen lassen: Was heißt „Handeln für die Körperschaft"? Die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich hinter dem Terminus „Handeln für die Körperschaft" verbirgt, w i r d deutlich, wenn man sich i n einem Überblick die verschiedenen Arten von Organen vergegenwärtigt, die nach der allgemein herrschenden Organtheorie bekannt sind 1 1 3 : 110

Krüger, Staatslehre, S. 308 ff. Wolff, Vertretung, S. 261; ähnlich: Helfritz, Vertretung der Städte und Landgemeinden, S. 31 f. 112 Wolff, Vertretung, S. 254. 113 v. Gierke, Grundbegriffe, S. 126 ff.; Heller, Staatslehre, S. 89; Jellinek, Staatslehre, S. 544 ff.; Stier-Somlo, Politik, S. 141 ff.; Wolff, Vertretung, S. 238 f. 111

C. Die F r a k t i o n — ein Organ des Parlaments

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Es g i b t obere, m i t t l e r e u n d u n t e r e O r g a n e (organisatorischer R a n g ) 1 1 4 , u n m i t t e l b a r e u n d m i t t e l b a r e O r g a n e ( O r g a n eines O r g a n s ) 1 1 5 , o b l i g a t o r i sche u n d f a k u l t a t i v e O r g a n e 1 1 6 , K o n t r o l l o r g a n e , B e r a t u n g s o r g a n e 1 1 7 , E n t s c h e i d u n g s o r g a n e 1 1 8 , E x e k u t i v o r g a n e 1 1 9 ' K r e a t i o n s o r g a n e 1 2 0 Beschlußo r g a n e m , O r g a n e m i t a b g e s t u f t e r eigener R e c h t s f ä h i g k e i t ( v o n d e r v ö l ligen rechtlichen U n t e r o r d n u n g u n t e r die Körperschaft bis h i n zur v o l l e n eigenen R e c h t s f ä h i g k e i t 1 2 2 u. a. m . A l l e diese O r g a n e h a n d e l n f ü r d i e K ö r p e r s c h a f t , d e r sie angehören. W e n n m a n also w i s s e n w i l l , w a s m a n u n t e r diesem „ H a n d e l n f ü r d i e K ö r p e r s c h a f t " g e n e r e l l z u v e r s t e h e n h a t , k a n n m a n n i c h t a u f eine b e stimmte Tätigkeit abstellen128. Vielmehr muß darauf zurückgegriffen w e r d e n , w a s o b e n als C h a r a k t e r i s t i k u m f ü r d i e Organschaft bezeichnet w u r d e : O r g a n h a n d e l n i s t K ö r p e r s c h a f t s h a n d e l n , beides i s t identisch; d i e K ö r p e r s c h a f t k a n n n u r d u r c h O r g a n e h a n d e l n 1 2 4 . Es m u ß also f ü r a l l das, w a s z u r K o m p e t e n z der K ö r p e r s c h a f t g e h ö r t , O r g a n e g e b e n 1 2 5 . D a sich 114 Giese, Staatsrecht, S. 29; Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 93; Jellinek, Staatslehre, S. 549, 554; Stier-Somlo, Politik, S. 142: selbständige u n d unselbständige Organe; ders., Verfassung, Vorbem. I v o r A r t . 9. 115 Anschütz, Enzyklopädie, S. 103; Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 244; Bratfisch, S. 31 ff.; Forsthoff, § 22 2 a, S. 382 f.; Giese, Staatsrecht, S. 29; Goessl, S. 96; Hatschek, Dt. u. Pr. StR. I , S. 7 f.; Helfritz, Vertretung der Städte und Landgemeinden, S. 34 f., 42; Jellinek, Staatslehre, S. 544 f., 555, 557, 546: p r i märe u n d sekundäre Organe; ders., System, S. 223; Stier-Somlo, Dt.R.u.LStR.I., S. 69; ders., Politik, S. 141; Krüger, Staatslehre, S. 121 verneint grundsätzlich, daß es Organe von Organen geben könne; es sei denn, daß das „obere" Organ seinerseits i n der Lage wäre, Organe zu bilden u n d zu erhalten, u n d zwar außerhalb des Instanzenzuges; auf S. 121 f. A n m . 51 gesteht jedoch Krüger dem Bundestag diese Möglichkeit zu, so daß es eines weiteren Eingehens auf die Krügersche These nicht bedarf. 118 Giese, Staatsrecht, S. 29; Jellinek, Staatslehre, S. 558, 548: normale u n d außerordentliche Organe; Maunz-D., A r t . 40 RNr. 7, 8; Stier-Somlo, Politik, S. 143. 117

Bachof, Teilrechtsfähige Verbände, S. 251. Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 90; Lebenstein, S. 63. 118 Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 90. 120 Helfritz, Allgemeines Staatsrecht, S. 92; Jellinek, Staatslehre, S. 545. 121 Anschütz, Enzyklopädie, S. 145; die Ausschüsse des Parlamentes werden bisweilen „vorbereitende Beschlußorgane" genannt; so G O B T § 60 I I , GO B W § 26 I I (GO S L A r t . 18 I V ) ; Lechner-Hülshoff, § 60 GOBT A n m . 4; sie können aber i n der Regel keine das Parlament bindenden Beschlüsse fassen. 122 Wolff, Vertretung, S. 251 f. 123 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 132 f. 124 v. Gierke, Grundbegriffe, S. 73, 125; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 30; ders., Allgemeines Staatsrecht, S. 87 f.; Jellinek, System, S. 225; Wolff, Vertretung, S. 276 ff., 297; ders., V e r w R I, § 341 a 2. 125 v. Gierke, Grundbegriffe, S. 72 f., 124 ff.; Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 33; Jellinek, System, S. 227 ff.; Krüger, Staatslehre, S. 256. 118

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

Kompetenz und Funktion der Körperschaft entsprechen, kann man auch sagen: Es muß für jede Funktion der Körperschaft Organe geben. Es kann allerdings auch nur solche Organe geben, wie Funktionen der Körperschaft vorhanden sind 1 2 6 . Denn die Körperschaft ist regelmäßig i n ihren Funktionen beschränkt auf die Zuständigkeiten, die ihr durch die Träger oder durch die konstitutive Norm, etwa die Verfassung, übertragen sind. U m MißVerständnissen vorzubeugen, ist hier jedoch eine Differenzierung geboten. Es muß nämlich zwischen zwei verschiedenen Arten von Funktionen unterschieden werden: den Primärfunktionen, die der K ö r perschaft die Daseinsberechtigung verleihen, und den Sekundärfunktionen, die eine Folge der Primärfunktionen sind, weil sie deren Erfüllung erst ermöglichen. Dies ist i m Grunde eine Selbstverständlichkeit: Ebenso wenig wie „Verwaltung" nur i n dem Erlaß von Verwaltungsakten besteht, erschöpft sich „Gesetzgebung" lediglich i n der Endabstimmung. Was vielmehr alles notwendig ist, damit es zu der Endabstimmung kommen kann, die „vorbereitende" parlamentarische Tätigkeit, muß auch zur Funktion des Parlaments gezählt werden, zu seinen Sekundärfunktionen. Auch die „vorbereitende parlamentarische Arbeit" ist Aktion, verlangt ein Handeln der Körperschaft, also ein Handeln von Organen, bzw. Organwaltern. So gliedert etwa auch Anschütz 127 die gesamte Zuständigkeit der Körperschaft „Parlament" i n „kollegiale" und „politische" Kompetenzen: Die „politische Kompetenz" ist die Fähigkeit zur Ausübung der dem Parlament übertragenen Staatsgewalt; die „kollegiale Kompetenz schafft die Voraussetzungen und Mittel, welche zur Entfaltung der politischen erforderlich sind" 1 2 8 . Wenn man daher die Frage danach stellt, was „Handeln für die Körperschaft" bedeutet, muß man zunächst nach den Funktionen der Körperschaft fragen, und zwar nicht nur nach den Primärfunktionen, sondern auch nach denen, die sich aus diesen ergeben: Wozu ist die Körperschaft existent? Was hat sie zu tun? Was muß sie tun, u m diese Aufgaben erfüllen zu können? A l l e diese Tätigkeiten sind „Handeln für die Körperschaft". Für jede einzelne dieser Tätigkeiten oder auch für mehrere oder alle zusammen muß die Körperschaft durch ihre Organisation Organe einrichten 1 2 9 : zur Beratung, zur Beschlußfassung, zur Exekution, zur Streitschlichtung usw. Entscheidend allein für das K r i t e r i u m „Handeln für die Körperschaft" ist, daß Organhandeln vorliegt, d. h. daß die han126

Helfritz, Vertretung der Städte u n d Landgemeinden, S. 30; Wolff , V e r tretung, S. 241 f. 127 Enzyklopädie, S. 143. 128 Anschütz, Enzyklopädie, S. 143; i m Anschluß daran: Roßmann, S. 11; ähnlich, aber allgemeiner: Heller, Staatslehre, S. 233; Krüger, Staatslehre, S. 261. 129 Wolff, Vertretung, S. 272, 278.

C. Die Fraktion — ein Organ des Parlaments

167

delnden natürlichen Personen aufgrund der organisatorischen Norm Funktionen der Körperschaft erfüllen. 6. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich demnach sagen: Organ ist der durch die Verfassung einer Körperschaft abstrakt formulierte Komplex von Zuständigkeiten, d. h. von organisatorischen Berechtigungen und Verpflichtungen, für die Körperschaft bindend zu handeln 1 3 0 . I I I . Sind die Fraktionen demnach Organe des Parlaments?

Eine Gegenüberstellung dessen, was oben über das Wesen, vor allem über die Funktion der Fraktion gesagt wurde, m i t dem hier herausgearbeiteten Tatbestand der Organschaft ergibt, daß man die Fraktion als Organ des Parlaments ansehen muß. Daß das Parlament eine Körperschaft ist, wurde oben schon festgestellt. Dieser Körperschaft sind durch die Verfassung bestimmte Funktionen übertragen worden. U m diese Funktionen erfüllen zu können, hat sich das Parlament eine Organisation gegeben. Die Geschäftsordnung des Parlaments ist das Hauptstück dieser Organisation. Dazu gehört weiter der sogenannte Parlamentsbrauch, parlamentarisches Gewohnheitsrecht. Durch diese Organisation werden bestimmte Funktionen des Parlaments an einer Stelle gebündelt: Zusammenfassung der Abgeordneten zu handlungsfähigen Einheiten, Gewährleistung der Vertretung aller wichtigen Meinungen, Unterstützung des einzelnen Abgeordneten, u m i h n für die Arbeit des Parlaments funktionsfähig zu machen, Wahrnehmung der materiell verfassungsrechtlichen Aufgaben des Parlaments: M i t regierung und Kontrolle der Regierung, Bildung von politischen Meinungen, Regelung des Ablaufs der Parlamentsarbeit i m einzelnen. Diese Funktionen des Parlaments hat man organisatorisch, nicht willkürlich, sondern funktionsgerecht nach praktischen Gesichtspunkten zu einem Komplex zusammengefaßt und einen bestimmten Personenkreis abstrakt bezeichnet, der diese Funktionen des Parlaments für das Parlament auszuüben berechtigt sein soll: die Fraktion. Auswahlformel für die Organwalter ist: Eine bestimmte Mindestzahl von Abgeordneten eines Parlaments muß sich zu einer Fraktion vereinigen. Geschieht das, dann können diese Abgeordneten als Organ130 ν . Gierke , Grundbegriffe, S. 73, 124 ff.; zu einem ähnlichen Ergebnis für den Begriff des Staatsorgans k o m m t auch Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 136 ff.

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

waiter die oben aufgezählten Kompetenzen des Organs „Fraktion" gesamthänderisch wahrnehmen. Als Verfeinerung der Auswahlformel gibt es das Erfordernis der gleichen Parteizugehörigkeit, mindestens der politischen Gesinnungsgenossenschaft der Abgeordneten, Wahl eines Vorsitzenden, ein gemeinsamer Name. Die Benachrichtigung des Parlamentspräsidenten oder des Präsidiums gehört hingegen nicht dazu, wie oben i m 2. Kapitel unter A. nachgewiesen wurde. I V . Auseinandersetzung mit den widersprechenden Meinungen

Die anfangs erwähnten Argumente gegen die Anerkennung der Fraktion als Parlamentsorgan dürften zum großen Teil i n der nachfolgenden Untersuchung widerlegt worden sein. Geht man sie noch einmal durch, läßt sich zu ihnen das Folgende sagen: Wenn man zwar dem Parlamentspräsidenten und den proportional besetzten Ausschüssen den Charakter von Parlamentsorganen zuspricht, nicht aber den Fraktionen, so stellt man wesentlich auf die Auswahlformel für die Organwalter ab, die aber für alle Organe einheitlich nicht gebildet werden kann, auch nicht negativ. Stellt man es dagegen darauf ab, daß die Fraktionen nicht stellvertretend für das gesamte Parlament handeln können, dieses also nicht nach außen vertreten, so übersieht man, daß es auch sonst Organe gibt, die nur zur Beschlußfassung und zur Meinungsbildung für die Körperschaft berufen sind und keine „Handlungsvollmachten" besitzen. So etwa war der Reichstag der Bismarckschen Verfassung — nach der herrschenden Meinung ein Organ des Reiches 131 — nicht befugt, selbständig unmittelbar für das Reich zu handeln, die Staatsgewalt zu handhaben 132 . Auch ist das Parlament kein Exekutivorgan 1 3 3 . Sein Handeln besteht darin, daß es Tätigkeiten entfaltet, mit denen die Regierung unterstützt bzw. kontrolliert wird. Nichts besonderes ist es auch, daß die Fraktionen nur gemeinsam einen A k t des Parlaments setzen können 1 3 4 . Hier ist zu denken an das ZweiKammer-System, etwa die M i t w i r k u n g des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes 1 3 5 , früher des Reichs 136 . Die Willenserklärungen der 131

Laband, StR.d.dt.R., I , S. 298 f. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, Vorbem. v. A r t . 20: auch nach der W R V waren dem R T u n m i t t e l b a r Exekutivbefugnisse nicht gegeben; dagegen heute A r t . 59 a Abs. 1 GG. 188 Henke, S. 97. 184 Bratfisch, S. 28; Jellinek, System, S. 228 f.; allgemein: Wolff , Vertretung, S. 247. 185 Dennewitz-Schneider, i n Bonner Kommentar, A r t . 38 A n m . I I 2; MaunzD., A r t . 38 RNr. 6. 186 Anschütz, Enzyklopädie, S. 108; Laband, StR.d.dt.R., I , S. 300 f.; Waldecker, S. 68. 182

C. Die Fraktion — ein Organ des Parlaments

169

Organe „verschmelzen" 187 i n einer einheitlichen staatlichen Willenserklärung. Man geht bei dieser Argumentation von einer falschen Voraussetzung aus, was das Tatbestandsmerkmal „Handeln für die Körperschaft" betrifft. Auch das alleinige Wirken i m Innern der Körperschaft, das Tätigwerden gegenüber anderen Organen oder den Mitgliedern, die Ausübung der oben beschriebenen „Sekundärfunktionen" der Körperschaft, kann dieses Tatbestandsmerkmal erfüllen 1 8 8 . Daraus ergibt sich auch, daß Organe nicht notwendigerweise stets die Träger der Körperschaft i n ihrer Gesamtheit vertreten müssen. Jellinek 189 spricht m i t Recht davon, daß die einheitliche Persönlichkeit des Staates sich i n den Staatsorganen spalten und auf diese Weise als ein von sich verschiedenes Wesen gegenübertreten kann. Zu fordern ist lediglich, daß die Organe selbständig, aus eigenem Antrieb, von sich aus ihre Funktionen für die Körperschaft erfüllen, oder, wie Wolff 140 formuliert, daß sie i n der Lage sind, selbständige Willenserklärungen unter „ihrer Firma" abzugeben. Derartige Fähigkeiten muß man den Fraktionen jedoch zubilligen 1 4 1 . Allgemein ergibt sich dies aus dem, was oben über die Funktionen der Fraktion gesagt wurde: Die „Sekundärfunktionen" des Parlaments erfüllen die Fraktionen i n eigener Regie, auf die „ I n i t i a t i v rechte", die „Ernennungsrechte" der Fraktionen wurde hingewiesen; weiterhin wurde beispielsweise angemerkt, daß die Fraktion sogar befugt ist, Rechte des Parlaments vor dem Verfassungsgericht geltend zu machen. Auch kann i n diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß die versammelten Fraktionsführer ein „Parlament i m Kleinstformat" darstellen. Wendet man gegen die Organqualität der Fraktionen ein, daß sie ja dann auch Organe des Staates seien, obwohl sie doch keine Staatsakte i m Sinne von Verwaltungs- oder Regierungsakten setzten, nicht staatlichen Willen bildeten, so ist darauf zu erwidern, daß Staatsorgan nicht nur „eine Veranstaltung zur Erzielung gültiger Staatsakte" 1 4 2 ist. Man kann 137

Laband, StR.d.dt.R., I, S. 301; ähnlich: Jellinek, Staatslehre, S. 550. Wolff, Vertretung, S. 238,273; i m Verhältnis der Organe zueinander innerhalb der Organisation k a n n die Zurechnung einer organisatorischen N o r m bei einem Organ enden (Organperson); daraus ergibt sich die Möglichkeit der Klage gegen ein anderes Organ (Organklage); siehe dazu Wolff, Vertretung, S. 248 ff., 276, 301 f.: innerhalb der Organisation stehen sich die Organe w i e innerhalb der allgemeinen Rechtsordnung die Presonen gegenüber; ders., J u r i stische Person, S. 495; dazu auch Jellinek, System, S. 227 ff. 139 Jellinek, System, S. 228 f. 140 Vertretung, S. 240. 141 Selbst Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 165, k o m m t nicht umhin, die Fraktionen als Träger der parlamentarischen Willensbildung zu bezeichnen. 142 Smend, Verfassung, S. 92. 138

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4. Kapitel: Die Rechtsnatur der Fraktion

auch die Gegenfrage stellen, ob denn ein Ausschuß des Parlaments Staatsakte setze, staatlichen Willen bilde. Es ist doch gar nicht Aufgabe des Parlaments, Staatsakte i n diesem Sinne zu setzen. Dies ist Funktion der Regierung. I m übrigen bilden die Fraktionen eben doch staatlichen W i l len, indem sie den Willen des Parlaments bilden 1 4 3 . Meint man, daß die Fraktionen keine vom Parlament übertragenen Aufgaben, sondern nur originäre Rechte ihrer Mitglieder wahrnähmen, verkennt man das Wesen der Fraktion und ihre Funktion i m Parlament sowie das Wesen des Parlamentes als eines m i t eigenen verfassungsrechtlichen Befugnissen und Aufgaben ausgestatteten Personenverbandes, was mehr ist als die Summe aus den einzelnen Abgeordneten 144 . Schließlich ist auch das Argument, daß organisatorisch einmal eingerichtete Organe obligatorisch seien, nicht schlagend. Was damit gemeint ist, kann nur geahnt werden: Einmal eingerichtete Organe müssen immer wieder m i t den entsprechenden Organwaltern versehen, aktionsfähig gemacht werden. Diese Forderung läßt sich nicht begründen und ist daher abzulehnen 145 . I m übrigen spräche dieses Argument auch nicht gegen die Organstellung der Fraktionen. Denn Fraktionen werden i n jedem Parlament gebildet. Es gab schon Fraktionen i n den Parlamenten, als sie durch deren geschriebene Organisation noch ignoriert wurden. Fraktionen werden sogar vor allen anderen Parlamentsorganen gebildet. Was allein nicht feststeht, ist die Zahl der Fraktionen in einem Parlament. Das ist aber organisatorisch nicht vorgesehen und auch nicht vorsehbar. Das Parlament ist i n diesem Punkt frei i n der Ausgestaltung seiner Organisation. Die Fraktion ist somit rechtlich als Organ des Parlaments zu qualifizieren. Sie ist damit zugleich auch ein mittelbares Staatsorgan 146 . I m letzten Kapitel sollen einige Schlußfolgerungen aus diesem Ergebnis näher untersucht werden.

143 So ausdrücklich: B V e r f G DVB1. 66, S. 636 ff. (637 f.); siehe auch S. 150 Anm. 22 u n d 23. 144 Siehe dazu oben näheres i m 3. K a p i t e l unter Β . 1.2. a) cc). 145 Wolff, Vertretung, S. 239. 146 Dazu Krüger, Staatslehre, S. 121, 264 f.: ein „ A m t " erzeugt „ k r a f t inhärenter Organisationsgewalt" neue Ä m t e r nicht f ü r sich, sondern f ü r das „Gemeinwesen" ; Forst hoff, § 22, 2. b), s. S. 391.

Fünftes Kapitel

SchluÊfolgerungen Α . Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen I . Die sogenannten Rechte und Pflichten der Fraktion

Ein Organ hat keine Rechte und Pflichten, sondern es ist nur der Bezugspunkt für die organisatorische Verteilung der Zuständigkeit zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten der Körperschaft 1 . Da das Parlament auch Organ ist, geht sogar diese Aussage genau genommen für die Fraktionen noch zu weit. Die Fraktionen sind nur befugt, die ihnen i n der Geschäftsordnung gewährten Zuständigkeiten wahrzunehmen 2 . Diese Berechtigung kann durch jede Änderung der Zuständigkeiten beschränkt und erweitert werden. Die Grundrechte stehen den Fraktionen als Staatsorganen nicht zu 3 . Für die Fraktionen ist nicht A r t . 21 GG, sondern Art. 40 I 2 GG die unmittelbar konstituierende Norm 4 » 5 . Sie sind lediglich Institute der parlamentarischen Organisation 6 . Sie haben damit auch kein „Recht auf Bestand" 7 . Wenn etwa ein Parlament mit Mehrheit beschlösse, daß es i n i h m keine Fraktionen geben solle, so wäre ein solcher Beschluß zwar unsinnig, weil die parlamentarische Arbeit die Bildung von Fraktionen erfordert und weil sich Fraktionen auf natürliche Weise aus den i m 3. Kapitel geschilderten Gründen bilden; rechtlich wäre aber 1 Anschütz, Enzyklopädie, S. 138 f., 143; Forsthoff, § 22 2. b) 2.; Helfritz, A l l gemeines Staatsrecht, S. 90 f.; Hoppe, S. 6; Krüger, Staatslehre, S. 264; Laun, Staatslehre, S. 80; Lebenstein, S. 63; v. Mangoldt-Klein, Vorbemerkungen A. I I . 3 c) ; Maunz-D., A r t . 40 RNr. 4 f. 2 Hartmann, S. 33. 3 Rinck, S. 84 f.; a. M. Werberger, S. 163 ff., 216; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 498, der den Fraktionen das Recht der Vereinsfreiheit zubilligt. 4 So w o h l auch Parteirechtskommission, S. 120 f.; a. M. Rinck, S. 20; Werberger, S. 169 ff. 5 D a m i t soll aber selbstverständlich nicht die Bedeutung des A r t . 21 G G p.p. f ü r den Einbau der F r a k t i o n i n das Verfassungsgefüge geleugnet werden. Siehe dazu unten zu I I I . 3. 6 Bauer, S. 28; Hartmann, S. 33; Menzel, S. 597; Parteirechtskommission, S. 121; Schüle, S. 32; dazu auch Jellinek, System, S. 167, 169, 231 f.; a. M. Trossmann, S. 46. 7 a. M. Rinck, S. 15; Werberger, S. 163 ff.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

gegen einen solchen Beschluß nichts einzuwenden 8 , da das Parlament in der Regelung seiner Organisation autonom ist. Etwas anderes wäre es, wenn den Parlamenten von Seiten der Regierung die Bildung von Fraktionen überhaupt oder die Bildung von einzelnen Fraktionen verboten würde. Hier verletzte aber nicht die Exekutive das „Recht" der Fraktionen, sondern das „Recht" des Parlaments, bzw. sie verstieße gegen die organisatorische Verteilung von Zuständigkeiten innerhalb der Körperschaft „Staat", gegen die Regelung der staatlichen Organisation i n der Verfassung 9 . Die Exekutive ist demnach verfassungsrechtlich nicht i n der Lage, die Bildung von Fraktionen zu verbieten. Das gleiche gilt auch für die Gerichte. Das Verbot einer Partei hat jedoch für den betreffenden Abgeordneten den Verlust seines Mandats zur Folge, § 49 BWahlG. Damit erübrigt sich das Verbot der Fraktion. Ein davon unabhängiges Verbot der Fraktion durch ein Gericht gibt es nicht. Davon ist zu trennen die Frage, ob die Fraktion i m Parlament ein Recht auf Bestand hat. Kann das Parlament seinerseits die Bildung einer bestimmten Fraktion verbieten, bzw. die Auswahlklausel i m Einzelfall m i t Tatbestandsmerkmalen versehen, die die Bildung erschweren. Hierbei ist daran zu erinnern, daß das Parlament wie jedes andere Staatsorgan an die Entscheidungen der Verfassung, die Entscheidungen der Gesetze und an seine eigenen Entscheidungen gebunden ist 1 0 . Das Parlament darf seine Organisation nur i n verfassungsmäßiger Weise ändern 11 . Für die interne Organisation des Parlaments gibt es zwar nur wenige verfassungsrechtliche Vorschriften. Dennoch sind aber auch die Grundentscheidungen der Verfassung zu beachten, insbesondere das Demokratiegebot 12 und das Rechtsstaatsprinzip 13 . I n diesem Zusammenhang bedeutet das Demokratiegebot, daß i m Parlament alle wichtigen, besonders auch die oppositionellen Meinungen gehört werden sollen 14 , und das Rechtsstaatsprinzip, daß durch organisatorische Tricks und Manipulationen nicht ein Teil der Abgeordneten willkürlich i n seinem verfassungsrechtlichen 8 a. M. Rinck, S. 15; Werberger, S. 186, 191, 229; die Argumentation erinnert sehr an Palmströms Motto: nicht sein kann, was nicht sein darf! 9 Friedrich, Demokratie, S. 23: „ A l l e zur M i t w i r k u n g an den staatlichen A u f gaben berufenen Organe sind eindeutig beschränkt auf diejenigen Aufgaben, die ihnen von der Verfassung zugewiesen sind." 10 Feistel, S. 138; Maunz-D., A r t . 40 RNr. 15; Roßmann, S. 13; Schmid, Parlamentarische Disziplin, S. 461. 11 Lechner-Hülshoff, S. 159 A n m . 4; Wolff, Vertretung, S. 275. 12 Hamann, Grundgesetz, Einf. I. D. 4. 13 Hamann, Grundgesetz, Einf. I. D 1; Leibholz-Rinck, A r t . 20 A n m . I I I 22; v. Mangoldt-Klein, A r t . 20 A n m . V I . 14 Siehe dazu oben 3. K a p i t e l unter Β . 1.2. a) bb).

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

173

Status beschnitten werden darf 1 5 . Das ergibt sich auch aus der besonderen Natur und Funktion des Staatsorgans „Parlament", das insofern anders organisiert sein muß als eine hierarchisch gegliederte Behörde der Exekutive. Deshalb darf das Parlament seine Organisation nicht willkürlich ändern, wozu etwa eine Änderung der Auswahlformel i m Einzelfall gehörte. Eine Fraktion darf nicht gegenüber den anderen Fraktionen i n demselben Parlament benachteiligt werden, abgesehen von einer Differenzierung nach den Mitgliederzahlen. Die einzelne Regelung der Geschäftsordnung muß immer auf sachliche, organisatorische Gründe zurückzuführen sein 18 . Man kann also nicht von einem „Recht" der Fraktion auf Bestand sprechen, sondern nur von einer „Pflicht" des Parlaments zu verfassungsmäßigem Verhalten. Beschlüsse des Parlaments, die gegen die Verfassung verstoßen, sind nichtig 1 7 . I n diesem Zusammenhang können Manipulationen m i t der Mindestmitgliederzahl bedenklich sein, u m so mehr, je stärker die Stellung der Fraktion gegenüber den fraktionslosen Abgeordneten i m Parlament ist 1 8 . Die Herabsetzung der Mindestmitgliederzahl ist allerdings i m Gegensatz zu deren Erhöhung unproblematisch. Bedenklich sind auch die Bestimmungen, die die Bildung einer Fraktion von der gemeinsamen Parteizugehörigkeit abhängig machen, und zwar deshalb, weil dadurch die jeweils bestehenden Verhältnisse zementiert und das demokratische Element der Veränderung und Ablösung mißachtet w i r d 1 9 . Immerhin sind nach A r t . 21 GG neben den Parteien auch andere Institutionen und einzelne Personen zur M i t w i r k u n g an der politischen Willensbildung aufgerufen 20 . Die Wahlgesetze des Bundes 21 und der meisten Länder 2 2 er15 BVerfGE 10, 4 ff. (13); Cushing, S. 8; v. Gerlach, S. 52; Laband, Parlamentarische Rechtsfragen, S. 6: jedes M i t g l i e d hat Anspruch auf Beobachtung der geltenden Geschäftsordnung; Lechner-Hülshoff, § 10 GO B T A n m . 4; Jellinek, System, S. 170. 18 BVerfGE 10, 4 f f . (19 f.); a. M. Morstein Marx, S. 31 f., 39 f.; die politische Grundeinstellung ist sicherlich nicht ein solcher sachlicher, organisatorischer Grund. Denn die Abgeordneten sollen j a gerade i m Parlament f ü r ihre p o l i t i schen Ansichten eintreten können. Hat die Heraufsetzung der Mindestmitgliederzahl n u r das Ziel, einer bestimmten Gruppe von Abgeordneten die M i t arbeit i m Parlament unmöglich zu machen, so ist sie unzulässig. 17 Feistel, S. 131 f.; Lechner-Hülshoff, Einleitung zur GO B T A n m . 4. 18 So auch Rinck, S. 18; siehe dazu auch die Bemerkung oben Anm. 16. 19 Ähnlich: Kewenig, S. 830 f., 836; Lechner-Hülshoff, § 10 GO B T A n m . 4, meinen auch, daß der B T bei seiner Entscheidung nach § 10 I 4 GO B T nicht v ö l l i g frei sei; er sei dabei insbesondere an das „Schikaneverbot" u n d den „ethisch fundierten Rechtsbegriff" gebunden; a. M. Obermann, S. 79 ff. 20 B V e r f G N J W 66, 1499 ff. (1506); B G H N J W 66, 859 ff. (861); Hamann, Grundgesetz, A r t . 21 A n m . B. 4; Hesse, S. 33 ff.; v. d. Heydte, Soziologie, S. 57 f.; Leibholz, Juristentag, S. C 16; ders., Parteienstaat, S. 111; Kremer, S. 78 f.; v. Mangoldt-Klein, A r t . 21 A n m . I I I 4 b); Maunz-D., A r t . 21 RNr. 36. 21 §§ 19, 21 BWahlG. 22 Wahlgesetze von: B W A r t . 25 I ; Bay A r t . 40 I ; Bre § 8; H b g § 22 I ; Hes § 20 I ; Nds § 14 I I ; N W § 19 I I ; RP § 31; SL § 26 I ; SH § 24 I ; dazu auch Obermann, S. 78.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

möglichen es auch parteiungebundenen Bewerbern, ein Mandat für das Parlament zu erlangen 23 . Wenn man damit nicht nur ein A l i b i für demokratische Freiheit vortäuschen w i l l , wenn man zudem i n der Freiheit der Wahl, i n der Freiheit zur Veränderung i m Rahmen der Spielregeln des demokratischen Systems ein Essentiale der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sieht, sollte man nicht die Möglichkeit verbauen, daß auch solche parteiungebundenen Kräfte sich an der parlamentarischen Arbeit beteiligen können. I n diesem Zusammenhang ist auch an Fraktionsspaltungen und Parteiaustritte zu denken. Abzulehnen sind schließlich die Regelungen, die Personen ohne Abgeordnetenstatus oder Abgeordneten anderer Parlamente zu Fraktionsmitgliedern erklären. Es w i r d sich zwar nicht verhindern lassen, und es besteht dafür auch kein Grund, daß die Fraktionen ihre politischen Freunde bei Beratungen hinzuziehen und sich möglicherweise sogar nach deren Vorschlägen richten. Es sollte aber aus Gründen der formellen Klarheit darauf geachtet werden, daß dieser Personenkreis nicht den Status von Fraktionsmitgliedern erhält. Die Fraktionen haben nicht das Recht, jemandem die Fraktionsmitgliedschaft zu verleihen, der nicht zu dem betreffenden Parlament gehört. Die Fraktionen sind immer nur Vereinigungen von Abgeordneten eines Parlaments. Wenn man i n der Fraktion rechtlich ein Organ des Parlaments sieht, dann gewinnen die oben i m einzelnen aufgeführten Normen 2 4 einen Sinn, die die Arbeit i n und für die Fraktion der Arbeit i n und für das Parlament gleichstellen. Die Tätigkeit der Fraktionen ist parlamentarische Tätigkeit. Es gibt nichts, abgesehen von gesellschaftlich-privaten Veranstaltungen, was die Fraktionen oder ihre Mitglieder als solche für sich selbst unternehmen, womit nicht zugleich auch eine parlamentarische Funktion erfüllt wird. Die gesamte Tätigkeit der Fraktion ist ausgerichtet auf die Erfüllung der Funktion des Parlaments. So ist es nur folgerichtig, wenn man die Indemnität der Abgeordneten auch auf die Abstimmungen und Äußerungen erstreckt, die i n den Fraktionssitzungen erfolgen. Auch muß sich das Hausrecht des Parlamentspräsidenten auf die Geschäftsräume der Fraktionen erstrecken und damit eine Durchsuchung oder Beschlagnahme i n diesen Räumen ohne Genehmigung des Präsidenten unmöglich sein. Auch die diätenrechtliche Gleichstellung von Parlaments·, Ausschuß- und Fraktionssitzungen erhält bei dieser Qualifizierung der Fraktion einen Sinn und eine Berechtigung. Denn die Diäten erhält der Abgeordnete für seine parlamentarische Tätigkeit 2 5 . Ebenso ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Arbeit der Fraktionen 23

Z u diesen sogenannten Wilden siehe Obermann, S. 83 ff. Siehe oben 3. K a p i t e l unter Α. 1.3. u n d I I . 3. 25 a. M. Leibholz, Juristentag, S. C 26, der diese Tätigkeit als „reine Parteitätigkeit" bezeichnet. 24

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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durch M i t t e l aus dem Parlamentsetat finanziell gefördert w i r d 2 6 . Auch die anderen Organe des Parlaments werden auf diese Weise finanziell versorgt. Die geschäftsordnungsmäßige Bevorzugung der Fraktionen vor einzelnen Abgeordneten und wilden Gruppen ist berechtigt, da auch die anderen Organe des Parlaments besondere Möglichkeiten bei der A b wicklung der parlamentarischen Arbeit haben, je nach der Funktion, die sie für das Parlament erfüllen. Schließlich gewinnen auch Bestimmungen wie § 124 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages aus der Organqualität der Fraktion ihren Sinn, wenn sie festlegen, daß für den Abgeordneten „ . . . während der Zeit des Ausschlusses seine Rechte als Abgeordneter innerhalb des Hauses m i t Ausnahme des Rechts der Teilnahme an Fraktions- und Fraktionsvorstandssitzungen..." ruhen. Diese Bestimmung wäre überflüssig, rechtlich unerheblich, wenn die Fraktion kein Organ des Parlaments wäre. Aus der Organqualität der Fraktion ergibt sich als Kehrseite ihrer Zuständigkeiten die „Pflicht", die übertragenen Kompetenzen auch wahrzunehmen 27 . Das Gebot zum Handeln richtet sich aber nicht an den „abstrakt formulierten Zuständigkeitskomplex", sondern an die Organwalter 2 8 , die Abgeordneten. Sie sind verpflichtet, sofern sie eine Fraktion gebildet haben, auch als Fraktion tätig zu werden. Sie müssen also die Primär- und Sekundärfunktion des Organs „Fraktion" wahrnehmen, seine parlamentarischen Aufgaben erfüllen. Die Fraktionen müssen sich bei ihrer Tätigkeit vom Zweck der ihnen gegebenen Funktionen leiten lassen 29 . Sie müssen diese i n vernünftigen Grenzen ausfüllen, sie dürfen ihre „Rechte" nicht mißbrauchen, sondern deren faire und loyale Anwendung ist unbedingt zu fordern 3 0 . Dabei ist es auch erheblich, daß die Fraktionen wie jedes Organ das Interesse der Körperschaft 31 , also das Interesse des Parlaments zu wahren haben. Sie haben sich als Organ der Volksvertretung zu begreifen. Das Wohl des ganzen Volkes muß ihr Leitstern sein. Aus diesem Grunde kann etwa eine Obstruktion auch nur dann zulässig sein, wenn die Funktionsunfähigkeit des Parlaments für die Fraktion das letzte M i t t e l ist, u m dem Wohl des Volkes zu dienen 32 . 2

® B V e r f G N J W 66,1499 ff. (1504); Menzel, S. 602. Jellinek, System, S. 172; Krüger, Staatslehre, S. 110f.: die Zuständigkeit ist eine Pflicht, weiter S. 259 ff.; Wolff, Vertretung, S. 270; Bratfisch, S. 19, 40. 28 Helf ritz, Vertretung der Städte u. Landgemeinden, S. 41. 2 » Wolff, Vertretung, S. 270. 80 Nawiasky-Leusser, A r t . 20 RNr. 15. 81 Wolff, Vertretung, S. 270. 82 Binding, Notwehr, S. 13 ff., 15; v. Gerlach, S. 54 ff., 61; Hennis, Therapie für parlamentar. Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25.3. 66, S. 32. 27

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

Diese Pflichten sind aber nicht durchsetzbar. Es ist sogar noch nicht einmal möglich, durch irgendeine Instanz überprüfen zu lassen, ob die Fraktion ihre Pflichten erfüllt. Hierfür kommt allenfalls eine indirekte Überprüfung 3 8 durch die Aktivbürgerschaft i n Frage, indem diese nämlich nach jeder Legislaturperiode oder bei Auflösung des Parlaments zu entscheiden hat, ob die Fraktionen pflichtgemäß gehandelt haben. I I . Zum Prinzip der Gewaltenteilung

Zwei Problemkreise sollen umrissen werden: Der erste gruppiert sich u m die Frage, ob es gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstößt, wenn Regierungsmitglieder gleichzeitig einer Fraktion angehören. Kann ein Regierungsmitglied einerseits seine „ K a binettsmeinung" und andererseits seine „Fraktionsmeinung" äußern? Kann eine Fraktion „ihren" Minister an ihre Beschlüsse binden? Ist der Minister nur ein „imperativ gebundener Mandatar seiner Fraktion" 3 4 ? W i r d der verfassungsrechtliche Grundsatz der Funktionentrennung nicht allzu sehr dadurch ausgehöhlt, daß einerseits Regierungsmitglieder i n den Fraktionen mitbestimmen wie andererseits Fraktionsmitglieder i m Kabinett? Hiermit w i r d der zweite Problemkreis berührt: Wie ist das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive beschaffen, wenn man berücksichtigt, daß die materiellen Funktionen des Parlaments auf Regierungs- und Oppositionsfraktionen verteilt sind? Sind Regierung und Regierungsfraktion i m parlamentarischen Betrieb nicht als Einheit zu betrachten? Kommt die Opposition m i t ihrer besonderen parlamentarischen Funktion i n der Debatte nicht zu kurz, wenn man geschäftsordnungsmäßig zwischen Regierungsfraktion und Regierung trennt? Daß das erste Problem 3 5 auch von der Praxis gesehen wird, zeigt das Beispiel der neuen SPD-Fraktion i n der Hamburger Bürgerschaft. Sie hat beschlossen, daß Regierungsmitglieder nicht i n den Vorstand der Fraktion gewählt werden sollen 86 . Grund dafür soll eine saubere Trennung zwischen Legislative und Exekutive sein. Der Schritt weiter, daß nämlich die Regierungsmitglieder auf ihr Mandat verzichteten, wurde 33

Helfritz, Vertretung der Städte u. Landgemeinden, S. 45. Eschenburg, Südweststaat, S. 62; v. d. Heydte, Soziologie, S. 51; Kaufmann, E., Regierungsbildung, S. 209; bejahend: Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 104; dagegen: § 28 I I GO BReg; Maunz-D., A r t . 38 RNr. 16; Sternberger, Lebende Verfassung, S. 158 f. 35 Duverger, S. 400 ff.; Eschenburg, Südweststaat, S. 68 f.; ders., Bayrische Selbstkontrolle, i n : Die Zeit, Nr. 40 v. 2.10. 64, S. 1; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 81; Lohmar, S. 125 f.; Wördehoff, Schönheitsfehler der Hamburger Demokratie, i n : Die Welt, Nr. 237 v. 10.10. 64, S. 25. 36 Siehe Die Welt, Nr. 81 v. 6. 4. 66, S. 17; Nr. 96 v. 26. 4. 66, S. 11. 34

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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nicht gemacht 37 . Es ist allerdings auch, abgesehen von den Verhältnissen i n Bremen 3 8 , vollkommen unüblich und nach der Verfassung von Nordrhein-Westfalen bezüglich des Ministerpräsidenten sogar unzulässig 3 9 · 4 0 . Meistens w i r d dafür als Begründung angegeben, daß man auch als Regierungsmitglied nicht auf die Immunität und die Indemnität des A b geordneten verzichten wolle 4 1 . Dieser Grund scheint allzu ängstlich, und es kommt darin wohl auch eine vollkommene Verkennung des Sinnes dieser Privilegien des Parlamentes zum Ausdruck, der darin besteht, daß die Funktionsfähigkeit des Parlaments gegenüber Eingriffen der Exekutive gesichert werden soll 4 2 . Dabei hätte eine Mandatsniederlegung der Regierungsmitglieder nach ihrer Wahl, wenigstens für die Dauer ihrer Mitgliedschaft zur Regierung 43 , für die Fraktion den praktischen Vorteil, daß eine entsprechende Anzahl von Listenbewerbern nachrücken könnte. Damit verfügte die Fraktion über die volle Anzahl und Arbeitskraft ihrer Mitglieder. Auch könnte der parlamentarische Nachwuchs besser geschult werden. Dennoch zielt ein solcher Vorschlag an den politischen Realitäten vorbei. Den gerade weil Regierung und Regierungsfraktion nicht nach dem Schema Befehl — Gehorsam zusammenarbeiten, sind die Regierungsmitglieder zur Durchsetzung ihrer Politik auf die Einflußnahme i n der 37 Dafür plädiert Eschenburg, Südweststaat, S. 43, 68, vor allem, u m eine gesunde A u t o r i t ä t der Regierung zu schaffen; auch Werner Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten, S. 183 ff., ist f ü r eine I n k o m p a t i b i l i t ä t zwischen Abgeordneten u n d Ministern. Das Mißtrauensvotum zeuge f ü r einen Dualismus zwischen Parlament u n d Regierung auch i m parlamentarischen System. Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments verlange nach einer Trennung zwischen K o n t r o l l e u r u n d Kontrolliertem. Die Regierung als verantwortlicher Leiter des Staatsganzen dürfe nicht i n innerparteiliche Auseinandersetzungen verstrickt werden. 38 Nach A r t . 108 Verf. Bre dürfen Senatsmitglieder nicht gleichzeitig der BS angehören. Den gleichen Sinn hat auch A r t . 81 Verf. RP. Nach A r t . 19 I I I Verf. Nds dürfen BT-Abgeordnete nicht gleichzeitig der L Reg. angehören. I n der Weimarer Zeit gab es ähnliche Bestimmungen i n den Verfassungen von: A n halt, Bre, Lippe, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, SchaumburgLippe; siehe dazu Werner Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten, S. 182 f., besonders A n m . 50. 39 A r t . 521 Verf. NW. 40 Schule, S. 107, spricht von einer gewohnheitsrechtlichen, regelmäßigen Parlamentariereigenschaft der Regierungsmitglieder. 41 So etwa die Begründung P. Mikats f ü r seine Absage, das Β M i n i s t e r i u m des Inneren zu übernehmen, siehe Die Welt, Nr. 247 v. 23.10. 65, S. 1. 42 Deneke, S. 509; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 504 ff.; ders., Südweststaat, S. 52 f.; Maunz, § 36 I I I 2, S. 323; Nawiasky-Leusser, A r t . 27 RNr. 3; Schmitt, Verfassungslehre, S. 316; Stier-Somlo, Parlament, S. 369; Waldecker, S. 72; nach v. Mangoldt-Klein, A r t . 46 A n m . I I I 2, ist Indemnität ein Recht des einzelnen Abgeordneten. 43 Diese Möglichkeit eröffnet A r t . 108 Verf. Bre; A r t . 81 Verf. RP; zu derartigen Mandatsniederlegungen siehe: Obermann, S. 94 f.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

Fraktion angewiesen 44 . I n der Fraktion müssen sie dafür kämpfen, daß ihre Zielsetzung und Methode akzeptiert wird, damit sie mit dem Rückhalt i n der Mehrheit vor die parlamentarische Öffentlichkeit treten können. Jedes Regierungsmitglied w i r d daher auf die persönliche Bindung zur Fraktion den größten Wert legen. Man muß hierin eine politische Notwendigkeit sehen, die sich aus der menschlichen Komponente des parlamentarischen Systems ergibt. Diese Einschränkung des Prinzips der Gewaltenteilung muß daher als zulässig hingenommen werden 4 5 . Zum Zweiten 4 6 : Gegen eine geschäftsordnungsmäßige Gleichstellung von Regierung und Regierungsfraktion, etwa i n der Weise, daß die Redezeit der Regierungsmitglieder m i t der der Regierungsfraktion verrechnet würde, spricht der Umstand, daß nach der herrschenden Interpretation des parlamentarischen Prinzips zwar die Regierung vom Vertrauen der Mehrheit abhängig ist, dennoch aber dem Parlament als Ganzem gegenübersteht 47 . Dagegen spricht weiter, daß oftmals die Regierungsfraktion wenigstens i n Nuancen eine andere Auffassung vertritt als die Regierung. Es ist möglich, daß die Fraktion gar keine einheitliche Meinung gebildet, sondern Aussprache und Abstimmung für ihre Mitglieder „freigegeben" hat. I n diesem Fall wäre eine Verminderung ihrer Redezeit um die der Regierungsmitglieder nicht gerechtfertigt. Z u einem anderen Ergebnis käme man nur, wenn man i n der Regierung lediglich einen Exekutivausschuß der Mehrheitsfraktion oder des gesamten Parlaments sähe 48 . Diese Meinung mißt aber doch wohl den augenblicklich tatsächlichen Verhältnissen eine zu große und dem politischen System der Verfassung eine zu kleine Bedeutung bei 4 9 . Diese Bin44 Ähnlich: Duverger, S. 401; Eschenburg, Südweststaat, S. 69; Glum, S. 151; v. d. Heydte, Soziologie, S. 80; Max Weber, S. 44 ff. 45 Maunz-Dürig, A r t . 20 RNr. 80. 46 Dazu: Hennis , Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25. 3. 66, S. 32; W. Jansen, E i n Stück Parlamentsreform, i n : Vorwärts v. 8. 7. 66, S. 5; v. Knoeringen, S. 97 ff. (101); Neunreither, S. 15 ff.; Sternberger, Lebende Verfassung, S. 140. 47 BVerfGE 10, 4 ff. (17 ff.); Beeck, S. 11; v. d. Heydte, Das Parlament, S. 20; Koellreutter, Das Parlament. System, S. 12—14; Lohmar, S. 129 ff.; Rollmann, E r f ü l l t der B T noch seine Aufgaben?, i n : Die Welt, Nr. 151 v. 2. 7. 66, S. I I ; Schmitt, Verfassungslehre, S. 304; ferner: Friesenhahn, S. 33, 54; Mikat, bei Fellowes, S. 21; Kleinrahm, S. 152; Kralewski, S. 216; Schule, S. 107; Werner Weber, Parlamentar. Unvereinbarkeiten, S. 183 ff.; i n der zweitjüngsten GO (GO BW) heißt es ausdrücklich i n § 10 I : Der dienstliche Verkehr des L a n d tages m i t der Reg. obliegt dem Präsidenten; a. M . : Hennis, T h e r a p i e . . . , siehe oben A n m . 46. 48 v. Gerlach, S. 83; Hoppe, S. 63; v. Knoeringen, S. 99 ff.; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 81; Müller-Meiningen, S. 67 A n m . 5; so i n Frankreich: I V . Republik: Apelt, Gesetzgebungstechnik, S. 5; Beeck, S. 11; Friesenhahn, S. 53 f.; so f ü r England: Crossman, i n seiner Einleitung zu Bagehot, S. 39. 49 Der Verfasser ist allerdings m i t Lohmar, S. 126, der Meinung, daß zumindestens auf Bundesebene bei der Reg. u n d ihrer F r a k t i o n diese Meinung v o r herrschend ist.

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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dung der Regierung an die Mehrheitsfraktion w i r d von den Verfassungen nicht gefordert. Wenn es heißt, daß die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist, so ist sie nur dann von der Mehrheitsfraktion abhängig, wenn diese über die absolute Mehrheit i m Parlament verfügt. Immerhin sind jedoch auch heute noch Konstellationen denkbar, nach denen sich die die Regierung bzw. den Ministerpräsidenten tragenden Mehrheiten verändern können, wenn etwa wie i n der Regierungskrise vom Herbst 1966 die Mehrheit zur Minderheit wird. So etwas liegt innerhalb der verfassungsrechtlichen Regelungen. Praktisch kann das sehr leicht dann eintreten, wenn die Regierung sich auf eine Koalition stützt. Gerade dann sind nämlich Divergenzen zwischen der Regierung und „ihren" Fraktionen besonders häufig. Aber nicht nur aus diesen Gründen ist eine geschäftsordnungsmäßige Gleichsetzung von Regierung und Regierungsfraktion(en) abzulehnen. Man entfernte einen lebendigen und wichtigen Teil der parlamentarischen Diskussion aus der Plenardebatte, wenn man durch die Verkürzung der Redezeit der Regierungsfraktionen die offene Austragung dieser Divergenzen verhinderte. Koalitionsinterne Opposition sollte die Möglichkeit haben, vor die Öffentlichkeit des Plenums zu treten 5 0 . Nicht zuletzt ist es wohl auch unrealistisch anzunehmen, daß die Parlamentsmehrheit auf ihre eigenen Rechtspositionen verzichten werde. Das aber müßte geschehen, wenn man die Geschäftsordnung i n dem Sinne ändern wollte, daß die Regierung und die sie stützenden Fraktionen als Einheit aufzufassen sind. Dennoch bleibt bestehen, daß faktisch die öffentliche Kontrolle der Regierung durch die oppositionellen Fraktionen wahrgenommen wird. Damit sie an der Erfüllung dieser Funktion nicht gehindert werden, müßten andere Wege gefunden werden. Hierbei ist besonders auf die Leitungsbefugnisse des Parlamentspräsidenden hinzuweisen 51 . Er w i r d dafür zu sorgen haben, daß das Für und Wider gleichmäßig zur Sprache kommt, etwa dadurch, daß nach einem Befürworter der Regierungspolitik, bzw. einem Vertreter derselben jeweils einem Gegner dieser Politik das Wort erteilt w i r d 5 2 . Hennis 53 bezeichnet es geradezu als Ana50 W a r u m muß es eigentlich so sein, daß selbst der BT-Präsident von der Reg. abweichende Meinungen lieber i n einem Groschenblatt publiziert als v o r dem Plenum des BT? dazu: Sommer, Erhards Ä r a — schon vorbei?, i n : Die Zeit, Nr. 46 v. 13.11. 64, S. 1. 51 Hennis , Haben w i r ein faules Parlament?, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 22.10. 65, S. 7; ders., Therapie f ü r parlamentarische Schwächen, i n : Die Zeit, Nr. 13 v. 25. 3. 66, S. 32; ders., Bundestag, S. 34; siehe auch BVerfGE 10, 4 ff. (15). 52 Hennis , T h e r a p i e . . . , siehe oben A n m . 51; Lechner-Hülshoff, § 33 GO B T A n m . 2, erwähnen, daß eine derartige Regelung f ü r die Debatte nach einer Regierungserklärung i m Ausschuß des B T f ü r GO u n d I m m u n i t ä t beraten w u r d e ; so hieß es schon i n § 37 der GO der dt. constituierenden Nationalversammlung zu F r a n k f u r t a. M.: „Es w i r d , so lange dieß möglich ist, zwischen solchen Rednern abgewechselt, welche f ü r u n d welche gegen den A n t r a g zu sprechen erk l ä r t haben." Ebenso § 47 I I GO P r A H . 53 Bundestag, S. 32.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

chronismus, daß die Regierungsfraktion nach Regierungserklärungen i m Bundestag den ersten Redner stellt. Es kommt darauf an, daß die Leitungsbefugnisse fair gehandhabt werden, wie diese Problematik überhaupt i n erster Linie eine Frage von angemessenen parlamentarischen Spielregeln ist 5 4 . Π Ι . Zum Prinzip der Repräsentation

1. Begriffliches Das Prinzip der Repräsentation 55 hat seinen Ursprung i n dem verfassungsrechtlichen Postulat, daß alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen habe. Alle staatliche Leitung soll auf der Zustimmung des Volkes gründen. Das Volk äußert seine Zustimmung, w i r k t auf die Leitung ein, indem es personale Entscheidungen fällt, d. h. Personen als Repräsentanten bestellt, denen es generell die Fähigkeit zubilligt, verbindlich für das Ganze zu handeln. Der Repräsentant stellt die Einheit des gesamten Volkes dar, und zwar nicht nur nach innen, sondern auch nach außen gegenüber anderen Völkern. Das bedeutet aber auch: Der Repräsentant kann der zustimmenden Anerkennung dieser seiner spezifischen Eigenschaft nicht entbehren. Repräsentation ist keine normative, sondern eine existentielle Kategorie 5 6 . Auch das Parlament hat als Repräsentant die Einheit des Volkes darzustellen. Interessen einzelner Teile des Volkes, die sich nicht m i t den Interessen des Gesamtvolkes decken, dürfen nicht bevorzugt berücksichtigt werden. Da i n der Wahl der Abgeordneten i n diesem Zusammenhang eine Gefahrenquelle für die Repräsentanteneigenschaft des Parlamentes liegt, ist traditionell i n den Repräsentativverfassungen 57 festgelegt, daß der Abgeordnete rechtlich frei von Bindungen und Aufträgen derjenigen sein soll, die er zu repräsentieren hat. Dies ist der Inhalt des Prinzips des freien Mandats, i n dem die Wissenschaft 58 den Kernsatz der Repräsentativverfassungen erkennt. Es ist nun die Ansicht weit verbreitet, daß Theorie und Praxis i m Hinblick auf das Prinzip der Repräsentation unvereinbar seien. Dafür 54 Dazu Finckenstein, i n : Die Welt, Nr. 280 v. 2.12. 65, S. 3; Hennis, Therapie . . . , siehe S. 179 A n m . 51. 55 Dazu vor allem Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, i n : Festschrift f ü r Hans Huber, B e r l i n 1961, S. 222 ff. 58 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 106; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 2261, 230 f.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 ff.; dazu auch Jellinek, Staatslehre, S. 566 f. 57 GG A r t . 38 I 2; B W A r t . 27 I I I ; Bay A r t . 13 I I ; Bre A r t . 83 I ; H b g A r t . 7; Nds A r t . 3 I ; N W A r t . 30 I I ; RP A r t . 79; S L A r t . 68 I I ; SH A r t . 9 I I . 58 Arndt, Buchbesprechung; Bernatzik, S. 423 f.; Binding, Notwehr, S. 11;

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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werden i m wesentlichen drei Gründe angeführt: die Unfreiheit des A b geordneten, die Unvereinbarkeit von liberaler Honoratiorendemokratie m i t dem modernen massendemokratischen Parteienstaat und schließlich der Verlust an Öffentlichkeit bei der parlamentarischen Arbeit. Soweit sich aus dem Vorstehenden Aussagen zu diesen drei Punkten herleiten lassen, soll dies — wenngleich auch i n notwendiger Kürze — i m folgenden geschehen. 2. Die Unfreiheit

des Abgeordneten

Man glaubt i n der Praxis einen Widerspruch zu dem Prinzip der Repräsentation darin zu sehen, daß — wie zweifelsohne nicht zu Unrecht behauptet w i r d — die Abgeordneten weitestgehend an die Beschlüsse ihrer Partei und Fraktion gebunden seien und i n diesen Körperschaften wiederum nur die Führungsstäbe oder einzelne Funktionäre herrschten 5 9 . Der Abgeordnete sei nicht mehr der freie Mann, nur seinem Gewissen unterworfen, der selbsttätig seine politischen Entscheidungen fälle, sondern er sei einer Fülle von Bindungen unterworfen, insbesondere der schon erwähnten Bindung an Partei und Fraktion. Deshalb sei er nur noch ein „parteimäßig gebundener Interessenvertreter", die Parlamentsbeschlüsse seien nicht mehr das „Produkt einer schöpferischen Diskussion und eines freien wechselseitigen Meinungsaustausches der Volksvertreter", eine „Einwirkungsmöglichkeit auf die Überzeugung und Willensbildung der Abgeordneten durch eine rhetorisch wirkende Dial e k t i k " sei nicht mehr gegeben 80 . Ob der These von der Herrschaft der Funktionäre und Führungsstäbe allgemein zugestimmt werden kann, soll hier nicht näher untersucht werden, und ebenso nicht die These von der Herrschaft der Partei über die Fraktion. Immerhin spricht einiges auch gegen das Bestehen derForsthoff, Parteien, S. 8; Fraenkel, Deutschland, S. 71 ff.; Geller-KleinrahmFleck, S. 220; Gerhardt, S. 20 ff.; Hatschek, Dt. u. Pr. StR. I., S. 359 ff.; Jellinek, Staatslehre, S. 582 ff.; Krüger, Staatslehre, S. 232 ff., 252 f.; Laun, Staatslehre, S. 84 ff.; ders., Fraktionszwang, S. 182; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 72 ff.; ders., Parteienstaat, S. 100 ff.; ders., Strukturwandel, S. 10; ders., Z u m Begriff, S. 145; v. Mangoldt-Klein, A r t . 38 A n m . I V 3; Maunz, § 34 I , S. 304, § 35 I I I 1, S. 322; Maunz-D., A r t . 38 RNr. 1 u. 2; J. St. Mill, S. 317 ff.; NawiaskyLeusser, A r t . 13 RNr. 4, 5 u n d 7; Schmitt, Verfassungslehre, S 209 ff.; TatarinTarnheyden, S. 413 f. 69 Dreher, S. 661; Forsthoff, Parteien, S. 8; Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 217; Gerhardt, S. 20 ff.; Koellreutter, Parteien, S. 64ff.; Laband, Buchbesprechung, S. 280 f.; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 98 ff.; ders., V o l k u n d Partei, S. 195; ders., Parteienstaat, S. 107 ff.; ders., Strukturwandel, S. 13 ff.; ders., Grundlagen, S. 12; v. Mangoldt-Klein, A r t . 38 A n m . I V 3 u. 4 a); NawiaskyLeusser, A r t . 13 RNr. 8; Nebinger, S. 186; Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage, S. 38 ff.; Thoma, Parlamentarismus, S. 115; Triepel, Staatsverfassung, S. 18 f. 60 Zitate: Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 103.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

artiger Herrschaftsverhältnisse, anderes spricht für deren Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit 6 1 , und schließlich fragt es sich auch bei der starken Verflechtung zwischen Parteiführung und Fraktion, wer hier über wen herrscht 62 . I n diesem Zusammenhang interessiert aber die Frage, ob die Unterwerfung des Abgeordneten unter den Beschluß seiner Fraktion der Idee der Repräsentation widerspricht. Die Unfreiheit des Abgeordneten soll deshalb dem Repräsentationsprinzip zuwiderlaufen, weil sie angeblich zur Folge hat, daß der Abgeordnete i m Parlament nicht mehr seine eigene freie Meinung vertritt, sondern die i h m aufgezwungene Meinung einer Gruppe des Volkes. Er sei, so w i r d behauptet, nicht mehr Vertreter des ganzen Volkes, sondern Vertreter einer Sondergruppe. Die Vertreter dieser Meinung unterliegen einem fundamentalen I r r t u m über Funktion und dadurch bedingte Arbeitsweise des Parlaments. I m übrigen verkennen sie das Wesen der Fraktion. Denn, wie oben i m einzelnen dargelegt wurde, ist die Vorberatung und Vorklärung der Meinungen i n der Fraktion notwendige Voraussetzung für die Beratung i m Plenum und für eine verfassungsmäßige, praktikable und effektive A r beit des Parlaments überhaupt. I m Plenarsaal diskutieren — von Ausnahmen abgesehen — nur die Fraktionen, und zwar, nicht so sehr, u m einander zu überzeugen, als vielmehr u m der Öffentlichkeit die eigenen Argumente zu unterbreiten und um diese Öffentlichkeit, u m das Volk für sich zu gewinnen 6 3 . Das Plenum ist das „Zentrum der politischen Agitation" 6 4 . Jede andere Vorstellung geht an den Realitäten vorbei. I m übrigen w i r d von den Vertretern dieser Meinung verkannt, daß i n den Fraktionen durchaus lebhafte und heftige Diskussionen herrschen, i n denen die Abgeordneten frei ihre Meinungen äußern, und daß deshalb die freie Diskussion keineswegs aus dem Parlament verbannt ist, es sei denn, man sähe i n den Fraktionen nur außerparlamentarische Einrichtungen 6 5 . Diese Betrachtungsweise muß aber nach der vorliegenden Untersuchung abgelehnt werden. Die Fraktionen verkörpern das Parlament. Sie sind eine besondere Versammlungsform der Abgeordneten, besondere Organe, so wie auch „das Plenum" eine besondere Versammel

Max Weber, S. 52 f. Koellreutter, Parteien, S. 49; spricht von einem starken Einfluß der F r a k t i o n i n allen Parteien; siehe dazu auch oben i m 2. K a p i t e l unter H. 63 Eisermann, S. 77; v. Gerlach, S. 75; Kafka, S. 84; Kaufmann, Grundtatsachen, S. 23; Kremer, S. 88 f.; Müller-Meiningen, S. 127; Thoma, Ideologie, S. 214; Max Weber, S. 47; Crick, S. 79; Parteirechtskommission, S. 68; so auch i m Ergebnis aber m i t ablehnender Tendenz: Leibholz, Strukturwandel, S. 17 f.; ders., Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 4; Böhm, S. 652. 64 Neumann-Ho fer, S. 58,65. 85 v. Blume, S. 374; Leibholz, Parteienstaat, S. 106, 119; Schmitt, Verfassungslehre, S. 319; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 39. 82

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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lungsform, ein Organ des Parlaments ist, was etwa daran sichtbar wird, daß das Plenum nur i n den seltensten Fällen aus wirklich allen Abgeordneten besteht. Die Fraktionen sind „amtliche" Veranstaltungen des Parlaments 66 . Auch sie betreiben parlamentarische Arbeit, i n ihnen findet die parlamentarische Diskussion statt 6 7 . Es ist daher auch nur folgerichtig, wenn i n den Fraktionen die gleichen demokratisch-parlamentarischen Verfahrens- und Ordnungsprinzipien herrschen wie i m Plenum und etwa auch i n den Ausschüssen. Nicht nur i m Plenum muß sich die Minderheit der Mehrheit fügen, sondern auch i n der Fraktion. Da allerdings die Entscheidung der Fraktion für das Parlamentsverfahren noch nicht endgültig ist, kann auch der Abgeordnete es sich nochmals anders überlegen. I n welcher Weise er sich dabei an den Fraktionsbeschluß gebunden fühlt, ist abhängig von Fairness und Loyalität des einzelnen, aber auch das ist etwa bei der Bindung des A b geordneten an seine Abstimmung i m Ausschuß nicht sehr viel anders. 3. Die Unvereinbarkeit von liberaler Honoratiorendemokratie und modernem massendemokratischen Parteienstaat Eng i m Zusammenhang m i t der Unfreiheit des Abgeordneten w i r d die prinzipielle Unvereinbarkeit der liberalen Honoratiorendemokratie m i t dem modernen massendemokratischen Parteienstaat gesehen 68 . Das Prinzip der Repräsentation hat nach dieser Auffassung allein Bedeutung für die liberale Honoratiorendemokratie. Denn damals habe es eben noch freie und ungebundene Abgeordnete gegeben, was heute nicht mehr der Fall sei 69 . 88 Anschütz, Verfassung, A r t . 36 A n m . 2; Henke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 15; A r t . 4 I a) Bay DiätenG zählt die Vollsitzungen der Fraktionen neben den Plenarsitzungen des L T zu den „Pflichtsitzungen" f ü r alle Abgeordneten. 87 Friesenhahn, S. 24: M i t a r b e i t i n der F r a k t i o n gehört zur Ausübung des Mandats; v. d. Heydte, Freiheit der Parteien, S. 477 A n m . 74; Kirchheimer, S. 314; Kremer, S. 51, 89; Lohmar, S. 76 ff.; Thoma, Ideologie, S. 214; ders., Reform, S. 3; dagegen ausdrücklich: Smend, Verfassung, S. 38. 88 So v o r allem Leibholz, Strukturwandel, S. 16 ff., 27; ders., Juristentag, S. C 5 ff.; ders., Parteienstaat, S. 102/105, 110 f.; ders., Parteienstaat u n d repräsentative Dem., S. 1, 3, 5; auch v. d. Heydte, Soziologie, S. 60 ff.; so schon v o r her: Triepel, Staatsverfassung, S. 28 f.; dagegen: Friedrich, Demokratie, S. 29; Friesenhahn, S. 22; Hennis, Bundestag, S. 27; Kremer, S. 87 ff.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 225 f., 239 ff.; ders., Das parlamentarische Regierungssystem, S. 634. 89 v. Blume, S. 374; Dreher, S. 661; Leibholz, Strukturwandel, S. 13, 16 ff.; ders., Juristentag, S. C 5 ff.; ders.; Parteienstaat, S. 102 f., 106 f.; ders., Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 2 f.; Morstein Marx, S. 11 f., bezeichnet das freie Mandat als „blumiges Ornament" der Verfassung; siehe auch Schmitt, V e r fassungslehre, S. 314 ff., 318 f.; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 38 ff.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

Dazu sind zunächst historische Bedenken anzumelden 70 . Die Untersuchungen i m ersten Kapitel dieser Arbeit haben ergeben, daß es wenigstens i n Deutschland Parlamente ohne Fraktionen nicht gegeben hat, und daß schon i n der Paulskirche die eigentlichen Entscheidungen i n den „Clubbs" fielen 71. Es ist bezeichnend, daß die Vertreter der Meinung von der Freiheit der Abgeordneten i n der „guten alten Zeit", wo noch die großen Einzelnen den Lauf der Welt lenkten 7 2 , daß die Vertreter dieser Meinung immer nur globale Behauptungen aufstellen, ohne deren Richtigkeit i m einzelnen an Tatsachen nachzuprüfen. Daß die Plenarverhandlungen zu anderen Zeiten lebhafter waren als heute, soll nicht bestritten werden. Das liegt aber hauptsächlich an den anderen politischen Verhältnissen: größere ideologische und gesellschaftliche Gegensätze zwischen den einzelnen Abgeordneten und den durch sie repräsentierten Gruppen i m Volk, eine stärkere politische Brisanz der i n Frage stehenden Probleme, äußere Umstände, ein stärkeres emotionelles Engagement usw. Die Lebhaftigkeit der Verhandlungen spricht jedoch nicht unbedingt für eine größere Freiheit der Abgeordneten. Stärker noch als diese historischen Bedenken sprechen aber noch andere Überlegungen gegen die Richtigkeit der oben aufgeworfenen These. Der Meinung, daß nur ein Parlament aus ungebundenen Honoratioren wahrhaft das Volk repräsentieren könne, liegt die Vorstellung zugrunde, daß es einen einheitlichen Begriff des Gemeinwohls gebe, der auch für die Abgeordneten auffindbar sei, wenn diese nur wirklich frei und ungebunden wären 7 3 . Diese Meinung verkennt die naturgemäße Parteilichkeit jeder politischen Betätigung 7 4 , die heute i n der Idee des Parteienstaates 75 verfassungsrechtlich anerkannt ist. Es ist immer so ge70

Ähnliche Bedenken hat w o h l auch Friesenhahn, S. 31. Siehe dazu oben i m 1. K a p i t e l unter Β . I . 72 Z u den psychologischen Hintergründen dieser Vorstellung siehe Hofstätter, Gruppendynamik, S. 10 f.; dazu auch grundsätzlich Crick, S. 3: „ I t is neither relevant nor helpful to recall or invent some golden age w h e n Parliament „really d i d " govern the country, or w h e n independent and encyclopaedic Backbenchers „really d i d " make Ministers tremble. 73 Folgerichtig spricht Leibholz, Strukturwandel, S. 12, von dem „Lichte einer höheren Vernunft i m Parlament"; ähnlich ders., Grundlagen, S. 12; Schmitt, Verfassungslehre, S. 3101; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 23 ff.: das Parlament ist der Platz, an dem sich die „ungleich verteilten Vernunftspartikelchen" sammeln, S. 38: „nicht weniger als Wahrheit u n d Gerechtigkeit selbst"; ähnlich auch Werner Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten, S. 218; siehe dazu auch Smend, Z u m Problem des öffentlichen, S. 14 ff.; dagegen schon: v, Mohl, Encyklopädie, S. 652: „Eine Regierung außerhalb der Parteien ist ein utopisches I d e a l " ; heute: Hennis, Bundestag, S. 26: „ . . . d i e Spiritualisierung des Parlamentarismus ins Absurde getrieben . . . " 74 Ähnlich Besson, S. 232; v. d. Gablenz, S. 8, 22; Thoma, Parlamentarismus, S. 116. 75 Dazu v o r allem: Leibholz, V o l k u n d Staat, S. 195; ders., Parteienstaat, S. 109 f.; ders., Strukturwandel, S. 16. 71

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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wesen, daß es verschiedene Vorstellungen vom Gemeinwohl und dem Weg, auf dem man es erreichen könnte, gab, die mit dem gleichen A n spruch auf Wahrheit und Richtigkeit auftreten konnten 7 6 . So hatte v. Gagern recht, als er 1834 i m Hessischen Landtag die Regierung als Repräsentation einer Partei bezeichnete und dadurch einen Sturm der Entrüstung hervorrief 7 7 . Jede Entscheidung ist abhängig von dem „politischen" 7 8 Standpunkt des Abgeordneten. Der Abgeordnete läßt sich von diesem nicht trennen, da sich Person und politische Einstellung bedingen. Andererseits wäre es vermessen, erhöbe ein Abgeordneter den Anspruch, sein Standpunkt wäre als einziger der absolut und objektiv richtige, was nicht ausschließt, daß er nach außen hin so auftreten muß 7 9 . Ein Abgeordneter kann darum letztlich nichts anderes sein als ein „parteimäßig gebundener Interessenvertreter" 80 , es sei denn, er hätte überhaupt keine politische Heimat. Daß sich ein Abgeordneter i m Plenum von seiner wesentlich i m Fraktionszimmer gebildeten politischen Meinung nicht abbringen läßt — ausgenommen sind allenfalls technische, eben unpolitische Fragen 8 1 —, ist i m Grunde eine Selbstverständlichkeit 82 . Was wären das für Volksvertreter, die ihr A m t so wenig ernst nähmen, sich so schlecht vorbereiteten und m i t den auf der Tagesordnung stehenden Problemen beschäftigten, daß sie sich noch nicht einmal m i t den gegnerischen Argumenten vor der Debatte auseinandersetzten! Was sollte man von einem Abgeordneten halten, der sich kurz vor der Abstimmung durch eine rhetorisch geschickt vorgetragene Rede „umwerfen" ließe! I m übrigen ist es für jeden Abgeordneten unmöglich, zu jedem Tagesordnungspunkt ein selbständig begründetes Urteil ohne vorherige Beratung abzugeben 83 . Es ist legitim, wenn er sich hierbei von seinen politischen Freunden, die auf einem ähnlichen politischen Standpunkt stehen wie er, beraten läßt, wie es i n 76 v. Gerlach, S. 79; Grotewold, S. 1 f.; Henke, S. 4 ff.; Hesse, S. 17; Leibholz, Parteienstaat, S. 99 f.; ders., Strukturwandel, S. 30 f.; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 337; v. Mohl, Encyklopädie, S. 651 f.; Naumann, H. G., Die Parteien, S. 468; Radbruch, Die politischen Parteien, S. 289, 293; Reif, S. C 31 ff.; Sulzbach, S. 118; Max Weber, S. 72, 141; Zenker, Parlamentarismus, S. 42; siehe dazu auch oben i m 3. K a p i t e l unter Β . 1.2. b) dd). 77 So Treitschke, Regierung u n d Regierte, S. 147. 78 Dazu: Laun, Staatslehre, § 6: Das Problem der Objektivität, S. 27 ff.; zu der Unterscheidung zwischen „politisch" u n d „sachlich" siehe oben auch i m 3. K a p i t e l unter Β . I. 2. b) dd) u n d c) bb). 79 Siehe dazu oben i m 3. K a p i t e l unter Β . I. 2. c) aa). 80 Z i t a t : Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 103. 81 Kremer, S. 51; Müller-Meiningen, S. 127. 82 Z u m folgenden: Müller-Meiningen, S. 119 ff. 83 Kleinrahm, S. 142; dazu auch die interessanten Untersuchungen von Schmölders, passim, besonders S. 25—59,135 ff.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

der Fraktion geschieht 84 . Die Vorstellung, daß allein das Plenum des Parlaments der Platz sei, an dem sich i m dialektischen Prozeß die i m Volke „ungleich verteilten Vernunftspartikelchen" zu „nicht weniger als (der) Wahrheit und Gerechtigkeit selbst" versammelten 85 , ist als zeitgebundene Ideologie für das Verständnis des Prinzips der Repräsentation nur von geringer Bedeutung 86 . Man kan daher nicht sagen, daß es strukturelle Unterschiede zwischen dem modernen massendemokratischen Parteienstaat und der liberalen Honoratiorendemokratie gebe, die unvereinbar seien 87 . Es gibt lediglich Unterschiede hinsichtlich der Auswahl der Repräsentanten. Die Repräsentanten, die das einheitliche Wesen der Aktivbürgerschaft verbessert zum Ausdruck bringen, i n gewisser Weise eine Elite darstellen sollen 88 , fand man i n früheren Zeiten, die ja zugleich auch Zeiten des Beginns der parlamentarischen Entwicklung waren, i n den örtlichen Honoratioren. Sie waren als einzige allgemein bekannt. Man vertraute auf ihre Tüchtigkeit, ihren Charakter, ihr Geschick. Diese Honoratioren schlossen sich dann i n den Parlamenten aus den angegebenen Gründen freiwillig zu Fraktionen zusammen und wurden damit zwangsläufig „Parteivertreter". Auch sie wollten i m Parlament Macht ausüben, wollten ihre Ansicht durchsetzen und möglichst wiedergewählt werden. Die Verbesserung der Kommunikationsmittel, das Zusammenschrumpfen der Räume infolge der schnelleren Verkehrsmittel, neue Organisationsformen, die Agitation i n der Bevölkerung, die Änderung des Wahlrechts, — all dies sind Gründe für das Entstehen der großen und festen Parteiorganisationen 89 . Die heutige Parteidemokratie ist eine Weiterentwicklung der sogenannten Honoratiorendemokratie 90 . Zu einem anderen Ergebnis könnte man allenfalls dann gelangen, wenn man den heutigen Parlamentariern den 84

Henke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 16; v. d. Heydte, Soziologie, S. 204; Kremer, S. 33 f., 89; Müller, Ist der Bundestag n u r eine Dekoration, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 21.11. 66, S. 32; Reif, S. C 37 f.; dazu auch Crick , S. 12 f. 85 Zitate: Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage, S. 23 ff., 38. 88 Fraenkel, Deutschland, S. 55; Friesenhahn, S. 31; v. d. Gablenz, S. 8, 13; Naumann, H. G., Die Parteien, S. 468; Smend, Verfassung, S. 36 f.; Sternberger, Lebende Verfassung, S. 12 f.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 225 f., 240 f. ; ders., Das parlamentarische Regierungssystem, S. 634. 87 Kremer, S. 87 ff.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 225 f. 88 Bernatzik, S. 423; Krüger, Staatslehre, S. 252, 358; Leibholz, S t r u k t u r w a n del, S. 9; ders., Parteienstaat u n d repräsentative Demokratie, S. 1 f.; ders., Grundlagen, S. 12; J. St. Mill, S. 317 ff.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 217. 89 Duverger, S. 2 ff., 8 ff., 34; Hesse, S. 18 f.; Kirchheimer, S. 302; Koellreutter, Parteien, S. 66; Kremer, S. 15 f.; Menzel, S. 597; Parteirechtskommission, S. 67; Peters, Entwicklungstendenzen, S. 236 f.; Sultan, S. 96 f.; Max Weber, S. 101 ff. 90 Abendroth, S. 310; Friedrich, Demokratie, S. 29; Parteirechtskommission, S. 65 ff.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 240 f.; Schüle, S. 36; das BVerfG, DVB1. 66, 636 ff. (638, 641), spricht ausdrücklich davon, daß sich der Verfassungsgeber f ü r die „(liberal)-repräsentative Demokratie" entschieden habe.

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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„personalen Eigenwert" abspräche und sie lediglich als „Stimmvieh" ansähe. Diese Ansicht ist schlicht indiskutabel. I m übrigen ist es ja auch heute noch so, daß besonders bei Wahlen die Führerpersönlichkeiten der Parteien eine entscheidende Rolle spielen 91 . Das Prinzip der Repräsentation läßt sich m i t der Parteilichkeit politischer Betätigung vereinbaren 92 . Das w i r d i m Grunde auch nicht von den Gegnern dieser Meinung geleugnet. Sie plädieren auch für Diskussionen, Auseinandersetzungen und Abstimmungen, wollen allerdings solche nur als parlamentarische dann anerkennen, wenn sie i m Plenum stattfinden 93 . Sie verkennen jedoch damit — das kann hier nur wiederholt werden — die Möglichkeiten parlamentarischer Diskussionen und das Wesen der Fraktion als das eines parlamentarischen Diskussionsforums. Die Parteifraktion ist eine Folge der Parteiendemokratie, wie die Honoratiorenfraktion eine solche der Honoratiorendemokratie war. Die Parteifraktion ist insoweit eine Konsequenz des Parteienstaates. I n ihr schafft sich die i n der Partei organisierte Aktivbürgerschaft ihre eigene parlamentarische Repräsentation 94 . I m Parlament ist sie das repräsentative „Spiegelbild" der i m Volke vorherrschenden Stimmungen, Strömungen und Bestrebungen 95 . Damit schließt sich die Lücke zwischen Aktivbürgerschaft, Partei und Staat. I n den Fraktionen haben die Parteien „die höchste Staatsspitze" 96 erreicht. Der „Schönheitsfehler i n der Architektur des demokratisch-parlamentarischen Verfassungsgebäudes" 9 7 besteht nicht mehr. Die Parteifraktion ist aber eben nur ein Repräsentant ihrer Partei — und damit erhält A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG i m Parteienstaat seinen Sinn, nämlich den, zu verhindern, daß die Parteien mit Hilfe ihres Apparates ihren Willen der Aktivbürgerschaft aufzwingen, welche möglicherweise einen anderen Willen hat 9 8 » 9 Ö . Der Abgeordnete steht rechtlich allein, ist 91 Altmann, Kanzlerdemokratie 1964, i n : Die Zeit, Nr. 42 v. 16.10.64, S. 3; Besson, S. 239; Friesenhahn, S. 20 ff.; v. Knoeringen, S. 106; Krüger, Staatslehre, S. 376; Lohmar, S. 70 ff. 92 Entgegen: Leibholz, Strukturwandel, passim, bes. S. 17; ders., Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 4. 93 Schmitt, Verfassungslehre, S. 315; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 22; Triepel, Staatsverfassung, S. 15,17. 94 Dazu Laun, Staatslehre, S. 81 ff. „doppelte Repräsentation"; auch Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 171; Wolff, Vertretung, S. 341. 95 Fraenkel, Deutschland, S. 20 f.; Kaufmann, Grundtatsachen, S. 22. 96 Altmann, Rechtscharakter, S. 753; ähnlich: Hesse, S. 21; Leibholz, S t r u k turwandel, S. 17; BVerfG, DVB1. 66, S. 636 ff. (637): Die Parteien sind Z w i schenglieder zwischen dem Einzelnen u n d dem Staat. 97 Lebenstein, S. 139. 98 Abendroth, S. 312; Hesse, S. 31; Leibholz, Strukturwandel, S. 30; ders., Juristentag, S. C 12, 18; ders., Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 6.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

nur seinem Gewissen unterworfen und kann sich nicht auf den Auftrag seiner Partei berufen. Das imperative Mandat als Konsequenz des Parteienstaates w i r d verworfen 1 0 0 . 4. Der Verlust an Öffentlichkeit

bei der parlamentarischen

Arbeit

Schließlich w i r d gegen die repräsentative Eigenschaft des Parlaments vorgebracht der Verlust an Öffentlichkeit bei der parlamentarischen Arbeit. Es w i r d die Meinung vertreten, daß die Anerkennung des Parlamentes als Repräsentant des Volkes wesentlich darauf beruhe, daß die parlamentarischen Verhandlungen öffentlich seien, wovon dann für die Fraktion abgeleitet wird, daß diese eine außerparlamentarische Einrichtung sei, da die Öffentlichkeit zu ihren Sitzungen nur beschränkt oder gar nicht zugelassen werde 1 0 1 . Demgegenüber soll keineswegs bestritten werden, daß durch die Diskussion i n den Fraktionen ein großer Bereich der parlamentarischen Arbeit dem kontrollierenden Auge der Öffentlichkeit verborgen ist 1 0 2 . Dies ist jedoch für das repräsentative Prinzip grundsätzlich unerheblich 1 0 3 . Denn Repräsentation ist ja eben eine existentielle Kategorie, es ist kein normativ faßbarer Tatbestand, bestehend aus einzelnen, vorgeschriebenen Merkmalen, bei deren Nichtvorliegen der „Tatbestand" Repräsentation nicht gegeben ist. A l l e i n entscheidend ist vielmehr, daß der Repräsentant von den Repräsentierten als solcher anerkannt wird, daß sich nicht andere Instanzen neben i h m bilden, die i n Wahrheit die Repräsentanten darstellen 1 0 4 . ββ Diese Gefahr einer Entfremdung der Partei von der Bürgerschaft, einer „ E n t a r t u n g " des Parteienstaates spielte auch eine erhebliche Rolle bei den Überlegungen des B V e r f G zur Frage der staatlichen Parteienfinanzierung, siehe dazu B V e r f G DVB1. 66, 636 ff. (638); dazu i m übrigen auch: Abendroth, S. 313 f.; v. d. Heydte, Freiheit der Parteien, S. 502 f.; Leibholz, Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 5; ders., Grundlagen, S. 34 f.; Michels, S. 365 f.; Naumann, H. G., Die Parteien, S. 469 f.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 242. 100 v. d. Heydte, Soziologie, S. 196; Leibholz, Parteienstaat, S. 113; Friesenhahn, S. 23, sieht i n A r t . 38 I 2 G G nicht eine „aus Trägheit weiter mitgeschleppte sinnentleerte Formel, sondern die bewußte Entscheidung f ü r die freie Abgeordnetenpersönlichkeit auch i m modernen Staat". 101 Leibholz, Strukturwandel, S. 12; Schmitt, Verfassungslehre, S. 208, 214, 316, 319; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 22 ff., 38 ff.; Smend, Verschiebung, S. 280 ff.; ders., Verfassung, S. 91 f. 102 Kremer, S. 89. 103 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 58; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 226, 230 f.; ders., Das parlamentarische Regierungssystem, S. 634; Schmitt, S. 205, 214: absolute Monarchie ist „ i n Wahrheit absolute Repräsentation". 104 Forsthoff, Parteien, S. 9; Gerhardt, S. 20; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 106,141 ; Schmitt, Verfassungslehre, S. 208 f., 314 f.

Α. Allgemeine Folgerungen aus der Organqualität der Fraktionen

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Es ist auch nicht so, daß das Parlament nur deshalb vom Volks als Repräsentant angenommen wird, weil es öffentlich verhandelt. Sicherlich spielen die öffentlichen Verhandlungen eine große Rolle. Nicht umsonst sind die Plenardebatten u m die entscheidenden Fragen des Volkes, übertragen von Rundfunk und Fernsehen, die „großen Stunden" des Parlaments. Es ist auch möglich, daß ursprünglich eine vollständige Publizität des gesamten parlamentarischen Meinungs- und Willensbildungsprozesse gefordert wurde 1 0 5 , historisch erklärbar aus der Aversion des liberalen Bürgertums gegen die Kabinettspolitik des absoluten Monarchen 106 . Immerhin hat es aber zu allen Zeiten den Ausschluß der Öffentlichkeit von den Verhandlungen des Parlaments gegeben 107 . Die parlamentarischen Ausschüsse, die nach ganz herrschender Meinung Organe des Parlamentes sind 1 0 8 , verhandeln i n der Regel nicht öffentlich 1 0 9 . Folgerichtig sagt Leibholz 110: „Auch unter der Herrschaft des Repräsentativsystems können Abgeordnete zeitweise hinter verschlossenen Türen verhandeln, ohne daß sie zugleich ihren repräsentativen Charakter verlieren." Vertrauliche Beratungen sind eben, wie an anderer Stelle der Arbeit genauer dargelegt worden ist, für die parlamentarische Arbeit unabdingbar. Infolgedessen kann auch aus dem Verlust an Öffentlichkeit bei der parlamentarischen Arbeit durch die vertraulichen Beratungen der Fraktionen prinzipiell nichts gegen die Repräsentation des Volkes durch das Parlament hergeleitet werden. 5. Zusammenfassung Repräsentation des Volkes durch das Parlament ist somit auch heute möglich. Die parlamentarische Praxis jedenfalls spricht nicht dagegen. 105 Krüger, Staatslehre, S. 440 ff., m i t vielen Nachweisen, S. 44 spricht K r ü g e r von einem „Wunderglaube" an die Öffentlichkeit; ähnlich Smend, Zum Problem des Öffentlichen, S. 14 ff.; dazu auch Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage, S. 20—40, m i t vielen Nachweisen. 106 Fraenkel, Deutschland, S. 140 f. 107 § 17 GO Paulskirche (1848); A r t . 79 Pr. Verf. v. 31.1.1850; § 36 GO R T (1870/71); A r t . 29 W R V ; A r t . 42 I GG; Verfassungen von: B W A r t . 33 I ; Bay A r t . 22 I ; B i n A r t . 30 I V ; Bre A r t . 91 I I ; H b g A r t . 21; Hes A r t . 89; Nds A r t . 9 I ; N W A r t . 42; RP A r t . 86; S L A r t . 74 I I ; S H A r t . 11 I ; dazu auch Roßmann, S. 32; Schweitzer, S. 87 f. m i t vielen Nachweisen; Stier-Somlo, Verfassung, A r t . 23 A n m . 1; a. M. Schmitt, Verfassungslehre, S. 316, der aber bezeichnenderweise n u r Satz 1 von A r t . 29 W R V zitiert u n d Satz 2 stillschweigend übergeht. 108 So ausdrücklich: § 60 I 1 GO B T ; § 26 GO B W ; § 24 I GO B a y ; § 77 I GO RP; A r t . 19 I I I GO SL. 109 § 73 I GO B T ; § 32 I GO B W ; § 32 I GO B a y ; § 25 V GO B i n ; § 63 I V GO Bre; § 64 I V GO H b g ; § 30 I GO Hes; § 22 I I I GO Nds; § 31 GO N W ; § 85 I GO RP; A r t . 27 I GO S L ; § 16 GO SH; so auch Roßmann, S. 32; Stier-Somlo, Parlament, S. 376. 110 Wesen der Repräsentation, S. 177,181.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

Die Vertreter der Gegenmeinung verkennen, daß Repräsentation nicht ein normierter Tatbestand mit festen Merkmalen ist, sondern vielmehr jeweils abhängig von dem wandelbaren und sich wandelnden Bewußtsein der Repräsentierten. Vielfach w i r d auch das Parlament als Institution falsch gesehen und vor allem nicht erkannt, nach welchen Prinzipien die innere Organisation des Parlaments zu gestalten ist. Dabei liegt eine große Gefahr i n dieser Fehlinterpretation selbst: Sie führt zu Mißverständnissen bei den Repräsentierten und kann zur Folge haben, daß dann allerdings i n der Tat die Stellung des Parlaments als Repräsentant des Volkes ausgehöhlt wird. Wenn man daher, ausgehend von der Verfassung als etwas Vorgegebenem, die Bedeutung des Parlaments interpretieren w i l l , muß zunächst das Parlament, wie es ist und wie es funktioniert, erklärt werden. Bei der Erarbeitung der Theorie ist besonders das Ontologische zu berücksichtigen, sind die praktischen Notwendigkeiten verständlich zu machen 111 . Es kann nicht darauf ankommen, theoretische Grundlagen zu erarbeiten, um dann festzustellen, daß die Theorie der Praxis nicht entspricht, und u m daraus zu folgern, daß also dem Parlament die repräsentative Bedeutung abzusprechen ist 1 1 2 . Dennoch bleibt es unbenommen, Auswüchse der Praxis i m Sinne einer praxisnahen Theorie aufzudecken und zur Korrektur anzuregen. Von diesem Ausgangspunkt ist es wichtig, daß die Entscheidungen des Parlaments weiterhin endgültig erst i m Plenum fallen und daß die verschiedenen Meinungen hier öffentlich vorgetragen und begründet werden 1 1 3 . Weiterhin ist es wichtig, daß das Plenum der Ort ist, wo die Regierung durch die parlamentarische Opposition öffentlich kontrolliert wird. Der Opposition i m Lande muß die Opposition i m Parlament wenigstens zahlenmäßig i n etwa entsprechen. Auch sollte streng darauf geachtet werden, daß der Repräsentation des Volkes die gebührende Achtung gezollt wird. Der repräsentativen Bedeutung des Parlaments ist es i n diesem Zusammenhang ungemein abträglich, wenn sich etwa der Re111 Fraenkel, Deutschland, S. 22, 48; Hennis , Bundestag, S. 28; Sultan, S. 139 auch A n m . 87; Thoma, Ideologie, S. 214; i n diesem Zusammenhang können die Untersuchungen von Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, München B e r l i n 1928, weiterhelfen. Nach Smend ist das Parlament integrierte F ü h r u n g des Volkes, ist es entscheidend, daß die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind u n d das auch bleiben. Auch w e n n sie i m einzelnen Bindungen unterworfen sind, k a n n die Integrationswirkung des Parlaments bestehen bleiben (S. 36, 92 ff.); ähnlich: Arndt, Buchbesprechung; Friesenhahn, S. 32, 67 Leitsatz 10; Sternberger, Lebende Verfassung, S. 133 ff., 148 f.: „Integration durch Polarität." 112 So vor allem Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage, S. 20 ff., 38 ff.; dagegen schon Thoma, Ideologie, S. 213 f. 113 Friesenhahn, S. 32; v. Gerlach, S. 50; Hennis , Bundestag, S. 29, 36; Leibholz, Parteienstaat u n d repräsent. Dem., S. 7; siehe auch J. St. Mill, S. 323.

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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gierungschef m i t Hilfe der Massenmedien direkt an das Volk wendet, bevor über seine Erklärungen i m Plenum debattiert worden ist 1 1 4 , oder wenn selbst der Bundestagspräsident seine Meinungen lieber i n Groschenblättern publiziert, als daß er sie dem Plenum vorträgt 1 1 5 , was i h m als Abgeordneten nicht versagt ist. Schließlich sollte man von Seiten der Fraktionen m i t der Zulassung von Pressevertretern zu den Fraktionssitzungen nicht allzu ängstlich sein 1 1 6 . Dann sind vertrauliche Vorberatungen des Parlaments i n den Fraktionen unschädlich für das Ansehen des Parlaments bei der Bevölkerung und diese w i r d i n höherem Maße bereit sein, ihre verfassungsrechtliche Repräsentation als solche anzunehmen 1 1 7 . B. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

Wenn man das oben erarbeitete Ergebnis bejaht, dann lassen sich die i n der Arbeit aufgezeigten Probleme lösen, die sich aus der ungeklärten Rechtsnatur der Fraktion ergeben. I . Anfang und Ende der Fraktionen, Diskontinuität

Das Organ ist ein abstrakt formulierter Zuständigkeitskomplex oder anders formuliert: ein Bündel von organisationsrechtlichen Befugnissen zum Handeln für eine Körperschaft, versehen m i t einer Auswahlformel zur Auffindung der Personen, die für die Körperschaft diese Befugnisse wahrnehmen sollen. Das Organ ist ein Rechtsinstitut der körperschaftlichen Verfassung einerseits und andererseits dem Sprachgebrauch nach auch der oder die Organwalter, also die aufgrund der Auswahlformel gefundenen natürlichen Personen. So ist die Fraktion einerseits ein Rechtsinstitut der parlamentarischen Geschäftsordnung, andererseits aber auch die Vereinigung der Fraktionsmitglieder, der Abgeordneten, die sich zu einer Fraktion zusammengetan haben. Das Rechtsinstitut Fraktion besteht so lange, wie es i n der Geschäftsordnung vorgesehen ist 1 . Die Fraktion als Vereinigung von Parlamentariern besteht, so lange die Abgeordneten die Organwalterstellung nach der Auswahlklausel wahrnehmen bzw. wahnehmen können, so lange sie also die i n der kör114 Müller, Ist der Bundestag n u r eine Dekoration, i n : Die Zeit, Nr. 43 v. 21.11. 66, S. 32. 115 Siehe dazu Sommer, Erhards Ä r a — schon vorbei?, i n : Die Zeit, Nr. 46 v. 13.11. 64, S. 1. 116 Dazu die interessanten Bemerkungen bei Crick , S. 98, über die unterschiedliche Praxis bei den beiden großen englischen Parteien. 117 Sethe, E i n Parlament i m Geheimen, i n : Die Zeit, Nr. 44 v. 29.10. 65, S. 5. 1 So f ü r das Organ „Parlament": BVerfGE 4, 144 (152); Leibholz-Rinck,

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

perschaftlichen Verfassung normierten Voraussetzungen zur Bildung einer Fraktion erfüllen. Fragt man nach der Bildung der Fraktion, nach ihrem Anfang, — damit ist dann immer der Personenverband gemeint —, so ist dafür maßgeblich das Verfahren, das die Geschäftsordnung als Auswahlformel für die Organwalter vorschreibt. Danach müssen sich immer eine bestimmte Mindestzahl von Abgeordneten zusammenschließen m i t dem Willen, eine Fraktion zu bilden; sie müssen einen Vorsitzenden wählen und einen Namen beschließen; u. U. müssen alle Abgeordneten der gleichen Partei angehören. Eine förmliche Zulassung, eine Anerkennung durch das Parlament ist nur i m Bundestag für die Fraktionen vorgesehen, deren M i t glieder nicht ein und derselben Partei angehören 2 . I n allen anderen Fällen entsteht die Fraktion m i t dem konstituierenden Gesamtakt, da die Auswahlformel der körperschaftlichen Verfassung nicht mehr verlangt 8 . Diese Voraussetzungen für die Bildung der Fraktionen stimmen voll überein m i t der politischen Praxis. Die Fraktion endet dann, wenn sie den Gründungsakt rückgängig macht 4 . Das ergibt sich daraus, daß jemand nur so lange Organwalter sein kann, als er die tatbestandlichen Voraussetzungen der Auswahlformel erfüllt. Macht die Mitgliederversammlung eines Vereins etwa die Bestellung des Vorstandes rückgängig, so ist die betreffende Person eben nicht mehr Vorstand. Aus dem gleichen Grunde endet eine Fraktion auch dann, wenn sie sich spaltet 5 , allerdings können dann möglicherweise zwei neue Fraktionen entstehen, wenn von beiden Teilgruppen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Auswahlformel erfüllt werden. Eine Fraktion endet dagegen nicht, wenn nur einzelne Mitglieder ausscheiden, es sei denn, daß der Rest nicht mehr das Tatbestandsmerkmal „Mindestmitgliederzahl" erfüllt®. W i r d die Partei verboten, deren Mitglieder eine Fraktion gebildet haben, so richtet sich die Folge für den Bestand der Fraktion wiederum nach der jeweiligen Auswahlklausel der GeschäftsA r t . 39; v. Mangoldt-Klein, A r t . 39 A n m . I I I 4 u n d 5 c); Maunz-D., A r t . 39 RNr. 14; f ü r die F r a k t i o n g i l t grundsätzlich nichts anderes. Denn die GO g i l t k r a f t Gewohnheitsrechts nicht n u r f ü r eine Legislaturperiode, sondern so lange, bis sie abgeändert w i r d . Anderenfalls könnte ein Parlament seine A r beit nach der W a h l n u r sehr schwer aufnehmen. 2 Allerdings hat der B T einen solchen förmlichen Zulassungsbeschluß n u r 1965 i n dem oben, S. 40, geschilderten F a l l befaßt, obwohl auch schon früher C D U u n d CSU eine F r a k t i o n gebildet hatten; dazu auch Obermann, S. 75. 8 Lebenstein, S. 135; Rinck, S. 20 f.; Werberger, S. 35. 4 Lebenstein, S. 135; Rinck, S. 22. δ Rinck, S. 22: auch bei Parteispaltungen; dagegen der Verfasser: M i t g l i e d schaft bei „ e i n u n d derselben Partei" ist k e i n Wesensmerkmal der F r a k t i o n ; dazu auch Obermann, S. 58. 8 Lebenstein, S. 135; Rinck, S. 22; Werberger, S. 119.

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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Ordnung und den Normen, die ihr vorgehen, also der Verf assung und den allgemeinen Gesetzen. Verlieren danach die Abgeordneten ihr Mandat, so nach § 49 BWahlG und den Wahlgesetzen der meisten Länder 7 , so können sie naturgemäß auch keine Fraktion mehr bilden. Verlieren sie ihr Mandat nicht 8 , so kann die Geschäftsordnung den Untergang der Fraktion anordnen 9 oder die Fraktion geht deshalb unter, w e i l nur M i t glieder einer Partei eine Fraktion bilden können. Ist aber keine dieser beiden Voraussetzungen gegeben, so bedeutet das Verbot der Partei nicht ein Verbot der Fraktion, denn diese ist keine Teil- oder Nebenorganisation der Partei 1 0 . Das Verbot der Partei könnte theoretisch auch i n der Weise umgangen werden, daß alle Fraktionsmitglieder vor der konstitutiven Feststellung der Verfassungswidrigkeit aus der betroffenen Partei ausscheiden und eine neue, unabhängige Fraktion bilden 1 1 . Für die Lösung der Frage der Diskontinuität muß man über die oben getroffene Unterscheidung zwischen Rechtsinstitut und Personenverband hinaus noch eine weitere Unterscheidung zwischen Personenverband und Apparat treffen. Z u dem real existierenden und handelnden Organ Fraktion gehört nämlich außer dem Personenverband ein Inbegriff mehr oder minder großen Umfanges an personalen und sachlichen Hilfsmitteln. Das sind die Angestellten der Fraktion, Geld, Büromaterial, Akten, Bücher, Forderungen und Verbindlichkeiten der Fraktion etc. Obwohl das „Weiterlaufen" dieses Apparates über das Ende der Legislaturperiode hinaus darauf hindeutet, daß der Grundsatz der Diskontinuität für die Fraktion nicht gilt, ist diese Meinung dennoch abzulehnen 12 . Auch für die Fraktionen gilt das Prinzip der „personellen Diskontinuit ä t " 1 3 . Denn es kommt für die Beantwortung der Frage allein darauf an, daß der Personenverband Fraktion sich nach jeder Neuwahl wieder neu konstituieren muß. Das ergibt sich daraus, daß der Abgeordnetenstatus eben m i t Ende der Wahlperiode erlischt 14 . Das Tatbestandsmerkmal der Auswahlformel „Vereinigung von Abgeordneten" w i r d damit von der 7 B W A r t . 48, Bay A r t . 66, Bre § 35, H b g § 12 I, Hes § 41 I , Nds § 8 I , N W § 5 Ziff. 4, SL § 57; Ipsen, Hamburgs Verfassung u n d Verwaltung, S. 272. 8 Bauer, S. 90; Friesenhahn, S. 23; Leibholz, Juristentag, S. C 18; ders., Parteienstaat, S. 113; Maunz-D., A r t . 38 RNr. 28; Nebinger, S. 186; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, A r t . 21 A n m . 4; Tatarin-Tarnheyden, S. 420. 9 GO L T Bay §7 I I . 10 Werberger, S. 149. 11 Henke, S. 106; Peters, Entwicklungstendenzen, S. 239; Obermann, S. 63, schildert, daß auf diese Weise drei SRP-Abgeordnete das Verbot ihrer Partei „überlebten". 12 F ü r den Bundestag: Maunz-D., A r t . 39 RNr. 14; Rinck, S. 23; Werberger, S. 121 f. 18 ν . Mangoldt-Klein, A r t . 39 A n m . 5 a. 14 A r t . 39 GG; v. Mangoldt-Klein, A r t . 39 A n m . I I I l a ; Maunz-D., A r t . 39 RNr. 14.

13 Hauenschild

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

alten Versammlung nicht mehr erfüllt. Diese ist also keine Fraktion mehr. Daß i n der Praxis sich i n den meisten Fällen sofort wieder eine neue Fraktion aus den wiedergewählten Abgeordneten bildet, verhindert diese Zäsur nicht. Dies zeigt auch die Praxis deutlich: Die Fraktionen konstituieren sich nach jeder Wahl wieder von neuem. Wenn der Apparat zwischen den Wahlperioden weiterläuft, so spricht das auch letztlich nicht gegen die Diskontinuität der Fraktion. Denn der Apparat gehört zwar zur Fraktion, er ist aber nicht die Fraktion, so wie auch die Parlamentsverwaltung nicht das Parlament ist 1 5 . Auch die Parlamentsverwaltung arbeitet „durchgehend" 16 . Fraglich ist allein, wie der Übergang des Apparates von einer Fraktion auf die andere zu regeln ist. Das ist davon abhängig, wie die Hechtsbeziehungen zwischen der Fraktion als Personenverband und ihrem Apparat beschaffen sind, was anschließend untersucht werden soll. I I . Die Fraktion und ihr Apparat

Es ist oben schon darauf hingewiesen worden, daß mit Apparat hier der Inbegriff aller personellen, sachlichen und auch rechtlichen Hilfsmittel gemeint ist, deren sich der Personenverband Fraktion bedient, um seine parlamentarische Funktion zu erfüllen. Da die Mitarbeiter die wichtigsten Teile dieses Apparates sind, sollen untersucht werden 1. die Rechtsbeziehungen zwischen Fraktion und Mitarbeiter Wenn der Personenverband als Fraktion, also als Organ des Parlamentes handelt, treffen seine Handlungen das Parlament. Wenn die Fraktion folglich zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Mitarbeiter einstellt, schließt dieser damit letztlich nicht einen Vertrag m i t der Fraktion, sondern mit dem Parlament. Er w i r d Angestellter des Parlaments 17 . Da i n der Praxis, wie oben gezeigt wurde 1 8 , dies nicht so angesehen wird, besteht hier eine Diskrepanz zwischen dem erarbeiteten Ergebnis und der Realität. Daß diese Diskrepanz nicht gegen die Richtigkeit des hier aufgezeigten Ergebnisses spricht, ergibt sich schon daraus, daß über die Rechtsnatur der Fraktionen bislang keine einheitliche Auffassung besteht, daß die hier interessierende Praxis uneinheitlich ist und als unbefriedigend empfunden w i r d 1 9 . 15

Maunz-D., A r t . 38 RNr. 8, spricht von „ Janusköpfigkeit". v. Mangoldt-Klein, A r t . 39 A n m . I I I 5 c). 17 Z u dieser Lösung siehe auch Eschenburg, Südweststaat, S. 57 f. 18 Siehe oben i m 2. Kapitel, besonders unterF. 19 Moecke, Vereine, S. 569; Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 128 f.; I P A K F - D S Nr. 4 v. 12.10. 62. 18

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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E i n Argument gegen die Organstellung der Fraktion wäre die Praxis lediglich dann, wenn die hier aufgezeigte Lösung auf keinen Fall praktikabel wäre. Jede praktikable Lösung muß mindestens zwei Voraussetzungen erfüllen: 1. die Fraktionen müssen ihre Mitarbeiter selbst auswählen können; 2. der Etat des Parlaments darf durch Angestellte der Fraktionen nur begrenzt belastet werden. adi.: Die Fraktion muß das „Recht" haben, sich ihre Mitarbeiter auszuwählen und diese notfalls auch wieder zu entlassen, denn sie kann nur den M i t arbeiter gebrauchen, auf den sie sich voll und ganz verlassen kann. Der Mitarbeiter der Fraktion bekleidet ein Amt, bei dessen Ausübung er i n fortdauernder Übereinstimmung m i t den grundsätzlichen politischen A n sichten und Zielen der Fraktion stehen muß. Daher kann der Parlamentspräsident die Auswahl und Einstellung der Fraktionsmitarbeiter nicht allein vornehmen. Dies müßte vielmehr i n der Weise geschehen, daß die Übereinstimmung des Mitarbeiters mit der Fraktion, seine Loyalität ihr gegenüber gewährleistet ist. Dazu sind mehrere Möglichkeiten denkbar: der Ältestenrat könnte zu diesem Zweck eingeschaltet werden 2 0 ; der Parlamentspräsident könnte geschäftsordnungsmäßig verpflichtet sein, das Einvernehmen m i t der Fraktion herzustellen; er könnte die Befugnis, die Fraktionsangestellten einzustellen und zu entlassen, auf die Fraktion übertragen 21 . ad 2.: Nicht angängig ist, daß die Fraktionen beliebig viele Angestellte m i t Wirkung für das Parlament einstellen oder diesen beliebig hohe Gehälter zahlen. Dies kann vielmehr nur innerhalb der Grenzen geschehen, die von dem entsprechenden Titel des Parlamentsetats gezogen werden. Auch dieses Problem ließe sich jedoch lösen, indem entweder den Fraktionen nach einem bestimmten Schlüssel Planstellen zugewiesen oder ihnen ein bestimmter Betrag für Mitarbeiter zur Verfügung gestellt würde. Tatsächlich änderte sich damit an der heutigen Situation nichts Grundsätzliches. Der Fraktion würde die Freiheit der Auswahl belassen, und bezahlt würden die Angestellten aus dem Parlamentsetat, was ja auch heute schon der Fall ist. Überwiegend werden die Gelder aus dem Parlamentsetat zweckgebunden ausgeschüttet: für das Fraktionssekretariat, 20 So schon die GO L T Braunschweig (W), § 14; so auch Eschenburg, Südweststaat, S. 41, 57, 58. 21 Sog. Dienstherrenfähigkeit k r a f t Verleihung, auch durch Satzung möglich, siehe Ebert, S. 56; dazu auch Pfennig, S. 44 f.

13"

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5. Kapitel : Schlußfolgerungen

für den Gesetzgebungshilfsdienst der Fraktion 2 2 . Die Anstellungsbedingungen der Fraktionsangestellten richten sich schon heute i m wesentlichen nach den Bedingungen für die Angestellten des öffentlichen Dienstes. Die hier vorgeschlagene Lösung, daß nämlich die Mitarbeiter der Fraktionen Angestellte des Parlamentes sein sollen, w i r d ζ. Z. schon i m Landtag von Baden-Württemberg praktiziert 2 8 . Hier stehen der Regierungs- und Oppositionsfraktion jeweils drei Landesbeamte, die i n den Dienst des Landtages abgeordnet sind, unentgeltlich zur Verfügung. Diese Lösung, die von den Abgeordneten nicht vorbehaltlos begrüßt w i r d 2 4 , wäre ohne weiteres praktikabel, wenn man die Fraktionen sich ihre Mitarbeiter selbst auswählen ließe und diese dann vom Parlament angestellt würden 2 5 . U m die Beziehungen zwischen Fraktion und Mitarbeitern i n diesem Sinne zu regeln, wäre i n erster Linie eine Ergänzung der parlamentarischen Geschäftsordnung notwendig, die es dem Präsidenten gestattet, i m Einvernehmen m i t den Fraktionen Bedienstete für diese einzustellen und zu entlassen, oder die es den Fraktionen gestattet, i m Rahmen des Haushaltsplanes Bedienstete m i t Wirkung für das Parlament einzustellen oder zu entlassen. Der Vorteil einer solchen Regelung wäre, daß auf diese Weise die Fraktionsangestellten einen ihrer Arbeit angemessenen Status 26 erhielten. Es geht nicht an, daß die Mitarbeiter dieser parlamentarischen Organe lediglich durch „einfache" arbeitsrechtliche Beziehungen gebunden sind. Dabei ist vor allem auch daran zu denken, daß die Mitarbeiter der Fraktionen häufig sich m i t Vorgängen beschäftigen müssen und mit Material i n Berührung kommen, das geheim ist oder als Verschlußsache einer vertraulichen Behandlung bedarf 27 . Strafrechtlich wären die Fraktionsangestellten als Angestellte des öffentlichen Dienstes nach § 359 22 Dazu: Partsch, S. 86 f.; Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 120 ff.; Pikart, S. 206 f.; siehe dazu auch oben i m 2. K a p i t e l unter E. 28 Die Welt, Nr. 166 v. 21.7.65, S. 2; undeutlich Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 128 f. 24 Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 128 f.; I P A DS Nr. 1 v. 15.6.62 (Kurzprotokoll); Die Welt, Nr. 166 v. 21. 7. 65, S. 2. 25 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 168, äußert Bedenken gegen diese Lösung, ohne sie jedoch i m einzelnen zu präzisieren; es scheint, als stände hinter diesen Bedenken wieder die Vorstellung von einem Parlament, das neben den Fraktionen existiert, gegen das diese kämpfen müssen u n d das ihnen die Arbeit n u r erschweren w i l l . 28 Z u diesem besonderen „öffentlichen Dienstrecht i m engeren Sinne", siehe Wacke, Z u r Neugestaltung des Beamtenrechts, passim, bes. S. 399 ff.; ders., Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, S. 5 ff., 18 ff.; auch Pfennig, S. 21 ff. 27 Z u den besonderen Treuepflichten der Angestellten des öffentl. Dienstes siehe: Wacke, Grundlagen des öffentl. Dienstrechts, S. 78 ff.

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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StGB als Beamte anzusehen 28 , was zu begrüßen wäre. Eine Amtshaftung käme für sie nicht i n Betracht, da sie nicht i n Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes eine ihnen einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzen können. Nicht zuletzt hätte eine Qualifizierung der Fraktionsmitarbeiter als Angestellte des öffentlichen Dienstes den Vorteil, daß damit die Beziehungen zwischen der Fraktion und ihren Angestellten feststehenden Regeln unterworfen wären. Diese Regeln böten auch den Mitarbeitern eine größere Sicherheit. Das Parlament wäre Arbeitgeber und haftete aus dem Arbeitsvertrag. Die versicherungsrechtlichen Bestimmungen fänden Anwendung. Nach Untergang der Fraktion wären die Fraktionsmitarbeiter nicht automatisch brotlos, sondern blieben zunächst noch Bedienstete des Parlaments. Sie könnten hier weiterhin in anderen Stellungen arbeiten. I h r Übergang zu anderen Behörden könnte leichter und unter vollen Anrechnung ihrer Dienstzeit erfolgen. Dem Verfasser haben mehrere wissenschaftliche M i t arbeiter von Fraktionen erklärt, daß die augenblickliche Gestaltung ihrer Beziehungen zur Fraktion sehr unbefriedigend sei, und daß sie an einer Klärung ihrer Rechtsstellung großes Interesse hätten. Eine gesetzliche Auswirkung dieser Sorge scheint der § 116 Abs. 1 Nr. 1 l i t c) B B G 2 9 zu sein. A u f die Frage, ob es zweckmäßig ist, einen solchen fraktionseigenen Gesetzgebungshilfsdienst einzurichten 30 , soll nicht näher eingegangen werden. Nur so viel jedoch: Die Verteilung der materiellen Funktionen des Parlaments auf Regierungs- und Oppositionsfraktionen, die Tatsache, daß i m Parlament hauptsächlich „politische" Fragen zur Entscheidung anstehen, und schließlich auch der Umstand, daß die Regierungsfraktion i n den Regierungsbeamten über einen umfangreichen eigenen „Hilfsdienst" verfügt, lassen einen Hilfsdienst der Fraktionen allgemein als außerordentlich notwendig erscheinen. Der Wert der Objektivität w i r d i n der Diskussion u m den parlamentarischen Hilfsdienst meist überschätzt. 2. Finanzen, Eigentum, rechtsgeschäftlicher

Verkehr

Der finanzielle Aufwand der Fraktionen w i r d schon heute zum überwiegenden Teil aus dem Parlamentsetat bestritten 8 1 . So erhielten etwa 28 Wacke, Z u r Neugestaltung des Beamtenrechts, S. 402, 404; ders., G r u n d lagen des öffentlichen Dienstrechts, S. 85. 29 Eine ähnliche Regelung besteht auch i n BW, siehe: Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 129. 30 Dafür w o h l auch Eschenburg, Südweststaat, S. 57 f.; Schramm, Gesetzgebungshilfsdienst, S. 79, 120 ff.; dagegen: Kleinrahm, S. 157; Pikart, S. 207; Gesetzentwurf der CDU/BS Hbg, siehe: Die Welt, Nr. 281 v. 3.12. 66, S. 11. 31 Siehe oben 2. K a p i t e l unter E.

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5. Kapitel : Schlußfolgerungen

die Bundestagsfraktionen i m Jahre 1965 über 3 M i l l . D M aus dem Etat des Bundestages. Das verträgt sich voll und ganz m i t ihrer Stellung als Organ des Parlaments, zumal sie diese Gelder erhalten, um ihre parlamentarische Funktion erfüllen zu können 3 2 . Folgerichtig wäre, wenn ihr Finanzbedarf ganz aus dem Parlamentsetat bestritten würde 3 3 . Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Fraktionen auf Beiträge und Umlagen ihrer Mitglieder angewiesen sein sollen, denn diese werden ohnehin von den Diäten abgeführt, die der Staat den Abgeordneten zahlt. Das Beitragsund Umlageverfahren ist ein Relikt aus den Zeiten, i n denen man die Fraktionen lediglich als private Zusammenkünfte der Abgeordneten ansah. Wenn die Fraktionen zusätzlich noch Spenden von begüterten M i t gliedern und Freunden erhalten, so ist das einerlei, denn auch jedes andere staatliche Organ kann solche Spenden annehmen 34 . Die Vorschriften über Rechnungslegung und Rechnungsprüfung böten keine Gefahr dafür, daß von unbefugter Seite interna der Fraktion auf diese Weise ausgeforscht würden. Denn die Beträge könnten den Fraktionen als Selbstbewirtschaftungsmittel nach § 16 RHO überwiesen werden und unterlägen dann nur der beschränkten Prüfung durch den Rechnungshof, § 95 Satz 1 RHO. Die Haushaltsmittel könnten auch nach § 89 RHO von der Prüfung ausgenommen werden, was schon heute hinsichtlich der Beträge, die aus dem Parlamentsetat an die Fraktionen fließen, vielfach der Fall ist 3 5 . I m übrigen könnte eine Prüfung notfalls über unabhängige Stellen oder auch durch besondere Parlamentsorgane erfolgen. Die Stellung der Fraktion als Organ des Parlaments hat zur Folge, daß sie kein Eigentum erwerben kann, sondern daß der sachlich-gegenständliche Apparat i m Eigentum des Parlaments, bzw. des Bundes oder des Landes steht. Das bedeutet, daß auch keine Eigentumsübertragung von der Fraktion auf ihre Nachfolgerin notwendig ist. Die Gegenstände werden vielmehr vom Parlament der jeweiligen Fraktion zur Verfügung gestellt. I h r Eigentümer wechselt nicht. Lediglich bei einem Untergang der Fraktion fielen die Gegenstände an den Eigentümer zurück, wovon man jedoch die A k t e n und die persönlichen oder parteibezogenen Unterlagen ausnehmen könnte. Diese Lösung ist auch allein angemessen36. 32

B V e r f G N J W 66,1499 ff. (1504). Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 167, lehnt diese Lösung ab u n d sieht darin auch ein Argument gegen die Organqualität der Fraktionen; die hier vertretene Lösung scheint aber w e n n nicht gar folgerichtiger, so wenigstens ehrlicher, allgemein dazu: Krüger, Staatslehre, S. 269. 34 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 168. 35 So ausdrücklich die Haushaltspläne 1965 von Bay 0101/601 A n m . ; Hes 0101/301 A n m . ; Nds 0101/304 A n m . ; N W 0101/314, 316 A n m . ; SH 0101/600, 601 Anm. 36 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 163. 33

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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Denn was mit öffentlichen, oft sogar zweckgebundenen M i t t e l n erworben wurde — man denke etwa an Büromaschinen, Mobiliar und Bücher — kann nicht ohne weiteres persönliches Eigentum der Abgeordneten, also der Organwalter, werden 3 7 , was offenbar bei Untergang der DP-Fraktion i m Niedersächsischen Landtag angenommen wurde 3 8 . Entsprechendes muß auch für Forderungen und Verbindlichkeiten gelten, die für die Fraktionen entstehen. Grundsätzlich stehen die Forderungen, etwa Bankvermögen, dem Parlament zu; die Fraktion ist jedoch, so lange sie besteht, allein berechtigt, darüber zu verfügen. Aus der Organschaft der Fraktion ergibt sich, daß sie berechtigt ist, Verbindlichkeiten für das Parlament einzugehen. Die Fraktionen haben, wie oben dargestellt, Einzelregelungen getroffen, wem diese Vertretungsmacht i m einzelnen und bis zu welcher Grenze zusteht. Notwendig wäre eine Bestimmung i n den parlamentarischen Geschäftsordnungen, die den Fraktionen die rechtliche Macht zubilligt, Verbindlichkeiten für das Parlament bis zur Höhe des i m Haushaltsplan vorgesehenen Betrages einzugehen. Die augenblickliche Lösung muß als unbefriedigend angesehen werden, nicht zuletzt weil sie eine Haftungsbeschränkung gegenüber Dritten nicht erkennen läßt, und weil es so aussieht, als wäre die Fraktion das Zurechnungsendsubjekt für diese Forderungen und Verbindlichkeiten 3 9 . Ebenfalls wäre es durch entsprechende Bestimmungen der Geschäftsordnungen möglich, den Fraktionen die A k t i v - und Passivlegitimation oder wenigstens eine Befugnis zur Vertretung des Parlaments für die Rechtsbeziehungen zuzuteilen, die von ihnen begründet worden sind. I I I . Innere Ordnung der Fraktion

1. Fraktionsautonomie Die Parlamente besitzen aufgrund der Verfassungen das Recht auf autonome Regelung ihrer Organisation 40 . Wie sie sich organisieren, bleibt damit ihrer eigenen Entscheidung überlassen. Vorstellbar wäre daher, 87 38

Dazu allgemein: Krüger, Staatslehre, S. 269. U r t e i l des Nds StGH, i n Nds L T , 4. Wahlperiode, DS Nr. 1069 v. 23.1. 63.

89 Moecke, Verfassungsmäßige Stellung, S. 1681, lehnt diese Folgerungen von seinem Ausgangspunkt ab, gelangt aber über eine „Beistandspflicht des Parlaments" zu der gleichen Lösung: E r berichtet, daß auch i n der Vergangenheit schon mehrfach die Parlamente nach der Auflösung von Fraktionen f ü r deren Verbindlichkeiten eingesprungen seien; auch hier scheint die Lösung des V e r fassers wenigstens ehrlicher u n d klarer. 40

Siehe oben 3. K a p i t e l unter Β . 1.2. a).

200

5. Kapitel: Schlußfolgerungen

daß sie i n ihre Geschäftsordnungen detaillierte Bestimmungen über die innere Ordnung der Fraktion aufnähmen, etwa auch über den Erwerb und Verlust der Fraktionsmitgliedschaft. Das ist jedoch nicht geschehen, sondern die Regelung ihrer inneren Ordnung ist den Fraktionen selbst überlassen worden 4 1 . Damit haben die Parlamente einen Teil ihrer Autonomie auf die Fraktionen übertragen. Diese sind berechtigt, ihre inneren Angelegenheiten autonom zu regeln. Da der Grund für die Autonomie der Fraktionen i n der Autonomie des Parlaments liegt 4 2 , sind der Fraktionsautonomie auch die gleichen Grenzen gezogen wie der Parlamentsautonomie, nämlich Verfassung und Gesetze. So ist besonders auch A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG auf die Fraktionen entsprechend anzuwenden 43 : Die innere Ordnung der Fraktionen muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Die innere Struktur der Fraktionen muß diesen Grundsatz als einen der „gewichtigsten Aufbauelemente der staatlichen Ordnung" 4 4 berücksichtigen. Denn wenn diese Forderung für die Parteien gilt, muß sie erst recht auch für die Fraktionen gelten. Sie sind ja die „parlamentarischen Parteien" und wirken nicht nur bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, sondern sogar auch und vor allem bei seiner staatlichen Willensbildung 4 5 . Der Schluß von der inneren Ordnung der Partei auf ihren Willen, ähnliche Strukturprinzipien auch i m Staate durchzusetzen 46 , ist für die Fraktionen u m so mehr nachvollziehbar, als ihr Einfluß auf die staatliche Organisation größer ist als der der Partei. Allerdings ist an die Demokratie i m Inneren der Fraktion kein strengerer Maßstab anzulegen, als er nach dem Grundgesetz allgemein für den Aufbau des Staates gilt 4 7 . Wenn man daher trotz des Grundsatzes des freien Mandats zu einheitlichen Meinungen kommen w i l l , kann das nur auf demokratische Weise, also durch Diskussion und Abstimmung, geschehen. Die Fraktion ist das „Parlament i m Parlament" 4 8 . Wenn es ferner ein Merkmal des demokratischen Staates ist, daß die Mehrheit bei Wahlen und Abstimmungen entscheidet, ist es nicht zu beanstanden, wenn auch die Fraktionen ihre Mitglieder zu einer einheitlichen Stimmabgabe i m Plenum entsprechend dem Fraktionsbeschluß 41 42 43 44

So ausdrücklich: GO Bay § 7 I I I ; Trossmann, S. 46; Werberger, S. 201. a. M. Werberger, S. 196 ff., aber m i t unklarer Begründung. Werberger, S. 172. Kewenig, S. 839.

45

B V e r f G N J W 66, S. 1499 ff. (1504).

48

BVerfGE 2,1 ff. (14). Maunz-D., A r t . 21 RNr. 56, f ü r die innere Ordnung der Parteien.

47 48

Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 532.

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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verpflichten 49 . Das gilt besonders dann, wenn sie ihr Ziel nur so erreichen kann oder wenn sie wegen der Wichtigkeit der Entscheidung für ihre Gesamtpolitik Wert auf Geschlossenheit legt 5 0 .

2. Mitgliederausschluß Das bekannte Spannungsverhältnis, i n dem die A r t . 38 I 2 und 21 GG — und die entsprechenden Bestimmungen der Länderverfassungen — zueinander stehen, kann als eine besondere Ausformung der allgemeinen rechtsstaatlichen Problematik angesehen werden, daß nämlich zwischen dem freiheitlichen Anspruch des Individuums und den notwendigen Forderungen der Gemeinschaft an das Individuum generell unlösbare Spannungen bestehen 51 . Das weist darauf hin, daß eine Lösung nur i n der Beurteilung und Abwägung des Einzelfalles gefunden werden kann 5 2 . Es ist oben geschildert worden, daß die Fraktionen von ihren M i t gliedern eine Unterordnung verlangen und daß sich diese Unterordnung auch als notwendig, weil funktionsbedingt, aus dem Wesen der Fraktion ergibt 5 3 . Auch i n einer Demokratie ist Führung notwendig 5 4 und Führung verlangt nach einem einheitlichen Auftreten und Handeln 5 5 . Dennoch darf diese Unterordnung nicht zu einer sklavischen Gefolgschaft werden. Die Fraktion muß somit grundsätzlich zwar auch die Möglichkeit haben, sich von den Mitgliedern zu trennen, die für sie eine Be49 Bergsträsser, L., Problematik, S. 8; Crick , S. 96; ν. Gerlach, S. 35 ff., 40; Henke, S. 112 ff.; Kafka, S. 65; Martens, S. 865; Reif, S. C 34 f., spricht i n diesem Zusammenhang von Geboten der „fairness des politischen Verkehrs". 50 Dreher, S. 662; Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 222; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 337; diese B i n d i m g k a n n zur Verzerrung des Abstimmungsergebnisses i m Plenum führen, w e n n etwa innerhalb der Mehrheitsfraktion ein V o r schlag der Opposition n u r m i t wenigen Stimmen abgelehnt w i r d ; dazu Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 500; die von Martens, S. 867, vorgeschlagene Lösung — Anzeige „knapper" Ergebnisse bei Fraktionsabstimmungen u n d anschließende obligatorische geheime A b s t i m m u n g i m Plenum — ist zu befürworten; dazu auch Kremer, S. 96 f. 51 Ähnlich: Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 499. 52 Ähnlich: Schule, S. 114 f.; nach Thoma, das Reich als Demokratie, S. 199 f., gehört es „ z u m Wesen des Staates überhaupt", daß abzuwägen u n d zu entscheiden ist, „daß jede Maßregel irgendwelche Interessen verletzt u n d Gegenmeinungen v e r w i r f t u n d daß i n der Demokratie i m m e r h i n doch n u r die M e h r heit über die Minderheit herrscht". 58 Geller-Kleinrahm-Fleck, S. 222; υ. Mangoldt-Klein, A r t . 38 A n m . I V 4 b ; Maunz-D., A r t . 21 RNr. 96; dazu auch Michels, S. 38 ff. 54 Friedrich, Demokratie, S. 18 ff.; Leibholz, Juristentag, S. C 21; Lohmar, S. 118; Max Weber, S. 52 f. 55 Forsthoff, Parteien, S. 21; siehe dazu auch oben i m 2. K a p i t e l unter D. I.

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5. Kapitel: Schlußfolgerungen

lastung darstellen 56 . Dieses Interesse der Fraktion ist aber abzuwägen gegen das Interesse des Abgeordneten an seiner Zugehörigkeit zur Fraktion, das gerade deshalb sehr erheblich ist, weil der „ w i l d e " Abgeordnete für die parlamentarische Arbeit ohne nennenswerte Bedeutung ist. So darf nicht jede abweichende Meinungsäußerung einen Ausschlußgrund darstellen, sondern nur eine solche, die zu einer groben, objektiven Schädigung der Fraktion führt 5 7 . So kann etwa der Parteiausschluß als solcher nicht automatisch zum Ausschluß aus der Fraktion führen. I n der Regel w i r d jedoch schon das Fraktionsinteresse selbst gebieten, m i t Ausschlüssen sehr sparsam zu verfahren, denn jeder Ausschluß mindert die Stärke der Fraktion und damit ihre Bedeutung i m Parlament 5 8 . Demokratisch rechtsstaatliche Prinzipien verlangen auch, daß Ausschlüsse nicht willkürlich erfolgen dürfen und daß die Grundsätze eines geordneten Verfahrens zu wahren sind, etwa i n der Gewährung rechtlichen Gehörs 59 . Auch verbieten sie, daß der Ausschluß nur durch den Vorsitzenden oder den Vorstand der Fraktion erfolgt. Damit interne Auseinandersetzungen i n der Fraktion nicht m i t diktatorischen Mitteln verhindert werden können, dürfen Fraktionsausschlüsse nur m i t (absoluter, qualifizierter) Mehrheit i n der Fraktionsversammlung beschlossen werden 60 . 3. Fraktionszwang

61

Zum Schluß scheinen noch einige Bemerkungen zum Thema „Fraktionszwang" geboten. Die Skala dessen, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, ist sehr breit. Sie reicht, wie schon erwähnt wurde, von der gezielten Information bis zur Anwendung physischer Gewalt 6 2 , u m den Abgeordneten zu einem Verhalten zu veranlassen, das vorher von der Fraktion festgelegt worden ist 6 3 . Bei einer ernsthaften und undemagogischen Diskussion um den Begriff des Fraktionszwanges kann es nur 58

Dreher, S. 663; Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 498; Henke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 19; Kaufmann, Grundtatsachen, S. 21; L a i m , Fraktionszwang, S. 184; Lebenstein, S. 133; Maunz, § 11 I I 3; S. 74 f.; Maunz-D A r t . 38 RNr. 21; Nebinger, S. 191. 57 BVerfGE 10,4 ff. (15). 58 Dazu Einzelheiten bei Obermann, S. 52 ff. 59 So für die innere Ordnung der Parteien: Leibholz, Parteienstaat, S. 118. 80 So ist auch die W i r k l i c h k e i t der Fraktionen, siehe oben i m 2. K a p i t e l unter C. I. 3. u n d D. I I I . 81 Dazu: Bauer, Der Fraktionszwang, Dissertation Mainz 1956; Dreher, passim; υ. Mangoldt, Fraktionszwang, passim. 82 υ. Gerlach, S. 39, w i l l sogar solche Methoden bei den Nationalliberalen i m Reichstag des Kaiserreichs beobachtet haben. 83 Lebenstein, S. 133; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 337; Schule, S. 111 f.

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

203

u m die Frage gehen, ob überhaupt eine Beeinflussung der freien Willensentscheidung des Abgeordneten durch die Fraktion zulässig ist und, wenn ja, i n welchen Grenzen. U m die Untersuchung nicht ins Theoretische abgleiten zu lassen, soll nicht behandelt werden, ob die den Abgeordneten bindende Weisung der Fraktion für sich genommen schon Fraktionszwang ist, unabhängig davon, daß der Abgeordnete ihr von vornherein zustimmt, die konkrete Weisung vielleicht sogar selbst veranlaßt hat 6 4 . Es sollen vielmehr nur die Fälle untersucht werden, i n denen die Frage der Recht- oder Unrechtmäßigkeit einer Maßnahme der Fraktion aktuell wird, wenn nämlich die Fraktion Druck auf den Abgeordneten ausübt, und dieser sich beugt, oder wenn dieser sich nicht beugt und die Fraktion dann ihre Konsequenzen zieht. Schon hier zeigt sich, daß von Fraktionszwang nur gesprochen werden kann, wenn die Fraktion eine Maßnahme ergreift, um die freie Entscheidung des Abgeordneten zu korrumpieren. Dabei bezeichnet man gemeinhin als Fraktionszwang immer nur die der Durchführung der Maßnahme vorausgehende Drohung. Beides muß aber als Einheit gesehen werden: Wenn die Androhung der Maßnahme verfassungswidrig sein soll, dann muß dies erst recht auf ihre Ausführung zutreffen. I m Vorstehenden wurde erarbeitet, daß die Fraktion Autonomie besitzt, daß sie i n der Lage sein muß, dissentierende Mitglieder auszuschließen, und daß sie ferner allgemein die Aufgabe hat, die Abgeordneten zu informieren und zusammenzufassen. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, daß nicht alle Maßnahmen der Fraktion verfassungswidrig sein können, die eine Beeinflussung der Meinung des Abgeordneten zum Ziel haben 65 . Es versteht sich auch von selbst, daß bei der Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten die rechtmäßigen von den unrechtmäßigen Maßnahmen nicht enumerativ getrennt werden können. Es kann vielmehr nur jeder Einzelfall für sich beurteilt werden und es gilt, eine Faustregel zu finden, die den Maßstab abgeben kann. Hier bietet sich der Gedanke an, der der Bestimmung des § 240 des Strafgesetzbuches zugrunde liegt: Verfassungswidriger Fraktionszwang — und nur das soll hier als Fraktionszwang bezeichnet werden — liegt dann vor, „wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des 64 Diese mehr theoretischen Fragen untersucht Bauer, siehe seine Einleitung auf S. 1. 65 Forsthoff, Parteien, S. 21; Friesenhahn, S. 24; v. d. Heydte, Soziologie, S. 69, meint sogar, daß bei richtiger A n w e n d u n g des Fraktionszwanges dieser der E r f ü l l u n g der Aufgabe der F r a k t i o n — Ausgleich „kleinerer" Gegensätze — dient; dazu auch Crick , S. 12: party discipline is necessary i f there is to be a coherent development of policy; a. M. Bauer , S. 66.

204

5. Kapitel: Schlußfolgerungen

Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist" 6 6 . Wenn etwa ein Abgeordneter den A r m eines Fraktionskollegen gewaltsam herunterreißt, weil dieser ihn bei einer Abstimmung infolge eines Mißverständnisses zum falschen Zeitpunkt erhoben hat, so ist kein Fraktionszwang gegeben. Ebenso ist die Drohung mit der Abberufung aus einem Ausschuß dann kein Fraktionszwang, wenn damit erreicht werden soll, daß der betreffende Abgeordnete i m Ausschuß die Meinung der Fraktion vertritt, weil dieses ja gerade zu seinen Aufgaben als Ausschußmitglied gehört. Dagegen liegt Fraktionszwang vor, wenn private Nachteile für den Fall eines bestimmten Abstimmungsverhalten angedroht werden 6 7 . Zu diesen privaten Nachteilen gehört allerdings wiederum nicht der Verlust der Vorteile, die sich für den Abgeordneten aus seinem Status ergeben. So ist sogar die Drohung damit, daß der Abgeordnete nicht wieder aufgestellt werden würde, zulässig 68 . Unzulässig dagegen ist die Drohung m i t Übeln und die Anwendung von Pressalien, die mit der zu treffenden Sachentscheidung oder allgemein m i t dem Abgeordnetenberuf nichts zu tun haben 69 . Es geht letztlich immer u m die Frage, was hinsichtlich der Ausübung des Mandats noch als „sozialadaequat" angesehen werden muß und was nicht mehr. Dabei ist davon auszugehen, daß der Abgeordnetenberuf nicht ein „Job" ist, der lediglich der Diäten wegen ausgeübt w i r d 7 0 . Alle Drohungen m i t Nachteilen für die gegenwärtige oder zukünftige Stellung des Abgeordneten sind zulässig, sozialadaequat für den Lebens- und Wirkungsbereich des Abgeordneten, w e i l sie durch den Kampf der Meinungen i m Parlament bedingt sind 7 1 . Wer den Status eines Abgeordneten erstrebt (hat), kann sich den Kämpfen und Auseinandersetzungen nicht entziehen, die m i t diesem A m t notwendig verbunden sind. Es ist dem Abgeordneten zuzumuten, daß er bei seiner Meinung bleibt, notfalls auch für den Preis, daß er nicht wieder aufgestellt wird. Dabei ist jedoch klarzustellen, daß es ein legitimer Grund sein kann, sich der Fraktionsraison zu beugen 72 . Denn der ββ Ä h n l i c h w o h l auch: Henke, S. 117 f.; ders., i n : Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 19; Martens, S. 865 f. 67 Martens, S. 865. 68 Henke, S. 116. 89 v. Gerlach, S. 35 ff. 70 Dazu: Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 514 ff.; Laun, Fraktionszwang, S. 193 f.; Max Weber, S. 45,155. 71 Dazu Dreher, S. 663; Henke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 21 RNr. 19; Theodor Heuß, i n : Handbuch des deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode, 1949, S. 8; das B V e r G sagt i n seiner Entscheidung i m 10. Bd., S. 4 ff. (14), einschränkend, daß die Beschränkung der Freiheit des Abgeordneten zulässig sei, soweit sie zur Sicherung des Ablaufs der parlamentarischen A r b e i t geboten sei u n d die grundsätzliche Entscheidungsfreiheit u n d Selbstverantwortung des Abgeordneten erhalten bleiben. 72 Michels, S. 192 f. : „Die Meinungsfreitheit g i l t nichts, w o die Organisation gemeinsam Effekt erfordert."

Β. Lösungsmöglichkeiten anfangs aufgezeigter Probleme

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Abgeordnete setzt i n der Regel das Wohl der Fraktion m i t dem Gemeinwohl, wie er es versteht, gleich und kann das auch, da es keinen objektiven Maßstab dafür gibt, was Gemeinwohl ist. Es kann das oberste Ziel eines Abgeordneten, dem er auch seine i m Einzelfall andere Meinung opfert, sein, seiner Partei zum Siege zu verhelfen, um auf diese Weise den nach seiner Auffassung richtigen Personen die Regierungsgeschäfte zu übertragen 73 .

73 Dreher, S. 663; Friesenhahn, S. 24; Kremer, S. 91; v. Mangoldt, Fraktionszwang, S. 337; Radbruch, Die politischen Parteien, S. 293; Thoma, Parlamentarismus, S. 116; auch Fellowes, S. 39 f.; dagegen: Leibholz, Juristentag, S. C 7 f.

Ergebnisse 1. Fraktionen sind seit 1848 die entscheidenden Kräfte i n den deutschen Parlamenten. 2. Fraktionen erfüllen eine Funktion, die sie für jede verfassungsmäßige, effektive parlamentarische Arbeit notwendig macht. Andere Abgeordnetengruppen als die Fraktionen können diese Funktion nicht übernehmen. 3. Nicht das Plenum, sondern die Fraktionen sind es, die die eigentlichen Aufgaben des Parlamentes wahrnehmen. Sie machen das Parlament funktionsfähig und übernehmen seine verfassungsrechtlichen A u f gaben. Dabei fällt den Regierungsfraktionen die parlamentarische Funktion „Mitregierung" zu und den Oppositionsführern die Funktion der öffentlichen Kontrolle der Regierung. 4. Die Fraktion ist rechtlich als Organ des Parlamentes zu qualifizieren. 5. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: a) Die Fraktionen haben keine eigenständigen Rechte und Pflichten, sondern sie sind nur Bezugspunkte für Zuständigkeitsregelungen der parlamentarischen Organisation. b) Die Wahrnehmung der materiell verfassungsrechtlichen Aufgaben des Parlaments durch die Fraktionen modifiziert das Gewaltenteilungsprinzip. c) Die Anerkennung der Fraktion als Organ des Parlaments beseitigt die Einwände gegen die Vereinbarkeit von repräsentativer Demokratie m i t modernem Parlamentarismus. d) Fraktionen unterliegen dem Grundsatz der „personellen Diskontinuität". e) Es bestehen keine Rechtsbeziehungen zwischen der Fraktion und ihrem Apparat, sondern nur zwischen diesem und dem Parlament. Die Fraktion ist aber allein zuständig für die Wahrnehmung der sich aus diesen Rechtsbeziehungen ergebenden Befugnissen des Parlaments. f) Die Fraktion besitzt Autonomie zur Regelung ihrer inneren A n gelegenheiten, die von der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments abgeleitet ist. Ihre innere Ordnung muß demokratischrechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen.

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Zitierweise Parlamentsmaterialien Versammlung ( = Parlamentsbezeichnung Land), Legislaturperiode (arabisch)./ Session (römisch)., Jahreszahl (wenn nötig), Sten.Ber./DS, Sitzung/Nr. Bd., S.

218 Parlamentarische

Literaturverzeichnis Geschäftsordnungen

GO Versammlung ( = Parlamentsbezeichnung Land) §/Art. Fraktionssatzung Versammlung (Parlamentsbezeichnung person

Land)/Fraktionsname

§/Auskunfts-

Gesetze — des Bundes: Gesetzbezeichnung — des Landes: L a n d Gesetzbezeichnung — Gesetze, die die Entschädigung der Abgeordneten f ü r ihre parlamentarische Tätigkeit regeln, werden allgemein „Diätengesetze" genannt. — römische Ziffer: Absatz, arabische Ziffer: Satz. Literatur Wörtliche Zitate werden durch Anführungszeichen gekennzeichnet.