Weltrechtspflege: Eine Untersuchung über die Entgrenzung staatlicher Strafgewalt [1 ed.] 9783428521388, 9783428121380

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Weltrechtspflege: Eine Untersuchung über die Entgrenzung staatlicher Strafgewalt [1 ed.]
 9783428521388, 9783428121380

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KLAUS FERDINAND GÄRDITZ

Weltrechtspflege

Schriften zum Völkerrecht Band 166

Weltrechtspflege Eine Untersuchung über die Entgrenzung staatlicher Strafgewalt

Von Klaus Ferdinand Gärditz

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-12138-4 978-3-428-12138-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Es ist unübersehbar, dass sich das Völkerrecht seit dem Ende des Kalten Krieges in einer bislang ungebremst dynamischen Entwicklung befindet, die jede rechtsdogmatische Systembildung vor erhebliche Herausforderungen stellt. Die Spannungen zwischen rechtskultureller Diversifikation und Universalismus, zwischen fortschreitender völkerrechtlicher Institutionalisierung und Dezentralisierung, zwischen internationaler Kooperation und einseitig-interventionistischer Determination treten immer offener hervor und entladen sich in einer in ihren Kommunikationschancen und -zusammenhängen fortschreitend globalisierten Weltgesellschaft. Mit besonderer Deutlichkeit zeigt sich dies im Strafrecht, das trotz seines traditionell territorial begrenzten Anspruchs, die jeweils zentralen kulturellen Wert- und Ordnungsvorstellungen einer Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen, die Etablierung einer institutionalisierten internationalen Strafgerichtsbarkeit einerseits und die einseitig determinierte universelle Ausdehnung staatlicher Strafgewalt andererseits zu erfassen und zu bewältigen hat. Die Abgrenzung staatlicher Regelungsgewalt wird angesichts immer offener zutage tretender (rechts)kultureller Bewertungskonflikte zukünftig zur zentralen Frage des Völkerrechts werden. Die vorliegende Untersuchung ist das Produkt eines Mitte 2003 in Angriff genommenen Vorhabens, anlässlich des Inkrafttretens des deutschen Völkerstrafgesetzbuches im Jahre 2002 den Stand völkerrechtlicher Dogmenbildung staatlicher Weltrechtspflege einer kritischen Analyse zu unterziehen und die Möglichkeiten einer innerstaatlichen Implementierung unter dem Grundgesetz auszuloten. Das Buch ist größtenteils während meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in Bonn in den Jahren 2003 und 2004 entstanden. Die entscheidenden Impulse und Anregungen verdanke ich nicht zuletzt meiner Mitarbeit an dem von Jörg Menzel Tobias Pierlings und Jeannine Hoffmann herausgegebenen Bonner Gemeinschaftsbuchprojekt »Völkerrechtsprechung 4. Das Manuskript der vorliegenden Untersuchung wurde im September 2005 abgeschlossen. Veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur wurden, soweit möglich, im Wesentlichen bis Januar 2006 berücksichtigt. An erster Stelle möchte ich meiner lieben Frau, Kyoung-Hee Lee-Gärditz, die die zeitintensive Entstehung dieses Buches in der während einer Anwaltstätigkeit ohnehin begrenzten Freizeit fortwährend und maßgeblich unterstützt hat, herzlichst danken. Großer Dank gebührt weiterhin Herrn Rechtsanwalt Arnold Boesen, der während meiner unvergessenen Tätigkeit in seiner Bonner Anwaltskanzlei in vielfältiger Weise immer auch auf meine (mitunter eigenwilligen) wissenschaftlichen Bedürfnisse größtmögliche Rücksicht genommen und dadurch die Entstehung die-

Vorwort

6

ses Buches erst ermöglicht hat. Mein verehrter akademischer Lehrer, Prof. Dr. Wolfgang Kahl, M. A., an dessen Bayreuther Lehrstuhl ich nunmehr seit Ende 2004 tätig sein darf, hat den unbeschwerten Abschluss des vorliegenden Buches in vielfältiger Weise unterstützt, wofür ich auch ihm ganz herzlich danken möchte. Für die mühevolle, zeitintensive und kritische Durchsicht des Manuskripts, ohne die ein Bündel geleimtes Papier nie zu einem Buch hätte werden können, gebührt ganz herzlicher Dank meinem Vater, Herrn StD Hans-Peter Gärditz, sowie Herrn RiOVG Dr. Klaus Frey. Für die stets anregende Diskussion und die vielfältigen Hinweise darf ich schließlich insbesondere meinem verehrten Bonner Doktorvater, Prof. Dr. Hans-Ullrich Paeffgen, Herrn Dr. Jörg Menzel sowie Herrn Wiss. Mit. Holger Essig (Maître en Droit) danken. Bayreuth, Februar 2006

Klaus Ferdinand Gärditz

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

Teil 1 Ideengeschichte der Weltrechtspflege I. Internationales Strafrecht des Römischen Reiches IL Das Strafrecht des mittelalterlichen Personenverbandsstaates

34 34 37

m . Islamischer Universalismus und Territorialisierung seit dem Mittelalter

40

IV. Das internationale Strafrecht in Lehre und Staatspraxis im spätmittelalterlichen Oberitalien

41

V. Die Verfestigung des Tenitorialstaats VI. Gesellschaftsvertragliche Staatsmodelle VII. Erste Beschreibungen der Weltrechtspflege bei Covarnivias, Grotius und Vattel VIII. Die Lehre vom strengen Territorialitätsprinzip bei Huber, Story und Wolff IX. Rationale Begrenzung des Staates seit der Aufklärung X. Auf dem Weg zu den ersten Weltrechtsdelikten

43 47 50 53 54 58

1. Die Piraterie

59

2. Die Sklaverei

61

XI. Territorialität und Weltrecht im 19. Jahrhundert

65

1. Zunahme an Auslandsberührungen und europäische Kulturhegemonie

65

2. Territorialprinzip, bürgerliche Gesellschaft und politischer Liberalismus

69

nsverzeichnis 3. Staat und Territorialität bei Hegel

72

4. Die historische Rechtsschule und ihre international-strafrechtliche Rezeption durch Abegg

73

5. Das angloamerikanische Territorialprinzip

74

6. Die kosmopolitische Lehre und das Weltstrafrecht

78

a) Der kosmopolitische Ansatz (von Mohl)

79

b) Koordiniertes Weltrecht und Verbrechen gegen das Völkerrecht (von Martitz)

80

c) Der Staat im Dienst universeller Normen (Heinze)

81

4

d) Die Lehre vom »natürlichen Verbrechen (Harburger und Schmid)

84

7. Die theoretische Rezeption und Diskussion des Weltrechtspflegegedankens in der zeitgenössischen Literatur

85

a) Die staatliche Kompetenz-Kompetenz (Binding)

85

b) Die staatstheoretische Kritik am Weltrechtsprinzip bei von Rohland

86

c) Köstlins Territorialitätsdogma: Eine deutsche Antwort auf Story

87

d) Das Konzept des internationalen Rechtsguts (von Liszt)

88

e) Einsichten in die Notwendigkeit der Begrenzung

89

XII. Der Bedeutungsverlust des Weltrechtsprinzips seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert

90

xni. Folgewirkungen des Ersten Weltkriegs und die Debatte um eine internationale Strafgerichtsbarkeit XIV. Totalitarismus und Entterritorialisierung XV. Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes XVI. Nürnberger Prozesse: ein Wendepunkt?

96 99 100 102

XVII. Die fehlende Durchsetzung des Weltrechtsprinzips in der Nachkriegsentwicklung 106 XVIII. Die Völkermordkonvention und das vorläufige Ende eines Universalstrafrechts XIX. Der Fall Eichmann: Weltrechtsprinzip und Menschlichkeitsverbrechen

109 111

nsverzeichnis XX. Neuere Entwicklungen: Von der Terrorismusbekämpfung bis zum Fall Pinochet XXI. Eine Zwischenbetrachtung

9

112 117

Teil 2 Weltrechtspflege und Völkerrecht

119

Abschnitt 1 Extraterritoriale Strafrechtspflege als Intervention I. Weltrechtspflege als Intervention

121 121

1. Primärverfolgungsrecht des Tatortstaates

127

2. Weltrechtspflege als Störung fremder Regelungsgewalt

132

II. Ansätze sachimmanenter Rechtfertigung

134

1. Menschlichkeitsverbrechen als Angelegenheit aller Staaten

134

2. Staatliches Interesse als Rechtfertigungsgrund?

137

3. Internationalisierung des Interesses?

139

4. Weltrechtspflege und Friedensordnung

144

Abschnitt 2 Völkerrechtliche Legitimation der Weltrechtspflege I. Volkerrechtliche Verträge

153 153

1. Stellvertretende Strafrechtspflege

155

2. Aut-dedere-aut-punire-Klauseln

160

3. Resümee

163

II. Volkergewohnheitsrecht 1. Staatenpraxis

163 169

nsverzeichnis 2. Hilfsquellen zur Feststellung von Volkergewohnheitsrecht

196

a) Die Rechtsprechung internationaler Gerichte bis zum Fall Kongo gegen Belgien 196 b) Draft Code on Crimes Against the Peace and Security of Mankind 3. Würdigung HI. Prinzipiengeleitete Interpretation der Figur der Weltrechtspflege

200 203 211

1. Universelle Verfolgung der Piraterie als Grundmodell?

215

2. Akzessorietät zur Verantwortlichkeit nach Völkerstrafrecht?

218

3. Fremdenrechtliche Begründungsansätze?

219

4. Repressalienmodell: Reaktion auf Rechtsverletzung erga omnes?

221

a) Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Pflichten erga omnes

226

b) Pflichten erga omnes und Repressalienrecht von Drittstaaten

230

c) Funktion von Gegenmaßnahmen und strafbares Individualverhalten

236

d) Funktionalität der Repressalie und abstrakter Normgeltungsschutz

243

e) Repressalie und präventive Einmischung durch Rechtssetzung

245

f) Zwischenergebnis

248

5. Territoriale Störungsverantwortung, Verfolgungspflicht und Missbrauch territorialer Selbstbestimmung 249 a) Territoriale Störungsverantwortung und Verfolgungspflicht

250

aa) Die allgemeine Verfolgungsverantwortlichkeit des Tatortstaats

250

bb) Gegenständliche Störung und internationale Betroffenheit

253

cc) Zwischenergebnis

257

b) Territoriale Verfolgungszuständigkeit und Rechtsmissbrauch

257

6. Begrenzung des Interventionsmandats durch allgemeine Proportionalitätserwägungen 263 a) Völkerrechtliche Abwägungsoffenheit und Prinzipien des Strafanwendungsrechts

267

b) Belastungswirkung und Bezug zum Forumsstaat als entscheidende Determinanten 270 c) Behinderung diplomatischer oder internationalisierter Konfliktlösungen 272 d) Alternative Erledigungsformen

273

nsverzeichnis

11

e) Voraussetzung innerstaatlicher Durchsetzungschance

280

f) Die begrenzte Kognitionskompetenz staatlicher Strafgerichte

281

7. Weltstrafrechtspflege in absentia?

282

8. Immunitäten

285

9. Pflicht zur Weltrechtspflege?

290

IV. Ergebnis

292

V. Tatbestände des Weltrechtsprinzips

294

1. Die Piraterie als historischer Prototyp der Weltrechtspflege

294

2. Kriegsverbrechen: Schwere Verletzungen der Genfer Konventionen

295

3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit

297

a) Sklavenraub und Sklavenhandel

298

b) Völkermord

299

c) Folter

301

d) Der allgemeine Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit

303

4. Ein Sonderfall: Währungsfalschung

305

5. Neue Fallgruppen

305

a) Der internationale Rauschgifthandel

306

b) Umweltverschmutzungen

308

c) Harte Pornographie

310

d) Internationaler Terrorismus

310

Teil 3 Weltrechtspflege und Grundgesetz

314

Abschnitt 1 Weltrechtspflege und verfassungsrechtliche Strafzwecklehre I. Rationale Zwecksetzung als Ausdruck moderner Rechtsstaatlichkeit II. Zweckakzessorietät zum Völkerstrafrecht?

316 316 319

nsverzeichnis HI. Strafzwecklehre und Verfassung

321

1. Spezialprävention

323

2. Absolute Strafbegründungen

324

3. Negative Generalprävention

326

. 4. Positive Generalprävention

332

5. Genugtuung für die Opfer, Befriedung der Allgemeinheit?

337

6. Vergangenheitsbewältigung

338

IV. Strafzweckverfolgung und Demokratieprinzip

342

V. Gewaltenteilungsrechtliche Grenzen der Strafzweckverwirklichung: Auswärtige Gewalt und Straf justiz 345 VI. Resümee

348

Abschnitt 2 Weltrechtspflege und Nulla-poena-Satz I. Normativer und soziologischer Geltungsbegriff II. Anforderung des Art. 103 Abs. 2 GG an eine Normgeltung

350 351 355

1. Strafrechtliches Vorverständnis in der Verfassungstradition

357

2. Extraterritoriale Strafrechtssetzung in der Rechtsprechung des BVerfG

360

a) Die Entscheidung zur Strafbarkeit der DDR-Spione

360

b) Der Völkermordbeschluss

364

3. Teleologische Rekonstruktion

366

a) Subjektive Vorhersehbarkeit

368

b) Objektiv-rechtsstaatliche Funktion

373

HI. Relativierung durch Öffnung der Verfassungsstaatlichkeit?

379

IV. Menschenwürde als kollidierendes Verfassungsrecht?

380

V. Immanente Gerechtigkeitsgrenzen des Art. 103 Abs. 2 GG?

382

nsverzeichnis VI. Keine Flucht in das Schuldprinzip

13 389

VII. Art. 103 Abs. 2 GG und die verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte der Weltrechtspflege 393 1. Akzessorietät zum Tatortstrafrecht a) Nachträglicher Anschluss an das Tatortrecht und Art. 103 Abs. 2 GG

395 395

b) Rechtsquellenlehre des Tatortstaates, autonome und externe Norminterpretation 396 2. Keine innerstaatliche Wirkung rein völkerrechtlicher Bindungen

402

3. Akzessorietät zum Völkerstrafrecht

403

a) Verständigung über Grundwerte

406

b) Surrogate effektiver Zwangsanwendung

408

c) Konsequenzen

411

V m . Ein Sonderfall: Piraterie und Hohe See IX. Verfassungsänderung als Ausweg X. Resümee

414 414 418

Abschnitt 3 Rechtsstaatliche Verfahrensgarantien I. Ne bis in idem II. Mitwirkung an auswärtiger Weltrechtspflege HI. Strafprozessuale Problemstellungen

425 425 .... 426 428

Schlussbetrachtung

436

Literaturverzeichnis

445

Sachwortverzeichnis

512

Abkürzungsverzeichnis ABIEG/EU ACHR AJIL ALR AnMexDI Anti-ApartheidsK

Anti-FolterÜK

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft/Union American Convention on Human Rights American Journal of International Law Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anuario Mexicano de Derecho Internacional International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid, Resolution der UN-Vollversammlung v. 30. November 1973, A/RES/3068 (XXVIII) Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247)

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

APJHRL

Asia-Pacific Journal on Human Rights and the Law

ArabLQ

Arab Law Quarterly

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet v. 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1590), zuletzt geändert durch G. v. 14. März 2005 (BGBl. I S. 721).

AufenthaltsG

AVR

Archiv für Völkerrecht

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVerfGHE

Amtliche Sammlung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

BDGVR

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

BerlVerfGH

Berliner Verfassungsgerichtshof

Beschl.

Beschluss

BFH

Bundesfinanzhof

BFHE

Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesfinanzhofs

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Amtliche Sammlung des Bundesgerichthofs in Strafsachen

BT-Drs.

Bundestags-Drucksachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerfG-K

Bundesverfassungsgericht (Kammerentscheidung)

Abkürzungsverzeichnis BYIL

British Yearbook of International Law

CalLR

California Law Review

15

CETS

Council of Europe Treaties Series

ChE

Verfassungsentwurf des Herrenchiemseer Konvents

ChVN

Charta der Vereinten Nationen

CJIL

Chinese Journal of International Law

CLF

Criminal Law Forum

ColumbJTL

Columbia Journal of Transnational Law

ColumbLR

Columbia Law Review

CornellHJ

Cornell International Law Journal

CrimAppRep

Criminal Appeal Reports

DiplomatenSchutzÜK

DStR

Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Persons, including Diplomatic Agents) vom 14. Dezember 1973 (BGBl. 1976 H S. 1446) Deutscher Juristentag Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Steuerrecht

DukeJCIL

Duke Journal of Comparative & International Law

DV

Die Verwaltung

DVB1.

Deutsche Verwaltungsblätter

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EHRLR

European Human Rights Law Review

EinheitsÜK

Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe (Single Convention

DJT DÖD DÖV

on Narcotic Drugs) vom 23. März 1961 (BGBl. 1973 H S. 1354). EJCrimCU

European Journal of Crime, Criminal Law & Criminal Justice

EJIL

European Journal of International Law

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte

Emory ILR

Emory International Law Review

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

Entsch.

Entscheidung

EPIL

Encyclopedia of Public International Law, herausgegeben von Rudolf Bernhardt

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht

EurRevPublL

European Review of Public Law

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

FG

Festgabe

FinnYIL

Finnish Yearbook of International Law

16

Abkürzungsverzeichnis

Fletcher Forum

The Fletcher Forum of World Affairs

FlüchtlingsAbk

Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 I I S. 560)

FordlLJ

Fordham International Law Journal

FS

Festschrift

FW

Friedenswarte

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. August 1949 (BGBl. 1954ÜS. 783)

GAI

GAU GA m GAIV GA-ZPI GA-ZP n

GedS GeorgtownLJ GFK GRC GWB GYIL HaagLuftfahrtzeugÜK

HansOLG HarvHRJ HarvELJ HarvLR

Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See vom 12. August 1949 (BGBl. 1954 n S. 813) Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 (BGBl. 1954 H S. 838) Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (BGBl. 1954 I I S. 917) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8. Juni 1977 (BGBL 1990 U S. 1551) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll H) vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 U S. 1637) Gedächtnisschrift Georgetown Law Journal Genfer Flüchtlingskonvention Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) German Yearbook of International Law (Den Haager) Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrtzeugen (Convention fort he Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft) vom 16. Dezember 1970 (BGBl. 1972 I I S. 1506) Hanseatisches Oberlandesgericht Harvard Human Rights Journal Harvard International Law Journal Harvard Law Review

HGR

Handbuch der Grundrechte, hrsg. von Detlev Merten ! Hans-Jürgen Papier

HistZ

Historische Zeitschrift

HRLJ

Human Rights Law Journal

HRLR

Human Rights Law Review

HRQ

Human Rights Quarterly

HRRS

Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht

Abkürzungsverzeichnis

17

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts, hrsg. von Josef Isensee /Paul Kirchhof

HumVR

Humanitäres Volkerrecht

IACHR

Inter-American Court of Human Rights

ICJ Reports

International Court of Justice Reports

ICLDS

International Criminal Law Documents Supplement, herausgegeben von Paust/Bassiouni/Scharf/Gurule/Sadat/Zagaris/Williams

ICLQ

International and Comparative Law Quarterly

ICTY

International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia

IGH

Internationaler Gerichtshof

IGH-Statut

Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 H, S. 505) International Journal of Human Rights International Law Association International Law Commission

IJHR ILA ILC ILC Draft 2001

ILC Yearbook ILF ILM ILP ILR IMT IMTFE

International Law Commission Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, in: Report of the International Law Commission on the Work of its 53 th Session (UN-Doc. A / 5 6 / 1 0 [Supplement No. 10], Chapter IV, E.l) Jahrbuch der International Law Commission International Law Forum du droit international International Legal Materials International Law and Politics International Law Reports International Military Tribunal (= Nürnberger Strafgerichthof) International Military Tribunal for the Far East

IntRuD

Internationales Recht und Diplomatie

IPbürgR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom

IPRax

Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

Israel YHR IStGH-Statut

Israel Yearbook of Human Rights Statut des Internationalen Strafgerichtshof vom 17. Juli 1998 = »Römisches Statut4 (UN-Doc. A/CONF.183/9 = BGBl. 2000 ü S. 1394). Journal of African Law

(= Strafgerichtshof von Tokoyo)

19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534)

JAL JChineseL

Journal of Chinese Law

JHIL

Journal of History of International Law

JICJ

Journal of International Criminal Justice

JöR

Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart

JPakiHistS

Journal of the Pakistan Historical Society

JR

Juristische Rundschau

2 Gärditz

18

Abkürzungsverzeichnis

JRE

Jahrbuch für Recht und Ethik

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KG

Kanunergericht

KRG

Kontrollratsgesetz

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

KritZRG

Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung

LJIL

Leiden Journal of International Law

LK

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch

LNTS

League of Nations Treaties Series

LRTWC

Law Reports of Trials of War Criminals

LouisLR

Louisiana Law Review

Max Planck Yb.UNL

Max Planck Yearbool of United Nations Law

McGillLJ

McGill Law Journal

MedR

Medizinrecht

MelbourneJIL

Melbourne Journal of International Law

MilitLR

Military Law Review

MinnesLR

Minnesota Law Review

MitKommGG

Umbach I Clemens, Mitarbeiterkommentar

MLR MontrealZivilluftfahrtÜK

Modern Law Review (Montrealer) Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher

zum Grundgesetz

(siehe Literaturverzeichnis)

Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil MüKo-StGB m. w. Nachw.

Aviation) vom 23. September 1971 (BGBl. 1977 I I S. 1230) Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch mit weiteren Nachweisen

NELR

New England Law Review

NieZIR

Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht

NILR

Netherlands International Law Review

NJ

Neue Justiz

NJIL

Nordic Journal of International Law

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK-StGB

Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch

NordÖR

Norddeutsches Öffentliches Recht

NQHR

Netherlands Quarterly of Human Rights

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport

NWVerfGH

Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen

NZZ

Neue Züricher Zeitung

Abkürzungsverzeichnis

19

OLG

Oberlandesgericht

PCIJ

Permanent Court of International Jurisdiction (—• StIGH)

PCIJ Series

Amtliche Entscheidungssammlung des Permanent Court of International Jurisdiction (—• StIGH) Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 I I S. 1551) Übereinkommen über psychotrope Stoffe (Convention on psychotropic substances) vom 21. Februar 1971 (BGBl. 1976 I I S. 1478)

ProtlGK

PsychStoffÜK

RBDI

Revue Beige de droit international

RDI

Rivista di Diritto Internazionale

RdC

Recueil des Cours de L'Académie de Droit International

RDPC

Revue de droit pénal et de criminologie

Restatement 3 r d

Siehe American Law Institute im Literaturverzeichnis.

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGDIP

Revue générale de droit international public

RhPfVerfGH

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz

RIDP

Revue internationale de droit pénal

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RJ

Rechtshistorisches Journal

RSA

Recueil des sentences arbitrales

RSDIE

Revue Suisse de droit international et de droit européen

RuP

Recht und Politik

SACJ

South African Journal of Criminal Justice

SAJHR

South African Journal on Human Rights

SAYIL

South African Yearbook of International Law

SchwZStR

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

SdN

Société des Nations = Völkerbund

SDÜ

Schengener Nr. L 239)

Durchführungsübereinkommen

(AB1EG

2000,

SJICL

Singapore Journal of International & Comparative Law

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

SouthlllinULJ

Southern Illinois University Law Journal

SRÜ

StGB

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea) vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 ü S. 1799 = I L M 21 [1982], 1261). Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen vom 28. Juni 2002 (BGBl. I S. 2277) Strafgesetzbuch

StIGH

Ständiger Internationaler Gerichtshof (-+ PCU)

StPO

Strafprozessordnung

StammzellG

2*

Abkürzungsverzeichnis

20 StV

Strafverteidiger

SyracuseJILC

Syracuse Journal of International Law and Commerce

TexILJ

Texas International Law Journal

TexLR

Texas Law Review

TIL

Theoretical Inquiries in Law

TransLCP

Transnational Law and Contemporary Problems

UChiLF

The University of Chicago Legal Forum

UN-HRC

Human Rights Commission nach Art. 28 —• IPbürgR

UNMIK

Interim Administration Mission for Kosovo

UN-SuchtstoffÜK

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (United Nations Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. 1993 I I S. 1136).

UNTS

United Nations Treaties Series

Urt.

Urteil

USC

United States Code

VandJTL

Vanderbilt Journal of Transnational Law

VirgJIL

Virginia Journal of International Law

VolfcermordK

Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Volkermor-

VRÜ

Verfassung und Recht in Übersee

VStGB

Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. IS. 2254)

des vom 9. Dezember 1948 (BGBl. 1954 H S. 730)

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VVE

Vertrag über eine Verfassung für Europa (AB1EU 2004 Nr. C 310

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WuW WuW / E WVK

Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb (Entscheidungssammlung) Wiener Vertragsrechts-Konvention = Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 I I S. 927)

v. 16. 12. 2004, S. 1).

YIHL

Yearbook of International Humanitarian Law

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Volkerrecht

ZAR

Zeitschrift für Ausländerrecht

ZEuS

Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZgStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZIntPSR

Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht

ZNR

Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte

ZÖR

Zeitschrift für öffentliches Recht - Austrian Journal for Public and International Law

Abkürzungsverzeichnis

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ZRG Kann. Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonisti-

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

sche Abteilung ZRVgl

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZSchwR

Zeitschrift für schweizerisches Recht

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

„ Universal jurisdiction holds out the promise of greater justice, but the jurisprudence of universal jurisdiction is disparate, disjointed, and poorly understood. " l

Einleitung Der Gedanke gebietsbezogener Herrschaftsgewalt ist ein zentrales Element der modernen Staatlichkeit 2 , Grundlage des modernen Völkerrechts und Ausgangspunkt einer rationalen zwischenstaatlichen Zuständigkeitsverteilung. Insbesondere der bürgerliche Rechtsstaat ruhte lange Zeit gedanklich auf einer räumlich-statischen Formalität des Rechts 3 . Schutzgewährung und Gesetzesgehorsam, inneres Gewaltmonopol und Friedenspflicht sind danach jeweils reziprok aufeinander bezogene Größen. Dies gilt i n besonderem Maße für die Strafgewalt des Staates, die traditionell als Emanation territorial gebundener Staatsgewalt verstanden wurde und auch bis heute i m Wesentlichen diese Wurzeln nicht eingebüßt hat 4 . Universelle Normgeltungs- und Gestaltungsansprüche hat der klassisch liberale Rechtsstaat nicht erhoben. Individuelle Freiheit verlangt nach Begrenzung der Staatlichkeit 5 . Nicht nur die Intensivierung staatlichen Zwangs ist danach suspekt, 1

Princeton University, Princeton Principles on Universal Jurisdiction, S. 24 Vgl. Schöbener, in: Raum und Recht, S. 407. Die Bezogenheit der Staatsgewalt auf ein Staatsgebiet ist auch heute noch zentraler Ausgangspunkt der Bestimmungen von Staatlichkeit durch die allgemeine Staatslehre; vgl. exemplarisch Bluntschli, Allgemeine Staatslehre6, S. 565; Büß/Oertelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht11, S. 41 ff.; Doehring, Allgemeine Staatslehre3, Rn. 35; Fleiner/Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre3, S. 303 ff.; FUlster, Allgemeine Staatslehre, S. 3 f.; Haverkate, Verfassungslehre, S. 26; Heller, Allgemeine Staatslehre, S. 275; Jellinek, Allgemeine Staatslehre3, S. 398; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 20 ff.; Küchenhojf/Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre8, S. 34 ff.; Sander, Allgemeine Staatslehre, S. 155 ff.; Waldecker, Allgemeine Staatslehre, S. 480 ff. Smend, Verfassung und Verfassungslehre, S. 53 ff., lehnt das Staatsgebiet wie auch sonstige räumlichmechanistische Kategorien zwar als Element des Staates ab, sieht in der Gebietsbezogenheit aber einen der wichtigsten Integrationsfaktoren im Rahmen seiner Integrationslehre (siehe zu dieser ebd., S. 18 ff.). 2

3 Lerche, DVB1. 1961, 690 (693). Zur traditionellen Raumbezogenheit rechtlichen Denkens anschaulich Triepel, Vom Stil des Rechts, S. 46 ff. Siehe auch Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 13 ff.: „Das Recht als Einheit von Ordnung und Ortung". 4 Vgl. auch Biehler, Auswärtige Gewalt, S. 247. 5 Vgl. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 55, der mit Recht betont, dass die Staatsgrenzen bislang vor allem auch als Schutz der Freiheit und Voraussetzung von Identität verstanden wurden.

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sondern auch seine Extensivierung 6. Zentraler Identifikationspunkt zur Formung politischer Einheit ist zwar bis heute der moderne Territorialstaat als Gebietskörperschaft geblieben7. Es besteht indes kein Zweifel, dass der sich zwar nicht im Grundsatz, aber in Bedeutung und Funktion vollziehende Wandel der Staatlichkeit ein Stadium rein territorialer Radizierung längst verlassen und der Staat sich zunehmend der internationalen Kooperation bis hin zur Supranationalität geöffnet hat8. Dies hat zu signifikanten Verschiebungen grundrechtlicher Gefährdungslagen geführt, die ursprünglich ausgeprägte Territorialität menschenrechtlicher Schutzzusammenhänge zumindest verdünnt und überstaatlich determinierten Konzepten den Weg bereitet 9. Auch im Strafrecht setzen, wenngleich weitaus langsamer und sehr viel später, Prozesse ein, die auf ein sektorales Zerrinnen des Raumbezuges der Staatsgewalt hindeuten. Die Internationalisierung des Strafrechts ist längst im Gange10. Dies schließt den Einsatz des Instruments Strafe zum Zweck ein, die konzeptionell durchsetzungsschwachen völkerrechtlichen Verbote zu effektuieren. Gleichzeitig prägen überstaatlich generierte Normen zunehmend auch Inhalt und Reichweite staatlichen Strafrechts. Das internationale Rechtshilferecht bestimmt zudem entscheidend die internationale Kooperation bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung, was vielschichtige Fragen zwischen Völker- und Verfassungsrecht aufwirft 11 . Mit anderen Worten: Der »Verlust der 6 Liberal-rechtsstaatliche Territorialität ist daher schon konzeptionell unvereinbar mit einem auf Expansion und die Verwirklichung vermessener Hegemonieansprüche gerichteten ,Großraumdenken 4 (vgl. Lepsius, ZNR 26 [2004], 102 [109]; ansatzweise wie hier auch Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, S. 239 f.). 7 Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, S. 2 ff., 10. Ausführlich hierzu Graf Vitzthum, HStR II 3 , § 18, Rn. 1 ff. Zum Staatsgebiet als Verfassungsvoraussetzung Kirchhof, HStR II 3 , § 21, Rn. 72. 8 Vgl. ausführlich hierzu Di Fabio, Das Recht offener Staaten; ders., Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz; ders., Der Staat 37 (1998), 521 f.; Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, S. 6 ff.; Rossen-Stadtfeld, JöR 53 (2005), 45 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 444 ff.; Scholz, Deutschland - In guter Verfassung?, S. 42 ff.; Tietje, DVB1. 2003, 1081 (1082 ff.); Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung; ders., in: Schuppert/Pernice/Haltern, Europawissenschaft, S. 147 ff. Zur „Entgrenzung" des Rechts als Erscheinungsform der »Globalisierung4 siehe Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (13 ff.); Schmitt Glaeser, HStR 3 , § 38, Rn. 6 ff. 9

Ausführlich und stellvertretend Giegerich, EuGRZ 2004, 758 ff.; Simma, in: Liber Amicorum Eitel, S. 423 ff. 10 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 1, Rn. 1; siehe auch Biehler, Auswärtige Gewalt, S. 248. Aus britischer Sicht Gilbert, BYIL 63 (1992), 415 ff. 11 Siehe hierzu exemplarisch Gärditz, in: FG Hans Hilger, S. 91 ff.; ders., in: Menzel/ Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtsprechung, S. 323 (325 ff.), S. 504 ff.; Graßhof / Backhaus, EuGRZ 1996, 445 ff.; Häde, Der Staat 36 (1997), 1 ff.; Lagodny, NJW 1988, 2146 ff.; Matscher, in: FS Trechsel, S. 25 (38 ff.); Menzel, in: ders., Verfassungsrechtsprechung, S. 142 ff.; Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 341 ff.; allgemein zu Grundrechtsfragen bei Auslandsberührung Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, passim; Giegerich, EuGRZ 2004, 758 ff.; Heintzen, DVB1. 1988, 621 ff.; Kokott, BDGVR 38, 71 ff.; Kronke, BDGVR 38, 33 ff.; Merten, in: FS

Einleitung territorialen Radizierung des Staates' 12 , verstanden als heuristische Kategorie zur Beschreibung eines gegenwärtigen Wandlungsprozesses und der damit einhergehenden Verschiebung staatlicher Aufgaben 1 3 , hat das Strafrecht, mag dieses auch als besonders kulturabhängig empfunden werden 1 4 , als Teilgebiet des Öffentlichen Rechts schließlich erreicht 1 5 . Den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bildet die Weltrechtspflege, die das radikalste Phänomen einer Entgrenzung staatlicher Strafgewalt darstellt. M i t dem Weltrechtspflegeprinzip 16 wird allgemein der Regelungsanspruch des Staates beschrieben, eine extraterritorial begangene Straftat ohne Verbindung zum Forumsstaat, also insbesondere ohne personalen Bezug zu Tätern oder Opfern, Strafgesetzen zu unterwerfen, zu verfolgen und abzuurteilen 17 . Diese Form der Geltungserstreckung staatlicher Regelungsgewalt scheint jegliche Bindung an TerritoSchiedermaii; S. 331 ff.; Ruthig, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 271 ff.; Schröder, in: FS Schlochauer, S. 137 ff. 12 Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 97 ff. » Vgl. hierzu exemplarisch Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 93 ff., 97 ff., 122 ff.; Kokott, W D S t R L 63 (2004), 7 (9 ff.); Korioth, W D S t R L 62 (2003), 117 (138); Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 51 ff.; Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 16 ff.; insbesondere zur Entterritorialisierung Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 381 f. 14 Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, S. 248 f. >5 Vgl. Kokott, W D S t R L 63 (2004), 7 (13), verortet präzise auch die Entwicklung des internationalen Strafrechts und in Besonderheit der Weltrechtspflege in diesem phänotypischen Zusammenhang. 16 Weitgehend synonymer Gebrauch: Weltrechtsprinzip, Universalitätsprinzip, universal Jurisdiction, le principe de l'universalité, compétence universelle, principio jurisdicción universal 17 Supreme Court of Canada, Urt. v. 24. 3. 1994, Regina v. Finta, ILR 104, 284 (352 ff.); High Court of Australia (per Justice Toohey ), Urt. v. 14. 8. 1991, Polyukhovich v. Commonwealth of Australia et al., ILR 91, 1 (118); Amnesty International, Universal Jurisdiction, S. 11; International Law Association, Final Report on the Exercise of Universal Jurisdiction in Respect of Gross Human Rights Offences, S. 2; Ahlbrecht, Die Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 12; Bassiouni, Crimes Against Humanity in International Law, S. 511; ders., in: Macedo, Universal Jurisdiction, S. 39 (42 f.); Benavides, AnMexDI 1 (2001), 19 (20, 26); Boed, in: Bassiouni, Procédural and Enforcement Mechanisms2, S. 145 (150); Burchards , Die Verfolgung von Volkerrechtsverbrechen durch Drittstaaten, S. 24; Carnegie, BYIL 39 (1963), 402 (405); Doehring, VölkerR 2, Rn. 819; Drost, NiedZIR 43 (1930/31), 111 (113); Hoß/Miller, GYIL 44 (2001), 576 (585); Li, Die Prinzipien des internationalen Strafrechts, S. 192; Malanczuk, Akehurst's Modern Introduction to International Law 7 , S. 113; Randall, TexLR 66 (1988), 785 (788); Ratner / Abrams, Accountability for Human Rights Atrocities in International Law 2 , S. 161; Reiss, CornelllLJ 20 (1987), 281 (301); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 4, Rn. 12; Schultz , ZaöRV 62 (2002), 703 (727); Steiner, TIL 5 (2004), 199 (200); Stern, in: Liber Amicorum Judge Mohammed Bedjaoui, S. 735; Tröndle / Fischer, StGB 51 , § 6, Rn. 1; van der Vyver, SAYIL 24 (1999), 107 (114 f.); Wolfrum, in: FS Eser, S. 977 (978); Zieher, Das sog. internationale Strafrecht nach der Reform, S. 79. Im Ergebnis haben also danach alle Staaten die Jurisdiktionsgewalt, entsprechende Taten abzuurteilen, Bowett, BYIL 53 (1982), 1 (11).

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dum und Rechtsordnung abzuschütteln18 und das staatliche Strafgesetz in universellen Geltungspostulaten aufzulösen. Weltrechtspflege wird damit zum Paradigma einer Verflüchtigung des Anspruches räumlicher Staatsgrenzen19, im Regelfall impermeabler Herrschaftsbereich einer Rechtsordnung zu sein, zu nur noch relativen Jurisdiktionsgrenzen 20. Die beinahe vollständige Auflösung des Raumbezuges kommt nicht nur im universellen Anwendungsbereich des Strafrechts, sondern zudem in einer Indifferenz der Weltrechtspflege gegenüber der jeweiligen territorialen Rechtsordnung zum Ausdruck: So soll das Weltrechtsprinzip gerade auch solche Taten erfassen, die nach dem innerstaatlichen Recht des Tatortstaates (forum delicti commissi) nicht strafbar sind 21 . Die Bestimmung des in der Rechtspraxis noch weitgehend22 unerprobten § 1 VStGB zeigt, dass gerade der deutsche Rechtsstaat universal-gestalterische Interventionsbefugnisse für seine Strafjustiz beansprucht, wenn es um die Durchsetzung menschenrechtlicher Mindeststandards geht. Der Staat als rationaler anstaltsmäßiger Herrschaftsverband (Max Weber) 23 wird hier abgelöst durch den humanitärproaktiven Interventionsstaat des globalisierten Zeitalters. So gehöre „das Weltstrafrecht zum Schutzschild der Menschenrechte und zur sichtbaren Verbundenheit der Welt-Bürgerschaft mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen" 24. Der augenscheinlichen Euphorie, die der Hoffnung entspringt, das Strafrecht als Instrument des universellen Menschenrechtsschutzes einsetzbar zu machen, steht ein angesichts der Tragweite der mit der Weltrechtspflege verbundenen Geltungsansprüche eher irritierendes Defizit an nüchterner rechtsdogmatischer Aufarbeitung gegenüber. Vor dem Hintergrund allmählicher Konstitutionalisierungsprozesse internationaler Entscheidungsfindung erscheint dies frappierend: Wahrend die Einsicht in die Notwendigkeit staatenübergreifender Kooperation sowie die Ausdifferenzierung gemeinschaftlicher Entscheidungsstrukturen wächst25 und sich ein »Kooperationsvölkerrecht' als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung herausbildet 26, scheint gerade im Strafrecht der Hang zum interventionistischen Alleingang zu gedeihen27. „(W)e want to globalize justice in the age of globaliza18 Vgl. Steiner, H L 5 (2004), 199 (204): „Universal jurisdiction is the other pole of the spectrum from the territorial principle". >9 Vgl. Rossen-Stadtfeld, JöR 53 (2005), 45 (53 f.). 20 Vgl. Kokott , W D S t R L 63 (2004), 7 (14). In diese Richtung auch Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 18, 22 f. 21

Dahn, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 33. Abgesehen von der zum Völkermord (§ 6 Nr. 1 StGB) ergangenen Spruchpraxis. 2 3 Staatssoziologie2, S. 27 ff. 24 Höffe , Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 369. 25 Siehe allgemein Cassese, International Law in a Divided World, S. 150 ff.; ScJiliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 550; für den Bereich des Sicherheitsrechts Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 513. 2 * Dicke , BDGVR 39,13 (29). 27 Es geht bei den »nationalen Alleingängen' eigentlich um Formen der ,Renationalisierung\ Vgl. im Ansatz kritisch auch Köhler, JRE 11 (2003), 435 (439). Siehe auch Meyer, 22

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tion" 2 8 , erklärte der seinerzeitige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen im Hinblick auf das deutsche Konzept eines für den Schutz der Menschenrechte funktionalisierten Weltstrafrechts 29. Die normativ determinierte Universalisierung von Werten erscheint dabei vor allem als ein gemeineuropäisches Phänomen: „Europa ist dort am europäischsten, wo es universalistisch ist." 3 0 Das Bekenntnis zu einer proaktiven Durchsetzung universeller Menschenrechte als Leitvorgabe europäischer Außenpolitik in Art. IÜ-292 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 VVE bringt dies, den in Art. 1-3 Abs. 4 VVE fixierten Zielen der Union entsprechend, ambitioniert zum Ausdruck 31 . Lässt sich der Gegenstand der Untersuchung noch relativ klar umschreiben, bereitet es erkennbar erhebliche Schwierigkeiten, die Fülle von diffusen Deutungsversuchen des Phänomens Weltrechtspflege auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die theoretische Analyse konnte hier mit der rasanten Entwicklung, welche die Durchsetzung universeller Menschenrechte durch das Strafrecht in der letzten Dekade erlebte, nicht wirklich Schritt halten 32 . Die Weltrechtspflege steht hierbei trotz der aufgezeigten konzeptionellen Friktionen im phänotypischen Zusammenhang mit den jüngeren und dynamischen Entwicklungen in der Völkerrechtswissenschaft 33, die auf Erscheinungen der Globalisierung mit wertorientierten Konstitutionalisierungskonzepten zu reagieren versucht 34 und eine Vielfalt theoHarvEJ 31 (1990), 108 (115).; Dicke, BDGVR 39, 13 (27 f.), freilich unter dem durchaus ambivalenten Vorzeichen einer Internationalisierung der Strafverfolgungsinteressen. Es handelt sich hierbei in gewissem Sinne um ein gegenläufiges Phänomen der Entterritorialisierung, die Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 7 (11 f.), mit einem Steuerungsverlust des Parlaments beschreibt. 28 Rastrup, FordILJ 23 (1999), 404 (406), der zugleich den Anspruch, dieses Konzept über den Bereich der völkerstrafrechtlichen Kernverbrechen (Volkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) hinaus auszudehnen, erhebt und neben dem Folterer bereits den Mörder benennt. Den Begriff der, globalization of justice' hat inzwischen Vebreitung erlangt. Siehe etwa Brems, SJICL 6 (2002), 909; Burbach, The Pinochet Affair, S. 146 ff. Allgemein zu universalistisch angelegten Konzepten des Strafrechts Bassiouni, in: Essays on International Law in Honour of Antonio Cassese, S. 65 (69 ff.). Insbesondere im menschenrechtlichen Bereich werden darüber hinaus allgemein zunehmend Konzepte einer judicial globalization durch systematische Vernetzung gerichtlicher Akteure und eine zunehmende wechselseitige Rezeption, die die Rechtskulturen überschreitet, propagiert (vor allem Slaughter, VirgJIL 40 [2000], 1103 ff.; dies, A New World Order, S. 65 ff.). 29 Ausführlich zur Entwicklung Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 114 ff. 30 Graf Vitzthum, EuR 2002, 1 (10). Siehe allgemein Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 10. Deutlich auch die Bezugnahme auf universelle Werte durch das Präsidium des Europäischen Konvents, wiedergegeben in: AB1EU 2004 Nr. C 310, S. 424. 31

Vgl. Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, S. 88. 32 In diese Richtung auch Bottini, ILP 36 (2004), 503 (504). 33 Vgl. nur die Bestandsaufnahme von Seidel, AVR 38 (2000), 23 ff. 34 Vgl. allgemein zur Entwicklung des Völkerrechts in Zeitalter der Globalisierung von Bogdandy, RDI 87 (2004), 318 ff.; Dicke, BDGVR 39, 13 (29 ff.); Kadelbach, ZaöRV 64 (2004), 1 ff.

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retischer Figuren hervorgebracht oder zumindest weiter ausdifferenziert hat. „Werte, ius cogens, Erga-Omnes-Normen, internationale Gemeinschaft, Normenhierarchie, Konstitutionalisierung bedingen, stützen und fördern sich in der allgemeinen Diskussion konzeptionell gegenseitig."35 Bei aller Anerkennung, die man diesem theoretischen Erkenntnisgewinn zweifelsohne zollen muss, leidet die gegenwärtige Diskussion teilweise jedoch darunter, die Rückanbindung an die staatenpraktische Realität zu verlieren 36. Es besteht dadurch die Gefahr, ein Theoriegebäude zu errichten, das die Rationalitätserfordernisse verfehlt, die in der weiterhin nur einen geringen Integrationsgrad aufweisenden Staatengemeinschaft gerade an eine sinnvolle Zuständigkeitsverteilung zu stellen sind. Daher nimmt es nicht wunder, dass die Frage nach der Finalität der gegenwärtigen Entwicklung bislang offen geblieben ist. Die Frage nach der Rationalität und den Risiken einer dezentralisierten Völkerrechtsdurchsetzung, wie sie die Weltrechtspflege in Anspruch nimmt, wurde ganz überwiegend erst gar nicht gestellt. Völkerrechtlich stellt das Weltstrafrechtspflegeprinzip ein Problem staatlicher Jurisdiktionsgewalt dar, also der Reichweite staatlicher Autorität zur Verwirklichung staatlichen Rechts37. Der schillernde Begriff der Jurisdiktion 4 hat im angloamerikanischen Sprachraum eine weitergehende Differenzierung und damit Präzisierung erfahren, welche die unterschiedlichen Schichten staatlicher Rechtsgeltungserstreckung erkennen lässt 38 : Jurisdiction to prescribe definiert die Hoheitsbefugnis des Staates zur Rechtssetzung, übertragen auf das Strafrecht also der Definition von Ort und Personen, die von seinen Straftatbeständen erfasst sein sollen. Jurisdiction to adjudicate betrifft die Hoheitsbefugnis des Staates, bestimmte Personen oder Sachverhalte innerstaatlichen gerichtlichen Verfahren zu unterwerfen bzw. Straftaten abzuurteilen. Jurisdiction to enforce beschreibt schließlich den hoheitlichen Regelungszugriff, Gesetze mit exekutivischen Mitteln durchzusetzen bzw. Urteile zu vollstrecken. Der englischsprachige Begriff der Jurisdiction wäre angesichts seiner Breite semantisch wohl treffender mit Regelungsgewalt übersetzt. Kann die Jurisdiction to prescribe in völkerrechtlich legitimer Weise bejaht 35 Klein , in: FS Ress, S. 151 (153). 36 Vgl. die pointierte Kritik von Klein, in: FS Ress, S. 151 (153 ff.). Das Bestehen dieses Spannungsverhältnisses wird teilweise von den Apologeten dieser Entwicklung durchaus eingeräumt (vgl. Bassiouni, in: Essays on International Law in Honour of Antonio Cassese, S. 65 [67]). 37 Vgl. Bassiouni , Crimes Against Humanity in International Law, S. 511; Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen S. 238. 38 Vgl. High Court of Australia (per Justice Toohey ), Urt. v. 14. 8. 1991, Polyukhovich v. Commonwealth of Australia et al., ILR 91, 1 (117); Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen, S. 238; Wolfrum, IsraelYHR 24 (1995), 183. Der Sache nach ebenso Akehurst, BYIL 46 (1972/73), 145, der jedoch von legislative Jurisdiction, judicial Jurisdiction und executive Jurisdiction spricht; Benavides, AnMexDI 1 (2001), 19 (21), der von judicial, legislative and administrative competence spricht. Ausführlich zum Begriff der „Jurisdiction" Mann, RdC 111 (19641), 1 (9 ff.); Randall, TexLR 66 (1988), 785 (786 f.). Zur Geschichte des vor allem aus Herrschaftsrechten abgeleiteten Begriffs der iurisdictio siehe Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, S. 19 ff., 277 f.

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werden, folgt aus ihr zugleich die Jurisdiction to adjudicate. Darf ein Staat nämlich bereits die Geltung seines Rechts für bestimmte Personen, Orte oder Sachverhalte beanspruchen, steht es ihm grundsätzlich auch frei, diese Regelungsgegenstände korrespondierend einem gerichtlichen Verfahren zur Entscheidung zu unterwerfen 39 . Aburteilen darf ein Staat Straftaten jedoch, von völkervertragsrechtlich eingeräumten Ausnahmefällen abgesehen, immer nur durch Gerichte auf seinem Territorium 40. Das geltende Völkerrecht differenziert also zwischen der Anwendung unmittelbaren Zwangs (coercive action) einerseits, die ihre streng territoriale Radizierung bislang beibehalten hat, und der präskriptiven Erfassung von Auslandssachverhalten sowie deren prozeduralen Einbeziehung in staatliche Entscheidung andererseits 41, für die ein komplexes Geflecht an Zuständigkeitsregeln entstanden ist. Insbesondere für das Strafrecht haben sich verschiedene Prinzipien zur Bestimmung des Anknüpfungspunktes staatlicher Regelungsgewalt etabliert 42. An erster Stelle steht das Territorialitätsprinzip, wonach der Staat als Ausdruck seiner Gebietshoheit die Regelungsgewalt für Sachverhalte beansprucht, die sich auf seinem Gebiet ereignen bzw. dort auswirken. Als Derivat der Personalhoheit des Staates über seine Staatsangehörigen findet sich daneben das aktive Personalitätsprinzip, wonach eigene Staatsangehörige auch für ihr Verhalten im Ausland verantwortlich gemacht werden. Defensiven Charakter haben das passive Personalitätsprinzip, wonach der Heimatstaat die Strafgewalt über Rechtsgutsangriffe gegen seine eigenen Staatsangehörigen beansprucht, und das (Real-)Schutzprinzip, welches insbesondere die Bestrafung menschlichen Verhaltens zulässt, das sich gegen die Sicherheit zentraler Staatsfunktionen richtet. Daneben bestehen auf völkervertragsrechtlicher Basis zahlreiche technische Regelungen der Zuständigkeitsverteilung, die als Ausdruck der Staatenkooperation vor allem einer sachgerechten Konflikterledigung zu dienen bestimmt sind. Das Recht, insbesondere das Strafrecht, gründet in sämtlichen Staaten heute primär auf dem unumstrittenen Territorialitätsprinzip, 39

Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen, S. 238. Akehurst, BYIL 46 (1972/73), 145 (179), geht von einer Identität aus: „In criminal law legislative Jurisdiction and judical Jurisdiction are one and the same." Er sieht aber durchaus die theoretische, wenn auch dem Common Law fremde Möglichkeit einer Anwendung ausländischen Rechts durch innerstaatliche Gerichte. 40 StIGH, Urt. v. 7. 9. 1927, Lotus, PCIJ Series A Nr. 10, 1 (18); Akehurst, BYIL 46 (1972/73), 145 ff.; Classen, NStZ 1995, 371 (372); Mann, RdC 186 (1984 HI), 9 (34 f.); Meng, AVR 27 (1989), 156 (160); Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen, S. 238, Fn. 3. Vgl. KG, Beschl. v. 1. 7. 1983, Kart. 16/82, WuW/E OLG 3052 (3053) = WuW 1984, 233 (235); Mann, RdC 186 (1984 III), 9 (34 f.); Meng, EuZW 1997,423 (426), ders., AVR 27 (1989), 156 (160). 42

Hierzu im Einzelnen und stellvertretend Ambos, Internationales Strafrecht, § 3, Rn. 1 ff., insbesondere 26 ff.; Cameron, The Protective Principle of International Criminal Law, S. 16 ff.; Gärditz, in: Menzel / Pierlings / Hoffmann, Völkerrechtsprechung, S. 284 (286 ff.); Gilbert, BYIL 63 (1992), 415 (417 ff.); Randall, TexLR 66 (1988), 785 (786 ff.); Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, S. 13 ff., jeweils m. w. Nachw.

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während die anderen Prinzipien, je nach rechtskultureller Tradition in unterschiedlicher Ausprägung, in vielen Staaten die Regelungsgewalt arrondieren, um normativ erfassungsbedürftiges Verhalten staatlichem Regelungszugriff zu unterwerfen. Die Völker- und staatsrechtlichen Grenzen sind hier, trotz grundsätzlicher Anerkennung der genannten Anknüpfungspunkte, vielfach problembehaftet geblieben, worauf später einzugehen sein wird, soweit es den Gegenstand dieser Untersuchung berührt. Neben diese Prinzipien zur Etablierung staatlicher Regelungsgewalt, die allesamt auf einer bestimmten, rechtlich fundierten Beziehung des erfassten Verhaltens zum Forumsstaat beruhen, tritt nun in einer zunehmenden Zahl an Staaten das eingangs beschriebene, von konkreten Anknüpfungspunkten verabsolutierte Weltrechtsprinzip. Das Universalitätsprinzip als international-strafrechtlicher Anknüpfungspunkt ist Teil des Strafanwendungsrechts 43 und damit ein Aspekt der Ausgestaltung innerstaatlichen Rechts44. Die Regelungen des internationalen Strafrechts verharren nicht auf der Ebene juristisch-technischer Rechtsanwendungsfragen, sondern stellen grundlegende Entscheidungen des Staates dar, die auch sein Verhältnis zum Normadressaten sowie gleichermaßen das Selbstverständnis seiner Rolle in der Weltgemeinschaft prägen 45. Der Staat erhebt insoweit einen strafrechtlichen Bewertungsanspruch für menschliches Verhalten, das außerhalb seines Hoheitsgebietes stattfindet. Hierin unterscheidet sich das Weltrechtsprinzip auch von dem ebenfalls traditionsreichen Verfolgungszugriff am forum deprehensionis, also der Aburteilung einer nach Tatortrecht strafbaren Tat durch Gerichte des Ergreifungsortes. Beide Rechtsfiguren sind trotz des historisch uneinheitlichen und nicht immer präzise zuordenbaren Sprachgebrauchs voneinander abzuschichten, zumal die Differenzen des unterschiedlichen staatlichen Regelungszugriffs gravierend sind, wenn das Tatortstrafrecht das entsprechende Verhalten nicht präskriptiv erfasst. Es geht hier also um die Unterscheidung zwischen der Anwendbarkeit des materiellen Strafrechts einerseits und der bloßen Gerichtzuständigkeit andererseits 46. Das Thema der vorliegenden Untersuchung beschränkt sich exemplarisch auf das praktisch bedeutendere Phänomen der Weltsira/rechtspflege. Ergänzend sei lediglich angemerkt, dass das Universalitätsprinzip im Zivilrecht 47 , insbesondere im 43

Vgl. Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 23; Es er, in: Schönke / Schröder, S t G B , Vor § 3 - 7 , Rn. 1; Jescheck, IntRuD 1956, 75 f.; Knittel, Jura 1989, 581 ff.; Oehler, FS Grützner, 110 ff.; Zieher, Das sog. internationale Strafrecht nach der Reform, S. 27 ff., insbesondere S. 32. 44 Benavides, AnMexDI 1 (2001), 19 (21); Eser, in: FS Jescheck, 1354 (1356); von LiszU ZStW 2 (1882), 50 (52); Meyer, HarvIU 31 (1990), 108 (115); von Rohland, Internationales Strafrecht, S. 1 f.; Simons, 34. DJT (1927) II, 46 (47). Kritisch zu dieser terminologischen Verwirrung v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50 (52). Terminologisch ungenau insoweit Maierhöfen EuGRZ 2003, 545 ff., der das Phänomen der Weltrechtspflege durch staatliche Gerichte als Frage des Völkerstrafrechts bezeichnet. 4 5 Vgl. Jescheck, IntRuD 1965, 75. 46 Auf die Bedeutung dieser Differenzierung weist mit Recht auch Walther, S. 925 (928 f.), hin.

in: FS Eser,

Einleitung Schadensersatzrecht 48 , ebenfalls eine Rolle spielen und staatliche Jurisdiktionsgewalt begründen k a n n 4 9 , obwohl die Weltrechtspflege hier bislang i n der Staatenpraxis keine besondere Bedeutung erlangt hat. Bei der Beurteilung eines zivilrechtlichen Weltrechtspflegeprinzips wird aber letztlich weitgehend analog zu verfahren sein, wenngleich die Instrumentalisierung des Schadensersatzprozesses als Bühne zur Austragung politischer Symbolik, meist verbunden mit einer gewissen Kommerzialisierung 5 0 , hierbei eher immanente Gefahren vor Augen führt. Welchem Ziel dienen universell anwendbare staatliche Strafnormen, zumal wenn die darin enthaltenen Verbote i n den Staaten, in denen es entscheidend auf die Etablierung der erfassten Verhaltensmaßstäbe ankäme, ohnehin generell nicht 47 Zu den Parallelitäten und Unterschieden zwischen zivil- und strafrechtlicher Jurisdiktionsgewalt Bowett, BYIL 53 (1982), 1 ff.; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 94 ff., 222 f.; Rehbinder, Extraterritoriale Wirkungen des deutschen Kartellrechts, S. 67 f., 89 ff., der im Übrigen auf die partielle Zivilrechtsakzessorietät der Kartellordnungswidrigkeiten hinweist (S. 252 f.); Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, insbesondere im Vergleich S. 55 ff., 101 ff., 123 ff. 48 Gerade die im angloamerikanischen Recht bekannten punitive damages haben ohnehin strafähnlichen Sanktionscharakter, so dass hier oft eine Parallelisierung auch aus Gründen der innerstaatlichen Stimmigkeit der Rechtsordnung naheliegend erscheint. Vgl. exemplarisch und allgemein aus dem Bereich extraterritorialer Rechtsanwendung bei torts: District Court of New York, Urt. v. 16. 12. 1961, Voyiazis v. National Shipping & Trading Corp. et al., ILR 32, 103 ff. Siehe auch Concurring Opinion Justice Breyer, in: U. S. Supreme Court, Urt. v. 29. 6. 2004, I L M 43 (2004), 1419 (1420), der aus der Anerkennung des strafrechtlichen Weltrechtsprinzips - freilich entgegen der tragenden Mehrheit - die Geltung dieses Prinzips für den Bereich der Strafschadensersatzansprüche ableiten will. 49 Boyd, TexILJ 40 (2004), 1 (7 ff.); Malanczuk, Akehurst's Modern Introduction to International Law 7 , S. 113; Schmalenbach, in: Klein, Menschenrechtsschutz durch Gewohnheitsrecht, S. 297 (314 ff.). Vgl. nur den bekannten Flatow-Fall: District Court of Columbia, Urt. v. 11. 3. 1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran and Others, ILR 121, 618 (insbesondere 632), zu dem sog.,Flatow Amendment ' zu 28 USCA § 1605, welches bei terroristischen Akten als Ausnahme vom Foreign Sovereign Immunities Act 1976 Schadensersatzklagen gegen Staaten zulässt, die sich an terroristischen Straftaten beteiligen. Die Durchbrechung der Staatenimmunität, die Rückwirkung sowie die extraterritoriale Geltung wurden mit der Anwendbarkeit des Universalitätsprinzips auf diese Taten begründet. Im vorgenannten Fall kam eine auf einer Busreise im Nahen Osten befindliche Amerikanerin, Ms. Flatow, bei einem Selbstmordanschlag des Palestine Islamic Jihad ums Leben. Eine eilig durchgesetzte Gesetzesänderung (daher die inoffizielle Titulierung des Gesetzes), auf die sich Angehörige der Getöteten stützten, ermöglichte Schadensersatzklagen gegen Staaten wegen von diesen ausgehenden terroristischen Handlungen. Die Angehörigen verklagten erfolgreich die Islamische Republik Iran mit der Begründung, letztere habe die bezeichnete Terrororganisation finanziert. Wesentlich restriktiver bezüglich des noch aus dem Jahre 1789 stammenden und in seiner Bedeutung offenbar bis heute nebulös gebliebenen ATCA: U. S. Supreme Court, Urt. v. 29. 6. 2004, I L M 43 (2004), 1390 (1396 ff.). Allgemein kritisch gegenüber einer Übertragung des Weltrechtsprinzips auf zivilrechtliche Ansprüche Bradley, UChiLF 2001, 323 (343 ff.), der insbesondere auf die konzeptionelle Verschiedenheit hinweist: Das Konzept der Weltrechtspflege werde damit begründet, dass der Staat im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft handele, nicht hingegen im Kompensationsinteresse einzelner Individuen. Ablehnend auch Chibundu, VirgJIL 39 (1999), 1069 (1131 ff.). 50

Vgl. auch Klein, in: ders., Menschenrechtsschutz durch Gewohnheitsrecht, S. 11 (23).

32

Einleitung

befolgt werden 51? Ist gerade die staatlich definierte und vollzogene Weltrechtspflege Baustein eines solidarisch-symbolischen ,Schutzschilds der Menschenrechte4? Diese Fragen sind bislang kaum geklärt. In jüngster Zeit sind eine Reihe tiefgründiger Abhandlungen entstanden, die sich mit der völkerrechtlichen Anerkennung des Weltrechtsprinzips befassen und auf die hier verwiesen werden kann 52 . Sie beschäftigen sich vornehmlich mit der Identifikation und dem Nachweis völkerrechtlicher Jurisdiktionsregeln und liefern hierzu teils vortreffliche Aufarbeitungen. Die Schwerpunkte der vorliegenden Untersuchung wurden demgegenüber bewusst anders gewählt. Zum einen wird der Versuch gewagt, den zunehmend nachweisbaren Bestand an staatenpraktisch nachzuzeichnenden Regeln funktional zu erklären und im System des allgemeinen universellen Völkerrechts zu lokalisieren. Zudem wird der bisher kaum diskutierten Frage nachgegangen, welche innerstaatlichen Begrenzungen das deutsche Verfassungsrecht für eine Anwendung des Weltrechtspflegeprinzips enthält. Im Folgenden soll zunächst ein Abriss der ideengeschichtlichen Entwicklung des Weltrechtspflegegedankens geboten werden, der Aufschluss über die diffusen Hintergründe des heutigen Phänomens zu vermitteln versucht. Im Anschluss daran soll versucht werden, Weltrechtspflege völkerrechtsdogmatisch zu beschreiben und im Spektrum anerkannter Rechtsinstitute des allgemeinen universellen Völkerrechts zu positionieren, um insbesondere Erkenntnisse über immanente Grenzen und mögliche Korrekturbedürfnisse gegenüber herkömmlichen Erklärungsansätzen zu gewinnen. Das Kapitel schließt ab mit einem Überblick über die für einen universellen Anwendungsbefehl in Betracht kommenden Straftatbestände. Das anschließende staatsrechtliche Kapitel erörtert die spezifischen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen weltrechtspflegender Strafgesetze unter dem Grundgesetz. 51 Diese Frage hatte schon 1834 Joseph Story in seiner berühmten Auseinandersetzung mit der staatlichen Jurisdiktionsgewalt aufgeworfen (Commentaries on the Conflict of Laws, S. 28 f.). 52 Insbesondere sei auf folgende Arbeiten hingewiesen: Amnesty International, Universal Jurisdiction; International Law Association, Final Report on the Exercise of Universal Jurisdiction in Respect of Gross Human Rights Offences; Princeton University, Princeton Principles on Universal Jurisdiction; Bassiouni, VirgJIL 42 (2001), 81 ff.; Benavides, AnMexDI 1 (2001), 19 ff.; Boyd, TexIU 40 (2004), 1 ff.; Broomhall, NELR 35 (2001), 399 ff.; Brown, NELR 35 (2001), 383 ff.; Burchards, Die Verfolgung von Volkerrechtsverbrechen durch Drittstaaten; Eser, in: FS Trechsel, S. 219 ff.; ders., in: Essays on International Law in Honour of Antonio Cassese, S. 279 ff.; Henzelin, Le principe de l'universalité; Kreß, ZStW 114 (2002), 818 ff.; Llopis, La compétence universelle en matière de crimes contre l'humanité; Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen; Randall, TexLR 66 (1988), 785 ff.; Reydams, Universal Jurisdiction (siehe hierzu auch die Besprechung von Gotting, GA 2005, 259 ff.); ders., CLF 11 (2000), 183 ff.; Sadat, NELR 35 (2001), 241 ff.; Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates; Weigend, in: FS Eser, S. 955 ff. Ein umfassendes Forschungsprojekt verfolgt das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das in inzwischen 6 Bänden (herausgegeben von Eser, Sieber und Kreicker) mehr als verdienstvolle Berichte zu einzelnen Staaten veröffentlicht hat. Ergänzt wird diese Untersuchung durch das Lateinamerikaprojekt Ambos/Malarino (Hrsg.), Persecución penal nacional de crímenes internacionales en América Latina y España.

Einleitung

Das Völkerrecht befindet sich seit den 1990er Jahren in einem offenen Wandlungsprozess, der zwischen teils miteinander nur schwer in Einklang zu bringenden Polen oszilliert, namentlich Hegemoniesterben, Unilateralismus, (Revitalisierung und (Re)Nationalisierung der Gemeinwohlverantwortung einerseits, Hierarchisierung, Konstitutionalisierung, Institutionalisierung, Materialisierung bzw. Entformalisierung, Individualisierung und Globalisierung von Gemeinwohlverantwortung und Rechtssetzung andererseits 53. Die Universalisierung staatlicher (Straf)Regelungsgewalt bildet einen signifikanten Teilausschnitt dieses tief greifenden Binnenkonflikts völkerrechtlicher Systemumbildung. Die zunehmende Integration des Weltrechtspflegegedankens in das tradierte System der Verteilung staatlicher Regelungsgewalt berührt daher fundamentale Strukturfragen des Völkerrechts im 21. Jahrhundert. Insoweit wird mit der vorliegenden Untersuchung versucht, den Anschluss der bislang vor allem isoliert betrachteten Weltrechtspflege an die in Bewegung geratene allgemeine Volkerrechtsdogmatik, die entscheidenden Einfluss auf normative Inhalte und Grenzen territorialer Staatsgewalt hat, herzustellen. Am Beispiel der Weltrechtspflege soll damit zugleich ein Beitrag zur bisher allenfalls ansatzweise ausdifferenzierten Dogmatik staatlicher Regelungsgewalt im völkerrechtlichen Kontext geleistet werden.

53 Konzise und ausführlich hierzu Krisch, Der Staat 43 (2004), 267 ff. 3 Gärditz

Teil 1

Ideengeschichte der Weltrechtspflege Die Geschichte des internationalen Strafrechts verlief facettenreich und vielschichtig. Vorliegend sollen lediglich die groben Züge einer nicht immer einheitlich verlaufenen Rechtsentwicklung dargestellt werden, die eine Ausdifferenzierung gerade von Formen des schillernden Phänomens Weltrechtspflege determiniert haben. Ergänzend darf an dieser Stelle auf die teils umfassenden Darstellungen der Geschichte des internationalen Strafrechts im Allgemeinen1 sowie in Besonderheit des Weltrechtsprinzips 2 verwiesen werden.

I. Internationales Strafrecht des Römischen Reiches Hinweise auf eine ausdifferenzierte und stabile Dogmatik des internationalen Strafrechts im Römischen Weltreich finden sich kaum3. Es fällt angesichts der starken territorialen Veränderungen im Laufe der epochenreichen römischen Geschichte bereits schwer, überhaupt einheitliche Prinzipien der Strafrechtsanwendung zu identifizieren 4. Unbeschadet dessen dürfte bereits das römische Strafrecht aber im Kern und mit einer gewissen Beständigkeit auf dem Territorialitätsprinzip basiert haben5, welches um das passive Personalitätsprinzip sowie um das Schutzprinzip 1

Grundlegend Donnedieu de Wahres, Introduction a l'étude du droit pénal international; Oehler, Internationales Strafrecht 2. Die Arbeit von Granitza, Die Dogmengeschichte des internationalen Strafrechts, behandelt die Entwicklung der Prinzipien des Strafanwendungsrechts in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert und geht ebenfalls gründlich und detailreich auf das Weltrechtsprinzip ein. 2 Eine vorzügliche Darstellung findet sich bei Henzelin, Le principe de l'universalité, S. 33 ff., 63 ff., 71 ff., 81 ff.; übersichtlich Guillaume , in: Mélanges offerts à Georges Levasses, S. 23 ff.; Donnedieu de Vabres, Revue de droit international privé 18 (1922/23), 533 ff.; ein knapper und anschaulicher Abriss der Geschichte des Weltrechtsprinzips findet sich bei President Guillaume, Separate Opinion, IGH, Urt. v. 14. 2. 2002, Démocratie Republic of the Congo v. Belgium, Nr. 4 bis 8, I L M 41 (2002), 558 (559 f.). 3 Meili, Bartolus als Haupt der ersten Schule des internationalen Strafrechts, S. 16; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 104; vgl. bereits Ahegg, Die Bestrafung der im Ausland begangenen Verbrechen, § 49, S. 71. 4 Siehe Henzelin, Le principe de l'universalité, S. 40 ; Meili, Bartolus als Haupt der ersten Schule des internationalen Strafrechts, S. 16 f. 5 Nach Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, S. 112, hat sich bis zur Rezeption im römischen Recht ein System der territorialen Herrschaftsgewalten nicht herausbilden können.

I. Internationales Strafrecht des Römischen Reiches

35

bei bestimmten Delikten ergänzt wurde 6 . Allgemein trat das römische Staatswesen seiner Umwelt eher durch rechtliche Abgeschlossenheit gegenüber und nahm auswärtige Sachverhalte in der Regel nur dann wahr, wenn sie sich zu einer Bedrohung des Staatsgebiets verdichteten 7 . M i t der sukzessiven Ausdehnung der italienischen Lokalmacht Rom zum universellen Weltreich 8 wich der anfangs noch ausgeprägte zwischenstaatliche Verkehr 9 zunehmend einem staatsrechtlichen Status, in dem weitgehend nur noch innere Angelegenheiten regelungsbedürftig erschienen. Eine völkerrechtliche Ordnung i m eigentlichen Sinne war insoweit kaum mehr vorhanden 1 0 . Ein Großteil der damaligen bekannten Welt blickte zum Römischen Senat als oberstem Gerichtshof empor 1 1 . Das materielle Strafrecht befand sich demgegenüber in einem Zustand territorialer Zersplitterung, da sich die meisten Munizipalverwaltungen des Römischen Reiches i n eigener Strafrechtssetzung betätigten. Römisches Reichsrecht griff allenfalls korrigierend und sektoral in die Provinzialgesetze e i n 1 2 . Ein internationales Strafrecht i m modernen Sinne konnte sich i m Römischen Reich auf dieser Grundlage letztlich nicht herausbilden 13 , zumal Rom anderen 6 Ausführlich hierzu Donnedieu de Vabres, Introduction a l'étude du droit pénal international, S. 44 ff. Meili, Bartolus als Haupt der ersten Schule des internationalen Strafrechts, S. 17 f.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 105 ff.; Wegner, in: FG Frank I, S. 98 (107 ff.). 7 Reibstein, Völkerrecht I, S. 57. 8 Bezeichnenderweise bildete das ius gentium der späten Republik kein Völkerrecht im heutigen Sinne, sondern das innerstaatliche Recht, das für alle im Reich vereinten Volker gleichermaßen gelten sollte, vgl. Donnedieu de Vabres, Introduction a l'étude du droit pénal international, S. 64; Honseil, Römisches Recht6, S. 21; Käser/Knütel, Römisches Privatrecht 18 , § 3, Rn. 13 ff.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 118 f. Problemkreise, deren Lösung üblicherweise dem Völkerrecht überantwortet werden, verschoben sich in den Bereich der Wahrung des inneren Friedens (pax Romana), vgl. hierzu Butkevych, JHIL 5 (2003), 189 (204 f.). Siehe auch die pointierte Kritik hieran bei Fernando Vasques, Controversiae illustres I, 45, § 3, zit. nach Reibstein, Volkerrecht I, S. 294 f. Zur Basis eines echten Volkerrechts konnte das ius gentium erst mit dem Zusammenbruch der zentralen Reichsgewalt werden (Reibstein, Völkerrecht I, S. 54). Siehe insoweit auch den begrifflichen Wandel zum ius gentium als eines allen Volkern gemeinen Rechts („ius gentium, quia eo iure omnes fere gentes utuntur") bei dem in spätrömischer Tradition stehenden Isidorus Hispalensis, Etymologiarum sive originum libri XX, Lib. V, Cap. VI. 9

Hierzu Ziegler, Volkerrechtsgeschichte, S. 44 f., 47 ff., 52 f. Zur Praxis der Staatsverträge, die später oft nur Verträge zwischen verschiedenen Kommunen innerhalb des Reiches waren, Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 110 f. 10 Bluntschli, Modernes Völkerrecht, S. 18; Story, Commentaries on the Conflict of Laws, S. 3; Ziegler, Volkerrechtsgeschichte, S. 56. Siehe auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 40. u Mommsen, Römische Geschichte6, Bd. I, S. 780. 12 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 113 ff. Die provinziale Rechtskultur ist mangels entsprechender Überlieferungen bisher weitgehend im Dunkeln geblieben, vgl. Kunkel, Römische Juristen2, S. 370 ff. Über die dortige Strafrechtspflege lässt sich also nur spekulieren. Erst mit dem später allmählich einsetzenden Zerfall des Weltreichs wurde vermehrt auch das römische Bürgerrecht sowie damit das Strafrecht auf andere Gebiete des Reiches erstreckt und dadurch eine innerstaatliche Strafrechtsvereinheitlichung bewirkt. 13 Wegner, in: FG Frank I, S. 98 (104, 108 f.). Vgl. auch Mann, RdC 111 (19641), 1 (24). 3*

Teil 1: Ideengeschichte der Weltrechtspflege

36

Staaten gegenüber m e i s t 1 4 als erobernde Welt- oder regulierende Besatzungsmacht und nicht als gleichberechtigter Staat i m Sinne eines modernen Völkerrechts auftrat 1 5 . Rom strebte zwar nach dem Rang eines Weltgesetzgebers 16 . M i t der zunehmenden Eroberung eines Weltreiches fehlte es international-strafrechtlichen Fragen jedoch schlichtweg an praktischer Bedeutung 1 7 . Insoweit enthielt das römische Recht zwar Regeln über die interne Gerichtszuständigkeit 18 , jedoch kaum Aussagen über extraterritoriale Geltungsansprüche seines Strafrechts. Der zersplitterten und eroberungsbedingt häufigem Wandel unterworfenen Strafrechtspraxis dürfte sich nach heutigem Erkenntnisstand wohl entnehmen lassen, dass Auslandstaten, die weder gegen den römischen Staat gerichtet waren noch einen römischen Bürger schädigten, strafrechtlich nicht verfolgt wurden 1 9 . Sieht man daher von dem Umstand der immensen territorialen Erstreckung des Römischen Reiches ab, lassen sich angesichts dieses Befundes keine wirklichen Ansätze für eine universale Strafrechtspflege finden 2 0 . Dies gilt insbesondere auch für die - als positive Rechtsnorm ohnehin nur für das oströmische Reich des 6. Jahrhunderts n. Chr. unmittelbar aussagekräftige - Fundstelle i m Corpus Iuris Civilis, Codex 3,15,1 (Ubi de criminibus agi oportet) 21, die vereinzelt und wohl eher sachlich überzogen als historischer Beleg für das Weltrechts14

Gleichwertige Gegner, die ihre Unabhängigkeit bewahren konnten und mit denen Rom einen echten völkerrechtlichen Verkehr pflegte, waren nach der Niederringung der Rivalin Karthago seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. nur noch das Partherreich und später das neupersische Reich (vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 56 f.). 15 Vgl. Bluntschli, Modernes Völkerrecht, S. 18. Siehe auch Steiger, JHIL 3 (2001), 180 (181). Der Niedergang des ursprünglichen antiken Staatenkoordinationsrechts wird meist mit dem Jahr 168 v. Chr. in Zusammenhang gebracht, in dem mit der Vorherrschaft über Griechenland endgültig das Römische Weltreich begründet wurde, Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 45. Vgl. Köstlin, Systeme des deutschen Strafrechts I, S. 39, der von einem Verlust aller völkerrechtlichen Grundlagen im staatsrechtlichen Sinne spricht. 16 Wegner, in: FG Frank I, S. 98 (104). 17 Beckett, BYIL 6 (1925), 44 (51); Köstlin, Systeme des deutschen Strafrechts I, S. 39. Vgl. auch Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 18. 18

Diese bestimmte sich allerdings nach dem Lokalitätsgrundsatz. Stellvertretend aus dem Corpus Iuris Civilis siehe Codex 3,13,5 und 3,15,1. Vgl. dazu Abegg, Die Bestrafung der im Ausland begangenen Verbrechen, § 49, S. 71; Henzelin, Le principe de l'universalité, S. 41 f.; Wegner, in: FG Frank I, S. 98 (109). Bisweilen sind auch vorgefundene Gerichtsbarkeiten und Gerichtshoheiten der angeschlossenen Gebiete und ihrer Fürsten erhalten geblieben, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 114 f. 19 Meili, Internationales Strafrecht, S. 28; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 108; auf diese bezieht sich insoweit auch Henzelin, Le principe de l'universalité, S. 44. 20 Zumindest missverständlich Höffe, Interkulturelles Strafrecht, S. 27. Die Ausführungen von Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 118 f., auf die sich Höffe bezieht, betreffen allein die gleiche Anwendung römischen Strafrechts auf Bürger wie Nichtbürger für Taten innerhalb des Reiches. „Quaestiones eorum criminum quae legibus aut extra ordinem coercentur, ubi commissa vel inchoata sunt, vel ubi reperiuntur qui rei esse perhibentur criminis perfici debere satis novum est."

IL Das Strafrecht des mittelalterlichen Personenverbandsstaates

37

prinzip bemüht wird 22 . Diese inhaltlich unklare Bestimmung23 dürfte aus dem Kontext heraus lediglich eine interne Gerichtsstandsregelung im Sinne einer örtlichen Zuständigkeit des forum deprehensionis zur Aburteilung der Tat darstellen 24 , jedoch keine Regel des materiellen Strafanwendungsrechts 25. Mit anderen Worten: Die Regel setzt eine Strafbarkeit am Tatort zur Tatzeit offenbar voraus, begründet diese aber nicht im Sinne einer Geltungserstreckung auf im Ausland belegene Sachverhalte.

II. Das Strafrecht des mittelalterlichen Personenverbandsstaates Die politische Ordnung des Mittelalters war bekanntlich lange Zeit institutionell schwach ausgeformt und konnte nicht auf einer bestehenden Bürokratie mit verfestigten Amtsstrukturen aufbauen. Ein kohärentes System der Abgrenzung von Souveränitätsbereichen konnte sich daher noch nicht ausdifferenzieren 26. Die politische Strukturierung Europas erfolgte allenfalls nachrangig über eine (kartografische) Gebietsabgrenzung und in erster Linie durch die Beherrschung strategisch wichtiger Standorte 27. Die territoriale Grenze als determinierender Faktor politischer Raumteilung war zwar nicht unbekannt, jedoch als rechtliche Kategorie nur in vagen Konturen entwickelt und spielte daher eine untergeordnete Rolle 28 . Das Königtum hatte sich in Europa jedenfalls bis zur Jahrtausendwende als Zentralgewalt noch nicht hinreichend verfestigen können 29 . Grundlage der politischen Ordnung waren weitgehend personengebundene Gefolgschafts-, Treue- und Lehensverhältnisse30. In diese politischen Rahmenbedingungen fügte sich auch das Strafrecht ein. Insbesondere das germanische Strafrecht des Früh22

So etwa Harvard Law School, Draft Convention on Jurisdiction with Respect to Crime, AJIL 29 (1935), 437 (574). 23 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht 2, Rn. 62. 24 Vgl. Henzelin, Le principe de l'universalité, S. 42; In diese Richtung auch Donnedieu de Vabres, Droit pénal international, S. 135 f.; ders., Revue de droit international privé 18 (1922/23), 533 f., der hierin allerdings trotz allem eine erste bescheidene Wurzel („modeste origine ") des Universalitätsprinzips erblickt. 25 Oehler, Internationales Strafrecht 2, Rn. 62 mit Fn. 8. 26 Vgl. auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, S. 9. 27 Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 43 f. 28 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 42 f. In erster Linie betraf die Gebietsabgrenzung Fragen des Privateigentums des jeweiligen Landesherrn, vgl. Kiichenhoff/Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre8, S. 34. Differenziert und ausführlich zur Entwicklung Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, S. 15 ff. 29 Vgl. Mitteis, Der Staat des Hohen Mittelalters 5, S. 141 f. Siehe zudem Bluntschli, Modernes Völkerrecht, S. 23. 30 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 215. Siehe auch Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 43 ff.

Teil 1: Ideengeschichte der Weltrechtspflege

38

mittelalters 3 1 war, von einzelnen Durchbrechungen abgesehen, i m Wesentlichen personengebundenes Recht 3 2 . Noch bis i n den Ausgang des Mittelalters hinein waren Gemeinwesen als eine lebendige, organische Gemeinschaft verfasst, die vorrangig auf persönlichen Bindungen beruhte 3 3 und an der Fremde grundsätzlich keinen Anteil hatten 3 4 . I m mittelalterlichen „Personenverbandsstaat" 35 stand daher das aktive Personalitätsprinzip i m Vordergrund, das vor allem zu einer Anwendung des jeweiligen stammesabhängigen ,Geburtsrechts 4 führte (leges criminales ossibus inhaerent) 36. Exemplarisch sei etwa auf den Sachsenspiegel, das wohl bedeutendste Rechtsbuch und Zeugnis mittelalterlicher Strafrechtspflege, verwiesen, dessen Strafrechtsbeschreibung trotz grundsätzlicher Anerkennung eines Gerichtsstands des Tatorts 3 7 materiell weitgehend personengebunden b l i e b 3 8 . Freilich stieß auch damals das personengebundene Strafrechtssystem auf gewisse praktische Schwierigkeiten 3 9 und bisweilen auf Ablehnung 4 0 . 31 Das frühere germanische Stammesrecht, das ebenfalls auf personalen Bindungen zu Sippen und Stämmen beruhte (vgl. Fleiner/Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre3, S. 304), kannte im Wesentlichen ohnehin keine funktionierende Strafrechtspflege im heutigen Sinne. Rechtsverletzungen wurden meist gewaltsam durch Sippenfehde oder durch Verständigung und Bußzahlung beigelegt (vgl. Dilcher, in: FS Kleinheyer, S. 95; Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege 3, S. 21 ff.). Vergeltende Fehde und Blutrache wurden erst durch die sich im Territorialstaat zunehmend durchsetzende staatliche Strafrechtspflege verdrängt (vgl. Schmidt, a. a. O., S. 46 ff.). Eine nähere Behandlung dieser Materie erübrigt sich daher im vorliegenden Kontext. 32

Vgl. Donnedieu de Vabres, Introduction a l'étude du droit pénal international, S. 69 ff.; Freiherr von der Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates, S. 407 f.; Meili, Bartolus als Haupt der ersten Schule des internationalen Strafrechts, S. 18; Oehler, Internationales Strafrecht 2, Rn. 48 ff., mit einer ausführlichen und differenzierten Darstellung insbesondere der Unterschiede zwischen dem Recht der Romanen und der Germanen; Wegner, in: FG Frank I, S. 98 (110). 33 Vgl. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 40 f.; Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte19, S. 32; Oehler, Internationales Straf2 recht , Rn. 52. 34 Köbler, Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte, S. 193. 35 Mitteis, Der Staat des Hohen Mittelalters 5, S. 4, 10, 42; Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte19, S. 32; Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 31. 36

Mitteis /Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte19, S. 91. Eike von Repgow, Landesrecht des Sachsenspiegels, Erstes Buch, Kapitel LIX, § 1; sowie die Regelung über die Nachfolge beim Tod eines Richters, Drittes Buch, Kapitel XXV, §2. 38 Eike von Repgow, Landesrecht des Sachsenspiegels, Drittes Buch, Kapitel LXXI, § 2: „Hat er aber in dutzem geklaget ader geantwerdet ader orteil gevunden vor gerichte, unde mag manz in Verzügen, her muz antwerte in dutzem, ane vor deme riche, wenne da hat itlich man recht nach siner gebort." Vgl. auch Oehler, Internationales Strafrecht 2, Rn. 54, zum Geburtsrecht des Sachsenspiegels; zum Gerichtsstand, Rn. 78. 3 9 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht 2, Rn. 53. 37

40

Insbesondere der um Modernisierung der Rechtspflege bemühte, sich im Geiste Justinians sehende Friedrich II wandte sich als König von Sizilien in den sizilianischen Konstitutionen dezidiert gegen das fränkische Personenverbandsstrafrecht, siehe dort II. 17: „Nos, qui

II. Das Strafrecht des mittelalterlichen Personenverbandsstaates

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Der mittelalterliche Universalismus wurde in der Reichsidee nur als flüchtiges, realpolitisch unerreichbares Ideal aufrechterhalten 41 und hatte daher auch für die Konturen eines internationalen Strafrechts keine Bedeutung. Die geheiligte Weltordnung der Christenheit (orbis christianus) 42 blieb Symbolik und kondensierte nicht zu einer greifbaren politischen Ordnung, wie auch das wiederhergestellte Imperium occidentale mit der Kaiserkrönung Karls des Großen keine Universalrechtsordnung geschaffen und die Selbständigkeit der in ihm vereinigten Völkerschaften nicht beseitigt h a t 4 3 . Die voraussetzungsvolle und komplexe Figur eines universellen Regelungsanspruches konnte sich erst recht nicht ausformen. Die Idee eines Universalreiches wurde letztlich von der verstetigten Territorialisierung, der damit einhergehenden Ausdifferenzierung einer (rudimentären) Völkerrechtsordnung und der nachfolgenden Zuständigkeitsverteilung zwischen verschiedenen Gemeinwesen überholt 4 4 . Daraus erklärt es sich auch, dass Ideen einer universalen Strafrechtspflege trotz Vorhandensein der Römischen Universalkirche 4 5 , die als parastaatliche Autorität zu einer universalen Rechtssetzung prinzipiell in Betracht gekommen wäre, nie Fuß fassen konnten 4 6 .

singulorum jura justititae libra pensamus, in judicciis aliquam discretionem haberi non volumus personarum, sed aequalitatem, sive sit Francus, sive Romanus, aut Longobardus, qui agit, se qui convenitur, justitiam sibi volumus ministrari; cavillationes et captiones antiquas jure Francorum, noscentias et momenta temporum, quae inter Francos in judiciis hactenus servabantur, nec non quasdam alias subtiles observationes tarn in civilibus, quam criminalibus causis submovens." (Wiedergegeben bei Kohler, ZIntPSR IV [1894], 225 [226]). 41 Siehe hierzu auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, S. 11 ff.; Rein, HistZ 137 (1928), 28 (29 ff.); vgl. im Übrigen Wilhelm von Ockham, Dialogus III, I I i, c. 18. 42 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Sozialphilosophie, S. 215. 43 Siehe Reibstein, Völkerrecht I, S. 83 ff., was im Übrigen erst recht für die Zeit nach der Reichsteilung gilt, vgl. ebd. S. 94 f.; auch Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, S. 263. 44 Kooijmans, Equality of States, S. 43; Story, Commentaries on the Conflict of Laws, S. 4. In diesem Sinne auch Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S. 18 f. Vgl. hierzu die ausführliche Beschreibung der mittelalterlichen Volkerrechtsentwicklung bei Reibstein, Völkerrecht I, S. 83 ff. 45 Siehe schon den bei Justinian, Cod. I, 1, 1 § 1, zum Ausdruck kommenden Anspruch einer Weltkirche. Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte4, Rn. 392 ff.; Rein, HistZ 137 (1928), 28 (33 f.) Zu den Auswirkungen des kirchlichen Universalismus auf das Volkerrecht vgl. etwa Kooijmans, Equality of Staates, S. 44 ff.; Reibstein, VölkerR I, S. 88 ff., 222 f., 267 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 75 f. 46 Auch ein Weltstrafrecht der Stadt Rom als communis patria, das in diesem Zusammenhang jedenfalls andiskutiert worden zu sein scheint (vgl. Kohler, Internationales Strafrecht, S. 37), kam wohl nie ernsthaft in Betracht. Bemerkenswert erscheint insoweit, dass eine der wirkungsmächtigsten Streitschriften des Renaissance, die 1486 gehaltene Inauguralrede des Giovanni Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate, im Ansatz zwar bereits universalistisch angelegt ist, damit aber zugleich einen im Kern säkularen, sich von den theologischen Paradigmen der Kirchenväter akzentuiert emanzipierenden Entwurf menschlicher Freiheit und Würde verwirklicht. Der Mensch könne sich kraft des Lichts seines Verstandes auch gegen Gott entscheiden: „Nec te caelestem neque terrenum, neque mortalem neque immortalem fecimus, ut tui ipsus quasi arbitrarius honorariusque plastes et fictor, in quam malueris

40

Teil 1: Ideengeschichte der Weltrechtspflege

I I I . Islamischer Universalismus und Territorialisierung seit dem Mittelalter Eine ähnliche Beobachtung i m Hinblick auf eine reale Territorialisierung trotz universeller Deutungsansprüche wie in Europa lässt sich i m Übrigen auch für das islamische Recht seit dem Mittelalter machen. Das islamische Recht ist i n seiner theologischen Begründung strukturell ebenfalls als Universalrecht konzipiert 4 7 . Bereits die Aufteilung der Welt in ein Gebiet des Islam (35 Schünemann, in: FS Bruns, S. 223 (228). (3010 f.). 136 Schünemann, in: FS Bruns, S. 223 (229).

A n g e d e u t e t auch b e i

Rau, NJW 2001, 3008

137 Vgl. Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, S. 118. Auf das fiktive Beispiel des mit örtlichen Rauschdrogen handelnden südamerikanischen Eingeborenen bezogen bedeutet dies, dass sein nach den realen Gegebenheiten vor Ort - das Fehlen staatlicher Repression unterstellt - rechtmäßiges Verhalten nicht dadurch strafbar im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG wird, weil ihm aus Zeitung und Fernsehen bekannt ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland ereifert, weltweiten Drogenhandel zu verbieten. 138

Siehe bereits Locke, Two Treatises of Government, sec. treat., Nr. 9. 139 Hirsch, ZStW 106 (1994), 746 (753 f.).

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Teil 3, Abschn. 2: Weltrechtspflege und Nulla-poena-Satz

keine maßgebliche Verhaltensnorm, verkäme die Sanktion zur bloßen Gebietszugangsrechtsfolge, die sich verwirklicht, wenn der Ausländer auf deutsches Hoheitsgebiet gelangt 140 , und damit zur leeren Hülse ohne soziale Substanz. Da der Gebietszutritt in keiner gesellschaftlich-kommunikativ sinnvoll darstellbaren Beziehung zu dem strafrechtlich sanktionierten Verhalten steht, würde die Sanktionsfolge an einen Ereigniszusammenhang geknüpft, der sich normativ betrachtet als schlechthin zufällig erweist. Da der weltrechtspflegende Forumsstaat mangels effektiver Zwangsgewalt auf den Bestand und die innere Stabilität einer Rechtsordnung im Tatortstaat keinen Einfluss zu nehmen vermag, muss er letztlich an anderweitig garantierte Normenbestände anschließen. Auch hiernach bleibt es letztlich dabei, dass eine extraterritoriale Geltungserstreckung von Straftatbestimmungen gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG nicht mehr sein kann als stellvertretende Strafrechtspflege. Gemessen daran scheidet dann auch eine Strafbarkeit begründende Korrektur der ausländischen Rechtsordnung durch den Filter des deutschen Ordre Public aus 141 . Art. 103 Abs. 2 GG beschränkt sich nicht darauf, das Vertrauen in die demokratischen und rechtsstaatlichen Gesetze deutscher Strafgesetzgeber zu schützen, sondern soll generell verhindern, dass jemand für Verstöße gegen eine Norm strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, nach der er sich zum Tatzeitpunkt am Tatort nicht orientieren konnte 142 . Mit Art. 103 Abs. 2 GG greift das GG nur einen vorkonstitutionellen und seit der Aufklärung zu einem vorbehaltlosen Dogma geronnenen Grundsatz auf, der universellen Anspruch erhebt (vgl. auch Art. 15 IPbürgR) und daher perspektivisch nicht auf die innerstaatliche Rechtsordnung beschränkt ist 1 4 3 . Der Vorwurf, der Betroffene habe sich an Gesetze gehalten, auf deren Gültigkeit er gemessen an der deutschen Rechtsordnung nicht hätte vertrauen dürfen, wird daher durch Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls ausgeschlossen144.

140 Tendenziell ebenfalls kritisch Schneider, Gesetzgebung3, Rn. 591. Es geht also auch hier um die Differenzierung zwischen der Geltung einer Norm einerseits und ihrer Anwendung bzw. Auswirkung andererseits, vgl. Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 50. 141 So aber Nowkowski, JZ 1971, 633 (636); Wilms/Ziemske, ZRP 1994, 170 (171 f.); der Sache nach auch Jescheck, IntRuD 1956, 75 (92). Hassemer, in: FS 50 Jahre BGH IV, S. 439 (462), ist zwar angesichts mangelnder dogmatischer Aufarbeitung skeptisch, hält dieses Kriterium aber für immerhin diskutabel.

Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (828). 143 Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (828 f.). 1 44 Anders formuliert: Der Filter des Ordre Public, der angesichts der zunehmenden internationalen Kooperation immer mehr an Bedeutung gewinnt, soll lediglich verhindern, dass sich deutsche Behörden und Gerichte zu Vollstreckern von Vorentscheidungen einer auswärtigen Staatsgewalt machen lassen, die nicht mit unserer rechtsstaatlichen Ordnung zu vereinbaren sind. Indem man die Bestrafung eines Verbrechens mit der Begründung verweigert, die Tat sei am Ort des Geschehens legalisiert worden, verhilft man gerade dem deutschen Ordre Public zum Durchbruch, zu dem auch die elementare rechtsstaatliche Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG zählt.

m . Relativierung durch Öffnung der Verfassungsstaatlichkeit?

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IE. Relativierung durch Öffnung der Verfassungsstaatlichkeit? Unergiebig ist im vorliegenden Kontext auch die internationale Offenheit der unter dem Grundgesetz verfassten Staatlichkeit 145 , da dieser staatsrechtliche Befund jedenfalls keine Relativierung des Schutzumfanges von Art. 103 Abs. 2 GG bei der Beurteilung extraterritorialer Verbrechen gegen das Völkerrecht durch deutsche Gerichte ermöglicht 146 . Insbesondere die zentrale Bestimmung des Art. 24 Abs. 1 G G 1 4 7 erlaubt es zwar, Hoheitsrechte einschließlich funktioneller Rechtssetzung148 auf zwischenstaatliche Organisationen zu übertragen und deren Hoheitsakten Durchgriffswirkung, d. h. unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Raum ohne staatlichen Transformationsakt, zu ermöglichen 149 . Zudem gehen allgemeine Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG innerstaatlichen Gesetzen vor. Eine weitergehende Kompetenzübertragung auf völkerrechtliche Rechtssetzungsinstanzen, die eine unmittelbare rechtssystemimmanente Rezeption systemexogener Einflüsse 150 erlaubt, erscheint kaum denkbar. Die Integration des international-kooperativen Weltrechtspflegegedankens in dieses System staatlicher Offenheit wurde bereits dargelegt. Mangels Aussagen über eine Geltung auf fremdem Staatsgebiet lassen sich hieraus jedoch von vornherein keine Folgerungen ableiten, unter welchen Voraussetzungen extraterritoriale Völkerrechtsverletzungen nach deutschem Strafrecht abgeurteilt werden können. Die Offenheit für internationale Kooperation ermöglicht zwar ein Anknüpfen deutscher Staatsgewalt an supranationale Hoheitsakte, ist jedoch für den im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG thematischen Individualzugriff unergiebig, wenn der fremde Staat eine Rezeption durch sein Recht verweigert, sich seinerseits einer Kooperation verschließt 151 oder die 145 Hierzu Di Fabio, Das Recht offener Staaten; ders., Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft; Geck BVerfG und GG II, S. 125 (134 f.); Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz; Kadelbach, in: Pieroth, Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, S. 161 (163); Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 444 ff. So aber Werle, NJW 2001, 3001 (3003). Dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG sei auch im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG zur Geltung zu verhelfen. Völkerstrafrechtliche Verbrechen könnten nicht legalisiert werden, so dass ihre Bestrafung unabhängig von der Rechtsordnung des Tatortes nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße. Ähnlich auch Rau, NJW 2001, 3008 (3013). 147 Vgl. Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 421 (430 f.); Kadelbach, in: Pieroth, Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, S. 161 (172); Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 17 ff.

1 48 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 227; Deiseroth, in: Umbach/Clemens, MitKommGG, Art. 24, Rn. 41; Gramm, DVB1. 1999, 1237 (1240); Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 19. Siehe BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28); 73, 339 (374 f.); Baldus, DV 32 (1999), 481 (488 f.); Gramm, DVB1. 1999,1237 (1239 f.); Streinz, in: Sachs, GG 3 , Art. 24, Rn. 18; Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 19. ,5

° Vgl. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 293. In diesem Fall führt der Befund der internationalen Verflechtung eben gerade nicht weiter, was Klein, W D S t R L 51 (1992), 120 (121), verkennt. 151

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Teil 3, Abschn. 2: Weltrechtspflege und Nulla-poena-Satz

praktische Wirksamkeit des Völkerstrafrechts im innerstaatlichen Bereich verhinden 1 5 2 . Als Argument zur innerstaatlichen Reduktion des Grundrechtsschutzes erweist sich die internationale Offenheit auch im Übrigen als ungeeignet153. Der plakative Topos der »Verfassungsentscheidung für eine offene Staatlichkeit4 hat in seiner Abstraktion ohnehin kaum eigenständige normative Kraft 1 5 4 , bleibt also ohne Konkretisierung vor allem heuristische Figur bzw. staatstheoretisches Argument. Als Argument kann die offene Staatlichkeit der internationalen Kooperation zwar durchaus einen abwägungsrelevanten Eigenwert im Sinne verfassungsrechtlich legitimer Zwecksetzung verleihen 155 . Dies setzt freilich ein Einfallstor für Güterabwägungen voraus. Daran fehlt es indes vorliegend, da sich die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG gerade durch eine generelle Abwägungsresistenz auszeichnet 1 5 6 . Die innerstaatliche Geltung universellen Völkerrechts nach Art. 25 GG ändert hieran ebenfalls nichts, da die gegenständlichen Regelungen zwar den einfachen Gesetzen vorgehen, normenhierarchisch jedoch im Rang unter der Verfassung bleiben und daher auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Völkergewohnheitsrecht keinen Dispens von Art. 103 Abs. 2 GG bewirken kann 157 .

IV. Menschenwürde als kollidierendes Verfassungsrecht? Ein bislang kaum diskutiertes Einfallstor 158 , die vorbehaltlose Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG zu überwinden, könnte theoretisch in einer Einschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht liegen. Als Kollisionsgut käme aufgrund der spezifischen Angriffsrichtung der vor allem von § 1 VStGB erfassten Tatbestände die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) in Betracht. So ließe sich argumentieren, der Staat erfülle mit der universellen Präskription strafbaren Verhaltens Schutzpflichten für Menschenwürde und Menschenrechte 159. Daneben wur152 Vgl. auch Arnold, GA 1997, 599 (601). 153 Baldus, DV 32 (1999), 481 (502); Gärditz, in: FG Hans Hilger, S. 91 (107). 154 Baldus, DV 32 (1999), 481 (502); Hillgruber, HbStR II 3 , § 32, Rn. 128. 155 Gärditz, in: FG Hans Hilger, S. 91 (107). 156 Siehe nur BVerfGE 109, 133 (171 f.): „Anders als das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende allgemeine Vertrauensschutzgebot ist das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG der Abwägung nicht zugänglich." 157 So im Ergebnis auch Ambos, StV 1997, 39 (42); Ebert, in: FS Müller-Dietz, S. 171 (174 f.). 158 Eine Überwindung des Nulla-poena-Satzes durch kollidierendes Verfassungsrecht wurde in dieser Klarheit bisher vor allem von Pieroth (WDStRL 51 [1992], 91 [103]; ders., in: Jarass/ders., GG 7 , Art. 103, Rn. 55) im Zusammenhang mit dem Problemkreis der so genannten ,Mauerschützen4 thematisiert. Er lehnt dies im Ergebnis ab, da es aufgrund der historischen Singularität der Taten an der Geeignetheit und Erforderlichkeit staatlichen Strafens zum Schutze heutiger und zukünftiger Rechtsgüter fehle. 159 Vgl. Pieroth, W D S t R L 51 (1992), 90 (103), freilich im Ergebnis ablehnend.

IV. Menschenwürde als kollidierendes Verfassungsrecht?

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den auch Art. 25 GG und die völkerstrafrechtlichen Schutzgüter als abwägungsrelevantes Substrat gegen Art. 103 Abs. 2 GG ins Spiel gebracht 160. Einer Eingriffsrechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte (etwa Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 5 Abs. 3) nicht schrankenlos gewährleistet sein können. Die Freiheitsausübung kann vielmehr in Konkurrenz zu Freiheitsrechten anderer Grundrechtsträger oder zu objektiven Staatsaufgaben treten 161 . Um innere Widersprüche im Rahmen der Verfassungsordnung zu verhindern, müssen etwaige Spannungsverhältnisse verhältnismäßig ausgeglichen, muss also eine »praktische Konkordanz4 hergestellt werden 162 . So bestechend diese Anleihe bei der allgemeinen Grundrechtsdogmatik zunächst erscheinen mag, erweist sie sich im Ergebnis als ungeeignet für eine Übertragung auf Art. 103 Abs. 2 GG. Das Grundrechtskollisionsmodell ist hier bereits deshalb zu verwerfen, weil es an der erforderlichen Kollisionslage fehlt 1 6 3 . Weder die Menschenwürde noch andere Güter von Verfassungsrang sind in ihrem Bestand oder ihrer Wirkungskraft gefährdet, wenn auf eine Verfolgung extraterritorialer Straftaten, die unter den abweichenden Rahmenbedingungen des Tatortstaates und damit jenseits der Einwirkung deutscher Staatsgewalt begangen wurden, aus rechtsstaatlichen Gründen verzichtet werden muss. Erst recht scheitert ein Rekurs auf staatliche Schutzpflichten, da diese schon funktional auf einen effektiv wirksamen, keinen bloß ideellen Grundrechtsschutz zielen, sich im Ergebnis also zwangsläufig auf territorial erreichbare Schutzgegenstände beziehen. Zudem verleiht die spezifische Funktion des Nulla-poena-Satzes allgemeine Resistenz gegenüber einer Relativierung durch andere Gemeinwohlbelange164. Die rechtsstaatliche Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG ist streng formales 165 Abwehrrecht gegen staatliche Strafeingriffe 166 . Die Verfassungsnorm könnte ihre rechtsstaatlichen Funktionen nicht verwirklichen, wenn sie durch Gemeinwohlbelange relativierbar wäre 167 . Daher ist 160

Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von »Mauerschützen« im Lichte von Art. 103 I I GG, S. 265 ff. Zu Recht ablehnend Ambos, StV 1997, 39 (41 f.); Arnold, GA 1997, 599 (601); Ebert, in: FS Müller-Dietz, S. 171 (180 f.). 161 Siehe stellvertretend Sachs, Grundrechte 2, A 9, Rn. 20 ff. 162

Siehe Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland20, Rn. 72,317. 163 Im Ergebnis ebenso Kunig, in: v. Münch/ders., GG 5 , Art. 103, Rn. 17. 164 BVerfGE 109, 133 (171 f.). 165 BVerfGE 95, 96 (131). 166 Vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 53 f., der zugleich zutreffend herausstellt, dass es nicht um irgendeinen ,Strafanspruch des Staates' geht, sondern vielmehr der Staat eine Kompetenz zum Strafen erst durch verfassungskonformes Gesetz begründen muss. 167 Vgl. Tiedemann, Tatbestandsfunktion im Nebenstrafrecht, S. 189 f., der zutreffend darauf hinweist, dass aus diesem Grund die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation der EMRK die Anwendung der Durchbrechungsnorm des Art. 7 Abs. 2 EMRK im Hinblick auf deren Unvereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG durch Vorbehalt ausgeschlossen hat. Auch

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Teil 3, Abschn. 2: Weltrechtspflege und Nulla-poena-Satz

Art. 103 Abs. 2 GG bereits Endprodukt einer vom Verfassungsgeber zugunsten der Rechtssicherheit vorgenommenen Güterabwägung und mangels positivierter Durchbrechungen keiner weiteren Abwägung mehr zugänglich 168 . Diese absolute Grenze wurde gerade in dem Wissen geschaffen, dass menschliche Tragik und schockierende Ereignisse den Ruf nach Vergeltung und damit immer auch Strafbedürfnisse der Bevölkerung hervorbringen werden, gegen die es den Rechtsstaat und damit die von Strafverfolgung Betroffenen zu verteidigen gilt 1 6 9 . Mit anderen Worten: Schutzbereich und einschränkungsresistenter Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) fallen in Art. 103 Abs. 2 GG gerade zusammen. Legitime Bedürfnisse nach Schutzrelativierung kann insoweit nur der verfassungsändernde Gesetzgeber befriedigen.

V. Immanente Gerechtigkeitsgrenzen des Art. 103 Abs. 2 GG? Abschließend bleibt zu klären, ob Art. 103 Abs. 2 GG zumindest immanente Begrenzungen des Vertrauensschutzes enthält, die jedenfalls eine Bestrafung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen auch ohne Strafbarkeit am Tatort zulassen170. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei ,überpositive4 und naturrechtlich inspirierte, materiale Gerechtigkeitserwägungen. Der Rückgriff auf überpositive Grundsätze, die letztlich das staatliche Gesetz verdrängen sollen 171 , wird bis heute als taugliches Instrument betrachtet, Bewertungsprobleme totalitärer Gewaltverbrechen angemessen zu lösen 172 . Eine zentrale Rolle in der argumentativen Auseinandersetzung spielt hier traditionell die so genannte Radbruch'sehe Formel 1 7 3 , wonach das grundsätzlich geltende positive Recht dann unbeachtlich sei, wenn sein Widerspruch zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreiche 174 . In die Garantie des Art. 15 Abs. 1 IPbürgR ist notstandsfest gewährleistet (Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 15, Rn. 1). 168 Ebert, in: FS Müller-Dietz, S. 171 (181); Lasodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 399; Pieroth, in: Jarass/ders., GG , Art. 103, Rn. 55; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1, Rn. 8; Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (828 ff.). 169 Vgl. Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (834). 1 70 Ausführlich zu dieser Diskussion Ebert, in: FS Müller-Dietz, S. 171 ff., der sogar davon spricht, dass angesichts der Entwicklungen im Völkerstrafrecht das „Gesetzlichkeitsprinzip [ . . . ] auf nationaler Ebene in eine Krise geraten" sowie Völkerrecht und Verfassungsrecht in eine Spannungslage zueinander geraten seien. 171 Vgl. hierzu Grünwald, Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, S. 7; Hassemer, in: FS Trechsel, S. 135 (142). 172 Explizit etwa Breuer, in: FS Redeker, S. 11 (21 f.). 173 Vgl. hierzu Alexy, W D S t R L 51 (1992), 132 (133); Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 268 ff.; Frommel, in: FS Kaufmann, S. 81 ff.; Häberle, W D S t R L 51 (1992), 117 (119); Hassemer, in: FS Trechsel, S. 135 (143 ff.); Kaufmann, NJW 1995, 81 ff.; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG 5 , Art. 103, Rn. 126 ff.; von der Pfordten, Rechtsethik, S. 186 ff., 203 ff.; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat; eine Rezeption ins Völkerrecht wagte jüngst Schmalenbach, JZ 2005, 637 (642). 174 Siehe Radbruch, SJZ 1946,105 (107).

V. Immanente Gerechtigkeitsgrenzen des Art. 103 Abs. 2 GG?

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der Nachkriegszeit wurde i m Rahmen der Aburteilung von NS-Gewaltverbrechen zur Rechtfertigung der rückwirkenden Anwendbarkeit des K R G Nr. 1 0 1 7 5 überwiegend auf naturrechtliche Kategorien rekurriert 1 7 6 , was seinerzeit zu einer nachvollziehbaren, jedoch theoretisch kaum aufbereiteten und weitgehend diffus i m Emotionalen verbliebenen 1 7 7 Renaissance naturrechtlicher Argumente i m Recht führt e 1 7 8 . Auch die in Art. 20 Abs. 3 G G enthaltene und durch die Erfahrungen mit dem NS-Unrechtsregime geprägte Formulierung »Gesetz und Recht 4 ist hiervon beeinflusst 1 7 9 und wurde später ebenfalls als strafbegründendes Argument gegen den Nulla-poena-Satz i n Stellung gebracht 1 8 0 . I m Zusammenhang mit der Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts 1 8 1 sowie der DDR-Regierungskriminalität 1 8 2 wurden unter dem Gesichtspunkt materialer Gerechtigkeit 1 8 3 bzw. mittels Rekurses auf das Naturrecht Durchbrechungen des Nulla-Poena-Satzes mit überwiegend rechtlich jedenfalls nicht abschließend ausgeformten Begründungen 1 8 4 zugelass e n 1 8 5 . So wurde versucht, das innerstaatliche Recht des Tatortstaates entgegen der 175 Siehe hierzu die berühmte Diskussion von v. Hodenberg, SJZ 1947, 113 (117 ff.); Radbruch, SJZ 1947,131 (134 ff.); Wimmer, SJZ 1947,123 ff. 176 Exemplarisch Siegert, Repressalie, Requisition und Höherer Befehl, S. 40. Hierzu ausführlich Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, S. 48 ff. Radbruch wollte mit seiner vielzitierten Formel wohl auch nicht das klassische Naturrecht zum Maßstab seiner Gerechtigkeitsprüfung machen, vgl. nur die konzise und detailreiche Analyse bei Kaufmann, NJW 1995, 81 (85 f.). 1 77 Siehe auch die berechtigte methodische Kritik von Dencker, ZNR 2005, 49 (59 f.), der zutreffend davon ausgeht, dass solche Erwägungen auch unbenannt und im Einzelnen unreflektiert von Anfang an eine entscheidende Rolle spielten, da eine Anwendung des tatsächlich zur Tatzeit geltenden NS-Rechts sich als unzulänglich dargestellt habe. 178 Siehe instruktiv zu den verschiedenen Facetten Hassemer, in: FS Trechsel, S. 135 (141 ff.). 179 Vgl. Grünwald, Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, S. 30 f.; Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, S. 29 ff. Zur Fortsetzung des Problems im Richterdienstrecht Schmidt, JZ 1963, 73 (75 f.). 180 So explizit Pitschas, VVDStRL 51 (1992), 149 (150).

181 So führt etwa der Supreme Court of Canada, Urt. v. 24. 3. 1994, Regina v. Finta, ILR 104,284 (399 ff.) aus, dass eine Bestrafung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Zweiten Weltkriegs nur insoweit das Rückwirkungsverbot berührte, als eine individuelle Verantwortlichkeit begründet worden sei. Die Taten selbst seien nämlich bereits seit der Haager Konvention von 1907 zwischenstaatlich verboten (400). Unter dem Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit, dem auch das Rückwirkungsverbot diene, sei die Bestrafung der Täter zulässig, da die Taten nicht straflos bleiben dürften (401 f.). 182 BVerfGE 95, 96 (134 f.); BGHSt 40, 218. Eingehende und konzise Analyse bei Hasseme r, in: FS 50 Jahre BGH IV, S. 439 ff. 183 Vgl. auch Kriele, VVDStRL 51 (1992), 131; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 36 ff. 184 Kritisch daher insbesondere Jakobs, GA 1991, 1 ff.; Pawlik, GA 1994, 472 ff.; Rau, NJW 2001, 3008 ff.; Rensmann, in: Menzel, Verfassungsrechtsprechung, 605 (609 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. HI, Art. 103 II, Rn. 47 ff. 185 Exemplarisch aus der Staatsrechtslehre Degenhart, in: Sachs, GG 3 , Art. 103, Rn. 73a, Rn. 50a; Häberle, VVDStRL 51 (1992), 117 (119); Maurer, VVDStRL 51 (1992), 147 (148);

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Teil 3, Abschn. 2: Weltrechtspflege und Nulla-poena-Satz

,real-sozialistischen' Staatspraxis ,menschenrechtsfreundlich' auszulegen 1 8 6 . Bisweilen wird auch die Begrenzung des Nulla-poena-Satzes normativ-teleologisch begründet. Dieser sei auf die „rechtsstaatliche Normallage zugeschnitten" 1 8 7 . Wenn das Rückwirkungsverbot zum Schutzschild des Machtstaates und seiner Mörder werde, sei der Rechtsstaat legitimiert, in dieser speziellen Situation das Rückwirkungsverbot nicht anzuwenden 1 8 8 . Es nimmt daher nicht wunder, dass auch konkret versucht wurde, das Weltrechtsprinzip auf naturrechtliche Säulen zu stellen 1 8 9 . A m weitesten geht in diesem Zusammenhang die bewusst polemische Streitschrift Nauckes 1 9 0 , der den Nulla-poena-Satz in erster Linie naturrechtlich-teleologisch begrenzen w i l l , um zu verhindern, dass bei staatsverstärkter K r i m i n a l i t ä t 1 9 1 der Satz princeps legibus solutus auflebe 1 9 2 . Angesichts schwerster Menschenrechtsverstöße wirke die Behauptung, einer Bestrafung stünden strafrechtliche Garantien entgegen, als inakzeptabler positivistischer Relativismus 1 9 3 . Der Positivismus dürfe jedoch kein Hindernis sein, wenn eine Bestrafung politisch gewollt

Klein, W D S t R L 51 (1992), 120 (121); Kriele, VVDStRL 51 (1992), 131; Starck, VVDStRL 51 (1992), 7 (27). Ausführlich zum Streitstand und den verschiedenen Ansätzen sowohl im Rahmen der Aufarbeitung der NS-Gewaltverbrechen als auch des DDR-Unrechts: Zimmermann, JuS 1996, 865 ff. 186 BVerfGE 95, 96 (133); BVerfG-K, Beschl. v. 7. 4. 1998, 2 BvR 2560/95, NJW 1998, 2585 f. Signifikant auch BVerfG-K, Beschl. v. 12. 5. 1998, 2 BvR 61/96, NJW 1998, 2587 (2588 f.), betreffend die Strafbarkeit von DDR-Richtern wegen Rechtsbeugung (§ 244 DDRStGB), mit der fast schon zynischen Begründung, dass das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Interpretation von Strafgesetzen nicht mehr durch Art. 103 Abs. 2 GG geschützt sei. Differenziert etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103, Rn. 255, der zwar von der Lösung des Bundesgerichtshofs ausgeht, jedoch die faktische Staatspraxis jedenfalls bei Vollzugsorganen unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes berücksichtigen will. 187 Werle, NJW 1992, 2529 (2535); ähnlich auch BVerfGE 95, 96 (132); Frommel, in: FS Arth. Kaufmann, S. 81 (91); Röling, RdC 100 (1960 II), 323 (369). Teilweise wird auch darauf abgestellt, dass jedenfalls kein Vertrauensschutz bestehe, ein anderer Staat werde die Tat nicht verfolgen. Vgl. BGH, Urt. v. 30. 7. 1993, 3 StR 347/92, NJW 1993, 3147 (3149); Gehrlein, Strafbarkeit der Ost-Spione, S. 59 ff. 188 Werle, NJW 1992, 2529 (2535), der freilich auch die verfassungsrechtliche Problematik nicht leugnet und es jedenfalls für den »saubersten1 Weg hält, die Verfassung zu ergänzen; ähnlich Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG 5 , Art. 103, Rn. 132, unter dem Gesichtspunkt eines »Mindestmaßes an materieller Gerechtigkeit'. In diese Richtung zielt auch die häufig vorgefundene Erwägung, schwerste Formen des Unrechts dürften nicht der Strafjustiz entzogen bleiben, nur weil sie mit dem Mantel der Legalität getarnt worden seien {Limbach, ZG 1993, 289 [299]). 189 So Boyd, TexIU 40 (2004), 1 (38 ff.). 190 Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität. Hiergegen zu Recht kritisch Joerden, GA 1997, 201 ff., der Naucke vor a l l e m vorhält, b e i a l l e m Engagem e n t d i e Dinge doch etwas zu sehr zu vereinfachen. 191 Zur Begriffsbildung Hassemer, in: FS 50 Jahre BGH IV, S. 439 (443 ff.). 192 Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 54. 193 Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 41.

V. Immanente Gerechtigkeitsgrenzen des Art. 103 Abs. 2 GG?

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sei 1 9 4 , zumal auch bisher der Nulla-poena-Satz Durchbrechungen aus Gründen materieller Gerechtigkeit erfahren habe 195 . Im Ergebnis will Naucke das Rückwirkungsverbot daher jedenfalls auf »staatsverstärkte Kriminalität 4 nicht anwenden, da diese in der Regel von der Rechtsordnung gedeckt, aber aus Gründen der Gerechtigkeit nicht hinzunehmen sei. Letztlich beruhen sämtliche Ansätze, die mit Erwägungen materialer Gerechtigkeit operieren, auf dem Gedanken, dass das Vertrauen in die Straflosigkeit nicht schutzwürdig sei, wenn der Rechtsordnung, die das jeweilige Verhalten legalisiert, generell oder jedenfalls im Hinblick auf die Bewertung der Tat jedwede Anerkennung zu versagen sei 1 9 6 . Aus der nüchternen Perspektive des Verfassungsrechts erscheint dies nicht überzeugend 197. Die Bundesrepublik Deutschland duldet als Verfassungsstaat unter dem Grundgesetz Geltungsansprüche nur nach von der staatlichen Rechtsordnung selbst statuierten Erzeugungsbedingungen, hat also die Vollpositivität des Rechts institutionalisiert 198 . Dies schließt insbesondere naturrechtliche Vorbehalte aus, soweit diese nicht über besondere Rezeptionsbegriffe qua Verweisung rechtssystemimmanent in die Rechtsordnung integriert werden. Erst recht gilt die Abhängigkeit des Rechts von positiver Setzung in Ansehung der durch Art. 103 Abs. 2 GG besonderen Restriktionen unterworfenen Erzeugungsbedingungen positiven Strafrechts. Es gibt natürlich gute Gründe, ein bestimmtes 194

Naucke , Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 43 f. Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 47 ff. Die wenigen Zeugen, auf die er sich hierzu, freilich vor allem mit sarkastischer Intention - etwa die rückwirkende Einführung der Todesstrafe im Prozess gegen van der Lübbe im Jahre 1933 (S. 49) - , stützt, sind ohnehin offensichtlich keine Ausprägungen rechtsstaatlichen Strafrechts und können als Beleg verwandt werden, dass der nulla poena-Satz auch in der Vergangenheit nicht selten verletzt worden ist (in diese Richtung zielte letztlich wohl auch die offene Polemik, vgl. S. 81). Wenn hier der deutschen Strafjustiz der Spiegel vorgehalten werden sollte, ist dies nicht nur aus der hier interessierenden verfassungsrechtlichen Sicht unergiebig, sondern letztlich auch wenig geglückt. Sein Verweis darauf (S. 51 f.), dass das Rückwirkungsverbot gemäß § 2 Abs. 6 StGB nicht für Maßregeln der Besserung und Sicherung gelte, ist im Übrigen im vorliegenden Kontext unergiebig. Die Unanwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG auf das Maßregelrecht ist schon damit zu erklären, dass es sich bei diesen rein präventiv-polizeilichen Maßnahmen (vgl. Gärditz, Strafprozeß und Prävention, S. 126 ff.) schon nicht um Strafrecht handelt, also der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG nicht thematisch ist (nunmehr ausführlich: BVerfGE 109, 133 [167 ff.]). 195

w Exemplarisch BGH, Beschl. v. 17. 6. 2004, 5 StR 115/03, NJW 2004, 2316 (2318), hinsichtlich der Rechtfertigung von Geiselerschießungen durch deutsche Besatzungstruppen in Norditalien während des Zweiten Weltkriegs: „Diese damalige Beurteilung ist allerdings mit der Bedeutung des Menschenrechts auf Leben schlechthin unvereinbar. [ . . . ] Diese Tat ist daher nach geläuterter Auffassung als derart menschenverachtend einzustufen, dass sie nur als rechtswidrig zu werten ist [ . . . ]." Die vom BGH als Beleg angeführte Fundstelle BGHSt 2, 333 (334 f.), dürfte diesen doch recht schneidigen Aussagen freilich kaum als Präjudiz dienen. i 9 ? Exemplarisch Ebert, in: FS Müller-Dietz, S. 171 (181 ff.); Grünwald, Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht; Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (832 ff.). i 9 « Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 292. 25 G ä r d i t z

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Verhalten als ,naturrechtswidrig' und erst recht als materielles Unrecht zu bezeichnen und damit eine rechtsethische oder moralische Missachtung zum Ausdruck zu bringen. Dies ändert jedoch weder an der bitteren Realität menschenrechtsfeindlicher Rechtsordnungen etwas, noch lassen sich durch gut begründete rechtsethische Postulate Geltungsvoraussetzungen staatlichen Strafrechts schaffen, zumal dieses qualifizierten staatsrechtlichen Begründungs- und Rationalitätsanforderungen unterliegt. Gerade der rechtsstaatliche Grundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG soll verhindern, dass Strafe zu einem Instrument materialer Einzelfallgerechtigkeit instrumentalisiert wird 1 9 9 . Der Einzelne wird hierdurch von einer strafrechtlich relevanten Entscheidung entlastet, was außerhalb gesetzlich legalen Verhaltens gerecht und ungerecht ist. In unserer Verfassungsordnung ist es nach Art. 103 Abs. 2 GG erst der demokratisch legitimierte Gesetzgeber, der zu entscheiden hat, welche Ordnung er als ,gerecht4 konstituieren und welches Verhalten er unter Strafe stellen w i l l 2 0 0 . Art. 103 Abs. 2 GG hat also den bekannten Konflikt zwischen materialer Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit aufgegriffen, zugunsten Letzterer entschieden und richtet sich daher als spezifisches Abwehrrecht gegen eine Änderung strafrechtlicher Bewertungsmaßstäbe bereits strukturell gegen ein materielles Gerechtigkeitsstreben 201. »Strafgerechtigkeit 4 als formales Prinzip kann sich daher nur im Gesetz entfalten 202 , folgt allein staatlich gesetztem203, nicht bloß empfundenem Recht 204 . Die Abwägungsresistenz und Formalisierung dieses Verfassungssatzes 205 ginge verloren, ließe man negative Vertrauensschutzerwägungen zum Nachteil des betroffenen Normadressaten zu, die der Sache nach nichts anderes sind als eine Abwägung mit übergeordneten (Gerechtigkeits-)Interessen 206. Der abschließende Charakter des Art. 103 Abs. 2 GG erfährt eine interpretatorisch nicht von vornherein unergiebige 207, nämlich ein geistesgeschichtlich gewachsenes Normverständnis widerspiegelnde, wenn auch freilich nicht normativ verbindliche Bestätigung durch die bundesdeutsche Staatspraxis. Diese hat im Rahmen der Ratifizierung des Art. 7 Abs. 2 EMRK zwar keinen formalen Vor199 Grünwald, ZStW 76 (1964), 1 (18); Pieroth, VVDStRL 51 (1992), 90 (102 f.). 200 Vgl. Grünwald, ZStW 76 (1964), 1 (18); Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 421 (441). 201 Pieroth, VVDStRL 51 (1992), 90 (104); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. HI, Art. 103 II, Rn. 12; Zielinski, in: FS Grünwald, S. 811 (829). Vgl. auch Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 421 (441). Anderer Ansicht mit deutlicher Tendenzen zum blanken politischen Dezisionismus Naucke, Die S t r a f j u r i s t i s c h e Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 34 ff. 202 Vgl. Grünwald, ZStW 76 (1964), 1 (18). 203 Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 421 (441). 204 Partiell anders als hier Degenhart, in: Sachs, GG 3 , Art. 103, Rn. 76. 205 BVerfGE 95, 96 (131); Ambos, StV 1997, 39 (41); Hassemer, in: FS Trechsel, S. 135 (141). 206 Wie hier Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. IE, Art. 103 II, Rn. 44; kritisch auch Kunig, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 421 (441). 207 Vgl. auch allgemein Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 440 f.

V. Immanente Gerechtigkeitsgrenzen des Art. 103 Abs. 2 GG?

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behalt (Artt. 19 ff. WVK) angebracht 208, jedoch im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken darauf hingewiesen, diese Ausnahmeklausel nur im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG anzuwenden209. Art. 7 Abs. 2 EMRK ist vor allem unter dem Eindruck der NS-Gewaltverbrechen entstanden und sollte die Verurteilungen durch die Nürnberger Militärtribunale rechtfertigen (so genannte ,Nürnberg-Klauser) 210 . Man ging also (mit Recht) davon aus, dass Art. 103 Abs. 2 GG auch einer vergleichbaren Schwere der Taten oder Evidenz des verbrecherischen Charakters standhält. Angesichts der historischen Belastung mit den Verbrechen der NS-Herrschaft erscheint es hier eher irritierend, dass man trotz dieser richtigen Diagnose offenbar kein Bedürfnis sah, Abhilfe zu schaffen und die Verfassung entsprechend international etablierten Standards anzupassen211. Dass sich angesichts der Entwicklungen auf internationaler Ebene ein menschenrechts-teleologischer ,Verfassungswandel