Weltbekehrungen: Zur Konstruktion globaler Religion im pfingstlich-evangelikalen Christentum [1. Aufl.] 9783839422410

Lässt sich inmitten der weltreligiösen Vielfalt ein globaler Zusammenhang ähnlich etwa der Weltwirtschaft oder Weltpolit

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Weltbekehrungen: Zur Konstruktion globaler Religion im pfingstlich-evangelikalen Christentum [1. Aufl.]
 9783839422410

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
TEIL A: RELIGION IM BLICKPUNKT VON DIFFERENZIERUNGSUND GLOBALISIERUNGSTHEORIE
I. Religion und Differenzierung I: Klassische Perspektiven
1. Religiöse Rollendifferenzierung: Herbert Spencer
1.1 Die Gesellschaft in der Organismusanalogie
1.2 Die „ecclesiastical institutions“
2. Religiöse Integration der Gesellschaft: Emile Durkheim
2.1 Religiöse Perspektiven in „Über soziale Arbeitsteilung“
2.2 Die Religionssoziologie in „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“
2.3 Die Nähe zur Marx’schen Religionskritik
3. Religiöser ‚Sinn‘: Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, Max Weber
3.1 Wilhelm Dilthey
3.2 Georg Simmel
3.3 Max Weber
4. Fazit: Dilthey, Simmel und Weber als differenzierungstheoretischer Ausgangspunkt
II. Religion und Differenzierung II: Zum differenzierungstheoretischen Potential der ‚nachklassischen‘ Religionssoziologie
1. Religiöse Differenzierung als Depotenzierung: Thomas Luckmann, Bryan Wilson, Pierre Bourdieu
1.1 Thomas Luckmann
1.2 Bryan Wilson
1.3 Pierre Bourdieu
2. Religiöse Differenzierung als Chance für öffentliches Engagement: José Casanova
3. Die Generalisierung von Religion in der pluralistischen Gesellschaft: Talcott Parsons I
3.1 Die allgemeine Theoriearchitektur Parsons’
3.2 Religion im Schema der Systemtheorie
3.3Der christliche Entwicklungsprozess als Zusammenspiel von Differenzierung, Inklusion, „adaptive upgrading“ und Wertgeneralisierung
3.4 Die differenzierungstheoretische Position Parsons’
4. Perspektiven auf religiöse Eigendynamiken in der Moderne: Talcott Parsons II, Peter L. Berger, Rational Choice (Rodney Stark et al.)
4.1 Talcott Parsons II
4.2 Peter L. Berger
4.3 Rational Choice (Rodney Stark et al.)
5. Fazit
III. Religion und Differenzierung III: Niklas Luhmanns Religionssoziologie im Schema zweierlei Differenzierung
1. Soziale Differenzierung
1.1 Zur Typik der Systemebenen
1.2 Ebenendifferenzierung vs. Mikro-Meso-Makro-Analytik
1.3 Ebenenverhältnis und Eigenlogik
2. Funktionale Differenzierung
2.1 Von Parsons zu Husserl – Schwerpunktverlagerungen in der Systemtheorie Luhmanns
2.2 Funktionsspezifische Selbst- und Fremdreferenz
2.3 Operativität
3. Zwischenbilanz: Die differenzierungstheoretische(n) Perspektive(n) Niklas Luhmanns
3.1Ein Abgleich mit den Differenzierungsperspektiven Diltheys, Simmels und Webers
3.2 Funktionale Differenzierung und Ebenendifferenzierung – Versuch einer Resystematisierung
4. Religion und Differenzierung im Werk Luhmanns
4.1 „Funktionsdefizienz“ und „Grenzen der Organisierbarkeit“ – die frühen Studien zur Religion
4.2 Die ‚erlittene‘ „Ausdifferenzierung der Religion“ (1989)
4.3 Systemtheoretische ‚resurgence‘ – „Die Religion der Gesellschaft“ (2000)
4.4 Zum Funktionssystemstatus der Religion bei Luhmann – eine systematische Kritik
5. Fazit: Die differenzierungstheoretische Schieflage im religionssoziologischen Werk Luhmanns
IV. Zwischenbetrachtung: Europäische ‚Depotenzierung‘ und amerikanische Eigendynamik?
V. Religion und Globalität
1. Die Weltsystemtheorie und Religion: Immanuel Wallerstein, Robert Wuthnow
2. Religion und Neo-Institutionalismus: Der World-Polity-Ansatz von John W. Meyer et al.
3. Religiöse Reaktionen auf Globalität: Roland Robertson
4. Das Weltfunktionssystem Religion: Niklas Luhmanns Theorie der Weltgesellschaft
5. „Religions in Global Society“: Peter Beyers Fortführung systemtheoretischer Perspektiven
6. Fazit
VI. Schluss: Zur Globalität einer religiösen Sphäre
1. Zum Begriff teilsystembezogener Globalität
2. Religion und Globalität – Ausblick auf die weitere Untersuchung
TEIL B: HISTORISCHE UND FALLANALYTISCHE PERSPEKTIVEN
VII. Historischer Exkurs: Globale Selbstbeobachtungen der Religion
1. Die Religionen der Welt: Globale ‚gesamtreligiöse‘ Selbstbeobachtungen von Seiten des ‚Westens‘ im 17.-18. Jahrhundert
1.1 Zum Begriff der Religion
1.2 Totalitätsperspektiven auf religiöse ‚Welt‘
1.3 Die ‚Religion‘ der Religionen: Allgemeine Selbstbeschreibungen von Religion
1.4 Zur ‚Systemreferenz‘ der ‚gesamtreligiösen‘ ‚Selbst‘-Beobachtungen
2. Religion und StatistikDie statistische Perspektive auf das (gesamt-)religiöse Feld im 19. Jahrhundert
2.1 Quantitativ-vergleichende Aspekte in den frühen Religionsinventarisierungen
2.2 Zur Idee der Population in der Entstehung der Statistik
2.3 Zur Rolle der Religion in der frühen Statistik
2.4 Zensus und Religion
2.5 Frühe Religionsstatistik von religiöser Seite
2.6 Zur Moralstatistik in der interreligiösen Beobachtung
2.7 Die protestantische Mission des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts
2.8 Zu den wissenssoziologischen Implikationen des quantitativen Religionsvergleichs
VIII. Zur pfingstlich-evangelikalen Bewegung
1. Die Entstehung der Pfingstbewegung
2. Kontinuitäten
3. Zur ‚Theologie‘ der Pfingstbewegung
4. Die drei „Wellen“
5. Das Konversionsverständnis
6. Pfingstlich-evangelikale Mission
IX. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung im Schema zweierlei Differenzierung
1. Organisation und Weltgesellschaft I: Die Konstitution eines religionsspezifischen Welthorizonts
1.1 Die Gemeindewachstumsbewegung und organisatorische Missionsbeobachtung
1.2 ‚Gesamtreligiöse‘ Selbstreferenz
1.3 Eigengesetzlichkeit: Die Konkurrenz um Zugehörigkeiten
1.4 Operativität: Die Taktung durch Konversion
1.5 Die fremdreferentielle Konfiguration von Welt
1.6 Visualisierte Selbst- und Fremdreferenzen
2. Organisation und Weltgesellschaft II: Mission bis an die Grenze kommunikativer Erreichbarkeit
2.1 „Parachurches“
2.2 Medienverwendung
3. Organisation und Interaktion: Die konversionsorientierte Inbeschlagnahme interaktiver Dynamiken
3.1 Zur Organisation von ‚Efferveszenz‘: Die Evangelisationsveranstaltungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung
3.2 Die Bindungswirkungen der Interaktion
3.3D ie bekehrungsorientierte Karrierestruktur und ihr Verhältnis zur Interaktion
4. Fazit
X. Interrreligiöse Konvergenzen ‚Konversion‘ als Brennpunkt der Auseinandersetzung
1. Hinduismus (Indien)
1.1 Zur Konstruktion des Hinduismus
1.2 Organisationsbildungen
1.3 Die Einrichtung von (Re-)Konversion: „shuddhi“
1.4 Konversionsbeobachtungen
2. Buddhismus (Sri Lanka)
2.1 Zur Konstruktion des Buddhismus
2.2 Organisationsbildungen
2.3 Buddhistische Mission und die gegenwärtige Kontroverse um Bekehrungen in Sri Lanka
2.4 Konversionsbeobachtung
3. Islam (Afrika, Indonesien)
3.1 Organisationsbildungen
3.2 Revitalisierung der „da’wah“
3.3 Konversionsbeobachtung
4. Katholizismus (Lateinamerika)
4.1 Katholische De-Monopolisierung in Lateinamerika
4.2 Zur katholischen Beobachtung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung
4.3 Katholische Reaktionen und Imitationen
5. Fazit
Schluss
Literatur

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Martin Petzke Weltbekehrungen

Sozialtheorie

Martin Petzke (Dr. phil.) lehrt Soziologie an der Universität Luzern. Seine Forschungsschwerpunkte sind Soziologische Theorie, Weltgesellschaftsforschung und Religionssoziologie.

Martin Petzke

Weltbekehrungen Zur Konstruktion globaler Religion im pfingstlich-evangelikalen Christentum

Dissertation, Universität Bielefeld 2012

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Martin Petzke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2241-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 11 Einleitung | 13

TEIL A: RELIGION IM BLICKPUNKT VON DIFFERENZIERUNGS UND G LOBALISIERUNGSTHEORIE I. Religion und Differenzierung I: Klassische Perspektiven | 25

1. Religiöse Rollendifferenzierung: Herbert Spencer | 26 1.1 Die Gesellschaft in der Organismusanalogie | 27 1.2 Die „ecclesiastical institutions“ | 30 2. Religiöse Integration der Gesellschaft: Emile Durkheim | 34 2.1 Religiöse Perspektiven in „Über soziale Arbeitsteilung“ | 34 2.2 Die Religionssoziologie in „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ | 38 2.3 Die Nähe zur Marx’schen Religionskritik | 41 3. Religiöser ‚Sinn‘: Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, Max Weber | 44 3.1 Wilhelm Dilthey | 44 3.2 Georg Simmel | 49 3.3 Max Weber | 64 4. Fazit: Dilthey, Simmel und Weber als differenzierungstheoretischer Ausgangspunkt | 75 II. Religion und Differenzierung II: Zum differenzierungstheoretischen Potential der ‚nachklassischen‘ Religionssoziologie | 77

1. Religiöse Differenzierung als Depotenzierung:  Thomas Luckmann, Bryan Wilson, Pierre Bourdieu | 79 1.1 Thomas Luckmann | 79 1.2 Bryan Wilson | 82 1.3 Pierre Bourdieu | 84 2. Religiöse Differenzierung als Chance  für öffentliches Engagement: José Casanova | 89

3. Die Generalisierung von Religion in der pluralistischen Gesellschaft:  Talcott Parsons I | 91 3.1 Die allgemeine Theoriearchitektur Parsons’ | 92 3.2 Religion im Schema der Systemtheorie | 94 3.3Der christliche Entwicklungsprozess als Zusammenspiel von Differenzierung, Inklusion, „adaptive upgrading“ und Wertgeneralisierung | 96 3.4 Die differenzierungstheoretische Position Parsons’ | 100 4. Perspektiven auf religiöse Eigendynamiken in der Moderne: Talcott Parsons II, Peter L. Berger, Rational Choice (Rodney Stark et al.) | 103 4.1 Talcott Parsons II | 103 4.2 Peter L. Berger | 104 4.3 Rational Choice (Rodney Stark et al.) | 106 5. Fazit | 109 III. Religion und Differenzierung III: Niklas Luhmanns Religionssoziologie im Schema zweierlei Differenzierung | 111

1. Soziale Differenzierung | 112 1.1 Zur Typik der Systemebenen | 112 1.2 Ebenendifferenzierung vs. Mikro-Meso-Makro-Analytik | 114 1.3 Ebenenverhältnis und Eigenlogik | 117 2. Funktionale Differenzierung | 118 2.1 Von Parsons zu Husserl – Schwerpunktverlagerungen  in der Systemtheorie Luhmanns | 120 2.2 Funktionsspezifische Selbst- und Fremdreferenz | 125 2.3 Operativität | 131 3. Zwischenbilanz: Die differenzierungstheoretische(n)  Perspektive(n) Niklas Luhmanns | 137 3.1Ein Abgleich mit den Differenzierungsperspektiven Diltheys,  Simmels und Webers | 137 3.2 Funktionale Differenzierung und Ebenendifferenzierung –  Versuch einer Resystematisierung | 140 4. Religion und Differenzierung im Werk Luhmanns | 143 4.1 „Funktionsdefizienz“ und „Grenzen der Organisierbarkeit“ –  die frühen Studien zur Religion | 144 4.2 Die ‚erlittene‘ „Ausdifferenzierung der Religion“ (1989) | 151 4.3 Systemtheoretische ‚resurgence‘ –  „Die Religion der Gesellschaft“ (2000) | 154 4.4 Zum Funktionssystemstatus der Religion bei Luhmann –  eine systematische Kritik | 158 5. Fazit: Die differenzierungstheoretische Schieflage im religionssoziologischen Werk Luhmanns | 164



IV. Zwischenbetrachtung: Europäische ‚Depotenzierung‘ und amerikanische Eigendynamik? | 167 V. Religion und Globalität | 179

1. Die Weltsystemtheorie und Religion: Immanuel Wallerstein, Robert Wuthnow | 181 2. Religion und Neo-Institutionalismus: Der World-Polity-Ansatz von John W. Meyer et al. | 185 3. Religiöse Reaktionen auf Globalität: Roland Robertson | 190 4. Das Weltfunktionssystem Religion: Niklas Luhmanns Theorie der Weltgesellschaft | 194 5. „Religions in Global Society“: Peter Beyers Fortführung systemtheoretischer Perspektiven | 198 6. Fazit | 206 VI. Schluss: Zur Globalität einer religiösen Sphäre | 209

1. Zum Begriff teilsystembezogener Globalität | 209 2. Religion und Globalität – Ausblick auf die weitere Untersuchung | 219

TEIL B: HISTORISCHE UND FALLANALYTISCHE PERSPEKTIVEN VII. Historischer Exkurs: Globale Selbstbeobachtungen der Religion | 227

1. Die Religionen der Welt: Globale ‚gesamtreligiöse‘ Selbstbeobachtungen von Seiten des ‚Westens‘ im 17.-18. Jahrhundert | 227 1.1 Zum Begriff der Religion | 229 1.2 Totalitätsperspektiven auf religiöse ‚Welt‘ | 231 1.3 Die ‚Religion‘ der Religionen: Allgemeine Selbstbeschreibungen von Religion | 239 1.4 Zur ‚Systemreferenz‘ der ‚gesamtreligiösen‘ ‚Selbst‘-Beobachtungen | 245 2. Religion und Statistik͗Die statistische Perspektive auf das (gesamt-)religiöse Feld im 19. Jahrhundert | 251 2.1Quantitativ-vergleichende Aspekte in den frühen Religionsinventarisierungen | 253 2.2 Zur Idee der Population in der Entstehung der Statistik | 255 2.3 Zur Rolle der Religion in der frühen Statistik | 259 2.4 Zensus und Religion | 263 2.5 Frühe Religionsstatistik von religiöser Seite | 269 2.6 Zur Moralstatistik in der interreligiösen Beobachtung | 272 2.7 Die protestantische Mission des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts | 275 2.8Zu den wissenssoziologischen Implikationen des quantitativen Religionsvergleichs | 292

VIII. Zur pfingstlich-evangelikalen Bewegung | 301

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Entstehung der Pfingstbewegung | 306 Kontinuitäten | 308 Zur ‚Theologie‘ der Pfingstbewegung | 310 Die drei „Wellen“ | 313 Das Konversionsverständnis | 315 Pfingstlich-evangelikale Mission | 318

IX. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung im Schema zweierlei Differenzierung | 321 

1. Organisation und Weltgesellschaft I:  Die Konstitution eines religionsspezifischen Welthorizonts | 323 1.1 Die Gemeindewachstumsbewegung und organisatorische Missionsbeobachtung | 324 1.2 ‚Gesamtreligiöse‘ Selbstreferenz | 328 1.3 Eigengesetzlichkeit: Die Konkurrenz um Zugehörigkeiten | 330 1.4 Operativität: Die Taktung durch Konversion | 333 1.5 Die fremdreferentielle Konfiguration von Welt | 344 1.6 Visualisierte Selbst- und Fremdreferenzen | 351 2. Organisation und Weltgesellschaft II: Mission bis an die Grenze kommunikativer Erreichbarkeit | 355 2.1 „Parachurches“ | 356 2.2 Medienverwendung | 360 3. Organisation und Interaktion: Die konversionsorientierte Inbeschlagnahme interaktiver Dynamiken | 364 3.1 Zur Organisation von ‚Efferveszenz‘: Die Evangelisationsveranstaltungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung | 365 3.2 Die Bindungswirkungen der Interaktion | 380 3.3Die bekehrungsorientierte Karrierestruktur und ihr Verhältnis zur Interaktion | 384 4. Fazit | 388 X. Interrreligiöse Konvergenzen: ‚Konversion‘ als Brennpunkt der Auseinandersetzung | 391 

1. Hinduismus (Indien) | 396 1.1 Zur Konstruktion des Hinduismus | 397 1.2 Organisationsbildungen | 401 1.3 Die Einrichtung von (Re-)Konversion: „shuddhi“ | 406 1.4 Konversionsbeobachtungen | 412 2. Buddhismus (Sri Lanka) | 417 2.1 Zur Konstruktion des Buddhismus | 417 2.2 Organisationsbildungen | 420 2.3 Buddhistische Mission und die gegenwärtige Kontroverse um Bekehrungen in Sri Lanka | 425 2.4 Konversionsbeobachtung | 428

3. Islam (Afrika, Indonesien) | 432 3.1 Organisationsbildungen | 433 3.2 Revitalisierung der „da’wah“ | 438 3.3 Konversionsbeobachtung | 446 4. Katholizismus (Lateinamerika) | 448 4.1 Katholische De-Monopolisierung in Lateinamerika | 449 4.2 Zur katholischen Beobachtung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung | 451 4.3 Katholische Reaktionen und Imitationen | 453 5. Fazit | 460 Schluss | 465 Literatur | 471

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Hartmann Tyrell, der dieses Projekt mit außergewöhnlichem Engagement, viel Geduld, sorgfältiger Kritik und konstruktivem Rat begleitet und gefördert hat. Besonderer Dank gilt zugleich Cornelia Bohn, deren kritische Hinweise zu entscheidenden Präzisierungen beigetragen haben und die an der Universität Luzern großzügige Freiräume für die Fertigstellung des Manuskripts geschaffen hat. Dank gilt ferner der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die diese Arbeit mit einem Promotionsstipendium unterstützt und den Druck mit einem großzügigen Beitrag bezuschusst hat. Für Anregungen, Ermutigungen und/oder hilfreiche Kritik, die diese Arbeit maßgeblich beeinflusst haben, sowie für ihr Interesse an diesem Projekt danke ich Alois Hahn, Bettina Heintz, Detlef Pollack, Heinrich Schäfer und Rudolf Stichweh. Gedankt sei auch den Kolleginnen und Kollegen des Graduiertenkollegs „Weltgesellschaft“ für die vielen, zum Teil hitzigen Debatten, in denen das eine oder andere Argument seine Feuertaufe erhielt. Besonders verpflichtet bin ich Christian Hilgert, Adrian Itschert, Friederike Kuntz, Il-Tschung Lim, Hannah Mormann, Andreas Wenninger sowie meinem Vater für ihre freundliche Unterstützung bei den Korrekturlesearbeiten. Für wertvolle Anmerkungen zur Druckfassung danke ich Myriam Oehri. Der größte Dank gebührt schließlich meinen Eltern, denen diese Arbeit gewidmet ist.

Einleitung

Die soziologische Beschäftigung mit Religion ist so alt wie das Fach selbst. Die Gründerfiguren, von Georg Simmel über Emile Durkheim bis Max Weber, haben zu diesem Gegenstand allesamt umfangreiche Arbeiten vorgelegt. Die Soziologie hat sich dieses Interesse in der weiteren Entwicklung bewahrt: Es gibt kaum jemanden unter den Großtheoretikern der nachfolgenden Generationen, der nicht seinerseits einen religionssoziologischen Beitrag geleistet hat; so etwa auch Talcott Parsons, Peter Berger, Thomas Luckmann, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann. Dieses Ensemble an Soziologen verrät es schon: Mehr als alles andere ist Religionssoziologie im Rahmen elaborierter Gesellschaftstheorien betrieben worden. Das mag die Religion mit anderen Gegenständen gemein haben, die man als ‚Makrophänomene‘, gesellschaftliche Großinstitutionen, Funktionssysteme o.ä. identifizieren würde; so etwa der Wirtschaft, dem Recht und der Politik. Die Religion sticht dabei jedoch in einer entscheidenden Hinsicht heraus. Ihre Stellung gilt in der modernen Gesellschaft nicht als sicher; sie gibt vielmehr nach wie vor eine der zentralen religionssoziologischen Untersuchungsfragen vor. So gilt es in der Soziologie immer noch als offen, ob Religion unter den ausdifferenzierten Großsystemen tatsächlich ‚inter pares‘ steht. In der nach wie vor andauernden Säkularisierungsdiskussion steht folglich auch die Kompatibilität von Religion und funktionaler Differenzierung zur Debatte. Die gesellschaftstheoretische Beschäftigung mit der Religion ist somit immer auch eine Ortsbestimmung gewesen. Es ist dies der Grund, warum mit Umstellungen und Entwicklungen in den soziologischen Verständnissen von Gesellschaft neue Fragen auch für den Gegenstand der Religion zu erwarten sind. Dies betrifft insbesondere die Einkehr globaler Perspektiven in den Bereich der Gesellschaftstheorie. Zwar kann sich auch das wachsende soziologische Interesse an transnationalen Verflechtungen und Wirkungsketten nicht immer von einem „methodologischen Nationalismus“ lösen, der Gesellschaft und Nationalstaat in eins setzt und von Nationalgesellschaften als Untersuchungseinheiten ausgeht. Seit den siebziger Jahren existieren allerdings Ansätze in der Soziologie, die den Gesellschaftsbegriff jenseits der Nation ansiedeln und von einer Weltgesellschaft bzw. einem Weltsystem ausgehen: Zu nennen sind hier allen voran die Theorien von Immanuel Wallerstein, Peter Heintz, John W. Meyer und Niklas Luhmann (vgl. Greve/Heintz 2005). Lokale und nationale Begebenheiten geraten dabei jedoch nicht aus dem Blick; den Ansätzen ist stattdessen der Versuch gemein, diese zuvorderst von der Warte globaler Strukturen zu verstehen.

14 | W ELTBEKEHRUNGEN

Wenn man von Nationalgesellschaft auf Weltgesellschaft umstellt, das „Licht der großen Kulturprobleme“ (Weber 1922/1988: 214) also verlagert, sind weitere Begriffsumstellungen unumgänglich. Das gilt gerade für solche Begriffe, anhand derer man die gesellschaftliche Verortung der Religion betreiben will, die nun weltgesellschaftliche Verortung zu sein hat. Die Frage nach dem ‚ob‘ und ‚wie‘ des gesellschaftlichen Fortbestands der Religion hat einen differenzierungstheoretischen Hintergrund; mit der Transposition dieser Frage in einen weltgesellschaftlichen Zusammenhang ist folglich eine weltgesellschaftstheoretische Nachrüstung der Differenzierungsbegrifflichkeit geboten. Damit ist die Fragestellung dieser Arbeit bereits berührt. Es gilt eine differenzierungstheoretische Analyse der Religion in einen weltgesellschaftlichen Rahmen zu überführen. Die Untersuchung einer Ausdifferenzierung von Religion kann damit nicht an regionalen Grenzen halt machen; auch eine bloß vergleichende Analyse im globalen Maßstab würde hier dem Ansatz einer Weltgesellschaftstheorie kaum gerecht. Die Frage dieser Untersuchung lautet vielmehr: Inwieweit lässt sich Religion als eine globale Sphäre fassen? Fragen nach der Differenzierungskompatibilität der Religion sind hier folglich mit Fragen der Globalität von Religion zu verknüpfen. Das Interesse gilt einem weltreligiösen Zusammenhang, der sich etwa einer Weltwirtschaft, einer Weltpolitik oder einer Weltwissenschaft beiordnen ließe. Ein solches Unterfangen hat von einer Pluralität von Religionen in der Welt auszugehen. Das lenkt den Blick unweigerlich auf Vergesellschaftungsdynamiken zwischen Religionen. Hier interessieren interreligiöse ‚Wechselwirkungen‘, die sich nicht bloß in sporadischer ‚Dialogliteratur‘ und einer sterilen Semantik von ‚Ökumene‘ erschöpfen, sondern von strukturbildender Dauer und Intensität sind. In soziologischer Hinsicht sind gerade auch die Formen des interreligiösen Konflikts, der interreligiösen Konkurrenz, des interreligiösen Kampfs von Interesse. Schließlich binden sie, wie wir spätestens seit Simmel wissen, die streitenden Parteien zunächst einmal aneinander und wirken allein schon dahingehend ausdifferenzierend. Die zugehörigen Normen und kognitiven Schemata, die wiederum die einheitlichen Voraussetzungen eines solchen Streits bilden, lassen sich dann mit entsprechenden differenzierungstheoretischen Begrifflichkeiten beschreiben. Anregungen für eine solche Perspektive auf die religiöse Welt kommen aus dem Bereich der Globalgeschichte. Christopher A. Bayly (2004) hat sich in seiner vielbeachteten Studie zur „Birth of the Modern World“ auch den Religionen zugewandt. Er hat dabei auf die mimetischen Rekonstruktionen und Transformationen der Religionen abgestellt, die gerade im Zuge der Konfrontation mit der christlichen Mission angestoßen worden sind. Mit dem letztlich antagonistischen Verhältnis, in das sich auch die zunächst tolerant gesonnenen asiatischen Religionen hineinziehen lassen, gehen auf einer grundlegenderen Ebene formale Angleichungen und eine zunehmende Integration interreligiöser Perspektiven einher. Die anschaulichen und in jeder Hinsicht fruchtbaren Beschreibungen Baylys sind in weltgesellschaftstheoretischer Hinsicht ein Anlass, hier noch einmal soziologisch nachzufassen und den Blick in die Gegenwart zu verlängern.

E INLEITUNG

| 15

Ein solcher Blick muss nicht zuletzt auf das pfingstlich-evangelikale Christentum fallen, einem rund hundert Jahre alten Zweig des amerikanischen Evangelikalismus.1 Der globalen Ausbreitungsdynamik dieser Strömung wird zunehmend ein soziologisches Interesse zuteil. So hat Peter Berger (1997: 27f.; 2002: 8ff.) im evangelikalen Christentum, „especially in its Pentecostal version“, eines der ‚vier Gesichter einer globalen Kultur‘ gesehen. Im Blick war ihm dabei einerseits der Wachstumserfolg in Lateinamerika, Asien und Afrika, andererseits die modernitätsträchtige protestantische Ethik, die hier mit im Gepäck sei. Aus einem ähnlich ‚weltkulturellen‘ Interesse heraus haben sich auch Lechner und Boli (2005: 173ff.) der Ausbreitung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung zugewandt. Und zuletzt hat José Casanova (2008: 332; Herv. i.O.) das Pfingstchristentum als „historisch erste[n] und paradigmatische[n] Fall einer dezentralen und nicht-territorialen globalen Kultur“ bezeichnet. Weitaus weniger beachtet sind dabei allerdings die interreligiösen Dynamiken, die mit dieser raschen globalen Ausbreitung einhergehen. Für die Expansion zeichnet ja nicht zuletzt das dezidierte Missionsinteresse verantwortlich, das andere Religionen direkt konfrontiert und deren ‚Anhänger‘2 zur christlichen Bekehrung animiert. Gerade in diesen Begegnungen und ihren Folgen liegt für eine Arbeit, die sich für weltreligiöse Zusammenhänge interessiert, ein vielversprechender Ansatzpunkt; dies auch deshalb, weil die globale Mission des pfingstlich-evangelikalen Christentums, anders als die der protestantischen Hauptströmungen, in ungebrochener Kontinuität zu den Missionsperspektiven des 19. Jahrhunderts steht. Auf Letztere hat sich auch Bayly bezogen. Das differenzierungs- und weltgesellschaftstheoretische Interesse an diesem Fall ist unmittelbar im Titel dieser Arbeit angezeigt. Mit der Bezeichnung „Weltbekehrungen“ sind dabei gleich mehrere Aspekte im Blick. Erstens ist damit ein Bezug zur pfingstlich-evangelikalen Agenda der Weltmission hergestellt; ihre Missionsorientierung setzt auf die Bekehrung aller Menschen der Welt in Anbetracht einer unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi. Zweitens ist mit dem Titel die globale Beobachtung individueller Bekehrungen angedeutet, die sich vor einem weltweiten Horizont von religiösen Zugehörigkeitsverteilungen vollzieht: Alle Religionszugehörigkeiten der Welt werden von Seiten pfingstlich-evangelikaler Beobachter kontinuierlich registriert und der weiteren Missionsplanung zugrunde gelegt. ‚Bekehrung‘ wird hier zur Einheit, über die sich ein differenzierungstheoretisch bedeutsamer Sonderhorizont von globaler Dimension reproduziert. Die religiöse Welt wird im Rahmen dieses Sinnentwurfs in ‚Bekehrungen‘ aufgelöst. In soziologischer Hinsicht ist dabei insbesondere das statistisch-quantifizierende Vorgehen von Interesse. Drittens schließlich sind mit ‚Weltbekehrungen‘ auch ‚Konversionen‘ im übertragenen Sinne von soziologischer Seite im Blick. Es geht hier um die Umwandlungen und Transformationen in den vormals disparaten Weltentwürfen anderer Religionen, die im Zuge des Missionskontakts ein Stück weit mit dem Sinnuniversum der pfingstlichevangelikalen Bewegung zur Deckung kommen; dies etwa, indem nun auch auf die1

2

Vgl. zu terminologischen Fragen Kapitel VIII. Obgleich der Fokus der Arbeit primär dem pfingstlichen Evangelikalismus gilt, sind die Grenzen zum weiteren Evangelikalismus nicht scharf zu ziehen; in den Missionsperspektiven bestehen kaum relevante Unterschiede. Mit Nennung der männlichen Form von Anhänger, Konvertit, Missionar etc. ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

16 | W ELTBEKEHRUNGEN

ser Seite dem Akt der Bekehrung eine spezifisch religiöse Relevanz zugeschrieben wird, welche zu komplementären Aufmerksamkeitsinvestitionen und entsprechend orientierten Handlungen veranlasst.

AUFBAU

DER

U NTERSUCHUNG

Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. In Teil A steht ein theoretischbegriffliches Interesse im Vordergrund. Es bedarf der Entwicklung eines Differenzierungsbegriffs, der dem weltgesellschaftstheoretischen Ausgangspunkt gerecht wird. Hierfür ist in einem ersten Kapitel das differenzierungstheoretische Potential der klassischen Religionssoziologie zu sichten. Hier sind es insbesondere Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Max Weber, die ihre Studien zur Religion mit einem hohen differenzierungstheoretischen Auflösevermögen betrieben haben. Ihnen ist dabei ein spezifisches Differenzierungsparadigma gemein, das einen wesentlichen Orientierungspfeiler dieser Arbeit konstituiert. Statt auf arbeitsteilige Rollenstrukturen wird dabei in erster Linie auf die Ausdifferenzierung eigengesetzlicher Sinngebiete abgestellt. Dieses Differenzierungsverständnis gilt es in diesem Kapitel gerade auch gegen die Ansätze Herbert Spencers und Emile Durkheims zu profilieren, die klassische Vertreter der stärker rollenbezogenen Perspektive sind. Das zweite Kapitel widmet sich dem differenzierungstheoretischen Potential der ‚nachklassischen‘ Religionssoziologie. Hier wird deutlich, dass die Religionssoziologie in ihrer weiteren Entwicklung an jenes sinntheoretische Differenzierungsprogramm, das sich mit den Namen Dilthey, Simmel und Weber verbindet, kaum angeschlossen hat. Wo an Weber’sche Ideen angeknüpft wird, kommt religiöse Ausdifferenzierung nahezu allein als religiöse „Depotenzierung“ (Tyrell 1993a) in den Blick. Das theoretische Interesse gilt hier in weiten Teilen der gesellschaftlichen Abschiebung des Religiösen in den Privatbereich. Hierfür lässt sich in erster Linie ein europäisch verengter Blick verantwortlich machen. Sofern man sich dabei für das Fortbestehen von religiösen Dynamiken interessiert, werden diese, wie bei Thomas Luckmann, zumeist allein auf der individuellen Ebene verortet. Auf der institutionellen bzw. gesellschaftlichen Ebene wird dagegen ein zusammenhangsloses Nebeneinander religiöser Sinnmuster konstatiert, die sich kaum von nicht-religiösen Sinngebungsformen abgrenzen. Bei den Ansätzen allerdings, die den Blick auf den amerikanischen Kontext richten, finden sich durchaus Eigendynamiken einer gesellschaftlichen Sphäre des Religiösen berücksichtigt; hier fehlt indessen die konsequente Orientierung an sinntheoretischen Differenzierungsperspektiven, wie sie im ersten Kapitel herausgearbeitet werden. Gerade vor diesem Hintergrund gilt es in einem dritten Kapitel den religionssoziologischen Ansatz Niklas Luhmanns zu analysieren, der mit seinem allgemeinen Differenzierungsparadigma wie kaum ein anderer in Kontinuität zu den klassischen Perspektiven Diltheys, Simmels und Webers steht. Auch hier liegt der Akzent deutlich auf autonomen Sinnperspektiven und spezifischen Eigendynamiken. Zugleich liefert Luhmann eine Theorie der sozialen Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft, von der er auch religionsbezogen Gebrauch gemacht hat. Wie allerdings zu zeigen ist, findet sich in seinen umfangreichen Arbeiten zur Religion eine eigentümliche werkgeschichtliche Entwicklung. So sind seine frühen Studien eher

E INLEITUNG

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den Ansätzen hinzuzuzählen, die einem Fortbestehen der Religion als gesellschaftliches Subsystem ‚inter pares‘ skeptisch gegenüberstehen. Auch hier hat man den impliziten deutschen Kontext der Untersuchung verantwortlich zu machen. Von dieser Skepsis ist die späte religionssoziologische Studie „Religion der Gesellschaft“ (2000) ganz frei. Da die Strukturdiagnosen der früheren Arbeiten jedoch kaum überdacht werden, weist diese eine sonderbare Schieflage auf: Oberflächlich wird die Differenzierungskompatibilität der Religion emphatisch bejaht, für die wesentlichen Strukturelemente von Funktionssystemen liefert die Untersuchung jedoch kein religiöses Pendant. Die herausgearbeiteten Unterschiede in den differenzierungstheoretischen Perspektiven auf die Religion und das eigenartige Ungleichgewicht in Luhmanns Religionssoziologie bilden den Ausgangspunkt für eine Zwischenbetrachtung, die hier als viertes Kapitel anschließt und sich in einer kurzen Skizze der religiösen Situation in den USA widmet. Hier soll angedeutet werden, wie gerade ausgehend von systemtheoretischen Perspektiven ein überzeugenderes differenzierungstheoretisches Ergebnis am amerikanischen Fall hätte eingefahren werden können. Dies gilt sowohl hinsichtlich funktionaler Differenzierung als auch für die spezifisch religiöse Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Im anschließenden fünften Kapitel wird eruiert, inwieweit Differenzierungsperspektiven auf die Religion innerhalb von Weltgesellschaftstheorien zum Zuge kommen. Zu den hier erörterten Vertretern zählen Immanuel Wallerstein, Robert Wuthnow, Roland Robertson, John W. Meyer, Niklas Luhmann und Peter Beyer. Unter diesen hat sich insbesondere Letzterer mit einschlägigen differenzierungstheoretischen Studien zu Religion und Globalität hervorgetan. Dabei ist in der Hauptsache das differenzierungstheoretische Untersuchungsbesteck der Systemtheorie Niklas Luhmanns zum Einsatz gekommen. Anders als in anderen FunktionssystemAnalysen hat Niklas Luhmann selbst in der bereits erwähnten posthumen Publikation zur „Religion in der Gesellschaft“ (2000) in überraschend hohem Maße sein eigenes weltgesellschafstheoretisches Rahmenprogramm berücksichtigt. So urteilt auch Rudolf Stichweh (2002: 290), diese Monographie sei „unter den späten Büchern das am stärksten von der Weltgesellschaft her gedachte“. Die Studie hat auch Peter Beyer (2006) dazu veranlasst, in seinen eigenen Analysen zur globalen Religion in systemtheoretischer Hinsicht noch einmal neu anzusetzen. Sowohl Luhmanns später Ansatz als auch die jüngeren Arbeiten Peter Beyers lassen Religion folglich als globales Funktionssystem auftreten. Beiden ist allerdings auch gemein, dass sie keinen allgemeinen Begriff der Globalität eines Funktionssystems entwickeln und ihrer Untersuchung zugrunde legen. Das Postulat einer Globalität der Religion stellt allein auf die These ab, dass die Religionen der Welt einem gemeinsamen Funktionssystem angehören und dessen segmentäre Binnendifferenzierung konstituieren. Plausibilisiert wird dies über eine Parallelisierung mit dem politischen System und seiner internen Differenzierung in Nationalstaaten. Wie in diesem fünften Kapitel gezeigt wird, lässt sich diese Analogie schon theoretisch kaum halten. Für die weitere Untersuchung wird entsprechend im sechsten Kapitel zunächst ein allgemeiner Begriff der Globalität eines gesellschaftlichen Subsystems entwickelt. Dabei wird in weiten Teilen vom Luhmann’schen Begriffsinstrumentarium Ausgang genommen. Der vorgeschlagene Begriff von Globalität setzt einerseits auf die Totalität einer ausdifferenzierten Sinnperspektive, die alle ihr sachlich zugehöri-

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gen Operationen unabhängig von deren räumlichen Situierung einbezieht. Er setzt andererseits auf die Konvergenz der damit berührten Sinnperspektiven: Die vor diesem Sinnhorizont beobachteten und darin eingefassten Kommunikationszusammenhänge sollten ihrerseits gleichsinnig bzw. komplementär beobachten, sich also selbst auch faktisch auf denselben Möglichkeitsraum sachspezifischen Erlebens und Handelns hin entwerfen. Die Bekehrungsperspektiven, die maßgeblich für die religiöse Vitalität in den USA verantwortlich zu zeichnen scheinen und ferner Gegenstand der globalgeschichtlichen Studien Baylys sind, werden bereits in diesem Zusammenhang als möglicher Ansatzpunkt für einen solchen Globalitätsbegriff herausgestellt. In Teil B, dem historischen bzw. fallanalytischen Teil der Arbeit, soll der entwickelte Begriffsapparat zur Anwendung kommen. Es gilt hier im Bereich des Religiösen nach globalen Sinnsystemen Ausschau zu halten. Dabei soll nicht etwa ein analytischer Begriff des Religiösen der Untersuchung a priori zugrunde gelegt werden. Vielmehr geht es darum, gesellschaftlichen Selbstkonstitutionen religiöser Zusammenhange über entsprechende Selbstbeschreibungen und Selbstbeobachtungen von Religion nachzugehen. Es wird folglich eine Analytik der Beobachtung dritter Ordnung zugrunde gelegt (vgl. dazu etwa Luhmann 1993: 547). Mit anderen Worten: Es wird soziologisch beobachtet, wie ein sich als Religion beschreibender Zusammenhang selbst beobachtet und welche Folgen daraus erwachsen. Im siebten Kapitel kann dabei in einem historischen Exkurs beim Christentum des 17. Jahrhunderts angesetzt werden; hier finden sich erste Selbstbeschreibungen einer religiösen Weltlandschaft, die einen Anspruch auf die Totalität ihrer Perspektive erheben. Dabei kristallisiert sich bereits ein generisches Verständnis des Religiösen heraus; ein Begriff von Religion also, der mehr umfasst als bloß eine spezifische Religion. Solche Selbstbeobachtungen haben hier noch einen sporadischen Charakter und ändern sich in Form und Inhalt über nahezu zwei Jahrhunderte so gut wie nicht. Erst im Zuge der Mission des 19. Jahrhunderts wird eine solche Beobachtung auf Dauer gestellt; sie nimmt hier eine populationsstatistische Logik an und vermag infolge der kontinuierlichen ‚Wechsel‘ religiöser Anhänger dauerhaft zu irritieren und zu faszinieren. Der Sinnzusammenhang gewinnt damit eine operative Qualität. Die Totalität der Perspektive bezieht sich folglich nicht allein auf die Religionen der Welt. Sie bezieht sich auch auf Akte christlicher Bekehrung, die kontinuierlich die weiteren Möglichkeiten von Mission und Konversion restrukturieren. Vor dem Hintergrund dieses historischen Exkurses soll gezeigt werden, wie diese Sinnperspektive gegenwärtig durch die pfingstlich-evangelikale Bewegung kontinuiert und elaboriert wird. Hierzu gilt es im achten Kapitel zunächst die pfingstlichevangelikale Bewegung ins Profil zu setzen, bevor dann im neunten Kapitel die pfingstlich-evangelikale Weltmission in weltgesellschaftstheoretischer und differenzierungstheoretischer Hinsicht in den Blick zu nehmen sein wird. Im Anschluss an Niklas Luhmann wird dabei ein Schema zweierlei Differenzierung zugrunde gelegt: einerseits funktionale Differenzierung, andererseits die Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Ausgehend von den Überlegungen in Teil A rückt dabei die amerikanische Prägung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung in den Mittelpunkt. Es soll gezeigt werden, wie im Zuge der globalen Mission Perspektiven und institutionelle Logiken eines US-amerikanischen ‚denominationalen Pluralismus‘ auf die Welt projiziert werden: Andere Religionen werden unter Konkurrenzgesichtspunkten als Mitgliedschaftsreligionen mit wechselseitig exklusiven An-

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hängern beobachtet. Diese totalisierende Beobachtungsperspektive stützt sich, wie schon im 19. Jahrhundert, auf den Akt der Bekehrung; allerdings wird nun jegliche religiöse Mobilität als Konversion zugerechnet, auch unter nicht-christlichen Religionen. Im Zuge solcher Beobachtungen wird von pfingstlich-evangelikaler Seite eine spezifische gesellschaftliche Sinnsphäre kultiviert; zugleich schlägt die Bekehrungsorientierung auch auf die Ebenen der Organisation und Interaktion durch. So ist der Organisationsebene mit dem numerischen Wachstum ein messbarer Zweck vorgegeben, auf den hin sich Organisationsprozesse stringent rationalisieren lassen; unter diesem Gesichtspunkt sind hier christliche Medienanstalten, Missionsgesellschaften und Gemeinden in den Blick zu nehmen. Für den Bekehrungszweck spannen diese wiederum gezielt die Interaktionsebene ein: Im Rahmen von Bekehrungsveranstaltungen kommen massenpsychologische Elemente kalkuliert zum Einsatz; das ‚Beider-Stange-Halten‘ der Konvertiten setzt auf Bindungswirkungen von Interaktion und Interaktionszusammenhängen; schließlich kommt eine organisatorische Karrierestruktur zum Tragen, die sich an persönlichen Bekehrungserfolgen in Interaktionen orientiert. Auf der hier nachgezeichneten Beobachtungsperspektive des pfingstlich-evangelikalen Christentums gründet ein globales Sinnsystem in dem Sinne, dass alle ‚Bekehrungen‘ unter allen ‚Religionen‘ der Welt in die Reproduktion eines Möglichkeitshorizonts einbezogen werden, der dann neue Ausgangslagen für weitere Bekehrungs- bzw. Missionsunterfangen schafft; es handelt sich also um eine totale Sinnperspektive. Dies Sinnsystem ist aber insofern nicht global, als ihm eine partikulare Auffassung von „Religion“ zugrunde liegt. Denn das evangelikale Verständnis von Konversion als religiöser Beitrittsentscheidung wird ebenso kontrafaktisch universalisiert wie das Verständnis von Religionen als wechselseitig exklusiven Gemeinschaften von Gläubigen. Auf der Seite dessen, was von jener Warte als Religion beobachtet wird, ist folglich keine gleichsinnige bzw. komplementäre Konstruktion religiöser Welt zu erwarten. Da aus den Missionsbeobachtungen der pfingstlichevangelikalen Bewegung allerdings faktische Missionskontakte erwachsen, ist mit realen Folgen solcher Sinnzumutungen zu rechnen. In einem letzten, zehnten Kapitel soll entsprechend einigen interreligiösen Konvergenzen nachgegangen werden. Hier sind Strömungen im Islam, im Hinduismus und im Buddhismus zu betrachten; in einer etwas anderen Nuancierung ist auch der Katholizismus im Blick. Dabei gilt es vor allem für die nicht-christlichen Religionen aufzuzeigen, wie nun auch auf dieser Seite Organisationen mit dem Ziel eingerichtet werden, Konversion abzuwehren oder umzukehren. Dabei wird auch auf die damit zusammengehenden Revitalisierungen oder gar neuartigen Einrichtungen von eigenen Bekehrungsformen hinzuweisen sein. Ferner gilt es hier auf das Entstehen einer komplementären Konversionsbeobachtung aufmerksam zu machen, die nun ihrerseits Konversionen zum Christentum – zum Teil ebenfalls global – registriert und vermeldet. Daraus lässt sich auf eine ‚Verwicklung‘ in eine Sinndynamik schließen, die ein Interesse an quantitativen Religionsverhältnissen voraussetzt; damit einher geht die Übernahme eines Religionsverständnisses, das auf exklusive Zugehörigkeiten setzt. Zumindest für eine begrenzte Auswahl der Religionen, die in den Fokus der pfingstlich-evangelikalen Sinnperspektive geraten, lässt sich somit eine Konvergenz konstatieren. Es differenziert sich hier also in einer weitgehend zusammenhangslosen, unscharf begrenzten weltweiten ‚Gemenge-

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lage‘ des Religiösen ein spezifisch interreligiöser Sinnzusammenhang aus, der einige Religionen hinsichtlich Konversionen in ein Konkurrenzverhältnis setzt.

Z UM

METHODISCHEN

V ORGEHEN

Diese Arbeit interessiert sich für bestimmte Beobachtungsschemata, Relevanzstrukturen und Leitunterscheidungen im Rahmen interreligiöser Beobachtungen und Beschreibungen. Es handelt sich hier also um eine Analyse von Semantik, verstanden im Sinne der systemtheoretischen Wissenssoziologie, die darunter „höherstufig generalisierten“ Sinn, etwa Typisierungen, Schematisierungen oder Klassifikationen, fasst (vgl. Luhmann 1980a: 19).3 Hierzu sollen auch die Religionsstatistiken zählen, die im Rahmen der interreligiösen Beobachtung zum Einsatz kommen. Statistiken interessieren hier folglich nicht hinsichtlich ihrer Repräsentation von Wirklichkeit und faktischen Akkuratesse. Auch ihnen gilt eine Beobachtung zweiter bzw. dritter Ordnung; von Interesse sind demnach vielmehr die Realitätskonstruktionen, die sie hervorbringen, und die realen Handlungsfolgen, die davon ausgehen. Den relevanten Datenkorpus bilden folglich solche Materialien, in denen Religionen unter globalen Gesichtspunkten und aus einem religiösen Interesse heraus beobachtet werden. Dazu zählen bereits frühe Inventarisierungen der Religionen der Welt, für die ein religiöses Motiv unterstellt werden kann. In der Hauptsache handelt es sich aber um missionsbezogenes Material. Für das 19. Jahrhundert werden hier vor allem Artikel von Missionszeitschriften herangezogen. Die Analyse der Beobachtungsformen der gegenwärtigen pfingstlich-evangelikalen Bewegung bezieht sich auf religionsstatistische Kompendien, denen innerhalb der Bewegung ein repräsentativer Status zukommt. Dabei interessieren die Konzepte und Klassifikationsformen, die dem Begriff der Religion und der Beobachtung interreligiöser Verhältnisse unterlegt werden. Den Ausgangspunkt dieser Materialanalyse bildet folglich das Christentum. Für die Frage, inwieweit solche Perspektiven von Seiten anderer Religionen aufgegriffen werden, stützt sich die Untersuchung in der Hauptsache auf historische und religionswissenschaftliche Arbeiten, in denen mitunter auch Primärmaterialien zitiert werden. Für die Gegenwart wurden zum Teil auch Dokumente und Schriften von zentralen Autoritäten innerhalb der nicht-christlichen Strömungen herangezogen. Stets geht es dabei um die Frage, inwieweit hier Klassifikationen und Relevanzperspektiven zum Tragen kommen, die den Beobachtungsmodi des pfingstlichevangelikalen Christentums gleichsinnig bzw. komplementär sind. Das Vorgehen in der Auswertung des Materials ist in mancherlei Hinsicht dem Vorgehen einer Diskursanalyse verwandt. So geht es auch hier um die Analyse der Konstruktion eines spezifischen Diskursgegenstandes, der eine ganze Beobachtungsund Handlungssphäre auf sich auszurichten vermag: der religiösen Zahlenverhältnisse als manipulierbares Zahlenobjekt, das in ontologischer Hinsicht etwa dem von Foucault beschriebenen Volkskörper oder der Sexualität an die Seite zu stellen ist. Dabei fließen aber zugleich differenzierungstheoretische Perspektiven mit ein. Kurz3

Für aktuelle Beispiele ähnlich differenzierungstheoretisch motivierter Semantikanalysen siehe Stäheli (2004; 2007a). Für ein instruktives Beispiel aus dem Bereich globaler Religion siehe Masuzawa (2005).

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um: In einer interpretativen Analyse der rhetorischen Aufmachung der Texte werden die spezifischen Relevanzstrukturen und Deutungsschemata herausgearbeitet, die eine interreligiöse Beobachtung strukturieren und eine spezifische Sinnwelt von religiösen Zugehörigkeitsverteilungen und Bekehrungen ausdifferenzieren.4

4

Siehe zum ähnlichen Vorgehen einer Diskursanalyse, die die „Phänomen“- bzw. „Problemstruktur“, die „Deutungsmuster“ und die „narrativen Strukturen“ eines Diskurses herauszupräparieren sucht, etwa Keller (2007: 100ff.).

Teil A: Religion im Blickpunkt von Differenzierungsund Globalisierungstheorie

Das Ziel dieses ersten Teils ist die Entwicklung eines begrifflichen Instrumentariums, mit dem sich differenzierungstheoretische Betrachtungen der Religion in einem weltgesellschaftstheoretischen Rahmen durchführen lassen. Ausgehend von diesem Untersuchungsinteresse ist zunächst der differenzierungstheoretische Stand der Religionssoziologie zu bestimmen. In einem ersten Kapitel sind dafür einige differenzierungstheoretische Klassiker in den Blick zu nehmen, die zugleich als Klassiker der Religionssoziologie gelten (I). Dabei kommt insbesondere Georg Simmel und Max Weber ein ausgezeichneter Status zu. Ihre Analysen der Religion stehen in Kontinuität zu den differenzierungstheoretischen Gedanken Wilhelm Diltheys, die ‚Sinn‘ und Eigengesetzlichkeit ins Zentrum stellen. An dieser Differenzierungsperspektive ist in einem zweiten Kapitel die weitere Entwicklung der Religionssoziologie zu bemessen (II). Es zeigt sich hier, dass solche Theoriegebäude, die im Allgemeinen eine Nähe zum sinntheoretischen Differenzierungsparadigma aufweisen, in religiösen Dingen kaum eine differenzierungstheoretisch ertragreiche Betrachtung vorlegen; dies scheint entscheidend mit der Blickverengung auf den europäischen Kontext und dem einseitigen Anschluss an den Weber’schen Gedanken einer ‚Depotenzierung‘ des Religiösen zusammenzuhängen. Umgekehrt deuten solche Betrachtungen, die (mitunter) dem amerikanischen Kontext gelten, differenzierungstheoretisch vielversprechende Gedanken durchaus an; allerdings fehlt hier wiederum die konsequente Orientierung an einem Differenzierungsparadigma, das sich den Ideen Diltheys, Simmels und Webers verpflichtet fühlt. Vor diesem Hintergrund ist in einem dritten Kapitel schließlich die Luhmann’sche Differenzierungsperspektive auf die Religion zu erörtern (III). Sie bildet hier insofern einen eigentümlichen Fall, als sie werkgeschichtlich mit europäischen Defizitdiagnosen beginnt, zuletzt aber Religion als ein vollgültiges Funktionssystem ‚inter pares‘ vorführt. Sie vollzieht diese Wende jedoch allein auf halbem Wege, da sich die strukturellen Fehlanzeigen aus dem europäisch orientierten Frühwerk bis zum Spätwerk durchhalten. Entsprechend zeichnet die späte Studie angesichts ihres neu hinzugekommenen Optimismus ein reichlich ambivalentes Bild der Religion. Wie in einer daran anschließenden Zwischenbetrachtung erörtert werden soll, wäre der amerikanische Kontext der adäquatere Anwendungsfall für eine Differenzie-

rungstheorie gewesen, die sich für die Ausdifferenzierung von besonderem Sinn und operativen Eigengesetzlichkeiten interessiert (IV). Wie im historischen bzw. fallanalytischen Teil zu zeigen sein wird, bildet diese Region infolge der von dort ausgehenden Missionsanstrengungen auch einen Ansatzpunkt für eine weltgesellschaftstheoretische Betrachtung der Religion. In einem fünften Kapitel gilt es zu eruieren, inwieweit differenzierungstheoretische Perspektiven auf die Religion bislang im Rahmen von Weltgesellschaftstheorien zum Zuge gekommen sind (V). In dem abschließenden, sechsten Kapitel dieses Teils sind schließlich ein Vorschlag für einen allgemeinen Begriff von Globalität eines gesellschaftlichen Teilsystems auszuarbeiten und erste Bezüge zum Gegenstand der Religion und der weiteren Untersuchung herzustellen (VI).

I. Religion und Differenzierung I: Klassische Perspektiven

Eine Zusammenstellung von Autoren, die zum differenzierungstheoretischen Klassikerbestand der Soziologe gehören, kann nicht ganz frei von Willkür sein. Jeder Einzelne ist im Positiven wie im Negativen einer Tradition von Vorgängern verbunden, die von daher mit gleichem Recht aufzunehmen wären. Uwe Schimank (1996/2007) etwa wählt in seiner Zusammenstellung von „Theorien gesellschaftlicher Differenzierung“ Emile Durkheim, Georg Simmel, Max Weber und Karl Marx in den engeren Kreis der differenzierungstheoretischen Klassiker. Die Begründung liegt darin, „dass sie diejenigen unter den soziologischen Klassikern sind, deren differenzierungstheoretische Ideen bis heute am nachhaltigsten fortgewirkt haben“ (ebd.: 25). Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch ein zweites Kriterium hinzufügen. Da es in dieser Untersuchung um eine differenzierungs- bzw. weltgesellschaftstheoretische Behandlung von Religion als ein Teilsystem neben vielen geht, sollte eine solche Konzeption von der jeweiligen differenzierungstheoretischen Position her nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Aus diesem Grunde soll Marx hier keine systematische Behandlung zuteilwerden. Ihm geht es jenseits der Ökonomie nicht um Differenzierung im Sinne einer Verselbständigung von Teilbereichen, die infolgedessen in ein gleichrangiges Verhältnis zu stellen sind. Vielmehr wird gerade die Religion, aber etwa auch Recht und Wissenschaft lediglich als ‚falsches Bewusstsein‘ verstanden – als Teil eines Überbaus, der in einem Widerspiegelungsverhältnis zu den wirtschaftlichen Produktionsverhältnissen steht. Wie noch deutlich wird, ist damit zwar auch die Durkheim’sche Position bezüglich Religion problematisch. Anders als bei Marx ergibt sich dies aber nicht zwingend aus seinem differenzierungstheoretischen Ansatz. Während Marx außen vor bleibt, sind indes Herbert Spencer und Wilhelm Dilthey der Auswahl hinzuzufügen. Auf Spencer muss die Wahl insofern fallen, als er von den Klassikern am konsequentesten auf die Differenzierungsbegrifflichkeit zurückgreift und damit schon semantisch ein unabweisbarer Vorläufer der nachklassischen Differenzierungsdiskussion ist. Auch wenn die Organismusanalogien mittlerweile abgestreift sind, stehen Termini wie System, Struktur, Funktion und Differenzierung insbesondere der jüngeren Systemtheorie offensichtlich nahe, obgleich Parsons (1937/1968) Spencer in seiner frühen Auseinandersetzung mit den Klassikern für „tot“ erklärte. Der andere Grund liegt darin, dass Spencer der Religion bzw. den „ecclesiastical institutions“ in seiner Untersuchung breiten Raum gibt. Dilthey darf insofern nicht fehlen, als er gerade in differenzierungstheoretischen Dingen ei-

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nen bedeutenden Einfluss auf Simmel und Weber ausübte. Die entscheidenden Positionen, die einen ganz eigenen Ansatz der Differenzierungstheorie begründen, finden sich hier vorgezeichnet und werden durch Simmel und Weber gerade auch für die Religion weiterverarbeitet. Obgleich man einen nicht unerheblichen Einfluss auf Durkheim und Spencer sicher auch für Auguste Comte behauptet dürfte, kann seine Position hier wiederum nicht direkt interessieren. Für das Verhältnis von Religion und Wissenschaft, im Speziellen der Soziologie, nimmt er kein gleichrangiges, sondern ein substitutives Verhältnis an. Die Auswahl fällt damit auf Spencer, Durkheim, Dilthey, Simmel und Weber. Es geht hier folglich nicht um eine breite Darstellung der Geschichte der Religionssoziologie (vgl. dazu etwa Tyrell 1995/2008). Allein ein selektiver Durchgang hinsichtlich der Differenzierungsfrage hat hier zu erfolgen. Die „Diversität der Differenzierungstheorie“ (Tyrell 1998b; auch Hahn 1999) soll dabei im Detail und speziell für den Gegenstand der Religion herausgearbeitet werden. Wie im Einzelnen zu zeigen ist, stellt die Differenzierungskonzeption Spencers in diesem Zusammenhang vornehmlich auf Trennung von vormals verbundenen Rollenstrukturen ab (1). Dies tut im Allgemeinen auch Emile Durkheim; für den religiösen Fall weicht er allerdings von dieser Linie ab und geht stattdessen von einer grundlegenden gesellschaftlichen Integrationsfunktion der Religion aus (2). Einen ganz anderen Akzent setzen die Ansätze Wilhelm Diltheys, Georg Simmels und Max Webers: Ihnen geht es differenzierungsbezogen um die Herauslösung einer spezifischen Sinnperspektive. Gegen Interdependenzannahmen und Organismusanalogien werden dabei Eigengesetzlichkeiten und bisweilen spannungsgeladene Auseinanderentwicklungen der Religion und anderer Sinngebiete betont (3).

1. R ELIGIÖSE R OLLENDIFFERENZIERUNG : H ERBERT S PENCER Ausgangspunkt der vorliegenden Betrachtung differenzierungstheoretischer Klassiker soll Herbert Spencer sein. Auch chronologisch fügt er sich in die Reihe als Erster ein. Die drei Bände seines soziologischen Hauptwerks „Principles of Sociology“, dem hier das Hauptaugenmerk gelten soll, erscheinen zwischen 1876 und 1896.1 Der Aufbau dieser Schrift lässt nach allgemeinen Erörterungen zur soziologischen Konzeption von Gesellschaft eigene, gesellschaftsvergleichende Untersuchungen zu den einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen, den „Institutionen“, folgen. Bei Spencer sind derer sechs an der Zahl, die „domestic institutions“, „ceremonial institutions“, „political institutions“, „industrial institutions“, „professional institutions“ und die für die vorliegende Untersuchung entscheidenden „ecclesiastical institutions“. Ein solcher Untersuchungsaufbau hat an Aktualität kaum verloren. Schelsky (1980: 250) bemerkt, dass die amerikanische Soziologie Spencer in diesem Darstellungsprinzip einer „Kasuistik der Institutionen“ bis in die 1940er Jahre gefolgt ist; auch Niklas

1

Im Folgenden wird nach der Gesamtausgabe von Otto Zeller aus dem Jahre 1966 zitiert, in der die Bände I-III der „Principles of Sociology“ die Bände VI-VIII darstellen.

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Luhmann, der den wichtigsten Funktionssystemen eine eigene Monographie gewidmet hat, lässt sich in diese Tradition stellen.2 Im Folgenden sind zunächst einige Bemerkungen zum allgemeinen Teil der „Principles of Sociology“ zu machen (1.1). Vor diesem Hintergrund gilt es dann die Spencer‫ތ‬schen Erörterungen zu den „ecclesiastical institution“ genauer in den Blick zu nehmen (1.2). 1.1 Die Gesellschaft in der Organismusanalogie Herbert Spencer behandelt Soziales in den „Principles“ in der Hauptsache unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten. Gesellschaften fallen unter eine eigene Klasse von Evolution: die „super-organic evolution“, die Spencer von der anorganischen und organischen Evolution unterschieden wissen will. Die super-organische Evolution sieht er dort beginnen, wo Kooperation und Koordination zwischen Individuen stattfinden (vgl. Spencer 1966: VI, 3f.). Damit sind rudimentäre Formen unter Tieren explizit eingeschlossen; für Spencer kommen indes nur Kooperationen unter Menschen als Gegenstand der Soziologie in Frage, da sie tierische an Komplexität und Bedeutung weit überragen. Es entspricht dieser entwicklungsbezogenen Betrachtung von Gesellschaft als solcher, dass sich Spencer zunächst für das ‚Grundmaterial‘ und die Ausgangs- bzw. Randbedingungen soziokultureller Evolution interessiert. So widmet er den ersten von acht Teilen der „Principles“ einerseits Überlegungen, welchen Einfluss „externe Faktoren“ wie Klima, Bodenbeschaffenheit, Flora und Fauna auf die soziokulturelle Entwicklung nehmen. Andererseits werden die „internen Faktoren“ traktiert, zu denen insbesondere die physische, emotionale und intellektuelle Ausstattung des „primitive man“ gehört. Hinzu kommt ein Katalog der „primitive ideas“, der den umfangreichsten Teil dieser Voruntersuchung ausmacht. Hier geht es um nichtangeborene Vorstellungen, die sich in den einfachsten Gesellschaften als ideeller Grundstock herausbilden. Dieser Katalog ist der Ansicht geschuldet, dass „the ideas he [d.h. „the primitive man“, M.P.], forms of himself of other beings and of the surrounding world, greatly affect his conduct“ (Spencer 1966: VI, 92). Eine ähnliche Beschwörung der Ideen, die Weltbilder schaffen und so indirekt als „Weichensteller die Bahnen bestimmen, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte“, stellte auch Weber (1920/1988: 252) mit Blick auf das Marx’sche BasisÜberbau-Modell seinen Untersuchungen zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen voran. Wie noch deutlich wird, führt dies Spencer anders als Weber jedoch nicht auf den Weg, den Differenzierungen gesellschaftlicher Teilbereiche auch dezidiert im Ideellen nachzugehen, etwa als Autonomisierung eigengesetzlicher Sinngebiete. Den Ausgangspunkt soziologischer Untersuchungen bilden für Spencer (1966: VI, 426) somit soziale Einheiten, die entscheidend von solchen externen wie internen 2

Vgl. hierzu auch Beetz (2010: 31). Zugleich stellt Beetz Spencer und Luhmann noch in einer anderen Hinsicht in eine Reihe: So sei Spencers „System of Synthetic Philosophy“, das neben den „Principles of Sociology“ noch Bände zur Philosophie, Biologie, Psychologie und Ethik umfasst, ein „Prototyp“ einer Universaltheorie, wie sie heute auch in der Systemtheorie Niklas Luhmanns vorliege, obgleich diese in der Hauptsache für soziale Systeme ausgearbeitet worden sei.

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Faktoren geformt sind. Für die Analyse sozialer Phänomene, wie sie die verschiedenen Institutionen ausmachen, sind ihm allerdings zusätzliche Erkenntnisse über das gesellschaftliche Ganze vonnöten, das die Institutionen erst zueinander ins Verhältnis setzt und sie je nach gesellschaftlichem Entwicklungsstand zu unterschiedlichen Größen, Strukturen und Funktionen kommen lässt (vgl. ebd.: 431f.). In der Absicht einer „induktiven“ Grundlegung solcher Erkenntnisse kommt Spencer so zum zentralen Teil seiner Soziologie: der Darstellung seiner auf einer Organismusanalogie beruhenden Konzeption von Gesellschaft. Anders als die Organizisten seiner Zeit, die soziale und biologische Systeme auf eine Stufe stellen, will Spencer (ebd.: 436; Herv. getilgt) dabei nur einen „parallelism of principle in the arrangement of components“ gelten lassen. Auch in der abschließenden Zusammenfassung grenzt er sich noch einmal entsprechend ab, wenn er betont, einzig eine Gleichheit in den fundamentalen Prinzipien der Organisation werde hier veranschlagt (vgl. ebd.: 580).3 Die Analogie soll ihm bloß ein Gerüst für seine differenzierungstheoretischen Induktionsschlüsse sein. Die Argumentation dieses grundlegenden Kapitels folgt dann auch fast uneingeschränkt dem Duktus einer jeweils vorangestellten Darstellung einer organismischen Eigenschaft auf einem bestimmten Entwicklungsniveau und eines daran anschließenden Nachweises der Parallele im sozialen System auf einer analogen Entwicklungsstufe. Vergleicht man diese allgemeine Erörterung mit den daran anschließenden Einzeluntersuchungen, kommt man kaum umhin, einen gewissen Bruch zu konstatieren. Spencer (1966: VI, 479ff.) leitet über die Organismusanalogie im allgemeinen Teil die entwicklungsgeschichtlich fortschreitende Ausdifferenzierung dreier gesellschaftlicher Funktionssysteme ab. Es sind diese das „sustaining system“, das sich primär der materiellen Versorgung des Ganzen widmet, das „regulating system“, das steuernde Funktionen übernimmt, schließlich das „distributing system“, das sich der Verteilung der vom „sustaining system“ bereitgestellten Ressourcen im sozialen Organismus annimmt. Man würde nun erwarten, dass es sich dabei um die institutionellen Komplexe handelt, die im weiteren Fortgang der Untersuchung den Gegenstand der Einzelanalysen bilden. Doch mit Ausnahme der politischen und industriellen Institutionen sind dies nicht die Systeme, die von Spencer im Anschluss als Institutionen untersucht werden. Umgekehrt haben die „ecclesiastical institutions“ ebenso wenig in das hier angebotene allgemeine ‚Organigramm‘ Eingang gefunden wie die „ceremonial“, „professional“ und „domestic institutions“. Darüber hinaus ist der Stil der Untersuchung im allgemeinen Teil und den ‚kasuistischen‘ Teilen ein gänzlich unterschiedlicher. So wird in der ‚organologischen‘ Ausgangsuntersuchung eine ‚systemfunktionalistische‘ Perspektive gewählt. Die Entwicklungen der einzelnen Teilsysteme reagieren der Analyse zufolge auf Bestandserfordernisse, die mit einem bestimmten Entwicklungszustand des Systems einhergehen. So geht Spencer davon aus, dass innerhalb des Regulationssystems in der weiteren Entwicklung noch zwei spezialisiertere Regulationszentren entstehen, die auf eine fortschreitende primäre Differenzierung von „regulating“, „sustaining“ und „distributing system“ reagieren: einerseits das Pressewesen, das die Wirtschaft (als „sustaining system“) unter anderem über Angebot und Nachfrage informiert (und dem vegetativen Nervensystem als Analo3

Insofern muss es irritieren, dass Spencer eines der ersten Unterkapitel „A Society is an Organism“ nennt.

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gon gegenübergestellt wird); andererseits das Kreditwesen, das Produktionen von hohem Bedarf alsbald ermöglicht, indem finanzielle Mittel für die Akquisition der nötigen Ressourcen herbeigeschafft werden; (dies wird mit dem vaso-motorischen System verglichen, das Blutströme so reguliert, dass die aktuell beanspruchten Organe zuerst versorgt werden). Demgegenüber sind die speziellen Untersuchungen weniger von dieser Perspektive getragen. Spencer verabschiedet sich hier gar von der Organismusanalogie und spricht statt von „Organen“ nun ausschließlich von Institutionen.4 Entsprechend ist bei der Frage nach der Funktion der „ecclesiastical institutions“ wenig Einschlägiges zu finden. Gelegentlich ist von Funktionen des „carrying on of worship“ und, davon abgeleitet, des „insistence on rules of conduct“ die Rede (vgl. etwa Spencer 1966: VIII, 152).5 Es fehlt jedoch der Duktus des allgemeinen Teils, der diese Funktionen auf ‚das Ganze‘ bezieht und dabei dezidiert auf eine funktionale Interdependenz („mutual dependence“, ebd.: 440) der Teile abstellt. Dort wurde noch jeder Ausfall insofern als „fatal“ (ebd.: 473) präsentiert, als er infolge der Spezialisierung nicht mehr durch andere Teile kompensiert werden könne.6 Von dieser Dramatik ist im Weiteren kaum mehr etwas zu spüren. Die Brücke zwischen dem allgemeinen, „induktiven“ Teil und den besonderen, „deduktiven“ Teilen liegt eher an anderer Stelle. Die Untersuchungen zu den Institutionen dienen als spezifische Anwendungsfälle der allgemeinen Entwicklungsgesetze, die Spencer auch für den Gegenstand der Gesellschaft über die Organismusanalogien herausarbeiten konnte. Diesen Gesetzen zufolge schreitet der Prozess der Dif4 5

6

Dies sieht bereits Znaniecki (1945: 175). Der Bezug von Religion auf die Gesellschaft wird allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang deutlich: im Kapitel „An Ecclesiastical System as a Social Bond“ (ebd.: 95ff.), welches entscheidende Gedanken der Durkheim‫ތ‬schen Religionssoziologie vorwegnimmt. Dabei geht es vor allem um die integrativen Funktionen der religiösen Institutionen, auch wenn von ‚Funktion‘ hier nicht die Rede ist. Sakrale Riten dienen hier der periodischen Selbstvergewisserung über den gemeinsamen Ursprung: „Though generally in such cases the need for joint defence against external enemies is the chief prompter to federation; yet in each case the federation formed is determined by that community of sacred rites which from time to time brings the dispersed divisions of the same stock together, and keeps alive in them the idea of a common origin as well as the sentiment appropriate to it.“ (Spencer 1966: VIII, 98) Dabei wird das Religiöse in eine Nähe zum Recht (ebd.: 101) und vor allem zur moralischen Obligation gebracht, die ganz auf der Linie der späteren Religionssoziologie Durkheims liegt. Auch die Anthropologie, die dahinter steckt, gleicht derjenigen Durkheims. Die Eigenschaft von Religion, auf die es Spencer hier vor allem ankommt, ist „to restrain the anti-social actions of individuals towards one another” (ebd.: 102). Nicht anders Durkheim: Schon in „De la division du travail social“ sieht er die entscheidende Wirkung der Moral in der „Zügelung der Egoismen“ der Menschen (vgl. hierzu auch Tyrell 1985: 190f.). Vgl. Jones (1974a) zu Durkheims Rezeption von Spencers „ecclesiastical institutions“. Solche Aspekte werden in den Spezialuntersuchungen dann eher auf der Ebene der Institutionen selbst verhandelt. So ist in der Abhandlung zu den „industrial institutions“ im prägnant titulierten Kapitel „Interdependence and Integration“ (Spencer 1966: VIII, 396ff.) lediglich die wechselseitige Abhängigkeit der Industriezweige sowie eine maschinelle Integration von vormals getrennten Produktionsabläufen im Blick.

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ferenzierung immer von zunächst allgemeineren zu immer spezielleren Differenzierungen fort: „First broad and simple contrasts of parts; then within each of these parts primarily contrasted changes which make unlike divisions of them; then within each of these unlike divisions, minor unlikenesses; and so on continually.“ (Ebd.: 463) Das Korrelat davon ist ein Übergang „from an indefinite incoherent homogeneity to a definite coherent heterogeneity“ (ebd.: 423) als Folge einer inhärenten „instability of the homogeneous“ (Spencer 1966: I, 127). Es sind dies die Gesetze, die Spencer (1966: I) bereits in den „First Principles“ als integrierendes Moment seiner gesamten „synthetischen Philosophie“ zugrunde legt. Die Gesellschaftstypologie, die Spencer im allgemeinen Teil entwirft, bildet ein weiteres zentrales Bindeglied der allgemeinen und speziellen Teile der Untersuchung. Neben einem eher quantitativen Klassifikationsprinzip, das sich auf immer höherstufige Verbindungen von sozialen Gruppen stützt, unterscheidet Spencer (1966: VI, 537ff.) qualitativ zwischen „primitive hordes“, „militant societies“ und „industrial societies“. Die Bezüge zu seinen Evolutionsgesetzen sind deutlich: Primitive Horden werden als ein eher zusammenhangsloses Menschen-Aggregat ohne interne Differenzierungen verstanden (vgl. ebd.: 581). Erst der Kriegszustand schafft hier eine greifbare Form gesellschaftlicher Organisation: Die daraus hervorgehenden „militant societies“ zeichnen sich im Rahmen dieser Typologie durch zentralisierte und totalitär-autoritäre Herrschaftsstrukturen aus. Spencer sieht hier Differenzierung und Kohärenz aus den Erfordernissen der kriegerischen Koordination entstehen (vgl. ebd.: 545ff.). Dem steht als (Final-)Typus die „industrial society“ gegenüber: Sie kommt in dem Maße zur Blüte, in dem die kriegerischen Verwicklungen der Gesellschaft wieder abnehmen. Die ansteigende industrielle Aktivität geht dabei, so das Postulat, mit einer Schwächung hierarchischer Strukturen einher bis hin zur Entfaltung einer ‚heterogenen‘ Landschaft „freier Institutionen“ und pluralistischer Überzeugungen samt den zugehörigen Rechten zum Schutze des Individuums (vgl. ebd.: 555). Industrielle Gesellschaften können allerdings nach Spencer (ebd.: 567) zum militanten Typus ‚regredieren‘, sobald sie wieder in einen Kriegszustand eintreten. Das überbrückende Moment dieser Gesellschaftstypologie liegt nun darin, dass diese einerseits auf ein jeweiliges Verhältnis der „regulating“, „sustaining“ und „distributing systems“ aus dem allgemeinen Teil bezogen wird. So zeichnet sich etwa die „militant society“ durch ein Übergewicht des regulativen Systems aus, dessen hierarchischer Zug dann auch andere Institutionen prägt. Ein Übergewicht des „sustaining systems“ ist wiederum charakteristisch für die „industrial society“. Die Gesellschaftstypen kommen aber andererseits auch in den speziellen Einzelanalysen zum Tragen, wenn durchgehend nach der jeweiligen Form gefragt wird, die die verschiedenen Institutionen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Stadien einnehmen. Die Annahmen über die differenzierungsbezogenen Evolutionsgesetze und die Gesellschaftypologie strukturieren entsprechend auch Spencers Untersuchung der „ecclesiastical institutions“, denen der folgende Abschnitt gilt. 1.2 Die „ecclesiastical institutions“ In der Untersuchung zu den „ecclesiastical institutions“ wird im großen Umfang aus religionsanthropologischen Materialien, etwa von Edward Tylor und Max Müller, geschöpft, die auch schon in dem anthropologischen Vorspann zum allgemeinen

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Teil, wo es um die Entstehung primitiver Ideen ging, reichlich bemüht wurden. Damit erklären sich auch die gelegentlich auftauchenden Berührungspunkte mit der systematischen Religionssoziologie Max Webers, der selber von der Religionsanthropologie nicht unbeeinflusst geblieben ist (vgl. Tyrell 1995/2008: 213).7 Anders als bei der Behandlung anderer Institutionen, bei der lediglich die Prozesse der strukturellen und funktionalen Sonderung nachgezeichnet werden, werden zudem im Laufe der Untersuchung zu den „ecclesiastical institutions“ immer wieder auch Differenzierungen im Bereich der religiösen Ideen in den Blick genommen und zu den strukturellen Veränderungen in Beziehung gesetzt. Die Analyse der „ecclesiastical institutions“ versteht sich als eine Anwendung der allgemeinen Evolutionsgesetze auf die religiöse Entwicklung, wie sie sich in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in den illustrativ herangezogenen Gesellschaften und Gesellschaftsstadien manifestiert. Das Gesetz des Übergangs von der inkohärenten Homogenität hin zur kohärenten Heterogenität sowie dasjenige der fortschreitenden Differenzierung von allgemeineren zu spezielleren Differenzen bestimmen hier die Darstellung. Ausgangspunkt aller religiösen Entwicklung, ideell wie institutionell, ist nach Spencer (1966: VIII, 35) ein der Ahnenverehrung zugrundeliegender Geisterglaube. Opferdienste für verstorbene Vorfahren werden zunächst durch alle Familienmitglieder in gleichem Maße besorgt, bis schließlich – aufgrund der inhärenten Instabilität des Homogenen (vgl. ebd.: 47) – vornehmlich den ältesten männlichen Nachfahren des zu verehrenden Toten diese Funktion zufällt. Hier sieht Spencer nun drei Funktionen in Personalunion vertreten: die des Familienoberhaupts, die des politischen Führers und des Priesters. Erstere ‚Rolle‘ (avant la lettre) differenziert sich der Untersuchung zufolge erst mit einer Ausweitung der primitiven Horde zur ‚Mehrfamilien‘-Gesellschaft aus. Der Stammesführer trägt hier zunächst auch weiterhin sowohl die Funktion der politischen Herrschaft als auch die der Ahnenverehrung: Es sind dies nun aber die Ahnen der herrschenden Familie, die für die gesamte Gesellschaft bedeutsam sind. Das lässt für Spencer eine Differenzierung zwischen dem öffentlichen Kult und den vielen privaten Kulten entstehen, in denen die untergeordneten Familien ihren eigenen Vorfahren opfern. Im Zuge des Größenwachstums der Gesellschaft und der Verkomplizierung der herrschaftlichen Verwaltung wird diese „sacerdotal function“ – gemäß dem Gesetz einer fortschreitenden Differenzierung bzw. funktionalen Spezialisierung – schließlich delegiert (vgl. ebd.: 61): Ein eigenes Priestertum entsteht. Dessen institutionelle Heraussonderung hängt Spencer zufolge nicht zuletzt davon ab, inwieweit ideell zwischen jenseitigen und diesseitigen Angelegenheiten unterschieden wird (vgl. ebd.: 83). Auch anderswo sieht Spencer strukturelle Bezüge zum religiösen Sinn: So hat für ihn die Entwicklung hin zum Monotheismus ihr strukturelles Korrelat in einer zunehmenden Vereinheitlichung des Priestertums (vgl. ebd.: 77). Auf das Größenwachstum des Letzteren werden wiederum Spezialisierungen und die Ausbildung von Hierarchien innerhalb des Priestertums selbst zurückgeführt (vgl. ebd.: 86). Dies steht ebenfalls ganz im Einklang mit dem hier vorausgesetzten Gesetz, dem zufolge

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So etwa dort, wo auf den Unterschied von Geisterzwang und Gottesdienst als Scheidepunkt zwischen der Evolution des Priestertums und der des Zauberers aufmerksam gemacht wird (Spencer 1966: VIII, 43).

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sich der Differenzierungsprozess auch innerhalb der einmal ausdifferenzierten Teilbereiche fortsetzt. Analog zu dem Untersuchungsvorgehen bei den anderen Institutionen werden die evolutionsbezogenen Darstellungen der „ecclesiastical institutions“ noch einmal eigens mit den Organisationsformen der militanten Gesellschaft und der industriellen Gesellschaft ins Verhältnis gesetzt. So ist nach Spencer insbesondere innerhalb des militanten Typus das Priestertum Träger weitreichender militärischer Funktionen, etwa der eigenen kämpferischen Beteiligung, der Gebete für den Sieg und der Divination (vgl. ebd.: 107ff.). Erst mit dem Nachlassen des chronischen Kriegszustands fallen diese Funktionen weg (vgl. ebd.: 116). Auch die „civil functions“ des Priestertums, die etwa in der politischen Führung und Beratung sowie der Rechtsprechung ausgemacht werden, sieht Spencer erst mit der Ausbildung des industriellen Gesellschaftstypus endgültig verschwinden. Die Freiheit und der zunehmende Wissensstand des Individuums, wie sie dem Typus der industriellen Gesellschaften eigen sind, führen hier zur Trennung von Kirche und Staat (vgl. ebd.: 132f.). Seinen evolutionären Höhepunkt erreicht der Differenzierungsprozess für Spencer dort, wo die Gewissensfreiheit schließlich eine Diversifikation der „ecclesiastical institutions“ innerhalb der Gesellschaft bedingt, etwa in Form einer „mulitplication of sects“ (ebd.: 137): „Evidently the arrival at this state completes that social differentiation which began when the primitive chief first deputed his priestly function.“ (Ebd.: 139)8 Die Ausdifferenzierung von letztlich vielfältigen religiösen Institutionen in einem Staat ist somit nach Spencer ein „deduktiver“ Fall der im allgemeinen Teil „induktiv“ gewonnen Entwicklungsgesetze. Aus vormals homogenen Ahnenverehrungspraktiken, die unter den primitiven Horden in keinem Zusammenhang stehen, gehen im Laufe der Evolution heterogene religiöse Formen hervor, die in einer einzigen Gesellschaft zusammengefasst sind. In dieser Spezialuntersuchung kommen zwei differenzierungstheoretische Gesichtspunkte zum Tragen. Zunächst ist deutlich: Mit der Differenzierungsthematik werden hier vor allem die Aspekte der institutionellen Trennung nachgezeichnet. Für die „ecclesiastical institutions“ bedeutet dies zunächst eine personelle Trennung der bislang in Personalunion vertretenen ‚Rollen‘ des Sippenoberhaupts, des politischen

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Spencer sieht allerdings keinen Untergang der Religion voraus oder gar eine Ablösung durch Wissenschaft, wie dies etwa Comte tut. Zwar werde Wissenschaft Religiosität dahingehend verändern, dass die überlieferten konkreten Transzendenzvorstellungen wissenschaftlichen Überlegungen nicht standhielten. Gleichzeitig steigere Wissenschaft aber das religiöse Empfinden: „While the beliefs to which analytical science thus leads, are such as not to destroy the object-matter of religion, but simply transfigure it, science under its concrete forms enlarges the sphere for religious sentiment. From the very beginning the process of knowledge has been accompanied by an increasing capacity for wonder.“ (Spencer 1966: VIII, 173) Nimmt man dies mit seiner These einer Diversifikation des Sektenwesens zusammen, so ist Spencer einer der wenigen klassischen Differenzierungstheoretiker, der von der vielschichtigen ‚Säkularisierungsthese‘ tatsächlich nur die Komponente einer zunehmenden Spezialisierung der institutionellen Religion samt der damit verbundenen Funktionsverluste vertritt. Zur Mehrdimensionalität der Säkularisierungsthese vgl. Casanova (1994: 11ff.); Dobbelaere (1981/2002; 1998).

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Führers und des Priesters. Dieser Prozess setzt sich dann in einer analogen Differenzierung innerhalb des einmal etablierten Priestertums fort. Damit verbindet sich eine Trennung von Kompetenzbereichen. Wo die Priester zunächst trotz institutioneller Scheidung noch militärische und zivile Funktionen übernehmen, werden diese Zuständigkeiten im weiteren Entwicklungsverlauf zunehmend abgegeben. Darüber hinaus gibt sich in der Untersuchung aber noch ein zweiter differenzierungstheoretischer Gesichtspunkt zumindest ansatzweise zu erkennen: Es ist der einer institutionellen ‚Freisetzung‘. Sie besteht in einem politisch-regulativen Rückzug aus dem religiösen Bereich, der die Voraussetzungen für „nonconformity“ und ein reformatorisches „anti-sacerdotalism“ schafft und schließlich eine „multiplication of sects“ zur Folge hat. Letzterer Aspekt lässt aber die eigentümliche Schieflage der speziellen Teile gegenüber dem allgemeinen Teil der „Principles“ noch deutlicher ins Auge fallen. Während die organologische Untersuchung ganz auf Interdependenz setzte, deutet sich in diesem Fall eher der Gedanke einer Interdependenzunterbrechung und Abschirmung an. Dies äußert sich noch weiter in der Hervorhebung der basisdemokratischen Selbstverwaltung lokaler Institutionen, die als Korrelat des industriellen Gesellschaftstypus gesehen wird (ebd.: 156). Es scheint, als habe die liberalistische Gesinnung Spencers hier so stark die Feder geführt, dass sich Inkonsequenzen gegenüber der vorangestellten Gesellschaftskonzeption eingeschlichen haben.9 Es bleibt festzuhalten, dass Differenzierung sich bei Spencer vornehmlich an Strukturen, d.h. Rollen und Rollenkompetenzen, vollzieht. Auch wenn gerade bei den „ecclesiastical institutions“ die ideelle Seite in der Untersuchung immer wieder in den Blick kommt, sind Sinngrenzen eines religiösen Teilbereichs kaum thematisch. Es bleibt bei dem kurzen Hinweis, dass die „ecclesiastical institutions“ sich im Laufe ihrer Entwicklung umso deutlicher unterscheiden lassen, je stärker eine Trennung von jenseitigen und diesseitigen Angelegenheiten ideell gefestigt ist (vgl. Spencer 1966: VIII, 83). Entsprechend liegt auch auf etwaigen Eigengesetzlichkeiten der gesellschaftlichen Teilbereiche in Spencers Darstellung kein besonderes Gewicht, sieht man von den angedeuteten Vervielfältigungsdynamiken unter den Sekten ab.10 Wie noch zu zeigen sein wird, spielen gerade die letzten beiden Aspekte, Sinn und Eigen9

Vgl. zu den Inkonsistenzen in Spencers soziologischem Denken auch Gray (1985); Stark (1961). Rüschemeyer (1985: 169) sieht das Verbindende zwischen dem Individualismus und der Organismusanalogie in der Vorstellung einer „Devolution des Staates“ bzw. der fortschreitenden Rückbildung des regulativen Systems. Ähnlich argumentiert auch Taylor (1992: 143f.). Die Kritik Durkheims setzt vor allem am Individualismus an, indem sie gegen die utilitaristischen Positionen Spencers die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Individualität und die moralisch-rechtlichen Voraussetzungen des Vertrags ins Feld führt. Zu weiteren Kritikpunkten Durkheims, die allesamt den Stil der „Inversion“ der ursprünglichen Thesen Spencers tragen, vgl. Jones (1974b); ferner Tyrell (1985: 195f.). 10 Allein im organologischen Hauptteil wird für die (dem „sustaining system“ zugeordneten) industriellen Aktivitäten konstatiert, dass sie sich nach eigener Maßgabe ausbreiten, ohne politische Einteilungen zu berücksichtigen: „[W]e may note more especially how the areas devoted to this or that manufacture, are wholly unrelated to the original limits of political groups and to whatever limits were politically established afterwards.“ (Spencer 1966: VI, 491)

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gesetzlichkeit, in der deutschen differenzierungstheoretischen Tradition eine entscheidende Rolle. Zunächst gilt es jedoch einen Blick auf Emile Durkheims religionssoziologischen Ansatz zu werfen.

2. R ELIGIÖSE I NTEGRATION E MILE D URKHEIM

DER

G ESELLSCHAFT :

Emile Durkheim gilt anders als Herbert Spencer nicht nur in differenzierungstheoretischer Hinsicht als klassische Referenz; auch in der Ahnengalerie der Religionssoziologie hat er einen unumstrittenen Platz inne. Umso mehr muss es verwundern, dass er für den Gegenstand Religion gerade in differenzierungstheoretischer Hinsicht erstaunlich wenig zu bieten hat. Im Folgenden gilt es zunächst das differenzierungstheoretische Frühwerk „Über soziale Arbeitsteilung“ im Hinblick auf Religion und Differenzierung genauer zu beleuchten (2.1). Daran schließen entsprechende Erörterungen zu der religionssoziologischen Schrift „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ an (2.2). Schlussendlich bedarf es noch einer kurzen Bemerkung zu den Affinitäten von Durkheim’scher Religionssoziologie und Marx’scher Religionskritik (2.3). 2.1 Religiöse Perspektiven in „Über soziale Arbeitsteilung“ Anders als bei Spencer fehlt in Durkheims differenzierungstheoretischem Werk „De la division du travail social“ eine Berücksichtigung der Religion als Institution oder, was im Rahmen der Durkheim’schen Abhandlung näher gelegen hätte, als Berufsgruppe. Allerdings ist das Werk auch deutlich um Abgrenzungen von Spencer bemüht (vgl. hierzu Tyrell 1985: bes. 183ff., 195f.). Die Pointen liegen hier entsprechend anders. Nicht Prozesse der Trennung und Differenzierung von Funktionen bilden das Untersuchungsproblem. Vielmehr steht die Frage, welche Funktion die Arbeitsteilung schlechthin für die moralische Integration der Gesellschaft erfüllt, im Zentrum des Interesses. Das Untersuchungsproblem bezieht Durkheim aus seiner Konzeption primitiver Gesellschaften. Diese nicht-arbeitsteiligen, segmentär differenzierten Sozialverbände zeichnen sich für ihn durch ihre „mechanische Solidarität“ aus, eine durch das „Kollektivbewusstsein“ garantierte Form der Integration. Unter dem Kollektivbewusstsein versteht Durkheim einen ‚kulturellen‘ Fundus von Überzeugungen, der von allen Mitgliedern der Gesellschaft geteilt wird. Es ist folglich die Ähnlichkeit der Individuen und eine damit zusammengehende Repression von Abweichungen, denen hier solidaritätsstiftende Wirkungen zugeschrieben werden. Damit verbinden sich gleich mehrere Pointen gegen Spencer. Zum einen wird der von Spencer aufgestellten Behauptung einer ursprünglichen Freiheit der primitiven Individuen widersprochen. Zum anderen wird hier demonstriert, wie sich der Zusammenhalt vorindustrieller Gesellschaften nicht etwa durch den von Spencer für notwendig erachteten Kriegszustand und den daraus hervorgehenden militärischen Apparat einstellt, sondern allein

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durch Gleichheit der Individuen und kollektive Repression von Abweichungen zustande kommen kann.11 Aufgrund eines Größenwachstums der Gesellschaft und des konkurrenzbedingten Ausweichens auf die unterschiedlichsten Beschäftigungen reichen die Gemeinsamkeiten für einen „mechanischen“ Zusammenhalt indes bald nicht mehr aus. Auf diese Einsicht stützt Durkheim eine funktionale Analyse des Phänomens der Arbeitsteilung, die auch ihr ein moralisches Wirken bescheinigt. Diese stiftet ihm zufolge eine „organische Solidarität“, die nicht auf Ähnlichkeit beruht, sondern auf Interdependenz und Komplementarität. In der Arbeitsteilung sieht Durkheim damit ein ‚funktionales Äquivalent‘ zur mechanischen Solidarität unter Bedingungen gesellschaftsinterner Diversifikation. Für den vorliegenden Zusammenhang ist der Ort entscheidend, der in dieser Untersuchung der Religion zugewiesen wird. Religiöses ist hier eng mit dem „Kollektivbewusstsein“ assoziiert, wie schon die Einführung des Begriffs deutlich macht: „Die Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen und Gefühle im Durchschnitt der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft bildet ein umgrenztes System, das sein eigenes Leben hat; man könnte sie das gemeinsame oder Kollektivbewusstsein nennen.“ (Durkheim 1893/1992: 128; Herv. M.P.; Herv. i.O. getilgt) Gerade die Tatsache, dass eine Überzeugung „von ein und derselben Menschengemeinschaft geteilt wird“, verleiht dieser Durkheim zufolge „unweigerlich einen religiösen Charakter“ (ebd.). Die Religion ist damit „zentrale[r] Bereich des Kollektivbewusstseins“ (ebd.). Die religiöse Einfärbung von Glaubensüberzeugungen sieht Durkheim geradezu als ein Indikator dafür an, wie stark diese sind und in welchem Ausmaß sie geteilt werden (vgl. ebd.: 225).12 Auch das Recht trägt aus seiner Sicht solche religiösen Züge insbesondere dann, wenn es ein Zuwiderhandeln gegen gemeinsame Überzeugungen sühnen soll: „Wenn wir die Unterdrückung des Verbrechens verlangen, dann wollen wir uns nicht persönlich rächen, sondern etwas Heiliges, das wir mehr oder weniger undeutlich als außerhalb oder über uns stehend empfinden. [...] Das ist der Grund, warum das Strafrecht nicht nur seinem Ursprung nach wesentlich religiös ist, sondern immer noch ein bestimmtes Zeichen von Religiosität bewahrt.“ (Durkheim 1893/1992: 150)

Entsprechend gilt Durkheim das repressive Recht als ein Gradmesser der mechanischen Solidarität; die organische Solidarität wiederum sieht er mit einem Übergewicht an Restitutivrechten einhergehen. Daraus ergibt sich für das Religiöse in Durkheims Untersuchung aber eine bedeutende Konsequenz. Es ist hier als Teil des Kollektivbewusstseins unmittelbar mit 11 Der entscheidende ‚Stoß‘ gegen Spencer im Besonderen und den Utilitarismus im Allgemeinen ist freilich das siebte Kapitel des ersten Teils über die nicht-vertraglichen Grundlagen des Vertrags, das die Gesellschaft nicht aus der Kooperation der Individuen, sondern die Individuen aus der immer schon vorauszusetzenden Gesellschaft hervorgehen lässt (vgl. Durkheim 1893/1992: 256ff.; siehe dazu auch Parsons 1937/1968: 308ff.). 12 Fustel de Coulanges diente als wesentliche Inspirationsquelle für das Konzept des Kollektivbewusstseins und seiner Verbindung mit Religion; vgl. hierzu Tyrell (1985: 200ff.); siehe in diesem Zusammenhang auch Prentergast (1983/1984).

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primitiven bzw. „segmentär“ differenzierten Gesellschaften verbunden und steht damit der arbeitsteiligen Gesellschaft beinahe antithetisch entgegen. Denn letztere geht mit einem Rückgang des Kollektivbewusstseins einher und setzt diesen sogar voraus, wie Durkheim (1893/1992: 344ff.) in dem Kapitel zu den „Ursachen und Bedingungen“ der Arbeitsteilung darstellt: Die Lockerung des Zugriffs religiöser bzw. moralischer Obligationen gilt ihm als einer der entscheidenden „Nebenfaktoren“ (Durkheim 1893/1992: 344) der Arbeitsteilung. Mag die Ausdehnung der Gruppe und die Verschmelzung der Segmente die Konkurrenz und damit den Druck auf berufliche Spezialisierung auch steigern, dieser Druck bleibt nach Durkheim folgenlos, solange ein ungebrochen starkes Kollektivbewusstsein zur Konformität drängt und ein Ausscheren verhindert: „Denn je stärker dieser Zustand [des Kollektivbewusstseins, M.P.] ist, desto mehr widersetzt er sich allem, was ihn schwächen könnte; und je bestimmter er ist, desto weniger gibt er Änderungen Raum.“ (Ebd.: 345) Erst eine Minderung des Kollektivbewusstseins in seiner Intensität und Konkretion gibt Durkheim zufolge den Spielraum für Spezialisierungen und Nischenbildungen frei, vermittels derer sich ein wachstumsbedingter Konkurrenzdruck neutralisieren lässt. Die Ausdehnung und steigende Dichte der Gruppe haben nach Durkheim allerdings auch unweigerlich das Aufweichen des Kollektivbewusstseins und damit des ‚religiösen‘ Charakters spezifischer Überzeugungen zur Folge. Mit der (räumlichen) Ausweitung der Gruppe verliert zum einen die geteilte Lebenswelt an Unmittelbarkeit, was zu einer Abstraktion des Kollektivbewusstseins führt und infolgedessen auch Reflexionstätigkeiten weckt, die der jeweiligen ‚Respezifikation‘ an den eigenen unmittelbaren Lebenszusammenhang dienen. Hohe Dichte und hohes Volumen lassen Möglichkeiten der sozialen Kontrolle und damit den Konformitätsdruck schwinden. Wanderungsbewegungen schließlich mindern den Einfluss älterer Generationen und damit die Autorität überlieferter Traditionen (vgl. ebd.: 344ff.). Das ‚religiöse‘ Korrelat dieser Abstraktion und Schwächung des Kollektivbewusstseins ist eine zunehmende Entwicklung der Religion „in Richtung auf die Transzendenz“ (ebd.: 350), was ihrem Rückzug gleichkommt: „Gott, der zuerst, wenn man so sagen darf, in allen menschlichen Beziehungen gegenwärtig war, zieht sich fortschreitend zurück. [...] Mit einem Wort: Der Bereich der Religion wächst nicht zur gleichen Zeit und im gleichen Maße mit dem weltlichen Leben, sondern wird immer kleiner.“ (Ebd.: 224) Durkheim schildert hier, mit Weber gesprochen, eine ‚Entzauberung der Welt‘, die ihm, ebenso wie Weber, als Voraussetzung einer Lösung „der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Funktionen von der religiösen Funktion“ (ebd.) gilt. Anders als bei Weber wird dies aber nicht mit einer Ausdifferenzierung und, in Webers Diktion, „Rationalisierung“ einer genuin religiösen Lebensordnung zusammengedacht, die sich neben andere Sphären stellt oder gar in Konflikt mit ihnen gerät.13 Was hier unter Desakralisierung verhandelt wird, ist einzig das Zurücktreten der lebensweltlichen Gemeinsamkeiten und der daraus hervorgehenden Regeln und Glaubensartikel, die ihren religiösen Charakter gerade der Tatsache ihres Geteiltseins zu verdanken haben. Schließlich bleibt allein die Individualität an sich, die Zugehörigkeit zur Menschheit schlechthin, als gesamtgesellschaftlich durchgreifende Gemeinsamkeit übrig. Folgerichtig zieht sich damit die Religiosität auf einen „Kult der Person“ (ebd.: 470) zurück. Soweit Religiöses hier mit dem Kollektivbewusstsein verknüpft bleibt, stehen 13 Vgl. hierzu die Zwischenbetrachtung in Weber (1920/1988) und Kap I.1.3.3.

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Religion und Arbeitsteilung bei Durkheim somit beinahe in einem wechselseitig exklusiven Verhältnis. Die differenzierungstheoretische Grundanlage der Untersuchung kommt hier für die Religion somit nicht zur Geltung. Auch wenn Durkheim wie Spencer aus dem Vollen der Organismusanalogie schöpft: Nach einem religiösen ‚Organ‘ sucht der Leser hier vergebens. Ein differenzierungstheoretischer Weg wäre indes für Religion durchaus gangbar gewesen. Durkheim kommt in seiner Abhandlung einer Analyse der Ausdifferenzierung einzelner Funktionen an der Stelle am nächsten, wo er deren Niederschlag im analog spezialisierten Restitutivrecht nachzeichnet. Die Leitthese dabei ist, dass sich die zunehmende Arbeitsteilung in einem Übergewicht des Restitutivrechts gegenüber dem Strafrecht ausdrückt, welches wiederum eher der mechanischen Solidarität adäquat ist. Die organische Solidarität, als ‚Funktion und Folge‘ der Arbeitsteilung, manifestiert sich demnach in den Verästelungen eines Systems, „welches das Vertragsrecht, das Handelsrecht, das Prozeßrecht, das Verwaltungsund Verfassungsrecht umfaßt“ (ebd.: 173). Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist dabei, dass auch die Familie mit dem Übergang zur modernen Gesellschaft diesen Beobachtungen zufolge Gegenstand von Regeln wird, die es nicht auf Repression, sondern Kooperation anlegen. Dies zeugt nach Durkheim gerade von einer Umbildung der Familie, die, ebenso wie die Religion, ehedem konstitutiv mit der segmentären Gesellschaftsorganisation verknüpft war. Mit der Entwicklung hin zur Arbeitsteilung „wird sie immer mehr in das System sozialer Organe eingeschmolzen. Sie wird selbst eines dieser Organe, mit Sonderfunktionen bedacht, und folglich ist alles, was in ihr geschieht, eine Quelle allgemeiner Rückwirkungen. Das wiederum zwingt die Regelorgane der Gesellschaft zur Intervention, um auf die Art wie die Familie funktioniert, mäßigend, oder in bestimmten Fällen, anregend zu wirken.“ (Ebd.: 267)

Unter solchen Perspektiven wäre sicher auch Religion behandelbar gewesen. So findet sich eine ähnliche, sich auf das Rechtswesen gründende Analyse religiöser Ausdifferenzierung im frühen Buch zur Funktion der Grundrechte von Niklas Luhmann (1965). Hier wird der rechtlich gesicherten Religionsfreiheit die Funktion zugeschrieben, Entdifferenzierungen zu verhindern und der Religion ihre funktionale Autonomie zu garantieren. Dies entspricht ganz dem Durkheim’schen Konzept der „negativen Solidarität“. Als Facette der organischen Solidarität gilt diese Durkheim als Voraussetzung der positiven, kooperativen Solidarität. Sie drückt sich in „Realrechten“ aus, die die Funktion haben, nicht etwa „die verschiedenen Teile der Gesellschaft miteinander zu verbinden, sondern, im Gegenteil, sie auseinanderzuhalten und die Barrieren deutlich zu bezeichnen, die sie trennen“ (Durkheim 1893/1992: 171). Die Tatsache, dass Durkheim diesen Weg nicht geht, hängt m.E. damit zusammen, dass sich in „Über soziale Arbeitsteilung“ bereits in Ansätzen die spätere religionssoziologische Perspektive offenbart. Hier fällt Religion mit dem Gesellschaftlichen schlechthin zusammen. Wie im Folgenden zu erörtern ist, muss dies einer differenzierungsbezogenen Analyse diametral entgegenstehen.

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2.2 Die Religionssoziologie in „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ In dem Werk „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ verquicken sich religionstheoretische mit epistemologischen Fragen (vgl. Parsons 1937/1968: 411);14 hier sollen allein erstere im Vordergrund stehen. Unter Religion versteht Durkheim (1912/1981: 75) „ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören“ (Herv. i.O.). Die Betonung des gemeinschaftsstiftenden Charakters dient Durkheim insbesondere der Unterscheidung des Religiösen von der bloßen Magie, die zwar auch Überzeugungen und Riten aufweist, aber keinen gemeinsamen Glauben als Ausdruck einer Kollektivität begründet (ebd.: 70f.). Mit dem Religionsthema und seinen moralischen Implikationen verbinden sich die eigentlichen Kontinuitäten des Durkheim‫ތ‬schen Oeuvres (vgl. Tyrell 1985: 198). Bereits in „Über soziale Arbeitsteilung“ war Religiöses, wie gesehen, mit dem gemeinsamen Kollektivbewusstsein, das Konformität bewirkt und geteilten Überzeugungen und Praktiken eine Aura des Heiligen verleiht, aufs innigste verbunden. Es wurde damit als wesentliches Fundament der mechanischen Solidarität in segmentär differenzierten Gesellschaften beschrieben. Die religionssoziologische Untersuchung nimmt sich nun ebenfalls primitive Gesellschaften als Gegenstand vor. Dies hat allerdings rein methodische Gründe. Es gilt dasjenige, was allen Religionen zukommt, am einfachsten, ‚elementarsten‘ Fall der Totemreligion zu identifizieren, wo das „Zweitrangige [...] noch nicht die Hauptsache verdeckt“ (Durkheim 1912/1981: 23). Damit aber ist klar: die Untersuchung hat einen Gültigkeitsanspruch, der über primitive Religionsformen und damit über primitive Gesellschaften hinausgeht. Von dem ‚Regressionsgesetz‘ aus „Über soziale Arbeitsteilung“, das mit dem Rückgang des Kollektivbewusstseins auch die fortschreitende Verkleinerung des Bereich der Religion als Voraussetzung des Übergangs zur arbeitsteiligen Gesellschaft ansah, wird hier somit nicht mehr ohne weiteres ausgegangen. Im Gegenteil: Nicht nur avanciert Religion nun deutlich zum „Ersatzbegriff fürs ‚Kollektivbewusstsein‘“ (Tyrell 1985: 198); Religion und Gesellschaft werden zu untrennbaren Korrelaten.15 Gesellschaftliches ‚objektiviert‘ sich nach Durkheim buchstäblich in religiösen Symbolen. Im Einklang mit seinem Religionskonzept sieht Durkheim damit eine Einteilung der Welt in Sakrales und Profanes einhergehen. Die Eigenschaft der Heiligkeit ist ihm zufolge dabei nichts, was den sakralen Dingen und Überzeugungen selber zukäme. Allein die Tatsache, dass diese assoziativ mit dem so nicht fassbaren Gedanken und Gefühl der Kollektivität verknüpft sind, verleiht ihnen diesen Charakter. Diese Dualität zwischen sakral und profan deutet sich bereits im frühen Buch der Arbeitsteilung an, wenn auf den radikal anderen Charakter des Kollektivbewusstseins aufmerksam gemacht wird: 14 Ursprünglich sollte das Werk den Namen „Les formes élémentaires de la pensée et de la pratique religieuse“ tragen (vgl. Lukes 1972: 459). 15 Es war nach Durkheims eigenen Bekunden die Lektüre von Robertson Smith, die zu einem „Turmerlebnis“ (révélation) im Hinblick auf den soziologischen Stellenwert von Religion führte; vgl. in diesem Zusammenhang Pickering (1984: 60ff.).

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„Da diese Gefühle aufgrund dieses kollektiven Ursprungs, ihre Universalität, ihrer Dauerhaftigkeit, ihrer innewohnenden Intensität eine außerordentliche Kraft haben, unterscheiden sie sich radikal vom übrigen Bewußtsein, dessen Zustände viel schwächer sind. [...] Sie erscheinen in uns deshalb wie das Echo einer Kraft, die uns fremd ist und die überdies sehr viel stärker ist als wir. Wir sind daher gezwungen, diese Gefühle aus uns herauszuprojizieren und auf irgendein äußeres Objekt zu beziehen, das mit ihnen in Zusammenhang steht.“ (Durkheim 1893/1992: 151)

Dieser Projektionsprozess wird nun in „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ am Beispiel der Totemreligion australischer Ureinwohner genauer beleuchtet. Die Übertragung der Autorität der Gesellschaft auf das Totem und die damit assoziierten Paraphernalien rührt Durkheim zufolge ganz einfach daher, dass diese sich im Moment der kollektiven Erregung anlässlich der Zeremonien des Klans in unmittelbarer Gegenwart befinden: Der Primitive muss „diese Eindrücke auf ein äußeres Objekt als deren Ursache projizieren. Was sieht er aber um sich? Was sich rund um ihn seinen Sinnen bietet, was seine Aufmerksamkeit berührt, sind die vielen Bilder des Totems.“ (Durkheim 1912/1981: 303) Die Idee des Heiligen als radikal andere Kraft gründet dabei in der psychologischen Überreizung, der „Efferverszenz“16, dem Rauschhaften der kollektiven Zusammenkunft (vgl. ebd.: 300). Was Durkheim hier liefert ist somit eine Theorie des Religiösen, die die Erfahrung des Heiligen wie auch religiöse Ideen aus der Erfahrung des Gesellschaftlichen an sich ableitet. So stammen auch die Vorstellungen von der Seele, von Göttern und von Geistern (und gar die „Urkategorien des Denkens“) letztlich aus Analogieschlüssen, die in der Erfahrung der gesellschaftlichen Autorität und Kraft „wohlbegründet“ sind. Die Erfahrungen und überflutenden Momente, die Durkheim hier als das plausibilisierende Moment schildert, scheinen für ihn im Wesentlichen Interaktionskontexten zugehörig zu sein; seine Beschreibungen sind spürbar der Massenpsychologie Le Bons abgewonnen (vgl. hierzu Lukes 1972: 462f.). Eine Aufrechterhaltung sowohl der „moralischen“ als auch der „logischen Konformität“ ist dabei, so Durkheim, auf eine regelmäßige Auffrischung der Erfahrung des Heiligen angewiesen: Die „moralische Wiederbelebung [der Kollektivgefühle und Kollektivideen, M.P.] kann nur mit Hilfe von Vereinigungen, Versammlungen und Kongregationen erreicht werden, in denen die Individuen, die einander stark angenähert sind, gemeinsam ihre gemeinsamen Gefühle verstärken“ (Durkheim 1912/1981: 571).17 Mechanische Solidarität und Religiöses hat sich im Spätwerk Durkheims somit in die Konzeption von Gesellschaft schlechthin und damit auch in die arbeitsteilige Gesellschaft ‚hinübergerettet‘. In der zweiten Auflage hatte Durkheim bereits im Vorwort aus „Über soziale Arbeitsteilung“ die These, dass allein die komplementäre Kooperation die segensreichen Solidaritätswirkungen liefern könne, deutlich relativiert. In der ersten Auflage wurde „anomische Arbeitsteilung“ als bloßes Übergangsstadi16 Dieses durch Durkheim (1912/1981) geprägte Wort fehlt in der deutschen Übersetzung der Suhrkamp-Ausgabe; stattdessen ist dort von „Gärung“ (ebd.: 290), „Erregung“ (ebd.: 297) und „Wallung“ (ebd.: 310) die Rede. 17 Diese ‚latente‘ gemeinschaftsstiftende wie moralisch-domestizierende Seite der Religion klingt auch schon bei Spencer (1966: VIII, 95ff.) in dem Kapitel „An ecclesiastical system as a social bond“ an; vgl. dazu oben, Kap. I.1.1, Anm. 5.

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um zwischen der Auflösung der mechanischen Solidarität und der Herausbildung einer auf arbeitsteiliger Organisation beruhenden organischen Solidarität erachtet. Die Implikation war hier noch, dass sich die solidarischen Wirkungen der Arbeitsteilung bei entsprechenden „Habitualisierungen“ der noch jungen Kooperationsformen einstellen würden. In der zweiten Auflage wird demgegenüber die „Berufsgruppe“ als notwendige Form der Solidaritätsstiftung und Gegenmittel zu den anomischen Nebenwirkungen in arbeitsteiligen Gesellschaften vorgestellt. Anders als der entfernte Staat bietet die Berufsgruppe gerade die „mechanische Solidarität“, die in der Gleichartigkeit der Ideen, Interessen, Gefühle und Beschäftigungen gründet und sich in Formeln und moralischen Regeln manifestiert (vgl. Durkheim 1893/1992: 55). Dies zeigt sich Durkheim zufolge nicht zuletzt in der religiösen Überformung solcher Berufsgruppen im antiken Rom (ebd.: 52). In Durkheims „Der Selbstmord“ drückt sich diese Einsicht in die Unverzichtbarkeit „mechanischer Solidaritäten“ – und damit von ‚Religiösem‘ im weiteren Sinne – auch innerhalb arbeitsteiliger Gesellschaften vor allem im Konzept des „egoistischen Selbstmords“ aus. Dieser Selbstmordtyp wird auf den Mangel an Traditionen und überindividuellen, gemeinschaftlich getragenen Zielen zurückgeführt. Entsprechend variiert die Selbstmordrate der Untersuchung zufolge im umgekehrten Verhältnis zum Integrationsgrad der betroffenen sozialen Gruppen (vgl. Durkheim 1897/1973: 231).18 Die „Kollektivkräfte“ zügeln für Durkheim die Egoismen auch dahingehend, dass die Individuen sich ihren gesellschaftlichen Pflichten nicht durch den Freitod entziehen: „Die Bindung an die gemeinsame Sache bindet sie auch an das Leben, und im Übrigen hindert sie das hohe Ziel, auf das ihre Augen gerichtet sind, daran, ihren privaten Kummer lebhaft zu empfinden.“ (Durkheim 1897/1973: 233) Mit dem ‚Selbstmordbuch‘ sind die Apologie der Arbeitsteilung und die These ihrer moralischen Bindekraft somit endgültig aufgegeben (vgl. Tyrell 1985: 219ff.). Das Diktum Durkheims (1912/1981: 572) aus „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“, „die alten Götter werden alt und sterben, und andere sind noch nicht geboren“, drückt entsprechend zweierlei Einsichten aus: zum einen, dass mechanische und damit religiös gefärbte Solidaritätsformen auch in der arbeitsteiligen Gesellschaft unabdingbar sind; zum anderen, dass, wie das ‚Selbstmordbuch‘ später deutlich macht, die Moderne Wirkungen entfaltet, die gerade diese Kräfte zersetzen. Die ‚Regressionsthese‘ aus „Über soziale Arbeitsteilung“ hat im Rahmen der Religionssoziologie folglich eine andere Gestalt: Angesichts der Ausdifferenzierung von Wissenschaft gehe der Religion nur eine von ihren „zwei Funktionen“ verloren, nämlich „die spekulative Funktion“ (Durkheim 1912/1981: 575). Insoweit es aber nur diese ist und nicht die moralische, die sie an die Wissenschaft abgeben muss (und kann), scheint sie Durkheim zufolge „eher berufen zu sein, sich zu verwandeln, als zu verschwinden“ (ebd.: 576). Auch wenn im späten Religionsbuch der Religion ein Ort in der modernen Gesellschaft eingeräumt wird (dies allerdings eher fordernd als beschreibend), kann die18 In diesem Buch kommt der Gegenstand Religion in der Form spezifischer Konfessionen in den Blick. Die Zugehörigkeit zu einer Konfession hat dabei nach Durkheim eine umso immunisierendere Wirkung, je weniger sie das Individuum sich selbst und seinem Gewissen überlässt, was die höheren Selbstmordraten unter Protestanten gegenüber Katholiken erkläre.

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ser Perspektive für Religion differenzierungstheoretisch wenig abgewonnen werden. Durkheim zeigt zwar eine Sensibilität für religiösen „Sinn“ und sakrale „représentations“, die sich vom Profanen radikal unterscheiden.19 Diese Unterscheidung ist aber nicht im Sinne des Weber’schen Gegensatzes von „Religion und Welt“ zu sehen, der die Religion als Lebensordnung anderen Lebensordnungen entgegenstellt. Das Sakrale und Religiöse fällt vielmehr mit allem Gesellschaftlichen zusammen, wie bereits in einem früheren religionssoziologischen Aufsatz Durkheims (1898/1967: 139) deutlich wird: „Hierher gehören alle kollektiven Anschauungen wie Traditionen, Gemeinschaftserlebnisse, gemeinschaftliche Gefühle gegenüber Gegenständen allgemeiner Bedeutung usw.“ Zum Reich des Profanen gehören dementsprechend nicht andere Gesellschaftsbereiche, sondern Außergesellschaftliches bzw. „Sachverhalte, die jeder von uns mit den Gaben seines Verstandes und seiner eigenen Erfahrung selbst gestaltet. Rein individuelle Eindrücke sind hier das Material [...].“ (Ebd.) Religion ist demnach quasi-zwangsläufiges Korrelat von Gesellschaftlichkeit und keine differenzierte Sphäre neben anderen; sie umfasst diese vielmehr im integrativen Sinne. Ferner muss sich schon allein die funktionalistische Perspektive Durkheims (1912/1981: 572), die es auf die Art der Symbole und die Gestalt der „neuen Götter“ nicht ankommen lässt, insofern gegen eine differenzierungstheoretische Konzeption sperren, als sie eine ‚inkongruente Perspektive‘ nahe legt: Nicht die sich selbst als religiös auszeichnenden Phänomene sind hier das Entscheidende; dem wissenschaftlichen Beobachter kommt es vielmehr auf die Phänomene an, in denen sich Kollektivität symbolisch objektiviert, ohne dass jene sich notwendigerweise als religiös verstehen.20 In differenzierungstheoretischer Hinsicht hat somit weder „Über soziale Arbeitsteilung“ noch „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ etwas für den Gegenstand der Religion zu bieten. Mit der These, Religiöses sei letztlich eine reine Objektivation des Gesellschaftlichen, gerät Durkheim zudem in die Nähe zur Marx’schen Religionskritik.21 Dies gilt es in einer abschließenden Bemerkung kurz zu erörtern. 2.3 Die Nähe zur Marx’schen Religionskritik Ähnlich wie für Emile Durkheim sind auch für Karl Marx die Vorstellungen über religiöse Dinge und Entitäten als eigenständige, den Menschen gegenüberstehende

19 Tenbruck (1981: 345f., Anm. 17) sieht in diesem Akzent auf kollektive Vorstellungen einen Einfluss der deutschen Sozialwissenschaft und ihrer Betonung der Rolle von Ideen. 20 Diese Perspektive kommt auch in dem an Durkheim (und Rousseau) anschließenden Konzept der „Zivilreligion“ zum Tragen; in der auf Bellah (1967/1991) zurückgehenden Fassung stehen allerdings nach wie vor ‚substantiell‘ religiöse Elemente im Vordergrund. Bei Parsons (1974), der das Konzept von Bellah übernimmt, sind dabei auch stärker die gemeinsamen säkularen Kulturelemente im Blick. So gilt ihm etwa der Marxismus als Fall einer Zivilreligion; vgl. hierzu auch Brandt (1993: 269ff.). 21 Dies übrigens auch schon durch den entlarvenden Gestus, mit der über die Funktion und die eigentliche ‚Wahrheit‘ der Religion (im Sinne des ‚Wohlbegründetseins‘) informiert wird (vgl. Tyrell 1995/2008: 235).

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Wesen in der gesellschaftlichen Realität ‚wohlbegründet‘.22 Für Durkheim ist es die faktische Emergenz von Gesellschaft aus dem kollektiven Wirken der Individuen, die die Gottesidee trägt. Der Druck der Kollektivität vermittelt „dem Menschen die Idee, daß es außerhalb seiner eine oder mehrere, moralische wirksame Kräfte gibt, von denen er abhängt“ (Durkheim 1912/1981: 288). Bei Marx sind es demgegenüber die arbeitsteiligen Produktionsverhältnisse, die die Erfahrung einer fremden Macht bewirken: Einerseits wird hier dem Menschen die Kontrolle über sein eigenes Arbeitsprodukt entzogen und die Bedürfnisbefriedigung nur über die Arbeitserzeugnisse und die Arbeit anderer Menschen vermittelt, andererseits begründet die Arbeitsteilung Klassenverhältnisse, in der andere Menschen über die eigene Arbeitskraft verfügen: „Die soziale Macht, das heißt die vervielfachte Produktionskraft, die durch das in der Teilung der Arbeit bedingte Zusammenwirken der verschiedenen Individuen entsteht, erscheint diesen Individuen, weil das Zusammenwirken selbst nicht freiwillig, sondern naturwüchsig ist, nicht als ihre eigne, vereinte Macht, sondern als eine fremde, außer ihnen stehende Gewalt, von der sie nicht wissen, woher und wohin, die sie also nicht mehr beherrschen können, die im Gegenteil nun eine eigentümliche, vom Wollen und Laufen der Menschen unabhängige, ja dies Wollen und Laufen erst dirigierende Reihenfolge von Phasen und Entwicklungsstufen durchläuft.“ (Marx 1846/1969: 34)

Der eigentliche Unterschied zwischen den wissenssoziologischen Implikationen der Religionskonzepte bei Marx und Durkheim liegt dann im Folgenden: Während bei Durkheim Religion beinahe notwendiges Korrelat der Emergenz von Gesellschaft schlechthin zu sein scheint, ist sie für Marx Epiphänomen einer historisch begrenzten Gesellschaftsformation, in der arbeitsteilige Verhältnisse in den menschlichen Produktions- und Reproduktionsvorgang intervenieren. Gerade an dieser „fremden sozialen Macht“ plausibilisiert sich der Eindruck von der Eigenständigkeit und Autonomie der Ideen im Allgemeinen und von der Abhängigkeit gegenüber religiösen Mächten im Besonderen: „Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand beherrscht.“ (Marx 1867/1968: 649) In differenzierungstheoretischer Hinsicht hatte Marx allerdings, was die Religion anbelangt, mehr im Angebot als Durkheim. So gilt ihm die Trennung von materieller und geistiger Arbeit als entscheidende Voraussetzung auch der religiösen Ideenproduktion: „Von diesem Augenblick kann sich das Bewusstsein wirklich einbilden, etwas anderes zu sein als das Bewusstsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas 22 Die Nähe hat Durkheim (1912/1981: 567) indessen gesehen und sofort dementiert: „Man muß sich also davor hüten, in dieser Theorie der Religion eine einfache Wiederaufnahme des historischen Materialismus zu sehen.“ Das Dementi argumentiert dabei mit Emergenz gegenüber dem Psychischen, folglich mit der Irreduzibilität der religiösen Formen auf die „darunterliegend[e] Wirklichkeit“, namentlich die „unmittelbaren Vitalinteressen“ (ebd.). Allerdings liegt Marx’ Religionskritik nicht allein ein interessenspsychologischer Aspekt zugrunde. Vielmehr wird hier ebenfalls durch den Bezug auf die Produktionsverhältnisse ‚Soziales mit Sozialem‘ erklärt. Vgl. dazu die weiteren Ausführungen.

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Wirkliches vorzustellen – von diesem Augenblick an ist das Bewußtsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der ‚reinen‘ Theorie, Theologie, Philosophie, Moral usw. überzugehen.“ (Marx 1846/1969: 31; Herv. i.O.)23

Auch wenn nach Marx die religiösen Ideen letztlich Ausdruck einer bestehenden wirtschaftspolitischen Ordnung sind, so ist dessen ungeachtet zumindest insoweit von einer Ausdifferenzierung und ‚relativen Autonomie‘ einer religiösen Sphäre auszugehen, als diese sich als ein geistiger Produktionszusammenhang verselbständigt, der von anderweitigen Produktionsnotwendigkeiten entlastet ist.24 Wie Alois Hahn bemerkt, ist eine solche wechselseitige Ausdifferenzierung von ökonomischer und geistiger Sphäre oder Basis und Überbau geradezu die Voraussetzung für die Annahme einer Determinationsbeziehung, von der sich für den Fall vormoderner, wenig differenzierter Gesellschaften gar nicht recht sprechen lässt: „Das dichotome Schema [von Basis und Überbau, M.P.] als solches läßt sich sinnvoll nur auf gesellschaftliche Verhältnisse beziehen, in denen der ökonomische Bereich und der religiöse hinlänglich deutlich ausdifferenziert sind. Erst dann läßt sich die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen den Bereichen stellen und klären, ob und wenn ja, welcher Bereich die Dynamik oder das Stagnieren des anderen bestimmt.“ (Hahn 1979/2000: 278)

Doch nicht einmal diese Form der Ausdifferenzierung ist bei Durkheim im Blick. Religion ist ganz aus dem Konzept der Arbeitsteilung herausgehalten. Während Spencer die Ausdifferenzierung von Religion als ein Prozess der Trennung von Rollenstrukturen denkt und dabei ihre Autonomisierung von politisch-regulativen Eingriffen mitthematisiert, ist bei Durkheim ein solcher Differenzierungsprozess nicht thematisch. Religion ist vielmehr – zumindest ‚an sich‘ und für den wissenschaftlichen Beobachter – überall dort, wo auch Gesellschaft ist; sie lässt sich also gerade nicht in einen gesellschaftlichen Teilbereich bannen. Nachdem die differenzierungstheoretischen Kronzeugen aus England und Frankreich zu Wort gekommen sind, gilt es nun auf die deutsche Seite zu wechseln. Hier ist eine differenzierungstheoretische Tradition nachzuzeichnen, die den Akzent – auch und gerade für Religion – zuvorderst auf die Ausdifferenzierung autonomer Sinngebiete legt und erst in zweiter Instanz nach den sozialstrukturellen Korrelaten fragt.

23 Auch Feuerbachs Kritik hat durchaus Momente der Ausdifferenzierung im Blick: Nicht allein die Religion als geistiges Phänomen zieht seine Kritik auf sich, sondern gerade ihr strukturelles Korrelat in einem sie verwaltenden Stand: „Die Religion ist ursprünglich nichts Apartes, vom menschlichen Wesen Unterschiedenes. Erst im Verlauf, erst in der späteren Entwicklung wird sie etwas Apartes, tritt sie mit besonderen Prätensionen auf. Und nur gegen diese arrogante, hochmütige geistliche Religion, die eben deswegen auch einen besonderen offiziellen Stand zu ihrem Vertreter hat, ziehe ich zu Felde.“ (Zit. n. Matthes 1967: 63) 24 Damit hat Marx’ Konzeption insofern eine Nähe zu den Ansätzen von Dilthey, Simmel und Weber, als diese ebenfalls, wie noch zu zeigen ist, den ideellen Zusammenhang von seinen institutionellen Trägern und Produzenten zu unterscheiden wissen.

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3. R ELIGIÖSER ‚S INN ‘: W ILHELM D ILTHEY , G EORG S IMMEL , M AX W EBER Im Folgenden soll der Blick Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Max Weber gelten. Obgleich ihnen hier jeweils eigene Erörterungen zuteilwerden, sind diese aufgrund der gemeinsamen Differenzierungsperspektive in einem Teilkapitel zusammengefasst. Es ist eine Perspektive, die sozialstrukturelle Differenzierungen den Betrachtungen eher nachordnet und in erster Linie auf eine Ausdifferenzierung besonderen Sinns setzt; dabei werden Interdependenzannahmen und Verständnisse von Gesellschaft als integriertes ‚Ganzes‘ zugunsten eines Blicks für eigengesetzliche Auseinanderentwicklungen und kompromisslose Eigenlogiken aufgegeben. Grundlegend in Anschlag gebracht ist diese Perspektive bei Wilhelm Dilthey, bei dem in dieser Hinsicht auch die Religion zur Sprache kommt (3.1). Bei Georg Simmel findet sich diese Perspektive in den soziologischen Schriften allenfalls in Ansätzen; konsequent entwickelt wird sie insbesondere im Zusammenhang seiner Kulturphilosophie (3.2). In den Schriften Max Webers schließlich kommt diese Differenzierungskonzeption gerade im Rahmen seiner religionssoziologischen Erörterungen zur Blüte (3.3). 3.1 Wilhelm Dilthey25 Wilhelm Dilthey ist in jüngerer Zeit verstärkt unter differenzierungstheoretischem Vorzeichen gelesen und als bedeutender Vorläufer einer Differenzierungstheorie etwa systemtheoretischer Provenienz ausgewiesen worden (vgl. Hahn 1992; 1999; Tyrell 1998b). Dies mag insofern verwundern, als Dilthey gemeinhin nicht zum Kanon der soziologischen Klassiker hinzugezählt wird; vielmehr noch: er brachte sich in seinen Schriften gerade gegen die Soziologie, wie sie Comte und Spencer zu jener Zeit vertraten, in Stellung. Dies ist allerdings kein Widerspruch, sondern nicht zuletzt eine Konsequenz seiner theoretischen Sensibilität für das Phänomen der Differenzierung. Denn anders als in Comtes fortschrittsgläubigem Dreistadiengesetz wird hier nicht auf Substitutions- bzw. Sukzessionslogiken, also auf ein Nacheinander von Religion, Metaphysik und Wissenschaft gesetzt. Der Differenzierungsprozess, der Dilthey vor Augen schwebt, führt vielmehr das wechselseitig exklusive Nebeneinander von „Kultursystemen“ herbei.26 Der Vorwurf gegenüber Comte liegt dann auch unter anderem darin, mit seiner Soziologie eine Einheitswissenschaft zu vertreten, die sich für alle gesellschaftlichen Phänomene zuständig fühlt. Dilthey sah darin nicht zuletzt das Weiterwirken der geschichtsphilosophischen Prätentionen, gesellschaftliche Wirklichkeit auf letzte teleologische ‚Gesetze‘ zurückführen zu können. Diesem Auftreten der Soziologie als Universalwissenschaft für das „Ganze der ge-

25 Die Abschnitte zu Wilhelm Dilthey und Georg Simmel haben in Teilen Eingang gefunden in Petzke (2011). 26 Anders als Comte ist Spencer an einer solchen Substitutionslogik in Bezug auf Religion unschuldig. Auch von den sozialtechnologischen Ambitionen Comtes distanziert er sich explizit, wenn er auf den naturwüchsigen, nicht-steuerbaren Charakter der Evolution insistiert (vgl. Spencer 1966: VI, 579f.). Allerdings trifft ihn mit seiner Annahme von invarianten Evolutionsgesetzen Diltheys Vorwurf einer Fortführung der Geschichtsphilosophie.

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schichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit“ stellt Dilthey (1962: 35) eine entsprechende Arbeitsteilung in den Geisteswissenschaften gegenüber. Nur diese werde der Differenzierung in heterogene „Kultursysteme“ gerecht und sei gerade als theoretische „Abspiegelung“ (ebd.: 39) dieses Verselbständigungsprozesses zu verstehen. Mit Diltheys Sinn für die geschichtliche Gestaltung dieses „wunderbar verschlungene[n] Bau[s]“ (ebd.) der Gesellschaft sowie für die sich darin offenbarende „Singularität“ und den „Reichtum im Spiel der Wechselwirkungen“ (ebd.: 37) verbindet sich dementsprechend die Absage an teleologische Fortschrittskonzeptionen und Entwicklungsgesetze nach dem Vorbild der positivistischen Sozialwissenschaften. Eine Darstellung, die dem Dilthey’schen Werk gerecht wird, kann hier nicht geleistet werden.27 Es gilt lediglich die wesentlichen differenzierungstheoretischen ‚Pointen‘ Diltheys darzulegen, die das differenzierungsbezogene Angebot von Simmel und Weber maßgeblich prägten.28 Mit Dilthey sind Grundlagen für eine ‚Gattung‘ von Differenzierungstheorie gelegt, die deutlich andere Akzente setzt als das Angebot Durkheims und Spencers. Insbesondere Simmel und Weber legen auf dieser Grundlage eine differenzierungstheoretische Perspektive auf die Religion vor, die, wie noch zu zeigen ist, in der Religionssoziologie der Nachkriegszeit nahezu vollständig vernachlässigt wird bzw. hinter die Säkularisierungsthematik zurücktritt. Zu Dilthey sind in diesem Zusammenhang drei Bemerkungen zu machen. Die erste widmet sich der entschieden auf Sinn und Bedeutung abstellenden Differenzierungsperspektive Diltheys (3.1.1). In einem zweiten Punkt gilt es auf den Akzent der Eigengesetzlichkeit und der Differenz der gesellschaftlichen Bereiche untereinander aufmerksam zu machen (3.1.2). Abschließend sind dann die Implikationen, die sich für den Gesellschaftsbegriff ergeben, zu beleuchten (3.1.3). 3.1.1 Sinn und Bedeutung in der ‚Differenzierungstheorie‘ Diltheys Dilthey (1962) unterscheidet zwischen drei Formen von gesellschaftlichen Zusammenhängen: den „Systemen der Kultur“ (ebd.: 40), der „äußeren Organisation der Gesellschaft“ (ebd.: 49), schließlich der „natürlichen Gliederung der Menschheit sowie der einzelnen Völker“ (ebd.: 62). Zu den Kultursystemen zählt Dilthey, Kunst, Wissenschaft, Recht, Wirtschaft, Sittlichkeit und Sitte, Sprache, Erziehung und ganz explizit: Religion. Ein derartiges System zeichnet sich dadurch aus, dass es unter Maßgabe eines bestimmten in der Natur des Menschen angelegten Zwecks „psychi27 Vgl. Johach (1974) für einen guten Überblick mit besonderer Aufmerksamkeit für den soziologischen Mehrwert der Dilthey‫ތ‬schen Philosophie. 28 Vgl. hierzu Tenbruck (1958); Helle (1986); und speziell in differenzierungstheoretischer Hinsicht den bereits zitierten Aufsatz von Tyrell (1998b). Zum Vergleich Simmel – Dilthey siehe Gerhardt (1971; 1992); Köhnke (1989). Wie Tyrell (1993b: 123f.; 1998b: 141f.) anmerkt, stehen auch Ernst Troeltsch, Otto Baumgarten und die gesamte religionsgeschichtliche Schule in dieser Dilthey‫ތ‬schen Tradition der Betonung von Eigengesetzlichkeiten und dem Auseinandertreten der Kulturgebiete bzw. Lebensordnungen. Wie bei Weber geht es dort dann vor allem darum, die Religion zu den anderen Lebensordnungen ins Verhältnis zu setzen (vgl. etwa Troeltsch 1906; zu Baumgarten ferner Graf 1986). Im Folgenden wird auf eine eingehende Untersuchung dieser Autoren verzichtet; ich halte mich hier stattdessen an den ‚engeren‘ Kanon der Soziologie.

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sche Akte in den einzelnen Individuen in Beziehung zueinander setzt“ (Dilthey 1962: 43). Damit wird deutlich, dass Diltheys Systembegriff dem Konzept des Funktionssystems, wie es später die Luhmann’sche Systemtheorie anbietet, sehr nahe kommt: Hier wie dort geht es um die operationale und vor allem überindividuelle Verknüpfung von Elementen nach bestimmten Sachgesichtspunkten (vgl. hierzu auch Hahn 1999). Demgegenüber versteht Dilthey (1962: 43) unter der „äußeren Organisation der Gesellschaft“ „Staaten, Verbände, und, wenn man weiter greift, das Gefüge dauernder Bindungen der Willen, nach den Grundverhältnissen von Herrschaft, Abhängigkeit, Eigentum, Gemeinschaft, welches neuerdings in einem engeren Verstande als Gesellschaft im Gegensatz zum Staat bezeichnet worden ist“. Auch Kirchen, Körperschaften und Anstalten zählen hierzu (vgl. ebd.: 65). Was Dilthey hier vorschwebt, sind tatsächlich konkrete Organisationsformen der Vergesellschaftung.29 Die Kultursysteme sind in unterschiedlichem Ausmaße auf solche ‚Organisation‘ angewiesen; das Recht ist es im besonders hohen Maße und steht beinahe in einer Zwischenstellung in Bezug auf die Unterscheidung von Kultursystem und äußerer Organisation (vgl. Dilthey 1962: 76ff.). Wissenschaft und Kunst wiederum zeichnen sich dadurch aus, „daß hinter ihrer Bedeutung die der Verbände, welche sich zur Verwirklichung der künstlerischen und wissenschaftlichen Zwecke gebildet haben, ganz zurücktritt“ (ebd.: 81). Dilthey trennt damit die Ausdifferenzierung von spezifischen Sinnmomenten bzw. Bedeutungssystemen sehr deutlich von den Organisationsformen, auf die sie sich in unterschiedlichem Maße stützen, ohne ganz darin aufzugehen; Letztere stehen gewissermaßen quer zu der „Koordination von selbständigen Einzeltätigkeiten“ (ebd.) nach je eigenen Sinnaspekten, um die es bei den Kultursystemen geht. Damit liegen die Differenzen zu der Differenzierungstheorie, wie sie Spencer oder Durkheim vertraten, offen zutage. Spencer etwa hatte Differenzierung vor allem als Ausdifferenzierung von „institutions“ beschrieben und dabei eine zunehmende Heraussonderung spezifischer ‚Rollen‘-Gefüge und -Kompetenzen nachgezeichnet. Aus der Perspektive des Dilthey’schen Ansatzes sind nun die Staaten und politischen Verbände, Kirchen und religiöse Körperschaften etc., die bei Spencer als Institutionen auftreten, lediglich als eine untergeordnete Organisationsebene zu verstehen, die den Sinnzusammenhang der Kultursysteme bloß ‚trägt‘. Dies unterscheidet den Ansatz auch von der Durkheim’schen Theorie der Arbeitsteilung, die überwiegend auf eine Spezialisierung von Berufsfeldern abstellt. So konstatiert auch Hahn (1999: 13): „Zum Verständnis Diltheys scheint es mir nun überaus wichtig zu sehen, daß er im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen in England und Frankreich den Ausdifferenzierungsprozeß der Zweckzusammenhänge als Auseinandertreten von kohärenten Sinngefügen begreift und nicht wie jene vor allem als Resultat von Arbeitsteilung, obwohl natürlich auch für Dilthey die Arbeitsteilung eine zentrale Mitursache für Sinndifferenzierungen ist.“

Die ausdifferenzierten Systeme sind also keine Assoziationen von Individuen, sondern Verkettungen von Sinnereignissen. Im Zuge dieser differenzierten Verknüpfung 29 Es ist an dieser Stelle, an der die formale Soziologie Simmels mit einer systematischen und katalogisierenden Erörterung solcher Formen ansetzt; vgl. dazu Hahn (1999: 16); Johach (1974: 66).

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von Bedeutungen kann selbst ein und derselbe „Lebensakt eines Individuums“ zum Bestandteil ganz verschiedener solcher Zusammenhänge werden. Die Abfassung eines wissenschaftlichen Werks etwa kann „ein Glied in der Verbindung von Wahrheiten bilden, welche die Wissenschaft ausmachen; zugleich ist derselbe das wichtigste Glied des ökonomischen Vorgangs, der in Anfertigung und Verkauf der Exemplare sich vollzieht; derselbe hat weiter als Ausführung eines Vertrags eine rechtliche Seite, und er kann ein Bestandteil der in den Verwaltungszusammenhang eingeordneten Berufsfunktion des Gelehrten sein.“ (Dilthey 1962: 51)

Es ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass Dilthey vom Individuum als „Kreuzungspunkt“ (ebd.: 37) der Kultursysteme spricht. Simmel wird diese Formulierung später aufgreifen, wenngleich sein Gedanke vom Individuum als „Kreuzungspunkt sozialer Kreise“ ein etwas anderer ist. Diese Emphase auf Sinn und Bedeutung ist eng verbunden mit Diltheys Ablehnung des Positivismus in der Form, wie ihn etwa Comte, Spencer und Mill anbieten. Diese bringen „Geschichtlich-Gesellschaftliches“ unter eine naturwissenschaftliche Perspektive, deren Proprium das Erklären ist. Die Geisteswissenschaften können nach Dilthey (1968: 144) ihrem Gegenstand indes nur durch ein Verstehen gerecht werden. Dies rührt ihm zufolge daher, dass, anders als die Natur, die Gesellschaft uns nicht fremd ist, „da wir in uns selber von innen, in lebendigster Unruhe, die Zustände und Kräfte gewahren, aus denen ihr System sich aufbaut“ (Dilthey 1962: 37). Entsprechend hat für Dilthey (1962: 45) das Studium der Kultursysteme an den „psychischen oder psychophysischen Inhalten“ des Individuums anzusetzen; die Gesellschaft kann gleichsam introspektiv erschlossen werden, da jedes Individuum selbst Element der zu erforschenden gesellschaftlichen Interaktionszusammenhänge ist. Darüber hinaus kann zum Sinn geschichtlich-gesellschaftlicher Prozesse auch im verstehenden Nachvollzug der Innenseite der „Lebensäußerungen“ anderer Persönlichkeiten Zugang gewonnen werden (vgl. Dilthey 1968: 204). Damit ist allerdings keine individualistische Reduktion des Gesellschaftlichen impliziert. Die Systeme der Kultur beruhen für Dilthey (1962: 50) zwar auf „direkten und indirekten Wechselwirkungen von Individuen“; sie gewinnen ihre Objektivität allerdings schon allein dadurch, dass sie „Einwirkungen von Individuen, die rasch vergänglich sind, auf eine mehr dauernde oder sich wiedererzeugende Weise aufzubewahren und zu vermitteln“ wissen (ebd.: 50f.). 3.1.2 Eigengesetzlichkeit und Differenz Mit dem zentralen Aspekt der Sinnbasiertheit verbindet sich bei Dilthey eine ‚Eigengesetzlichkeit‘ der Kultursysteme.30 Dieser Gesichtspunkt kommt schon allein darin zum Tragen, dass Dilthey gerade die Subsumtion einer gesellschaftlichen Totalität unter weltformelhafte, geschichtsphilosophische Gesetze ablehnt und stattdessen für jedes Kultursystem eine Einzelwissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften vorsieht. Für ihn können Einsichten in das Insgesamt des „Geschichtlich-Gesellschaft30 Dies, obgleich der Begriff der „Eigengesetzlichkeit“ bei Dilthey, anders als bei Simmel und Weber, in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich in Anschlag gebracht wird.

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lichen“ nur durch einen Durchgang durch die geschiedenen Wissenschaften von der Rechts-, Religions-, Wirtschafts- und Kunstgeschichte etc. gewonnen werden (vgl. Johach 1974: 54). Die ‚Eigengesetzlichkeiten‘ der Kultursysteme machen sich ferner in den autonomen und heterogenen Sinnperspektiven bemerkbar, wie sie das oben bereits erwähnte Zitat über die Abfassung eines wissenschaftlichen Werks aufzeigt: Ein und derselbe Vorgang wird unter verschiedenen Gesichtspunkten in je eigene Zusammenhänge verwoben. Dieser Gedanke einer auf Differenz abstellenden Eigenlogik von ausdifferenzierten Sinnperspektiven findet sich im Spätwerk Diltheys (1960) vor allem in Gestalt seiner „Weltanschauungslehre“ wieder. Gerade die Religion wird in diesem Zusammenhang breit behandelt. Dabei macht Dilthey (1960: 87) einen Unterschied zwischen den Weltanschauungen geltend, „welcher durch die Kulturgebiete bedingt ist, in denen sie auftreten“. Während die Wirtschaft, das Recht, der Staat und das gesellschaftliche Zusammenleben sich an „beschränkten Aufgaben“ orientieren, nehmen die Religion, die Poesie bzw. die Kunst und die Metaphysik totalisierende Perspektiven auf das Leben ein. Für den vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, dass für Dilthey die Religion in ihrer Entwicklung hin zur Weltanschauung in Beziehungen zunehmender Gegensätzlichkeit und Differenz zu anderen Weltanschauungen tritt. Die elementare Kategorie des religiösen Lebens ist Dilthey (1960: 88f.) zufolge zunächst der Glaube an eine Wirkungskraft des Unsichtbaren. Schließlich wird „der Fortgang zu höheren Stufen durch das religiöse Genie, in den Mysterien, im Einsiedlerleben, im Prophetentum“ vollzogen.31 Aus den elementaren Ideen entstehen ‚systematisierte‘ religiöse Weltanschauungen und damit verbunden „die Deutung der Wirklichkeit, die Lebenswürdigung und das praktische Ideal“ (ebd.: 89). In dieser Gestalt sieht Dilthey die Religion, wiederum in Parallele zu einer später näher zu diskutierenden Argumentation Webers, konstitutiv in einen Konflikt zur Welt geraten: „Und wie nun vom ersten Ansatz ab der Verkehr mit dem Unsichtbaren abgesondert ist von der Arbeit und dem Genuß in den Ordnungen des irdischen gesellschaftlichen Daseins, so sind diese religiösen Weltanschauungen immer im Streit mit der weltlichen Lebensauffassung: in ihr macht sich nun in diesem Widerstreit vielfach ein urwüchsiger Naturalismus geltend: gerade aus dem Gegensatz zu den religiösen Weltanschauungen erhält er seine Energie und Macht.“ (Ebd.: 90)

Die Bilder, vermittels derer Dilthey das Verhältnis der Weltanschauungen und ihrer Ansprüche auf Allgemeingültigkeit beschreibt, sind solche des „unentscheidbaren Kampfes“ (ebd.: 86), des „Widerstreits“ (ebd.: 75), der „Antinomie“ zwischen eigenem Universalitätsanspruch und der Pluralität und Historizität der Systeme (ebd.: 3) sowie der „Anarchie der Überzeugungen“ (Dilthey 1968: 9). Es wird also einerseits eine Ordnung dargestellt, in der Ungleiches sich untereinander in einem Verhältnis der Gleichrangigkeit befindet, so dass eine Hierarchisierung von Weltperspektiven nicht in Frage kommt. Es ist exakt dieser Gesichtspunkt, den Luhmann (1997a: 88 und passim) im Hinblick auf das Verhältnis der jeweiligen Sinnperspektiven der 31 Vgl. dazu auch die Religionssoziologie Max Webers, die Priester und Propheten als entscheidende Promotoren in der Systematisierung religiöser Ideen sieht; Näheres dazu in Kapitel 1.1.5.

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Funktionssysteme als „Polykontexturalität“ beschreibt. Zum anderen liegt Dilthey in der Betonung des konfliktiven Moments in diesem Verhältnis, wie unten noch deutlich wird, nahe an Max Webers Metaphorik des „Kampfs der Götter“ und des „Polytheismus“ der Wertsphären (vgl. hierzu Tyrell 1999: 161ff.). 3.1.3 Differenzierung und Gesellschaftsbegriff Aus den vorhergehenden Überlegungen wurde bereits deutlich: Dilthey verabschiedet sich in differenzierungstheoretischer Hinsicht von integrationsbezogenen Figuren, wie sie sich etwa bei Spencer oder Durkheim finden. Dies schlägt sich zum einen darin nieder, dass anders als dort bei Dilthey nicht von einer „Dekomposition“ (vgl. Mayntz 1988; Tyrell 1998b) der Gesellschaft in arbeitsteilig-komplementäre Bereiche mit eineindeutig zuordenbaren Handlungen bzw. Berufsrollen ausgegangen wird. Stattdessen liegt der Akzent auf ausdifferenzierten Sinnperspektiven, die ‚Gesellschaft‘ durchaus auch jeweils in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen können, aber stets nach je eigenen Sachgesichtspunkten. Das schließt, wie deutlich wurde, Kampf und Konflikt nicht aus. Entsprechend folgt aus dieser Vorstellung eine explizite Absage an alle Organismusanalogien, wie sie die französische und englische Soziologie zu der Zeit pflegten (vgl. Dilthey 1962: 71). Von einer Interdependenz der ‚Teile‘ wird hier folglich nicht ausgegangen. Mit der Eigengesetzlichkeit der Systeme und ihren divergenten Sinnperspektiven wird umgekehrt auf Interdependenzunterbrechungen abgestellt. Entsprechend ist der Begriff der Gesellschaft bei Dilthey ein verhältnismäßig unambitiöser. Er steht eigentlich nur noch für das Umfassende, für das ‚Worin‘ der Differenzierung von Kultursystemen, äußerer Organisation und Einzelvölkern. Eine Verknüpfung des Gesellschaftsbegriffs mit Kollektiven bzw. ‚Solidargemeinschaften‘, wie sie sich etwa in der Soziologie Durkheims findet, ist hier sichtlich vermieden. Damit ist der weitgehende Verzicht auf den Gesellschaftsbegriff, der die Simmel’sche und Weber’sche Soziologie auszeichnet, hier schon insofern vorbereitet, als Gesellschaft in dieser ‚totalisierten‘ Form bei Dilthey „als Analysegegenstand gar nicht mehr in Frage kam“ (Tyrell 1998b: 143; vgl. dazu auch Tyrell 1994). Mit den Akzenten auf Ausdifferenzierung von Sinn, auf Eigengesetzlichkeit der gesellschaftlichen Teilbereiche und damit auf Interdependenzunterbrechung ist ein differenzierungstheoretischer Weg eingeschlagen, der sich deutlich von den auf kooperativer Arbeitsteilung bzw. Differenzierung abstellenden Ansätzen Durkheims und Spencers unterscheidet. Es ist im Folgenden zu zeigen, wie dieser Weg bei Simmel seine Fortsetzung findet und insbesondere bei Weber für den Fall der Religion zu einem differenzierungstheoretischen Angebot führt, das in dieser Arbeit den Referenzpunkt eines Durchgangs durch das religionssoziologische Terrain der nachklassischen Soziologie bilden soll. 3.2 Georg Simmel Georg Simmels Soziologie liefert zu differenzierungstheoretischen Fragen bereits früh eine einschlägige Monographie mit dem Titel „Über sociale Differenzierung“ (1890/1989). Insbesondere ihr soll der erste Abschnitt gelten (3.2.1). Auch wenn diese frühe Schrift bereits deutlich vom Einfluss Diltheys zeugt (vgl. Köhnke 1996:

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380ff.), liegt hier der Akzent noch nicht auf ‚Sinn‘ und der Differenzierung von autonomen Kultursystemen; auch in der ‚Großen Soziologie‘ von 1908 ist davon wenig zu spüren. Die Kulturtheorie Simmels und, damit zusammenhängend, seine Arbeiten zur Religion sind in dieser Hinsicht weitaus einschlägiger. Sie sind in einem zweiten Abschnitt unter differenzierungstheoretischen Gesichtspunkten näher zu würdigen (3.2.2). 3.2.1 Differenzierung in den soziologischen Schriften Georg Simmels Wie auch bei Emile Durkheim und Herbert Spencer wird in Georg Simmels Schrift „Über sociale Differenzierung“ das Größenwachstum der Gruppe mit ihrer arbeitsteiligen Differenzierung in einen Zusammenhang gestellt.32 Dabei macht sich Simmel ein Argument zu eigen, das sich schon bei Comte findet und auf das auch Durkheim in der Darstellung des Übergangs von der segmentär differenzierten zur arbeitsteiligen Gesellschaft zurückgreift.33 Danach rührt der Zusammenhang daher, dass bei zunehmender Größe der Gruppe der Konkurrenzdruck steigt. Dies drängt, so die These, zur Diversifikation: „[J]e größer das Ganze ist, desto nötiger ist es ihm, bei der stets vorhandenen Knappheit der Lebensbedingungen, daß – innerhalb gewisser selbstverständlicher Schranken – jeder sich andere Ziele setze als der andere und, wo er sich die gleichen setzt, wenigstens andere Wege zu ihnen einschlägt als der andere.“ (Simmel 1890/1989: 164)

Anders als bei Durkheim ist bei Simmel hier nicht allein der Aspekt der Befriedung entscheidend. In der arbeitsteiligen Differenzierung liegt für ihn vor allen Dingen ein rationales „Prinzip der Kraftersparnis“ (ebd.: 258ff.) und damit ein „evolutionistische[r] Vorteil“ (ebd.: 259), der im Wesentlichen in der Vermeidung von Reibungsverlusten besteht. Letztere sieht Simmel zum einen in der Kraft, die aufgebracht werden muss, um Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen: „Erst wachsende Differenzierung kann die Reibung beseitigen, die aus der Setzung des gleichen Ziels hervorgeht, welche die Kräfte von diesem fort auf die persönliche Besiegung des Mitbewerbers lenkt.“ (Ebd.: 268) Zum anderen wird der Vorteil auf der Seite des Individuums selbst ausgemacht. Im nicht-arbeitsteiligen Zustand müssen die Tätigkeiten des Einzelnen der Richtung fortlaufend wechseln. Angesichts der Trägheit und Überschüssigkeit der aufgebrachten Energie führt der stetige Richtungswechsel zu hohem

32 Bei Durkheim (1893/1992: 361) steht genauer das Verhältnis von Dichte und Volumen der Gruppe im Vordergrund. Dichte ist bei Simmel, gerade in dem Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“ (1903/1995), aber deutlich mitimpliziert. Als weitere Variable tritt bei Simmel und Durkheim noch die Individualisierung hinzu. Ferner bezieht Simmel in „Philosophie des Geldes“ (1900/1907/1989) noch die Geldwirtschaft und die „Verstandesherrschaft“ (als Gegenbegriff von „Gemütsbeziehungen“) in diese Korrelation mit ein. 33 Wie Rüschemeyer (1985: 168) bemerkt, bleiben die Ursachen für den Zusammenhang von Größenwachstum und Differenzierung bei Spencer weitgehend ungeklärt.

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Kraftverlust, der dort, wo die Tätigkeit einseitig auf ein Ziel gerichtet ist, vermieden wird (vgl. ebd.: 268f.).34 Trotz des ähnlichen Ausgangsarguments einer Korrelation von Größenwachstum und Differenzierung setzt Simmel in seiner differenzierungstheoretischen Untersuchung andere Akzente. Anders als bei Spencer und insbesondere bei Durkheim geht es nicht um eine bloße entwicklungsgeschichtliche Gegenüberstellung von Homogenität und Heterogenität bzw. segmentärer Gleichheit und arbeitsteiliger Ungleichheit. Im Vordergrund steht stattdessen eine entwicklungsgeschichtliche Verlagerung des gruppenbildenden Prinzips von äußerlichen Faktoren wie lokaler Zusammengehörigkeit und familialer Bindung hin zu stärker sachlichen Gesichtspunkten und gemeinsamen inneren Qualitäten. Mit Luhmann ließe sich hier von einer zunehmenden Privilegierung der Sachdimension gegenüber der Sozialdimension in der Assoziation sprechen: Anstelle von originären Bindungen an bestimmte Personen determinieren nun Sachbezüge die Bildung von „Kreisen“. Damit verbindet sich bei Simmel eine differenziertere Perspektive auf die Unterscheidung Homogenität/Heterogenität, als dies bei Spencer und Durkheim der Fall ist. So ist Simmel zufolge nicht segmentäre Gleichheit der evolutionäre Ausgangspunkt. Als ursprünglicher Zustand gilt ihm vielmehr eine ‚Landschaft‘ von in sich homogenen Gruppen, die untereinander aber höchst verschieden sind; dabei bleibt der Einzelne an diejenigen gebunden, „neben die der Zufall der Geburt ihn gestellt hat“ (1890/1989: 237). Mit der internen Differenzierung der Gruppen kommen dann Ähnlichkeiten der Gruppen untereinander auf: „[D]ie nach allen Seiten gehende Abweichung von der bis dahin für jeden Complex für sich giltigen Norm muß notwendig eine Annäherung der Glieder des einen an die des anderen erzeugen.“ (Simmel 1890/1989: 169) Dies macht Assoziationen möglich, die über die Gruppengrenzen hinausgreifen und nun aber gerade das sachlich Homogene zur Vereinigung bringen: „Mit fortschreitender Entwicklung [der Gruppe, M.P.] aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche außerhalb dieses ursprünglichen Assoziationskreises liegen und statt dessen durch sachliche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Tätigkeiten usw. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Assoziation durch äußerliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt.“ (Simmel 1890/1989: 238; Herv. M.P.)35

34 Ähnlich wie Durkheim sieht Simmel (1890/1989: 271f.) aber auch einen pathologischen Fall der Arbeitsteilung vor. In der dauerhaften Monotonie der Arbeit liege die Gefahr einer „Atrophie“ und „Schwächung“ der Tätigkeit, die den kraftsparenden Vorteil der Spezialisierung wieder abnehmen lasse. Diesen Vergleich ziehen auch Dahme/Rammstedt (1983: 26). 35 Wie unten noch deutlich wird, liegt diese Eigenschaft ‚funktionaler‘ Differenzierung, sachlich Zusammengehöriges auch in Überwindung der „ursprünglichen Grenzen in räumlicher, ökonomischer und geistiger Beziehung“ (Simmel 1890/1989: 170) zu vereinen, auch Niklas Luhmanns These von der „Weltgesellschaft“ (1971/2005) zugrunde. In dieser Argumentation lässt die je unterschiedliche Grenzgestaltung nach Maßgabe eigener funktionaler Sachgesichtspunkte der Teilsysteme deren Grenzen nicht mehr einheitlich zusammenfallen.

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Simmel bringt diesen Gedanken auch in die Form einer ‚Gesellschaftstypologie‘, wenn er zwischen quantitativen und qualitativen Formen der Differenzierung und Arbeitsteilung unterscheidet. Die quantitative Form ist ein klarer Fall von ‚funktionaler Diffusität‘: Sie „verteilt die Thätigkeitskreise derart, daß zwar einem Individuum oder einer Gruppe ein anderer als einer andern zukommt, aber jeder derselben eine Summe qualitativ verschiedener Beziehungen einschließt; allein später wird dieses Verschiedene herausdifferenziert und aus allen diesen Kreisen zu einem nun qualitativ einheitlichen Thätigkeitskreise zusammengeschlossen.“ (Simmel 1890/1989: 247)

Damit trifft Simmel zielsicher einen Aspekt, der auch in der Durkheim‫ތ‬schen Unterscheidung von segmentärer und arbeitsteiliger Differenzierung mitschwingt, dort aber hinter den Gesichtspunkt der Solidarität, die im einen Fall auf Ähnlichkeit, im andern Fall auf Komplementarität beruht, zurücktritt. Hartmann Tyrell (1978: 177ff.) hat in diesem Zusammenhang auf die ‚schiefe Kontrastierung‘ von segmentärer und funktionaler Differenzierung in den Differenzierungstheorien aufmerksam gemacht. Simmel liegt hier somit auf der Linie einer ‚ausgewogeneren‘ Entgegensetzung von funktionaler Diffusität und funktionaler Differenzierung. Nicht allein dieser deutliche Akzent auf sachliche Spezialisierung und die anders gelagerten Implikationen für die Thematik der Homogenität/Heterogenität heben Simmels frühe Schrift von den Differenzierungstheorien Spencers und Durkheims ab. Es kommt hinzu: Auf eine Interdependenz der differenzierten Teile wird bei Simmel gar nicht gesetzt. Organismusanalogien finden sich entsprechend auch nur punktuell und ohne gesellschaftstheoretische Ambitionen. Der Gesellschaftsbegriff wird hier nicht vom Kollektiv her gedacht, sondern ist für Simmel bereits dort angemessen, wo Wechselwirkungen zwischen Individuen vorliegen. Gesellschaft ist für ihn so ein „gradueller Begriff, von dem auch ein Mehr oder Weniger anwendbar ist, je nach der größeren Zahl und Innigkeit der zwischen den gegebenen Personen bestehenden Wechselwirkungen“ (Simmel 1890/1989: 131). Seine Grenze liegt in dieser frühen Schrift allein dort, wo sich gerade noch ein „objektives Gebilde“ herausbildet, „das eine gewisse Unabhängigkeit von den einzelnen daran teilhabenden Persönlichkeiten besitzt“ (ebd.: 133).36 Der Verzicht auf Interdependenzfiguren schlägt sich in diesem Zusammenhang auch in verschiedenartigen Konzeptionen des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft nieder. Bei Durkheim erwächst die Individualität der Person unmittelbar 36 Im späteren Aufsatz „Das Problem der Soziologie“ (orig. 1894, Kap. 1 in 1908/1992), sind im Begriff der Gesellschaft auch ephemere Begegnungen eingeschlossen, die 1890 davon noch ausgenommen waren. Tyrell (2007: 19) sieht an der früheren Stelle entsprechend ein später zurückgenommenes Votum für einen makrosoziologischen Ansatz. Die Kontinuität liegt m.E. darin, dass auch im Rahmen dieser späteren Perspektive die flüchtigen Beziehungen sich in Formen ergießen, die insofern ebenfalls gegenüber dem Ausscheiden der Mitglieder „beharren“, als sie ein überdauerndes gesellschaftliches Strukturmoment darstellen, das unabhängig von konkreten „Inhalten“ auch anderen Vergesellschaftungen zugrunde liegen kann. Vgl. auch Tenbruck (1958) zu dieser Deutung von Formen als gesellschaftlicher Struktur.

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aus dem Rückgang des Kollektivbewusstseins im Zuge des Größenwachstums der Gesellschaft; sie äußert sich in der beruflichen Spezialisierung.37 Aufgrund der Interdependenz der ‚Berufsorgane‘ geht Individualisierung hier folglich mit einer stärkeren Einbindung und Unverzichtbarkeit des Individuums einher. Auch Simmel schwebt ein wechselseitiger Steigerungszusammenhang von Individualität und Differenzierung vor. Das individualitätsstiftende Moment der Differenzierung liegt hier allerdings nicht in der beruflichen Spezialisierung, sondern in der zunehmenden Vielfalt der Kreise, denen das Individuum angehört. Die wachsenden Möglichkeiten, unabhängige Zugehörigkeiten zu kombinieren, machen das Individuum zu einem einzigartigen, so kaum noch einmal vorhandenen „Kreuzungspunkt“ – diese Formulierung übernimmt Simmel von Dilthey und fügt sie in diesen konzeptuell anders gelagerten Kontext von, mit Hahn (1997/2000) gesprochen, „partizipativen Identitäten“ ein. Als Individuum geht es dabei in keinem der Kreise mehr voll auf.38 Insofern sich Simmel auch hier fernab von Organismusmetaphern und Solidaritätsmotiven bewegt, gründet er darauf allerdings keine zunehmende Unentbehrlichkeit des Individuums in der modernen Gesellschaft – im Gegenteil: Ihm ist vielmehr unter ‚primitiven‘ Bedingungen das Angewiesensein der Gruppe auf den Einzelnen am höchsten. Das Argument stellt dabei auf die Gruppengröße ab: „[G]ewisse Ansprüche der Gesellschaft bleiben die gleichen, ob diese nun klein oder groß ist, und fordern deshalb von dem Einzelnen umso stärkere Opfer, auf je wenigere sie sich verteilen.“ (Simmel 1890/1989: 141) Von daher bedeutet hier ein Größenwachstum und die damit verbundene Differenzierung anders als bei Durkheim gerade ein Mehr an Unabhängigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Individuum: „Je höher, ausgebildeter und feiner ein Gebilde, desto mehr scheint es von einer ihm eigentümlichen, nur dem Ganzen als Ganzem geltenden Kraft dirigiert zu werden, desto unmerkbarer wird der Anteil der Elemente an dem Bestehen und der Entwicklung des Ganzen.“ (Ebd.: 142)39

37 Äußern kann sich die Individualität aber auch im egoistischen und anomischen Selbstmord (vgl. Durkheim 1897/1973); vgl. zur Individualisierungsthematik bei Simmel und Durkheim auch Schroer (2000: bes. 137ff.; 284ff.). 38 Es finden sich hier folglich bereits Kerngedanken der Luhmann‫ތ‬schen Unterscheidung zwischen Inklusionsindividualität und Exklusionsindividualität (vgl. Luhmann 1989a; siehe auch Bohn 2006: 33 und passim). 39 Dabei kommen Simmel und Durkheim auf unterschiedlichen Wege zu einer ähnlichen Beobachtung: Bei Simmel findet sich die Figur eines Zusammenhangs von zunehmender Individualisierung und einem „Kosmopolitismus“, die an Durkheims Vorstellung des aus der Arbeitsteilung erwachsenden „Kults der Person“ erinnert. Ebenso wie dieser gründet der Kosmopolitismus in einer Wertschätzung dessen, was dem Menschen „bloß als Menschen“ zukommt und weist somit auf den Gedanken einer „idealen Einheit der Menschenwelt“ hin (Simmel 1890/1989: 181). Allein die Begründung dieses Zusammenhangs ist bei beiden Autoren unterschiedlich nuanciert. Bei Simmel liegt die Ursache für die zunehmende Wertschätzung des Individuums als solchem in dem „Seltenheitsmoment“, das sich gerade aus der individuellen Zusammensetzung seiner Eigenschaften, was nicht zuletzt heißt: Zugehörigkeiten, ergibt. Bei Durkheim begründet sich demgegenüber die „Heiligkeit“ des Individuums in der gesteigerten relativen Wichtigkeit, die ihm aufgrund seiner funktionalen Spezialisierung in der Gesellschaft zukommt (vgl. Durkheim 1893/1992: 222).

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Die Differenzierungsperspektive, mit der Simmel hier auftritt, liegt schon deutlicher auf der Linie Diltheys, als dies etwa bei Spencer und Durkheim der Fall ist. So steht bei den skizzierten Argumentationsfiguren weniger der Gesichtspunkt gesellschaftlicher Arbeitsteilung im Vordergrund als vielmehr der der Ausdifferenzierung von sachlichen Sinnbezügen, die nicht auf ein integriertes ‚Ganzes‘ bezogen sind. Dies zeigt sich auch daran, dass das Individuum bei Simmel ebenfalls als „Kreuzungspunkt“ auftritt, wenngleich sich dort, anders als bei Dilthey, differenzierte Gruppenzusammenhänge schneiden. Bei Durkheim kommt eine sachthematische Vielfalt von Gruppenzugehörigkeiten allenfalls in der Selbstmordstudie in den Blick, wo etwa die Religionsgemeinschaft, die Familie, die politische Gemeinschaft und die Berufsgruppe auf ihre solidarischen, dem egoistischen Selbstmord des Individuums vorbeugenden Qualitäten befragt werden. Differenzierungsbezogene Thesen leitet Durkheim daraus allerdings kaum ab. Gleichwohl liegt bei Simmels früher Studie ein solcher Akzent auf autonome Sinngebiete allenfalls im Ansatz vor. Die Religion wird hier zudem lediglich exemplarisch herangezogen. Als eigenständige Sphäre kommt sie hier nur beiläufig in einem Beispiel zur funktionalen Trennung von Religion und Wissenschaft in den Blick (Simmel 1890/1989: 193).40 Auch die ‚Große Soziologie‘ von 1908 liefert wenig zur Ausdifferenzierung funktionaler Teilbereiche; die entscheidenden Kapitel von 1890, „Die Kreuzung der sozialen Kreise“ und „Die Ausdehnung der Gruppe und die Ausbildung der Individualität“, sind hier aufgenommen.41 In dieser Schrift wird zugleich das formalsoziologische Programm, wie Simmel es in dem Problemaufsatz von 1894 entwarf, durch ihn selber in Angriff genommen, nachdem, wie er 1899 an Georg Jellinek schreibt, diese Soziologie „keinen Vertreter in Deutschland“ gefunden habe (zit. n. Tyrell 2007: 8). Entsprechend stehen hier nicht die Kultursysteme im Vordergrund, sondern die „Formen“ der Vergesellschaftung als eine jenen untergeordnete Ebene. Die Untersuchung von 1908 schließt somit bei der Dilthey’schen ‚Ebenenunterscheidung‘, wenn man will, an den Organisationsformen an (vgl. Johach 1974: 66; Hahn 1999: 16). Anders, aber mit ähnlicher Intuition formuliert Tenbruck (1958: 597f.): Für ihn besteht die Kontinuität mit Dilthey im ‚formalsoziologischen‘ Oeuvre darin, dass Simmel zwar an den partiellen Systemen der Kultur festhält, dabei aber die Formen der Wechselwirkung das „immediate Verhältnis“ zwischen Individuum und Kultursystemen durchschneiden lässt und zum eigentlichen Gegenstand der Soziologie macht. Auch in dieser Studie liefert die Religion lediglich Anschauungsmaterial für die verschiedenen „Formen“, die in den einzelnen Kapiteln verhandelt werden.42 Ein systematischer Blick auf Religion als ausdifferenzierte Sphäre als solche findet sich auch hier nicht. Die deutlichere Kontinuität mit Dilthey und damit auch eine Verbindung zu der Differenzierungstheorie, wie sie Weber im Konzept der Lebensordnungen bzw. Wertsphären43 anbietet, scheint nach meinem Dafürhalten in 40 Die weiteren Zusammenhänge, in denen Religion als Anschauungsmaterial dient, finden sich zusammengetragen in Krech (1998a: 34ff.). 41 Siehe zu den Änderungen und Ergänzungen in diesen Kapiteln im Zuge dieser Übernahme Petzke (2011). 42 Vgl. hierfür wiederum Krech (1998a: 66ff.). 43 Zum Unterschied von Wertsphäre und Lebensordnung, die bei Weber nicht immer auseinandergehalten werden, vgl. Tyrell (1993b: 124).

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den kulturphilosophischen Schriften Simmels zu liegen.44 Auch die zentralen religionssoziologischen Schriften Simmels sind eher dieser Schaffensperiode, die von der „Philosophie des Geldes“ (1900/1907/1989) ihren Ausgang nahm, zuzuordnen – es handelt sich um den 1898 erschienenen Aufsatz „Zur Soziologie der Religion“ sowie die längere Abhandlung „Die Religion“ von 1906/1912, in die jener Aufsatz eingearbeitet ist.45 Für den vorliegenden differenzierungstheoretischen Zusammenhang lohnt es sich deshalb, sich über eine Darstellung der Kulturtheorie den religionssoziologischen Schriften Simmels zu nähern. 3.2.2 Religion im Lichte der Kulturphilosophie Georg Simmels Bevor die Religion konkret zur Sprache kommt, gilt es zunächst einige allgemeine Aspekte der Kulturphilosophie Simmels zu beleuchten (3.2.2.1). Diese sind anschließend für die Religion im Besonderen herauszuarbeiten, wobei hier insbesondere die Ausdifferenzierung religiösen ‚Sinns‘ (3.2.2.2) sowie der Gesichtspunkt religiöser ‚Eigengesetzlichkeit‘ (3.2.2.3) im Vordergrund stehen sollen. 3.2.2.1 Allgemeine Aspekte der Kulturphilosophie Simmels Bestimmte der Gedanke der Wechselwirkung und der Gegensatz von „Individuum und Gesellschaft“ die soziologischen Arbeiten Simmels, so ist die Leitdifferenz der kulturphilosophischen Schaffensperiode die Unterscheidung von „objektiver und subjektiver Kultur“ (vgl. auch Krech 1998a: 229). Diese Differenz leitet sich direkt aus Simmels Begriff der „Kultivierung“ ab. Darunter will eine Entwicklung verstanden sein, die von im Subjekt latent vorhandenen „Strukturverhältnissen oder Triebkräften“ ihren Ausgang nimmt und das Subjekt in einen Zustand überführt, den es aus sich heraus nicht hätte erreichen können (vgl. Simmel 1908/1993: 365). Von daher kann Kultivierung des Subjekts für Simmel nie ‚autarke‘ Selbstkultivierung sein, sondern muss ihren Umweg immer über etwas nehmen, das dem Menschen – zunächst – äußerlich ist (vgl. ebd.: 367f.). Sie setzt damit eine „objektive Kultur“ voraus, als welche man „die Dinge in jener Ausarbeitung, Steigerung, Vollendung bezeichnen [kann], mit der sie die Seele zu deren eigener Vollendung führen oder die Wegstrecken darstellen, die der Einzelne oder die Gesamtheit auf dem Wege zu einem erhöhten Dasein durchläuft“ (ebd.: 371). Die „subjektive Kultur“ ist demgegenüber „das so erreichte Entwicklungsmaß der Personen“. Im „Spezialistentum“ sieht Simmel insofern keinen Fall einer gelungenen Kultivierung, als es die seelische Vervollkommnung zu einem harmonischen Ganzen verhindert: „Wir sind noch nicht kultiviert, wenn wir dieses oder jenes einzelne Wissen oder Können in uns ausgebildet haben; sondern erst dann, wenn all solches der zwar daran gebundenen, aber damit nicht zusammenfallenden Entwicklung jener seelischen Zentralität dient. [...] Oder an-

44 Vgl. zu Simmels Kulturphilosophie als Soziologie auch Rammstedt (1995: 103f.). 45 Für diese Zuordnung spricht auch die Tatsache, dass der Aufsatz von 1898, anders als zahlreiche anderen Aufsätze dieser Schaffensperiode, keinen Eingang in die ‚Große Soziologie‘ von 1908 gefunden hat.

56 | W ELTBEKEHRUNGEN ders ausgedrückt: Kultur ist der Weg von der geschlossenen Einheit durch die entfaltete Vielheit zur entfalteten Einheit.“ (Simmel 1919/1996: 387)

Im Mittelpunkt steht damit eine dialektische Figur, nach der das Subjekt vermittels überpersönlicher Objektivationen menschlichen Schaffens zu seiner eigenen Vollendung emporsteigt.46 Die „Tragödie der Kultur“ hat für Simmel nun ihre Ursache darin, dass mit ihrer Objektivation die so entstandenen Gebilde einen Gehalt haben, der von der ursprünglichen schöpferischen Intention gänzlich abgekoppelt ist: „Sobald unser Werk dasteht, hat es nicht nur eine objektive Existenz und ein Eigenleben, die sich von uns gelöst haben, sondern es enthält in diesem Selbstsein – wie von Gnaden des objektiven Geistes – Stärken und Schwächen, Bestandteile und Bedeutsamkeiten, an denen wir ganz unschuldig sind und von denen wir selbst oft überrascht werden.“ (Simmel 1919/1996: 407)

Damit steht einerseits der Weg frei für „Resubjektivierungen“ (ebd.: 408), die dem Objekt unabhängig von den subjektiven Umständen seiner Erzeugung einen „Kulturwert“ im Sinne eines weiteren Schrittes der Selbstvervollkommnung abgewinnen können. Andererseits aber ist damit in den Erzeugnissen ein Entwicklungspotential angelegt, das sie in selbständigen Bahnen immer weiter aus dem Gravitationsfeld subjektiver Kultivierungsmöglichkeiten herausträgt. So stehen diese Inhalte „unter der Paradoxie, dass sie zwar von Subjekten geschaffen und für Subjekte bestimmt sind, aber in der Zwischenform der Objektivität, die sie jenseits und diesseits dieser Instanzen annehmen, einer immanenten Entwicklungslogik folgen und sich damit ihrem Ursprung wie ihrem Zweck entfremden“ (ebd.: 408). Die hier geschilderte Folge ist damit ein ‚Anschwellen‘ und eine zunehmende Autonomie der objektiven Gebilde mit der Folge einer verhältnismäßigen Retardierung und Verkümmerung der subjektiven Kultur.47 In seiner Aufzählung der „objektiven Gebilde“ sind bei Simmel die von Dilthey berücksichtigten Kultursysteme aufgenommen. So findet sich neben 46 Man vergleiche dies mit der ähnlichen Denkfigur bei Marx, nach der der Mensch in naturwüchsigen Verhältnissen in einem kontinuierlichen Kreislauf von Selbstentäußerung bzw. -entfremdung durch Arbeit und deren Aufhebung durch Genuss des eigenen Produkts steht. Die dauerhafte Entfremdung kommt bei Marx durch die Arbeitsteilung auf den Plan, die diesen unmittelbaren Zyklus durchbricht. Auch bei Simmel (1919/1996: 405) bedingt die Arbeitsteilung eine „Entfremdung“, hier verstanden als ein Auseinandertreten von objektiver und subjektiver Kultur bzw. als ein Übergewicht der ersteren. Für Simmel ist allerdings „Kultivierung“ prinzipiell mit der Aneignung von etwas verbunden, das „überpersönlich“ und nicht Erzeugnis des in Frage stehenden Subjekts selbst ist – daher auch die tragische Komponente; vgl. zu dieser Parallele auch Landmann (1963: 230). 47 Simmel akzentuiert in seiner stärker lebensphilosophischen Phase die Tragödie als Widerspruch von Form und Prozess. Die Emphase liegt hier weniger auf dem Auseinandertreten von objektiver und subjektiver Kultur; vielmehr wird in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass die schöpferische Bewegung des Lebens sich immerfort in Formen verwirklichen muss, die dann in ihrer Dauer in „starre Gegensätzlichkeit“ zum Leben geraten (vgl. Simmel 1918/1999). Insoweit der differenzierungstheoretische Ertrag an dieser Reakzentuierung keinen Abbruch nimmt, braucht sie hier nicht weiter zu interessieren; vgl. für den Gegenstand Religion unter dieser Perspektive Krech (1998a: 119ff.).

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Kunst, Recht, Wissenschaft und Technik auch die Religion als Teilgebiet der objektiven Kultur berücksichtigt.48 In dieser Kulturtheorie kommen differenzierungstheoretische Konzepte zum Tragen, die näher an Diltheys Ideen liegen als diejenigen, die sich in der soziologischen Schrift „Über sociale Differenzierung“ finden. Eine Kontinuität zu dieser frühen Schrift liegt allerdings in der Betonung der Heraussonderung von Ordnungen, die sich primär nach Sachgesichtspunkten bestimmen. Dabei wird nun aber sehr deutlich die „Eigengesetzlichkeit“ (Simmel 1919/1996: 415; Herv. M.P.) dieser Gebilde betont, die ja konstitutiv für das tragische Timbre der Kulturtheorie Simmels ist. So besteht ein Charakteristikum der objektiven Kultur darin, dass jedes ihrer Gebilde einem „autonomen Ideal“ (Simmel 1900/1907/1989: 619) untersteht. Die einzelnen Objektivationen gehören jeweils einer „sachlichen Ordnung von Werten [an], einer logischen oder sittlichen, einer religiösen oder künstlerischen, einer technischen oder rechtlichen“ (Simmel 1919/1996: 391). Unter diesem Blickpunkt reihen sich die Erzeugnisse einer „Sachreihe“ (ebd.: 395) ein, innerhalb derer sie allein nach Maßgabe eigenlogischer „Sachideal[e]“ (Simmel 1908/1993: 368) ihren jeweiligen Wert erhalten. Zu diesen autonomen Gebieten mit je eigenen inkommensurablen Maßstäben zählt Simmel (1919/1996: 398) auch die Religion: „Das Kunstwerk soll nach den Normen der Kunst vollkommen sein, die nach nichts als nach sich selbst fragen und dem Werke seinen Wert geben oder verweigern würden, auch wenn es so es zusagen auf der Welt gar nichts weiter als eben dieses Werk gäbe; das Ergebnis der Forschung als solches soll wahr sein und absolut weiter nichts, die Religion schließt mit dem Heil, das sie der Seele bringt, ihren Sinn in sich ab, das wirtschaftliche Produkt will als wirtschaftliches vollkommen sein und erkennt insoweit keinen anderen als den wirtschaftlichen Wertmaßstab für sich an.“ (Herv. M.P.)

Damit wird aber schon eine zweite Akzentverschiebung gegenüber den soziologischen Schriften deutlich: Die hier verhandelten objektiven Gebilde sind keine „Kreise“ von Individuen, sondern Sinnperspektiven: Es handelt sich um ideelle Welten, „das will sagen, Zusammenhänge des Weltinhalts, die je ein allbeherrschendes letztes Motiv zu Ganzheiten gestaltet“ (Simmel 1906/1912/1995: 47). Mit dieser Konzeption der objektiven Gebilde als autonome Sinngebiete ist Simmel ganz in der Nähe von Diltheys Kultursystemen. Dieser Aspekt kommt auch in der Religionstheorie zum Tragen. Hier verbindet er sich auf eine bemerkenswerte Weise mit der Konzeption eines Ausdifferenzierungsprozesses, wie sie bereits 1890 im Sinne eines Übergangs von einer diffusen Gemengelage zur sachlichen Spezialisierung angeklungen war. Dies gilt es im Folgenden nachzuzeichnen.

48 Allerdings ist das Konzept des „objektiven Gebildes“ bei Simmel viel umfassender; so zählen hierzu auch „zweckgeformte Gegenstände“ (vgl. Simmel 1919/1996: 389). Gar von „unzähligen Gebilden“ wird ausgegangen und muss es auch, wenn das gemeinsame Kriterium, das den Aufzählungen zugrunde liegt, allein darin liegt, eine Selbstentäußerung eines Subjekts zu sein, das für Resubjektivierung potentiell zugänglich ist.

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3.2.2.2 Die Ausdifferenzierung religiösen ‚Sinns‘ in der Religionstheorie Simmels Georg Simmels Arbeiten zur Religion – im Vordergrund sollen hier der 1898 publizierte Aufsatz „Zur Soziologie der Religion“ sowie die 1906 und 1912 in erweiterter Fassung erschienene Schrift „Die Religion“ stehen – sind maßgeblich von seinen kulturphilosophischen Grundgedanken geprägt. Doch kommt auch die Differenzierungskonzeption von 1890 zum Zuge, die einen Übergang von ‚funktionaler Diffusität‘ hin zur Spezialisierung bzw. Heraussonderung eines bestimmten Sachgesichtspunkten unterworfenen Teilbereichs vorsieht. Dieser Prozess wird hier konzeptuell mit einer Semantik der Steigerung und Reinigung versehen. Dabei ist hier für Simmel keine Substitutionslogik am Werk; der spezialisierte, sachlich ‚bereinigte‘ Bereich erhebt sich vielmehr über die diffuseren und weniger ambitionierten Vorformen, die daneben weiter bestehen. So gilt etwa für die Wissenschaft, „dass sie nur eine Steigerung, Durchbildung, Verfeinerung aller der Erkenntnismittel ist, deren niedrigere und trübere Grade uns auch zu den Einsichten und Erfahrungen des täglichen, praktischen Lebens verhelfen. [...] Alle solche hohen und reinen Gestaltungen treten zunächst gleichsam versuchsweise, keimhaft, in Verwebung mit anderen Formen und Inhalten auf.“ (Simmel 1898: 111f.)

Für Simmel bildet die Religion hier keine Ausnahme. Entsprechend unternimmt er in den Schriften von 1898 und 1906/1912 den Versuch, ebensolche Vorformen von Religion an sozialen Verhältnissen aufzuzeigen, deren Steigerung und Aussonderung dann Religion im engeren Sinne bedeuten. Es wird dabei sehr deutlich, dass es ihm in erster Linie um die Heraussonderung einer besonderen Sinnperspektive geht. Für Simmel sind drei seiner Ansicht nach wesentliche Züge der Religion bereits in menschlichen Verhältnissen angelegt. Es ist dies zum einen der Glaube; allerdings nicht im Sinne eines Fürwahrhaltens, sondern verstanden als vertrauensvolle Hingabe, wie sie durchaus etwa schon im Glauben des Kindes an die Eltern oder des Untergebenen an den Fürsten auftreten kann. Im religiösen Glauben kommt er zur vollen Blüte: Hier steht er ohne „sozialen Gegenpart“ rein da und lässt das Göttliche als sein Objekt aus sich herauswachsen (vgl. Simmel 1898: 116). Es ist zweitens der Gedanke einer Einheit, die im gesellschaftlichen Verband nur in imperfekter Form vorliegt, da sich Konkurrenzlosigkeit hier nie in absoluter und dauerhafter Hinsicht durchsetzt. Auf religiösem Gebiet zeigt sie sich wiederum in Reinform (vgl. ebd.: 117f.). Schließlich ist es das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, insbesondere was dessen Abhängigkeit vom moralischen Urteil der Gruppe sowie von den kulturellen Errungenschaften seiner Vorfahren anbelangt. Diese steigert sich in der religiösen Vorstellung zur Abhängigkeit von einem allmächtigen Gott (vgl. ebd.: 120f.). Jene These Simmels, nach der religiöser Sinn in gesellschaftlichen Analogien gründet, steht in unabweislicher Parallele zu der religionssoziologischen Konzeption Durkheims und nimmt diese in weiten Teilen vorweg. Bei Simmel bleibt es allerdings bei der Annahme einer bloßen Analogie, während Durkheim die Gesellschaft mit dem Religiösen in weiten Teilen identifiziert (vgl. Tyrell 1992: 177f.; 1995/2008: 235f.).

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Auf der subjektiven Seite gründen diese Analogien in einer Bewusstseinskategorie,49 einem religiösen „Apriori“, dem sich im Übrigen nicht nur Sozialverhältnisse fügen. Auch die Stellung des Menschen zur „äußeren Natur“ wie zum „Schicksal“ ist zur religiösen Einfärbung prädisponiert, so Simmel (1906/1912/1995: 48).50 Für den vorliegenden Zusammenhang entscheidender ist jedoch die objektive Seite. Hier löst der Steigerungsprozess, der von Sachverhalten mit religiöser Klangfarbe – von „Religioidem“ (vgl. ebd.: 61) – abhebt, Religion als eigenes ‚Gebilde‘ heraus. Als dieses gelten Simmel die religiösen „Beziehungswerte, die von ihrem sozialen Interesseninhalt gelöst und in die transzendente Dimension erhoben, Religion im engeren, selbständigen Sinne bedeuten“ (ebd.). Demgegenüber haben die im Sozialen angelegten „religiöse[n] Halbprodukte […] rein als soziologisches Ereignis mit der Religion als differenziertem Gebiet nichts zu tun“ (ebd.). Simmel geht es dabei folglich, ganz analog zu Dilthey, um die Entstehung eines ideellen Teilbereichs, um die Herauslösung bestimmter Bedeutungs- und Sinnstrukturen, bei dem dann erst in zweiter Instanz bestimmte institutionelle Komplexe bzw. ‚Organisationsformen‘ als Träger solcher Sinndifferenzierungen in den Blick kommen. Die Religion ist für ihn dabei ein Fall neben vielen anderen ‚Gebilden‘, die dieses Differenzierungsmuster zeigen: „So entstehen aus den zur Selbsterhaltung der Gruppe erforderlichen Verhaltungsweisen einerseits das Recht, das sie kodifiziert, andrerseits der Richterstand, dem die Anwendung desselben arbeitsteilig obliegt. So bildet sich aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die zuerst in unmittelbarer Kooperation Aller und nach der rohen Empirie des Tages geleistet wurde, einerseits die Technik heraus, als ein ideales System von Erkenntnissen und Regeln, andrerseits der Arbeiterstand, der nun der differenzierte Träger der entsprechenden Leistungen ist.“ (Simmel 1898: 114) 49 Dies ist im frühen Aufsatz von 1898 insofern noch nicht ganz klar zu sehen, als hier von der „religiösen Form“ sowohl als „Art der sozialen Wechselwirkung“ (ebd.: 112) als auch z.B. als „Spannungsgrad des Gefühls“ (ebd.: 113) die Rede ist. Die Ambivalenz ist in der späteren Abhandlung von 1906/1912 zugunsten der Bewusstseinskategorie aufgelöst. Letztere dient auch der Distinktion gegenüber dem Historischen Materialismus, der mit ähnlichen Analogien bzw. Widerspiegelungsthesen arbeitet: „Die alte Beobachtung, dass der Götterhimmel die Verabsolutierung von Empirischem ist, verliert hier ihren sensualistischaufklärerischen Sinn: niemals würde – wie diese letztere Gedankenrichtung sehr naiv glaubt – die Empirie transzendent geworden sein, wenn nicht die religiöse Lebensbewegtheit als apriorische Kategorie und Kraft zugrunde läge und das Gegebene nach ihrem Gesetz, aber nicht nach einem in jenem zu findenden, über sich hinaus triebe.“ (Simmel 1906/ 1912/1995: 113) Daneben werden die vom Materialismus postulierten Widerspiegelungsphänomene von Simmel (1898: 115) zu einem besonderen Fall eines allgemeineren „Sparsamkeitsprinzips“ erklärt, gemäß dem sich in vielfältigen Zusammenhängen Formen von einem Bereich in den anderen übertragen. 50 Daneben findet sich in diesem Aufsatz auch eine lebensphilosophische Akzentuierung von Religiosität als „Lebensprozess“, der sich in bestimmten Gebilden verwirklicht (vgl. Simmel 1906/1912/1995: 113). Krech (1998a: 239) sieht in der Abhandlung von 1906/1912 entsprechend ein Zusammenkommen der vielfältigen Schwerpunkte des Schaffens Simmels: des psychologischen, soziologischen, kultur- und lebensphilosophischen; ähnlich auch Geyer (1991: 186).

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Und ganz analog kommt es nach Simmel bei der Sonderung des im engeren Sinne Religiösen zu einem Komplex ideeller Inhalte, der mit seinem eigenen institutionellen Träger zusammengeht, aber davon zu unterscheiden ist. Jener Komplex umfasst die „Götter, welche die Beschützer der so gestimmten Beziehungen sind, welche als die Erreger dieser Gemütsverfassungen erscheinen, welche durch ihr Wesen das gleichsam gesondert darstellen, was bis dahin als bloße Beziehungsform und in Verschmelzung mit realeren Lebensinhalten existiert hatte. Und dieser Komplex von Ideen oder Phantasievorstellungen gewinnt nun in der Priesterschaft gleichsam eine Exekutive und arbeitsteiligen Träger, wie das Recht im Richterstand oder die Erkenntnissinteressen im Gelehrtenstand.“ (Ebd.)51

3.2.2.3 Religiöse Eigengesetzlichkeit Die „besonder[e] Gesetzlichkeit“ (Simmel 1906/1912/1995: 44; Herv. M.P.) und damit eben: Autonomie der Sinngebiete liegt, wie bei den anderen Kulturgebieten, auch im Falle der Religion für Simmel in einer einzigartigen Beobachtungsperspektive, die jeden Sachverhalt nach eigenen Maßgaben thematisieren kann. „Das religiöse Leben schafft die Welt noch einmal, es bedeutet das ganze Dasein in einer besonderen Tonart, so dass es seiner reinen Idee nach mit den nach anderen Kategorien erbauten Weltbildern sich überhaupt nicht kreuzen, ihnen nicht widersprechen kann, − so sehr das Leben des einzelnen Menschen durch all diese Schichten traversieren und, weil es nicht ihre Ganzheiten, sondern nur jeweils Teile von ihnen erfasst, sie zu Widersprüchen durcheinanderwirren mag.“ (Simmel 1906/1912/1995: 45)

Wie schon bei Dilthey verbinden sich damit deutliche Nähen zu Niklas Luhmanns (1997a: 88 und passim) Konzept der „Polykontexturalität“: Die Religion bildet mit den übrigen „objektiven Gebilden“ ein desaggregiertes Nebeneinander von Totalansichten, die sich an je eigenen Sachgesichtspunkten orientieren.

51 Daneben findet sich bei Simmel, wie bei Durkheim und Weber, auch eine Säkularisierungsthese, die er vor allem in der „Philosophie des Geldes“ (1900/1907/1989) darlegt. Mit dem Christentum wurde nach Simmel „[z]um ersten Mal in der abendländischen Geschichte [...] hier den Massen ein wirklicher Endzweck des Lebens geboten“ (ebd.: 491). Das Christentum hat damit das Bedürfnis nach einem Endzweck „fest einwurzeln lassen“ (ebd.). Mit dem Übergang zur Moderne geht eine Schwächung der religiösen Empfindung einher, das Bedürfnis nach einem Endzweck bleibt. (Diese Schwächung wird mitunter der ‚Aufklärung‘ zugeschrieben, vgl. Simmel [1918/1999: 205]). Das Geld nimmt nun Simmel zufolge in der Moderne eine ‚gottanaloge‘ Funktion ein, indem es einen „Endzweckcharakter“ (Simmel 1900/1907/1989: 308) gewinnt: „Das Geld tut sich eben gar zu leicht als Endzweck auf, es schließt bei gar zu vielen die teleologischen Reihen endgültig ab und leistet ihnen ein Maß von einheitlichem Zusammenschluß der Interessen, von abstrakter Höhe, von Souveränität über den Einzelheiten des Lebens, das ihnen das Bedürfnis abschwächt, die Steigerung eben dieser Genugtuungen in der religiösen Instanz zu suchen.“ (Ebd.: 307); vgl. hierzu auch Krech (1998a: 95ff.).

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Die Thematik der Eigengesetzlichkeit entfaltet sich bei Simmel aber auch in der zeitlichen Dimension. Dieser Akzent ist bei Dilthey in dieser Deutlichkeit noch nicht vorhanden. Gilt in sachlicher Hinsicht die Autonomie des jeweiligen Ideals und die eigene Perspektive auf die Welt, so ist in zeitlicher Hinsicht – und differenzierungsbezogen! – die eigengesetzliche Entwicklungslogik, die Simmel den objektiven Gebilden zuschreibt, hervorzuheben. Diese spezifischen Entwicklungsgesetze treiben allenthalben wie mit „logische[r] Notwendigkeit ein Glied nach dem andern hervor“ (Simmel 1919/1996: 408). Für die Technik ist dies in aller Deutlichkeit gesagt: „So kann etwa die industrielle Herstellung mancher Fabrikate die von Nebenprodukten nahe legen, für die eigentlich kein Bedürfnis vorliegt; allein der Zwang, jene einmal geschaffenen Einrichtungen voll auszunutzen, drängt darauf; die technische Reihe fordert von sich aus, sich durch Glieder zu komplettieren, deren die seelische, eigentlich definitive Reihe nicht bedarf – und so entstehen Angebote von Waren, die erst ihrerseits künstliche und, von der Kultur der Subjekte her gesehen, sinnlose Bedürfnisse wachrufen.“ (Simmel 1919/1996: 408f.)

Nichts anderes wird für die Wissenschaft konstatiert: Das bloße „Weitergehen der sachlichen Norm“ und der „Leergang der Methode“ (ebd.: 409) treiben die Wissenschaft immer weiter über sich hinaus in der „Bearbeitung des Unwesentlichen“, der sie von einem sinnvollen Bezug zur Kultur abkoppelt; eine Klage in die Husserl (1962) später in „Die Krisis der europäischen Wissenschaften“ einstimmen wird. Die Religion bildet hier für Simmel (1919/1996: 403) wiederum keine Ausnahme: „[S]elbst sie hat, einmal aufgekommen, gewisse Bildungsgesetze, die ihre, aber nicht immer unsere Notwendigkeit entfalten.“ Sie geht „ihren eigenen, durch ihre immanente Logik bestimmten Weg [...], in den sie zwar das Leben hineinreißt; aber, welche transzendenten Güter auch immer die Seele auf diesem Wege findet, er führt sie oft genug nicht zu der Vollendung ihrer Totalität, auf die ihre eigenen Möglichkeiten sie weisen und die, die Bedeutsamkeit der objektiven Gebilde in sich aufnehmend, eben Kultur heißt.“ (Ebd.)

Auch bei Max Weber spielen, wie noch zu zeigen sein wird, in der Thematik der Eigengesetzlichkeit die Entwicklungslogiken, welche eigene Pfadabhängigkeiten produzieren, gerade für die Religion eine zentrale Rolle.52 Dort findet sich auch die kul52 Die bei Simmel mitschwingende Dynamik eines ‚Hypertrophierens‘ ausdifferenzierter Ordnungen findet sich bei Max Weber (1921/1972: 59) vor allem in der Beschreibung des Auseinandertretens von formaler und materialer Rationalität. Auch hier ist mit formaler Rationalität das logisch-deduktive Weitergehen der spezifisch-sachlichen Postulate gemeint, das weitgehende Indifferenz übt gegenüber materialen Forderungen, etwa ethischer, politischer, utilitarischer, hedonischer, ständischer, egalitärer oder anderer Art (vgl. Weber 1921/1972: 45, 59). Für das Recht etwa schlägt sich eine solche Kollision von formalen und materialen Rationalitäten in formell korrekten Rechtsprechungen nieder, die sittliche Postulate wie Gerechtigkeit oder Menschenwürde verletzen (vgl. ebd.: 507). In der Kunst ist es „der Widerstreit, in den das materiale Ausdrucksbedürfnis mit den formalen Ausdrucksmitteln gerät“ (Weber 1923: 16). Der deutlichste Fall einer solchen Eigendynamik war für Simmel, Weber und Marx die Wirtschaft (vgl. auch Tyrell 1993b: 124). Für Sim-

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turpessimistische Note, die, wie es Simmel tut, in der Person den Leidtragenden der Auseinanderentwicklung und Widersprüchlichkeit der Lebensordnungen speziell hinsichtlich ihrer ethischen Postulate ausmacht.53 mel liegt hier wie in den anderen Ordnungen das zentrale Moment der Ausdifferenzierung in einer Zweck-Mittel-Vertauschung, einer „Metempsychose des Endzwecks“ (Simmel 1900/1907/1989: 297) oder, mit Luhmann gesprochen, einer „Hypostasierung der Funktion“ (vgl. hierzu Luhmann 1983). Die Kumulation von Geld, eigentlich Mittel zum Zweck, wird hier die eigentliche Grundlage des Wirtschaftens, Rentabilität der entscheidende Gesichtspunkt. Nicht anders hatte Marx in „Das Kapital“ beobachtet: Die Priorität des Tauschwerts über den Gebrauchswert ist ein solcher Fall einer Zweck-MittelVertauschung; die damit einhergehende Orientierung an der Maximierung von Profiten barg zudem für Marx ebenfalls eine Entwicklungslogik, die stets über sich hinaustrieb, untrennbar mit fortlaufender Expansion verbunden war und in diesem Fall letztendlich auf die (mit Weber gesprochen material irrationale) Vernichtung ihrer eigenen Grundlagen und damit das Ende des Kapitalismus hinauslaufen musste. Bei Max Weber kommt die Unterscheidung von formaler und materialer Rationalität für die Religion nicht zum Zuge, wohl aber die Unverträglichkeit religiöser Forderungen mit den Postulaten andere Lebensordnungen. 53 Vgl. hierzu Hennis (1984). Neben dieser negativen Beurteilung der Konsequenzen widersprüchlicher Ordnungen für das Individuum stimmen Simmel und Weber noch in anderen kulturpessimistischen Aspekten überein. So ist bei Simmel ein zentrales Moment der Verunmöglichung einer subjektiven Kultivierung die „quantitative Unbeschränktheit, mit der sich Buch an Buch, Erfindung an Erfindung, Kunstwerk an Kunstwerk reiht. [...] So entsteht die typisch problematische Lage des modernen Menschen: das Gefühl, von dieser Unzahl von Kulturelementen wie erdrückt zu sein, weil er sie weder innerlich assimilieren, noch sie, die potentiell zu seiner Kultursphäre gehören, einfach ablehnen kann.“ (Simmel 1917/1999: 38f.) Ähnliches konstatiert Weber (1920/1988: 569; 1922/1988: 594) im Anschluss an Leo Tolstoi. Anders als ein Bauer aus alter Zeit, der noch „lebenssatt“ sterben konnte wie Abraham, kann der Tod heute kein sinnvolles Ende des Lebens sein, „weil ja das zivilisierte, in den ‚Fortschritt‘, in das Unendliche hineingestellte einzelne Leben seinem eigenen immanenten Sinn nach kein Ende haben dürfte. Denn es liegt ja immer noch ein weiterer Fortschritt vor dem, der darin steht; niemand der stirbt, steht auf der Höhe, welche in der Unendlichkeit liegt.“ (Ebd.) Das Durkheim‫ތ‬sche (1897/1973: 279ff.) Konzept der Anomie liegt insofern auch auf dieser Linie, als es um eine fehlende Begrenzung von Ansprüchen geht. Im Übrigen stimmen Weber und Simmel auch darin überein, dass der Krieg in dieser Beziehung diesem Sinndefizit beikommen könnte. Für Weber (1920/1980: 548) unterscheidet sich der „Tod im Felde“ insofern von dem sinnlosen Ende, als hier „der Einzelne zu wissen glauben kann: daß er für etwas stirbt“. Und für Simmel (1917/1999: 40) versinkt hinter dem Soldaten „der ganze Apparat der Kultur, nicht nur weil er ihn tatsächlich entbehren muß, sondern weil Sinn und Forderung der Existenz im Kriege auf einer Leistung steht, deren Wertbewußtsein nicht erst den Umweg über Objekte nimmt“. Neben dieser quantitativen Überforderung durch das exponentielle Wachstum der objektiven Kultur ist es für Simmel (1917/1999: 38) aber vor allem eine „qualitative Fremdheit“ der Kulturprodukte, die mit einem subjektiven Sinnverlust einhergeht. Einerseits liegt die Ursache für ihn in der „Einseitigkeit der Förderung“ (Simmel 1919/1996: 400), die man durch ein spezifisches Kulturgebilde erfährt. Es entwickelt nicht die Persön-

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Damit verbindet sich bei Simmel wie schon bei Dilthey mit den Eigengesetzlichkeiten ein desintegratives Verhältnis der Kulturgebiete untereinander. Simmel setzt folglich, wie schon in seiner soziologischen Untersuchung zur sozialen Differenzierung, auch bei seiner Kulturtheorie nicht auf Interdependenz und Integration der Kulturgebiete, sondern auf Interdependenzunterbrechung, die ein Auseinanderlaufen der „Kulturgebilde“ zur Folge hat: „daß die objektive Kultur sich in einem Maß und Tempo entwickelt, mit dem sie die subjektive Kultur weit und weiter hinter sich läßt, in der doch allein alle Vervollkommnung der Objekte ihren Sinn hat; daß die einzelnen Zweige der Kultur zu einer Richtungsverschiedenheit und gegenseitigen Entfremdung auseinanderwachsen, daß sie als Gesamtheit eigentlich schon vom Schicksal des babylonischen Turmes ereilt und ihr tiefster Wert, der gerade in dem Zusammenhang ihrer Teile besteht, mit Vernichtung bedroht scheint: dies alles sind Widersprüche, die wohl von der Kulturentwicklung als solcher unabtrennlich sind.“ (Simmel 1917/1999: 51f.)

In der Diagnose eines Konflikts und der Kollision der Ordnungen untereinander stimmen Dilthey, Simmel und Weber somit weitgehend überein (vgl. hierzu Tyrell 1999: 161ff.).54 Dem widersprüchlichen Auseinandertreten der einzelnen Ordnungen entspricht, noch sehr viel deutlicher als bei Dilthey, auch in der Kulturphilosophie ein weitgehender Verzicht auf einen ‚makrosoziologischen‘ Gesellschaftsbegriff, der vom ‚Ganzen‘ ausgeht. Simmel (1919/1996: 414f.) sieht gerade in der „Formlosigkeit des objektivierten Geistes als Ganzheit“ die Bedingung der Möglichkeit des „Entwicklungstempo[s]“ der einzelnen objektiven Kulturgebilde, „hinter dem das des subjektiven Geistes in einem rapid wachsenden Abstand zurückbleiben muss“. Es bleibt damit für Simmel festzuhalten, dass die differenzierungstheoretischen Kontinuitäten mit Dilthey insbesondere in seinen kulturphilosophischen Schriften liegen. Im Einklang mit Dilthey und entgegen der französischen und englischen Tradition wird dabei ganz entschieden auf die Ausdifferenzierung „ideeller Komplexe“ abgestellt. So ist auch die Heraussonderung von Religion als differenzierter Bereich lichkeit als Ganzes, sondern nur einen Spezialismus, der sich nicht seelisch integrieren lässt. Zum anderen bedingt die immer weitläufigere Arbeitsteilung eine fehlende „Durchseeltheit“ (ebd.: 414) der Produkte, die sich folglich im Konsum dem Subjekt nicht erschließen. Die Lamenti über das „vom Leben abgeschnürt[e] Spezialistentum“ (ebd.: 413) auf der einen Seite, über das „fortwährende ,Angeregtsein‘ des Kulturmenschen“ und „bloße Kennen oder Genießen von tausend Dingen“ (ebd.: 415) auf der andern haben eine unabweisbare Parallelität zu Webers (1920/1988: 204) Diktum vom „Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz“. 54 Während in der Kulturphilosophie Simmels eher das Nebeneinander und der ‚Relativismus‘ kognitiv unterschiedlicher „Weisen der Welterzeugung“ (mit Nelson Goodman gesprochen) im Blick sind, findet sich das näher an Weber liegende Gegeneinander von quasi-ethischen Forderungen, die von den jeweiligen Lebensordnungen ausgehen, vor allem in der „Einleitung in die Moralwissenschaft“ von 1892/1893. Hier ist vom „Konflikt der Pflichten“ (Simmel 1893/1991: 348ff.) die Rede, die mit der Differenzierung ins Nebeneinander in Zusammenhang gebracht werden. Nicht zuletzt die Tatsache, dass auch hier der Akzent deutlich auf „Unaustragbarkeit“ liegt, lässt Tyrell (1999: 165) in Simmel eine wesentliche Quelle für Webers eigene Kollisionsthematik sehen.

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zunächst als die Herauslösung einer vorher nur diffus angelegten Sinnperspektive zu verstehen. Rollenkomplexe und institutionelle Momente gelten dabei lediglich als arbeitsteilige Träger solcher Sinnhorizonte. Damit verbindet sich auch der Akzent auf eine Eigengesetzlichkeit, die sich bei Simmel nicht nur in einer eigenen Sachlogik, sondern auch in einer immanenten Entwicklungsdynamik ausdrückt. Wie bei Dilthey werden Interdependenzunterbrechungen der Teilgebiete untereinander betont und nicht etwa deren Interdependenz und Komplementarität, wie dies bei Spencer und Durkheim der Fall ist. Die entsprechende Konsequenz ist bei Simmel wie auch bei Weber und Dilthey eine Diagnose von Widersprüchlichkeit und Konflikt und damit der Verzicht auf Integrationsfiguren. Wie im Folgenden zu zeigen ist, wird diese Linie von Weber konsequent weitergeführt. Seine universalgeschichtliche Untersuchung zur Religion hat einen großen differenzierungstheoretischen Ertrag, auch wenn Weber den Begriff der Differenzierung weitgehend meidet. 3.3 Max Weber Was schon bei Simmel im Begriffsapparat seiner Kulturtheorie angelegt ist, für Religion aber eher nebensächlich zur Sprache kommt, steht bei Max Weber nun ganz entschieden im Mittelpunkt seiner Betrachtungen.55 Es ist dies die Betonung der „Eigengesetzlichkeit des Religiösen“ (Weber 1921/1972: 264) und, damit verbunden, der Augenmerk auf dessen besonderen „Sinn“ (ebd.: 245). Die Zentralität des Themas der Eigengesetzlichkeit ist bei Weber nur vor dem Hintergrund seines Programms einer Sozialökonomik zu verstehen, die nach den Relevanzen anderer Lebensordnungen für und deren Bedingtheiten durch die Ökonomie fragt (vgl. Tyrell 1992: 182). Mit Eigengesetzlichkeit ist dann nicht zuletzt eine Richtung der Kausalzurechnung gemeint, die, im Falle von Religion, Religiöses wiederum nur auf Religiöses (und nicht auf Ökonomisches) zurückrechnet. Das bedeutet zum einen eine Indifferenz bzw. konfrontative Differenz der religiösen Handlung gegenüber den Zwecken und Geboten anderer Lebensordnungen – ein Aspekt, der sich in Ansätzen schon bei Dilthey und Simmel findet. Zum anderen betrifft Eigengesetzlichkeit die religiöse Entwicklung selbst, die von spezifisch religiösen Problemen vorangetrieben wird und gegenüber vorhergehenden evolutionären Abzweigungen und Errungenschaften in einer Pfadabhängigkeit steht. In beiderlei Hinsichten sind damit Interdependenzunterbrechungen am Übergang von einer Sinndomäne zur anderen im Blick. Das Thema der Eigengesetzlichkeit steht in mancher Hinsicht mit dem Konzept der Rationalität bzw. Rationalisierung einer „Lebensordnung“ und ihrer Ausdifferenzierung in Verbindung, ist damit aber keinesfalls identisch. Bevor hier die differenzierungstheoretischen Gesichtspunkte der Weber’schen Erörterungen einer näheren Betrachtung unterzogen werden, lohnt es sich daher, einige Bemerkungen zum Zusammenhang der beiden Konzepte vorauszuschicken (3.3.1). Unter der Annahme einer differenzierungstheoretisch bedeutsamen Rolle der religiösen „Gesinnungsethik“ sollen dann die Untersuchungen Webers zu evolutionär ‚vorzeitigen‘ Religionsformen auf ihre Implikationen für das Differenzierungsthema befragt werden (3.3.2). Vor 55 Zur zentralen Stellung der Religionssoziologie in Webers Gesamtwerk vgl. anstatt vieler Bendix (1964); Tenbruck (1975); Weiß (1992: 103ff.).

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diesem Hintergrund gilt es abschließend in fünf Punkten die zentralen differenzierungsbezogenen Konsequenzen einer „gesinnungsethischen Sublimierung“ des Religiösen zu beleuchten (3.3.3). 3.3.1 Rationalisierung und Eigengesetzlichkeit Der Begriffskomplex ‚Rationalität/Rationalisierung/Rationalismus‘ trägt bei Max Weber mehrere Konnotationen. Weber selbst wird nicht müde, auf die Vielschichtigkeit und Überdetermination des Begriffs hinzuweisen. So schreibt er in der Vorbemerkung zu den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“: „Nun kann unter diesem Wort [d.h. Rationalismus, M.P.] höchst Verschiedenes verstanden werden, wie die späteren Darlegungen wiederholt verdeutlichen werden. Es gibt z.B. ‚Rationalisierungen‘ der mystischen Kontemplation, also: von einem Verhalten, welches, von anderen Lebensgebieten her gesehen, spezifisch ‚irrational‘ ist, ganz ebenso gut wie Rationalisierungen der Wirtschaft, der Technik, des wissenschaftlichen Arbeitens, der Erziehung, des Krieges, der Rechtspflege und Verwaltung. Man kann ferner jedes dieser Gebiete unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und Zielrichtungen ‚rationalisieren‘, und was von einem aus ‚rational‘ ist, kann vom andern aus betrachtet, ‚irrational‘ sein.“ (Weber 1920/1988: 11)

Rationalität ist somit ein relativer Terminus, der eine (nicht wiederum rational zu begründende) Wahl eines Gesichtspunkts voraussetzt, von dem aus eine spezifische Handlung als rational bzw. irrational bezeichnet werden kann. In handlungstheoretischer Hinsicht grenzt sich der Rationalitätsbegriff von den Gegenbegriffen des affektuellen und traditionalen Handelns ab. Diese beiden Formen liegen allenfalls an der Schwelle zum sinnhaft orientierten und bewussten Handeln, insoweit beim affektuellen Verhalten insbesondere Bedingtheiten durch „aktuelle Affekte und Gefühlslagen“ bestehen und mit traditionalem Verhalten das „dumpfe, in der Richtung der einmal eingelebten Einstellung ablaufend[e] Reagieren auf gewohnte Reize“ (Weber 1922/ 1988: 565) gemeint ist. Davon lassen sich wertrationales und zweckrationales Handeln unterscheiden; die Rationalität des ersteren liegt in der „bewußte[n] Herausarbeitung der letzten Richtpunkte des Handelns“ und einer „konsequente[n] planvolle[n] Orientierung daran“, während für die Zweckrationalität eine abwägende Orientierung an Zweck, Mittel und Nebenfolgen konstitutiv ist (ebd.: 566). Rationalitätsfragen können bereits die isolierte Handlung betreffen. Demgegenüber bezieht sich Rationalisierung als Prozess bei Weber zum einen auf eine zunehmende Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit der sozialen und natürlichen Umwelt (vgl. Gabriel 1979: 19; vgl. hierzu auch Weiß 1992: 137ff.). Zum anderen beschreibt der Begriff die voranschreitende Zusammenfassung mehrerer Handlungen oder auch handlungswirksamer Ideen zu einem immer umfassenderen, kohärenteren Gebäude. In letzterem Zusammenhang beziehen sich die Konzepte „Rationalisierung“ und „Rationalismus“ insbesondere auf Weltbilder und Formen der Lebensführung und bedeuten hier eine Steigerung der logischen Konsequenz, Methodik und Einheitlichkeit (vgl. Gabriel 1979: 19). Gerade hier liegen dann differenzierungsrelevante Potentiale der Entfaltung religionsspezifischer Eigengesetzlichkeiten. Im Sinne der sozialökonomischen Fragestellung, die ihren Stimulus von Marx’ Basis-Überbau-Theorem bezieht (vgl. Tyrell 1990: 171ff.; 1992: 182ff.), ist Webers Blick auch für weniger am-

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bitiöse Eigengesetzlichkeiten sensibilisiert, die noch diesseits der Ausdifferenzierung eines religiösen Handlungsbereichs im Sinne einer einheitlichen Heraussonderung und sachlichen Bereinigung liegen. In differenzierungstheoretischer Hinsicht entscheidender sind allerdings solche Eigengesetzlichkeiten, die durch die zuletzt genannten Rationalisierungsschübe auf ein unmittelbar ausdifferenzierungswirksames Niveau gehoben werden. So gewinnt mit dem aufkommenden Drang zur logischen Konsequenz die religiöse Ideenentwicklung eine Eigendynamik, die einen selbstbezüglichen Produktionszusammenhang begründet. Eine zunehmende Methodik der religiösen Lebensführung zeichnet sich ferner durch konsequent durchgehaltene, dauerhafte Unbeirrbarkeiten gegenüber den Imperativen anderer Lebensgebiete aus. Dies sind einige der Gründe, warum in differenzierungstheoretischer Hinsicht die Rationalisierung des Religiösen hin zur „Gesinnungsethik“ eine entscheidende evolutionäre Zäsur darstellt. Um die differenzierungsbezogenen Implikationen gesinnungsethischer Religiosität ausreichend verständlich zu machen, gilt es im Folgenden zunächst einen Blick auf Webers systematische Ausführungen zu den weniger voraussetzungsvollen Formen von Religiosität zu werfen. 3.3.2 Religion und Ausdifferenzierung ‚vor‘ der „gesinnungsethischen Sublimierung“ An den Wurzeln des Religiösen liegt für Weber das spezifische Problem individuellen Leidens, dessen sich der Gemeinschaftskult nicht annahm (vgl. Weber 1920/ 1988: 243). Zur Abwendung von Übeln, die den Einzelnen betrafen, wie auch für individuelle Vorteile wurden Zauberer bemüht: „‚Auf daß es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden‘, sollen die religiös und magisch gebotenen Handlungen vollzogen werden“ (Weber 1921/1972: 245). Anders als bei Durkheim liegt bei Weber der Ausgangspunkt des Religiösen damit nicht im Kult der Gemeinschaft, sondern im ‚Zulauf‘ zu „individuellen Seelsorgern“, der „unter günstigen Umständen zu einer von den ethnischen Verbänden unabhängigen ,Gemeinde‘-Bildung“ (Weber 1920/1988: 243; Herv. M.P.) führt (vgl. hierzu auch Tyrell 2008a: 197ff.). Personen, die zu den entsprechenden magischen Handlungen befähigt sind, sowie Objekte, die als Mittel magischer Handlungen dienen, zeichnen sich Weber zufolge durch ihre Außeralltäglichkeit aus – anhand der Differenz alltäglich/außeralltäglich, für die wiederum eine Nähe zu Durkheims Unterscheidung von sakral und profan zu konstatieren ist, erfolgt eine Zuschreibung von religiösem Charisma und damit von besonderen Kräften und Fähigkeiten. Damit unmittelbar verwoben ist zumeist die Vorstellung von „‚hinter‘ dem Verhalten der charismatisch qualifizierten Naturobjekte, Artefakte, Tiere, Menschen, sich verbergenden und ihr Verhalten irgendwie bestimmenden Wesenheiten“ (Weber 1921/1972: 246). Folglich ist für Weber schon im urwüchsigen magisch-religiösen Handeln eine Prädisposition zum Symbolismus angelegt. Typischerweise treten dann naturalistische Vorstellungen, die von einer den Objekten unmittelbar zukommenden religiösen Wirksamkeit ausgehen, im Weiteren zurück; sie weichen der Annahme von „hinter den realen Dingen und Vorgängen“ (ebd.: 248) befindlichen übersinnlichen Mächten, die durch diese Dinge nur symbolisiert werden und folglich wiederum nur durch symbolisches Handeln zu beeinflussen sind. Löst sich eine solche „Hinterwelt“ von den konkreten Dingen und Vorgängen

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ab, können sich prinzipiell alle Objekte und Handlungen, so Weber, mit Bedeutungsüberschüssen anreichern, die auf dieses „Reich der Seelen, Dämonen und Götter“ (ebd.: 248) verweisen. Darin gründet einerseits eine Sogwirkung des Symbolismus auf „alle Kreise menschlicher Tätigkeit“ (ebd.). Andererseits geht daraus eine generell stereotypierende Wirkung auf die Lebensführung hervor, die nun allenthalben unter dem Bann unabänderlicher Riten steht: „Jede Änderung eines Brauchs, der irgendwie unter dem Schutz übersinnlicher Mächte sich vollzieht, kann die Interessen von Geistern und Göttern berühren.“ (Ebd.: 249) Damit folgt das religiöse Handeln für Weber schon sehr früh einer Eigenlogik im Sinne der Indifferenz gegenüber anderen, etwa ökonomischen Gesichtspunkten der Rationalität. Besonders evident wird dies im Falle des magisch motivierten Tabus. Zwar kann es einerseits durchaus im Dienste „außerreligiöser Interessen“ stehen, wie Weber am Beispiel des Eigentumsschutzes illustriert. Doch konstatiert er zugleich angesichts der „unglaublichen Irrationalität seiner, oft gerade für die durch Tabu Privilegierten selbst, qualvoll lästigen Normen“ die „höchst eigenwillige Eigengesetzlichkeit des Religiösen“ (Weber 1921/1972: 264). Nicht weniger drängt sich dies etwa für die mit dem magischen Geisterglauben verbundene Divination auf; so beschreibt Weber (ebd.: 262), wie im russischen-japanischen Krieg die Japaner militärisch günstige Gelegenheiten aufgrund ungünstiger Divination ungenutzt verstreichen lassen mussten. Einer Eigengesetzlichkeit des Religiösen ist aber, wie bereits angedeutet, nicht notwendigerweise an eine Rationalisierung und Ausdifferenzierung gebunden. So ist gerade mit diesem magisch-rituellen56 Handeln, so lässt sich den Ausführungen Webers entnehmen, vielmehr ein geringer Ausdifferenzierungsgrad verknüpft: Dort, wo nahezu alles Handeln sich mit einem religiös-symbolistischen Bedeutungsüberschuss anreichert, ist das „religiöse oder ‚magische‘ Handeln oder Denken [...] gar nicht aus dem Kreise des alltäglichen Zweckhandelns auszusondern“ (Weber 1921/1972: 245). Dies gilt noch für die religionsgeschichtlich mitunter voraussetzungsvolleren Formen einer Gesetzesreligiosität und eines Ritualismus. Wo die Religiosität statt in einer systematisierten Lebensführung vielmehr in der Beachtung relativ unverbundener religiöser Einzelnormen besteht, verquicken sich die rituellen Vorkehrungen allenthalben mit den unterschiedlichsten Handlungen. Deutlich illustriert Weber (1921/1972: 250) dies am Beispiel der römischen Religion und ihrer „religio“ im Sinne der „Gebundenheit an die erprobte kultische Formel und ‚Rücksichtnahme‘ auf die überall im Spiel befindlichen numina aller Art“. Hier war „[d]as gesamte Alltagsleben des Römers und jeder Akt seines Handelns [...] durch die religio mit einer sakralrechtlichen Kasuistik umgeben, welche seine Aufmerksamkeit rein quantitativ ebenso in Anspruch nahm, wie die Ritualgesetze der Juden und Hindus und das taoistische Sakralrecht der Chinesen“ (ebd.: 250f.). 56 Ritualismus muss nicht mit Magie im Sinne eines wesentlich symbolistischen Handelns zum Zwecke des „Gotteszwangs“ einhergehen. Er kann für Weber auch auf dem Boden einer rationalisierten Erlösungsethik stehen, wie im Falle des Judentums mit seiner Konzeption eines Gesetzestreue fordernden Gottes oder, wie im Hinduismus, mit der „Karmanlehre“ als der Vorstellung eines mit Kastenvorschriften einhergehenden Vergeltungsprinzips. In seinen stereotypierenden Konsequenzen für die Lebensführung ist der reine Ritualismus indes nicht von der Zauberei zu unterscheiden, so Weber (1921/1972: 348).

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Noch dazu gerät eine ritualistische Religiosität, die sich in einem „ethisch unmethodischem Nacheinander einzelner Handlungen“ (Weber 1921/1972: 324) erschöpft, in ihrer konsequenten Eigengesetzlichkeit gegenüber anderen Lebensordnungen schnell an ihre Grenzen. Wo Einzelnormen bestenfalls lose gekoppelt sind, können „ökonomische Bedürfnisse“ diesen Bestand nur allzu leicht unterspülen. Die Folge, die Weber hier skizziert, ist „das unvermittelte Nebeneinanderstehen absolut unerschütterlicher Stereotypierungen einerseits mit außerordentlicher Willkür und völliger Unberechenbarkeit des davon wirklich Geltenden andererseits“ (ebd.: 349). Wo sich religiöses Handeln in der Richtung orgiastisch-ekstatischer Zuständlichkeiten bewegt, arbeitet das damit verbundene fortlaufende Alternieren und der „Widerspruc[h] zwischen außeralltäglichem und alltäglichem religiösen Habitus“ (ebd.: 326) gleichfalls einem hohen Ausdifferenzierungsgrad entgegen, so geben die Darstellungen Webers zu verstehen. Das „Transitorische“ des religiösen Erlebnisses, wie es sich etwa in der „akuten Ekstase“ (ebd.: 325) einer Orgie darstellt, widerstreitet einer konsequenten ‚Aufdauerstellung‘ des Religiösen. Die gezielt gesuchte Differenzerfahrung zwischen Außeralltäglichkeit und Alltäglichkeit setzt notwendig voraus, dass es beim religiösen „Gelegenheitshandeln“ bleibt. Darüber hinaus entbehrt der orgiastische Rausch des „‚sinnhaften‘ Gehalts“ und verhindert somit die Entwicklung einer religiös einheitlichen „sinnhafte[n] Beziehung zur Welt“ (ebd.). Allenfalls auf Rollenebene zeigen sich unter Bedingungen magischer bzw. orgiastischekstatischer Religiosität Momente der Ausdifferenzierung im Sinne eines ‚Aufdauerstellens‘ des magisch-religiösen Wirkens, namentlich in Gestalt des Zauberers und der damit einhergehenden Ausarbeitung der Magie als „Kunst“. In der Rollendifferenzierung und damit der Freistellung von Personal nicht nur für religiöse Dienstleistungen, sondern auch für die ideell-systematisierende Bearbeitung der „Hinterwelt“ sieht Weber den Ausgangspunkt aller weiteren Entwicklungspfade des Religiösen. Zu den möglichen Etappen zählt Weber: das „Perennieren“ von Gottheiten, die anders als die „Augenblicksgötter“ hinter den konkret-stofflichen Umständen einer Situation dauernd angerufen werden können; eine Systematisierung des „Götterpantheons“ mit zunehmender Spezialisierung und Kompetenzabgrenzung der Götter gegeneinander; eine Anthropomorphisierung der Gottheiten, die in Verbindung steht mit einem Übergang vom Gotteszwang zum Gottesdienst; die Entwicklung „‚spezifisch ethisch qualifizierter Gottheiten“ (ebd.: 262; Herv. i.O.), die eine ethische Ordnung unter ihren Schutz stellen; die Konzeption der „Sünde“, in deren Kontext die individuell widerfahrenden Übel als gottgewollte Heimsuchungen interpretiert werden und die Erlösung davon durch „Frömmigkeit“ zu erlangen ist; schließlich die Rationalisierung und Systematisierung dieser ethischen Konzeptionen in der Dynamik zwischen Prophetie, Priestertum und Laientum. Speziell die Prophetie treibt Weber zufolge die für seine Untersuchung ausschlaggebende Entwicklung voran. Sie liegt in der „prinzipielle[n] Systematisierung des religiös Gesollten zur ‚Gesinnungsethik‘“, die eine „sinnhaft[e] Gesamtbeziehung der Lebensführung auf das religiöse Heilsziel“ (ebd.: 349; Herv. i.O.) bedeutet. In der Prädestinationslehre des asketischen Protestantismus sah Weber „ein Mittel der denkbar intensivsten systematischen Zentralisierung“ (ebd.: 348) einer solchen Gesinnungsethik. Webers Leitthema war dabei die Frage, warum gerade auf dem Boden des Okzidents „Kulturerscheinungen [...] von universeller Bedeutung und Gültigkeit“ (Weber 1920/1988: 1) auftreten konnten. Im Blick waren ihm dabei die Wissen-

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schaft, die Kunst, der Staat und die fachgeschulte Beamtenorganisation sowie der Kapitalismus – dies jeweils auf der Stufe eines „anderwärts“ ungekannten Rationalismus. Entscheidender Wegbereiter dieser Entwicklung war für Weber bekanntlich ebenjener asketische Protestantismus. Mit seiner Prädestinationslehre und dem Bewährungsgedanken stellte dieser Motive für eine Lebensführung bereit, die sich die methodische Erfüllung des „Berufs“ im Sinne einer „rational nüchterne[n] Mitarbeit an den durch Gottes Schöpfung gesetzten sachlichen Zwecken der rationalen Zweckverbände der Welt“ (Weber 1921/1972: 329; Herv. i.O.) zum Ziel machte.57 In diesem religiös-asketischen Weltbild hatten die verschiedenen Lebensordnungen zwar nicht ihren Entstehungsgrund. Sie fanden darin jedoch eine „ethische Unterlage“, so Weber (1920/1988: 190), die sie in die dem Okzident eigentümlichen „Bahnen der Rationalisierung“ (ebd.: 11; Herv. i.O.) lenkte. In der Sensibilität für die historische Kontingenz dieser Entwicklung und der „Unnatürlichkeit“ der Entstehung des aus heutiger Sicht Selbstverständlichen liegt nicht zuletzt das Ausgangsproblem von Webers „Protestantischer Ethik“ (vgl. Tyrell 1990). Die „historische Einmaligkeit“ liegt dabei nicht nur im „wahlverwandtschaftlichen Einanderfinde[n]“ (Tyrell 1994: 397) und wechselseitigen Stützen unabhängiger Entwicklungsreihen, wie im Falle des asketischen Protestantismus und des Kapitalismus58, sondern schon im religionsgeschichtlichen Prozess der „Entzauberung“ der Welt als Ausgangspunkt der Rationalisierung der Lebensordnungen, wie er in der altjüdischen Prophetie seine Voraussetzungen hatte und in der protestantischen Ethik „seinen Abschluß [fand]“ (Weber 1920/1988: 94f.). Die Rolle, die diese Stufe der ethischen Rationalisierung für die Freisetzung und das Ingangkommen der Rationalitäten anderer „Lebensgebiete“ wie Kapitalismus, Wissenschaft, Kunst und Recht spielt, braucht hier nicht weiter zu interessieren.59 Für die vorliegende Untersuchung ist vielmehr der religiöse Ausdifferenzierungsschub von Relevanz, den die Entwicklung zur Gesinnungsethik im Rahmen der Weber’schen Darstellungen bedeutet.

57 Man könnte hier von einer ethischen Fundierung der für die Moderne entscheidenden Ausprägungen auf den vier zentralen Parsons‫ތ‬schen „pattern variables“ reden: affektive Neutralität, Universalismus, Leistung und funktionale Spezifität. 58 Weber (1920/1988: 11) betont dabei allerdings auch die historische Rolle weiterer Rahmenbedingungen für die Entstehung des modernen Kapitalismus, namentlich des „berechenbaren Rechts“ und „der berechenbaren technischen Arbeitsmittel“. 59 Vgl. hierzu anstatt vieler Tyrell (1993a), der Webers Argument dahingehend rekonstruiert, dass nur der gesinnungsethische und vom religiösen Pathos getragene Hang zum Prinzipiellen das Potential besaß, das Geltende außer Kraft zu setzen und die wertrationalen ‚Unbedingtheiten‘ der anderen Lebensordnungen unter zunächst religiöser Ägide auf den Weg zu bringen. Zu Nietzsches Einfluss auf Weber in diesem Zusammenhang siehe Tyrell (1990). Damit verbinden sich bei Weber (wie Nietzsche) ‚tragische‘ Prozessverläufe, bei denen die Rationalitäten, wie sie durch eine religiöse Askese überhaupt erst freigesetzt und ermöglicht werden, letztlich die „Depotenzierung“ (Tyrell 1993a) des Religiösen einleiten. Vgl. speziell für den Fall der Wissenschaft Tyrell (1991).

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3.3.3 Gesinnungsethik und Ausdifferenzierung In differenzierungstheoretischer Hinsicht gilt es zur Weber‫ތ‬schen Konzeption der Gesinnungsethik im Folgenden fünf Anmerkungen zu machen. Sie betreffen das damit verbundene reine Hervortreten spezifisch religiösen Sinns (3.3.3.1); die Differenz und Abweichung des Religiösen von anderen Lebensordnungen (3.3.3.2); die spezifische Eigenproblematik (3.3.3.3); die Aufdauerstellung des religiösen Sinngeschehens (3.3.3.4); schließlich eine interne Differenzierung des Religiösen (3.3.3.5). 3.3.3.1 Religiöser Sinn Für Weber kommt mit der Gesinnungsethik in einem religionsgeschichtlich bisher ungekannten Maße der verkündete religiöse Sinn objektiv zur Geltung. Dies wird in engen Zusammenhang gebracht mit einer Überwindung der Magie, wie sie Weber am konsequentesten durch die protestantische Ethik vollzogen sah. Die für seine Fragestellung entscheidende Folge dieser gesinnungsethischen „Entzauberung“ lag in der Freistellung des Handelns für die rationale Verknüpfung von Zwecken und Mitteln. Dies galt Weber als Voraussetzung für die kulturell so bedeutsamen Rationalisierungen der verschiedenen Lebensordnungen, insbesondere des modernen Kapitalismus. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass im zunehmenden Abstreifen des Magischen auch bedeutsame Implikate für die Sphäre der Religiosität selbst liegen. Das unter Differenzierungsgesichtspunkten entscheidend Neue, das Weber (1921/ 1972: 275) zufolge mit der Gesinnungsethik auf den Weg kommt, ist der religiöse Anspruch, „Leben und Welt“ auf einen „bestimmten systematisch einheitlichen ‚Sinn‘“ zu bringen, der als Orientierung prinzipiell allen Verhaltens dienen kann. Das Zurückdrängen magischen wie auch rituellen Handelns ist hierfür entscheidend: Dessen starre Stereotypierung muss stets eine weitreichende Sinnentleerung des Handelns bedeuten. Es wird von Weber folgerichtig mit abweichungsresistentem und gewohnheitsmäßigem Traditionalismus in Verbindung gebracht (vgl. Weber 1923: 303; dazu Tyrell 1993a: 304). Zwar kann für Weber Magie durchaus auch in einem Zusammenhang mit subjektiv zweckrationalen Handlungsorientierungen stehen, etwa wenn ein Geisterzwang zum unverzichtbaren Bestandteil eines diesseitig ausgerichteten, „praktischen rechnenden Rationalismus“ wird (Weber 1921/1972: 259; Herv. i.O.). Allerdings: Der ‚Sinn‘ des Verhaltens liegt dabei weniger in den religiösen Komponenten als vielmehr in den durch dieses Handeln verfolgten „rein äußeren Vorteilen des ökonomischen Alltags“ (ebd.). Erst im Zuge einer einheitlichen Systematisierung des Religiösen jenseits magischer Rücksichten differenzieren sich Weber zufolge eigene religiöse Zwecke und vor allen Dingen: Werte aus, die ein daran orientiertes Handeln, von einem außerreligiösen Standpunkt betrachtet, „irrationalisier[en]“ (ebd.). Die Religiosität nimmt so „mit zunehmender Entzauberung der Welt zunehmend (subjektiv) zweckirrationalere Sinnbezogenheiten (‚gesinnungshafte‘ oder mystische)“ an (Weber 1922/1988: 433). Die ‚Reinigung‘ des Religiösen von magischen Elementen geht folglich einher mit einem stärkeren Hervortreten rein religiösen Sinns – man darf sogar sagen: mit einer zunehmenden ‚Selbstreferentialität‘ des religiösen Sinns, insoweit hier, anders als bei der Magie, sowohl der terminus a quo als auch der terminus ad quem des Handelns religiös besetzt sind. In einem ähnlichen Zusammenhang ist die bei Weber geschilderte gesinnungsethische „Distanz“

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gegenüber ekstatischen Elementen zu sehen. Letztere „entbehren des ‚sinnhaften‘ Gehalts, den die prophetische Religiosität entfaltet“ (Weber 1921/1972: 325), und stehen damit einer reflektierten und methodischen Ausrichtung am religiösen ‚Eigenwert‘ diametral entgegen – dies wurde oben bereits erörtert. Magiefeindlichkeit, Abkehr vom Ritualismus und Ablehnung des Orgiastischen im Zuge einer religiösethischen Rationalisierung sind damit zugleich Korrelate und Voraussetzungen einer zunehmenden ‚Destillierung‘ religiösen Sinns und damit einer weiterreichenden Entfaltung und Verschärfung der religiösen Eigendynamik.60 Folglich liegt hier eine Differenzierungsperspektive vor, wie sie auch schon Simmel anbietet und die auf Dilthey zurückweist: Es geht um eine ‚reinigende‘ und ‚steigernde‘ Heraussonderung eines spezifisch religiösen Sinngebiets. Ebenso wie bei Simmel und Dilthey wird dieses ideelle Moment der Ausdifferenzierung zudem von seinen sozialstrukturellen Korrelaten bzw. Promotoren unterschieden: „Prophetie und Priestertum sind die beiden Träger der Systematisierung und Rationalisierung der religiösen Ethik“ (Weber 1921/1972: 368). 3.3.3.2 Differenz und Abweichung Mit dem Durchbruch zur Gesinnungsethik stellt das Religiöse für Weber ganz auf Differenz und Abweichung von den anderen Lebensordnungen ab. Jene birgt den Anspruch, alle „Lebensäußerungen“ zu einer einheitlichen „Lebensführung“ nach letzten, ‚Höchstrelevanz‘ beanspruchenden Prinzipien zu systematisieren. Nach Weber (1921/1972: 349) sind in der ritualistischen Religiosität – wie in I.3.3.2 erwähnt – punktuelle Anpassungen an die Ansprüche und Bedürfnisse anderer Lebensgebiete in dem relativ zusammenhangslosen Nebeneinander religiöser Einzelnormen verhältnismäßig unproblematisch und häufig. Dies ändert sich maßgeblich im Zuge einer „Sublimierung“ (Weber 1920/1988: 553) des Ritualismus zur Gesinnungsreligiosität. Das Pathos des Unbedingten sperrt sich hier gegen solche Handlungen, die nicht sinnvoll als ‚Emanationen‘ einer einheitlichen religiösen Geisteshaltung gedeutet werden können. Gerade im Zuge dieser rigoristischen Konsequenz in der Orientierung an einem letzten Prinzip wächst die Spannung im Verhältnis zu den anderen „Lebensordnungen“, und dies umso mehr, je stärker diese selber ihre Eigengesetzlichkeiten entfalten. Exakt dies ist das Thema der berühmten „Zwischenbetrachtung“ (Weber 1920/1988: 536ff.). Gegenüber der „urwüchsigen Unbefangenheit der Beziehung zur Außenwelt“ (ebd.: 541) sieht Weber nun den Gegensatz des Religiösen zur ‚gesellschaftlichen Umwelt‘ scharf hervortreten. Das schon bei Simmel und Dilthey thematisierte widersprüchliche bis konfliktive Verhältnis der Kulturgebiete bzw. Weltanschauungen untereinander wird hier für die Religion prägnant herausgearbeitet. Der geschlossene, auf Einheit abstellende Sinnzusammenhang des Religiösen verhindert ein funktional diffuses Ineinandergreifen vielfältiger Handlungsorientierungen. Die Systematisierung des Religiösen zu einer einheitlichen und sinnvollen „Stellungnahme zur Welt“ geht mit einer ‚thematischen Reinigung‘61 von Handlungslogiken einher, die vormals mit der Religiosität in „intimster Beziehung“ (Weber 60 Vgl. auch Schluchter (1976/1980: 10) zum Rationalismus als „intellektuelle Durcharbeitung und wissentliche Sublimierung von ‚Sinnzielen‘“ (Herv. M.P.). 61 Ich übernehme diese differenzierungstheoretische Formulierung von Tyrell (1978: 184).

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1920/1988: 554) standen, von den Wertpositionen der Gesinnungsethik aus nun aber als „ethisch irrational“ gelten müssen, so Weber (1921/1972: 328f.). Die Religiosität geht hier innerhalb der Welt und ihren Ordnungen auf „Ablehnung“ (ebd.: 329). Die Radikalität und das Revolutionäre dieser Position sind einer Legitimität bedürftig, die Weber zufolge von dem persönlichen Charisma eines Propheten bezogen wird.62 Ihn und seine Verkündigung der Lehre „kraft Mission“ und „persönlicher Berufung“ unterscheidet Weber vom Priester, dessen Autorität durch das Amt statt der Person garantiert ist. In der Figur des Propheten als Träger der Systematisierung und Vereinheitlichung der religiösen Beziehung des Menschen zur Welt manifestiert sich bei Weber abermals der in differenzierungstheoretischer Hinsicht entscheidende Aspekt der Eigengesetzlichkeit und religiösen Selbstbezüglichkeit. So stößt man bei seiner Schilderung der altjüdischen Prophetie „auf die allerstärksten Anstrengungen, den prophetischen Enthusiasmus als authentisch und rein religiös auszuweisen; er ist nicht ‚außenpolitisch‘ motiviert, er artikuliert nicht ‚Klasseninteressen‘ usw.“ (Tyrell 1992: 199; Herv. i.O.). 3.3.3.3 Religiöse Eigenproblematik Die Ausdifferenzierung religiösen Sinns im Zuge einer gesinnungsethischen Systematisierung und ihrer prophetischen Offenbarung geht bei Weber mit der Entstehung bzw. Verschärfung einer spezifisch religiösen Eigenproblematik einher. Damit ist ein differenzierungstheoretisch bedeutsamer prozessualer Aspekt angesprochen, der in der vorliegenden Untersuchung bislang nur bei Simmel und dort sehr implizit in der Thematisierung einer immanenten Entwicklungslogik aufgetaucht ist. Die sinnhafte Vereinheitlichung der Beziehung zwischen Mensch und Welt enthält nach Weber (1921/1972: 275) die „wichtige religiöse Konzeption der ‚Welt‘ als eines ‚Kosmos‘, an welchen nun die Anforderung gestellt wird, daß er ein irgendwie ‚sinnvoll‘ geordnetes Ganzes bilden müsse, und dessen Einzelerscheinungen an diesem Postulat gemessen und gewertet werden“. Die Tatsache, dass diese metaphysische Forderung mit den „empirischen Realitäten“ (ebd.) unablässig zusammenstößt, wird dabei zum Motor der religiösen Entwicklung. Die zunehmende Rationalität der Weltbetrachtung im Zuge einer expliziten Ausarbeitung religiös-ethischer Konzeptionen von Welt lässt dieses „Sinnproblem“ immer deutlicher hervortreten (vgl. ebd.: 308). Gerade vor dem Hintergrund einer ethischen Gotteskonzeption gewinnt die „Unvollkommenheit der Welt“ (ebd.: 315) schließlich als Problem der Theodizee eine neue Schärfe. Dies stellt in differenzierungstheoretischer Hinsicht einen ‚take-off‘ einer evolutionären Eigengesetzlichkeit dar, die in einer rationalen und ideengeschichtlich

62 Ferner erlangte eine solche „in alle Sphären des häuslichen und öffentlichen Lebens eindringende, unendlich lästige und ernstgemeinte Reglementierung der ganzen Lebensführung“ (Weber 1920/1988: 20) ihre Motivfähigkeit durch besondere religiöse „Verheißungen“, insbesondere die Aussicht auf Erlösung. Der Gedanke der Erlösung als Befreiung von konkreten Übeln ist zwar nach Weber (ebd.: 252) „an sich uralt“ – in Verbindung mit einem „systematisch-rationalisierten ‚Weltbild‘“ erlangt er aber nun eine je spezifische Ausgestaltung und die Möglichkeit eines durchschlagenden Einflusses auf die Lebensführung.

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pfadabhängigen Bearbeitung der Theodizeeproblematik besteht – dies mit ‚zentripetalen‘ Wirkungen für die religiöse Sinnsphäre: „Die rationalen Zwänge, denen die Religionen folgen sollen, ergeben sich demnach aus dem Bedürfnis, eine rationale Antwort auf das Theodizeeproblem zu erhalten, und die Stufen religiöser Entwicklung sind die immer expliziteren Fassungen dieses Problems und seiner Lösungen. Die rationale Entwicklung vollzieht sich mithin weder an der äußeren Wirklichkeit der Welt noch für sie.“ (Tenbruck 1975: 683; Herv. M.P.)

Vielmehr muss diese Entwicklung in dem Maße, in dem sie im Zuge einer Rationalisierung des Weltbildes den Anspruch hervorbringt, dass der „Weltverlauf [...] ein irgendwie sinnvoller Vorgang sei“ (Weber 1920/1988: 567), in einen Gegensatz zur Welt treten: Die ungleiche Verteilung von Glück und Leid treibt das religiöse Denken zunehmend zur Entwertung der Welt und zur bewussten Pflege eines Erlösungsbedürfnisses, so Weber (vgl. ebd.). Die Konsequenzen im Hinblick auf Differenz und Abweichung des Religiösen wurden genannt. Unter Differenzierungsgesichtspunkten von Relevanz ist darüber hinaus: Die Religion beansprucht für die Theodizeeproblematik und Erlösungsidee nach Weber „exklusive Zuständigkeit“63 und Konkurrenzlosigkeit. Sie gerät entsprechend in Konfrontation mit Sphären, die unter diesem Gesichtspunkt ‚funktionale Äquivalente‘ hervorbringen. So muss man die Ausführungen zur ‚Wertkollision‘ von Religion auf der einen Seite und Kunst und Erotik auf der anderen Seite interpretieren, wie sie sich in der „Zwischenbetrachtung“ finden. Seinen Grund hat dieser Konflikt darin, dass die beiden Letzteren mit einem je unabhängigen Angebot an „innerweltliche[r] Erlösung“ (ebd.: 555; Herv. M.P.; Herv. i.O. getilgt) aufwarten: hier der künstlerische Genuss, dort die erotische Leidenschaft. 3.3.3.4 Daueraktualität religiösen Sinns Die Rationalisierung zum gesinnungsethischen „Gesamthabitus“ löst die Religiosität Weber zufolge ab von der Form „religiösen Gelegenheitshandelns“ und führt sie hin zu einer Daueraktualität des Religiösen im Zuge der ,sinnhaften‘ und methodischen Ausrichtung der Lebensführung nach letzten religiösen Wertgesichtspunkten. Religiöser Sinn ist damit nicht länger an ausgezeichnete, „außeralltägliche“ Orte, Zeiten und Dinge gebunden. Vielmehr lässt sich nun prinzipiell alles in der Welt zur Religiosität in Beziehung setzen und auf die Zuträglichkeit im Hinblick auf das „religiöse Heilsziel“ befragen. Wie aus den Erörterungen Webers hervorgeht, bringt es das Religiöse so zu einem in sich geschlossenen und sich selbst tragenden ‚Sinngebiet‘, das seine thematische Relevanz in zeitlicher Hinsicht permanent statt nur sporadisch, in sachlicher Hinsicht universell statt nur partiell einfordern kann. Auch dieser Aspekt einer ‚universalistischen‘ Sinnperspektive ist bereits bei Simmel und Dilthey angelegt; gerade für die Religion bringt ihn Weber hier besonders deutlich zur Geltung. Ein solches Entwicklungsniveau von Religiosität schwebt ihm etwa im spezifisch calvinistischen Verständnis der Unterscheidung von Generalprovidenz und Spezialprovidenz bzw. allgemeiner und besonderer Vorsehung Gottes vor: 63 Dies wiederum eine Formulierung von Tyrell (1978: 183), der gerade darin einen zentralen und allgemeinen Aspekt der Theorie gesellschaftlicher Differenzierung sieht.

74 | W ELTBEKEHRUNGEN „Spezialprovidenz meint also: Gott greift nicht gelegentlich, auf besondere (und daran ‚ablesbare‘) Art bestimmend in die Welt ein, er tut es vielmehr unterschiedslos jederzeit und allerorten; die Hand Gottes behält sich nicht besondere Anlässe der Intervention vor, sie wirkt statt dessen universell: je speziell in jedem einzelnen Geschehen.“ (Tyrell 1993a: 325; Herv. i.O.)

Dies hat für Weber eine Entsprechung in der menschlichen Persönlichkeit: Religionsgeschichtlich lässt sich hier ein Übergang von transitorischen Zuständen religiöser Ekstase und Erfüllung mit ihren jeweiligen Komplementärbefindlichkeiten des psychischen und physischem „Kollaps“ zu einem dauerhaften, gleichmäßigen und „vor allem bewußt besessenen“ (was so viel heißt wie: in seinen religiösen Sinnbezügen stets reflektierten) Habitus ausmachen (Weber 1921/1972: 325; Herv. i.O.). 3.3.3.5 Interne Differenzierungen Schließlich sei eine weitere ausdifferenzierungswirksame Folge der „gesinnungsethischen Sublimierung“ der Religiosität im Sinne Webers genannt, die sich so nicht in Simmels oder Diltheys Erörterungen zur Religion findet. Mit der Steigerung der Ansprüche an die Methodik der eigenen Lebensführung, wie sie für die Gesinnungsethik typisch ist, musste Weber (1921/1972: 327) zufolge eines immer schärfer hervortreten: Die „Verschiedenheit der religiösen Qualifikation der Menschen“ (Herv. i.O.). Die „ihre Erlösung methodisch erarbeitenden religiösen Virtuosen [bildeten] überall einen besonderen religiösen ‚Stand‘ innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen, dem oft auch das spezifische jeden Standes, eine besondere soziale Ehre, innerhalb ihres Kreises zukam“ (ebd.). Mit einer solchen „Heilsaristokratie“ (ebd.) kristallisiert sich folglich eine eigene, religionsinterne Logik der Stratifikation heraus, die außerreligiöse Statusunterschiede neutralisiert.64 Es lässt sich hier systemtheoretisch von einer Sekundärdifferenzierung sprechen, die die religiöse Ausdifferenzierung infolge der Interdependenzunterbrechung gegenüber außerreligiösen Differenzierungslogiken und der stärkeren Orientierung an einer ‚internen Umwelt‘ noch forciert.65 Ein ähnliches Argument lässt sich für die eigenlogische Dynamik religiöser Konkurrenz geltend machen, wie sie Weber (1921/1972: 281) zwischen Priestertum und Propheten im Besonderen und, im Zuge einer religiösen Gemeindebildung und der damit verbunden Angewiesenheit auf Laien, zwischen unterschiedlichen Lehrgebäuden im Allgemeinen beobachtet. Hier macht Weber spezifische Distinktionsmanöver aus, die mit besonderen Unterscheidungsmerkmalen und Dogmatisierungen operieren (ebd.). Wie später noch zu diskutieren sein wird, greift Bourdieu speziell auf diese Darstellung der Dynamiken zwischen Priester, Prophet, Laien und Zauberer zurück, um sie für eine allgemeine Feldtheorie zu generalisieren. Für den vorliegenden 64 Vgl. hierzu auch Bohn (2006: 37f.), die eine ähnliche Neutralisation von außerreligiösen Statusunterschieden durch die Religion schon für das Mittelalter im Hinblick auf die spezifisch religiöse Exklusionslogik konstatiert. Exkommunikation konnte Adlige wie Bauern treffen, und vor der Hölle waren selbst Könige nicht sicher. Damit sind Inklusions- und Exklusionsmuster von ausdifferenzierten Funktionssystemen der Moderne hier schon in einer ‚Frühform‘ realisiert. 65 Vgl. Stichweh (1984: 39ff.), der diese Argumentation für das Wissenschaftssystem entfaltet.

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Zusammenhang ist an dieser Stelle zunächst bemerkenswert, dass Weber in vielerlei Hinsicht von einer internen Differenzierung der religiösen Sphäre ausgeht: von unterschiedlich Qualifizierten einerseits, von unterschiedlichen Positionen und Rollen mit entsprechend verschiedenen Lehren andererseits. Damit kommt hier eine Berücksichtigung religiöser Pluralität zum Zuge, die sich bei den anderen klassischen differenzierungstheoretischen Ansätzen allenfalls bei Spencer in seiner Annahme einer „multiplication of sects“ findet.

4. F AZIT : D ILTHEY , S IMMEL

UND W EBER ALS DIFFERENZIERUNGSTHEORETISCHER AUSGANGSPUNKT

Mit Weber kommen die zentralen differenzierungstheoretischen Gesichtspunkte, die sich schon bei Dilthey und Simmel finden, für Religion in besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck. Zuvorderst zu nennen ist hier die stark auf Sinn setzende Perspektive: Es geht in der Differenzierungsthematik vor allem um die Heraussonderung eines spezifischen religiösen Sinngebiets. Bei Dilthey war diese Idee fest mit dem Konzept des Kultursystems verknüpft. Simmels Schriften zur Religion greifen diesen Gedanken, der auch seine Kulturphilosophie im Allgemeinen informiert, auf und beschreiben Differenzierung als einen Prozess der ‚Steigerung‘ und ‚Verfeinerung‘ von vorher nur diffus angelegten Sinnmomenten. Bei Weber schließlich tritt eine solche Ausdifferenzierung von Sinn insbesondere mit einer gesinnungsethischen Systematisierung und Rationalisierung der „Stellungnahme gegenüber Welt und Leben“ nach einheitlichen religiösen Gesichtspunkten auf den Plan. Damit kommt es zur Ausbildung rein religiöser Zwecke und Wertorientierungen, die Handeln und Lebensführung bestimmen. Eine eigenlogische, spezifisch religiöse Rationalität differenziert sich aus, die aus der Perspektive anderer Lebensordnungen nur als „irrational“ beurteilt werden kann. Diese Ausdifferenzierung äußert sich zudem in einer spezifischen Eigenproblematik, die als Theodizeeproblem gerade mit einer zunehmenden Vereinheitlichung des religiösen Kosmos schärfer hervortritt und nach kontinuierlicher Bearbeitung verlangt. Anders als bei Spencer und Durkheim wird dabei Differenzierung66 nicht allein als Trennung vormals diffus verbundener (Berufs-)Rollen verstanden. Diese ‚sozialstrukturellen‘ Momente sind bei Dilthey, Simmel und Weber zwar auch von Bedeutung, sie kommen aber vor allem in ihrer Funktion als Träger und Promotoren der Sinndifferenzierungen in den Blick. So nehmen bei Dilthey die Kultursysteme, in unterschiedlichem Maße, „äußere“ Organisation in Anspruch. Bei Simmel wird der ideelle Komplex des Religiösen in analoger Weise durch das Priestertum getragen, wie das kodifizierte Recht durch den Richterstand und die Technik als „ideales System von Erkenntnissen und Regeln“ durch den Arbeiterstand. Für Weber schließlich ist

66 Durkheim spricht allerdings nicht von Differenzierung, sondern von Arbeitsteilung. Als Differenzierung gilt ihm nur die Entstehung krimineller Berufsrollen, die der organischen Solidarität nicht zuträglich sind (vgl. Durkheim 1893/1992: 421); vgl. hierzu Tyrell (1985: 183ff.), der darin eine von vielen Abgrenzungsstrategien gegenüber Spencer erkennt.

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die Dynamik zwischen Priester und Prophet das zentrale Moment in der Systematisierung und Rationalisierung der religiösen Ethik.67 Es deutet sich hier bei Dilthey, Simmel und Weber also bereits eine Art Ebenendifferenzierung an, ähnlich wie sie etwa Luhmann später in seiner Unterscheidung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft anbietet. Dilthey, Simmel und Weber trennt darüber hinaus von Spencer und Durkheim, dass jene nicht auf Interdependenz und Komplementarität der Teilgebiete untereinander setzen. Mit der Betonung der Eigengesetzlichkeiten der verschiedenen Sphären stehen vielmehr Interdependenzunterbrechungen und Spannungen im Vordergrund. Bereits in Diltheys Weltanschauungslehre wird ein potentiell konfliktives Verhältnis der von den verschiedenen Kultursystemen ausgehenden Perspektiven beschrieben. Ähnliches findet man dort bei Simmel, wo er das widersprüchliche Auseinanderlaufen und die wechselseitigen Entfremdungen der objektiven Kulturgebilde darstellt. Weber illustriert für die Religion wiederum am deutlichsten, wie diese in einen Gegensatz zur Welt tritt und sich der Konflikt gerade im Zuge der zunehmenden Entfaltung der Eigengesetzlichkeiten auch der außerreligiösen Lebensordnungen verschärft. Bei allen dreien ist die Konsequenz der Verzicht auf einen ambitiösen makrostrukturellen Gesellschaftsbegriff, wie ihn Spencer und Durkheim in der Organismusanalogie führen. Damit entfällt bei ihnen zugleich Durkheims Figur einer religiös-moralischen Integration der Gesellschaft. Schließlich bietet Weber am deutlichsten eine differenzierungstheoretische Perspektive auf, die für die Pluralität von Religionen sensibel ist. Damit sind vor allem die bei Weber thematisierten Konkurrenzdynamiken zwischen den unterschiedlichen religiösen Akteuren und religiösen Lehren gemeint. In seinen materialen Studien tritt dies etwa in seiner Unterscheidung von religiöser Orthodoxie und Heterodoxie hervor. Daneben bleibt die negative bis ambivalente Beziehungen des Religiösen zur Magie stets im Blick seiner Untersuchungen. Mit Weber liegt ein differenzierungstheoretisches Angebot für die Religion vor, das in seinen entscheidenden Punkten von der an ihn anschließenden differenzierungstheoretischen und religionssoziologischen Diskussion kaum aufgenommen worden ist. Die religionssoziologische Diskussion hat sich stattdessen im Weiteren fast ausschließlich Webers Säkularisierungsthese verpflichtet gefühlt. Dabei tritt der Gedanke von Religion als eigengesetzliche, rationalisierte Sinnsphäre allzu sehr in den Hintergrund. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, begnügen sich die meisten ‚nachklassischen‘ Autoren damit, die ‚Depotenzierung‘ und Abschiebung der Religion zu beschreiben, ohne nach eventuellen Eigendynamiken und autonomen Perspektiven innerhalb des ausgegrenzten Bereichs selbst zu fragen. Ausnahmen finden sich vor allem dort, wo der amerikanische Kontext im Blick ist; selten wird dabei allerdings an die hier herausgearbeiteten Differenzierungsgedanken angeknüpft. Einen ambivalenten Fall bildet dabei, wie das übernächste Kapitel zeigen soll, die Theorie Luhmanns, die explizit nach Eigendynamiken fragt, dabei aber früh am europäischen Fall zu Defizitdiagnosen kommt, von denen sie bis zuletzt in ihrer religionssoziologischen Theorieentwicklung beeinflusst wird. 67 Im Rahmen von Webers Religionssoziologie findet sich in diesem Zusammenhang wenig zu Kirchen und Organisationen (vgl. Tyrell 1992: 189). Diese sind eher Gegenstand seiner Herrschaftssoziologie.

II. Religion und Differenzierung II: Zum differenzierungstheoretischen Potential der ‚nachklassischen‘ Religionssoziologie

Bis heute wird die religionssoziologische Debatte maßgeblich durch die Säkularisierungsfrage bestimmt; sie spaltet das Fach in Vertreter und Gegner der These eines Rückgangs von Religion in der modernen Gesellschaft. Einen ungenauen Charakter erhält die Kontroverse durch eine Uneinigkeit und mangelnde Reflexionsarbeit, was unter „Säkularisierung“ zu verstehen sei. Hilfreich sind dabei Systematisierungen, die (anders als einige der darin behandelten Autoren selbst) verschiedene Dimensionen der Säkularisierung auseinander zu halten versuchen. Besonders verdient gemacht hat sich hier Karel Dobbelaere (1981/2002), der in dieser Hinsicht zwischen entsprechenden Säkularisierungsphänomenen auf der Ebene der Gesellschaft, der Organisationsebene und der Ebene des Individuums unterscheidet.1 Es ist hier nicht die Aufgabe, das Feld der Säkularisierungsdiskussion aufzuarbeiten; noch kann im Rahmen dieser Arbeit eine Klärung des Säkularisierungsbegriffs oder ein Überblick über solche Klärungsversuche und begriffsgeschichtliche Aufarbeitungen geleistet werden.2 Allein das differenzierungstheoretische Analysepotential der ‚nachklassischen‘ Religionssoziologie soll hier interessieren. Aspekte der Ausdifferenzierung kommen dort allerdings in der Hauptsache im Zusammenhang mit der Säkularisierungsdiskussion zur Sprache; von daher kann sich auch die vorliegende Darstellung dieser Debatte nicht völlig entziehen. Denn, wie Luhmann (1977a: 232) pointiert konstatiert, verbirgt sich hinter dem „semantisch verkorksten Titel ‚Säkularisierung‘“ in der Regel die Frage nach der religionsbezogenen „Kompatibilität mit funktionaler Differenzierung“. Ebenso hat der Fokus dieser Arbeit zur Folge, dass hier weiterhin allein diejenigen Studien erörtert werden, die Religionssoziologie innerhalb eines gesellschaftstheoretischen Rahmens betreiben. Es soll dabei insbesondere um die Frage gehen, inwieweit eine Perspektive auf Religion geworfen wird, die ihr den Status eines ausdifferenzierten gesellschaftlichen Teilbereichs zuspricht und sich dabei wei1

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Für einen Systematisierungsversuch innerhalb des Säkularisierungsparadigmas vgl. neben Dobbelaere (1981/2002) auch Tschannen (1991); zur aktuellen Diskussion vgl. Pollack (2009a). Vgl. zur Problematik des Säkularisierungsbegriffs schon Matthes (1967: 74ff.), der darin ein implizites und unzureichend reflektiertes „Interpretament“ gerade der religionssoziologischen Forschung sieht; siehe ferner Lübbe (1965/2003).

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terhin für mögliche Eigendynamiken interessiert, die diese Sphäre auch von religiöser Seite begründen. Bemessen werden die Ansätze an der im letzten Abschnitt herausgearbeiteten differenzierungstheoretischen Traditionslinie Diltheys, Simmels und Webers; an einer Differenzierungsperspektive also, die Religion in der modernen Gesellschaft als eigengesetzliches Sinngebiet in den Blick zu nehmen versucht. Ausgehend von dieser Relevanzperspektive lässt sich das Feld in vier Typen von Ansätzen unterscheiden. Den weitaus größten Raum nehmen dabei solche Arbeiten ein, die zwar einer Weber‫ތ‬schen Differenzierungsperspektive treu bleiben, hinsichtlich des Religiösen aber allein an Webers Figur einer „Depotenzierung“ (Tyrell 1993a) der Religion Anschluss suchen. Der Akzent liegt dabei auf der ‚Auflösung‘ einer institutionellen religiösen Sphäre im Zuge ihrer Verdrängung in die private Beliebigkeit. Dabei kommt in weiten Teilen zumindest implizit eine einseitige Perspektive auf den europäischen Kontext zum Tragen. Hierzu lassen sich etwa die Arbeiten Thomas Luckmanns, Bryan Wilsons und Pierre Bourdieus zählen (1). Eine zweite Perspektive, die hier differenzierungsbezogen in Augenschein zu nehmen ist, stellt, entgegen einer pauschalen Depotenzierungsannahme, auf die öffentliche Präsenz der Religion und ihre Kompatibilität mit funktionaler Differenzierung in der modernen Gesellschaft ab. Unter diesem Register gilt es die Arbeiten José Casanovas als Alleinvertreter zu erörtern (2). Eine dritte Perspektive stellt ebenfalls eher einen Sonderfall in der Theorielandschaft dar. Hier sind die gesellschaftstheoretischen Ansätze zu nennen, die von einer Generalisierung des Religiösen in der modernen Gesellschaft ausgehen und dabei insbesondere an Durkheim‫ތ‬sche Perspektiven auf die Religion anschließen. Es sind dies die religionssoziologischen Arbeiten Talcott Parsons, der dabei auch Einsichten von Robert Bellah aufnimmt (3). Die vierte Perspektive geht (in unterschiedlichem Ausmaß) von Eigendynamiken innerhalb eines religiösen Teilbereichs der Gesellschaft aus. Dabei liefert insbesondere der amerikanische Kontext das mehr oder minder implizite Paradigma. Hierzu zählen der Rational-Choice-Ansatz mit seinen Hauptvertretern Rodney Stark, Roger Finke und Laurence R. Iannaccone sowie bestimmte Aspekte der Arbeiten Talcott Parsons. Auch die frühen Arbeiten Peter L. Bergers lassen sich hier, wohl entgegen der eigentlichen Absicht des Autors, einordnen, obgleich sie in weiten Teilen auch der Depotenzierungsperspektive folgen. Anlass dazu geben ihre instruktiven Betrachtungen neuer Konkurrenzdynamiken zwischen religiösen Organisationen in der modernen Gesellschaft (4). Niklas Luhmanns Blick auf die Religion ist im Anschluss an dieses Kapitel als ein Fall für sich zu würdigen. Ihm wird hier aus dreierlei Gründen ein eigener Platz eingeräumt: Erstens übersteigen Luhmanns Betrachtungen in ihrem Umfang und ihrer zeitlichen Entwicklung von fast dreißig Jahren bei weitem alles, was die anderen Ansätze in dieser Hinsicht aufzubieten haben. Zweitens legt er seine Religionssoziologie im Rahmen einer Differenzierungstheorie vor, die wie keine andere an die Traditionslinien von Dilthey, Simmel und Weber anschließt. Drittens manifestiert sich im Entwicklungsverlauf bzw. in der Synopsis seiner religionssoziologischen Arbeiten eine eigentümliche Ambivalenz, die dann auch das posthum publizierte Religionsbuch (Luhmann 2000a) im Einzelnen kennzeichnet: Die Perspektive schwankt zwischen differenzierungsbezogenen Defizitbefunden auf der einen Seite und einer Af-

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firmation der Religion als eigendynamisches Funktionssystem ‚inter pares‘ auf der anderen Seite.

1. R ELIGIÖSE D IFFERENZIERUNG ALS D EPOTENZIERUNG : THOMAS L UCKMANN , B RYAN W ILSON , P IERRE B OURDIEU Im Folgenden sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, solche Ansätze zu erörtern, deren Blick auf die religiöse Situation primär von einer Perspektive der gesellschaftlichen Depotenzierung und Verabseitigung der Religion bestimmt ist. Es ist dies Thomas Luckmanns Religionstheorie, dessen These von der Individualisierung des Religiösen eine gesellschaftliche Unsichtbarkeit und Beliebigkeit religiöser Formen impliziert (1.1); ferner die Arbeiten Bryan Wilsons, dessen Säkularisierungsthese ganz auf den modernen Bedeutungsverlust des Religiösen abstellt (1.2); schließlich auch der Ansatz Pierre Bourdieus, der von einer ‚Auflösung‘ des religiösen Feldes ausgeht; die vergleichsweise umfangreiche Behandlung Bourdieus ist dabei der hohen Elaboration seiner Differenzierungstheorie geschuldet (1.3). 1.1 Thomas Luckmann Ausgangspunkt der Betrachtungen Thomas Luckmanns (1967) ist eine funktionalistische Definition von Religion. Das Religiöse liegt für Luckmann in der universellen Transzendierung des biologischen Organismus durch einen Sinnentwurf, der individuelles Handeln und Erleben in einen kohärenten und identitätsstiftenden Zusammenhang integriert. Religiöses konstituiert sich in einer objektiven Weltsicht, deren religiöse Funktion durch eine darin mehr oder weniger distinkt zum Ausdruck kommende Hierarchie von Bedeutungen, den „heiligen Kosmos“, erfüllt wird (vgl. Luckmann 1967: 57ff.). So finden sich auf unterster Ebene die kognitiven Elemente und Schemata alltäglicher Erfahrung. Diesen übergeordnet sind bewertende Muster und Rezeptwissen, die „Motive“ und niederstufige Handlungsziele begründen. Auf der nächsthöheren Ebene liegen moralische Interpretationsfolien, die einen gebotenen Handlungskurs unter möglichen Alternativen vorgeben und in einer Verbindung mit umfassenden biographischen Kategorien stehen (z.B. verbindliche Vorstellung eines ‚wahren‘ Mannes). Auf der höchsten Ebene schließlich stehen normative Modelle ganzer Kollektive bzw. Vorstellungen guter Gesellschaft.3 Solche Bedeutungshierarchien werden durch Symbole verkörpert, die sie mit einer Aura des Sakralen versehen und ihnen einen Bezug zu einer distinkten Realitätsebene „ultimativen“ Sinns verleihen. Jene gibt sich als radikal unterschieden vom Profan-Alltäglichen; gleichwohl wird auch Letzteres erst durch die Referenz auf jene letztgültige Bedeutungs-

3

Die formelle Struktur einer solchen Hierarchie ist weitgehend analog zur kybernetischen Hierarchie von kognitiven, kathektisch-expressiven, moralisch-evaluativen und konstitutiven Symbolen, die Parsons als Differenzierung des kulturellen Systems veranschlagt; vgl. dazu unten.

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sphäre als sinnvoll erfahren.4 Auf der individuellen Seite gewinnen solche Weltsichten samt ihrer hierarchischen Bedeutungsstruktur durch sozialisatorische Internalisierungsprozesse eine subjektive Realität. Hier finden die objektiven Bedeutungshierarchien ihr Pendant in entsprechenden Aspirationsgefügen und Relevanzstrukturen, die individuelle Erfahrungen zur Einheit einer persönlichen Identität bringen. Es ist dies die „individuelle Religiosität“ (vgl. Luckmann 1967: 70). Je nach Differenziertheit des „heiligen Kosmos“ findet sich auch auf subjektiver Seite eine mehr oder weniger differenzierte „sakrale“ Sinnschicht im Gesamtbewusstsein; internalisierte religiöse Repräsentationen nehmen hier die Form eines Systems „ultimativer“ Motive und Letztrelevanzen an. Differenzierungstheoretisch bedeutsam ist hier Luckmanns Betrachtung der institutionellen Spezialisierung in der Kultivierung und Vermittlung solcher objektiven Sinnstrukturen. Während in primitiven Gesellschaften die jeweilige Weltsicht über die gesamte Sozialstruktur hinweg nahezu vollständig geteilt und in homogener Form bestätigt wird, ist das für „komplexere“ Gesellschaften nicht der Fall. Hier bilden sich eigene Rollen für die Bearbeitung und Rationalisierung religiösen Sinns heraus, die diesen Sinnbestand einerseits nicht mehr jedem gleichermaßen offen halten und andererseits den Gegensatz von Religion und Welt stärker hervortreten lassen (vgl. Luckmann 1967: 66f.). Hier liegt Luckmann – trotz seiner eher an Durkheim orientierten Perspektive einer religiösen Kosmisierung – ganz auf der Linie der Weber‫ތ‬schen Betrachtungen, wenn er auf die Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Gebilden hinweist, die entstehen können, sobald beide ihre Eigengesetzlichkeiten entfalten (ebd.: 67). Dabei geht es ihm, wie auch Weber, um die Gegensätzlichkeiten und Disparitäten, die sich vor allem auf der Sinnebene niederschlagen: „[T]he ‚meaning‘ of performances in one institutional domain, determined by the autonomous norms of that domain, is segregated from the ‚meaning‘ of performances in other domains. The ‚meaning‘ of such performances is ‚rational‘ – but only with respect to the functional requirements of a given institutional area.“ (Luckmann 1967: 95f.)

Das aber, so das Argument, hat Folgen für die religiöse Funktion einer „offiziellen“ Weltsicht, die in differenzierten Gesellschaften durch Kirchen bereitgestellt wird. Sie ist nun nicht mehr in der Lage, die Gesamtheit der Handlungen in den verschiedenen und in ihrer jeweiligen Logik unabhängigen Rollen des Individuums sinnvoll zu umgreifen. Die integrative Funktion der kirchenreligiösen Sinnmuster geht abhanden, wenn man an diesen selbst nur noch in zeitlich und sachlich umgrenzten Rollen teilhat. Das Individuum sieht sich so einem zusammenhangslosen Nebeneinander von Sinndomänen gegenüber, die keinen sinnvollen Beitrag zur identitären Integration seines gesellschaftlichen Daseins leisten: Diese Reflexionslast bleibt Luckmann zufolge allein dem Individuum überlassen.5

4

5

Dieser Rekurs auf die Unterscheidung von sakral und profan führt gegenüber dem eigentlich funktionalistischen Ausgangspunkt letztlich doch wieder ein substantielles Element in den zugrunde gelegten Religionsbegriff ein. Diese Diagnose, die Gedanken von Max Weber aufnimmt, deckt sich auch mit Luhmanns (1989a) Überlegungen zur „Exklusionsindividualität“.

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Luckmann (1967: 90f.) sieht hier nicht allein einen Funktionsverlust traditioneller (d.h. in diesem historischen Zusammenhang vor allem: christlicher) Bestände von Religiosität, sondern vielmehr Symptome eines revolutionären Wandels hin zu einer neuen Sozialform von Religion.6 Diese schildert er als eine letztlich konsumorientierte Haltung des Individuums gegenüber einem gesellschaftlich inkohärenten und desintegrierten Repertoire an Deutungsmustern und Interpretamenten. Das Individuum selbst stellt nach Luckmann seine „Weltsichten“ und Bedeutungshierarchien fortan persönlich und autonom zusammen. Dieser individuellen „bricolage“ (Luckmann 1979) ist allerdings, so die These, aufgrund ihres ‚privaten‘ Charakters ohne breite intersubjektive Basis eine eher prekäre Qualität beschieden.7 Diese Betrachtung führt entscheidende Implikationen für eine differenzierungstheoretische Beschreibung von Religion in der modernen Gesellschaft mit sich. Die unumwunden funktionalistische Definition von Religion als allen Sinns, der einen Beitrag zur Deutung von Ich und Welt liefert, hat zur Konsequenz, dass hier reichlich Heterogenes hinzuzuzählen ist. Neben den zur reinen Rhetorik herabgestuften Modellen offizieller Kirchenreligion reicht dies für Luckmann (1967: 103f.) von den im Playboy-Magazin dargestellten Weltanschauungen sexueller Selbstverwirklichung über thematische Versatzstücke säkularer, etwa ökonomischer und politischer Ideologien bis hin zu Liedtexten zeitgenössischer Pop-Musik. Entsprechend geht dieser ‚religiösen‘ Sinnwelt (verstanden als Sinnsortiment, nicht als Sinnintegrat) ihre institutionelle Trägerschaft abhanden. Es gibt keine primären Rollenkomplexe mehr, die sich auf die Kultivierung und Vermittlung dieser Sinnmomente in ihrer Ganzheit spezialisieren – auch wenn „sekundäre Institutionen“ (Luckmann 1967: 104), etwa Ratgeberliteratur, gezielt auf einen Bedarf an solchen Sinnangeboten hin produzieren mögen. Eine ‚Mesoebene‘ von Religiosität bricht hier folglich weg und das Individuum steht als „Konsument“ solchen Sinnangeboten unvermittelt gegenüber. Allerdings, so geht aus der Darstellung Luckmanns hervor, steht solcher ‚religiöser‘ Sinn nun nicht länger in einem scharf konturierten und gleichberechtigten Gegensatz zu anderen Sinngebieten, wie es etwa in der Weber‫ތ‬schen Differenzierungsperspektive der Fall ist, der Luckmann ja zunächst spürbar gefolgt war. Es handelt sich vielmehr um frei-flottierenden, zusammenhangslosen Sinn, der eher ins Private und Unverbindliche relegiert wird, als dass er auf eine verbindliche und autonom betreute Differenz von Religion und Welt bzw. nicht-religiöser Umwelt zu bringen wäre. Religiöser Sinn als „heiliger Kosmos“, der eine bestimmte Weltsicht strukturiert, verliert hier nicht nur seinen gesellschaftsumfassenden Charakter; innerhalb dieser theoretischen Perspektive lässt sich Religion auch kaum noch als eine ausdifferenzierte und klar konturierte Sphäre neben anderen in der Gesellschaft beschreiben.8 6

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Zu dieser Annahme eines bloßen Formwandels des Religiösen nötigt Luckmann schon seine Definition der Religion als anthropologischer Universalie (vgl. hierzu auch Tyrell 1996: 445f.). Vgl. Luckmann (1967: 98ff.); siehe speziell zu dem Gedanken eines ‚Aufweichens‘ religiöser Realität im Zuge des Verlusts ihres „sozialen Kurswertes“ auch Tenbruck (1960) und selbstverständlich Berger (1973); siehe zu Letzterem unten. Während Danielle Hervieu-Léger (z.B. 1990) gleichermaßen auf die Privatisierung und Individualisierung des religiösen Geschehens abstellt, hebt sie dieses Geschehen in ihrer Betonung einer „alternativen Rationalität“ (ebd.: 22) schon eher auf Augenhöhe mit anderen

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Dieser durch theoretische Begriffsentscheidungen vorgezeichnete Blickpunkt verschließt sich letztlich differenzierungsbezogenen Dynamiken in einem traditionell-religiösen Bereich, der sich (entgegen der inkongruenten Perspektive) auch selbst als religiös beschreibt. Der in den USA zu beobachtende Fortbestand religiöser Organisationen mit breiter Basis in der Mittelschicht wird dann auch durch eine „innere Säkularisierung“ wegerklärt: Innerhalb der Kirche werde eine „säkulare Version des protestantischen Ethos“, der „American Dream“, gepredigt (vgl. Luckmann 1967: 36; siehe dazu schon Berger 1961). Mit Blick auf die eben dargestellte Theorie darf man Luckmann hier wohl so verstehen, dass die populärreligiösen Elemente der Selbstverwirklichung etc., die Luckmann auf dem Markt moderner Deutungsangebote verortet, in den USA in nicht unerheblichen Anteilen durch die Traditionskirchen selbst angeboten werden. Dabei verpasst der Ansatz es allerdings, die denominational-pluralistische Situation Amerikas auf mögliche Dynamiken und Sinnperspektiven zu untersuchen, die weiterhin ein autonomes Sinngebiet umgrenzen, das gleichberechtigt neben anderen nicht-religiösen Sphären und institutionellen Logiken steht. 1.2 Bryan Wilson Auch die religionssoziologischen Arbeiten Bryan Wilsons (1970; 1976; 1982) folgen einer differenzierungstheoretischen Argumentation in ihrer Betrachtung der Religion, ohne sich dabei einer eingängigen Untersuchung möglicher Dynamiken innerhalb einer ausdifferenzierten religiösen Sphäre zu widmen. Unter dem im Zentrum seiner Arbeiten stehenden Begriff der Säkularisierung wird vor allem ein religiöser Funktionsverlust verstanden. Dieser bildet die Kehrseite eines Differenzierungsprozesses, in dem politische, rechtliche, wirtschaftliche Funktionen durch autonome Institutionen übernommen werden, die ohne religiöse Sinnbezüge auskommen. Daraus folgt für Wilson nicht notwendigerweise ein Verschwinden der Religion, auch nicht in ihren organisierten Formen. Wohl aber sieht er damit das Abdrängen des Religiösen in die Randlage des gesellschaftlich Unbedeutenden einhergehen. Für diesen Prozess trägt in der Argumentation Wilsons (1982: 174) die Umstellung von gemeinschaftlichen auf gesellschaftliche Organisationsprinzipien die wesentliche Erklärungslast. Religion entfaltet nach Wilson ihre Funktionen vornehmlich im Gemeinschaftlichen: In vollinklusiven, lokal organisierten Assoziationen dient sie der Expression und Aufrechterhaltung von Solidarität und moralischen Normen, der sozialen Kontrolle und Emotionssteuerung der Individuen sowie der Interpretation des Kosmos. In eher Funktionsbereichen bzw. Lebensordnungen. Religiöse „Imagination“ besetze die Sinnlücke, die sich ausgehend von einer spezifisch modernen innovations- und fortschrittsgesteuerten „Logik der Antizipation“ (ebd.: 23) hinsichtlich einer prinzipiell offenen und unbestimmten Zukunft auftue und finde ihren Ausdruck in individualisierten und freiwilligassoziativen Formen des Religiösen. Dabei setzt Hervieu-Léger den Akzent auf das unbedingt Modernitätszugehörige der neuen religiösen Phänomene (und damit zugleich einen Kontrapunkt gegen Annahmen eines anti-modernen Protestcharakters dieser Erscheinungen). Ähnlich wie Luckmann verfolgt sie damit zugleich die Pointe, dass Säkularisierung nicht den Rückgang des Religiösen, sondern dessen Re-Organisation bedeute. Der differenzierungstheoretische Gehalt der Analysen Hervieu-Légers geht dabei indes kaum über diese wenigen Andeutungen hinaus.

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„gesellschaftlich“ organisierten Sozialordnungen fallen bestandserhaltende Funktionen, so Wilson, nun allerdings nicht länger einer funktional diffusen Gemeinschaft, sondern spezialisierten Institutionen zu, an denen das Individuum lediglich über instrumentell definierte Rollenmuster partizipiert. Deren Betrieb folgt dabei rein technologischen und rationalen Prämissen und ist auf moralische Kohäsion ebenso wenig angewiesen wie auf außerweltliche Orientierungen. In diesen durch Effizienzgesichtspunkte bestimmten Sphären kann religiösen Überzeugungen somit kaum ein handlungsleitender Stellenwert zukommen. Religion kann sich, so das Argument, allenfalls noch in den „Zwischenräumen“ (vgl. Wilson 1982: 155) dieser Funktionsbereiche einnisten. Wilsons Darstellung trifft sich mit der Diagnose Webers, der zufolge die Rationalisierungen der weltlichen Lebensordnungen das Religiöse letztlich ins Irrationale abdrängen. Die enge Orientierung an Weber macht sich aber auch darin bemerkbar, dass unter Säkularisierung im Wesentlichen ein Prozess der „Entzauberung“ verstanden wird.9 Es mag dieser weitreichenden (bei Weber so nicht aufzufindenden) Begriffsidentifikation geschuldet sein, dass Wilson sich im Laufe der Jahre immer wieder dazu gedrängt sah, sein Konzept der Säkularisierung gegenüber Säkularisierungsskeptikern neu in Anschlag zu bringen (vgl. etwa Wilson 1998). Dieses steht Wilson zufolge nicht in Widerspruch mit der Fortdauer und gar der Revitalisierung des Religiösen, etwa in Gestalt von religiösen Bewegungen. Diese können als gemeinschaftliche Gebilde unter Umständen (wenngleich auf mangelhafte und oft kurzlebige Weise) die moralisch-expressiven Funktionen bedienen, die dem gesellschaftlichen Gefüge abhandengekommen sind. Gleichwohl, und das ist für Wilsons Säkularisierungsbegriff das Entscheidende, bleiben es Erscheinungen, die nicht auf die säkularen Gesellschaftsstrukturen durchzuschlagen vermögen und von diesen abgeschirmt bleiben (vgl. Wilson 1982: 179); es bestehen, mit anderen Worten, Interdependenzunterbrechungen. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich in diesem Bereich des Religiösen, der von nicht-religiösen Sphären auf Distanz gehalten wird, eigene Dynamiken entfalten, die sich auch in einer funktional differenzierten Gesellschaftsstruktur erhalten können. Unter dem Entzauberungsgesichtspunkt waren ja auch bei Weber nicht zuletzt Rationalisierungsdynamiken in der religiösen Sphäre im Blick, die diese selbst auf Abstand zur ‚Welt‘ bringen. Auch Wilson (1982: 89ff., 121ff.) deutet auf eigenlogische religiöse Dynamiken unter modernen Bedingungen hin, etwa hinsichtlich der Entstehung neuer religiöser Bewegungen oder von Sekten, die rationale und „moderne“ Organisationsprinzipien mit religiösen Orientierungen verbinden. Dabei zeigt er aber allenfalls Ansatzpunkte einer eingängig differenzierungstheoretischen Untersuchung auf, die nach den modernitätskompatiblen Eigenlogiken einer solchen religiösen Sphäre fragt.10 Wilson begnügt sich mit der Darlegung einer Depotenzierung und ‚Verabseitigung‘ des Religiösen in der Moderne. 9

Vgl. zu der Identifikation von Entzauberung und Säkularisierung in der Weber‫ތ‬schen Sekundärliteratur Tyrell (1993a: 311). Weber selbst ist mit der Säkularisierungsbegrifflichkeit sparsam umgegangen; vgl. hierzu die Bemerkungen von Trutz Rendtorff in Deutsche Gesellschaft für Soziologie (1965: 242ff.); vgl. dazu auch Lübbe (1965/2003: 68ff.). 10 In ausdrücklicher Abhebung von der Position Bryan Wilsons stellt Daniel Bell (1977) eine „Rückkehr des Heiligen“ in Aussicht. Dabei folgt er einem differenzierungstheoretischen

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1.3 Pierre Bourdieu Pierre Bourdieu liefert mit seiner Theorie sozialer Felder eine Differenzierungstheorie, die sich auch als solche beschreibt und entsprechende Kontinuitäten zu den soziologischen Gründerfiguren herstellt (vgl. Bourdieu 1994/1998: 148).11 Gleichwohl darf diese nicht, wie oft in der Sekundärliteratur geschehen, unabhängig von seiner allgemeinen Sozialtheorie gelesen werden, die sich auf die Begriffe des sozialen Raums, des Habitus sowie auf eine eigene Konzeption sozialer Klassen stützt. So sind bei Bourdieu Klassendifferenzierungen und Felderdifferenzierung, und analog dazu die Konzepte von Habitus und Feld, untrennbar miteinander verknüpft.12 Für den vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere die Tatsache von Relevanz, dass Bourdieu (1971/2000a) seine Feldtheorie im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit Webers systematischer Religionssoziologie entwickelt hat.13 Er hat dort zum einen die Konkurrenzdynamik zwischen religiösen Produzenten, d.h. den Typen des Priesters, Propheten und Zauberers, weiterverarbeitet; zum anderen ist der Aspekt wahlverwandtschaftlicher Beziehungen zwischen religiösen Produkten und den „Konsumenten“ verschiedener Stände und Klassen aufgenommen. Gegenüber früheren Arbeiten, die bereits mit dem Feldbegriff hantieren, kommt hier nun eine relationale Perspektive zum Tragen: Nicht im Zuge von Interaktionen, sondern allein durch das positionale Gegensatzgefüge entfalten die religiösen Produzenten ihren Einfluss aufeinander, der sich in den Produktionsstrategien ebenso niederschlägt wie in den religiösen Produkten selbst. Entsprechend ist bereits hier der zentrale Gedanke einer strukturalen Homologie zwischen der Struktur der Positionen, d.h. den objektiven Relationen zwischen den Feldakteuren, und der Struktur der Positionierungen (im Ansatz, der für die moderne Gesellschaft von der Differenzierung und Autonomie dreier Bereiche ausgeht: des Ökonomischen, des Politischen und des Kulturellen. Letzteres bleibe von den religiös-entleerten, strukturellen Prozessen in der Ökonomie und Politik unabhängig und zeige eigene Formen des Wandels: Auf eine Phase der Entzauberung und Profanierung der Kultur soll hier ein Aufkeimen von moralisierenden und erlösungsorientierten Religionen folgen, die Antworten auf ultimative Sinnfragen zu geben vermögen. In differenzierungstheoretischer Hinsicht ist dieser Ansatz für die vorliegende Diskussion insofern weitgehend unbrauchbar, als er bei den drei Bereichen weder von einem Nebeneinander von autonomen Sinngebilden, noch von ausdifferenzierten Rollenkomplexen ausgeht. Vielmehr wird das Religiöse in einen ideellen Zusammenhang des Ideenwandels verlagert, wohingegen Politik und Ökonomie demgegenüber als rein strukturelle Bereiche verstanden werden, die, so muss man aus dem Argument schließen, anscheinend ganz ohne Kultur auskommen. Für eine Kritik an dieser eigentümlichen Perspektive samt dem dazugehörigen Kulturbegriff vgl. Dobbelaere (1981/2002: 96ff.); Wilson (1979); siehe auch Casanova (1984: 30ff.). 11 Auf das differenzierungstheoretische Gewicht der Bourdieu‫ތ‬schen Theorie hat im deutschen Raum wohl erstmals Cornelia Bohn (1991) aufmerksam gemacht. 12 Anders votiert hier Kieserling (2008), der in der Theorie Bourdieus eine implizite These eines gesellschaftlichen Primats der Felderdifferenzierung zu erkennen vermeint und dem Klassenbegriff dort lediglich eine Relevanz für private Lebensstile zuschreibt; vgl. hierzu aber Petzke (2009). 13 Vgl. für entsprechende werkgeschichtliche Selbstauskünfte Bourdieu (1992/1999: 290).

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Sinne von Stellungnahmen und Werken) angelegt: Der positionale Gegensatz von Priester und Zauberer übersetzt sich auf der Ebene religiösen Sinns etwa in den Gegensatz von Göttern und Dämonen (vgl. Bourdieu 1971/2000a: 27). In diesem Zusammenhang sind auch die (bereits bei Weber eindringlich beschriebenen) Distinktionsmanöver zu sehen, die Unterscheidungsmerkmale in die religiösen Botschaften und Praktiken einbringen und so positionale Differenzen symbolisch ‚übersetzen‘. Ebenfalls von Weber übernommen ist der Gedanke einer Legitimationsfunktion des Religiösen; bei Bourdieu trägt das religiöse Feld im Besonderen (und Felder im Allgemeinen) zur Naturalisierung einer gesellschaftlichen Ordnung bei. Die Antagonismen des sozialen Raums werden hier durch homologe religiöse Gegensätze plausibilisiert: Die religiösen Legitimitätsgefälle zwischen Religion und Magie oder Konfuzianismus und chinesischem Volksglaube bilden in ‚verschleierter‘ Form die Unterschiede in der Verteilung an kulturellem Kapital samt den damit verbundenen Anerkennungsgefällen ab.14 Das Kampfgeschehen im Feld gilt folglich dem Monopol legitimer religiöser Deutung (vgl. Bourdieu 1971/2000a: 23). Damit einher geht das (hier erst im Ansatz entwickelte) Konzept eines feldspezifischen Kapitals, dessen Verteilungsstruktur die Herrschaftsverhältnisse im Feld begründet (vgl. etwa Bourdieu 1971/2000b: 56f.). Der Ansatz, mit dem sich Bourdieu hier der Religion nähert, ist somit, wie der noch zu diskutierende Rational-Choice-Ansatz von Rodney Stark et al., als „supplyside approach“ zu verstehen: Hier stehen die religiösen Professionellen selbst und das spezifische Kampfgeschehen unter ihnen im Mittelpunkt. Zwar haben in der ursprünglichen Konzeption Bourdieus auch die religiösen Laien einen Platz im Feld und üben dort über ihre religiösen Bedürfnisse Einfluss aus. In der weiteren feldtheoretischen Entwicklung wird das Publikum allerdings wieder in die ‚Umwelt‘ der Felder verlagert und ihrer Nachfrage keinerlei Einfluss mehr zuerkannt. Nicht die kalkulierte Orientierung an den Bedürfnissen der Laien von Seiten der religiösen Anbieter schafft hier eine Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Diese Adäquanz kommt allein durch die Homologie zwischen den Beziehungen der Produzenten im Feld und denen der Konsumenten im sozialen Raum zustande: Die Tatsache, dass bestimmte Relationen der Über- und Unterordnung im Feld herrschen, lässt die von einer bestimmten Position aus formulierte Botschaft den ‚Geschmack‘ von Konsumenten treffen, die eine homologe Position im sozialen Raum einnehmen (vgl. hierzu auch Bourdieu 1979/1982: 362ff.).15 14 Diesen legitimierenden und naturalisierenden Beitrag der Felder zur Gesellschaftsordnung hat Bourdieu (1998/2005) auch für die Geschlechterordnung postuliert. 15 So findet sich in der Neuauflage des Aufsatzes in Bourdieu (1971/2000a: 28, Anm. 30) ein entsprechender Vermerk, der diese ursprüngliche Verortung der Laien im Feld für obsolet erklärt und auf die soeben beschriebene Dynamik der Homologie aufmerksam macht. Wie in späteren Arbeiten ausführlicher dargelegt, führt diese strukturale Homologie zwischen Feld und Sozialraum auch dazu, dass bestimmte Positionen im Feld überzufällig häufig durch Personen einer bestimmten sozialen Herkunft besetzt werden. Die augenscheinlich „prästabilierte Harmonie“ zwischen dem Raum kultureller Produkte und den unterschiedlichen Geschmacksausprägungen unter den Konsumenten liegt somit nicht allein in strukturalen Homologien begründet, sondern auch in der darauf zurückgehenden Übereinstimmung der Habitnjs von Produzent und Konsument, d.h. den sozialisationsbedingten Wahr-

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Was Bourdieu hier in diesen frühen Schriften entwickelt, ist weniger eine feldtheoretische Analyse der Religion, als vielmehr die Konstruktion einer Blaupause für die Beschreibung von Feldern im Allgemeinen. Der Gegensatz von Priester und Prophet etwa und der daran geknüpfte Gegensatz von Orthodoxie und Heterodoxie entsprechen einer Logik, die nicht auf das religiöse Feld begrenzt ist, sondern die Dynamik zwischen Arrivierten und Neuankömmlingen in allen Feldern umschreibt. So gibt es auch im Feld der Kunst eine „Orthodoxie“ (Bourdieu 1992/1999: 252ff., 328ff.) von etablierten Künstlern mit einem überragenden Anerkennungskapital, denen die subversiven Bestrebungen aufstrebender Künstler gelten; letztere berufen sich typischerweise ‚prophetisch‘ auf die Rückkehr zu einer ursprünglichen, von ‚weltlichen‘ Korruptionen bereinigten Kunst. In einer Entwicklungslogik, die Parallelen zur Weber‫ތ‬schen Figur der Veralltäglichung des Charismas aufweist, steigen die Erfolgreichen unter den Neuankömmlingen im Laufe der Zeit selbst zu einer orthodoxen Position auf und sehen sich wiederum den Subversionsstrategien neuer, häretischer Künstler gegenüber. Diese Dynamik, die sich am autonomen Pol des Kunstfeldes abspielt, steht als Ganze im Gegensatz zu der heteronomen Produktionslogik der Künstler, die sich an dem Geschmack eines Massenpublikums orientieren und als ‚Dienstleistende‘ eine homologe Position einnehmen wie der Zauberer in dem von Max Weber vorgegebenen Schema religiöser ‚Produktionsverhältnisse‘.16 Außerhalb dieser frühen eher theoretisch und exegetisch motivierten Auseinandersetzung mit den Schriften Webers ist die Religion kaum Gegenstand einer feldtheoretischen Analyse geworden. Es blieb bei einer Studie zum katholischen Klerus in Frankreich (Bourdieu 1982/2009) und einem in Kürze noch näher zu erörternden Vortrag zur „Auflösung des Religiösen“ (Bourdieu 1985/1992). Der Feldbegriff als solcher ist indes ausgehend von der frühen Weberexegese in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt worden. Die Felddynamik kommt in den weiteren Studien noch deutlicher als eine bipolare Dynamik von Auf- und Abwertungsbemühungen derjenigen Eigenschaften und Faktoren daher, die einem feldspezifischen Anerkennungskapital zu- oder abträglich sein mögen. In diesem Zusammenhang rückt auch der bereits erwähnte Gegensatz von Autonomie und Heteronomie gegenüber einem feldexternen Publikum an eine zunehmend zentrale Stelle innerhalb der allgemeinen Feldtheorie (vgl. nur Bourdieu 1992/1999: 345f.). Dieser Polarität entsprechend sind die Grenzen nehmungs-, Handlungs- und Bewertungsschemata (vgl. hierzu Bourdieu 1992/1999: 267f.; 1994/1998: 72ff.). 16 Man hat also gute Gründe, in der Feldtheorie Bourdieus nicht allein eine Verallgemeinerung ökonomischer Zusammenhänge, sondern mindestens ebenso eine Verallgemeinerung einer religiösen Dynamik zu sehen (vgl. hierzu Bourdieu 1992/1999: 291ff.). Nicht zuletzt sind, wie Bourdieu (ebd.: 292) selbst einräumt, die ökonomischen Metaphern wie Monopolisierung, Konkurrenz, Angebot und Nachfrage dem religionssoziologischen Oeuvre Webers entnommen. Entsprechend wird auch für das (im engeren Sinne) ökonomische Feld selbst ein Antagonismus von ‚Orthodoxie‘ und ‚Heterodoxie‘ aufgezeigt. Die typische Dynamik zwischen orthodoxen und häretischen Positionen spiegelt sich hier im Gegensatz von „first movers“ bzw. „market leaders“ und „challengers“ ab (vgl. Bourdieu 1997/1998: 185ff.). Zur kulturalistischen Beschreibung der Wirtschaft durch Bourdieu siehe auch Kieserling (2004b), der allerdings in der Hauptsache auf Bourdieus Analyse zum Unternehmen (als Feld) und die dort beschriebenen Verallgemeinerungsstrategien abstellt.

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des Feldes umkämpft und das Feldgeschehen von Delegitimationen und Ausschlussbemühungen gekennzeichnet. Gleichwohl verbindet die Kontrahenten eine Befangenheit in einer feldspezifischen „illusio“ – ein weiterer Begriff, der für die spätere Feldtheorie prägend ist (vgl. hierzu Bourdieu 1992/1999: 360ff.). Bourdieu will darunter eine affektive Besetzung des Spielgeschehens verstanden wissen, d.h. ein Interesse am Kampf bzw. an dem, was dabei auf dem Spiel steht. In psychoanalytischer Hinsicht lässt sich hier auch von einer durch das Feld abverlangten libidinösen Investition sprechen: von einer Sublimierung libidinöser Energie hin zu einer feldspezifischen libido dominandi, sciendi etc. (vgl. ebd.: 278f.). Die Feldgrenzen verlaufen nicht zuletzt entlang der damit verbundenen Indifferenzschwelle. Die illusio der Konkurrenz begründet so unter den Kontrahenten letztlich eine „collusio“ (ebd.: 360) im Sinne eines gemeinsamen Glaubens an den Wert des Streitgeschehens. Feldspezifisches Gemeingut und in diesem Sinne grenzkonstitutiv sind auch die Prinzipien der Vision und Division als feldspezifischer „Nomos“ (ebd.: 353).17 Darin drückt sich einerseits die herrschende (und umstrittene) Grundregel des Feldes aus; formelhaft kommt sie für das Feld der Kunst etwa in der Wendung „l’art pour l’art“ zur Geltung, die das ökonomische Desinteresse und das ‚Verkanntwerden‘ durch die Vielen zu den Insignien des wahren Künstlers erhebt. Andererseits verbindet sich damit eine gemeinsame Sicht auf das Feld, die von den zentralen Gegensätzen bzw. den grundlegenden Klassifikationsschemata des Feldes bestimmt ist; so etwa dem Gegensatz von „Kunst und Geld“ im künstlerischen Feld mit den „reinen“ Kunstproduzenten am herrschenden Pol und den publikumsorientierten, am breiten Erfolg interessierten Produzenten am beherrschten Pol. Diese Klassifikationsschemata dienen der eigentlichen (An-)Erkennung der kapitalrelevanten Eigenschaften – der Unterschiede also, die im Feld ‚einen Unterschied machen‘. Die Gesamtheit dieser stillschweigenden Übereinkünfte, die die Gegner noch im Streit ‚einen‘ und dessen Voraussetzung bilden, bezeichnet Bourdieu (z.B. 1997/2001: 127) auch mit dem Begriff der „doxa“. Die Feldtheorie liefert somit ein differenzierungstheoretisches Instrumentarium, das (ausdrücklich) in der Tradition Webers steht und somit ganz und gar auf der Linie der für die vorliegende Untersuchung relevanten Differenzierungsperspektive liegt. So zeichnet sich das Feld weniger durch eine Ausdifferenzierung spezialisierter Rollen aus. Vielmehr betrifft es ein autonomes Sinngeschehen, das sich in einem Gefüge feldspezifischer „Stellungnahmen“, eigenlogischen Klassifikationsschemata und einem spezifischen Gegenstand der Auseinandersetzung manifestiert. Diesem differenzierungstheoretischen Fokus auf Sinn entspricht es, dass auch Bourdieu zu unterscheiden weiß zwischen den eigenlogischen Sinnzusammenhängen auf der einen Seite und den entsprechenden Trägern bzw. Akteuren auf der anderen Seite, die über ihre Spielzüge und Praktiken diesen Zusammenhang reproduzieren. Ferner wird das Verhältnis der Felder nicht als funktionales Zusammenspiel gedacht, das der Gesellschaft als übergeordnetem Ganzen zugutekäme. Zwar stehen die semantischen wie positionalen Gegensätze des Feldes in einer Homologiebeziehung zu den Klassendifferenzen im breiteren Sozialraum, was dem Streitgeschehen im Feld stets auch Implikationen für die Auseinandersetzung zwischen den Klassen verleiht. Gleichwohl 17 Ich erläutere die Begriffe der „illusio“ und des „nomos“ hier nicht zuletzt deshalb, weil auf sie in der späteren differenzierungstheoretischen Betrachtung der pfingstlich-evangelikalen Mission gelegentlich Bezug genommen wird.

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geht auch Bourdieu von Interdependenzunterbrechungen zwischen den Feldern aus: Das Feld endet dort, wo die Akteure nicht länger durch ein Interesse am Spiel, die illusio, bestimmt sind bzw. Akteure und Spielzüge keine entsprechenden Feldeffekte in Form von Ausgrenzungs- und Delegitimationsmanövern mehr zu provozieren vermögen. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Spielzüge keine Bezüge zu den konstitutiven Gegensätzen des Feldes und der sich in einem „Raum des Möglichen“ niederschlagenden Feldgeschichte aufweisen (vgl. Bourdieu 1992/1999: 384ff.). Mit dieser Feldkonzeption verbindet sich folglich eine Absage an Funktionalismen wie sie der Differenzierungstheorie Durkheims, Spencers und Parsons (aber auch Luhmanns) eigen sind. Wo bei Bourdieu die Rede von Funktionen ist, sind allein ‚Dienstbarkeiten‘ für die Aufrechterhaltung bestimmter gesellschaftlich durchgreifender Anerkennungshierarchien im Blick, jedoch keine funktional spezialisierten Leistungen für einen gesellschaftlichen ‚Organismus‘. Gleichwohl wäre auf diesem theoretischen Entwicklungsstand eine eigentliche Analyse des religiösen Feldes noch zu leisten.18 Einzig in einem kurzen Vortrag liefert Bourdieu (1985/1992) Andeutungen hinsichtlich einer Konzeption des religiösen Feldes der Gegenwart. Die These ist dort, dass sich der traditionelle Geistliche heute einer Konkurrenz von „neuen Geistlichen“ gegenüber sieht, die ebenfalls ‚Seelenheilung‘ in Aussicht stellen. Zu letzteren zählen „Mitgliede[r] von Sekten, Psychoanalytike[r], Psychologen, Medizine[r] (Psychosomatiker, Heilpraktiker), Sexologen, Lehre[r] diverser Formen des körperlichen Ausdrucks und asiatischer Kampfsportarten, Lebensberate[r], Sozialarbeite[r]“ (Bourdieu 1985/1992: 233). Der traditionelle Geistliche wird hier in einem Kräftefeld verortet, in dem ihm die Legitimität in der „symbolischen Manipulation des Verhaltens im Privatleben und der Orientierung der Weltsicht“ (ebd.: 233) von bestimmten ‚Intellektuellen‘ streitig gemacht wird; diese sind als selbständige Entrepreneure darum bemüht, eigene Definitionen „der richtigen Weise, Leben und Welt zu erleben und zu sehen“ (ebd.: 237), durchzusetzen. Diese Überlegungen Bourdieus treffen sich an entscheidenden Stellen mit der Analyse von Thomas Luckmann (1967). Auch hier liegt der Ort des Religiösen vornehmlich in der Privatsphäre, und auch hier hat traditionelle Religion in Bezug auf Definitionen von Selbst und Welt mit außer-religiösen Anbietern zu konkurrieren. Einen etwas stärker differenzierungstheoretischen Einschlag gewinnt das Ganze dadurch, dass sich Bourdieu (1985/1992: 233) dabei der Sprache der Feldtheorie bedient und von der Entstehung eines „neuen Feldes“ spricht. Gleichwohl geht dies hier mit einem Narrativ des religiösen Zerfalls einher: Bereits der Titel spricht hier von einer „Auflösung des Religiösen“. Im Zuge der Erweiterung der Gruppe derer, die sich für Seelenheilung zuständig fühlen, verliert das ‚eigentlich‘ religiöse Feld immer mehr seine Konturen. So sei „[h]eutzutage [...] nicht mehr so recht zu erkennen, wo der Herrschaftsbereich der Geistlichen eigentlich endet“ (ebd.: 233). Doch auch in Bezug auf das umfassendere Feld, innerhalb dessen das ‚substantiell‘ Religiöse verschwimmt, spricht Bourdieu (ebd.: 234) lediglich von einem „unscharf abgegrenzten“ Feld, streut es doch schließlich bis in den Bereich des Sports, der Medizin und 18 Das religiöse Thema ist indes mehrmals aufgegriffen worden; vgl. hierzu Rey (2007: 58ff.); dort (ebd.: 158ff.) findet sich auch eine Liste und knappe Besprechung von Arbeiten anderer Autoren, die in ihren, zum Teil auch feldtheoretischen Analysen der Religion an Bourdieu anschließen.

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der Wissenschaft hinein. Bourdieu stimmt hier somit mit Luckmann im Eindruck eines eher losen Zusammenhangs von konkurrierenden Deutungsangeboten überein. Dabei kommt in mancherlei Hinsicht ebenfalls eine ‚inkongruente Perspektive‘ zum Zuge, wenn auch solche Akteure mit Religion in einen feldbezogenen Zusammenhang gebracht werden, die sich selbst nicht als Religion beschreiben. Bourdieu diagnostiziert dem Religiösen infolge dieser Konkurrenzsituation eine Schwächung: Das Monopol auf Seelenheilung kommt den traditionellen Geistlichen immer mehr abhanden. Diese werden schließlich innerhalb dieses neuen Feldes der ‚LifestyleBeratung‘ auf eine „dominierte“ Stellung (ebd.: 273) verwiesen. Für eine differenzierungstheoretisch einschlägige Behandlung eines religiösen Feldes ist bei Bourdieu somit in weiten Teilen ebenso eine Fehlanzeige anzumelden wie bei Wilson und Luckmann. Nicht zuletzt dürfte dies aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass Bourdieu bei seinen feldtheoretischen Studien die spezielle französische Situation im Blick hat. Hier mag die eben erörterte differenzierungstheoretische These eines unscharfen Feldes dem religiösen Gegenstand angemessen sein; und so wundert es auch nicht, dass das feldtheoretisch Einschlägige in Sachen Religion in einer isolierten Untersuchung des katholischen Klerus geliefert worden ist (und nicht in Bezug auf ein für Frankreich nahezu nicht-existentes interkonfessionelles oder gar interreligiöses Feld). Auch hier vermisst man eine Betrachtung von außereuropäischen Fällen, die in differenzierungstheoretischer Hinsicht zu manch anderen Ergebnissen führen könnte. Dies scheint kennzeichnend für solche Ansätze zu sein, die in weiten Teilen eine Depotenzierung des substantial Religiösen hervorheben – die, mit anderen Worten, dessen Abschiebung ins Unbedeutende, Unsichtbare konstatieren und es analytisch in einen unkonturierten Zusammenhang mit (äquivalenten) nicht-religiösen Deutungsmomenten platzieren. Mit gutem Recht hätte man an dieser Stelle auch die frühen Arbeiten von Peter L. Berger zu Wort kommen lassen können. Die meisten Gesichtspunkte seiner Religionssoziologie treffen sich mit den Diagnosen Thomas Luckmanns (mit Ausnahme der funktionalen Religionsdefinition). Seine Arbeit ist jedoch an anderer Stelle hinsichtlich eines anderen Aspekts von weitaus größerer Tragweite für die vorliegende Untersuchung zu würdigen. Zuvor gilt es jedoch auf einige andere Typen der differenzierungstheoretischen Betrachtung von Religion einzugehen. Der folgende Abschnitt nimmt sich José Casanovas Perspektive auf „öffentliche Religionen“ an.

2. R ELIGIÖSE D IFFERENZIERUNG ALS C HANCE FÜR ÖFFENTLICHES E NGAGEMENT : J OSÉ C ASANOVA Auch José Casanova (1994) liefert eine gesellschaftstheoretisch reflektierte Analyse der Rolle von Religion in der modernen Gesellschaft. Ausgangspunkt seines theoretischen Ansatzes ist die Unterscheidung von drei analytisch unabhängigen Facetten der Säkularisierungsthese, wie sie auch schon dem Theoriebericht Karel Dobbelaeres

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(1981/2002) zugrunde liegen.19 Dies ist zum einen die Dimension einer strukturellen Differenzierung der Gesellschaft in autonom operierende Sphären, die sich vom Bereich des Religiösen emanzipieren; zweitens der Rückgang religiöser Überzeugungen und Praktiken; schließlich die ‚Exilierung‘ des Religiösen in den Bereich der Privatsphäre (vgl. Casanova 1994: 19ff.). Während Casanova an der strukturellen Differenzierung als Proprium moderner Gesellschaften festhält, bestreitet er einen zwingenden Zusammenhang mit den beiden anderen Dimensionen der Säkularisierungsthese. Sein Einwand richtet sich dabei insbesondere gegen die These eines notwendigen Zusammengehens von Differenzierung und Privatisierung des Religiösen. Privatisierung ist für Casanova (1994: 215) allenfalls ein möglicher, wenngleich naheliegender Pfad für Religionen bzw. religiöse Organisationen und Akteure in der Moderne; ein allgemein-historischer, der Modernisierung zwingend zugehöriger Trend ist es ihm zufolge nicht. In der Entfaltung dieser These wird ein dreistelliger Begriff der Öffentlichkeit in Anschlag gebracht, der zwischen einer staatlichen Ebene, einer Ebene des politischen Systems sowie einer zivilgesellschaftlich-diskursiven Ebene unterscheidet (vgl. ebd.: 61, 217). Eine religiöse Intervention auf den ersten beiden Ebenen, etwa in Gestalt von Staatskirchen und fundamentalistischen Bewegungen, die die Unabhängigkeit der gesellschaftlichen Teilbereiche nicht anerkennen, wird auch von Casanova als ‚modernitäts-inkompatibel‘ und somit langfristig unhaltbar erachtet. Dementgegen gilt ihm ein religiöses Engagement auf zivilgesellschaftlichem Terrain durchaus als moderne Option für religiöse Organisationen. Mit ihr geht, so das Argument, eine Anerkennung der Trennung von Kirche und Staat ebenso einher wie die Verabschiedung partei-politischen Engagements in Form einer offiziellen Unterstützung bestimmter Parteien, die dem in Frage stehenden religiösen Akteur als Interessensvertretung und politisches Sprachrohr dienen (vgl. ebd.: 62f.). Für Casanova partizipieren hier folglich ‚Religionen‘ selbst als zivilgesellschaftliche Akteure neben anderen am kritischen Hinterfragen von ‚Geltungsansprüchen‘; etwa indem sie für freiheitlich-demokratische Werte eintreten, die ‚Amoralität‘ der säkularen Sphären von der Warte ethisch-moralischer Prinzipien kritisieren oder die Erosion lebensweltlicher Traditionsbestände anmahnen (vgl. Casanova 1994: 57f., 231). Das differenzierungstheoretische Interesse Casanovas liegt somit weniger bei religiösen Eigendynamiken, die eine eigengesetzliche und ‚thematisch reine‘ religiöse Sphäre begründen und diese als differenziertes Sinngebiet den autonomen Lebensordnungen der Wirtschaft, Politik etc. an die Seite stellen. Die Aufmerksamkeit gilt stattdessen ausdrücklich dem Bereich, den Casanova die „undifferenzierte öffentliche Sphäre der Zivilgesellschaft“ (Casanova 1994: 217) nennt. Undifferenziert ist diese freilich allein in dem Sinne, dass man die dort zum Zuge kommenden Dynamiken nicht leicht dem Kerngeschäft der Wirtschaft, der Politik, des Rechts oder eben der Religion zuordnen kann.20 Dennoch herrschen hier spezifische Eigenlogiken des Engagements, deren Anerkennung erst die Legitimität der Partizipation begründet. In dem Maße, in dem auch religiöse Akteure diese nicht-religiösen Bedingungen des 19 Während Karel Dobbelaere sich eher an der klassischen Mikro-Meso-Makro-Unterscheidung orientiert, folgt Casanova deutlicher der noch zu erörternden Ebenendifferenzierung Luhmanns, die auf der Mikroebene von Interaktionssystemen statt von Individuen ausgeht. 20 Vgl. Baecker (1996) für einen systemtheoretischen Vorschlag, die Öffentlichkeit als innergesellschaftliche Umwelt aller Teilsysteme zu fassen.

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‚zivilgesellschaftlichen‘ Auftretens akzeptieren, steht ihre öffentliche Präsenz nicht im Widerspruch zu der Dimension des Säkularisierungsbegriffs, die von einer strukturellen Differenzierung der religiösen und weltlichen Sphäre ausgeht. Das Interesse für die modernitätskompatiblen Dynamiken innerhalb eines autonomen religiösen Bereichs ist damit aber ausdrücklich ausgeklammert: „Since strictly speaking this is a study of public religions, it says very little about the types and nature of modern private religions, about the character and modes of self-reproduction of the modern differentiated religious sphere.“ (Casanova 1994: 214; Herv. M.P.) Vielmehr geht es darum, wie im Zuge dieser (privatisierenden) Ausdifferenzierung und ihres religiösen Mitvollzugs die Religionen sich dazu befähigen „to enter the public sphere anew, this time to defend the institutionalization of modern universal rights, the creation of a modern public sphere, and the establishment of democratic regimes“ (ebd.: 220) – dies aber gerade nicht nach autonom religiöser Maßgabe, sondern in Anerkennung der nicht-religiösen Eigengesetzlichkeiten und normativen Voraussetzungen einer zivilgesellschaftlichen Arena (vgl. ebd.: 221f.).21 Trotz der neuen Einsichten, die Casanova hier zu generieren vermag, ist damit für die ausdifferenzierte Sphäre des Religiösen differenzierungstheoretisch reichlich wenig gesagt.22 Auch der folgenden Ansatz von Talcott Parsons und die darin aufgenommenen Perspektiven von Robert Bellah wenden den Blick von etwaigen ausdifferenzierten spezifisch religiösen Dynamiken in weiten Teilen ab. Stattdessen richtet dieser sich auf Prozesse der Generalisierung religiöser Inhalte angesichts einer pluralistisch verfassten Gesellschaft.

3. D IE G ENERALISIERUNG

VON R ELIGION IN DER PLURALISTISCHEN G ESELLSCHAFT : T ALCOTT P ARSONS I

Talcott Parsons liefert unter den soziologischen Klassikern der zweiten Generation den ersten differenzierungstheoretischen Großentwurf, der auch das Religiöse berücksichtigt. Seine Handlungstheorie nimmt dabei von Max Weber ebenso ihren Ausgang wie von Emile Durkheim (neben Pareto und Marshall, vgl. Parsons 1937/1968). Gleichwohl weist sowohl seine Gesellschafts- und Differenzierungstheorie als auch seine Religionssoziologie in den hier entscheidenden Aspekten größere Affinität zum Werk Durkheims als zu dem Webers auf. So steht innerhalb Parsons’ Perspektive religiöse Ausdifferenzierung und religiöse Integration der Gesamtgesellschaft nicht in einem Nullsummen-, sondern vielmehr in einem Steigerungsverhält-

21 Auch Pierre Bourdieu zufolge entstehen im Zuge der Autonomisierung von Feldern Möglichkeiten für die darin befindlichen Akteure, sich außerhalb des Feldes als „Intellektuelle“ zu engagieren; vgl. hierzu nur Bourdieu (1992/1999: 209ff.). 22 In Reaktion auf eine Kritik von Talal Asad (2003: 181ff.) hat Casanova (2006) zudem seine differenzierungstheoretische Perspektive stark relativiert und den Hinweis auf die ‚Fluidität‘ und kontinuierliche Anfechtung der Grenzen zwischen dem Religiösen und dem Säkularen bzw. auf deren wechselseitige Durchdringung aufgenommen; siehe zu dieser Revision auch Casanova (2008: 316ff.).

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nis. Zwar gibt die Religion im Zuge von Differenzierungsprozessen zahlreiche ihrer ursprünglich betreuten Funktionen ab. Die Funktion einer moralischen Integration aber vermag sie dabei infolge von Generalisierungsprozessen umso reiner zu erfüllen. Im Folgenden gilt es zunächst die komplexe Theoriearchitektur Parsons in aller Kürze zu skizzieren (3.1). Die Erörterung nimmt dabei ihren Ausgang von der kybernetischen Perspektive des Vier-Funktionen-Schemas, die Parsons in den „Working Papers“ von 1953 entwirft und fortan weiterentwickelt.23 Sodann ist die Religion in dieses Theorieschema einzuordnen (3.2). Bei Parsons finden sich hierzu nur wenige Bemerkungen. Auch die sorgfältige Rekonstruktion Sigrid Brandts (1993) bezieht, wie Parsons selbst, die religionssoziologischen Betrachtungen nur selten systematisch und erschöpfend auf die allgemeine Gesellschaftstheorie. Im Anschluss daran sind die religionssoziologischen Aufsätze Parsons zu würdigen, die sich dem Christentum aus evolutionstheoretischer Perspektive widmen; hier sind Robert Bellahs Erörterungen zur amerikanischen Zivilreligion eingearbeitet (3.3). Vor diesem Hintergrund gilt es zu einer abschließenden Bewertung dieser Differenzierungsperspektive zu kommen (3.4). 3.1 Die allgemeine Theoriearchitektur Parsons’ Bereits in der Schrift „The Social System“ erörtert Parsons (1951) soziales Handeln als ein Zusammenspiel von Systemen, hier noch drei an der Zahl, die – rein analytisch betrachtet – die Bedingungen der Möglichkeit von Handlungen konstituieren: Es sind dies das Kultursystem, das Sozialsystem sowie das Persönlichkeitssystem. Das Systemkonzert stellt sich in der Theorie Parsons als ein „Interpenetrationsverhältnis“ dar: Kulturelle Werte werden auf der Ebene des Sozialsystems institutionalisiert und respezifiziert; auf der Ebene des Persönlichkeitssystems werden selbige in Form von kognitiven, kathektischen und evaluativen, d.h. die Handlungsalternativen einschränkenden und strukturierenden Orientierungen internalisiert. Ausgangspunkt und Problembezug der Parsons‫ތ‬schen Analyse ist dabei die Aufrechterhaltung eines 23 Vgl. Brandt (1993) für eine detaillierte Rekonstruktion der gesamten Entwicklung des Parsons‫ތ‬schen Theoriegebäudes. Dort wird auch die Religionssoziologie Talcott Parsons, wie sie sich während der verschiedenen Werksphasen darstellt, nachgezeichnet; vgl. hierzu weiter im Text. In Bezug auf die Kontinuität bzw. Diskontinuität sowie hinsichtlich etwaiger Inkonsistenzen im Werk Parsons gibt es unterschiedliche Positionen unter den Exegeten. Habermas (1981: II, 299) konstatiert etwa eine „Paradigmenkonkurrenz“ zwischen der Handlungs- und Systemtheorie. Während in der frühen Werksphase noch der Aktor und seine Orientierungen im Vordergrund gestanden hätten, sei jener Aktor in der späteren Phase zugunsten einer analytischen Dekomposition von Handlungen in Teilsysteme zurückgetreten; diese Teilsysteme seien zudem entgegen dem eigenen Anspruch in der Darlegung zunehmend essentialisiert worden (vgl. ebd.: 352f.). Vgl. hingegen Münch (1988: bes. 190ff.) für eine Interpretation, die demgegenüber auf Konsistenz und Kontinuität im Werk Parsons abstellt; der Aktor bleibe durchgehend Ausgangspunkt der Analyse; so werde beispielsweise das soziale System als analytischer Faktor im handlungsermöglichenden Konzert von Teilsystemen stets von „collectivities“ als tatsächlich handelnden Akteuren unterschieden.

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gesellschaftlichen Äquilibriums durch die Integration von handlungskonstitutiven Elementen (vgl. Parsons 1951: 36). Dieser Perspektive zufolge ist ein Handlungssystem dann im idealen Gleichgewicht, wenn kulturelle Standards sich mit den individuellen Interessen der Persönlichkeiten decken (vgl. Parsons 1951: 38). Auch das Vier-Funktionen-Schema folgt dieser Perspektive eines Zusammenspiels von Teilsystemen, die jeweils eine – für den Fortbestand des Systems notwendige – Funktion erfüllen (vgl. zum Folgenden Parsons 1966a: 5ff.). Die in diesem Zusammenhang veranschlagten Funktionen wurden dabei induktiv an der Beobachtung von Kleingruppenverhalten gewonnen und später auch theoretisch durch die Kreuztabellierung einer räumlichen Achse (intern/extern) und einer zeitlichen Achse (instrumentell/konsummatorisch) hergeleitet. Sie liegen in der adaptiven Ressourcenbeschaffung (A = „Adaptation“), der Zielerreichung (G = „Goal attainment“), der Integration (I) sowie dem Strukturerhalt (L = „Latent pattern maintenance“); auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems werden sie in ebendieser Reihenfolge durch das nun neu hinzugekommene Verhaltenssystem, das Persönlichkeitssystem, das Sozialsystem und das Kultursystem erfüllt. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Annahme einer kybernetischen Hierarchie der Teilsysteme. Während von A über G, I und L der energetische Beitrag der Systeme abnimmt, bildet die Reihenfolge L, I, G, A eine Steuerungshierarchie ab, die mit einer fortlaufenden Abnahme des informationellen Beitrags einhergeht. Hier sind die Überlegungen aus der frühen Studie „The Structure of Social Action“ (1937/1968) über die regulativen Funktionen von (kulturellen) Werten und (sozialen) Normen für das Handeln aufgenommen. Stellt der Verhaltensapparat in seiner ‚Instinktarmut‘ ein prinzipiell unerschöpfliches Repertoire an Handlungsmöglichkeiten bzw. -ressourcen bereit, so schränken motivationale Aspirationsstrukturen der Persönlichkeit diese ein. Letztere sind wiederum sozialisatorisch auf das Gefüge von Werten, Normen, kollektiven Zugehörigkeiten und Rollen im Sozialsystem abgestimmt, welches selbst schließlich von der Warte des kulturell Wünschbaren, Sinnvollen und Legitimen her spezifiziert ist. Diese analytische Dekomposition lässt sich dabei auf der Ebene jedes Teilsystems wiederholen und im Prinzip endlos iterieren: Kultursystem, Sozialsystem, Persönlichkeitssystem und Verhaltenssystem lassen sich ebenfalls als grenzerhaltende Systeme fassen, für deren Fortbestand die Erfüllung der vier Funktionen in je eigenen Teilsystemen analytisch vorausgesetzt werden muss. Auf der Ebene des Sozialsystems etwa unterscheidet Parsons das Treuhandsystem (L), die soziale Gemeinschaft (I), die Politik (G) und die Wirtschaft (A). Auch hier gilt das kybernetische Verhältnis der Systeme, das einerseits in einer Steuerungshierarchie, andererseits in Unterschieden in den energetischen Beiträgen besteht. Und auch hier handelt es sich nicht um empirische Systeme: So ist das Wirtschaftssystem Parsons (1977b: 238f.) zufolge nicht etwa mit dem „business sector“ zu identifizieren. Die Differenzierung folgt vielmehr einer strengen Analytik der Funktionen. Es lassen sich folglich alle Elemente analytisch dem Wirtschaftssystem zuordnen, die einen Beitrag zur Ressourcenbeschaffung leisten; in analoger Hinsicht umfasst das politische System all das, was dem Erreichen kollektiver Ziele dient. Konkrete Kollektivitäten, etwa Wirtschaftsunternehmen, stehen somit im Schnittpunkt der Funktionen: Als Wirtschaftsunternehmen erfüllen sie zwar wirtschaftliche Funktionen, zugleich sind sie als hierarchisch verfasste Bürokratien Einrichtungen zur effektiven Erreichung von Zielen und damit dem Politiksystem zugehörig (vgl. Parsons 1961a: 51). Dabei gilt es im Blick zu be-

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halten, dass es sich hier, anders als bei Dilthey (und, wie noch näher zu erörtern ist, bei Luhmann), nicht um eine Ebenendifferenzierung in dem Sinne handelt, dass Systeme die Handlungsbeiträge von Rollen, Kollektivitäten etc. nach je autonomer Maßgabe verknüpfen – etwa in dem Sinne, dass der Geldbedarf von Organisationen und das Wirtschaften von Familien eine auf Zahlungsverkehr beruhende Ökonomie reproduziert. Letztere Perspektive setzt die Ausdifferenzierung eines konkreten, in seiner Systematizität empirisch ‚gegebenen‘ Wirtschaftssystems voraus, das seine eigenen Elemente in einer ‚Emergenz von oben‘ autonom konkateniert. Demgegenüber gründet Parsons‘ Differenzierungstheorie zunächst allein in einer analytischen Perspektive auf Funktionsbezüge, die in der Realität unterschiedlich rein hervortreten und gegebenenfalls völlig undifferenziert vorliegen können. Das AGIL-Schema liefert folglich lediglich einen „frame of reference“ in der Analyse der sozialen Wirklichkeit. Allerdings verbindet sich damit die Auffassung, dass sich die Funktionsbereiche in der weiteren Entwicklung von Gesellschaften durch entsprechende Differenzierungsprozesse auch empirisch schärfer und konturierter herausbilden (vgl. Parsons 1971a: 25). Unter einer Gesellschaft versteht Parsons (1977a: 182) dabei ein soziales System mit dem größtmöglichen Ausmaß an ‚Sui-Suffizienz‘. Damit ist vor allem die größtmögliche Autonomie in der Regelung der notwendigen Austauschverhältnisse mit den anderen Teilsystemen in der internen Umwelt des allgemeinen Handlungssystems gemeint; im Verhältnis zum Kultursystem etwa bilden Gesellschaften die höchste Ordnungsebene in der Implementation einer normativen Kultur, d.h. von Werten, Normen und kollektiven Zielen (vgl. Parsons 1977a: 182). Auch bei Gesellschaften handelt es sich für Parsons um Abstraktionen aus einer empirischen Mannigfaltigkeit. Es sind analytische herauspräparierte Muster sozialer Interaktionen, wie sie sich in institutionalisierten Werten, Normen, Kollektivitäten und Rollen niederschlagen. Das allgemeine Handlungssystem bettet Parsons (1978a) ebenfalls in einen übergeordneten AGIL-Zusammenhang ein. Das Handlungssystem erscheint dann selbst als ein Teilsystem innerhalb der nächsthöheren Ebene der „conditio humana“; die anderen Teilsysteme kommen hier als die Umwelten des Handlungssystems und damit als die Letztbedingungen menschlichen Handelns in den Blick. Dies sind neben den physikalischen (A) und organischen (G) Umwelten auch das „telic system“ als metaphysische Ebene „letzter Realitäten“, von denen her sich entsprechende „Sinnprobleme“ stellen. 3.2 Religion im Schema der Systemtheorie Diese allgemeine Skizze der Systemtheorie Parsons war notwendig, um im Folgenden den Bereich der Religion adäquat in die Theorie einordnen zu können. Religiöses ist innerhalb dieser Theoriearchitektur nicht auf ein Subsystem beschränkt, sondern in einer „Interpenetrationszone“ zwischen einer Vielzahl von Systemen anzusiedeln: „We do not consider religion to ‚belong‘ in any one of the primary subsystems of action, but to be a phenomenon relating, and thus in a sense integrating, three of these subsystems – cultural systems, personality systems, and social systems.“ (Parsons 1961b: 982) Religiöse Werte und Symbole haben dabei ihren Ort zunächst im Kultursystem des allgemeinen Handlungssystems. Sie stehen hier an kybernetisch höchster Stelle:

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So lassen sich auf der Ebene des Kultursystems entsprechend dem Vier-FunktionenParadigma vier kulturelle Symbolsysteme analytisch unterscheiden: kognitive (A), expressive (G), moralisch-evaluative (I) und schließlich die religiös-konstitutiven Symbolisierungen (L) (vgl. Parsons 1961b: 964ff.; Parsons 1973: 36). Als Symboliken, die auf eine nicht-empirische Realität verweisen, stehen religiöse Muster in einem Interpenetrationsverhältnis mit dem „telic system“ der nächsthöheren Systemebene. Wie soeben erwähnt, lassen sich hier die metaphysischen Seinsgründe bzw. letzten Bezugspunkte des Daseins und die mit ihnen verbundenen Sinnprobleme (im Sinne Webers) verorten, wie sie von der Warte des kulturellen Systems im allgemeinen Handlungssystem konstruiert werden (vgl. Parsons 1977a: 181; Parsons 1978a). Gleichzeitig steht religiöse Kultur in einem Interpenetrationsverhältnis mit dem Sozialsystem. Innerhalb des Sozialsystems ist das Treuhandsystem mit der Anbindung der sozialen Interaktionsstrukturen an kulturelle Wertvorstellungen und Symbole betraut. Ausgehend von modernen Differenzierungen lassen sich hier wissenschaftlich und künstlerisch orientierte Verbände und Organisationen ebenso einordnen wie das Verwandtschaftssystem und andere Institutionen, die sozialisatorische Funktionen erfüllen (vgl. Parsons 1977a: 195). Auch religiöse Kollektivitäten wie Kirchen usw. sind hier ‚einzusortieren‘, insoweit sie mit der Einflechtung religiöser Orientierungen in Handlungszusammenhänge befasst sind und sich der Pflege und dem Entwurf von religiösen Sinnzusammenhängen verschreiben. Dabei kommt ihnen eine eigentümliche Doppelexistenz zu: Einerseits halten sie ein kulturelles Bedeutungssystem in Stand, haben also einen kulturellen Primat und sind folglich (abstrahiert) als „kulturelle Handlungssysteme“ zu klassifizieren. Andererseits ruhen sie auf Strukturen auf, die religiöse Orientierungen und Aufgaben in kirchlich-religiösen Rollenmustern und Normen institutionalisieren, und bilden damit, wiederum analytisch gesprochen, auch „soziale Systeme“: Sie sind „in the first instance, cultural in focus, and secondarily social, because [they] must meet exigencies of interaction“ (Parsons 1961b: 964).24 Religiöses steht schlussendlich auch in einem interpenetrativen Zusammenhang mit der Persönlichkeit, wo es, wie Lidz (1982: 300) formuliert, in das kybernetisch 24 Während Parsons (1951: 17f.) das Kultursystem ursprünglich in seiner Konstitution als wesentlich verschieden vom Persönlichkeitssystem und Sozialsystem fasst, insoweit letztere aus Handlungszusammenhängen bestehen, während ersteres aus Symbolen besteht, so werden Kultursysteme später gleichermaßen als Handlungssysteme behandelt, insoweit sie neben Codes auch Handlungskomponenten umfassen, „die auf kulturelle Objekte ausgerichtet sind“ (Parsons/Platt 1973/1990: 31; zu dieser Umstellung auch Habermas 1981: II, 353ff.). In dieser Hinsicht sind Universitäten etc. als kulturelle Subsysteme zu verstehen, die in der durch das Treuhandsystem besetzten Interpenetrationszone zwischen Sozialsystem und Kultur angesiedelt sind; vgl. hierzu Parsons/Platt (1973/1990: 33ff.). Parsons (1977a: 195) scheint indes darüber hinaus noch eine (etwas undurchsichtige) Unterscheidung zwischen Theologieschulen und Kirchen, Forschergruppen und Universitäten, Rechtsschulen und Gerichten zu treffen: Während die jeweils Ersteren allein mit der Kultivierung betraut sind und somit vornehmlich kulturell orientiert sind, sind die jeweils Zweiten mit der Institutionalisierung dieser Muster in Handlungszusammenhänge betraut bzw. konstituieren selbst Formen der sozialen Einflechtung solcher Muster. Dabei werden bei Parsons wiederum Interpenetrationsverhältnisse zwischen jeweils beiden Einheiten konstatiert.

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höchste Subsystem des Ich-Ideals platziert werden muss: Hier werden Bindungen an höchste (religiöse) Prinzipien und Ideale internalisiert, in deren ‚wertrationalen‘ Dienst sich die energetischen Motivationsressourcen der Persönlichkeit stellen. Dieses religiöse Interpenetrationsverhältnis zwischen Kultur, Sozialsystem und Persönlichkeit steht ganz im Einklang mit der Funktion, die Parsons der Religion zuschreibt: „the regulation of the balance of the motivational commitment of the individual to the values of his society – and through these values to his roles in it as compared with alternative considerations concerning his ultimate ‚fate‘ as a knowing, sentient being, and the bases on which this fate comes to have meaning to him, in the sense in which Max Weber refers to ‚problems of meaning‘.“ (Parsons 1960a: 302f.)

Religion sorgt bei Parsons somit für einen sinnstiftenden Zusammenhang zwischen einer allgemeinen „Weltsicht“ mit Bezug zu den letzten Dingen („most general world-views or definitions of the human condition“, vgl. Parsons 1961b: 970), dem sozialstrukturellen Rollengefüge und gesellschaftlichen Engagement des Individuums sowie dem Selbstentwurf und den daraus hervorgehenden Motivationsstrukturen der Person selbst.25 Die Religion löst damit in den späteren Lebensphasen des Individuums die Familie in ihrer motivationssteuernden Funktion zunehmend ab (vgl. Parsons 1960a: 303). Schon in der Einordnung der Religion in das zunächst einmal ahistorische Theorieschema Parsons’ zeigt sich, dass Religion von der Warte dieser Theorieperspektive auch in der modernen Gesellschaft eine zentrale Rolle spielen dürfte. Der damit implizierte Gegensatz zu dem Säkularisierungsparadigma kommt dabei insbesondere im Rahmen von Parsons’ entwicklungsgeschichtlichen Erörterungen zum Christentum zum Vorschein. Anders als das klassisch Weber‫ތ‬sche Narrativ einer Potenzierung und Depotenzierung der Religion setzt Parsons auf einen Steigerungszusammenhang von Differenzierung, Inklusion, „adaptive upgrading“ und Generalisierung des Religiösen im Laufe der christlichen Religionsgeschichte, die für ihn in der gegenwärtigen amerikanischen Situation kulminiert. Dies gilt es im Folgenden näher zu erörtern. 3.3 Der christliche Entwicklungsprozess als Zusammenspiel von Differenzierung, Inklusion, „adaptive upgrading“ und Wertgeneralisierung Fragen religiöser Differenzierung kommen bei Parsons (1960a; 1967a; 1971b) insbesondere in der Betrachtung der historischen Entwicklung des Christentums hin zum denominationalen Pluralismus der USA in den Blick. Entgegen der Diagnose des Bedeutungsverlusts des Christentums in modernen Gesellschaften geht Parsons im Falle der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft von einem historisch bislang unerreichten Ausmaß der durchgreifenden Institutionalisierung christlicher Werte aus. Diese These wird im Zusammenhang der Säkularisierungsdiskussion insbesondere 25 Vgl. hierzu auch den in dieser Sache ähnlichen Ansatz Luckmanns (1967), der oben bereits erörtert wurde. Beiden gemein ist dabei die enge Orientierung an Durkheim.

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gegen die von Sorokin (1937) veranschlagte Position lanciert, der zufolge für die USA von einem Rückgang religiöser Werte und Orientierungen auszugehen sei. Die Etappen, die Parsons (1967a) entwicklungsgeschichtlich für das Christentum nachzeichnet, sind die des Urchristentums, des christlichen Hochmittelalters, der Reformation und schließlich eines denominationalen Pluralismus. In der Darstellung tritt dabei teils implizit, teils ausdrücklich Parsons allgemeines Schema sozialer Entwicklung hervor. Differenzierung wird hier als ein Prozess gedacht, der eine Rückkopplungsschleife aus „adaptive upgrading“, „inclusion“ und „value generalization“ (entsprechend den vier Funktionen) auslöst, welche das System auf einem neuen Entwicklungsniveau homöostatisch resituiert (vgl. Parsons 1966a: 21ff.; 1971a: 26ff.). Die Differenzierung sozialer Strukturen bedeutet eine funktionale Spezialisierung (entsprechend der G-Funktion). Sie geht dabei in der Regel mit einer höheren Effizienz und Anpassungsflexibilität in der Ausübung bestimmter Funktionen einher, gleichzeitig aber auch mit erhöhten Anforderungen an die Beschaffung der hierfür nötigen Ressourcen (adaptive upgrading; entsprechend der A-Funktion). Gleichzeitig bedürfen die durch den Differenzierungsprozess neu entstandenen Einheiten und Handlungsmöglichkeiten der gemeinschaftlichen Inklusion in Form einer Einbettung in ein umfassendes gesellschaftliches Normengeflecht (entsprechend der I-Funktion). Schließlich müssen die komplexeren Normstrukturen auf der kulturellen Ebene durch generalisierte Wertorientierungen abgesichert und legitimiert werden (entsprechend der L-Funktion).26 Auch die Differenzierungen im Bereich der Religion folgen in der Darstellung weitgehend diesem Entwicklungsschema: Die Stationen in der Entwicklung des Christentums markieren Schübe der Differenzierung von religiöser und weltlicher Sphäre bei gleichzeitiger Steigerung der religiösen Einflussnahme auf die Welt („adaptive upgrading“); dabei richten sich beide Sphären unter einem gemeinsamen Dach christlich legitimierter Normen und Werte ein („inclusion“ und „value generalization“). So war mit der Entstehung des Christentums und der christlichen Urkirche, so die Darstellung, eine (empirische) Differenzierung eines Systems primär religiöskultureller Orientierung vom sozialen System verbunden: Es wurde in diesem Zusammenhang einerseits die Verschmelzung von Religion und einer spezifischen Volksgruppe aufgegeben, wie sie das Judentum charakterisierte; andererseits wurde durch die außerweltliche Orientierung eine Distanz zum ‚weltlichen‘ römischen Staat geschaffen. Ein damit verbundenes „adaptive upgrading“ sieht Parsons vor allem darin, dass die Kirche von ihrer Position der Unabhängigkeit einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft ausüben konnte: „It established a ‚place to stand‘ from which to exert leverage, and it developed a firm organization to safeguard that place. [...] [The process was] one of acceptance of the fundamental differentiation between church and state, but the attempt to define the latter as subject to Christian principles.“ (Par26 Diese Evolutionstheorie hat Parsons kaum ausgearbeitet; eine systematische Darlegung findet sich im Gesamtwerk nur in Form von wenigen Bemerkungen. Insbesondere die Aspekte der Inklusion und des „adaptive upgrading“ sind reichlich unscharf. In Bezug auf Inklusion legt Parsons bisweilen den Akzent allein auf die Einbindung von Personen und Personenkreisen (und weniger auf die normative Einflechtung der neu entstanden sozialen Einheiten); in Bezug auf das „adaptive upgrading“ überwiegt mal der Aspekt der Effizienzsteigerung, mal der Aspekt der Ressourcenbeschaffung.

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sons 1967a: 395) Damit sieht Parsons notwendigerweise eine neue Autonomie des (christlichen) Individuums in der Gestaltung der Beziehungen zu seinen Mitmenschen einhergehen; diese folgte nicht länger ritualistischen, gesetzesreligiösen Reglementierungen wie im Judentum, sondern generalisierten christlichen Prinzipien (vgl. Parsons 1967a: 395). Der Wandel des Christentums von einer weltablehnenden Sekte hin zur christlichen Einheitsgesellschaft des Mittelalters bedeutet für Parsons dabei einen weiteren Entwicklungsfortschritt und den eigentlichen Beginn eines Entwicklungsprozess von Dynamiken der Ausdifferenzierung, Adaptivitätssteigerung, Inklusion und Wertgeneralisierung innerhalb einer Gesellschaft als moralischer Gemeinschaft. So ist Parsons (1967a: 395f.) zufolge in der Krönung Karls des Großen durch den Papst keine strukturelle Absorption der weltlichen durch die religiöse Sphäre zu sehen. Im Gegenteil: Vielmehr gilt ihm dies als Anerkennung der strukturellen Differenzierung des Religiösen und des Säkularen unter einem gemeinsamen Dach christlicher Wertbindungen. Theologen wie etwa Thomas von Aquin lieferten dabei für die Differenz zwischen spiritueller und temporaler Sphäre den inkludierend-übergreifenden normativkulturellen Rahmen im (legitimierenden) Einklang mit generalisierten christlichen Glaubensvorstellungen, so Parsons (1971b: 220f.). Religiöse Werte wurden dabei beispielsweise durch die Verknüpfung von sozialen und spirituellen Stratifikationsmustern gesellschaftlich institutionalisiert, etwa in der Vorstellung der größeren moralischen Verantwortung und religiösen Qualifikation des Adels. Darin erkennt Parsons (1971b: 221) ein moralisches und spirituelles „upgrading“ der säkularen Gesellschaft im Sinne einer effektiveren gesellschaftlichen Implementation christlicher Wertorientierungen. In der Reformation sieht Parsons insofern einen weiteren Differenzierungsschub zwischen weltlicher und religiöser Sphäre, als das Prinzip der Autonomie von den säkularen Gesellschaftsbereichen auf das Individuum selbst ausgedehnt wurde. Nicht allein weltliche Strukturen, sondern das Individuum als solches wurde aus dem direkten religiösen Zugriff entlassen. Mit der Abschaffung der priesterlichen Absolution und der Gnadenspende oblag es allein dem Individuum, sich des eigenen Gnadenstandes zu vergewissern. Dieser Funktionsverlust der kirchlichen Anstalt, deren Priesterstand vormals die gesellschaftlichen Verhältnisse durch direkten sozialisatorischen und sanktionierenden Einfluss christlich gestalten und prägen konnte, ist nach Parsons aber wiederum nicht als Rückzug des Religiösen aus der Gesellschaft zu sehen. Aus seiner Sicht erreicht die Gesellschaft mit Abschluss des geschilderten Evolutionszyklus vielmehr auch hier ein höheres Entwicklungsniveau (vgl. Parsons 1967a: 404). So richtet sich die christliche Religiosität nun, statt in einer unmündigen Beziehung zu einem priesterlichen Amtsträger, in einer gesinnungsethisch sublimierten bzw. generalisierten Lebensführung ein. Den normativen Rahmen dafür lieferte die lutherische Berufskonzeption, die in den weltlichen (Berufs-)Rollen Gelegenheiten zu gottwohlgefälligem Handeln sah. Damit war die Gesellschaft, so die Darstellung, in ihren säkularen wie religiösen Sphären auf einer neuen Generalisierungsstufe christlich legitimiert („value-generalization“) und die religiösen Letztorientierungen gesellschaftlicher Handlungszusammenhänge in bislang unerreichter Effektivität implementiert („adaptive upgrading“): „In terms of its possibility of exerting leverage over secular society this was by far the most powerful version of the conception of the possibility of a ‚Christian society‘ which had yet appeared.“ (Parsons 1967a: 404)

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Die bislang letzte Stufe in dieser Entwicklung sieht Parsons im denominationalen Pluralismus in den Vereinigten Staaten verwirklicht.27 Denominationen nehmen dabei eine Zwischenstellung zwischen Kirchen und Sekten ein (vgl. Parsons 1967a: 413f.). Sie haben mit Sekten das voluntaristisch-pluralistische Prinzip der Assoziation gemein, allerdings nicht die puristisch-asketische Weltflucht. Mit den Kirchen wiederum teilen sie das differenzierungsbezogene Arrangement zwischen weltlicher und religiöser Interessenssphäre, allerdings nicht den Anspruch einer gesellschaftlichen Alleinzuständigkeit. Gegenüber dem reformatorischen Protestantismus liegt hier ein weiterer Rückzug des Individuums aus organisationellen Kontrollvorgaben vor. Das Individuum wird nicht nur in die religiöse Selbstverantwortung auf der dogmatischen Basis einer bestimmten protestantischen Glaubensgemeinschaft entlassen, ihm steht selbst noch die Wahl der Dogmen und ihr organisatorischer Ausdruck frei (vgl. Parsons 1967a: 414). Darin ist nach Parsons wiederum eine Fortführung und Steigerung der ‚Christianisierung‘ der Gesellschaft zu sehen. Die denominationale Vielfalt richtet sich unter einem Dach gemeinsamer Wertvorstellungen von einem entsprechend hohen Generalisierungsniveau ein. Darunter fallen Parsons (1971b: 228) zufolge neben Juden und Katholiken selbst noch jene „säkulare Humanisten“ ohne engere denominationale Einbindung. Es ist dieses gemeinsame religiöse Wertmuster, das Parsons in Anlehnung an Robert Bellah als „civil religion“ (manchmal auch „civic religion“) bezeichnet. Jene trägt zwar weiterhin die transzendenten Referenzen eines Theismus, allerdings ohne dabei auf konkrete Glaubensartikel rein christlicher Traditionen (etwa auf die Trinität) zu verweisen (vgl. Bellah 1967/1991; Parsons 1966b: 134ff.). Sie umfasst lediglich moralische Abstraktionen davon, so etwa Freiheit, Toleranz, bestimmte Statusgleichheiten, hohe Leistungsorientierung und Verantwortung für andere (vgl. Parsons 1966b: 136). In diesem Sinne unterscheidet Parsons hier zwischen zweierlei Ebenen religiöser Einbindung: einer engeren denominationalen Zugehörigkeit einerseits und einer allgemeinen Verpflichtung gegenüber einem breiteren religiös-kulturellen Wertkonsens andererseits (vgl. Parsons 1967a: 414). In Bezug auf Letzteren sind alle (wohl-sozialisierten) Gesellschaftsmitglieder „believers“, unabhängig von ihrer denominationalen Affiliation (vgl. Parsons 1971b: 228). Die Tatsache, dass die Gesellschaft im Einklang mit den essentiellen christlichen Werten steht, ermöglicht Parsons zufolge überhaupt erst den denominationalen Pluralismus, der ja nicht allein staatlicherseits, sondern auch von religiöser Seite selbst toleriert und verteidigt wird. Denn die denominationale Toleranz und Verteidigung eines religiösen Individualismus ruht auf dem Vertrauen in die moralische Integrität des Individuums, die nicht erst durch einen denominationalen Zugriff sichergestellt werden muss, sondern allein schon durch die Mitgliedschaft in der Gesellschaft und damit in der breiteren moralischen Gemeinschaft unter dem Dach einer generalisierten „civil religion“ garantiert ist. Dieses Vertrauen kann für

27 Mit der Terminologie der „Denomination“ hat insbesondere H. Richard Niebuhr (1929) die auf Troeltsch und Weber zurückgehende Kirchen/Sekten-Typologie erweitert. Die These Niebuhrs (1929) ist, dass Sekten die Tendenz haben, mit der Zeit einen denominationalen Charakter anzunehmen, insoweit die weltablehnende Orientierung über die Generationen hinweg und aufgrund des ökonomischen Wohlstands als Folge der asketischen Lebensführung abgeschwächt wird.

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Parsons (1967a: 416ff.) nur zustande kommen, wenn die Gesellschaft in einem nie zuvor dagewesenen Maße mit christlichen Werten im Einklang steht. Mit dieser Privatisierung der Religiosität ist aus Parsons‘ Sicht einerseits ein neues Niveau der strukturellen Differenzierung von religiöser und weltlicher Sphäre erreicht, das mit einer internen Ausdifferenzierung einer Vielzahl religiöser Kollektivitäten einhergeht. Mit der damit einhergehenden Steigerung des individualistischen Prinzips und der Verlagerung der moralischen Verantwortung in das Individuum selbst wird hier andererseits erneut ein „adaptive upgrading“ verbunden (vgl. Parsons 1967a: 419). Das hohe Differenzierungs- und Komplexitätsniveau der modernen Gesellschaft nimmt die ethische Verantwortung des individuellen „Gewissens“ (Parsons 1966b: 138) in Anspruch und wird durch darin gründende „Solidaritäten“ erst ermöglicht, so das Argument (vgl. dazu auch Parsons 1967b: 22, 27). Dies führt zu einer eigentümlichen Auslegung des Begriffs der „Säkularisierung“ bei Parsons (1971b: 215ff.). Unter dem Begriff will er keinen Rückzug religiöser Wertbindungen und Handlungsorientierungen aus ‚weltlichen‘ Angelegenheiten verstanden wissen, sondern umgekehrt die durchgreifende Assimilation ‚weltlicher‘ Sphären an religiöse Wertvorstellungen, d.h. die immer grundlegendere Institutionalisierung religiöser Orientierungen im Zuge einer Evolution von kulturellem und sozialem System. Es scheint dies eine Konsequenz der synthetisierenden Perspektive auf die Religionssoziologien von Weber und Durkheim zu sein. Die Hinwendung zur Welt und ihre Umgestaltung im Zuge der innerweltlichen Askese der protestantischen Ethik bei Weber wird in Zusammenhang gebracht mit dem Konzept der „moral community“ als sakraler Solidargemeinschaft bei Durkheim (vgl. Parsons 1971b: 213f.). Religiöse Differenzierungsprozesse wie sie Weber beschreibt gehen einher mit Generalisierungen, die weiterhin die religiöse Einbettung von Gesellschaft garantieren. Diesen Punkt gilt es im folgenden Abschnitt noch etwas eingehender zu erörtern. 3.4 Die differenzierungstheoretische Position Parsons’ Bei einer oberflächlichen Betrachtung des Werks Parsons kann zunächst der Eindruck entstehen, er bewege sich in differenzierungstheoretischer Hinsicht in der Tradition von Weber, Simmel und Dilthey. So weiß er zum einen kulturelle Bedeutungssysteme von den sozialstrukturellen Trägern und Promotoren zu unterscheiden; zum anderen konstatiert er auf der Ebene kulturellen Sinns selber Differenzierungen zwischen kognitiven, ästhetischen, moralischen und religiösen Sinnzusammenhängen, die auch empirisch mit den entsprechenden sozialstrukturellen Ausdifferenzierungen von Wissenschaft, Kunst und Religion stärker hervortreten. Bei näherer Sichtung der Parsons‫ތ‬schen Theorie wird allerdings deutlich, dass die von Weber übernommenen Einsichten nicht jene differenzierungstheoretischen Perspektiven sind, die Weber in eine Reihe mit Dilthey und Simmel stellen. Parsons folgt Weber in seiner differenzierungstheoretischen Untersuchung der Religion nur auf halbem Wege. Insofern er um eine Synthetisierung der Positionen Durkheims und Webers bemüht ist, scheint es ihm vor allem auf einen Aspekt der Weber’schen Erörterungen anzukommen. Es ist dies die Tatsache, dass Weber bestimmten religiösen Sinnzusammenhängen, etwa dem asketischen Protestantismus, den Status einer Bedeutungsstruktur zuschreibt, die alle Handlungsorientierungen zu begründen und auf religiöse ‚Letztziele‘ zu bezie-

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hen vermag. Parsons (z.B. 1973: 38) ist hier an den grundierenden, ‚steuernden‘ Funktionen religiöser Werte für die allgemeinen Prozesse im sozialen System interessiert – Funktionen, wie sie bei Weber etwa an den dargelegten Konsequenzen religiöser Ethiken für wirtschaftliche Orientierungen abzulesen sind. Die Kehrseite der Weber‫ތ‬schen Erörterungen zum asketischen Protestantismus – die tragische Komponente der „Paradoxie der Wirkung“ (Weber 1920/1988: 524) – scheint dabei aber wenig Einfluss auf Parsons genommen zu haben. Nichts anderes gilt für das Spannungsverhältnis zwischen einer rationalisierten Brüderlichkeitsethik und den sich entfaltenden Eigengesetzlichkeiten weltlicher Ordnungen, wie es insbesondere die „Zwischenbetrachtung“ schildert. Hier liegt aber die eigentliche ‚Differenzierungstheorie‘ Webers: In dem Maße, in dem die einzelnen Sphären ihre Eigengesetzlichkeiten fortentwickeln, treten sie insbesondere zur Religion in Widerspruch, die sich schließlich ins „Irrationale“ abgedrängt sieht. In der Konsequenz wird damit eine Gesellschaftstheorie vorgelegt, die gerade nicht auf die (religiöse) Integration eines gesellschaftlichen Ganzen aus ist, sondern, auf Gesellschaftsbegriffe verzichtend, von den Eigendynamiken und zunehmenden Auseinanderentwicklungen disparater Lebensordnungen zu berichten weiß. Die Integrationslast fällt in dieser Konzeption dann dem Individuum und nicht etwa einem Gesellschaftssystem oder kulturellen Funktionsbereich zu. Demgegenüber liest Parsons (1973: 39) Weber hier, wie schon in „The Structure of Social Action“ (1937/1968), auf „Konvergenz“ mit Durkheim hin: Es geht ihm um das „religiöse Rahmenwerk“, das gesellschaftlichen Wertsystemen und Handlungsorientierungen Sinn verleiht – bei Weber die protestantische Ethik, bei Durkheim der Totemismus der Aborigines. In dieser Hinsicht sei bei beiden „the congruence [...] quite clear“ (Parsons 1973: 39).28 In der Parsons‫ތ‬schen Konzeption geht religiöser Sinn in seiner Ausdifferenzierung damit nicht auf Distanz zu anderem Sinn. Es wird keine Sonderung autonomer Sinnperspektiven beschrieben, die entgegen gesellschaftlicher Interdependenzen spezifische Eigengesetzlichkeiten entfalten. Die Perspektive geht nicht nur in synchroner Hinsicht von einem integrierten Ganzen, sondern auch in diachroner Hinsicht von stets ‚reharmonisierenden‘ Integrationsdynamiken aus. Strukturelle Ausdifferenzierungen des Religiösen werden demzufolge auf der Sinnebene durch Generalisierungsprozesse flankiert, die religiösen Sinn weiterhin gesamtgesellschaftlich durchgreifend zur Geltung bringen, ja, das Religiöse und Säkulare in ein „neues Äquilibrium“ überführen (vgl. Parsons 1960a: 299). Damit dominiert bei Parsons letztlich die Durkheim‫ތ‬sche Perspektive, die Religiöses als Korrelat und ‚Kitt‘ des Gesellschaftlichen schlechthin verstanden wissen will. Dies wird sehr deutlich, wenn man sich die Parsons‫ތ‬sche Konzeption der Differenzierungsvorgänge im kulturellen System vergegenwärtigt: In Korrelation zur strukturellen Ausdifferenzierung des Religiösen im sozialen System tritt hier eine zunehmend klare Trennung religiöser Symbolismen von wissenschaftlich-kognitiven, künstlerisch-expressiven und moralisch-evaluativen Symbolisierungen hervor. Darunter sind aber keine Prozesse der interdependenzunterbrechenden Sonderung von autonomen Sinnperspektiven zu sehen, wie sie im ersten Kapitel mit den Ansätzen Diltheys, Simmels und Webers verbunden wurden. Das Kultursystem als Ganzes ist vielmehr selbst als ein integriertes System mit eigenen 28 Vgl. hierzu auch die Einschätzung von Lechner (1998: 353): „Durkheim came to provide the analytical tools in Parsons’s [sic] ambivalent struggle with Weber.“

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Bestandserhaltungserfordernissen zu sehen und so analytisch in die vier Funktionsbereiche zu untergliedern. Dem religiös-konstitutiven Symbolsystem kommt dabei die im kybernetischen Sinne höchste Position, d.h. die L-Funktion, zu (vgl. Parsons 1971b: 215; Parsons/Platt 1973/1990: 72). Das bedeutet, dass für Parsons religiöser Sinn die allgemeine Matrix kulturellen Sinns schlechthin darstellt und nicht nur gesellschaftliche Handlungsorientierungen einschränkt, sondern auch in einem übergeordneten Begründungszusammenhang mit den anderen kulturellen Symbolisierungsdimensionen steht (vgl. Parsons 1961b: 970): „Religion comprises the matrix from which cultural institutions in general have become differentiated and remains the ‚master system‘ in the cybernetic sense.“ (Parsons 1977a: 194) Auch in modernen Gesellschaften, in denen die ‚kultursystemische‘ Differenzierung sich dem analytischen Modell annähert und expressive, moralisch-evaluative und kognitive Symbolisierungen weitreichende Autonomie genießen, gründet beispielsweise das System wissenschaftlich-kognitiver Symbolisierung weiterhin in religiösen Traditionen, die die kognitiv-rationale Hinwendung zur Welt religiös validieren und legitimieren (vgl. Parsons/Platt 1973/1990: 72f.).29 Die Parsons‫ތ‬sche Funktionshierarchie auf sozialstruktureller wie kultureller Ebene unterbindet damit von vornherein ein differenzierungstheoretisches Denken, das von einem desintegrierten Nebeneinander unabhängiger, eigendynamischer Sphären ausgeht. Stattdessen wird hier eine vertikale Steuerungshierarchie beschrieben, innerhalb derer in letzter Instanz alle Orientierungen einem religiös-konstitutiven Sinnmoment verpflichtet bleiben. Ausdifferenzierungsbewegungen von religiösen Gruppierungen und Trennungen von weltlichen und spirituellen Sphären setzen evolutive Generalisierungen religiösen Sinns in Gang, die der Religion letztlich ihren gesellschaftlich umfassenden Ort bewahren.30 In gesellschafts- bzw. differenzierungstheoretischer Hinsicht bleibt Parsons damit voll und ganz Durkheim verpflichtet. Die Durkheim‫ތ‬sche Perspektive dominiert ganz offensichtlich auch seine Lesart der Weber‫ތ‬schen Erörterungen zur protestantischen Ethik. Nicht die Ausdifferenzierung besonderen Sinns in Differenz zu anderen Sinnperspektiven wird hier akzentuiert, sondern vielmehr das integrative Zusammenspiel religiös-kultureller Werte, individueller Motivationen und der Orientierungs- und Handlungsmuster im sozialen System.31 29 Vgl. hierzu die Studie von Robert K. Merton (1938/1970) zur Rolle des asketischen Protestantismus in der Entstehung moderner Wissenschaften, die von Parsons (z.B. 1978c: 119f.; Parsons/Platt: 1973/1990: 64) zumeist in diesem Zusammenhang angeführt wird. 30 Auch ein internationales „System of Societies“ muss für Parsons entsprechend koextensiv mit einer gemeinsam geteilten normativen Kultur sein; vgl. etwa Parsons (1961c); siehe hierzu Mahlert (2005); mit Bezug auf den Gesellschaftsbegriff Stichweh (2005b: 176ff.). 31 Für die Tatsache eines Übersehens des differenzierungstheoretischen Gedankenguts Max Webers, wie es vor allem in der „Zwischenbetrachtung“ zum Ausdruck kommt, spricht auch die Bemerkung Parsons‫( ތ‬1977c: 56), in der er Emile Durkheim gegen Max Weber und Karl Marx ausspielt. Während Durkheim auf eine institutionell regulierte Arbeitsteilung und folglich auf „differentiatedness and pluralization“ abstelle, zeichneten sich Weber und Marx in ihren sozialstrukturellen Beschreibungen eher durch eine „hierarchical emphasis on power relations“ aus; vgl. dort auch weiter für den darauf bezogenen Gegensatz von „associational-pluralistic emphasis“ vs. „class discriminations“ bzw. „high level of bureaucratization“ (ebd.: 57).

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Im Folgenden gilt es sich demgegenüber Theorien zuzuwenden, die, entweder in Teilaspekten oder in der Gesamtanlage, auf Eigendynamiken innerhalb einer ausdifferenzierten religiösen Sphäre aufmerksam machen. Dabei wird überraschen, dass den Anfang in diesem Zusammenhang wiederum Talcott Parsons macht. Nicht minder wird überraschen, dass Parsons ebenso wie Peter L. Berger hier unter einer Rubrik mit dem Rational-Choice- bzw. „supply-side“-Ansatz von Rodney Stark et al. erscheinen; immerhin sind es gerade jene beiden, von denen die Letzteren sich in ihrer Perspektive auf die Religion ausdrücklich absetzen (vgl. Warner 1993: 1047). Gleichwohl finden sich, wie im Folgenden dargelegt werden soll, mitunter auch bei Parsons und Berger theoretische Beschreibungen von religionsspezifischen Eigendynamiken, die eine solche Rubrikation rechtfertigen.

4. P ERSPEKTIVEN AUF RELIGIÖSE E IGENDYNAMIKEN IN DER M ODERNE : T ALCOTT P ARSONS II, P ETER L. B ERGER , R ATIONAL C HOICE (R ODNEY S TARK ET AL .) An dieser Stelle gilt es jene Autoren in den Blick zu nehmen, die sich für Eigengesetzlichkeiten einer ausdifferenzierten religiösen Sphäre in der modernen Gesellschaft interessieren. So finden sich bei Parsons auch Betrachtungen zu den Eigenlogiken eines denominational verfassten ‚Religionssystems‘ (4.1). Die frühe Religionssoziologie Peter L. Bergers diskutiert marktanaloge Prozesse unter religiösen Anbietern (4.2). Und auch der Rational-Choice-Ansatz von Rodney Stark et al. ist an religiösen Konkurrenzdynamiken und ihren Voraussetzungen interessiert (4.3). 4.1 Talcott Parsons II Im vorigen Abschnitt wurde auf den Durkheim‫ތ‬schen Akzent der Parsons’schen Religionsperspektive aufmerksam gemacht; damit einher geht die Annahme religiöser Generalisierungsprozesse, die an religiöse Ausdifferenzierungen in der modernen Gesellschaft gekoppelt sind. Dennoch verbindet sich mit den Parsons’schen Erörterungen zum denominationalen Pluralismus bisweilen noch ein weiterer differenzierungstheoretischer Gedanke, der etwas anders gelagert ist. Obgleich an einigen Stellen die wechselseitige Toleranz der Denominationen sogleich auf die Gesamtgesellschaft als „moralische Gemeinschaft“ hochprojiziert wird (vgl. etwa Parsons 1967a: 414; 1971b: 228), ist an anderen Stellen vom denominationalen Pluralismus als einem „religiösen System“ im engeren Sinne die Rede (vgl. Parsons 1960a: 313). Diesem System liegen bestimmte Grundregeln des Verkehrs und Vorstellungen legitimer Denominationen zugrunde: „If denominational pluralism of this sort is to be institutionalized as the religious system of a society, then certain conditions must be met. Two of the most fundamental are definition of the limits within which a group of religious associates may claim to be a legitimate ‚denomination‘ and second, the rules of their competition with each other in terms of mutual respect and the like. A third basic problem area concerns the way in which the line is drawn between the legit-

104 | W ELTBEKEHRUNGEN imate sphere of religious concern and that of the primarily secular institutions which have been discussed.“ (Parsons 1960a: 313; Herv. M.P.)

Für dieses „religiöse System“, das hier nun offensichtlich als soziologische Abstraktion eines empirischen Zusammenhangs von Denominationen erörtert wird, werden hier also gewisse Momente der „Selbstreferenz“ ebenso angedeutet wie eine spezifische Eigengesetzlichkeit. Es gibt einerseits einen übergreifenden Nexus spezifischer religiöser Organisationen, der durch generalisierte Vorstellungen von Denominationen gegen eine Umwelt abgesichert wird, andererseits ist von spezifizierten Logiken der Konkurrenz die Rede, die das Verhältnis der Denominationen zueinander begründen und eventuell dynamisieren. Es bleibt bei diesen Andeutungen – dennoch zeigt bereits einiges von dem Vokabular an, dass an diese Beschreibung der amerikanischen Situation mit der Differenzierungsperspektive angeknüpft werden kann, der sich die vorliegende Arbeit verpflichtet fühlt. Darüber hinaus ließe sich die Andeutung einer selbstbezüglichen Absicherung eines religiösen Gesamtsystems mit dem Instrumentarium der Luhmann‫ތ‬schen Systemtheorie aufgreifen, deren Kontinuität mit Dilthey, Simmel und Weber im nächsten Kapitel (III) aufgezeigt werden soll.32 4.2 Peter L. Berger Wie Talcott Parsons und Thomas Luckmann, so nimmt auch Peter L. Berger (1973) in seiner Religionstheorie ausdrücklich Ausgang von den klassischen Positionen Webers und Durkheims.33 Für Berger steht das Religiöse dabei, ähnlich wie für Luckmann, in einem konstitutiven Zusammenhang mit einer sinnbezogenen „Welterrichtung“. Entgegen der funktionalistischen Definition Luckmanns macht Berger allerdings einen substantiellen Begriff des Religiösen geltend. So fällt Religion bei Berger nicht schon mit jeder ‚Sinnwelt‘ zusammen, die den individuellen Organismus sinnhaft zu transzendieren bzw. zu umschließen vermag. Das Religiöse besteht allein in einer Kosmisierung unter dem Gesichtspunkt des Heiligen, d.h. in der Errichtung eines „heiligen Kosmos“ (vgl. Berger 1973: 26). Allerdings liegt darin freilich kaum ein Unterschied gegenüber der theoretischen Position Luckmanns. Diesem zufolge wird, wie oben erörtert, die eigentliche religiöse Funktion der Weltsicht ebenfalls durch einen solchen „heiligen Kosmos“ erfüllt, der gleichermaßen mit Symbolen des Heiligen, Außeralltäglichen versehen ist. Berger (1973: 28; 168) selbst nimmt in Abgrenzung zu Luckmann indes in Anspruch, mit seiner substantiellen Definition prinzipiell zwischen religiösen und nicht-religiösen Kosmoi unterscheiden zu können; zu letzteren ließe sich etwa die naturwissenschaftliche Weltdeutung zählen. Eine solche Möglichkeit ist zwar tatsächlich durch Luckmanns Definition ausgeschlossen. Gleichwohl kommen auch hier die Sinnperspektiven der säkularen Institutionen in den Blick, wenn auch mit dem Hinweis, dass es sich bei diesen nicht um weltumgreifende und welterrichtende Konstruktionen handelt, sondern um in ihrem Geltungsan32 Diese selbstreferentielle Absicherung betrifft nicht zuletzt die Verteidigung der Religionsfreiheit auch für andere Denominationen; vgl. hierzu Geser (1999: 54). 33 Vgl. Berger (1973: 4, Anm. 2) für eine Abgrenzung gegenüber Parsons; zur (weniger polemischen) Abgrenzung von Seiten Parsons’ gegenüber Berger siehe wiederum Parsons (1978b: 229)

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spruch selbstgenügsam begrenzte Sinnkomplexe, die lediglich spezifische Normkomplexe umfassen (vgl. Luckmann 1967: 101). Übereinstimmend ist auch die Diagnose eines Bedeutungsverlusts des Traditionell-Religiösen. Luckmann stellt diesen als Kompetenzverlust dar, in dessen Folge die durch religiöse Spezialisten betreute offizielle Weltsicht zur wirklichkeitsfernen Rhetorik verblasst. Bei Berger wird dies als Plausibilitätsverlust umfassender religiöser Weltkonstruktionen beschrieben: Letztere werden durch die säkularen institutionellen Komplexe nicht länger getragen und gehen ihrer Bestätigung durch sozialstrukturelle Realitäten verlustig.34 Die Tatsache, dass religiöse Weltdeutungen sich nun lediglich auf Plausibilitätsstrukturen stützen können, die kaum über die Kleingruppe oder einen freiwilligen Verband hinausreichen, beschwört für Berger unweigerlich eine pluralistische Situation vielfältiger religiöser Wirklichkeitsdefinitionen herauf. Dies hat ihm zufolge einen zusätzlichen relativierenden und „entobjektivierenden“ Effekt auf die religiösen Inhalte (vgl. Berger 1973: 144). Bei Berger wie auch bei Luckmann mündet die Entwicklung der modernen Gesellschaft folglich in eine religiöse Wettbewerbssituation, die durch Marktlogiken und Nachfrageorientierung gekennzeichnet ist. Allerdings lenkt die begriffliche Ausgangslage den Blick Bergers nicht auf das zusammenhangslose Ensemble aller Sinndeutungen mit einem welt- und identitätskonstitutiven ‚Bedeutungsüberschuss‘, sondern auf eine Konkurrenzsituation zwischen religiösen Organisationen, die sich auch selbst dem Bereich der Religion zuordnen. Berger hält somit, anders als Luckmann, zunächst an einem primären institutionellen Träger religiöser Sinnangebote in Gestalt religiöser Gruppierungen, Kirchen oder Denominationen fest. So fällt der Blick, wie bei Parsons, mitunter ausdrücklich auf den amerikanischen Fall des denominationalen Pluralismus (vgl. Berger 1973: 131). Dabei sind gerade auch organisatorische Dynamiken im Fokus, die aus der Transformation von religiösen Monopolisten zu „Wettbewerbsanstalten“ folgen (vgl. Berger 1973: 132ff.):35 Es werden hier unter anderem bürokratische Rationalisierungen hinsichtlich einer effektiveren Mission, Kartellbildungen sowie Anpassungen im theologischen Angebot genannt.36 In letzterem Zusammenhang beobachtet Berger (1980) drei Reaktionsmuster der Religionen: Einerseits das widerständige Festhalten an und vehemente Wiederbestätigen von orthodoxen Beständen entgegen den modernen Relativierungen, so etwa in der NeoOrthodoxie Karl Barths („deduktive Möglichkeit“); das dogmenneutrale Besinnen auf religiöse Erfahrung und Innerlichkeit, so etwa in der Schleiermacher‫ތ‬schen Variante („induktive Möglichkeit“); schließlich die Anpassung und Modernisierung der theologischen Bestände im Hinblick auf gegenwärtige Plausibilitätschancen, so etwa

34 Noch deutlicher als Luckmann folgt Berger hierbei der Weber‫ތ‬schen Religionssoziologie in der Beschreibung der Entzauberungsdynamik (die ihren Anfang von der israelischen Prophetie nimmt) und der Freisetzung nicht-religiöser Eigengesetzlichkeiten; vgl. Berger (1973: 101ff.). 35 Demgegenüber werden für die religiösen Organisationen innerhalb Europas eher organisatorische Affinitäten zu politischen Bürokratien veranschlagt; vgl. Berger (1973: 133f.). 36 Auch bei Max Weber (1920/1988: 211, Anm. 1) ist im Aufsatz zu den „protestantischen Sekten“ mit Blick auf die amerikanische Situation schon von „konkurrierenden Denominationen“ und „Kartellen“ die Rede.

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im Programm der Entmythologisierung Rudolf Bultmanns („reduktive Möglichkeit“).37 Ähnlich wie in den obigen Andeutungen Parsons’ werden hier folglich religiöse Konkurrenzlogiken thematisiert und darüber hinaus mit entsprechenden Wirkungen auf der Organisationsebene in Zusammenhang gebracht. Das hier beschriebene Marktgeschehen wird in Teilen als ein spezifisch religiöser Prozess dargestellt, der ein eigenes Sinngebiet zu umgrenzen und von außerreligiösen Sinnbereichen zu differenzieren vermag: so etwa, wenn von einem speziellen Konkurrieren um „Religionszugehörigkeit“ die Rede ist (vgl. Berger 1973: 132). Allerdings wird dies mit der Bemerkung relativiert, dass sich der „Pluralismus nicht allein auf innerreligiösen Wettbewerb beschränkt. Die Säkularisierung hat bewirkt, daß die Religionsgruppen, was Weltdefinitionen anbelangt, es auch mit nicht-religiösen Rivalen aufnehmen müssen, deren einige straff organisiert sind (revolutionäre und nationalistische), während andere Strömungen (der Individualismus etwa oder die sexuelle Emanzipation) institutionell überall und nirgendwo zu Hause sind.“ (Berger 1973: 131f.; Herv. i.O.)

Damit fällt Berger allerdings wieder ein Stück weit auf die Diagnose Luckmanns zurück, der gleichermaßen eine Gemengelage allgemeiner, nicht-zusammenhängender Wirklichkeitsdefinitionen vorführt (und dabei ebenfalls den Individualismus und Weltanschauungen sexueller Selbstintensivierung hervorhebt; vgl. Luckmann 1967: 107ff.). Die Eigendynamiken einer scharf umgrenzten religiösen Sinnsphäre mit spezifischen Orientierungsmustern und normativen Strukturen geraten so wieder aus dem Blick. Sie tun dies auch deshalb, weil Berger hier die Emphase dezidiert auf eine Ökonomisierung im Sinne des ‚Eindringens‘ kapitalistischer Marktlogiken setzt und somit ein Stück weit die Kompromittierung des eigentlich Religiösen behaupten will. Nichtsdestotrotz ist Berger in diesem Zusammenhang insbesondere für seine Perspektiven auf interreligiöse Konkurrenzdynamiken von Bedeutung, die in weiten Teilen dem amerikanischen Denominationalismus abgewonnen sind. 4.3 Rational Choice (Rodney Stark et al.) Ein theoretischer Ansatz, der den interreligiösen Dynamiken allerhöchste Aufmerksamkeit widmet, kommt aus dem Bereich der Rational-Choice-Theorie. Die Vertreter dieses Ansatzes setzen sich ausdrücklich von der Position ab, die typischerweise mit der frühen Religionssoziologie Peter L. Bergers verbunden wird: d.h. der Annahme, dass religiöse Pluralisierung mit einem Plausibilitätsproblem und infolgedessen mit einer Schwächung religiöser Organisationen verbunden ist.38 Die zentrale These der Proponenten des Rational-Choice-Ansatzes besagt demgegenüber, dass ein religiöser Mitgliederschwund und ein Mangel an allgemeiner religiöser Vitalität in einem kausalen Zusammenhang mit religiösen Monopolsituationen stehen, während die Kon37 Siehe zur Anpassung der christlichen Religion auch Schelsky (1957/1965). 38 Vgl. Warner (1993: 1047), der das „New Paradigm“ auch gegen die Parsons‫ތ‬sche These der religiösen Wert-Generalisierung im Zuge gesellschaftlicher Differenzierung in Stellung bringt.

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kurrenzsituation einer pluralistischen Marktlage umgekehrt ein hohes Maß an religiöser Bindung innerhalb der Bevölkerung befördert (vgl. Iannaccone 1991; Stark/Finke 2000; Stark/McCann 1993). Das Kernargument betrifft dabei den Zusammenhang von Staat und Kirche: Wo sich eine Religion der Unterstützung durch den Staat sicher sei, bestehe auf der Seite des Klerus kaum ein Motiv, auf die religiösen Bedürfnisse einer religiösen Klientel einzugehen. Demgegenüber schaffe eine „Deregulation“ im Zuge der institutionellen Trennung von Staat und Kirche eine Situation, in der religiöse Anbieter für ihre eigene Existenzsicherung auf ausreichende Mitgliederzahlen angewiesen seien. Entsprechend seien hier Dynamiken zu beobachten, wie man sie aus der Wirtschaft kennt: ein hohes kompetitives Engagement auf der Anbieterseite bei gleichzeitiger Diversifikation des religiösen Gesamtangebots als Folge von Versuchen, sich von Konkurrenten abzuheben und mögliche Nischen zu besetzen. So firmiert dieser Ansatz auch unter dem Titel des „supply-side“-Modells. Die postulierten Konsequenzen liegen allerdings nicht zuletzt auf der Nachfrageseite: In dem Maße, in dem durch Marktdynamiken ein vielfältiges Angebot an religiösen Glaubensprodukten entstehe, steige auch die Wahrscheinlichkeit einer optimalen Versorgung der je individuellen religiösen Präferenzen innerhalb der Bevölkerung. Die Folge sei ein insgesamt höheres Niveau religiöser Beteiligung und Bindung. Bis heute stimuliert dieser Ansatz in hohem Maße die empirische Forschung innerhalb der Religionssoziologie. Viele der Annahmen, die auch in diesem Fall vor allem Eindrücken von der amerikanischen Situation geschuldet sind, haben sich als nicht generalisierungsfähig erwiesen (vgl. Norris/Inglehart 2004: 95ff.). Dies betrifft insbesondere den Zusammenhang zwischen religiösem Pluralismus und Parametern individueller Religiosität (vgl. Chaves/Gorski 2001; Voas et al. 2002). Im vorliegenden Zusammenhang gilt es indes eher den differenzierungstheoretischen Beitrag dieses Ansatzes zu bemessen. Hier sind sowohl Verdienste als auch entscheidende Mängel zu konstatieren. Als verdienstvoll ist an dem Ansatz zu würdigen, dass der Blick ausdrücklich den Dynamiken innerhalb eines ausdifferenzierten religiösen Teilbereichs gilt. Damit einher geht die dezidierte Ansicht, dass religiöse Dynamiken und strukturelle Differenzierung durchaus kompatibel sind. Anders als bei Peter L. Berger, der gleichermaßen auf Marktdynamiken unter Bedingungen religiöser Pluralität aufmerksam macht, erstreckt sich die postulierte Konkurrenz hier nicht auch auf nicht-religiöse Weltanschauungen und Identitätsmodelle, die „überall und nirgendwo zu Hause sind“ (Berger 1973: 132). Sie betrifft noch konsequenter einen klar ausdifferenzierten Bereich religiöser ‚Professioneller‘, die in ‚Wechselwirkung‘ (im Sinne der Simmel‫ތ‬schen Konkurrenz etwa) zueinander stehen. Damit wird der Blick zumindest potentiell für die hier zum Tragen kommenden Eigengesetzlichkeiten geschärft. Mit dem Potentialis ist aber schon eine Fehlanzeige indiziert, die hier die Mängelliste einleiten soll. Obgleich sich der Ansatz auf die Fahnen schreibt, die „supplyside“ ins Zentrum zu stellen, sind die tatsächlichen Untersuchungen zu organisatorischen Dynamiken auf Seiten der Anbieter karg. In den üblicherweise groß angelegten komparativen Studien kommt die Angebotsseite zumeist allein in Konzentrationsmaßen wie etwa dem Herfindahl-Index zum Vorschein. Diese der Ökonomie entlehnten Indikatoren zeigen hier das Ausmaß religiöser Monopolisierung an. Das eigentliche Interesse gilt indes, wie oben bereits angedeutet, weiterhin der Nachfrageseite als abhängiger Variable: Im Blick sind dabei das Ausmaß und die Verbreitung religiöser

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Überzeugungen und Praktiken, die Häufigkeiten von Kirchenbesuchen sowie die Anteile von Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung. Besonders schwer wiegen in differenzierungstheoretischer Hinsicht indessen die ökonomischen Kernannahmen des Ansatzes. Problematisch ist dabei keineswegs die Annahme von Rationalitätskalkülen und strategischen Motiven im Bereich religiösen Handelns. Das Problem liegt vielmehr darin, dass jeglicher Blick auf spezifisch religiösen Sinn, der die besondere Perspektive eines religiösen Marktgeschehens ausmachen könnte, von vornherein verstellt ist. Es sind Annahmen über ökonomische Motive im engeren Sinne, die die zentralen Hypothesen des Ansatzes begründen. Die Behauptung ist schließlich, der Klerus lasse in einer staatskirchlichen Monopolstellung jegliches Engagement deshalb vermissen, weil sein finanzieller Lebensunterhalt ohnehin gesichert sei.39 Analog dazu rühre das hohe Maß an religiöser Tatkraft unter Bedingungen einer offenen Marktsituation daher, dass die Anbieter hinsichtlich ihres Lebensunterhalts nun auf zahlende Mitglieder angewiesen seien. Religiöse Motive, die hinter solchen Dynamiken stehen könnten, etwa ein religiös bestimmter Missionsgeist, ein Drang zur Heilsverkündung, unterschiedliche Überzeugungen bezüglich wahrer und falscher Erlösungswege etc. werden schon von den grundlegenden Prämissen her ausgeschlossen. Damit wird aber gerade der differenzierungstheoretische Grundriss, der von der Eigengesetzlichkeit je spezifischer Sinnperspektiven ausgeht und auf den es in der vorliegenden Arbeit ankommt, vollständig verabschiedet. Weber selbst, der im vorliegenden Zusammenhang ja gerade für diese Differenzierungsperspektive einstehen soll, hatte zwar nicht minder eine ökonomische Metaphorik im Bereich des Religiösen walten lassen – von „Monopolisierung“ und „Konkurrenz“ ist schließlich auch dort die Rede. Der zentrale Gedanke von der Religion als autonomes Sinngebiet wird dabei aber keineswegs aufgegeben: So ist die Rationalität, die diesen ökonomieanalogen Prozessen zugrunde liegt, bei Weber eine spezifisch religiöse. Mit diesem Differenzierungsgedanken stimmt auch die ausdrücklich veranschlagte Relativität seines Rationalitätsbegriffs überein: „[W]as von einem [Gebiet] aus ‚rational‘ ist, kann, vom andern aus betrachtet, ‚irrational‘ sein“ (vgl. Weber 1920/1988: 11). So treten die verschiedenen Lebensordnungen gerade aufgrund der dort jeweils auf den Weg gebrachten Rationalisierungen auf je eigene Sinnziele hin auseinander. Das unterscheidet auch die Konzeption Bourdieus von dem „supply-side approach“ der Rational-Choice-Theorie. Obgleich beide von einer Konkurrenz religiöser Produzenten ausgehen, geht es im Falle Bourdieus nicht um ein ökonomisches Geschehen im engeren Sinne, in dem das Interesse an der eigenen ökonomischen Subsistenz die religiösen Strategien befeuern würde. Die Konkurrenz gilt vielmehr einem rein religiösen Gut, dem religiösen Deutungsmonopol – einem religiösen Sinnziel also, für das sich ein Interesse gerade nicht universalisieren lässt. Es hat vielmehr eine nicht selbstverständliche Investition in das besondere Sinngeschehen des Feldes, d.h. eine spezifische „illusio“, zur Voraussetzung. Schließlich ist zu kritisieren, dass der Ansatz die kulturellen Voraussetzungen seiner theoretischen Prämissen vernachlässigt, indem er Hypothesen über die Folgen eines religiösen Pluralismus universalisiert, die vornehmlich dem amerikanischen Kontext abgewonnen sind (vgl. auch Bruce 1999: 126f.; Pollack 2008: 178). Die 39 Vgl. nur Iannaccone (1991: 156ff.), sich dabei auf ein Zitat von Adam Smith berufend. Speziell zu dieser Annahme kritisch auch Bruce (1999: 122).

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Möglichkeit eines Wechsels religiöser Affiliationen nach Maßgabe eigener religiöser Präferenzen wird nicht allein, wie es der Ansatz haben will, durch den Mangel an religiösen Alternativen und die staatliche Einschränkung von Religionsfreiheit unterbunden. Ein solch individualistisches Verständnis von Religion ruht auf kulturellen Partikularismen auf, die von anderen Traditionen als der christlichen nicht ohne weiteres geteilt werden, sich ihre kulturelle Legitimität und Plausibilität hier vielmehr erst erarbeiten müssen. Nicht zuletzt Pierre Bourdieu lässt sich für diesen Gedanken aufrufen. In seinen Arbeiten zur Kabylei hat er demonstriert, wie die im engeren Sinne ökonomische Vernunft, die auf die Vermehrung rein materieller Güter zielt, sich erst in voraussetzungsvollen Differenzierungsprozessen gegen nicht minder vernünftige Logiken der symbolischen Kapitalvermehrung behaupten muss (vgl. Bourdieu 1980/1987: 205ff.). Auch der Rationalismus des modernen Kapitalismus hat folglich partikulare kulturelle Wurzeln. Mit der modernen Wirtschaft sind bestimmte Sinnperspektiven und Logiken verbunden, die gerade nicht als anthropologisch fundiert und voraussetzungslos anzusehen sind. Ganz analog dazu gründet auch die amerikanische Situation eines religiösen Wettbewerbs um religiöse Konsumenten in spezifischen kulturellen Momenten, die sich nicht vorbehaltlos verallgemeinern lassen. So wären auch hier die besonderen historisch-kulturellen Bedingungen einer solchen religiösen (Eigen-)Dynamik zu berücksichtigen und von dort ausgehend Möglichkeiten und Prozesse ihrer interkulturellen und transnationalen Ausbreitung und Durchsetzung zu untersuchen.

5. F AZIT In diesem Kapitel wurden vier unterschiedliche differenzierungstheoretisch bedeutsame Perspektiven auf die Religion in der modernen Gesellschaft erörtert. Den Anfang haben dabei solche Ansätze gemacht, die die Ausdifferenzierung der Religion als eine fremdgesetzte ‚Abschiebung‘ ins Private darstellen und dabei den Fokus auf Bedeutungsschwund, ‚Unsichtbarkeit‘ und religiöse Konturverluste legen. Hier kommen spezifische Dynamiken, die einem religiösen Zusammenhang auch in ausdifferenzierter Form Profil verleihen und ihn auf Augenhöhe mit anderen, durch Eigengesetzlichkeiten bestimmten Gesellschaftsbereichen heben könnten, so gut wie nicht zur Sprache. Es wurde dabei bereits angedeutet, dass dies mit einem impliziten Fokus auf den europäischen Kontext zusammenhängen dürfte, für den diese Diagnosen ihre Berechtigung haben mögen. Diese Annahme verhärtet sich umso mehr, wenn man solche Ansätze vergleichend heranzieht, die religiösen Eigendynamiken deutlich mehr Raum in ihren Theorien einräumen. Hier ist das jeweilige Paradigma spürbar dem amerikanischen Kontext abgewonnen. Das gilt auch schon für die Perspektive Talcott Parsons’, die auf eine zivilreligiöse Grundierung der amerikanischen ‚Gesellschaft‘ abstellt. Umso mehr gilt es für seine Bemerkungen, die einem Feld unterschiedlicher Denominationen bestimmte Konkurrenzdynamiken zuschreiben, welche in religionsumgreifenden Perspektiven abgestützt und gegen eine nicht-religiöse Umwelt begrenzt sind. Ähnliche Perspektiven ließen sich auch innerhalb des Ansatzes Peter L. Bergers identifizieren, obgleich diese frühe Studie sich selbst eher dem Säkularisierungs- bzw. ‚Depotenzierungs‘-Paradigma verpflichtet fühlt. Hier sind es die Umgestaltungen religiöser Organisationen zu „Wettbewerbsanstalten“ und die

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damit verbundene Konkurrenz um religiöse Anhänger bzw. ‚Konsumenten‘, die ausdrücklich am amerikanischen Fall beobachtet werden. In ganz entscheidender Hinsicht lässt sich auch der Rational-Choice-Ansatz von Rodney Stark et al. von der religiösen Situation Amerikas inspirieren und kommt davon ausgehend zu universalisierenden Thesen bezüglich religiöser Marktlagen. Dabei wurde allerdings deutlich, dass die klassische differenzierungstheoretische Perspektive, der die vorliegende Arbeit nachgeht, auch bei diesen Autoren allenfalls im Ansatz zum Zuge kommt. Gleichwohl zeigt sich bereits hier, dass die differenzierungstheoretischen Befunde in Bezug auf die Religion in Abhängigkeit von den regionalen Kontexten erheblich variieren können. Etwas vereinfacht ließe sich dabei in Konklusion sagen, dass dort, wo der anvisierte Gegenstandbereich entsprechende Eigendynamiken offenbart, eine angemessene differenzierungstheoretische Perspektive fehlt, während dort, wo das entsprechende Differenzierungsvokabular vorhanden ist, der Blick einem in differenzierungsbezogener Hinsicht sterilen europäischen Kontext gilt. Man hat es hier folglich mit einem eigentümlichen ‚Chiasmus‘ zwischen regional begrenzten Gegenstandsbereichen und den diesen adäquaten Theorieinstrumentarien zu tun. Auf diesen Punkt wird auch in der Zwischenbetrachtung (IV) dieses differenzierungstheoretischen Theorieteils noch einmal einzugehen sein. Für die nachfolgende Diskussion von Niklas Luhmanns differenzierungstheoretischer Analyse der Religion ist er aber bereits im Auge zu behalten. Denn gerade die frühen Studien sind deutlich am Fall des europäischen – wenn nicht sogar westdeutschen und protestantischen – Christentums orientiert. Entsprechend legen sie eine eher skeptische Einschätzung bezüglich der Frage an den Tag, ob Religion als ein Funktionssystem neben anderen bestehen kann. Von dieser Skepsis ist in der im Jahr 2000 publizierten Religionsmonographie nur noch wenig zu spüren. Im Gegenteil: hier wird der Funktionssystemstatus emphatisch bejaht und sogar noch, wie im theoretischen Kapitel (V) zu Religion und Globalität noch näher zu erörtern sein wird, ein weltgesellschaftlicher Gesamtzusammenhang aller Religionen behauptet. Allerdings steht dieser Optimismus in eigentümlicher Schieflage zu der tatsächlichen funktionssystemvergleichenden Perspektive auf die Religion, in Bezug auf welche Luhmann nach wie vor den frühen Defizitdiagnosen weitgehend verhaftet bleibt. So weist Luhmann einerseits Züge derjenigen Ansätze auf, die im vorliegenden Kapitel dem Depotenzierungsparadigma zugeordnet wurden. Andererseits bringt er diese insbesondere in der späteren Werksphase mit Einschätzungen zusammen, die dezidiert auf eine spezifisch religiöse Eigendynamik abstellen und ihn so eher in die Nähe der zuletzt verhandelten Ansätze rücken. Dabei operiert Luhmann vor einem differenzierungstheoretischen Hintergrund, der, wie wohl keine andere Gesellschaftstheorie innerhalb der Soziologie, die klassischen Differenzierungsperspektiven von Dilthey, Simmel und Weber weiterführt. Wie im Folgenden zu erörtern ist, zeichnet sich sein Ansatz durch zweierlei Differenzierungstheorien aus: eine Theorie der sozialen Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft sowie eine Theorie funktionaler Differenzierung.

III. Religion und Differenzierung III: Niklas Luhmanns Religionssoziologie im Schema zweierlei Differenzierung

Theoriearbeit im Format einer Gesellschaftstheorie oder gar einer Sozialtheorie mit universellem Anspruch ist nach dem Schaffen Talcott Parsons innerhalb der Soziologie selten geworden. Neben Pierre Bourdieu hat sich hier insbesondere Niklas Luhmann verdient gemacht, dessen Systemtheorie sich dem Projekt der Gesellschaftstheorie ausdrücklich verschreibt; wie Hartmann Tyrell (2005a: 36) bemerkt, steht sie damit nach dem weitgehenden Erliegen des marxistischen Theorieunternehmens im soziologischen Feld nahezu alleine da. Niklas Luhmann hat seine Theorie der modernen Gesellschaft insbesondere als eine ‚Kasuistik‘ ihrer Teilsysteme betrieben. Die Funktionsbereiche der Gesellschaft wie Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft sind somit stets Gegenstand eigener Betrachtungen gewesen – dies auch schon vor der Darlegung seines theoretischen Grundrisses in „Soziale Systeme“ (1984). Seit frühester Stunde zählen hierzu auch theoretische Studien zum Bereich der Religion (vgl. Luhmann 1972; 1977a; 1989c; 2000a). Wie kaum ein anderer gibt Luhmann seiner Religionssoziologie dabei einen gesellschaftstheoretischen Rahmen, innerhalb dessen er sich der Religion ganz ausdrücklich mit einem differenzierungstheoretischen Interesse nähert. Der Blick auf das Religiöse ist von Anbeginn durch die Frage bestimmt, inwieweit Religion als Funktionssystem neben anderen, d.h. als funktional spezialisiertes Teilssystem ‚inter pares‘, bestehen kann bzw. zu verstehen ist. Allein diesen differenzierungstheoretischen Aspekten soll in diesem Kapitel das Interesse gelten – die im Spätwerk hinzukommenden weltgesellschaftstheoretischen Thesen sollen hier vorerst ausgeklammert werden. Der Frage nach der „Kompatibilität“ (Luhmann 1977a: 232) mit funktionaler Differenzierung geht Luhmann dabei insbesondere über einen Abgleich mit allgemeinen Eigenschaften von Funktionssystemen nach. Dies liegt ganz auf der Linie des vergleichenden Prinzips der Theorie. Diese wird, wie auch Bourdieus Theorie der Felder, über eine Methodik der Generalisierung und Respezifikation vorangetrieben.1 Besonderheiten der Funktionssysteme, etwa das Fehlen eines funktionssystemtypischen Attributs, werden dann vor dem Hintergrund eines generalisierten Schemas von Funktionssystemen herausgearbeitet. Man kommt hier folglich in der Darstellung der Luhmann‫ތ‬schen Perspektive nicht 1

Vgl. hierzu Bourdieu (1992/1999: 291f.); Luhmann (1984a: 32); zu dieser Parallele auch Bohn (2005a: 62, Anm. 23).

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umhin, seine Differenzierungstheorie ebenfalls zunächst auf einem allgemeinen bzw. vergleichenden Niveau zu entwickeln, um davon ausgehend seine konkreten Erörterungen zur Religion in den Blick zu nehmen. Dabei gilt es im vorliegenden Zusammenhang auch die zu selten gewürdigte Kontinuität zu den soziologischen Klassikern aufzuzeigen. Zu den Differenzierungstheorien des Typs Dilthey, Simmel, Weber ist Luhmanns Systemtheorie unbedingt hinzuzuzählen. Erschwert wird die Darstellung dadurch, dass im Werk Luhmanns zweierlei Differenzierungstheorien vorliegen (vgl. hierzu Tyrell 2006). Der Theorie der funktionalen Differenzierung ist eine Theorie der ‚Ebenendifferenzierung‘ an die Seite gestellt, die zwischen einer eigengesetzlichen Ebene der Interaktion, der Organisation und der Gesellschaft unterscheidet. Diese Theorie wird in einem frühen Aufsatz aus dem Jahre 1975 grundlegend in Anschlag gebracht (vgl. Luhmann 1975/2005b). Beide sind nicht leicht miteinander zu vereinen, zumal Luhmann die Theorie der funktionalen Differenzierung bis zu seinem Tode kontinuierlich weiterentwickelt, ja zum Teil in ihren Grundbegriffen erheblich umstellt, während es in Bezug auf die Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft bei den frühen Ausgangspunkten weitgehend geblieben ist. Allerdings sind gerade für die Religion in einem frühen Aufsatz beide Differenzierungsformen eng in Berührung gebracht worden (vgl. Luhmann 1972). Die weiteren Erörterungen tun also gut daran, beide Differenzierungstheorien zu rekonstruieren. Der erste Abschnitt ist der sozialen Differenzierung gewidmet (1); der zweite nimmt sich der funktionalen Differenzierung an (2). In einer anschließenden Zwischenbilanz soll ein spezifischer Vorschlag gemacht werden, wie die beiden Differenzierungsperspektiven in einen Zusammenhang zu bringen sind (3). Vor diesem Hintergrund gilt es sich dann der Religion im Besonderen zuzuwenden (4).

1. S OZIALE D IFFERENZIERUNG Sofern bislang in dieser Untersuchung die Rede von Differenzierungstheorie war, wurde wie selbstverständlich von einer horizontalen Differenzierung sachlich verschiedener, aber homologer Makrostrukturen ausgegangen. Im Rahmen seiner Systemtheorie legt Niklas Luhmanns aber auch eine Differenzierungstheorie vor, die auf die Differenzierung von Systemtypen bzw. Ebenen der Systembildung abstellt. Im Blick sind ihm dabei Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Im Folgenden gilt es die Charakteristika dieser Systeme darzustellen (1.1), die Perspektive von der MikroMeso-Makro-Analytik abzugrenzen (1.2) sowie auf das spezifische Verhältnis der Ebenen zueinander einzugehen (1.3). 1.1 Zur Typik der Systemebenen Die Ebenen der Interaktion, Organisation und Gesellschaft sind durch je eigene Prinzipien der Grenzziehung bestimmt, auf die sich zugleich ihre jeweiligen Eigenlogiken bzw. Eigenheiten zurückführen lassen (vgl. hierzu Luhmann 1975/2005b: 10ff.; 1997a: 813ff., 826ff.). So ist Interaktion die Kommunikation unter Anwesenden; ihre

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Grenzen sind durch Verhältnisse der Kopräsenz bzw. wechselseitiger Wahrnehmbarkeit bestimmt.2 Das hat zur Folge, dass Interaktionen eine Sequentialität im Kommunikationsablauf nicht umgehen können; aus bloßen Gründen der Verstehbarkeit ist eine Gleichzeitigkeit von Beiträgen zu vermeiden. Entsprechend kommen interne Differenzierungen so gut wie nicht zustande oder überdauern allenfalls einen kurzen Augenblick. Interaktionen sind somit zur „thematischen Konzentration“ angehalten. Die Beiträge können aktuell nur durch ein einziges Thema koordiniert werden; die Zuwendung zu einem neuen Thema hat schon wegen begrenzter Aufmerksamkeitskapazitäten eine Ablösung vom gegenwärtigen Thema zwingend zur Folge. Ferner ist die Interaktion aufgrund der wechselseitigen Wahrnehmbarkeit der an ihr beteiligten Personen mit besonderen Herausforderungen für deren Selbstdarstellung beladen (vgl. Kieserling 1999: 119ff.). Die Sozialität ist hier nicht auf den Vollzug von sprachlichen Kommunikationen reduziert, sondern wird von einer vorsprachlichen Sozialitätsebene flankiert, welche die sprachlichen Äußerungen validieren, aber auch zu ihnen in Widerspruch geraten kann. Diese vorsprachliche Ebene lässt sich so zur ‚Modulation‘ der expliziten Beiträge in Anspruch nehmen – bis hin zu einer durch den impliziten Verhaltensstil zum Ausdruck gebrachten ‚Rollendistanz‘. Die Reflexivität der Wahrnehmung hat gleichzeitig zur Folge, dass Kommunikation auch dort zugerechnet werden kann, wo eigentlich keine intendiert war. Sofern Ego wahrnimmt, dass Alter sein eigenes Wahrgenommenwerden wahrnimmt, kann er Alters Verhalten als darauf eingestellt behandeln (vgl. hierzu Luhmann 1984a: 561).3 Damit verbinden sich besondere Anforderungen an die persönliche Selbstkontrolle, die einer Informationssteuerung in der Interaktion gleichkommt. Die Tatsache, dass dabei nicht nur die sprachliche Ebene, sondern eine vollständige Dramaturgie des Körpers zum Einsatz kommt bzw. kommen muss, ist in der von Goffman (1959) gewählten Metaphorik des Theaters samt den damit verbundenen Aspekten der Darstellung, Inszenierung, Hinter- und Vorderbühne etc. gewürdigt. Organisationen sind demgegenüber nicht auf gleichräumliche und gleichzeitige Präsenzen angewiesen; vielmehr konstituieren sich ihre Grenzen durch formalisierte Mitgliedschaftsregeln. Ausgehend von der stärker operativen Fassung der späten Systemtheorie sind es auf Mitglieder zugerechnete Entscheidungen, die Organisationen als Systeme begrenzen und ausdifferenzieren (vgl. Luhmann 1997a: 830). Organisationen sind anders als Interaktionen zu internen Differenzierungen in der Lage. Diese schlagen sich etwa in einer Stellenstruktur nieder, an die vorspezifizierte Kommunikationswege, spezifische Handlungskompetenzen und -erwartungen etc. gekoppelt sind (vgl. Luhmann 1975/2005c). Die Anerkennung dieser Struktur wird dabei zur Bedingung der Mitgliedschaft gemacht, für die wiederum über Bezahlung o.ä. spezifische Anreize geschaffen werden. Für konkrete Handlungen müssen dann nicht noch eigens Motive beschafft und mobilisiert werden; diese lassen sich vielmehr voraussetzen. Gerade das verleiht Organisationen als einzigem der Systemtypen die Fähigkeit zu kollektivem Handeln: Insoweit eine pauschale Anerkennung der organisatorischen Handlungsstrukturen unter den Mitgliedern unterstellt werden darf, 2 3

Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Kieserling (1999: 32ff.). Watzlawick et al. (2000) haben hierfür die Formel gefunden „Man kann nicht nicht kommunizieren“, allerdings ohne dies ausdrücklich als Besonderheit von Interaktionssystemen zu markieren.

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ist die Organisation in der Lage, als ein Akteur aufzutreten (vgl. hierzu auch Coleman 1982). Die Grenzen der Gesellschaft schließlich sind die Grenzen „möglicher und sinnvoller Kommunikation“ (Luhmann 1975/2005b: 12) schlechthin; eine Gesellschaft umfasst folglich alle füreinander erreichbaren Kommunikationen. Dies hat die (aristotelische) Konsequenz, dass Gesellschaft einerseits als letztumfassendes System Interaktionen und Organisationen umgreift und andererseits diesen als weiterer Fall eines Sozialsystems beigeordnet ist (vgl. hierzu Luhmann 1969/2005). Daneben kommt indessen ein struktureller Gesellschaftsbegriff zum Tragen, der mit dem ersten nicht problemlos zusammengeht (vgl. hierzu Göbel 2006). Gesellschaft wird dabei als die Ebene verstanden, die „letzte Reduktionen“ hinsichtlich möglicher und sinnvoller Kommunikation institutionalisiert (vgl. etwa Luhmann 1972/1987: 133). Hierbei ist insbesondere, aber nicht nur, an die Primärdifferenzierung der Gesellschaft zu denken – also diejenige Differenzierungsform, die alle weiteren Möglichkeiten der Strukturierung und Differenzierung dirigiert und vorseligiert.4 In der modernen Gesellschaft kommt dieses „Primat“ der Struktur funktionaler Differenzierung zu; darauf wie auch auf die begrifflichen Probleme wird an anderer Stelle zurückzukommen sein. Im Folgenden gilt es zunächst die Ebenendifferenzierung von der herkömmlichen Mikro-Meso-Makro-Analytik abzugrenzen, zu der sie offensichtliche Nähen aufweist. 1.2 Ebenendifferenzierung vs. Mikro-Meso-Makro-Analytik Die Dreiebenendifferenz liegt in unmittelbarer Nähe zur traditionellen soziologischen Analytik einer Mikro-, Meso- und Makroperspektive. Gleichwohl setzt sie sich in mehreren Hinsichten von dieser ab. Ganz entscheidend ist dabei, dass Luhmanns Ebenendifferenzierung allein Soziales zum Gegenstand hat. Während typischerweise auf der Mikroebene das Individuum platziert wird, sind es hier einfache Sozialsysteme bzw. Interaktionen, von denen Organisationen und nicht zuletzt die Gesellschaft unterschieden werden. Das klassische Dual von Individuum und Gesellschaft ist damit absichtsvoll verabschiedet. Ferner verbindet sich mit der Ebenendifferenz eine Theorie der Differenzierung im sozio-evolutionären Sinne: Es wird ein zunehmendes Auseinandertreten der Ebenen im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung veranschlagt (vgl. Luhmann 1975/2005b: 15f.). So lässt sich für ‚primitive‘ Gesellschaften lediglich eine rudimentäre Differenzierung von Interaktion und Gesellschaft behaupten. Die Differenz von Interaktion und Gesellschaft kann zwar insofern schon zum Gegenstand der Erfahrung werden, als sich in den Stammesgesellschaften eine Vielzahl von Interaktionen in Abwesenheit einiger ihrer Mitglieder vollziehen. Ferner hält die Gesellschaft auch in solch einfachen Ausprägungen ein Repertoire an möglichen Kommunikationen parat, die nicht allesamt in einer konkreten Interaktion realisiert werden können, so dass die Differenz in einer entsprechenden Selektivität der Interaktion fassbar wird (vgl. Luhmann 1984a: 569). Gleichwohl vollzieht sich Sozialität in Stammesgesellschaften ausschließlich in Interaktionszusammenhängen. 4

Vgl. zum Begriff des Primats insbesondere Luhmann (1977b; 1997a: 609ff.); siehe zur Verbindung primärer Differenzierungsformen mit dem Aspekt der „letzten Reduktionen“ Tyrell (2001: 515f.).

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Darüber hinaus lässt sich, sofern man in Bezug auf Stammeseinheiten überhaupt schon von Organisation sprechen will, auch ein undifferenziertes Verhältnis von Gesellschaft (und Interaktion) zur Organisationsebene konstatieren: Die Exklusivität der Mitgliedschaft wird auf der Ebene der Gesellschaft selbst instituiert. Personen lassen sich aus den gesellschaftlichen Interaktionszusammenhängen ebenso exkludieren, wie neue Mitglieder unter bestimmten Bedingungen aufgenommen werden können (vgl. Luhmann 1975/2005b: 16).5 Die drei Ebenen sind somit auf diesem gesellschaftlichen Komplexitätsniveau kaum zu unterscheiden. Spezifische evolutionäre Entwicklungen und Errungenschaften bedingen oder begünstigen nun einen Ausdifferenzierungsschub der Systemebenen, so dass diese zunehmend unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden können und ihre spezifische Eigenlogik deutlicher zur Entfaltung kommt. Von tragender Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung von Medien, die eine interaktionsfreie Form der Kommunikation ermöglichen, allen voran Schriftlichkeit (vgl. hierzu Bohn 1999: bes. 59ff.). Heute sind hierzu auch elektronische Kommunikationsmedien zu zählen; hier kommen zum Teil gar Möglichkeiten auf, schriftliche oder zumindest räumliche getrennte Kommunikation in einer Form zu gestalten, die in ihrer Logik derjenigen von ‚originären‘ Interaktionssystemen recht nahe kommt.6 Schriftliche Kommunikation löst Interaktion indes nicht etwa ab; gleichwohl ist Gesellschaft in ihrer Reproduktion nun nicht länger allein auf diese angewiesen. Die Differenzierung von Gesellschaft und Interaktion kommt allerdings nicht bloß über die evolutionäre Errungenschaft der Schriftlichkeit in Gang. Insbesondere gesellschaftliches Größenwachstum bringt Gesellschaft und Interaktion insofern auf Abstand, als Interaktionen sich gesellschaftlicher Kontrolle zunehmend entziehen und damit freier und in ihrem Selektionspotential uneingeschränkter operieren können. Auf diesen Zusammenhang von gesellschaftlichem Volumen und einer „Dekonditionierung“ (Kieserling 1999: 337) der Interaktion haben schon die soziologischen Klassiker, allen voran Durkheim, aber auch Simmel aufmerksam gemacht – freilich ohne das Begriffsinstrumentarium der Ebenenunterscheidung.7 Mit der Ausweitung der Gesellschaft zur Weltgesellschaft ohne soziale Außenlagen kommt zugleich eine neuartige Situation hinsichtlich Exklusionsmöglichkeiten auf den Plan, die Gesellschaft auch auf Abstand zur Organisationsebene bringt (vgl. Luhmann 1975/2005b: 15). Wie Cornelia Bohn (2001: 173; 2008: 179f.) unter Aufnahme von Überlegungen Michel Foucaults anmerkt, kann gesellschaftliche Exklusion unter diesen modernen Bedingungen – sieht man einmal von der physischen Vernichtung des Individuums ab – entsprechend nur noch inkludierend vollzogen werden; d.h. nicht mehr über eine Verbannung in ein Jenseits der Gesellschaft, sondern in Form von Asylierungen und Kasernierungen innerhalb der Gesellschaft. Auf der Gesellschaftsebene herrscht demnach Universalinklusion, während Exklusion keine reale Option mehr darstellt. Demgegenüber sind Organisationen durchaus in der Lage 5

6 7

Vgl. zu historischen Varianzen in Inklusions- und Exklusionsmustern sowie ihrer semantischen Korrelate Bohn (2001; 2006; 2008); jüngst speziell mit Bezug auf wirtschaftsbezogene Formen der Inklusion Bohn (2009). Vgl. hierzu das Konzept der „sekundären Oralität“ von Ong (1982/1987: 136). Vgl. in diesem Zusammenhang oben Kap. I.2.1 bzw. I.3.2 zur Abstraktion des Kollektivbewusstseins bei Durkheim bzw. zum Großstadtleben bei Simmel.

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zu exkludieren; sie machen gerade die Selektivität der Inklusion und die Möglichkeit der Exklusion zu ihren wesentlichen Funktionsprinzipien. Die Differenz von Organisation und Gesellschaft kommt in der Moderne jedoch nicht nur inklusions- bzw. exklusionsbezogen zur Geltung. Auch die gesellschaftlichen Funktionsbereiche, die, wie bereits erwähnt, das dominante Strukturprinzip der Moderne ausmachen, gehen nicht in Organisationen auf. Organisationen sind im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Funktionssystemen zugleich mehr und weniger als diese. Sie sind mehr, weil Organisationen als Systeme immer auch andere Funktionsimperative bedienen müssen, um Bestand zu haben – so sind alle Organisationen wirtschaftende Verbände, obschon es sich bei ihnen nicht in jedem Fall auch um Wirtschaftsunternehmen handeln muss;8 zugleich sind sie stets juristische Personen und partizipieren somit an rechtlichen Zusammenhängen. Die systemtheoretische Literatur spricht in Bezug auf diesen Sachverhalt von der „Multireferentialität“ der Organisation (vgl. hierzu Wehrsig/Tacke 1992). Andererseits sind Organisationen insofern stets weniger als die gesellschaftlichen Funktionsbereiche, als die Gesamtkomplexität eines Funktionssystems nie unter das Dach einer Organisation gezogen werden kann. So sehr die Funktionssysteme auf Organisationen angewiesen sind, so wenig kongruieren sie mit diesen (vgl. Luhmann 1969; 1975/2005b: 17f.).9 Dies ist nicht allein deshalb der Fall, weil funktionsbezogenes Erleben und Handeln auch außerhalb von Organisationen stattfindet (vgl. Luhmann 1997a: 841). Funktionssysteme zeugen darüber hinaus gerade auch in ihren Binnendifferenzierungen von einer Logik der Selbstorganisation und Emergenz, die sie quer zur Organisationsebene stellt. So sind in der Regel mehrere wissenschaftliche Disziplinen an einer universitären Organisation vertreten, umgekehrt konkurrieren mehrere Parteiorganisationen an der Peripherie des politischen Systems darum, das politische Zentrum der Staatsorganisation zu besetzen etc.10 Organisationen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie zwischen die Ebene der Gesellschaft und Interaktion treten. Die evolutionäre Perspektive der Dreiebenenunterscheidung zeigt sich somit auch darin, dass die spezifische Funktionalität des vergleichsweise jungen Systemtypus der Organisation vor allem in seinen Kapazitäten einer Rekonditionierung der weitreichend dekonditionierten Interaktionsebene gesehen wird (vgl. Kieserling 1999: 336f.). Die dabei zum Zuge kommenden Mittel wurden schon genannt: Es ist die anreizgesteuerte Motivgeneralisierung, die auch unwahrscheinliches Verhalten zu konditionieren in der Lage ist.11 Die evolutionären Vorteile liegen dabei auf der Hand. Nicht umsonst schreibt Luhmann organisatorischen Einrichtungen eine konstitutive Rolle in der funktional differenzierten (und in 8

Vgl. zu dieser Differenz von wirtschaftenden Verbänden und Wirtschaftsverbänden Weber (1921/1972: 37f.). 9 Speziell zur Angewiesenheit funktionaler Differenzierung auf Organisation vgl. auch Luhmann (1997a: 826ff.; 2006: 380ff.). 10 Soweit ich sehe, ist dieser Gedanke der internen Differenzierung des Funktionssystems bei Luhmann bisher nicht für die Ebenendifferenzierung mobilisiert worden. Allerdings finden sich Anmerkungen, die Organisationen eine wesentliche Rolle in der Reproduktion der Binnendifferenzierungen zusprechen; vgl. etwa Luhmann (2006: 395). 11 Auf diesen vermittelnden Charakter der Organisation weist auch Schimank (2001) hin, allerdings dabei wieder in eine akteurszentrierte Perspektive zurückfallend; zur Vermittlungsfunktion auch Bode/Brose (2001).

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diesem Sinne hochgradig unwahrscheinliches Verhalten auf Dauer stellenden) Gesellschaft zu (vgl. Luhmann 1975/2005b: 14). 1.3 Ebenenverhältnis und Eigenlogik Mit der letzten Bemerkung ist bereits das Verhältnis zwischen den drei Ebenen angesprochen. Die Systemebenen treten insbesondere in zweierlei Hinsicht in Beziehung. In der Verlaufsrichtung von der Gesellschaftsebene ‚abwärts‘ lassen sich Beziehungen im Hinblick auf etwaige Strukturvorgaben beschreiben. So gibt die Gesellschaft Ordnungsmuster vor, die in Organisationen und Interaktionen nicht erst neu verhandelt werden müssen; hier kommen „Sprache, allgemeine Wertmuster, Gesichtspunkte der Systemdifferenzierung“ (Luhmann 1972: 247) in Betracht. Für Organisationen bestehen hier nicht zuletzt vorseligierte Möglichkeiten, sich durch eigene Zweckspezifikationen in diese „Umweltdifferenzierung ein[zu]fügen“ (vgl. Luhmann 1968/ 1973: 188; Herv. getilgt). Für Interaktionen schränkt der gesellschaftliche Kontext beispielsweise Unsicherheiten in Bezug auf mögliche Intimitätsgrade von Interaktionen ein (ohne freilich enttäuschungsresistent zu sein). Organisationen wiederum rahmen Interaktionen auf hochgradig spezifische Weise. So stehen vor Konferenzen zumeist Tagesordnungen ebenso fest wie organisatorische Hierarchien, die auch in der Interaktion zu würdigen sind. Die Beziehungen lassen sich in umgekehrter Verlaufsrichtung, ausgehend also von der Interaktionsebene ‚hoch‘ zur Gesellschaft, durch die eigenverantwortliche Selektivität in Bezug auf diese Vorgaben charakterisieren. Selektivität ist dabei schon ein Erfordernis des jeweiligen Komplexitätsniveaus selbst. Alles gesellschaftlich Mögliche und Gebotene kann weder in Organisationen noch in Interaktionen realisiert werden. Darüber hinaus kann es aber gerade aufgrund der Eigenlogik der Systeme zu einem mehr oder weniger unweigerlichen Unterlaufen bestimmter Vorgaben und Ordnungen kommen. Im Zuge der Dynamiken in Interaktionen können sich interaktionsspezifische Hierarchien aufbauen, die der Organisationshierarchie zuwiderlaufen (vgl. Kieserling 1999: 344): etwa wenn die formelle Autorität einer Person in deutlichen Widerspruch zu ihrem Auftreten gerät und schwer zu verbergende Nervosität den Amtsstatus in der Interaktion unterminiert. Gleichermaßen können Situationserfordernisse ein zeitweiliges Absehen von formellen Hierarchien gar notwendig machen: etwa in Konferenzen, die ein vorübergehendes Argumentieren von Gleichen unter Gleichen nahelegen (vgl. Luhmann 1964/1999: 301). Im Verhältnis von Interaktion und Gesellschaft wiederum kann ebendiese Differenz (von Interaktion und Gesellschaft) in der Interaktion selbst gehandhabt werden, um deviantes, innovatives Verhalten zu erleichtern. Interaktionen haben ein absehbares Ende, ob sie ‚gelingen‘ oder nicht. Das Bewusstsein darüber macht auch die Annahme unwahrscheinlichen Verhaltens in gewisser Hinsicht wahrscheinlich(er) (vgl. Luhmann 1984a: 591). Anders als in primitiven Gesellschaften schlägt Devianz unter modernen Bedingungen eben nicht unmittelbar auf die Gesellschaftsebene durch; sie produziert keine unmittelbaren strukturellen Krisen, denen durch gesellschaftliche Interventionen und Sanktionen unverzüglich begegnet werden müsste. „Riskante Neuerungen“ (ebd.) können gerade im Vertrauen darauf erprobt werden, dass allenfalls die Interaktion auf dem Spiel steht, nicht aber die Gesellschaft. Gerade das schafft Evo-

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lutionspotentiale, die umgekehrt wieder zum Strukturaufbau auf der Ebene der Gesellschaft genutzt werden können. Auch Organisationen können sich in hohem Maße selektiv gegenüber naheliegenden Vorgaben ihrer unmittelbaren gesellschaftlichen Umwelt verhalten. In den organisatorischen Erzeugungsmöglichkeiten hochgradig unwahrscheinlichen Verhaltens liegt ja gerade ihre evolutionäre Bedeutung. In diesem Zusammenhang sei hier etwa auf organisationskulturelle Momente verwiesen, die sich gegen einige der ‚letzten Reduktionen‘ ‚entscheiden‘, für die man vor den Toren der Organisation Zustimmung selbstverständlich voraussetzen kann. Zu denken ist etwa an eine Organisation, die ungeachtet der Tatsache, dass ihre Niederlassung in Deutschland ansässig ist, Englisch als Verkehrssprache wählt, japanische Begrüßungsrituale institutionalisiert und die Akzeptanz dieser ‚Organisationskultur‘ zur Mitgliedschaftsbedingung macht. Diese Theorie der Ebenendifferenzierung ist, anders als die im Folgenden zu erörternde Theorie der funktionalen Differenzierung, im weiteren Verlauf der Werkentwicklung nahezu unverändert geblieben. Unklar ist dabei vor allem, wie sich die Funktionssysteme in die Ebenendifferenzierung einordnen lassen. Innerhalb der Letzteren werden sie ja, wenn überhaupt, vor allem als strukturelles Moment auf der Ebene der Gesellschaft verhandelt. Andererseits sind unter den Funktionsbereichen aber ausdrücklich Systeme zu verstehen, die ihrerseits, so muss man folgern, eigenen Modalitäten der Grenzziehung folgen und sich dabei nicht minder selektiv gegenüber dem gesellschaftlich Möglichen verhalten. Die Differenz von Funktionssystem und Gesellschaft kommt nicht zuletzt darin zum Tragen, dass alle Kommunikationen Gesellschaft reproduzieren, nicht aber auch ihre Funktionssysteme. Nicht nur, dass Kommunikationen in der Regel nur bestimmte, allenfalls einige wenige Funktionsbezüge aufweisen – es gibt auch genügend Kommunikationen, die einen solchen Funktionsbezug überhaupt nicht führen. Man denke nur an die gesellige Interaktion „au troittoir“, auf die Luhmann (1986: 75) in diesem Zusammenhang selbst hinweist (vgl. hierzu auch Schwinn 2001: 82). Die Unstimmigkeit spiegelt gewissermaßen das ausarbeitungsbedürftige Verhältnis der Konzeption von Gesellschaft als Gesamtheit aller füreinander erreichbaren Kommunikation und von Gesellschaft als unhintergehbare Ebene „letzter Reduktionen“ ab. So stößt sich hier ein Begriff von funktionaler Differenzierung als primäre strukturelle Ordnungsvorgabe mit einer operativen Konzeption von Funktionssystemen. Eine weitere Diskussion dieses Problems muss an dieser Stelle aufgeschoben werden. Nachdem die Theorie funktionaler Differenzierung rekonstruiert worden ist, wird hier allerdings ein Versuch unternommen, das Konzept von Funktionssystemen etwas systematischer in die Ebenendifferenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft einzuarbeiten.

2. F UNKTIONALE D IFFERENZIERUNG Für Luhmann (1997a: 743) liegt das definierende Merkmal der modernen Gesellschaft in ihrer Differenzierungsform.12 Für sie allein ist ein Primat funktionaler Diffe12 In der Soziologie gibt es seit längerem auch die Mode, angebliche Alleinstellungsmerkmale der modernen Gesellschaft in entsprechenden Komposita hervorzuheben: so etwa in Be-

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renzierung kennzeichnend, das sich durch die rangmäßige Gleichheit sachlich verschiedener Teilsysteme auszeichnet (vgl. Luhmann 1997a: 613). Damit ist zugleich zweierlei impliziert: Zum einen folgt daraus, dass vormoderne Gesellschaften durch ein anderes primäres Strukturprinzip als das der funktionalen Differenzierung getragen werden. Zum anderen ist mit dem Begriff des Primats zugleich veranschlagt, dass innerhalb einer Gesellschaft auch noch andere, wenngleich untergeordnete Formen der Differenzierung vorkommen können. In Bezug auf vormoderne Gesellschaften folgt Luhmann (z.B. 1972/1987: 140) in seinen frühen Arbeiten zunächst der Gesellschaftstypologie Durkheims, die allein den Typus der segmentär differenzierten Gesellschaft als Vorläufer der modernen, hier als „arbeitsteilig“ charakterisierten Gesellschaft berücksichtigt.13 Die Segmentarität zeichnet sich dabei durch die Gleichheit und Gleichrangigkeit der gesellschaftlichen Teilsysteme aus: So sind segmentäre Gesellschaften typischerweise in gleichartige Stämme, Klans oder anderweitige „Segmente“ untergliedert. Später fügt Luhmann (1977b) als weiteren vormodernen Fall die stratifizierte Gesellschaft hinzu, die durch die rangmäßige Ungleichheit ihrer Teile charakterisiert ist und nun in der Theorie hochkulturelle Gesellschaften kennzeichnet; Letztere hatte Luhmann (1972/ 1987: 166ff.) zuvor noch differenzierungsbezogen hinsichtlich ihrer „unvollständigen funktionalen Differenzierung“ typisiert.14 Auf dem letzten Stand der Theorie wird als ein weiterer Fall die Zentrum-Peripherie-Differenzierung aufgenommen. Diese lässt sich auch als eine Kombination von Differenzierungsformen verstehen: Stratifikation im Zentrum und Segmentarität in der Peripherie. Es ist nun eher dieser Differenzierungsmodus, der als das differenzierungsbezogene Merkmal von Hochkulturen herausgestellt wird, insbesondere dort, wo sie die Form von Großreichen annehmen (vgl. Luhmann 1997a: 663ff.). Damit findet funktionale Differenzierung in der Beschreibung von Hochkulturen kaum noch eine theoretische Berücksichtigung. Als Differenzierungsform wird sie in den letzten Etappen der Theorie noch ausschließlicher der modernen Gesellschaft zugeschlagen. In der differenzierungstheoretischen Gesellschaftstypologie ist stets die Primärdifferenzierung im Blick. Wie schon der Fall der Zentrum-Peripherie-Differenzierung deutlich zeigt, sind damit andere Formen der Differenzierung innerhalb derselben Gesellschaft nicht ausgeschlossen. Das „Primat“ unter ihnen hat indes allein jene Differenzierungsform inne, von der aus die Möglichkeiten weiterer Differenzierungen und Strukturformen in der Gesellschaft bestimmt oder eingeschränkt werden: „The first cut defines the conditions and limitations of further differentiation.“ (Luhmann 1977b: 40) So finden sich in segmentären Gesellschaften durchaus Formen funktionaler Differenzierung, etwa in Gestalt von Rollendifferenzierungen innerhalb griffen wie Risikogesellschaft, Wissensgesellschaft, Informationsgesellschaft etc. Der gesellschaftstheoretische Anspruch variiert dabei; vgl. speziell zum Kompositum „Organisationsgesellschaft“ Tyrell/Petzke (2008: bes. 444ff.); siehe zu „Bindestrichgesellschaften“ auch Tyrell (2005a: 35f.). 13 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Tyrell (2001). 14 Auch Durkheim (1893/1992: 238) erwähnt in „Über soziale Arbeitsteilung“ den Differenzierungsfall in Klassen und Kasten; diese gelten ihm als eine „Mischeinrichtung“ zwischen Berufsorganisation und familialer Organisation, die aufgrund von solidaritätsabträglichen Antagonismen zwischen den Gliedern nur von kurzer Dauer sein kann.

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der segmentär differenzierten Stämme. Ferner findet sich in den Schichten stratifizierter Gesellschaften eine segmentäre Differenzierung nach Familien. In funktional differenzierten Gesellschaft wiederum lassen sich Formen der Stratifikation und Segmentation, aber auch Zentrum-Peripherie-Differenzierungen innerhalb der Funktionssysteme finden; zu denken ist hier an politische Hierarchien, an die segmentäre Differenzierung der Weltpolitik in Nationalstaaten sowie etwa an Luhmanns (1993: 334) späteren Theorievorschlag, die Binnendifferenzierung der Wirtschaft als eine Differenzierung von ‚zentralem‘ Bankensystem und ‚peripheren‘ Aktivitäten der Produktion, des Handels und des Konsums zu fassen (vgl. hierzu auch Bohn 2009; Hahn 2008). Daneben lässt sich für die moderne Gesellschaft Schichtung als eine Form der Differenzierung außerhalb der Funktionssysteme denken, die sich gleichwohl allein in den Nischen funktionaler Differenzierung einzunisten vermag und entsprechend einen ‚sekundären‘ Charakter hat.15 Stets sind es die Selektivitätseinschränkungen der primären Differenzierungstypik, die die strukturellen Möglichkeiten weiterer Systemdifferenzierungen vorzeichnen. Insoweit hier in der Hauptsache die differenzierungstheoretische Situation der Religion in der modernen Gesellschaft zu beleuchten ist, hält sich die folgende Theorierekonstruktion an die Theorie funktionaler Differenzierung. Ohnehin fehlen für die vormodernen Gesellschaftsformen vergleichbare systemtheoretische Ausarbeitungen (vgl. auch Tyrell 2001: 513f.). Luhmanns theoretisches Interesse galt in der Hauptsache der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft. Die theoretische Perspektive, die Luhmann dabei an den Tag legt, hat sich im Laufe der Jahre in grundlegender Hinsicht entwickelt. Talcott Parsons und Edmund Husserl liefern die zentralen Ausgangspunkte der Theorie. Das folgende Kapitel versucht zu zeigen, dass ein Großteil der Theorieumstellungen, gerade in Bezug auf das differenzierungstheoretische Gedankengut, sich darauf zurückführen lässt, dass Edmund Husserl gegenüber Talcott Parsons immer deutlicher die Theorieperspektive Luhmanns bestimmt bzw. im Laufe der Zeit die Konsequenzen aus der Husserl‫ތ‬schen Grundlegung der Theorie immer stringenter (und auf Kosten Parsons’) gezogen werden (2.1). Von der Warte der Spättheorie gilt es dann die Funktionssysteme im Einzelnen in den Blick zu nehmen, zunächst hinsichtlich ihrer „selbstreferentiellen“ und „fremdreferentiellen“ Sinnperspektiven (2.2); schließlich hinsichtlich ihrer Operativität (2.2). 2.1 Von Parsons zu Husserl – Schwerpunktverlagerungen in der Systemtheorie Luhmanns Für die frühen differenzierungstheoretischen Arbeiten Luhmanns lässt sich behaupten, dass eine Ausdifferenzierung von Funktionssystemen hier noch stark von ‚strukturellen‘ Momenten her konzipiert wird. Es sind vor allem Rollen und Rollenkomplexe, die zunächst beim Gedanken einer Ausdifferenzierung und Binnendifferenzierung funktionaler Teilsysteme im Blick sind. Damit ist freilich nicht impliziert, dass sich die Erwartungsstrukturen eines Systems allesamt in Rollen verdichten. Bereits in dem Werk „Funktionen und Folgen formaler Organisation“ werden hier „Grenzen 15 Siehe hierzu insbesondere Luhmann (1985a); gegen die Konzeption einer Über- bzw. Unterordnung von funktionaler Differenzierung und sozialer Ungleichheit wendet sich Schwinn (1998); siehe hierzu auch die Beiträge in Schwinn (2004).

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der soziologischen Rollentheorie“ (Luhmann 1964/1999: 293) aufgezeigt.16 So fehlt es auch schon bei den frühen Aufsätzen zu gesellschaftlichen Teilsystemen nicht an einer Berücksichtigung von ausdifferenzierten „Entscheidungsprogrammen und Werten“ (Luhmann 1968/2005: 195) bzw. „eigene[n] Zwecke[n], Normen, Rationalitätskriterien und eigene[n] Abstraktionsrichtungen“ (Luhmann 1970/2005: 264). Allerdings können diese unter Ausdifferenzierungsgesichtspunkten nicht „strukturtragend“ sein: „Nur auf Rollenebene kann die Ausdifferenzierung eindeutig vollzogen werden, so daß in hohem Maße erkennbar ist, ob eine Rolle (etwa die des Beamten, des Abgeordneten, des Parteisekretärs, des Wählers, des Gesuchstellers) dem politischen System zugerechnet wird.“ (Luhmann 1968/2005: 195) Für das politische System wird entsprechend auch die Binnendifferenzierung von der Rolle her gedacht, wenn von einem Auseinandertreten von bürokratischer Verwaltung, parteimäßiger Politik und Publikum die Rede ist (Luhmann 1968/2005: 206). Ähnlich wird für das Wirtschaftssystem in einem frühen Aufsatz dargelegt, dass das Entstehen von Märkten vor allem für eine Ausdifferenzierung der Wirtschaft auf der Rollenebene steht: Potentielle Käufer und Verkäufer begegnen sich hier mit starker Indifferenz gegenüber den jeweiligen anderen Rollen (vgl. Luhmann 1970/2005: 262f.). Eine nachhaltige Ausdifferenzierung der Wirtschaft geht dann für Luhmann mit einer Verlagerung des „die Ausdifferenzierung tragende[n] Rollenkontext[s] von Marktrollen auf Organisationsrollen“ (Luhmann 1970/2005: 281) einher, die angesichts der komplexer werdenden wirtschaftlichen Planung und Entscheidungsleistungen die nötige Motivierbarkeit garantieren können. In einem späteren Aufsatz unterscheidet Luhmann (1975/2005a: 192) zwischen drei Ebenen der Ausdifferenzierung: „situationsweise, rollenmäßig, systemmäßig“. Dabei gründet die systemmäßige Ausdifferenzierung ebenfalls in einer Rollendifferenzierung: nun aber in der Ausdifferenzierung von funktionsspezifischen Publikumsrollen, die ein ‚komplementäres Zusammenwirken“ mit den Leistungsrollen ermöglichen, wie es sich etwa in den Rollen des Lehrers und des Schülers in der Erziehung vollzieht. Den frühen Studien – zu denen auch „Grundrechte als Institution“ (1965) und das organisationssoziologische Werk „Funktion und Folgen formaler Organisation“ (1964) zu zählen sind – ist folglich insoweit noch eine deutlichere Orientierung an Parsons anzusehen, als sie vergleichsweise stärker auf Strukturmomente bzw. Verhaltenserwartungen abstellen und so eher statische Systemfiguren nahe legen. In späteren Arbeiten werden demgegenüber immer deutlicher die Konsequenzen aus dem phänomenologischen Sinnbegriff gezogen, der von aktuellen Selektionen aus alternativen Möglichkeiten und ‚appräsentierten‘ Verweisungen auf diese Möglichkeiten ausgeht.17 Hiermit tritt der Ereignischarakter der Systemelemente und folglich die Notwendigkeit der Reproduktion von Anschlüssen in den Vordergrund (vgl. 16 Vgl. auch Luhmanns Rezension von Friedrich Tenbrucks „Geschichte und Gesellschaft“, die gegen Tenbrucks Akzentuierung von Position und Rolle geltend macht, dass „im täglichen Leben Handlungsabstimmungen in weitem Umfange überhaupt ohne Orientierung an Rollen ablaufen, etwa aus situativen Evidenzen heraus oder in Orientierung an dem sprachlich gerade Gesagten, an gemeinsam akzeptierten Programmen, an Werten“ (Luhmann 1987: 800). 17 So Luhmann (1967/2005: 146) bereits 1967. Für eine ausführliche Darlegung des Sinnbegriffs vgl. Luhmann (1971: 25ff.; 1984a: 92ff.).

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hierzu etwa Luhmann 1978/2005: 64ff.; Luhmann 1979/2005; Luhmann 1980/2005). Zugleich ist damit gegen das Modell von Parsons, das vom „unit act“ ausgeht und über die Frage nach seinen Voraussetzungen zum analytischen AGIL-Schema gelangt, der Fokus auf das System und die Relationierung von Handlungselementen selbst gelegt (vgl. Luhmann 1978/2005: 61). Dies verbindet sich mit der Annahme, dass das System selbst seine Systemelemente konstituiert (vgl. Luhmann 1978/2005: 65). Beidem – Operativität und emergenter Konstitution der Elemente – trägt der Begriff der Autopoiesis Rechnung, der mit dem Erscheinen von „Soziale Systeme“ (1984) fortan das Theoriedesign führt. Luhmann übernimmt den Begriff aus der Biologie, wo er die Eigenschaft lebender Organismen bezeichnet, die Bestandteile, aus denen sie bestehen, durch Aufnahme von Ressourcen aus der Umwelt selbständig zu produzieren. Die Brücke zu (sozialen) Sinnsystemen liegt darin, dass nur im Verweisungszusammenhang der Elemente und den darauf aufruhenden Zurechnungen determiniert wird, was als Element des Systems zu gelten hat. Es ist exakt dieses Charakteristikum, das auch dem Konzept „selbstreferentieller“ Systeme zugrunde liegt (vgl. Luhmann 1984a: 59).18 Ein selbstbezüglicher, seine Elemente autonom konstituierender Operationszusammenhang differenziert das System als System aus einer damit gleichursprünglichen Umwelt aus (vgl. Luhmann 1984a: 25). Die selbstständige Spezifikation bzw. Konstruktion der Elemente setzt dabei voraus, dass das System Systemzugehöriges von seiner Umwelt unterscheiden kann: „Bereits die basalen Operationen eines Systems erfordern, wenn und soweit sie auf Selbstbeobachtung angewiesen sind, ein Mitwirken von Selbstreferenz. Ein System, das sich selbst mit einem Auswahlbereich von Anschlußmöglichkeiten konfrontiert (wir sagen: sinnhaft prozessiert), muß bei der Festlegung der anschließenden Operation eigene Operationen von anderen Sachverhalten unterscheiden können. Ein Sozialsystem muß bei der Durchführung seiner Autopoiesis ein Erkennungsverfahren mitlaufen lassen, das festlegt, welche früheren und späteren Ereignisse als Kommunikation (und im einzelnen dann: als Kommunikation im eigenen System) zählen und welche nicht.“ (Luhmann 1993: 53; Herv. i.O.)

Die nur selten explizit gemachte Konsequenz dieser Überlegungen ist die, dass soziale Systeme im Rahmen dieser Theorie als ein weiterer Fall des Husserl‫ތ‬schen Subjekts behandelt werden.19 Dabei wird allerdings auf eine Anbindung an die Transzendentalphilosophie verzichtet und stattdessen von empirischen, d.h. sich ‚in der Welt‘ befindlichen selbstreferentiell operierenden Systemen ausgegangen (vgl. hierzu Luhmann 1986/2005a: 163). Gleichwohl bleibt es bei den zentralen Figuren der Phänomenologie. So wird die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz eng an die Husserl‫ތ‬sche Differenz von noesis und noema herangeführt (vgl. Luhmann 1992: 216; Luhmann 1996d: 32ff.). Das Bewusstsein bzw. das soziale System operieren im ‚Zugleich‘ von noesis und noema bzw. Selbstreferenz und Fremdreferenz. Die noetische bzw. selbstreferentielle Seite betrifft dabei den ‚operativen‘ Moment des Vorgangs selbst. Hier kommen die Bewusstseinsakte bzw. kommunikativen Operati18 Bereits mit der Monographie „Funktion der Religion“ (Luhmann 1977a) ist die Theorie auf dem Stand „selbstreferentieller“ Systeme. Allein der Autopoiesisbegriff ist hier noch nicht in Anschlag gebracht; siehe hierzu auch Hahn (2001a). 19 Hierzu ausdrücklich Luhmann (2004: 149f.).

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onen als sinntragende, sinnkonstituierende Momente in den Blick, die zugleich auf das „reine Ich“ bzw. den Kommunikationszusammenhang als solchen verweisen (und sich so als ihm zugehörig deklarieren). Der noematische bzw. fremdreferentielle Aspekt betrifft die dabei ‚vermeinte Welt‘, d.h. den eigentlichen ‚ich‘- bzw. ‚systemabgewandten‘ Sinn, der über diese Operationen produziert und abgearbeitet wird. Für diese Unterscheidung zwischen „Selbstreferenz“ und „Fremdreferenz“ müssen soziale Systeme – im Zuge einer ‚Wiedereinführung‘ bzw. „re-entry“ der System-Umwelt-Unterscheidung in das System selbst – eine Beschreibung ihrer selbst anfertigen, die die Identifikation systemzugehöriger Elemente ermöglicht. Es ist also ein gewisses Maß an „Reflexion“ notwendig.20 In diesem Zusammenhang spielt der Begriff der „Semantik“ eine tragende Rolle. Luhmann (1980b; 1981; 1989b; 1995d) hat ihn insbesondere seinen wissenssoziologischen Studien zugrunde gelegt. Er will darunter einen „höherstufig generalisierten, relativ situationsunabhängig verfügbaren Sinn“ verstanden wissen (Luhmann 1980a: 19). Es handelt sich also um Typisierungen und Generalisierungen, die „Selektionen im Rahmen des sozial Erwartbaren und Anschlußfähigen“ halten (ebd.: 18). Über solche Schematisierungen, Formeln, Narrative, Muster etc. wird Komplexität von Welt und Selbst reduziert und in eine handhabbare Form überführt. Im Rahmen seiner Wissenssoziologie interessiert sich Luhmann insbesondere für „gepflegte“, d.h. vertextete und eigens kultivierte Formen der Semantik. In einer systemtheoretischen Variante von Begriffsgeschichte wird hier für die „gepflegte Semantik“ ein Korrelationsverhältnis mit der Gesellschaftsstruktur postuliert und Umstellungen nachgegangen, die sich auf den Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft zurückführen lassen.21 Die vorliegende Studie ist an solchen Korrelationsverhältnissen indessen weniger interessiert. Hier soll es vor allem um Semantiken als „Sinnverarbeitungsregeln“ (Luhmann 1980a: 19) gehen, die eine selbstreferentielle Ausdifferenzierung eines Systemzusammenhangs und dessen fremdreferentiellen Zugang zur Welt dirigieren. Gerade darin besteht eine entscheidende Funktion von „Selbstbeschreibungen“: Hierunter werden solche semantischen Folien verstanden, die die Einheit des Systems als einen „immer mitzubenutzenden Verweisungsstrang allen Operationen zur Verfügung“ (Luhmann 1984a: 624) stellen. Das System kann auf der Basis solcher Selbstbeschreibungssemantiken anschlussfähige Kommunikationen erkennen. Das Format der Selbstbeschreibung dient folglich 20 Vgl. hierzu Luhmann (1984a: 600ff.) Luhmann unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Ordnungsebenen der Selbstreferenz. Die „basale Selbstreferenz“ betrifft die Differenz Element/Relation und ist damit auf der Ebene der Operation situiert. Es findet sich hier die Einsicht, dass ein kommunikatives Element sich stets nur im Verweisungszusammenhang mit anderen Elementen konstituiert. „Prozessuale Selbstreferenz“ bzw. „Reflexivität“ hingegen ist an einer Vorher-Nachher-Differenz orientiert. Mit Hilfe dieser Unterscheidung kann eine kommunikative Operation über einen Prozess kommunizieren, der aus mehreren Einzeloperationen besteht. Im Prozess selbst kann über solche Operationen die Einheit des Prozesses zur Geltung kommen. Die als „Reflexion“ qualifizierbare Selbstreferenz schließlich betrifft die für die vorliegende Fragestellung relevante Ordnungsebene. Das Selbst, auf das hier anhand der konstitutiven Differenz System/Umwelt verwiesen wird, ist weder Element noch Prozess, sondern das System. 21 Vgl. zur Problematik der Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik Stäheli (2000: 184ff.); Stichweh (2000c).

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der „semantischen Steuerung der Selbstbeobachtung“ (Luhmann 1984/2005: 79) des Systems.22 Bezüge zu entsprechenden Identitätsformeln weisen Operationen als systemzugehörig aus und gewährleisten die Verknüpfung entsprechender Operationen im Systemzusammenhang. Luhmann spricht hinsichtlich jener selbstbeschreibungsgesteuerten Selbstbeobachtung bis 1988 noch von einer „mitlaufenden Selbstreferenz“.23 Es sind diese Sinnbezüge, die sich mit Husserl als der oben erwähnte noietische Aspekt der Operation bezeichnen lassen; ihr Korrelat sind die fremdreferentiellen, ‚thematischen‘ Komponenten der Operation. Dabei sei hier auf die Differenz zwischen Selbstbeschreibungen und Reflexionstheorien aufmerksam gemacht – eine Unterscheidung, die nicht in allen Publikationen systematisch durchgehalten wird. Während der Begriff der Selbstbeschreibungen auf jene grundlegenden semantischen Formeln abstellt, die die grenzbetreuende Selbstbeobachtung koordinieren, sind mit Reflexionstheorien ambitiösere Formate im Blick, deren Funktion vor allem in der Legitimation und Begründung des Systems zu sehen ist (vgl. Luhmann 1984a: 618ff.; 1984/2005: 84, 93f.). Schon für Kommunikation in einem ganz allgemeinen Sinne wird bei Luhmann ein simultanes Prozessieren von Selbstreferenz und Fremdreferenz veranschlagt: In die kommunikative Operation als dreistellige Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen ist „immer schon die Differenz von Fremdreferenz qua Information und Selbstreferenz qua Mitteilung eingebaut“ (Luhmann 2004: 82). Auch hier gilt, dass es Selbstbeschreibungen sind, die die grenzkonstitutiven Selbstbeobachtungen auf ‚Mitteilungshandeln‘ hin steuern. Kommunikationssysteme schlechthin benötigen hier ein spezifisches Handlungsverständnis, das Zurechnungen, was als kommunikative ‚Handlung‘ zu gelten hat und was nicht, koordinieren kann (vgl. Luhmann 1984a: 228; siehe auch Stäheli 2000: 206).24 Gleichzeitig lässt sich anhand dieser Überlegung verdeutlichen, dass die Grenzen dessen, was von Seiten der Gesellschaft zur Gesellschaft gezählt wird, was also die ‚Gesellschaft der Gesellschaft‘ ausmacht, historisch variieren. Sie tun dies je nach Maßgabe der Semantiken, die die Zurechnung von Mitteilungskompetenzen mal auf Menschen begrenzen, mal auf Yamsknollen ausweiten (vgl. hierzu Luckmann 1970).25 22 Siehe hierzu auch Cornelia Bohn (1999/2006: 129) „Während Selbstbeobachtungen im Sinne einer permanenten Selbstidentifikation dafür sorgen, dass frühere und spätere Operationen Kontakt miteinander unterhalten, sind Selbstbeschreibungstexte für Wiedererkennung und Mehrfachgebrauch geschaffen und koordinieren schließlich die zu ihnen passenden Selbstbeobachtungen.“ 23 Dieser Theoriefigur wird bis „Wirtschaft der Gesellschaft“ ein Eintrag ins Register gewährt, was für ihren Stellenwert spricht. 24 Die Entscheidung für Kommunikation als autopoietisches „Letztelement“ trägt dabei der Tatsache Rechnung, dass diese Attributionsprozesse einer operativen Ebene bedürfen, die eine „Selbstsimplifikation“ zum Handlungssystem trägt (vgl. hierzu Luhmann 1984a: 191ff.). 25 Damit ist freilich eine Beobachterdifferenz zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Beobachtung impliziert, die im Grunde mit der Unterscheidung von Kommunikation und Handlung zusammenfällt. Der wissenschaftliche Kommunikationsbegriff muss hier im historischen Rückblick derselbe sein. Er ist also überzeitlich stabil auf die Kategorie jener Beobachter begrenzt, die eine Differenz zwischen Information und Mitteilung handhaben

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Auch die Funktionssysteme operieren bei Luhmann in der späteren Hälfte des Werks über ein Simultanprozessieren von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Hier sind es nun funktionsspezifische Selbstreferenzen, die mit einer funktionsspezifischen fremdreferentiellen Perspektive auf die Systemumwelt einhergehen. Diese sinntheoretischen Aspekte von Funktionssystemen gilt es im Folgenden zu erörtern, um im Anschluss daran den damit zusammenhängenden Gesichtspunkt der funktionsspezifischen Operativität darzulegen. 2.2 Funktionsspezifische Selbst- und Fremdreferenz Funktionssysteme zeichnen sich durch spezifische Selbst- und Fremdreferenzen aus. Gerade hierin liegt die eigenlogische Sinnperspektive der ausdifferenzierten Teilbereiche, die Luhmanns Differenzierungstheorie auf eine Linie mit den Perspektiven Diltheys, Simmels und Webers bringt. Wie schon bei Dilthey handelt es sich bei den Systemen Luhmanns um einen Anschlusszusammenhang von Elementen, die ihre Systemzugehörigkeit durch einen spezifischen Sinnbezug ausweisen (Selbstreferenz). Nicht Assoziationen von Individuen sind hier im Blick und in erster Linie auch keine Rollenkomplexe; es sind stattdessen Sinnzusammenhänge. Und auch hier rekonstruieren die Systeme ‚Welt‘ je nach eigener, eigengesetzlicher Maßgabe, ganz so, wie es beispielsweise in der Weltanschauungslehre Diltheys und der Kultur- und Religionstheorie Simmels zur Darstellung kommt (Fremdreferenz).26 Die selbstreferentielle Schließung der Wirtschaft läuft über das Geldsymbol. Nur so lassen sich Kommunikationen einem entsprechenden Sinnzusammenhang zuordnen: „Die Kommunikationen der Wirtschaft müssen sich als wirtschaftlich ausweisen, damit man sie nicht falsch interpretiert, etwa als auf Intimität zielenden Annäherungsversuch auffaßt.“ (Luhmann 1988: 15) Geld ist folglich im Falle der Wirtschaft „instituierte Selbstreferenz“ (Luhmann 1988: 16). Es bildet, mit Husserl gesprochen, die noietische Komponente im Kommunikationsstrom des wirtschaftlichen Funktionssystems. Diese wirtschaftliche Selbstreferenz bzw. noesis ist indessen untrennbar verbunden mit ihren fremdreferentiellen bzw. noematischen Komponenten: „Sie bedingen sich wechselseitig. Und es ist dieser Bedingungszusammenhang, der die Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems trägt. Produktion ist nur Wirtschaft, Tausch ist nur Wirtkönnen. Im historischen Vergleich lässt sich dann nur eine Variation in den Zurechnungsmustern der mit diesem Kommunikationsbegriff (wissenschaftlich) beobachteten Beobachter und nicht tatsächlich eine Grenzvariation einer Gesellschaft (im Sinne des soziologischen Gesellschaftsbegriffs) feststellen; es variiert also allein die ‚Gesellschaft‘ der Gesellschaft. Diese Unterscheidung kollabiert allerdings, wenn man bedenkt, dass auch soziologische Gesellschaftsbegriffe gesellschaftlich situiert sind und damit eine Selbstbeschreibungssemantik von ‚Gesellschaft‘ bilden; vgl. in diesem Zusammenhang Lindemann (2009); siehe hierzu auch Luhmann (1985/2005). 26 Der Durchgang durch die Funktionssysteme soll hier stark philologisch gehalten werden. Es gilt dabei eine Lesart der Systemtheorie abzusichern, die den differenzierungstheoretischen Aspekt nicht auf die noch zu erwähnenden funktionsbezogenen Codes und die zugehörigen Programme verengt, sondern stärker und grundlegender auf die Simultanität von selbstreferentiellen und fremdreferentiellen Sinnbezügen abstellt.

126 | W ELTBEKEHRUNGEN schaft, wenn Kosten bzw. Gegenzahlungen anfallen. Dann realisiert der Vorgang einen Verweisungskontext, der auf Güter und Leistungen, auf Wünsche und Bedürfnisse, auf Folgen außerhalb des Systems Bezug nimmt; und zugleich einen anderen, in dem es nur um Neubestimmung der Eigentumsverhältnisse an Geld, also an Möglichkeiten der Kommunikation innerhalb des Systems geht.“ (Luhmann 1988: 16; Herv. i.O.)

Der durch Geld- bzw. Zahlungsverkehr getragene Operationszusammenhang der Wirtschaft löst folglich in fremdreferentieller Perspektive die ihm zugehörige Umwelt in Produktionsmittel, Waren, Dienstleistungen, Angebot und Nachfrage auf. An der Funktionsstelle des Geldes steht im politischen System die Staatsformel. Sie „ist ein semantisches Artefakt, mit dem es möglich ist, die Selbstreferenz des politischen Systems zu konzentrieren, sie von der Beurteilung konkreter Machtlagen unabhängig zu machen und sie, ähnlich wie im Falle von Geld, zur mitlaufenden Selbstverweisung aller Operationen zu machen, die Anspruch darauf erheben, als Elemente des politischen Systems zu fungieren.“ (Luhmann 1984a: 627)

Die Staatsformel hat hier insbesondere die Funktion, einen spezifisch politischen Zusammenhang gegenüber gesellschaftlich ubiquitärem Machtgebrauch auszudifferenzieren. Dies wird in der späteren Publikation „Politik der Gesellschaft“ vor allem durch die These der „Amtsförmigkeit politischer Macht“ (Luhmann 2000b: 92) auf den Punkt gebracht: „Nach dem Machtcode des politischen Systems ist politische Macht Stellenmacht“ (ebd.: 93). Die fremdreferentielle Komponente des politische Systems liegt in einem Bezug auf Werte und Gegenwerte (vgl. ebd.: 362). Jeder politische Akt berührt Wertkonflikte. In der Terrorismusbekämpfung etwa gilt es abzuwägen zwischen individuellen Freiheiten und kollektiver Sicherheit. Die Funktionsperspektive der Politik konstruiert ihre systemspezifische Umwelt als Vielfalt von Wertvorgaben, zwischen denen kollektiv verbindlich entschieden werden muss. Auch im Erziehungssystem wird eine dem Geldsymbol funktional äquivalente Instituierung von mitlaufender Selbstreferenz über semantische Formeln realisiert. Es ist der allen Lernleistungen anhaftende Bezug zur Lernfähigkeit überhaupt, die Referenz auf ein Lernen des Lernens, das in der Semantik der Bildung seit dem 18. Jhd. als „Methodik des Könnens“ erfasst ist (vgl. Luhmann 1984a: 628). In einer späteren Arbeit über das Erziehungssystem wird allerdings von einem Symbol der Erziehungsabsicht ausgegangen, das den Verweis auf Systemzugehörigkeit zum Erziehungssystem liefert. Erziehungskommunikation flaggt sich hier dadurch aus, dass die „‚Absicht zu erziehen‘ […] der Definition eines Interaktionssystems zugrundegelegt wird“ (Luhmann 2002: 55). Der fremdreferentielle Aspekt der Erziehungskommunikation kommt dabei durch den Bezug auf die zu erziehenden Personen ins Spiel. Auf diese Weise trägt auch hier jede Operation sowohl selbstreferentielle als auch fremdreferentielle Züge: „Symbolische Qualität hat die Absicht zu erziehen deshalb, weil sie die Fremdreferenz einbezieht, weil sie sich selbst am Widerstand der Personen, an Lernschwierigkeiten, an der Unruhe in der Klasse als Absicht erkennt. Alles Weitere (die Einführung von Lernstoffen, die Auseinandersetzung mit der Bürokratie etc.) nimmt auf diese Grundrelation von Selbstreferenz und

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Fremdreferenz Bezug. Die Unvermeidbarkeit des gleichzeitigen Prozessierens beider Referenzen – so wie man in der Wirtschaft nur gegen Geldzahlungen Bedürfnisse befriedigen kann – bildet das Selektionsprinzip, von dem aus gesehen anderes in der Welt als relevant oder irrelevant beurteilt werden kann.“ (Luhmann 1992/2004: 207f.; Herv. i.O.)

Mit dem Erscheinen des Aufsatzes „Distinctions directrices. Über Codierung von Semantiken und Systemen“ von 1986 (Luhmann 1986/2005b) übernimmt der funktionsspezifische Code in der Theorie die Funktion des Ausweisens der Systemzugehörigkeit von kommunikativen Elementen.27 Deutlich findet sich das etwa in der „Kunst der Gesellschaft“ zur Sprache gebracht: „Im Unterschied zu anderen Unterscheidungen antworten Codes auf das Problem des Erkennens der Systemzugehörigkeit von Operationen und müssen dafür besondere Eigenschaften aufweisen. Sie müssen vor allem so abstrakt formuliert sein, daß sie jede Operation des entsprechenden Systems informieren können. Ihre Wiederverwendbarkeit muß als Äquivalent für die Bezeichnung der Einheit des Systems dienen können.“ (Luhmann 1995a: 305)

Beispiele für solche Codes bilden etwa die Differenz Recht/Unrecht im Rechtssystem, wahr/falsch im Wissenschaftssystem, stimmig/unstimmig im Kunstsystem etc.28 Die selbstreferentielle Komponente erschöpft sich allerdings auch in den späteren Traktaten nicht im bloßen Codegebrauch. Es treten spezifische Sondersemantiken hinzu, die ein Steigerungsverhältnis gegenüber eher diffus angelegten Kommunikationszusammenhängen instituieren. Sie bestehen beispielsweise in den Programmen, die Kriterien für die Codezuweisungen liefern;29 oder sie liegen nach wie vor in spezifischen Selbstbeschreibungen, die Bezüge zur Identität des Systems herstellen. Für das Rechtssystem geht der Codegebrauch etwa einher mit dem „Bezug auf jeweils bestimmte Texte, die als ‚geltendes Recht‘ fungieren“ (Luhmann 1993: 215). Das Rechtssystem überführt damit die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz in den Gegensatz von formaler und substantieller Argumentation: „Formale Argumente enden im Bezug auf das System, auf Texte, oder auch auf Formvorschriften (zum Beispiel notarielle Beurkundung), die dazu bestimmt sind, ein Abdriften in Sachargumente zu verhindern. Substantielle Argumente beziehen dagegen Erwägungen ein, die auch außerhalb des Systems Anerkennung finden (wie im System angenommen wird). Mit einer

27 „Mitlaufende Selbstreferenz“, die in der Theorie zuvor durch Symbole oder Zusatzsemantiken vollzogen wurde, taucht in der Folge als Begriff nicht mehr auf. In „Wirtschaft der Gesellschaft“ kommen die Figuren der Codierung und Programmierung noch neben der Figur der mitlaufenden Selbstreferenz vor. Hier handelt es sich allerdings um eine Sammlung von Aufsätzen, von denen das Kapitel „Preise“, in dem von mitlaufender Selbstreferenz die Rede ist, von 1983 stammt. 28 Für einen Überblick siehe Luhmann (1986: 101ff.). Einzig für das Erziehungssystem konstatiert Luhmann keinen Code, sondern optiert auch weiterhin für ein Symbol, um die Theoriestelle der Verweisung auf Systemzugehörigkeit zu besetzen (vgl. Luhmann 1992/2004: 195ff.). 29 Vgl. zum Verhältnis von Code und Programmen Luhmann (1986: 89ff.).

128 | W ELTBEKEHRUNGEN formalen Argumentation praktiziert das System mithin Selbstreferenz, mit einer substantiellen Argumentation Fremdreferenz.“ (Luhmann 1993: 393; Herv. i.O.)

Unter fremdreferentiellen Gesichtspunkten sind vor allem ‚Umwelt‘-Interessen im Blick, die es im rechtlichen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen gilt, sofern sie von entsprechenden Rechtsentscheidungen betroffen wären (ebd.: 394f.). Das System konfiguriert die ihm zugehörige ‚Welt‘ damit nach Maßgabe seiner eigenen Funktions- und Leistungsperspektive, d.h. der Erwartungssicherung und Konfliktlösung. In jeder Operation kommen wiederum beide Aspekte, Selbstreferenz und Fremdreferenz bzw. Bezüge auf Rechtstexte und Interessen, zum Tragen. Gerade dieses voraussetzungsvollere Zusammengehen differenziert Recht dann auch gegen „naturwüchsiges“ normatives Erwarten (ebd.: 71), vor allem gegen „die unbeständige Ebbe und Flut moralischer Kommunikation“ (ebd.: 79), aus. Wissenschaftliche Kommunikation validiert ihren Codegebrauch über den selbstreferentiellen Verweis auf Theorien und Methoden (vgl. Luhmann 1990: 403ff.). Bezüge darauf werden dabei vor allem durch Begriffe hergestellt, die im Geflecht mit anderen Begriffen Theorie ausweisen bzw. methodologisch eingebettete Methoden referenzieren. Damit ist besagt, „daß die Wissenschaft nur, wenn und soweit sie Begriffe verwendet und die Begriffsverwendungen eigensinnig (theoretisch) koordiniert, sich aus der gesellschaftlichen Alltagskommunikation ausdifferenziert. Nur an Begriffen kann ein Beobachter Wissenschaft von sonstiger Kommunikation unterscheiden.“ (Ebd.: 124) Der fremdreferentielle Aspekt erscheint dabei auf der Inhaltsseite des Begriffs, vermittels dessen Aussagen über einen wissenschaftlichen Gegenstandsbereich in der Umwelt des Systems getroffen werden. Die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz übersetzt sich damit im Falle der Wissenschaft in die Differenz von Begriff und Tatsache (vgl. ebd.: 290). In der Kunst läge es schließlich nahe, die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz in der Differenz von Form und Inhalt zu sehen. So ist das Kunstwerk als solches zunächst identifizierbar an der „dem gesellschaftlichen Alltag abgetrotzte(n) Unwahrscheinlichkeit des kombinatorischen Formengefüges der Kunst, die den Beobachter an den Beobachter verweist“ (Luhmann 1995a: 207). Die Unwahrscheinlichkeit liegt vor allem in der Selbstlimitierung durch im Kunstwerk verwendete Formen, die einschränken, was auf der jeweils anderen Seite noch möglich ist. Diese Einschränkung durch Vernetzung von Unterscheidungen, und nicht etwa durch Restriktionen, die im verwendeten Material (Holz, Aquarell, etc.) selbst liegen, flaggt Objekte als Kunstwerke aus (vgl. ebd.: 62f.). Dabei kommt es für die ausdifferenzierte und autonome Kunst vor allem auf eine Mitrealisierung von Stilen an, die nur noch von kompetenten Publikumsrollen gewürdigt und zugeordnet werden können (vgl. Luhmann: 1984b: 58f.). Im Prozess der Autonomisierung der Kunst tritt dabei allerdings die fremdreferentielle Seite der Kunstkommunikation in dem Maße zurück, in dem die reine Form gegenüber dem Inhalt zunehmend an Bedeutung gewinnt: „Die Ausdifferenzierung eines Systems für Kunst läßt sich am besten an der internen Blockierung externer Referenzen erkennen. Und hier liegt auch eine Besonderheit, die im Vergleich des Kunstsystems mit anderen Funktionssystemen auffällt.“ (Luhmann 1995a: 244) Die Kunst führt damit ihre Fremdreferenz kaum noch im imitierenden Sujet ihrer Kunstwerke. Wo die Funktionsperspektive das Ausprobieren von Formenkombinationen vorgibt, bilden Materialen bzw. das mediale Substrat der For-

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menbildung selbst den fremdreferentiellen Gesichtspunkt kunstspezifischer Operationen (vgl. ebd.: 252). Da es allein auf „Stimmigkeit unter erschwerten Bedingungen“ (ebd.: 286) ankommt, liegen die Fremdreferenzen nur noch in dem, was die Bedingungen erschwert. Der Durchgang durch die Funktionssysteme wurde hier etwas ausführlicher gehalten, um den vergleichsweise abstrakten Grundgedanken der Kombination von Selbstreferenz und Fremdreferenz hinreichend zu illustrieren. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass in dieser Konzeption von Funktionssystemen, die sich stark an Husserl anlehnt, zugleich zentrale Gedanken der differenzierungstheoretischen Klassiker aufbewahrt sind. Der Aspekt der selbstreferentiellen Verknüpfung von Elementen lässt sich parallelisieren mit Diltheys (1962: 81) Gedanken einer „Koordination von selbständigen Einzeltätigkeiten“ unter den autonomen Sinnaspekten der Kultursysteme; nicht minder parallel liegt er zu Simmels (1919/1996: 395) „Sachreihe[n]“, in die sich kulturelle Erzeugnisse einreihen und dort nach Maßgabe eigenlogischer „Sachideal[e]“ (Simmel 1908/1993: 368) ihren Wert erhalten. Das Pendant bei Max Weber ließe sich etwa im methodischen Zusammenziehen von Elementen der Lebensführung auf ein religiöses Heilsziel hin sehen. Bei Dilthey und Luhmann werden dabei identische Konsequenzen aus dem auf Sinnbezüge abstellenden Systemkonzept gezogen. Hier wie dort kann ein und derselbe Akt aufgrund seiner vielfältigen Sinnverweisungen in unterschiedliche Systemzusammenhänge eingeflochten werden.30 Luhmann (1993: 440) spricht hier von „operativen Kopplungen“.31 Darüber hinaus kommt bei Luhmann (ebd.: 441) in diesem Zusammenhang deutlich zur Sprache, dass der operative Anschluss in einem spezifischen Kommunikationszusammenhang die Bedeutung des Sinnereignisses überhaupt erst konstituiert. Im kommunikativen Anschluss wird nicht nur deutlich, dass etwas als Kommunikation verstanden wurde, sondern in der Regel auch wie verstanden wurde (ob als wirtschaftliche, rechtliche, intime Kommunikation). Die oben genannten Selbstbeschreibungsformate, die festlegen, was als wirtschaftliche, rechtliche, intime Kommunikation gelten kann, dienen hier der Orientierung und legen die entsprechenden Anschlüsse in den jeweiligen Systemzusammenhängen nahe. Diese Emphase auf die selbstreferentielle Bestimmung der Systemelemente hat bei Luhmann eine entscheidende methodologische Konsequenz. So hat ihm zufolge die soziologische Beschreibung der Gesellschaft wie auch ihrer Funktionssysteme von „Was“-Fragen auf „Wie“-Fragen, d.h. von Ontologie auf Konstruktivismus, um30 Vgl. hierzu Dilthey (1962: 51); siehe bereits oben, Kap. I.3.1.1. 31 Siehe hierzu Luhmann (1993: 441): „Sie [d.h. die operative Kopplung, M.P.] erlaubt eine momenthafte Kopplung von Operationen des Systems mit solchen, die das System der Umwelt zurechnet, also zum Beispiel die Möglichkeit, durch eine Zahlung eine Rechtsverbindlichkeit zu erfüllen oder mit dem Erlaß eines Gesetzes politischen Konsens/Dissens zu symbolisieren. Operative Kopplungen zwischen System und Umwelt durch solche Identifikationen sind aber immer nur auf Ereignislänge möglich. Sie halten nicht stand und beruhen auch auf einer gewissen Ambiguität der Identifikation, denn im Grunde wird die Identität der Einzelereignisse stets durch das rekursive Netzwerk des Einzelsystems erzeugt, und wirtschaftlich ist deshalb Zahlung im Hinblick auf die Wiederverwendbarkeit des Geldes etwas ganz anderes als rechtlich im Hinblick auf die Umgestaltung der Rechtslage, die dadurch bewirkt wird.“

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zuschalten (vgl. hierzu Luhmann 1990/2005a). Es geht hier nicht länger darum, zu bestimmen, was Recht, Wirtschaft, Wissenschaft als Identitäten sind, sondern wie sie sich als Identitäten selbst konstituieren. Nicht das ‚Wesen‘ dieser Funktionsbereiche ist zu bestimmen. Es gilt vielmehr zu beobachten, wie sich Systeme durch eine autonome Unterscheidung von System und Umwelt, z.B. Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft, Wirtschaft/Nicht-Wirtschaft etc., als ein Operationszusammenhang einrichten, der sich selbst als Wissenschaft, Wirtschaft etc. beschreibt und in der Koordination seiner Anschlüsse an solchen Selbstbeschreibungen orientiert ist.32 Die soziologische Beschreibung richtet sich so in der Wiederbeschreibung von Selbstbeschreibungen auf der Ebene der Beobachtung dritter Ordnung33 ein: Sie beobachtet, wie sich ein System selbst beobachtet (vgl. Luhmann 1993: 547; 1995a: 491; 2006: 47).34 Die fremdreferentielle Komponente der funktionsspezifischen Kommunikation als Sondergestaltung der Welt gemäß eigenen Sinnperspektiven findet sich ebenfalls schon bei den hier herausgehobenen Klassikern. Im Rahmen von Diltheys (1960) „Weltanschauungslehre“ werden etwa die totalisierenden Perspektiven der Religion, der Poesie bzw. der Kunst und der Metaphysik diskutiert. Bei Simmel (1906/1912/ 1995: 45) kommt dies deutlich als Konstruktion spezifischer Welten zur Sprache; die eigenlogischen Gebiete erbauen ihre „Weltbilder“ je nach eigenen „Kategorien“: Jedes von ihnen „schafft die Welt noch einmal, es bedeutet das ganze Dasein in einer besonderen Tonart, so daß es seiner reinen Idee nach mit den nach anderen Katego-

32 Siehe hierzu Luhmann (1995a: 393): „Es gehört zu den unabschätzbaren Auswirkungen der Philosophie Wittgensteins, daß man die Frage gestellt hat, ob ein Begriff von Kunst definierbar sei. Wenn schon der Begriff des Spiels undefinierbar bleiben muß, dann wohl auch der Begriff der Kunst. So eine in den 60er Jahren verbreitete Auffassung. Aber negiert ist damit zunächst nur, daß es eine dem ‚Wesen‘ der Kunst entsprechende bzw. eine für alle Beobachter eindeutig bezeichnende Definition von Kunst geben könne. Das läßt den Ausweg offen, den die neuere Theorie des operativen Konstruktivismus betritt, nämlich Wesensfragen und Fragen des Konsenses aller Beobachter nicht mehr zu stellen, sondern die Bestimmung dessen, was als Kunst zählt, dem Kunstsystem selbst zu überlassen. Alle anderen Beobachter werden in die Position von Beobachtern zweiter Ordnung verwiesen: Sie müssen sich darauf beschränken, zu berichten, was das Kunstsystem selbst als Kunst bezeichnet. Sie müssen es folglich diesem System überlassen, die eigenen Grenzen zu bestimmen.“ Auch im Falle der Religion findet sich ein ähnliches Definitionsproblem wie in der Kunst; entsprechend liegen auch hier Lösungsversuche mit Anschluss an Wittgenstein vor. Insofern wird diese Analytik des operativen Konstruktivismus auch für den späteren Argumentationszusammenhang dieser Arbeit noch von größter Bedeutung sein. 33 Luhmann schwankt hier bisweilen in der Begrifflichkeit, was die (zweite oder dritte) Ordnungsebene dieser methodischen Beobachtung anbelangt. Es hängt zum einen davon ab, ob man die Selbstbeobachtung des Systems selbst schon als Beobachtung zweiter Ordnung fasst, zum anderen davon, ob man die Beobachtung dritter Ordnung als qualitativ anderen Fall von der Beobachtung zweiter Ordnung unterscheiden will (denn beide sind letztlich Beobachtung von Beobachtung). 34 Dies deckt sich letztlich auch mit dem Ansatz Pierre Bourdieus (1992/1999: 353ff.), dem zufolge die Frage nach den Grenzen des Feldes im Feld selbst entschieden wird. Auch Bourdieu verfolgt damit letztlich eine Methodologie der Beobachtung dritter Ordnung.

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rien erbauten Weltbildern sich überhaupt nicht kreuzen, ihnen nicht widersprechen kann“ (ebd.: 45; Herv. i.O.). Ferner lässt sich auf ein weiteres Moment hinweisen, dass insbesondere bei Simmel (1898: 111f.) zum Tragen kommt. Dieser verband mit seiner Differenzierungskonzeption, wie oben deutlich wurde, einen Gedanken der „Steigerung, Durchbildung und Verfeinerung“ dessen, was zunächst „gleichsam versuchsweise, keimhaft, in Verwebung mit anderen Formen und Inhalten“ im Alltag vorkommt. Auch bei Luhmann werden die Zurechnungs- und Anschlussprozesse der Systeme über Codierungen und zugehörige Programme, Selbstbeschreibungsfolien oder Zusatzsemantiken gesteuert, die gegenüber schon ‚diffus‘ angelegten Sinnmomenten eine voraussetzungsvollere Form der spezifischen Kommunikation konditionieren. Im Falle der Politik etwa zeichnet sich der spezifisch politische Machtgebrauch durch besondere Verweise auf die Staatssemantik aus, die Wissenschaft stellt dem Alltagswissen und alltäglichen Bezügen auf Wahrheit (im Sinne von Wahrhaftigkeit) ‚überprüftes‘ Wissen gegenüber (vgl. Luhmann 1990: 274) etc. Luhmann selbst bringt diesen Steigerungsaspekt folgendermaßen auf den Punkt: „Selbstverständlich gibt es zahllose normative Erwartungen ohne Rechtsqualität – so wie es ja auch zahllose Wahrheiten ohne wissenschaftliche Qualität oder zahllose Güter (zum Beispiel saubere Luft) ohne wirtschaftliche Qualität und viel Macht ohne politische Qualität gibt. Die Funktionssystembildung zieht aus dem gesellschaftlichen Alltagsleben nur die irgendwie problematischen Erwartungen heraus; sie reagiert nur auf eine sich im Laufe der Evolution steigernde Unwahrscheinlichkeit des Erfolgs von Kommunikationen. Und dann bilden sich autopoietische Systeme im Hinblick auf Steigerungsmöglichkeiten, die an schon vorhandenen Strukturen ablesbar sind. Deren evolutionäre Ausdifferenzierung setzt, wie wir noch sehen werden, vorbereitetes Terrain voraus. Gerade deshalb differenzieren sich dann aber autopoietische Systeme gegen die Selbstverständlichkeiten des Alltags.“ (Luhmann 1993: 136f.)

Diesen Gedanken gilt es für die Diskussion der Luhmann‫ތ‬schen Religionssoziologie im Gedächtnis zu behalten. Bevor diese zur Sprache kommt, gilt es indes der Differenzierungstheorie Luhmanns noch weiter auf einer allgemeinen Ebene nachzugehen. Die ‚Eigengesetzlichkeit‘ der Systeme erschöpft sich nicht in den inhaltsspezifischen Kombinationen von Selbst- und Fremdreferenzen. Ihnen liegt auch eine eigenlogische operative Dynamik zugrunde, die im Zusammenspiel von spezifischen Elementaroperationen und besonderen „Kontingenzformeln“ gründet. 2.3 Operativität Unter dem Aspekt der Operativität von Funktionssystemen sind hier dreierlei systemtheoretische Begriffe zu erörtern: zum einen der Begriff des Elementarakts, mit dem die funktionsspezifischen Kernelemente im Blick sind (2.3.1); ferner die Kontingenzformel, die in ihren strukturierenden Funktionen den Übergang von einer Operation zur nächsten erleichtert (2.3.2); schließlich die funktionsspezifischen Kommunikationsmedien, die den Annahme- und Anschlusserfolg der funktionsspezifischen Operationen wahrscheinlicher machen (2.3.3).

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2.3.1 Elementarakte Die Übertragung des Konzepts der Autopoiesis auf den Fall sozialer Systeme ist auch dem Problem der Reproduktion geschuldet, das in dem Ereignischarakter kommunikativer Elemente gründet. Kommunikative Ereignisse sind in ihrem Aktualitätskern instabil, sie verblassen schon im Augenblick ihrer Realisierung (vgl. Luhmann 1984a: 100). Wie auch bei Husserl bildet damit das „Noema“ des Systemzusammenhangs bzw. die selbstreferentiell prozessierte Fremdreferenz hier nicht einfach ein unbewegliches Sinnfeld. Vielmehr ist diesem Sinngeschehen die Struktur eines Horizonts eigen, der sich mit jeder Operation verlagert: Es steht stets etwas im Brennpunkt der Aufmerksamkeit, verweist an den ‚Rändern‘ aber zugleich auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, die im nächsten Moment in das Aktualitätszentrum des Systems rücken können und selbst wieder auf weitere Möglichkeiten verweisen. Die Reproduktion des Systems läuft somit über den rekursiven Anschluss selektiv aktualisierter Möglichkeiten. Sinn ist das Korrelat dieser geschlossenen Operativität. Mit seiner eigenen Reproduktion reproduziert das System Sinn je in actu als Differenz von Aktualität und mitangezeigten Potentialitäten.35 Im Falle von Funktionssystemen sind es nun funktionsspezifische Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, die sich je ausgehend von einem aktuellen Moment konstituieren. Funktionssysteme operieren somit vor je „teilsystemspezifische[n] Möglichkeitshorizonte[n]“ (vgl. Luhmann 1972/1987: 191; Herv. M.P.). Die Verschiedenheit solcher Sinnhorizonte ruht dabei nicht zuletzt auf der Verschiedenheit der Operationen. In diesem Zusammenhang ist das Konzept des systemspezifischen „Letztelements“ (Luhmann 1988: 17) bzw. „Elementarakts“ (Stichweh 2007: 214) von Bedeutung. Damit sind die (durch das System im Verweisungszusammenhange eigener Operationen) selbst konstituierten elementaren Ereignisse bezeichnet, die die ‚eigentliche‘ Autopoiesis im Sinne einer Rekonfiguration der weiteren Möglichkeiten des systemspezifischen Erlebens und Handelns vollziehen. Es sind die zeitfixierten, in ihrer Aktualität momentan verblassenden ‚Taktungen‘ des Systems, für deren Reproduktion kontinuierlich gesorgt werden muss. Diese basalen Elemente begründen damit den operativen Zusammenhang des Systems und damit recht eigentlich seine Ausdifferenzierung. Sie sind indes nicht die einzigen kommunikativen Elemente, denen eine Systemzugehörigkeit zukommt. Es lassen sich dem System stets auch andere Elemente mit entsprechenden Sinnbezügen zuordnen. Diese sind dem basalen Operationszusammenhang indes nach- bzw. untergeordnet und erhalten ihre systemkonstitutive Bedeutung gerade in den vorbereitenden, unterstützenden Funktionen für die Elementarkommunikationen, von denen her sie ihren eigentlichen Sinn gewinnen. Für die Wirtschaft etwa sind die fundierenden Elementarakte Zahlungen: „In dem Maße, wie wirtschaftliches Verhalten sich an Geldzahlungen orientiert, kann man deshalb von einem funktional ausdifferenzierten Wirtschaftssystem sprechen, das von den Zahlungen her dann auch nichtzahlendes Verhalten, zum Beispiel Arbeit, 35 Siehe hierzu Luhmann (1984a: 44): „Sinn gibt es ausschließlich als Sinn der ihn benutzenden Operationen, also auch nur in dem Moment, in dem er durch Operationen bestimmt wird, und weder vorher noch nachher. Sinn ist demnach ein Produkt der Operationen, die Sinn benutzen, und nicht etwa eine Weltqualität, die sich einer Schöpfung, einer Stiftung, einem Ursprung verdankt.“

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Übereignung von Gütern, exklusive Besitznutzungen usw., ordnet“ (Luhmann 1988: 14). Auf der Basis von Zahlungen „zirkuliert“ Zahlungsfähigkeit im System und wird für weitere Anschlussoperationen relevant. Der Elementarakt der Wissenschaft ist die Publikation: „Erst in der Form von Publikationen erreicht die moderne Wissenschaft autopoietische Anschlußfähigkeit. Publikationen sind gleichsam das Zahlungsmittel der Wissenschaft, das operative Medium ihrer Autopoiesis. […] Nur mit Hilfe von Publikationen werden wissenschaftliche Resultate zitierfähig und so mit durch sie selbst limitierten Anschlußmöglichkeiten versorgt.“ (Luhmann 1990: 432)

Forschungsvorbereitende Tätigkeiten, Kolloquien, Diskussionen können auf dieser Basis ebenfalls im System vorkommen, haben aber im Hinblick auf Systemreproduktion einen anderen Stellenwert als Publikationen. Rechtsentscheidungen, mit denen das Geltungssymbol transportiert wird, bilden den autopoietisch wirksamen Elementarakt im Rechtssystem. Mit der dadurch bewirkten Zirkulation von Geltung verhält es sich ganz analog zu den übrigen Elementarakten: „Ähnlich wie im Wirtschaftssystem die Geldzahlung ist auch im Rechtssystem der Geltungstransfer nicht identisch mit der Gesamtheit der Systemoperationen; aber es handelt sich um diejenigen Operationen, die die Autopoiesis des Systems vollziehen und ohne die die Ausdifferenzierung eines operativ geschlossenen Rechtssystems nicht möglich wäre.“ (Luhmann 1993: 108)

Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems realisiert sich nicht etwa über die Ausdifferenzierung von Kunst als „Thema“ von Kommunikation (vgl. Luhmann 1995a: 40). Träger der Ausdifferenzierung ist vielmehr die rekursive Vernetzung von Kunstwerken, die über Stilmomente, Zitationen, kurzum: „Intertextualität“ aufeinander Bezug nehmen. Darauf kann sich Kunstkritik gleichsam als „sekundäre Kommunikation“ (ebd.) stützen. Im Falle der Erziehung ist das Analogon in der Ausweisung von „Lernfähigkeit“ zu sehen, wie sie etwa durch Lebensläufe bzw. Zertifikate erfolgt (vgl. Luhmann 1991/2004: 181ff.; Luhmann 1997/2004). Mit Lernfähigkeit zirkulieren Formen, an die dann andere nicht-beliebige Absichten der Erziehung anschließen können, die wiederum neue Erziehungsmöglichkeiten durch produzierte Lernfähigkeit eröffnen und so die selbstreferentielle Schließung des Systems vollziehen. So setzt etwa die Vermittlung von Algebra grundlegende mathematische Kenntnisse, etwa das Einmaleins voraus, ein Hochschulstudium ein Äquivalent zum Abitur etc. Der Elementarakt der Politik besteht schließlich im Machtgebrauch in der Form kollektiv bindenden Entscheidens. Autopoietische Reproduktion des Systems und „Zirkulation“ des Machtsymbols werden dadurch bewirkt, dass die „Durchsetzung der Entscheidung andere, ebenfalls durchsetzbare Entscheidungen in Aussicht“ (Luhmann 1991/2004: 182) stellt. Wiederum auf der Basis dieser Ausdifferenzierung kommen dann auch Kommunikationen vor, die auf Politik bezogen sind, das System selber aber nicht reproduzieren:

134 | W ELTBEKEHRUNGEN „Machthabern werden Möglichkeiten angeboten in der Hoffnung, daß sie sich später erkenntlich zeigen werden. Ihre Schwerter werden geschliffen, ihre Bleistifte gespitzt, ihre Computer gewartet. [...] Mit der Komplexität des politischen Systems nehmen auch diese parapolitischen Operationen zu, und das politische System wird in der Erhaltung seines Komplexitätsniveaus (aber nicht: in seiner Autopoiesis) von ihnen abhängig. Wenn sie ausfallen und nicht über Drohung mit Machteinsatz ersetzt werden können, kann das erhebliche Leistungseinbußen zur Folge haben. Das zeigt, daß auch diese Operationen Operationen des politischen Systems im politischen System sind.“ (Luhmann 2000b: 91)

Die Elementarereignisse vollziehen somit die basale Autopoiesis des Systems, indem sie kontinuierlich neue, je aktuell limitierte Anschlussmöglichkeiten reproduzieren. Als Referenzpunkten weiterer Systemkommunikation muss ihnen eine Form zukommen, die ihnen eine ‚gesellschaftsweite“ Sichtbarkeit verleiht: „Diese eigene elementare Operation muß [...] die Ordnungsvorgaben des Gesellschaftssystems nutzen können und darf mit Möglichkeiten des Kontakts über innergesellschaftliche Systemgrenzen nicht inkompatibel sein.“ (Stichweh 1987: 459) So hat sich zwar in der Wissenschaft mit dem Abschluss eines Experiments eine neue Forschungslage ergeben. Erst in der Form der Publikation jedoch wird den Ergebnissen eine „autopoietische Anschlussfähigkeit“ (Luhmann 1990: 432) zuteil. Entsprechend finden sich in diesem Zusammenhang in der Regel mediale Einrichtungen (Massenmedien etc.) oder institutionalisierte Formen der Beobachtung und Veröffentlichung, die die Funktion einer gesellschaftsweiten Spiegelung relevanter Elementarereignisse und der daraus hervorgehenden neuen Systemzustände übernehmen.36 2.3.2 Kontingenzformeln Der Übergang von einem systemspezifischen Elementereignis zum nächsten erfolgt nicht beliebig. Das System reproduziert auf der Basis dieses rekursiven Anschlusszusammenhangs fortlaufend Systemzustände, die vorstrukturieren und limitieren, welche Anschlussoperationen in Frage kommen. Diese Strukturierung des Übergangs von einer Operation zur folgenden vollzieht sich in den Systemen gemäß spezifischer Kontingenzformeln. Ihnen obliegt es, regellose Beliebigkeit auszuschließen und das Bezugsproblem des Systems, d.h. seine gesellschaftliche Funktion, in eine bearbeitbare, operativ stimulierende Form zu bringen (vgl. Luhmann 1988: 64, 191; Luhmann 1990: 397). Die systemspezifischen „Vermöglichkeiten“ (Husserl) des weiteren Erlebens und Handelns werden somit maßgeblich durch Kontingenzformeln bestimmt. Sie „leisten eine Rekonstruktion beliebiger Komplexität und Kontingenz in Form von Reduktionen, die für das System bestimmbar sind und Anschlußselektionen ermöglichen“ (Luhmann 1977a: 82). Für das Wirtschaftssystem bildet „Knappheit“ die Kontingenzformel (vgl. Luhmann 1988: 64). Sie instituiert ein Summenkonstanzprinzip, das jeden Verbrauch mit 36 Tobias Werron (2010) hat für den Sport in diesem Zusammenhang auf die Rolle des Publikums aufmerksam gemacht, die die elementaren Leistungsereignisse überhaupt erst so aufbereiten, dass sich darauf ein globaler Zusammenhang von sportlichen Leistungsvergleichen einrichten kann. Auf den damit verbundenen Globalisierungsgedanken wird noch zurückzukommen sein.

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Kosten versieht und damit einschränkt, welche Operationen anschließen können: „Wenn man eine Mark ausgibt, hat man eine Mark weniger – nicht mehr und nicht weniger. Und wenn man eine Mark einnimmt, hat man eine Mark mehr, nicht weniger und nicht mehr.“ (Ebd.: 70) „Limitationalität“ als Kontingenzformel des Wissenschaftssystems stellt analoge „Sinnverknappungen“ (Hahn 1987: 124) sicher. Hier wird unbestimmbare Komplexität dadurch in operativ bearbeitbare Komplexität transformiert, dass Negationen bzw. Falsifikationen bestimmter Realitätsvarianten einschränken, was stattdessen der Fall sein kann (vgl. Luhmann 1977a: 203): „Nur unter der Bedingung von Limitationalität kann man Erträge sicherstellen, kann man erreichen, daß die Wissenschaft nicht in jedem Moment wieder ganz von vorne anfangen muß.“ (Luhmann 1990: 392) Insoweit Falsifikationen auf diese Weise Implikationen für weitere Forschung vorstrukturieren, wird die Autopoiesis im Sinne einer Stimulation rekursiver Anschlüsse garantiert. Im Rechtssystem leistet die Kontingenzformel „Gerechtigkeit“ Entsprechendes. Die Leitformel, dass gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich behandelt werden müssen, sorgt dafür, dass eine Rechtsentscheidung Einschränkungen für weitere Entscheidungsmöglichkeiten im System liefert (vgl. Luhmann 1993: 223f.). Für die Politik ist „Legitimation“ das Prinzip, das eine operative, rekursive Entfaltung des Bezugsproblems ermöglicht. Sie stellt die Lösung von Kontroversen durch Einverständnis oder Vereinbarung in Aussicht und übersetzt sie in handhabbare Verfahrensregeln, die den politischen Prozess strukturieren (vgl. Luhmann 2000b: 125). Und während im Erziehungssystem ehedem ein allgemein verbindlicher Bildungskanon Komplexität in bearbeitbare Formen überführte, stellt jenes heute zunehmend auf „Lernfähigkeit“ ab, um das einzuschränken, was operativ an Erziehungskommunikation anschließen kann (vgl. Luhmann 1991/2004: 183). Die Kontingenzformeln begründen somit eine systemspezifische Eigengesetzlichkeit, die sich in der zeitlichen Dimension entfaltet. Wie oben gesehen, finden sich solche eigenlogischen ‚Entwicklungsgesetze‘ auch in den Differenzierungsperspektiven von Simmel und Weber berücksichtigt. Die Eigenlogik der Sphären gründet hier nicht allein in spezifischen Sinnperspektiven, sondern auch in autonomen Dynamiken, die die Entwicklung der Sinngebiete „Glied für Glied“ vorantreiben. Nicht zuletzt in diesem konsequenten „Weitergehen der sachlichen Norm“ (Simmel 1919/ 1996: 409) hatte Simmel die wesentliche Ursache für das Auseinandertreten von objektiver und subjektiver Kultur gesehen. Bei Max Weber liegt ein ähnlich dynamischer Aspekt von Eigengesetzlichkeit im Rationalisierungskonzept vor. Für den Fall der Religion verbindet sich etwa, wie deutlich wurde, mit dem Theodizeeproblem eine spezifische Eigenproblematik, die eine gleichsam sich selbst stimulierende Dynamik der Ausarbeitung und Verfeinerung instituiert. Hier lassen die immer expliziteren Fassungen religiöser Weltanschauungen das Sinnproblem hinsichtlich der Vorgänge in der Welt immer deutlicher hervortreten. Ein ähnlich gelagerter Gedanke findet sich auch in Webers (z.B. 1921/1972: 45, 59) Begriff der formalen (im Gegensatz zur materialen) Rationalität. Auch hier ist ein logisch-deduktives Weitergehen der spezifisch-sachlichen Postulate im Blick, das dann in Widerspruch zu dem ethisch, utilitarisch, hedonisch Gebotenen (als materialen Rationalität) geraten kann.

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Sieht man von der mitschwingenden Entfremdungsthematik ab,37 liegt Luhmann auch hier folglich auf konsequenter Linie mit den klassischen Differenzierungsperspektiven insbesondere Simmels und Webers. 2.3.3 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Im Zusammenhang mit der operativen Dynamik der Funktionssysteme kommt man nicht umhin, auch das Konzept der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien zu erörtern. Für einige der Funktionsbereiche haben sich, so Luhmann (1977a: 91), symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien bzw. Erfolgsmedien ausgebildet, um die Annahmewahrscheinlichkeit der durch die Kontingenzformeln vorstrukturierten Selektionsleistungen zu erhöhen. Sie setzen dort an, wo das systemspezifische Bezugsproblem sich mit einer problematischen Zurechnungskonstellation verbindet, die ein Erleben bzw. Handeln Alters mit einem Erleben bzw. Handeln Egos kombiniert (vgl. hierzu Luhmann 1974/2005a; 1997a: 316ff.). Sie integrieren hier „nicht-identische Selektionsperspektiven“ (Luhmann 1974/2005a: 217) durch den Bezug auf ein bestimmtes Mediensymbol. So macht das Medium Wahrheit eine Selektionszumutung dort motivationsfähig, wo das Erleben von Alter auch das Erleben von Ego binden und zur Prämisse weiteren Handelns und Erlebens machen soll. Geld wiederum kommt dort zum Tragen, wo der Zugriff auf knappe Güter ohne Intervention und bei bloßem Erleben von Dritten vonstattengehen soll. Macht sorgt dort für eine Übertragung von Selektionsleistungen, wo Alter über das Handeln Egos verfügen will. In späteren Fassungen der Medientheorie tritt das Bezugsproblem der Überbrückung von Ego-Alter-Divergenzen immer weiter zurück.38 Stattdessen tritt zunehmend ein Medienkonzept in den Vordergrund, das in Anlehnung an Fritz Heider auf ein Reservoir lose gekoppelter Elemente abstellt, in dem sich strikte Kopplungen vollziehen und in die Form anschlussfähiger Kommunikationsereignisse bringen lassen. Zwar werden etwa für die Wissenschaft 1990 noch beide Fassungen, d.h. die an Heider anschließende Medium/Form-Differenz und das Konzept des Erfolgsmediums, zusammengeführt. Schon beim Kunstmedium allerdings, das im frühen Aufsatz von 1974 (1974/2005a) noch als Erfolgsmedium gedacht wurde, gilt Luhmanns (1995a) späteres Interesse allein seiner Funktion als medialem Substrat für Formenbildungen. Sehr deutlich wird dies auch im Zusammenhang mit den Schriften zur Erziehung. Hier sah Luhmann zunächst kein Medium vor, da hier der „Erfolg nicht allein im Gelingen von Kommunikation, sondern in der Veränderung der Umwelt besteht“ (Luhmann 1988: 304). Mit dem Medium des Kindes wird dann erstmals und unter Vorbehalt ein Medium vorgeschlagen, das auch hier noch als Erfolgsmedium konzipiert wird (vgl. Luhmann 1991/2004). Das Medium des „Lebenslaufs“ (Luhmann 1997/2004), das in einer der letzten Publikationen zur Erziehung konzeptuell in Anschlag gebracht wird, verliert diesen Erfolgsaspekt dann vollständig. Hier kommt es Luhmann allein auf den Gesichtspunkt strikter Kopplungen in einem erziehungsspezifischen medialen Substrat an. Damit konvergiert die Medienfunktion letztlich mit der Theoriestelle autopoietisch wirksamer Elementarakte (als strikte Kopplun37 Vgl. hierzu aber Luhmann (1983) und oben, Kapitel I, Anm. 52. 38 Anders hier Bohn (2005b: 373f.).

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gen), die vor systemspezifischen Sinnhorizonten (als Medium bzw. Reservoir loser gekoppelter Formen) operieren. Es mag aber in diesem Zusammenhang sinnvoll sein, konzeptuell trennscharf zu bleiben: Die Rekursivität spezifischer Operationen des Systems, die einschränken, welche weiteren Operationen in Frage kommen, muss zumindest analytisch unterschieden werden von dem Medium, das die Selektivität dieser Operationen mit entsprechender Annahmewahrscheinlichkeit versorgt.

3. Z WISCHENBILANZ : D IE DIFFERENZIERUNGSTHEORETISCHE ( N ) P ERSPEKTIVE ( N ) N IKLAS L UHMANNS Bevor die Erörterung sich der Luhmann‫ތ‬schen Religionssoziologie zuwendet, mag eine kurze Zwischenbilanz lohnen, in der zweierlei Bemerkungen unterzubringen sind. Zum einen soll, wie teilweise schon geschehen, die Differenzierungsperspektive Luhmanns in engen Bezug zu den differenzierungstheoretischen Klassikern gebracht werden (3.1). Im Zusammenhang dieses Abgleichs gilt es nun allerdings kritisch zum Funktionalismus Luhmanns Stellung zu nehmen. Zum anderen soll hier ein Vorschlag unterbreitet werden, wie die Theorie sozialer Differenzierung mit der Theorie funktionaler Differenzierung zu integrieren ist (3.2). 3.1 Ein Abgleich mit den Differenzierungsperspektiven Diltheys, Simmels und Webers Bereits oben im Text ist an den entsprechenden Stellen aufgezeigt worden, dass die Differenzierungstheorie Luhmanns in vielerlei Hinsicht an klassische Perspektiven anknüpft, für die hier speziell Dilthey, Simmel und Weber als Repräsentanten gelten. So stellt auch Luhmann konsequent auf die Ausdifferenzierung von Sinn und entsprechenden Eigenlogiken ab. In gesellschaftstheoretischer Hinsicht sind hier jene klassischen Ansätze konsequent weitergeführt. In anderen Aspekten zeigt Luhmann indes in seinem gesellschaftstheoretischen Entwurf eher Nähen zu den Perspektiven Durkheims und Spencers. Die gesellschaftlichen Teilsysteme differenzieren sich hinsichtlich der Bearbeitung spezifischer gesellschaftlicher Bezugsprobleme aus, für die sie fortan eine Alleinzuständigkeit beanspruchen.39 Diesen Gedanken einer funktionalen Differenzierung übernimmt Luhmann von Parsons – abgeschüttelt wird dabei allein die deduktiv-schematische Vorgabe des Funktionenquartetts. An deren Stelle tritt hier ein eher evolutionstheoretischer Gedanke der Problemverschiebung, die ihr Ausgangsproblem in der Reduktion von Komplexität bzw. der Fortsetzung der Autopoiesis hat.40 In dieser Hinsicht schert

39 Durkheim sieht freilich die (solidaritätsstiftende) Funktion in der Arbeitsteilung als ganzen, nicht in den Problembezügen der Berufsgruppen; vgl. dazu Kap. I.2. 40 Vgl. z.B. Luhmann (1967/2005); siehe hierzu auch Luhmann (2000a: 142): „Man muß also davon ausgehen, daß die Fortsetzung der gesellschaftlichen Autopoiesis, die Reproduktion von Kommunikation durch Kommunikation, auf jeweils geschichtsabhängigen Evolutions-

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Luhmann aus der Tradition Diltheys, Simmels und Webers aus. Diese hatten ihr differenzierungstheoretisches Gedankengut von solchen funktionalistischen Gesichtspunkten ganz frei gehalten. Vorstellungen von Arbeitsteiligkeit oder gesellschaftlichen Funktionen liegen bei Simmel und Weber allein schon deshalb fern, weil ein gesellschaftliches Ganzes als Bezugspunkt solcher funktionalen Zuständigkeiten in ihren Sozialtheorien kaum eine Rolle spielt und auf Gesellschaftsbegriffe fast vollständig verzichtet wird. Auch Bourdieu, der mit seinem Feldbegriff in vielerlei Hinsicht an Weber‫ތ‬sche Gedanken anschließt, kommt ganz ohne solche gesellschaftlichen Funktionsbezüge aus. Gleichwohl lässt sich Luhmann nicht einfach auf die Seite einer Dekompositionslogik schlagen, wie sie bei Spencer, Durkheim und Parsons zum Zuge kommt und die Gesellschaft in Berufsgruppen, Rollenkomplexe, Organe etc. unterteilt. Von einem solchen Schema, das dem Gedanken vom Ganzen und seinen Teilen verpflichtet ist, setzt sich Luhmann (1997a: 601ff.) ausdrücklich ab – es würde sich auch nicht mit seiner sinntheoretisch begründeten Konzeption von Funktionssystemen vereinbaren lassen. Denn diese rekonstruieren nach Maßgabe eigener Funktionsperspektiven Gesellschaft stets als Ganze. Gesellschaft erscheint somit nicht als Aggregation ihrer Teilsysteme, sondern vielmehr als Vielfalt von funktional spezifischen Gesellschaftsentwürfen, als „Polykontexturalität“ multipler Funktionsperspektiven auf die jeweiligen gesellschaftlichen Umwelten. Wie hier bereits herausgestellt wurde, liegt dies ganz auf der Linie des Simmel‫ތ‬schen (1906/1912/1995: 45) Gedankens von vielfachen, je „nach anderen Kategorien erbauten Weltbildern“, die je für sich die Welt noch einmal „in einer besonderen Tonart“ schaffen. Es entspricht dieser Umstellung auf die Unterscheidung von System und Umwelt, dass Luhmann auch den Begriff der gesellschaftlichen Integration nicht über die Beziehungen zwischen Teilen und Ganzem, sondern über die Beziehungen zwischen den Teilsystemen selbst definiert. Infolgedessen wird Integration als wechselseitige Einschränkung von Freiheitsgraden definiert (vgl. Luhmann 1997a: 603). Für die Integration der Funktionssysteme als primäre Teilsysteme des Gesellschaftssystems wird dabei vor allem der Begriff der „strukturellen Kopplung“ veranschlagt (vgl. ebd.: 776ff.). Er bezieht sich auf hochselektive Irritationsverhältnisse zwischen den Systemen, die die Margen möglicher Strukturbildung innerhalb der jeweiligen Systeme limitieren. Dadurch wird die gesellschaftliche Einheit als Bezugsgröße der Integration bewusst aufgegeben (vgl. ebd.: 604). Damit verbindet sich zugleich die Absage an begriffliche Voreingenommenheiten zugunsten gesellschaftlicher Kooperation und Solidarität, die ihre Plausibilität aus impliziten oder expliziten Organismusanalogien beziehen. Der Begriff der Integration als „Einschränkung von Freiheitsgraden“ öffnet stattdessen den Blick gerade auch für Konflikte, die im Zuge der konsequenten Entfaltung der systemspezifischen Eigenlogiken entstehen können.41 Integration ist weder ein Desiderat noch ein niveaus verschiedene Probleme aufwirft, so daß sich eine Mehrzahl von Anreizen für funktionale Ausdifferenzierungen ergeben.“ 41 Vgl. nur Luhmann (1997a: 604): „Die Einschränkung der Freiheitsgrade kann in Bedingungen der Kooperation liegen, sie findet sich aber noch viel stärker im Konflikt. Der Begriff meint also gerade nicht die Differenz von Kooperation und Konflikt, sondern ist dieser Unterscheidung übergeordnet. Das Problem des Konflikts ist die zu starke Integration der Teilsysteme, die immer mehr Ressourcen für den Streit mobilisieren und sonstiger Ver-

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Bezugsproblem der Analyse, sondern ist als Begriff allein der Beobachtung geschuldet, dass die Systeme füreinander Umwelten bilden und folglich entsprechende Irritationen effektuieren können. Er steht damit der Weber‫ތ‬schen „Zwischenbetrachtung“ und ihrer Thematik des Widerspruchs unter den Systemen eindeutig näher als dem Gedanken einer Konzertierung funktionaler Beiträge im Dienste eines gesellschaftlichen Äquilibriums, wie man ihn bei Durkheim, Spencer und Parsons findet. Die Frage wäre also, wie groß der Verlust wäre, würde man diesen funktionalistischen Aspekt der Differenzierungstheorie aufgeben. So liegt doch die Differenzierungsperspektive fast in jedweder Hinsicht auf der Linie mit den Ansätzen Diltheys, Simmels und Webers, die auf diese Funktionsperspektive verzichten. Zugleich gerät der Funktionsaspekt mit der Umstellung auf operative Aspekte zunehmend ins Hintertreffen, worauf insbesondere Uwe Schimank (1998) hingewiesen hat. Die theoretische Zentralstellung des Gedankens operativ geschlossener, spezifisch codierter Kommunikationen führt zu einer, wenn man will, überwiegend ‚substantialen‘ Definition der Funktionssysteme – sowohl in ihrer systematischen als auch ontogenetischen Bestimmung. So stimuliert allein schon die Differenz des jeweiligen Codes Luhmann zufolge eine Selbstbeweglichkeit eines spezifischen Kommunikationsgeschehens, die autokatalytisch auf Ausdifferenzierung hinwirkt: Die „operative Nähe von Wert und Gegenwert“ (Luhmann 1986: 81) regt sachhomogene Anschlüsse unmittelbar an. Man mag dann zwar – mit ‚funktionalistischem‘ Blick – in besonderen Bezugsproblemen Anreize für entsprechende Code- und, damit nicht unverbunden, Medienentwicklungen sehen. In begrifflicher Hinsicht sind hier allerdings funktionssystemkatalytische Kommunikationsdynamiken und etwaige Funktionen zunächst einmal entkoppelt und somit prinzipiell auch unabhängig voneinander denkbar. So kann Luhmann (1986: 94) dann auch selbst formulieren, dass die funktionale Differenzierung sich „im Kielwasser der Differenzierung von Codes entwickelt“ (vgl. auch Schimank 1998: 176).42 ‚Funktions‘-Systeme ohne eindeutig spezifizierbare gesellschaftliche Funktion sind, so muss man folgern, theoretisch nicht ausgeschlossen. Schließlich lassen sich Luhmanns differenzierungstheoretische Überlegungen noch in einer weiteren Hinsicht enger an die klassischen Perspektiven insbesondere Simmels, Diltheys und Webers rückbinden. Auch hier, so wurde oben erörtert, findet sich in Ansätzen eine Ebenenunterscheidung, die zwischen der (makrosozialen) Ebene der Kultursysteme bzw. spezifischen Sinngebiete und ihnen untergeordneten institutionellen Komplexen und Trägerstrukturen differenziert. So ruhen bei Dilthey die Kultursysteme, in unterschiedlichem Ausmaß, auf „äußeren Organisationsformen“ auf, etwa Verbänden, Körperschaften oder Anstalten, ohne auf diese reduzibel zu sein. Bei Simmel werden die ideellen Zusammenhänge des Religiösen, des kodifizierten Rechts und der Technik in analoger Weise durch das Priestertum, den Richterstand und den Arbeiterstand getragen. Für Weber schließlich ist die Dynamik zwifügung entziehen müssen, und das Problem einer komplexen Gesellschaft ist es dann, für hinreichende Desintegration zu sorgen.“ 42 Schwinn (1995) kritisiert den Funktionssystemgedanken insbesondere im Hinblick auf den nur defizitär herausgestellten Bezugscharakter von Funktion und Gesellschaft. Hintergrund ist dabei ein Plädoyer nicht nur für die Aufgabe des Funktionsbegriffs auf dieser Ebene, sondern auch für die Aufgabe eines Gesellschaftsbegriffs; vgl. hierzu auch Schwinn (2001).

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schen Priester und Prophet der Promotor einer Systematisierung und Rationalisierung der religiösen Ethik. Noch deutlicher als bei Luhmann werden hier die untergeordneten Ebenen als Instanzen der Kultivierung, Instandhaltung und Reproduktion der übergeordneten Sinnzusammenhänge eingespannt. Gerade dieser Gedanke ließe sich aber auch systemtheoretisch fruchtbar machen. Tobias Werron (2010) hat in seiner Arbeit über den Weltsport gezeigt, dass die Ausdifferenzierung von „Leistungswelten“, die eine operative Dynamik von Leistungsvergleichen in Gang bringen, in zentraler Hinsicht an der Beobachtungs- und Systematisierungstätigkeit eines Publikums hängt. Allerdings wird der Begriff hier in erster Linie als operativer Selbstbeobachtungszusammenhang verstanden. Gleichwohl ist auch in diesem Kontext von publikumsspezifischen Rollenkomplexen und Mesostrukturen auszugehen, auf die sich solche sinngenerierenden Reflexionsleistungen stützen. Und auch Luhmann weist in einer seiner letzten Schriften auf die stützenden Funktionen hin, die Organisationen für funktionale Differenzierung übernehmen: So „ist es kaum denkbar, dass es Umweltdifferenzierungen gibt, die sich aus sich heraus reproduzieren, wenn Differenzen und Abschottungen und zeitliche Stabilitäten oder Fluktuationen nicht durch entsprechend orientierte Organisationen getragen würden“ (Luhmann 2006: 395). 3.2 Funktionale Differenzierung und Ebenendifferenzierung – Versuch einer Resystematisierung Die letzte Bemerkung führt bereits zu dem zweiten zwischenresümierenden Gedanken: der theoretischen Integration von sozialer Ebenendifferenzierung und funktionaler Differenzierung. Wie oben erörtert, lassen sich Funktionssysteme nicht leicht in der Ebenendifferenzierung ‚unterbringen‘. Als je besonderer operativer Zusammenhang geht das Funktionssystem konzeptuell nicht ohne weiteres zusammen mit „Gesellschaft“ als das Insgesamt aller kommunikativen Operationen. Zugleich stößt es sich mit dem Gedanken von „Gesellschaft“ als Ebene „letzter Reduktionen“, bei dem funktionale Differenzierung als Strukturprimat, nicht aber als Vielfalt von Funktionssystemen in den Blick kommt. Luhmann (1972) selbst hat in einer später noch näher zu erörternden Publikation zur Religion einen Versuch gemacht, beide Differenzierungstheorien in Beziehung zu setzen. Dabei werden schon im ersten Absatz der Studie „funktional ausdifferenzierte Teilsysteme“ (ebd.: 245) für die allgemeine Ebenenunterscheidung von Organisation und Gesellschaft in Beschlag genommen: Die Tatsache, dass Funktionsbereiche wie Wirtschaft, Politik und Religion nicht vollständig ‚organisierbar‘ seien, spreche für „eine prinzipielle Differenz der Funktionsebenen des Gesellschaftssystems und organisierter Sozialsysteme“ (ebd.). Es schließt daran ein kurzer Abriss über die Charakteristika der verschiedenen Ebenen an, wie sie auch aus dem später erschienenen Aufsatz „Interaktion, Organisation, Gesellschaft“ (Luhmann 1975/2005b) bekannt sind. Allerdings: Anders als in dem späteren Aufsatz ist hier auch den Funktionssystemen ein eigener Abschnitt gewidmet, der sich zwischen die Diskussion von Gesellschaft und Organisation einfügt. Dabei wird nun auch für Funktionssysteme eine ‚Eigentypik’ geltend gemacht, die allerdings noch ganz von der Rollendifferenzierung her gedacht ist: Die Abhebung gegenüber der Organisationsebene vollzieht sich dieser Darstellung zufolge über eine

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„Institutionalisierung besonderer Rollenzusammenhänge“, die „nicht ohne weiteres den Charakter von Organisationen haben“ (Luhmann 1972: 247). An der Dreistelligkeit der Ebenendifferenzierung und damit der Zugehörigkeit der Funktionssysteme zur Gesellschaftsebene wird gleichwohl festgehalten. So wird der letzte Fall der „einfachen Sozialsysteme“ am Schluss dieses Abrisses ausdrücklich als „dritte[r] Fall“ eingeführt (ebd.: 248; Herv. M.P.). Die „gesellschaftliche“ Ordnungsebene der Funktionssysteme wird demnach vor allem über die Differenz zu den Ebenen der Organisation und Interaktion bestimmt, d.h. über die Emergenz und Irreduzibilität eines funktionsspezifischen Rollenkomplexes. Will man diese Konzeption der Zusammenführung beider Differenzierungstheorien auf den aktuellen Stand der Theorie bringen, lässt sich die Typik von Funktionssystemen nicht gut an der Institutionalisierung von Rollenzusammenhängen festmachen. An dieser Stelle gilt es nun einen Vorschlag zu machen, der ebenfalls an der ‚Dreistelligkeit‘ der Ebenendifferenzierung und damit an der Parallele zur MikroMeso-Makro-Unterscheidung festhält. Gleichzeitig soll auch hier die Situiertheit der Funktionssysteme auf der Gesellschaftsebene an der Differenz und Emergenz gegenüber den Ebenen der Organisation und Interaktion festgemacht werden. Diese Konzeption soll aber nun stärker an die operative Perspektive der späteren Systemtheorie herangeführt werden. Hierfür ist, so der Vorschlag, das Konzept des Elementarakts in Beschlag zu nehmen. Es kommt gerade dem operativen Zusammenhang von spezifischen Elementarakten zu, das jeweilige Funktionssystem gegen die Mikro- und Mesoebene der Interaktion und Organisation zu differenzieren und gewissermaßen ‚oberhalb‘ von diesen einzurichten. Die basalen Elemente instituieren einen Operationszusammenhang, der sich weder auf Interaktionszusammenhänge noch einzelne Organisationen reduzieren lässt. Das schließt nicht aus, dass Elementarakte mit Kommunikationen innerhalb von Interaktionen und Organisationen zusammenfallen. Schließlich wird auch eine Reihe von organisatorischen Entscheidungen in Interaktionszusammenhängen getroffen. Die Entscheidung koppelt für den Augenblick Interaktion und Organisation, welche dann jeweils nach eigener Maßgabe daran anschließen: die Organisation hinsichtlich weiterer, daraus hervorgehender Entscheidungen, die Interaktion hinsichtlich der situativen Begebenheiten unter Bedingungen wechselseitiger Wahrnehmung. Die Organisation richtet sich dabei als geschlossener, ‚mesosozial‘ situierter Zusammenhang auf der Basis vielfältiger solcher in Interaktionen oder auch interaktionsfrei getroffener Entscheidungen ein. Analoges gilt, so mein Argument, für Funktionszusammenhänge auf der Basis funktionsspezifischer Elementarakte: Diese richten einen kommunikativen, nach Maßgabe eigener Logiken operierenden Zusammenhang ein, der zum Teil Interaktionen und Organisationen in Anspruch nimmt, ohne auf diese rückführbar zu sein. So können wirtschaftliche Zahlungen mit Zahlungsentscheidungen in Organisationen zusammenfallen, die wiederum im Rahmen von Interaktionssystemen, etwa Vorstandskonferenzen, beschlossen werden. Ausgehend von dieser „operativen Kopplung“ (vgl. Luhmann 1993: 440f.) dreier ‚Ebenen‘ wird nun in dreierlei Hinsicht weiter prozessiert: nach Maßgabe der Situation, nach Maßgabe von daraus hervorgehenden Prämissen für weiteres Entscheiden und nach Maßgabe einer Neuverteilung von Kapital und den damit verbun-

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denen, für alle Marktteilnehmer sich neu darstellenden Möglichkeiten, wirtschaftlich zu handeln.43 Die wirtschaftliche Autopoiesis speist sich somit aus Zahlungen, die kontinuierlich in vielfältigen Interaktions- und Organisationssystemen, aber auch interaktionsfrei und organisationsunabhängig getätigt werden. Sie richtet sich dabei ‚selbstorganisierend‘ und gleichsam emergent ‚oberhalb‘ von Interaktion und Organisation ein – will man an der Dreizahl der Ebenen festhalten, folglich auf der gesellschaftlichen Makroebene. Alle drei Systeme bilden dabei Umweltsysteme füreinander, ohne deshalb strukturelle Rahmungen oder operative Kopplungen auszuschließen.44 Die ‚vertikale‘ Ordnung der drei Ebenen ergibt sich dabei daraus, dass sich Interaktionen kaum auf der Basis organisatorischer Entscheidungen einrichten können, wie auch die Entscheidungsverkettung in Organisationen keine Verkettung von Elementarakten darstellt – etwa indem eine wissenschaftliche Publikationsentscheidung an eine politische Entscheidung und diese an einen Richterspruch oder ein Kunstwerk anschlösse. Der Vorteil, die Differenzierungsformen auf diese Weise in Beziehung zu setzen, liegt nicht allein in seiner theoretischen Aktualität. Funktionssysteme lassen sich hier zugleich leichter mit der zweiten Konzeption von Gesellschaft als Grenze kommunikativer Erreichbarkeit in Berührung bringen: Elementaroperationen, so wurde hier bereits erörtert, richten das Funktionssystem auf der Gesellschaftsebene durch ihre gesellschaftsweite Anschlussfähigkeit ein. Das Problem, dass Gesellschaft sich als Ebene letzter Reduktionen nicht in dem durch Elementarakte reproduzierten strukturellen Differenzierungsprimat erschöpft, bleibt indes auch hier enthalten. Hinzu kommt, dass Kommunikation auch außerhalb von Interaktion, Organisation und Funktionssystem und gleichwohl innerhalb von Gesellschaft stattfinden kann. Nichtsdestotrotz kommt die höhere Ordnung der Gesellschaftsebene hier nicht allein als „domestizierte Umwelt“ (Luhmann 1969/2005: 182) für Interaktionen und Organisationen (und natürlich auch für jedes Funktionssystem selbst) in den Blick. Sie wird darüber hinaus auch in einer allein ihr zukommenden operativen Typik begründet, die sie gleichermaßen eigenlogisch (in den vielfältigen Eigenlogiken ihrer Teilsysteme) und selektiv gegen die Interaktions- und Organisationsebene ausdifferenziert, wie diese sich gegen jene.45

43 Wenn ich recht sehe, ist das Konzept der operativen Kopplung bislang noch nicht systematisch für die Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft in Anschlag gebracht worden. 44 Siehe auch Kneer (2001: 414ff.) zu dieser Konsequenz, die zwingend aus dem Theorem der Autopoiesis und operativen Geschlossenheit sozialer Systeme folgt. 45 Andreas Göbel (2006) führt den ambivalenten Gesellschaftsbegriff auf Luhmanns Versuch zurück, trotz der strukturellen Implikation von ‚Gesellschaft‘ (als insbesondere über die Differenzierungsform geleistete „letzte Reduktionen“) zugleich einen Systemcharakter der Gesellschaft (über das kommunikationstheoretische Postulat eines Insgesamt aller erreichbaren Kommunikationen) plausibel zu machen. Der Unterschied zu Interaktions- und Organisationsystemen sei dabei aber nicht über ‚gesellschafts‘-spezifische Kommunikationsformen zu bestimmen; das Systemspezifikum liege in der Strukturvorgabe. Damit bleibt allerdings die Frage, was eigentlich die Gesellschaftlichkeit von Funktionssystemen (im Sin-

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Die Akzentuierung des Elementarakts bietet einen weiteren Vorteil: Sie liefert stringente Kategorien, anhand derer sich Annahmen über die Ausdifferenzierung eines Funktionssystems theoretisch kontrollieren lassen (siehe zu dieser Frage auch Tyrell 1978: 189). Die theoretische Beobachtung von Funktionssystemen hätte sich dann nicht allein mit der Benennung von etwaigen gesellschaftlichen Bezugsproblemen zu begnügen, zu denen sich dann die entsprechenden Codes, Programme etc. leicht herbeikonstruieren lassen. Sie hätte auf einen operativen Zusammenhang zu verweisen, der sich auf der Basis spezifischer Elementaroperationen oberhalb der Interaktions- und Organisationsebene situiert und sich dabei an einem eigenen Möglichkeitshorizont abarbeitet. Gerade angesichts der ‚Wucherung‘ neuer Vorschläge von Funktionssystemen in der Literatur hätte man dann zu fragen, ob man es in jedem Fall tatsächlich mit einem genuinen Funktionssystem auf der Gesellschaftsebene zu tun hat, oder ob nicht lediglich ein spezifischer Arbeitsbereich für Organisationen ausgemacht worden ist.46 Umgekehrt würde aus der Verlagerung des Akzents von der Funktion auf den Elementarakt folgen, dass es theoretisch zulässig ist, makrosoziale Systembildungen auf der Basis autonomer Elementaroperationen und Sinnhorizonte zu konstatieren, ohne einen entsprechenden Funktionsbezug mitliefern zu müssen. Hier liegen wieder Berührungen zum ersten Punkt dieser Zwischenbetrachtung. Gerade im Hinblick auf den empirischen Fall dieser Arbeit ist an späterer Stelle noch einmal darauf zurückzukommen.

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Die vorangegangene Rekonstruktion der allgemeinen Differenzierungstheorie Luhmanns ermöglicht es nun, seine differenzierungstheoretische Perspektive auf die Religion zu würdigen. Die Arbeiten zur Religion erstrecken sich dabei allerdings über eine Periode von fast 30 Jahren, im Laufe derer die Theorie wesentliche Weiterentwicklungen erfahren hat.47 Es mag somit angeraten sein, hier eine eher werkgeschichtliche Perspektive einzunehmen. Dabei, so sei bereits jetzt angemerkt, lassen sich auch hinsichtlich der Einschätzung Luhmanns, inwieweit Religion ‚differenzierungskompatibel‘ sei, bemerkenswerte Entwicklungen und Umkehrungen konstatieren. Etwas zugespitzt lässt sich behaupten, dass sich die Entwicklung des religionssoziologischen Fachs in Luhmanns eigener Theorieentwicklung widerspiegelt. Von den klassischen Annahmen einer ‚Depotenzierung‘ des Religiösen schwenkt sowohl das Fach als auch Luhmann auf eine Beschreibung um, der zufolge das Religiöse wie

ne einer makrosozialen Differenz zur Interaktion und Organisation) ausmacht, nach wie vor offen. 46 So etwa im Tourismus; hierzu ebenso vorsichtig und skeptisch Pott (2007: 94ff.). 47 Die Religionssoziologie Luhmanns hat dabei im theologischen Lager fast mehr Resonanz erfahren als im soziologischen Fach; vgl. etwa die Diskussion in Welker (1985); noch mit deutlich theologischem Interesse auch Pollack (1988); vgl. ferner Welker (1992), dessen „Theologie des Heiligen Geistes“ Luhmann‫ތ‬sches Gedankengut aufnimmt. Für eine soziologische Diskussion der Religionssoziologie Luhmanns vgl. etwa Pollack (2003b); Wohlrab-Sahr (2005).

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nie zuvor am Gedeihen ist.48 Im Zuge dieser Umwertung werden indes bei Luhmann die differenzierungstheoretischen Grundbegriffe nicht neu am Phänomen angelegt. Es kommt zu einer Schieflage von differenzierungstheoretischen Fehlanzeigen und einer Positivbewertung, der zufolge die Religion anderen Funktionssystemen in nichts nachsteht. Diesen Gang gilt es im Folgenden nachzuzeichnen. Dabei liegt der Fokus zunächst auf den zentralen religionssoziologischen Texten Luhmanns aus den 1970er Jahren, die eine skeptische Einschätzung in Bezug auf die religiöse Kompatibilität mit funktionaler Differenzierung an den Tag legen (3.4.1). Daran schließt eine Erörterung der längeren Studie zur „Ausdifferenzierung der Religion“ von 1989 an; Letztere ist vor allem durch die Annahme einer fremdgesetzten Ausdifferenzierung der Religion bestimmt (3.4.2). Schließlich soll der Blick der posthum veröffentlichten religionssoziologischen Studie von 2000 gelten, die Religion nun als hochdynamisches Funktionssystem ‚inter pares‘ darstellt (4.3). Der vierte Abschnitt löst sich dann wieder von der werkgeschichtlichen Perspektive und misst die späte Religionstheorie kritisch an dem oben herausgearbeiteten allgemeinen Differenzierungsparadigma der Systemtheorie (4.4). Wie dabei deutlich wird, lässt sich die hier aufgezeigte Schieflage zwischen theoretischer Beschreibung und differenzierungsbezogener Einschätzung darauf zurückführen, dass die ursprünglichen europäisch orientierten Defizitdiagnosen unreflektiert ins Spätwerk übernommen worden sind, obgleich dessen Geltungsanspruch nun ausdrücklich über das europäische Christentum hinausgeht. 4.1 „Funktionsdefizienz“ und „Grenzen der Organisierbarkeit“ – die frühen Studien zur Religion Bereits in den 1970er Jahren legt Luhmann gewichtige Studien zur Religion vor (vgl. Luhmann 1972; 1977a) – so auch den Aufsatz „Die Organisierbarkeit von Religionen und Kirchen“ aus dem Jahre 1972, der oben schon unter allgemeinen Gesichtspunkten erörtert wurde. Dieser ist auch deshalb bemerkenswert, weil die beiden Differenzierungsformen, funktionale und Ebenendifferenzierung, hier gerade auch am Fall des konkreten Funktionssystems Religion miteinander in Beziehung gesetzt werden.49 Die Frage, die dabei in den Studien ausdrücklich im Vordergrund steht, ist die nach einer Kompatibilität der Religion mit den strukturellen Begebenheiten der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft.50 Ausgangspunkt der Untersuchungen ist dabei eine Funktionsbestimmung der Religion. Wie oben bereits erörtert, sieht Luhmann eines der zentralen Charakteristika des Gesellschaftssystems darin, grundlegende Reduktionen von Komplexität zu leisten und somit nicht zuletzt für weitere Systembildungen eine „domestizierte Umwelt“ bereitzustellen. Es ist die Selektivität 48 Dieser fachliche Paradigmenwechsel einer „Rückkehr des Religiösen“ wird in Kapitel V erörtert, da er unmittelbar mit religionssoziologischen Globalitätsperspektiven verbunden ist. 49 Wenn ich recht sehe, ist dies danach bei Luhmann in dieser theoretischen Schärfe nicht wieder vorgekommen – auch nicht in Bezug auf andere Funktionssysteme. 50 Vgl. nur das Vorwort zu „Funktion der Religion“ (Luhmann 1977a: 8): „Die Frage, ob Religion noch möglich ist, wird durch diesen theoretischen Apparat zum Leitmotiv aller Kapitel.“

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dieser „Strukturfixierung“, die für ihn das Bezugsproblem der Religion bildet (Luhmann 1972: 250): Als sinnhafte Selektion ist jene durchsetzt mit Verweisungen auf andere Möglichkeiten. Die gesellschaftlich vorseligierten Möglichkeitshorizonte des Handelns und Erlebens – und damit die Gesellschaft selbst – sind so stets vor interpretationsbedürftigen Horizonten des ‚Auch-anders-Möglich-Seins‘ situiert, die sich nicht ohne weiteres abschließen lassen und ins Unbestimmbare ausfließen: „Eine für ein System fungierende Umwelt ist deshalb notwendig eine zweiteilige Rekonstruktion der Umwelt selbst, ist Horizont und Transzendenz, Erwartung und Enttäuschung, Selektion und Risiko, Ordnung und Zufall“ (Luhmann 1977a: 16). Die Transformation der Weltkomplexität in bestimmbare Komplexität, wie sie das Gesellschaftssystem leistet, behält somit stets einen – mit William James gesprochen – „fringe“ der Unbestimmbarkeit bei. Religion hat hier für Luhmann (1972: 250f.) „die Funktion, die an sich kontingente Selektivität gesellschaftlicher Strukturen und Weltentwürfe tragbar zu machen, das heißt ihre Kontingenz zu chiffrieren und motivfähig zu interpretieren“. Sie sorgt damit für die Bestimmbarkeit von Sinn angesichts einer unentrinnbaren Simultanität von Bestimmtheit und Unbestimmbarkeit, von zugänglicher und nichtzugänglicher Umwelt, indem sie religiöse Sinnformen bereitstellt, die den Platz des Unbestimmten und so letztlich die Kontingenz der Strukturbildung selbst verdecken (vgl. Luhmann 1977a: 30, 33). Diese Funktion ist noch religionsneutral bestimmt; sie privilegiert also in dieser begrifflichen Fassung zunächst keine spezifische Religion. In den weiteren Untersuchungen der 1970er Jahre ist allerdings allein das Christentum im Blick. Ausgehend von der oben genannten Funktionsbestimmung folgt Luhmann dabei deutlich dem Depotenzierungsnarrativ der Weber‫ތ‬schen Religionssoziologie und gibt ihm einen systemtheoretischen Anstrich. So ist aus seiner Sicht die Funktion, Selektionen auf der Ebene des Gesamtsystems zu interpretieren, der Religion in der modernen Gesellschaft „ferngerückt, ja unbehandelbar geworden“ (Luhmann 1972: 255). Die tragische Figur einer religiösen Rationalisierung, die religionsunabhängige Eigengesetzlichkeiten in den weltlichen Sphären freisetzt, wird dabei unter anderem auf der Ebene der Kontingenzformel verhandelt. Oben ist bereits herausgearbeitet geworden, dass Kontingenzformeln die funktionsspezifischen Möglichkeiten der verschiedenen Funktionssysteme einschränken und bearbeitbar machen. Die Kontingenzformel der Religion verortet Luhmann für die abendländische Tradition im Gottesbegriff. Aufgrund der grundlegenden religiösen Funktion hat die religiöse Kontingenzformel hier allerdings keine „bereichsspezifische, sondern weltuniversale Reduktionsleistung angenommen“ (Luhmann 1977a: 90). Nicht die Operationsmöglichkeiten eines Funktionsbereichs, sondern die „kontingenten“ Zustände der Welt selbst werden hier folglich verknappt (vgl. auch Hahn 2001a: 584): „Alle Kontingenz einer zunehmend komplexen Welt, was Böses und Zufälliges einschließt, muss einem Gott zugeschrieben und dabei innerhalb des religiösen Systems interpretiert werden“ (Luhmann 1977a: 130). Damit verbinden sich in der okzidentalen Religionsgeschichte nun Generalisierungen, die, so Luhmann (1972: 254), letztlich jeden Zustand der Welt mit der Allmachtsformel und Perfektionsgarantie Gottes vereinen können. Das stellt Luhmann (1977a: 132) zufolge den „Geburtsschein“ für autonome Funktionsbereiche wie Politik, Wissenschaft und Kunst schon im Voraus aus. Mit deren Ausdifferenzierung sieht Luhmann die Komplexität und Selektivität des Gesamtsystems wiederum auf ein Niveau steigen, das eine Interpretation im Religionssystem zunehmend er-

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schwert. Dies ist der ‚depotenzierende‘ Rückschlag als Folge der ursprünglichen Generalisierungs- und Rationalisierungsleistungen einer religiösen Sphäre:51 Die Interpretation bzw. Chiffrierung der Selektivität auf der Ebene der Gesamtgesellschaft muss, so die Beobachtung, angesichts der gesellschaftlichen Gesamtkomplexität aufgegeben werden (vgl. Luhmanns 1972: 254; 1977a: 79f.). Sie ist Luhmann zufolge in weiten Teilen auch unnötig, da die ausdifferenzierten Funktionssysteme schließlich selbständige Formen des Kontingenzmanagements entwickeln (vgl. Luhmann 1977a: 83); so etwa in Form von eigenen Kontingenzformeln, die sich aus ihrer ursprünglichen religiösen Verankerung lösen; auch die spezialisierten Organisationsbildungen, die eine Kontingenzbearbeitung in die Form der entscheidungsbasierten Unsicherheitsabsorption überführen, wären in diesem Zusammenhang zu nennen (vgl. hierzu Gabriel 1979: 95). Gleichwohl hält Luhmann an der Idee eines religiösen Subsystems fest. Für die Religion wird eine funktionale Alleinzuständigkeit in der „Simultanthematisierung“ (Luhmann 1977a: 46; Herv. M.P.) von Unbestimmtheit und Bestimmtheit oder, bereits auf den Code der Religion in der späteren Theorie vorgreifend, von „Transzendenz und Immanenz“ (ebd.) behauptet; das unterscheidet für Luhmann die Religion von nicht-religiösen Formen der Kontingenzbearbeitung. Allerdings sieht er dabei die Funktionsausübung auf religiöses ‚Gelegenheitshandeln‘ umstellen: „Für komplexe Gesellschaften konsolidieren sich [...] die Probleme, auf die die Religion antwortet, in ebenso fundamentalen wie selten relevanten Spezialproblemen.“ (Luhmann 1977a: 46) Das ist für die Religion indes nicht unproblematisch. Luhmann (1977a: 261ff.) erhellt diesen Sachverhalt unter Zugrundelegung der Unterscheidung von dreierlei Systembeziehungen, die ein Funktionssystem einnehmen kann. Die Funktionsorientierung betrifft die Beziehung des Funktionssystems zum Gesellschaftssystem; die Leistungsorientierung betrifft Beziehungen zur internen Umwelt des Gesellschaftssystems; die Reflexionsorientierung schließlich betrifft eine selbstbezügliche Relation zum System selbst. Im Falle der Religion lässt sich so die funktionsorientierte „geistliche Kommunikation“ von der leistungsbezogenen Diakonie und der reflexiv orientierten Theologie unterscheiden. Hier beobachtet Luhmann (1977a: 264) für die Religion in der funktional differenzierten Gesellschaft eine Gewichtsverlagerung von der Funktionsorientierung zur Leistungsorientierung. Ursache ist ihm auch in diesem Zusammenhang die „relative Schwäche“ (ebd.) der religiösen Funktion, die sich schlecht darauf einstellen kann, dass unter modernen Bedingungen religiöse Partizipation zum Gegenstand privater Entscheidungen und unkontrollierbarer Motive geworden ist (vgl. ebd.: 232ff, 262ff.). Die dogmatischen Strukturen geistlicher Kommunikation sind aus Luhmanns Sicht nicht gut auf das Motivationsproblem hin variierbar. „Motive des Kommens oder Fernbleibens“ (ebd.: 263) lassen sich kaum ablesen und die Adäquanz theologischer Interpretationsangebote daran kontrollieren. Entsprechend sieht Luhmann die Religion auf ein „anschlußrationales Verhalten“ (ebd.) umstellen, das Probleme und Anliegen auf der Nachfrageseite so bearbeitet, wie sie anfallen. Aber für eine solche ‚okkasionelle‘ Aktivierung eignet sich Luhmann zufolge die geistliche Kommunikation in ihrem Weltbezug nicht. Sie kann schwer als ein „nachgeschaltetes“ (ebd.) System operieren, das geistliche Weltdeu51 Vgl. zu den Bezügen zur Entzauberungsthese Max Webers auch Hahn (2001a: 584f.).

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tungen ad hoc auf sporadisch und individuell anfallende Sinnprobleme zu beziehen vermag. Entsprechend folgt für Luhmann daraus die Verlagerung auf das Leistungsspektrum der Religion, etwa auf das humanitäre Angebot der Diakonie: Die Funktionsschwäche wird mit „sozialem Aktivismus“ (ebd.: 264) aufgewogen. Gerade in diesem ‚Dienstleistungscharakter‘ geht aber der religiöse Identitätsbezug nicht selten verloren: „Die Frage worin eigentlich der speziell christliche Charakter von Entwicklungshilfe bestehe, erzeugt in den dafür zuständigen Ausschüssen der kirchlichen Organisation ratlose Verlegenheit.“ (Ebd.) Probleme in der Funktionsausübung schlagen sich auch auf der Ebene der symbolischen generalisierten Kommunikationsmedien nieder. Anders als bei den Medien der nicht-religiösen Funktionsbereiche fehlen im Falle der Religion, so Luhmann (1977a: 125), spezifische Zurechnungskonstellationen, die ein Erleben oder Handeln auf der Seite Egos und Alters problembezogen binden könnten; zwischen Erleben und Handeln kann im Falle der Religion nicht ohne weiteres differenziert werden. Medien von einem „Spezialisierungsgrad wie Wahrheit oder Macht“ (ebd.) lassen sich somit im religiösen Bereich kaum entwickeln. Wiederum verbindet sich mit dieser Überlegung der Befund eines Differenzierungsdefizits: „Er [der Befund, M.P.] kennzeichnet die Problemlage von Religion in einer Gesellschaft, die in wesentlichen Hinsichten auf Mediendifferenzierung beruht.“ (Ebd.) In der christlichen Tradition hat nach Luhmann (1977a: 134ff.) zwar die Entwicklung des „Glaubensbegriffs“ in mancherlei Hinsicht Funktionen eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums übernommen. Für die moderne Gesellschaft konstatiert Luhmann (1977a: 142) allerdings auch hier einen Relevanzverlust für die gesellschaftliche Kommunikation: „Betrachtet man die neuzeitliche Entwicklung des religiösen Glaubens, so festigt sich der Eindruck, daß er als Dogmatik fortexistiert, aber die Funktion eines Code für gesamtgesellschaftliche Prozesse weitgehend verloren hat. Dogmatische Kontroversen interessieren nur noch die Beteiligten und ein sehr begrenztes Publikum. So besteht nicht die für andere Medien, namentlich für Liebe und für Macht, typische Gefahr, daß zu viel Kommunikationsprobleme zu CodeProblemen werden; sondern eher die umgekehrte, daß Code-Probleme gar keine Kommunikation (es sei denn: die über sie selbst) mehr betreffen.“

Hier spiegelt sich auf der Ebene der Medientheorie wider, was Luhmann (1972: 254f.) in einem anderen Zusammenhang als Folgen des Funktionsverlusts für die geistliche Kommunikation beschrieben hat: der ‚Kollaps‘ dogmatischer Interpretationsleistungen auf die Ebene einer „nur noch klerikalen Subkultur“ sowie die „Privatisierung von Religion“, die ihr Korrelat in der „Pluralisierung von Glaubensangebote[n]“ (ebd.) hat.52

52 Vgl. Luhmann (2000c) für Überlegungen, ob in der Semantik der „Seelen“ ein mediales Substrat bzw. funktionales Äquivalent für eine mediale Motivation zur Annahme religiöser Kommunikation zu sehen ist. Die Motivationsfunktion beruht dabei auf Anreizen bzw. Abschreckungen, die sich mit Himmel- und Höllenvorstellungen und folglich mit angemahnten Konsequenzen der Lebensführung verbinden. Allerdings werden diese Überlegungen auf Hochkulturen beschränkt und für die moderne Gesellschaft eine Durchhaltbarkeit be-

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Der Befund einer „Funktionsdefizienz“ (Luhmann 1972: 249) veranlasst Luhmann in der frühen Studie von 1972 zu der Frage, ob auf der Ebene der Organisation kompensatorisch nachgeholfen werden kann bzw. inwieweit „Kirche als Organisation religiöse Funktionen im Gesellschaftssystem erfüllen kann“ (ebd.). Zur Organisation gedrängt sieht sich die Religion Luhmann zufolge dabei zunächst aus zweierlei Gründen. Zu den „primäre[n] Bedingungen“ (Luhmann 1972: 255ff.) zählt dabei die steigende Komplexität des Gesellschaftssystems selbst. Damit sind die Möglichkeitsüberschüsse gemeint, die dort Entscheidungen zumuten, wo früher „alternativenloses“ Handeln möglich war. In der Folge wird jeder Zustand als Selektion zurechenbar. Auch der religiöse Bereich ist davon nicht ausgenommen. Die Kirche wird in ihrer Gestalt, „auch ohne sich selbst zu ändern, gleichsam von außen her als eine unter anderen Möglichkeiten kontingent gesetzt (man könnte auch sagen: positiviert)“ (Luhmann 1972: 256). Das Korrelat davon ist, dass in kirchlichen Organisationen auch der Ein- und Austritt Gegenstand individueller Entscheidungen werden. Diese Entscheidbarkeit der Mitgliedschaft legt insofern den ‚Formtypus‘ der Organisation nahe, als es dessen Charakteristikum ist, den Beitritt in die Organisation durch spezifische Anreize zu motivieren und an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. „[S]ekundäre Bedingungen“ der kirchlichen Umwandlung in Organisation sieht Luhmann (1972: 263ff.) schließlich im unvermeidbaren Kontakt mit den ‚weltlichen‘ Funktionsbereichen. So nehmen Kirchen am Wirtschaftssystem teil, können sich politisch Gehör verschaffen, sind Rechtspersonen etc. Verflechtungen dieser Art setzen Verwaltungstätigkeiten und Stellen mit entsprechenden Entscheidungskompetenzen voraus. Ferner treten auch von umgekehrter Seite Organisationen wie auch „organisationsvertraut[e] Einzelpersonen“ (Luhmann 1972: 265) an die Kirchen mit Anliegen heran, in deren Sache sie Stellungnahmen erwarten, die „die Kirche als Ganzes binden“; dies erfordert wiederum Organisation. Hinsichtlich des Ausmaßes, in dem die Kirche die ihr ‚aufgezwungene‘ Rolle der Organisation erfüllen kann, gibt sich Luhmann nun eindeutig skeptisch. Anders als typische Organisationen kann die Kirche ihre Strukturen nicht ohne weiteres variieren, um Mitglieder zum Beitritt zu bewegen, so die These (vgl. Luhmann 1972: 257). Infolge der zuvor diagnostizierten Funktionsdefizienz vermisst Luhmann hier den Halt an einem „hinreichend eindeutigen Prinzip funktionaler Identifikation“ (ebd.: 258), eine spezifische Zweckformel etwa, wie sie im Falle der Wirtschaft beispielsweise das Profitmotiv oder in der Politik der Wahlerfolg bilden.53 Religiöse Identität gewinnt die Kirche aus seiner Sicht somit allein an ihrer Dogmatik; diese hat Luhmann (1972: 262) zufolge aber gerade keine „Entscheidungsgeltung, sondern historische Geltung“. Sie kann damit nicht ohne weiteres zum Gegenstand von Änderungen gemacht werden.54 Entsprechend fehlt für Neuerungen in den dogmatischen Kernstritten. Dies hängt nicht zuletzt mit dem prekären Verhältnis der Religion zur nun nicht mehr konsensfähigen Moral ab, auf das unten noch näher einzugehen ist. 53 Vgl. zum Problem mangelnder Zweckspezifikationen innerhalb religiöser Organisationen auch Beckford (1975: 22ff.); Demerath und Schmitt (1998: 392) sprechen in diesem Zusammenhang von den „nontangible goals“ und „nontangible means“ der religiösen Organisation. 54 Vgl. hierzu ganz ähnlich Demerath und Schmitt (1998: 393), die in diesem Zusammenhang von „constraints of historicity“ sprechen: „Insofar as organizations stress continuities with

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strukturen die erforderliche Flexibilität, so dass diese „auf den Weg der Sezession, des Protestes, der Neugründung gedrängt werden“ (Luhmann 1972: 262). Ferner folgt für Luhmann daraus, dass der organisatorische Apparat, der aus dem Verkehr mit den anderen Funktionsbereichen erwächst, sich parallel zur religiösen Dogmatik entwickelt und mit dieser nicht gut zu integrieren ist (vgl. ebd.: 265). Ein ‚religiöser‘ Charakter der kirchlichen Verwaltungsarbeiten lässt sich schwerlich behaupten, so das Argument.55 Die Kompatibilitätsprobleme organisatorischer und religiöser Strukturen spiegeln sich auch in einer eigentümlichen Differenzierung von Mitgliederkreisen, wie sie Luhmann (1972: 258ff.; 1977a: 298ff.) in Kirchen beobachtet. Dabei hat er ganz offensichtlich die deutsche Situation vor Augen, wenn er zwischen den Mitgliedern der organisierten Amtskirche im engeren Sinne unterscheidet, d.h. solchen, die eine eigentliche Funktionsstelle (die des Pfarrers, des Küsters etc.) bekleiden und hierfür in der Regel auch ein Gehalt beziehen; den aktiven Mitgliedern, die das „interaktive Korrelat“ zu den Amtsträgern bilden, d.h. regelmäßig an den religiösen Veranstaltungen partizipieren; und schließlich den rein rechnerischen Mitgliedern, die zwar registriert sind, den eigentlichen Organisationsaktivitäten aber fernbleiben, also als Kirchensteuerzahler nur „zahlen und zählen“. Allein dem Verhalten der amtlichen Mitglieder gesteht Luhmann zu, im engeren Sinne organisatorisch konditioniert und in Anspruch genommen werden zu können. Was die übrigen Mitglieder in den ‚Publikumsrollen‘ anbelangt, so lässt sich hier religiöses Erleben und Handeln nicht leicht als Entscheidung behandeln. Zwar kann der Kircheneintritt als Entscheidung zugerechnet und als Bekundung einer generalisierten Unterstützungsbereitschaft interpretiert werden, so Luhmann (1977a: 295). Es folgen daraus aber keine Anweisungen und Programmierungen für weiteres Entscheiden, das Teil einer organisatorischen „Entscheidungsverknüpfung“ (ebd.) werden könnte. Programmatische Unschärfen betreffen aber auch den engeren Kreis der kirchlichen Amtsträger. Die geringen Respezifikationspotentiale der ‚defizienten‘ Funktionsperspektive wirken sich nach Luhmann (1972: 280ff.) auf dieser Ebene als „Programmierproblem“ aus. Die Kirche stößt hier, so die Beobachtung, auf Schwierigkeiten, kirchenamtliches Handeln so zu spezifizieren, dass Kriterien für Erfolg und Misserfolg benennbar und Änderungen

the past as revealed through sacred events, sacred texts, and traditional authority, they are controlled by a definite past even as they are oriented to an indefinite future.“ 55 Chaves (1998) spricht in diesem Zusammenhang von einer „dual structure“, dem Nebeneinander einer religiösen Hierarchie einerseits und einer bürokratischen Struktur andererseits, die den Vermittlungserfordernissen mit Wirtschaft, Recht, Medien etc. Rechnung trage und auch ihm zufolge Führungs- und Autoritätsfragen entfache. Chaves (1993) redet hier auch von „internal secularization“; siehe zur Rede von kirchlicher „Selbstsäkularisierung“ in Deutschland Tyrell (2008b: 200ff.); vgl. in diesem Zusammenhang auch Bourdieu (1994/1998: 186ff.), der diesbezüglich „Euphemisierungsstrategien“ bei den Geistlichen konstatiert. Die ökonomischen Dimensionen der Kirche, d.h. ihr Status als Arbeitgeber, juristischer Eigentümer etc., würden weitgehend „verleugnet“, und man verwahre sich dagegen, vom Ökonomischen auch in ökonomischen Kategorien zu sprechen.

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darauf bezogen werden könnten.56 Gerade in einer solchen Programmierung liegt Luhmann zufolge indes die Zukunft der Kirche: Es sei „nicht zu sehen, wie ohne Organisation und ohne eine Lösung des Programmierproblems eine integrierende Steuerung der Kirche erreicht und ihr Zerfallen in historische Reminiszenzen einerseits und eine Vielzahl von kurzschlüssig auf gesellschaftliche Bedürfnisse bezogenen Aktivitäten andererseits vermieden werden kann“ (Luhmann 1972: 283).

Programmierungsdefizite sieht Luhmann schließlich auch auf die Interaktionsebene durchschlagen. Als Organisation hat die Kirche für ihn die Aufgabe, als „Umschaltebene“ (Luhmann 1972: 277) zwischen Gesellschaftsebene und Interaktionssystemen zu fungieren. Damit ist von Seiten Luhmanns nicht geleugnet, dass religiöses Erleben auch ohne organisatorische Vermittlung auskommen kann. Gleichwohl gilt ihm dies als „eine Art ‚gesellschaftspolitischer Zufall‘“ (ebd.). Die Funktion der Organisation verortet Luhmann hier in „Umweltangeboten“: Kirchliche Organisation sollten religiöses Erleben und Handeln in einfachen Systemen dadurch ermöglichen, dass sie hierfür die nötigen Interpretationsleistungen und Sinnbezüge anbieten, die dann in den Interaktionen nicht jeweils neu ausgehandelt und eingerichtet werden müssen. Dafür braucht es allerdings organisatorische Kriterien des Gelingens, anhand derer die Organisation den Interaktionserfolg kontrollieren und lernbereit auf die Adäquanz der organisatorischen Programmvorgaben schließen könnte (vgl. Luhmann 1972: 282). Doch auch in diesem Zusammenhang redet Luhmann (ebd.: 282f.) kirchenbezogen von „enormen Schwierigkeiten“, die in der „gesellschaftlichen Unbestimmtheit von Religion“ gründen; „die gesellschaftliche Funktion der Religion und die gesellschaftliche Adäquität religiöser Vorstellungen [sind] auf der Ebene der Interaktion nicht zureichend meßbar“ (Luhmann 1977a: 302). In der Summe lässt sich also für Luhmanns frühe Studien zur Religion eine spürbare Skepsis in Bezug auf die Differenzierungskompatibilität der Religion konstatieren. Ihre klassische Funktion wird hier als reichlich modernitätsinkompatibel dargestellt; Kontingenz lasse sich für die Gesamtgesellschaft nicht mehr durchgreifend und motivfähig durch die Religion interpretieren. Der Funktionsverlust sei auch auf organisatorischer Ebene kaum abzufangen, vielmehr belaste er die ohnehin schon skeptisch zu beurteilende Organisationsfähigkeit der Religion noch weiter. Was bleibt seien Verlagerungen auf organisatorische Tätigkeiten von teilweise geringem religiösen Profil sowie eine weitreichende Unfähigkeit, auf der Ebene des religiösen Kerngeschäfts zu Steuerungskapazitäten zu kommen, die den Anforderungen der moder56 Vgl. in diesem Zusammenhang auch (Geser 1991: 574f.). Ihm zufolge zeichnet diese organisatorische Unbestimmtheit auch für die segmentäre Binnendifferenzierung innerhalb der christlichen Kirchen verantwortlich, die territorialen Gesichtspunkten der Zuständigkeit folgt, während Subsysteme mit funktionaler Zuständigkeit weitgehend fehlen. Stattdessen verdichten sich die vielfältigen funktionalen und programmatisch nicht ausreichend regulierten Erfordernisse in der damit überlasteten Rolle des Geistlichen (vgl. Geser 1991: 575). Siehe zu diesem „Defizienzausgleich“ auch Luhmann (1972: 266ff.). Der Mangel an stellenspezifischer Handlungsprogrammierung könne hier durch die strukturgebenden Merkmale des Personals (Persönliche Qualitäten des Stelleninhabers) und die organisatorischen Kommunikationswege bzw. Hierarchien abgefangen werden.

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nen Gesellschaft hinreichend gerecht würden. Das habe schließlich eine weitreichende ‚Desintegration‘ von Kirchenorganisation und religiösen Interaktionen zur Folge. Mit dieser Skepsis ist indes allein die deutsche Situation im Blick, und hier ausschließlich das Christentum. Schon jetzt sei angemerkt, was auch bereits im Zusammenhang mit anderen Autoren zur Sprache kam: Auf der Basis anderer Kontexte, etwa dem amerikanischen, hätte man gerade, was die Organisationskompatibilität anbelangt, zu anderen Schlüssen kommen können. Patricia M.Y. Chang (2003: 128f.) etwa räumt nicht zuletzt mit Blick auf die USA ein, dass religiöse Emphase oder Spiritualität durchaus mit hoher organisatorisch-instrumenteller Rationalität zusammengehen kann. Der Organisationsbegriff ist bei Luhmann zudem streng von der Arbeitsorganisation her gedacht, gerade wo es um die Entkopplung von Motiv und Zweck geht. „Private Associations“ wie sie gerade auch für die religiösen Freikirchen und die amerikanische Situation charakteristisch sind, kommen dabei kaum in den Blick. Im Folgenden soll Luhmanns Perspektive auf den Vorgang der Ausdifferenzierung der Religion beleuchtet werden, wie sie schon in den frühen Studien anklingt, aber vor allem in einem längeren Aufsatz von 1989 entwickelt wird. Hier liegt der Akzent nun vor allem auf der Heteronomie des Prozesses: Die Ausdifferenzierung eines pluralistischen religiösen Systems samt den damit verbundenen Interdependenzunterbrechungen erscheinen hier als von außen zugemutet und garantiert, von religiöser Seite indes kaum mitgetragen. Der mehr oder weniger implizite Fokus liegt auch hier auf dem europäischen Fall. 4.2 Die ‚erlittene‘ „Ausdifferenzierung der Religion“ (1989) In dem längeren Aufsatz „Die Ausdifferenzierung der Religion“ von 1989 widmet sich Luhmann der Ausdifferenzierung der Religion in historischer Perspektive. Die Studie hat Eingang gefunden in den dritten Band von „Gesellschaftsstruktur und Semantik“. Den Grund dafür wird man darin zu sehen haben, dass hier Entwicklungen in den religionsspezifischen Codierungen und Semantiken mit gesellschaftsstrukturellen Entwicklungen korreliert werden. In diesem Zusammenhang wird, wie zum Teil auch bereits in den frühen Studien und anderen jüngeren Aufsätzen (etwa Luhmann 1998), eine Beschreibung angeboten, die den Akzent vor allem auf die passive, außenveranlasste Form der Ausdifferenzierung der Religion innerhalb der modernen Gesellschaft legt. Luhmann (1989c: 270) zufolge geht die Religion zunächst allerdings „mit einem beträchtlichen Vorlauf an funktionaler Differenzierung in die neuere Geschichte ein“; schon früh findet sich hier etwa in der Differenz von Priester und Laien eine Ausdifferenzierung von religiösen Leistungs- und Komplementärrollen. Einen Grund für diese frühe Tendenz zur Sonderung sieht Luhmann (1989c: 273) in der Eigenart religiöser Kommunikation: Insoweit sie das Empirische imaginativ überschreitet, sind soziale Regulative notwendig, die verhindern, dass „jedermann irgendetwas behauptet“ (ebd.). Die Semantik des „Geheimnisses“ erfüllt dabei entsprechende Restriktionsfunktionen und kann gleichzeitig religiöse Zugehörigkeiten und Zuständigkeiten demarkieren, die entlang der Differenz von Wissenden und Nicht-Wissenden verlaufen. Den Übergang zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft begleitet Religion für Luhmann jedoch nicht mit eigenen, eigendynamisch vorangebrachten Ausdifferenzierungsschüben. Vielmehr sieht er ihre eigene

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Entwicklung nun weitgehend durch die Ausdifferenzierungen anderer Funktionssysteme bestimmt, die die Religion zu semantischen und strukturellen Nachentwicklungen zwingen (vgl. Luhmann 1989c: 276, 291, 310). Luhmann (1977a: 255f.) zählt die Religion damit – wie die Familie – zu den Funktionssystemen, die nicht etwa die eigene Ausdifferenzierung vorantreiben, sondern die Ausdifferenzierung anderer Systeme „durch das, was sie schon sind, nur ermöglichen und dann erleiden“. Diese Ermöglichung gründet für ihn vor allem in der Umstellung der Beziehung von Religion und Moral. Die Verbindung von Religion und Moral gilt Luhmann (1998c: 283ff.) dabei zunächst als Folge der Ausdifferenzierung von Religion selbst: Religion sichert sich ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz, so das Argument, indem sie menschliches Verhalten unter moralischen Gesichtspunkten beobachtet und über ihre Kosmologien die Folgen guten bzw. schlechten Handelns illustriert (vgl. ebd.: 283). Als ihren operativen Code trägt Luhmann (ebd.: 294) hier folglich die Unterscheidung von Heil und Verdammnis ein. Im Zuge der beginnenden Ausdifferenzierung anderer Funktionssysteme und der Zunahme an gesellschaftlicher Komplexität kann indes, so legt die Erörterung dar, ein moralischer Konsens nicht länger gesichert werden (vgl. ebd.: 294).57 Darauf führt Luhmann (ebd.: 286) eine „Sündenexplosion“ und eine religiöse Verfallsperspektive auf die Gesellschaft zurück. Die religiöse Entwicklung sieht er schließlich dahingehend reagieren, dass sie ihren Bezug zur Moral lockert – etwa durch Konstruktionen wie die „Gnade Gottes“ (ebd.: 297), die auch Sündern noch Erlösung in Aussicht stellt. Die darin liegende „gesellschaftliche Freigabe höherer Amoralität“ (ebd.: 300) ermöglicht den anderen Funktionsbereichen indes noch weiter, eigene Rationalitäten und Wertgesichtspunkte zu verfolgen und auszubauen. Die weitreichende Differenzierung von Moral und Religion bzw. das Aufbrechen und die Pluralisierung moralischer Standards führen nach Luhmann letztlich dazu, dass die Religion selbst unter moralischen Gesichtspunkten beobachtbar wird. Diese „Entwaffnung“ der Religion (vgl. ebd.: 304) drängt zu einer Umstellung des Codes von Heil/Verdammnis auf Transzendenz/Immanenz. Einerseits legt die religiöse Semantik damit eine stärkere Distanz zwischen weltimmanentem Geschehen und Transzendenz nahe; andererseits aber kann sich die Religion von ihrem Verhältnis zur Moral trotzdem nicht vollständig lösen, da sie nur so für innerweltliches Verhalten relevant bleibt (vgl. Luhmanns ebd.: 317f.). Die Ambivalenzen, die in der mangelnden Konsensfähigkeit bezüglich moralischer Kriterien liegen, lassen sich Luhmann (ebd.: 318) zufolge allenfalls durch Einführung eines „agnostischen Moments“ lösen. Dem „Anschlußbedarf“ (Luhmann 1987/2005: 253) an die Figur der Transzendenz ist damit aber, so macht die Darstellung deutlich, kaum beigekommen. Die Rede vom Himmel und der Hölle sieht Luhmann (ebd.: 253ff.) demnach zurücktreten, ohne dass ihm erkennbar wäre, was genau an ihre Stelle zu treten habe. Die frühe Skepsis Luhmanns bezüglich der Differenzierungskompatibilität der Religion tritt hier nun im neuen Theorievokabular von Code und Programm auf: „Der Weg, den andere Funktionssysteme gegangen sind, nämlich Codierung und Programmierung zu trennen und dann funktionsspezifisch wieder zu verbinden, bereitet dem Religionssystem Schwierigkeiten.“ (Luhmann 1989c: 319) Die „Funkti57 Dieses Komplexitätsargument lässt sich auf die These Durkheims zurückführen, die von der Rückbildung des Kollektivbewusstseins infolge der Ausdehnung der Bevölkerung und Zunahme an Migrationsbewegungen ausgeht (vgl. hierzu Kap. I.2).

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onsdefizienz“ aus der Studie von 1972 erscheint hier als Problem der Religion, ihren Code Transzendenz/Immanenz durch zugehörige Programme hinreichend zu operationalisieren (vgl. Luhmann 1989c: 335f.). Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber insbesondere die These, dass es auf die Entwicklung solcher Kapazitäten auf Seiten der Religion für deren Ausdifferenzierung gar nicht ankommt. Wie Luhmann an zahlreichen Stellen sehr deutlich macht, ist sie durch andere gesellschaftliche Funktionssysteme stets garantiert. So ist für ihn die religiöse Ausdifferenzierung in der modernen Gesellschaft in erheblichem Maße durch ein Abstreifen religiöser Wurzeln und Verbindlichkeiten von Seiten anderer Funktionssysteme bestimmt: „Die anderen Funktionssysteme müssen ihre Autonomie gegen religiöse Kontrollen durchsetzen und geben sich daher gern einen ‚säkularen‘ Anstrich, die Religion nur noch respektierend und oft heimlich als rückständig-okkulte Angelegenheit verachtend.“ (Luhmann 1989c: 291) Anders als andere Funktionssysteme kommt die Religion als modernes, pluralistisches Teilsystem in dieser Darstellung kaum durch Eigendynamiken auf den Weg, die durch entsprechende Selbstbeschreibungen abgesichert wären. Die Ausdifferenzierung von Religion wird hier gerade nicht autonom, sondern heteronom konstituiert – nämlich dadurch, dass andere Funktionssysteme in ihren Selbstbeschreibungen und Operationen das Religiöse auf Abstand halten. Die Autonomie ist der Religion, so das Narrativ, gleichsam zugefallen, nachdem andere Funktionssysteme sich abgekoppelt und selbst auf Autonomie umgestellt hatten: „Es geht im Falle der Religion also nicht um selbstproduzierte, sondern gleichsam um übrig gebliebene Autonomie, um Restautonomie. Daran findet der Systemvergleich seine Grenzen; und es wird daher nicht verwundern, daß im Bereich der nun Funktionssystem gewordenen religiösen Kommunikation die Autonomie erzeugenden Differenzierungen nicht in der gleichen, klaren Weise entwickelt worden sind wie in der Politik oder in der Wirtschaft.“ (Luhmann 1998: 143f.)

Der historische Fall, der Luhmann hier paradigmatisch vor Augen ist, sind die Konfessionsspaltungen des 16. Jahrhunderts. Mit dem Westfälischen Frieden, der dem Religionskrieg im folgenden Jahrhundert ein Ende setzt, wird die Ausdifferenzierung eines Religions-‚systems‘ zweier gleichgestellter Religionen tatsächlich auf politischem, nicht religiösem Wege herbeigeführt. Die Einheit des religiösen Systems wird im Zuge einer religiösen Pluralisierung nicht etwa durch religionsübergreifende Selbstbezüglichkeiten garantiert. Sie wird vielmehr von einem außerreligiösen Beobachterstandpunkt ‚zugemutet‘: „Schließlich kommt es im 16. Jahrhundert zu den bekannten Konfessionsspaltungen, zum Rückgriff auf voraussetzungslosere Formen einer nur noch segmentären Differenzierung des Religionssystems, das sich als ganzes eine theoretische Integration nun ersparen kann, von belastenden Interferenzen mit wissenschaftlicher Theoriebildung absieht und über das Staatsrecht des souverän gewordenen politischen Systems einen modus vivendi gesichert erhält durch einen externen Zwang, den es nicht selbst zu vertreten und zu begründen hat.“ (Luhmann 1977a: 43; Herv. M.P.)

Die Rechtsvorgabe der Religionsfreiheit konstituiert damit die Einheit des Religionssystems – ob die Religionen auch für sich diese Toleranz dogmatisch aufnehmen, wie

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beispielsweise der Katholizismus seit dem Vatikanum II,58 oder darauf verzichten, bleibt hierfür irrelevant.59 Es ist für diese ‚mittlere‘ Schaffensperiode also ein weitreichendes Fortbestehen einer reservierten bis skeptischen Einschätzung der religiösen Kompatibilität mit funktionaler Differenzierung festzuhalten. Dies steht im Einklang mit dem Gedanken einer fremdgesetzten Ausdifferenzierung der Religion, mit dem sich die historische Entwicklung in Europa systemtheoretisch beschreiben lässt; sie beruht nicht auf eigenen Strukturentwicklungen und Dynamiken, sondern auf den emanzipatorischen Differenzierungsmanövern anderer Funktionsbereiche. Im Folgenden wendet sich die Erörterung dem letzten zentralen Beitrag Luhmanns zum religiösen Teilsystem zu. Hier lässt sich eine eigentümliche Schieflage konstatieren, die daraus resultiert, dass Luhmann die Religion nun ganz auf die Höhe anderer Funktionssysteme hebt, ohne dabei die grundlegenden Defizitbefunde zu revidieren. Zugleich generalisiert Luhmann hier Strukturbefunde auf alle Religionen, die in der Hauptsache dem Fall des europäischen Christentums abgewonnen sind. 4.3 Systemtheoretische ‚resurgence‘ – „Die Religion der Gesellschaft“ (2000) Mit der „Religion der Gesellschaft“ nimmt die gesellschaftstheoretische Betrachtung der Religion bei Luhmann in mancherlei Hinsicht eine Wendung. Dies ist gewissermaßen schon in der Publikation als solches angezeigt. So reiht sie sich in die sieben gesellschaftstheoretischen Einzelbetrachtungen der Funktionssysteme ein, die ab 1988 unter analogen Titeln erscheinen (vgl. Luhmann 1988; 1990; 1993; 1995a; 2000a; 2000b; 2002). Schon damit ist eine differenzierungsbezogene ‚Augenhöhe‘ mit den anderen Funktionsbereichen impliziert, die ja in den frühen Studien noch mit einem Fragezeichen versehen war. Was sich durch den publizistischen Kontext als Verdacht aufdrängt, findet sich im Text selbst weitreichend bestätigt. Die frühe Skepsis, die von einer „Funktionsdefizienz“ der Religion ausging, tritt stark in den Hintergrund. An der Funktionsbestimmung ändert sich dabei der Sache nach nichts; sie liegt für Luhmann (2000a: 127) weiterhin in der „Garantie der Bestimmbarkeit allen Sinns gegen die miterlebte Verweisung ins Unbestimmbare“. Wie oben dargelegt, hatte Luhmann in den frühen Studien eine Funktionsschwäche der Religion im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass sich Funktionsbereiche ausdifferenzieren, die

58 Vgl. hierzu das Dokument „Nostra Aetate“. 59 Diesen differenzierungstheoretischen Gedanken einer außenveranlassten ‚Relegation‘ des Religiösen im Zuge der Ausdifferenzierung des Politischen übernimmt Luhmann insbesondere von Donald E. Smith (1970); vgl. hierzu Luhmann (1977a: 256, Anm. 49 u. passim). So liest man bei Smith (1970: 13; Herv. i.O.): „The breakup of the traditional system leaves religion with an autonomy that was neither sought nor desired. Thus, a largely independent religious system is set adrift, as it were, on a stormy sea of rapid change, without charts and with serious structural weaknesses.“ Hier steht allerdings nicht allein das Christentum Europas im Fokus. Zuvorderst widmet sich die Untersuchung dem Hinduismus in Indien, dem Islam in Afrika, dem Buddhismus in Burma, Sri Lanka und Südvietnam und dem Katholizismus in Lateinamerika.

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eigene, religionsunabhängige Formen der Kontingenzbearbeitung entwickeln. Dieser Beschreibung bleibt Luhmann (2000a: 125) auch in dieser letzten Studie verpflichtet: „Alle Funktionssysteme finden in ihrer Funktion selbst den Sinn ihres Beitrags zur Autopoiesis der Gesellschaft. Sie benötigen dafür keine Religion. Sie entwickeln für ihre eigenen Formparadoxien Paradoxieentfaltungen und können sich damit eigenen Zeitbedingtheiten anpassen, die nicht mehr gesamtgesellschaftlich synchronisiert werden müssen. Wenn dann gleichwohl noch eine religiöse Sinngebung mitgeliefert wird, wirkt das wie eine unnötige, technisch nicht sehr hilfreiche Sinnüberhöhung.“

Die Zuständigkeit der Religion gilt auch hier allein dem Grundproblem der Konstitution von Sinn schlechthin. Dabei wird die Funktionsbestimmung an das beobachtungs- bzw. paradoxietheoretische Vokabular angepasst, das seit den 1990er Jahren die Theorieführung übernimmt. Sinnprozessierende Systeme sind der späten Theorie zufolge beobachtende Systeme. Das Problem der Kontingenz gewinnt hier die Form der paradoxen Konstitution von Beobachtung. Unter einer Beobachtung will Luhmann eine Bezeichnung anhand einer Unterscheidung verstanden wissen (vgl. Luhmann 1990: 68ff.; Luhmann 2000a: 24ff.). Aktuelles steht im Zentrum des Sinngeschehens als „dies-und-nichts-anderes“ (Luhmann 1984a: 101). Diese Überlegung verknüpft Luhmann mit dem Formenkalkül Spencer Browns (1969). Einer Beobachtung liegen Formen als Unterscheidungen zugrunde. Die aktuell bezeichnete Seite der Form, der „marked space“, liegt im Fokus und enthält dabei den sinnspezifischen Überschuss von Verweisungen auf den „unmarked space“, d.h. die andere Seite der Form als appräsentierten Möglichkeitsraum, vor dem sich der „marked space“ konstituiert. Dabei bleibt die Form bzw. die Unterscheidung selbst unbeobachtbar. Ihre Beobachtung setzt eine weitere Beobachtung voraus, die ihrerseits eine aktuell unbeobachtbare Unterscheidung verwenden muss. Was somit stets der Beobachtung entgeht, ist der Beobachter bzw. die Unterscheidung als blinder Fleck der Beobachtung.60 Paradoxietheoretisch formuliert bedeutet dies, dass jede Beobachtung die Simultaneität von Einheit und Differenz aktualisiert. Sie kann Identität nur beobachten, indem sie eine Differenz zugrunde legt. Paradoxien tauchen also immer dann auf, wenn der Beobachter auf seine eigene Einheit reflektiert und feststellt, dass er sowohl Einheit als auch Differenz bzw. beide Seiten der Unterscheidung ist und hier mithin die „Selbigkeit des Differenten“ (Luhmann 2000a: 69) gilt. Religion hat in dieser Theoriefassung ihre Zuständigkeit in „Paradoxieentfaltungsproblemen“ (ebd.: 136). Dabei geht es nicht um die Paradoxien bestimmter Unterscheidungen, es geht um die Paradoxie des Unterscheidens schlechthin. Es betrifft das Problem, dass im „unmarked space“ jeder Unterscheidung nicht nur die Einheit des Beobachters zurückbleibt, sondern zugleich die Welt als „unmarked state“, d.h. als Bereich des Ununterschiedenen. Religion wird für Luhmann (ebd.: 138f.) also dort zuständig, wo Sinn sich selbst zum Problem wird, wo also nach der Einheit der Differenz von unmarked space/marked space gefragt und damit das Problem auf das Jenseits des Unterscheidens selbst gelenkt wird. Diese dreistellige Konstruktion von unmarked space/ marked space, die auf einen unmarked state und damit auf die Kontingenz der Struk60 Vgl. zur bei Luhmann nicht immer sauber durchgehaltenen Differenz von „unmarked space“ und „unmarked state“ auch Stäheli (2000: 82ff.).

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turfestlegung verweist, folgt also der gleichen Logik wie die frühere Figur von Selektionen und vortypisierten Möglichkeitshorizonten, die selber im Kontext von nicht abschließbaren Appräsentationen stehen (vgl. Luhmann 1977a: 25).61 Dabei ist es nun die spezifische Codierung von Transzendenz und Immanenz, über die die Religion ihre Funktion erfüllt (vgl. Luhmann 2000a: 77ff.). Religion leistet dies in dieser Theorieversion durch ein „re-entry“ der Unterscheidung auf der Seite der Immanenz: Sie bietet im Immanenten Formen an, um „die Differenz von Transzendenz und Immanenz denkbar und sagbar zu machen“ (ebd.: 77). Dabei löst sie auch noch die eigene Paradoxie auf, die sich hinter der Einheit der Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz verbirgt. Nach Luhmann (ebd.: 127) tut sie dies anhand „der Vorstellung einer gänzlich differenzlosen Transzendenz, die jede Unterscheidung, auch die von Immanenz und Transzendenz absorbiert, also der Annahme eines gestaltlosen, formlosen Letztsinns, der weder als Person noch als Nichts adäquat zu bezeichnen ist“. Religion erscheint hier auf voller Höhe eines codierten Funktionssystems. Auch die Programmierprobleme, die in der Untersuchung von 1989 im Blick waren, verlieren in diesem Zusammenhang weitgehend den Akzent des Problematischen. Von einer „bleibend prekären Allianz“ mit Moral ist zwar auch weiterhin die Rede (vgl. Luhmann 2000a: 95). Allerdings kommen nun auch andere Möglichkeiten in Frage, „Codierung mit Inhalten anzureichern“: Die letztliche Leere des Codes dient Luhmann zufolge als Attraktor für Semantiken und Schemata, die Code-Zuweisungen steuern und in Zukunft für wiederholten Gebrauch in Frage kommen. Für solche Entscheidungen und daraus hervorgehende Entscheidungsprämissen geraten nun gar Organisationen in den Blick (vgl. ebd.: 104). Von den Gedanken einer Funktionsschwäche und der Verlagerung auf eine Leistungsorientierung ohne klares religiöses Profil ist nun wenig zu spüren; diese standen immerhin bei Luhmann zuvor noch an zentraler Stelle. Stattdessen erscheint Religion wie alle anderen Funktionssysteme nun als ein autopoietisches System, das sich reproduziert, indem es fortlaufend codierte Kommunikationen an codierte Kommunikationen anschließt. Damit ist bei Luhmann keine ‚Okkasionalität‘, sondern eine Aufdauerstellung der religiösen Funktionsnachfrage impliziert, die in den Studien zuvor ausdrücklich nicht für möglich gehalten wurde. Mittlerweile ist die religiöse Funktion indessen ‚alive and well‘. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Luhmann in gewisser Hinsicht dem allgemeinen religionssoziologischen Beobachtungstrend anschließt, der einen ‚revival of religion‘ konstatiert.62 Entsprechend ist das Buch gespickt mit Illustrationen religiöser Vitalität. Dabei beeindruckt insbesondere das umfangreiche Anschauungsmaterial aus dem lateinamerikanischen Kontext: Zu den Beispielen gehören der brasilianische Spiritismus (Luhmann 2000a: 274), der sogenannte Maria-Lionza-Kult Vene61 Luhmann (1997b) bietet auch eine Funktionsbeschreibung der Religion an, die das Medium „Sinn“ an die späte Unterscheidung von Medium und Form heranführt. Es ist hier die Unbeobachtbarkeit des Sinnmediums selbst, das sich immer nur in konkreten Formen manifestiert, der Religion mit eigenen Formen bzw. Chiffrierungen für diese Unbeobachtbarkeit begegnet. Auch hier bleibt der Ausgangsgedanke erhalten, der von dem Bezugsproblem der Simultanität von Unbestimmbarkeit und Bestimmtheit ausgeht. 62 Es wird in Kapitel V zu diskutieren sein, inwieweit auch die weltgesellschaftstheoretische Wende im späten Religionsbuch auf diesen Trend zurückzuführen ist.

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zuelas (ebd.: 346), die in Südamerika zu findenden „wunderlichsten Synkretismen indianischer, afrikanischer und christlich-europäischer Provenienz“ (ebd.: 342), indianische Pilzkulte (ebd.: 119) sowie Fälle einer „Spontangenese“ abweichender Formen von Religion (ebd.: 351). Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil die Eindrücke aus dem lateinamerikanischen Raum auch ausschlaggebend für eine differenzierungstheoretische Wende im Spätwerk waren. So hatte Luhmann etwa angesichts des Elends in den brasilianischen Favelas, die von einer Versorgung durch die gesellschaftlichen Funktionssysteme weitreichend ausgeschlossen sind, das Aufkommen einer gesellschaftlichen Primärdifferenzierung in einen Inklusions- und Exklusionsbereich erwogen (vgl. Luhmann 1995/2005; 1996a). Dieses Thema kommt auch im Rahmen seiner Religionssoziologie zur Sprache: So zählt Religion neben der Familie für Luhmann (2000a: 243) zu den Bereichen, die auch und gerade in den Fällen an Inklusion festhalten, in denen die anderen Funktionssysteme zur Exklusion tendieren. Anders als 1977 sind damit nun aber nicht allein die diakonischen Aktivitäten der Kirche im Blick, denen Luhmann (2000a: 243) weiterhin religiöse Profilierungsprobleme und mangelnden Funktionsbezug bescheinigt. Vielmehr zeigt sich auch hier das neu gewonnene ‚Funktionsvertrauen‘ Luhmanns; so ist ihm auch „Religiosität, die sich unter den geschilderten Bedingungen spontan bildet“ ein Fall „religiöser Inklusion“ (ebd.: 244). Im Blick sind dabei allen voran „afro-indianische Mischkulte unseres Jahrhunderts“ (ebd.). So überrascht hier auch die dezidiert pluralistische Perspektive, die den Blick zumindest oberflächlich nicht auf das Christentum verengt und diesen zugleich, wie in Kapitel V noch zu diskutieren sein wird, auf die Weltgesellschaft lenkt. In diesem Zusammenhang zeichnet sich auch eine Neubewertung der Rolle „religiöser Dogmatiken“ ab, hier verstanden als „fixierte Glaubensformen“ schlechthin. Dogmatiken spielten in den frühen Schriften eher noch eine abträgliche Rolle hinsichtlich der Modernitätskompatibilität der Religion; dort wurden ihre geringen Variationspotentiale herausgestellt, die zu Lasten der Anpassungsfähigkeit kirchlicher Organisationen gehen. Organisatorische Änderungen werden dabei, so das frühe Argument, auf den Weg der Sezession bzw. des Schismas gedrängt. An dieser Eigenschaft von Dogmatiken hält Luhmann nach wie vor fest: „Sie sind gegen mögliche und als möglich erkannte Zweifel gesetzt. Das heißt auch, daß sie sich allenfalls die Selbstwiderlegung vorbehalten und sich nach außen als unirritierbar geben müssen.“ (Luhmann 2000a: 344) Dies lässt er nicht nur für Buchreligionen mit schriftlich fixierten Glaubenssätzen gelten; der irritationsresistente „Vorbehalt der Selbstwiderlegung“ gilt „generell, er ist unmittelbar mit dem Sinn von Religion (religio) und mit dem Prinzip der Selbstanpassung gegeben“ (ebd.). Was zuvor allerdings noch als Makel der Religion im Vergleich mit anderen Funktionssystemen daherzukommen schien, tritt nun, da sich Luhmanns Blick auf die gesamte religiöse Landschaft weitet, als eigendynamisches Prinzip eines interreligiösen Gesamtsystems auf. Die Immobilität der Dogmatik wird zum Promotor religiöser Heterogenität. Aus der damit verbundenen Sezessionsanfälligkeit des Religiösen folgt eine „Diversifikation der Arten“ (ebd.: 344f.). Einschränkungen liegen dabei allenfalls bei den Plausibilitätschancen in der jeweiligen Gesellschaft. Dogmatiken werden infolge dieser Vervielfältigung zum „Differential“, an dem innerhalb eines pluralistischen Religionssystems Unterschiede sichtbar und Konsistenzprüfungen möglich werden. Entsprechend behauptet Luhmann (ebd.: 343) eine segmentäre Binnendifferenzierung für das Religionssystem: „Andere Religionen sind eben andere Religionen.“ Die

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Darstellung dieser Dynamik stellt eine Analogie mit der Evolutionsbiologie her. Ebenso wie aus Artenpopulationen durch genetische Variationen neue Spezies hervorgehen können, die sich dann als eigene Population absondern, entstehen durch Variationen in den Formenbeständen neue Glaubenszusammenhänge, die sich dann gegen andere Religionen „insulieren“ und selber zum Ausgangspunkt neuer Formendiversifikationen werden können. Für Luhmann fügt sich damit die Religion als gesellschaftliches Teilsystem in der späteren Studie mühelos in die funktionale Differenzierung der Gesellschaft ein. Nimmt man diese Beschreibung der Religion ernst, wird man nun aber funktionssystemvergleichend nach den spezifisch religiösen Formen der Kombination von Selbstreferenz und Fremdreferenz und der elementaraktbasierten Operativität zu fragen haben, die das Religionssystem als interreligiöses Gesamtsystem auf der Gesellschaftsebene situieren. Dies soll im folgenden Teil geschehen. 4.4 Zum Funktionssystemstatus der Religion bei Luhmann – eine systematische Kritik Die Erörterungen lösen sich nun von der werkgeschichtlichen Perspektive und messen diese letzte Fassung der Religionstheorie systematisch an der allgemeinen Differenzierungstheorie, wie sie oben rekonstruiert wurde. Entsprechend ist auch hier nach den spezifischen Selbst- und Fremdreferenzen des religiösen Gesamtsystems zu fragen (4.4.1). Ebenso muss der Blick den religionsspezifischen Elementarakten gelten, die einen ‚gesamtreligiösen‘ Operationszusammenhang begründen (4.4.2). 4.4.1 Religiöse Selbstreferenz und Fremdreferenz Es liegt in der Konsequenz der Theorie, dass Luhmann im Zusammenhang seiner Religionssoziologie auf eine selbständige Definition der Religion verzichtet. Das Diktum Webers, dass man allenfalls am Ende einer Untersuchung zu einer Definition von Religion gelangen könne, bekommt hier eine andere Wendung: Was Religion ‚ist‘, muss der Selbstreferenz eines religiösen Systems selbst entnommen werden: „Die Frage lautet dann: woran erkennt religiöse Kommunikation, daß es sich um religiöse Kommunikation handelt? Oder in anderen Worten: wie unterscheidet die Religion sich selbst? Als externe Beobachter verlassen wir uns dann auf die Selbstbeobachtung der Religion. Wir schreiben nicht vor, wir nehmen hin, was sich selbst als Religion beschreibt.“ (Luhmann 2000a: 57f.; Herv. i.O.)

Die Antwort liegt für Luhmann in der spezifischen Codierung von transzendent/immanent: „Religion erkennt sich selbst als Religion, wenn sie alles, was immanent erfahrbar ist, auf Transzendenz bezieht – wie immer dieses Gebot semantisch eingelöst wird.“ (Luhmann 2000a: 272) Damit ist zugleich die Frage nach der religiösen Fremdreferenz beantwortet. Religion überzieht „Welt“, „Erfahrungen“ oder schlicht und ergreifend „Immanenz“ mit religiösem Sinn, indem sie ihr den Gegenwert der Transzendenz gegenüberstellt – und erkennt sich zugleich selbst anhand dieser Leitdifferenz, so das Argument.

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Man kann sich hier allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass das tatsächliche Vorgehen Luhmanns doch eher einer definitorischen Setzung von außen nahe kommt. Es scheint, als sei hier der kleinste gemeinsame Nenner dessen gefunden, was Luhmann und nicht die Religion als Religion beobachten will.63 Immerhin fehlen schon rein gedankliche Illustrationen für grenzkontrollierende Beobachtungen eines religionsübergreifenden Gesamtsystems. Beispiele für Zugehörigkeitskontrollen finden sich immer nur für den Fall einer konkreten Religion: Hier geschieht dies dann aber weniger anhand eines Codes, sondern in Bezug auf konkrete „Dogmatiken“, anhand derer Abweichungen kontrollierbar werden; so etwa im Falle von Hochreligionen: „Sie reproduzieren sich durch ihre eigenen Operationen und benötigen dafür die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Dazu verhilft eine als Kanon dienende Textbasis, eine Orthodoxie mit begrenzter Lernfähigkeit.“ (Luhmann 2000a: 199) Auf der Ebene des Gesamtsystems fehlen für Luhmann solche Zusatzsemantiken allerdings: „Eine die erforderliche Generalisierung leistende Semantik würde alle Bindungen an religiöse Traditionen, Mythen, Texte aufgeben müssen und wäre vermutlich nicht mehr als Religion erkennbar.“ (Luhmann 2000a: 342) Damit schert die Religion gegenüber den anderen Funktionssystemen deutlich aus; schließlich richten diese allesamt Steigerungsverhältnisse gegenüber lebensweltlich unkontrollierten ‚Codegebrauch‘ ein, wie er etwa im Moralisieren, im Beschwören von Wahrheit und im Drohen mit Macht vorkommt. Sie tun dies, indem sie ihre funktionsspezifischen Kommunikationen an voraussetzungsvolle Programme oder Selbstbeschreibungen binden. Im Falle der Religion scheint hier nun allerdings, mit Simmel gesprochen, das Religioide mit dem Religiösen zusammenzufallen. Es lassen sich auf dieser Basis die vielfältigsten und alltäglichsten Kommunikationszusammenhänge mit Transzendenzbezügen, wie sie sich etwa auch in Philosophie, Sexualität, Drogenkonsum und Literatur finden, potentiell dem Religionssystem zuordnen (vgl. hierzu auch Pollack 2003a: 34f.). Für Luhmann scheint hierin aber nun gerade ein Charakteristikum der Religion in der modernen Gesellschaft zu liegen: „Mehr Gestaltungsfreiheiten werden möglich. Das führt dazu, daß dogmatisch vorgeprägte Erkennungsverfahren, etwa Gottesglauben als Kriterium, nicht mehr ausreichen und daß die klassisch-soziologische Unterscheidung zwischen sakral und religiös (Durkheim, auch Simmel) sich auflöst.“ (Luhmann 2000a: 146) Damit steht aber der Aspekt des Systematischen dieses religiösen Zusammenhangs weitgehend in Frage. Luhmanns Beschreibung zeigt auffällige Nähen zu dem etwa von Thomas Luckmann geschilderten Markt frei-flottierender Sinnangebote, die eher ins Private und Unverbindliche relegiert worden sind, als dass sie einen systematischen Zusammenhang durch entsprechende Selbstbeobachtungen absichern würden. Die Affinität zu einer 63 Selbst der Transzendenzbezug scheint nicht unproblematisch, um als ein solcher gemeinsamer Nenner dessen zu dienen, was gemeinhin als Religion (auch seitens anderer Religionen) anerkannt wird. Es ließe sich nur bei weitester Auslegung des Begriffs ein Transzendenzkonzept im Sinne einer „Realitätsverdopplung“ (Luhmann 2000a: 58) etwa im Theravada-Buddhismus ausmachen, doch müsste man dann im Grunde auch den wissenschaftlichen Konstruktivismus miteinbeziehen. Beyer (1998a; 2006) hat zudem ausführlich diskutiert, dass die Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz in nicht-christlichen Religionen, selbst dort wo sich prinzipiell Transzendenzannahmen finden, sehr untergeordnet ist.

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solchen Individualisierungstheorie von Religion kommt auch in Stichwehs (2002: 290; vgl. auch 2001) Lesart der Luhmann‫ތ‬schen Religionstheorie zum Vorschein: „Unter Bedingungen der Individualisierung der Verhaltenswahl werden religiöse Ideen relativ frei miteinander kombinierbar, und das führt auf eine Theorie der Weltreligion hin, die diese als eine globale Population religiöser Überzeugungen denkt, deren einzelne Komponenten für individuell und lokal verschiedene Arrangements zur Verfügung stehen.“

Parallelen zum Luckmann‫ތ‬schen (1979) Konzept der „bricolage“ religiöser Überzeugungen lassen sich hier kaum von der Hand weisen. Nur werden bei Luhmann diese ‚naiven‘ individuellen Aneignungen von religiösen Formen noch als eine Reproduktion eines Funktionssystems ‚Religion‘ erachtet. Zwar fällt für Luhmann, anders als beispielsweise für Luckmann, nicht jede Form der Sinngebung in den Bereich des Religiösen: Allein solcher Sinn, der Immanentes auf Transzendenz zu beziehen vermag, weist sich hier als religionszugehörig aus.64 Gleichwohl fehlen bei Luhmann plausible Darstellungen einer religiösen Selbstbeobachtung, die den religionsübergreifenden Systemzusammenhang begründen könnten, den Luhmann von den traditionellen Weltreligionen bis hin zu brasilianischen Pilzkulten und „Spontangenesen“ von Religion spannen will. Es wäre der Nachweis zu erbringen, dass ein religionsübergreifender Zusammenhang selbst seine Grenzen daraufhin kontrolliert, ob in der Kommunikation Transzendenzbezüge vorliegen, und nicht bloß: dass man gemeinhin solche Kommunikationen dem Religiösen zuordnet und davon etwa Wissenschaft, Politik oder Alltag zu unterscheiden in der Lage ist.65 Die Entscheidungen über die Zugehörigkeiten zum Religionssystem werden, so scheint es, gerade nicht dem Gegenstandsbereich überlassen, obwohl gerade dies doch der Anspruch der Untersuchung ist. Mögen sich auch einzelne Kommunikationszusammenhänge selbst als religiös unterscheiden (vgl. hierzu Luhmann 2000a: 273) – die Synthese des hier zur Darstellung gebrachten Gesamtsystems wird man eher dem Beobachter Luhmann zurechnen müssen. Es scheint so letztlich bei der Illustration einer Sphäre von weitgehend zusammenhangslosen Sinnangeboten, die sich wechselseitig als Gesamtsystem kaum Rechnung tragen, zu bleiben. Das lenkt den Blick auf etwaige operative Zusammenhänge, die die Ausdifferenzierung der Religion als gesellschaftliches Funktionssystem garantieren könnten. 4.4.2 Religiöse Elementarakte Es wurde oben erörtert, dass die Autopoiesis der Funktionssysteme über den rekursiven Anschluss von spezifischen Elementarereignissen erfolgt, die das System jeweils in einen neuen Zustand überführen, von dem ausgehend weitere Möglichkeiten funk64 Vgl. zu diesem Vergleich zwischen Luckmann und Luhmann auch Hahn (2001a: 582). 65 Vgl. hierzu Luhmann (2000a: 308): „Religion ist, was als Religion beobachtet werden kann; und dies auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung. Wer in religiöser Bestimmtheit beobachtet (und um dies zu wiederholen: ‚beobachtet‘ heißt: erlebt oder handelt), kann dies tun, wenn er sich in seinem Beobachten beobachtet weiß. Das muß nicht heißen, daß er Zustimmung suchen und finden muß; wohl aber, daß die Qualifizierung seines Beobachtens als religiös mitvollzogen wird [...].“

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tionsspezifischen Erlebens und Handelns vorgezeichnet sind. So überrascht es, dass sich in Luhmanns Beschreibung der Religion ein spezifisch religiöses Analogon zu Zahlungen, Publikationen, politischen Entscheidungen, Rechtsentscheidungen, Kunstwerken etc. nicht findet. Gegen religiöse Zeremonien, Predigten, Erweckungserlebnisse o.ä. lässt sich für das Religionssystem einwenden, was Stichweh (1987: 469) gegen Forschungshandeln und wissenschaftliches Arbeiten außerhalb des Publikationsakts für das Wissenschaftssystem geltend macht: „daß man auf der Ebene dieser Handlungs- und Arbeitsvollzüge das [System] nicht integrieren kann, weil sie als Handlungs- und Arbeitsvollzüge nicht anschlußfähig sind, man sie nicht unmittelbar – zumindest nicht gesellschaftsweit – miteinander verknüpfen kann“. Für Gebete gilt nichts anderes; noch dazu spricht Luhmann (1985/2005) diesen den Kommunikationsstatus ab, da der Adressat außerhalb der Gesellschaft liegt.66 Auch religiöse Rituale, denen Luhmann (1977a: 81) einen „entsprachlichte[n]“ kommunikativen Status zuschreibt – selbst dort wo sie Sprache benutzen –, dürften kaum imstande sein, einen Operationszusammenhang auf der Gesellschaftsebene einzurichten; sie werden in dieser Hinsicht bei Luhmann (1977a: 144f.) auch gar nicht erwogen, sondern kommen in der frühen Schrift vielmehr als „symbiotische Mechanismen“ im Zusammenhang mit den Erörterungen zum Glaubensmedium in den Blick.67 Es fehlt somit im Fall der Religion ein sichtbarer Referenzpunkt für potentiell systemweites religiöses Anschlusshandeln. Damit steht schon eine – anderen Funktionssystemen vergleichbare – Situierung einer einzelnen Religion auf der Gesellschaftsebene in Zweifel, wenn sich rekursive Anschlüsse religiöser Art eigentlich nur innerhalb von Organisationen (in Form von verbindlichen Auslegungen etwa) und Interaktionszusammenhängen finden. Auf der Ebene der Gesellschaft findet sich somit allein „religiöse Formendiversifikation“ (Luhmann 2000a: 348). Diese begründet indessen keinen operativen Anschlusszusammenhang. Es schließen hier nicht, wie etwa in der Kunst, Formbildungen an Formbildungen an, die je ausgehend von einem aktuellen Kunstwerk einschränken, welche weiteren Formbildungen als originelle Kunst aktualisiert werden können. Im Falle der Religion hat man es vielmehr mit auf Dauer gestellten Formenbeständen zu tun, die durch Variationen und Rekombinationen einen neuen Formenbestand aus sich entlassen können; dieser tritt dann aber nicht in operative Sukzession zu ersteren, sondern „insuliert“ sich gegen diese in einem gleichzeitigen Nebeneinander (vgl. Luhmann 2000a: 343). Es sind statische Sinngebilde, die sich über distinkte Merkmale – Dogmatiken als „Differentiale“ – voneinander abgrenzen. Es handelt sich also recht eigentlich um Semantiken, die tradiert und variiert werden. Man hat es hier folglich nicht mit einem sozialstrukturellen Anschlusszusammenhang auf Gesellschaftsebene zu tun, sondern mit ‚Kultur‘.68 Diese Beobachtung trifft sich auch 66 Vgl. hierzu auch Luhmann (1985b: 17): „The main problem of contemporary religious practice might well be the problem of transcendental communication. For structural reasons our society discourages any attempt to communicate with partners in its environments.“ 67 Vgl. zu symbiotischen Mechanismen als Körperbezüge und „real assets“ der symbolischen generalisierten Kommunikationsmedien Luhmann (1974/2005b). 68 Vgl. Luhmann (1996b) für einen etwas anderen Zugang zur „Religion als Kultur“; hier wird Kultur verstanden als „Rahmenformel für Vergleiche und als Ausgangspunkt für eine

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mit der Bemerkung Stichwehs (2001: 120f.): „In diesen Argumenten wird eine fast parsonianisch zu nennende Theorie von Religion als kulturellem System sichtbar [...], die Weltreligion als riesige Population von Komponenten denkbarer Glaubensüberzeugungen konzipiert [...].“ (Herv. M.P.) Diese kritischen Überlegungen lassen sich stärker an die Ebenendifferenzierung anlehnen. So liegen die eigentlichen operativen Zusammenhänge nicht auf der Ebene der Gesellschaft vor. Operativ aktualisiert und tradiert werden die spezifischen Formenbestände in Interaktionen und Organisationen. Die rekursiven Anschlüsse im Sinne einer Einschränkung der Möglichkeiten weiteren Kommunizierens liegen hier in der Entscheidungsverkettung der Organisation oder im Interaktionsgeschehen des Interaktionszusammenhangs, das ein eigenes Systemgedächtnis (re-)produziert. Entsprechend muss die „Diversifikationsthese“ Luhmanns von der Makroebene auf die Meso- und Mikroebene heruntergestuft werden. So war ja immerhin 1972 noch klar im Blick, dass der Impuls zu neuen Formvariationen insbesondere von Organisationen ausgeht. Ihnen obliegt es, Konsistenzprüfungen vorzunehmen und so die Grenzen zwischen den verschiedenen Dogmatiken zu betreuen; dies ist auch später noch thematisch (vgl. Luhmann 2000a: 236ff.). Durch „eine organisatorische Regelung von Streitfragen“ (ebd.: 238) werden Änderungen in die Dogmatik eingebaut (als Selbstanpassung) oder als häretisch bzw. als ‚andere‘ Religion abgewiesen. Im letzteren Falle kann die Variation dann wiederum durch Individuen (Sheila69), entsprechende Interaktionszusammenhänge (etwa kleinere Sekten) oder Organisationen (Kirchen) stabilisiert und dort gegebenenfalls selbst im Hinblick auf Änderungen anhand der Unterscheidung konsistent/inkonsistent beobachtet werden. ‚Oberhalb‘ davon findet man allerdings nur Kultur, Wissen, Tradition, aber keinen operativ geschlossenen Anschlusszusammenhang, der sich an einem funktionsspezifischen Möglichkeitshorizont abarbeiten würde. Der Vergleich zu anderen Funktionssystemen kann dies noch einmal verdeutlichen: Publizierte Forschungsergebnisse etwa schränken im Wissenschaftssystem durchgreifend ein, was noch sinnvoll geforscht werden kann. Solche operativ bedingten Einschränkungen finden sich im Falle von Religion nicht. Der christliche Gottesdienst in Genf etwa liefert keine Ausgangspunkte und entsprechende strukturelle Limitationen für christliche Kommunikation in Chicago. Stattdessen entziehen sich die religiösen Aktivitäten weitgehend der wechselseitigen Beobachtbarkeit und Einflussnahme. Gerade das erlaubt ja erst die vielfältigen lokalen Kontextualisierungen und Variationen von Religion im Allgemeinen und der christlichen Botschaft und Praxis im Besonderen, die dann nur noch organisatorisch restringiert und kontrolliert werden können. Von einem christlichen, jüdischen, buddhistischen Binnensystem (statt von einer kulturellen Tradition) kann man dann allerdings nicht ausgehen. Denn auf welcher Operation sollte dies jeweils gründen? Das Funktionssystem kollabiert in dieser Beschreibung letztlich (unreflektiert und implizit) auf die Organisations- und Interaktionsebene, wie auch schon neuartige Suche nach Erklärungen, die durch die Unterstellung latenter Motive, Interessen, Strukturen, Funktionen konstruiert werden“ (ebd.: 303). Es wird in diesem Zusammenhang erörtert, inwieweit Religion unter modernen Bedingungen zum Gegenstand einer Beobachtung zweiter Ordnung wird; vgl. zu diesem Kulturbegriff auch Luhmann (1995c). 69 Vgl. hierzu Bellah (1985) für den Fall von Sheila, die ihre individuelle Zusammenstellung religiöser Formen als „sheilaism“ bezeichnete.

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1972, als dies bewusst mit einer „Funktionsdefizienz“ in Zusammenhang gebracht worden war. Entsprechend kann auch das Manöver nicht überzeugen, die Systematizität der religiösen Sphäre zu begründen, indem man die verschiedenen Religionen als die Binnendifferenzierung eines Gesamtsystems qualifiziert. Doch nicht allein der Mangel eines operativen ‚Sattels‘ auf der Gesellschaftsebene lassen hier zweifeln. Die Religionen lassen schon die für segmentäre Differenzierung typische Gleichheit der Teilsysteme vermissen. Dies wird gerade im Vergleich mit der Politik deutlich, deren Binnendifferenzierung in Staaten Luhmann (2000a: 272) mit der Binnendifferenzierung der Religion in Religionen parallelisiert. Im ersten Fall drängen sich die von Seiten des Neo-Institutionalismus beschriebenen „Isomorphien“ der Staaten nicht allein dem externen Beobachter auf. Sie werden gerade auch innerhalb des Systems normativ durchgesetzt, indem Anerkennung dort entzogen wird, wo die Abweichungen von legitimen Staatsmodellen zu dramatisch sind. Hartmann Tyrell (2005a: 44) konstatiert hier nicht nur Segmentierung ‚an sich‘, sondern auch Segmentierung ‚für sich‘. Anders im Falle der Religion: „Segmentierung in diesem Doppelsinne findet sich nun auf dem weltreligiösen Feld ersichtlich nicht. Schon mit der Segmentierung ‚an sich‘ tut sich der Beobachter schwer; dieses umfaßt ja partikulare Lokalkulte so gut wie Weltreligionen und nimmt sie gleichermaßen als ‚Religionen‘. Erst recht liegt hier die Segmentierung ‚für sich‘ fern. Denn die eine Religion bedarf, um Religion zu sein, die Akzeptanz bei den anderen gerade nicht. Sehr pauschal gesprochen: das religiöse Feld sieht ‚feindliche Konstellationen‘ (im Gefolge von Schismen etwa) und Konkurrenzen so gut wie gänzliches Desinteresse und Ignoranz vor, sozial affirmative Verhältnisse dagegen in auffällig geringem Maße.“ (Tyrell 2005a: 44)

Mit anderen Worten: Die von Luhmann selbst zelebrierte Vielfalt des Religiösen ebenso wie die Beschreibung ihrer Tendenz zur selbstgenügsamen und unirritierbaren „Insulierung“ sprechen ganz und gar gegen den Gedanken eines ‚milieu interne‘ eines Gesamtsystems, innerhalb dessen wechselseitige Beobachtungen der Binnensysteme die Freiheitsgrade des Möglichen integrativ einschränken.70 Auch wenn man, wie Luhmann (2000a: 273), in der heterogenen Vielfalt eine Funktion der evolutionären „Restabilisierung“ des Gesamtsystems sehen will; eine gewisse Einschränkung von Beliebigkeit wird man zugestehen müssen, um den Begriff des Systems plausibel einsetzen zu können. Hier wären wiederum Selbstbeschreibungen der Religion vonnöten, die verbindliche Modelle des Religiösen umfassen und in einem Beobachtungs- und Kommunikationszusammenhang validieren. Wie gesehen, offeriert Luhmann an dieser Stelle die Codierung transzendent/immanent. Doch über welche Mechanismen würde das von Luhmann vorgeführte Religionssystem verfügen, eine Gruppierung, die auf diese Leitcodierung verzichtet und sich dennoch als ‚Religion‘ beschreibt, aus dem Religionssystem auszuschließen?71 Welche Anschlüs70 Vgl. zum an Claude Bernard anschließenden Gedanken des „milieu interne“ Stichweh (1984: 39ff.; 2007); Luhmann (2005: 238f.). 71 Man denke hier nur an den Fall Scientology; vgl. hierzu Kent (1999) und Tacke (2001). Zuordnungsprobleme werden dann auch, wenn überhaupt, im Rechtssystem, und nicht innerhalb eines religiösen Gesamtsystems geklärt. Bemerkenswert ist dabei, dass die Recht-

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se könnte es ihr entziehen? Und: Welchen Unterschied würde dies für das hier zur Darstellung gebrachte ‚System‘ eigentlich machen? Man sieht: Trotz allen Differenzierungsoptimismus hat man es hier mit einem weiteren Fall einer Depotenzierungsperspektive zu tun, die von einem abgeschobenen und zusammenhangslosen Nebeneinander ‚religioder‘ Formen ausgeht. Das Religionssystem erscheint hier als eine Landschaft von organisatorischen und suborganisatorischen Strukturen, die in keinem integrierten Verhältnis stehen.

5. F AZIT : D IE DIFFERENZIERUNGSTHEORETISCHE S CHIEFLAGE IM RELIGIONSSOZIOLOGISCHEN W ERK L UHMANNS Wie kommt es also, dass Luhmann einerseits so emphatisch für Religion als Funktionssystem votiert, und dies andererseits bei genauerem Hinsehen differenzierungstheoretisch kaum eingeholt wird? Der Grund dafür ist meiner Auffassung nach darin zu sehen, dass Luhmann seine ursprünglichen theoretischen Perspektiven auf den Gegenstand der Religion nicht generalüberholt hat. Gerade dies wäre aber nötig gewesen, wenn man Religion, wie hier, auf Augenhöhe mit den anderen Funktionssystemen heben will. Stattdessen bleibt es unter der Oberfläche bei den Strukturdiagnosen, die dem Fall des europäischen Christentums abgewonnen waren. Allein eine perennierende Vitalität und neu in den Blick kommende Vielfalt der Religion trägt dann die Beweislast für den Status als Funktionssystem. Das Versäumnis einer durchgreifenden Re-evaluation lässt sich auch daran ersehen, dass das Fehlen von ‚gesamtreligiösen‘ Selbstbeschreibungen ebenso wie das Fehlen von spezifischen Elementarereignissen aus den früheren Überlegungen Luhmanns leicht abzuleiten ist. So hat sich dem Aufsatz von 1989 entnehmen lassen, dass sich das religiöse System als Ganzes gar nicht Rechnung zu tragen braucht, weil es seine Ausdifferenzierung im europäischen Fall nicht selbst zu verantworten hat. Es sind die Selbstbeschreibungen anderer Systeme, die Religion auf Abstand halten und ins Residualreich des Privaten verbannen. Religiöse Pluralität ist dabei nicht etwa ein Prinzip der Selbstorganisation von Religion, sondern externer Zwang, der durch die rechtliche, nicht religiöse Institution der Religionsfreiheit abgesichert ist. Und: „Religiöse Toleranz wird ein Gebot der weltlichen Moral“ (Luhmann 1972: 255, Anm. 28; Herv. i.O.). Gerade auf diese Tatsache, die gegen einen eigendynamischen Systemzusammenhang

sprechung in Deutschland in ihrer Entscheidung diesbezüglich gerade nicht auf Transzendenzbezüge hin beobachtet hat. Stattdessen wurde geprüft, ob es sich bei Scientology nicht in erster Linie um wirtschaftliche Aktivitäten handelt, und damit schließlich die Ablehnung begründet (vgl. Tacke 2001: 156f.). Damit ist wiederum der passive Residualcharakter des Religiösen angezeigt. Der Bereich der Religion wird hier von außen begrenzt, indem in der externen Beobachtung die Selbstbeschreibungen der anderen, weltlichen Funktionsbereiche, hier der Wirtschaft, herangezogen werden. Religion wird dabei zum Negativum, es darf alles Beliebige sein, solange es nicht etwas anderes ist.

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spricht, führt Luhmann (1989c: 327) die moderne Vielfalt von Religion in der früheren Studie zurück: „Da die Ausdifferenzierung der Religion jetzt nicht mehr Eigenleistung ist, sondern gesellschaftlich erzwungen wird, bewähren sich auch in der religiösen Semantik völlig andere Formen. Deflationäre und inflationäre, fundamentalistische und sozial-aktivistische Angebote werden nebeneinander ausprobiert und der Inklusionserfolg scheint dann über die Haltbarkeit einer religiösen Semantik zu entscheiden.“

Religiöse Vielfalt wird in dieser Beschreibung gerade dadurch möglich, dass Religion nicht selbst System zu sein hat, sondern infolge externer Ausgrenzung an Ort und Stelle gehalten wird. Auch das fehlende Angebot an operativen Elementareinheiten lässt sich aus früheren Studien ableiten. So war eine „Funktionsdefizienz“ bei Luhmann (1972: 254f.) darauf zurückgeführt worden, dass Kontingenz auf der Ebene der Gesamtgesellschaft kaum noch in einer Form interpretiert werden kann, die sie für gesellschaftliches Erleben und Handeln motivfähig macht. Fundamentale Sinnprobleme, für die die Religion zuständig ist, fallen so nur noch selten an und der Betrieb verlagert sich zunehmend auf religiös unprofilierte Sozialleistungen. Es fehlt demzufolge ein Problembezug, an dem die Religion sich kontinuierlich abarbeiten könnte und der die Grundlage für eine funktionsspezifische Operativität liefern könnte. Dogmatische Kontroversen und aufeinander Bezug nehmende Interpretationsleistungen, etwa in ‚der Beobachtung des Beobachters Gott‘ (vgl. hierzu Luhmann 2000a: 147ff.), finden sich ausgelagert in den Bereich der Theologie, wo sie kaum über den Kreis der Beteiligten hinaus Interesse zu wecken vermögen (vgl. Luhmann 1977a: 142). Im Rahmen von geistlicher Kommunikation in Gottesdiensten u.ä. haben solche Deutungsangebote eher einen ad-hoc-Charakter und begründen entsprechend keine Autopoiesis von aneinander anschließenden, sich wechselseitig einschränkenden Interpretationen, die eine gesellschaftliche Operationsebene oberhalb von Interaktions- und Organisationszusammenhängen einzurichten vermag. Um eine differenzierungstheoretische Neubewertung der Religion vorzunehmen, hätte man also die ursprünglichen Strukturdiagnosen vollständig zu überdenken. Luhmann bleibt stattdessen implizit dem europäischen Kontext und den ihm abgewonnenen Defizitbefunden verhaftet. In der theoretischen Betrachtung des Religiösen übertrifft er dabei kaum die Reihe von Ansätzen, die sich in differenzierungstheoretischer Hinsicht weitgehend mit der Beschreibung einer fremdgesetzten Abschiebung der Religion ins Private, Zusammenhangslose und Individuell-Beliebige begnügen. Die positive Einschätzung einer differenzierungsbezogenen Homologie von Religion gründet so bei Luhmann nahezu ausschließlich in den farbenfrohen Illustrationen religiöser Diversität und Vitalität. Will man auf differenzierungsbezogene Strukturanalogien hinaus, läge es allerdings nahe, nicht vom europäischen Fall, sondern vom amerikanischen Fall auszugehen. Wie schon der Theorienüberblick in Kapitel II zeigt, kommt man hier in der differenzierungstheoretischen Beobachtung von Religion leicht zu anderen Diagnosen. Hierauf gilt es in der folgenden Zwischenbetrachtung noch einmal etwas ausführlicher einzugehen.

IV. Zwischenbetrachtung: Europäische ‚Depotenzierung‘ und amerikanische Eigendynamik?

Bereits im Fazit des zweiten Kapitels (II) wurde auf den auffälligen Unterschied in den differenzierungsbezogenen Folgerungen zwischen den Theorien hingewiesen, die vornehmlich die religiöse Situation Europas im Auge haben, und denen, die sich am amerikanischen Fall orientieren. Während erstere weitgehend einem ‚Depotenzierungs- und Abschiebungsnarrativ‘ folgen, bekommen die letzteren Eigendynamiken und Selbstbezüglichkeiten zu fassen, die auf eine autonom getragene und religiös affirmierte Ausdifferenzierung eines pluralistischen Bereichs der Religion hindeuten. Mit dem differenzierungstheoretischen Untersuchungsbesteck der Systemtheorie ausgerüstet, sollen nun einige knappe historische Betrachtungen ausloten, inwiefern und warum man in diesem amerikanischen Kontext eher auf Formen ‚gesamtreligiöser‘ Selbstreferenz und eine entsprechende Operativität stoßen mag. Zugleich ist hier auch hinsichtlich der Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft, für die Luhmann in religiösen Dingen eine weitreichende Desintegration festgestellt hatte, noch einmal neu anzusetzen. Beobachtungen religiöser Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und Europa finden sich bereits in Alexis de Tocquevilles Werk „De la démocratie en Amérique“, das auf Eindrücken aus den Jahren 1831 und 1832 beruht. Die amerikanische Religiosität verblüffte Tocqueville nicht zuletzt vor dem Hintergrund der französischen Situation.1 Dabei waren es nicht allein der ungebrochene Einfluss des christlichen Glaubens und der damit verbundene religiöse Eifer, die Tocqueville (1835/2002: 348ff., 352ff.) faszinierten; die Überraschung galt auch der ‚Organisationsebene‘ und der sich hier präsentierenden „unzählbaren“ Menge an verschiedenen Sekten. Die religiösen Eigenheiten der amerikanischen Situation sind auch bei Max Weber (1920/1988: 207ff.) in seinem Aufsatz „Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus“ (erstmals 1906) zur Sprache gekommen. Der Unterschied zu 1

Vgl. Tocqueville (1835/2002: 358): „Upon my arrival in the United States the religious aspect of the country was the first thing that struck my attention; and the longer I stayed there, the more I perceived the great political consequences resulting from this new state of things. In France I had almost always seen the spirit of religion and the spirit of freedom marching in opposite directions. But in America I found they were intimately united and that they reigned in common over the same country.“

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Europa fällt auch Weber (ebd.: 208) gerade auf der ‚mesosozialen‘ Ebene ins Auge, wenn er die „intensive Kirchlichkeit“ trotz der abgabebedingten „ungleich höhere[n] Lasten“ der Kirchenzugehörigkeit kommentiert.2 Heutige Betrachter der religiösen Unterschiede zwischen den USA und Europa plädieren zunehmend dafür, umgekehrt in der europäischen, ‚säkularisierten‘ Situation die Ausnahme zu sehen (vgl. hierzu Berger et al. 2008; Davie 2002); dies geschieht gerade vor dem Hintergrund des Diskurses einer „worldwide resurgence“ von Religion, auf den im nächsten Kapitel noch etwas näher einzugehen sein wird. Zu den Faktoren, die gemeinhin für die Unterschiede zwischen Europa und den USA verantwortlich gemacht werden, zählen in der Hauptsache das historische Staatskirchentum Europas sowie das weitreichende Fehlen religionskritischer bzw. anti-klerikaler Elemente in der amerikanischen Strömung der ‚Aufklärung‘.3 So hat das Staatskirchentum zum einen zur Folge, dass das religiöse Schicksal sich an das der politischen Kräfte haftet und Gefahr läuft, mit ihnen zu stehen und zu fallen; das hatte schon Tocqueville erkannt und unmittelbar auf den amerikanisch-europäischen Vergleich bezogen.4 Zum anderen impliziert das Bemühen, politisch Einfluss zu behalten, eine folgenreiche entdifferenzierende Haltung. Eine funktionale Differenzierung muss dann letztlich gegen den Widerstand der Religion durchgesetzt werden; dies ist die typische Situation in den europäischen Staaten gewesen. Hier konnte auch die Formel des Augsburger Religionsfriedens, „cuius regio, eius religio“, keine dauerhafte Lösung sein, da sich andere Funktionsbereiche angesichts ihrer Eigenlogiken weder auf Konfessionen noch Regionen hin ‚versäulen‘ lassen (vgl. auch Berger/Luckmann 1995: 34ff.). Entsprechend fehlen in diesem Kontext, wie auch Luhmanns Erörterungen darlegen, autonom entwickelte Einrichtungen, die die strukturelle Ausdifferenzierung eines pluralistischen Religionsbereichs tragen. Die Tatsache 2

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Zu weiteren frühen Kommentatoren, die sich in ähnlicher Weise beeindruckt von der religiösen Vielfalt und Aktivität in den USA zeigten, gehörten auch der Schweizer Philip Schaff (1858), der seine Eindrücke in Deutschland 1854 im Rahmen einer Vorlesung über Politik, Gesellschaft und Religion in Amerika schilderte, sowie der Engländer Robert Baird, der eine Dekade zuvor in „Religion in America“ (1844) entsprechende Beobachtungen aufstellte (vgl. Finke/Stark 2005: 6; Penzel 1987). Vgl. hierzu und zum Folgenden Casanova (1994: 29ff.). Berger et al. (2008: 15) nennen als weitere Faktoren mitunter den geringeren Einfluss einer intellektuellen Elite in den USA, die Rolle, die spezifische Kirchenzugehörigkeiten in der Repräsentanz des sozioökonomischen Status spielen, sowie die immigrationsbezogenen Funktionen, die religiöse Gruppen gerade auch historisch innerhalb der amerikanischen Einwanderergesellschaft gespielt haben; vgl. hierzu auch Martin (1978), der eine Vielzahl Variablen im Säkularisierungsprozess identifiziert und dabei insbesondere auch den amerikanisch-europäischen Vergleich im Blick hat. Vgl. Tocqueville (1835/2002: 361): „But when religion clings to the interests of the world, it becomes almost as fragile a thing as the powers of earth. It is the only one of them all which can hope for immortality; but if it be connected with their ephemeral power, it shares their fortunes and may fall with those transient passions which alone supported them. The alliance which religion contracts with political powers must needs be onerous to itself, since it does not require their assistance to live, and by giving them its assistance it may be exposed to decay.“

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schließlich, dass sich in den USA die antiklerikalen, religionskritischen Strömungen der französischen Aufklärung nicht in gleicher Weise entfaltet haben, ist ebenfalls unmittelbar eine Folge des fehlenden Staatskirchentums. Diese Strömungen waren in Europa insbesondere dort ausgeprägt, wo etablierte Kirchen auch einer Differenzierung von Religion, Wissenschaft und Erziehung im Wege standen. Indem sie hier ihren Einfluss nicht aufgeben wollten, verliehen sie ideologiekritischen Theorien in der Form von ‚Priestertrugslehren‘ Plausibilität. Solche Faktoren mögen einen Erklärungsbeitrag dafür liefern, dass die Religion in der amerikanischen Gesellschaft ihre zentrale Stellung beibehalten hat. Um indessen das in differenzierungstheoretischer Hinsicht einzigartige „Muster religiöser Organisation in den Vereinigten Staaten“ (vgl. Parsons 1960a) in seiner Entwicklung nachvollziehen zu können, reichen solche Erklärungen nicht aus. Hierzu gilt es die amerikanischen Bedingungen stärker hinsichtlich der Entwicklung einer besonderen institutionellen Logik in Augenschein zu nehmen. Zu den klassischen Autoren in dieser Frage zählt Sidney E. Mead, an dessen Studie „The Lively Experiment“ (dt. „Das Christentum in Nordamerika“, 1987) sich die folgende Betrachtung hält.5 Übersehen werden darf dabei nicht, dass es in den Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent zum Teil durchaus „Staatskirchen“ wie auch entsprechende Versuche gab, Andersgläubige zu unterdrücken bzw. zu einem konformen Glauben zu zwingen. Wie Mead (1963/1987: 34) herausstellt, waren solche Versuche durch die einzigartigen Siedlungsbedingungen Nordamerikas allerdings zum Scheitern verurteilt. Der scheinbar grenzenlose Raum bot religiösen Abweichlern stets die Gelegenheit, weiter zu ziehen und in ausreichender Entfernung ihrem Glauben unbehelligt nachzugehen – und darin anderen gar noch zum Vorbild zu werden. Das Prinzip des – politisch durchgesetzten – Zwangs konnte unter diesen Bedingungen kaum die Kirchenteilnahme garantieren. Mit den Erweckungsbewegungen, die sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in den Kolonien entfalteten, setzten sich entsprechend andere Methoden der Gewinnung von Anhängern durch, die bis heute die religiöse Landschaft in den USA ‚dynamisieren‘: Es sind solche, die auf die reine Kraft der Überzeugung setzen.6 Wo Zwangsmittel fehlten, blieb auch den europäischen Traditionskirchen in den Kolonien keine andere Wahl, als mit den „Sekten“ nach deren Regeln zu konkurrieren und sich auf die bloße Wirkung der Persuasion zu verlassen (vgl. Mead 1963/1987: 114). Dieses Werben um die Zustimmung des Einzelnen verlieh zum einen der Mission durch „Evangelisation“ ihren ausgezeichneten Stellenwert. Zum anderen bildete nun weniger die Konformität mit einer historischen Tradition, sondern der freiwillige Zusammenschluss auf der Basis eines Privaturteils das entscheidende Prinzip der religiösen Verbindung; hier macht sich ein pietistischer Einfluss in dem Akzent auf die persönliche Glaubenserfahrung bemerkbar (vgl. Mead 1963/1987: 113ff.). Auf diesem „voluntary principle“ gründet auch die weitgehende Geschichtsvergessenheit angesichts der kirchenhistorischen Entwicklungen des nun weit entfernten Europas, die ebenfalls als eigentümlich für den amerikanischen De5 6

Vgl. hierzu ferner die mittlerweile klassische Studie von Ahlstrom (1972), der allerdings in Bezug auf den denominationalen Pluralismus wenig liefert, sowie Sweet (1930/1950). Siehe hierzu Meads entsprechend pointierten Aufsatz „From Coercion to Persuasion. Another Look at the Rise of Religious Liberty and the Emergence of Denominationalism“ (1956a), in leicht veränderter Fassung neu abgedruckt in Mead (1963/1987).

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nominationalismus gelten darf. Die freimütigen Neugründungen von christlichen Religionsgemeinschaften bestücken das religiöse Feld von Organisation in den USA entsprechend reich und lassen die Unterscheidung zwischen Kirchen und Sekten letztlich obsolet werden. Die religiöse Glaubensfreiheit wurde so schließlich von allen religiösen Gruppen gemeinsam getragen; dies allerdings größtenteils aus der Not heraus. Denn am Ende des 18. Jahrhunderts hatte keine religiöse Vereinigung eine ausreichende Anhängerschaft, die sie als Staatskirche in Frage hätte kommen lassen. Die Religionsfreiheit wurde so gerade auch deshalb für andere verteidigt, weil jeder Angriff auf das Recht anderer ebenso die eigenen Freiheiten bedrohen musste. Auch dies war Alexis de Tocqueville bereits deutlich vor Augen. So schreibt er in Bezug auf die Unterstützung egalitärer Prinzipien durch den Katholizismus in den USA: „If, then, the Catholic citizens of the United States are not forcibly led by the nature of their tenets to adopt democratic and republican principles, at least they are not necessarily opposed to them; and their social position, as well as their limited number, obliges them to adopt these opinions. [...] They constitute a minority, and all rights must be respected in order to ensure to them the free exercise of their own privileges. These [...] causes induce them, even unconsciously, to adopt political doctrines which they would perhaps support with less zeal if they were [...] preponderant.“ (Tocqueville 1835/2002: 350)

Wie Seymour Martin Lipset (1979/2003: 168) in diesem Zusammenhang feststellt, lässt sich ebendieses Argument auf alle Denominationen verlängern: Keine unter ihnen ist von einer Größe, die ihr den Status einer religiösen Mehrheit sichert. Die Affirmation der Glaubensfreiheit und damit des religiösen Pluralismus auch von religiöser Seite diente somit nicht zuletzt dem eigenen Interesse und der Garantie des eigenen Fortbestands. Anders als in Europa ist die religiöse Ausdifferenzierung hier folglich eine, die von religiöser Seite mitvollzogen und von ‚innen‘ abgesichert wird. Dabei finden sich durchaus theologische Positionen und religiöse Gruppen, die diesen Pluralismus auch rein religiös begründen.7 In der Hauptsache allerdings kommt die ‚philosophische‘ Legitimation von politischer Seite. Die amerikanischen Gründerväter folgten Erwägungen der Staatsräson, als sie auf nationaler Ebene instituierten, was sich in einigen Kolonien gerade im Hinblick auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung bewährt hatte;8 dabei dürfte nicht zuletzt auch der rationalistische Gedanke von 7

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So etwa beim puritanischen Prediger Roger Williams (c. 1603-1683), auf den Jellinek (1895) in weiten Teilen seine These vom religiösen Ursprung der Menschenrechte stützt; siehe dazu auch Troeltsch (1912: 760f.), der in Bezug auf Jellinek hier auch auf den Beitrag der Baptisten und Quäker aufmerksam macht; vgl. in diesem Zusammenhang auch Joas (2003: 260ff.). So schreibt Thomas Jefferson ([1781/1782]/1984: 287) mit Blick auf New York und Pennsylvania: „Religion is well supported; of various kinds, indeed, but all good enough; all sufficient to preserve peace and order: or if a sect arises, whose tenets would subvert morals, good sense has fair play, and reasons and laughs it out of doors, without suffering the state to be troubled with it. They do not hang more malefactors than we do. They [d.h. Pennsylvania und New York] are not more disturbed with religious dissensions. On the

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‚natürlicher Religion‘ eine Rolle gespielt haben, der von einem wahren Kern aller Religionen ausgeht, welcher durch die vernunftbasierte Erkenntnis des göttlichen Wesens garantiert ist (vgl. auch Mead 1963/1987: 83).9 So wird die Religionsfreiheit schließlich 1787 in Artikel 6 sowie 1791 im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung festgeschrieben.10 Die Tatsache, dass die entscheidenden Begründungen eher von politischer Seite geliefert wurden, bedeutete zugleich: Auf religiöser Seite war das Zugeständnis von Glaubensfreiheit an andere und die Toleranz ihrer Existenz nicht ohne weiteres gleichbedeutend mit der Anerkennung und Toleranz der jeweils anderen doktrinären Positionen. Vielmehr wurzelt die typisch amerikanische Konkurrenzdynamik gerade darin, dass hier die Anerkennung der anderen als Denomination mit der exklusivistischen Annahme eines eigenen Wahrheitsprivilegs zusammengehen kann. So schreibt auch Hall (1997: 121) hinsichtlich der amerikanischen Trennung von Staat und Kirche: „On the whole the Protestant churches accepted the distinction, seeing it not as a disadvantage but as enabling each of them to evangelize at will.“ Dabei gab es schon früh ein breites Feld, auf dem diese Konkurrenz sich ausleben konnte; immerhin gehörten Ende des 18. Jahrhunderts 90 Prozent der amerikanischen Bevölkerung keiner festen Gemeinde an (vgl. Mead 1963/1987: 135). In den Jahren zwischen 1776 und 1850 ereignete sich so auf dem amerikanischen Kontinent ein einzigartiger Prozess der ‚Seelenernte‘. Befeuert durch das „Second Great Awakening“ wurde hier die junge Nation gerade auch gen Westen in die verschiedenen religiösen Organisationen inkludiert (vgl. Butler 1990; Mathews 1969).11 Insbesondere die Baptisten und Methodisten konnten hier nachhaltige Erfolge erzielen. Finke und Stark (2005: 55; siehe auch 1989), die zentralen Vertreter des oben bereits diskutierten Rational-Choice-Ansatzes (Kap. II.4.3), haben dieser Periode des „Churching of America“ eine eigene Monographie gewidmet; sie sehen an diesem Vorgang ihre ökonomischen Thesen bestätigt, die sie dann allerdings im Gewand universalisierbarer Gesetze daherkommen lassen. In dem Wettstreit um Anhänger spielt dabei von Anbeginn eine Dynamik der wechselseitigen Beobachtung eine zentrale Rolle. Dabei gerät die eigentliche Evangelisationsabsicht nicht selten gegenüber dem kompetitiven Vergleich ins Hintertreffen, wie ein von Mead (1963/1987: 137) zitierter Ausspruch eines baptistischen Erweckungspredigers pointiert zum Ausdruck bringt: „Wir gewannen in der vergangenen Nacht nur zwei Seelen, aber gottseidank gewannen die

contrary, their harmony is unparalleled, and can be ascribed to nothing but their unbounded tolerance, because there is no other circumstance in which they differ from every nation on earth. They have made the happy discovery, that the way to silence religious disputes, is to take no notice of them. Let us too give this experiment fair play, and get rid, while we may, of those tyrannical laws.“ 9 Von dem Punkt der natürlichen Religion wird im historischen Exkurs noch ausführlicher die Rede sein (Kap. VII.1). 10 Die entscheidenden Passagen in den Artikeln sind „no religious test shall ever be required as a qualification to any office or public trust under the United States“ (Art. 6); sowie „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof“ (1. Zusatzartikel). 11 Zum „Second Great Awakening” siehe insbesondere McLoughlin (1978: 98ff.).

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Methodisten von der anderen Straßenseite gar keine!“12 Auch darüber hinaus traten religiöse Aktivitäten und Predigtthemen ohne Konversionsbezug zunehmend hinter den Bekehrungseifer zurück: „[W]hen pietistic sentiments and revivalistic techniques swept to the crest of evangelicalism in America, the conversion of souls tended to crowd out other aspects of the minister's work.“ (Mead 1956b: 244)13 Konkurrenz steht somit von Anbeginn im Zentrum des freikirchlichen Systems, wie Mead (1963/ 1987: 137) mit Bezug auf Talcott Parsons konstatiert, der auch hier ausführlicher in dieser Sache zu Wort kommen soll: „[I]t is [...] true that there exists a struggle for power among religious denominations. Precisely because of the sincerity of their religious convictions the members of each denomination naturally seek to extend its influence, and much extension of the influence of any one must be at the expense of some others. The system of denominational pluralism in this respect is necessarily delicately balanced.“ (Parsons 1952: 39; Herv. i.O.)

Der genuin religiöse Charakter dieser Konkurrenzdynamik bleibt dabei insofern gewahrt, als ihr widerstreitende Ansprüche auf ‚religiöse Wahrheit‘ zugrunde liegen und den Wettbewerb mit entsprechenden semantischen Bezügen ausstatten.14 Die religiösen Gemeinsamkeiten, die insbesondere die vielen protestantischen Gruppen miteinander teilen, haben dabei freilich zur Folge, dass immer wieder auch Formen der Kooperationen und interdenominationale Organisationsbildungen aufkommen; nicht zuletzt im Rahmen des „Second Great Awakening“ entstanden mit der interdenominationalen „voluntary association“ in diesem Zusammenhang neue Organisationstypen (Ahlstrom 1972: 422ff.; Mathews 1969); auch Wuthnow (1988: 100ff.) sieht in interdenominationalen „special purpose groups“ eine tief verwurzelte amerikanische Tradition. Die interdenominationale Zusammenarbeit betrifft dabei gerade auch die globale Mission, deren Initialzündung ebenfalls in den Erweckungsbewegungen liegt; dies zeigt etwa das 1810 gegründete American Board of Commissioners for Foreign Missions, dem ursprünglich die Kongregationalisten, die niederländisch-reformierte Kirche und die Presbyterianer angehörten (vgl. Warneck 1882/1913: 120ff.). Das steht kaum im Widerspruch zur grundsätzlich kompetitiven Struktur der religiösen Sphäre. Die Tatsache, dass es sich bei dem Verhältnis der christlichen Denominationen eher um einen „Familienstreit“ handelt, bedeutete schon 12 Vgl. hierzu wiederum Bacon (1900): „[T]he fear that the work of the gospel might not be done seemed a less effective incitement to activity than the fear that it might be done by others.“ Dieses Zitat auch bei Mead (1963/1987: 135). 13 Wie noch deutlich wird, ist diese – gerade für die frühe Periode des ‚revivalism‘ charakteristische – ‚Zweckverschiebung‘ auch ein wesentliches Merkmal des pfingstlich-evangelikalen Christentums, das sich bis heute den Geist einer solchen ‚Erweckungsbewegung‘ zu bewahren sucht. 14 So konnten, wie Mead (1963/1987: 134ff.) mit Bezug auf den Kirchenhistoriker Leonard W. Bacon (1900) konstatiert, die christlichen Denominationen die faktische Konkurrenzsituation nicht zuletzt deshalb affirmieren, weil „[t]he presumption is of course implied, if not asserted in the existence of any Christian sect that it is holding the absolute right and truth, or at least more nearly that than other sects; and the inference, to a religious mind, is that the right and true must, in the long run, prevail“ (Bacon 1900: 404; Herv. M.P.).

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für die Gründerjahre der Republik, „daß sich stets wandelnde Formen von Feindschaft und Wettstreit herausbildeten und aus dem gleichen Grunde stets wechselnde Formen von Allianzen und Zusammenarbeit“ (Mead 1963/1987: 135).15 Indes darf in Bezug auf die USA nicht übersehen werden, dass trotz eines rechtlich abgesicherten denominationalen Pluralismus insbesondere im ersten Jahrhundert nach der Staatsgründung eine nahezu ungebrochene protestantische Dominanz bestand.16 William Hutchison (2003) hat in einer jüngeren Studie ein differenziertes, wenig beschönigendes Bild der Geschichte des religiösen Pluralismus in den USA gezeichnet und dabei auch darauf aufmerksam gemacht, dass gesellschaftliche Toleranz und Anerkennung anfangs faktisch nicht allen religiösen Gruppen gleichermaßen beschieden war (und wohl auch heute noch nicht ist). So sahen sich Katholiken und allen voran die Mormonen im 19. Jahrhundert mitunter drastischen Anfeindungen ausgesetzt (vgl. Hutchison 2003: 47ff.). Auch rechtlich wurden vor allem hinsichtlich der Polygamie-Praktiken der Mormonen in einigen Regelungen des Verfassungsgerichts deutliche Einschränkungen der Religionsfreiheit beschlossen (vgl. hierzu Lee 2002: 65ff.). Hier bildete in vielerlei Hinsicht das 1893 in Chicago veranstaltete World Parliament of Religions eine Zäsur, die nicht nur mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung der asiatischen Religion verbunden war; die Besetzung des ‚Parlaments‘ gab auch Zeugnis von einer Aufwertung der jüdischen und katholischen Religionsanhänger (vgl. Hutchison 2003: 135).17 Fundamentalistische Gruppen in den Vereinigten Staaten legen indessen seit dem späten 19. Jahrhundert eine Haltung an den Tag, die auf der Grundlage von als wesentlich erachteten Doktrinen für die Aberkennung selbst noch christlicher Denominationen plädiert (vgl. Hutchison 2003: 148ff.).18 Ferner gewinnt seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine Semantik des „judeo-christianism“ Oberhand, die nicht allein auf religiöse Erblinien abstellt, sondern die synchronen Gemeinsamkeiten in den Glaubenssätzen hervorhebt und so einen religiösen ‚mainstream‘ der USA zu repräsentieren beansprucht (vgl. Hutchison 2003: 196ff.; in diesem Zusammenhang klassisch Herberg 1955). Insbesondere seit den Ereignissen des 11. Septembers 2001 wird diese Semantik von Seiten der religiösen Rechten auch gegen den Islam in den USA in Stellung gebracht.19 Trotz der Kontroversen und Delegitimationen, die im denominationalen Pluralismus auch ihren Raum haben, gilt es den bemerkenswerten Charakter eines horizontalen Feldes religiöser Organisationen hervorzuheben, der nicht zuletzt deshalb beeindruckt, weil sich auch nicht-christliche Religionen als Denominationen in dieses Feld einfügen. Hierzu zählen gerade auch die muslimischen Gemeinschaften (vgl. 15 Diese Dynamik von Konkurrenz und Kooperation lässt sich auch auf dem Gebiet der pfingstlich-evangelikalen Weltmission beobachten. 16 Vgl. hierzu auch Toqueville (1835/2002: 515): „In the United States, Christian sects are infinitely diversified and perpetually modified; but Christianity itself is an established and irresistible fact, which no one undertakes either to attack or to defend.“ 17 Vgl. zum World Parliament of Religions auch Lüddeckens (2002); Seager (1995). 18 Vgl. zu Integrationsproblemen des protestantischen Fundamentalismus im denominationalen Pluralismus auch Parsons (1960a: 314; 1967a: 415). 19 Vgl. Wuthnow (2005) für eine aktuelle empirische Studie zur religionsbezogenen Toleranz in den USA.

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Poston 1992); dies ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil der Islam, ebenso wie nicht-christliche Religionen allgemein, im Vergleich zum Christentum eher wenig Affinitäten zur Organisationsebene aufweist; darauf wird im letzten Kapitel (X) dieser Arbeit noch einmal zurückzukommen sein. Damit fallen von der Warte der differenzierungstheoretischen Perspektive Luhmanns deutlich mehr ‚Homologien‘ zu anderen Funktionssystemen ins Auge, als dies für den europäischen Kontext der Fall war. ‚Gesamtreligiöse‘ Selbstreferenzen liegen hier einerseits in dem Sinne vor, dass von religiöser Seite die Religionsfreiheit gewöhnlich für alle Denominationen verteidigt wird, da stets die eigene Autonomie mit auf dem Spiel steht. Damit geht unweigerlich eine ‚allgemeine‘, weitgehend ‚einzelreligionsunspezifische‘ Semantik religiöser Denominationen einher, die etwa auf den freiwilligen Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft im Glauben abstellt. Ferner findet sich in der institutionalisierten Konkurrenzlogik eine spezifisch (inter-) religiöse Eigendynamik, die das Feld auch in operativer Hinsicht begrenzt. Die Eigengesetzlichkeit, deren historische Entwicklung hier nachgezeichnet wurde, liegt in der kompetitiv orientierten Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Teilnahme an einer exklusiven Glaubensgemeinschaft. An dieser Stelle lässt sich eine spezifische operative Einheit ausmachen, die das interreligiöse Geschehen und damit das Feld als Ganzes interpunktiert: der religiöse Organisationsbeitritt bzw. die ‚Konversion‘, die inter- und damit überorganisationell beobachtet wird und weiteres missions- bzw. persuasionsorientiertes Handeln strukturiert. Mit der zentralen Rolle der religiösen Organisation deutet sich zugleich an, dass auch in Bezug auf die Ebenendifferenzierung das pessimistische Urteil Luhmanns (1972) kontextualisiert werden muss. So stehen in den USA nicht allein die religiöse Organisation und die gesellschaftliche Teilsystemlogik in einem integrierten Bezug; mit dem amerikanischen Akzent auf Konversion geht zugleich eine organisatorische „Inbeschlagnahme“ der Interaktionsebene für Missionszwecke einher. Die calvinistische Doktrin, nach der nur einige wenige zur Erlösung vorbestimmt seien und auf eine ‚Konversion‘ und Heiligung durch den Heiligen Geist letztlich kein Einfluss zu nehmen sei, wurde in der Phase des „Second Awakening“ zunehmend durch Lehren abgelöst, die die Möglichkeit menschlichen Zutuns und die Rolle des freien Willens in der Erlösung betonen. Neben dem Methodismus tat sich in dieser Sache insbesondere die „New Haven Theology“ hervor, die durch Figuren wie Nathaniel W. Taylor (1786-1858) und Lyman Beecher (1775-1863) getragen wurde (vgl. hierzu McLoughlin 1959: 3ff.; Mead 1942).20 In den Erweckungsveranstaltungen Charles G. Finneys (1792-1875) fanden diese revisionistischen Gedanken ihre praktische Umsetzung (vgl. Johnson 1969). Die Ansicht, dass ein Individuum durch eine eigene Entscheidung seine Konversion effektuieren könne und der Evangelist ihn dazu treiben müsse, bildete die Grundlage solcher „revivals“ (vgl. Johnson 1969: 343; McLoughlin 1959: 85f.). Insbesondere mit der nüchternen Zweckrationalität, die Finney dabei walten ließ, legte er den Grundstein für das „modern mass revivalism“ und die Profession des „Evangelisten“ (vgl. McLoughlin 1959: 11). Ihren Ausdruck fand diese pragmatische Orientierung in Finneys sogenannten „New Measures“: Hier wird ganz auf kalkulierte Effekte in Interaktionskontexten gesetzt. So sei es notwen20 Bereits die Theologie des Arminius hat eine solche Lehre vertreten; vgl. hierzu auch Harrison (1990: 23ff.) und unten Kap. VII.1.1

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dig, eine emotionale Erregung in der Versammlung zu generieren, um eine Empfänglichkeit für das Evangelium herzustellen: „God has found it necessary to take advantage of the excitability there is in mankind to produce powerful excitements among them before he can lead them to obey. Men are so sluggish, there are so many things to lead their minds off from religion and to oppose the influence of the gospel that it is necessary to raise an excitement among them till the tide rises so high as to sweep away the opposing obstacles.“ (Finney 1835; zit. n. McLoughlin 1959: 87)

Neben Drohungen mit der Hölle und musikalischen Elementen gehörten zu den dabei zum Zuge kommenden Techniken:21 1) die „protracted meetings”, bei denen Veranstaltungen über mehrere Tage in Serie geschaltet wurden, um eine intensivere Wirkung auf die Menschen zu entfalten; 2) der „anxious seat“, womit einige Plätze in den vorderen Reihen des Gebäudes bezeichnet wurden, auf denen man noch nicht hinreichend Überzeugte oder Unsichere platzierte, um sie besonders eindringlich vor der Gemeinde zu ‚bearbeiten‘; 3) das „anxious meeting“, in dem jene Unsicheren statt vor der Gemeinde in einem abseitigen Raum als Gruppe oder individuell zu einer Konversionsentscheidung bewegt werden sollten; 4) ferner wurden vorab instruierte „soul winners“ in das Publikum eingestreut, um gezielt nach Konversionswilligen bzw. Menschen, die sich besonders gerührt zeigen, Ausschau zu halten, um sie im Anschluss an die Veranstaltung für entsprechende nachbereitende Gespräche und Gebete zu gewinnen (vgl. McLoughlin 1959: 98). In Bezug auf den „anxious seat“ und das „anxious meeting“ galt dabei für Finney: „They not only helped to break ‚the chains of pride‘ but they forced a definite commitment ‚to be on the Lord’s side‘ from persons who might otherwise hold back.“ (Ebd.: 95)22 Während wenige dieser Techniken im Einzelnen vollkommen neu waren, bildeten sie als spezifisches Amalgam einen innovativen Ansatz an das „revival“ und die „Evangelisation“ (vgl. McLoughlin 1959: 99f.); noch die heutigen Evangelisationsprediger legen in ihrem Vorgehen nur wenige Abwandlungen an den Tag. Kritische Stimmen monierten in diesem Zusammenhang indes schon damals die Gefahr, ‚unechte‘ Christen zu produzieren, die sich allein aufgrund des bewusst eingesetzten sozialen Drucks zur Bekehrung entscheiden (vgl. McLoughlin 1959: 96). Der Zusammenhang von Organisation und Interaktion zeigt sich hier vor allem in der sorgfältigen Planung und arbeitsteiligen Vorbereitung solcher Veranstaltungen. ‚Erweckungen‘ galten nun nicht länger als etwas Gottbewirktes, auf das man hoffen musste, sondern als etwas, das man gezielt und kalkuliert in die Wege leiten konnte: Sie waren „a purely philosophical result of the right use of the constitutional means“ (Finney 1835: 84; zit. n. McLoughlin 1959: 84). Zu diesen „means“ gehörten auch ein eigens dafür ausgebildeter Stab an Mitarbeitern und ausgeklügelte Werbekampagnen im Vorlauf der Veranstaltung (vgl. McLoughlin 1959: 98). Die Standards für „organisatorische Hochrüstung“ (Geser 1999) hinter dem religiösen „revival“ wurden dabei von Dwight L. Moody (1837-1899) noch einmal neu gesetzt (vgl. Evensen 1999; 2003); oder wie McLoughlin (1959: 166) formuliert: „Charles Finney made revivalism a profession, but Dwight L. Moody made it a big business.“ Während die 21 Vgl. hierzu McLoughlin (1959: 94ff.). 22 Die Zitate im Zitat beziehen sich auf Finney (1835: 242, 246f.)

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Erweckungsveranstaltungen Finneys sich eher auf kleinere Ortschaften beschränkten, etablierte Moody den Massenevangelismus vor allem in den Metropolen Amerikas (vgl. ebd.: 166f.). Dabei wurden die lokalen Kirchen in die Vorbereitungen einbezogen, ein Planungskomitee eingesetzt, ein riesiges Stein-Tabernakel mit Raum für mehrere tausend Menschen errichtet sowie ein Werbefeldzug unter gezieltem Einsatz der lokalen Presseberichterstattung gestartet (vgl. Evensen 1999: 257). Wie ein Beobachter bezüglich einer Veranstaltung in New York im Jahre 1876 bemerkt, gewann man hier den Eindruck von einem „vast business enterprise, organized and conducted by business men, who put their money into it on business principles, for the purpose of saving souls“.23 Die Verschaltung von Organisation und Interaktion wird allerdings auch an den organisatorischen Lernprozessen offenbar, mit denen auf dem Experimentierfeld der Interaktion zweckrationale Techniken der Mission herauspräpariert und auf Dauer gestellt wurden. Der quantifizierbare Bekehrungserfolg war dabei ein organisatorisch leicht zu handhabendes Erfolgskriterium: „,When the blessing evidently follows the introduction of the measure itself, the proof is unanswerable that the measure is wise.‘ ‚Success‘, in terms of the number of converts is [...] ‚a safe criterion‘.“24 Obgleich diese Evangelisationsveranstaltungen im Allgemeinen weniger dem Konkurrenzgedanken der religiösen Sphäre huldigten und sich in der Regel als interdenominationell verstanden, ist es gleichwohl der Bezug zur Konversionsorientierung, der hier die enge Verzahnung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft herstellt: Die auf den Akt der zählbaren Bekehrung fokussierte Sinnperspektive des gesellschaftlichen Teilsystems übersetzt sich in einen klar spezifizierten Missionszweck der Organisation, der hierfür unter organisatorisch rationalen Gesichtspunkten die Potentiale der Interaktion gezielt einspannen kann. Sowohl hinsichtlich funktionaler Differenzierung als auch der Ebenendifferenzierung kommt der amerikanischen Situation somit ein ausgezeichneter Status zu. Hans Joas (2007: 375) hat ihr in einem ähnlichen Zusammenhang eine „Vorbildwirkung für die ganze Welt“ bescheinigt und auch Geser (1999: 44f.) hat im denominationalen Pluralismus, ähnlich wie Parsons, den „Finalzustand einer Entwicklung“ vermutet. Dieser Betrachtung wurde hier auch deshalb ein ausführlicher Platz eingeräumt, weil sich die vorliegende Untersuchung insbesondere für die amerikanische Prägung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung und ihre weltgesellschaftstheoretischen Implikationen interessieren wird. Wie noch deutlich werden wird, neigen Anhänger der pfingstlich-evangelikalen Bewegung dazu, die amerikanische Situation ‚kontrafaktisch‘ auf die weltreligiöse Landschaft zu projizieren und folglich auch global nach Maßgabe der spezifischen Logiken des amerikanischen Kontextes zu beobachten. Im Zuge des damit im Zusammenhang stehenden Missionskontakts stimuliert die Ausbreitung der Bewegung dabei zum Teil Entwicklungen bei anderen Religionen, die dieser Perspektive tatsächlich ein Stück weit adäquat sind. Sie tut dies nicht zuletzt durch den organisatorisch wohlkalkulierten und globalen Einsatz der Interaktionselemente, deren Ursprung hier im frühen amerikanischen Kontext verortet wurde. Bevor es sich diesen empirischen Aspekten zuzuwenden gilt, sind aber zunächst glo23 So zitiert McLoughlin (1959: 166) William Hoyt Coleman aus William R. Moody (1900: 281). 24 McLoughlin (1959: 100); die Zitate beziehen sich auf Finney (1876: 83; 1835: 175, 178).

ZWISCHENBETRACHTUNG

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balitätstheoretische Perspektiven auf den Gegenstand der Religion zu erörtern und das nötige weltgesellschaftstheoretische Begriffsinstrumentarium für die weitere Untersuchung zu entwickeln.

V. Religion und Globalität

Innerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich in der Religionssoziologie zunehmend ein Paradigmenwechsel vollzogen, der vom Postulat einer „religious resurgence“ geleitet ist. Es werden dabei jene ‚säkularisierungstheoretischen‘ Annahmen bestritten, die von einem Verschwinden des Religiösen im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse ausgehen. Stattdessen wird von einer ungebrochenen Vitalität bzw. einem neuen Aufleben des Religiösen und einer Kompatibilität von Modernität und Religion ausgegangen. Diese neue Perspektive ist seit Anbeginn in einem bemerkenswerten Maße von einem globalen Blick geprägt. Peter L. Berger, der, wie in Kapitel II erwähnt, in mancherlei Hinsicht an die Depotenzierungsthese Webers Anschluss gesucht hat, hat wenige Jahrzehnte später den Säkularisierungsaspekt seiner frühen Studien widerrufen; er tat dies ausdrücklich mit Hinweis auf die „Desäkularisierung der Welt“ (vgl. Berger 1999; Herv. M.P.).1 Gilles Kepel (1991) macht in seinem Werk „Die Rache Gottes“ ebenfalls auf das weltweite Erstarken von Fundamentalismen im Christentum, Judentum und Islam aufmerksam. Ebenso verbindet Samuel Huntington (1996) in seiner Untersuchung globale und religionsbezogene Perspektiven: Seine kontroverse These vom „clash of civilizations“ als ein „remaking of world order“ stützt sich nicht zuletzt auf die Beobachtung einer fortbestehenden Relevanz religiöser Identitäten und Werte. Und auch Martin Riesebrodt (2000: 9) verleiht in der Einleitung seiner Arbeit über den Fundamentalismus seiner Überraschung über die „dramatische weltweite Rückkehr der Religionen und ihrer Bedeutung als öffentliche Macht“ (Herv. M.P.) Ausdruck. Tatsächlich hat der Begriff der „Globalisierung“, der zunächst in den Wirtschaftswissenschaften Prominenz erlangte, in einem religionssoziologischen Zusammenhang seinen Eingang in die Soziologie gefunden (vgl. Tyrell 2005a: 18f.). So hatte Roland Robertson (gemeinsam mit JoAnn Chirico) Mitte der 80er Jahre die Beobachtung eines „worldwide religious resurgence“ zum Anlass genommen, in der Analyse auf einer Ebene oberhalb des Nationalstaats anzusetzen.2 Das Argument ist 1

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„The world today is massively religious, is anything but the secularized world that had been predicted (whether joyfully or despondently) by so many analysts of modernity.“ (Berger 1999: 9) Siehe nur Robertson und Chirico (1985: 222): „The virtually worldwide eruption of religious and quasi-religious concerns and themes cannot be exhaustively comprehended in terms of focusing on what has been happening sociologically within societies. The societies which have been affected by upsurges of religious expression during the past two decades

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hier, soviel schon vorweg, dass Globalisierung zu einem „humanitic concern“ führt, auf das dann nicht zuletzt die Religion mit Sinnangeboten reagiert. Zuvor hatte bereits Robert Wuthnow (1978; 1980) die Analyse religiöser Phänomene von der Warte des Wallerstein‫ތ‬schen Weltsystems in Angriff genommen. Die iranische Revolution und ähnliche Entwicklungen dürften dabei ein entscheidender Anlass für die These einer Rückkehr des Religiösen gewesen sein. Der Stimulus zu ‚globalen‘ Perspektiven ist folglich in der Tatsache zu sehen, dass derartige Phänomene ihren Schauplatz hauptsächlich außerhalb Europas hatten. Entsprechend variiert das theoretische Reflexionsniveau hinsichtlich des Aspekts ‚Welt‘ bei den oben genannten Autoren mitunter erheblich. Während etwa Robertson und Wuthnow Globalität auch gesellschaftstheoretisch begründen, ist bei den anderen Autoren mit ‚Welt‘ eher ein geographischer Relevanzbereich der sozialwissenschaftlichen Beobachtung angezeigt. Ihnen geht es darum, ein Interesse auch für religionsbezogene Entwicklungen jenseits von Europa anzumelden und zu befördern. Demgegenüber ist das vorliegende Kapitel auch weiterhin an gesellschaftstheoretischen Betrachtungen von Religion interessiert. Das engt den Blick für die Theorien, welche es hier im Zusammenhang von Religion und Globalität zu diskutieren gilt, entscheidend ein. Es schließt die religionssoziologischen Arbeiten aus, die das Interesse an einer neuen religiösen Vitalität eher fallanalytisch verfolgen, wie etwa die Arbeiten zu den „new religious movements“ (vgl. nur Barker 1983; 1989). Auch John S. Simpsons (1996; 2007) Arbeiten zu Religion und Globalität sollen hier wegen ihres eher identitätstheoretischen Akzents nicht zur Sprache kommen. Umgekehrt muss auf der Seite der Globalisierungs- und Weltgesellschaftsdiskussion vieles wegen mangelnden Religionsbezugs unberücksichtigt bleiben; so scheiden etwa die in Globalisierungsdingen anderweitig einschlägigen anthropologischen Arbeiten Arjun Appadurais (z.B. 1996) aus.3 Gleiches gilt für den Ansatz Anthony Giddens’ (1990): Er unterscheidet zwischen vier Dimensionen der Globalisierung (Weltwirtschaft, internationale Arbeitsteilung, militärische Weltordnung und Staatensystem), nimmt dabei Religiöses aber so gut wie gar nicht in den Blick. Auch der (welt-) gesellschaftstheoretisch potente Ansatz von Peter Heintz (z.B. 1982) soll hier aufgrund der fehlenden Bezüge zur Religion beiseitegelassen werden. Stattdessen interessieren hier fünf Ansätze, die einerseits dezidiert gesellschaftstheoretische Perspektiven gegenüber der Frage der Globalität einnehmen und dabei andererseits auch religiöse Aspekte berühren. Dies ist zum einen der Weltsystem-Ansatz Immanuel Wallersteins, dem sich insbesondere einige religionssoziologische Arbeiten Robert Wuth-

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or so are too diverse for that approach to suffice – although undoubtedly a number of clusters of relatively similar societies (for example, those in the North Atlantic area) may be sufficiently similar in sociological and historical terms for us to get a significant explanatory leverage by comparing societies within a cluster. Generally speaking, however, the worldwideness of the religious upsurge demands that we consider the global circumstances in its totality.“ (Herv. M.P.) Siehe für weitere Stimmen, die Beobachtungen religiöser ‚Renaissance‘ mit ‚globalen‘ Perspektiven in Berührung bringen Bergsdorf (2006); Thomas (2005). Vgl. aber Beyer (2001: XXXIIff.) für einen Versuch, den Gedanken der „religioscapes“ in Appadurais Betrachtung von „mediascapes“, „ethnoscapes“, „technoscapes“, „financescapes“ und „ideoscapes“ einzufügen; ähnlich auch Thomas (2007: 50).

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nows verpflichtet fühlen (1); es ist das neo-institutionalistische Paradigma John W. Meyers et al., das – zum Teil subtile – religionsbezogene Perspektiven aufweist (2); es ist der Ansatz Roland Robertsons, dessen Relevanz in religiösen Dingen bereits zur Sprache kam (3); dann die weltgesellschaftstheoretischen Arbeiten Niklas Luhmanns, die für das religiöse Funktionssystem einen weltgesellschaftlichen Status veranschlagen (4); schließlich die Weiterentwicklungen der systemtheoretischen Perspektive auf Religion und Globalität durch Peter Beyer (5).4 In all diesen Ansätzen ist, ausgehend von der hier vertretenen differenzierungstheoretischen Perspektive, das Ausmaß zu erörtern, in dem globalitätstheoretische Aspekte religionsbezogen mit differenzierungstheoretischen Gesichtspunkten in Verbindung gebracht werden. Dabei gilt es jeweils, den Ansatz erst im Allgemeinen zu rekonstruieren, dann nach seiner Perspektive auf die Religion zu fragen, um schließlich das differenzierungstheoretische Potential abzuschätzen.

1. D IE W ELTSYSTEMTHEORIE UND R ELIGION : I MMANUEL W ALLERSTEIN , R OBERT W UTHNOW Immanuel Wallerstein verschreibt sich mit seiner Weltsystemtheorie als einer der ersten Soziologen einem Untersuchungsansatz, der von globalen Strukturen auf regionale Verhältnisse schließen will.5 Die Theorie geht dabei auf Abstand zu einer Modernisierungstheorie, die Nationalstaaten lediglich vergleichend auf ihren Entwicklungstand hin in Augenschein nimmt und für diesen in der Hauptsache endogene Faktoren erklärend heranzieht (vgl. Wallerstein 1974/1979a; 1976/2000). Stattdessen kommt es Wallerstein, wie auch schon der Dependenztheorie, auf die Beziehungen zwischen den Staaten an. Es sind die übergeordneten, supranationalen Produktionsverhältnisse einer Weltwirtschaft, von denen her die internen Verhältnisse bzw. der unterschiedliche Entwicklungsstand erklärt werden sollen. ‚Systemtypologisch‘ grenzt Wallerstein (1974/1979a: 5) dabei die Weltwirtschaft von Weltreichen und beide von MiniSystemen als weiteren Fällen sozialer Systeme ab. Das systemkonstitutive Merkmal sind stets die Grenzen der arbeitsteiligen Verhältnisse. So besteht das Spezifikum von Mini-Systemen darin, dass die arbeitsteiligen Strukturen die Grenzen einer einzigen, einheitlichen Kultur nicht überschreiten. Gerade dies tun Weltsysteme, d.h. Weltreiche und Weltwirtschaften, indem sie eine Pluralität von Kulturen in eine einzige Struktur der Arbeitsteilung einbeziehen. Dabei unterscheiden sich Weltreiche von Weltwirtschaften durch ihren übergreifenden politischen Rahmen. Demgegenüber umfassen Weltwirtschaften nicht nur eine Vielzahl von Kulturen, sondern auch mehrere politische Einheiten. Obgleich Weltwirtschaften und Weltreiche Wallerstein zufolge im Plural vorkommen können und dies in der Vergangenheit auch taten, geht die Weltsystemtheorie gegenwärtig von einem einzigen Weltsystem in Form einer

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Damit hält sich dieses Kapitel weitgehend an die Kernauswahl, die auch Peter Beyer (1994) im Hinblick auf eine ähnliche Frage getroffen hat. Eine um einige Autoren erweiterte Diskussion findet sich in Beyer (2001). Vgl. für einen Überblick Beyer (1994: 15ff.); Chirot/Hall (1982); Greve/Heintz (2005: 98ff.); Hack (2005).

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kapitalistischen Weltwirtschaft aus. Diese hat aus Wallersteins (1974/1979a: 5f., 25ff.) Sicht im Europa des 16. Jahrhunderts ihren Ausgang genommen und seitdem alle vormals unabhängigen Systeme in ihre Strukturen integriert.6 Kennzeichnend für das kapitalistische Weltsystem, wie es Wallerstein vorschwebt, ist das dreistellige, interdependente Gefüge aus Zentrum, Peripherie und Semiperipherie. Das Zentrum der modernen Industriestaaten steht hier in einem ungleichen Tauschverhältnis mit den vorwiegend agrarwirtschaftlichen Staaten der Peripherie, von denen es billig Arbeitskraft und Ressourcen bezieht, um einen weltwirtschaftlichen Mehrwert durch Produktion teurer Produkte für den Weltmarkt abzuschöpfen (vgl. Wallerstein 1974/1979b: 66ff.). Der Theorie zufolge wird diese polare Struktur durch aufstrebende Staaten an der Semiperipherie gepuffert, die auf einer dem Zentrum unterlegenen, aber der Peripherie überlegenen Tauschposition stehen; sie werden folglich nicht nur ‚ausgebeutet‘, sondern ‚beuten‘ auch selbst aus. Dadurch zieht auch die Semiperipherie oppositionelle Kräfte auf sich und entlastet das Zentrum vom geeinten Widerstand aller anderen, so das Argument (vgl. Wallerstein 1974/1979a: 23). Zugleich verkörpert die Semi-Peripherie die Möglichkeit des Aufstiegs und erfüllt aus der Perspektive dieses Ansatzes somit unweigerlich eine Funktion der Legitimation von Ungleichheit. Wallerstein zufolge sind es nun die unterschiedlichen Positionen in der arbeitsteiligen Struktur von Zentrum, Peripherie und Semiperipherie, die die Unterschiede in den politischen Verfassungen, in der relativen Stärke bzw. Schwäche und in den wirtschaftlichen Produktionsformen der Staaten bedingen. Für die Entwicklungsunterschiede werden also exogene, und nicht endogene Faktoren herangezogen. Noch die Staatsform selbst, wie auch ethnische, rassische und nationalistische Kategorien und Klassifikationen entstehen laut Wallerstein (z.B. 1987/2000) erst im Rahmen einer sich entwickelnden Weltwirtschaft und erfüllen hier entsprechende Stabilisierungs- und Legitimationsfunktionen. Dabei wird der Weltwirtschaft indes keine lineare Expansionsdynamik unterstellt; die Theorie zeichnet hier vielmehr ein Bild von zyklischen Schwankungen zwischen Phasen der Expansion und Phasen der Kontraktion (vgl. Wallerstein 1975/1979: 61f.). Die Analytik Wallersteins versucht alle sozialen Phänomene auf die Struktur der Weltwirtschaft hin zu funktionalisieren. Das, was Wallerstein (1980: 65) als Kultur fasst, d.h. „ideas, values, science, art, religion, language, passion, and color“, kommt damit nahezu ausschließlich als wirtschaftliches Epiphänomen in den Blick: „[C]ultures are the ways in which people clothe their politico-economic interests and drives in order to express them, hide them, extend them in space and time, and preserve their memory.“ (Ebd.) Auch wenn Wallerstein vor allem in den späteren Arbeiten der Kultur einen größeren theoretischen Stellenwert zuzuweisen versucht, bleibt es letztlich bei der ökonomistisch-reduktionistischen Perspektive (vgl. Hack 2005: 148f.; siehe etwa Wallerstein 1990). Als eigengesetzliches Gebiet findet Religion hier folglich keinen Platz. Religiöse Gruppierungen, ebenso wie Ethnien und Nationalstaaten, will dieser Ansatz allein von der Warte des kapitalistischen Weltsystems her verstehen (vgl. Wallerstein 1974: 67); so fungiert Religion bei Wallerstein (1974: 207f.) beispielsweise als Kitt für die unterschiedlichen Klasseninteressen innerhalb 6

Vgl. zur Wallerstein’schen Meidung des Gesellschaftsbegriffs oberhalb des Nationalstaats Hack (2005:139f.).

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einer Nation; oder Religiöses bildet eine Ressource in der Formung lokaler Identitäten, die ihre Funktion gerade darin haben, die Entstehung internationaler Klassensolidaritäten auf der Seite der Unterdrückten zu unterminieren (vgl. ebd.: 353). In religiösen Zugehörigkeiten können sich aber auch Positionen in der Weltwirtschaft ‚widerspiegeln‘; so wird die Tatsache, dass die Kernstaaten eher protestantisch und die Semiperipherie und Peripherie eher katholisch sind, hier dezidiert nicht auf ‚wirtschaftsethische‘ Wirkungen theologischer Anschauungen zurückgeführt, sondern darauf, dass „the tenets of the theologies, as they evolved in practice as opposed to their original conception, reflected and served to sustain the roles of the various areas in the world-system“ (ebd.: 353). Ähnlich legitimatorische Funktionen werden auch noch für die christlichen Kreuzzüge veranschlagt, in denen religiöser Enthusiasmus eine geographische Expansion eher ‚rationalisierte‘ (im Freud‫ތ‬schen Sinne), als sie motivierte (ebd.: 48). Während Religiöses bei Wallerstein nicht im Zentrum der Analysen steht, hat Robert Wuthnow (1978; 1980; 1983) mehrere einschlägige Versuche unternommen, sich der Religion von der Warte der Wallerstein‫ތ‬schen Weltsystemtheorie zu nähern. So unternimmt Wuthnow (1978) beispielsweise den Versuch, die neue religiöse Vielfalt der USA durch Entwicklungen des Weltsystems zu erklären. Wuthnow zufolge kommt es in Phasen der Verschiebung und des Umbruchs in der „Weltordnung“ typischerweise zu einer Multiplikation religiöser Formen und Bewegungen. Als Ursachen gilt ihm die Annahme, dass die Position einer Nation innerhalb des Weltgefüges in ideologischer Hinsicht durch bestimmte Religionen gestützt wird. In Zeiten von Verschiebungen in den internationalen Verhältnissen, etwa Auf- oder Abstiegen und neuen Allianzen, verlieren diese laut Wuthnow (1978: 72) ihre Plausibilität und geben Raum für alternative religiöse Erscheinungen, die im Rahmen der gegenwärtigen internationalen Situation neue Legitimität erhalten. So setzt die Erörterung etwa zyklische Schwankungen in der Legitimität und Plausibilität der amerikanischen Zivilreligion in Bezug zu den je aktuellen Beziehungen mit der Sowjetunion (vgl. ebd.: 74). Zugleich liefern hier Wandlungen und Instabilitäten in den außenpolitischen Verhältnissen der USA seit dem 2. Weltkrieg und die neuen Beziehungen zum asiatischen Raum die Erklärung für den Aufschwung und Legitimitätsgewinn einer Vielfalt nicht-westlicher Religionen (ebd.: 76f.). Einen noch stärker an den weltwirtschaftlichen Umbrüchen orientierten Vorschlag der Analyse religiöser Bewegungen unternimmt Wuthnow (1980) in einem späteren Aufsatz.7 Der Ausgangspunkt ist hier eine Beobachtung, die sich gegen die Vertreter der Säkularisierungsthese richtet: „Against all the predictions of nineteenthcentury sociologists, religious movements have survived and flourished in the modern world.“ (Wuthnow 1980: 57) Die Gründe dafür werden der Moderne selbst zugeschrieben, namentlich den Entwicklungen des modernen Weltsystems: „Groups whose lives have been intruded upon by the expanding world-economy have sought refuge in the security of religion. Rising cadres have legitimated their new status with religious creeds. Basic changes in the structure of world order have characteristically produced, and in turn have been nurtured by, exceptional outpourings of religious activity.“ (Ebd.) 7

Wuthnow (1983) verallgemeinert diesen Ansatz stärker auf kulturelle bzw. ideologische Phänomene allgemein.

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Um dieses Korrelationsverhältnis zu illustrieren, führt Wuthnow verschiedene Typen religiöser Bewegungen auf je verschiedene Phasen in der zyklischen Entwicklung der „Weltordnung“ zurück. Revitalisierungen etwa sieht er typischerweise dort auftreten, wo der Anschluss lokaler Eliten an die Weltwirtschaft diesen mehr Macht über die untergebene Bevölkerung verleiht und Letztere schlechter stellt. Die Funktion dieser Revitalisierungsbewegungen ist es hier, so die These, Hoffnung im Angesicht unmittelbarer Deprivation zu fördern und zu neuen Formen sozialer Organisationen anzuregen (vgl. ebd.: 62). Reformationsbewegungen wiederum, zu denen Wuthnow den Protestantismus, aber auch die Aufklärung und den Marxismus zählt, haben dieser Argumentation zufolge ihre Trägergruppe umgekehrt in den aufsteigenden Eliten an der Peripherie, die von der Expansion der Weltwirtschaft profitieren und den ideologischen Ausdruck bestehender Herrschaftsverhältnisse durch neue Realitätsdefinitionen zu untergraben versuchen. Religiöser Militarismus, als eine religiöse Bewegung, die sich Gewaltmittel bedient, um bestehende Verhältnisse umzustürzen, wird ebenfalls an der Peripherie des Weltsystems verortet. Einen solchen sieht Wuthnow hier in Phasen weitreichender Polarisierung und Konfrontation zwischen Zentrum und Peripherie auftreten. Bewegungen als Gegen-Reformationen bilden für Wuthnow die darauf bezogene religiöse Reaktion des Zentrums: Die postulierte Funktion ist hier, weiterhin auf die bestehende Ordnung einzuschwören. Bewegungen bzw. Phasen religiöser Anpassung werden demgegenüber auf Phasen der Konsolidierung neuer Verhältnisse im Weltsystem zurückgeführt. Im Blick sind hier Entwicklungen im religiösen ‚mainstream‘, über die sich etwa etablierte Religionen mit neuen wirtschaftlichen Situationen arrangieren. Sektiererische Bewegungen werden schließlich als reaktionäre Antwort auf derartige religiöse Rekonfigurationen in Anbetracht neuer Weltsystemverhältnisse verstanden. Obgleich Wuthnows einführende Bemerkungen auf Möglichkeiten einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen Religion und Weltwirtschaft hinweisen, erwecken seine Erörterungen eher den Eindruck einer einfaktoriellen Theorie ganz im Sinne Wallersteins. Religionen haben hier stets eine eher reaktive Rolle und nicht selten erfüllen sie für Wuthnow, so scheint es, ‚ideologische‘ Funktionen der Domestikation und Legitimation. In jedem Fall aber, daran lässt Wuthnow insbesondere in dieser späteren Studie kaum einen Zweifel, lassen sie sich auf weltwirtschaftliche Veränderungen reduzieren; an Beispielen für eine umgekehrte Wirkrichtung mangelt es indessen. Religion kommt hier somit nicht als ein eigengesetzlicher Faktor in den Blick und schon gar nicht als autonomes Sinngebiet im Sinne eines differenzierungstheoretischen Ansatzes. Globale Erscheinungen von Religion sind bloßes Symptom und Ausdruck weltwirtschaftlicher ‚Kontinentalverschiebungen‘. Auf diese Eindimensionalität, die die Wallerstein’sche Theorie im Allgemeinen charakterisiert, hat mitunter der Ansatz von John W. Meyer et al. reagiert. Diesen gilt es im Folgenden zu erörtern.

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2. R ELIGION UND N EO -I NSTITUTIONALISMUS : D ER W ORLD -P OLITY -A NSATZ VON J OHN W. M EYER ET AL . Der World-Polity-Ansatz bzw. soziologische Neo-Institutionalismus von John W. Meyer und Kollegen entspringt nicht zuletzt einer Kritik an dem einfaktoriellen Modell Wallersteins. Die Einwände richten sich dabei gegen seinen Versuch, die Genese und Form des Nationalstaats allein aus der Logik der Weltwirtschaft heraus zu erklären (vgl. Meyer 1980). Dagegen wird die bemerkenswerte Stabilität nationalstaatlicher Grenzen auch in peripheren Regionen des Weltsystems geltend gemacht. Wie Meyer (1980: 114) argumentiert, macht diese es implausibel, das Verhältnis von Nationalstaaten analog zu einer Konkurrenz von Wirtschaftsfirmen zu denken. Während sich auf der einen Seite eine Expansion erfolgreicher Firmen und der Untergang erfolgloser Firmen beobachten lassen, fällt Vergleichbares unter den Nationen tatsächlich nicht ins Auge. Den Staatsapparaten schreibt Meyer zudem eine beachtliche Autonomie und Stärke gegenüber dem wirtschaftlichen Faktor zu: Eine unterminierende Dynamik etwa von Seiten multinationaler Unternehmen vermag er hier ausdrücklich nicht zu beobachten. Ferner kann er auch keine Divergenzen in den Produktionsformen des Zentrums und der Peripherie entdecken, wie sie von der Wallerstein‫ތ‬schen Theorie her zu erwarten wären. Vielmehr tendieren, so die Beobachtung Meyers, periphere Nationen in ganz ähnlichem Maße wie das Zentrum dazu, ihren industriellen und Dienstleistungssektor auszubauen. Auch zeigen sich dort ähnliche institutionelle Arrangements: Es entwickeln sich etwa der Bereich der Erziehung, öffentliche Dienste und Kommunikationsnetze (ebd.: 115). Kurzum: Wo die Wallerstein’sche Theorie Divergenz und Diversität erwarten lässt, konstatiert Meyer (ebd.) Homogenität bzw. „Isomorphie“. Damit wird ökonomische Disparität bzw. ein Wohlstandsgefälle natürlich nicht bestritten; die Tatsache aber, dass trotz dieser ökonomischen Ungleichheit so viel Gleichheit zu beobachten ist, lässt Meyer gerade auf einen dafür verantwortlichen wirtschaftsunabhängigen Faktor schließen. Dieser Faktor wird nun vornehmlich im Bereich des Kulturellen verortet. Entsprechend ist in späteren Publikationen zunehmend von „Weltkultur“ die Rede. Dabei wird an die sozialphänomenologische Perspektive von Berger und Luckmann (1969) Anschluss gesucht und diese mit einem dezidiert makrosoziologischen Anstrich versehen. Mit einer solchen „makrophänomenologischen“ Perspektive (vgl. Meyer et al. 1997: 147ff.) ist allerdings weniger ein Fokus auf gesellschaftliche Großstrukturen gemeint; eher sind damit exogene Faktoren in der Entstehung von Nationalstaaten impliziert. Im Blick sind kulturelle Schemata und Legitimationsverhältnisse ‚oberhalb‘ der Ebene des Nationalstaats, d.h. auf der Ebene einer gemeinsamen Weltkultur, die im Sinne eines „top-down“-Prozesses die isomorphe Ausgestaltung politischer Territorien bedingen. Der Nationalstaat wird hier folglich als eine (kulturelle) Institution betrachtet, die in Routinen, Standardisierungen, Verhaltensvorschriften und Deutungen gründet, welche auf einer übergeordneten Ebene legitimatorisch abgesichert sind. Diese konstruktivistische Perspektive bezieht sich jedoch nicht allein auf den Nationalstaat. Letzterer ist den Vertretern dieses Ansatzes nur ein Fall von rationalen Akteuren, die als solche ihre Plausibilität und ihren verbindlichen

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Realitätscharakter von einem geteilten Bestand an kulturellen Deutungen und Wissenselementen beziehen. So gelten auch Organisationen und Individuen als Konstruktionen, die auf Semantiken rationalen Handelns und entsprechenden Interpretationsschemata aufruhen (vgl. Meyer/Jepperson 2000). Mit dem Neoinstitutionalismus geht somit eine stärker kulturalistisch gewendete Lesart der Arbeiten Max Webers zur Entstehung des okzidentalen Rationalismus einher. Rationalität und Rationalisierung werden dabei nicht nur als etwas kulturell Voraussetzungsvolles verstanden, das sich in weiten Teilen auf spezifisch religionsgeschichtliche Prozesse im Okzident zurückführen lässt. Nicht nur die kulturelle Kontingenz solcher Rationalitätsformen wird bei Meyer et al. aufgezeigt, sondern Rationalität und Rationalisierung wie auch rationale Akteure werden als solche noch ‚de-essentialisiert‘ und dem Bereich des Mythologischen, Rituellen, Ideellen zugewiesen. Rationalität wird so zum Verhaltensskript, dessen Selbstverständlichkeit und Verbindlichkeit nicht in damit verbundenen, etwaigen funktionalen Vorteilen gründen (die von dem Ansatz zum Teil geradeheraus bestritten und empirisch widerlegt werden), sondern in der normativen Kraft und kognitiven Plausibilität eines letztlich arbiträren kulturellen Sinnkosmos. Insbesondere die im Organisationsbereich zu beobachtenden Isomorphien in der formalisierten Struktur sind auf solche Rationalitätsmythen und kulturelle Modelle von Organisationen zurückgeführt worden (vgl. nur Meyer/Rowan 1977); Organisationen, so das Argument, kommen kaum umhin, als rational definierte Praktiken und Muster zu adoptieren, wenn sie volle Legitimität zuerkannt bekommen wollen. Kultiviert und verbreitet werden solche kulturellen Rationalitätsmythen von sogenannten „rationalen Anderen“ (vgl. nur Meyer 1994; 1996). In Anlehnung an eine Terminologie von George Herbert Mead sind damit die Positionen innerhalb der Weltgesellschaft gemeint, die den Organisationen, Nationalstaaten und Individuen lediglich beobachtend, beratend, theoretisierend, sanktionierend gegenüberstehen. Es sind dies etwa Professionen und Organisationen, die sich weniger durch eigenes Handeln gemäß Rationalitätsmodellen auszeichnen als vielmehr dadurch, dass sie solche Modelle entwickeln, sie verbreiten und der Bewertung und Beurteilung anderer zugrunde legen. Meyer denkt hier beispielsweise an wissenschaftliche Experten und Analysten sowie INGOs. Diese setzen allerdings nicht nur die von ‚legitimen‘ Organisationen und Nationen einzuhaltenden Standards in der Gesundheitspolitik, der Technologie oder dem wirtschaftlichen Fortschritt. Die „Theorization“ solcher Experten bestimmt den Autoren zufolge selbst noch die grundlegenden Kategorien, die die Gleichheit zwischen Gruppen von Akteuren überhaupt erst konstituieren und damit die Voraussetzung für Prozesse der Adaptation und Imitation, kurzum: der Diffusion bilden (vgl. Strang/Meyer 1993); so beispielsweise die Klasse der „ökonomischen Organisationen“, mit der sich dann die entsprechend autoritativen Modelle, Standardisierungen und idealen Verhaltensskripte für all diejenigen verbinden, die sich dieser Kategorie zuweisen oder ihr zugewiesen werden (vgl. ebd.: 496). Der Implementationsdruck hinsichtlich solcher Modelle wird dabei allerdings, so die These, ein Stück weit durch eine Differenzierung von Vorderbühne und Hinterbühne unterlaufen. In Anlehnung an Goffman‫ތ‬sche Überlegungen zu Strategien der Selbstdarstellungen gehen die Vertreter dieses neo-institutionalistischen Ansatzes davon aus, dass den weltkulturell normierten Modellen vorwiegend auf der Vorderbühne gehuldigt wird, während die tatsächliche, sich der öffentlichen Wahrnehmung

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entziehende Praxis davon weitreichend „entkoppelt“ ist; dies nicht zuletzt deshalb, weil die eigentlichen Modelle teilweise idealistisch und realitätsfern sind, so dass eine vollständige Implementation und Integration mit anderen organisationell erforderlichen Prozessen faktisch kaum realisierbar ist (vgl. Meyer/Rowan 1977: 355ff.). Religion bzw. Religiöses kommt in diesem Ansatz nun in viererlei Hinsicht zur Sprache. Erstens wird die Beschreibung des kulturellen Zusammenhangs von Rationalitätsvorstellungen und Akteursmodellen in einer mehr oder minder metaphorischen Sprache des Religiösen gehalten. Skripte und Standards rationalen Verhaltens haben den Status des Mythischen; Rationalität ist etwas, an das geglaubt wird und dem man in Zeremonien und rituellen Inszenierungen huldigt. Entsprechend wird in Bezug auf die rationalisierten Anderen, die solche Modelle kultivieren und weltweit durchsetzen, nicht selten eine Analogie zu Geistlichen gezogen: „[T]he world polity is held together by something of a culture, and by a clergy that embodies this common culture and its authority.“ (Meyer 1980: 131; Herv. M.P.) So wird der Wissenschaft in der Moderne eine äquivalente Rolle zugeschrieben, wie sie der Religion in traditionalen Gesellschaften zukam (vgl. Drori et al. 2003: 2). George M. Thomas (2007: 47ff.) geht gar soweit, vom „globalen Rationalismus“ als einer „immanenten Erlösungsreligion“ zu sprechen: „Global rationalism is an immanent salvation religion. It provides a universal ground for life. It has myths and sacred entities, rituals connecting individuals and groups to history and the cosmos, a promise of salvation, and a depiction of threats of chaos. It is an immanent religion because ultimate value, sources of identity and authority, and ultimate ends are located within humanity and nature. All of this is woven into narratives, from grand narratives to nationals histories to individual biographies and stories.“ (Ebd.: 47)

In zweiter Hinsicht kommt Religion in diesem Zusammenhang in einer Weber‫ތ‬schen Perspektive in den Blick, indem auf die religionsgeschichtlichen Wurzeln der Weltkultur aufmerksam gemacht wird. Meyer (1989) legt die Emphase dabei insbesondere auf den „interpenetrierenden“ Charakter der „Christenheit“: Die Eigenheit des Christentums lässt sich für ihn weder auf ideologische noch organisatorisch-korporatistische Aspekte reduzieren. Vielmehr liegt diese, so Meyer (1989: 407f.), in den beide Aspekte verflechtenden Eigenschaften einer durchgreifenden Einheitskultur, die die Mikroebene und die gesellschaftliche Peripherie nicht minder umgreift als die Makroebene und das gesellschaftliche Zentrum. Die moderne Weltkultur gilt Meyer gerade deshalb als Erbin des okzidentalen Christentums, weil hier sowohl gesellschaftliche Großstrukturen als auch die individuelle Handlungsebene ihren Sinn von einer übergreifenden Kultur beziehen; auf diese werden Massen ebenso wie Eliten und Organisationen ebenso wie Individuen eingeschworen. Neben diesen eher formellen Aspekten kommen auch die inhaltlichen Momente der Weltkultur als Hinterlassenschaft des abendländischen Christentums in den Blick (vgl. Meyer 1989: 409ff.; Meyer et al. 1987). So kommen hier etwa die christlich-religiösen Voraussetzungen von Handlungsmodellen zur Sprache, die von einem freien, für seine Handlung moralisch zur Verantwortung zu ziehenden Individuum ausgehen. Auch führt Meyer (1989: 409f.) die weltkulturtypischen Vorstellungen einer idealen Gesellschaft, die es als Projekt zu verwirklichen gilt, auf christliche Wurzeln zurück. Dabei ist es ihm wie auch den übrigen Vertretern dieses Ansatzes ein Anliegen, die christ-

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lich-kulturellen Voraussetzungen einer Handlungstheorie freizulegen, die oft ungebrochen in die Soziologie importiert und kulturunabhängig universalisiert wird (vgl. Meyer 1989: 411). Drittens kommen auch religiöse Organisationen daraufhin in den Fokus, in welchem Ausmaß sie den weltkulturellen Mustern und Modellen rationaler Organisationen folgen und entsprechende Isomorphien an den Tag legen. Auf der einen Seite werden auch hier Evidenzen für die Implementation solcher organisationsbezogenen Skripte und Idealvorstellungen angeführt. Religiöse Organisationen ähneln zunehmend säkularen NGOs, so Boli und Brewington (2007). Sie machen weitreichenden Gebrauch von säkularen Organisationstechnologien und -techniken, wie Lechner und Boli (2005: 185) insbesondere am Beispiel des globalen Pentekostalismus konstatieren: Konferenzen, bewährte Formen des „marketings“ und moderne Kommunikationstechnologien kommen hier nicht minder zum Einsatz als in weltlichen Organisationen und verleihen nicht zuletzt dadurch weltkulturelle Legitimität. Den Unterschied sehen die Autoren allein im außerweltlichen Endzweck dieser Organisationsmittel. Auf der anderen Seite machen Arbeiten im Rahmen des neo-institutionalistischen Ansatzes jedoch auch auf die Grenzen aufmerksam, an die die sonst typische Dynamik der Imitation und weltkulturellen Implementation gerade im Bereich der Religion stößt. Chang (2003: 133) spricht in diesem Zusammenhang von „the exception that proves the rule“. Ihr zufolge steht es religiösen Organisationen nicht ohne weiteres frei, all jenes zu inkorporieren, was gemeinhin der kulturell gestützten Vorstellung ‚legitimer Organisationen‘ zugehörig ist. Chang sieht jene stattdessen von einer distinkten und als religiös tradierten „internen Kultur“ bestimmt, die der „externen Kultur“ legitimer Organisationsmodelle und -praktiken weitgehend änderungsresistent bzw. immobil gegenübersteht (ebd.: 130). Dies trifft sich mit den oben dargelegten Erörterungen Niklas Luhmanns zur weitreichenden Inkompatibilität von Organisation und Religion. Entsprechend werden die üblichen Isomorphien zwischen Organisationen, so die Beobachtung, an der Grenze zum religiösen Sektor in der Regel gebrochen. Auch unter religiösen Organisationen zeigen sich diese üblicherweise nicht, wie Chang (ebd.: 130 ff.) in einer empirisch vergleichende Studie herausstellt: Zwischen den verschiedenen Denominationen und Religionen gehen die Auffassungen und Richtlinien etwa bezüglich Mitgliedschaft und religiösen Professionsrollen weit auseinander. Für Religion kann hier folglich nicht in gleichem Maße von einem „organizational field“ (DiMaggio/Powell 1983) oder einem „organizational sector“ (Scott 1994; Scott/Meyer 1983/1991) die Rede sein, wie dies etwa für Sektoren der Fall ist, in denen eine gemeinsame institutionelle Umwelt und wechselseitige Beobachtungen spezifische Isomorphien erzeugen. Schließlich kommt Religiöses noch in einer vierten Hinsicht zur Sprache. Religionen bringen den Vertretern dieses Ansatzes zufolge gerade dort die moderne Weltkultur zum Ausdruck, wo sie sich die Form der „voluntary association“ geben und folglich die Individualisierung religiöser Zugehörigkeitsentscheidungen zur Prämisse machen (vgl. Thomas 2007: 49f.). Sie spielen so den weltkulturellen Konstruktionen von autonomen, vernünftigen und entscheidungskompetenten Akteuren zu, indem sie stillschweigend voraussetzen, dass Individuen in der Lage seien (und sein sollten), eigene religiöse Präferenzen auszubilden und auf dieser Grundlage eine Entscheidung bezüglich der organisationellen oder privaten Ausgestaltung dieser Präferenz zu treffen. Die religiösen Akteure halten sich dabei, so lässt sich argumentieren, an ein

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kulturelles Skript, das seine Wurzeln in der christlichen Religionsgeschichte hat, sich über das Religiöse hinaus zu allgemein gestützten und legitimierten Deutungsschemata generalisiert und schließlich selbst zur Quelle von Legitimität und Rückhalt für konformierende religiöse Organisationen wird. Wie oben deutlich wurde, haben die weltkulturellen Prinzipien ihren konsequentesten Ausdruck in religiöser Gestalt wohl im denominationalen Pluralismus der Vereinigten Staaten erhalten, wo sie nicht allein auf protestantische Denominationen beschränkt sind, sondern auch den Katholizismus und nicht-christliche Religionen erfassen; diese müssen sich unweigerlich den Anstrich von „voluntary associations“ geben, um volle Legitimität als Partizipant im religiösen Feld zu erhalten.8 Die Nicht-Selbstverständlichkeit dieses Verständnisses religiöser Vergemeinschaftung und Individualisierung zeigt sich dabei an Ländern, in denen Einschränkungen in der Religionsfreiheit bestehen und Konversionen gar als ‚Apostasie‘ geahndet werden. An den gleichen Beispielen lassen sich allerdings auch die weltkulturellen Normen ablesen: Sowohl von Seiten religiöser Interessensverbände als auch nicht-religiöser INGOs wird in solchen Fällen mit moralischer Empörung reagiert (vgl. Boli/Brewington 2007: 203f.). Der kontroverse Charakter dieses westlichen Verständnisses von religiöser Affiliation zeigt sich auch an den entsprechenden Auseinandersetzungen über die Definition der Religionsfreiheit im UNZivilpakt (vgl. hierzu Koenig 2008: 103; Lerner 2000: 22; Morsink 1999: 24ff.). Insbesondere dieser vierte Aspekt hat noch deutlich zu wenig Aufmerksamkeit in den neo-institutionalistischen Studien erhalten (vgl. aber Thomas 2001; 2004). Gerade er ist für die vorliegende Studie durchaus von Interesse, so dass darauf an anderer Stelle noch einmal zurückzukommen sein wird. In dem neo-institutionalistischen Ansatz kommt Religion folglich weniger unter differenzierungstheoretischen Gesichtspunkten in den Blick. Zwar finden sich Ansätze und Arbeiten, die Religion in gewisser Hinsicht als „organizational field“ anzugehen versuchen; allerdings zeigen sich gerade hier, wie Chang (2003) deutlich macht, die definitorischen Eigenschaften nur mit erheblichen Einschränkungen. In der Hauptsache wird Religiöses eher im Zusammenhang der Weltkultur verhandelt; einerseits hinsichtlich der, mit Simmel gesprochen, „religioiden“ Momente des Rationalismus, andererseits hinsichtlich des Ausmaßes, in dem Religionen selbst unter weltkulturellen Legitimitätsdruck geraten oder von weltkulturellen Legitimitätsressourcen zehren, welche wiederum ihre Wurzeln in den Denkmustern des abendländischen Christentums haben. Insbesondere in dieser zweiten Hinsicht lässt sich eher von einer komplementären Perspektive zur Differenzierungstheorie sprechen. Schließlich liegt der Blick hier auf übergreifenden kulturellen Momenten, die gleichsam ‚quer‘ zu den einzelnen Teilsystemen stehen. Sieht man von den Berührungspunkten ab, die die „organizational-sector“-Perspektive zu Aspekten funktionaler Differenzierung aufweist (vgl. Scott/Meyer 1983/1991: 120f.), kann man für den Neo-Institutionalismus somit zwar einen Mangel an Differenzierungssensibilität konstatieren. Dies lässt sich aber auch positiv wenden: So wird hier auf umfassende Plausibilitätsstrukturen und Legitimitätsformen aufmerksam gemacht, deren Durchsetzung gerade eine wesentliche Voraussetzung für die Ausdifferenzierung und Globalisierung von spezifischen Systemen sein kann; so etwa, wenn sie in ihrer Eigenlogik auf entsprechenden Vorstellungen von Rationalität und Individualität aufruhen. 8

Vgl. hierzu Parsons (1960a); siehe dazu auch oben, Kap. II.4.1.

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Im zweiten Teil dieser Arbeit wird auf diesen letzten Aspekt gelegentlich zurückzukommen sein.

3. R ELIGIÖSE R EAKTIONEN ROLAND R OBERTSON

AUF

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Wie John W. Meyer et al. legt auch Roland Robertson die Emphase auf kulturelle Aspekte von Globalität und Globalisierung. Auch er geht dabei auf Distanz zum rein materialistischen Ansatz Wallersteins. Zugleich stehen bei Robertson weniger die globalitätsträchtigen Mechanismen der Vernetzung und sozialen Verdichtung im Vordergrund, obgleich deren Relevanz für eine globalisierungstheoretische Analyse nicht bestritten wird. Robertsons Herangehen an das Globalitätsthema lässt sich eher als eine ‚Phänomenologie der Globalisierung‘ beschreiben. Es geht Robertson (1990: 23) in Globalitätsfragen weniger um Welt ‚an sich‘, sondern vielmehr um Welt ‚für sich‘. Das Interesse gilt also der „emergence of globality as an aspect of contemporary consciousness, in explicitly globe-oriented ideologies, doctrines, and other bodies of knowledge“ (Robertson 1992: 405). Folgerichtig wird auch „Globalität“ selbst nicht allein in Bezug auf zunehmende Interrelationen, sondern gerade vom „Bewusstsein“ her definiert, „as the circumstance in which the entire world is regarded as a ‚single place‘“ (Robertson 1992: 395). Das Augenmerk gilt dabei den „symbolischen Reaktionen“ auf die „global-human condition“. Mit Letzterer ist ein Relationsgefüge zwischen vier Komponenten gemeint: Individuen, (National-)Gesellschaft, Menschheit und System der (National-)Gesellschaften (vgl. Robertson/Chirico 1985: 233ff.). Dabei wird auch an die klassischen Einsichten Simmels und Durkheims angeschlossen. Gleichermaßen am Gegensatz von Individuum und Gesellschaft orientiert, waren diese in ihren Arbeiten davon ausgegangen, dass Vorstellungen von Individualität und einer umfassenden ‚Menschheit‘ in der Moderne erstmals an Bedeutung gewinnen. Bei Durkheim (1883/1992: 470) erwächst aus der fortschreitenden Arbeitsteilung ein „Kult der Person“ als quasi-religiöser Ausdruck davon, dass infolge moderner Spezialisierungen den Individuen faktisch allein ihre Individualität als Gemeinsamkeit geblieben ist. Ähnlich gründet bei Simmel (1890/1989: 181) der Kosmopolitismus bzw. der Gedanke einer „idealen Einheit der Menschenwelt“ in einer Wertschätzung dessen, was dem Menschen „bloß als Menschen“ zukommt; hier sind es die je individuellen Kombinationen von Kreiszugehörigkeiten, die die Gemeinsamkeiten auf das Individuelle an sich reduzieren. Diesen bereits in den Klassikern angelegten tripartiten Zusammenhang zwischen Individuum, Gesellschaft und einer Kategorie der Menschheit ergänzen Robertson und Chirico (1985: 233ff.) nun um die Komponente des Systems der Gesellschaften. Im Rahmen dieses Gefüges werden nun vier „Prozesse der Relativierung“ beschrieben. So wird eine Relativierung individueller Identitäten durch den Bezug auf eine allgemeine Kategorie der Menschheit konstatiert; es sind hier Prozesse einer nachlassenden Vereinnahmung des Individuums durch die National-Gesellschaft im Blick, auf die eine zunehmende Relevanz des Selbst zurückgeführt wird. Ein zweiter Relativierungsprozess betrifft die National-Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu einem globalen System von National-Gesellschaften. Die wechselseitige Konfrontation unterschiedlicher Gesellschaf-

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ten lässt den Autoren zufolge einen Möglichkeitsraum alternativer Gesellschaftsmodelle offenbar werden, der jede einzelne unter ihnen unter Legitimationszwang stellt und zwangsläufig auf die Frage nach der „guten Gesellschaft“ führt. Mit den beiden genannten Relativierungen sehen Robertson und Chirico zwei sekundäre Relativierungsprozesse einhergehen. Aus dem Verhältnis von „Selbst“ und „Menschheit“ folgt ihnen, dass das Individuum sich in Fragen der eigenen Gesellschaftszugehörigkeit zunehmend auch am internationalen System der Gesellschaften orientiert.9 Umgekehrt führen sie auf die Beziehung von „Nationalgesellschaft“ und dem „System der Gesellschaften“ die Beobachtung zurück, dass die Politik ihre Konzeption von Staatsbürgerschaft in steigendem Maße auch auf die Kategorie der Menschheit hin ausrichtet, so etwa was den Schutz von Menschenrechten u.ä. betrifft. Entscheidend für dieses relationale Zusammenspiel ist also ein Prozess der Emergenz eines globalen Menschheitsgedankens, der auf Individuum und Gesellschaft(en) maßgeblich zurückwirkt (vgl. Robertson/Chirico 1985: 238). „Globalisierung“ ist für Robertson und Chirico (ebd.) dabei die Bezeichnung für den Entstehungsprozess dieser „global-human condition“. Wie bei Meyer und Wallerstein, so kommt auch hier eine „top-down“-Perspektive zum Tragen: Effekte und Phänomene in den Gegenwartsgesellschaft(en) werden einer übergeordneten Ebene eines globalen Bewusstseins zugeschrieben. So ist in diesem Zusammenhang stets von globalen „constraints“ die Rede, in Bezug auf welche sich auch lokale Entitäten zu (re-) definieren und zu (re-)situieren haben.10 Aus diesem Geist ist auch Robertsons (1995) Appropriation des (ursprünglich im japanischen „business“-Jargon aufgekommenen) Begriffs der „Glokalisierung“ geboren. Dabei ist allerdings nicht allein eine Artikulation globaler und lokaler Faktoren bezeichnet; es soll damit gerade auch auf den konstruktivistischen, von der Warte des Globalen her entworfenen Charakter von Lokalität, folglich auf den wechselseitigen Bedingungszusammenhang von Globalitäts- und Lokalitätsvorstellungen aufmerksam gemacht werden. Damit ist zugleich eine dialektische Perspektive auf die Gegensätze von Homogenität und Heterogenität sowie Universalismus und Partikularismus geworfen, die in weiten Teilen die Globalisierungsdiskussion bestimmen. Bezeichnend für Robertsons kulturalistische Konzeption von Globalität und Globalisierung ist der umstrittene Charakter von kulturellen Deutungen und symbolischen Reaktionen auf die globale Situation (vgl. Robertson/Lechner 1985: 104). An9

Vgl. hierzu auch Parsons (1968: 19): „In the principal subsequent phases of socialization, the child internalizes new role and collectivity structures of progressively wider scope which eventually come to include his citizenship role in the national society and beyond that some status in world society.“ Siehe hierzu Bohn (2005a: 55, Anm. 13). 10 Vgl. nur Robertson und Lechner (1985: 103): „The global system, we argue, is a sociocultural system which has resulted from the compression of – to the point that qua system it increasingly imposes constraints upon – civilizational cultures, national societies, intra- and cross-national movements and organizations, subsocieties and ethnic groups, intra-societal quasi-groups, individuals and so on. As the general process of globalization proceeds there is a concomitant constraint upon such ‚traditional‘ entities to ‚identify‘ themselves in relation to the global-human circumstance. [...] In principle, a ‚multidimensional‘ worldsystem theory ranges across levels of analysis, precisely to examine new global constraints and involvements of the social entities sociology has traditionally dealt with.“ (Herv. i.O.)

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ders als bei Meyer et al. ist dabei nicht nur ein globales Deutungsmuster im Blick, das legitime Standards für Gesellschaften, Organisationen und Individuen verbürgt. Vielmehr wird die Emphase stärker auf die Offenheit globaler Ordnungsmodelle gelegt. Gerade diese katalysiert aus Robertsons Sicht das Aufkommen neuer Bewegungen, die für bestimmte Konzeptionen und Definitionen von Welt und Gesellschaft eintreten bzw. diese zur Disposition stellen (ebd.: 110). Robertson (1992: 404ff.) hat in diesem Zusammenhang eine Heuristik für die Klassifikation von Weltordnungsentwürfen aufgestellt, die um den Tönnies’schen Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft zentriert ist. Dem Schema zufolge können kulturelle Reaktionen auf Globalität den Aspekt der Gemeinschaft in dem Sinne aufgreifen, dass für eine Parallelexistenz von relativ geschlossenen Gemeinschaften geworben wird. In der symmetrischen Version nimmt dies die Form eines gleichberechtigten Nebeneinanders im Sinne des Herder‫ތ‬schen Kulturrelativismus an, während die asymmetrische Version einigen Gemeinschaften einen ausgezeichneten, zentralen Status zuschreibt. Globale Gemeinschaft lässt sich in solchen Entwürfen aber auch im Singular denken, etwa als kommunaler Weltzusammenhang. Die Heuristik sieht hier wiederum eine zentralisierte, kollektivistische Fassung und eine dezentralisierte, eher pluralistische Fassung vor. Ordnungskonzeptionen können demgegenüber auch der Gesellschaftsseite der Tönnies’schen Unterscheidung zugeschlagen werden; so etwa solche, die von einem Weltzusammenhang offener, sich materiell und kulturell im Austausch befindlicher Nationalgesellschaften ausgehen. Auch hier werden wiederum symmetrische und asymmetrische Varianten unterschieden. Schließlich sind auch Entwürfe einer globalen Gesellschaft im Singular heuristisch berücksichtigt: Als Weltorganisation im zentralisierten Sinne, als Weltföderalismus im dezentralisierten Sinne. Religion steht in Roland Robertsons Arbeiten zu Globalität und Globalisierung nun an zentraler Stelle. Die Theorie offeriert ausdrücklich eine Erklärung für das weltweit zu beobachtende Aufkommen neuer religiöser Bewegungen, Fundamentalismen sowie neuer Spannungslagen im Verhältnis von Religion und Politik (vgl. Robertson 1985; 1987; 1989; Robertson/Chirico 1985). Die Autoren bringen dies insofern mit der „global-human condition“ in Verbindung, als sie mit dieser einen weltweiten „humanitic concern“ einhergehen sehen (Robertson/Chirico 1985: 233). Metaphysische Sinnfragen über das menschliche Wesen und Schicksal erlangen ihnen zufolge in dem Maße eine neue Brisanz, in dem eine allgemeine Kategorie der Menschheit im Zuge von Globalisierungs- bzw. Relativierungsprozessen ins Bewusstsein tritt; zugleich wird damit ein wachsender Bedarf an Legitimation und Interpretation einer „Weltordnung“ verbunden. Religionen bilden hier, so die Annahme, für konkrete Gesellschaften ebenso wie für Individuen eine Identitätsressource, die in der Definition des Partikularen in Anbetracht des Global-Universellen herangezogen werden kann. Die flächendeckende Entstehung von religiösen Bewegungen, die hier mit entsprechenden Sinnangeboten aufwarten, führen die Autoren darauf ebenso zurück wie ein zunehmendes Verschwimmen der Grenzen zwischen Religion und Politik. So beobachten sie im Zuge einer neuartigen Relevanz letzter Fragen einerseits ein politisches Vordringen in ein Terrain, das klassischerweise der Religion zufiel: etwa in Bezug auf Fragen der Geburt, Leben und Tod, Alter und Sexualität, oder, insbesondere außenpolitisch, in Bezug auf Menschenrechtsfragen (Robertson/ Chirico 1985: 224). Globale Bedrohungen der Menschheit als Spezies, wie sie etwa durch den Ausbruch von AIDS, aber auch durch die Möglichkeit nuklearer Kriegs-

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führung ins Bewusstsein treten, laden die Politik ebenfalls mit religiösen Bezügen auf (vgl. Robertson 1989: 14). Umgekehrt legt dies, so die Kehrseite des Arguments, religiösen Akteuren wiederum eine zunehmende Politisierung nahe. Hier identifiziert die Theorie zugleich Auswirkungen der globalitätsbedingten Relativierung der Religionen, mit der postulierten Folge, dass diese sich weniger auf der Ebene von ideellen Wahrheitsansprüchen behaupten, sondern ihr Raison d’Être zunehmend im Bereich politischer Aktionen zur Geltung bringen (vgl. Robertson 1989: 17); im Blick ist dabei etwa die Befreiungstheologie. Fundamentalismen werden dabei als gegenläufige Reaktion auf dasselbe Problem verstanden. Hier führen Relativierungen nach Robertson zu einer Inanspruchnahme des Politischen in der Durchsetzung der eigenen, unbedingten Wahrheitsansprüche. Sofern Robertsons Erörterungen einen differenzierungstheoretischen Bezug haben, so liegt dieser also eher in Beobachtungen einer zunehmenden Entdifferenzierung des Religiösen und Politischen im Zuge der Entstehung einer globalen Situation. Das entscheidende Argument Robertsons liegt aber darin, dass mit Globalisierung neue oder zumindest verschärfte Sinnprobleme impliziert sind, die in hohem Maße durch Religion und religiöse Bewegungen aufgegriffen werden. Damit ist ein globalisierungstheoretisches Erklärungsangebot für das hier beobachtete religiöse Wiedererstarken im weltweiten Maßstab gemacht – auf daraus hervorgehende Dynamiken innerhalb einer religiösen Sinnsphäre, die möglicherweise einen globalen interreligiösen Zusammenhang ausdifferenzieren, wird indes nicht eingegangen. Von daher sind solche Beobachtungen zutreffend, die Robertson eher auf eine (differenzierungstheoretische) Linie mit Durkheim bringen (auch wenn mit den Sinnproblemen eher ein Weber’scher Horizont aufgerufen ist).11 Schließlich geht es Robertson um einen religiösen Begründungsbedarf einer gesellschaftlichen Weltordnung, um ein globales, religiös gefärbtes (Kollektiv-)Bewusstsein sowie um die Legitimation von (National-)Gesellschaften innerhalb einer Weltordnung, die neue (zivil-)religiöse Bestrebungen und Sinndeutungen auf den Plan ruft. Der kulturelle Fokus, den Robertsons Analysen hier bewusst an den Tag legen, zieht den Blick dann entsprechend von sozialstrukturellen Aspekten ab. Funktionale Differenzierungen, die immerhin etwa bei Giddens‫( ތ‬1990) globalisierungstheoretischen Betrachtungen an vorderster Stelle stehen, kommen so gut wie gar nicht zur Sprache, sondern treten hinter Selbstbeschreibungsproblemen von Individuen, Nationalgesellschaften und Weltordnungen zurück. Wie Beyer (1994: 40) zurecht konstatiert, ist damit eine implizite analytische Präferenz für die politische Ordnung verbunden; dies kommt auch darin zum Vorschein, das Robertson den Gesellschaftsbegriff für den Nationalstaat reserviert und damit letztlich nationalpolitischen Selbstbeschreibungskategorien folgt, anstatt den Begriff analytisch auf die Weltebene zu heben, für die ja gerade soziokulturelle Interdependenzen konstatiert werden.

11 Siehe etwa Beyer (2001: XIXff.); Tyrell (2005a: 25).

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4. D AS W ELTFUNKTIONSSYSTEM R ELIGION : N IKLAS L UHMANNS T HEORIE DER W ELTGESELLSCHAFT Die Weltgesellschaftstheorie Niklas Luhmanns hat für die vorliegende Studie nicht zuletzt deshalb einen zentralen Stellenwert, weil Differenzierungstheorie und Globalisierungstheorie hier zumindest dem Anspruch nach verknüpft sind. In dieser Hinsicht liefert sie gewissermaßen den Rahmen und die Stoßrichtung der Untersuchung. Die These der „Weltgesellschaft“, die Luhmann (1971/2005) erstmals grundlegend 1971 formuliert, veranschlagt für die moderne Gesellschaft den Singular: Gesellschaft komme gegenwärtig nur noch einmal vor – als Weltgesellschaft. Gegründet wird die These auf zweierlei Argumente: Die eine ist kommunikationstheoretischer Art, die andere folgt differenzierungstheoretischen Annahmen. In kommunikationstheoretischer Hinsicht wird von der oben bereits erörterten systemtypologischen Überlegung Ausgang genommen, der zufolge die Grenzen von Gesellschaft(en) mit den Grenzen von Kommunikation zusammenfallen. Mit den modernen Verkehrs- und Kommunikationstechnologien, die potentiell alle Kommunikationen füreinander erreichbar werden lassen, wird ein einziger, weltumfassender Kommunikationszusammenhang möglich. Damit ist nicht gemeint, dass alle Operationen in einem unmittelbaren Bezug zueinander stehen. In einem komplexen System wie dem der Gesellschaft kann nicht jedes Element mit jedem verbunden sein. Wie Stichweh (2000a: 239) bemerkt, steckt darin eher „eine noch nicht hinreichend explizierte ‚small-world-Annahme‘, die eine indirekte Erreichbarkeit über hinreichend viele Zwischenschritte annimmt“. Dabei geht es Luhmann – ähnlich wie Robertson – allerdings nicht allein um die bloße Feststellung einer sämtliche Distanzen übergreifenden (kommunikativen) Vernetzung und Verdichtung. Vielmehr bilden solche erst die Prämisse für die Herausbildung von Weltgesellschaft im Sinne einer „reale(n) Einheit des Welthorizonts für alle“ (Luhmann 1971/2005: 68). Damit ist also auch ein phänomenologischer Singular impliziert. Jede Gesellschaft realisiert zunächst immer schon Welt in dem Husserl’schen Sinne des Begriffs; das heißt, sie kommuniziert vor einem je eigenen Letzthorizont allen aktualisierbaren Sinnes.12 In diesem phänomenologischen Weltentwurf können dann auch andere Gesellschaften in der Umwelt der betreffenden Gesellschaft ihren thematischen Ort haben, so Luhmann (1997a: 893). Jenen kommen aber wiederum je eigene Welthorizonte zu, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit den Konstruktionen der betreffenden Gesellschaft zusammenfallen. Bezeichnend für die Gegenwart ist Luhmann zufolge nun die Konvergenz aller vormals getrennten und vielfältigen Weltentwürfe zu einem einzigen Auswahlbereich möglicher Kommunikation. In einem späteren, diesbezüglich einschlägigen englischsprachigen Aufsatz hat Luhmann (1982: 132f.) dies so formuliert: „Taking the concept of the world in its phenomenological sense, all societies have been world societies. All societies communicate within the horizon of everything about which they can

12 Vgl. hierzu Luhmann (1997a: 153): „Die Welt selbst ist nur der Gesamthorizont alles sinnhaften Erlebens, mag es sich nach innen oder nach außen richten und in der Zeit voraus oder zurück. Sie ist nicht durch Grenzen geschlossen, sondern durch den in ihr aktivierbaren Sinn.“

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communicate. The total of all the implied meanings for them is the world. Under modern conditions, however, and as a consequence of functional differentiation, only one societal system can exist. Its communicative network spreads over the globe. It includes all human (i.e. meaningful) communication. Modern society is, therefore, a world society in a double sense. It provides one world for one system; and it integrates all world horizons as horizons of one communicative system. The phenomenological and the structural meanings converge. A plurality of possible worlds becomes inconceivable. The world-wide communicative system constitutes one world which includes all possibilities.“

Damit situieren sich, ganz analog wie bei Robertson, der These nach alle kommunikativen Begebenheiten auf dem Globus zwangsläufig vor einem weltweit identischen Selektionshorizont. In sozialer Hinsicht bilden alle Sozialkontakte dann Selektionen aus einem Auswahlbereich, der potentiell die Gesamtmenschheit umfasst; darauf lässt sich auch, wie Stichweh (1994; 2000a: 33) es tut, das Aufkommen neuer Semantiken von ‚Menschheit‘ beziehen. Selbst Liebesheiraten, die von den gesteigerten Möglichkeiten keinen Gebrauch machen und den Nachbarn bzw. die Nachbarin als Partner wählen, erhalten dann unter den Bedingungen, die Luhmann weltgesellschaftsbezogen vor Augen sind, einen anderen Sinn als unter Bedingungen, die von vornherein nur die Personen im eigenen Dorf in Frage kommen lassen (vgl. auch Stichweh 2005a: 23). In zeitlicher Hinsicht gewinnen die hier veranschlagten Konvergenzen etwa in einer gemeinsamen Weltgeschichte Form, zu der sich dann auch lokal orientierte Geschichtsschreibungen in Bezug setzen (vgl. dazu Geyer/Bright 1995). Und in räumlicher Hinsicht lässt sich weltgesellschaftstheoretisch davon ausgehen, dass konkrete geographische Positionen nur noch vor dem Hintergrund gemeinsamer und verbindlicher Vorstellungen eines Globus reflektiert werden (vgl. dazu Stichweh 2008: 104). Weltgesellschaft wird somit bei Luhmann unter dreierlei Gesichtspunkten traktiert (vgl. Bohn 2005a: 57): Weltgesellschaft als globaler kommunikativer Zusammenhang; Weltgesellschaft als konvergenter phänomenologischer Letzthorizont; schließlich Welt und Weltgesellschaft als Semantik, die den entsprechenden Entwicklungen Rechnung trägt und sich beispielsweise in einheitlichen Weltkarten, in Semantiken des Kosmopolitismus etc. niederschlägt. Das zweite Argument für Weltgesellschaft stützt sich demgegenüber auf differenzierungstheoretische Überlegungen (vgl. Luhmann 1971/2005: 73ff.). Mit der Ausdifferenzierung und zunehmenden Autonomisierung von Funktionssystemen lassen sich Gesellschaftsgrenzen schwerlich an den Grenzen von Nationalstaaten festmachen. Funktionssysteme fordern jeweils für ihr spezifisches Bezugsproblem gesellschaftliche ‚Höchstrelevanz‘ und orientieren damit ihre Operationsweise primär an funktionsspezifischen Sachgesichtspunkten. Damit kommen die zu inkludierenden Populationen und räumlichen Extensionen zunehmend allein nach Maßgabe der Funktionsperspektive in den Blick. Infolgedessen fallen die Grenzen der Funktionssysteme nicht mehr einheitlich an Staatsgrenzen zusammen: „Die einzelnen Teilsysteme fordern jeweils andere Grenzen nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Gesellschaft.“ (Luhmann 1971/2005: 75) Für Luhmann spricht dies gegen eine Differenzierung in nationalstaatlich oder regional begrenzte Gesellschaften; die Einheit al-

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ler Funktionen lässt sich für ihn nur noch als Weltgesellschaft denken.13 Insbesondere diese zweite These ist für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse. Das Argument ist zunächst allein gegen die Annahme gerichtet, dass sich alle Funktionssysteme einer nationalstaatlichen bzw. regionalen Differenzierung unterordnen lassen. Doch Luhmann scheint daraus bisweilen die zusätzliche und m.E. nicht zwingende Konsequenz zu ziehen, dass nicht nur Gesellschaft, sondern auch jedes Funktionssystem fortan nur noch im Singular zu denken ist; als ein hinsichtlich seiner Funktion weltweit singulärer Operationszusammenhang, der allenfalls noch interne Differenzierungen nach funktionalen Gesichtspunkten erlaubt. Zunächst hatte sich Luhmann (1971/2005: 68ff.) in dieser Hinsicht reserviert gezeigt. In dem frühen Weltgesellschaftsaufsatz macht er in Bezug auf die Weltgesellschaftstauglichkeit der Funktionssysteme einen Unterschied, den er auf den jeweiligen primären Erwartungsstil stützt. Dabei scheinen ihm die primär „kognitiv“ erwartenden, folglich lernbereiten Systemperspektiven etwa der Wissenschaft, der Medien und der Wirtschaft gegenüber den eher „normativ“ erwartenden Systemen wie Religion, Recht und Politik im Vorteil zu sein. In späteren Publikationen finden sich solche Bedenken und Differenzierungen nicht mehr. Ganz selbstverständlich wird etwa von einem Weltsystem Recht und einem Weltsystem Religion ausgegangen. Diese These wird allerdings recht unambitiös plausibilisiert; allein eine global beobachtbare Kapazität, „Rechtsfragen von anderen Fragen“ (Luhmann 1993: 573) oder „religiöse Kommunikationen […] von anders orientierten Kommunikationen“ (Luhmann 2000a: 341) unterscheiden zu können, scheint hier zu genügen. Lediglich für die Familie schließt Luhmann (1990/2005b: 201) die Annahme eines einzigen Funktionssystems (mit Familien als segmentärer Binnendifferenzierung) aus.14 Über diese Bemerkungen hinaus finden sich allerdings in den Monographien nur sehr spärliche Bemerkungen in Sachen Weltgesellschaftlichkeit bzw. Globalität von Funktionssystemen. Wie sich frühen Publikationsprogrammen entnehmen lässt, war zwar ursprünglich eine Reihe von Büchern geplant, die sich ausdrücklich mit den „Umstrukturierungen und neuartigen Problemstellungen“ befassen sollten, die sich mitunter für die Funktionssysteme aus der Faktizität der Weltgesellschaft ergeben (vgl. hierzu Stichweh 2002: 288). Zu deren Realisierung kam es indes nie. Dies betrifft selbst noch jene Funktionsbereiche, die ansonsten prominent in der Globalisierungsdiskussion der Sozialwissenschaften figurieren – so etwa Wirtschaft oder Poli-

13 Für weitere Formen der Strukturbildung, die für Weltgesellschaft sprechen, vgl. Stichweh (2005a: 10ff.). 14 Stichweh nimmt für die Globalität der Funktionssysteme insbesondere die sachthematischen Universalismen in Beschlag. Dabei wird Universalismus und Globalität teilweise in eins gesetzt; So konstatiert etwa Stichweh (2004a: 2): dass „die Entstehung der Weltgesellschaft und die Durchsetzung funktionaler Differenzierung ein und derselbe Vorgang [sind]“. In Bezug auf die Globalisierung der Wissenschaft unterscheidet Stichweh (2003) hingegen zwischen der universellen Perspektive von Wahrheitsansprüchen, deren Geltung nicht durch soziale oder räumliche Gesichtspunkte eingeschränkt wird, und ihrer Globalität als der weltweiten Durchsetzung dieser Perspektive. Die Universalität bildet dabei einen Promotor, wenn nicht die Voraussetzung von Globalität, ist aber keineswegs mit ihr identisch.

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tik (man denke nur an das Forschungsfeld der Internationalen Beziehungen); auch hier hat Luhmann wenig Weltgesellschaftliches im Angebot. Gerade vor diesem Hintergrund birgt die späte Monographie „Religion der Gesellschaft“ (Luhmann 2000a) eine Überraschung: Rudolf Stichweh (2002: 290) merkt in Bezugnahme auf diese an, sie sei „unter den späten Büchern das am stärksten von der Weltgesellschaft her gedachte“. Die Globalität der Religion ist geradezu eine Prämisse der Untersuchung, die in ihrem Illustrationsmaterial ganz bewusst auf globale Diversität setzt. Aber auch ein kleinerer Aufsatz mit dem bemerkenswerten, in dieser Hinsicht einzigartigen Titel „Die Weltgesellschaft und ihre Religion“ (Luhmann 1995b) zeigt die Bedeutung an, die globale Perspektiven in der späten Religionstheorie Luhmanns gewinnen. Diese Wendung mag gerade für den Fall Religion verwundern, zumal sich hier, wie in Kapitel III erörtert, der Singular des Systems kaum theoretisch plausibilisieren lässt. Mit Blick auf die allgemeine religionssoziologische Diskussion lässt sich für dieses Theoriemanöver allerdings eine Erklärung anbieten – dies gilt auch für Luhmanns neuen Optimismus hinsichtlich einer religiösen Dynamik. Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, war im Fach die ‚Entdeckung‘ eines Fortbestehens religiöser Vitalität unmittelbar an globale Perspektiven gebunden – Beispiele hierfür fanden sich schließlich vornehmlich außerhalb Europas. So wurde es von der religionssoziologischen Debatte selbst an Luhmann geradezu herangetragen, nicht nur seine differenzierungstheoretische Skepsis zu überdenken, sondern in dieser Hinsicht zugleich (und ausnahmsweise) sein weltgesellschaftstheoretisches Programm zu mobilisieren. Der außereuropäische Blick des Fachs in der Diagnose einer „religious resurgence“ hat ihm dies unmittelbar nahegelegt; und so schöpft auch Luhmann in seinen Beispielen vornehmlich aus den südamerikanischen und asiatischen Kontexten. Nicht zuletzt gilt sein Blick dort auch gerade den „new religious movements“ (vgl. etwa Barker 1983; 1989), für die sich die Religionssoziologie in diesem Zusammenhang ebenfalls seit ihrem ‚Paradigmenwechsel‘ zu interessieren begann.15 Die eigentümliche differenzierungsbezogene und weltgesellschaftstheoretische ‚Wende‘ der Religionstheorie Luhmanns mag damit den Impulsen des breiteren religionssoziologischen Diskurses geschuldet sein. Auf die theoretische Konsolidierung der Globalitätsthese – jenseits anekdotischer Illustration – wird indes vergleichsweise wenig Mühe verwandt. Hier ist es in der Hauptsache ein Analogieschluss von der Politik auf die Religion, der nicht nur, wie bereits im letzten Teil dargelegt, die Systematizität der Religion, sondern auch ihren weltgesellschaftlichen Singular belegen soll. Luhmann (2000b: 220ff.) orientiert sich 15 Auch ein kleinerer Text von 1997 zeugt von diesem Anschluss an den rezenten Trend, vor allem außerhalb Europas (und damit global) ein Wiederaufleben des Religiösen zu beobachten (vgl. Luhmann 1997b). In diesem Text werden „zahlreiche Neubildungen und Intensivierungen im Bereich religiöser Kommunikation“ (ebd.: 172) konstatiert und anhand weltweiter Beispiele illustriert. Bemerkenswert ist dabei die gewisse Vorsicht (im Vergleich zur wohl zeitgleich entstandenen Monographie), mit der hier der differenzierungstheoretische Schluss auf ein globales Religionssystem vorgetragen wird: „Trotz der extremen Verschiedenartigkeit der Glaubensformen muß man eine weltweite Entwicklung konstatieren – gleichviel, ob man von einem Ausdifferenzierungsschub ‚des‘ [sic!] Religionssystems ‚der‘ [sic!] Weltgesellschaft sprechen will oder nur von extrem unterschiedlichen Reaktionen auf Globalisierungstrends der Moderne (vgl. Robertson 1992).“ (Ebd.: 173)

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in „Die Politik der Gesellschaft“ im Rahmen einer kurzen Erörterung zur Weltgesellschaftlichkeit der Politik eng an den Thesen des Neo-Institutionalismus John W. Meyers et al. Dabei wird von einer segmentären Differenzierung der Weltpolitik in Nationalstaaten ausgegangen. Die Konstitution eines Staates ist dem Argument zufolge auf die „internationale Anerkennung“ (Luhmann 2000b: 225) von Seiten anderer Staaten innerhalb dieses Zusammenhangs angewiesen und erhält von dort ihre Legitimität. Für die Religion wird in den späten religionssoziologischen Arbeiten nun eine Parallele behauptet. Einzelne Religionen will Luhmann hier als segmentäre Binnensysteme innerhalb eines übergeordneten interreligiösen Gesamtzusammenhangs verstanden wissen (vgl. Luhmann 1995b: 12; 2000a: 272). Die Fragwürdigkeit dieses Vergleichs wurde in Kapitel III bereits herausgestellt. Die von Luhmann illustrierte Diversität und Heterogenität spricht gerade gegen einen Anerkennungszusammenhang, der die Legitimierung einer Religion an spezifische Formvorgaben knüpft und so Isomorphien unter den Binnensystemen erzeugt. Stattdessen spricht die Vielfalt der religiösen ‚Arten‘ für eine weitreichende Beliebigkeit und Zusammenhangslosigkeit, die, wie oben gesehen, der allgemeinen differenzierungstheoretischen Diagnostik einer am Fall Europa orientierten Religionssoziologie entspricht. Zugespitzt lässt sich in diesem Zusammenhang behaupten: Luhmann projiziert hier eine implizit europäisch voreingenommene Beschreibung privatisierter und individualisierter Religiosität auf die Ebene der Weltgesellschaft. Dabei werden allerdings etwaige global und interreligiös orientierte Selbstbeschreibungen eines solchen – dem theoretischen Anspruch nach „selbstreferentiellen“ – Systems nicht nachgeliefert. Ebenso fehlen Angaben über eine spezifisch religiöse Operation, die einen kommunikativen Anschlusszusammenhang auf der Ebene der Gesellschaft auszudifferenzieren vermag. Im sechsten Kapitel (VI) dieser Arbeit soll entsprechend eine andere Strategie für eine weltgesellschaftstheoretische Betrachtung der Religion vorgeschlagen werden. Statt den europäischen Fall theoretisch auf die Ebene des Globalen zu extrapolieren, wäre es der Theorie selbstreferentieller Systeme und der empirischen Ausgangslage angemessener zu beschreiben, wie der amerikanische Fall des denominationalen Pluralismus sich selbst auf die Weltgesellschaftsebene hochprojiziert und dadurch reale, differenzierungstheoretisch bedeutsame Folgen zeitigt. Dieser Frage wird hier am Beispiel der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nachzugehen sein. Peter Beyer hat indessen die Luhmann‫ތ‬sche Theorie zuletzt an anderer Stelle weiterentwickelt. Er hat die theoretische Parallelisierung mit der neo-institutionalistischen Perspektive auf die Weltpolitik theoretisch konsequenter und empirisch belastbarer ausgebaut. Seine systemtheoretisch orientierten Analysen zur Globalität von Religion reichen jedoch bis weit vor die posthume Publikation Luhmanns zurück. Seinen Ansätzen gilt es sich im Folgenden zuzuwenden.

5. „R ELIGIONS IN G LOBAL S OCIETY “: P ETER B EYERS F ORTFÜHRUNG SYSTEMTHEORETISCHER P ERSPEKTIVEN Die weltgesellschaftstheoretische Religionssoziologie Beyers folgt in vielerlei Hinsicht einer Entwicklung, die sich hier auch für Luhmanns differenzierungstheoretische Betrachtung der Religion konstatieren ließ. Luhmann hatte sich zunächst skep-

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tisch gezeigt, ob Religion als funktional spezialisiertes System mit den anderen Funktionssystemen gleichzuziehen vermag; erst zuletzt hat er daran keinen Zweifel mehr gelassen. Eine ähnliche Re-Akzentuierung der Positionen findet sich nun auch bei Beyer in Bezug auf die Frage nach den Möglichkeiten eines globalen Religionssystems. Das verwundert nicht; denn in seiner frühen Monographie von 1994 nimmt Beyer Ausgang von den bis dato publizierten religionssoziologischen Studien Luhmanns, die den Optimismus der posthumen Publikation noch nicht erkennen lassen. Das späte Buch „Religions in Global Society“ steht demgegenüber ganz im Zeichen von Luhmanns „Religion der Gesellschaft“ und entwickelt insbesondere die Parallelisierung mit der Politik instruktiv weiter. Die erste Untersuchung „Religion and Globalization“ (1994) ist um drei Leitunterscheidungen zentriert: privat/öffentlich, liberal/konservativ, schließlich Funktion/Leistung. Dabei wird die Frage nach den Möglichkeiten der religiösen Funktionssystembildung bereits in einer entscheidenden Hinsicht verengt. In dieser Untersuchung soll die Bewährungsprobe für „systemic religion“ nicht im Bereich des Privaten und im Feld freiwilliger Assoziationen, sondern allein im Gebiet der Öffentlichkeitswirksamkeit liegen.16 Dabei weist Beyer in ähnliche Richtungen wie José Casanova (1992; 1994), wenn er davon ausgeht, „that the globalization of society, while structurally favouring privatization in religion, also provides fertile ground for the renewed public influence of religion“ (Beyer 1994: 71). Das Ausmaß öffentlichen Einflusses der Religion soll dabei am Stellenwert ihres funktionalen Beitrags für die gesellschaftliche Umwelt bemessen werden; ist dieser unverzichtbar, so haben Abweichungen von religiösen Normen negative Konsequenzen für religiöse Anhänger wie Nicht-Anhänger. Einen solchen unabdingbaren Beitrag kann es nach Beyer auf der Ebene der Funktionsorientierung nicht geben. Im Gefolge Luhmanns macht er dafür den Fundamentalcharakter der Funktion verantwortlich: Das Argument ist auch hier, dass diese zwar für grundlegende Sinnprobleme und Sinngebungen zuständig ist, aber entsprechend auch nur in wenigen Ausnahmefällen angerufen wird; von Seiten anderer Funktionsbereiche kann darauf im Allgemeinen verzichtet werden (vgl. ebd.: 102). Ihre reine Funktion entfaltet die Religion für Beyer (ebd.: 86ff.) damit hauptsächlich im Privatbereich individuellen Glaubens. Dagegen verhilft der Religion ihre Leistungsorientierung, so die These, zu einer kontinuierlicheren (und im Sinne Beyers öffentlichen) Relevanz. Hier befasst sich Religion mit den Problemen, die in anderen Funktionssystemen generiert, aber dort nicht behandelt werden. Luhmann hatte, wie in Kapitel III erörtert, hierin die Zuständigkeit der „Diakonie“ gesehen. Beyer (1994: 86) unterscheidet dabei zwischen liberalen und konservativen Ausprägungen sowohl der Funktions- als auch Leistungsperspektiven. Privatisierte (funktionsorientierte) Religiosität sieht er auf der konservativen Seite oftmals die Form einer durchgreifend religiös orientierten Lebensführung annehmen, die sich von moralisch Andersdenkenden abzuschotten versucht. Seinen organisatorischen Ausdruck findet dies nicht selten in der Gestalt von Sekten, so Beyer (ebd.: 90). Auf der libera16 Vgl. Beyer (1994: 12): „What are the abstract possibilities in today’s world for religion [...] to be a determinative force in social structures and processes beyond the restricted sphere of voluntary and individual belief and practice? Even more specifically, what are the possibilities for institutionally specialized or systemic religion in this regard? The question of what I call ‚public influence‘ is at the heart of my endeavours here.“ (Herv. i.O.)

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len Seite identifiziert die Erörterung demgegenüber eher Probleme, ein religiöses Profil zu gewinnen; hier neigt man Beyer zufolge dazu, sich bloß an die Kasualien zu halten. Entscheidender für sein Untersuchungsinteresse sind aber die (öffentlichen) Leistungsperspektiven – hier wird insbesondere Anschluss an Roland Robertson gesucht. Diese, je nach liberaler oder konservativer Ausrichtung unterschiedlich ausfallenden ‚Leistungsformate‘ werden hier ganz im Sinne Robertsons als spezifisch religiöse Reaktionen auf Globalisierung gedeutet. So beobachtet Beyer, dass die liberale Seite ihr religiöses Betätigungsfeld zunehmend im politischen Handeln sucht – dies nicht zuletzt infolge einer Relativierung der eigenen religiösen Inhalte, der aufgrund der toleranten, pluralistischen Orientierung kaum etwas entgegengesetzt werden kann. Wie oben angeführt, hatte auch Robertson (1989: 17) die Entstehung der Befreiungstheologie in diesem Sinne gedeutet. Beyer (1994: 87, 135ff.) übersetzt dies in die Luhmann‫ތ‬sche Terminologie der Leistungsorientierung, findet hierfür aber auch eine Wallerstein‫ތ‬sche Begrifflichkeit: Eine solche Interventionsperspektive gilt ihm ebenso als „prosystemisch“ wie auch als „antisystemisch“ (im Wallerstein‫ތ‬schen Sinne des Weltsystems): Sie ist antisystemisch, weil sie gegen die Exklusionseffekte der Funktionssysteme antritt, und prosystemisch, weil sie dabei Werte, etwa Gleichheit und Fortschritt ins Feld führt, die gleichermaßen Teil einer sich globalisierenden Weltkultur sind und in vielerlei Hinsicht die Voraussetzung der Ausdifferenzierung und Globalisierung von Funktionssystemen bilden. In diesem Sinne adressiert die liberale Leistungsperspektive für Beyer (1994: 105) in gewisser Hinsicht die „Widersprüche“ des Systems.17 Demgegenüber erkennt er in der konservativen Option einen durch und durch antisystemischen Affekt, den er aber nicht minder als Reaktion auf Bedingungen der Globalisierung deuten will. Hier manifestiert sich die Leistungsperspektive, so das Argument, oftmals in der Inanspruchnahme des Staates und einer religiösen Einverleibung anderer Funktionsbereiche; als Beispiel dient hier der Fall des Iran. Die Abgrenzung einer religiös überformten Sondergesellschaft beruht für Beyer dabei auf der moralischen Ausgrenzung eines ‚Anderen‘, so etwa des Westens und seiner Werte, sinnbildlich verkörpert im ‚Großen Satan‘ USA. Auch eine solche Variante der Politisierung des Religiösen findet, wie oben gesehen, bei Robertson ihre Berücksichtigung. Es stellt sich die Frage, ob hier gegenüber der Robertson‫ތ‬schen Perspektive ein zusätzlicher analytischer Ertrag gewonnen ist. Immerhin darf man bezweifeln, dass der Luhmann‫ތ‬sche Begriff der Leistungsorientierung adäquat eingesetzt ist, wenn er, wie bei Beyer (1994: 93), auch für die entdifferenzierende Unterordnung anderer Funktionsbereiche durch fundamentalistische Bewegungen zum Einsatz kommt. Auch im liberalen Fall ist ein politisches Engagement religiöser Akteure nur bedingt als religiöse Leistung zu nehmen, etwa dann, wenn dieses Engagement dezidiert den Folgeproblemen anderer Funktionssysteme gilt. Andernfalls liegt der Leistungsbegriff aber fern: Schließlich kann der Lobbyismus wirtschaftlicher Unternehmen auch nicht als wirtschaftliche Leistung gelten. In solchen Fällen bewegt man sich doch im Bereich der Politik, so dass umgekehrt eher von politischen Leistungen für die Religion bzw. die Wirtschaft die Rede sein müsste. Auch die Parallelisierung von privat

17 An dieser Deutung Beyers wird die theoretische Synthese der Positionen Wallersteins, Meyers, Robertsons und Luhmanns offenbar.

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und öffentlich mit Funktion und Leistung im religiösen Fall leuchtet nur begrenzt ein. Hier mag die Annahme einer orthogonalen Beziehung plausibler sein. Von weitaus größerer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung sind indes Beyers frühe Einschätzungen zum (globalen) Systemstatus der Religion, die sich auch durch Luhmanns Theorie der Ebenendifferenzierung informiert zeigen. Hier ist Beyer (1994: 104) ähnlich skeptisch wie (der frühe) Luhmann: „In light of religion’s functional peculiarity, it is then unlikely that we are going to see the development of a global religious system like the world capitalist economy or the system of sovereign states, at least not during the current phase of globalization.“18 Dabei ist bemerkenswert, dass Beyer (1994: 103) hier – gegen die spätere Position Luhmanns – die Diversität religiöser Erscheinungen im Vergleich zur weitreichenden Homogenität in Wissenschaft, Medizin, Politik etc. gerade als ein Indiz für das Scheitern der Selbststilisierung der Religion als System nimmt. Die Chancen für Religion sieht Beyer (ebd.: 105ff.) entsprechend eher in Sozialformen unterhalb der Gesellschaftsebene. Neben Interaktionszusammenhängen und Organisationen gilt ihm dabei insbesondere die soziale Bewegung als vorteilhaft, weil sie durch kontinuierliche Mobilisierung und Protestaktionen der Tendenz zur religiösen Privatisierung aus seiner Sicht am effektivsten entgegenwirkt.19 Indem solche Bewegungen religiösen Sinn mit politischer Initiative verbinden, bilden sie eine besondere Möglichkeit „for bridging the gap between privatized religious function and publicly influential religious performance“ (ebd.: 107). Damit aber ist eine wesentliche systemtheoretische Konsequenz gezogen. Auf der operativen Ebene eines Funktionssystems nistet sich das Religiöse kaum ein. In diesem Zusammenhang wird es auch für Beyer (1994: 72) ins Private abgedrängt. Gesellschaftliche Relevanz dagegen erhält es seiner Ansicht nach vornehmlich als „cultural resource for other systems“ (ebd.; Herv. M.P.), etwa sozialen Bewegungen, die nach politischer Macht greifen oder sich politisch engagieren.20 Beyer kommt damit zu einem Schluss, zu dem auch die Luhmann-Exegese der vorliegenden Arbeit gekommen ist: Die Religionen, die Luhmann später als Binnensysteme fassen will, erscheinen auch hier (zunächst) als kulturelle Semantiken; als operativer Zusammenhang gewinnen sie für Beyer lediglich in anderen, insbesondere meso- oder mikrosozialen Systemeinheiten Gestalt. Allerdings nimmt Beyers Studie von 2006 demgegenüber eine ganz neue Wendung. Wie auch der spätere Luhmann, so kommt Beyer im Hinblick auf den Funktionssystemstatus nun zu eher optimistischen Einschätzungen. Von der These der Existenz eines globalen Funktionssystems der Religion wird ausdrücklich Ausgang genommen (vgl. Beyer 2006: 3). Sie gründet dabei in dem Postulat eines wechselseitigen Anerkennungszusammenhangs von Religionen: „[T]he development of the glob18 Vgl. hierzu auch Beyer (1997: 232): „[F]rom a sociological perspective, a global function system is not necessary; and religion, like morality, could eventually lose its presence as an observable societal system.“ Auch hier stützt sich Beyer auf Probleme der Religion, die fundamentale Behandlung von Sinnproblemen in die Form einer „technical instrumentalization“ in Analogie zu anderen Funktionssystemen zu bringen. 19 Vgl. zur Protestbewegung Luhmann (1997a: 847ff.). 20 Siehe hierzu auch Beyers (1999: 295f.) Typologie von Sozialformen der Religion; er unterscheidet zwischen „collective cultural religion“, „organized religion“, „politicized religion“ und „individualized religion“; vgl. auch Beyer (2003a: 53ff.).

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al religious system is identical with the emergence, construction and imagination of a plurality of mutually identifying religions, not as the mere imposition of a supposedly ‚Christian‘ model on the rest of the world.“ (Ebd.: 57; Herv. M.P.) Dieser These wird auch historisch nachgegangen, indem nachgezeichnet wird, wie sich die „generische“ Kategorie der Religion in der Konfrontation und Interaktion mit anderen, infolgedessen als Religionen identifizierten Erscheinungen herauskristallisiert hat (vgl. ebd.: 65ff.). Abweichend von Luhmann wird als Code die Unterscheidung von „blessed/ cursed“ konstatiert; allerdings handelt es sich dabei ausdrücklich um eine theoretische Abstraktion (vgl. ebd.: 85). Entsprechend werden für die verschiedenen religiösen Traditionen unterschiedliche Variationen dieses Codes postuliert. Ferner unterscheiden sich Beyer (ebd.: 85ff.) zufolge die konkreten Religionen durch jeweils eigene Programme für die Anwendung des Codes. Als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium wird, entgegen Luhmanns Vorbehalten, religiöser Glaube eingetragen (vgl. ebd.: 97). Diese neue Zuversicht in Bezug auf den Systemstatus dürfte bei Beyer (2006) auch damit zusammenhängen, dass von einer funktionalistischen Perspektive auf die Religion nun weitgehend abgesehen wird. Die Frage der funktionalen Spezialisierung, die zuvor zu eher negativen Einschätzungen geführt hatte, kommt in dieser Studie nicht mehr auf; stattdessen stehen nun eher die ‚substantialen‘ Aspekte der Luhmann‫ތ‬schen Betrachtung der Religion im Vordergrund. Wie Luhmann in seiner späten Religionstheorie, so legt auch Beyer (2006: 94) dieser Studie eine Parallelisierung der Religion mit der Politik und ihrer nationalstaatlichen Binnendifferenzierung zugrunde. Diese Parallelität wird dabei allerdings noch konsequenter als bei Luhmann auf die Linie der neo-institutionalistischen Beschreibung der „world polity“ gebracht: Der Fokus liegt auf legitimen Modellen von ‚Religion‘ bzw. auf Zuweisungen von Legitimität von Seiten „Anderer“ (vgl. ebd.: 6). Der Heterogenität religiöser Erscheinungen versucht Beyer dabei dadurch gerecht zu werden, dass er für das religiöse Funktionssystem von ‚Grenzkämpfen‘ ausgeht. Ganz im Sinne einer Bourdieu‫ތ‬schen Perspektive – ohne diese allerdings aufzurufen21 – werden Anerkennungs- und Deutungskämpfe hinsichtlich dessen konstatiert, was eine „legitime“ Religion ausmacht: „[Such contestations] concern the range of religious power, the question of what one can claim in the name of religion. They centre on what and who belongs to religion and to which religion. And they pertain to the relations with local or global ‚others‘. These dimensions are all related in the sense that each involves disputed social boundaries; and each of them reflects the particular way that the religious function system has been constructed, either by rejecting that construction, modifying it or seeking to take advantage of it.“ (Beyer 2006: 6)

Beyer nimmt dabei offensichtlich die Diversifikationsthese Luhmanns auf, die von Formenvariation auf der Grundlage eines bestehenden Repertoires religiöser Formen ausgeht, erweitert sie aber um den Aspekt der Legitimität: „[R]eligious legitimacy in our world depends at least in part on an implicit modelling of new religions on those already established and accepted.“ (Ebd.: 271) Das schließt Heterogenität nicht aus; Bestehendes kann gerade die Vorlage für Abweichungen liefern. Für die Anerken21 Siehe aber Beyer (2003a: 58); hier wird Bourdieu für den Gedanken der Religion als ein „field of contestation“ zitiert.

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nung als Religion bedarf es aber eines Mindestmaßes an Redundanz. In verschiedenen Fallanalysen geht Beyer (ebd.: 117ff., 188ff., 225ff., 254ff.) schließlich den (Re-) Konstruktionen und Selbstmodellierungen verschiedener Traditionen und neuer Bewegungen als Religionen nach – von den synthetisierenden Konstruktionen eines ‚Hinduismus‘, von denen auch hier im empirischen Teil noch zu sprechen sein wird, über gescheiterte Versuche, den Konfuzianismus als ‚Offenbarungsreligion‘ zu stilisieren, bis hin zu den Bemühungen von Scientology und anderen jüngeren Bewegungen, als Religion Anerkennung zu finden. Diese Studie von Beyer stellt in vielerlei Hinsicht eine inspirierte und empirisch gehaltvolle Weiterentwicklung der späten Religionstheorie Luhmanns dar. Bemerkenswert ist dabei auch, dass Beyer in differenzierungstheoretischer Hinsicht teilweise konsequenter an die anderen Funktionssystemstudien anschließt, als Luhmann dies selbst tut. Hier wird etwa für die Religion ausdrücklich auf ein Steigerungsverhältnis gegenüber weniger voraussetzungsvollen lebensweltlichen Formen insistiert – eine theoretische Perspektive, die sich auch bei Luhmann findet, mit der einzigen, unexplizierten Ausnahme der Religion. So betont Beyer (2006: 3) eine Grenzziehung, die eine Beliebigkeit religiöser Formen einschränkt: „[The religious function] system by no means includes everything conceivably religious; it is in fact highly selective and to an extent arbitrary in what it includes or excludes, as are all function systems.“ Damit ist eine entscheidende Schwäche differenzierungstheoretischer Betrachtungen der Religion zumindest potentiell überwunden. Sie betrifft das Problem einer impliziten analytischen Vorentscheidung über die Abgrenzungen eines religiösen Gegenstandsbereichs, die dann nachträglich mit differenzierungstheoretischen Begriffen eingeholt werden soll – ein Problem, das auch die späte Studie Luhmanns in weiten Teilen kennzeichnet. Demgegenüber räumt Beyer ausdrücklich der Möglichkeit Raum ein, dass sich innerhalb des Gesamtbereichs „religiöser Kultur“ ein engerer, voraussetzungsvollerer, selektiver religiöser Zusammenhang mit Funktionssystemeigenschaften herausbilden bzw. darüber erheben kann.22 Es ist dies eine Einsicht, die sich auch die vorliegende Untersuchung unbedingt zu eigen machen will. Auch die Frage nach übergreifenden Selbstbeschreibungen, die einen solchen Steigerungszusammenhang begründen könnten, liegt der gesamten Studie Beyers zugrunde: einer-

22 Siehe hierzu ausführlich Beyer (2006: 114): „The science system has not digested all the possible things that people around the world know, and yet this knowledge somehow also counts. It is almost a truism that we do not learn all our competences in schools. Not everything that is artistic counts as art. Illness and healing happen massively outside the medicalized health system, even though modern medicine probably could categorize them all if they were brought for diagnosis and treatment. Information is to be had outside the mass media, and much physical activity does not count as sport. In each of these cases, the effort to arrive at a conception that includes all that could analytically be included leads to the same sort of vagueness and inconclusive discussion as the search for a concept of religion valid for all times, societies and places. Therefore the fact that there is a lot of ‚religious culture‘ out there which neither its carriers nor most outside observers deem part of one of the religions does not lead to the conclusion that religion is simply a misnomer. It does indicate highly selective, even if one wishes, manipulative, impositional, and ‚colonizing‘ structures, as do the categories that name the other systems.“ (Herv. M.P.)

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seits im Zusammenhang der historischen Semantik von ‚Religion‘, andererseits hinsichtlich Religion als „contested category“ (Beyer 2006: 254). Beyer zeigt noch in anderer Hinsicht systemtheoretische Konsequenz. So wird in seiner Analyse den religiösen Elementarakten, die man in Luhmanns Untersuchung vermisst, ausdrücklich eine zentrale Stelle zugesprochen (vgl. Beyer 2006: 90ff.). Allerdings werden als „core elements“ (ebd.: 91) Rituale und Kommunikationen mit nicht-empirischen bzw. transzendenten Adressaten eingetragen. Wie bereits erörtert, erfüllen diese die essentielle Funktion von Elementarakten aber gerade nicht, nämlich einen Anschlusszusammenhang auf Gesellschaftsebene zu integrieren. Luhmann (1985/2005) selbst hatte sich die Frage nach den Möglichkeiten einer „Kommunikation“ mit Gott gestellt und solche verneint; aber auch unabhängig davon ist nicht einsichtig, wie das z.T. private Adressieren eines übernatürlichen Anderen einen Sinnhorizont dergestalt reproduziert, das daraus Einschränkungen für die weiteren Möglichkeiten religiösen Erlebens und Handelns hervorgehen – und dies auch noch gesellschaftsweit. Gleiches lässt sich für die zum Teil privat, zum Teil präkommunikativ bzw. sprachfrei durchgeführten Rituale anführen. Dennoch muss man Beyer an dieser Stelle dahingehend systemtheoretische Stringenz zugutehalten, dass er zumindest die Relevanz von Elementarereignissen in der Analyse von Funktionssystemen bekräftigt. Allerdings gibt es auch differenzierungstheoretische Vorbehalte anzumelden. Die Untersuchung lässt sich allzu sehr auf die Perspektive des Neo-Institutionalismus ein und gibt dabei wesentliche Einsichten der Luhmann‫ތ‬schen Differenzierungstheorie preis. So geht es der Untersuchung in weiten Teilen darum zu verfolgen, wie sich Legitimität beanspruchende, kulturelle Modelle von Religionen ausbilden – ähnlich, wie es die World-Polity-Forschung für den Nationalstaat, Organisationen und individuelle Akteure nachgezeichnet hat (vgl. zu dieser theoretischen Parallele ausdrücklich Beyer 1998a: 87f.). Konvergenzen und Redundanzen werden, ohne Verwendung des Begriffs, gewissermaßen auf eine „theorization“ im Sinne Strangs und Meyers (1993: 492ff.) zugerechnet: Religion etabliert sich als Kategorie, die dann die Diffusion von mehr oder minder impliziten, eventuell streitbaren Modellen des Religiösen kanalisiert (vgl. dazu auch Beyer 2003b). Damit ist der Kern des Problems schon berührt. Die Studie Beyers begnügt sich weitreichend mit dem Aufzeigen solcher Konvergenzen. Dabei wird die Frage nach der Einheit eines globalen interreligiösen Zusammenhangs in dreierlei Hinsicht problematisch:23 Auch Beyer bleibt den Ausweis eines operativen Systemzusammenhangs von Religionen schuldig, der entsprechende Inklusionen und Exklusionen konditionieren könnte – etwa durch die Verweigerung von kommunikativen Anschlüssen. Entsprechend kurz greift die Parallele zur Politik, in der solche Anerkennungen qua politischer Entscheidung erfolgen. Hier gibt es einen internationalen Operationszusammenhang von Machtkommunikationen, innerhalb dessen die Anerkennung und Aberkennung von Nationalstaaten ausgehandelt wird. Dieses Defizits scheint sich auch Beyer (2006: 94f.) bewusst, wenn er hinsichtlich seines Vergleichs mit der Politik formuliert:

23 Beyer (2006: 79, 301) konzediert selbst, dass die Frage nach der „Singularität“, d.h. der Einheit des Systems, in mancherlei Hinsicht offen bleibe.

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„States are not religions and vice versa, but there has been this similarity in how the two systems have come about. Among the many differences between the two, however, is that in the case of religions, inter-religious relations, along with the institutions that lend them form, are far less developed than in the case of international relations among states. Thus, what together constitutes the different religions as a single system is largely the parallelism in form that I am discussing here: parallelism at the level of codes, programmes, elements, and [...] power media.“24 (Herv. M.P.)

Daraus folgt zweitens, dass Beyer (2006) kaum Hinweise liefert, die für eine Zurechnung dieser Konvergenzen auf einen religiösen Beobachtungs- und Anerkennungszusammenhang sprechen. Im Gegenteil: Ein zentrales Argument Beyers (2006: 285f.) ist gerade, dass die Zulassung und Anerkennung von Religionen in entscheidender Hinsicht staatlichen Behörden obliegt, also der externen Beobachtung durch das politische System. Mit dieser Betonung der Rolle von „outside observation or thematization of these religions“ (Beyer 2006: 94) liegt er ganz auf der Linie der neoinstitutionalistischen Forschung, die weniger von differenzierungstheoretisch motivierten ‚Selbstthematisierungs‘-Annahmen ausgeht, sondern die Konstruktion kategorialer Felder kulturell legitimierten „Theoretikern“ und Experten überlässt: d.h. „scientists (including popular analysts disesteemed within the academic community), intellectuals, policy analysts, professionals“ (Strang/Meyer 1993: 494). Eine Terminologie von DiMaggio und Powell (1983) aufgreifend, ließe sich damit den eigenen Darstellungen Beyers entnehmen, dass in den interreligiösen Ähnlichkeiten weniger „normative“ Isomorphien zu sehen sind, die auf autonome Anerkennungsverhältnisse zwischen religiösen Professionellen zurückzuführen wären; vielmehr wären die Konvergenzen in den Religionen als ein Fall von „coercive isomorphism“ zu klassifizieren, da die entscheidende ‚Anerkennungsgewalt‘ beim Staat liegt.25 Die Konvergenzen wären also darauf zurückzuführen, dass man staatlichen, und nicht religiösen Modellen „legitimer Religion“ gerecht wird.26 Eine autonome Selbstkonstitution eines religiösen Systems ist von daher aber in Frage zu stellen. Drittens stoßen die Konvergenzen, die für eine Einheit der Religion im Sinne einheitlicher kultureller Modelle sprechen sollen (vgl. Beyer 1998b: 169), im Vergleich zur Politik ganz klar an ihre Grenzen. Die „partikularen“ Eigenheiten fallen weitaus deutlicher ins Auge als „universelle“ Ähnlichkeiten, wie Beyer (1998a: 90) selbst konzediert. Beyer (2006: 6) will ja den interreligiösen Systemzusammenhang auch als Variationsimpuls verstanden wissen; nicht zuletzt konstatiert er für die verschiedenen Religionen nicht nur unterschiedliche Programme, sondern auch unterschiedliche Codes. Diese angebliche Variationsdynamik wird bei Beyer (2007: 24 Siehe hierzu aber auch Beyer (1998c: 23f.), wo interreligiöser Dialog und gar Mission als religiöse Äquivalente zu politischer Diplomatie bzw. politischen Auseinandersetzungen erwogen werden. Hier liegt der Blick zum Teil noch deutlicher auf operativen Formen interreligiöser Verhältnisse. 25 Diese Unterscheidung sieht neben „coercive“ und „normative isomorphisms“ noch eine „mimetische“ Variante vor, die auf Unsicherheitsabsorption beruht; vgl. DiMaggio/Powell (1983). 26 Vgl. hierzu die bereits in Kapitel III zitierte Studie Tackes (2001) zum Fall der Anerkennung von Scientology in Deutschland.

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174ff.) dann auch ausdrücklich durch die Darstellung entsprechender Abweichungen von etwaigen Modellen illustriert. Damit zerfließt aber zum einen die These einer ‚Einheit der Religionen‘ im Zuge von Konzessionen, die das Gesamtsystem entsprechend als „quite weak“ (Beyer 1998a: 90) bezeichnen oder diesem „ambiguous margins“ (Beyer 2006: 301) zusprechen. Zum anderen steht die Falsifizierbarkeit dieser Theorie in Frage, wenn sowohl die Divergenzen als auch die Konvergenzen für einen interreligiösen Zusammenhang sprechen sollen. Dennoch soll hier in der weiteren Untersuchung von zahlreichen Vorarbeiten Beyers Ausgang genommen werden. Es gilt im empirischen Teil zunächst der Herausbildung globaler ‚gesamtreligiöser‘ Beobachtungshorizonte ab dem 17. Jahrhundert nachzugehen und zu verfolgen, wie sich darin Selbstbeschreibungen des Religiösen ‚an sich‘ herauskristallisieren. Damit folgt die Untersuchung der von Beyer (2006: 62ff.) aufgezeigten Richtung und entwickelt sie insbesondere durch weiteres empirisches Material fort. Ferner interessieren auch im vorliegenden Zusammenhang die religiösen Rekonstruktionen und Re-Modellierungen, von denen auch Beyer spricht. Sie sollen hier allerdings stärker auf die Genese eines operativen Beobachtungs- und Handlungszusammenhangs ausgewählter religiöser Strömungen zurückgeführt werden, der sich insbesondere ab dem 19. Jahrhundert um den Akt der Konversion zentriert.

6. F AZIT Die Diskussion der verschiedenen globalitätstheoretischen Ansätze hat gezeigt, dass Religion in globaler und differenzierungstheoretisch bedeutsamer Hinsicht allein in den systemtheoretisch orientierten Arbeiten in den Blick kommt. Das überrascht insoweit nicht, als in der Systemtheorie eine Verbindung von Differenzierungs- und Weltgesellschaftstheorie schon in den grundlegenden Aufsätzen angelegt ist. Demgegenüber finden sich in der Weltsystemtheorie Wallersteins weitgehend ‚reduktionistische‘ Perspektiven auf die Religion, die auch in Robert Wuthnows eigenen Anschlüssen an diesen Ansatz kaum überwunden sind. In den Beschreibungen des soziologischen Neo-Institutionalismus wiederum verfließen ursprünglich religiöse Ontologien und ‚quasi-religiöse‘ Momente mit einer Weltkultur, die quer zur Ausdifferenzierung verschiedener Gesellschaftsbereiche steht. Dort, wo Religion als eigene Sphäre neben anderen in den Blick kommt, gilt das Interesse dann eher der Frage, inwieweit auch religiöse Organisationen und Akteure auf weltkulturelle Legitimität angewiesen sind und unter entsprechenden Anpassungsdruck geraten. In den Arbeiten Robertsons schließlich liegen differenzierungstheoretische Bezüge zur Religion eher in der Annahme einer voranschreitenden Entdifferenzierung zwischen dem Politischen und dem Religiösen im Zuge der Genese eines ‚globalen‘ Bewusstseins: Politik lädt sich angesichts neuer ‚Sinnprobleme‘ mit religiösen Verweisen auf, und Religionen stützen ihre Wahrheitsansprüche aufgrund globalisierungsbedingter Relativierungen auf politische Macht oder suchen ihr Betätigungsfeld auf politischem Terrain. Trotz ihrer differenzierungstheoretischen Perspektiven sind allerdings auch die Arbeiten Niklas Luhmanns und Peter Beyers nicht ohne Schwierigkeiten. Ihren Darstellungen zur globalen Religion lässt sich vielmehr eine fehlende systemtheoretische

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Konsequenz vorhalten. Dabei scheinen mir die diskutierten Schwächen insbesondere darauf zurückzuführen zu sein, dass es beiden Autoren an einer allgemeinen, systematischen Konzeption teilsystembezogener Globalität mangelt. Bei Luhmann hat man hier nahezu eine komplette Fehlanzeige anzumelden. Wie oben erläutert, stellen die einzigen Bemerkungen, die sich diesbezüglich finden, auf ein weltweit zu beobachtendes ‚differenzierungssensibles‘ Unterscheidungsvermögen ab: Die global erwartbare Fähigkeit, Recht, Religion, Wissenschaft etc. von anderen Sachverhalten zu trennen, gilt hier als Beleg für einen globalen Singular der funktionsspezifischen Operationszusammenhänge. In einer solchen Unterscheidungskompetenz ist aber m.E. eher ein Indiz für Weltgesellschaft im Allgemeinen zu sehen: Im Zuge einer Vereinheitlichung von gesellschaftlichen Welthorizonten kann man eine Kenntnis von solchen Funktionsbereichen voraussetzen und muss in Bezug auf entsprechende Unterscheidungen nirgendwo mit Unverständnis rechnen. Dies spricht aber noch nicht für eine Globalität von Funktionssystemen im Sinne einer Vereinigung zu einem einzigen Anschlusszusammenhang funktionsspezifischer Kommunikation. Schließlich wird man auch unterstellen dürfen, dass weltweit Familien und Intimbeziehungen von anderen Sachverhalten unterschieden werden können – darauf würde aber auch Luhmann sicher kein ‚Weltfamiliensystem‘ gründen wollen.27 Ebenso wenig legt Beyer einen konturierten Begriff für die Globalität von Funktionsbereichen vor. Seinen Überlegungen lässt sich indes entnehmen, dass es für ihn auf eine einheitliche Systemkultur im Sinne legitimer Modelle von Religion ankommt, die den gemeinsamen Ausgangspunkt für religiöse Formenbildungen konstituieren. Ein solches Globalitätskonzept vernachlässigt allerdings jede operative Basis eines etwaigen Systems. ‚Systematizität‘ ist dann nur noch eine Frage von ‚auffälligen‘ Isomorphien. Dieses Problem verschärft sich noch, wenn man, wie Beyer, etwaige Abweichungen auf mutmaßliche Definitionskämpfe zwischen Religionen zurückführen will. Ohne die Beobachtung kommunikativer Beziehungen fällt es dann schwer, die ‚systembedingten‘ Abweichungen von solchen zu unterscheiden, die sich in religiöser ‚Selbstgenügsamkeit‘ entwickelt haben. Diese Kritik an Beyer trifft sich in Teilen auch mit der von Tobias Werron (2007: 391; 2010: 453ff.) vorgebrachten Kritik am Neo-Institutionalismus. Auch bei ihm wird kritisiert, dass operative Voraussetzungen von kulturellen „Vergleichshorizonten“ nicht in den Blick kommen. Dieser Einwand verweist indessen weniger auf einen umfassenden Operationsnexus, sondern vor allem auf die operative Basis von Vergleichs-, Kopie- und Vereinheitlichungsprozessen. Werron macht davon ausgehend auf funktionsspezifische Publika aufmerksam, die für ihn das eigentliche kommunikative Substrat eines solchen Vergleichshorizonts bilden. Ihm kommt es dabei in der Globalisierung des Sports auf den wechselseitigen Bedingungszusammenhang öffentlicher Vergleiche, vergleichbarer Wettkampfereignisse und Standardisierungen von Vergleichsbedingungen (als Vereinheitlichung der Wettkampfregeln) an. Hier liegt die Globalisierungsdynamik in der „globalen Projektivität“ eines beobachtenden Publikums, das lokale Leistungsereignisse zunehmend auf einen universalen – und damit potentiell globalen – Vergleichszusammenhang bezieht (vgl. auch Heintz/ Werron 2011). Auch in der vorliegenden Arbeit soll im empirischen Teil am Beispiel 27 Vgl. hierzu erneut die Bemerkungen Luhmanns (1990/2005b: 201), in denen die Rede von einem (segmentär differenzierten) Funktionssystem Familie abgelehnt wird.

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der Missionsbeobachtung auf die konstitutive Rolle solcher „sekundären Kommunikationen“ aufmerksam gemacht werden. Das allgemeine Globalisierungsproblem von Teilsystemen wird dabei allerdings etwas nachdrücklicher auf der Ebene der primären Elementaroperationen angesetzt – also auf der Ebene der jeweiligen operativen Äquivalente zu den sportlichen Leistungsereignissen und damit auf den eigentlichen Systemzusammenhang. Die differenzierungs- wie weltgesellschaftstheoretisch entscheidende Frage, die vermittels dieser Emphase deutlicher in den Vordergrund tritt, ist die nach einer globalen Einheit solcher Elementaroperationen. Hier liegt dann auch ein Ansatzpunkt für einen möglichen Begriff der Globalität (im Gegensatz zu Globalisierungsdynamiken), den Werron (2010), aber auch Heintz/Werron (2011) zunächst noch ausklammern. Auch in diesem Zusammenhang muss der Blick indes auf eine spezifische Horizontstruktur fallen – auf einen global einzigen Möglichkeitshorizont, der weltweit durchgreifende Einschränkungen weiterer Möglichkeiten für funktionsspezifische Kommunikation liefert (und durch „Gedächtnisfunktionen“ von ausdifferenzierten Publika im Sinne Werrons (2010: 460), aber auch durch funktional äquivalente Strukturen und Verbreitungstechnologien konstituiert werden kann). Den hierzu passenden Globalitätsbegriff gilt es nachfolgend in einem eigenen Kapitel zu entwickeln, das den ersten Teil dieser Arbeit abschließen soll.

VI. Schluss: Zur Globalität einer religiösen Sphäre

Die vorangegangenen Bestandsaufnahmen zur differenzierungs- und weltgesellschaftstheoretischen Betrachtung der Religion haben das zentrale Desiderat eines scharfen Begriffs teilsystembezogener Globalität aufkommen lassen. Um dessen Entwicklung soll es im Folgenden gehen. Dabei lässt sich direkt von den differenzierungstheoretischen Erörterungen in Kapitel III ausgehen: Es gilt einen solchen Begriff aus den phänomenologischen Ansätzen der Systemtheorie heraus zu entwickeln (1). Im Anschluss daran wird noch einmal gesondert auf die Religion eingegangen und ein Ausblick auf den folgenden historisch-empirischen Teil geboten (2).

1. Z UM B EGRIFF

TEILSYSTEMBEZOGENER

G LOBALITÄT

In Kapitel III wurde auf den zentralen Stellenwert von funktionsspezifischen Elementarereignissen in der Differenzierungstheorie Niklas Luhmanns aufmerksam gemacht. Sie ‚hängen‘ das Teilsystem auf der Ebene der Gesellschaft ein, indem sie einen Systemstatus reproduzieren, der einen gesellschaftsweiten Ausgangspunkt für weitere funktionsspezifische Anschlüsse liefert. Diese Einsicht gilt es in den folgenden Überlegungen für einen Begriff funktionssystembezogener Globalität fruchtbar zu machen. Eine entscheidende Pointe der allgemeinen Weltgesellschaftstheorie Luhmanns ist dabei noch einmal besonders zu akzentuieren und für den Fall des Funktionssystems zu übernehmen: Fragen der Globalität werden im Rahmen dieser Theorie von der Unterscheidung global/lokal in die Unterscheidung von Singular/Plural überführt. Weltgesellschaft heißt hier: Gesellschaft existiert nur noch in einem Fall. Entsprechend lässt sich hier explizit machen, was bereits mehr oder weniger implizit in den Überlegungen Luhmanns zur Globalität von Funktionssystemen aufscheint: Eine Globalität von Wissenschaft, Wirtschaft oder etwa Recht muss ganz analog bedeuten, dass in all diesen Fällen das Funktionssystem weltweit nur noch einmal vorkommt. Dann ließe sich von einer Weltwirtschaft, einer Weltwissenschaft und einem Weltrecht sprechen. Führt man das Problem von Globalität dergestalt an die Unterscheidung von Singular/Plural heran, ergibt sich eine entscheidende Konsequenz: Globalität von Funktionssystemen bedeutet nicht, dass überall auf der Welt Wissenschaft,

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Recht oder etwa Kunst zu beobachten sind.1 Es bedeutet stattdessen, dass überall, wo sie zu beobachten sind, sie einem gemeinsamen Funktionssystem angehören. Dabei macht freilich die Frage, ob ein Funktionssystem global verfasst ist, nur Sinn, wenn bereits Weltgesellschaft im Sinne eines einzigen weltweiten Kommunikationszusammenhangs und gemeinsamen Bewusstseins von Welt vorausgesetzt werden kann. Damit stellt sich das Problem, anhand welcher Kriterien über die Frage nach der Einzahl eines Funktionssystems entschieden werden kann. Mit anderen Worten: Unter welchen Bedingungen lässt sich in Anbetracht global verstreuter funktionsspezifischer Operationen auf einen einzigen Operationszusammenhang schließen? An dieser Stelle kann eine Rückversicherung bei Edmund Husserl weiterführen. Auch im Rahmen seiner phänomenologischen Studien stellt sich die Frage nach der Einheit des „Subjekts“, und seine Subjektkonzeption ist es, die Luhmann, wie in Kapitel III erörtert, unter Verabschiedung der transzendentalphilosophischen Annahmen auf den Fall sozialer Systeme überträgt. Für Husserl ergibt sich das Problem der Einheit freilich nicht aus weltgesellschaftstheoretischen Fragen, sondern gründet vielmehr in seiner Annahme eines Ereignischarakters von Bewusstseinserlebnissen. Die Frage nach der Konstitution eines Bewusstseins stellt sich also angesichts der Mannigfaltigkeit und ephemeren Qualität einzelner Bewusstseinsakte. Oder anders formuliert: Wie stellt der Erlebnisstrom seine Einheit her, wenn jeder Sinn in seinem Aktualitätskern fortlaufend zerfällt? Die Antwort darauf liefert Husserl (1966) in seiner „Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“. Es ist das Verweisungsspiel von „Retention“ und „Protention“, das den Zusammenhang des Erlebnisstroms konstituiert. Husserl illustriert dies am Beispiel der akustischen Wahrnehmung: Ein soeben vernommener Ton liegt noch im unmittelbaren Horizont des gegenwärtig erklingenden Tons, ebenso wie dieser bereits auf ein bevorstehendes Tonerlebnis vorausweist. Ein solcher Hof von Vorzeitigem und Nachzeitigem umgibt auch jedes zurückliegende Ereignis, so dass sich das Bewusstsein als einzige Retentionskette, als „Kometenschweif von Retentionen“ (ebd.: 30) darstellt. Der für den vorliegenden Problemkontext entscheidende, einheitsstiftende Sachverhalt liegt folglich in dem korrelativen Zusammenhang von (operativem) Erlebnisstrom und vorgezeichneten Erlebnismöglichkeiten. Dies lässt sich noch einmal am Beispiel der visuellen Wahrnehmung veranschaulichen. Bei der Betrachtung eines Gegenstands ist stets eine Seite aktuell im Blick, während die abgewandten Seiten des Gegenstandes mitangezeigt und antizipiert bzw. ‚protendiert‘ werden. Ausgehend von einer aktuellen Wahrnehmung liegt somit eine strukturell limitierte Fülle von Wahrnehmungen im Bereich des Möglichen bzw. der „Vermöglichkeiten“ des Subjekts. Diese „Mitanzeige“ zukünftiger bzw. vergangener Erlebensmöglichkeiten im aktuellen Wahrnehmungser1

Fragen der globalen Penetration eines solchen einheitlichen Funktionssystems, die an das Problem des Primats funktionaler Differenzierung rühren, wären dabei eher in eine inklusionstheoretische Fassung zu überführen, so wie es Luhmann (1996a) mit Blick auf die brasilianischen Favelas getan hat. Mit anderen Worten: Dass in bestimmten Regionen der Welt keine Universitäten stehen, spricht nicht gegen Globalität von Wissenschaft, solange nirgendwo wissenschaftliche Beitrage aufgrund von regionalen Spezifika ohne Anschluss bleiben und es zu wissenschaftsinternen Ungleichzeitigkeiten kommt. Wohl aber spräche möglicherweise der Fall dagegen, dass ganze Regionen von der Teilhabe an wissenschaftlichen Funktionen und Leistungen ausgeschlossen sind.

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lebnis bezeichnet Husserl auch mit dem Begriff der „Appräsentation“. Geht man um den Gegenstand herum, wird sich eine erwartete bzw. „appräsentierte“ Anschauung von diesem in einer neuen Vergegenwärtigung bzw. „Präsentation“ mehr oder weniger „erfüllen“, während einerseits die soeben betrachtete Seite noch einen Schatten auf das aktuelle Wahrnehmungserlebnis wirft und andererseits neue Erlebnismöglichkeiten angezeigt sind. So schreibt Husserl (1963: 82) in den „Cartesianischen Meditationen“: „Jedes Erlebnis hat einen im Wandel des Bewußtseinszusammenhanges und im Wandel seiner eigenen Stromphasen wechselnden Horizont – einen intentionalen Horizont der Verweisung auf ihm selbst zugehörige Potentialitäten des Bewußtseins. Z.B. zu jeder äußeren Wahrnehmung gehört die Verweisung von den eigentlich wahrgenommenen Seiten des Wahrnehmungsgegenstandes auf die mitgemeinten, noch nicht wahrgenommenen, sondern nur erwartungsmäßig und zunächst in unanschaulicher Leere antizipierten Seiten – als die nunmehr wahrnehmungsmäßig ‚kommenden‘, eine stetige Protention, die mit jeder Wahrnehmungsphase neuen Sinn hat. Zudem hat die Wahrnehmung Horizonte von anderen Möglichkeiten der Wahrnehmung als solchen, die wir haben könnten, wenn wir tätig den Zug der Wahrnehmung anders dirigierten, die Augen etwa statt so, vielmehr anders bewegen, oder wenn wir vorwärts oder zur Seite treten würden usw. […] Zudem gehört […] zu jeder Wahrnehmung stets ein Vergangenheitshorizont als Potentialität zu erweckender Wiedererinnerungen und zu jeder Wiedererinnerung selbst als Horizont die kontinuierliche mittelbare Intentionalität möglicher […] Wiedererinnerungen bis zum jeweils aktuellen Wahrnehmungsjetzt hin.“

Der Zusammenhang eines Bewusstseins konstituiert sich somit über eine Horizontstruktur der Wahrnehmung, die die Erlebnisse miteinander verbindet. Man hat es mit einer Einheit von möglichen „cogitata“ und diesen korrelativ gegenüberstehenden „Weisen des cogito“ zu tun (Husserl 1963: 74; Herv. getilgt). Dieses strukturierte Wahrnehmungserleben lässt sich folglich auch in seine noetischen und noematischen Anteile aufspalten, insoweit sich hier nicht nur die Einheit des Bewusstseins, sondern auch die Einheit des wahrgenommenen Gegenstands konstituiert: „Bewußtsein und Bewußtsein bindet sich nicht nur überhaupt zusammen, es verbindet sich zu einem Bewußtsein, dessen Korrelat ein Noema ist, das seinerseits in den Noemen der verbundenen Noesen fundiert ist.“ (Husserl 1950: 291) Für Funktionssysteme, so der Vorschlag, lässt sich die Frage nach ihrem einheitlichen Zusammenhang in eine analoge Fassung bringen. Das Konzept der Autopoiesis und der damit verbundene Gedanke einer Konstitution der Elemente im operativen Zusammenhang des Systems selbst stellen schließlich spürbar auf den eben skizzierten Sachverhalt der (retentiven und protentiven) Abschattungskontinuität unter den Elementen ab.2 Auch hier vollzieht sich ein Kommunikationsstrom, der den Möglichkeitshorizont für weitere Kommunikation antizipativ einschränkt. Ein möglicher Globalitätsbegriff, der zu dieser Konzeption passt, würde von einem Einbezug der funktionsspezifischen Kommunikationen in einen global einzigen Operationszusammenhang ausgehen, der sich an einem global einheitlichen, vom je aktuellen Ereignis aus vorgezeichneten Möglichkeitshorizont abarbeitet. Wie in Kapitel III gese2

Vgl. auch Bohn (1999: 24ff.) für die konsequente Parallelisierung dieser Überlegungen Husserls mit dem Gedanken der operativen Geschlossenheit in der Systemtheorie.

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hen, fällt es den funktionsspezifischen Elementarakten zu, einen solchen Horizont kontinuierlich zu reproduzieren. Globalität wäre dann zu konstatieren, wenn alle funktionsspezifischen Elementaroperationen sich unabhängig von ihrer räumlichen Situierung einem gemeinsamen Möglichkeitshorizont verpflichtet zeigen. Im Folgenden soll dies zur Veranschaulichung beispielhaft für die verschiedenen Funktionssysteme durchkonjugiert werden. Für das wissenschaftliche System würde Globalität bedeuten, dass jede wissenschaftliche Publikation, unabhängig von ihrem Entstehungs- bzw. Publikationsort, einen neuen verbindlichen (alle Disziplinen umfassenden) wissenschaftlichen Forschungsstand erzeugt, der zum Referenz- und Ausgangspunkt aller weiteren Forschung wird. In Japan muss das Grippe-Virus nicht erst auch noch entdeckt werden; wird seine Existenz irgendwo auf der Welt in wissenschaftlicher Manier bestritten, dann ausdrücklich vor dem Hintergrund und in bewusster Widerlegungsabsicht aktueller wissenschaftlicher Ansichten, die man wissenschaftsintern als bekannt voraussetzen kann. Zumindest für die Naturwissenschaften wird man davon ausgehen können, dass eine Globalität in diesem Sinne heute weitgehend realisiert ist. Man hat es hier mit einem einzigen ‚Strom‘ wissenschaftlicher Publikationen zu tun, dessen Einheit sich an seinem einheitlichen Korrelat eines je aktuellen, alle Publikationen gleichermaßen bindenden Forschungsstands zeigt, der auf vergangenen Forschungen aufruht und auf zukünftige Forschungsmöglichkeiten vorausweist bzw. diese einschränkt. Im Falle der Weltwirtschaft drängt sich die Realisierung von Globalität am deutlichsten auf. Da sich prinzipiell alle Währungen der Welt ineinander übersetzen lassen, gibt es keine monetären Tauschakte auf der Welt, die aus einem einzigen weltweiten Wirtschaftskreislauf herausfallen. Jede Zahlung ändert damit die Möglichkeiten weiteren wirtschaftlichen Handel(n)s weltweit, wie infinitesimal sich das auch in Relation zum Gesamtgeschehen auswirken mag. Indem eine Zahlung eine weltweit einzige Kapitalverteilung reproduziert und modifiziert, bestimmt sie jeweils die Möglichkeiten neu, wer aktuell noch zu welchem Preis kaufen kann; die durchgreifende Einschränkung ist durch die globale Durchsetzung einer wirtschaftlichmonetären Summenkonstanzlogik garantiert. Jede Zahlung vollzieht sich so vor einem gemeinsamen Horizont möglichen Wirtschaftsverkehrs und rekonfiguriert diesen für alle weiteren Zahlungen. Globalität von Recht würde bedeuten, dass jede Rechtsentscheidung, unabhängig von ihrem Ort, neue Präzedenzen schafft, von denen man im Weiteren weltweit auszugehen hätte – ganz im Sinne des Gebots, gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich zu entscheiden. Hier ist allerdings deutlich zu sehen, dass Globalität von Recht allenfalls für bestimmte sachlich begrenzte Rechtsgebiete konstatiert werden kann; so etwa für das Handelsrecht bzw. die „lex mercatoria“, auf das bzw. die sich weitere Rechtsentscheidungen tatsächlich unabhängig von territorialen Grenzen berufen können (vgl. hierzu Albert 2002: 235ff.; Lieckweg 2003). Demgegenüber haben beispielsweise Entscheidungen bezüglich der Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA keinerlei Auswirkungen auf entsprechende Entscheidungen in der Bundesrepublik. Der globale Singular ist hier nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Im Erziehungssystem wäre dann von Globalität zu sprechen, wenn ausgehend von bestimmten Zertifikaten bzw. Bildungsabschlüssen ortsunabhängig entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten an den Bildungsinstitutionen offen stehen. Man könnte

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argumentieren, dass hier, ähnlich wie im Fall der Weltwährungen, durch Konversionsregeln in Bezug auf ausländische Qualifikationen ein einheitlicher Horizont von (Weiter-)Bildungsmöglichkeiten besteht (im Sinne einer aktuellen Verteilung von zertifizierten Kapazitäten für weitere Bildung innerhalb der Weltpopulation). Angesichts vollständiger Aberkennungen ausländischer Berufsqualifikationen, etwa im Bereich der Medizin, wird man davon allerdings nur mit großen Vorbehalten sprechen können. Prozesse der Vereinheitlichung von Bildungsabschlüssen, die infolgedessen zum Ausgangspunkt weiterer und als gleichwertig anerkannter Erziehung auch in anderen Ländern werden können, lassen sich so als fortschreitende Globalisierung interpretieren. In der Kunst würde im Globalitätsfalle ein Kunstwerk unabhängig von seinem Entstehungsort den Bestand an künstlerisch bereits Realisiertem aktualisieren und damit weltweit durchgreifend einschränken, was davon ausgehend noch mit einem künstlerischen Originalitätsanspruch auftreten kann. Auch das Beispiel des Sports, das oben bereits angesprochen wurde, lässt sich ohne weitere Anstrengungen auf diesen Globalitätsbegriff zuschneiden. Leistungsereignisse lassen sich in diesem Zusammenhang als die spezifischen Elementarakte des Sports verstehen. Globalität ist dann realisiert, wenn jedes Leistungsereignis einen neuen Referenzpunkt für alle weiteren, weltweiten Leistungsmessungen herstellt. Ein neu aufgestellter Rekord im 100-Meter-Lauf wäre dann etwa für alle zukünftigen 100-Meter-Läufe an jedem Ort der Welt die Zeit, die es zu unterbieten gilt; auch sonst dürfte kein regelkonformes Leistungsereignis unter Wettkampfbedingungen aus einer globalen Perspektive sportbezogener Vergleiche herausfallen. Globalität im Falle der Politik bestünde schließlich dann, wenn alles politische Handeln sich vor einem weltweit einheitlichen politikspezifischen Selektionshorizont situiert, der durch politische Entscheidungen kontinuierlich in einen neuen Zustand überführt wird. Es gäbe unter diesen Bedingungen folglich keine Staatsbildungsprozesse und Machtverschiebungen zwischen oder innerhalb von Staaten, die weltöffentlich unregistriert vonstattengingen und nicht bei weiteren politischen Aktivitäten in irgendeiner Form in Rechnung gestellt würden. Ein Regierungswechsel in den USA, ein Putschversuch in Honduras, manipulierte Wahlen im Iran, die Sezession eines staatlichen Teilgebiets oder eine militärische Invasion in einen souveränen Staat stellen als zurechenbare politische Entscheidungen eine neue weltpolitische Machtlage her, zu der man sich auf innen- wie außenpolitischer Bühne in irgendeiner Form zu verhalten hätte. Es ist leicht zu sehen, dass auch dieser Zustand weitgehend realisiert ist. Bereits in Kapitel III ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass es in diesem Zusammenhang Einrichtungen bedarf, die Systemzustände für entsprechende Anschlüsse gegenwärtig und zugänglich halten. Hier liegt eine zentrale Funktion von „öffentlichen Vergleichsdiskursen“, auf die Heintz und Werron (2011) am Beispiel des Sports und der Wissenschaft aufmerksam gemacht haben. Für die Kunst hat Luhmann (1995a: 40: Herv. M.P.) selbst auf die konstitutive Rolle der „Kommunikation über Kunst“ hingewiesen, die als „sekundäre Kommunikation“ mit der Zurechnung und Reflexion von primärer „Kommunikation durch Kunst“ betraut ist. Und auch die Politik ist in weiten Teilen auf eine Presse angewiesen, die politische Entscheidungen und Ereignisse dokumentiert und so neue politische Entwicklungen als Horizont weiteren Handelns ‚spiegelt‘. Im Falle der Wissenschaft stellt die Publikati-

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on selbst ihren Zusammenhang mit anderen Publikationen und Forschungsergebnissen her. Primäre und sekundäre Operationsebene fallen hier folglich zusammen. Die Voraussetzung hierfür liefert eine in weiten Teilen ‚kommunikationsfreie‘ Einpflege von Publikationen in globale Datenbanken, obgleich natürlich auch hierfür ausdifferenzierte Rollenkomplexe abgestellt sein mögen. In der Wirtschaft schließlich ist schon in die Materialität des Geldmediums ein Summenkonstanzprinzip eingeschrieben, das Handlungsmöglichkeiten weltweit durchgreifend einschränkt und entsprechende Interdependenzen herstellt. Eindringliche Vergegenwärtigungen und Sichtbarmachungen eines Weltmarkts und seiner ortsgebundenen Preise und Handelsmöglichkeiten sind allerdings auch hier an entsprechende Reflexionen und Spiegelungsprozesse gebunden.3 In all diesen Beispielen kommt es für Globalität darauf an, dass keine funktionsspezifischen Elementarakte aus dem entsprechenden Gesamtzusammenhang herausfallen: keine wissenschaftliche Publikationen, deren Rezeption aufgrund nationaler oder regionaler Differenzen unterbleibt, keine Zahlungen, die nicht in einen globalen Wirtschaftskreislauf eingebunden sind, keine unter Wettkampfbedingungen erbrachten sportlichen Leistungen, die nicht in das Systemgedächtnis aufgenommen werden. Globalität ist hier folglich weniger im räumlichen Sinne zu verstehen. Vielmehr fällt

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Bei den von Heintz und Werron (2011) beschriebenen „öffentlichen Vergleichsdiskursen“ und dem damit verbundenen Zusammenhang von „Vergleichsereignissen“, der „Herstellung von Vergleichbarkeit“ und der „Generalisierung von Vergleichskriterien“ geht es schlussendlich auch um Bedingungen der Herstellung von globaler Anschlussfähigkeit. Die streng durchgehaltene Vergleichsterminologie lenkt bei den Autoren ein Stück weit davon ab, dass jene Prozesse letztlich einen primären operativen Zusammenhang funktionsspezifischer Elementaroperationen (bzw. „Vergleichsereignisse“) ermöglichen. Auch ihr Vorschlag, in diesem Zusammenhang von einer „Beschreibungsdimension“ der Globalisierung zu sprechen und diese von einer „Vernetzungsdimension“ zu unterscheiden, wird der faktischen ‚Operativität‘ der primären Operationsebene m.E. nicht gerecht. Hier hat man sich zu fragen, ob sich diese beiden Dimensionen tatsächlich als Gegenbegriffe eignen. Schließlich wäre dort, wo „öffentliche Diskurse [...] Einzelereignisse (z.B. sportliche Wettkämpfe, Publikationen) zueinander in Beziehung setzen und in einen Vergleichszusammenhang bringen“ (ebd.: 375; Herv. M.P.), in einem phänomenologischen Sinne von ‚Vernetzung‘ zu sprechen: (Beobachtete) Sinneinheiten reproduzieren hier eine gemeinsame Geschichte und einen gemeinsamen Möglichkeitshorizont von Forschungsresultaten bzw. sportlichen Leistungen. Sie sind insofern in einem Verweisungszusammenhang ‚strukturell vernetzt‘, als sie kontinuierlich eine Sinnstruktur rekonfigurieren, die weitere mögliche sportliche Leistungsüberbietungen bzw. Forschungsresultate einschränkt und vorzeichnet. So ist auch bei Luhmann hinsichtlich solcher Verweisungszusammenhänge stets von einer rekursiven ‚Vernetzung‘ der Operationen die Rede (vgl. nur Luhmann 1990: 30). In ihrer theorieimmanenten Unterscheidung einer phänomenologischen Beschreibungsdimension und einer (eher netzwerktheoretischen) Vernetzungsdimension der Globalisierung führen die Autoren somit eigentlich zwei Theorieparadigmen zusammen, die unterschiedliche Vernetzungsbegriffe mit je unterschiedlichen Bezugspunkten der Vernetzung führen: Bedeutungselemente oder Sinnakte im einen Fall, Akteure (z.B. Personen, Organisationen) im anderen Fall. Siehe dazu auch unten, Anm. 8.

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darunter zum einen der Aspekt der ‚Totalität‘, insoweit alle funktionsspezifischen Elementarereignisse der Welt in die Reproduktion eines Verweisungshorizonts weiterer funktionsspezifischer ‚Vermöglichkeiten‘ einbezogen sind. Analog zum Fall der Gesellschaft allgemein bedeutet Globalität von Funktionssystemen entsprechend die Nichtexistenz von (funktionsspezifischen) Kommunikationsinseln bzw. (funktionsspezifischen) Außenlagen.4 Gleichzeitig setzt der Begriff voraus, dass als Korrelat davon die vormals getrennten (funktionsbezogenen) Sinnhorizonte zusammenfallen: Es bedarf zum anderen also auch in diesem Fall der Konvergenz zu einem einzigen Möglichkeitshorizont (funktionsspezifischer) Kommunikation. Die Berücksichtigung aller sachthematisch zugehörigen Operationen in der Reproduktion eines Verweisungshorizonts ist folglich notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium. Diese Operationen müssen sich darüber hinaus auch selbst auf diesen und keinen anderen Horizont hin entwerfen. Stichweh (2000a: 235) berichtet in analogem Zusammenhang von einer Sammler- und Jägergesellschaft, den Batek, im Urwaldgebiet der malaiischen Halbinsel: Hier wird die umliegende Abholzung der Wälder vor dem Hintergrund einer stammesspezifischen kosmologischen Konstruktion gedeutet und daran mit schamanischen Handlungen angeschlossen, denen eine Relevanz und Wirkung über den Stamm der Batek hinaus zugeschrieben wird. Es sind dies allerdings Sinnzuschreibungen, die auf der Seite der Waldarbeiter und anderen ‚Nicht-Batek‘ kaum den Horizont des jeweiligen Handelns und Erlebens gebildet haben dürften. Das aber muss gegen eine phänomenologische Einheit von Weltgesellschaft sensu stricto sprechen. Auch im funktionsspezifischen Fall muss Globalität eine Divergenz von Möglichkeitshorizonten als phänomenologische Korrelate der einbezogenen Operationen ausschließen. Die Globalität des Funktionssystems bedeutet den Singular des Operationszusammenhangs ebenso wie den Singular des korrespondierenden Möglichkeitshorizonts. Für diesen differenzierungstheoretisch heruntergebrochenen Begriff von Globalität findet sich auch bei Pierre Bourdieu Unterstützendes. Dies mag insofern überraschen, als seine Sozialtheorie eher selten mit Weltgesellschaftsfragen assoziiert wird (vgl. aber Bohn 2005a). Jenseits seiner politischen Schriften, die das Phänomen der „mondialisation“ sozialkritisch kommentieren, finden sich tatsächlich nur wenige Arbeiten, bei denen Aspekte der Weltgesellschaft bzw. der Internationalisierung von Feldern in den Blick geraten. Insbesondere seine Vorträge „Zur Möglichkeit eines Feldes der Weltsoziologie“ (Bourdieu 1991) sowie „Die gesellschaftlichen Bedingungen der internationalen Zirkulation der Ideen“ (Bourdieu 1990/2004) sind in dieser Hinsicht allerdings erhellend. Hier werden die Umstände benannt, die es verbieten, gegenwärtig von einem Weltfeld der Geisteswissenschaften zu reden. Für Bourdieu (1990/2004: 44ff.) ist in diesem Zusammenhang entscheidend, dass die Felder in ihren nationalen Kontexten nach unterschiedlichen klassifikatorischen Gegensätzen und Denkkategorien organisiert sind. Daraus folgt für ihn, dass wissenschaftliche Produktionen sich an einem landesspezifischen Feldzustand orientieren: einer landes4

Für die Wissenschaft formuliert Stichweh (2003: 6) entsprechend: „Globalität bedeutet [...] die Konkurrenzlosigkeit des Systems der Weltwissenschaft. Es gibt andere Wissenssysteme, andere lebenswichtige Relevanzen und konkurrierende Funktionssysteme, aber eine Pluralität von Wissenschaftssystemen ist in der gegenwärtigen Welt nicht mehr nachzuweisen.“

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spezifischen Struktur von Positionen, einer landesspezifischen Struktur von Stellungnahmen und, daraus hervorgehend, einem landesspezifischen „Raum der Möglichkeiten“, der strukturell limitiert, was als sinnvolle wissenschaftliche Positionierung anschließen kann. In der Konsequenz geht die „internationale Zirkulation von Ideen“ aus der Sicht Bourdieus nicht selten mit erheblichen Verzerrungen einher. Was hier einem nationalen Feldzustand geschuldet war und folglich eine Stoßrichtung gegen spezifische Positionen/Positionierungen hatte, wird dort vor dem Hintergrund einer ganz anderen Feldproblematik mit unterschiedlichen Kontroversen und Gegensätzen rezipiert. Dies geschieht insbesondere dann, so das Argument, wenn die betroffenen Positionen in den beiden nationalen Feldern strukturell homolog sind, d.h. etwa beide eine beherrschte Position innehaben, obgleich die hierarchiebegründenden Organisationsprinzipien verschiedene sind. Aus diesen Überlegungen lassen sich nun im Umkehrschluss die Voraussetzungen deduzieren, die für die Globalität eines Feldes im Sinne Bourdieus gegeben sein müssten. Es kommt auf die Vereinigung der Felder zu einer einzigen soziologischen Problematik an, also einer einzigen, nach gleichen Kategorien organisierten Struktur von Stellungnahmen und einem einzigen Raum soziologischer Möglichkeiten, an dem sich soziologische Forschung jeweils orientiert. Dies wird in den Ausgangsfragen von Bourdieus (1991: 374; Herv. M.P.) Vortrag deutlich: „Does the sociological universe presently function in a manner of a unified scientific field on a world scale? [...] Is it possible to circumvent the barrier of the nationalisms that hinder the free circulation of ideas and set back the unification of a sociological problematic, that is, the formation of a worldwide space of social-scientific discussion and critique?“5

Es geht also auch hier um die Konvergenz von Horizonten soziologischer Forschungstätigkeit und um einen entsprechend interdependenten Anschlusszusammenhang soziologischer „Spielzüge“.6 Der hier vorgeschlagene Globalitätsbegriff, der von der Konstitution eines funktionsspezifischen Singulars ausgeht, lässt sich auch als kontinuierliche Variable fassen. Hierfür sind lediglich die rekursiv vernetzten, an einem gemeinsamen Horizont orientierten Operationen zu jenen Operationen ins Verhältnis zu setzen, die kontaktlos und ohne wechselseitige Limitierung möglicher weiterer Anschlüsse vonstattengehen. Themenfelder und spezifische ‚Diskurse‘ innerhalb von Funktionssystemzusammenhängen, die funktionsspezifische Elementarereignisse in Bezug auf engere Sachgesichtspunkte global integrieren, können dann als Ansätze zu Globalität bzw. als Prozesse der Globalisierung gedeutet werden. So ist hier bereits auf eine derartige ‚weltgesellschaftliche‘ Ausdifferenzierung der „lex mercatoria“ innerhalb des Rechts hingewiesen worden. In Anbetracht der Tatsache, dass es noch heute isolierte Stam5

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Neben der Partikularität nationaler Produktions- und Rezeptionskontexte ist Bourdieu in diesem Vortrag insbesondere auch mit der Fragmentation der Soziologie in verschiedene, sich wechselseitig ignorierende Denkschulen befasst. In beider Hinsicht herrschte in der Soziologie während der frühen Ära Parsons’, Mertons und Lazarsfelds Bourdieu (1991: 378) zufolge eine Einheit, die ihr in der Folge abhandenkam. Vgl. Bohn (2005a) für die Akzentuierung des Spielzugs als operativer Aspekt von Bourdieus Sozialtheorie.

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mesgesellschaften gibt, die keinen nachhaltigen Kontakt zu einem anderweitig globalen Kommunikationszusammenhang gefunden haben, lässt sich streng genommen auch für die Gesellschaft im Allgemeinen noch nicht von einer vollrealisierten Weltgesellschaft ausgehen (vgl. Stichweh 2000a: 241). Für funktionsspezifische Zusammenhänge wird man gleichermaßen von einem Mehr oder Weniger an Weltgesellschaftlichkeit auszugehen haben, je nachdem in welchem Ausmaß die weltweiten funktionstypischen Kommunikationen tatsächlich in einen operativen und phänomenologischen Gesamtzusammenhang eingebunden sind. Ferner ist es sinnvoll, neben diesem vergleichsweise ambitiösen Begriff von Globalität andere Formen von Globalität und Globalisierung in Bezug auf Funktionssysteme zu unterscheiden. In Anlehnung an Stichweh (1996: 330) lässt sich etwa zwischen diffusionsbezogenen und vernetzungsbezogenen Prozessen der Globalisierung differenzieren. Unter Vernetzung lässt sich Globalität im obigen Sinne eines operativen Anschlusszusammenhangs verstehen. Funktionssystemische Diffusion bedeutet demgegenüber zunächst allein die überregionale Verbreitung und Kopie bestimmter Funktionskomplexe und institutioneller Arrangements. Für den Neo-Institutionalismus sind insbesondere der Nationalstaat und das damit verbundene kulturelle Idealmodell die zentralen Vehikel für derartige Diffusionsprozesse. So wird im Rahmen dieses Ansatzes argumentiert, dass die nationale Implementation „isomorph“ daherkommender Bildungssysteme auf entsprechende weltkulturelle Präskriptionen, was einen legitimen Staat konstituiere, zurückzuführen ist (vgl. Meyer et al. 1977; Ramirez/Meyer 1980).7 Eine solche Diffusion muss jedoch nicht notwendigerweise mit global zusammenfließenden kommunikativen Vernetzungen innerhalb der Funktionsbereiche einhergehen. Mit anderen Worten: Diese ‚Ordnungsstufe‘ der Globalisierung räumt die Möglichkeit regionaler Interdependenzunterbrechungen ein, die sich darin manifestieren, dass etwa an lokale wissenschaftliche Forschungsergebnisse, sportliche Leistungen, rechtliche Entscheidungen oder Kunstproduktionen in den entsprechenden Wissenschafts-, Sport-, Rechts- oder Kunstzusammenhängen anderswo auf der Welt nicht angeschlossen wird. Allerdings bildet Diffusion insofern 7

Siehe in diesem Zusammenhang auch Luhmann (2000b: 224): „Ebenso zeigt sich aber auch, daß die Bemühungen der Nationalstaaten, die Interessen ihrer Einwohner zu fördern, die Globalisierungstendenzen der entsprechenden Funktionssysteme stärkt [sic]. [...] So ist das hohe Maß an organisatorischer und curricularer Uniformität, das das Erziehungssystem der Weltgesellschaft auszeichnet, ein Ergebnis nationalstaatlicher Politik. Ähnliches wird man in Bezug auf das Medizinsystem der Weltgesellschaft sagen können. Wie sollte man die eigene Bevölkerung fördern können, wenn nicht durch Anschluß an die Tendenzen, die sich weltgesellschaftlich bewährt haben? Insofern ist der Nationalstaat nicht nur ins politische System der Weltgesellschaft eingebunden, sondern ist zugleich auch eine wichtige Schubkraft in Richtung Globalisierung anderer Funktionssysteme.“ (Herv. M.P.) Etwas anders, aber mit ähnlicher Konsequenz, argumentiert Hahn (2000). Er macht darauf aufmerksam, dass funktionale Differenzierung in weiten Teilen auf eine vorgängige oder gleichzeitige Differenzierung in Nationalstaaten angewiesen ist, in deren Schoße sie sich dann entwickeln kann, durch die sie aber auch in ihrem überregionalen Ausgriff zunächst eingeschränkt wird. Hahn macht hier, mit Gehlen gesprochen, insbesondere auf die nur territorial durchsetzbaren politischen und rechtlichen „Hintergrundserfüllungen“ aufmerksam. Vgl. hierzu auch das ähnliche Argument Luhmanns in „Grundrechte als Institution“ (1965).

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eine Voraussetzung von Globalisierung im Vernetzungs- und Vereinheitlichungssinne, als eine ‚Uniformierung‘ und ‚Standardisierung‘ funktionssystembezogener Kommunikationen eine notwendige Bedingung für die Konstitution eines einzigen Anschlusszusammenhangs darstellt. Nur wo Operationen auch als funktionssystemtypische erkannt werden, kommt ein Anschluss in Frage. Über Diffusionsprozesse können sich die entsprechenden Semantiken und Selbstbeschreibungen der Funktionssysteme verbreiten, auf deren Grundlage eine adäquate und einheitliche Stilisierung der Operationen erfolgen kann. Für die Wissenschaft bedeutet dies zum einen „die weltweite Durchsetzung jenes einigermaßen kohärenten sets wissenschaftlicher Traditionen, der sich selbst unter den normativen Druck der Universalitätserwartung gesetzt [hat]“ (Stichweh 2003: 6; Herv. i.O.). Es bedeutet aber gerade auch die Standardisierung der wissenschaftlichen Publikation als ihr spezifischer Elementarakt: „Erst diese Standardisierung leistet auch die Herausbildung der spezifischen Form der wissenschaftlichen Kommunikation, die das System streng von anderen Formen der Kommunikation und der Kommunikation mittels Publikation (also z.B. in den Massenmedien) trennt.“ (Stichweh 2007: 218).8 Im Anschluss an diese allgemeinen Überlegungen zur Begrifflichkeit von funktionssystembezogener Globalität gilt es abschließend deren Relevanz für die vorliegende Betrachtung des Falls Religion zu illustrieren und auf die weitere Untersuchung auszublicken.

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Vgl. zu der Globalisierungsrelevanz von Standardisierungen wiederum Werron (2010); Heintz/Werron (2011). In Bezug auf den Aufsatz von Heintz/Werron (2011) wäre somit der Begriff der „Beschreibungsdimension von Globalisierung“ möglicherweise eher bei den Diffusionsprozessen anzusetzen, insoweit nicht zuletzt diesen die in diesem Zusammenhang hervorgehobenen kategorialen Vergleiche und gemeinsamen Klassifikationen zugrunde liegen. Auch die Bezugnahme der Autoren auf Strang/Meyer (1993) legt dies unmittelbar nahe – ihre damit verbundene Kritik, der Neo-Institutionalismus berücksichtige nicht die operativen Voraussetzungen von Diffusions- und Imitationsprozessen, bliebe davon ja unberührt. Davon wären dann mit dem Begriff der „Vernetzungsdimension“, wie oben in Anm. 3 angeführt, m.E. eher die tatsächlichen kommunikativen Anschlüsse (im phänomenologischen Sinne) zu unterscheiden, die eine solche „Herstellung von Vergleichbarkeit“ voraussetzen. Diese Dimension beträfe also die Frage, inwieweit sich lokale Kommunikationszusammenhänge auf einen globalen Anschlusszusammenhang funktionsspezifischer Elementaroperationen beziehen (im Sinne einer ‚Vernetzung‘ von sachspezifischen Sinnakten). Die Bedeutung von „öffentlichen Vergleichsdiskursen“, aber auch von globalen Datenbanken, monetären Interdependenzketten etc. liegt dann darin, ganz im Sinne der Autoren, solche Bezugnahmen und sinnhaften Verknüpfungen zu ermöglichen. Als dritter Fall, dem die eigentliche Abgrenzung der Autoren gilt, wären davon überregionale kommunikative Beziehungen von Akteuren zu unterscheiden, etwa als ‚Kontaktdimension‘ der Globalisierung.

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2. R ELIGION UND G LOBALITÄT – AUSBLICK AUF DIE WEITERE U NTERSUCHUNG Ausgehend von dem soeben entwickelten Globalitätsbegriff lässt sich nun noch einmal deutlich machen, warum die Parallelisierung von Weltpolitik und dem Weltsystem der Religionen, wie Luhmann und Beyer sie unternehmen, nicht überzeugen kann. Systemtheoretisch gesehen gründet die Einheit der (isomorphen) Nationalstaaten nicht allein in einem Diffusionsprozess, sondern zugleich in einem Anerkennungszusammenhang, der durch politische Machtkommunikationen kontinuierlich reproduziert wird. Modelle von Staatlichkeit lassen sich vor dem gemeinsamen Horizont globaler Machtkonstellationen und ‚Deutungshegemonien‘ durchsetzen und drastische Abweichungen auf der Grundlage politischer Machtkommunikationen und Entscheidungen ‚sanktionieren‘. Die Globalität der Politik gründet damit in einem Anschlusszusammenhang machtpolitisch stilisierter Kommunikationen und einem damit korrespondierenden Möglichkeitshorizont je aktueller Machtzustände – die beobachtbaren Isomorphien unter den Nationalstaaten sind folglich nicht schon die Globalität der Politik selbst, sondern Korrelat davon. Ein analoger operativer Zusammenhang fehlt aber sowohl in Luhmanns als auch in Beyers Beschreibung der Religion. Um der Globalität eines wie auch immer gearteten Zusammenhangs von Religionen nachzugehen, hat man folglich nach einem einheitlichen Möglichkeitshorizont Ausschau zu halten, der durch religionsspezifische Elementarereignisse reproduziert wird. Anregungen dafür, welche Operationen hier eventuell in Frage kämen, lassen sich jenen in Kapitel II erörterten Theorien entnehmen, die sich vom amerikanischen Kontext inspirieren ließen. Jene Betrachtungen lenken den Blick auf einen Beobachtungszusammenhang von Denominationen, die an ‚Konversionen‘ als Beitrittsbekundung zu einer exklusiven Glaubensgemeinschaft orientiert sind. Der Fingerzeig, dass hier ein fruchtbarer Ansatzpunkt für eine globalitätstheoretische Betrachtung der Religion liegen könnte, kommt aber nicht allein von der Seite jener religionssoziologischen Studien. Er kommt auch aus dem Gebiet der Globalgeschichte selbst. Christopher Bayly (2004) hat in seiner vielbeachteten Studie „The Birth of the Modern World, 1780-1914“ auch den religiösen Transformationen des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts ein Kapitel gewidmet. Sein Fokus gilt dabei den weltweiten christlichen Missionsanstrengungen und den (Rück-)Wirkungen, die aus dem Kontakt und der Konfrontation mit nicht-christlichen Religionen auf beiden Seiten hervorgingen. Ganz ähnlich wie Beyer interessiert er sich dabei insbesondere für das Aufkommen von „Isomorphien“ unter den Religionen, von denen einige erst infolge solcher Begegnungen ein Selbstverständnis als ‚Religionen‘ entwickelten. So sind hier Anstrengungen der asiatischen Traditionen im Blick, den eigenen Anschauungen in Anlehnung an das Christentum eine stärker dogmatische und rituell formalisierte Basis zu verleihen (vgl. Bayly 2004: 340ff.). Es wird beschrieben, wie auch dort „bürokratische“ Strukturen Eingang erhalten, so etwa in der Errichtung eigener Schulen und Missionsgesellschaften, die sich am jeweiligen christlichen Vorbild orientieren. Zugleich macht Bayly (2004: 336) darauf aufmerksam, dass im Zuge einer Rationalisierung der religiösen Autoritätsstrukturen die Uniformität nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Religionen wuchs; immerhin umfasste insbesondere das, was als

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‚Hinduismus‘ und ‚Buddhismus‘ beobachtet wurde (und sich zunehmend selbst in diesem Sinne beobachtete), ursprünglich eine unverbundene Gemengelage einigermaßen heterogener Traditionen. Was Baylys Beschreibung religiöser Re-Modellierungen von den Erörterungen Beyers abhebt, ist die Tatsache, dass hier nicht allein auf bloße Diffusion und beobachtungsbedingte Mimesis abgestellt wird. Stattdessen werden bei Bayly missionsbedingte Vernetzungen religiöser Aktivitäten geschildert, in deren Folge sich die Homologien ausbilden. Die wechselseitige Beobachtung der Religion und die daraus hervorgehende Entstehung von Isomorphien werden in dieser Darstellung auf eine operative Grundlage gestellt, die aus Missionierung, Bekehrungsanstrengungen und deren Abwehr besteht. So bilden die Umgestaltungen und Rationalisierungen in den nicht-christlichen Religionen in weiten Teilen Reaktionen auf die Herausforderung von Seiten des Christentums – sie entstehen nicht zuletzt aus der Notwendigkeit heraus, sich als Religionen gegen die christliche Missions- und Delegitimationsoffensive zu behaupten. Die Sprache, die Bayly hier wählt, ist die des Wettbewerbs und des Kampfes: Von einem „Darwinian struggle for survival between world religions“ (Bayly 2004: 334) ist da die Rede, von einem „battle against [...] Christianity and Islam“ (ebd.: 342) sowie von „competition” und „compet[ing]“ (ebd.: 334, 355, 360). Sowohl die Beschreibungen des denominationalen Pluralismus in den USA bei Parsons, Berger und Stark et al. als auch die globalgeschichtliche Betrachtung des Missionsgeschehens im 19. Jahrhundert stellen somit auf eine institutionelle Logik der Konkurrenz ab. Gerade darin kommen sie zu einer differenzierungstheoretisch einschlägigen Beschreibung des Religiösen. Es drängt sich folglich auf, dass nicht nur der europäische Kontext in der differenzierungstheoretischen Beobachtung der Religion ungünstig gewählt sein mag. Auch die Heuristik eines Vergleichs mit der Politik, wie sie Beyer und Luhmann ihren Arbeiten zugrunde legen, mag fehlgehen. Demgegenüber lenkt die Analogie zur Wirtschaft den Blick auf religiöse Organisationen, die unter Konkurrenzgesichtspunkten auf eine bestimmte ‚Marktlage‘ hin beobachten, die sich insbesondere quantitativ auf eine Verteilung religiöser Anhänger bzw. Konvertiten abbilden lässt.9 Diese Analogie liegt nicht zuletzt deshalb näher, weil man für Religionen, wie in Kapitel III erörtert, nicht ohne weiteres den Status von ‚Binnensystemen‘ beanspruchen kann, wie er etwa für wissenschaftliche Disziplinen oder Nationen infrage kommt, die sich als sachlich verengter Operationszusammenhang innerhalb der jeweiligen Funktionssysteme ausgrenzen. Stattdessen erscheinen Religionen hier nun als rein numerische Konstrukte, d.h. als bloße Aggregate von Anhängern. Als solche vermögen sie Konkurrenzen zwischen Organisationen 9

Auch Beyer (1998c: 24) wechselt mit Bezug auf religiöse Mission zu einer wirtschaftlichen Wettbewerbsanalogie. Ferner unterstellt Roy (2010) für die Gegenwart zum Teil eine globale ‚gesamtreligiöse‘ Marktstruktur: Die von ihm postulierte Dekulturation der fundamentalistischen Religionsströmungen, die nicht zuletzt mit einer „einfältigen“ Aufgabe eines traditionsbewussten religiösen Wissens einhergehe, mache Religionen exportfähig und setzt alle Religion in ein Konkurrenzverhältnis (ebd.: 222). Auch wenn Roy (ebd.: 294f.) dabei ähnliche Standardisierungen und Formatierungen auf die Marktsituation zurückführt, wie dies die vorliegende Studie tun wird, interessiert er sich indes kaum für die wechselseitigen Beobachtungen der Religionen und der damit einhergehenden religiösen Sinnhorizonte, in denen solche Marktlogiken auch objektiv verankert sind.

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anzuheizen, die einen Anschlusszusammenhang von ‚religiöser Mobilität‘ ausdifferenzieren. Diesen Intuitionen gilt es im folgenden Teil B näher nachzugehen. Anders als etwa bei Stark et al. sind dabei jedoch die spezifisch religiösen Sinnmomente der Konkurrenz zu beachten und nicht noch der wirtschaftliche ‚terminus ad quem‘ ins religiöse Feld zu projizieren.

Teil B: Historische und fallanalytische Perspektiven

Nachdem in Teil A dieser Studie der Bestand an differenzierungs- bzw. weltgesellschaftstheoretischen Betrachtungen der Religion gesichtet und ein eigener Begriff von differenzierungsbezogener Globalität entwickelt wurde, gilt es sich im Folgenden empirischen Perspektiven zuzuwenden. Ausgehend vom vorgeschlagenen Globalitätsbegriff und den zuletzt angesprochenen differenzierungstheoretischen Intuitionen Baylys (2004) wie auch Parsons’ (1952; 1960a), ist zunächst in einem historischen Exkurs (VII) zweierlei zu tun. Zum einen soll der Genese von religiösen Selbstbeobachtungen nachgegangen werden, die globalen Charakters sind; gemäß dem hier veranschlagten Begriff von Globalität sind dies ‚Totalitätsperspektiven‘ auf das interreligiöse Feld, die beanspruchen, schlechthin alles Religiöse in der Beobachtung einzufangen. Solche Formen der ‚gesamtreligiösen‘ Selbstbeobachtung von christlicher Seite finden sich in England bereits im frühen 17. Jahrhundert und haben im Weiteren ähnliche Unterfangen in Frankreich, Deutschland und schließlich den USA stimuliert. Dabei kristallisieren sich in diesen Bestandsaufnahmen ‚einzelreligionsneutrale‘ Selbstbeschreibungen heraus, d.h. semantische Folien, die in der Beobachtung ein ‚gesamtreligiöses‘ Feld abstecken und nicht nur die orthodoxen Grenzen einzelner Religionen betreuen. In der Dokumentation dieses Materials wird in der vorliegenden Arbeit eine Beobachtungsposition dritter Ordnung eingenommen, wie es eigentlich auch der Anspruch Luhmanns war: Es ist hier zu beschreiben, wie globale ‚Religion‘ sich selbst Rechnung zu tragen beginnt. Die Frage nach dem Religionsbegriff wird hier also konstruktivistisch beantwortet: Die Antwort wird einem Beobachter im religiösen Feld selbst überlassen – das Interesse der Untersuchung gilt dabei den daraus hervorgehenden Folgen. In einem zweiten Teil des historischen Exkurses ist schließlich der Entstehung einer spezifisch operativen Perspektive auf das interreligiöse Feld nachzugehen. Hier wird aufgezeigt, wie im Zuge der christlichen Mission des 19. Jahrhunderts eine globale Beobachtungssphäre entsteht, die sich auf den Akt der Konversion kapriziert. Dabei wird zu illustrieren sein, wie sich in der kontinuierlichen Registration von religiösen Zugehörigkeiten und davon ausgehenden Missionsanstrengungen ein operativer Anschlusszusammenhang oberhalb von Interaktion und Organisation einrichtet. Die Bekehrung bildet hier einen Elementarakt, der analog zum Zahlungsverkehr der Wirtschaft und dem Publikationszusammenhang der Wissenschaft einen operativen Nexus begründet, auf den hin missionsinteressierte Organisationen und Interaktionen

ausgerichtet sind. Diese spezifische Aufmerksamkeitsstruktur fußt, so die These, auf dem Import populationsstatistischer Semantiken und Methoden der Buchführung in den Bereich der Religion. Im gegenwartsbezogenen Teil gilt das Interesse der pfingstlich-evangelikalen Bewegung, die zunächst in einem kurzen Überblick (VIII) vorgestellt werden soll. Während der protestantische ,mainstream‘ in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von bekehrungsorientierter Mission zunehmend abgekommen ist, hält jene Strömung auch weiterhin an den statistisch fundierten Missionsperspektiven und Semantiken der „Weltevangelisation“ des 19. Jahrhunderts fest. Wie im neunten Kapitel (IX) zu illustrieren ist, wird diese Perspektive von Seiten der pfingstlichevangelikalen Missionsbeobachtung inzwischen auf alle Religionen der Welt erweitert. Hier ist man bemüht, jeden religiösen Wechsel zwischen allen Religionen kontinuierlich zu registrieren, folglich den eigenen Missionsanstrengungen fortlaufend aktuelle religiöse Zugehörigkeitsbilanzen im globalen Maßstab zugrunde zu legen. Ihren Entstehungsort hat die pfingstlich-evangelikale Bewegung in den USA. So wird wohl nicht zufällig – wie am Material gezeigt werden soll – das globale Feld der Religionen als horizontales Feld von Denominationen bzw. Mitgliedschaftsreligionen beobachtet und die Konkurrenzlogik des denominationalen Pluralismus der USA global extrapoliert. Im Anschluss an die Theorie einer Ebenendifferenzierung, die bei Luhmann bereits in einer frühen Studie für das religiöse Funktionssystem zum Zuge kam, gilt es dabei auch zu zeigen, wie diese Konversionsorientierung auf Seiten der pfingstlich-evangelikalen Bewegung auf die Organisations- und Interaktionsebene durchschlägt. Die vorliegende Untersuchung zeigt hier folglich eine Perspektive auf, die, im hier vertretenen Sinne, dahingehend global ist, dass sie jeden religiösen Übertritt zwischen allen Religionen der Welt beobachtet. Indes: Sie ist insofern nicht global, als nicht alles, was im Rahmen dieser Konstruktion als Religion beobachtet wird, gleichsinnig beobachtet, d.h. eine komplementäre Perspektive auf das interreligiöse Geschehen wirft. Die Konvergenz der Horizonte religiösen Erlebens und Handelns, auf die es dem hier veranschlagten Begriff von Globalität ebenfalls unbedingt ankommt, ist nicht ohne weiteres gegeben. Entsprechend ist in einer abschließenden Erörterung (X) den Transformationen, auf die auch Bayly (2004) hindeutet, in einer stärker ‚sinntheoretischen‘ Hinsicht nachzugehen. Es gilt zu zeigen, dass bestimmte Strömungen im Islam, im Hinduismus, im Buddhismus und – in anderer Hinsicht – auch im Katholizismus sich in dieses Sinngeschehen ‚hineinziehen‘ lassen und sich in ihrer Beobachtung und religiösen Aktivität in weiten Teilen darauf einstellen. Die Untersuchung dieser religiösen Umbauten beginnt dabei ebenfalls im 19. Jahrhundert, wird aber in die Gegenwart verlängert. Hier erfahren die Missionsanstrengungen des 19. Jahrhunderts in Form und Folgen vor allem durch die pfingstlich-evangelikale Mission ihre Fortsetzung. Angesichts der ‚amerikanischen‘ Beobachtungslogik, mit der die pfingstlich-evangelikale Bewegung auf die Religionen der Welt blickt, sowie der komplementären Konstruktionen, die sie infolgedessen bei diesen stimuliert, lässt sich die weitere Untersuchung auf die bereits erwähnte Formel bringen: Während die späte Studie Luhmanns den europäischen Fall einer zusammenhangslosen, ins Private abgeschobenen Sphäre der Religionen auf die Ebene der Weltgesellschaft projiziert, gilt es hier zu zeigen, wie der amerikanische Fall des de-

nominationalen Pluralismus sich selbst auf die Weltgesellschaftsebene hebt und durch solche kontrafaktischen Beobachtungen gewisse Realitätseffekte erzielt. Damit folgt die Untersuchung der bereits erwähnten differenzierungstheoretischen Strenge Beyers (2006), die nicht alles, was sich intuitiv als religiös qualifizieren lässt, ‚a priori‘ einem System zuordnet, um es durch nachträgliche Begriffsarbeit als ein solches abzusegnen. Vielmehr bleibt die Untersuchung auch weiterhin einer Beobachtungsperspektive dritter Ordnung verhaftet, indem sie im Bereich der Phänomene, die sich selbst als Religion beschreiben, nach Beobachtungsmodalitäten und Operationen Ausschau hält, die einen globalen interreligiösen Sinnzusammenhang ausdifferenzieren, zu dem dann vieles Religiöse nicht hinzugehören mag. Es wird hier also nicht beansprucht, das Funktionssystem Religion nachzuliefern, das Luhmann selbst nicht auf theoretisch solide Füße stellen konnte. Ähnlich wie sich im Bereich des Rechts mit der in Kapitel VI erwähnten „lex mercatoria“ eine sachthematisch verengte Rechtssphäre von globaler Extension ausbildet, wird hier gezeigt, wie sich eine globale Makrostruktur im Bereich des Religiösen erhebt, die auch Strömungen in den nicht-christlichen Religionen ‚in den Bann zu schlagen‘ vermag.

VII. Historischer Exkurs: Globale Selbstbeobachtungen der Religion

Im Folgenden gilt es historisch nach ersten grundlegenden Momenten einer globalen Selbstbeobachtung von ‚Religion‘ im generischen Sinne Ausschau zu halten. Ausgehend von dem zuletzt entwickelten Globalitätsbegriff sind hier vor allem zwei historische Entwicklungen von Bedeutung. So finden sich ab dem 17. Jahrhundert Kompendien, die Bestandsaufnahmen aller Religionen der Welt zu liefern beanspruchen. Sie offenbaren folglich dahingehend eine Totalitätsperspektive, dass jede Religion an allen Orten der Welt ihre Berücksichtigung finden soll. Um solche Inventarisierungen des 17. und 18. Jahrhunderts soll es im ersten Teil gehen (1). Diesen Kompendien fehlt indes ein dynamisches Moment, das Grund zu einer Aufdauerstellung solcher Beobachtungen geben könnte. In diesem Zusammenhang ist die christliche Mission des 19. Jahrhunderts von Interesse; ihr gilt der zweite Teil dieses historischen Exkurses (2). Hier etabliert sich im Rahmen von Registrations- und Bilanzierungsleistungen insbesondere der protestantischen Mission eine Aufmerksamkeitssphäre, die sich auf den Akt der Bekehrung und damit auf die sich kontinuierlich wandelnden Anhängerzahlen der Religionen kapriziert. Die Totalität der Perspektive liegt nun nicht allein in der globalen Vollständigkeit der beobachteten Religionen. Die Totalität betrifft nun auch das operative Moment der Konversion: Alle Konversionen zum Christentum weltweit werden kontinuierlich verbucht und aufgerechnet. Wie in Kapitel IX deutlich wird, ist es ist diese religionsstatistische Totalitätsperspektive, die auch der gegenwärtigen Mission der pfingstlich-evangelikalen Bewegung zugrunde liegt. Diese registriert allerdings nicht nur Bekehrungen zum Christentum, sondern rechnet auch Fluktuationen zwischen den Anhängern nicht-christlicher Religionen als Konversion zu.

1. D IE R ELIGIONEN DER W ELT : G LOBALE ‚ GESAMTRELIGIÖSE ‘ S ELBSTBEOBACHTUNGEN VON S EITEN DES ‚W ESTENS ‘ IM 17.-18. J AHRHUNDERT Unter globalen ‚gesamtreligiösen‘ Selbstbeschreibungen sind hier solche Perspektiven zu verstehen, die mit dem Anspruch auftreten, eine universelle Bestandsaufnahme des Religiösen zu liefern. Beschreibungen dieser Art kommen in prominenter Form im Europa des 17. Jahrhunderts auf, befeuert von einem Interesse an ‚anderen‘

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Religionen als der christlichen. Wie etwa David A. Pailin (1984) und Peter Harrison (1990) zeigen, hat dieses Interesse seine Ursachen im Anschlussdiskurs der Reformation. Dieser war erstens durch den Gegensatz von Offenbarungs- und natürlicher Religion geprägt. Mit dem Begriff der natürlichen Religion verband sich zu dieser Zeit der Gedanke, dass der Mensch allein durch vernünftige Betrachtung der Natur zu wahren religiösen Einsichten, etwa die Existenz und das Wesen Gottes betreffend, gelangen könnte. Im Zusammenhang mit der Strömung des Deismus und des Sozianismus im England des 17. Jahrhunderts wurde das Konzept der „natural religion“ somit zunehmend gegen das Konzept der „revealed religion“ ausgespielt, so wie dies auch Vertreter des Offenbarungsgedankens in umgekehrter Richtung taten.1 Die in der mittelalterlichen Theologie übliche Vorstellung eines komplementären Zusammenspiels von vernünftiger Betrachtung und Offenbarung in der religiösen Erkenntnis hatte sich damit weitgehend überlebt (vgl. Harrison 1990: 7). Der zweite entscheidende Gegensatz war der durch die reformatorische Spaltung entstandene innerchristliche Antagonismus selbst, der eine entsprechende Polemik zwischen den Konfessionen auf Dauer stellte. In beiden Gegensätzen gründete die spezifische ‚episteme‘ dieser Periode, die den Blick auf andere Religionen lenkte. Zum einen dienten Letztere als Prüfstein für den Gedanken der natürlichen Religion – sei es als Beleg, wenn argumentiert wurde, dass die zentralen religiösen Kernannahmen sich auch in den Religionen anderer Völker aufweisen lassen, sei es als Widerlegung, wenn die Perversion und Entartung solcherlei Religionen aufgeführt wurde (vgl. Pailin 1984: 23ff.). Zum anderen waren Vergleiche mit ‚heidnischen‘ Religionen ein willkommenes Mittel, um den innerchristlichen Antipoden zu diskreditieren: so etwa in der Verhöhnung des Katholizismus als „Paganopapismus“. Gerade Letzteres hatte aber den unweigerlichen Nebeneffekt, dass der christliche Glaube seiner eminenten Stellung weitreichend entkleidet und auf eine Höhe mit anderen ‚Religionen‘ gestellt wurde, unter denen dann allenfalls noch graduelle Qualitätsunterschiede plausibel vertreten werden konnten: „[T]he continual assertion of fancied parallels between this or that creed of Christianity and types of heathenism led in time to the view that all forms of Christianity had something in common with the other religions.“ (Harrison 1990: 9) In der folgenden Darstellung liegt der Akzent weniger auf diesen zeitgenössischen Problematiken; vielmehr sind hier die weltgesellschaftsbezogenen und differenzierungstheoretischen Implikationen dieser Religionsinventarisierungen zu erörtern. Im Blick sind dabei in der Hauptsache Kompendien aus dem angelsächsischen Raum aus der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts; aber auch französische und deutsche Varianten solcher Bestandsaufnahmen sind hier zu nennen. An der Entstehung der Religionswissenschaften im 19. Jahrhundert und deren Beobachtung des Religiösen ist die vorliegende Untersuchung indessen nicht interessiert, obgleich dies in einzelnen Randbemerkungen innerhalb der Teilabschnitte auch Erwähnung finden mag. Hier soll es nur um jene Kompendien gehen, die in der globalen Beobachtung der Religion den Anfang machen und sich dabei in Form und Inhalt bis ins 18. Jahrhundert auffällig gleichen. Bevor sich die Darstellung diesen zuwendet, sind zunächst in einem ersten Abschnitt die entscheidenden semantischen Entwicklungen im Religionsbegriff zu beleuchten, die in mancherlei Hinsicht die Voraussetzung solcher Ver1

Siehe zum Gegensatz von natürlicher Religion und Offenbarungsreligion auch Schröder (1992).

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gleichs- und Kompiliermöglichkeiten bilden (1.1). Im Anschluss daran soll eine exemplarische Auswahl dieser Kompendien zur Sprache kommen. Dabei ist hier weniger deren inhaltliche Auseinandersetzung mit den Religionen und auch nicht ihr religionswissenschaftlicher ‚Wert‘ und ‚Wahrheitsgehalt‘ von Belang.2 Stattdessen hält sich die Untersuchung vor allem an drei Gesichtspunkte. Es soll erstens auf die vielseitige Form aufmerksam gemacht werden, in der diese Traktate für sich in Anspruch nehmen, ‚Welt‘-Beschreibungen zu liefern (1.2). Es soll daraufhin illustriert werden, inwieweit sich in diesen Werken eine Selbstbeschreibung von Religion schlechthin herausdestilliert (1.3). Schließlich gilt es noch etwas zur Systemreferenz dieser Abhandlungen zu bemerken – inwieweit sind sie also, so die Frage, als Selbstbeobachtungen (im Gegensatz zu Fremdbeobachtungen der Religion) zu werten (1.4)? 1.1 Zum Begriff der Religion Das Aufkommen von ‚gesamtreligiösen‘ Kompendien hat ein Verständnis von ‚Religion‘ zur Voraussetzung, das mit dem Wort einen generischen Begriff verbindet, unter dem verschiedene ‚Religionen‘ subsumiert und verglichen werden können. Die Entwicklung hin zu dieser Semantik ist jedoch keinesfalls geradlinig.3 Im Kontext der römischen Antike war „religio“ sehr wohl „pluralfähig“ (vgl. Tyrell 2010: 214), hatte jedoch eine andere Bedeutung als der neuzeitliche Terminus. Mit „religiones“ waren zunächst die – durchaus verschiedenen und nebeneinanderbestehenden – Formen der Gottesverehrung bzw. Haltungen den Göttern bzw. Gott gegenüber gemeint, die sich in entsprechenden Handlungen ausdrückten (vgl. Feil 1986: 29, 83, 126, 219). Folglich kam dem Konzept „religio“ in diesem frühen Zusammenhang bereits eine generische Allgemeinheit zu, ähnlich dem modernen Singular der ‚Religion‘, obgleich mit anderem Sinn. Es diente vor allem der politischen Beobachtung der religiösen Landschaft. Das Frühchristentum übernahm den Begriff, brachte ihn aber nun gerade gegen die anderen Kulte in seinem Umfeld in Stellung: als „religio vera“ beanspruchte es den Titel der wahren Religion ausschließlich für sich und ordnete die religiöse Konkurrenz dem Etikett des Heidentums unter; dieses war nun eben „religio falsa“.4 Das ursprünglich symmetrische Feld der „religiones“ asymmetrisierte sich so in der Perspektive des Christentums anhand des Gegensatzes „religio vera“/ „pagani“.5 Mit der Verdrängung der religiösen Konkurrenz im Zuge des Aufstiegs des Christentums zur Staatsreligion verlor der Begriff „religio“ so weitgehend seinen ursprünglich generischen Sinn und diente bisweilen gar zur Bezeichnung der christlichen Orden. Erst mit den Kreuzzügen und der mit ihnen zusammengehenden ‚wie2 3 4

5

Vgl. für solche Evaluationen Jordan (1905/1986: 118ff., 505ff.); Sharpe (1975). Vgl. zu diesem Abschnitt Tenbruck (1993: bes: 49ff.). Wie Tenbruck (1977: 55ff.) herausstellt, ist der sich hier offenbarende Wahrheitsbegriff ein Erbe aus der griechischen Philosophie. Wie weiter unten noch deutlich wird, ist die Kehrseite dieser zweiwertigen Logik ein Wahrheitsuniversalismus, der die Gültigkeit der Botschaft für alle behauptet und gerade deshalb zur Mission drängt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde gilt Tenbruck (1977: 57) die christliche Religion als „exemplarische missionarische Religion“; vgl. zur Unterscheidung zwischen wahr und falsch in der Religion auch Assmann (2003). Vgl. zum Konzept des asymmetrischen Gegensatzpaars Koselleck (1979).

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derholten‘ Begegnung mit fremden Religionen war eine solche Verwendung wieder geboten. Wie u.a. Feil (1992: 33f.) darlegt, sprangen an dieser Stelle allerdings zunächst andere Begriffe ein, etwa „secta“ bei Roger Bacon (von „sequi“: „folgen“) oder „leges“ bei Cadarno (im Sinne von „Gesetz“). Einen wesentlichen Fortschritt in die Richtung eines erneut generischen Verständnisses von ‚Religion‘ leisten Nikolaus von Kues (1401-1464) und Marsilio Ficino (1433-1499).6 Ersterer liefert in seiner Schrift „De pace fidei“ die Formel „religio una in rituum varietate“, die, im Sinne einer platonischen Idee, auf ein ‚Wesen‘ des ‚Religiösen‘ schlechthin hindeutet, das sich in den verschiedenen Riten und Kulten auf unterschiedliche Weise manifestiert. In seinem Werk „De Christiana Religione“ verbindet Ficino diesen Gedanken eines allgemeinen religiösen Ideals in vielfältiger Gestalt mit der Vorstellung von Religion als einer allgemeinmenschlichen Eigenschaft. Dies steht nicht in Widerspruch zum Titel des Traktats, in dem von „christlicher Religion“ die Rede ist. Gemeint ist dabei nicht so sehr das historische Christentum; „christliche“ Religion ist hier vielmehr das Ideal, von dem alle Religionen Elemente in sich tragen können.7 Die Spaltungen, die mit der Reformation einhergingen, taten ihr Übriges, um insbesondere in der protestantischen Theologie Englands den Begriff von Religion zunehmend mit einem klar umgrenzten ‚set‘ von Glaubensannahmen in Verbindung zu bringen. Harrison (1990: 19ff.) zeichnet diese Bedeutungsverschiebungen vor allem anhand der semantischen Karriere des Gedankens eines „saving knowledge“ nach. Den Ausgangspunkt bilden dabei die protestantischen Akzentuierungen ‚expliziten Glaubens‘ gegenüber dem römisch-katholischen Prinzip der „fides implicita“. So machte Calvin in diesem Zusammenhang geltend: „Faith consists in the knowledge of God and Christ not in reverence for the Church.“ (Zit. n. Harrison 1990: 19) Das, worauf hier noch mit „knowledge“ Bezug genommen wird, lässt sich indes nicht als religiöses Wissen im kognitiven, propositionalen Sinne verstehen: „[It] was rather knowledge of God’s will, the assurance of salvation, the ‚resting on Christ and his righteousness‘, made possible by the gift of faith.“ (Ebd.: 22f.) Erst im Zuge der Theologie von Jacobius Arminius (und Hugo Grotius) und ihrer Auseinandersetzung mit der Prädestinationslehre Calvins gewann der Gedanke von religiösem „Wissen“ zunehmend den Sinn von objektivierbaren Aussagen. Entgegen der deterministischen Annahme Calvins, nach der der Kreis der Erwählten durch Gottes ‚unerforschlichen Ratschluss‘ von jeher feststeht, betont Arminius den freiwillige Glaubensentschluss gegenüber einem Korpus religiöser „Wahrheiten“. Dieser „konditionalen Prädestinationslehre“ (vgl. Harrison 1990: 23) zufolge ist es Gottes ewige Absicht, diejenigen 6 7

Vgl. zum Folgenden nun insbesondere Harrison (1990: 5ff.), dem auch Beyer (2006: 70ff.) in seiner Darstellung folgt. Wenn Feil (1986: 138ff., 198f., 207, 212, 232) hier, anders als Harrison (1990: 14), eine dem modernen Verständnis von ‚Religion‘ geradezu entgegengesetzte Verwendung des Begriffs sieht, so liegt das daran, dass er hier einen allzu neutralen, religionswissenschaftlichen Begriff von ‚Religion‘ ans Ende der Entwicklung setzt, der nicht mehr nach wahrer und falscher Religion unterscheidet. Dabei werden die partikularen Wertungen auch moderner Verwendungen des Religionsbegriffs, die sich gerade auf spezifische religiöse Interessen und Standortgebundenheiten im Religionssystem selbst zurechnen lassen, nicht recht gewürdigt.

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zu erlösen, die sich zum Glauben entschließen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die damit verbundene Bedeutungswandlung, die Religion noch deutlicher mit einem konturierten Set von Glaubensartikeln in Verbindung bringt: „God’s place as the object of faith had been subtly usurped by a set of doctrines.“ (Ebd.: 24) Dieser semantische Wandel vermählte sich mit einer Bedeutungsverschiebung im Konzept der „Offenbarungsreligion“: „What was now revealed through revelation was an objective ‚religion‘, presumably a religion consisting of saving knowledge.“ (Ebd.; Herv. M.P.) Anders als in der ursprünglichen Vorstellung, der zufolge Gott ‚sich selbst‘ offenbart, sind es nun Glaubenssätze, die den Gegenstand der Offenbarung bilden. Die Entscheidung für den Glauben daran verspricht die Erlösung. Wie Harrison (1990: 25f.) konstatiert, drückt sich diese semantische Wendung in dem Aufkommen zahlreicher Bücher auf, die sich explizit und ihrem Titel nach den „propositionalen“ Sätzen dessen zuwenden, was sie als die wahre Lehre des Christentums ansehen. Diese Entwicklung, die Harrison (1990) vor allem für die Theologie in England nachzeichnet, schafft nun zugleich die Voraussetzungen, andere Religionen (im Plural!) als objektive oder objektivierbare Bestände, sei es von Glaubensartikeln, sei es von damit verbundenen Praktiken, zu denken und miteinander zu vergleichen. So sind ab dem frühen 17. Jahrhundert insbesondere in England auch solche Publikationen zahlreich, die sich einer Gesamtschau des religiösen Feldes im globalen Maßstab verschreiben und dabei den Plural „Religionen“ explizit im Titel tragen. Diesen gilt die weitere Erörterung. 1.2 Totalitätsperspektiven auf religiöse ‚Welt‘ In der Abhandlung des Engländers und anglikanischen Geistlichen Samuel Purchas (ca. 1577-1626) aus dem Jahre 1613 ist eines der Werke zu sehen, das, wenn man will, geradezu ein ‚Genre‘ von globalen ‚gesamtreligiösen‘ Inventarisierungen begründet.8 Sie trägt den Titel „Purchas, his Pilgrimage, or Relations of the World and the Religions Observed in All Ages and Places Discovered, from the Creation unto the Present“. Schon in dieser Titelstruktur gleichen sich die zeitgenössischen Bestandsaufnahmen merklich, so etwa die nur ein Jahr später erscheinende Untersuchung des englischen Gelehrten Edward Brerewoods (ca. 1565-1613) mit dem Titel „Enquiries Touching the Diversity of Languages and Religions Through the Chiefe Parts of the World“; Die Schrift „Pansebeia: A View of all Religions of the World with the several Church-Governments from the Creation, to these times. Together with a Discovery of All known Heresies, in all Ages and Places, throughout Asia, America, Africa and Europe“ des anglikanischen Geistlichen Alexander Ross (ca. 1591-1654) aus dem Jahre 1652; der Traktat William Turners (1653-1701), ebenfalls Geistlicher der anglikanischen Kirche, mit dem Titel: „The History of all Religions in 8

Die folgenden Titel sind auch zusammengetragen bei Masuzawa (2005: 50ff. und passim), mit der Ausnahme des Werks von Jovet und der deutschsprachigen Titel; diese sind, wie auch einige der hier genannten englischsprachigen Titel, bei Stäudlin (1804) erwähnt. Auf sein Werk wiederum wird in Kapitel 2.3 dieses Exkurses noch näher eingegangen. Vgl. ferner Jordan (1905/1986) und Pailin (1984) zu diesen frühen Religionsvergleichen. Eine differenzierungstheoretische Interpretation des Materials, wie sie hier nun vorgenommen wird, fehlt indes bislang.

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the World: From the Creation down to this Present Time“ aus dem Jahre 1695; das „Historical Dictionary of All Religions from the Creation of the World to this Present Time“ (1737-39) des anglikanischen Geistlichen Thomas Broughton (1704–1774); der Schriftsteller und „Robinson-Crusoe“-Autor Daniel Defoe legt 1704 „A Dictionary of All Religions“ vor; von französischer Seite etwa das mehrbändige Werk „Cérémonies et coutumes religieuses de tous les peuples du monde“ (1723-1743), herausgegeben vom hugenottischen Buchhändler Jean Frederic Bernard (1680-1744) und illustriert vom zum Protestantismus bekehrten Kupferstecher Bernard Picart (1673-1733), die beide nach Holland ausgewandert waren;9 von katholischer Seite in Frankreich die Bände „L'histoire des religions de tous les royaumes du monde“ (1710ff.) des Priors Nicolas Jovet; in Amerika „An Alphabetical Compendium of the Various Sects which have Appeared in the World from the Beginning of the Christian Aera to the Present Day“ aus dem Jahre 1784 von Hannah Adams (1755-1831), einer entfernten Verwandten des Präsidenten John Adams; deutscherseits ist in diesem Zusammenhang etwa das Werk „Vollständiger Abriß aller jemals in der Welt bekannten und üblichen Religionen, nach ihren Ursprung, Fortgang, Abwechselung, Schicksaalen, Lehrsätzen, Gleichheit und Ungleichheit unter einander“ des protestantischen Theologieprofessors Johann Christoph Köcher (1699-1772) aus dem Jahre 1753 zu nennen wie auch das Werk „Beschreibung aller Religionen in der Welt“ des Protestanten Balthasar Hausknecht (erstmals 1768).10 Zuvorderst und zunächst ist für all diese Werke schlicht und ergreifend die Inbeschlagnahme des Wortes „Welt“ festzustellen – im Sinne von Welt, in der sich die Religionen befinden. Man hat es hier also durchaus schon mit einem geographischräumlichen Weltbegriff zu tun. Wie Hermann Braun (1992) in der historischsemantischen Erörterung des Weltbegriffs allerdings darlegt, ist die Semantik von Welt bis in die späte Neuzeit von dem Gegensatz „Gott – Welt“ geprägt. 11 Welt bestimmt sich in diesem Zusammenhang als die von Gott geschaffene Welt in ihrer zeitlichen Endlichkeit, der die Unvergänglichkeit Gottes gegenübersteht; sie wird als (endliche) Gesamtheit diesseitiger Dinge verstanden, wobei das Demonstrativum „diese“ dabei stets auf die jenseitige Transzendenz des Reichs Gottes und die Aufhe9

Vgl. zu Bernard und Picart jetzt Hunt et al. (2010a; 2010b), die deren Werk allerdings ausdrücklich nicht in diese Traditionslinie stellen; zu den Illustrationen Picarts speziell WyssGiacosa (2006). 10 Das Buch „Grundriß der Geschichte aller Religionen“ des Philosophen und Historikers Christoph Meiners (1747–1810) aus dem Jahre 1785 unterscheidet sich indes in seiner Struktur grundlegend von den anderen Werken, als es Meiners nicht um eine „chronologisch-geographische“ Darstellung der Religionen geht, sondern um eine gleichsam evolutionstheoretische Darlegung „nach der natürlichen Folge ihrer Bestandteile“. Religiöse „Elemente“ wie Fetischismen, Ahnenverehrung, Opferdienste etc. werden so der Sache nach erörtert und in eine Entwicklungsfolge gebracht, um in Fußnoten beispielhaft darzulegen „wie sich ein jedes derselben unter allen Völkern gefunden habe oder noch finde“. Eine Inventarisierung von Religionen steht somit, anders als bei den anderen Traktaten, hier nicht im Vordergrund. Vgl. im Übrigen zu einer frühen deutschen Zurückhaltung in Sachen ‚Religionsvergleich‘ Jordan (1905/1986: 140ff.; 512ff.). 11 Vgl. hierzu auch Luhmann (1984/2005: 90), der in diesem Zusammenhang von Gott als „mitlaufender Fremdreferenz“ des Gesellschaftssystems spricht.

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bung des „gegenwärtige[n] Erfahrungszusammenhang[s]“ verweist (ebd.: 446). Entsprechend trägt diese Semantik von Anbeginn die pejorative Konnotation von gefallener, verderblicher Welt bis hin zu einer „contemptus mundi“ mit sich, die im 17. Jahrhundert Braun zufolge zur neuen Blüte kommt. Tatsächlich drängt sich auch in den hier genannten Traktaten eine semantische Paarung von ‚Welt‘ als Gesamtheit der Dinge mit den beschriebenen Sündenfallsmotiven auf. Die Vielfalt der Religionen, aber auch die Zersplitterung des Christentums selbst wird fast durchgängig als Ausdruck menschlicher ‚Verfallenheit‘ gedeutet (vgl. Masuzawa 2005: 52ff.). So begründet Daniel Defoe in „A Dictionary of All Religions“ (1704: Preface) die religiöse Diversität mit „the Corruption of Humane Nature having found out so many false Deities of both Sexes, Idols, Images, and vain Representations“. Alexander Ross (1652: Preface) sieht dabei den Rechtsspruch Gottes am Werk: „It stood with the justice of God to suffer men who in the beginning were in one language and religion to fall into a Babel and confusion, both of tongues and false religions, for not retaining the truth.“ Auch Samuel Purchas (1613: Preface) deutet die Varietät der Religionen als Gottes „Justice and Providence, pursuing sinne everywhere with such dreadfull plagues“; schließlich sieht Edward Brerewood (1614: 85) speziell in der Ausbreitung des Islam mitunter „the justice of almighty God, punishing by that violent and wicked sect, the sinnes of Christians“. Auch in anderer Hinsicht zeigt sich die von Braun (1992: 439) konstatierte Rahmung der Weltsemantik durch die christliche Schöpfungstheologie: So ist der ausgewiesene zeitliche Ausgangspunkt der meisten dieser Untersuchungen die „Creation“, d.h. die Erschaffung bzw. Schöpfung der Welt. Gleichwohl zeugen diese Traktate gerade in ihren Religionsverortungen, vielleicht bereits mehr, als Braun (1992) vermuten lässt, von geographischräumlichen Bedeutungen von ‚Welt‘. Das mag unten noch deutlicher werden. Neben dieser zeitgenössischen Semantik kommt ‚Welt‘ aber auch auf einer anderen Ebene zur Geltung, die in weltgesellschafts- wie differenzierungstheoretischer Hinsicht besonders bemerkenswert ist. Schon in den Titeln der Traktate wird reichlich Gebrauch von Allquantoren (im Sinne von „alle“, „überall“ etc.) gemacht, und zwar in der sachlichen, in der zeitlichen wie auch in der räumlichen Dimension. ‚Welt‘ kommt hier, ganz auf der Linie des hier entwickelten Globalitätsbegriffs, als Totalität ins Spiel. So zeichnen sich einerseits die Werke fast durchweg durch den Anspruch aus, Religion in zeitlich-historischer Hinsicht erschöpfend zur Darstellung zu bringen. Nicht nur die gegenwärtige religiöse Landschaft ist Gegenstand, sondern alles was jeher, „from the Creation down to the Present Time“ (Turner 1695), an Religionen bestanden hat; teilweise, etwa bei Samuel Purchas, sind dabei noch die Historien der einzelnen Religionen selbst gewürdigt. Daneben wird in räumlichgeographischer Hinsicht ebenfalls Vollständigkeit beansprucht. Nicht nur die hiesigen Religionen sind im Blick, sondern jene „in all [...] places discovered“ (Purchas 1613). Dies verweist wiederum auf die Bedeutung von ‚Welt‘ als Erdball samt seinen Kontinenten. Schließlich geben sich die Darstellungen auch in der sachlichen Dimension einen erschöpfenden Anstrich. In ihnen soll ausdrücklich die komplette Vielfalt der Religionen ihre Berücksichtigung finden; es geht also nicht allein um historisch und geographisch vollständige Bestandsaufnahmen einer Religion, sondern darum, „a view of all religions“ (Ross 1652) zu liefern. Bis weit ins 19. Jahrhundert liegt dieser Gesamtschau üblicherweise die Vierertypologie von Judaismus, Christentum, „Mohammedanismus“ und Paganismus/Hei-

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dentum/Idolatrie zugrunde. Das Christentum erfährt dabei zumeist eine nach Denominationen und Sekten differenzierende Betrachtung; seltener wird auch beim Islam noch nach Strömungen und Sekten unterschieden (etwa bei Hannah Adams 1784). Das ‚Heidentum‘ steht indes nicht auf Augenhöhe mit den übrigen Religionen, sondern bildet gewissermaßen eine ‚Residualkategorie‘ für diejenigen Erscheinungen, die keiner der drei abrahamitischen Religionen zuzuordnen sind. Aufgrund der geringen Materialbasis werden unter dieser Rubrik vor allem Darstellungen von Autoren des antiken Griechenlands und Roms herangezogen (vgl. Pailin 1984: 15). Aktuelle Beschreibungen sind demgegenüber äußerst spärlich. Zumeist nimmt die Darstellung des Heidentums, wie etwa bei Samuel Purchas (1613), ganz explizit den Charakter von Reiseberichten an und folgt dabei insofern weitgehend den Imperativen dieses Genres, als hier eher Kuriositäten und Zeugnisse vom ‚ganz Anderen‘ den Leser faszinieren sollen (deutlich spürbar etwa in der Kapitelüberschrift „Of many other strange rites [in the Kingdom of Narsingar and Bisnargar]“, S. 560). Wie in Kap. X noch näher zu erörtern ist, erfolgt die ‚Synthese‘ einiger dieser räumlich verstreuten ‚heidnischen‘ Riten zum Hinduismus bzw. Buddhismus erst im Laufe des späten 18. und 19. Jahrhunderts.12 Für die Auseinandersetzungen mit dem Islam und Judentum stehen demgegenüber in weitaus größerem Ausmaße Primärmaterialien zur Verfügung. In weiten Teilen wird allerdings auch hier, so scheint es, auf biblische Quellen (beim Judentum), Reiseberichte, geschichtliche Abhandlungen o.ä. zurückgegriffen.13 So haben die Darstellungen insgesamt einen eher illustrativen Charakter. Das vollständige Abschreiten der Sachdimension wird dabei bisweilen sehr deutlich in der enzyklopädisch-alphabetisierenden Darstellungsform zum Ausdruck gebracht. Mit Daniel Defoes „A Dictionary of All Religions“ liegt bereits 1704 ein Kompendium vor, das dergestalt vorgeht; auch Thomas Broughtons „Historical Dictionary of All Religions from the Creation of the World to this Present Time“ ist hier zu nennen; ebenso die Arbeit von Hannah Adams, die in ihren späteren Auflagen die nichtchristlichen Religionen nicht länger in den Anhang auslagert, sondern unter die alphabetische Gesamtdarstellung mischt, in der zuvor allein die christlichen Denominationen erörtert wurden.14 Diese in zeitlicher, räumlicher wie sachlicher Hinsicht ‚totalisierende‘ Perspektive erlaubt vielfältige Darstellungsformen, die die drei Sinndimensionen auf unterschiedliche Art und Weise miteinander kombinieren und verschachteln. So liefert sehr häufig die Raumdimension die primäre Ordnungsebene, etwa indem in der Darstellung jeder Kontinent für sich abgehandelt wird; so geht Alexander Ross vor, ebenso Samuel Purchas (dabei Australien freilich noch übergehend). Im Anhang zu Hannah Adams’ „An Alphabetical Compendium of the Various Sects which have Appeared in the World from the Beginning of the Christian Aera to the Present Day“ (1784: xviff.) findet sich eine Präsentationsform, die Kontinent für Kontinent und darunter jeweils Land für Land die dort anzutreffenden Religionen diskutiert. 12 Vgl. hierzu auch Masuzawa (2005: 121ff.); vgl. zur ‚orientalistischen‘ Konstruktion des Buddhismus Almond (1988); für den Hinduismus vgl. Marshall (1970). 13 Vgl. zu den herangezogenen Quellen für das Judentum und den Islam in religionsvergleichenden Arbeiten aus dem England des 17. und 18. Jhds. auch Pailin (1984: 63ff., 81ff.). 14 Vgl. hierzu auch das editorische Vorwort von Tweed (1992) zur neu herausgegebenen vierten Auflage des „Dictionary“ (dort: XXV ff.).

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Es finden sich aber auch Autoren, die die sachliche Ebene (d.h. die verschiedenen Religionen) in der Ordnung der Darstellung privilegieren. So gliedern bei Brerewood (1614) die Religionen die Kapitel, innerhalb derer dann ihre jeweilige geographische Ausbreitung und Geschichte diskutiert werden (z.B. Kap. XI: „Of the parts of the World possessed by Mahometans“). Bei Brerewood ist es zugleich eine ganz ausdrückliche Zielsetzung der Untersuchung, entgegen den Verlautbarungen der römischen Kirche die tatsächlich weite Verbreitung des Protestantismus zu illustrieren.15 Auch der Hauptteil von Hannah Adams’ Werk weist diese primäre Gliederung nach Religionen auf. Allein den Fall eines Kompendiums, das die Zeitdimension als vorrangige Sortierung benutzt, scheint es nicht zu geben; sicherlich wird dies in weiten Teilen daran liegen, dass sich hier diskontinuierliche, diskrete Strukturen, wie sie Religionen oder Kontinente vorgeben, nicht von selbst aufdrängen. Wohl aber lässt sie sich leicht der Darstellung der Religionen unterordnen, so etwa wenn bei Purchas „Their beginnings, Proceedings, Alterations, [...] and Successions“ für die jeweiligen Religionen erörtert werden. Wie noch deutlich wird, sind diese Varianz in der Präsentationsform und die vielfältigen Kombinationen der Ordnungsebenen noch bei den modernen Religionskompendien zu finden. Für den vorliegenden differenzierungs- und weltgesellschaftstheoretischen Zusammenhang ist das hier zu beobachtende ‚reine‘ Hervortreten einer Sinnperspektive als themenspezifische ‚Totalität‘ von Interesse. Was sich hier zeigt, ist eine ‚Welt‘, verstanden in dem differenzierungsbezogenen Sinne des Begriffs, in dem auch Simmel ihn in seiner Religionsschrift verstanden haben will, wenn er von „Welten“ im Plural spricht: als „Formen [...], in denen wir gegebene Inhalte ordnen, – eben dieselben Inhalte, die wir auch künstlerisch oder religiös, wissenschaftlich oder im Spiel anordnen“ (Simmel 1906/1912/1995: 43). Für das hier betrachtete ‚Genre‘ von Traktaten lässt sich also anführen, was Simmel im Zusammenhang seiner Untersuchung für das religiöse Leben veranschlagt: es „schafft die Welt noch einmal, es bedeutet das ganze Dasein in einer besonderen Tonart, so daß es seiner reinen Idee nach mit den nach anderen Kategorien erbauten Weltbildern sich überhaupt nicht kreuzen, ihnen nicht widersprechen kann“ (ebd.: 45; Herv. i.O.). Die obigen Anmerkungen machen deutlich, wie hier eine zeitliche, räumliche und sachliche Totalität in eine ganz eigene Ordnung gebracht wird und „perspektivische Verschiebungen“ (ebd.) erfährt, die einer „besonderen Logik“ (ebd.: 44) geschuldet sind. Auch hier ist eine „formende Kategorie“ am Werke, die „ihrem Motiv nach eine ganze, eigengesetzliche, aus einheitlichem Grundtrieb in sich beschlossene Welt bedeutet“ (ebd.: 43). Es sei an dieser Stelle erneut auf die Parallelität zum Luhmann’schen Gedanken der Polykontexturalität aufmerksam gemacht;16 es zeigt sich hier eine von vielen ‚Kontexturen‘, die die Welt mit je eigenem Sinn überziehen.

15 Vgl. Brerewood (1614: Preface): „The falsehood of which glorious boastings are in part most lively discovered in this learned Tractate, describing the divers conditions of Christians in the East, North and Southerne Regions of the Earth which have no subordination unto the Papall Hierarchie, but not in the West, where Protestants have chiefely their aboade.“ 16 Siehe Kap. I.3.2.2.3.

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Diese Gestaltung des Weltmaterials zu einem besonderen „Weltganzen“, das als Ganzheit „widerspruchslos“ neben Welten bestehen kann, die nach anderen Kategorien geformt sind, drängt sich sehr anschaulich in den religionsbezogenen Weltkarten auf, die schon früh mit den Kompendien einhergehen. Schon in der bereits erwähnten Schrift von William Turner (1695: 603) findet sich eine, freilich noch sehr karge und undifferenzierte Weltkarte, die die Ausbreitung der Religionen auf dem Globus darstellt, indem sie die einzelnen Kontinente mit den Namen der darin sich befindlichen Religionsformen beschriftet. Der zentrale Punkt ist hier, dass nicht die politischen Einteilungen der Kontinente von Interesse sind. Diese bilden eine eigene, aber für diese Weltperspektive irrelevante Formung des „Materials“. Stattdessen interessiert hier einzig das Vorkommen der Religionen. Das polykontexturale Nebeneinander der religiösen und politischen Welt wird sehr prägnant in den Religionskarten von den Deutschen Johann Matthias Hase und August Gottlob Böhme Mitte des 18. Jahrhunderts vor Augen geführt, die von der Offizin Johann Baptist Homanns herausgegeben wurden. Die mittlerweile schon sehr differenzierten Karten von Asien (1744) und Afrika (1737) führen die Grenzen der politischen Kolonien und Gebiete und die damit inkongruenten Grenzen der Ausbreitung der Religionen in einer Darstellung zusammen (siehe etwa Abb. 1): Abbildung 1: Religionskarte Afrika

Quelle: Hase/Böhme (1737)

Die politischen Grenzen sind mit Linien demarkiert und die Gebietsnamen eingesetzt, während sich farbige Flächen darüber legen, deren verschiedene Farben für je

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bestimmte Religionsformen stehen. So werden für Afrika etwa die verschiedenen Formen des Christentums („Römisch Catholisch“, „Griechisch“ „Evangelisch Lutherisch“, „Evangelisch Reformirt“) ebenso berücksichtigt wie „[m]ahomedisch[e]“ Religionsgruppen („Türckisch od. v. des Osmans Secte“, „Persisch od. v. des Aly Secte“) und das „Heidnisch[e]“; wo zwei Religionsformen räumlich koexistieren, werden eigene Farbkombinationen gewählt (etwa für „Lutherisch und Catholisch“).17 Die Weltkarten zeigen nun ihrerseits sehr deutlich, dass dort, wo es um Welt im differenzierungstheoretischen Sinne geht, d.h. um totalisierende Perspektiven nach autonomer Maßgabe, unweigerlich auch Implikationen im Hinblick auf ,Weltgesellschaftlichkeit‘ mit im Spiel sind. Denn das, was diese Religionswelt (im Differenzierungssinne) ordnet, ist nicht zuletzt ‚Welt‘ in dem, mit Braun (1992: 486) gesprochen, „anthropozentrisch-geschichtlichen“ Sinne, der sich gemeinhin mit dem Begriff von Weltgesellschaft verbindet. So kommt im Zusammenhang dieser Karten eine Gesamtmenschheit mit ihren religiösen Glaubensvorstellungen ebenso in den Blick wie der Globus als das ihr gemeinsame Habitat und die gemeinsame Geschichte, in der die Religionen der Menschheit entstehen, perennieren, koexistieren und vergehen.18 In diesem Zusammenhang mag es lohnen, auf den Begriff der „Weltreligion“ einzugehen.19 Diese knappe ‚Randbemerkung‘ gestattet sich allerdings einen Sprung ins 19. Jahrhundert, der die weitere Entwicklung dahin unberücksichtigt lässt. Der Begriff der Weltreligion zeugt nun vollständig von der „anthropozentrischen“ Einschrumpfung der Weltsemantik, die Braun (1992: 486ff.) zufolge ab Mitte des 19. Jahrhundert fortschreitet und Welt nicht mehr im kosmologischen Sinne, sondern als „menschliche Lebenssphäre“ versteht. So taucht der Begriff, wie Masuzawa (2005: 115, Anm. 8) bemerkt, nicht zufällig im selben Jahr prominent auf, in dem Goethe den Begriff der „Weltliteratur“ geprägt hat.20 Ähnlich wie dieser Begriff ist auch der Begriff der Weltreligion durch eine Ambivalenz gekennzeichnet, die von den nicht zwingend zusammengehenden Bedeutungskomponenten der transnationalen Verbreitung einerseits, der universalistischen bzw. kosmopolitischen Orientierung andererseits rührt. Der Begriff kommt (zumindest in systematischer Hinsicht) 1827 erstmals bei Johann Sebastian von Drey (1777-1853) zum Zuge, der in dem Aufsatz „Von der Landesreligion und der Weltreligion“ gleich im Titel den zugehörigen Gegenbegriff mitliefert. Drey stellt mit dem Konzept ganz auf die Dissoziation des Religiösen und 17 Vgl. zur räumlichen Koextension und Dissoziation von Religion und Politik auch Tyrell (2010: 215ff.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Markus Krajewski (2009), der in der Untersuchung des Blumenversanddienstes Fleurop die daraus hervorgehende „eigene (blumige) Welt“ (ebd.: 263) als eine besonderen Sachgesichtspunkten geschuldete geographische Weltperspektive beleuchtet. Für weitere Beispiele des Autors in Bezug auf eigenlogische Weltperspektiven siehe Krajewski (2006). 18 Diese spezielle Semantik von Welt, die hier von religiöser Seite im 17. Jahrhundert aufkommt und auf Inventarisierungen von Religionen in der Welt abstellt, ließe sich somit in Stichwehs (z.B.: 2005a: 6ff.) offene Liste von frühen gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen aufnehmen, die das „Bewußtsein von Weltgesellschaft vorbereite(n)“; siehe dazu auch Stichweh (2004b). 19 Ich halte mich hier in der Hauptsache an Masuzawa (2005: 107ff.). 20 Vgl. zu letzterem Begriff Koch (2005).

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Politischen ab und spricht den Weltreligionsstatus und damit die Unabhängigkeit von nationalstaatlichen Bindungen allein dem (katholischen) Christentum zu. Die ‚Welt‘ der Weltreligion liegt dabei in der Perspektive auf alle Menschen der Erde, wie auch in Dreys Alternativformulierung „Menschenreligion“ deutlich wird: „Durch diese Unabhängigkeit der neuen Offenbarung von Natur und Geschichte ist das Christentum zugleich die erste Religionsform, die keine Beziehung hat auf Land und Leute[,] auf Klima und Volk, eine Religionsform, die alle Verschiedenheiten völlig bey Seite setzt, welche durch die Verfassung und Gesetzgebung jedes einzelnen Staats zwischen seinen Bürgern und deren Ständen entstehen; eine Religion, die keine anderen Bürger als für das Reich Gottes, aber für dieses alle Menschen ohne Unterschied, auf gleiche Weise und durch dieselben Mittel bilden will; also eine Menschen- oder Weltreligion, keine Volks- oder Landesreligion.“ (Drey 1827: 260f.; Herv. M.P.)21

Der Begriff der ‚Weltreligion‘ war vielen Autoren, wie auch Drey, ein willkommenes Konzept, um den ausgezeichneten Status des Christentums unter den ‚Religionen der Welt‘ zu untermauern, wie selbst noch die Schrift William Fairfield Warrens mit dem Titel „The Religions of the World and the World-Religion“ (im Singular!) aus dem Jahre 1892 eindringlich deutlich macht. Auch bei Gustav Warneck (1897: 279) wird in der ersten Abteilung seiner „Evangelischen Missionslehre“ der Weltreligionsstatus dem Christentum allein vorbehalten und hier an seine Fähigkeit zur kulturellen Anpassung geknüpft (vgl. auch Tyrell 2004: 32). Die Ansprüche auf ein christliches Alleinstellungsmerkmal kommen dem Begriff im Rahmen der kirchenunabhängig institutionalisierten Religionswissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts indes abhanden. Hier wird nun wissenschaftliche Fremdbeobachtung des Religiösen betrieben; so etwa in den Niederlanden bei Cornelis Petrus Tiele, Abraham Kuenen, P.D. Chantepie de la Saussaye und Lodewijk Wilhelm Ernst Rauwenhoff, die den Begriff der „Wereldgodsdiensten“ breit diskutierten. Der Gegensatz von Weltreligion und National- bzw. Landesreligion bleibt dabei begriffsbestimmend. Das konstitutive Merkmal der Weltreligion ist (weiterhin) der Universalismus der Heilsbotschaft, der die Religion über politische Grenzen hinausgreifen lässt. Entsprechend wurde der deutsche wie niederländische Begriff üblicherweise mit „universal religion“ bzw. „universalistic religion“ ins Englische übersetzt. Entscheidend ist aber: Hier wird nun auch dem Buddhismus und dem Islam (obgleich diesem noch lange mit Einschränkungen) der Weltreligionsstatus zu21 Es sei hier noch eine weitere Textstelle zitiert, die besonders eindringlich den Gedanken des Weltsingulars ins Religiöse transponiert: „Es ist ein Gott und Vater aller Menschen, über Alle und in Allen, ein Herr und Mittler zwischen Gott und den Menschen Jesus Christus, der sich für alle zu ihrer Befreyung hingegeben, ein Geist, der auf die mannichfaltigste Weise das Geistige in den Christen schafft, eine Taufe, durch die wir von demselben Geiste zu einem Leibe, zu einer Gesellschaft vereinigt sind, ein geistiges Brod, das die Gemeinschaft des Leibes Christi ist, durch welche viele ein Leib werden dieweil sie alle des einen Brodes theilhaftig sind, ein Glaube für alle die selig werden wollen, eine Hoffnung zu welcher alle berufen sind, eine Liebe die des Gesetzes Erfüllung und Alles ist, und darum endlich auch ein Himmelreich, welches alle auf die gleiche Weise umfaßt, und alle durch die gleichen Mittel an sich ziehen will.“ (Drey 1827: 262; Herv. i.O.)

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erkannt, so dass unter den Begriff (einschließlich des Christentums) nun drei Religionen fallen.22 Gleichwohl bleibt gerade unter diesen frühen Autoren kontrovers, was den Universalismus der Religionen letztendlich ausmacht – Qualität oder Quantität. Max Weber (1920/1988: 237) selbst hat den Begriff der Weltreligion letztlich rein statistisch im Hinblick auf „besonders große Mengen von Bekennern“ bestimmt. Seine Untersuchungen zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen sollten sich entsprechend auch nicht auf die drei universalistisch verfassten Religionen beschränken. Heute sind es 10 Religionen oder mehr, die üblicherweise zu den Weltreligionen gezählt werden, ohne dass Übereinstimmung oder eine Schärfe in der Begrifflichkeit bestünde (vgl. Masuzawa 2005: IXff.; vgl. auch Young 1992). Die Untersuchung kehrt im Folgenden wieder ins 17. und 18. Jahrhundert zurück und wendet sich erneut den dieser Zeit entstammenden Religionskompendien zu, die, wie es nun zu zeigen gilt, in ihren Religionsvergleichen zum Teil zu einer allgemeinen Begrifflichkeit von ‚Religion‘ gelangen. 1.3 Die ‚Religion‘ der Religionen: Allgemeine Selbstbeschreibungen von Religion Die Religionsinventarisierungen, die im Laufe des 17. Jahrhunderts aufkommen, lassen sich in ihrem synoptischen Charakter als Selbstbeobachtung eines globalen religiösen Feldes zu einem gegebenen Zeitpunkt werten. Gerade in ihrem komparativen Zugriff fördern sie gleichzeitig eine religiöse Selbstbeschreibung in einem engeren Sinne zutage; sie destillieren gleichsam einzelreligionsunspezifische und allgemeine Kriterien heraus, die dem Begriff der Religion schlechthin zugeschrieben werden und anhand derer sich Religiöses von Nicht-Religiösem unterscheiden lässt.23 Diese vergleichenden Unternehmungen lassen somit – mehr oder minder explizit – eine religionsumgreifende Selbstbeschreibung als komplexitätsreduzierende Sinnstiftung kondensieren, die einer „semantischen Steuerung“ weiterer Selbstbeobachtungen dienen kann (vgl. hierzu Luhmann 1984/2005: 80). Sie fabrizieren ein „Modell“ des Religiösen, das als „Orientierungsfaktor“ (ebd.) in der Selbstbeobachtung eines ‚Systems‘ fungiert, in der mit einer Pluralität von Religionen gerechnet wird. Ein bemerkenswerter Illustrationsfall für ein solches ‚Raffinement‘ einer generalisierten Religionssemantik ist die bereits erwähnte Schrift von William Turner aus dem Jahre 1695, die aus diesem Grunde etwas ausführlicher diskutiert werden soll. Das primäre Ordnungsprinzip der Präsentation der Religionen ist hier weder ein geo22 In Jacob Burckhardts Vorlesung, welche posthum als „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ aus dem Nachlass veröffentlicht wurde und die er um 1870 herum mehrmals hielt, wird ebenfalls vom Weltreligionsbegriff Gebrauch gemacht. Zu den Weltreligionen werden hier schon uneingeschränkt der Buddhismus, das Christentum und der Islam gezählt; sie werden auch hier dem Typus der „Nationalreligion“ (als dem historisch früheren Fall) entgegen gestellt; Bezug genommen wird in diesem Zusammenhang auf den deutschen Philologen Ernst von Lasaulx; vgl. Burckhardt (1905/1941: 96ff.); siehe hierzu und zum Weltreligionsbegriff allgemein auch Tyrell (2004: 21ff.). 23 Gerade deshalb muss es überraschen, dass diese vor allem angelsächsische Literatur in den religionsbegrifflichen Untersuchungen Feils (etwa 2001; 2007) so gut wie gar nicht berücksichtigt ist.

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graphisches noch werden Judaismus, die Formen des Christentums, „Mahomedanismus“ und „Heidentum“ für sich und nacheinander abgehandelt. Die Organisation der Kapitel folgt vielmehr vorgeblich einzelreligionsneutralen, allgemeinen religiösen Gesichtspunkten, unter deren Eintrag dann jeweils die vier Religionen gesondert betrachtet werden. So gliedert sich die Abhandlung in zwei Teile: religiöse „Grundsätze“ („Tenets“) und religiöse „Praktiken“ („Practices“). In den ersten Teil fallen als Abschnitte der Untersuchung: der Gegenstand der jeweiligen religiösen Verehrung („Object of Divine Worship“); die für diese Verehrung ausgezeichneten Orte („Places of Divine Worship“); die an diesen Orten einzuhaltenden Verhaltensregeln („Respect to the Places“) sowie Formen der Weihung der religiösen Orte („Dedication of Places“); es werden hier ferner die religiösen ‚Professionsrollen‘ verhandelt („Priest and Church-Officers“) samt ihrer vorausgesetzten Qualifikation („Qualification“), der Form der Amtseinführung („Ordination“), ihrer spezifischen Garderobe („Sacred Vestments“), ihrer religiösen Lebensführung („Holiness“) sowie ihrer Sustention/Unterhaltung, dem gebotenen Verhalten ihnen gegenüber und den ihnen zustehenden Privilegien („Maintenance, Respect and Privileges“). Auf die Darstellung der kategorialen Aufteilung der Personen, die an den religiösen Zeremonien beteiligt sind („Persons Making up the Body of the Assembly“), folgt eine Diskussion der spezifischen Zeiten religiöser Verehrung samt einer Auflistung der religiösen Feiertage, gegliedert nach Monaten („Times of publick Worship“). Es folgt ferner eine Betrachtung der öffentlichen wie privaten Gottesdienste und Formen der Verehrung, differenziert nach Gebeten („Prayer“), Lobpreisungen („Praises, Psalms, &c.“), religiösen Opfergaben („Sacrifices“), Reinigungs- und Läuterungsritualen („Washing, Purifications“), religiöser Erziehung („Teaching, Instruction“), Sakramenten und Gelübden („Sacraments, Vows“), Fasten- und Kasteiungsritualen („Fasting, Mortification“) sowie religiösen Speiseritualen („Feastings“). Eine Übersicht über Exkommunikationsformen, Kasualien (Hochzeiten, Scheidungen, Beerdigungen) sowie Schismata und Sektenspaltungen schließen die Erörterung der religiösen Grundsätze ab. Eine analoge Erörterung gilt im Anschluss den religiösen Praktiken, wobei der Kontrast zum ersten Teil nicht immer deutlich wird, insoweit dort ebenfalls Praktiken an zahlreichen Stellen Gegenstand der Diskussion waren. Allerdings sind hier nun in der Hauptsache eher äußere Eigenschaften, Gepflogenheiten und ‚Modalitäten‘ religiöser Praxis im Blick, die nicht allein und unmittelbar Ausdruck religiöser Glaubenssätze sind. So werden etwa, um hier nur Beispiele zu nennen, die Häufigkeit und Gewissenhaftigkeit des Gottesdiensts („Frequency and Diligence of Church“), das Ausmaß religiöser Hingabe („Zeal“) und religiöser Toleranz („Toleration of all Religions“) sowie die Disposition zum Aberglaube („Superstition“) thematisiert. Dabei werden hier eher Anekdoten von konkreten Vertretern der Religion dargeboten, um die typische Ausprägung der infrage stehenden Eigenschaft bei den verschiedenen Religionen zu illustrieren; (so etwa Luthers Eigenschaften als Familienvater im Abschnitt „Good Parents“). Wie eingangs erwähnt, ist hier nun das Entscheidende: Unter all diesen Einträgen werden die konkreten Religionen gemeinsam verhandelt. So wird stets zunächst das Judentum hinsichtlich des relevanten Gesichtspunkts erörtert, darauf folgen das Christentum und der ‚Mohammedanismus‘, wohl der Chronologie ihrer Entstehung folgend, schließlich knüpft daran das „antike“ und „moderne Heidentum“ an; dabei

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fallen unter das „antike Heidentum“ vornehmlich die religiösen Formen des altertümlichen Griechentums und Römertums, während mit „modernem Heidentum“ auf die ‚Religionen‘ bzw. Regionen des zeitgenössischen vorder- und hinterasiatischen Raums (z.B. „Ceylon“; „India“; „Persia“; „China“), aber auch auf den Okkultismus („Diabolical“) Bezug genommen wird. Um diesen Vorgang an einem Beispiel zu verdeutlichen: Unter dem Eintrag „Priest and Church Officers“ etwa finden sich Unterabschnitte, die die Professionsrollen für jede der eben genannten Religionen angeben. All diese Aspekte, die die Kapitel hier vorgeben, werden also ganz offensichtlich als etwas verstanden, das allen Religionen gleichermaßen für gewöhnlich zukommen sollte. Es ist ein allgemeines Modell des Religiösen, das hier im Rahmen dieses Traktates herausdestilliert wird. Nicht immer kann der Autor dieser religionsvergleichenden Struktur vollständig nachkommen; gerade im zweiten Teil fehlen bisweilen entsprechende Angaben für das Heidentum. Wie der Autor im Vorwort entschuldigend anführt, ist dies teils einem Mangel an Informationen geschuldet, teils auch der Tatsache, dass er nicht imstande gewesen sei „to account the Pagan Superstition worthy a solid and industrious Remark“ (Turner 1695: Preface). Man darf vermuten, dass der Traktat in dieser Organisation der Darstellung als erster seiner Art dasteht. Der Autor scheint sich dieses Sachverhalts durchaus bewusst, wenn er die Abhandlung schon im Untertitel rühmt, sie sei „written in a different Method from anything yet published on this Subject“. Um es noch einmal zu betonen: Das Frappante ist hier die einzelreligionsunspezifische Konfiguration von Vergleichsdimensionen, in die sich zumindest dem prinzipiellen Anspruch nach jede religiöse Erscheinung einsortieren und anderen Religionen gegenüberstellen lassen sollte. Im Unterschied zu den zahlreichen Abhandlungen, die insbesondere auf die Faszination des Lesers für das ‚ganz Andere‘ zielen, legt diese Abhandlung den Akzent ganz prominent auf Differenzen unter Ähnlichem. Das allgemein-religiöse Raster, das aus der vergleichenden Abstraktion gewonnen ist und in weiten Teilen die Kapitelstruktur liefert, bildet eine semantische Blaupause für die Beobachtung des Religiösen schlechthin. In dieser Hinsicht lässt sich die Untersuchung von Turner als Instanz einer Selbstreflexion im doppelten Sinne verstehen: Sie ist Selbstbeobachtung, als es sich um eine deskriptive Inventur und Würdigung aller ‚Religionen‘ handelt, und sie ist Selbstbeschreibung, als sie eine abstrakte semantische Folie liefert, anhand derer sich ‚Religionen‘ ‚entdecken‘, einreihen und von nicht-religiösen Erscheinungen unterscheiden lassen. Solche Strukturprinzipien des religiösen Vergleichs lassen sich auch in den vielfältigen alphabetischen Religionsenzyklopädien ausmachen, die darauf folgen und teilweise noch bis heute Konjunktur haben.24 Hier geben, wie bei Turner, einzelreligionsneutrale Gesichtspunkte die Struktur der Darstellung vor. So etwa bei Thomas Broughton (1742), der mit seinem „Historical Dictionary of All Religions from the Creation of the World to this Present Time“ ein alphabetisches Kompendium liefert, das als Einträge nicht nur Religionen, sondern auch religiöse Data wie spezifische Götzen, Feierlichkeiten etc. vorsieht. Hier wird dem Textkorpus eine Sortierung aller Einträge durch thematisch gesonderte Register vorgeschaltet, die jeweils alphabetisch alle verehrten „Götter“ und „Götzen“, alle religiösen ‚Professionsrollen‘ (spezifi24 Für einen modernen Fall vgl. etwa die „Encyclopedia of Gods“ von Jordan (1993).

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sche Priester, Mönche, Orden etc.), alle heiligen Orte und Zeiten der Verehrung (Festtage, Tempel etc.), alle heiligen Schriften, alle Spaltungen und Schismen sowie alle Riten, Bräuche, Zeremonien und religiöse „Utensilien“ mit Seitenverweisen auf den jeweiligen ausführlichen Artikel im Buch verzeichnen. Unter diese abstrahierenden Sonderregister fallen auch hier wiederum die zugehörigen Elemente aller vier Religionen (d.h. Judentum, Christentum, Islam, ‚Paganismus‘). Auch Daniel Defoe (1704: Preface) schickt seinem „Dictionary“ voraus, dass es ihm auf den folgenden Seiten auf die Gegenstände und Orte der Verehrung, die religiösen Sekten innerhalb der Religionen, das religiöse Personal sowie die religiösen Utensilien, Bräuche und Zeremonien ankommt.25 In den anderen Religionsschriften lassen sich diese ‚neutralen‘ Merkmale eher implizit an dem ablesen, was in der Darstellung der Religionen als relevant erachtet wird; so etwa in den bereits mehrmals erwähnten und zeitgenössisch vielbeachteten Enzyklopädien der Amerikanerin Hannah Adams, deren erste die Schrift „An Alphabetical Compendium of the Various Sects which have Appeared in the World from the Beginning of the Christian Aera to the Present Day“ (1784) ist. Auf das Kompendium, in dem nur die christlichen Sekten angeführt werden, folgt ein Anhang, in dem „Pagans, Mahometans, Jews, and Deists“ (ebd.: Appendix, i) zur Darstellung gebracht werden. Unter dem Heidentum wird hier der Lamaismus bzw. „the worship of the Grand Lama“ (ebd.) als dessen weitest verbreitete ‚Spielart‘ verhandelt. Die Koordinaten, an denen sich die knappe Beschreibung orientiert, sind auch hier das Objekt der Verehrung, die ausgezeichneten heiligen Orte wie etwa der Schrein und Tibet als Pilgerland schlechthin, die Priesterklasse der „Lamas“ etc. An dieser Stelle sei eine weitere Randbemerkung gestattet, die wiederum das 17. bzw. 18. Jahrhundert für einen Augenblick verlässt. Der vorliegende Zusammenhang eignet sich, um auf die Reihe von Autoren innerhalb der heutigen Religions- und Geisteswissenschaften aufmerksam zu machen, die in jenem bis heute weithin gebräuchlichen Modell des Religiösen eine Verabsolutierung eines christlichpartikularen Verständnisses von Religion sehen und seine Projektion auf die nichtchristliche, insbesondere ostasiatische Welt als unzulässigen Akt der ‚Reifikation‘ bewerten. Solche Argumentationen finden sich indessen nicht nur in der Gegenwart. Schon im Zuge der ‚Entdeckung‘ des Buddhismus melden sich religionswissenschaftliche Stimmen zu Wort, die insbesondere dort vor voreiligen Parallelisierungen zum Christentum warnen, wo es um die Frage der statistisch relevanten Laienzugehörigkeit geht. So relativiert etwa Thomas W. Rhys Davis in seiner autoritativen Buddhismusstudie aus dem Jahre 1899 die Zahlenverhältnisse entsprechend: „Not one of 500 million who offer flowers on Buddhist shrines, who are more or less moulded by Buddhist teaching, is only or altogether a Buddhist.“ (Rhys Davis 1899: 7) Ganz ähnlich urteilt Max Weber (1921/1972: 276): „[U]nsere Vorstellungen von einer religiösen Konfessionszugehörigkeit sind unbrauchbar. [...] Unausrottbar scheint freilich das grobe Mißverständnis, z.B. die Mehrzahl oder gar alle Chine25 Auch Köcher (1753: 353) hält in seinem „Abriß“ fest, dass „[a]lle Religionen in der Welt [...] in ihrer Lehre und Bekenntniß überein [kommen], daß ein Gott sey“, und fährt mit weiteren „Übereinstimmungen“ fort, die man aus heutiger Sicht indes eher weniger allen Religionen unterstellen würde.

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sen im konfessionellen Sinn als Buddhisten anzusehen, weil ein großer Teil von ihnen, in der Schule mit der allein offiziell approbierten konfuzianischen Ethik auferzogen, zwar für jeden Hausbau taoistische Divinationspriester zu Rate zieht und für tote Verwandte nach konfuzianischen Riten trauert, aber daneben buddhistische Seelenmessen lesen läßt.“

Die Kritik, wie sie grundlegend etwa durch Wilfred C. Smith (1963) angebracht wurde und in jüngerer Zeit etwa von Talal Asad (1993), Daniel Dubuisson (1998/ 2003), Timothy Fitzgerald (2000) u.a. vertreten wird, zielt indessen auf eine viel grundlegendere Ebene ab. Sie betrifft den christlich-westlichen Sonderweg der begrifflich-diskursiven wie institutionellen Ausdifferenzierung des Religiösen (in Differenz zum „Säkularen“ oder „Profanen“), deren sozio-historische Partikularität in einer Essentialisierung und Universalisierung bzw. „Anthropologisierung“ der Kategorie ‚Religion‘ verdeckt werde. Dabei wird in der Regel nicht bezweifelt, dass metaphysische Fragen in allen Gesellschaften und Traditionen eine Rolle spielten und immer noch spielen; es ist indessen die Vorstellung von Religion als ein unterschiedener, institutionell autonomer Komplex mit besonderer Zuständigkeit in diesen Fragen, in der eine unzulässige Übertragung eines implizit christlichen Modells auf in dieser Hinsicht disparate kulturelle Wirklichkeiten gesehen wird. So konstatiert etwa Dubuisson (1998/2003: 27f.): „The Christian complex that groups theology, belief, the priesthood, and ritual (all four have to be there together in this form) does not exist elsewhere in this capacity and does not form a homogeneous, independent world, separated from the rest. This four-part complex is apparent only to the Western eye, which delimits it and arbitrarily excises it from a vaster reality, a vaster continuum.“

Tatsächlich machte bereits der Jesuit Matteo Ricci während seiner missionarischen Bemühungen in China im 17. Jahrhundert die Erfahrung, dass die Frage nach dem eigenen Glauben für die Chinesen offensichtlich unverständlich ist und im Gegenzug unverständliche Antworten provoziert (vgl. hierzu Matthes 1992: 129f.).26 Tenbruck (1993: 57f.) hat, mit Bezug auf Max Weber, ganz ähnlich auf die Eigenart des asiatischen ‚Religions‘-verständnisses aufmerksam gemacht: Weil es dort um Erlösungswissen im Sinne „mystischer Gnosis“ gehe und das ‚wie‘ und ‚wann‘ der Erlösung jedem selbst überlassen bleibe, mithin „asozial und apolitisch“ sei, seien distinkte theologische Dogmatiken mit exklusiven Bekenntnisansprüchen nicht entwickelt worden. Nicht selten verbinden sich mit solchen Beobachtungen konzeptuelle Alternativvorschläge für den Begriff ‚Religion‘, sei es etwa das breitere Konzept der „kosmographischen Formation“ (Dubuisson 1998/2003: 17 u. passim) oder ein auflösestärkeres, fallspezifisches Vokabular wie „Soteriologie“, „Ritual“ und „Politik“ (Fitzgerald 2000: bes. 121ff.). In der Regel geht damit der allgemeine Anspruch einher, die breiteren und je lokalen kulturellen Verflechtungen und Kontinuitäten dessen zu berücksichtigen, was bis dato unter den zu schematischen Begriff des Religiösen fiel (siehe hierzu auch Peterson/Walhof 2002); dies auch gerade mit Blick auf den christlich geprägten Westen, wo beispielsweise der Gedanke der „Zivilreligion“ in ähnlicher Weise als symptomatisch dafür zu sehen sei, dass der Begriff der Religion 26 Vgl. Gernet (1984) zu Matteo Ricci, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann.

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Unschärfen aufweise und grundlegendere gesellschaftliche Strukturen verdecke (vgl. Fitzgerald 2000: 8, 15). So richtet sich auch die Kritik in erster Linie gegen die Religionswissenschaften selbst. Als Fach setzten sie ‚Religion‘ als umgrenzten, wissenschaftlich isolier- und bearbeitbaren Sachverhalt voraus und verstrickten sich damit selbst in einer unreflektierten Universalisierung eines partikularen und kontextualisierten Datums. Dies reicht bis zum Vorwurf, das Fach der Religionswissenschaften sei in seiner Konstruktion des Religiösen letztlich insofern legitimierender und naturalisierender Überbau für Kapitalismus und Individualismus, als „[it] makes possible another separate ‚non-religious‘ conceptual space, a fundamental area of presumed factual objectivity“ (Fitzgerald 2000: 9). Dennoch übersehen die Autoren nicht, dass die Übertragung eines partikularen Religionsverständnisses, flankiert von den Machtstrukturen der kolonialen Expansion des Westens, auf der Seite der damit konfrontierten Traditionen nachhaltige Effekte produziert hat (vgl. etwa Fitzgerald 2000: 21). So hat das importierte Religionskonzept nicht unwesentlich zu einer Rekonstruktion und Selbstauslegung spezifischer Traditionen als distinkte Religion beigetragen.27 Dubuisson (1998/2003: 92) selbst spricht hier vom „religion effect“. Im selben Zusammenhang ist die Tatsache zu sehen, dass in Kulturen, in denen vormals ein Religionsbegriff fehlte, nicht selten ein entsprechender Ersatz im Zuge der Berührung mit der westlichen Kultur geschaffen wurde; sei es etwa im japanischen Begriff des „shukyo“ (vgl. Hardacre 1989) oder des chinesischen „zongjiao“ (vgl. Yang 1967), sei es in der semantischen Erweiterung des indischen „dharma“, die das Konzept auch auf das Christentum anwendbar macht, obgleich darin eher eine Inklusion des Christentums in die traditionelle hinduistische Kosmologie zu sehen ist (vgl. hierzu Haußig 1999: 94). Dies ist ein bedeutender Sachverhalt, der für die vorliegende Untersuchung insbesondere im letzten Kapitel (X) noch von Interesse sein wird. Die durch die Kritiken angemahnte kulturelle Partikularität des Religionskonzepts lässt unberührt, dass der Religionsbegriff selbst auf der Gegenstandsseite vorkommt und Fakten schafft; und dies nicht nur auf westlicher Seite, sondern in der modernen Gesellschaft auch auf der Seite nichtwestlicher Kulturen, ungeachtet einer hier möglicherweise zu konstatierenden Inadäquanz.28 Insofern mag hier nicht das Aufgeben des Religionsbegriffs, als vielmehr die reflektierte Handhabung einer Differenz von Beobachtungsebenen erster und zweiter Ordnung das probate Mittel sein. Es gilt also zu fragen, wie im ‚interkulturellen‘ Alltag selbst mit dem Religionskonzept verfahren wird. So lässt sich jenseits solipsistischer Begriffsdiskurse beobachten, dass selbst diejenigen Vertreter kultureller Traditionen und Institutionen wie des Hinduismus und des Buddhismus, die diese unter Umständen nicht als Religion verstanden wissen wollen, mit der Sinnzumutung ‚Religion‘ durchaus umzugehen und sich bis zu einem gewissen Grade auf die damit verbundene komparative Logik einzulassen verstehen. Man kann hier folglich insofern eine „Doppelkompetenz“ (Matthes 1992: 140) konstatieren, als es Situationen und Rahmungen gibt, innerhalb derer sich diese kulturellen Komplexe, oder besser gesagt: die Individuen, die sich ihnen verschreiben, als Religion bzw. Vertreter einer 27 Hallisey (1995: 33) spricht in diesem Zusammenhang von „intercultural mimesis“. 28 Vgl. Beyer (2006: 62ff.) zu einer ähnlichen Gegenkritik an entsprechenden Kritiken, die Anti-Essentialismus und Realismus versöhnt, indem sie auf die Historizität der Ausdifferenzierung von Religion aufmerksam macht.

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Religion ansprechen lassen; Letztere können sich in dieser Rolle zugleich zu anderen Religionen in Bezug setzen, auch wenn sie damit bewusst einer Logik folgen, die die Realität dieser Kulturtatbestände ihrer Meinung nach nicht voll ausschöpft oder sie gar ausdrücklich verfehlt.29 Es trifft sich mit den vorliegenden Überlegungen, wenn Joachim Matthes (1992: 129) an dieser Stelle vorschlägt, Religion als „diskursiven Tatbestand“ zu bezeichnen; zumindest insofern, als damit veranschlagt ist, Religion nicht als ontologisches Datum zu sehen, sondern als Sinngebiet, dessen ‚Realität‘ in einer eigengesetzlichen Logik liegt, mit der über bestimmte Dinge kommuniziert wird. Gerade als ein solches ‚Sprachspiel‘ gewinnt Religion letztlich doch die Qualität eines relativ distinkten gesellschaftlichen Bereichs (über das Christentum hinaus). Die Handhabbarkeit der Unterscheidung Religion/Nicht-Religion impliziert dabei weniger ‚taxonomische‘ Kompetenzen und klassifikatorischen Konsens, als vielmehr die Fähigkeit, Sinngrenzen im Hinblick auf unterschiedliche Relevanzstrukturen, ‚Spielregeln‘ und Selbstverständlichkeiten, also darauf, ‚worauf es ankommt‘, zu beachten. Damit kehrt die Untersuchung erneut ins 17. und 18. Jahrhundert zurück, in die Zeit vor den Religionswissenschaften also, und geht der Frage nach, inwieweit man von den Religionskompendien als Selbstbeobachtungen des Religiösen sprechen kann. 1.4 Zur ‚Systemreferenz‘ der ‚gesamtreligiösen‘ ‚Selbst‘-Beobachtungen Bislang ist die Untersuchung wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei den hier herangezogenen Dokumenten des 17. und 18. Jahrhunderts um religiöse Selbstbeobachtungen handelt. Was aber rechtfertigt diese Zuordnung? Religionen werden schließlich nicht nur von religiöser Seite beobachtet; eine Auseinandersetzung damit kann etwa auch aus politischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Interessen erfolgen. Nun ist für das Europa des 17. Jahrhunderts noch nicht ohne weiteres von einer funktional differenzierten Gesellschaft im modernen Sinne auszugehen; entsprechend stellt sich das Problem der Zuordnung von Beobachtungen hier nicht in gleicher Weise. Religiöse Sinnformen durchdringen die Gesellschaft auch im 17. Jahrhundert noch in erheblichem Maße. Wie Luhmann (1989c: 263) jedoch bemerkt, sind Beobachtungen der Religion „von außen“ längst möglich und kommen 29 Ich zitiere hier nur ein ebenso bemerkenswertes wie aussagekräftiges Interview aus dem Forschungsprojekt von Joachim Matthes zu „Religion und Modernisierung in Singapore“. Auskunft gibt eine Inderin, die einer nach Singapur eingewanderten Brahmanen-Familie entstammt: „Mind you, you have asked me to tell you how I understand myself as a Hindu. I have responded to this request to my very best. But please, do not understand all that as if I have talked to you about my ‚religion‘. I have passed through a Western system of education here in Singapore, and I think I know quite well how you Western people are used to think about man and God and about ‚religion‘. So I talked to you as if ‚hinduism‘ were my ‚religion‘, so that you may be able to understand what I mean. If you were a hindu yourself, I would have talked to you in quite a different fashion, and I am sure both of us would have giggled about the idea that something like ‚hinduism‘ could be a ‚religion‘, or that something like ‚hinduism‘ does even exist. Please don’t forget this when analysing all the stuff you have in your tapes.“ (Zit. n. Matthes 1992: 141)

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vor: So sind bereits vor der Reformation die autonomen Konturen des politischen Systems soweit gefestigt, dass die Schismen und Religionskonflikte unter politischen Gesichtspunkten beobachtet und behandelt werden können (und auch der Investiturstreit gab zu solchen Beobachtungen ja schon im 11. und 12. Jahrhundert Anlass, vgl. hierzu Kaufmann 1989: 77ff.); gleichermaßen sind Unterscheidungen zwischen theologischen und philosophischen Wahrheitslehren bereits etabliert (vgl. hierzu auch Hahn 1986: 218); und auch das Recht entwickelt hier schon auf der Basis römischer Quellen eine Autonomie, die Aspekte der religiösen Praxis auch von rechtlicher Zulässigkeit abhängig macht. Fremdbeobachtungen der Religion haben folglich bereits vor dem 17. Jahrhundert durchaus einen strukturellen Ort. Darüber hinaus fehlt es im 17. und 18. Jahrhundert nicht an Stimmen, die die weltreligiöse Vielfalt gerade für einen Skeptizismus gegenüber (zumindest doktrinären Formen von) Religion schlechthin in Beschlag nehmen. An prominenter Stelle stehen hier etwa die Erwägungen von Hobbes, Hume, Bolingbroke und Voltaire (vgl. Pailin 1984: 37ff.). So konstatiert etwa Hume, der hier als Beispiel dienen soll, in seiner „Natural History of Religion“: „Survey most nations and most ages. Examine the religious principles, which have, in fact, prevailed in the world. You will scarcely be persuaded, that they are any thing but sick men's dreams. Or perhaps will regard them more as the playsome whimsies of monkeys in human shape, than the serious, positive, dogmatical assertions of a being who dignifies himself with the name of rational.“ (1757: 184)

Es gilt also festzuhalten: Beschreibungen von Religion(en) lassen sich auch für die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts nicht a priori als Selbstbeobachtungen einer religiösen Sphäre behandeln. André Kieserling (2004a: 58ff.) hat in einem anderen Zusammenhang charakteristische Merkmale von funktionssystemeigenen Reflexionstheorien herausgearbeitet, die eine theoretisch kontrollierte Unterscheidung von Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung erlauben. Obgleich seine Ausführungen den anspruchsvolleren Reflexionstheorien gelten, deren Produktion in der modernen Gesellschaft inzwischen in Disziplinen mit wissenschaftlichem Anspruch institutionalisiert ist, lassen sich seine Überlegungen m.E. ohne große Einschränkungen auch auf eher niederschwellige Reflexionen wie Selbstbeschreibungen und Selbstbeobachtungen übertragen. Als zentrales Merkmal von Selbstbeobachtungen wäre so ihr „affirmativer Charakter“ anzusehen, der das Raison d’Être des Systems bejaht und gegebenenfalls legitimatorisch stützt. Das schließt kritische Perspektiven nicht aus, solange ein faktischer Systemzustand von der Warte eines Ideals kritisiert wird, das selbst wiederum für die Einheit des Systems eintritt. Darüber hinaus stehen Selbstbeobachtungen in einem „Plausbilitätskontinuum“ zu den übrigen Operationen im System. Sie verwenden eine Semantik, die die stillschweigenden Voraussetzungen und Vorverständigungen des Systems weitgehend übernimmt, und rechnen bei den eigenen Formulierungen nicht mit Befremden und grundlegendem Explikationsbedarf im System. Entsprechend stellen solche Beobachtungen und Beschreibungen auch Bezüge zum eigenlogischen „Code“ her, der die Ausdifferenzierung des zugehörigen Systems vorantreibt und konsolidiert. Ferner bindet ein „Motivationskontinuum“ die Selbstbeobachtung an das System zurück. Die Motivation der Selbstbeobachtung und die Mo-

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tivation der laufenden Praxis im System haben in einem kongruenten Verhältnis zu stehen. Mit Bourdieu ließe sich formulieren, dass hier die spezifische „illusio“, d.h. die Befangenheit in einem bestimmten ‚Spiel‘ und die ‚Bindung‘ an seinen Zweck, nicht an der Grenze zur beobachtenden Reflexion halt macht. In diesem Zusammenhang ist auch die Hypostasierung der „Funktion“ zu sehen, die solchen Selbstbeobachtungen eigen ist: Für die eigene funktionale Zuständigkeit wird eine ‚Höchstrelevanz‘ behauptet, die sich anderen gesellschaftlichen Imperativen nur widerwillig unterordnet. Tritt man mit dieser Merkmalsliste an die hier herangezogenen Dokumentationen einer weltreligiösen Lage heran, so lassen sich viele der genannten Kriterien am Material durchaus auffinden. Sie erlauben eine Relativierung der ‚gesamtreligiösen‘ Beobachtungsperspektive teils auf den allgemein christlichen Standpunkt, teils auf einen bestimmten Standpunkt innerhalb des gespaltenen Christentums. Schon in den obigen Abschnitten ließ sich davon ein Eindruck gewinnen. So liefert die Theodizee religiöser Diversität, die, wie etwa bei Purchas, Brerewood und Defoe, die Vielfalt der Religionen auf Gottes Strafe und die Verfallenheit des Menschen zurückführt, eine gute Illustration für ein Plausibilitätskontinuum mit der christlichen Theologie. Zudem zeigt auch der Schöpfungsgedanke, der in der Phrase „from Creation unto the Present Time“ in vielen der Titel zum Ausdruck kommt, einen theologischen Standort an. Weitere Hinweise auf den religiösen Charakter dieser Beobachtungen erhält man, wenn man die Rechtfertigungen der Traktate durch die Autoren selbst einer näheren Betrachtung unterzieht. Diese sahen sich ja nicht zuletzt von religiöser Seite zum Teil erheblicher Kritik ausgesetzt oder antizipierten zumindest Widerspruch. So ahnt Samuel Purchas schon im Vorwort seines bereits erwähnten Werkes den möglichen Einwand gegen die Darstellung nicht-christlicher Religionen voraus, „that it were better these rotten bones of the past, and stinking bodies of the Present were buried than thus raked out of their graves“. Alexander Ross stellt gleichfalls seiner „Pansebeia“ die Bemerkung voran, „that some Momes have already passed verdict upon this Book, affirming that, seeing the world is pestered with too many Religions; it were better their names and Tenets were obliterated then published“. Es sind die Legitimationsmanöver, mit denen solchen Einsprüchen entgegengetreten wird, die es statthaft machen, diese Beschreibungen religiös zu verorten; dies auch unter Berücksichtigung der für das 17. Jahrhundert noch zu konstatierenden weitreichenden religiösen Umklammerung ‚wissenschaftlicher‘ Betätigungen, die den sprichwörtlichen ‚Obolus‘ an die Religion nicht weiter bemerkenswert macht. So ist hier etwa die Position zu nennen, die für sich in Anspruch nimmt, die Wahrheit der christlichen Botschaft umso deutlicher herauszustellen, indem man sie ins Licht der grotesken religiösen ‚Verirrungen‘ stellt. Es sei erneut Alexander Ross (1652: Preface) das Wort erteilt: „Do not these Censorious Momes know that truth though comly in it self, is yet more comly when compared with falsehood? how should we know the excellency of light if there were no darkness; the benefit of health if there were no sickness; and the delights of spring if there were no winter.“ Für Samuel Purchas exemplifizieren die Darstellungen vergangener und gegenwärtiger religiöser ‚Entartungen‘ sowohl Gottes Gnade in der Vergebung solcher Laster als auch sein gerechtes Urteil „in giving men up to such delusions“ (Purchas 1613: Preface). Oft wird für diese Kompilationen auch ein ausdrücklich apologetischer Zweck geltend gemacht. Köcher (1753: Vorrede) etwa fügt seinem „Abriß“ ein Kapitel an, das die Differenzen der

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Religionen zum lutherischen Glauben beleuchtet, „um einem rechtgläubigen Lutheraner eine Anleitung zu geben, die Lehren seiner Religion gegen andere zu vertheidigen.“ Vollständig im apologetischen Stil gehalten ist auch Hausknechts „Beschreibung aller Religionen“ (1768/1782); seine Darstellung folgt durchgehend einer tabellarischen Gegenüberstellung der Lehrsätze der verschiedenen Religionen auf der einen Seite und ihrer ‚Widerlegung‘ aus evangelisch-lutherischer Sicht auf der anderen.30 Dies steht ganz im Motivationskontinuum mit den exklusiven Wahrheitsansprüchen des Christentums, für die man, wie die obigen Ausführungen zu Hume, Voltaire, Hobbes und Bolingbroke zeigen, mittlerweile nicht mehr gesellschaftsweit mit Zustimmung rechnen konnte.31 Bei Alexander Ross findet sich eine weitere bemerkenswerte Perspektive, die das Beispiel anderer Religionen heranzieht, um dem praktizierenden Christentum mehr Gewissenhaftigkeit anzumahnen, und so in der Kritik noch ihren affirmativen Charakter offenbart. Es ist der religiöse Eifer und die Disziplin der Heiden, an der sich der Christ ein Beispiel zu nehmen habe: „See how vigilant, devout, zealous, even to superstition they are; how diligent watching, fasting, praying, giving of almes, punishing of their bodies, even to death sometimes; whereas on the contrary we are very cold, carelesse, remisse, supine and luke-warme in the things that so neere concerne our eternall happinesse.“ (Ross 1652: Preface)

30 Auch im 19. Jahrhundert finden sich religionsvergleichende Untersuchungen, die sich deutlich dem christlichen Missionsauftrag verpflichtet sahen, den es ihnen ebenso zu legitimieren wie anzufachen galt. Masuzawa (2005: 72ff.) hat in dieser Hinsicht die institutionalisierte „Comparative Theology“ beleuchtet, der es einerseits ein Anliegen war, die Überlegenheit der christlichen Lehre herauszustellen, nun auch mit der ausdrücklichen Absicht, die Missionare gegenüber den Vertretern anderer Religion argumentativ zu ‚rüsten‘; so etwa deutlich bei Frank Field Ellinwood, der neben seiner Lehrtätigkeit an der University of the City of New York (später NYU) gleichzeitig „secretary“ am Board of Foreign Missions of the Presbyterian Church (U.S.) war und so das Zusammenspiel von Reflexion und Praxis auch personell zum Ausdruck brachte (vgl. ebd.: 101). Andererseits ging es dabei nicht allein darum, die Irrtümer der anderen Religionen triumphalistisch zu inventarisieren. Auch ihre ‚Meriten‘ und Ansätze von Wahrheit galt es zu würdigen, dabei natürlich den christlichen Standard zugrunde legend; auch dies geschah allerdings wieder ganz im Einklang mit den Motiven der Mission, die an solchen rudimentären Übereinstimmungen den ‚Hebel‘ für die Verkündigung der christlichen Botschaft ansetzen konnte. Oder um es in den Worten des amerikanischen „Comparative Theologian“ J.N. Fradenburghs (1888: 2f.; zit. n. Masuzawa 2005: 85) zu sagen: „The truth discovered in heathen faiths is the hope of the missionary. He finds the common ground upon which he may stand with those whom he would save, and the sure foundation upon which he may build.“ Im nächsten Teilkapitel wird noch ausführlicher auf die statistisch supplementierten und ähnlich motivierten Reflexionen des weltreligiösen Feldes im 19. Jahrhundert einzugehen sein. 31 Für die argumentationslogischen Probleme, die der Islam (als prophetische Überbietung des Christentums) und der Judaismus (aufgrund der Anerkennung des Alten Testaments) solchen apologetischen Perspektiven bereiteten vgl. Pailin (1984: 63ff., 81ff.); speziell zum ‚Problem‘ des Universalismus des Islam siehe Masuzawa (2005: 179ff.).

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Ganz ähnlich geht auch Samuel Purchas (1613: Preface) vor, wenn er den „nonpreaching Ministers“ die größere Hingabe anderer Priester vorhält und urteilt: „I subscribe with hand and practice to our Liturgie, but not to such Lethargie.“ Die Tatsache der religiösen Vielfalt wird überdies etwa von Ross, ganz anders etwa als bei Hume, gerade gegen den ‚grassierenden‘ Atheismus ins Feld geführt; dies weist schon in frappanter Hinsicht Elemente einer Anwaltschaft für ein Gesamtsystem gegen eine irreligiose Umwelt auf: „How can those Atheists avoid shame and confusion when they read this book, in which they shall see, that no Nation hath been so wretched as to deny a Deity, and to reject all Religion.“ (1652: Preface; ganz ähnlich auch Turner 1695: Preface) Nicht zuletzt, dies wurde bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, weist sich der religiöse Beobachterstandpunkt durch die spürbare Verwicklung in den innerchristlichen Konflikt aus. So bekundet etwa die bereits zitierte Untersuchung von Edward Brerewood aus dem Jahre 1614 die Absicht, durch eine Bestandsaufnahme die zahlenmäßige Überlegenheit aller Protestanten gegenüber der römischen Kirche auszuweisen. Er verbindet damit ein Plädoyer für eine protestantische Vereinigung angesichts der Übereinstimmung in den prinzipiellen Glaubensartikeln; dies nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass auf römischer Seite ähnliche Verschiedenheiten in Glaubensfragen herrschen, „and yet because these contentions are betweene private men, and they all […] accord in the cheefe points of doctrine publiquely established in the Councell of Trent, they boast of their unity“ (Brerewood 1614: Preface). Darüber hinaus dienen die Beispiele anderer Religionen der Delegitimation des christlichen Gegners, indem die Ähnlichkeiten in den religiösen Praktiken herausgestellt und die heidnischen Religionen als deren Ursprung ausgegeben werden; so sind es bei Purchas etwa, um hier nur ein Beispiel zu nennen, die „Popish rites“, von denen er bereits im Vorwort zu zeigen verspricht, sie seien „derived out of Chaldean, Egyptean, or other fountains of Paganisme“. Bei William Turner (1695: Postscript; Herv. M.P.) wird gegen die Anabaptisten gerade umgekehrt das Argument ins Feld geführt, es herrsche hinsichtlich der religiösen Initiation von Kindern „general Consent“ unter allen Religionen der Welt; diese sei „almost Universal Practice“. Die Einbettung der Darstellung in die Plausibilitäts- und Motivationsstrukturen eines religionsinternen Konflikts weist hier die religiöse Systemreferenz eindeutig aus. Schließlich verrät die durchgängige Referenz auf den zeitgenössisch prominenten religiösen Code „Heil/Verdammnis“ (vgl. hierzu Luhmann 1989c: 294ff.) den religiösen Selbstbezug. Noch ist es dabei vor allem die Dankbarkeit, das Heil der wahren Botschaft zu besitzen, die aus der Darstellung hervorgeht und sie antreibt; etwa bei Ross (1652: Preface): „When we look upon the multitude of false religions in the world, by which most men have been deluded, are not we so much the more bound to the goodness of Almightie God, who hath delivered us out of darknesse, and caused the day Star to shine upon, and visit us.“ Wie noch zu erörtern ist, wird demgegenüber im ‚langen‘ 19. Jahrhundert die Dringlichkeit, das Heil zu bringen, die Betrachtung der heidnischen Religionen bestimmen; so etwa erstmals prominent bei William Carey in seiner noch näher zu diskutierenden Studie „Enquiry into the Obligations of Christians to Use Means for the Conversion of the Heathens“ aus dem Jahre 1792. Man hat es hier freilich durchgängig mit Selbstbeobachtungen christlichen und noch dazu überwiegend angelsächsischen Ursprungs zu tun; dies schließt per se noch nicht aus, sie als Selbstbeobachtungen eines Gesamtsystems in Anspruch zu nehmen.

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Wie Kieserling (2004a: 78ff.) ausführt, liegt es auf der Linie der Luhmann’schen Theorie, für ein binnendifferenziertes Funktionssystem von einer Pluralität von Selbstbeobachtungen auszugehen; schließlich sind innerhalb eines solchen Systems verschiedene Beobachterstandpunkte ausdifferenziert. Vorbehalte sind vielmehr an anderer Stelle anzumelden. Wie im theoretischen Teil erörtert wurde, fehlt schon eine operative Basis, um hier ohne weiteres einen Systemcharakter zu postulieren. Zumal: Die interreligiösen Kontakte sind im 17. Jahrhundert noch vergleichsweise gering, sieht man von den beachtlichen Vorstößen der Jesuiten ab. Wie oben dargelegt, stammen die Informationen über andere Religionen zu dieser Zeit noch in weiten Teilen aus Reiseberichten und klassischen Quellen aus dem antiken Griechenland und Rom; selbst die Originalquellen der Buchreligionen wurden für solche apologetischen Religionsvergleiche auch noch am Ende des 18. Jahrhunderts allenfalls spärlich herangezogen (vgl. Pailin 1984: 15ff.). Ein gemeinsames Bewusstsein weltreligiöser Diversität ist so bei den verschiedenen ‚Religionen‘ kaum zu unterstellen; wie im letzten Abschnitt erwähnt, war vielen von den inventarisierten Traditionen allein schon das Religionskonzept fremd. Erst im Zuge des 19. Jahrhunderts und der weitreichenden Missionsanstrengungen des christlichen Westens intensiviert sich der interreligiöse Kontakt in einer Weise, der es schließlich für die moderne Gesellschaft erlaubt, von einem solchen Bewusstsein religiöser Diversität zu sprechen und von weltreligiösen Beschreibungen auch auf der Seite nicht-christlicher Religionen auszugehen. Nichtsdestotrotz sind die hier zur Darstellung gebrachten Religionsinventarisierungen als Selbstbeobachtungen eines noch zu konstituierenden ‚Systems‘ zu sehen, die in Präsentationsform und Anlage, wie noch deutlich wird, modernen Formen ‚gesamtreligiöser‘ Selbstbeobachtung bereits sehr nahe kommen. Zugleich kommt ihnen schon insofern eine globalitätsbegrifflich relevante Totalitätsperspektive zu, als sie beanspruchen, alles Religiöse zu erfassen. Sie bilden also auch dahingehend wichtige semantische Vorläufer. Im Hinblick auf die Unterscheidung von Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung sei hier noch einmal eine Randbemerkung gemacht. Es fehlt in den gegenwärtigen Religions- und Geisteswissenschaften nicht an Untersuchungen, die, teilweise mit einem entlarvenden Gestus und in kritischer Absicht, religiöse Sympathien und ‚Motivations‘- und ‚Plausibilitätskontinua‘ in den Arbeiten der Religionswissenschaften herausarbeiten; so ist hier etwa die bereits erwähnte Untersuchung von Timothy Fitzgerald (2000) anzuführen, ebenso die von McCutcheon (2003); ähnlich auch Masuzawa (2005). Die Kritik zielt dabei in der Regel gegen religionsphänomenologische Ansätze, die Religion und Transzendenzerfahrungen als eine Realität „sui generis“ voraussetzen. So verbindet sich mit Fitzgeralds (2000: 4) Arbeit das Plädoyer, die Religionswissenschaften in Anthropologie, Geschichte, Kulturwissenschaften nicht nur methodisch, sondern auch institutionell aufzulösen. Das Problem, das viele dieser Kritiken motiviert, mag darin liegen, dass unter der Rubrik ‚Religionswissenschaften‘ sich sowohl Reflexionstheorien als auch primär sozialwissenschaftliche Analysen von Religion vereinigen. Der mittlerweile etablierte Gegensatz zwischen sogenannten reduktionistischen Ansätzen, die einen methodologischen Atheismus oder Agnostizismus vertreten, und antireduktionistischen Ansätzen, die von religiösen Erfahrungswelten ausgehen und diese in der Untersuchung zu würdigen beabsichtigen (vgl. hierzu McCutcheon 2003: 3ff.), mag weitgehend darauf rückführbar sein. Die Denunziation einer verdeckten Ideologie „liberaler öku-

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menischer Theologie“ (Fitzgerald 2000: 14) bei einer Gruppe von Arbeiten und Ansätzen scheint dann auf nichts weiter als den Nachweis eines affirmativen Charakters und eines Fortwirkens gewisser Plausibilitäts- und Motivationsstrukturen des Gegenstandsbereichs hinauszulaufen. Damit unterscheiden sich, so man hier Kieserling (2004a: 46ff.) folgen will, diese Theorien aber nicht von den Reflexionstheorien der übrigen Funktionssysteme. Der ‚Konflikt‘ mag sich durch eine Unterscheidung von religiösen und wissenschaftlichen Systemreferenzen, wenn auch nicht aufklären, so doch erhellen lassen. Möglicherweise wird die Grenze von Reflexionstheorie und Religionswissenschaften nicht allein durch die „dispassionate study of the religions“ (Harrison 1990: 2) markiert, sondern durch die methodologische Enthaltung gegenüber Transzendenzannahmen. Im folgenden Teilkapitel braucht dieses Problem nicht weiter zu interessieren. Hier sind in der Hauptsache Materialien zu bearbeiten, die von solcher Interesselosigkeit ganz frei sind und Reflexion dezidiert nach Maßgabe des christlichen Missionsbefehls betreiben. Während es sich bei den oben verhandelten Kompendien zwar um totale Perspektiven auf die religiöse Landschaft handelt, ging ihnen ein dynamisches Moment ab. Über zweihundert Jahre hat sich an den Inhalten dieser Werke wenig geändert; von einer Aufdauerstellung einer interreligiösen Beobachtung kann schon von daher nicht die Rede sein. Wie im Folgenden zu zeigen ist, verlagert sich in der christlichen Mission des 19. Jahrhunderts der Fokus in der interreligiösen Beobachtung auf den Akt der Bekehrung zum Christentum. Damit verbindet sich eine Perspektive, die vornehmlich an numerischen Religionsvergleichen interessiert ist; sie gewinnt dabei mit den christlichen Konversionen eine operative Dynamik, die eine Beobachtung der religiösen Welt kontinuierlich zu irritieren und faszinieren vermag. Die Totalität der Perspektive bezieht sich nun vornehmlich auf die quantitative Erfassung solcher Bekehrungsakte.

2. R ELIGION UND S TATISTIK : D IE STATISTISCHE P ERSPEKTIVE AUF DAS ( GESAMT -) RELIGIÖSE F ELD IM 19. J AHRHUNDERT Im obigen Teilkapitel standen globale religiöse Totalinventarisierungen des 17. und 18. Jahrhunderts im Vordergrund der Betrachtung. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Anordnung des Materials unter räumlichen, zeitlichen und sachlichen Vollständigkeitsansprüchen. Diese Perspektive reißt auch in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht ab; sie hat vielmehr, wie am Beispiel der pfingstlich-evangelikalen Beobachtung der religiösen Welt noch zu illustrieren sein wird, bis heute Bestand. In diesem Teilkapitel gilt es nun, der allmählichen Verbindung solcher Beobachtungsmodi mit einer quantitativen Perspektive nachzugehen. Auch hierfür kann die Untersuchung bereits im 17. Jahrhundert ansetzen. Das hauptsächliche Interesse gilt allerdings dem 19. Jahrhundert; es ist das Jahrhundert, in dem globalstatistische Bestandsaufnahmen, zunächst hauptsächlich für das Christentum, dank der kontinuierlichen Berichterstattung der Missionsgesellschaften an Fahrt gewinnen. Dabei soll die folgende Betrachtung nicht nur von einer weltgesellschafts- und differenzierungstheoretischen Perspektive geführt werden. Es verbindet sich mit ihr

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auch eine wissenssoziologische These. So soll gezeigt werden, dass mit der religionsstatistisch grundierten Beobachtung numerischer Religionsverhältnisse ein ‚Objekt’ in Erscheinung tritt, das zum Bezugspunkt einer sich dadurch ausdifferenzierenden Handlungs- und Beobachtungssphäre wird. Hier gilt es vor allem auf die konstitutive Beziehung dieser spezifischen ‚Aufmerksamkeitsökonomie‘ zu den ihr zugrundeliegenden kalkulativen Praktiken und Buchführungstechniken im religiösen Bereich hinzuweisen.32 Die numerische Relation von religiösen Anhängern wird im vorliegenden Zusammenhang als ein Diskursgegenstand im Sinne Foucaults (1973: 61ff.) verstanden und folglich in ontologischer Hinsicht ‚Objekten‘ wie dem ‚Wahnsinn‘ (vgl. Foucault 1969) oder der ‚Sexualität‘ (vgl. Foucault 1977) an die Seite gestellt, die von diskursiven Praktiken getragen und in Erscheinung gebracht werden. Die Untersuchung maßt sich indes weder an, eine vollgültige „Archäologie“ nach den Regeln der historischen Diskursanalyse Foucault’scher Provenienz vorzulegen, noch wird hier in einer „Genealogie“ den darin verborgenen Mechanismen der Macht nachgegangen. Allerdings gilt es doch in einem ganz bescheidenen Umfang ein Bild der historischen Bedingungen für das Erscheinen eines derartigen Zahlenobjekts zu liefern. Dabei wird auch ein „Bruch“ zu thematisieren sein, der in der Art und Weise, wie über Religionsverhältnisse reflektiert wird, im Vergleich zwischen dem frühen 17. Jahrhundert und dem 19. Jahrhundert zutage tritt. Auch ist bisweilen nach umfassenderen institutionellen und diskursiven Verflechtungen zu fragen, die einen solchen Diskursgegenstand gewissermaßen im Zusammenspiel hervorbringen. Allerdings wird dabei ein differenzierungstheoretischer Akzent gesetzt: Es wird argumentiert, dass mit der Einsetzung dieses Objekts eine spezifisch religiöse Dynamik in Gang kommt, die in einer Faszination mit jenen Zahlenverhältnissen religiöser Gemeinschaften gründet und entsprechende Aufmerksamkeitsschemata und Handlungs32 Mit dem Begriff der ‚Aufmerksamkeitsökonomie‘ ist hier eine sachspezifische Relevanzstruktur gemeint, die die Allokation bzw. Investition knapper Aufmerksamkeit innerhalb einer entsprechenden Handlungssphäre regelt. Das Konzept der Aufmerksamkeit ist dabei nicht auf psychische Wahrnehmung verengt, sondern bezieht sich auf die Selektivität von Sinn allgemein, folglich auch auf thematische Foki der Kommunikation. Vgl. zu einer solchen differenzierungstheoretischen Perspektive auf den Aspekt der Aufmerksamkeit auch Hahn (2001b, bes. 47ff.). Anders liegt der Begriff der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ bei Franck (1998), dem es damit um die Zeitdiagnose einer modernen Konkurrenz um Aufmerksamkeit geht. Es sind hier folglich nicht teilsystemspezifische Formungen von Wahrnehmungsstrukturen, sondern eine gesellschaftlich durchgreifende „Währung“ der Aufmerksamkeit im Blick, die darin gründet, dass sich ‚Wert‘ zunehmend über Aufmerksamkeit bestimmt. Siehe zu dieser differenzierungstheoretisch wie ökonomiebegrifflich unsicheren Metaphorik kritisch Hahn (2001b: 48, Anm. 48). Es ließe sich im vorliegenden Fall auch der Begriff des ‚Aufmerksamkeitsregimes‘ einsetzen, um demgegenüber stärker die regulativen, ‚disziplinär-habitualisierten‘ Strukturen und das aufeinander eingestellte Geflecht an Institutionen, Praktiken und administrativen Einrichtungen hinter diesem spezifischen Sinngeschehen zu betonen. Der Begriff eines Regimes der Aufmerksamkeit findet sich etwa bei Jonathan Crary (1999: 13 und passim), der dieses Konzept allerdings bewusst nicht differenzierungstheoretisch aufbricht, sondern die diskursive Inthronisierung und Problematisierung der Aufmerksamkeit selbst historisch bzw. „genealogisch“ in den Blick nimmt.

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orientierungen nachhaltig darauf ausrichtet.33 Die globale Extension der Beobachtung sowie ihre dauerhafte Ausrichtung gründen dabei, so soll ferner argumentiert werden, wesentlich in den Vergleichsmöglichkeiten einer numerischen Perspektive auf die religiöse Landschaft, die sich kontinuierlich von neuen Informationen irritieren lässt. Trotz dieser differenzierungstheoretischen Wendung soll im Blick bleiben, dass auch außerreligiöse Bereiche, etwa der Staat, sich für religiöse Verhältnisse interessieren und somit durchaus an der Konstitution eines solchen Gegenstandes beteiligt sind. Dabei bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass dies hier unter ganz anderen Vorzeichen und ausgehend von anderen Relevanzstrukturen geschieht, als sie der religiösen Sphäre eigen sind. Im Folgenden gilt es zunächst auf erste Betrachtungen der ‚Proportionalität‘ von Religionen im 17. Jahrhundert aufmerksam zu machen (2.1). Diese knappe Darstellung soll gleichsam als Relief dienen, vor dem sich die Neuartigkeit eines populationsbezogenen Vergleichs von Religionsgemeinschaften profilieren kann. Es ist dabei zunächst zu zeigen, wie sich ebendieser Gedanke einer quantifizierenden Erfassung von Populationen im Zusammenhang mit den Arbeiten Graunts und Pettys in England und Süßmilchs, Achenwalls und Schlözers in Deutschland als Vorläufer der modernen Statistik etabliert (2.2). Daran anschließend ist kurz der Frage nachzugehen, inwieweit Religion in den Arbeiten dieser ‚frühen Statistiker‘ in den Blick kommt (2.3) In einem weiteren Abschnitt gilt es die quantifizierende Erfassung von Religionsgemeinschaften innerhalb von staatlichen Zensuserhebungen historisch zu beleuchten und anhand zweier Zensnjs (in England und Britisch Indien) Beispiele für Rückkopplungen mit der religiösen Sphäre zu liefern (2.4). Dem folgt ein Blick auf erste Beispiele für die quantifizierend-vergleichende Erfassung von Religionsgemeinschaften von autonom religiöser Seite (2.5). Ein sechster Abschnitt geht auf die kurze Phase der moralstatistischen Apologetik innerhalb des Christentums in Deutschland ein (2.6). Das Hauptaugenmerk dieses Teilkapitels soll indessen den statistischen Reflexionsformen der Mission des 19. Jahrhunderts gelten, denen sich der siebte Abschnitt zuwendet (2.7). In einem letzten Abschnitt soll es schließlich darum gehen, die Überlegungen dieses Teilkapitels an die Soziologie der Quantifizierung und des „Accounting“ heranzuführen (2.8). 2.1 Quantitativ-vergleichende Aspekte in den frühen Religionsinventarisierungen Wirft man einen erneuten Blick zurück auf die inventarisierenden Untersuchungen des 17. Jahrhunderts, so lassen sich darin bereits quantitativ-vergleichende Aspekte in den Gegenüberstellungen der Religionen entdecken. In besonders deutlicher Ausprägung findet sich ein solcher Akzent im bereits erwähnten Traktat von Edward Brerewood (1614). Schon im Vorwort stellt Brerewood nach einem ersten Überblick 33 Mit Bourdieu kann man ‚Objekt‘ hier auch im psychoanalytischen Sinne verstehen und von einer libidinösen Investition ausgehen, die zur Bedingung des Eintritts in ein eigenlogisch ausdifferenziertes Spiel wird. Ohne die Bandbreite an theoretischem Vokabular strapazieren zu wollen, könnte man so der „libido dominandi“ in der Politik und der „libido sciendi“ in der Wissenschaft in diesem Fall eine „libido convertendi“ einer spezifisch religiösen Handlungssphäre an die Seite stellen.

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über protestantische Strömungen in den verschiedenen Ländern der bekannten Welt einen zahlenmäßigen Vergleich zwischen Protestanten und Katholiken an.34 Es bleibt indes nicht bei der Gegenüberstellung des römischen und protestantischen Christentums. In einem eigenen Kapitel nimmt sich Brerewood des Verhältnisses aller behandelten Religionen an.35 Besonders bemerkenswert ist dabei Brerewoods Methode der Berechnung. Um die Religionen ins Verhältnis zu setzen, werden die geographischen Größenverhältnisse der Erdteile, die jeweils unter ihrem Einfluss stehen, verglichen: „It being first supposed, which upon exact consideration and calculation, will bee found to swarve very little from the truth, that the proportions of Europe, Afrique, Asia, and America, are as 1 – 3 – 4 & 7. And that the professors of the forementioned religions, possesse the severall portions and proportions, of each of them, which is before set downe: It will be found I say upon these suppositions (which the best Gographie, and histories doe perswade mee to bee true) that Christians possesse, neere about a sixt part of the knowne inhabited earth; Mahumetans, a fift part (not as some have exceedingly overlashed, halfe the world or more) and Idolaters, two thirds, or but little lesse. So that, if we divide the knowne regions of the world, into 30 equall parts. The Christian part is as five, the Mahumetans as sixe, and the Idolaters as nineteene, for the poore dispersed and distressed Christians, which are found in Asia and Afrique, mingled among Mahumetans, and Idolaters, I receave not into this account, both because they are but thinne dispersed, in respect of the multitudes of Mahumetans and Idolaters in those regions among whom they live (being withall under their dominion) and because also, many Mahumetans, are found mingled among Christians in Europe, to recompence and countervaile a great part of that number.“ (Brerewood 1614: 118f.)

Ein identisches Zahlenverhältnis gibt auch William Turner (1695: 606) in seiner „History of All Religions“ an. Diese Methode einer Aufrechnung der von den Religionen dominierten Länder hat zur Folge, dass das Judentum hier nicht in die Kalkulation miteinbezogen werden kann; Brerewood (1614: 92) hatte im Kapitel zuvor für die Juden festgehalten, dass sie in keinem bestimmten Land, und nicht einmal in Jerusalem, eine dominierende Präsenz haben. Die Konvention, die Welt in dreißig Teilen auf die verschiedenen Religionen zu verteilen, findet sich im Übrigen noch bei Hannah Adams (1784: lxxxiii). Hier ist das Judentum nun zumindest nominell vertreten und teilt sich sechs Teile mit den „Mohammedanern“; das griechisch-orthodoxe Christentum ist mit zwei Anteilen gesondert aufgelistet. In der Darstellung weist Adams allerdings darauf hin, dass diese Schätzung angesichts der inzwischen erfolgten Entdeckungen im Nordosten Asiens, im Nordwesten Afrikas sowie im Pazifik veraltet und infolgedessen ein noch deutlicheres Übergewicht des Heidentums zu vermuten sei.

34 „Now if to all the forenamed kingdomes, Principalities, Dukedomes, States, Cities abounding with professors of the trueth, we adde the Monarchies of Greate Britannie, Denmarke, Sweden, wholy in a manner Protestant, wee shall finde them not much inferiour in number and amplitude to the Romish partie.“ (Brerewood 1614: Preface) 35 Vgl. Kap: 14: „Of the Quantitie and proportion of the parts of the earth, possessed by the severall sorts of the above mentioned religions“ (Brerewood 1614: 118ff.).

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Der Blick für einen Vergleich der Religionen im numerischen Relativ ist, so darf man aus diesem Material schließen, schon in der religiösen Interessenssphäre präsent, noch bevor in England quantitative Bestandsaufnahmen staatsrelevanter Daten eine neuartige Systematik und Rationalität gewinnen. Dabei ist der Blick für religiöse Populationen schon implizit vorhanden. Es soll im Laufe dieses Teilkapitels gezeigt werden, wie diese Perspektive spätestens im 19. Jahrhundert mitunter durch die Berührung mit einem geographisch-statistischen Diskurs vollends hervortritt und die Führung in der Beobachtung anderer Religionen übernimmt. Hierzu gilt es im Folgenden die frühen Wurzeln der modernen Statistik zu skizzieren und die Konstitution der Populationsidee zu beleuchten. Hervorzuheben ist dabei, wie sich mit diesem Populationsdenken von Anbeginn eine Logik der doppelten Buchführung verband, die aus dem Bereich der Ökonomie auf die Beobachtung von Bevölkerungsverhältnissen übertragen wurde. 2.2 Zur Idee der Population in der Entstehung der Statistik Geschichtsschreibungen der Statistik verfolgen deren Entwicklung in der Regel auf zweierlei Ursprünge zurück (vgl. Lazarsfeld 1961; Porter 1986; Stigler 1986): Einerseits auf John Graunt (1620-1674) und William Petty (1623-1687) als die Begründer der „political arithmetic“ in England, anderseits auf Hermann Conring (1606-1682), Johann Peter Süßmilch (1707-1767) und Gottfried Achenwall (1719-1772) in Deutschland.36 Während die politische Arithmetik durch und durch quantitativ orientiert war, wurde in Deutschland mit dem erstmals in dieser Zeit aufkommenden Begriff der „Statistik“ die beschreibende Erfassung zentraler Eigenschaften des Staates bezeichnet, derer man sich insbesondere in Göttingen um Achenwall widmete. Während Süßmilch in seiner Vorgehensweise der englischen Tradition durchaus nahe stand, waren die Göttinger ihr gegenüber deutlich reserviert.37 Beiden Schulen war indessen ein Interesse an Demographie gemein, das sich mitunter in den politischen Dienst einer Manipulation der Bevölkerung im Hinblick auf Wachstum und Prosperität stellte. Darin drückt sich eine Auffassung aus, die Heinrich IV. bereits im 16. Jahrhundert in Frankreich formulieren konnte: „La puissance d’un État se mesure au nombre de ses habitants.“ (Zit. n. Levasseur 1889: 160) Eine neue Methodik gewinnt dieses Interesse mit der Auswertung von Todesanzeigen durch John Graunt im Traktat „Natural and Political Observations […] made upon the Bills of Mortality [...] with Reference to the Government, Religion, Trade, Growth, Ayre, Diseases, and 36 Ich halte mich im Folgenden weitgehend an die Darstellung von Lazarsfeld (1961). Eine stärker wissenschaftssoziologisch orientierte Studie zur Geschichte der Statistik in Großbritannien liefert MacKenzie (1981). 37 Bis 1860 hatte allerdings eine quantitativ orientierte Statistik die deskriptive Variante in Deutschland beinahe vollständig verdrängt, während in England bereits Ende des 18. Jahrhunderts erstmalig der Terminus „statistics“ Einzug erhält, so in Sinclairs (1791-1799) „Statistical Account of Scotland“ (vgl. Porter 1986: 24, 39). C.G.A. Knies liefert 1850 ein Plädoyer, den Terminus Statistik in Deutschland für das Unterfangen zu reservieren, das in England unter dem Namen „political arithmetic“ begann, und der Achenwall’schen „Statistik“ stattdessen die Bezeichnung Staatenkunde zuteilwerden zu lassen (vgl. Hacking 1990: 25).

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the Several Changes of the said City“ (1662). Von Hause aus Kaufmann, gehörte Graunt zu den Ersten, die Methoden der doppelten Buchführung auf die Entwicklung der Bevölkerungszahlen anwandten (vgl. Jenner 2004: 299; Kreager 1988). Entsprechend ist in dem Traktat in Bezug auf die Zahlen, Bevölkerungstabellen sowie berechneten Größen durchgehend von „accompts“ die Rede (vgl. Kreager 1988: 134). Durch die Methode des bilanzierenden Vergleichs der Anzahl der Begräbnisse und der Anzahl der Taufen produzierte er verschiedene Erkenntnisse in Bezug auf Bevölkerungswachstum, Folgen von Krankheiten oder etwa Sterblichkeit; dies mitunter mit einem komparativen Blick auf London und den Rest Englands, insbesondere die ländlichen Gegenden. Dabei dreht sich alles um eine Quantifizierung von Populationen; über populationsbezogene Rechnungen wird selbst noch die Richtigkeit der biblischen Angaben über das Weltalter veranschlagt.38 Anders als bei Malthus, der später das Bevölkerungswachstum angesichts eines Missverhältnisses zu den natürlichen Ressourcen als Problem stilisieren wird, steht hier die Beförderung des Wachstums im Zentrum der Überlegungen. Gerade darin besteht das wahlverwandtschaftliche Verhältnis mit ökonomischen Buchführungsmethoden: „By referring interchangeably to his arithmetic in the language of natural history (‚observations‘) and of ‚trade‘, Graunt brought two concepts of intrinsic value into direct alignment: the generation of wealth and the generation of life.“ (Kreager 1988: 138) Graunt endet sein Traktat mit einem Pladoyer für die quantitative Erfassung der Häufigkeiten in Bezug auf „Sex, State, Age, Religion, Trade, Rank, or Degree, etc. by the knowledg whereof, Trade and Government may be made more certain and Regular“ (1662/1665: 149). Mit William Pettys „political arithmetic“ und ihrer Selbstbeschränkung auf Argumente von „Number, Weight and Measure“ (Petty 1690) gewinnt die Betrachtung von Populationen einen noch deutlicher komparativen Akzent. In seinem Traktat „Political Arithmetick“ wirft Petty (ebd.) einen vergleichenden Blick auf Holland, Seeland, Frankreich und England nicht nur im Hinblick auf die bloßen Zahlenverhältnisse der Bevölkerungen, sondern auch daraufhin, wie ein bevölkerungsmäßig und geographisch kleineres Land mit einem Großen an Wohlstand und Stärke gleichziehen könnte „by Situation, Trade, and Polity“. Ähnliche Vergleiche werden in anderen Zusammenhängen auch zwischen den Städten London und Paris sowie Rouen gezogen, mit dem Ergebnis, „that London hath more people, housing, shipping, and wealth, than Paris and Rouen put together; and for aught yet appears, is more considerable than any other city in the universe, which was propounded to be proved“ (Petty 1686/2004: 30). Auf deutscher Seite ist es Johann Peter Süßmilch, der mit seiner ambitiösen Studie „Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben“ (1761-1762) eine quantitative Perspektive auf Populationen begründet.39 Der Theologe sieht in dem biblischen Spruch: „Seid fruchtbar und mehret Euch“, die Grundlage für eine „wahre Politic und Klugheit in der Regierungskunst“ (ebd.: 1761: XIf.). Wie schon seinen englischen Vorgängern Graunt und Petty, auf deren Arbeiten er bereits im Vorwort Bezug 38 So sei Graunt (1662/1665: 129f.) zufolge selbst schon bei einer durchschnittlichen Fortpflanzungsrate von mehr Nachfahren Adams und Evas auszugehen, als (seinerzeit) die Welt bevölkerten. Folglich könne die Welt keinesfalls älter sein als in der Bibel angegeben. 39 Vgl. zu Süßmilch die Arbeiten in Birg (1986).

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nimmt, ist es Süßmilch an Erkenntnissen gelegen, die der Förderung des Bevölkerungswachstums dienen. So müsse ein Regent „zuerst allen gewaltsamen Hindernissen der Ehen und der Vermehrung Widerstand leisten, so viel in seinem Vermögen ist“ (ebd.: 425). Entsprechend werden über einen Vergleich von Anteilen der verheirateten Paare auf dem Stadt und dem Land Faktoren herauspräpariert, die die Ehe befördern.40 Auch Betrachtungen zur Beeinflussbarkeit der ehelichen Fruchtbarkeit finden sich hier.41 Ferner sind mögliche lebenserhaltende Maßnahmen für die Untertanen sowie Strategien der Vermeidung von Abwanderung und der Attraktion von Zuwanderung im Blick (vgl. ebd.: 518ff., 552ff.). In diesen populationsbezogenen Überlegungen nimmt Süßmilch zahlreiche Thesen von Robert Malthus vorweg, dessen Arbeiten erst Jahrzehnte später erscheinen werden (vgl. auch Lazarsfeld 1961: 282, Anm. 10). Weltgesellschaftsbezogen ist hier Süßmilchs Versuch von Bedeutung, die zeitgenössische Erdbevölkerung quantitativ zu erfassen.42 Hier kommt Population bereits auf globaler Ebene in den Blick. Zur Schätzung der möglichen Erdbevölkerung bedient sich Süßmilch dabei einer Methode, die für Frankreich bereits von Vauban (1707) angewandt wurde. Dieser hatte die Anzahl der Menschen, die schätzungsweise durch eine Quadratmeile Land in bedarfswirtschaftlicher Hinsicht sustentiert werden kann, auf die Gesamtfläche Frankreichs hochgerechnet.43 Süßmilch (1762: 177) geht nun analog für die Gesamtfläche der bewohnten Erde vor, um zur exorbitanten Zahl von 14 Milliarden Menschen zu gelangen. Im darauffolgenden Teil, der sich der wirklichen Zahl widmet, wird diese Ziffer deutlich relativiert, wobei Süßmilch bereits auf einige Literatur zurückgreifen kann, die Schätzungen der Einwohnerzahl für einzelne Länder liefert. Mehrmals wird dabei auch aus der „Neuen Erdbeschreibung“ von Anton Friderich Büsching zitiert, deren Bände ab 1754 erscheinen.44 So kommt Süßmilch (1762: 215) für Europa auf 130 Millionen ‚wirkliche‘ Einwohner, deren Anteil an der ‚möglichen‘ Bevölkerung auch auf den asiatischen Fall übertragen wird, so dass sich für diesen Erdteil eine Population von 650 Millionen Einwohner ergibt. Mit groben Schätzungen und Vergleichen, was die klimatischen, geographischen, wirtschaftlichen und moralischen Verhältnisse in den Ländern anbelangt, werden Zahlen für die anderen Erdteile veranschlagt, um schließlich für die Erde zu einer Gesamtzahl von 1080 Millionen Menschen zu gelangen. Dabei liegen Süßmilch (1762: 232f.) bereits entsprechende Schätzungen von Struyck (1740) und Riccioli 40 So seien etwa die „Hurerey“, Luxus, der Preis der Lebensmittel, Ackerbau, Fabriken etc. maßgeblich für die relative Häufigkeit von Ehen und demzufolge für das Bevölkerungswachstum verantwortlich (ebd.: 1761: 421ff.). 41 Zur Sprache kommen hier etwa der Beistand des Staates in der Kinderfürsorge, die Verbesserung von Hebammenschulen sowie ein Belohnungssystem für kinderreiche Familien (vgl. Süßmilch 1761: 499ff.). 42 Vgl. hierzu das Kapitel „Versuch, die Zahl der Menschen zu bestimmen, die auf dem Erdboden leben können, und die anjetzt ohngefehr würklich darauf leben“, (Süßmilch 1762: 171ff.). 43 Vgl. für eine Kritik an diesem Vorgehen Schloezer (1804: 9f.). Näheres zu Vauban bei Desrosierès (2005: 82ff.). 44 August Schloezer (1804: 25) bescheinigt Büschings Geographie, sie liefere im Grunde „statistische“ Nachrichten.

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(1661) zum Vergleich vor; der Letztere dürfte in dieser Hinsicht einen der ersten Versuche unternommen haben. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Süßmilchs buchhalterisch-bilanzierende Technik der Kalkulation, wie sie auch für Graunts Arbeiten charakteristisch ist. Sie macht sich hier nicht nur in der Berücksichtigung von Kriegen, Seuchen und Abwanderungen in den populationsbezogenen Schätzungen bemerkbar. Das Denkmuster der Buchführung tritt auch in einer Anmerkung über den Wechsel der Generationen in der gesamten Erdbevölkerung deutlich hervor. Hier trifft man auf eine Berechnung eines sich täglich die Waage haltenden ‚Saldos‘ an Geburten und Sterbefällen: „Man kann also annehmen, daß in jedem Seculo das menschliche Geschlecht sich dreymal ganz und gar verändert, und also ohngefehr 3 tausend Millionen diesen Schauplatz betreten und auch davon wieder abtreten. Von ein tausend Millionen kommen also auf jedes Jahr 30 Millionen. An einem jeden Tage werden demnach ohngefehr 82000 sterben und auch wieder gebohren werden. Auf jede Stunde kommen folglich 3400, auf jede Minute beynahe 60 und auf jede Secunde einer. So veränderlich und unbeständig ist demnach der Mensch mit allen anderen Dingen auf der Erden! Jeder Tag liefert und raubt ein Heer von mehr als 80 tausend Menschenkindern.“ (Ebd., II: 234)45

Zwischen dem 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert tritt somit ‚Population‘ als eine ‚statistische‘ Größe von signifikanter Bedeutung hervor (vgl. hierzu auch Hacking 1990: 21f.). Festzuhalten ist hier zweierlei: Zum einen emergiert mit dieser statistischen Erfassung der landeseigenen Demographie eine neue Realität eines ‚Volkskörpers‘, in dem sich die Stärke und Vitalität, aber auch Identität eines Landes ausdrückt.46 Zum anderen ist mit den durch die Arithmetiker und Statistiker beglaubigten Manipulationsmöglichkeiten solcher Bevölkerungsziffern ein Objekt geschaffen, das nun einen fortlaufenden und rückgekoppelten Prozess „biopolitischer“ Maßnahmen begründet und folglich eine eigene Aufmerksamkeits- und Interventionsökonomie instituiert (vgl. auch Foucault 1977: 131ff.). An dieser Entwicklung ist in der englischen Tradition und deutscherseits bei Süßmilch die Übertragung von ökonomischen Buchführungstechniken auf den politischen Bereich konstitutiv beteiligt.47 Dies 45 In einem bemerkenswerten Schlussargument zu diesem Kapitel führt Süßmilch schließlich rechnerisch vor, dass die Erde, entgegen zahlreicher Stimmen, sehr wohl all die Menschen, die am Tage der Auferstehung die Erde (wieder-)bevölkern würden, tragen könnte und hierfür selbst der europäische Raum ausreichend wäre. 46 Patriarca (1996) macht auf den Beitrag aufmerksam, den die Bevölkerungsstatistik für die Emergenz und Konstruktion nationalstaatlicher Identität in Italien geleistet hat; vgl. zu ‚identitätspolitischen‘ Zwecken der Statistik auch Woolf (1989: 599); siehe ferner Kruskal (1983; zit. n. Starr 1987: 19). Für eine Analyse von Bevölkerungsstatistiken als eine Form der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung vgl. auch Vanderstraeten (2006). 47 Vgl. hierzu auch die Empfehlung John Arbuthnots (1701/1892), einem englischen Mathematiker und Zeitgenosse William Pettys: „Arithmetic is not only the great instrument of private commerce, but by it are (or ought to be) kept the public accounts of a nation; I mean those that regard the whole state of a commonwealth, as to the number, fructification of its people, increase of stock, improvement of lands and manufacturers, balance of trade, public revenues, coinage, military power by sea and land, etc. Those that would judge or

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geschieht vor allem komparativ, nicht nur im diachronen Sinne der Kontrolle von Fort- und Rückentwicklungen, sondern auch synchron im Hinblick auf die Verhältnisse in anderen Staaten. Aus diesem letzteren Vergleichsinteresse heraus entwickelte eine Gruppe von Statistikern im Göttinger Kreis die Tabelle als zweidimensionales (und damals kontroverses) Vergleichsschema, in der die Spalten die Vergleichsdimensionen vorgaben, bezüglich derer die Länder in den Zeilen auf einen Blick verglichen werden konnten.48 Es ist dieser Aspekt der Emergenz einer objektiven Sinnsphäre, der hier auch in Bezug auf die Religionsstatistik interessieren soll. Zunächst gilt es jedoch die Behandlung der Religion durch diese frühen Autoren selbst näher zu beleuchten. 2.3 Zur Rolle der Religion in der frühen Statistik Im Folgenden gilt es kurz zu erörtern, inwieweit religiöse Zugehörigkeiten in den Fokus dieser frühen Formen akademischer „Statistik“ fallen. Zu Zeiten William Pettys etwa spielte in England die Religion eine entscheidende Rolle für das englischirische Verhältnis. Die Expertise Pettys war an der Cromwell’schen Siedlungspolitik maßgeblich beteiligt (vgl. hierzu McCormick 2007). Petty entwickelte seine „political arithmetic“ als Teil einer „political medicine“, die das Ziel verfolgte, „to transmute the Irish into the English“ (Petty, zit. n. McCormick 2007: 261; vgl. auch McCormick 2009: 168ff.). Dieser Absicht standen nicht nur die generellen nationalen Unterschiede zwischen den gälischen Iren und englischen Abkömmlingen auf irischem Boden entgegen, sondern insbesondere auch die damit verbundenen religiösen Differenzen. Petty schätzte den Anteil der Katholiken unter den 1.1 Millionen Iren auf 800.000; sie stellten für ihn ein Bedrohungspotential gegenüber den 300.000 Protestanten dar, das es ihm zu neutralisieren galt. In diesem Zusammenhang vertrat Petty eine rigorose Umsiedlungspolitik zur Prävention einer erneuten Revolte von Seiten der Iren: „Whereas there are now 300.000 British, and 800.000 Papists, whereof 600.000 live in [wretched poverty]: If an Exchange was made of but about 200.000 Irish, and the like number of British brought over in their rooms, then the natural strength of the British would be equal to that of the Irish; but their political and artificial strength three times as great; and so visible that the Irish would never stir upon a national or religious Account.“ (Petty 1691: 29f.)

reason truly about the state of any nation must go that way to work, subjecting all the forementioned particulars to calculation. This is the true political knowledge.“ (Zit. n. Cline Cohen 1999: 28f.) Vgl. zum Verhältnis doppelter Buchführung und politischer Administration auch die knappen Bemerkungen in Starr (1987: 20ff.). 48 Lazarsfeld (1961: 292) sieht in dieser Entwicklung einen der Faktoren, die für den letztendlichen Siegeszug der quantitativ dominierten Form der „Statistik“ samt Inanspruchnahme dieses Etiketts verantwortlich zeichnen. Bei dem geringen Platz in den Feldern der Tabelle erwies sich die numerische Darstellung von Daten als vorteilhaft. Vgl. zum neuartigen Einsatz der Tabelle als rein numerisches Vergleichsschema in der „political arithmetic“ auch Rusnock (2002: bes. 16ff.).

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Dieser Plan baute in wesentlichen Teilen auch auf die Beförderung kulturell homogenisierender Mischehen; so sollten in weiteren Umsiedlungen vornehmlich unverheiratete Frauen ausgetauscht werden. In differenzierungstheoretischer Hinsicht bemerkenswert ist dabei, dass religiöse Zugehörigkeiten hier in erster Linie unter Gesichtspunkten der Staatsräson in den Blick kommen. Dies zeigt sich umso deutlicher, als sich die religiösen Loyalitäten wenig später unter Jakob II. umkehren sollten, ohne den strategischen Kern der Siedlungspolitik zu berühren. Jetzt waren es die britischen Protestanten, von denen die Gefahr politischer Unruhen ausging. Entsprechend ging es nun nicht mehr um eine „Anglifizierung“ der Iren, sondern um „the Catholication of the 3 Kingdoms of England, Scotland and Ireland“ (Petty, zit. n. McCormick 2007: 265). Es galt nun die Anteile der Katholiken in den verschiedenen Ländern durch Umsiedlungen zu erhöhen, um auf diese Weise eine durchgreifende Loyalität gegenüber dem englischen König zu garantieren. Religiöse und ethnische Zugehörigkeiten interessierten also allein in dem Maße, in dem sie politische Stabilität beförderten oder inhibierten (vgl. McCormick 2007: 266). Für den vorliegenden Zusammenhang ist dabei aber insbesondere die Systematik von Interesse, in der hier – wenn auch von politischen Sinnzielen bestimmt – die numerischen Verhältnisse zweier Religionsgruppen nach ihrer Anhängerzahl erfasst und nachhaltig zu manipulieren versucht wurden. Es sind religiöse Populationen, die hier in den Blick der politischen Arithmetik geraten. Die Sache der Religion ist auch auf deutscher Seite im Blick, und auch hier geben Fragen der Staatsräson den Ausschlag. So widmet sich Süßmilch der Religionsfrage unter dem Aspekt, inwieweit Religion der Mehrung der Bevölkerung förderlich oder hinderlich sein kann. In diesem Zusammenhang wird in einem eigenen Kapitel der Vorzug der christlichen Religion für den Bevölkerungszuwachs herausgestellt und das Argument Montesquieus, wonach die „römische“ Religion in dieser Hinsicht dem Christentum überlegen sei, bestritten (vgl. Süßmilch 1762: 110ff.). In Übereinstimmung mit Süßmilchs vorangegangenen Erörterungen wird einer der entscheidenden Faktoren in der christlichen Fundierung des Ehestandes gesehen. Religion kommt hier also weniger hinsichtlich religiöser Anhängerzahlen in den Blick, sondern als inhibierender bzw. stimulierender Faktor des Wachstums der allgemeinen Population. In der nicht-quantitativen Statistik Gottfried Achenwalls findet Religion ebenfalls ihre Berücksichtigung, so etwa in dem 1749 erschienenen Werk „Abriß der neuesten Staatswissenschaft der vornehmsten Europäischen Reiche und Republiken“, das in den folgenden Jahrzehnten in immer neueren Auflagen herauskam (zuletzt umbenannt in „Staatsverfassung der heutigen vornehmsten europäischen Reiche und Völker im Grundrisse“). Achenwalls dort zugrunde gelegtes Verständnis lässt die „Statistick“ all die Dinge angehen, die die „Wohlfahrt“ eines Staates „hindern oder befördern“.49 Hierzu zählt freilich auch die religiöse Situation eines Landes. So schreibt

49 Das einschlägige Zitat, das die Definition der ‚Statistik‘ liefert, lautet: „Wenn ich einen einzelnen Staat ansehe, so erblicke ich eine unendliche Menge von Sachen, so darinnen als würklich angetroffen werden. Unter diesen sind einige, welche seine Wohlfahrt in einem merklichern Grade angehen, entweder daß sie solche hindern oder befördern: wir nennen selbige merkwürdig [...]. Der Inbegriff der würklichen Merkwürdigkeit eines Staats macht

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Achenwall (1749/1762: 18f.) in seinen vorbereitenden Bemerkungen „von der Statistick überhaupt“: „Von den vier Hauptreligionen ist die Heidnische in Europa beinahe vertilgt, die Mahometanische erhält sich auch nur an der äussersten Grenze, die Jüdische schleicht im Finstern, die Christliche allein besitzt den Thron. Aber diese unglückseelige Mutter hat viel Aergerniß in ihrer Familie erlebt. Ihre Kinder haben sich getrennet, und diese Trennung hat fast alle Reiche erschüttert. Und noch jetzt verdienet der Einfluß der verschiedenen Religionen in den Staat unser besonderes Augenmerk.“

So werden in der Darstellung der einzelnen Staaten stets einige religiöse Fakten genannt; etwa, welche Religionen dort anzutreffen sind und welches die herrschende Religion ist; wie es um die Glaubensfreiheit und Duldung der Minderheitenreligionen steht; wie es um das Ausmaß des religiösen Eifers der Landsleute sowie der Neigung zum Aberglauben und der „Freygeisterey“ bestellt ist; ferner wie sich das Verhältnis von Staat und Kirche darstellt. Quantitatives, etwa in Bezug auf Anhängerzahlen, kommt nicht in den Blick; nur selten, etwa für Frankreich, werden die Anzahl der Geistlichen sowie die Zahlen der Erz- und Bistümer, der Abteien und Priorate genannt (vgl. ebd.: 181). Bei Schlözer, dem Lehrstuhlnachfolger Achenwalls, stößt man bereits auf eine zunehmende Offenheit gegenüber der Verwendung von Zahlen.50 In seinem „Briefwechsel meist statistischen Inhalts“ (1775) finden sich zahlreiche Tabellen rein numerischen Gehalts. Nicht wenige von ihnen liefern auch Angaben zu religiösen Zugehörigkeiten. Im Abschnitt „Bevölkerungszustand von Strasbourg seit 20 Jahren“ ist etwa eine Tabelle eingefügt, die für 1754ff. die jährliche Zahl der Neugeborenen, Gestorbenen und Getrauten für Katholiken, Lutheraner und Reformierte gesondert ausweist (ebd.: 25ff.). Daran schließt der Vermerk an: „Man bemerke hier die Wirkungen des Krieges und der Teurung, die Abnahme der Evangelischen und Zunahme der Katholiken und dergl. mer.“ (Ebd.: 27; Herv. M.P.) Im Abschnitt über das Elsass wird eine Schätzung Erpillys über die absolute Häufigkeiten der katholischen, evangelischen, reformierten sowie jüdischen Religionsanhänger zitiert (vgl. ebd.: 28). Religiöse Populationen sind hier deutlich im Blick. Die Achenwall’sche Tradition schlug sich in Deutschland auch schon früh in theologisch-akademischen Unternehmungen im Zeichen der Statistik nieder. Mit Carl Friedrich Stäudlins Werk „Kirchliche Geographie und Statistik“ ist 1804 eine rein religionsbezogene Statistik erbracht, die sich noch eindeutig der deutschen nichtseine Staatsverfassung im weitern Verstande aus, und die Lehre von der Staatsverfassung eines oder mehrerer einzelnen Staaten ist die Statistick.“ (Achenwall 1749/1762: 3) 50 Man lese nur in seiner „Theorie der Statistik“ (1804: 46f.), wo Schlözer zur Berücksichtigung der Häufigkeit derjenigen Inzidenzen und Prävalenzen anmahnt, die auf den ersten Blick den Charakter einer Seltenheit zu haben scheinen; so etwa des Anteils der Taubstummen an der Bevölkerung, des versehentlichen Erstickens des Kindes durch die Amme etc. („aber man zäle!“). Ferner sei hier seine Volte gegen falsche Präzisionsansprüche erwähnt: „[N]ur wo die Data in großen Zahlen auszudrücken sind, verlange niemand, mit der Mine des gout de précision, immer arithmetische Genauigkeit da, wo es auf eine Handvoll Hunderte, mer oder weniger, nicht ankommt.“ (Ebd.: 54)

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quantitativen Perspektive verschreibt. Der Terminus „Statistik“ wird dabei allerdings aus seiner Verbindung mit dem Gegenstand des politischen Staates ein Stück weit herausgelöst und auf das Religiöse übertragen; so gehört zur kirchlichen bzw. Religionsstatistik „nicht nur das Verhältniß der Religion zu der politischen Gewalt im Staate, sondern auch die kirchliche Verfassung, der kirchliche Staat selbst, wenn er auch vom politischen ganz unabhängig ist“ (Stäudlin 1804: 13). Als solche sei die Religionsstatistik mit der Religionsgeographie verwachsen, die in ihrer „allgemeinen“ Form „eine Beschreibung aller auf der Erde jetzt vorhandenen Religionen und der damit verbundenen Einrichtungen [ist]“ (ebd.: 10). Dabei beschränkt sich Stäudlin auf die verschiedenen Formen des Christentums, weshalb er auch für sein Werk von der kirchlichen Geographie und Statistik spricht (vgl. ebd.: 22f.); denn „[v]on diesem kann doch schon eher etwas geliefert werden, was den Namen einer Geographie und Statistik verdient, als von andern Religionen. Von diesen müssen erst noch mehrere geographische und statistische Nachrichten bekannt gemacht, gesammelt und kritisch gesichtet werden.“ (Ebd.: V) Allein für das Judentum behält er sich aufgrund seiner genealogischen Verwandtschaft zum Christentum gelegentliche Seitenblicke vor (vgl. ebd.: 28). Für die Darstellung wählt Stäudlin zwei Zugänge, die bereits aus den Religionsinventaren des 17. und 18. Jahrhunderts bekannt sind. So werden in einem ersten, „allgemeinen“ Teil die christlichen „Sekten“ nacheinander behandelt und die Regionen, in denen sie anzutreffen sind, angegeben. Der zweite, „besondere“ Teil führt die Untersuchung entlang der politischen Staaten und stellt nun die verschiedenen Formen des Christentums in den jeweiligen Ländern dar. Im Einklang mit der Achenwall’schen Tradition der Statistik wird dabei eher beschreibend statt beziffernd vorgegangen, so dass sich das Stäudlin’sche Unterfangen kaum von ähnlichen Traktaten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wie sie im vorangegangenen Teilkapitel untersucht wurden, unterscheidet. Dennoch widmet sich ein Kapitel des allgemeinen Teils ausdrücklich der „Zahl der Bekenner“ (ebd.: 104ff.). Tatsächlich findet sich hier aber wenig Numerisches, „denn“, wie Stäudlin (ebd.) selbst einräumt, „man hat darüber theils gar keine Zählungen angestellt, theils aber sind auch die Zählungen nicht genau und können es auch nicht durchaus seyn“. Folglich überwiegen hier ordinale Vergleichen zwischen den Religionen wie auch zwischen den Sekten innerhalb des Christentums; Stäudlin beruft sich dabei auf den bereits im vorigen Teilkapitel erwähnten Brerewood, dessen Werk fast 200 Jahre vorher erschien. Der besonderen Teil allerdings liefert bisweilen konkrete Angaben über die Anhängerzahl einzelner christlicher Sekten bzw. der Juden in einem jeweiligen Land, dabei sich bisweilen auf Zählungen aus bestimmten Jahren berufend (vgl. etwa für die Methodisten in England im Jahr 1795 ebd.: 177). Friedrich Schleiermacher, der der kirchlichen Statistik den Status einer theologischen Disziplin zuschrieb, knüpfte in seinen Vorlesungen zur kirchlichen Geographie und Statistik, geplant und gehalten zwischen 1826 und 1834, ausdrücklich an die Arbeiten von Stäudlin an.51 Auch bei Schleiermacher ist noch nicht das engere quantifizierende Verständnis von Statistik impliziert. Allerdings geht es ihm neben der Betrachtung der konstitutionellen Verfassung der Kirche auch um eine Betrachtung des Zustandes der Kirchen in den verschiedenen Ländern; entsprechend kommt, wie die 51 Vgl. hierzu und zum Folgenden Gerber (2005). Die Vorlesungen sind abgedruckt in Schleiermacher (2005).

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Notizen zu seinen Vorlesungen zeigen, schon viel Zahlenmäßiges in den Blick. Allerdings fehlte ihm hier, wie er selbst einräumte, das nötige Material. Noch Julius Wiggers (z.B. 1842) führt diese Konzeption kirchlicher Statistik fort. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts gewinnt der Begriff der Statistik auch innerhalb der kirchlichen Literatur zunehmend seine heutige Konnotation. So gibt Paul Pieper (1899) um die Jahrhundertwende eine „Kirchliche Statistik“ heraus, die den Kirchenverfassungen, wie sie noch Stäudlin und Schleiermacher beschäftigten, kaum noch Raum widmet (vgl. Gerber 2005: XXXIV). Dies dürfte sicher nicht zuletzt mit den statistischen Unternehmungen im Rahmen der protestantischen Mission, denen unten ein eigener Abschnitt gewidmet ist, in Zusammenhang stehen. So wurde im Kontext der Erweckungsbewegung des Vormärz und der von Johannes Heinrich Wichern auf den Weg gebrachten Inneren Mission die kontinuierliche Erhebung statistischen Zahlenmaterials gefordert; es sollte bei der Rückgewinnung der entkirchlichten Bevölkerungsteile orientierend herangezogen werden (vgl. Ziemann 2007: 41). Und in der Tat führten die evangelischen Landeskirchen wenig später entsprechende regelmäßig stattfindende Erhebungen ein (ebd.). Bevor hier auf diese religionsstatistischen Reflexionsformen von religiöser Seite eingegangen wird, gilt es jedoch zunächst auf religionsbezogene Erhebungen von Seiten des Staates zu sprechen zu kommen. Dabei sollen vor allem die Rückwirkungen, die diese auf die religiöse Sphäre ausüben, im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. 2.4 Zensus und Religion Im Folgenden soll es um die staatliche Erhebung von Religionsstatistiken und ihre Wirkungen auf den religiösen Bereich gehen. Systematische Erfassungen religiöser Zugehörigkeiten von Seiten des Staates kamen vor allem in solchen Ländern erstmals zum Zuge, die eine religiöse Diversität von gewisser gesellschaftspolitischer Brisanz aufwiesen. Bereits für das Jahrhundert der Reformation lässt sich von daher ein Interesse an konfessionellen Anhängerzahlen nachweisen. Dabei mischten sich oft politische und religiöse Motive. Im März 1598 ließ sich etwa Heinrich IV. eine Aufstellung aller Protestanten in Frankreich machen, die darin auf 1.250.000 beziffert wurden (vgl. Orcibal 1947: 66f.). Ludwig XIV. wiederum ließ es sich angelegen sein, die Calvinisten und Hugenotten zur katholischen Kirche zurückzuführen und rühmte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts in einem Brief an Kardinal d’Estrees, die Zahl der Protestanten in Frankreich von 800.000-900.000 auf 1200-1500 eingeschmolzen zu haben (vgl. Goyau 1922: 463; zit. n. Grisar 1946: 500, Anm. 40). Für die Zeit um die Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) lassen sich für Frankreich bereits zahlreiche Dokumente numerischer Schätzungen von Konfessionsverhältnissen, protestantischer Abwanderungen und Bekehrungserfolgen ausfindig machen (vgl. hierzu Orcibal 1947: bes. 63ff.). Diese erfolgten nicht nur von Seiten der Intendanten der französischen Provinzen. Auch von kirchlicher Seite liegen hier Erfassungen vor. Genannt sei hier nur die vom katholischen Klerus herausgegebene „Rolle des nouveaux convertis dans le diocèse de Poitiers depuis le mois de fèvrier 1681“, die in einem

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Verzeichnis nahezu 40.000 Namen von Rückbekehrten in der Provinz Poitou angibt, nach Pfarreien geordnet (vgl. Grisar 1946: 480, Anm. 9).52 Bis zu einer systematischen Erfassung religiöser Verhältnisse durch einen Zensus, ebenso bis zur Einrichtung nationaler Zensuserhebungen selbst, sollten jedoch noch anderthalb Jahrhunderte vergehen.53 Erste ‚moderne‘ Volkszählungen finden zwar in Kanada (damals Neufrankreich) bereits im Jahre 1666 und in Island im Jahre 1703 statt.54 Zu Gründungen von dauerhaften bürokratischen Einrichtungen, die mit solchen Erhebungen beauftragt waren, kam es jedoch erst Anfang des 19. Jahrhunderts (vgl. Desrosières 2005: 19; Hacking 1990: 27ff.), obgleich die Pioniere der modernen Statistik sich schon im 17. und 18. Jahrhundert für eine Beobachtung von Bevölkerungsentwicklungen aussprachen. In Deutschland wurde das erste statistische Amt 1805 in Preußen gegründet; weitere „statistisch-topographische Bureaus“ folgten 1808 in Bayern und 1820 in Württemberg (vgl. Würzburger 1918: 334). In England wurde zwar bereits Mitte des 18. Jahrhunderts, als, wie oben gesehen, die Idee der Population und die Frage nach ihrer Ab- und Zunahme schon virulent waren, ein Vorstoß für einen nationalen Zensus gemacht (vgl. hierzu Glass 1973). Die Angst vor Freiheitseinschränkungen durch eine Regierung, die sich solche Informationen für Repressionen zunutze machen könnte, ließ diesen jedoch scheitern. Erst als mit den Schriften Malthus’ die Populationsfrage neuen Auftrieb bekam, konnte sich 1800 ein Erlass mit dem Titel „Act for Taking Account of the Population of Great Britain and of the Increase or Decrease thereof“ durchsetzen; der erste Zensus in Großbritannien folgte ein Jahr später. In die Hände eigens dafür eingerichteter Behörden fielen diese Erhebungen allerdings auch erst im Laufe der 1830er Jahre (vgl. Porter 1986: 31). Eine erste Erfassung von Religion in einem Zensus fand 1766 in Irland statt (vgl. Macourt 1978: 168f.). Das Irische House of Lords hatte damals die Geistlichen aufgefordert, die Familien ihrer Gemeinden unter Angabe der religiösen Zugehörigkeit – protestantisch oder „papistisch“ – in Listen aufzunehmen. Dabei wurden jedoch vermutlich allein diejenigen berücksichtigt, die zum Kirchenzehnten verpflichtet waren. Zu einer tatsächlichen systematischen Vollzählung der religiösen Zugehörigkeit kam es in Irland so wohl erstmals im Jahre 1834.55

52 Dabei handelte es sich in weiten Teilen um Bekehrungen, die durch gewaltsame Einquartierungen königlicher Soldaten und durch Misshandlungen, die sogenannten Dragonaden, unter Intendant René de Marillac herbeigeführt wurden. Die Einrichtung von Konversionskassen im Jahre 1676, aus denen Konversionen mit Geld bezahlt wurden, war ein weiteres Mittel der Bekehrung (vgl. Orcibal 1951: 43ff.). 53 Vgl. für eine Geschichte des Zensus Alterman (1969). Speziell für den Fall der Vereinigten Staaten siehe Anderson (1988). 54 Osterhammel (2009: 58) berichtet für China über erste heute noch brauchbare Volkszählungen aus den Jahren 1368-1398. Ein erster gesamtjapanischer Zensus von Wert für die heutige demographische Forschung stammt Osterhammel zufolge aus dem Jahr 1721; die erste nationale Volkszählung in Europa fand 1755 in Schweden statt. 55 Osterhammel (2009: 58) berichtet über die Registration von religiöser Zugehörigkeit im osmanischen Reich; hier mussten Nicht-Muslime bis 1855 eine Kopfsteuer errichten; erste allgemeine Zählungen der männlichen Bevölkerung des Reiches fanden dort zwischen 1828 und 1831 statt; vgl. hierzu Karpat (1985).

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Entscheidend für diese Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist nicht allein die zunehmende Produktion von Zahlen, sondern auch deren zunehmende Veröffentlichung (vgl. Hacking 1982: 286f.; vgl. hierzu auch Espeland/Sauder 2007: 4).56 Diese kontinuierliche Versorgung der Öffentlichkeit mit Zahlenmaterial war Hacking (1982) zufolge maßgeblich an der Entstehung einer „numeracy“ beteiligt, d.h. der kompetenten Handhabe in der Deutung und Bewertung von statistisch-numerischen Informationen.57 Noch das Jahrhundert zuvor wurden statistische Informationen unter Verschluss gehalten und als Staatsgeheimnisse behandelt; zu groß war die Sorge, sie könnten befeindeten Nachbarstaaten in die Hände fallen und ihnen kompromittierende Auskünfte über den eigenen Zustand liefern (vgl. Hacking 1990: 20). Erst unter jenen neuartigen Bedingungen einer öffentlichen Zugänglichkeit von staatlich produzierten Statistiken zur Religion konnten diese eine entsprechende Wirkung auf die religiöse Sphäre entfalten.58 Dies gilt es im Folgenden am Beispiel Englands und Britisch Indiens des 19. Jahrhunderts zu verdeutlichen. 1851 wurde in England ein religiöser Zensus veranstaltet, dessen Hauptzweck in einer Überprüfung bestand, ob die verfügbaren Räumlichkeiten für Gottesdienste im Land für die gewachsene Bevölkerung noch ausreichten (vgl. hierzu Pickering 1967; Thompson 1967). Dieses Vorhaben wurde auch in der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt. Bemerkenswert sind dabei die Reaktionen der verschiedenen religiösen Gruppen, wie sie sich einerseits im Vorfeld der Erhebung und andererseits in der anschließenden Kenntnisnahme der endgültigen Ergebnisse zeigten. Tatsächlich waren die Meinungen über dieses Unternehmen unter den verschiedenen Denominationen erheblich geteilt: Die ‚Non-Konformisten‘ hatten ein ausdrückliches Interesse an einer solchen Erfassung, versprachen sie sich davon doch eine Erhellung ihrer zahlenmäßigen Stärke ebenso wie den Nachweis eines geringen Rückhalts der Staatskirche in der Gesellschaft (vgl. Pickering 1967: 383). Umgekehrt opponierte der etablierte Klerus – wohl aus denselben Gründen – zum Teil vehement dagegen (ebd.: 384). Die Befürchtung dabei war, dass die Resultate für Propagandazwecke verwandt würden, wie etwa die vor dem House of Lords vorgetragenen Bedenken der Bischöfe von Oxford (Wilberforce) und Salisbury zeigen (ebd.: 386). Diese Sorge hatte, wie sich herausstellte, durchaus seine Berechtigung, denn in der Tat nutzten die ‚NonKonformisten‘ die Zahlen für ihre Kampagne gegen das Staatskirchentum (vgl. Thompson 1967: 88). Nicht minder interessant ist in diesem Zusammenhang die religiöse Kontroverse um das methodische Vorgehen in der Erfassung der religiösen Situation Englands. Da es zumindest den Veranstaltern weniger um Zahlenverhältnisse religiöser Zugehörigkeiten ging als um die Bestimmung der Relation von religiöser Nachfrage und kirchlichem Angebot, wurden die Anwesenheiten in den verschiede-

56 Vgl. auch Westergaard (1932: 136ff.) zu dieser statistischen „era of enthusiasm“. 57 Vgl. zu „numeracy“ auch Vormbusch (2007: 44ff.). 58 Der öffentliche Charakter dieser Zahlen wird auch durch die Tatsache offenbar, dass Alfred Legoyt, Leiter der Behörde Statistique générale de la France, in seinem Buch „La France et L’Étranger. Études de statistique comparée“ bereits 1864 einen Überblick über die Entwicklung der Religionsverhältnisse in den europäischen Staaten geben und dabei auf entsprechende Daten zurückgreifen kann (vgl. Legoyt 1864: 621ff.).

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nen Gottesdiensten im ganzen Land an einem Sonntag im März 1851 erfasst.59 Die ‚Non-Konformisten‘ hatten allerdings schon im Vorfeld gegen das alternative Verfahren protestiert, eine einfache Frage nach dem religiösen Bekenntnis zu stellen, wie etwa 1834 in Irland verfahren wurde: Zu groß war die Sorge, dass diejenigen, die einer Religion kaum oder nur selten nachgingen, sich zur Kirche Englands bekennen würden und so deren Anhängerzahlen deutlich nach oben treiben würden (Pickering 1967: 405);60 identische Sorgen wurden auch im Vorfeld des religiösen Zensus im Jahre 1861 in Irland geäußert (vgl. Macourt 1978: 177). Beschwerden von Seiten der etablierten Kirche betrafen eher eine mögliche Manipulation der Zahlen; gegenüber solchen Verdachtsmomenten machte der Verantwortliche der Erhebung explizit darauf aufmerksam, dass lediglich zwei der zwanzig Angestellten, die für die Berechnung zuständig waren, „Dissenters“ seien (Pickering 1967: 394). Erwähnt wird diese Kontroverse hier deshalb, weil sie deutlich von einer ‚Befangenheit‘ der religiösen Gruppen im ‚Zahlenspiel‘ und deren Interesse und Glaube an den ‚Wert‘ des Zahlenvergleichs zeugt. Weder die Relevanz noch die Realität des numerischen Diskursobjekts werden hier noch in Frage gestellt. Der Streit geht einzig um die rechnerischen Methoden, die sich günstig oder ungünstig auf die jeweils eigene Position auswirken könnten. In der Terminologie Pierre Bourdieus ließe sich hier auch von einer spezifischen „illusio“ sprechen, d.h. von einer Verwicklung in das Spiel, infolge derer man es nicht mehr vermag, den Sinn und Wert des Spiels zur Disposition zu stellen. Zu einer auf Dauer gestellten ‚Vergleichsdynamik‘ konnte diese Situation jedoch kaum heranwachsen. Diese Erhebung der religiösen Verhältnisse sollte bis zum Jahre 2001 in England die letzte im Rahmen des Zensus bleiben. Trotz des breiten Interesses an religiösen Dingen verbanden sich in England mit der Erfassung religiöser Bekenntnisse immer auch grundlegende Bedenken gegenüber einer staatlichen Einmischung in den privaten Bereich des Religiösen (vgl. Macourt 1978: 174f.). Anders lagen die Dinge indessen innerhalb der britischen Kolonien. Hier waren Fragen nach religiösen Verhältnissen durchgängig ein zentraler Bestandteil des Zensus. Wie Kenneth Jones (1981) auf eingängige Weise illustriert hat, ist Indien ein besonders bemerkenswertes Beispiel für die Rückkopplungen des produzierten Zahlenmaterials auf die religiöse Sphäre, insbesondere im Hinblick auf die Genese eines hinduistischen „Bewusstseins“. An zentraler Stelle steht dabei der konstruktive und ordnungsgenerierende Charakter der Klassifikationen, die dem Zensus zugrunde gelegt werden. Für realitätserzeugende Effekte von arbiträren Klassifikationen und Kategorisierungen finden sich Beispiele in vielfältigen Bereichen, etwa der Sexualität (Foucault 1977), der Geschlechterdifferenz (Bourdieu 1998/2005; Butler 1990; 1993; Hahn 1982; Tyrell 1986), der Rasse (für den konstitutiven Zusammenhang mit Zen59 Damit verbanden sich allerdings Verzerrungen durch Mehrfachbesucher in Gottesdiensten sowohl der gleichen als auch fremder Denominationen, vgl. Pickering (1967). 60 Das Verfahren der Gottesdienstzählungen wies in England dann nahezu identische Anteile der ‚Non-Konformisten‘ und Anglikaner (jeweils 47 %) an den Gesamtbesuchen des ganzen Tages aus, wobei diese Zahlen nachträglich noch etwas zugunsten der englischen Kirche gewichtet wurden, um Ausfälle in den Rückläufen zu korrigieren (vgl. Pickering 1967: 392). Wie Pickering (ebd.: 392f.) berichtet, lag die eigentliche Überraschung allerdings hauptsächlich in der allgemein geringen Rate an Kirchenbesuchen, unabhängig vom religiösen Bekenntnis.

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suserhebungen vgl. Lee 1993; Neckel 1995; Petersen 1987) und der Klasse (Bourdieu 1979/1982; im Zusammenhang mit Zensuserhebungen Boltanski 1979).61 Analoge Rückkopplungen im Bereich der Religion konnten sich in Indien ab den 1870er Jahren insofern entfalten, als Gebildete unter den Indern zunehmend auf die Zensusergebnisse zurückgriffen, um sich ein Bild ihrer eigenen Welt zu machen (vgl. Jones 1981: 85). Zensusklassifikationen in Indien dienten unweigerlich der Beglaubigung religiöser Differenzen und waren somit an der Generierung und Legitimation von identitätskonstitutiven Kategorien unmittelbar beteiligt; so etwa an der (Selbst-) Behauptung des Sikhismus als gegenüber dem Hinduismus eigenständige religiöse Kategorie bzw. Gruppe (ebd.: 79).62 Unter der indigenen Bevölkerung beförderte der Zensus darüber hinaus ein spezifisch ‚westliches‘ Verständnis eines religiösen Feldes von wechselseitig mehr oder minder exklusiven Zugehörigkeiten: „[T]he census reports provided a new conceptualization of religion as a community, an aggregate of individuals united by a formal definition and given characteristics based on qualified data. Religions became communities mapped, counted, and above all compared with other religious communities.“ (Ebd.: 84)63 Für den vorliegenden Zusammenhang ist indes vornehmlich der Effekt der Quantifizierung auf den religiösen Bereich von Interesse. Die Zensuserhebungen schrieben nicht nur Kategorien fest, sondern ordneten ihnen zusätzlich noch eine numerische Größe zu, die, in den klassifizierten Gegenstandsbereich zurückgespiegelt, wiederum eigene Wirkungen entfaltete. Die Zensusbeamten übertrugen bei ihren Auswertungen die Logik einer Beobachtung von allgemeinen Populationsveränderungen auf den engeren Fall der Religionen: Der Anstieg und Abfall in den Zugehörigkeiten wurde kontinuierlich für alle Religionsgruppen registriert und ihre Größenverhältnisse verglichen (vgl. ebd.: 81). Damit verband sich letztlich eine fortlaufende ‚Buchführung‘ über die religiöse Mobilität unter den Religionen: „Concern for relative growth or decline of a religious community led to extensive recording of conversion from one faith to another. Tables of statistics and discussions examined first Christian conversion, and then conversion and reconversion among all faiths.“ (Ebd.: 81) Die Tatsache, dass diese Dynamik über den Zensus sichtbar gemacht wurde, befeuerte eine religiöse Konkurrenz, die sich zunehmend auf den Bekehrungsakt konzentrierte. Religiöse Spannungen speziell zwischen Muslimen und Hindus bestanden zwar schon vor der Errichtung des britischen Regimes in Indien. In Wechselwirkung mit dem Zensus gewann diese Konkurrenz indes eine neue Logik, insoweit sie nun in numerischen Termini beobachtbar wurde und die Statistik kontinuierlich neue Informationen auf der Basis von quantifizierbaren Veränderungen lieferte. Dieser Modus der Beobachtung gewann durch die Missionsaktivitäten der Christen noch weiter an Bedeutung; diese suchten seit Ende des 18. Jahrhunderts in immer neuen Schüben Indien als Missionsgebiet auf und verstärkten dort im Zuge ihrer Bekehrungen die ‚numerischen‘ Sensibilitäten: 61 Für eine allgemeine Studie zu den Realitätseffekten von Klassifikationen vgl. Bowker/Star (2000); speziell zur Zirkularität von Klassifikation und Realität vgl. Hacking (1986/2002). 62 Vgl. im Allgemeinen zu solchen staatlichen Konsekrationsakten Bourdieu (1994/1998: 96ff.). 63 Auch Max Weber (1921/1988) hat in hohem Maße auf diese Zensuserhebungen in seinen Studien zum Hinduismus und Buddhismus in Indien zurückgegriffen (vgl. nur ebd.: 5).

268 | W ELTBEKEHRUNGEN „Both Christians and Muslims converted individuals from Hinduism to their respective faiths, while Hindus had no similar method of adding to their own numbers. Hindu leaders demonstrated growing concern over a possible diminution of their community through conversion and later through differential growth rates which favored non-Hindus.“ (Jones 1981: 85)

So berichtete beispielsweise die Zeitung „The Regenerator of Arya Varta“ in der Ausgabe vom 19. Februar 1883 unter Rückgriff auf Zensusdaten ausführlich über die Auswirkungen christlicher Bekehrungsaktivitäten im Punjab und bezifferte den Anstieg der Christen von 19.092 auf 417.372 innerhalb der letzten vier Jahrzehnte (vgl. Jones 1981: 86). In einer Reihe ähnlicher Artikel aus dem Jahre 1909 in der Zeitung „Bengalee“ wird mit Bezug auf die Zensuserhebungen zwischen 1872 und 1901 aufgezeigt, dass einer Extrapolation der sich dort zeigenden Trends zufolge alle Hindus binnen wenigen weiteren Jahren aus Britisch Indien verschwunden sein würden (vgl. Jones 1981: 91). In Anbetracht ihres zahlenmäßigen ‚Ausblutens‘, wie es sich über den Zensus nachvollziehen ließ, wurde innerhalb hinduistischer Bewegungen, speziell des in Kapitel X noch näher zu erörternden Arya Samaj, die „Rekonversion“ eingeführt; dies erfolgte über eine Umdeutung des traditionellen Reinigungssrituals „shuddhi“ (vgl. Jaffrelot 1994; Jones 1976). Dabei wurden Hindus, die zu anderen Religionen übergelaufen waren, in einer speziellen Zeremonie feierlich in die ihnen nach hinduistischen Vorstellungen zugehörige Kaste bzw. zu ihrem „dharma“, zurückgeführt. In diesem Zusammenhang vermengten sich ‚religiöse‘ Interessen mit nationalistischen Visionen eines hinduistisch fundierten Indiens. Tatsächlich war der Arya Samaj auch innerhalb hinduistischer Kreise umstritten. Insoweit es aber um die Differenz zu anderen Religionen ging, wurde das „shuddhi“ weniger im Lichte einer Grenzziehung innerhalb des Hinduismus gesehen. Unter dem Aspekt der Grenzerhaltung gegenüber anderen Religionen war es auch bei der hinduistischen Orthodoxie geduldet. Das „shuddhi“ betraf jedoch nicht allein solche, die als Hindus zuvor eine Bekehrung von Seiten des Christentums oder des Islam erfahren hatten. Auch ‚Unberührbare‘ wurden in hinduistisch reine Kasten ‚rückbekehrt‘, denn unter ihnen erzielten Muslime und insbesondere Christen in der Mission besonders hohe Erfolge – eine Erkenntnis, die wiederum anhand des Zensus zutage gefördert wurde (vgl. Jones 1981: 93). Auf diese Reaktionen von hinduistischer Seite wird das letzte Kapitel der Untersuchung noch ausführlicher zu sprechen kommen. An dieser Stelle ist zuallererst die Wechselwirkung der numerischen Perspektive des Zensus mit der religiösen Konkurrenzsituation in Indien hervorzuheben. Dieses Zusammenspiel tritt sehr deutlich hervor, wenn man die Konjunkturen dieser Rückbekehrungsaktivitäten von Seiten hinduistischer Kreise berücksichtigt. Diese Kampagnen erhielten insbesondere in den Jahren unmittelbar nach aktuellen Zensusberichten neuen Schwung (vgl. Jones 1981: 94f.). Die Besorgnis um die Zahlen verstärkte sich noch, als ab dem frühen zwanzigsten Jahrhundert erste Formen von Wahlen eingeführt wurden und für feste Kontingente politischer Repräsentation auf der Basis der religiös-kommunalen Verhältnisse plädiert wurde (ebd.: 89, 95). Mit der Unabhängigkeit von Indien und Pakistan verlagerte sich der Blick der Hindus angesichts konversionsbedingter Verluste zunehmend vom muslimischen auf das christliche Missionsengagement. Dies verliert auch im zwanzigsten Jahrhundert, wie noch deutlich wird, insbesondere aufgrund der pfingstlich-evangelikalen Aktivitäten kaum an Aktualität. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber die kon-

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stitutive Rolle des Zensus, der der Konkurrenz erst eine deutlich numerische Perspektive aufgeprägt und mit dem veröffentlichten Zahlenwerk ein ebenso veränderliches wie manipulierbares Objekt geschaffen hat, durch das sich eine interreligiöse Beobachtungsperspektive kontinuierlich irritieren lassen kann. 2.5 Frühe Religionsstatistik von religiöser Seite Ein religiöses Interesse an Zahlenverhältnissen ist indes nicht allein auf staatliche Erhebungen angewiesen; es finden sich auch in der religiösen Sphäre selbst frühe Beispiele für Initiativen, numerische Relationen durch Statistiken zu beleuchten. In England fanden beispielsweise während der Jahre 1547, 1563, 1603, 1676 und 1688 kirchliche Zensnjs statt, von denen sich allerdings nicht alle für andere Konfessionen interessierten (vgl. Cline Cohen 1999: 36). Der Zensus von 1676 jedoch wurde aus dem Klima der sich zuspitzenden anglikanischen Sorge über die Anzahl der Papisten und protestantischen „Dissenters“ geboren (vgl. hierzu Richards 1927). Die Motive, die hinter diesem Zensus standen, legte Erzbischof Sheldon unverhohlen offen: „[T]o find out whether the number of Dissenters (of both shades) was too formidable to be suppressed, ‚to unmask the prejudices and misapprehensions wherewith some unwary persons are abused by the design of our adversaries‘, and (when the ‚just‘ numbers had been ascertained) to proceed with the ‚practicable‘ work of suppressing them.“ (Zit. n. Richards 1927: 6)64

Das Zensusformular enthielt drei Fragen: eine nach der Zahl aller Personen oder Familien in der Gemeinde; eine nach der Zahl der „Popish recusants, or such as are suspected for recusancy“ unter den Einwohnern; schließlich eine nach der Zahl der „Dissidents“, „which either obstinately refuse, or wholly absent themselves from the communion of the Church of England at such times as by law are required“ (zit. n. Richards 1927: 9). Mit diesem Formular wurden die Erzdiakone in die verschiedenen Gemeinden entsandt, um von den Geistlichen die entsprechenden Informationen zu akquirieren. Die Ergebnisse wurden schließlich vom Londoner Bischof Henry Compton zusammengetragen und verrechnet.65 Richards (ebd.: 11) berichtet von einzelnen Bischöfen, die, noch bevor die Formulare ihren Weg nach London finden sollten, Verhältniszahlen in allen Varianten berechneten, um schließlich triumphalistisch von günstigen Zahlenrelationen in ihren Diözesen zu berichten.66 Auch den anglikanischen Bischöfen im kolonialen Amerika des 17. Jahrhunderts ist instruiert worden, über den Zuwachs der Mitglieder ebenso wie die Zahl der Einwohner und „Dissenters“ genau Buch zu führen (vgl. Cline Cohen 1999: 80).67 64 Die Zitate Sheldons im Zitat beziehen sich auf Edward Cardwell: Docty. Annals, ii, Doct. clvi, 290. 65 Aus diesem Grund ist „Compton’s Census“ die geläufige Bezeichnung für diese Erhebung. 66 Dabei wurden die Zahlen in erheblichem Umfang zugunsten der anglikanischen Kirche manipuliert (vgl. Richards 1927: 40ff. und passim.). 67 Auf Seiten der amerikanischen Puritaner gab es indes keinerlei Anstalten, Religion quantifizierend im Hinblick auf Anhängerzahlen zu erfassen. Dies hätte dem Prädestinationsglaube widersprochen, dem zufolge das Kirchenwachstum durch menschliches Eingreifen

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Benjamin Ziemann (2007: 36ff.) macht am Fall Deutschland deutlich, wie die kirchliche Religionsstatistik sich auch hier in weiten Teilen aus dem konfessionellen Konflikt heraus etablieren konnte. Er spricht dabei von einem „Prunken mit den Konvertiten“, das die interreligiöse Dynamik in Deutschland während der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert prägte. Das statistische Zahlenmaterial diente dabei „apologetischen Zwecken“ (ebd.: 41) in der Öffentlichkeitsarbeit. Die evangelische Kirchenkonferenz pflegte bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprechende Statistiken zu veröffentlichen (vgl. beispielsweise Zeller 1865). Der Fokus lag dabei auf Übertritten und der Entwicklung der quantitativen Verhältnisse zwischen der katholischen und den evangelischen Konfessionen. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zog die katholische Seite mit einer statistischen Zentralstelle nach. Neben Motiven der Außendarstellung hatte diese Statistikproduktion zugleich den internen Zweck, „Positionsgewinne“ (Ziemann 2007: 42) in einer konfessionellen Konkurrenzsituation zu verfolgen, die jetzt auch einen numerischen Ausdruck erhalten hatte. Schon zuvor wurden die unverhohlen in statistischen Veröffentlichungen nach außen getragenen Bekehrungserfolge der Protestanten katholischerseits mit Argwohn registriert: So schreibt der Freiburger Erzbischof Thomas Nörber in einem Brief vom 26.12.1901 an den Seelsorgeklerus, „[g]egen diese ‚Proselytenmacherei‘ sei in Seelsorge und Katechese die geeignete ‚Gegenwehr‘ zu ergreifen“ (Ziemann 2007: 42).68 Die zahlenmäßig nachvollziehbaren Konversionen bestimmen und stimulieren hier die interreligiöse Beobachtung. Erste Unternehmungen einer ländervergleichenden Religionsstatistik von religiöser Seite reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück.69 An prominenter Stelle ist hier der Bericht „Stato della Religione Cattolica in tutto il Mondo“ von Urbano Cerri, Sekrekeinerlei Einfluss auf den von Anbeginn der Zeit feststehenden Kreis der Erwählten ausüben kann; eine Vorstellung, die sich in der englischen Kirche zu dieser Zeit bereits weitgehend überlebt hatte (vgl. Cline Cohen 1999: 80). 68 In diesem Zusammenhang stößt man bei Ziemann auf ein weiteres Motiv in der Übernahme statistischer Reflexionstechniken durch die Kirchen: den Anspruch auf organisatorische Legitimität. Diese Methoden sind bereits damals fester Bestandteil eines normativen Modells organisatorischer Administration. So hoben die Befürworter einer statistischen Zentralstelle des Katholizismus in Deutschland „die große Bedeutung einer geregelten Statistik für jede moderne Verwaltungstätigkeit im Staat und in anderen Organisationen hervor, zumal in einer Zeit, in der ‚alles in Zahl und Ziffer ausgerechnet und dargestellt wird‘“ (Ziemann 2007: 42; zitiert wird Germania 2.9.1904). Damit ist ein wichtiger ‚neo-institutionalistischer‘ Punkt berührt, der unten im Zusammenhang mit der Untersuchung der statistischen Materialien, die von Seiten der pfingstlich-evangelikalen Bewegung produziert werden, noch einmal ausführlicher zur Sprache kommen soll. Die Promotion und Darstellung statistisch-methodischer Rationalität gehorcht einem Modell von Organisation, das auch über Funktionssystemgrenzen hinweg diffundiert. 69 Vgl. hierzu auch Grisar (1946). Sein Beitrag sieht sich als Korrektur einer gängigen Annahme, die auch der von Grisar eingangs zitierte katholische Missionsstatistiker Hermann Krose vertritt und derzufolge die vergleichende Religionsstatistik neueren Ursprungs sei; selbst noch im 18. Jahrhundert habe es demnach lediglich Untersuchungen gegeben, die sich auf die Angaben der Länder beschränken, in denen die verschiedenen Religionen verbreitet sind.

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tär der 1622 von Gregor XV gegründeten Congregatio de Propaganda Fide, zu nennen, der im Jahre 1677 den Stand der katholischen Kirche samt konkurrierenden Religionen für die gesamte Erde zu erfassen sucht. Das Manuskript lag zunächst handschriftlich in römischen Bibliotheken vor und wurde 1715 in London in englischer Sprache herausgegeben. Die quantitative Betonung hebt diesen Bericht von dem vergleichbaren Report des früheren Propagandasekretärs Franceso Ingoli aus dem Jahre 1630 mit dem Titel „Relazione delle Quattro Parti del Mondo“ deutlich ab. Auch wenn sich aufgrund der unvermeidbaren Beschränkungen der Untersuchung nur wenig konkrete Zahlen finden, geht es doch beständig um numerische Verhältnisse. Meist finden sich dabei eher grobe Angaben in der Art, wie Cerri sie für Irland liefert: „There is a great Number of Catholicks in Ireland: And notwithstanding all the Persecution of the Hereticks, they have always been very constant.“ (Cerri 1677/1715: 12; Herv. i.O.) Nichtsdestotrotz sind durchaus auch konkrete Bezifferungen eingestreut, etwa für die Niederlande: „The United Provinces contain above Three Hundred Thousand Catholicks, and Three Hundred Priests, most of them Secular, under the Inspection of the Bishop of Castoria [...] and of a Priest, who is Apostolical Vicar of Bosteduc.“ (Ebd.: 20; Herv. i.O.) Auch andere Religionen werden bisweilen mit zahlenmäßigen Angaben bedacht, wenn auch selten mit konkreter Bezifferung; immerhin werden in Mesopotamien tausend Nestorianer in Mosul und vierzigtausend weitere in den Bergen vermutet (ebd.: 93). Hervorzuheben an diesem Dokument ist die Verbindung der numerischen Perspektive mit einem Missionsinteresse, das den Ton und den Duktus der Bestandsaufnahme bestimmt. So haben die Besprechungen der Situationen in den einzelnen Ländern oftmals einen appellativen Charakter: „There is hardly any Care taken of the Conversion of Hereticks in the Provinces of the Lower Germany.“ (Ebd.: 21; Herv. i.O.) Daneben finden sich beständig Angaben über die bereits durch die Congregatio gegründeten Missionen und deren Aktivitäten; darunter zahlreiche Berichte, die Bekehrungserfolge konkret beziffern. Auch Angaben über die jährlichen Kosten der Congregatio werden am Schluss des Berichts geliefert, samt Ausweis außerordentlicher Spenden (ebd.: 174ff.). In vielerlei Hinsicht ist mit Cerris Bericht katholischerseits somit eine Form der missionsstrategischen Reflexion vorweggenommen, wie sie dann im 19. Jahrhundert insbesondere protestantischerseits an Fahrt gewinnt.70

70 Grisar (1946) berichtet von einer weiteren anonymen Studie mit deutlich katholischen Sympathien gegen Ende des 17. Jahrhunderts, die für die Länder Europas über die Religionsverhältnisse weitreichende statistische Angaben macht. Er datiert sie auf das Jahr 1688 (ebd.: 489); auf die französische Herkunft des Verfasser wird angesichts des deutlich frankophilen Charakters der Darstellung samt der Übertreibung der Bevölkerungszahl in Frankreich geschlossen, obgleich die Schrift in Italienisch verfasst ist (ebd.: 490, 499). Sie trägt den Titel: „Descrizione dello stato della Religione Cattolica, cioè del numero de’ Christiani, che abitano i’Europa, fatta dal Sigr. NN- dopo aver viaggiato in essa lo spazio di 18 anni continui“. Die Untersuchung überrascht durch bemerkenswert konkrete Zahlenangaben bezüglich der Protestanten, Katholiken und griechischen Schismatiker in den einzelnen Ländern, an deren Genauigkeit Grisar (ebd.: 512ff.) allerdings bisweilen Zweifel hegt. Nichtsdestotrotz darf die Studie, was den statistischen Akzent und ländervergleichenden Charakter anbelangt, Grisar (ebd.: 521) zufolge als eine Pionierleistung gelten.

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Die hier genannten Beispiele früher Formen religionsstatistischer Selbstbeobachtungen haben – mit der Ausnahme des von Ziemann (2007) beschriebenen und oben wiedergegebenen deutschen Falls, der schon im Klima des langen Missionsjahrhunderts situiert ist – allesamt den Charakter eines relativ isoliert und einmalig stattfindenden Unterfangens. Von stabilen Beobachtungsverhältnissen, die kontinuierlich Anhängerzahlen auf Zu- und Abwanderungen hin beobachten, kann hier noch nicht die Rede sein. Eine solche Beobachtungssphäre kristallisiert sich erst mit den statistischen Reflexionsmustern der christlichen Mission des 19. Jahrhunderts heraus. Hier etabliert sich insbesondere auf protestantischer Seite eine Sinndomäne, die ein Interesse an missionseigenen Datenerhebungen, aber auch an den lokal veröffentlichten Religionsstatistiken der Staaten und Kolonialregime auf Dauer stellt. Hier laufen also die Phänomene, die in Abschnitt 2.4 erörtert wurden, mit den im vorliegenden Abschnitt beschriebenen zusammen und gewinnen neben zeitlicher Dauer auch einen global-räumlichen Relevanzbereich. Bevor die Untersuchung auf diesen, für den vorliegenden Zusammenhang besonders einschlägigen Fall der missionsbegleitenden Statistik des 19. Jahrhunderts eingeht, seien noch einige knappe Bemerkungen zur Rolle der Moralstatistik in der interreligiösen Dynamik eingefügt. 2.6 Zur Moralstatistik in der interreligiösen Beobachtung Ein Überblick über die Entwicklung der Religionsstatistik kommt nicht umhin, auf eine kurze Periode aufmerksam zu machen, in der verhaltensstatistische Aspekte in den Bereich der interreligiösen Beobachtung gelangt sind. Die ‚Entdeckung‘ von Regelmäßigkeiten auf dem Gebiet des Sozialen führte zur Entwicklung einer „Moralstatistik“, die sich gemeinhin mit dem Namen des Belgiers Adolphe Quetelets verbindet.71 Bei Süßmilch liegen die Nachweise einer „göttlichen Ordnung“ noch vornehmlich im Bereich der Biologie, obgleich er dabei auch soziale Tatbestände wie Heiratsraten, uneheliche Geburten und Prostitution im Blick hat. Quetelets statistische Untersuchungen von Aggregatdaten haben indes ausdrücklich zwei Bereiche zum Gegenstand: die physischen ebenso wie die moralischen Eigenschaften des Menschen.72 Beide, so die Annahme Quetelets, unterliegen festen statistischen Gesetzen. Einen wesentlichen Impuls erhielten Quetelets Arbeiten durch die Entdeckung einer frappanten Konstanz jährlicher Verbrechensraten. In seiner „physique sociale“ – ein Titel, den Auguste Comte zunächst auch für sein eigenes Unternehmen vorgesehen hatte – übertrug Quetelet das auf Poisson und Bernoulli zurückgehende „Gesetz der großen Zahl“ auf soziale Sachverhalte wie Verbrechen, Trunkenheit, Selbstmord und Heiratsverhalten. Dieses Gesetz postulierte, dass sich mit steigenden Fallzahlen bzw. Beobachtungseinheiten die relative Häufigkeit eines Ereignisses seiner festen Wahrscheinlichkeit annähert. Quetelet entwickelte daraus sein Konzept des „homme moyen“. Diesem Durchschnittsmenschen schrieb er bestimmte moralische Neigungen – „penchants“ – zu, deren Intensität sich direkt durch die relative Häufigkeit be71 Der Terminus der „Moralstatistik“ ebenso wie die damit verbundenen Forschungsinteressen waren allerdings schon vor Quetelets Wirken in Frankreich im Umlauf (vgl. Porter 1986: 49, Anm. 29); vgl. zur Moralstatistik und der Religionssoziologie um 1900 auch Krech/Tyrell (1995: 26ff.). 72 Vgl. zum Folgenden Lazarsfeld (1961: 294ff.); Porter (1986: 40ff.).

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stimmter moralischer Tatbestände innerhalb der infrage stehenden Population bemaß. Mit anderen Worten: Die Häufigkeit eines Verbrechens innerhalb einer Region war ein unmittelbarer Indikator für den Ausprägungsgrad der Neigung des populationsspezifischen „homme moyen“, dieses Verbrechen zu begehen. Quetelet zufolge ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Individuen innerhalb der betrachteten Gruppe im Hinblick auf ihre physischen wie moralischen Eigenschaften diesem „homme moyen“ entspricht; abweichende Variationen in die eine wie in die andere Richtung sind als zufällige Fehler zu betrachten, die sich wechselseitig aufheben. So legte Quetelet in diesem Zusammenhang erstmals spezifischen Eigenschaften innerhalb von Populationen eine Normalverteilung zugrunde; diese mathematische Funktion hatte sich bereits auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie und Astronomie etabliert. Im Zusammenhang mit seiner Moralstatistik verglich Quetelet somit verschiedene Aggregate hinsichtlich ihrer moralischen ‚Parameter‘ bzw. ihrer spezifischen „hommes moyens“: Städte, Provinzen, aber auch Geschlechts-, Alters-, Berufs- und Bildungsgruppen waren ihm hier im Blick (vgl. Quetelet 1835/1914: I, 265ff.).73 Die Untersuchungen Quetelets stießen auch bei Theologen auf breites Interesse, die sich insbesondere durch die Implikationen, die den Quetelet’schen Untersuchungen für die Frage des ‚freien Willens‘ zukamen, herausgefordert fühlen mussten.74 In Deutschland war es vor allem Alexander von Oettingen, der sich der Moralstatistik zuwandte und dabei mitunter gegen Quetelet ein Zusammenspiel dreier Faktoren in der „Lebensbewegung der Menschen“ geltend machte: „Gottes universelle Ordnung, der Menschheit sociale (collective) Gattungsart und der Einzelnen persönliche (individuelle) Willensrichtung“ (Oettingen 1868/1882: 40). Seine Arbeiten sind insbesondere deshalb von Bedeutung, weil sie in der Sache der Moralstatistik nicht zuletzt Fragen der kirchlichen Einbindung und religiösen Zugehörigkeit erörtern (vgl. hierzu auch Becker 1968: 11ff.; Krech/Tyrell 1995: 26ff.; Ziemann 2007: 38f.). Insoweit es Oettingen um Bedingungen der „sozialethischen“ Formung des Individuums im Sin73 Durkheim wird gegenüber Quetelet die Eigenschaften des „homme moyen“ in das vom Einzelnen unabhängige Kollektiv verlagern; ihm zufolge sind es äußerliche Kollektivkräfte, die auf das Individuum wirken und es – je nach Kollektiv – zum Selbstmord treiben oder im Leben halten, nicht Eigenschaften der Mehrzahl der Individuen selber (vgl. hierzu Durkheim 1897/1973: 347ff.). Allerdings ist Quetelet hier nicht eindeutig; vgl. etwa Quetelet (1835/1914: I, 329): „So besteht [...] bei einem Volke eine gewisse Tendenz zur Ehe, die von der Laune des einen Individuums eben so wenig abhängt, wie von der des anderen; alles geschieht Jahr für Jahr so vollkommen regelmäßig, als ob die Kontingente nach Provinzen, nach den Altersstufen, nach Berufen usw. festgesetzt wären. Diese letzteren Umstände allein scheinen einen auffallenden Einfluß zu haben, und dessen Wert man abschätzen kann. Ohne Zweifel können die Sitten und Gebräuche, die Vorurteile, die Konventionen und andere moralische Ursachen Einfluß haben, aber diese Ursachen hängen nicht von einigen isolierten Individuen ab; sie liegen in der Nation, der jedes einzelne Individuum angehört, und deren Launen es notwendig mehr oder weniger folgt.“ 74 Auch wenn Quetelet den freien Willen nicht prinzipiell verleugnete, wies er ihm in seiner Theorie keinen systematischen Ort zu. Nach dem „Gesetz der großen Zahl“ wurde er hier vielmehr als ‚Störfaktor‘ behandelt, dessen je individuell verschiedene Wirkungen sich in der Aggregation der Daten wechselseitig aufheben.

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ne einer Einspannung der „Willens- und Freiheitsbewegung“ in den „Corallenstock der Gemeinschaft“ (Oettingen 1868/1882: 40) geht, sind für ihn Fragen des religiösen Gemeindelebens konsequenterweise von Interesse (vgl. ebd.: 605ff.).75 Statistisch nachweisbare Unterschiede zwischen den Konfessionen, was die Häufigkeiten oder ‚Neigungen‘ zur Kriminalität, zur unehelichen Geburt oder zum Selbstmord anbelangt, werden hier allerdings noch nicht polemisch instrumentalisiert. So weist Oettingen (ebd.: 653) etwa deutlich auf den konfessionsunabhängigen Effekt einer Diasporasituation hin, dem in allen Fällen ein in moralischer Hinsicht ‚günstiger‘ Effekt zukomme. Nachfolger Oettingens waren dabei weniger zurückhaltend in der Nutzbarmachung von moralstatistischen Konfessionsvergleichen für eine interkonfessionelle Polemik (vgl. Ziemann 2007: 39ff.). Auf katholischer Seite tat sich in dieser Sache insbesondere Hermann Krose hervor. Wie er im Vorwort seiner Schrift „Der Einfluß der Konfession auf die Sittlichkeit“ (Krose 1900: 1ff.) darlegt, kann er dabei Ausgang von entsprechenden Broschüren nehmen, die die „kulturelle Überlegenheit der Protestanten auf allen Gebieten“ (ebd.: 2) sowie die „unsittlichen Einflüsse“ der katholischen Kirche nachzuweisen behaupten. Krose selbst unternimmt in dieser wie in anderen Schriften76 den Versuch, die katholische „Inferiorität“ in der Sittlichkeit zu widerlegen, wobei er unter Sittlichkeit ein Handeln im Sinne der christlichen Gebote verstanden wissen will. Den Beweis dafür führt er auf den Gebieten der unehelichen Geburten, der Vergehen gegen die Strafgesetze, der Selbstmorde und der Eheschließungen (vgl. ebd.: 7). In zahlreichen statistischen Tabellen werden zu diesem Zwecke die entsprechenden relativen Häufigkeiten für protestantische und katholische Regionen, die sich in ihren „Existenzbedingungen“ weitgehend ähneln, miteinander verglichen. Die darauf gestützte These einer „ethischen Superiorität“ des Katholizismus provozierte wiederum entsprechende statistische Gegenbeweise von Seiten des Evangelischen Bundes (vgl. Ziemann 2007: 40f.). Noch Max Webers (1920/1988) Studie zum Zusammenhang der protestantischen Ethik und der Entstehung des okzidentalen Kapitalismus entsteht in diesem Kontext der wechselseitigen moralstatistischen Beobachtung der Konfessionen; seine Studie beginnt mit statistischen Tabellen, die den Zusammenhang von Konfession und sozialer Stellung für Katholizismus und Protestantismus vergleichend in den Blick nehmen (ebd.: 17ff.). Die polemisch akzentuierte moralstatistische Phase war in Deutschland indes von vergleichsweise kurzer Dauer; Ziemann (2007: 39ff.) sieht in ihr eine „Durchgangsstation“ zur Kirchenstatistik. Im Folgenden gilt es sich entsprechend wieder der Beobachtung religiöser Zugehörigkeit unter dem Gesichtspunkt ihrer zahlenmäßigen Verhältnisse zuzuwenden. Mit den Missionsunternehmungen des 19. Jahrhunderts wird diese auf Dauer gestellt und ihr Relevanzbereich auf den gesamten Globus ausgedehnt.

75 Bemerkenswert ist hier die bei Oettingen zutage tretende Überwindung des Gegensatzes von Individuum und Gesellschaft bzw. individuellem Utilitarismus und sozialem Kollektivismus, die an den Voluntarismus Parsons’ oder das Konzept des Habitus bei Bourdieu gemahnen. 76 Die Schrift selbst ist bereits eine Sammlung entsprechender Zeitschriftenartikel; vgl. ferner Krose (1906; o.J. [1906]).

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2.7 Die protestantische Mission des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts Bislang hatte dieses Teilkapitel, mit nur wenigen Ausnahmen, die Herausbildung von religionsstatistischen Formen der Beobachtung in vornehmlich nationalen Kontexten im Blick. Im Folgenden geht es darum, der dauerhaften Einrichtung einer globalen religionsstatistischen Reflexion in den Missionsunternehmungen des 19. Jahrhunderts nachzugehen. Dabei gilt es zweierlei Dinge darzustellen. In einem ersten Abschnitt wird die Verbindung von Missions- und Populationsperspektive an der Wende zum 19. Jahrhundert erörtert und mit der protestantischen Eschatologie in Zusammenhang gebracht. Der zweite Abschnitt widmet sich der buchhalterischstatistischen Berichterstattung durch die einzelnen Missionsgesellschaften sowie der darauf gründenden verrechnend-synthetisierenden Beobachtung der Weltmission durch spezifische Missions-Zeitschriften und Atlanten. Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf der protestantischen Mission. Dabei wird nicht übersehen, dass auch katholischerseits missionsstatistische Reflexion betrieben wurde (vgl. hierzu Warneck 1882/1913: 183ff.).77 Man darf allerdings sicher behaupten, dass der katholischen Seite in der Missionsperiode des 19. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht eher eine reagierende, nachzüglerische Rolle zukam; das nachreformatorische Missionsunternehmen des Katholizismus hatte sich bis dahin weitgehend erschöpft und erhielt erst durch die Konkurrenz des Protestantismus neuen Schwung (siehe hierzu auch Tyrell 2004: 91ff.). Entsprechend halte ich einen einseitigen Blick für statthaft. 2.7.1 Mission und Population Die ‚Populationsperspektive‘ in der Mission, auf die es hier ankommt, tritt bereits sehr deutlich in dem Traktat „An Enquiry into the Obligation of Christians to Use Means for the Conversion of the Heathens“ von William Carey aus dem Jahre 1792 hervor, das in vielerlei Hinsicht als ein Gründungsdokument der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts gelten darf. Carey, ein zum Baptismus bekehrter Schuhmacher aus England, ließ sich dabei durch die Reiseberichte Captain Cooks ebenso faszinieren wie erschüttern: Sie führten ihm die Mengen der vom Evangelium unerreichten Heiden dieser Welt eindringlich zu Bewusstsein.78 In seinem Traktat argumentiert Carey entsprechend für die unverminderte Aktualität des biblischen Missionsbefehls und ruft zur Gründung von Missionsgesellschaften nach dem Vorbilde von Handelsorganisationen auf.79 An der Abhandlung verdient insbesondere die globalstatistische Darstellung der Religionsverhältnisse Hervorhebung. Die entsprechende Sektion III, „Containing a Survey of the present State of the Globe“, macht einen gewichtigen Anteil des Gesamttraktats aus und bietet einen rein tabellarischen Überblick über die Länder, geordnet nach den Kontinenten Europa, Asien, Afrika 77 Siehe für die katholische Mission im 19. Jhd. auch Hoffmann (1982); zur deutschen Mission des 19. Jhds. allgemein Habermas (2008). 78 Vgl. zum Leben Careys Barlow (1976: 51ff.); Flachsmeier (1963: 185ff.); Tyrell (2004: 94ff.). 79 Noch im selben Jahr wurde diesem Aufruf durch die Gründung der Baptist Missionary Society bzw. Particular-Baptist Society for Propagating the Gospel among the Heathen Folge geleistet.

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und Amerika (Carey 1792: 38ff.). Anders als bei Edward Brerewood (1614) im Jahrhundert zuvor werden dabei nun nicht mehr die geographischen Größenverhältnisse zum Vergleich der Länder mit den darin dominierenden Religionen herangezogen, obgleich diese Angaben auch bei Carey nicht fehlen. Für jedes Land gibt Carey vielmehr in einer weiteren Spalte die „number of inhabitants“ an, um direkt daran die Angabe über die dort anzutreffende Religionsform anzuschließen.80 Schon durch das Nebeneinander der Spalten werden Populationen und Religionen anschaulich zusammengeführt. Die Zahlen sind dabei weitgehend reine Schätzungen, die einer ähnlichen Methode folgen, wie sie oben schon für Süßmilch (und Vauban) erörtert wurde: Für eine Quadratmeile wird von einer durchschnittlichen Anzahl von Bewohnern ausgegangen, dabei lokale Umstände berücksichtigend, um diese Zahl entsprechend auf die Gesamtfläche des Landes hochzurechnen (vgl. Carey 1792: 62). Nicht die zweifelhafte Akkuratesse dieser Berechnung ist hier von Interesse, sondern die Umstellung der Perspektive auf zählbare Individuen. Gerade darin drückt sich ein Bruch gegenüber der noch wenige Jahre zuvor bei Hannah Adams wiederzufindenden Konvention aus, Religionen nach Landmassen ins Verhältnis zu setzen; ein Bruch der zunächst freilich allein auf semantischer Ebene zu verorten ist, da die Berechnungsmethode Careys ja letztendlich weiterhin geographische Größen relationiert, wenn sie die angenommenen Bevölkerungszahlen direkt dazu ins Verhältnis setzt. Darüber hinaus findet sich jetzt auch eine globale Gesamtverrechnung aller Anhänger der verschiedenen Religionen, die den Perspektivenwechsel noch eindringlicher vor Augen führt. Nicht die geographische Welt, wie noch bei Brerewood und zuletzt bei Adams, sondern die Weltpopulation wird hier in eine Religionsverteilung aufgelöst: „The inhabitants of the world according to this calculation, amount to about seven hundred and thirty-one millions; four hundred and twenty millions of whom are still in pagan darkness; an hundred and thirty millions the followers of Mahomet; an hundred millions catholics; fortyfour millions protestants; thirty millions of the greek and armenian churches, and perhaps seven millions of jews.“ (Carey 1792: 62)81

Carey (ebd.: 62f.) hebt dabei gerade die Menge von Heiden, wie sie in dieser quantitativen Bestandsaufnahme zur Darstellung gebracht wird, in seinem Pladoyer für die globale Mission hervor: „It must undoubtedly strike every considerate mind, what a vast proportion of the sons of Adam there are, who yet remain in the most deplorable state of heathen darkness, without any 80 Carey folgt dabei der geläufigen Unterscheidung zwischen „Christians“, „Mahumetans“, „Jews“ und „Pagans“, wobei für die Christen in der Regel die genauere Bezeichnung der jeweiligen christlichen Gruppierung genannt wird. 81 Schon kurze Zeit später folgen globale Gesamtvergleiche, die zusätzlich nach Buddhismus und Brahmanismus differenzieren. Bei James Laurie (1842: 126) findet sich bereits eine Synopsis solcher Aufstellungen, die von Malte Bruns Schätzung aus dem Jahre 1810 über Angaben von Graberg, Pinkerton und Hassel bis hin zu Balbis Berechnung im Jahre 1837 reichen. Variationen dieser Tabelle kursieren in vielfältigen Schriften des 19. Jahrhunderts und noch Hermann Krose (1912) erwähnt sie in einem Überblicksartikel zur Religionsstatistik.

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means of knowing the true God, except what are afforded them by the works of nature; and utterly destitute of the knowledge of the gospel of Christ, or of any means of obtaining it.“ (Herv. M.P.)

Ähnliche Vorstöße, die sich etwa ein halbes Jahrhundert zuvor für die Mission in der nicht-christlichen Welt aussprachen, übten kaum einen Einfluss aus, der dem Careys vergleichbar wäre.82 Das gegen Ende des 18. Jahrhunderts erstarkende Interesse an globaler Heidenmission dürfte in nicht unerheblichem Maße mit der koinzidierenden geographischen und kolonialen Welterschließung samt dem damit verbundenen Ausbau des ‚Weltverkehrs‘ zusammenhängen, wovon die Faszination Careys für die Cook’schen Entdeckungen bereits in gewisser Hinsicht zeugt. Dieses Aufkommen eines neuartigen Horizonts von Möglichkeiten wurde von religiöser Seite mitunter als Zeichen göttlicher Vorsehung gedeutet; dies verlieh dem Missionsunternehmen noch eine zusätzliche Dringlichkeit. So schreibt etwa Gustav Warneck (1882/1913: 80) rückblickend: „An das Zeitalter der [geographischen, M.P.] Entdeckungen schloß sich bald an und fiel mit ihm zusammen ein Zeitalter der Erfindungen, besonders neuer Kommunikationsmittel, der Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphen, welche nicht bloß das Reisen wesentlich erleichterten, sondern die weitesten Entfernungen auf ein relativ geringes Maß reduzierten und so einen Weltverkehr ermöglichten, der an Ausdehnung den aller früheren Zeiten weit übertraf. In vorher ungeahnter Weise hat sich der infolge der Maschinenindustrie auch viele produktenreichere Handel über alle bekannten und zugänglichen Teile der Erde ausgebreitet, und politische Beziehungen zwischen den Regierungen der entferntesten und sich bis dahin fremdesten Völker sind eingetreten, welche Verträge zur Folge hatten, die fort und fort neue Brücken zwischen ihnen schlugen. Daß es die christlichen, nicht die heidnischen Nationen der Erde sind, welche die Entdeckungen und die Erfindungen der Neuzeit gemacht, dadurch den modernen Weltverkehr in die Wege geleitet und in ihren Dienst gestellt haben – durch das alles zusammen läutete Gott wie mit allen Glocken in die Christenheit hinein: Ich habe euch Bahn gemacht, nun gehet hin; es ist Missionszeit jetzt.“ (Herv. i.O.)

Das Christentum hat freilich seit Anbeginn Phasen intensiver Mission aufzuweisen – und dies ja durchaus mit hochgradiger Rationalität und transnationalem Ausgriff (vgl. hierzu nur Gründer 1992). Dennoch hebt sich die Missionsperiode, die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzt, von allem bisher Dagewesenen nicht nur in Zahl und Intensität, sondern durch ihren schlechterdings globalen Charakter ab.83 Dieses Zusam82 Stanley (1990: 55) bescheinigt beispielsweise bereits den Hymnen und evangelistischen Anliegen von Isaac Watts (1674-1748) und Philip Doddridge (1702-1752) „a distinctly global flavor“; für weitere frühe Stimmen und Ansätze zur globalen Mission vgl. Warneck (1882/1913: 1ff.), der allerdings eher den protestantischen Mangel daran beklagt. 83 Man höre hierzu noch einmal Warneck (1874: 3f.; Herv. i.O.): „Sind wir auch heute noch nicht so weit, daß das Evangelium vom Reich ‚allen Völkern‘ und ‚zwar zu einem Zeugniß über sie‘ bereits wirklich gepredigt ist – so sind wir doch auf dem Wege zu diesem Ziele der Mission, sind im Ernst darauf aus den einzigartig großen Befehl Jesu Christi buchstäblich zu erfüllen: ‚Gehet hin in alle Welt und machet zu meinen Jüngern alle Völker!‘ In diesem Universalismus liegt eben das Charakteristische der jetzigen Missionsperiode. Die

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mengehen mit einer geographischen und kolonialen Erschließung der Erde legt zugleich die Verbindung der Mission mit einer bevölkerungsstatistischen Perspektive insofern nahe, als Berührungen mit einem geographisch-politischen Diskurs hier unvermeidlich sind. Die Entdeckungen des 18. und 19. Jahrhunderts geschahen zu einer Zeit, zu der sich bevölkerungsstatistische Denkmuster bereits fest eingeschrieben hatten; erste quantitative Schätzungen einer Weltpopulation reichen, wie oben gesehen, bis ins 17. Jahrhundert zurück. Wohl erstmals bei William Carey werden die populationsbezogenen Implikationen dieser Entdeckungen ins Religiöse transponiert. Diese Transposition dürfte aber gerade auch von eschatologischer Seite begünstigt worden sein. Die protestantischen Denominationen waren sich in ihrem Glauben an eine unmittelbar bevorstehende Endzeit weitgehend einig (vgl. hierzu Stanley 1990: 74ff.). Die vorherrschenden Eschatologien unterschieden sich dabei zwar im Hinblick auf den erwarteten Zeitpunkt der Parusie; in der prämillenaristischen Variante kam etwa die Vorstellung zum Tragen, dass eine Wiederkunft Christi dem 1000jährigen Reich Gottes auf Erden vorangehen und dieses einläuten werde; Postmillenaristen wiederum erwarteten den Messias erst zum Ende dieser Periode. Beiden war allerdings die Vorstellung gemein, dass mit der Verkündung des Evangeliums an alle Menschen der Erde und ihrer Bekehrung die Wiederkunft beschleunigt werde – aus postmillenaristischer Perspektive, weil dadurch das irdische Königreich Gottes Wirklichkeit würde und das endzeitliche Millennium begänne; aus prämillenaristischer Perspektive, weil zunächst jedem eine Chance zuteilwerden müsste, sich für das Evangelium zu entscheiden, bevor es zur Parusie kommen könnte.84 Ein numerischstatistischer Überblick über das noch zu Leistende liegt hier somit nahe. Nicht minder wurde die Mission von der Vorstellung über das jenseitige Schicksal der unbekehrten Heiden befeuert und in ihrem Fokus auf zählbare Populationen bestärkt. In diesem Zusammenhang ist die an der Wurzel des Christentums stehende Unterscheidung von „vera religio“/„falsa religio“ von Bedeutung, die bereits im vorigen Teilkapitel näher zur Sprache kam und der Unterscheidung von Christen/Heiden in mancherlei Hinsicht kongruent ist.85 Eine Konsequenz dieser Differenz ist auf der einen Seite der unbedingte Wahrheitsuniversalismus, der die Geltung der christlichen Botschaft und damit das mögliche ‚Heil‘ für alle unabhängig von Ethnie, Geschlecht und Stand behauptet; diese universelle Inklusionsperspektive ist eine wesentliche Bedingung für den Missionsimpetus der christlichen Religion.86 Auf der anderen Seite folgt Kirche Jesu Christi hat ja zu allen Zeiten Mission getrieben, aber selbst als diese Tätigkeit in ihrer höchsten Blüthe stand: in der apostolischen und mittelalterlichen Missionsperiode hat es eine eigentliche Weltmission nicht gegeben. Das Zeugniß von Christo zu tragen bis an die ‚Enden der Erden‘, sodaß im eigentlichen Sinne des Worts ‚alle Völker‘ evangelisirt werden, also Weltmission zu treiben – diese große Aufgabe zu lösen hat erst unsre Zeit einen ernstlichen Anfang gemacht.“ 84 Letzterer Gedanke gründete vor allem in einer literalistischen Auslegung von Matt. 24:14 („Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen“). 85 Dabei übersehe ich nicht, dass den Juden und Muslimen aus christlicher Perspektive ein ausgezeichneter Status zukommt; vgl. hierzu das vorangegangene Teilkapitel. 86 Vgl. zu diesem Wahrheitsbegriff und seinen kulturellen Voraussetzungen erneut Tenbruck (1977); dort auch der Vergleich mit dem Buddhismus, bei dem es anders als im Christen-

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aus dieser Unterscheidung, andere Religionen als ‚falsche Religionen‘ anzusehen. In der dem Missionsunterfangen des 19. Jahrhunderts zugrundeliegenden Theologie gilt solcher ‚Irrglaube‘ als Vergehen gegen Gott. Entsprechend wurde in der Regel davon ausgegangen, dass den Heiden nach ihrem Ableben ewige Verdammnis widerfahre. Diese Vorstellung beschwor das Bild eines stetigen ‚Stroms‘ von Seelen herauf, die in das ewige Feuer gehen, und verband sich dabei leicht mit einer populationsbezogenen Logik des Zählens. So predigte Robert Moffat, Missionar der London Missionary Society (LMS) in Südafrika, 1843 seiner Gemeinde: „Who can look to the East Indies now, and to China now, who can look to those interesting portions of the globe, because the most populous, the most dense, without yearning with compassion over the teeming millions that are there moving onward every day like some vast funeral procession; onward and downward, sadly and slowly, but certainly to the regions of woe? ‚Oh, you are a hard man,‘ some might say; ‚do you think they will go to hell?‘ Where do they go? Do they go to heaven? All idolaters, we are told, have their portion in the lake that burneth with fire and brimstone.“ (Zit. n. Stanley 1990: 65; Herv. M.P.)

Dieser Perspektive, die von einer Rettung einzig durch die christliche Religion ausgeht und ihr die ewige Verdammnis als Alternative gegenüberstellt, ist eine Wahlverwandtschaft zu buchhalterischen Techniken in der missionsbezogenen Beobachtung der Welt gewissermaßen inhärent. Die ‚Verluste‘ an Seelen, die unbekehrt in den Tod gehen, werden in ihrer drastischen Zahl vorgeführt, um zur Mission zu animieren – deutlich zum Ausdruck gebracht in der Formel „a million a month“, mit der Hudson Taylor, Begründer der China Inland Mission, die monatlichen Sterbefälle von Unbekehrten in China beziffert (vgl. Stanley 1990: 67). Über eine Bekehrung kann dagegen, so die Vorstellung, jede Seele vor diesem Schicksal bewahrt und auf der Seite des Heils ‚verbucht‘ werden. Wie unten noch deutlich wird, prägt diese Semantik eines ‚Saldos‘ an geretteten und verlorenen Seelen auch die pfingstlichevangelikale Reflexionspraxis. Doch bereits im 19. Jahrhundert gründet in diesen Vorstellungen von Heil und Verdammnis ein grundlegendes Motiv (in doppelter Konnotation) der Gesamtverrechnung aller Bekehrungserfolge. 2.7.2 Zur Buchhaltung der ‚Seelen‘ Möglich wurde eine derartige globale Bilanzierung erst dadurch, dass die Missionsgesellschaften in der Regel akribisch Buch über ihre Missionstätigkeit führten und in regelmäßigen Abständen darüber in Publikationen Bericht erstatteten.87 Gustav Warneck gibt in seinem „Abriß einer Geschichte der protestantischen Missionen von der Reformation bis auf die Gegenwart“ (1882/1913: 90ff.) einen ausführlichen Überblick über die wichtigsten Missionsgesellschaften der verschiedenen an der Mission beteiligten Länder. Mit nur wenigen Ausnahmen waren dies freiwillige Assoziatum keinen Wettlauf gegen die Zeit gab: Aus dem ewigen Geburtenkreislauf lässt sich prinzipiell jederzeit aussteigen, während nach christlichen Vorstellungen nur ein kurzes Leben die Gelegenheit bot, den ewigen Höllenqualen zu entrinnen (vgl. ebd.: 57); vgl. für den Zusammenhang mit der Mission auch Tyrell (2004: 23ff.). 87 Vgl. zu den Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts auch Habermas (2008).

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tionen, die sich außerhalb und teils in Opposition zu den jeweiligen Amtskirchen und unter weitreichender Indienststellung von Laien formierten, um sich der weltweiten Missionstätigkeit zu widmen. Der Grund für diese Distanz lag dabei weniger in theologischen Differenzen; vielmehr war es Warneck (1882/1913: 86) zufolge der die Amtskirchen beherrschende Rationalismus, der diese gegenüber dem neuen Missionsenthusiasmus skeptisch eingestellt sein ließ. Gleichwohl hatte die Mission, die an der Wende zum 19. Jahrhundert Gestalt gewann, einen durchaus geordneten Charakter: Die Missionsgesellschaften waren in der Regel ‚straff‘ geführte Organisationen mit einer heimatlichen Sendungsstelle, von der aus die Missionstätigkeiten im Feld überwacht und koordiniert wurden (vgl. ebd.: 87; Tyrell 2004: 85ff.).88 Entsprechend herrschte ein umfangreicher und streng reglementierter Schriftverkehr. Den entsandten Missionaren wurden kontinuierlich Berichte über ihre Tätigkeiten abverlangt. Ulrike Sill (2004) hat dieses komplexe Berichtswesen für den Fall der Basler Mission in seiner Entwicklung beleuchtet. Nach den Grundsätzen der „Allgemeinheit“ und „Regelmäßigkeit“ war dort zum einen jeder Missionar zur Berichterstattung angehalten, unabhängig von seiner Position oder Tätigkeit innerhalb der Mission; zum anderen setzte die Missionsleitung fixe Termine fest, an denen diese Berichte nach Basel zu senden waren (vgl. ebd.: 383). Das Berichtswesen hatte dabei zum einen den Zweck, die heimatliche Sendungsstelle mit den Informationen zu versorgen, die sie für ihre Entscheidungen benötigte; denn trotz des mitunter wochenlangen Postwegs, der eigentlich eine weitreichende Abgabe von Kompetenzen nahelegte, lag die Entscheidungshoheit in der Regel bei der Missionsleitung. Die Berichterstattung hatte aber noch eine Funktion, die über die steuerungsbezogene Informationsversorgung hinausging: Sie diente daneben auch der Motivation und Steigerung der Spendenbereitschaft im Kreis der heimatlichen Unterstützer der Mission. So fiel es den Quartalsberichten vor allem zu, Anschauungsmaterial aus dem Feld zu liefern, das das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit wecken und den Sinn und Zweck der Spenden illustrieren sollte, während die Jahresberichte in der Regel für die reinen „Überblicksinformationen“ verwandt wurden (Sill 2004: 386).89 Damit verbanden sich oft auch Portraits der Missionare im Feld, die von deren Tätigkeit bisweilen mit einer romantisch-verklärenden Note Anschau88 Zur organisatorischen Arbeitsteilung und Bürokratisierung vgl. Tyrell (2004: 87f., 117f.), der auch auf entsprechende Passagen in Warnecks „Evangelische Missionlehre“ aufmerksam macht; ferner Bogner (2004); zur Organisationsförmigkeit der Basler Mission auch J. Miller (1994). 89 Man höre zu dieser ‚Motivationsfunktion‘ auch Hermann Wangemann, Missionsdirektor der Berliner Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Mission unter den Heiden, in seiner Missionsordnung (1882a: 66): „Auf die aus den Synodalkreisen durch den Superintendenten, aus den Conferenzkreisen durch den Conferenzvorsteher einzusendenden Halbjahresberichte und jährlich statistischen Nachweisungen, so wie auf das von jedem Missionar zu führende an das Comité einzusendende Tagebuch, ist große Sorgfalt zu verwenden; denn diese Berichte sind eine der wesentlichen Grundbedingungen für das Gedeihen des Missionswerks, für welches das Interesse der heimischen Missionsfreunde auf die Dauer nur so lange und so weit rege bleiben wird, als sie genaue Kenntnis von den Heiden, der an ihnen gethanen Arbeit und den erzielten Erfolgen erhalten.“ Vgl. zur Missionsordnung Wangemanns auch Bogner (2004: 335ff.).

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ung gaben und somit nicht nur für Spenden, sondern auch für den Beruf des Missionars selbst Interesse zu wecken beabsichtigten (vgl. Altena 2004: 304ff.). Die verschiedenen Missionsgesellschaften unterhielten somit für gewöhnlich eine eigene Zeitschrift, in der diese Berichte aus dem Feld abgedruckt oder in Artikeln verarbeitet und so einem breiteren Kreis regelmäßig zugänglich gemacht wurden. In Gustav Warnecks (1882/1913: 90ff.) Diskussion der verschiedenen Missionsgesellschaften sind die ihnen jeweils zugehörigen Publikationsorgane allesamt ausgewiesen. Die Tatsache, dass die privaten Missionsvereine auf die Spendenbereitschaft eines außerorganisationellen Unterstützerkreises angewiesen waren, führte in gewisser Hinsicht wie von selbst eine Rechenschaftspflicht in Bezug auf die Verwendung der Gelder in der Mission mit sich. Nicht zuletzt darin dürfte die ungewöhnliche Offenlegung des internen Haushalts der Missionsgesellschaften in den soeben erwähnten Organen ihren Grund haben. So finden sich in den verschiedenen Zeitschriften regelmäßig detaillierte Finanzberichte, die über Spendeneinnahmen und Ausgaben Auskunft geben. Man darf hierfür sicher im Wesentlichen eine rhetorische Funktion unterstellen: Carruthers und Espeland (1991) haben etwa für die doppelte Buchführung auf diesen Aspekt der Darstellung von Legitimität und Seriosität aufmerksam gemacht und ihn von dem Gesichtspunkt technischer Rationalität sorgsam unterschieden. Dem Jahresabschlussbericht über die haushälterischen Aspekte der Mission war in der Regel eine Missionsstatistik an die Seite gestellt, die etwa über Neuzugänge, Pensionierungen, Sterbefälle von Missionaren, die Errichtung von Schulen und nicht zuletzt über die Anzahl der Neugetauften berichtete. Auch diese folgt spürbar dem buchhalterischen Duktus, was zur folgenden These Anlass gibt: Man darf vermuten, dass nicht zuletzt die Legitimität vermittelnde, bilanzierend-buchhalterische Darstellung der Geschäftsvorgänge eine analoge Präsentationsform der eigentlichen Missionstätigkeit samt ihren Bekehrungserfolgen nahegelegt hat und eine Übertragung entsprechender Denkmuster auf den religiösen Bereich noch weiter vorangetrieben oder zumindest konsolidiert hat. Exemplarisch sei hier das Schema aus der Missionsordnung der Berliner Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden diskutiert (siehe Abb. 2 auf der folgenden Seite).90 Gerade im Nebeneinander der Rubriken „Gemeinde“ (IV.) und „Besitzthum und Einkünfte“ (V.) macht sich bemerkbar, dass die Buchhaltungstechniken, die dort in der Offenlegung der Eigentumssituation, der finanziellen Einkünfte und ihrer Quellen die Struktur vorgeben, auch die Darstellung der jährlichen Gemeindeentwicklung bestimmen. So sind hier wie dort zunächst zahlenmäßige Angaben über den „Bestand“ (ebd.) zu machen: Im Fall der „Gemeinde“ betrifft dies allerdings nicht den wirtschaftlichen Bestand, sondern die Anzahl der Getauften sowie die Anzahl der „Farbige[n] im Bereich der Station“, also derjenigen, die „durch die Thätigkeit des Missionars erreicht werden können“ (ebd.). Diese Angaben bilden bereits die Bilanz aus den Feldern „Abgang“ b) und „Zugang“ c), die über die entsprechenden Fluktuationen Aufschluss geben. Es zeigt sich hier deutlich das ökonomische Schema des ‚Verrechnens‘.

90 Hierzu gibt der Missionsdirektor Hermann Wangemann (1882a: 66f.) die Anweisung: „Sofort nach dem Schluß des Kalender-Jahres sendet jeder Stationsvorsteher durch den Superintendenten bez. den Conferenzvorsteher die vom ihm geforderte statistische Uebersicht ein, zu der in der Anlage 5 ein Schema beigefügt ist.“

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Abbildung 2: Berichtsschema der Berliner Missionsgesellschaft

Quelle: Wangemann (1882a: 80f.)

Unter Abschnitt VII.2.2 ist bereits darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Übernahme von Methoden und Mustern der doppelten Buchführung an der Wurzel der statistischen Betrachtung und der damit verbundenen Konstruktion von ‚Populationen‘ steht. Buchhalterisch-rechnerische Denkmuster müssen von daher schon allein durch die Verbindung des Religionsvergleichs mit populationsstatistischem Gedankengut Einzug in die religiöse Sphäre erhalten. Allerdings zeigt das Beispiel der Berichterstattung der Missionsgesellschaften, dass diese Semantik noch zusätzlich von unmittelbar ökonomischer Seite plausibilisiert wird. Die Funktion der Legitimitätsbescheinigung und Mobilisierung öffentlicher Unterstützung, die sowohl dem Nachweis über die Gelderverwendung als auch dem Nachweis über die Bekehrungserfolge zukommt, legt eine gemeinsame buchhalterisch-bilanzierende Darstellung nahe. Wie es im Schlussteil dieses Teilkapitels noch genauer zu erörtern gilt, festigt dies zugleich den Gedanken eines spezifisch religiösen ‚Ertrags‘ im Sinne eines numerischen Wachstums an Anhängern; dies begründet eine eigene Sinnsphäre mit spezifischen Aufmerksamkeitsschemata und Relevanzstrukturen.91 Die Berichterstattung reduzierte sich, wie bereits erwähnt, nicht auf solche tabellarische Bilanzen. Gleichwohl bestehen auch die narrativen Teile der Zeitschriften in 91 Dieser religiöse Ertrag lässt sich dank der ökonomischen Haushaltserklärungen ins direkte Verhältnis zu dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Aufwand setzen. In den gegenwärtigen statistischen Beobachtungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung lassen sich, wie im nächsten Kapitel (IX) zur Sprache kommen wird, entsprechend detaillierte Angaben über die Kosten einer Taufe finden. Trotz dieses Anschlusses an das Wirtschaftssystem bleibt das letztbestimmende Sinnziel freilich ein spezifisch religiöses: die Bekehrung. Vgl. in diesem Zusammenhang erneut die Unterscheidung von wirtschaftenden Verbänden und Wirtschaftsverbänden bei Max Weber (1921/1972: 37f., 200f.); vgl. hierzu auch Tyrell (2004: 110f.).

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einem nicht unerheblichen Maße aus eindringlichen Darstellungen von Bekehrungen.92 Es sei hier als Beispiel ein Bericht von der Chi-Chou Mission in China aus einer Ausgabe des „Chronicle of the London Missionary Society“ (Dezember 1890) näher zitiert: „The progress of the Chi Chou Mission has been striking. There were thirty-six church members of fairly good standing, the fruit of former visits and of work in Tientsin, when the missionaries arrived. By the end of this year this number had risen to seventy-three, and several striking conversions had taken place, among the converts being two or three Chinese graduates. Converts began to preach, and in many ways gave evidence of the new life they had received. A year later the number had grown to 142, having nearly doubled in the twelve months. Many baptisms have been referred to in subsequent letters and doubtless, when the next report is issued, further satisfactory increase will be chronicled. Out-stations are also springing up. By December, 1889, there were three; by December, 1890, six; since when at least two others have been opened.“ (Anon. 1890a: 365)

Gelegentlich werden auch die Umstände einer einzigen Bekehrung dramatisch geschildert und dabei direkt aus den Briefen der Missionare zitiert; dies insbesondere dann, wenn es sich um Angehörige der oberen Schichten handelt. So findet sich etwa in einer Rubrik „News from Abroad“, ebenfalls aus dem „Chronicle of the London Missionary Society“ (November 1890: 353f.), unter der Überschrift „Baptism at Benares“ die folgende Mitteilung: „The Rev. J. Hewlett, M.A., in a letter dated September 17th, writes: ‚An event of deep interest took place in our Mission last Sunday, of which I feel I must give you some account without delay. We had the solemn duty of baptizing a convert from Hinduism to Christianity at our morning Hindustani service. The convert is an intelligent and bright young man of about twenty years of age, possessing a good knowledge of Hindi, and some knowledge of Persian.‘“ (Anon. 1890b: 353f.)

Es folgt darauf eine detaillierte Wiedergabe des Konversionsgeschehens. Statistische Tabellen werden nicht selten in solche narrative Darstellungen eingebettet. So etwa im Bericht „Das letzte Jahr auf Sumatra“ in dem Organ „Berichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft“ im Januar des Jahres 1872 (Seite 8-24). Auch hier treten die bilanzierenden Techniken hervor, indem die Zahl der Neugetauften für alle Stationen angegeben und mit den Gestorbenen, Ausgewanderten und Ausgeschlossenen verrechnet wird, um schließlich den Bestand aus dem Vorjahr dem Bestand des Berichtsjahres 1871 vergleichend gegenüberzustellen. Auch die ‚religiöse Konkurrenz‘ kommt in den Publikationen der einzelnen Missionsgesellschaften durchaus immer wieder in den Blick – zumal dort, wo Zahlen 92 In der Missionsordnung der Berliner Missionsgesellschaft fordert Hermann Wangemann (1882a: 67) in diesem Zusammenhang „eingehendere und ausführlichere Lebensbilder und Einzelschilderungen“. Die Missionsschriften seien „[d]as wesentlichste Mittel, um die Theilnahme und die Liebe der heimischen Missionsgemeinde wach zu halten und zu pflegen“, so dass es unbedingt erforderlich sei, „daß nicht bloß Gerippe von Zahlen und Namen, sondern lebensfrische Bilder gegeben werden“ (Wangemann 1882b: 107).

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über die Verhältnisse zwischen den Religionen zur Verfügung stehen. Das Aufgreifen staatlich produzierten Zahlenmaterials von religiöser Seite, wie es oben schon für den ersten religiösen Zensus in Großbritannien nachgezeichnet wurde, lässt sich auch im Zusammenhang mit der Mission beobachten. So wurden etwa die Resultate des Zensus in Indien, die, wie oben gesehen, ein neuartiges Interesse der indigenen Bevölkerung weckten, auf der Seite der christlichen Missionare mit nicht minder großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im „Church Missionary Intelligencer“, dem Organ der britischen und staatskirchenverbundenen Church Missionary Society for Africa and the East, findet sich etwa im Jahre 1893 eine entsprechende Kenntnisnahme. So wird in der Rubrik „The Mission-Field“, die monatlich über die Missionsgebiete Afrika, Palästina, Bengalen, Südindien, Ceylon, China und Japan Auskunft gibt, für Ceylon (bzw. Sri Lanka) im Februar folgende Mitteilung gemacht: „The census of 1891 has brought out some very striking and very encouraging facts with regard to the progress of Christianity amongst the people of Ceylon. We have to thank a leading article in the Times of Ceylon, of August 27th, for the figures (carefully culled out of the Census Returns) from which we quote. It will, we think, be a matter of surprise and thankfulness to most Christians to learn that there are in Colombo (counting Christians of all races and of all denominations) a larger number of Christians than of people of any other religion. The figures taken from the Census Returns are as follows: [Tabelle] Christians 38,575 (1881); 43,174 (1891). Buddhists 28,784 (1881); 31,518 (1891). Hindus 15,206 (1881); 12,490 (1891). Mohammedans 27,709 (1881); 29,603 (1891). Others 228 (1881); 150 (1891). The total number of Christians of all races and all denominations in Ceylon is 302,127 as shown by the Census Returns. Of these 246,214 are Roman Catholics. [...] [T]he total number of Native Roman Catholic Christians is therefore 237,904. This number is very much larger than the number of Protestant Native Christians; but then it has to be remembered that the Roman Catholics have been at work in the island for about 350 years, whereas the English and American Protestant Missionary bodies have not been at work for eighty years.“ (Anon. 1893: 125)

Wie aus dem Zitat hervorgeht, wird hier sowohl der interreligiöse als auch der innerchristliche Vergleich gesucht. Auf der Grundlage dieser frei verfügbaren Informationen, mit denen die einzelnen Missionsgesellschaften kontinuierlich eine breite Öffentlichkeit versorgten, konnten sich schon früh Publikationsorgane etablieren, die sich einer missionsbezogenen Gesamtschau im globalen Maßstab widmeten. Dabei wurden die regelmäßig erscheinenden Statistiken der einzelnen Missionsgesellschaften in ebenso regelmäßigen Abständen zu einem Gesamtstand der christlichen Mission auf allen Kontinenten verrechnet. Zu den wichtigsten dieser Organe zählen die „Allgemeine MissionsZeitschrift“, die ab 1874 monatlich erschien und von Gustav Warneck mitunter in Verbindung mit Reinhold Grundemann und Franz M. Zahn herausgegeben wurde, sowie das „Magazin für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften“ (ab 1816), das ab 1857 den Namen „Evangelisches MissionsMagazin“ trug; amerikanischerseits ist hier etwa das „Missionary Review“ (ab 1878; ab 1888: „Missionary Review of the World“) zu nennen.93 Im Folgenden soll insbe93 Für die katholische Missionsstatistik und die Veröffentlichungen der Congregatio de Propaganda Fide sowie für andere katholisch-statistische Zeitschriften sei erneut auf Warneck

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sondere die „Allgemeine Missions-Zeitschrift“ Gegenstand einer näheren Betrachtung sein. Neben missionsapologetischen Absichten verfolgt sie ausdrücklich den Zweck, Missionswilligen eine Orientierung und Koordinierung hinsichtlich des übergeordneten Ziels der Weltmission zu ermöglichen.94 Dabei verschreibt sie sich nicht nur einer Reflexion der evangelischen Missionstätigkeit; auch die Mission der römisch-katholischen und griechisch-orthodoxen Kirche sollen Berücksichtigung finden; neben der Heidenmission soll dabei auch die Mission unter den Juden und „Muhamedanern“ sowie die innere Mission kontinuierlich zur Sprache kommen (vgl. Warneck 1874: 6).95 Das Herzstück der Zeitschrift bildet dabei eine fortlaufende Übersicht über den Stand der Weltmission. Über die monatlichen Ausgaben hinweg erscheint eine „Missionsrundschau“ (vor 1882 „Missionszeitung“ bzw. „Quartalbericht“), die in der Regel immer von Neuem einen Überblickszyklus über alle Kontinente (Afrika, Asien, Amerika, Ozeanien sowie „Heimat“) durchläuft, um „die Leser zweimal während des Jahres über das gesamte Missionsfeld zu führen und sie so über die neuesten Vorkommnisse auf dem laufenden zuhalten“ (Warneck 1882: 269, Anm. 1). In dem Durchgang durch die Kontinente werden so Land für Land Nachrichten, die in Berührung mit der Sache der Mission stehen, zusammengetragen, wobei als Quellen in der Hauptsache die Publikationsorgane der einzelnen Missionsgesellschaften dienen. So sind, wie schon in diesen individuellen Zeitschriften, auch hier die Gründungen neuer Missionsstationen, Schulen, Hospitäler, Todesfälle, Wechsel und Neuzugänge von Missionaren, lokale Epidemien, politische Ereignisse (Unruhen, Wechsel der Verfassung und Religionsfreiheit in Japan96 etc.) kontinuierlich Gegenstand der Betrachtung. Im Mittelpunkt stehen jedoch Einschätzungen über den Fortgang der Mission, die in der Regel mit entsprechenden Statistiken und Zahlen untermauert werden. Dabei sind es nun Gesamtverrechnungen des Bekehrungserfolgs aller Missionsgesellschaften, die für die einzelnen Länder, wenn auch zum Teil unter Vorbehalt,

(1882/1913: 183ff.) verwiesen. Siehe für einzelne Unterfangen auf deutsch-katholischer Seite die „Katholische Missionsstatistik“ von Hermann Krose (1908) sowie den „Katholischen Missionsatlas“ von Karl Streit (1906). 94 So liest man etwa im programmatischen Vorwort zur ersten Auflage der Allgemeinen Missions-Zeitschrift: „Die ‚Allgemeine Missions-Zeitschrift‘ ist [...] weit davon entfernt, den speciellen Missionsblättern der einzelnen Gesellschaften Concurrenz zu machen. Sie will vielmehr eine Alliancc [sic] mit ihnen schließen und den einzelnen Gesellschaften direct und indirect dienen, direct indem sie abgerundete Bilder auch aus ihrer Arbeit liefert, indirect indem sie durch Orientierung auf dem Gesammtmissionsgebiete das Verständniß für und das Bedürfniß nach den Specialitäten der einzelnen Gesellschaft weckt und fördert – wie sie denn wiederum auch zuversichtlich auf Unterstützung ihrer Tendenz seitens dieser Gesellschaften glaubt rechnen zu dürfen.“ (Warneck 1874: 5, Anm. 1; Herv. i.O.) 95 Unabhängig von dieser Reflexions- und Bilanzierungstätigkeit im Bereich der Mission war der deutsche Anteil an der Weltmission des 19. Jahrhunderts vergleichsweise gering; den weitaus größeren Anteil daran hatten englische und amerikanische Missionsgesellschaften. Auch hier wurde, zum Teil noch erfolgsorientierter, Missionsstatistik betrieben; vgl. dazu nur die Bemerkung von Grundemann (siehe unten, Anm. 99). 96 Siehe hierzu Warneck (1890: 131).

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vorgetragen werden.97 Daneben werden im Länderüberblick in der Regel die dort niedergelassenen Missionsgesellschaften mit ihrem aktuellen Zahlenprofil erwähnt, d.h. der Anzahl von Schulen und Schüler, der Zahl der Kommunikanten sowie der jüngsten Bekehrungserfolge. Besonders spektakuläre und illustre Konversionsfälle werden auch hier nicht selten individuell gewürdigt.98 Neben dieser länderweise vorgehenden Missionsrundschau finden sich in größeren Abständen ausführlichere Statistiken, die diese Informationen noch einmal zu einem globalen Stand des Christentums bzw. des Protestantismus aufrechnen. Bereits im zweiten Band von 1875 sieht sich Reinhold Grundemann anlässlich eines seiner Meinung nach korrekturbedürftigen Versuchs von amerikanischer Seite hierzu veranlasst (vgl. auch Grundemann 1881; 1885).99 Erwähnenswert sind dabei seine Überlegungen zu den Schwierigkeiten einer vergleichenden Gesamtstatistik, die in der „verschiedene[n] Praxis der Gesellschaften hinsichtlich der heil. Taufe“ (Grundemann 1875: 53) liegen. Auch in dem Verständnis über den Begriff des Kommunikanten herrsche Uneinigkeit; so werde darunter manchmal die Menge der tatsächlichen Kommunizierenden, ein anderes Mal die Zahl der prinzipiell Kommunikationsfähigen verstanden. „Doch mag uns der Gedanke“, so Grundemann (ebd.),

97 So liest man etwa im Jahre 1890 für Japan: „Wenn die statistischen Angaben pro 1888 vollständig sind, was ich kaum glaube [...], so hat sich im Laufe dieses Jahres – pro 1889 liegen die Angaben noch nicht vor – die Zahl der vollen Kirchenmitglieder (members) um 5685 vermehrt. 1887: 19829. 1888: 25514. Pro 1889 wird sie sicherlich auf 30000 gestiegen sein. Wie hoch sich die Zahl der evangelischen Christen überhaupt bzw. der sog. Anhänger beläuft, läßt sich kaum schätzen. Mehr als das Doppelte der Mitgliedersumme wird sie sicherlich betragen. Die letzten drei Jahrzehnte ergeben folgende Steigerung selbständige[r] Kirchenglieder: 1859: 0. 1869: c. 260. 1879: 2965. 1889: c. 30000. d.h. jedes Jahrzehnt brachte eine Verzehnfachung.“ (Warneck 1890: 135; Herv. i.O.) Es folgt darauf ein numerischer Vergleich mit der katholischen Seite, der aus der offiziellen Statistik „Missiones Catholicae“ zitiert und eine protestantische Überlegenheit sowohl in der Zahl als auch der Wachstumsrate konstatiert. 98 Siehe etwa die Missionsrundschau von 1882: „In Gudscharat, wo die irischen Presbyterianer eine bei uns wenig bekannte Mission haben, die jetzt über 900 Getaufte zählt und durch ihre Erziehungsanstalten, ihre Druckerei und sonstigen Unternehmungen einen gesegneten Einfluß übt, wurden im v. J. zwei hervorragende Männer getauft: ein Fakir, Namens Dschaffer Schah, ein sprachenkundiger ernster Mann von 28 Jahren, der jetzt bereits eine christliche Apologie gegen den Islam geschrieben, und ein sehr begabter und gelehrter Priester, Abdallah-Abiba, der von seinen zahlreichen Anhängern hoch verehrt worden war, im stillen aber bereits das Neue Testament zweimal durchgelesen hatte.“ (Warneck 1882: 285) 99 Vor dem oben erörterten historischen Hintergrund der modernen Statistik mit ihren zweierlei Ursprüngen in der ‚zahlenaffinen‘ political arithmetic und der ‚zahlenaversen‘ deutschen ‚Statistick‘ ist sein Urteil bemerkenswert, dass die „Missionsleute jenseits des Kanals und des Oceans etwas zu starke statistische Liebhabereien [haben]“; Angesichts einer Berechnung, die die Zahl der Missionare, die Arbeitsjahre und den Kostenaufwand für eine Verkündigung des Evangeliums an die gesamte Erdbevölkerung angibt, konstatiert er eine „mehr geschäfts- als missionsmäßige Rechenmethode“ (Grundemann 1875: 49).

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„daß die auf beiden Seiten gemachten Rechenfehler sich bei einer größeren Anzahl von Summanden einigermaßen ausgleichen, darüber trösten, daß die gewonnenen Zahlen doch einen annähernden Ausdruck für die wirklichen Verhältnisse geben, wenn wir uns den denselben zugedachten Begriff (Getaufte, Communicanten etc.) nach dem mittleren Durchschnitt seiner Bedeutungen bei den verschiedenen Gesellschaften klar machen.“

Grundemann plädiert indes für eine einheitliche Konvention in der Buchführung, die unter Kommunikanten Kommunionsfähige versteht – ein Plädoyer, das er im Laufe der Jahre wiederholt (vgl. etwa 1881: 315f.).100 Die Statistiken liefern in der Regel ausführliche Tabellen, die für die verschiedenen Missionsgesellschaften die weltweiten Zahlen der Stationen, Missionare, Kommunikanten, Gemeindeglieder, Schüler und Einnahmen in Mark angeben. Mitunter werden noch Angaben über den „Zugang der Getauften im letzten Jahre“ angeführt und für die einzelnen Sendungsländer eine „Kapitulation“ der Mission für jedes Empfängerland sowie eine „Generalkapitulation“ für jeden Kontinent und die Welt angegeben, um in einer „Generalübersicht“ über alle Sendungsländer mit einer Berechnung des Standes der gesamten protestantischen Mission zu schließen (vgl. Grundemann 1885: 257ff.). In ebenfalls unregelmäßigen Abständen finden sich in der Zeitschrift immer wieder Übersichten über religiöse Gesamtverteilungen auf dem Globus, zumeist aus anderen Quellen übernommen und kritisch diskutiert (vgl. etwa Warneck 1894: „Eine neue religionsstatistische Tabelle“; siehe auch Grundemann 1881: 321). Da das Zahlenmaterial für die anderen Religionen nicht im ähnlich regelmäßigen und zuverlässigen Maße verfügbar ist wie bei den protestantischen Missionsgesellschaften, sind solche quantitativen Vergleiche allerdings selten. Veröffentlichungen von Zensusergebnissen in den verschiedenen Ländern werden allerdings auch hier besonders im Hinblick auf ihre religionsstatistischen Anteile aufmerksam verfolgt.101 Auch die römisch-katholische Seite wird immer wieder unter quantitativen Gesichtspunkten und unter Konkurrenzvorzeichen beobachtet (vgl. etwa Warneck 1891: „Ein Blick in die offizielle römische Missionsstatistik“). Doch auch wenn Statistiken fehlen, sind die nicht-christlichen Religionen regelmäßig Gegenstand eigener Artikel; einerseits als Gegenspieler in der Mission, wie der Artikel „Mohammedanismus und Christentum im Kampfe um die Negerländer Afrikas“ (Merensky 1894) schon im Titel unmissverständlich zum Ausdruck bringt; andererseits als Missionsobjekt, wenn deren Anhänger in ihren charakteristischen Zügen, mit denen der Missionar zu rechnen und auf die er einzugehen hat, dargestellt werden (vgl. hierzu z.B. Haigh 1896: „Der Durchschnittshindu“). In diese letztere Kerbe schlagen auch zahlreiche Artikel, die ethnische Gruppen hinsichtlich ihrer kulturellen und linguistischen Merkmale profilieren (etwa Endemann 1876: „Die Sotho-Neger“). Ferner findet sich in regelmäßigen Zyklen eine „Geographische Rundschau“, die von den Entdeckungen neuester Landstriche und Volksstämme in den einzelnen Regionen wie von politischen Verschiebungen etwa in den Kolonialgebieten Auskunft gibt; dabei werden ebenfalls 100 Von Interesse ist dies nicht zuletzt unter dem globalitätsrelevanten Aspekt der „Standardisierung“ und der „Herstellung von Vergleichbarkeit“; siehe hierzu erneut Werron (2010); Heintz/Werron (2011). 101 So ist beispielsweise auch dort der indische Zensus im Blick; vgl. etwa Zahn (1894):„Der indische Regierungs-Census von 1891“.

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nicht selten die individuellen Publikationsorgane der Missionsgesellschaften zitiert. Wie Warneck (1874: 7) in seiner programmatischen Einleitung zur Zeitschrift ankündigt, geschieht dies stets im unmittelbaren Dienste des Missionsauftrags, obgleich mittelbare Erträge auch für die Wissenschaft abfallen: „Nicht bloß um die Schwierigkeiten zu begreifen, mit denen die Missionsarbeit zu kämpfen hat, sondern vornämlich um die richtigen Unterlagen zu gewinnen, auf die sie sich je nach der Individualität der verschiedenen Völker stellen muß und um den Nachweis zu führen nach wie vielen Seiten sie den mannigfaltigen Wissenschaften dient und von ihnen sich dienen läßt – ist eine möglichst genaue Kunde von Land und Leuten unerläßlich. Die ‚Allgemeine MissionsZeitschrift‘ muß daher nothwendig geographische, linguistische, anthropologische, ethnologische, culturgeschichtliche und besonders religionsgeschichtliche Fragen, soweit sie in einer Beziehung zur Mission stehen, in den Kreis ihrer Betrachtung ziehen.“ (Herv. i.O.)

Wie noch deutlich wird, gilt Letzteres auch noch für die gegenwärtige Missionsperspektive der pfingstlich-evangelikalen Bewegung. Die neue populationsbezogene Perspektive auf die religiöse Welt spiegelt sich in der Regel auch in den kartographischen Werken wider, die die Mission im 19. Jahrhundert begleiten. Exemplarisch sei hier der „Allgemeine Missionsatlas“ von Reinhold Grundemann (1867; 1869; 1870; 1871) herangezogen, einem Mitherausgeber der Allgemeinen Missions-Zeitschrift, der sich dort, wie oben gesehen, um viele der statistischen Gesamtübersichten verdient gemacht hat. Wie die Zeitschrift selbst verschreibt sich dieses Werk der Aufgabe, die verstreuten Nachrichten aus den einzelnen Missionsgebieten (buchstäblich) zu einem Gesamtbild zu vereinigen.102 Kartographische Zugänge zur weltreligiösen Situation wurden bereits im vorigen Teilkapitel dieses Exkurses näher in Augenschein genommen. In diesen frühen Versionen wurde die Ausbreitung bestimmter Religionen durch Flächen je besonderer Farbe markiert. Gerade im Kontrast mit den Karten Grundemanns tritt das genuin Neue der globalen ‚gesamtreligiösen‘ Betrachtung des 19. Jahrhunderts hervor. Letztere zeigen die Länder nun nach ihren „Religionsverhältnissen, und zwar in der Art, dass die Bevölkerungs-Dichtigkeit zur Grundlage genommen ist“ (Grundemann 1867: Abt. I, No. 1; Herv. M.P.).103 Unterschiedliche Farbintensitäten in den Karten der verschiedenen Kontinente vermitteln einen Eindruck über die Größe der Population bzw. die Anzahl 102 „So viel Missionsberichte man auch über solche Missionen liest, so bleiben die Eindrücke, die sie geben, in unserer Vorstellung nicht haften, weil wir nicht durch Kenntniss der verschiedenen Öffentlichkeiten, von den sie handeln, uns gleichsam ein Schema gemacht haben, wo wir jene Eindrücke eintragen und sammeln könnten. So bleiben wir denn in vielen Fällen gerade nur bei dem stehen, was eben der vorliegende Bericht uns giebt, und vermögen nicht die einzelnen Züge desselben nach einem bereits gewonnenen Gesammtbilde zu verstehen und zu beurtheilen.“ (Grundemann 1867: i) 103 Auch im „Evangelischen Missions-Magazin“ finden sich schon sehr früh ausfaltbare Weltkarten, die, wenn auch nicht farblich, ebenfalls Populationen bzw. Zahlenverhältnisse zwischen den Religionen berücksichtigen (vgl. etwa 1820: 16). Der „World Atlas of Christian Missions“ (Dennis et al. 1911) verzeichnet zwar anders als Grundemann alle Missionsstationen, liefert aber keine graphische Repräsentation von Bevölkerungs- bzw. Anhängerverhältnissen; Ähnliches gilt auch für Dennis (1902).

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der „Seelen pro Quadratmeile“ in bestimmten Arealen; eine Skala in der Legende ordnet den Farbkontinua die korrespondierenden Werte zu.104 Im Falle einer Kopräsenz mehrerer Religionen auf einem Gebiet richtet sich die Grundfarbe nach der „des herrschenden Volkes“ (Grundemann 1867: Abt. I, No. 1); die übrigen werden mit „Tüpfchen“ der ihnen zugeordneten Farbe ausgewiesen, und auch in diesem Fall wird dort, „wo statistische Angaben nicht gänzlich mangeln, durch die Grösse derselben ein ungefähres Zahlenverhältnis angedeutet“ (ebd.). Entsprechend findet sich bei solchen Karten auch eine Legende, die drei unterschiedlich großen Tupfern drei verschiedene Zahlenbereiche für die Anzahl von „Seelen“ (nun insgesamt, und nicht pro Quadratmeile) zuweist. Daneben wird in einzelnen Länderkarten ein genaues Bild über die Ausbreitung der Mission geliefert. Hier sind die Missionsgebiete der verschiedenen namentlich ausgewiesenen Missionsgesellschaften, teilweise auch der katholischen Mission, eingezeichnet. Gelegentlich geben die Karten Aufschluss darüber, ob dort bereits selbstständige Gemeinden bestehen. Die schriftlichen Berichte zu den einzelnen kartographisch abgebildeten Ländern und Gebieten führen oft genaue Religionsstatistiken an, auch zu den nicht-christlichen Religionen; auf der Seite des Christentums werden dabei die protestantischen Denominationen genauestens unterschieden (vgl. z.B. Grundemann 1867: Abt. I, No. 3 für Sierra Leone). Auf der Karte Indiens findet sich ein besonders bemerkenswertes Diagramm, das Auskunft „über das Zahlenverhältniss der verschiedenen Religionen in Indien“ gibt (Grundemann 1869). Dabei werden Rechtecke aufeinander projiziert, deren unterschiedliche Größe direkt über die verschiedenen Proportionen der Religionen („Heiden“, „Muhamedaner“, evangelische und katholische Christen) informiert. Die Populationsperspektive auf die Religionen, die das Missionsdenken des 19. Jahrhunderts prägt, tritt hier noch einmal anschaulich zutage.105 Die kalkulatorische Perspektive auf die religiöse Welt wird hier anschaulich in Verbindung mit dem geographischen Erdraum repräsentiert. Für dieses kartographische Begleitmaterial zur Mission lässt sich konstatieren, dass es Realität nicht einfach abbildet, sondern konstitutiv an der Konstruktion einer spezifischen Aufmerksamkeits- und Handlungsökonomie beteiligt ist.106 Auf eine allein durch das Bild zu bewerkstelligende Art verknüpfen sich hier globale Religionsverhältnisse synoptisch mit ihrer räumlichen Situierung. Durch die eigentümliche Darstellungsform drängen sich die Orte, an denen das Christentum besonders dünn ‚gesät‘ ist, unmittelbar auf; 104 Berücksichtigt werden „Juden“, die christlichen Konfessionen („römisch-catholisch“, „evangelisch“, „griech.-catholisch“ und „Monophysiten“), „Muhamedaner“ und „Heiden“, wobei bei Letzteren gegebenenfalls (etwa für Asien, vgl. Grundemann 1869) zwischen „Schamanismus resp. Naturreligion“, „Brahmanismus“ und „Buddhismus“ unterschieden wird. 105 Neben diesen visuellen Repräsentationen von globalen Religionsverhältnissen finden sich in den größeren Karten auch Angaben über die „ethnographische Verteilung der Völker“ sowie über die verschiedenen „Sprachfamilien und Sprachen“. 106 Vgl. zur These eines irreduziblen Eigensinns des Bildes, die die bildwissenschaftliche Diskussion weitgehend eint, Boehm (2007); Bohn (2001/2006); Krämer/Bredekamp (2003); Heintz/Huber (2001); Heßler/Mersch (2009); speziell zu Karten siehe Krämer (2008: 298ff.); klassisch dazu ferner Gombrich (1984).

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unter diesen heidnisch dominierten Regionen tragen wiederum diejenigen die penetranteste Farbe, die besonders dicht besiedelt sind und damit eine vergleichsweise große Zahl an unbekehrten ‚Seelen‘ auf sich vereinen. Das Bild erlaubt den Vergleich zwischen Regionen mit geringem und hohem Missionsfortschritt in einer Unmittelbarkeit, die die Syntheseleistung tabellarischer Darstellungen noch übertrifft. Statt eines neutralen Schaubilds, das sich der Repräsentation einer spezifisch religiösen Faktizität verschreibt, ist dies eine Darstellung, in dem der Missionsbefehl geradezu eingeschrieben ist. Die Handlungsorientierung wird klar durch die farbliche Präsentationsform, die Handlungsbedarf signalisiert und lokalisiert, geführt. In dieser Synopsis werden die lokal verstreuten Missionsaktivitäten und religiösen Verhältnisse gleichzeitig ‚entbettend‘ zusammengeführt und in ihrer (auf der Karte verortbaren) Lokalität belassen. Die Verknüpfung der global durchgreifenden quantitativen Logik der Mission mit der lokalen Situierung einzelner Missionsunternehmungen und religiöser Gruppen erfolgt rein ikonisch und somit auf einen Blick. Hier zeichnet sich deutlich die Reproduktion eines bekehrungsbezogenen Möglichkeitshorizonts ab. Ausgehend von einer interreligiösen Summenkonstanzlogik verändert jeder Akt der Bekehrung die weiteren Missionsmöglichkeiten: Ein Christ kann nicht erneut zum Christentum bekehrt werden und wo sich kaum noch Nicht-Christen befinden, ist eine Verlagerung der Mission angezeigt; etwa indem man, wie damals üblich, die ehemaligen Missionsstationen in kirchliche Zentren umwandelt und sie der Verwaltung durch Einheimische überlässt. Die Missionskarten heben diese Strukturierung möglicher Bekehrungen durch ihre Farbgebungen anschaulich hervor. Die Totalität dieser Perspektive im Sinne des hier veranschlagten Globalitätsbegriffs ist dadurch gewährleistet, dass dem Anspruch nach jede Konversion zum Christentum registriert wird und die weiteren Möglichkeiten der christlichen Mission global durchgreifend verändert. Wie in Kapitel IX deutlich wird, bezieht die pfingstlich-evangelikale Bewegung in diese kontinuierliche Bilanzierung noch die generellen Fluktuationen unter allen Religionen in die Reproduktion dieses Sinnzusammenhangs mit ein; die hierfür nötigen Informationen haben im 19. Jahrhundert noch weitreichend gefehlt, so dass allenfalls sporadische Schätzungen der weltreligiösen Zahlenverhältnisse publiziert wurden. An der Mission des 19. Jahrhunderts ist somit bemerkenswert, dass sich hier Instanzen und Unternehmungen wie die der Allgemeinen Missions-Zeitschrift und der Kartographie Grundemanns etablieren, die sich nicht der Missionstätigkeit selbst, sondern rein ihrer Beobachtung und Kalkulation in globaler Perspektive widmen.107 Mit Latour (1987: 215ff.; vgl. auch Robson 1992; Rose/Miller 1992: 185ff.) ließe sich hier von „centres of calculation“ sprechen. In ihnen werden „Inskriptionen“ akkumuliert, die Erfahrungen aus lokalen Kontexten kondensieren und transportieren. Je nach „Mobilität“, „Stabilität“ und „Kombinationsfähigkeit“ solcher „Inskriptionen“ lassen sich damit Begebenheiten und Sachverhalte aus unterschiedlichen RaumZeit-Kontexten in einem davon abgelegenen Zentrum zusammenführen und so ein 107 Vgl. zu der Rolle einer stärkeren Differenzierung von Handeln und Beobachtung für den Strukturaufbau sozialer Systeme Luhmann (1984a: 407ff.). Hier liegt auch die Brücke zu den bereits mehrfach erwähnten Arbeiten zu „Publika“ und „öffentlichen Vergleichsdiskursen“ von Werron (2010); Heintz/Werron (2011). Auf die systemtheoretischen Implikationen kommt Kapitel IX noch genauer zu sprechen.

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Weltausschnitt aus der Ferne (re-)konstruieren und gar dominieren, insoweit sich die Abhängigkeitsverhältnisse ein Stück weit umkehren: Handlungen können im Zentrum anhand des Weltmodells erdacht, geplant und erprobt werden, noch bevor man sich den ‚eigentlichen‘ Bedingungen aussetzt.108 Latour (1987: 215ff.) illustriert diesen Sachverhalt u.a. an kartographischen Expeditionen, die über schriftlich-zeichnerische Fixierungen lokale Anschauungen in die Heimat überführen und dabei selbst auf vorangegangenen Welterschließungen aufbauen, um Welt weiter kartographisch zu erschließen. Der konstruktive Aspekt wird indes insbesondere an seinem Beispiel zoologischer Taxonomien deutlich (Latour 1987: 225). Erst die Synopsis der aus vielfältigen Kontexten entstammenden Tierexemplare ermöglicht neuartige Klassifikationen, in denen sich Tiere aus Regionen, die unter Umständen mehrere tausend Kilometer entfernt sind, einer gemeinsamen Klasse zuordnen lassen.109 Hier machen sich die weltgesellschaftlichen Implikationen der Latour’schen Erörterungen bemerkbar (vgl. auch Heintz 2010: 166). Das Überführen lokaler Erfahrungen in immer höherstufige, abstraktere Inskriptionen und deren Reorganisierung unabhängig von ihrer ursprünglichen raum-zeitlichen Einbettung komprimiert Distanzen und führt vormals Entlegenes zusammen. Gleichzeitig drängen sich dabei aber auch differenzierungstheoretische Aspekte auf. Die Reorganisation und Synopsis je lokaler Sachverhalte kann dabei eigenen Sachgesichtspunkten folgen; die ursprünglich unzusammenhängenden Begebenheiten werden unter der Regie einer eigenlogischen Sinnperspektive in einen Zusammenhang gebracht. Dabei bilden Techniken der Formalisierung die Voraussetzung für diese „transversalen“ Verbindungen in einem Zentrum (vgl. Latour 1987: 241ff.). Im vorliegenden Zusammenhang wird damit eine der wesentlichen Funktionen der quantifizierenden Perspektive auf das Missionsunterfangen deutlich sichtbar. Die mannigfaltigen lokalen Kontexte, in denen christliche Mission stattfindet, werden in all ihrer Verschiedenheit und Spezifität durch die Reduktion des Geschehens auf wenige numerische Werte miteinander relationierbar. Durch eine Verknüpfung der vielen in räumlicher Hinsicht verstreuten missionarischen Aktivitäten wird im „Kalkulationszentrum“ die numerische Christenheit bzw. der christliche Bekehrungserfolg als ein permanent sichtbares Zahlenobjekt konstruiert, zu dem sich all die lokalen Missionsunternehmen dauerhaft in Bezug setzen lassen. Möglich wird dies durch die abstrahierenden Eigenschaften der quantifizierenden Perspektive, die sich über den reinen Zahlenbezug indexikalischer Bezüge weitgehend zu entledigen vermag (vgl. hierzu Heintz 2007a: 79). Espeland und Stevens (1998) sprechen in einem ähnlichen 108 Rose und Miller (1992) sehen darin im Anschluss an Foucault eine „gouvernmentalistische“ Form des Regierens, die sie als typisch für moderne liberal-demokratische Regierungsformen erachten; spezifische Wissensformen, die Konstruktion von statistischen Indikatoren und die damit verbundenen Standardisierungen und (selbst-)disziplinierenden Kontrollen ermöglichen ein Regieren bei weitreichender Autonomie der außerstaatlichen Sphären wie Wirtschaft, Gesundheit etc. Dieser Auslegung soll im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden, zumal sie für die Religion in diesem Zusammenhang nicht einleuchtet. Hier soll der Akzent vielmehr auf der Instituierung und Ausdifferenzierung einer spezifisch religiösen Aufmerksamkeitsökonomie globaler Extension liegen. Siehe zur Soziologie des „Accounting“ auch den nächsten Abschnitt. 109 Siehe hierzu im Allgemeinen auch Latour (1988).

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Zusammenhang von „Kommensuration“. Hochgradig Verschiedenes wird über die Transposition in ein quantitatives Medium vergleichbar gemacht. Dabei laufen die Wirkungen vom Zentrum ausgehend auch wieder zu den lokalen Kontexten zurück. Die Missionsgesellschaften vor Ort sind, um im Latour’schen Theoriegerüst zu verbleiben, mitsamt den Berichtsschemata, die zur Zählung der Konversionen anhalten, in ein weltumfassendes „Netzwerk“ eingespannt, das der Aufrechterhaltung einer numerischen Perspektive auf die religiöse Landschaft dient. Mit Giddens (1990: 14 und passim) ließe sich hier für den spezifischen Fall der Religion von einer „timespace-distanciation“ (und der „Phantasmagorie des Lokalen“) sprechen. Die Vergleichsperspektive, die in den Kalkulationszentren kultiviert wird, betrifft dabei nicht nur die verschiedenen Missionskontexte, die rechnerisch zueinander in Bezug gesetzt und in ihrem Bekehrungserfolg aggregiert werden. Diese Reduktion der Religion auf ihre Anhänger ermöglicht es darüber hinaus, prinzipiell alle Religionen der Welt im Hinblick auf ihre Anhängerzahlen in einen Vergleich hineinzuziehen, der von ihren beachtlichen qualitativen, etwa doktrinalen Differenzen absehen kann. Auf dieses Zahlenverhältnis stützt sich eine spezifische Aufmerksamkeitsökonomie, die vielfältige Handlungsorientierungen im Fluchtpunkt einer nachhaltigen Manipulationsabsicht hinsichtlich dieses Verhältnisses zusammenlaufen lässt: so etwa die der Missionsgesellschaften, der Bibelübersetzungen und der Missionszeitschriften. Wie im Schlusskapitel (X) der Arbeit zu zeigen ist, entsteht dabei eine Sinnsphäre, die in ihren Konsequenzen auch andere Religionen zu affizieren vermag. Um das vorliegende Kapitel abzuschließen, soll insbesondere im Hinblick auf diesen (im differenzierungstheoretischen Sinne) weltkonstruktiven Aspekt Anschluss an eine besondere Strömung der Accounting-Forschung gesucht werden, die auf die konstruktivistischen Implikationen von Buchführung und Zahlenmaterial hinweist. 2.8 Zu den wissenssoziologischen Implikationen des quantitativen Religionsvergleichs Dem Interesse für die in Zahlenperspektiven gründende Aufmerksamkeits- und Interventionsökonomie gilt es abschließend von der Warte der Accounting-Forschung nachzugehen. Dabei gilt es insbesondere die differenzierungstheoretischen Implikationen hervorzuheben. Solche sind schon am Anfang der soziologischen Beschäftigung mit Accounting durchaus im Blick. Für Max Weber und noch dezidierter für Werner Sombart galt die doppelte Buchführung als eine Errungenschaft, die konstitutiv an der Entstehung des Kapitalismus beteiligt war. Für Weber war die „rationale Buchführung“ neben der Trennung von Haus und Betrieb eines der beiden entscheidenden Entwicklungselemente, ohne die die moderne rationale Organisation des kapitalistischen Betriebs nicht möglich gewesen wäre (vgl. Weber 1920/1988: 8). Allein auf diese fortlaufende Kapitalrechnung, d.h. die Berücksichtigung der Anfangsund Abschlussbilanz jedes Unternehmens, konnte sich, so Weber, ein auf Dauer gestelltes, rationales Erwerbsstreben gründen, das den modernen Kapitalismus von anderen, wesentlich früher beobachtbaren Formen kapitalistischen Wirtschaftens, etwa dem Abenteurer-Kapitalismus, unterscheidet. Der ideelle Träger eines solchen methodischen Wirtschaftens war, so die bekannte These, zunächst die protestantische Ethik mit ihren religiösen Motiven zur methodischen Lebensführung, bevor sich diese Wirtschafts- und Berufsgesinnung von ihren religiösen Wurzeln löste und sich

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selbst zu tragen begann. Werner Sombart führt dagegen an, dass die doppelte Buchführung schon mehrere Jahrhunderte vor der Reformation in katholischen Ländern zu beobachten gewesen sei.110 Allerdings betont auch er den speziellen „kapitalistischen Geist“, der für ihn in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer rationalen Buchführungstechnik steht. Die „allgemeine Rechenhaftigkeit“ (Sombart 1919: 120) der modernen Wirtschaft, die das Wirtschaftsleben zunehmend ins Quantifzierende transponiert, begründet aus der Sicht Sombarts eine eigene Realität von objektiv verankerten Systemimperativen und dazugehörigen subjektiven Handlungsmotiven und Relevanzstrukturen (vgl. Vormbusch 2007: 46ff.). Die Praxis der doppelten Buchführung und die damit einhergehende Kapitalrechnung sind für ihn konstitutiv an der Entstehung der Erwerbsidee und damit der Logik eines kapitalistischen „Wirtschaftssystems“ beteiligt. Die Soziologie hat trotz ihrer anfänglichen Sensibilität für die konstitutive Rolle der buchführenden Kalkulation das Thema lange Zeit der Ökonomie und der reinen Buchhaltungstheorie überlassen.111 Daneben breitet sich jedoch seit einigen Jahren ein eigener Forschungszweig innerhalb der Accounting-Wissenschaften aus, der weitreichenden Gebrauch von soziologischer Theorie macht. Mit Selbstbezeichnungen wie „new“ oder „critical accounting discourse“ setzt er sich insbesondere von solchen Positionen ab, die die Accounting-Praxis allein unter Gesichtspunkten technischer Effizienz behandeln, ihr rein repräsentative, wirklichkeitsabbildende Eigenschaften zuschreiben und sie auf den Aspekt der doppelten Buchführung reduzieren, statt sie als breites Geflecht kalkulativer Praktiken zu sehen, die in einem Bedingungszusammenhang mit kontingenten diskursiven Kategorien stehen (vgl. Miller/Napier 1993; Hopwood/Miller 1994). Im Anschluss an Foucault wird dabei insbesondere auf die (selbst-)disziplinierenden Mechanismen, die mit den metrologischen Aspekten des Accounting verbunden sind, aufmerksam gemacht (vgl. Miller 1992; 2001; Miller/O’Leary 1987). Die kontinuierliche quantitative Evaluation von Leistungshandeln in der Organisation unter Zugrundelegung ebenso quantitativer Standards instituiert diesem Ansatz zufolge eine Form von „Gouvernmentalität“ (vgl. zum Konzept Foucault 1991), die in weiten Teilen auf die Selbstüberwachung von „calculating selves“ (Miller 1992) bauen kann. Es ist aber nicht dieser disziplinierende Aspekt, an den die vorliegenden Überlegungen vornehmlich anschließen wollen. Vielmehr soll es um den wirklichkeitsgenerierenden Effekt von kalkulativen Praktiken gehen, den diese neuere Literatur herausstellt, obgleich dieses Argument zumeist in Verbindung mit dem Hinweis auf die eben erwähnten machtbezogenen Implikati110 Auf die Kontroverse kann hier nicht eingegangen werden; vgl. hierzu etwa Aho (1981); derselbe hat jüngst erneut für die Sombart’sche Position argumentiert, indem er auf den wahlverwandtschaftlichen Zusammenhang von katholischer Beichte und doppelter Buchführung abstellt (vgl. Aho 2005). Für eine Untersuchung zum Zusammenhang von doppelter Buchführung und religiöser Moral im südamerikanischen Kontext vor und während der spanischen Kolonialisierung siehe Urton (2009). Für eine generelle Kritik an dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und doppelter Buchführung sei hier anstatt vieler Yamey (1949; 1964) genannt; siehe Derks (2008) für einen aktuellen Widerspruch gegen die These eines Zusammenhangs von Buchführung, Kapitalismus und Religion. 111 Vgl. zum Folgenden auch die Überblicke in Vollmer (2003: 354ff.); Vormbusch (2004: 35ff.).

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onen des Accounting auftritt. Die Zahlen, die vermittels Accounting-Techniken produziert werden, sind demzufolge nicht einfach als Parameter zu begreifen, die Wirklichkeit abspiegeln. Es geht dabei nicht um eine bloße Repräsentation von ökonomischen Prozessen. Vielmehr ist mit der Numerik eine selektive Perspektive auf die Realität geworfen, die diese nur ausschnitthaft mit den wenigen Parametern bemisst, die sie zu messen vermag und zu messen als nützlich erachtet (vgl. Morgan 1988: 480). Damit ist eine reduktionistisch-vereinseitigende Interpretation von Realität gegeben, die nur allzu leicht als Realität schlechthin genommen wird (vgl. Chua 1995: 140); dies umso mehr, als Zahlen von einer Aura der Objektivität und Neutralität umgeben sind (vgl. Porter 1995; siehe dazu Heintz 2007a). So produzieren Zahlen eine Sichtbarkeit, die auf Kosten der Relevanz qualitativer, nicht messbarer Kriterien geht, welche in der Folge unsichtbar bleiben.112 Nicht zuletzt deshalb kommt solchem Zahlenwerk ein transformativer Effekt auf den Bereich zu, den es abzubilden beansprucht. Beispiele hierfür finden sich insbesondere im Zusammenhang mit der zunehmenden Praxis des „Auditing“ und der Leistungsevaluation, die sich auch im außer-ökonomischen Bereich ausbreitet (vgl. hierzu Power 1999). Die (re-)konstruktiven Folgen für soziale Wirklichkeit gründen dabei in einer „Reaktivität“ (Espeland/Sauder 2007) auf die Messungen im Gegenstandsbereich selbst. Espeland und Sauder (ebd.) haben am Beispiel der Hochschulrankings eindrucksvoll beschrieben, wie statistische Vergleiche eine Sinnstruktur emergieren lassen, die spezifische Relevanzkriterien und Interpretationsschemata festschreibt, Aufmerksamkeit kontinuierlich bindet und dirigiert und so Handlungsorientierungen im Hochschulbereich neu ausrichtet. Dabei werden organisationelle Verbesserungen im Hinblick auf die Ranking-Parameter zum Teil explizit in der Zielstruktur der Hochschule verankert (vgl. ebd.: 15f.). Insgesamt kommt es zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen hinsichtlich der Allokation von Ressourcen innerhalb der Organisation, der Einstellungs- wie Aufnahmepolitik sowie der Einrichtung neuer Ressorts; all dies als Folge einer zunehmenden Ausrichtung auf die wenigen, durch das Hochschulranking institutionalisierten quantitativen Erfolgsindikatoren (vgl. ebd.: 24ff.). Dabei ist den beteiligten Akteuren nicht selten bewusst, dass dies auf Kosten der eigentlichen Ausbildungsfunktion der Hochschule gehen kann (ebd.: 26, 28). Der quantitative Vergleich, den diese Rankings veröffentlichen, konstituiert jedoch eine Realität, der sich selbst Skeptiker unter den Hochschulverantwortlichen nur bei Strafe des Untergangs entziehen können, sobald sich öffentliche Geldgeber, Bewerber etc. an den Zahlen zu orientieren beginnen (ebd.: 11ff.). Damit wird dem Bereich eine neuartige Logik aufgeprägt, die gegenüber den daran beteiligten Akteuren einen ganz und gar objektiven Charakter hat. Nichts anderes war, wie eingangs gesehen, auch Werner Sombart (und mit Einschränkungen Max Weber) in ihren Überlegungen zur doppelten Buchführung vor Augen. Auch hier vermag es der buchhalterisch erzeugte quantitative Wert des Profits als Differenz der Anfangs- und Abschlussbilanz, wirtschaftliche Handlungsorien-

112 Alexandra Heßling (2006) spricht hier von der „Paradoxie der Sichtbarkeit“; vgl. hierzu Heintz (2008: 119).

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tierungen ebenso nachhaltig wie zwingend auf sich auszurichten und so eine kapitalistische Sinnsphäre entstehen zu lassen:113 „In der doppelten Buchführung gibt es nur noch einen einzigen Zweck: die Vermehrung eines rein quantitativ erfaßten Wertbetrages. Wer sich in die doppelte Buchhaltung vertieft, vergißt alle Güter- und Leistungsqualitäten, vergißt alle organische Beschränktheit des Bedarfsdeckungsprinzips und erfüllt sich mit der einzigen Idee des Erwerbes: er kann nicht anders, wenn er sich in diesem Systeme zurechtfinden will: er darf nicht Stiefeln oder Schiffsladungen, nicht Mehl oder Baumwolle sehen, sondern ausschließlich Wertbeträge, die sich vermehren oder vermindern. [...] Mit dieser Betrachtungsweise wird der Begriff des Kapitals überhaupt erst geschaffen. Man kann also sagen, daß vor der doppelten Buchführung die Kategorie des Kapitals nicht in der Welt war, und daß sie ohne sie nicht da sein würde. Man kann Kapital geradezu definieren als das mit der doppelten Buchführung erfaßte Erwerbsvermögen.“ (Sombart 1919: 119f.; Herv. i.O.)

Der Sachverhalt der doppelten Buchführung wird somit in der Beschreibung Sombarts in mehreren Hinsichten ganz analog bewertet wie das Hochschulranking bei Espeland und Sauder. Auch im Falle der Buchführung geht es um eine tiefgreifende Umgestaltung der Aufmerksamkeitsökonomie durch eine Kalkulationspraxis, die die zugehörige Welt „in Ziffern auflöst“ (vgl. Sombart 1919: 120), mit ebenso durchschlagenden strukturellen Veränderungen in der Folge. Und ganz analog drängt sich diese Orientierung mit einer unerbittlichen Objektivität auf, der man sich nicht entziehen kann, ohne damit vollständig ‚aus dem Spiel‘ zu sein.114 Auch für die pfingstlich-evangelikale Aufmerksamkeitsökonomie sind unten ähnliche, wenn auch für die nicht-christlichen Religionen nicht annähernd so durchgreifende Effekte der Quantifizierung aufzuzeigen. Die obigen Erörterungen sind den Wurzeln einer solchen durch Religionsstatistiken (re-)konstituierten Sinnstruktur nachgegangen. Auch hier stehen Formen der ‚Buchführung‘ eng im Zusammenhang mit der Emergenz neuer Aufmerksamkeits- und Beobachtungsschemata. An zentraler Stelle steht dabei die Verbindung mit einer Semantik der ‚Population‘. Bei Graunt, Petty und Süßmilch kommen hier bereits buchhalterische Techniken der Bilanzierung zum Zuge, die Geburten und Todesfälle miteinander verrechnen. Schon bei Petty findet sich im ‚Quasi-Saldieren‘ der Anteile von Katholiken und Protestanten in Irland 113 Für Weber (1920/1988: 7) liegt das okzidentale Alleinstellungsmerkmal der Wirtschaft indes eher in der „rational-kapitalistischen Organisation von (formell) freier Arbeit“, obgleich diese auch für ihn nicht ohne rationale Buchführungstechniken (und die Trennung von Betrieb und Haushalt) zu denken ist; siehe auch mit direkter Bezugnahme auf Sombart Weber (1920/1988: 4, Anm. 1). 114 Man höre zu analogen Zwängen Max Weber (1920/1988: 37): „Die moderne kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird.“

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und England eine Übertragung dieser kalkulativen Praxis auf den Bereich religiöser Populationen.115 Im selben Jahrhundert finden sich auch erste Erhebungen religiöser Verteilungen von rein religiöser Seite. Erst im 19. Jahrhundert jedoch wird durch die kontinuierliche Beobachtung von religiösen Zahlenverhältnissen eine neuartige Logik des Vergleichs instituiert und der interreligiösen Dynamik eine neue Form aufgeprägt. Dies geschieht dort, wo eine regelmäßige Zugänglichkeit zu entsprechendem Zahlenmaterial besteht; so etwa in den englischen Kolonialregimen Asiens, wo im Rahmen des Zensus in kontinuierlichen Abständen Erhebungen über die aktuelle religiöse Verteilung angestellt und veröffentlicht werden; oder an den Orten, an denen die Religion selbst quantitative Vermessungen und Beobachtungen zuwege bringt und kontinuierlich publiziert; so im Deutschland des 19. Jahrhunderts, wo eine Buchhaltung und Bilanzierung der Zu- und Abwanderung zwischen Protestanten und Katholiken (mit entsprechend statistisch-administrativen Einrichtungen auf beiden Seiten) den interkonfessionellen Konflikt ebenso begleitet wie anheizt. Erst mit der fortlaufenden Registrierung von Konversionen und der damit zusammengehenden Anwendung von buchhalterischen Rechenpraktiken, anhand derer sich Verläufe und Veränderungen nachvollziehen lassen, wird – ganz in Analogie zu dem SombartArgument – ein spezifisch religiöses ‚Kapital‘ an Konvertiten konstituiert und sichtbar, auf das sich eine eigene Aufmerksamkeits- und Interventionsökonomie ausrichten kann: Die zählbare Konversion wird zum Fluchtpunkt des Handelns und Beobachtens. Die Weltmission des 19. Jahrhunderts bringt eine derartige religionsbezogene Reflexion quantitativer Veränderungen im globalen Maßstab in Gang. In ihr manifestiert sich eine globale Aufmerksamkeitssphäre: Jede Bekehrung wird kontinuierlich registriert und durch das Ins-Verhältnis-Setzen zu den anderen Religionen ein neuer weltreligiöser Zustand ‚verbucht‘. So tritt ein Beobachtungsgegenstand zutage, dem sich im Sinne des hier veranschlagten Globalitätsbegriffs eine Totalität bescheinigen lässt. Die gesamte Welt wird in Anhängerzahlen aufgelöst und jede Bekehrung zum Christentum registriert.116 Die dabei zum Tragen kommende Verbindung von buchhalterisch-bilanzierenden Reflexionsformen, wie sie seit dem 17. Jahrhundert den Diskurs über nationale Bevölkerungen prägten, und missionarischem Blick auf die weltreligiöse Landschaft beruht dabei, so wurde oben argumentiert, auf einem wahlverwandtschaftlichen Verhältnis. Das eschatologische Fundament der Mission, das von einer ewigen Verdammnis unbekehrter bzw. nicht-christlicher Individuen ebenso ausging wie von einer Beschleunigung der Parusie durch weltweit 115 Selbst in Quetelets (1835/1914: I, 107) Moralstatistik treten buchhalterische Denkmuster deutlich zutage, wenn er von einem gesellschaftlichen „Budget“ an spezifischem moralischen Verhalten spricht, das in seiner Regelmäßigkeit die finanziellen Jahresbilanzen des Staates übertrifft: „Es gibt ein Budget, das mit erschreckender Regelmäßigkeit bezahlt wird, nämlich das der Gefängnisse, Galeeren und Schafotte […]; und Jahr für Jahr haben die Zahlen meine Voraussagen dergestalt bestätigt, daß ich vielleicht noch zutreffender gesagt hätte: Es gibt einen Tribut, den der Mensch regelmäßiger bezahlt als denjenigen, welchen er der Natur oder dem Staatsschatze entrichtet; es ist derjenige, den er dem Verbrechen zollt!“ (Herv. i.O.) 116 Freilich werden diese Anhängerzahlen immer wieder geographisch-räumlich situiert; dies ließ sich bereits oben am Beispiel der Religionskarten und der einzelnen Länderbesprechungen in den Missionszeitschriften illustrieren.

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vollständige Konversion, legte das Zählen von ‚Seelen‘ gewissermaßen nahe. Dieses Denkmuster einer Buchhaltung von Bekehrungen konnte seine Plausibilität, wie gesehen, zusätzlich noch von anderer Seite beziehen. Die tabellarischen Berichte, die legitimitätsbescheinigend über das Haushalten mit Spendengeldern ebenso wie über etwaige Bekehrungserfolge der einzelnen Missionsgesellschaften Auskunft gaben, empfahlen analoge Präsentationsformen für die wirtschaftlichen und religiösen Komponenten schon durch das Nebeneinander in der Darstellung an. Das Denkmuster der doppelten Buchführung ist somit für die Beobachtung des Missionsunterfangens bestimmend.117 Die Logik gleicht dabei der statistisch-demographischen Erfassung von Populationen; einzig es sind nicht Staaten, sondern ein ‚gesamtreligiöser‘ Zusammenhang, der auf Zu- und Abnahme bzw. Fluktuationen zählbarer Individuen hin beobachtet wird. Man höre hierzu Warneck (1882/1913: 573f.), dessen Blick auf die Mission des 19. Jahrhunderts diese Perspektive noch einmal sehr deutlich exemplifiziert: „Angesichts einer nichtchristlichen Menschheit von noch ca. 1000 Millionen ist der numerische Erfolg der gegenwärtigen evang. Mission von rund 15 ¼ Millionen Heidenchristen (nach Abzug der Neger in den V.St. nur 6 ¼ Millionen) nicht viel, zumal wenn man die Tatsache dazu nimmt, daß zurzeit diese nichtchristliche Menschheit sich jährlich durch Geburten (wenn die Annahme um 12 pro 1000 nicht zu hoch gegriffen ist) um etwa dieselbe Summe vermehrt. Aber da sich die Zahl der Heidenchristen durch Taufen von Erwachsenen und Kindern prozentualiter stärker vermehrt als die Zahl der Heiden durch Geburten, so ist es ein täuscherischer Sarkasmus, zu höhnen, ‚die Mission gleiche einer Schildkröte, die mit einem Eisenbahnzug um die Wette läuft.‘ [...] Der statistische Missionserfolg vermehrt sich, wenn auch nicht in regelmäßig steigender, doch in steigender Progression, ähnlich einem Kapitale, bei dem Zins zu Zins geschlagen wird.“118 (Letzte Herv. M.P.)

In dieser Überlegung Warnecks tritt nicht nur die Kapitalanalogie, sondern auch die ‚diskursive‘ Nähe zu den Schriften der frühen ‚Statistiker‘ des 18. Jahrhunderts in der Berücksichtigung der Geburtenrate noch einmal in ausgezeichneter Deutlichkeit hervor. So kommt hier eine analoge Form der Berechnung eines täglichen Zuwachses von Christen und Heiden zum Zuge, wie sie Johann Peter Süßmilch, wie oben gesehen, im 18. Jahrhundert für die Erdpopulation im Allgemeinen angelegt hatte. Wie noch deutlich wird, stellt diese populationslogische Verrechnung von Geburten, Taufen und Todesfällen eine Semantik dar, die das Missionsunternehmen der pfingstlichevangelikalen Bewegung noch heute trägt. Mit dieser statistischen ‚Sichtbarmachung‘ von globalen Religionsverhältnissen verbindet sich ein Missionsunternehmen, das für seinen Fortbestand auf die fortdauernde Registration und Aktualisierung dieser Verhältnisse mehr oder weniger angewiesen ist – wenn auch zunächst weniger aus strategischen und logistischen Gründen als, wie es scheint, aus Gründen der Legitimation und Mobilisierung; es galt den Er117 Im Anschluss an Miller (1992) ließe sich hier differenzierungstheoretisch von einem „calculable space“ auf der Ebene eines gesellschaftlichen Teilsystems sprechen. 118 In einer Fußnote gibt Warneck (1882/1913: 574) dabei zwei statistische Tabellen unterschiedlicher Quellen an, die die Anteile der verschiedenen Religionen an der Weltbevölkerung (damals von ca. 1,5 Milliarden) angeben.

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folg der Mission zahlenmäßig fassbar zu machen und so gegen Kritiker und Skeptiker ins Feld zu führen.119 So muss man die Parallelisierungen zur wirtschaftlichen Buchhaltung entsprechend relativieren. Die Beobachtungslogik drängt sich hier nicht mit der gleichen Unerbittlichkeit auf, wie dies im Fall der Wirtschaft und ihrer Kapitalorientierung der Fall ist. Die Existenz der Missionsgesellschaft hängt hier kaum von Konversionen ab. Anders als dem unrentablen Wirtschaftsunternehmen droht der Missionsgesellschaft kein ‚Konkurs‘, wenn die Konvertiten ausbleiben. Sie kann von daher kaum eindeutig scheitern, wie es das Unternehmen kann. Tatsächlich sind die Bekehrungserfolge ja in vielen Fällen gering oder laufen nur allmählich an, so dass die Bekehrungsorientierung dann eher die ‚Begleitmusik‘ der stärker karitativen Unternehmungen bildet. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass man sich durch den Beobachtungsgegenstand der religiösen Zahlenverhältnisse faszinieren lässt und noch zusätzlich angehalten fühlt, die Erfolge zu zählen und aufzurechnen. Was Anthony Hopwood (1987: 225) in einem anderen Kontext für die Einführung spezifischer Accounting-Techniken festhält, lässt sich so in gewisser Hinsicht auch für die globale Religionsstatistik behaupten: „a socially constructed visibility created an enterprise organisationally dependent on the resultant knowledge“. So wird eine globale Sinnökonomie missionsbezogener Praktiken und Beobachtungsformen durch einen Diskursgegenstand in Gang gebracht und strukturiert, der über diese selbst erst in Erscheinung tritt und durch die auf ihn gerichtete Handlungsorientierung seine Realität erhält. So kann hier die am Anfang dieses Teilkapitels erwähnte differenzierungstheoretische Wendung Foucaults noch einmal aufgegriffen werden. Über spezifische kalkulative Praktiken und Diskursformationen tritt ein Objekt in Erscheinung, das eine spezifisch religiöse Ökonomie der Aufmerksamkeits- und Handlungsinvestition begründet. Die logische Zirkularität, die sich darin verbirgt, ist eine, die dem Gegenstandsbereich selbst inhärent ist. In ontologischer Hinsicht kommt dabei eine Duplizität von Konstruktivismus und Realismus zum Tragen, die auch Desrosières (2005) seiner Betrachtung der Geschichte der Statistik zugrunde legt. Statistische Parameter wie Arbeitslosenraten, Bruttoinlandsprodukte und Bevölkerungszahlen sind ihm zufolge ebenso real wie konstruiert. Konstruiert sind sie in dem Maße, als sie Produkt kontingenter und selektiver Rechenkonventionen sind, real in dem Maße, wie sie unabhängig von ihrem Ursprung zirkulieren und Bezugspunkt von Handlungen und Reflexion in anderen Kontexten als dem Produktionskontext werden (vgl. ebd.: 3ff.). Desrosières (ebd.: 11) spricht in diesem Zusammenhang von der „Objektivierungsarbeit“. Die Realität eines Objekts wie etwa der Arbeitslosenrate hängt dabei von dem „institutionellen und kognitiven Netz“ (ebd.: 369) ab, durch das es eingespannt wird. 119 Exemplarisch sei hier nur der Artikel „Der Missionserfolg in China. Eine Beleuchtung unbilliger Kritik“ (Warneck 1895) angeführt, der davon einen Eindruck vermittelt. Vgl. auch die programmatische Einleitung zur Zeitschrift „Dic cur hic? Unser Programm“: „Solche Sympathie zu wecken ist nun ein Theil der Aufgabe, welche sich die ‚Allgemeine Missions-Zeitschrift‘ gesteckt hat. Sie will den Versuch wagen auch da ein Verständniß für die Mission zu Stande zu bringen und dahin Kunde von ihr zu tragen, wo aus Vorurtheil und Mangel an Kenntniß Indifferentismus gegen sie herrscht, will den Aufrichtigen unter ihren Gegnern Gelegenheit zur Prüfung und den Zweiflern Material zur Bildung eines günstigen Urteils liefern.“ (Warneck 1874: 4; Herv. i.O.)

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Institutionen, die sich der Bearbeitung und Registrierung derartiger Parameter verschreiben, und Regierungen, die sich im Wahlkampf damit schmücken, leisten dabei ebenso einen Beitrag zur Objektivierung wie Polemiken, die einen solchen Realismus angreifen, solange Letztere nicht die Realität des Objekts selbst, sondern lediglich die Methoden zur Erfassung eines davon unabhängigen ‚wahren‘ Parameters anzweifeln. Diese wissenssoziologischen Interpretationen, denen letztlich das von Desrosières in diesem Zusammenhang nicht genannte Thomas-Theorem120 zugrunde liegt, lassen sich auch auf den vorliegenden religiösen Fall übertragen. Auch hier stützt ein institutionelles bzw. organisatorisches Geflecht von Missionsgesellschaften, individuellen wie allgemeinen Missionszeitschriften, Heimatgemeinden, aber auch lokalen staatlichen Zensuserhebungen das statistische Objekt von Religionsverhältnissen ebenso und in dem Maße, wie es davon seinen Ausgang nimmt. Es ist dabei bereits am Beispiel des Zensus in Indien deutlich geworden, dass die so etablierte und ausgerichtete Sinndomäne unter bestimmten Umständen in der Lage ist, auch nicht-christliche Religionen in ihren Bann zu ziehen. Diesem Sachverhalt gilt es im Schlusskapitel (X) dieser Untersuchung am Beispiel einiger Kontexte, in denen die pfingstlichevangelikale Bewegung mit anderen Religionen in Berührung kommt, näher nachzugehen. In den folgenden Kapiteln (VIII u. IX) ist jedoch zunächst die Aufrechterhaltung und Weiterführung der hier im 19. Jahrhundert entstehenden Sinnperspektive durch die pfingstlich-evangelikale Bewegung zu beleuchten. Nun werden auch die ‚Heiden‘ noch deutlicher als zuvor in spezifische Religionen aufgelöst, obgleich sich an dem Wahrheitsexklusivismus nichts ändert.121 Ferner werden auch die religiösen Verschiebungen zwischen den nicht-christlichen Religionen durch zugerechnete Akte der ‚Konversion‘ interpunktiert. Wie zu zeigen ist, gewinnt die Konversion im Rahmen dieser Beobachtungssphäre noch deutlicher die Qualität eines Elementarakts, der einen operativen Zusammenhang von Religionen unter einer Konkurrenzperspektive auszudifferenzieren vermag.

120 „If men define situations as real, they are real in their consequences.“ (Thomas/Thomas 1928: 572) 121 Vgl. zur Genese der modernen Taxonomie von Weltreligionen Masuzawa (2005).

VIII. Zur pfingstlich-evangelikalen Bewegung

Wie im vorangegangenen Kapitel vorgeführt, formierte sich im 19. Jahrhundert zwar weitgehend außerhalb der Amtskirchen, aber doch über nahezu alle protestantischen Denominationen hinweg eine Missionsbewegung, die dezidiert auf die Bekehrung bzw. Evangelisation der gesamten Weltbevölkerung setzte. Dieser Geist einte die Protestanten indes nicht weit über das 19. Jahrhundert hinaus. Bereits im Rahmen der Weltmissionskonferenz von 1910 in Edinburgh finden sich Anzeichen für ein Umdenken hinsichtlich des missionarischen Ansatzes. Es zeichnet sich bereits hier eine vergleichsweise ‚versöhnliche‘ Perspektive auf die ‚anderen‘ Religionen der Welt ab. In Edinburgh befasste sich eine eigens dafür eingerichtete Kommission mit der „Missionary Message in Relation to Non-Christian Religions“.1 Die Arbeit der Kommission beruhte u.a. auf einem Survey zu den bisherigen Erfahrungen der Missionare im interreligiösen Kontakt. Es kristallisierte sich dabei eine weitgehend neue Linie heraus, die die Emphase auf „Sympathie“ und „Respekt“ im Umgang mit anderen Religionen legte. Der missionarische Triumphalismus, wie er noch den Geist des vorangegangenen Jahrhunderts bestimmte, schwächte sich hier schon erheblich ab. In vielerlei Hinsicht wurden dabei die Perspektiven des interreligiösen Dialogs und der „Theologie der Religionen“ vorweggenommen, wie sie insbesondere im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts an Fahrt gewinnen (vgl. auch Tyrell 2004: 30f.). Gottes ‚planvolles‘ Wirken und Elemente von ‚Wahrheit‘ wurden nun auch in anderen Religionen gesehen. Dabei dienten mitunter die Formeln „fulfillment“, „completion“ und „transfiguration“ dazu, das Verhältnis des Christentums zu den anderen Religionen auf den Begriff zu bringen und einen neuen missionarischen Ansatz zu begründen: Andere Religionen wurden als „stepping stones to Christianity“ verstanden, in dem das Religiöse seine Vollendung findet (so der LMS-Missionar Frank P. Joseland, zit. n. Cracknell 1995: 221). Es galt also nicht, jene Religionen in der Mission ‚auszumerzen‘; sie figurierten nun vielmehr als ein „starting point to lead the people up to Christ’s revelation“ (so der Missionar O.J. Grainger, zit. n. Cracknell 1995: 222). Damit wird aber auch deutlich: Die lernbereite Dialogorientierung fällt hier keinesfalls mit einer pluralistischen Einstellung gegenüber anderen Religionen zusammen (vgl. Cracknell 1995: 259). An der Überlegenheit des Evangeliums wird nach wie vor festgehalten, und daraus folgt auch noch weiterhin die Priorität der Evangelisierung in der Mission und die Hoff-

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Vgl. hierzu und zum Folgenden Cracknell (1995: 181ff.).

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nung auf eine letztliche Christianisierung der Welt – wenn auch über Dialog statt über „Ikonoklastik“ und Polemik. Mit der Gründung des Weltkirchenrats 1948 nahm indessen eine weitere Verschiebung im Missionsverständnis ihren Lauf. So vertraute man in der Mission mehr und mehr auf humanitäre Hilfe statt auf Evangelisierung und Bekehrung zum Christentum.2 Eine entscheidende Zäsur bildet dabei das Papier „Missio Dei“, das Mitglieder des Internationalen Missionsrats 1952 in Willingen formulierten. Die davon ausgehende Rekonzeptionalisierung von Mission, die insbesondere durch Persönlichkeiten wie Johann Christian Hoekendijk vorangetrieben wurde, setzt auf das „Schalom“ in dieser Welt: Statt individuellem Seelenheil und der Verkündigung des einzigen Erlösungswegs über das Bekenntnis zu Jesus Christus stehen nun Beziehungen von „Mensch zu Mensch“ im Vordergrund. Mission konzentriert sich unter dieser Perspektive nicht auf Kirchenwachstum, sondern auf das Engagement für gerechtere soziale und politische Verhältnisse. Mit diesem Trend verbindet sich ein wachsender Einfluss liberaler Theologien, etwa im Gefolge Hockings (1932), die auch anderen Religionen Anerkennung zollen und die tradierte Haltung einer Überlegenheit der christlichen Botschaft in den Hintergrund treten lassen (vgl. Hutchison 1987: 158ff.). Folglich tritt damit auch die quantitative Erfolgsmessung zurück, deren Genese und Folgen im vorangegangenen Kapitel beleuchtet wurden. Diese Entwicklung des Missionsverständnisses innerhalb des Protestantismus ist nun insbesondere auf der Seite der amerikanischen Evangelikalen überwiegend mit Argwohn beobachtet worden. Unter dem Evangelikalismus wird gemeinhin eine denominationsübergreifende Reformbewegung innerhalb des Protestantismus verstanden, die auf das „First Great Awakening“ in Amerika (1730-1760) zurückgeht und ursprünglich mit den Personen George Whitefield, John Wesley und Charles Wesley verbunden ist.3 Als wesentliche Eigenschaften des Evangelikalismus gelten zum einen der Glaube an die Irrtumsfreiheit der Bibel als das „Wort Gottes“; der Glaube an den Kreuzestod Jesu Christi als Sühneopfer für die Sünden der Menschheit sowie die endzeitliche Erwartung seiner persönlichen, sichtbaren Wiederkunft; die Betonung persönlicher Bekehrung, die sich in einer „christlichen“ Lebensführung niederschlägt; ferner die Überzeugung, dass individuelles Heil ausschließlich durch das Bekenntnis zu Jesus Christus erlangt werden könne und anderenfalls ewige Verdammnis drohe. Schon daraus lässt sich leicht ersehen, warum man hier auch weiterhin an einer Missionsauffassung festhält, die an der Notwendigkeit einer weltweiten Heilsverkündigung und Bekehrung Nicht-Gläubiger zum Christentum keinen Zweifel lassen will. Das eigene Missionsverständnis wird dabei zum Teil ausdrücklich gegen die konziliäre Missionstheologie profiliert (vgl. etwa Glasser/MacGavran 1983: 100ff.).4 Be2 3 4

Siehe für eine Darstellung aus ‚externer‘, evangelikaler Perspektive Glasser/McGavran (1983: bes. 82ff.). Vgl. hierzu und zum Evangelikalismus Bebbington (1989: 1ff.); Hunter (1983: 7ff.); Soper (1994: 37ff.). Nicht zu vergessen ist dabei, dass auch auf katholischer Seite ein klares Bekenntnis zur missionarischen Ausrichtung der Kirche, im Sinne einer weltweiten Evangelisierung, zu finden ist (vgl. etwa Gensichen 1961: 49ff.). Das II. Vatikanische Konzil hat diese Perspektive trotz seiner interreligiösen Versöhnlichkeit mit dem Dokument „Ad Gentes“ nochmals

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deutsame Stationen und Dokumente in diesem Zusammenhang sind etwa die evangelikalen Deklarationen von Wheaton (1966) und Frankfurt (1970), die das Verhältnis von Mission und Sozialevangelium zum Gegenstand haben.5 Obgleich hier Versäumnisse im Bereich des sozialen Engagement eingeräumt werden, wird hier die unumstößliche Priorität der Evangelisation bekräftigt: „Humanization is not the primary goal of mission. It is rather a product of our new birth through God’s saving activity in Christ within us, or an indirect result of the Christian proclamation in its power to perform a leavening activity in the course of world history.“ (Frankfurt Declaration: §2) Dabei wird die Anerkennung jeglichen Erlösungspotentials anderer Religionen explizit abgelehnt und das Bekenntnis zu Jesus Christus als einziger Heilsweg herausgestellt.6 1974 folgte in Lausanne der „International Congress on World Evangelization“, in dessen Verlauf die Lausanner Verpflichtung verabschiedet wurde.7 Diese folgt essentiell der Linie, die bereits in Wheaton und Frankfurt vorgegeben wurde. Ausdrücklich wird wiederum die Überzeugung vertreten, dass ohne ein Bekenntnis zum Evangelium ewige Verdammnis drohe, und damit eine Absage an jeglichen gleichberechtigten interreligiösen Dialog erteilt, der als „Herabsetzung Jesu Christi und des Evangeliums“ angesehen wird (Lausanne Verpflichtung: §3). Unter dem Stichpunkt „Dringlichkeit der evangelistischen Aufgabe“ wird an die „über 2,7 Milliarden Menschen, mehr als zwei Drittel der Menschheit“ erinnert, die „noch mit dem Evangelium bekanntgemacht werden [müssen]“ (ebd.: §9). Die Brücke dieses evangelikalen Missionsverständnisses zur Mission des 19. Jahrhunderts liegt dabei

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bekräftigt. Diese Affinität im Missionsverständnis wird auf evangelikaler Seite auch gesehen und begrüßt (vgl. etwa Glasser/McGavran 1983: 167ff.). Allerdings: Anders als in der Missionsperspektive des evangelikalen Protestantismus wird im katholischen Missionsverständnis seit Vatikanum II nicht in gleichem Maße davon ausgegangen, dass diejenigen ohne Kenntnis des Evangeliums zur ewigen Verdammnis verurteilt sind. Im Dokument „Lumen Gentium“ des Vatikanum II wird festgehalten, dass auch solche, die unverschuldet keine Kenntnis vom Evangelium Christi haben oder noch nicht zur Anerkennung Gottes gekommen sind, „ewiges Heil erlangen“ (LG: 16). Damit geht der katholischen Mission zumindest ideell die Dringlichkeit ab, die ihr in den evangelikalen Vorstellungen zukommt. Mit der Befreiungstheologie findet sich zudem auch im Katholizismus eine Strömung, die den Akzent statt auf Bekehrung eher auf politisch-diakonisches Engagement legt; vgl. hierzu Gutiérrez (1988). Ob die missionarische ‚Rigorosität‘ auf der katholischen Seite auch de facto eine geringere ist, kann hier offen bleiben. Für die Wheaton Declaration siehe: http://www.wheaton.edu/bgc/archives/docs/wd66/ b01.html vom 20.10.2009. Für die Frankfurt Declaration siehe: http://www.institutdiakrisis.de/fd.pdf vom 20.10.2009. „We therefore challenge all non-christians, who belong to God on the basis of creation, to believe in Him and to be baptized in His name, for in Him alone is eternal salvation promised to them. We therefore oppose the false teaching (which is circulated in the ecumenical movement since the third General Assembly of the World Council of Churches in New Delhi) that Christi Himself is anonymously so evident in world religions, historical changes, and revolutions that man can encounter Him and find salvation in Him without direct news of the gospel.“ (Frankfurt Declaration: §3) Für die Lausanner Verpflichtung siehe: http://www.lausanne.org/de/covenant vom 20.10. 2009.

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nicht zuletzt im Fortbestehen chiliastischer Ansichten. Der Glaube an eine unmittelbar bevorstehende Wiederkehr Christi wird auch hier mit dem Missionsauftrag in Zusammenhang gebracht.8 Die weitere Betrachtung soll sich insbesondere einer ganz bestimmten Strömung innerhalb des Evangelikalismus zuwenden. Es ist dies die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA entstandene pfingstlich-evangelikale Bewegung. Das spezifische Interesse an ihr rührt daher, dass von ihrer Seite die (vor allem quantitativen) Semantiken und Beobachtungsperspektiven der protestantischen Mission des 19. Jhds. besonders emphatisch kontinuiert und im Hinblick auf andere Religionen noch erheblich erweitert werden. Von spezieller Relevanz ist dabei ihre amerikanische Prägung, die, wie zu zeigen sein wird, die Konstruktion ihrer ‚religiösen Umwelt‘ nachhaltig beeinflusst. Bevor sich die vorliegende Untersuchung allerdings der pfingstlich-evangelikalen Bewegung unter dem Gesichtspunkt der hier verfolgten Fragestellungen widmet, gilt es einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken.9 Schon hinsichtlich der Rede 8

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Vgl. hierzu §15 der Lausanne Verpflichtung („Wiederkunft Christi“): „Wir glauben, daß Jesus Christus persönlich sichtbar in Macht und Herrlichkeit wiederkommen wird, Heil und Gericht zu vollenden. Die Verheißung Seines Kommens ist ein weiterer Ansporn für unsere Evangelisation, denn wir gedenken Seiner Worte, daß die Botschaft zuerst allen Völkern verkündigt werden muß.“ (Herv. M.P.) Ich halte mich in diesem Kapitel insbesondere an die Darstellungen in Anderson (2004a); Bergunder (1999); Brouwer et al. (1996); Cox (1995); Hollenweger (1997); Reimer (1994); Zimmerling (2001; 2009). Einen aktuellen Überblick zum soziologischen Forschungsstand, allerdings mit Engführung auf Lateinamerika, liefern Schäfer/Simoncic (2009). Ferner lässt sich Martin (2002) als ein nach Kontinenten gegliederter Überblick über die soziologische Literatur zur Pfingstbewegung verstehen. Eine knappere Skizze soziologischer Perspektiven findet sich bei Bergunder (2000). Erste systematische soziologische Untersuchungen zum Pentekostalismus entstammen dem lateinamerikanischen Kontext; bis heute werden diesem die einschlägigsten soziologischen Befunde abgewonnen; klassisch etwa Willems (1967), der auf die positiven Wirkungen der asketischen Ethik der Pfingstler abstellt: Sie habe eine soziale Aufwärtsmobilität zur Folge und wirke in grundlegender Hinsicht an der Entstehung einer Mittelklasse in Lateinamerika mit; vgl. für ähnliche, daran anschließende Studien den Überblick in Martin (1990: 205ff.). Martin (1990) selbst hat Willems’ These noch deutlicher in Berührung mit Max Webers klassischen Untersuchungen zur protestantischen Ethik gebracht und dabei auch differenzierungstheoretisch argumentiert. Ihm zufolge komme dem Pentekostalismus in Lateinamerika aufgrund seiner individualistischen und voluntaristischen Potentiale ein ähnlich modernisierendes Potential zu wie etwa dem Methodismus in den USA und England (vgl. ebd.: 31ff.). Die traditionelle Einheit von katholischer Kirche und Politik werde aufgebrochen und die Ausdifferenzierung des Ökonomischen und des Politischen durch die Momente der persönlichen Wahl und Initiative, der individuellen Verantwortung und des Egalitarismus in Gang gebracht (vgl. ebd.: 231, 265). Gegen solche modernisierungsbezogenen Thesen wendet sich schon Lalive D’Epinay (1969), der in den Pfingstgemeinden in Lateinamerika ein bloßes Substitut für das paternalistische System der Hazienda sieht. Einer ähnlich kritischen, marxistisch inspirierten Interpretation der pfingstlichen Religion in Lateinamerika als ‚Opium des Volkes‘ folgt Bastian (1992). Diese These eines ‚affirmativen Charakters‘ der Pfingstbewegung hat wohl

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von der pfingstlich-evangelikalen Bewegung bzw. der „Pfingstbewegung“ sind terauch das breite politikwissenschaftliche Interesse an dem Verhältnis von pfingstlicher Religiosität und politischem Engagement befeuert; siehe hierzu etwa Ireland (1991); ferner Freston (1993; 2001) sowie Dodson (1997) und die weiteren Beiträge in Cleary/StewartGambino (1997); bezüglich der politischen Einstellungen und Praktiken der Pfingstler ergibt sich allerdings selten ein klares Muster. Für den lateinamerikanischen Kontext finden sich ferner zahlreiche vergleichende Untersuchungen zur Pfingstbewegung und der Befreiungstheologie, speziell was den unterschiedlichen ‚Erfolg‘ angeht. Genannt seien hier nur Burdick (1993) und Chesnut (1997; 2003), die beide auf attraktivere spirituelle Deutungsangebote der Pfingstreligiosität, aber auch der afro-brasilianischen Kulte verweisen; siehe ferner Mariz (1994). Brusco (1986; 1993; 1995) betont für den lateinamerikanischen Kontext die positiven Funktionen der Pfingstbewegung speziell für Frauen. Trotz patriarchalischer Strukturen sei der Lebenswandel, den die Gemeinden predigen, von „femininen“ Werten geprägt: sie propagierten einen Ethos der Mäßigung und Häuslichkeit, der dem lateinamerikanischen Machismo diametral entgegenstehe; speziell zur Geschlechterfrage auch Cucchiari (1990); Lawless (1988a); Martin (2001). Kritisch hierzu Riesebrodt (2000: 109ff.), der die Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Befunde über den lateinamerikanischen Kontext hinaus bezweifelt. Für allgemeine Untersuchungen zur Pfingstbewegung in Lateinamerika siehe ferner Garrard-Burnett/Stoll (1993); Lehmann (1996); Schäfer (1992; 2006); Steigenga/Cleary (2007); Stoll (1990); Wilson (1994) und die weiteren Beiträge in D. Miller (1994). Insbesondere für Lateinamerika finden sich auch Studien, die hinter der pfingstlich-evangelikalen Mission eine imperialistisch-ideologische Vereinnahmung von Seiten der USA vermuten; siehe nur Ezcurra (1983); ähnlich auch Huntington/Dominguez (1984), die in der pfingstlich-evangelikalen Mission anti-kommunistische Interventionsstrategien oder zumindest wahlverwandtschaftliche Verbindungen zu solchen wähnen. Auf eine Allianz zwischen neo-konservativer Rechten und evangelikaler Mission macht auch Diamond (1989) aufmerksam. Solche Ansätze, die bis hin zu „conspiracy theories“ (Escobar 1994: 112ff.) reichen, haben im katholischen Lager mitunter Thesen einer CIAlancierten „Invasion der Sekten“ befeuert. Gegen solche Theorien sprechen indes Untersuchungen, die auf die Indigenisierung und rasche Autonomisierung der neuen Gemeinden in den Missionskontexten verweisen; vgl. etwa Cleary (1999: 134); Martin (1990: 52f.; 2002: 169f.); Wagner (1974: 102). In eine ähnliche Richtung weisen auch Studien, insbesondere von anthropologischer Seite, die der ‚Dialektik von Globalität und Lokalität‘ am Beispiel der Pfingstbewegung auch außerhalb Lateinamerikas nachgehen; exemplarisch genannt seien etwa die Beiträge in Corten/Marshall-Fratani (2001), die auf die transnationalen Verbindungen ebenso wie die einbettenden Kontextualisierungen pfingstlicher Religiosität verweisen; zu Kontextualisierungen speziell in Ghana vgl. Meyer (1999); für Thailand vgl. Zehner (1996); für Indien vgl. Caplan (1989: 32ff.); für Korea vgl. Anderson (2004b). Auf die je „lokal[en]“, und „landestypisch[en]“ Prägungen des gleichwohl globalen Pentekostalismus verweist auch Casanova (2008: 332). Zur Globalisierung der Pfingstbewegung aus neo-institutionalistischer Perspektive siehe Lechner/Boli (2005: 173ff.); für eine kritische Untersuchung zur Globalisierungsfrage vgl. Brouwer et al. (1996). Jenkins (2002) macht auf die Konsequenzen einer zunehmenden Verschiebung des Christentums in die südliche Hemisphäre aufmerksam, für die die Pfingstbewegung maßgeblich verantwortlich zeichnet. Für eine umfassende Bibliographie zur Globalität der Pfingstbewegung siehe schließlich die Literatur auf http://www.glopent.net/ vom 18.08.2011.

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minologische Vorbehalte anzumelden. Zum einen lässt sich aufgrund der Vielschichtigkeit des Phänomens kaum von der Pfingstbewegung als homogenem konfessionellem Block ausgehen (vgl. dazu auch Schäfer 2006). Zum anderen kommen schon allein in der wissenschaftlichen Beschreibung des Phänomens vielfältige Termini zum Zuge, die nicht einheitlich verwendet werden. Während die Bezeichnungen „Pfingstbewegung“, „Pfingstlertum“, „Pfingstkirchen“, „Pentekostalismus“ weitgehend synonym gebraucht werden, zielt etwa der Begriff der „charismatischen Bewegung“ teilweise allein auf die pfingstliche Erneuerungsbewegung innerhalb der Traditionskirchen ab, teilweise auf die gesamte Pfingstbewegung.10 Ähnliche Unschärfen betreffen den Begriff des Neo-Pentekostalismus. Hierunter wird zum Teil die sich seit den 1980er Jahren formierende, noch zu erörternde „Dritte Welle“ verstanden (vgl. etwa Brouwer et al. 1996: 266f.), teilweise wiederum die unabhängigen Pfingstkirchen in der ‚Dritten Welt‘ (Anderson 2004a: 13; Hollenweger 1997: 1). Hinzu kommen terminologische Unschärfen im Verhältnis zum Evangelikalismus. Während häufig gerade von evangelikaler Seite eine Differenz zur Pfingstbewegung betont wird (siehe hierzu Reimer 1994: 5f.), wird in zahlreichen wissenschaftlichen Betrachtungen auch in Bezug auf die Pfingstkirchen undifferenziert vom evangelikalen Christentum gesprochen. Schließlich decken sich auch die Selbstbeschreibungen oftmals nicht mit diesen wissenschaftlichen Etikettierungen; so bezeichnen sich die neo-pentekostalen Kirchen der „Dritten Welle“ oftmals als „charismatisch“, wie es auch der ‚neo-pentekostale‘ Fernsehprediger Pat Robertson tut (vgl. Brouwer et al. 1996: 267). Um folglich das Phänomen der Pfingstbewegung hinreichend zu profilieren und terminologische Festlegungen zu treffen, soll im Weiteren wie folgt verfahren werden. Zunächst gilt es kurz die Entstehung der Pfingstbewegung zu schildern (1). Im Anschluss sind Kontinuitäten zu anderen protestantischen Strömungen anzuführen (2). Sodann gilt es die charakteristischen theologischen Elemente bzw. die ‚Phänomenologie‘ der Pfingstbewegung darzulegen (3). Der vierte Abschnitt stellt die in der Selbst- und Fremdbeschreibung der Pfingstbewegung weitgehend gängige Differenzierung in drei chronologische „Wellen“ und deren Unterschiede dar (4). Im Anschluss daran ist das pfingstliche Konversionsverständnis zu beleuchten (5), um davon ausgehend schließlich noch einmal auf das Missionsverständnis speziell der pfingstlich-evangelikalen Bewegung einzugehen (6).

1. D IE E NTSTEHUNG DER P FINGSTBEWEGUNG Die Wurzeln der Pfingstbewegung werden insbesondere mit zwei Personen in Verbindung gebracht.11 Es ist dies zum einen Charles Fox Parham, ein Pastor der methodistischen Heiligungsbewegung, der um 1900 in seiner Bibelschule der Bedeutung des Zungenredens nachging. Auf ihn geht die spezifische Auslegung des in der Apostelgeschichte geschilderten Phänomens zurück, die als das theologische Urmoment 10 So verwendet etwa Zimmerling (2009) die Bezeichnung „charismatische Bewegungen“ in der umfassenden Bedeutung, dabei aber ausdrücklich auf den Plural setzend. 11 Vgl. zum Folgenden insbesondere Reimer (1994: 7ff.); ferner Anderson (2004a: 19ff.) sowie Zimmerling (2009: 15ff.).

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der Pfingstbewegung gelten darf: Das Zungenreden bzw. die „Glossolalie“ wird hier als „initial sign“ für die Taufe durch den Heiligen Geist gedeutet; diese Geistestaufe wurde in der Heiligungsbewegung als zentrale Stufe einer „ordo salutis“ angesehen. In dem Versuch, diese spezifische Erfahrung ‚herbeizubeten‘, setzte die Glossolalie bei Parham und seinen Schüler 1901 schließlich ein, so dass man sich in der Folge der Verbreitung dieser Lehre im Land annahm. So erreichte sie auch den farbigen Prediger William J. Seymour, die zweite Schlüsselfigur in der Entstehung der Pfingstbewegung. Er kam in Houston, Texas, mit der von Parham gepredigten Doktrin in Berührung; Parham hatte sich hier 1905 mit seiner Bibelschule niedergelassen. Seymour, der sich die neue Lehre zu eigen machte, wurde 1906 als Pastor zu einer Gemeinde nach Los Angeles eingeladen; hier stieß er mit seiner Auslegung des Zungenredens allerdings auf Ablehnung. Einige Teilnehmer der Gemeinde nahmen Seymour jedoch bei sich auf und hielten regelmäßige Sitzungen ab, in denen sie für die Ausgießung des Geistes beteten. Schließlich brachen dort einige der Teilnehmer in Zungen aus; die ekstatische Veranstaltung währte mehrere Tage und zog immer mehr Neugierige an. Aus Platzgründen zog man in einen alten Schuppen in der Azusa Street 312 um. Hier fanden nun tägliche Versammlungen statt, die von emotionalen Ausbrüchen, Zungenreden und Gesang geprägt waren. Dieses Ereignis, das als der Urknall der Pfingstbewegung gilt, ist unter der Bezeichnung „Azusa Street Revival“ bekannt geworden. Es hatte auch deshalb einen spektakulären Charakter, weil es Weiße wie Schwarze gleichermaßen erfasste und beide Bevölkerungsgruppen zumindest anfangs in einer Bewegung versöhnte (vgl. auch Cox 1995: 58).12 Eine umfangreiche Berichterstattung verschaffte dem Ereignis auch jenseits der USA Aufmerksamkeit. Seit der ersten Stunde trugen zudem die Pfingstler selbst die neue Religiosität in die Welt hinaus (vgl. hierzu nur Anderson 2007). Seitdem hat das pfingstliche Christentum ein beachtliches, weltweites Wachstum an den Tag gelegt; es umfasst heute mehr als 600 Millionen Menschen (vgl. Johnson 2012). Der Missionserfolg betrifft dabei außerhalb Nordamerikas vor allem die Kontinente Südamerika (insbesondere, aber bei weitem nicht ausschließlich Brasilien, Chile, Argentinien und Guatemala), Asien (insbesondere, aber bei weitem nicht ausschließlich Südindien, Indonesien, Südkorea und China13) und Afrika (insbesondere, aber bei weitem nicht ausschließlich Nigeria, Ghana, Simbabwe, Kenia und Sambia) (vgl. Anderson 2004a). In Europa ist der Erfolg indes vergleichsweise bescheiden. Anderson (ebd.) liefert eine genauere Skizze der historischen Ausbreitungsbewegungen in den verschiedenen Kontinenten und Ländern, die hier beiseitegelassen werden soll.14 Stattdessen sei in diesem Zusammenhang auf die quantitative pfingstlich-evangelikale Selbstbeobachtung verwiesen (vgl. Barrett, Kurian et al. 2001: I, 20): Für das Jahr 12 Eine historisch-soziologische Studie zur Entstehung der Pfingstbewegung in den USA mit deutlich ideologiekritischen Zügen liefert Anderson (1979). 13 Vgl. zu China die Bemerkungen bei Anderson (2004a: 132ff.); hier handelt es sich eher um unabhängige (und zum Teil heimliche) Kirchen, die Affinitäten zu pfingstlichen Religionsformen aufweisen, ähnlich den African Independent Churches, die zum Teil auch zum Pentekostalismus hinzugezählt werden. 14 Vgl. zu den Erstkontakten (oft schon unmittelbar nach ‚Azusa Street‘) und Ausbreitungen in den verschiedenen Ländern und Kontinenten auch die jeweiligen Artikel der „Global Survey“ in Burgess/van der Maas (2002: 3ff.).

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1970 wird von 17.049.020 Anhängern der Pfingstbewegung in Afrika ausgegangen, von 10.144.120 Anhängern in Asien, von 8.018.180 in Europa, von 12.621.450 in Lateinamerika, von 24.151.910 in Nord-Amerika und von 238.240 Anhängern in Ozeanien. Im Jahr 2000 werden für Afrika demgegenüber schon 126.010.200, für Asien 134.889.530, für Europa 37.568.700, für Lateinamerika 141.432.880, für Nordamerika 79.600.160 und für Ozeanien 4.265.520 pfingstlich-evangelikale Anhänger veranschlagt. Dass diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, braucht nicht weiter betont zu werden. In diesem Zusammenhang sei ferner auf die besondere Ausbreitungsdynamik der Pfingstkirchen aufmerksam gemacht: Mag die Bewegung ihren Ausgang auch von Nordamerika nehmen, so sind lange nicht alle Gemeinden in administrative Strukturen nordamerikanischer Denominationen eingebunden. Es gehört zu den Eigenschaften der Pfingstbewegung, dass die ‚Gemeindeproliferation‘ mit einer weitreichenden Indigenisierung und Autonomisierung einhergeht (vgl. Cleary 1999: 134; Martin 1990: 52f.; Wagner 1974: 102); Luther Gerlach (1977: 680) spricht in diesem Zusammenhang von „halb-autonomen Zellen“ in einer „dezentralen“, „polykephalen“ sowie „netzförmigen“ Struktur.15 Gleichwohl kommt ihnen dabei die ‚amerikanische‘ Prägung, auf die es vor allem in Kapitel IX ankommen wird, nicht abhanden. Im Gegenteil: Die im Allgemeinen zu beobachtende hohe Unabhängigkeit der Gemeinden und ihre zahlreichen Neugründungen rühren wesentlich von dem amerikanischkongregationalistischen Charakter der Bewegung, auf den im folgenden Abschnitt 2 noch einzugehen ist. Es ist unter der Pfingstbewegung somit keine monolithische Einheit zu verstehen, sondern eher eine ‚denominationale‘ Landschaft von pfingstlich-evangelikalen Kirchen in reichlich heterogener Gestalt (vgl. unten, Abschnitt 3). Das ‚denominationale‘ Prinzip, das, wie noch deutlich wird, in der pfingstlichevangelikalen Missionsbeobachtung auf andere Religionen projiziert wird, trägt gleichzeitig auch die globale Diffusion der Bewegung selbst. Damit hat aber auch die Mission immer vielfältigere Ursprungsorte; seit einiger Zeit spielen neben den USA insbesondere Brasilien (vgl. Freston 2005) und Südkorea (vgl. Heuser 2011) eine wichtige Rolle in der internationalen Missionsarbeit.16 Auch im Zuge solcher Dezentralisierung verliert sich dabei der – im Laufe des 20. Jahrhunderts eher von nordamerikanischer Seite fortgeführte – Akzent auf quantitatives Wachstum nicht.

2. K ONTINUITÄTEN Wie Reimer (1994: 4) festhält, kann die Pfingstbewegung „nicht als ein völlig neuer Entwurf gesehen werden.“ Reimer (ebd.: 3ff.) stellt drei zentrale Kontinuitäten heraus: So steht die Pfingstbewegung in der Tradition des sich im 17. Jahrhundert in 15 Im Laufe von Kapitel IX gilt es immer wieder auf die ‚netzartigen‘ Strukturen aufmerksam zu machen, die die pfingstlich-evangelikale ‚Landschaft‘ zum Teil transkontinental durchziehen; sie kommen etwa in der Zirkulation von Videomaterial und spezifisch pfingstlicher Literatur zum Vorschein, aber auch in den überregionalen Einladungen pfingstlichevangelikaler Evangelisten und den vielfältigen Kooperationstätigkeiten insbesondere im Bereich der Mission. 16 Siehe dazu des Näheren auch Kap. IX.2.1.

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England formierenden und mit den Pilgern nach Amerika übersiedelnden Kongregationalismus. Dieser hat die protestantische Landschaft der USA entscheidend geprägt. Nicht zuletzt hierher rühren die soeben angedeuteten strukturellen Eigenschaften der Pfingstbewegung. So betont der Kongregationalismus die Autonomie der lokalen Gemeinde und damit vor allem die Unabhängigkeit nicht nur von staatlichen Instanzen, sondern auch von übergeordneten Kirchenstrukturen. Er zeichnet damit, so Reimer, maßgeblich für die weitreichende „Unbekümmertheit“ und Leichtigkeit verantwortlich, mit der in der Pfingstbewegung neue selbstständige Gemeinden gegründet werden. Auch Mead (1963/1987: 113ff.) hatte, wie oben erörtert, in diesem Zusammenhang dem amerikanischen Christentum eine weitreichende Geschichtslosigkeit attestiert. Wie auch in Kap. IX.3.2 noch einmal deutlich wird, verbirgt sich für den Pentekostalismus hinter solchen Gemeindeneugründungen ein zentrales, zum Teil kalkuliert eingesetztes Proliferationsprinzip. Zweitens konstatiert Reimer eine Nähe zum Pietismus und Methodismus im Gedanken der Bekehrung als Wiedergeburt und in der unmittelbaren Orientierung an der Bibel; auch gründet darin die Betonung, dass an die Konversion ein persönliches Glaubenszeugnis in der Gemeinde und Missionstätigkeit anzuschließen habe. Die Zentralität des persönlichen Glaubens, der über theologischer Expertise, Dogmatik und konfessionellen Grenzen steht, hat hier ebenso ihren Ursprung wie die Emphase auf intensives Gemeinschaftsleben im Zirkel von Gläubigen. Die Pfingstbewegung sieht Reimer drittens als direkten Nachkömmling der Erweckungsbewegungen, was sich insbesondere in ihrem Missionseifer und Missionsmethoden mit dem nachdrücklichen Akzent auf persönliche Bekehrung manifestiert: „Von hier stammt der starke evangelistisch-missionarische Impuls der Pfingstler mit dem Drang, die Massen zu erreichen (in offenen Evangelisationsveranstaltungen, heute v.a. auch über Massenmedien) und sichtbare Erfolge zu erzielen.“ (Reimer 1994: 5) Von den Erweckungsbewegungen übernimmt die Pfingstbewegung, so Reimer, auch die starke endzeitliche, eschatologische Orientierung. Diese bildete im 19. Jahrhundert, wie im historischen Exkurs erörtert wurde, die ideelle Basis und den wesentlichen Antrieb für den drastischen Missionswillen nicht nur in den USA. Die Erörterungen Reimers machen noch einmal die durch und durch amerikanische Prägung der Pfingstbewegung deutlich. Dies ist für die vorliegende Analyse von entscheidender Bedeutung, gilt es doch im weiteren Verlauf der Untersuchung aufzuzeigen, wie die pfingstlich-evangelikale Bewegung in weiten Teilen eine institutionelle Logik aus dem amerikanischen Kontext in ihrer Beobachtung und Missionsorientierung der gesamten religiösen Welt ‚überstülpt‘. Hollenweger (1997: 18f.; 1999) führt die Eigenschaften der klassischen Pfingstbewegung demgegenüber stärker auf eine Verwurzelung in einer afro-amerikanischen Spiritualität zurück. Hierzu zählen insbesondere die stark im „oralen“, spontanen Stil gehaltene Liturgie, ihr auffallend partizipatorischer und enthusiastischer Charakter, der narrative Charakter der Predigten und Zeugnisse sowie eine holistische Beziehung zu Körper und Geist, wie sie sich etwa in dem Glauben an Wunderheilungen manifestiert. Schließlich kam bereits oben zur Sprache, dass die Pfingstbewegung personell wie theologisch in enger Verbindung zur methodistischen Heiligungsbewegung stand; Letztere hatte bereits eine Lehre von der Geistestaufe vertreten, die von Charles Grandison Finney (1792-1876), Asa Mahan (1799-1875) und Thomas Cog-

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well Upham (1799-1872) am Oberlinseminar in Ohio entwickelt wurde. Unter der Geistestaufe wurde eine Wirkung des Heiligen Geistes verstanden, die von derjenigen zu unterscheiden sei, die sich bei der Buße, der Bekehrung und Wiedergeburt manifestiere (vgl. Zimmerling 2009: 44). Die spezifisch pfingstlichen Ansichten zum Wirken des Heiligen Geistes gilt es im Folgenden zu erörtern.

3. Z UR ‚T HEOLOGIE ‘

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Von einer distinkten pfingstlichen Theologie lässt sich eigentlich kaum sprechen. Eine solche ist bis heute nicht entwickelt (vgl. Macchia 2002). Entsprechende Lehrschriften fehlen nicht zuletzt wegen der weitgehend oralen, den persönlichen Glauben betonenden Verfassung der Pfingstkirchen; man will hier nicht über die Bibel hinausgehen (vgl. Reimer 1994: 18). In weiten Teilen gibt die Pfingstbewegung folglich ein typisch evangelikales Bild ab: Der Glaube an die Irrtumsfreiheit der Bibel, an den Kreuzestod Jesu Christi als Sühneopfer für die Sünden der Menschheit und an die Exklusivität des christlichen Heilswegs, die endzeitliche Erwartung der persönlichen Wiederkunft Christi, schließlich die Betonung persönlicher Bekehrung – all diese Eigenschaften kommen auch den Pfingstlern zu. Dies gilt selbst noch für den christozentrischen (i. Gs. etwa zu einem pneumatozentrischen) Glauben (vgl. Reimer 1994: 18ff.). Man darf die Pfingstbewegung damit in jeder Hinsicht dem evangelikalen Lager zuschlagen – obgleich insbesondere in den Anfängen der Pfingstbewegung die übrigen Evangelikalen den Pfingstlern gegenüber eine stark abwertende Haltung einnahmen (vgl. hierzu Blumhofer 1989: I, 179ff.; II, 13ff.). Das zentrale ‚interne‘ Unterscheidungsmerkmal des Pentekostalismus liegt dabei in der besonderen Betonung des Wirkens des Heiligen Geistes und seiner theologischen Deutung. An vorderster Stelle steht hier freilich die bereits mehrfach erwähnte Geistestaufe, für die in der Regel das Zungenreden als objektives Zeichen gilt. Sie hat allerdings keine sakramentale Bedeutung (vgl. Reimer 1994: 22). In Bezug auf die Heilsnotwendigkeit einer solchen Erfahrung und ihre Verbindung mit dem Zungenreden besteht keine einheitliche Lehre unter den Pfingstkirchen. Es wird darauf unter dem Punkt ‚Konversion‘ noch einmal zurückzukommen sein. Daneben findet sich eine Emphase auf weitere Geistesgaben bzw. Charismen: Dies sind die Prophetie, Heilungen von Krankheit sowie Exorzismen (vgl. Bergunder 1999: 183ff.; Reimer 1994: 22ff.; Zimmerling 2009: 86ff.). Bei der Prophetie handelt es sich in der Regel um die Erkenntnis der Gedanken und Gefühle anderer Personen bis hin zu umfangreicheren Weissagungen.17 Wunderheilungen werden zumeist per Heilungsgebet herbeizuführen versucht und dienen der Befreiung von körperlichen Gebrechen und allgemeinem Übel. Einen besonderen Fall der Heilung bildet der Exorzismus, mit dem zugleich der prägnante Dämonenglaube der pfingstlichen Religiosität angezeigt ist: „Charismatiker lehnen die ‚Entmythologisierung‘ des Bösen entschieden ab. Stattdessen verstehen sie die biblischen Aussagen über Satan und Dämonen wörtlich und rechnen mit deren Einfluss im Alltag [...].“ (Zimmerling 2009: 190) In diesem Zusammenhang ist auch die „spiritual warfare“ bzw. geistliche Kriegsführung zu sehen, die sich 17 Vgl. Bergunder (1999: 211ff.), dort mit zahlreichen Beispielen aus Interviews und anderen Quellen.

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dem z.T. ‚geostrategischen‘ Kampf gegen Satan und die Mächte des Bösen verschreibt (vgl. hierzu Brouwer et al. 1996: 8 u. passim; Zimmerling 2001: 365f.).18 Trotz dieser Attribute geben die Pfingstkirchen auch hier kaum ein einheitliches Bild ab; verschiedene Akzentsetzungen und zahlreiches praktisches ‚Sondergut‘ sorgen für weitreichende Unterschiede. Auch in organisatorischer Hinsicht nimmt die pfingstlich-evangelikale Religiosität vielfältige Formen an, die mitunter recht unterschiedliche Publika ansprechen. Es findet sich ein Spektrum „ranging from the fundamentalist and white middle class ‚megachurches‘ to indigenous movements in the Third World that have adapted to their cultural and religious contexts to such an extent that many western pentecostals would probably doubt their qualifications as ‚Christian‘ movements“ (Anderson 1999: 19f.). Die Einrichtung von kleineren Pfingstgemeinden in Garagen und Hinterhöfen ist dabei ebenfalls keine Seltenheit; schließlich wird innerhalb der Pfingstbewegung üblicherweise wenig Wert auf eine klassische Ausbildung zum Pastoren gelegt und stattdessen das ‚Priestertum aller Gläubigen‘ betont und auf ‚charismatische‘ Qualifikation gesetzt. So berichtet auch Reimer (1994: 21) von einem weitreichenden Zurücktreten alles Institutionellen, d.h.: „übergreifende Organisationen, feste Ordnungen, kirchliche Ämter, Lehren und auch kultische Handlungen (Sakramente)“. Dieser Diversität entsprechend fehlt es nicht an Erörterungen, die die Pfingstbewegung eher auf der Ebene des ‚Fluid-Kulturellen‘ zu erfassen suchen oder als loses Ensemble religiöser Muster betrachten (vgl. etwa Berger 1997: 27f.; Cox 1995: 246f.; Martin 2002: 176; Poewe 1994). Auch Brouwer et al. (1996: 6) reden von einer „international religious culture“, die von unabhängigen Kirchen und Gemeinden transportiert wird, aber auch in die traditionellen Kirchen Eingang findet.19 Cox (1995: 81ff.) versucht, das Phänomen der Pfingstbewegung über eine dreidimensionale ‚Phänomenologie‘ zu erfassen, die das ‚Urprüngliche‘, ‚Elementare‘, ‚Tiefenstrukturelle‘ der pfingstlichen Religiosität betont: Dies manifestiert sich für Cox zum einen in „Primal Speech“, wie sie sich in ekstatischen Enunziationen und dem Reden 18 Diese Perspektive geht im Wesentlichen auf die Schriften von Wagner (1991) und Dawson (1989) zurück. Anders als in der quantitativen Perspektive der globalen Konversionsbilanzierung ist die ‚Geostrategik‘ hier lokaler bzw. regionaler orientiert. Es geht vor allem um Städte und lokale Gemeinden, die unter „Jurisdiktion“ bestimmter Dämonen liegen; gegen diese gilt es dann ‚anzubeten‘. Dieser Gedanke „territorialer Mächte“ scheint aber eher eine vergleichsweise randständige Marotte, die auch innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nicht unumstritten ist (vgl. etwa die verstreuten Klagen über entsprechende Anfeindungen in Wagner 1991). Wenn auch von den entsprechenden Vertretern bisweilen Berührungspunkte zu der im Laufe des nächsten Kapitels zu erörternden Sinnperspektive hergestellt werden, finden sich ausgehend vom Konzept territorialer Dämonen kaum dezidierte Globalitätsperspektiven, etwa im Sinne einer lückenlosen ‚dämonologischen‘ Kartographie der Welt. Im Material der zentralen Bilanzierungsagenturen, denen sich das nächste Kapitel zuwendet, finden sich so gut wie keine relevanten Spuren dieses territorialdämonologischen Ansatzes. Die vorliegende Untersuchung lässt ihn im Weiteren entsprechend beiseite. 19 Dies trifft sich im Übrigen mit dem obigen Einwand gegenüber Luhmann, dass Religionen sich nicht leicht als Teilsysteme von Funktionssystemen, sondern eher als Kultur oder Semantiken auffassen lassen (siehe Kap. III).

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in Zungen darstellt; ferner in „Primal Piety“ als einer Form der Frömmigkeit, die insbesondere in Visionen, Heilungen, Tanz und anderen „archetypischen“ Expressionen zur Geltung kommt; schließlich in „Primal Hope“, mit der die chiliastische, vor allem prämillenaristische Eschatologie der Pfingstler gemeint ist (vgl. hierzu auch Blumhofer 1989; Dayton 1987). Ähnlich geht auch Bergunder (1999: 169ff.) in seiner Charakterisierung der südindischen Pfingstbewegung vor: Zu den drei „Leitmotiven“ zählt er die „Gotteserfahrung“, wie sie sich im Zungenreden, in Visionen, Träumen und Prophetie niederschlägt; „Gebet und Segen“, womit der Glaube an die Kraft der Fürbitte und ihre Wirkmächtigkeit in Wunderheilungen und Exorzismen gemeint sind; schließlich eine „intensive eschatologische Naherwartung“, die allerdings der „diesseitigen“ Orientierung der Pfingstler, wie sie sich Bergunder (1999: 176) zufolge etwa in der tagtäglichen Versicherung des Segens Gottes zeigt, keinen Abbruch tut. Flankiert werden solche Darstellungen zumeist durch Versuche, sich der Pfingstbewegung über eine ‚Typik‘ ihrer Gottesdienste zu nähern (vgl. hierzu Anderson 2004a: 1ff.; Bergunder 1999: 257ff.; Cox 1995: 5f.). Pfingstgottesdienste zeichnen sich insbesondere durch ihren spontanen Charakter aus. Der Predigtstil hat einen anekdotischen, impressionistischen und mitreißenden Charakter; daneben findet sich immer wieder Gelegenheit zu persönlichen „Zeugnissen“, Fürbitten und Berichten über eigene Bekehrungen und Gotteserfahrungen von Individuen aus der Gemeinde. Der spontane Ausbruch von Lobpreisungen, Emotionen und ekstatisch-jauchzenden „Geisterfahrungen“ innerhalb der Gemeinde interpunktiert in der Regel den gesamten Gottesdienst. Damit geht ein hoher Körpereinsatz einher: Spontanes Aufspringen, Klatschen, das Hochreißen der Arme, gar Tränen, Ohnmachtserfahrungen und ein Zu-Boden-Gehen lassen sich hier beobachten. In der Regel bilden zudem zeitgenössische musikalische Elemente einen wichtigen Bestandteil der Gottesdienste und verleihen den Pfingstlern gerade auch unter Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen eine vergleichsweise hohe Attraktivität (vgl. Miller 1997: 121 u. passim). In dieser akzentuierten Stellung des pfingstlich-evangelikalen Gemeindegottesdienstes kommt noch einmal der kongregationalistische Charakter der Bewegung zum Vorschein. Im partizipativen Charakter wird dem ‚Gemeinschaftsakzent‘ der Gemeinden Ausdruck verliehen. Wo dieser wegen den zum Teil beachtlichen Größen pfingstlich-evangelikaler „megachurches“ in den Hintergrund zu treten droht, sorgen kleinere Zellgruppen für die starke Einbindung der Individuen in den Gemeindezusammenhang; auf diese ‚Eingemeindung‘ der Konvertiten wird unten (IX.3.2.2) noch näher einzugehen sein. Die emotional-enthusiastische, lebhafte Typik der Gottesdienste bestimmt im Übrigen gerade auch das innerchristliche Profil der Pfingstbewegung; sie wird bisweilen gegen die „Geistvergessenheit“ der christlichen Traditionskirchen ausgespielt (vgl. hierzu auch Zimmerling 2009: 29ff.). Neben Versuchen, der Pfingstbewegung als Ganzes gerecht zu werden, gibt es innerhalb wie außerhalb der Bewegung die Konvention, dreierlei „Wellen“ des Pentekostalismus zu unterscheiden. Diesen gilt es sich im Folgenden zuzuwenden.

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4. D IE

DREI

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„W ELLEN “

In der Regel werden drei unterschiedliche Segmente der Pfingstbewegung terminologisch auseinandergehalten und chronologisch als „Wellen“ geordnet (vgl. Zimmerling 2009: 15ff.): Es sind dies zum einen die klassischen Pfingstkirchen, die historische Bezüge zum „Azusa Street Revival“ in Los Angeles behaupten und sich als Denominationen verstehen. Hierzu zählen beispielsweise die Assemblies of God und Church of God in Christ. In den 1960er Jahren hat daneben als „Zweite Welle“ eine Charismatische Erneuerungsbewegung innerhalb der traditionellen Kirchen ihren Anlauf genommen, zunächst in den protestantischen Kirchen, schließlich auch in der katholischen Kirche. Hier finden sich Bestrebungen, charismatische Elemente im Rahmen der jeweiligen Konfessionen zu betonen und zu integrieren; zumeist geschieht dies in Anerkennung und mit dem Wohlwollen der jeweiligen Hierarchien. Als „Dritte Welle“ schließlich bezeichnen sich charismatische Evangelikale, die den ersten beiden „Wellen“ sympathisierend gegenüber stehen, sich aber gleichwohl in einigen Hinsichten von diesen absetzen (vgl. Wagner 1988: 843). Sie legen eine besondere Emphase auf „Zeichen und Wunder“ und das Heilungsgebet, während das Zungenreden eher eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. auch Brouwer et al. 1996: 43ff.). Insbesondere mit dieser dritten Strömung verbindet sich seit den 1980er Jahren eine neue Prominenz der Themen der „Weltevangelisation“ (siehe hierzu unten, Abschnitt 6) und des „Gemeindewachstums“ (vgl. Kern 1997: 158). So hat die „Dritte Welle“ eine, wie Zimmerling (2009: 19, Anm. 39) es ausdrückt, „personell[e] und ideell[e]“ Verbindung zur noch näher zu betrachtenden, ursprünglich rein evangelikalen Gemeindewachstumsbewegung bzw. dem „church-growth-movement“: C. Peter Wagner (USA), der die Selbstbeschreibungsformel der „Dritten Welle“ erfand, sowie David Yonggi Cho (Süd-Korea) sind wesentliche Vertreter beider Strömungen. Weitere Schlüsselfiguren der „Dritten Welle“ sind bzw. waren die prominenten Prediger Ulf Ekman (Schweden), Edir Macedo (Brasilien), Benson Idahosa (†) (Nigeria) und John Wimber (†) (USA). Auch Reinhard Bonnke, ein deutscher Pfingstpastor und Christ-for-All-Nations-Gründer, der seit Ende der 1970er Jahre mit spektakulären Evangelisationskampagnen insbesondere in Afrika von sich reden macht, hat vielfältige Verbindungen zu führenden Köpfen der „Dritten Welle“.20 Nicht nur in diesen personellen Verbindungen zeigt sich die globale Verbreitung der Gemeindewachstumsperspektive. Die entsprechenden Materialien und Anleitungen zum Kirchenwachstum zirkulieren weltweit und liegen selbst in kleinen Gemeinden aus. Rosalind Hackett (1996: 76) macht etwa auf die umfassende Verbreitung der Literatur und Gedanken von Yonggi Cho aufmerksam. Hierzu zählt vor allem das zum Großteil auf ihn zurückgehende Zellstrukturprinzip, dem sich die Untersuchung unten (IX.3.2.2) noch zuwenden wird. Die „Dritte Welle“ ist ferner ein wesentlicher Promotor des „Wohlstandsevangeliums“ bzw. „Word-of-Faith-Evangeliums“, wie es etwa durch die Pfingstler Kenneth E. Hagin und Kenneth Copeland ausgelegt und vertreten wurde bzw. wird (vgl. Brouwer et al. 1996: 20ff.; Zimmerling 2009: 174ff.). Hier wird ein Kausalzusammenhang zwischen dem Glauben und der Spendenbereitschaft des Individuums und 20 Vgl. http://www.relinfo.ch/cfan/info.html, zuletzt abgerufen am 31.05.2011.

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einer gesundheitlichen Heilung und materiellem Wohlstand hergestellt; entsprechend findet sich für dieses Evangelium auch die Bezeichnung des „Health-and-WealthGospel“ (vgl. Brouwer et al. 1996: 59). Neben diesen drei „Wellen“ werden nicht selten unabhängige, indigene Kirchen mit Schwerpunkt in der Dritten Welt und eher phänomenologischen als nominellen Affinitäten zum Pentekostalismus als eigenes Segment unterschieden (Hollweger 1997: 1).21 Die Übergänge insbesondere zwischen klassischem Pentekostalismus und der „Dritten Welle“ sind fließend (Brouwer et al. 1996: 29; Walker 1997: 24). Selbiges gilt für die Grenzen zwischen Pentekostalismus und nicht-pfingstlichem Evangelikalismus. Auch hier finden sich in der Praxis vielfältige Übergänge, die es müßig und äußerst diffizil machen, klare Grenzen zu ziehen (vgl. Martin 1990: 52).22 Sofern 21 Auch Zimmerling (2009: 26ff.) unterscheidet noch zusätzlich „Unabhängige Gemeinden und Werke“; eine Unterscheidung, die aufgrund der geringen Trennschärfe insbesondere zur „Dritten Welle“ allerdings wenig einleuchtet. 22 Hinsichtlich der Pfingstbewegung ebenso wie des Evangelikalismus wird häufig auf den Begriff des Fundamentalismus zurückgegriffen (vgl. zu dieser Frage Spittler 2000). Hier soll indessen für die pfingstlich-evangelikale Bewegung auf den Begriff verzichtet werden. Dies liegt nicht nur an dem ‚buzz-word‘-Charakter des Wortes, der zu Lasten begrifflicher Schärfe geht (für die Herkunft des Begriffs siehe Riesebrodt 1990: 12). Insbesondere die differenzierungstheoretisch relevanten Implikationen des Fundamentalismusbegriffs veranlassen zu dem Verzicht. So werden dem Terminus insbesondere solche religiösen Bewegungen subsumiert, denen man entdifferenzierende Ambitionen vor allem im Verhältnis zur Politik zuschreiben kann. Genannt sei hier nur eine jüngere Definition von Schäfer (2008: 18ff.), die zwei Aspekte in den Vordergrund stellt: den absoluten Geltungsanspruch hinsichtlich religiöser Überzeugungen und Glaubensätze einerseits, ein daraus abgeleitetes Streben nach gesellschaftlicher Dominanz und einem religiösen „Diktat“ hinsichtlich des öffentlichen wie privaten Lebens andererseits. Insoweit für den vorliegenden Zusammenhang aber gerade solche Aspekte der pfingstlich-evangelikalen Bewegung relevant sind, die sich für die Ausdifferenzierung einer rein religiösen Dynamik in Beschlag nehmen lassen, würde eine solche Begrifflichkeit dem Fokus der Untersuchung geradezu entgegenlaufen. Entsprechend sieht die Arbeit davon ab und enthält sich zugleich einer Antwort auf die Frage, ob man es hier in sonstiger Hinsicht mit einer fundamentalistischen Bewegung zu tun hat. Aus demselben Grund wird auch von dem Begriff der „sozialen Bewegung“ abgesehen; schließlich ist gerade von systemtheoretischer Seite in diesem Zusammenhang der „Protest“ gegen funktionale Differenzierung und ihre Folgen betont worden (vgl. etwa Luhmann 1996c: 76). Hinsichtlich der Fundamentalismusfrage übersehe ich indessen nicht, dass gerade der absolutistische und exklusivistische Wahrheitsanspruch den entscheidenden Promotor der Missionsanstrengungen konstituiert und damit für Differenzierungsdynamiken wesentlich verantwortlich zeichnet. Zum anderen wird das Schlusskapitel (X) eine ‚Verwicklung‘ in die darauf beruhende Sinndynamik insbesondere auf Seiten solcher religiösen Strömungen aufzeigen, die sich tatsächlich auch unter differenzierungstheoretischen Gesichtspunkten als fundamentalistisch und um Entdifferenzierung bemüht charakterisieren lassen; also insbesondere dort, wo sich religiöse Perspektiven mit nationalistischen und ‚ethnisch-kommunalistischen‘ Ambitionen verbinden. Es mag kein Zufall sein, dass sich auf nicht-christlicher Seite insbesondere derlei religiöse Bewegungen und Gruppen in eine Konkurrenz um religiöse Anhänger hineinziehen oder zumindest davon erheblich beein-

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in der vorliegenden Untersuchung von der „pfingstlich-evangelikalen Bewegung“ die Rede ist, ist damit eine gewisse Engführung deutlich gemacht: Der Fokus liegt dabei insbesondere auf der im Grenzbereich von Evangelikalismus und Pentekostalismus angesiedelten „Dritten Welle“. Der Grund dafür liegt in ihrem besonderen Akzent auf Gemeindewachstum und den damit verbundenen Missionsperspektiven. Auch wenn ein dezidierter Missions- und Evangelisationsakzent der gesamten Pfingstbewegung gemein ist, scheint insbesondere hier das Missionsmuster des 19. Jahrhunderts samt der zugehörigen, im vorangegangenen Kapitel besprochenen Semantiken und statistischen Perspektiven fortgeführt. Hier steht das Ziel der persönlichen Bekehrung ganz im Zentrum. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, noch einmal gesondert auf das Konversionsverständnis der Pfingstbewegung einzugehen.

5. D AS K ONVERSIONSVERSTÄNDNIS Die Konversion bildet innerhalb der Pfingstbewegung in der Regel eine spezifische Stufe im Rahmen der Lehre eines „ordo salutis“.23 Dabei wird zumeist von zwei oder drei Stufen auf dem Weg zum Heil ausgegangen. Die zweistufige Lehre unterscheidet zwischen Bekehrung bzw. Wiedergeburt und dem Akt der Geistestaufe, während in der dreistufigen Version zwischen Bekehrung und Geistestaufe noch die Heiligung dazwischentritt. Die Assemblies-of-God-Denomination stellt eine bedeutende Vertreterin der zweistufigen Lehre dar; die dreistufige Lehre wird etwa durch die Church of God proklamiert. Die Konversion bzw. Bekehrung stellt dabei als ‚Wiedergeburt‘ eine grundsätzliche Zäsur im Lebenswandel des Individuums dar bzw. wird von diesem selbst als solche erlebt. Zumeist spielen dabei ein Sündenbekenntnis und eine daraus hervorgehende Abkehr von der Sünde eine zentrale Rolle. In den Konversionserzählungen wird dies meist mit Visionen, Gotteserfahrungen, Begegnungen mit Jesus o.ä. in Verbindung gebracht. In der Regel wird dabei erwartet, dass man den Zeitpunkt der eigenen Bekehrung bzw. Wiedergeburt genau datieren und in entsprechenden Narrativen zur Darstellung bringen kann. Im Rahmen des seltener gelehrten dreistufigen Heilswegs schließt an die Konversion die zweite Stufe der „Heiligung“ flussen lassen. So mag dort von der Seite eines nationalistischen Diskurses beigesteuert werden, was den asiatischen Religionen ursprünglich abgeht, dem Christentum aber originär zukommt: ein Exklusivismus, dem es auf die ausschließliche Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem sozialen Kollektiv ankommt. Für einen jüngeren, groß angelegten Forschungsansatz an die Frage des „modernen religiösen Fundamentalismus“ siehe nur Marty/Appleby (1991; 1993a; 1993b; 1994; 1995); hier finden sich auch zahlreiche Studien, die die Pfingstbewegung zum Gegenstand haben (vgl. etwa Ammerman 1991; Bayly 1994; Deiros 1991; Frykenberg 1994; Harding 1994; Maldonado 1993; Rose/Schultze 1993; Schultze 1993; Stoll 1994; Wuthnow/Lawson 1994); vgl. ferner Schäfer (1992), der aber nur für bestimmte Strömungen innerhalb der südamerikanischen Pfingstbewegung den Begriff gelten lassen will; zur Pfingstbewegung als „charismatischer Fundamentalismus“ vgl. Riesebrodt (2000: 97ff., 109ff.). Speziell zum Verhältnis von Evangelikalismus und Fundamentalismus vgl. Marsden (1991): Unter Fundamentalismus wird dort eine politisierte, „militante“ Form des Evangelikalismus verstanden. 23 Siehe zum Folgenden insbesondere Bergunder (1999: 176ff.); Zimmerling (2009: 58ff.).

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an, die als eine von der Konversion zu unterscheidende, meist prozessuale Befreiung und Reinigung von der Sünde gedeutet wird. Die Geistestaufe bildet schließlich sowohl in der zwei- als auch in der dreistufigen Lehre die letzte Stufe des „ordo salutis“. In dem ihr zugeschriebenen Stellenwert gibt es allerdings Differenzen. Für die südindische Pfingstbewegung etwa konstatiert Bergunder (1999: 178), dass diese nur in wenigen Kirchen als „heilsnotwendig“ angesehen wird. Zimmerling (2009: 58) hält in diesem Zusammenhang indes fest, dass, ähnlich wie die Erwachsenentaufe im Baptismus, „die Erfahrung bzw. zumindest die Erwartung der Geistestaufe Voraussetzung für die Mitgliedschaft in den traditionellen Pfingstkirchen“ ist. Innerhalb der „Dritten Welle“ wird demgegenüber typischerweise ein rein evangelikales Heilsverständnis vertreten, nach dem Bekehrung und Geistestaufe zusammenfallen (vgl. Wagner 1988: 844). Ähnliche Unterschiede bestehen in der Stellung des Zungenredens; obgleich in der Regel die Glossolalie als Zeichen der Geistestaufe gedeutet wird, wird dies nicht bei allen Kirchen als zwingender Erweis gesehen (vgl. Bergunder 1999: 180). In der „Dritten Welle“ wird oft sogar ausdrücklich von der Lehre des „initial sign“ abgesehen, obgleich davon ausgegangen wird, dass das Zungenreden neben anderen Manifestationen und Gaben des Heiligen Geistes nach der Bekehrung durchaus und auch wiederholt auftreten kann (vgl. Wagner 1988: 844). Die Wassertaufe hat demgegenüber in den Pfingstbewegungen eher eine nachgeordnete Bedeutung. Darauf führt Zimmerling (2009: 58; Herv. getilgt) die „sehr unterschiedliche Taufpraxis“, die hier zu beobachten sei, zurück. In der Regel wird die Erwachsenentaufe praktiziert, eine Minderheit bekennt sich auch zur Säuglingstaufe. Dabei wird üblicherweise die Immersionstaufe vollzogen (vgl. Bergunder 1999: 161; Reimer 1994: 19); Zimmerling (2009: 58) berichtet auch von einigen Pfingstkirchen, bei denen die Besprengungstaufe üblich ist. Anders als im Luthertum, im Katholizismus und im orthodoxen Christentum allerdings stellt die Taufe hier generell kein „effektives Sakrament“ dar (ebd.). Sie tritt lediglich als „äußerer Bekenntnisakt“ (ebd.) zur konstitutiven Wiedergeburt und Geistestaufe hinzu. Gleichwohl praktizieren manche Pfingstkirchen bei Mitgliedern der traditionellen Kirchen und auch im Wechsel zwischen pfingstlichen Denominationen die Wiedertaufe (vgl. ebd.; Bergunder 1999: 280f.); zumeist reicht dies zusammen mit den Wiedergeburts- und Geisterfahrungen für die Teilnahme in den Gemeinden aus, auf ein offizielles Ablegen der Mitgliedschaft in den Traditionskirchen wird in der Regel kein großer Wert gelegt (vgl. Bergunder 1999: 280f.). Weitreichende Ambivalenzen, Unverbindlichkeiten und Uneinigkeiten sind jedoch auch hier charakteristisch. Wiederum ist dies der Tatsache geschuldet, dass auf eine dogmatische Elaboration der eigenen Anschauungen typischerweise verzichtet wird. Eine solche „pragmatische Herangehensweise an theologische Fragestellungen“ (Bergunder 1999: 183) entspricht dem oralen Stil der Pfingstbewegung und ihren Auffassungen über das spontane Wirken des Geistes. Konversionsbezogen gilt es hier noch auf die pfingstlich-evangelikale Betonung des Entscheidungscharakters der individuellen Bekehrung aufmerksam zu machen. Wie Thomas Kern (1997: 201ff.) und auch Reimer (1994: 4f.; s.o.) konstatieren, nimmt die Pfingstbewegung im Besonderen (wie der Evangelikalismus im Allgemeinen) dezidiert das pietistische Bekehrungsverständnis auf, auf welches hier auch schon im knappen Abriss über die geschichtlichen Bedingungen der religiösen Situation Nordamerikas Bezug genommen wurde (siehe Kap. IV). Demzufolge hat mit der Bekehrungserfahrung eine individuelle und freiwillige Entscheidung für den Glauben

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bzw. für Jesus Christus einherzugehen. Dieser Auffassung liegt eine ausdrückliche Abgrenzung von bloßen „Namenschristen“ zugrunde (vgl. Kern 1997: 202), deren Kirchenzugehörigkeit ihnen eher verwandtschaftsbedingt zugefallen ist und weitgehend ‚traditionalen‘ Charakter im Sinne eines eher unreflektierten und gewohnheitsmäßigen Handelns hat. In Kapitel IV wurde bereits erörtert, dass dieses Verständnis und die daraus hervorgehende Konzeption der Denomination als „voluntary association“ die religiöse Landschaft der USA nachhaltig bestimmt. Die Bekehrung bildet hier also nicht nur eine Zäsur im Sinne einer überwältigenden religiösen Erfahrung und einem daraus hervorgehenden neuen Lebenswandel. Sie lässt sich zudem an den Akt der Entscheidung binden, der einerseits mit einer inneren Hinwendung zu Gott einhergehen soll, andererseits aber auch eine objektive Realität durch seinen kommunikativen Ausdruck und die daran gebundenen sozialen Folgen erlangt. Gerade für den kommunikationstheoretisch fundierten Differenzierungsansatz Niklas Luhmanns, den auch die vorliegende Arbeit verfolgt, ist dies von besonderer Relevanz. Die Qualität eines Elementarereignisses in dem hier verstandenen Sinne einer basalen, systemspezifischen Operation kann der Konversionsentscheidung ausschließlich als kommunikativem Akt bzw. als zurechenbarer Kommunikation zukommen (freilich verbunden mit der Unterstellung einer damit korrespondierenden subjektiven, innerpsychischen Erfahrung und Realität). Das pfingstlich-evangelikale Verständnis der Evangelisation ist unmittelbar an dieses Konversionsverständnis als eine individuelle Entscheidung für den Glauben gebunden. Unter Evangelisation wird die Verkündung des Evangeliums bzw. der christlichen Botschaft verstanden, die den Adressaten zu einer Entscheidung für oder wider den christlichen Glauben befähigen soll. In der Evangelisation ist folglich eine kommunikative ‚Selektionsofferte‘ zu sehen.24 So definieren etwa die evangelikalen Missionsstrategen Dayton und Fraser (1990: 52) „Evangelisierung“ wie folgt: „To evangelize is to communicate the gospel in such a way that men and women have a valid opportunity to accept Jesus Christ as Lord and Savior and become responsible members of his church.“ (Herv. getilgt) Aus der Definition geht unmittelbar hervor: Evangelisierung bildet in mancherlei Hinsicht die Voraussetzung einer Konversionsentscheidung; sie soll insbesondere dort zum Zuge kommen, wo Konversion durch die Unkenntnis der christlichen Botschaft zunächst von vornherein ausgeschlossen ist. Aktivitäten der Evangelisierung sind demnach kein Selbstzweck, sondern erfolgen mit dem messbaren Ziel, individuelle Konversionsentscheidungen zu motivieren.25

24 Vgl. Pollack (1998) für eine kommunikationstheoretische Untersuchung einer Evangelisationsveranstaltung von ProChrist; ferner Tyrell (2004: 45ff.) zur Missionstätigkeit als Fall religiöser Kommunikation; siehe in diesem Zusammenhang auch Tyrell (1998a) zur „Kommunikationsvergessenheit“ der Religionssoziologie. 25 Vgl. hierzu auch das Lausanne Comittee for World Evangelization (zit. n. Dayton/Fraser 1990: 26; Herv. M.P.): „[T]he measurable goal of evangelization is men and women who accept Jesus Christ as Lord and Savior, and serve him in the fellowship of his church.“ Siehe ferner die Diskussion einer Handreichung von Campus for Christ als ein Beispiel für das pfingstlich-evangelikale Evangelisations- und Bekehrungsverständnis bei Kern (1997: 203ff.).

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Im Folgenden ist die auf diesen Verständnissen aufruhende Missionsperspektive speziell der pfingstlich-evangelikalen Strömung darzustellen; damit schließt diese knappe Skizze ab.

6. P FINGSTLICH - EVANGELIKALE M ISSION Wie in der pfingstlich-evangelikalen ‚Theologie‘ im Allgemeinen, so ist auch in der pfingstlich-evangelikalen Missiologie im Besonderen ein eigenständiges Profil der Pfingstler gegenüber den übrigen Evangelikalen kaum zu erkennen (vgl. McGee 1995: 43). Es besteht allenfalls in pentekostalen ‚Appendizes‘ zu den evangelikalen Missionseinstellungen (etwa bei Hodges 1977). Der auffällige Akzent auf eine möglichst rasche Evangelisation bzw. Bekehrung der übrigen Menschheit wurzelt hier in einer besonders ausgeprägten prämillenaristischen Naherwartung, von dem der Pentekostalismus schon seit erster Stunde nachhaltig beeinflusst ist: Wie sich dem historischen Exkurs entnehmen lässt, kommt die Pfingstbewegung 1906 zu einer Zeit ins Werden, in der die angenommene Möglichkeit und Dringlichkeit der Weltevangelisierung den Protestantismus geradezu elektrisiert. Die Endzeiterwartungen, wie sie deutlich auch in der methodistischen Heiligungsbewegung zum Ausdruck kamen und von einer unmittelbar bevorstehenden Parusie ausgehen, schufen so eine „air of expectancy“ (Anderson 2007: 31), vor deren Hintergrund die Ereignisse von Azusa Street 1906 gedeutet wurden.26 Dem Zungenreden wurde hier entsprechend eine zusätzliche eschatologische Interpretation zuteil. Unter Bezug auf das biblisch überlieferte ursprüngliche Pfingsten (Apg. 2) wurde das Ausgießen des Heiligen Geistes als Einleitung der „letzten Tage“ (Apg. 2: 17) gedeutet. Das Zungenreden wurde dabei als göttlich verliehene Gabe gesehen, die angesichts der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi speziell der Missionsarbeit dienen sollte: Man wähnte sich fähig, in fremden Sprachen zu sprechen, und sah sich so in der Lage, den Menschen an den entsprechenden Orten der Welt die Heilsbotschaft zu überbringen. Die Auswahl des Missionslandes erfolgte dabei durch eine vermeintliche ‚Identifikation‘ der im Zungenreden zu vernehmenden Sprache (vgl. Anderson 2007: 46). Der Missionsenthusiasmus hängt freilich nicht an dieser kaum enttäuschungsresistenten Auffassung vom Zungenreden. Bis heute werden die Charismen an sich, das enthusiastische Erfülltsein vom ‚Heiligen Geist‘ in pentekostalen Anschauungen mit eschatologischem und in der Konsequenz missiologischem Sinn aufgeladen. Darüber hinaus wird der globale Erfolg der Bewegung selbst als Indikator für das unmittelbare Bevorstehen der Wiederkunft Christi gesehen: „However, at no time in the history of the church has there been such a universal outpouring of the Holy Spirit as in our time – as is evidenced by the worldwide Pentecostal/charismatic movement. In a sense far beyond the original Pentecost this outpouring is ‚upon all flesh,‘ and therefore may well herald in the final advent of Jesus Christ.“ (Williams 1981: 55)

26 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Dayton (1980: 7ff.; 1987: 143ff.).

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Nach einer Analogie zum Niederschlagszyklus in Palästina wird das ursprüngliche biblische Pfingsten als „early rain“ gedeutet, das die Saat begleitet. Die jüngeren Ereignisse erscheinen in diesem Schema als „latter rain“ des Heiligen Geistes, das zur „Ernte“ vorbereitet und damit die Parusie einläutet (vgl. Dayton 1980: 6). Die Geistesgabe selbst behält damit, noch ohne die ebenfalls auf Charles Parham zurückgehende Doktrin der Glossolalie als Xenolalie, ihre Beziehung zur Missionstätigkeit. Die Charismen werden ausdrücklich als „empowerment for missions“ gedeutet (Pousson 1994: 86; vgl. auch Williams 1981: 56). Die literalistische Auslegung von Matt. 24:14 („Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen“), nährt dabei zusätzlich noch die Auffassung, dass man Christi Rückkehr durch die eigenen Evangelisationsanstrengungen gar beschleunigen könne (vgl. Blumhofer 1989: 286). Mit Saracco (1977: 64) lässt sich folglich konstatieren: „Evangelism occupies a central place in the ministry of the Pentecostal churches. The other manifestations revolve around it.“27 Die Zentralität der Missionsperspektive äußert sich nicht zuletzt darin, dass lokale Kirchen, die sich selbst als Missionsträger sehen und eigene Missionare unter Umgehung überregionaler Missionsgesellschaften entsenden, keine Seltenheit sind (vgl. Pousson 1992: 93).28 Da zwischen nicht-pfingstlichen und pfingstlichen Evangelikalen in Bezug auf den christlichen Missionsbefehl weitgehende Einigkeit besteht, gibt es auf organisationaler Ebene entsprechend wenig Berührungsängste (vgl. McGee 1995: 47). Kern (1997: 162) berichtet gleichfalls von einer zunehmenden Annäherung und Vermischung von rein evangelikalen und pfingstlichen Strömungen, insbesondere hinsichtlich des „church-growth-movement“ bzw. der Gemeindewachstumsbewegung. So sind innerhalb der Organisationen, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen, in der Regel Evangelikale beider Ausrichtung vertreten oder es besteht zumindest eine übergreifende Inanspruchnahme der dort bereitgestellten organisationalen Leistungen. Auch von daher rechtfertigt sich die Bezeichnung ‚pfingstlich-evangelikale Bewegung‘, an die es sich auch im Weiteren überwiegend zu halten gilt. Im Folgenden gilt es wieder die differenzierungstheoretischen Perspektiven aufzunehmen und sich der pfingstlich-evangelikalen Bewegung im Schema ‚zweierlei Differenzierung‘ zu nähern. Von Relevanz sind dabei ihre missionarischen Ambitionen. Dreh- und Angelpunkt der Betrachtung ist die Organisationsebene, insoweit hier einerseits ein missionsspezifisches Sinnsystem (beobachtend) kultiviert und (handelnd) reproduziert wird, und andererseits die Interaktionsebene hinsichtlich der Bekehrungsperspektiven organisatorisch konditioniert wird.

27 Oder in einer noch drastischeren Formulierung von Bruner (1971: 32): „Pentecostalism and mission are almost synonymous.“ 28 Wie noch zu erörtern ist, wird in der Regel jedoch mit sogenannten „parachurch“Organisationen, d.h. autonomen Missionsgesellschaften, kooperiert (vgl. Kap. IX.2.1).

IX. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung im Schema zweierlei Differenzierung

Nachdem die pfingstlich-evangelikale Bewegung im vorangegangenen Kapitel in einer kurzen Skizze ins Profil gesetzt wurde, soll es nun darum gehen, sie für die vorliegende differenzierungs- und weltgesellschaftstheoretische Fragestellung in Beschlag zu nehmen. In begrifflicher Hinsicht ist dabei deutlicher an systemtheoretische Perspektiven anzuschließen, als dies im historischen Exkurs der Fall war. Die Untersuchung hält sich hier differenzierungsbezogen an die Systematik von Luhmanns frühem religionssoziologischem Aufsatz von 1972, der sowohl funktionale Differenzierung als auch Ebenendifferenzierung im Blick hat und dabei die Organisationsebene als Scharnier der Erörterung wählt. Diese frühe Betrachtung trug indes das Vorzeichen des Problematischen: Die ‚Funktionsschwäche‘ des Religiösen in der Moderne wälzt sich Luhmanns Darstellungen zufolge auf die Organisationsebene ab: Es fehlen ein in flexible Organisationsprogramme übersetzbares Bezugsproblem, Respezifikationen von Mitgliederverhalten über den engen Kreis der kirchenamtlich Handelnden hinaus und theologischlegitimierte Formen der organisatorischen Berührung mit anderen Funktionsbereichen wie Wirtschaft, Politik etc. Entsprechend mangelhaft sind auch die Verzahnungen mit der Interaktionsebene; aufgrund unbestimmter Zweckvorgaben fehlen Rückkopplungsschleifen, über die organisatorische Programme lernend auf das Interaktionsgeschehen reagieren könnten. Dieses Problemschema, so wurde oben argumentiert, ist Luhmanns selektivem Blick auf den deutschen Raum geschuldet. Auch der Durchgang durch die differenzierungssensible Religionssoziologie und eine knappe Zwischenbetrachtung im ersten Teil dieser Arbeit lieferten Hinweise dafür, dass differenzierungstheoretische Betrachtungen der religiösen Situation in den USA diesbezüglich zu positiveren Einschätzungen kommen. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung ist nun gerade vor diesem Hintergrund für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung. Sie stellt in gewisser Hinsicht einen Hebel dar, mit dem die lokalen Begebenheiten und die institutionelle Logik des amerikanischen ‚Religionssystems‘ auf die Ebene der Weltgesellschaft gehoben werden – zunächst allerdings einseitig im Rahmen pfingstlich-evangelikaler Sinnkonstruktionen. Gerade dies gilt es im Folgenden zu erörtern. Ein erster Abschnitt wendet sich in diesem Zusammenhang jenen Organisationen zu, die sich aus einem Missionsinteresse heraus vor allem der Beobachtung der Religionen der Welt widmen (1). Dabei ist zu zeigen, wie die Aufmerksamkeitsökono-

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mie, deren Herausbildung hier im historischen Exkurs beschrieben wurde, kontinuiert und insbesondere hinsichtlich der Beobachtung nicht-christlicher Religionen erheblich erweitert wird. Es wird aufgezeigt, wie dies einen konversionsbezogenen, folglich religionsspezifischen Sinnhorizont auf Dauer stellt. Die Vergleichspotentiale der Quantifizierung werden im Rahmen der pfingstlich-evangelikalen Missionsbeobachtung für die „Kommensuration“ (Espeland/Stevens 1998) aller Religionen genutzt und ein Zahlenobjekt numerischer Religionsverhältnisse konstruiert, das unter dem Aspekt von Bekehrungs- bzw. Missionsmöglichkeiten beobachtet wird. Organisationen kultivieren und ‚tragen‘ hier einen Möglichkeitshorizont (auf Gesellschaftsebene), der sich durch Zurechnungen von Konversionen bzw. Wechsel religiöser Zugehörigkeiten als Elementaroperationen reproduziert und neue Ausgangslagen für weitere potentielle Missionsaktivitäten schafft. Wie in diesem Kapitel demonstriert werden soll, ist dieser Horizont zumindest in einer Hinsicht ein globaler: Ihm liegt der Anspruch zugrunde, alle „religiöse Mobilität“1 innerhalb eines Feldes all dessen, was als Religion verstanden wird, einzubeziehen; er bildet in dieser Hinsicht eine totale Sinnperspektive, die religiöse Zugehörigkeitsverhältnisse in einen globalen Singular setzt. Dies ist, wie noch genauer zu erörtern ist, allerdings keine konvergente Konstruktion in dem Sinne, dass all das, was hier als Religion beobachtet wird, eine entsprechend komplementäre Sicht auf die weltreligiöse Landschaft unter dem Aspekt der Bekehrung würfe. Hinsichtlich weltreligiöser Selbstbeschreibungen ist stattdessen mit einer Divergenz und Pluralität von Perspektiven zu rechnen. In einem zweiten Abschnitt gilt es die Organisationen zu betrachten, die, unter Orientierung an einem solchen Horizont der Weltmission und -evangelisation, nicht allein missionsbezogen beobachten, sondern vor allem missionarisch handeln (2). Hier liegt ‚Weltgesellschaftliches‘ nun nicht allein im ‚totalistischen‘ Sinnentwurf; Weltgesellschaft kommt hier insbesondere auch als ‚Grenze kommunikativer Erreichbarkeit’ in den Blick, insoweit missionarische Offerten über Organisationsleistungen und Verbreitungsmedien buchstäblich bis ans Ende der Welt gelangen. Solche Aktivitäten bilden die Voraussetzung dafür, dass die pfingstlich-evangelikalen Sinnperspektiven auch Wirkungen bei anderen Religionen zeitigen; Letztere sind im Rahmen missionarischer Kontakte dazu angehalten, sich in irgendeiner Form zu den Sinnzumutungen zu positionieren, die hier direkt an sie herangetragen werden. Wie später zu zeigen ist, finden sich in einigen der Weltreligionen Strömungen, die sich dabei in Teilen auf eine Bekehrungsperspektive und die zugehörigen institutionellen Logiken und Summenkonstanzprinzipien ‚einnorden‘ lassen. Ein daran anschließender dritter Abschnitt wendet sich dem Verhältnis von Organisation und Interaktion zu (3). Das Interesse gilt der Frage, wie sich die Konversionsorientierung auf der Interaktionsebene niederschlägt: Es ist hier darzustellen, wie gerade die spezifisch interaktiven Dynamiken in der ‚Bekehrung‘ wie auch in dem ‚Bei-der-Stange-Halten‘ der Konvertiten organisatorisch eingespannt werden. Die Organisationsebene bildet im Falle der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nicht nur eine Umschaltebene, die die amerikanische Dynamik des denominationalen Pluralismus auf die Weltebene transponiert. Sie ist auch eine Umschaltebene zwischen der religiösen Makrostruktur eines bekehrungsfokussierten Sinnhorizonts und der Ebene 1

Vgl. für einen Forschungsüberblick zum Gebiet der „religious mobility“ Sherkat (1993; 2001).

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der Interaktion, die unter solchen Gesichtspunkten mit entsprechenden organisatorischen Strukturvorgaben versehen wird. Auch in diesem Zusammenhang weist die pfingstlich-evangelikale Bewegung einen durch und durch amerikanischen Akzent auf: Interaktion, Organisation und Gesellschaft sind hier hinsichtlich des Prinzips der Konkurrenz um Bekehrungen hochgradig integriert.

1. O RGANISATION UND W ELTGESELLSCHAFT I: D IE K ONSTITUTION EINES RELIGIONSSPEZIFISCHEN W ELTHORIZONTS Die Erörterung in Kapitel VIII hat den dezidierten Missionswillen der pfingstlichevangelikalen Bewegung beschrieben, der nicht zuletzt durch eschatologische Naherwartungen und einen soteriologischen Exklusivismus befeuert wird. Der Missionszweck rückt entsprechend auch organisatorisch ins Zentrum. Bezeichnend für die pfingstlich-evangelikale Bewegung ist dabei die Tatsache, dass sich eine Vielzahl von organisatorischen Spezialisierungen hinsichtlich sehr spezifischer Leistungen für die Weltmission beobachten lassen. Es finden sich zahlreiche „special purpose groups“ (Wuthnow 1988: 100ff.), die sich gerade auch danach klassifizieren lassen, welche Leistungen anderer, nicht-religiöser Funktionsbereiche sie für die Mission in Anspruch nehmen. So finden sich Organisationen, die rein auf die massenmediale Verbreitung des Evangeliums, d.h. über Druck, Funk und Fernsehen, spezialisiert sind; auf diese, neben anderen, wird das nächste Teilkapitel (2) zu sprechen kommen. Hier soll es indessen um solche Organisationen gehen, die für den Zweck der Weltmission wissenschaftliche Methoden und Reflexionsformen mobilisieren. Es sind insbesondere solche Organisationen, die sich der Gemeindewachstumsbewegung zuschlagen lassen. Sie sind weniger mit dem Missionshandeln, d.h. mit dem tatsächlichen Bekehren, befasst, sondern in erster Linie mit der reinen Beobachtung und Registration von Konversionen bzw. religiöser Mobilität. Gleichwohl kommt ihnen deswegen kein geringerer Stellenwert zu – im Gegenteil: in differenzierungstheoretischer Hinsicht ist ihr Beitrag von größter Tragweite. Werron (2010) hat, darauf ist bereits hingewiesen worden, für den Weltsport auf die Synthese- und Konstruktionsleistungen eines lediglich beobachtenden Publikums aufmerksam gemacht, über die ein einheitlicher Sinnhorizont von weltweiten Leistungsvergleichen überhaupt erst konstituiert wird. Nicht zuletzt hat er dabei auch die Rolle von „Quantifizierung“ in den Vordergrund gerückt (vgl. Werron 2005). Diese Einsichten lassen sich auf den religiösen Fall übertragen. Bereits im historischen Exkurs ließ sich die Entstehung einer globalen Aufmerksamkeitssphäre für christliche Konversionen herausarbeiten und dies maßgeblich auf die Religionsstatistik und die Syntheseleistungen spezifischer Zeitschriften zurückführen. Hier sind nun die Kontinuitäten zur pfingstlichevangelikalen Bewegung aufzuzeigen und der Sachverhalt nun deutlicher mit den differenzierungs- und globalisierungstheoretischen Begriffen aufzugreifen, die im theoretischen Teil dieser Untersuchung entwickelt wurden. Dafür gilt es in einem ersten Abschnitt zunächst die bereits erwähnte Gemeindewachstumsbewegung samt einigen ihrer zentralen Organisationen etwas näher vorzustellen (1.1). Davon ausgehend ist insbesondere am Beispiel der „World Christian

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Encyclopedia“ (Barrett, Kurian et al. 2001), die dieser wachstums- und missionsorientierten Beobachtungsperspektive verpflichtet ist, der hier konstruierte Sinnzusammenhang zu analysieren. So gilt es in einem zweiten Abschnitt zu zeigen, dass der Beobachtung der religiösen Landschaft Selbstbeschreibungen zugrunde liegen, die sich am amerikanischen Konzept der „voluntary association“ orientieren und andere Religionen als Mitgliedschaftsreligionen bzw. ‚Organisationen‘ fassen (1.2). Ein dritter Abschnitt ist der spezifisch religiösen Eigengesetzlichkeit bzw. Kontingenzformel gewidmet, die diesen Beobachtungen zugrunde gelegt wird und beständig weitere Möglichkeiten der Bekehrung ‚verknappt‘: Im Rahmen der pfingstlich-evangelikalen Sinnkonstruktionen wird – unter Konkurrenzgesichtspunkten und der Annahme wechselseitig exklusiver Religionszugehörigkeiten – den globalen Verteilungen religiöser Anhänger ein Summenkonstanzprinzip unterlegt, das einschränkt, welche Bekehrungen aktuell als möglich und nötig erachtet werden. Ein Buddhist in Sri Lanka kann zum Christentum bekehrt werden; für jemanden, der bereits gläubiger Christ ist, macht eine Bekehrung indes keinen ‚Sinn‘ (1.3). Solche pfingstlich-evangelikalen Beobachtungs- und Zurechnungsleistungen konstruieren effektiv ein weltreligiöses Elementarereignis, das auf religionsbezogene Beitritts- und Austrittsentscheidungen abstellt: die (dort in diesem Sinne verstandene) Konversion. Diesem Sachverhalt wendet sich der vierte Abschnitt zu (1.4). Es reproduzieren sich über die Verbuchung religiöser Wechsel beständig neue Ausgangslagen, die die pfingstlich-evangelikale Mission geographisch orientieren und ihr dabei noch Parameter der Dringlichkeit in Bezug auf bestimmte ‚unevangelisierte‘ Regionen an die Hand geben. Die Mobilitätszurechnungen bzw. die Sensibilität für kontinuierliche Verschiebungen zwischen Zugehörigkeiten folgen der Logik eines „denominational switching“ (Wuthnow 1988: 88ff.) – ein vornehmlich, wenn nicht ausschließlich amerikanisches Muster von Religiosität. Eine solche konversionsorientierte Perspektive geht darüber hinaus mit spezifischen fremdreferentiellen Sinnbezügen einher, die sich vor allem auf die zu inkludierenden bzw. bekehrenden Individuen unter den Gesichtspunkten kommunikativer Erreichbarkeit und kommunikativen Erfolgs konzentrieren. Dies ist Gegenstand des fünften Abschnitts (1.5). Schließlich gilt es in einem letzten, sechsten Abschnitt den Visualisierungen der Selbst- und Fremdreferenzen innerhalb dieser Sinnsphäre nachzugehen (1.6). Die kartographischen Anstrengungen des 19. Jahrhunderts werden unter Einsatz neuer technischer Möglichkeiten fortgeführt; sie nehmen weiterhin in der Konstitution einer weltgesellschaftstheoretisch bedeutsamen Sinnperspektive eine zentrale Rolle ein. 1.1 Die Gemeindewachstumsbewegung und organisatorische Missionsbeobachtung Innerhalb des Evangelikalismus finden sich heute eigens ausdifferenzierte Organisationen, die sich auf missionswissenschaftliche Betrachtungen spezialisieren. Eine der bedeutenderen Einrichtungen ist etwa das 1947 von Charles Fuller gegründete Fuller

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Theological Seminary in Pasadena, Kalifornien.2 Die interdominationale Einrichtung beherbergt die von Donald McGavran in den 1960er Jahren ins Leben gerufene School of World Mission (heute: School of Intercultural Studies), die gemeinhin als das Zentrum der „church-growth“-Perspektive gilt und an der zeitweise die in dieser Sache prägenden Missionswissenschaftler Donald McGavran, der „Vater des Gemeindewachstums“ (vgl. Stafford 1986), sowie Ralph Winter und C. Peter Wagner tätig waren.3 Ralph Winter gründete 1976 das U.S. Center for World Mission, ebenfalls ansässig in Pasadena, Kalifornien, und gleichermaßen spezialisiert auf „advancing new insights in mission“.4 Ihr ist das Joshua Project zugehörig – ein Unternehmen, das religionsstatistisches Material im Internet für Missionszwecke zur Verfügung stellt.5 Letzteres tritt die Nachfolge der Internetplattform und Organisation AD2000 an, die sich dem Ziel einer Weltbekehrung bis zum Jahr 2000 unter anderem durch die Bereitstellung religionsstatistischer Informationen verschrieben hatte.6 Neben mittlerweile zahlreichen anderen Einrichtungen dieser Art zeichnen sich diese Institute durch die Anwendung sozialwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Perspektiven aus; ihr erklärtes Anliegen ist die Rationalisierung missionarischer Methoden. War die Gemeindewachstumsbewegung ursprünglich ein Unterfangen des nicht-pfingstlichen Evangelikalismus, so rückt sie spätestens mit C. Peter Wagner, der sich zur „Dritten Welle“ des Pentekostalismus bekennt, weit in das pfingstliche Lager hinein. Nicht zuletzt der beachtliche Wachstumserfolg der pfingstlichevangelikalen Bewegung mag dabei eine Vermählung nahegelegt haben (vgl. Kern 1997: 379). Die Gemeindewachstumsbewegung vertritt eine konsequent quantitative Perspektive auf die Mission; das Ziel ist die Optimierung des numerischen Erfolgs (vgl. McGavran 1955; 1990). Dabei wird eine Pragmatik an den Tag gelegt, die keinerlei Hemmungen zeigt, das ‚sakrale‘ Geschäft der Mission unter ‚profane‘ Effizienzgesichtspunkte zu stellen und dabei den Bekehrungszweck die Mittel ‚heiligen‘ zu lassen (vgl. Stafford 1986: 21). Hinsichtlich dieser Spannung schreiben auch Edward R. Dayton und David Allen Fraser, die sich der Gemeindewachstumsperspektive unbedingt verpflichtet fühlen: „It is our contention that while high and holy purposes give us an aim for an ideal future, they need to be supported by measurable goals.“ (Dayton/Fraser 1980: 435) Die geringen Berührungsängste in Bezug auf profane Bereiche werden nicht zuletzt in McGavrans Apologetik des numerischen und wachstumsorientierten Ansatzes offenbar, in der er den Vergleich mit ‚weltlichen‘ Organisationen nicht scheut: „Wir dürfen den quantitativen Aspekt auf keinen Fall außer Acht lassen, wenn wir Gemeindewachstum verstehen wollen. [...] In allen wichtigen Gebieten greift der Mensch auf Zahlen zurück. Es ist gar nicht möglich in Industrie, Handel, Bankgeschäft, Forschung, Politik und vielen anderen Gebieten ohne Zahlen sinnvoll zu arbeiten. [...] Überall wird es als Vorteil angesehen,

2 3 4 5 6

Vgl. zur Geschichte des Seminars Marsden (1987). Vgl. zu Ralph Winter und Donald McGavran Stafford (1984) respektive Stafford (1986). So der Slogan des Internetauftritts auf http://www.uscwm.org vom 26.08.2009 Vgl. http://www.joshuaproject.net vom 26.08.2009. Die Seite existiert noch, wird aber nicht mehr aktualisiert: http://www.ad2000.org vom 26.08.2009.

326 | W ELTBEKEHRUNGEN zahlenmäßige Entwicklungen – den quantitativen Aspekt – vor Augen zu haben.“ (McGavran 7 1990: 91)

Diese quantitative Perspektive auf Mission hat, wie oben gesehen, ihre Wurzeln in der protestantischen Mission des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts. Paradigmatisch tritt sie schon im bereits erwähnten Traktat William Careys (1792), „An Enquiry into the Obligations of Christians to Use Means for the Conversion of the Heathens“, hervor. Hier findet sich nicht nur eine erste Religionsstatistik, die auf religiöse ‚Populationen‘ abstellt.8 Der Traktat weist gleichzeitig jene pragmatischen, zweckrationalen Züge auf, die auch die Gemeindewachstumsbewegung charakterisieren. Schon der Titel der Abhandlung stellt explizit auf die „means for the conversion of the heathens“ ab.9 Sie beginnt mit dem Appell, sich nicht nur mit dem Wunsch nach dem Einkehren des Reichs Gottes zu begnügen, sondern „to use every lawful method to spread the knowledge of his name“ (Carey 1792: 3). Bezeichnenderweise wählt auch Carey in seinem Aufruf zur effizienten Organisation der Mission den Vergleich mit Handelsgesellschaften.10 Die Kontinuität zu William Carey wird noch heute auf der Seite der amerikanischen Missionsstatistiker selbst ausdrücklich betont. So fühlt sich auch der für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsame Missionsstatistiker David B. Barrett der quantifizierenden Perspektive Careys verbunden. Er preist dessen Traktat als „the world’s first detailed statistical survey of countries, of Christianity, and of all major world religions“ (Barrett, Johnson et al. 2001: ix). Ursprünglich ein Missionar der

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Vgl. zur wirtschaftsbezogenen Analogie auch das Kapitel „The Entrepreneur in Modern Missions“ in McGavran (1984: 154ff.). 8 Der historische Exkurs ist der weiteren Entwicklung solcher quantifizierenden Beobachtungsmuster eher am Beispiel Deutschlands nachgegangen. Die amerikanische Seite stand den deutschen Missionsstatistikern indes in ihrem Bilanzierungseifer in nichts nach. Im Gegenteil: Es sei hier noch einmal an die kritische Bemerkung Grundemanns erinnert, dass die „Missionsleute jenseits des Kanals und des Oceans etwas zu starke statistische Liebhabereien [haben]“; er bescheinigte ihnen in Anbetracht ihrer Verrechnungswut eine „mehr geschäfts- als missionsmäßige Rechenmethode“ (Grundemann 1875: 49). 9 Vgl. zur Pragmatik und Rationalität in der Missionstätigkeit der Jesuiten aus organisationssoziologischer Perspektive Gannon (1980: 165ff.). 10 „When a trading company have obtained their charter they usually go to its utmost limits; and their stocks, their ships, their officers, and men are so chosen, and regulated, as to be likely to answer their purpose; but they do not stop here, for encouraged by the prospect of success, they use every effort, cast their bread upon the waters, cultivate friendship with every one from whose information they expect the least advantage. [...] Suppose a company of serious Christians, ministers and private persons, were to form themselves into a society, and make a number of rules respecting the regulation of the plan, and the persons who are to be employed as missionaries, the means of defraying the expense, &c.&c. [...] From such a society a committee might be appointed, whose business it should be to procure all the information they could upon the subject, to receive contributions, to enquire into the characters, tempers, abilities and religious views of the missionaries, and also to provide them with necessaries for their undertakings.“ (Carey 1792: 81f.)

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anglikanischen Kirche in Afrika, rief Barrett dort 1965 das World Evangelization Research Centre ins Leben, das er 1985 nach Richmond, Virginia (USA), verlagerte. An der von dem Pfingstevangelikalen Pat Robertson gegründeten Regent University bekleidete der 2011 verstorbene Barrett zeitweise eine Forschungsprofessur für „Missiometrics“. 1982 gab er eine erste umfangreiche Bestandsaufnahme zur Weltchristenheit als „World Christian Encyclopedia“ (Barrett 1982) heraus. Daran schlossen sich in den Jahren 1985-1990 kontinuierliche Aktualisierungen in einer Publikationsreihe „Global Evangelization Movement: The AD 2000 Series“ an, die ab 1990 in einer monatlichen Publikation „AD 2000 Global Monitor“ (ab 1995: „AD 2025 Global Monitor“) fortgeführt wurden (vgl. Barrett, Johnson et al. 2001: 435). 2001 erschien schließlich die zweite, aktualisierte und in ihren Beobachtungen erheblich erweiterte Auflage der „World Christian Encyclopedia“ (Barrett, Kurian et al. 2001), die Barrett unter anderem gemeinsam mit Todd M. Johnson, damals Direktor der pfingstlich-evangelikalen Missionsgesellschaft Youth with a Mission (YWAM), herausgab. Flankiert wurde das Kompendium von der Publikation „World Christian Trends“ (Barrett, Johnson et al. 2001), in der sich weitere missionsbezogene Analysen sowie vertiefende Erläuterungen der zahlreichen Variablen finden, die in der „World Christian Encyclopedia“ eine Rolle spielen. Kontinuierliche Aktualisierungen der Daten aus der „World Christian Encyclopedia“ (im Folgenden WCE) und „World Christian Trends“ (im Folgenden WCT) finden sich in der elektronischen Datenbank „World Christian Database“ (im Folgenden WCD). Diese wird mittlerweile von dem Center for the Study of Global Christianity am Gordon-Conwell Theological Seminary, South Hamilton, Massachusetts, betreut, dem Johnson als Direktor vorsteht und auch Barrett angehörte. Diese – allerdings kostenpflichtige – Datenbank hat zum Teil wöchentliche Updates.11 In der Missionszeitschrift „International Bulletin of Missionary Research“ werden seit den 1980er Jahren jährliche Aktualisierungen der wichtigsten Daten abgedruckt. In diesen Bänden und im Rahmen dieser Plattformen sind die vielfältigen Perspektiven und Konzepte der Gemeindewachstumsbewegung spürbar aufgegriffen. Die darin zum Tragen kommenden Semantiken und Beobachtungsmuster finden sich auch in anderen pfingstlich-evangelikalen Materialien; so etwa dem religionsstatistischen, mehrfach aktualisierten Kompendium „Operation World“ von Patrick Johnstone und seinen Nachfolgern (vgl. Johnstone/Mandryk 2001; Mandryk 2010), und auch das bereits erwähnte und unten noch näher zur Sprache kommende Joshua Project ist hier zu nennen. Was diese globale Missionsbeobachtung anbelangt, so scheint dem amerikanischen Standort in der pfingstlich-evangelikalen Bewegung gewissermaßen eine ‚Monopol‘- bzw. ‚Oligopolstellung‘ zuzukommen. Auch wenn die Gemeindewachstumsbewegung ein transkontinentales Netzwerk mit prominenten Vertretern in zahlreichen Ländern darstellt (vgl. oben, Kap. VIII.4), so ist im Geschäft des Zählens und Bilanzierens meistens nicht nur eine ideelle, sondern auch eine personelle Nähe zu den nordamerikanischen Unternehmungen zu konstatieren. Dies gilt noch für die web-basierte, transkontinentale Initiative Last Mile Calling, obgleich Heuser (2011: 35) ihr eine Unabhängigkeit von westlicher Unterstützung bescheinigen will: In diesem statistisch-bilanzierenden Unternehmen ist etwa Barbara Winter, die Frau des 11 So die Verkaufsinformation im Fachhandel; siehe z.B.: http://www.digento.de/titel/105621. html vom 26.03.2011.

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inzwischen verstorbenen Ralph D. Winter, Mitglied des „Board of Reference“.12 Es scheint also: Trotz der weitreichenden Loslösung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung von ihrer nordamerikanischen Rückbindung wird das globale Missionsfeld in weiten Teilen von amerikanischer Seite konstruiert – auch wenn in dieser Angelegenheit nicht wenige internationale Kooperationen bestehen. Ein durchgreifender Einfluss dieser vornehmlich amerikanischen Organisationen ist nichtsdestotrotz zu erkennen; so etwa in einer weitreichenden Diffusion der insbesondere durch sie kultivierten spezifischen Begrifflichkeiten.13 Diese Sinnperspektive, der sich der folgende Abschnitt zuwendet, lässt sich entsprechend als weitgehend repräsentativ für die pfingstlich-evangelikale Bewegung ansehen. 1.2 ‚Gesamtreligiöse‘ Selbstreferenz Im historischen Exkurs wurde bereits eine Reihe globaler ‚gesamtreligiöser‘ Selbstbeobachtungen von Seiten des Christentums einer näheren Betrachtung unterzogen. Diesen lag bis ins späte 19. Jahrhundert eine wenig differenzierte Beobachtungsweise zugrunde, die primär noch dem asymmetrischen Gegensatz von Christen und Heiden verpflichtet war und selten mehr als die drei abrahamitischen Religionen und eine ‚heidnische‘ Residualkategorie unterschied. Tomoko Masuzawa (2005) ist in ihrer hier bereits mehrfach zitierten Schrift „The Invention of World Religions“ der allmählichen Herausbildung eines differenzierten Systems von Weltreligionen nachgegangen. Die WCE/WCT/WCD ‚zählt‘ nun weltweit rund 10.000 Religionen (vgl. WCT: 557ff.).14 Die überraschend große Zahl rührt daher, dass hier verschiedene Ebenen von Religion unterschieden werden, die in einem vertikalen, d.h. inklusiven Verhältnis stehen.15 So wird das Christentum als eine „cosmoreligion“ verstanden, der beispielsweise der „Classical Pentecostalism“ als „megacommunion“ zugehörig ist. Das maßgebliche Kriterium bildet dabei die numerische Größe der religiösen Gruppe. Entsprechend sind die Verhältnisse auch im quantitativen Sinne hierarchisch-inklusiv. Die „cosmoreligions“ lassen sich zu immer ‚kleineren‘ Einheiten religiöser Assoziation entfalten; so etwa auch der Hinduismus und der Islam, denen dann auf untergeordneten Ebenen beispielsweise der Arya Samaj und die Hare-

12 Siehe http://www.lastmilecalling.org/boref.aspx vom 20.08.2011. 13 Gemeint sind hier beispielsweise die im Laufe des Kapitels noch näher zu erörternden Konzepte des „10/40-window“, der „unreached people groups“ etc., die auch die Mission außeramerikanischer Pfingstorganisationen orientieren; vgl. für die koreanische Mission in Afrika etwa Heuser (2011). 14 Eine kleinere Auswahl findet sich in WCE: II, 5ff., 10ff. 15 „[A] religion can take any of 10 forms, sizes, or shapes: a local religion (a tribal religion closed to outsiders), a cluster of related religions, a tradition, a megadenomination, a macrodenomination, a communion (confession, a family of religions), a megacommunion (megatradition), a megareligion (a family of megatraditions), a macroreligion (a global religion or family of megareligions), and even finally a cosmoreligion (universal religion open to all, gigareligion, a huge global macrofamily of macroreligions).“ (WCT: 552; Herv. i.O.)

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Krishna-Bewegung bzw. die Muslim Brotherhood und die Wahhabiten zugeschlagen werden.16 Diese Typologie macht deutlich, dass Religionen hier in erster Linie hinsichtlich iher Anhängerzahlen in den Blick kommen: „[A] religion is defined here in a new and unusual way – in the first instance not by its dogmas, beliefs, or practices, but primarily by its adherents, also termed here religionists.“ (WCE: II, 3; Herv. i.O.) Damit wird ein Verständnis von Religionen an den Tag gelegt, das diese vornehmlich als Organisationen oder Assoziationen, d.h. als ‚Mitgliedschaftsreligionen‘, fasst, denen Anhänger exklusiv und zählbar zugehören. Eine solche Selbstbeschreibungssemantik von Religion ist fest verwurzelt im denominationalen Pluralismus der USA. Obgleich sie hier für alle Religionen in Anspruch genommen wird, ist sie doch untrennbar mit der Christentumsgeschichte der Vereinigten Staaten verbunden. Diese ‚denominationale‘ Perspektive, die der WCE zugrunde liegt, lässt sich auch der weitergehenden Definition von Religion entnehmen: „A religion is defined here as a religious community of believers or adherents who hold there to be something unique in their beliefs, and who give their primary religious allegiance and loyalty to that religion.“ (WCE: II, 3) Es tritt hier eine ‚amerikanische‘ Konzeption von Religion als einer ‚voluntary association‘ bzw. eines Verbands von Individuen mit ähnlicher Glaubenserfahrung zutage. Diese Perspektive folgt damit einer selektiven Grenzziehung hinsichtlich dessen, was als Religion beobachtet wird. Religiöses kommt auf der Basis einer voraussetzungsvollen Selbstbeschreibungsfolie in den Blick, die ihre spezifische Definition von Religion nicht allein auf einen Transzendenzbezug gründet, sondern das organisatorische Format der Religion betont. Ein solches Moment der Steigerung gegenüber weniger ambitionierten, alltäglich-diffusen Formen von Religiösem – oder Religioidem, wenn man will – findet in den allgemeinen Differenzierungstheorien Luhmanns und Simmels seine Berücksichtigung und ist auch von Peter Beyer aufgegriffen worden. Nicht jede Kommunikation mit einem transzendenten Referenten ist hier folglich relevant, ebenso wenig wie jede Berufung auf Wahrheit Wissenschaft reproduziert oder jedes Hab und Gut einen wirtschaftlichen Wert hat. Das semantische Feld, das den selbstreferentiellen Bezug dieser Sinndomäne herstellt und die Selbstbeobachtung orientiert, kreist um die Konzepte der (auf den jeweiligen religionsterminologischen ‚Ebenen‘) exklusiven Religionszugehörigkeit und der entsprechenden ‚Mobilität‘ zwischen Einheiten religiöser Assoziation. Dieses Verständnis wird dabei auch auf jene Religionen außerhalb Amerikas übertragen, die sich traditionellerweise nicht die Form einer Mitgliedschaftsreligion geben. Die WCE/WCT/WCD legt hier eine ‚System-Umwelt‘-Perspektive an den Tag, die zwischen einer internen Umwelt des interreligiösen Feldes und seiner externen nichtreligiösen Umwelt unterscheidet. So wird in der ‚Auflösung‘ der Weltpopulation hinsichtlich religiöser Zugehörigkeiten zwischen „religionists“ und „non-religionists“ differenziert (ebd.: 3): Mit „religionists“ sind alle Anhänger einer der verschiedenen Religionen der Welt gemeint (5.137.000.000 Anhänger an der Zahl); damit wird gewissermaßen von der Publikumsseite her das Feld religiöser Assoziationen gegenüber den „non-religionists“ ausgegrenzt, die sich aus Agnostikern und Atheisten zusammensetzen und in der Publikation auf 918.249.000 geschätzt werden.

16 Dieses Entfaltungsverhältnis wird insbesondere in der Tabelle in WCE: II, 10ff. deutlich.

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Die Religionen selber sind in diesen Publikationen dann zentraler Gegenstand quantitativer Vergleiche, die in zahlreichen allgemeinen und länderspezifischen Religionstabellen ausgewiesen und darüber hinaus in den aktualisierbaren Organen kontinuierlich eingepflegt werden. Die quantifizierende Perspektive macht diesen Vergleichszusammenhang überhaupt erst möglich und stellt ihn auf Dauer. Die „Kommensuration“ (Espeland/Stevens 1998) betrifft nun nicht länger allein den christlichen Missionsbetrieb und die bilanzierende Verrechnung der lokalen Missionserfolge des Christentums im Verhältnis zur Gesamtmenschheit, wie dies vornehmlich (mit sporadischen Ausnahmen) noch in den bereits erörterten Unternehmungen des 19. Jahrhunderts der Fall war. Es erfolgt hier nun eine Transposition der gesamten interreligiösen Landschaft ins numerische Relativ, auch wenn christliche Zuwächse im Verhältnis zur Weltpopulation nach wie vor interessieren. Die Reduktion auf zählbare Affiliationen lässt dabei nicht nur die beachtliche ‚qualitative‘ Heterogenität der verschiedenen Religionen, etwa was Gestalt, Philosophien, Dogmen und Riten anbelangt, in den Hintergrund treten. Wie noch deutlicher werden wird, dynamisiert diese Perspektive den Religionsvergleich obendrein, indem sie das ‚volatile‘ Element der Zugehörigkeit in den Mittelpunkt stellt. Auch für die Beobachtung der religiösen ‚Wechsel‘ wird dabei das ‚partikular-christliche‘ Konzept der „Konversion“ auf andere Religionen übertragen, wobei es zumindest definitorisch aus dieser Tradition herausgelöst wird: „It should be noted that our category ‚conversions‘ does not carry here exactly the same theological and evangelistic connotations usually attributed to the term in Christian parlance and scholarship. Rather, our term refers to the transfers of allegiance from one religion to another, or from one Christian bloc to another, or from one type of Christian (e.g. ‚affiliated‘) to another (e.g. ‚unaffiliated‘), or from religious to nonreligious, and so on.“ (WCT: 476)17

Wie im Folgenden am Material zu illustrieren ist, befeuert dabei eine Konkurrenzdynamik die Beobachtung religiöser Verhältnisse und Dynamiken. Im Akzent auf bisherige ‚Abwerbe‘-Erfolge und Missionsfortschritte gegenüber den nicht-christlichen Religionen treten erneut Perspektiven des denominationalen Pluralismus der USA mit der ihm zugehörigen Wettbewerbslogik hervor. 1.3 Eigengesetzlichkeit: Die Konkurrenz um Zugehörigkeiten In der WCE/WCT/WCD liegen Religionstabellen mit einer Vielzahl religionsstatistischer Parameter vor: Hier finden sich etwa Angaben über das ,Gründungsjahr‘, die Anzahl an Ländern, in denen die jeweilige Religion in signifikantem Ausmaß verbreitet ist, sowie ihre Anhängerzahl. Darüber hinaus sind im vorliegenden Zusammenhang zwei Angaben von besonderer Relevanz, weil sie das missionarische Interesse und damit eine Konkurrenzperspektive in dieser Inventarisierung offenbaren. So legt die WCE/WCT/WCD ihrer Beobachtung der Welt eine dreistellige Unterscheidung zugrunde, in der zwischen drei ‚Evangelisationswelten‘ A, B und C differenziert wird (vgl. hierzu WCT: 761ff.). Diese Unterscheidung betrifft zunächst blo17 Vgl. dazu auch Roy (2010: 42), der im Zusammenhang einer Entkopplung von Religion und Kultur von einer „Banalisierung“ der Konversionen spricht.

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ße Populationen: Angehörige der Welt A sind jene Menschen der Erde, die noch nicht in Berührung mit dem Evangelium gekommen, also „unevangelisiert“ sind. Der Welt B gehören diejenigen an, die eine solche kommunikative Offerte bereits erreicht hat, die also zu einer Konversionsentscheidung befähigt sind, gleichwohl aber nach wie vor eine nicht-christliche Affiliation haben. Welt C schließlich umfasst diejenigen, die der christlichen Religion zugehörig sind. Diese Klassifikation kann auch geographisch zur Anwendung kommen und Länder, nicht Individuen umfassen. Zur Welt A gehören dann solche Länder, von deren Einwohner weniger als 50 Prozent evangelisiert sind; Welt B umfasst solche Staaten, von deren Einwohner 50 Prozent oder mehr evangelisiert sind, aber weniger als 60 Prozent dem Christentum angehören. Welt C schließlich setzt sich aus solchen Ländern zusammen, in denen 60 Prozent oder mehr eine christliche Zugehörigkeit haben. Schließlich lässt sich diese Klassifikation auf „Volksgruppen“ beziehen;18 die Zuordnungen zu den Welten A, B, C folgen dabei derselben Logik wie im Fall der Länderaufteilungen. Auch innerhalb des Religionsvergleichs findet sich eine Kategorisierung nach diesen drei Evangelisationswelten. Dies betrifft hier den „missiologischen Kontext“ der jeweiligen Religion, d.h. den evangelisationsbezogenen Status des Landes oder der Länder, in denen sie primär vertreten ist bzw. den Status der „Volksgruppen“, die ihr vornehmlich angehören (vgl. WCT: 551). Die Betrachtung der Religionen wird hier folglich auf den christlichen Missionsfortschritt bezogen. Neben dieser Weltklassifikation zeugen insbesondere zwei weitere Indikatoren von einer Konkurrenzlogik in der Beobachtung: Eine Spalte, die nicht in den gedruckten Publikationen, sondern allein in der WCD erscheint, gibt über die Anzahl der evangelisierten Anhänger einer Religion Auskunft, d.h. über die absolute Zahl derjenigen, die bereits mit dem Evangelium bekannt gemacht worden sind und theoretisch in der Lage wären, zum Christentum zu konvertieren. Schließlich informiert eine weitere Skala über das Ausmaß des Kontakts mit den Christentum: sie reicht von „no contact“, über „sparse or occasional contact“, „limited contact“, „moderate contact“ und „extensive contact everywhere“ bis hin zum „universal or total contact with widespread dialogue literature“ (WCT: 551). Diese Variable kommt unter der Überschrift „Targeting Religious Systems“ (WCT: 838; Herv. M.P.) noch einmal ausführlicher zur Sprache. Hier wird ihr appellativer Charakter deutlich. Es werden spezifische Priorisierungen in Bezug auf die Evangelisierung der „non-Christian religions“ nahelegt: „Those with no contact should therefore, logically, be the first to be targeted with any new efforts to share the benefits of the gospel.“ (Ebd.) Das Ziel der ‚Abwerbung‘ prägt hier die Beobachtung der Religionen: Es gilt Offerten zur Konversion unter Berücksichtigung besonderer Dringlichkeiten und bisheriger Vernachlässigungen strategisch sinnvoll zu platzieren. Der Hauptteil des ersten Bandes der WCE bricht die Relationierung der Religionen auf die Ebene der Nationalstaaten herunter. Neben allgemeinen demographischen und landeskundlichen Informationen stehen entsprechend die Verteilungen der Einwohner auf die lokal präsenten religiösen Gruppen im Vordergrund. Eine Tabelle für jedes Land liefert hier die Religionsverteilungen verschiedener Jahre ab 1900 mit Extrapolationen bis 2025 (vgl. Abb. 3 für das Beispiel Singapur):

18 Vgl. zu den „Volksgruppen“ unten, Kap. IX.1.5.

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Abbildung 3: „Religious adherents in Singapore, AD 1900-2025“

Quelle: Barrett, Kurian et al. (2001: I, 661)

Für die Jahre zwischen 1990 und 2000 werden jährliche Raten der „Konversion“, d.h. jährliche Zu- bzw. Abnahmen an Anhängern, für jede im Land präsente Religion angegeben. Diese werden statistisch von den Zuwächsen getrennt, die „natürliche“ Gründe haben, d.h. mit der Geburtenrate u.ä. zusammenhängen. Anders als in den allgemeinen Religionstabellen wird hier nun eine horizontale Struktur ersichtlich, die dem je nationalen religiösen Feld in der Beobachtung zugrunde gelegt wird. Damit verknüpft sich eine ‚Nullsummenlogik‘ in der Betrachtung der Religionen: „The figures given here add up to zero for each country, because conversions to one religion or religious grouping must always mean defections or losses from another religion or religious grouping.“ (WCT: 476; Herv. M.P.) In diesem Summenkonstanzprinzip liegt die spezifische Sinnverknappung dieser Perspektive – die Kontingenzformel, wenn man will; wo von religiöser Exklusivität ausgegangen werden muss, sind die Möglichkeiten missionarischen Handelns klar vorgezeichnet: Wer Buddhist ist, kann noch kein Christ sein; ihn gilt es erst noch zu bekehren. Wer indes schon Christ ist, muss nicht erneut bekehrt werden. Er ist bereits auf der Seite der geretteten Seelen ‚verbucht‘, gehört dem Christentum an und muss nicht noch anderen Religionen abgeworben werden. Dabei wird auf der christlichen Seite zwischen den einzelnen konfessionellen Affiliationen differenziert; separat davon und dazu ‚quer stehend‘ werden das evangelikale Christentum ebenso wie das pentekostale/charismatische Christentum ausgewiesen. In einer weiteren Tabelle werden hier zudem alle christlichen Denominationen des Landes einzeln aufgeführt und verglichen. Das dürfte nicht zuletzt im Rahmen der innerchristlichen Konkurrenz interessieren. Obgleich hier die allgemeine Christianisierung im Vordergrund steht, sind die Spannungen insbesondere zwischen dem Pentekostalismus und dem Katholizismus durchaus prominent und insbesondere im lateinamerikanischen Raum auch für diese Untersuchung von großer Bedeutung. Gleichzeitig werden für die verschiedenen Jahre noch Verschiebungen der Bevölkerung zwischen den drei ‚Evangelisationswelten‘ ausgewiesen (vgl. WCE: I, 51 und passim): Zu „Welt A“ gehören hier die „unevangelized persons“ der Bevölkerung; damit sind wiederum die Personen gemeint, die noch keine Berührung mit christlichen Missionaren/Evangelisten hatten. Zu „Welt B“ zählen die „evangelized non-Christians“, die den Anteil der Bevölkerung ausmachen, bei dem ein Kontakt

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mit Evangelisten ohne Bekehrungsfolge bestand oder besteht. „Welt C“ schließlich umfasst die Bevölkerungsanteile christlichen Glaubens. Dass es eine Konkurrenzperspektive ist, die hier die Beobachtung der anderen Religionen leitet, wird ferner in einem weiteren Kapitel deutlich, in dem die Städte der Welt erfasst und klassifiziert sind (vgl. WCE: II, 533ff.). Das Interesse an Städten wird dabei über die vorteilhaften Bedingungen begründet, die der Evangelisation durch urbane Verhältnisse geboten werden (vgl. WCE: II, 533). Die Christen werden hier allerdings, so das Resultat der Statistik, von den anderen Religionen ‚abgehängt‘: „They are fast losing the battle to disciple the cities.“ (WCE: II, 534) Die hier veranschlagten Extrapolationen prognostizieren, dass die größten Städte bis 2050 überwiegend „nicht-christlich“ zusammengesetzt sein werden; Nicht-Christen werden diesen Angaben zufolge auch insgesamt den größten Anteil an der globalen Population von Stadtbewohnern bilden. Dabei wird der stetig wachsende Anteil der Städte mit überwiegend muslimischen Anteil noch einmal gesondert hervorgehoben (WCE: II, 536). Unter Berücksichtigung des weiteren Bevölkerungswachstums wird dabei der Umfang der christlichen Missionsaufgabe in den Städten konkret beziffert: „So the grand total to be evangelized by AD 2025 is 1,022 million, which is 41 million unevangelized urban dwellers a year or 112,000 a day (one a second).“ (WCE: II, 538) Dies betrifft jedoch allein das Angebot des Evangeliums. Unter Bekehrungsgesichtspunkten („discipling“) werden bis 2025 weltweit 6,4 Milliarden zu bekehrende Menschen veranschlagt, „which means 256 million people a year (700,000 a day) for the next 25 years“ (ebd.). Die Beobachtung der anderen Religionen gründet folglich in einer Logik der Konkurrenz um religiöse Anhänger; es finden sich dabei Indikatoren nicht nur über die Religionsverteilungen, sondern auch über den Stand und das Ausmaß bisheriger „Bekehrungsangebote“ an die Anhänger anderer Religionen. Dabei zeigt sich bereits an diesen Ausschnitten, dass dieselben populationsstatistischen Extra- und Interpolationen zum Zuge kommen, wie sie sich im historischen Exkurs schon bei Süßmilch und dann mit Missionsbezug bei Warneck entdecken ließen. Insbesondere das Herunterrechnen von konversionsbezogenen Umschlägen zwischen den Religionen liefert der hier erörterten Sinnperspektive eine spezifische Taktung, der in vielerlei Hinsicht die Qualität eines Elementarereignisses zukommt. Diesem Aspekt wendet sich der folgende Abschnitt zu. 1.4 Operativität: Die Taktung durch Konversion Es kristallisiert sich bei diesen Darstellungen, wie auch schon in der Missionsperspektive, die sich für das 19. Jahrhundert ausmachen ließ, ein spezifischer Akt heraus, der den Fokuspunkt des gesamten Beobachtungs- und Registrationsunterfangens bildet: die Konversionsentscheidung. Auch die Verbuchung von Evangelisationsfortschritten erhält ihren spezifischen Sinn nur durch ihren Bezug auf individuelle Konversionen. Die Dynamik, die durch den Konversionsfokus in die religiöse Selbstbeobachtung hineingetragen wird, tritt deutlich in einem Diagramm zutage, das ganz auf der Linie der populationsstatistischen Semantik der Missionsbeobachtung des 19. Jahrhunderts liegt. Hier werden jährliche Konversions- und Evangelisationsraten für die gesamte Menschheit unter Berücksichtigung von Geburten- und Sterberaten zur Darstellung gebracht (siehe Abb. 4):

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Abbildung 4: „The dynamics of global religious change“

Quelle: Barrett, Kurian et al. (2001: I, 8)

Dabei werden wiederum die verschiedenen Evangelisationswelten A, B, C unterschieden, d.h. unevangelisierte Nicht-Christen, evangelisierte Nicht-Christen und Christen. Die Pfeile innerhalb des ‚Erdrunds‘ geben die populationsbezogenen Verschiebungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungssegmenten an, die pro Jahr aufgrund von Evangelisationen und Konversionen bzw. Austritten („defections“) erfolgen.19 Besonders hervorgehoben – weil in soteriologischer und eschatologischer Hinsicht relevant – sind die jährlichen Todesraten von Nicht-Christen: Nach dem evangelikalen Verständnis, so wurde oben bereits erörtert, blüht diesen ‚Seelen‘ die ewige Verdammnis.

19 Die Kontinuität mit der Beobachtungslogik aus dem 19. Jahrhundert dürfte deutlich sein: Zum Vergleich noch einmal Warneck (1882/1913: 573f.), der jährliche Geburtenraten ebenfalls auf die Differenz zwischen Christen und Nicht-Christen bezieht: „Angesichts einer nichtchristlichen Menschheit von noch ca. 1000 Millionen ist der numerische Erfolg der gegenwärtigen evang. Mission von rund 15 ¼ Millionen Heidenchristen (nach Abzug der Neger in den V.St. nur 6 ¼ Millionen) nicht viel, zumal wenn man die Tatsache dazu nimmt, daß zurzeit diese nichtchristliche Menschheit sich jährlich durch Geburten (wenn die Annahme um 12 pro 1000 nicht zu hoch gegriffen ist) um etwa dieselbe Summe vermehrt. Aber da sich die Zahl der Heidenchristen durch Taufen von Erwachsenen und Kindern prozentualiter stärker vermehrt als die Zahl der Heiden durch Geburten, so ist es ein täuscherischer Sarkasmus, zu höhnen, ‚die Mission gleiche einer Schildkröte, die mit einem Eisenbahnzug um die Wette läuft.‘ [...] Der statistische Missionserfolg vermehrt sich, wenn auch nicht in regelmäßig steigender, doch in steigender Progression, ähnlich einem Kapitale, bei dem Zins zu Zins geschlagen wird.“ (Herv. i.O.)

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Das Diagramm selbst gibt dabei die Leitdifferenz an, die hier die gesamte Beobachtungsökonomie strukturiert: Es ist die Differenz von „converts/ defectors“. In systemtheoretischer Hinsicht könnte man dieser Differenz die Position des Codes zusprechen, der sowohl die Beobachtung der religiösen Welt als auch das eigentliche religiöse Handeln innerhalb dieser Sinndomäne codiert. Durch einen Bezug auf diese Differenz weisen sich Kommunikationen als zugehörig zu dem sich hier ausdifferenzierenden Sinngeschehen aus. Das betrifft auch solche Kommunikationen, die Konversion lediglich thematisieren; so wird in WCT (451ff.) etwa missionsbezogene Literatur ausgewertet, die zum Teil bis in die Antike zurückreicht, darunter auch zahlreiche der Werke, die Gegenstand der obigen historischen Zwischenbetrachtung waren. Durch diese Relevanzstruktur und Leitdifferenz dringt zugleich bekehrungsvorbereitendes bzw. auf Bekehrung bezogenes Handeln in den Bereich der Aufmerksamkeit. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es allerdings vor allem auf die Konversion selbst als die für diesen Sinnzusammenhang spezifische Elementaroperation an. Konversionen bilden hier deshalb die elementaren Ereignisse, weil sich mit jeder von ihnen die projizierten Möglichkeiten weiterer Mission und Evangelisation neu konfigurieren. Wie im vorangegangenen Abschnitt gesehen, hängt dies mit dem besonderen Verknappungsprinzip einer auf Summenkonstanz abstellenden Kontingenzformel zusammen: Sobald jemand zum Christentum konvertiert ist, liegt es nahe, die Evangelisationsanstrengungen auf bislang Unbekehrte zu richten; neue religiöse Zugehörigkeitsverteilungen schaffen neue geographisch lokalisierbare Dringlichkeiten für die Mission. Im Abschnitt über die spezifischen Fremdreferenzen dieser Sinnstruktur wird dies noch deutlicher werden. Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass die Konversion in dieser Perspektive, anders als im 19. Jahrhundert, nun geQuelle: Barret, Kurian et al. rade auch das Geschehen in einem pluralen Feld (2001: I, 5) vieler Religionen interpunktiert und religiöse Mobilität nicht allein über den Gegensatz von Christen/Heiden reflektiert. Deutlich wird dies in einer Tabelle, die noch eindringlicher den Eindruck einer rasanten Dynamik im Weltzusammenhang der Religionen vermittelt (siehe Abb. 5). Unter der Beschriftung „Today’s globe each 24 hours: daily worldwide statistical changes in 75 major secular, religious, Christian, and nonAbbildung 5: „Today’s globe each 24 hours“

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Christian characteristics“ werden u.a. die durchschnittlichen Wachstumsraten für zahlreiche Weltreligionen binnen den „nächsten 24 Stunden“ angegeben. So verliert der Graphik zufolge etwa der Shintoismus in Japan täglich 90 Anhänger, während die Juden 350 und der Konfuzianismus 120 Anhänger hinzugewinnen. Hier tritt noch einmal deutlich die kontrafaktische ‚organisatorische‘ Perspektive auf die religiöse Landschaft hervor.20 Gleichzeitig wird sichtbar, dass interreligiöse Wechsel in einer Weise stilisiert werden, die ihnen die Qualität einer ‚autopoietischen Taktung‘ verleihen. Jeder ‚Gewinn‘ bzw. jeder ‚Verlust‘ an Anhängern einer Religion gilt hier als Information bzw. als ‚ein Unterschied, der einen Unterschied macht‘. Die dabei zum Tragen kommenden Konzepte der religiösen Zugehörigkeit und der Konversionsentscheidung sind solche, die in weiten Teilen zunächst die organisatorische Ebene betreffen. Erst die interorganisationelle bzw. interreligiöse Relationierung richtet den Zusammenhang auf der Gesellschaftsebene ein. Hier hat man es mit einem „globalen Vergleichshorizont“ (Heintz/Werron 2010) zu tun, der alle Religionen und alle Bekehrungen der Welt in den Blick nimmt. Es konstituiert sich so eine Art ‚Marktstruktur‘ von Verteilungen religiöser Zugehörigkeiten, an der sich eine Vielzahl missionsinteressierter Organisationen orientiert. Dabei sind dann auch solche Ein- und Austritte relevant, die die ‚eigene‘ religiöse Organisation nicht unmittelbar betreffen.21 So zeigt sich die Differenz von Organisation und Gesellschaft nicht zuletzt daran, dass im Rahmen der interreligiösen Beobachtung des pfingstlichevangelikalen Christentums nicht allein die Zugehörigkeit zur eigenen Denomination im engeren Sinne von Relevanz ist, sondern vor dem Hintergrund einer interreligiösen Konkurrenz gerade auch die Zugehörigkeit zum Christentum per se interessiert, dort verstanden als Aggregat der Anhängerzahlen der verschiedenen sich als christlich ausweisenden Denominationen. Auch die pfingstlich-evangelikale Bewegung erscheint innerhalb dieser Perspektive in der Hauptsache als numerisches Konstrukt. Sie lässt sich schwerlich als Organisationssystem o.ä. fassen, sondern ist ebenfalls als ein Konglomerat von Gemeinden und Denominationen anzusehen, die sich anhand einer bestimmten religiösen Semantik als pfingstlich klassifizieren lassen. Anders als etwa die katholische Kirche, die ihre Einheit qua Organisation konstituiert, wird die ‚Einheit‘ der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nicht zuletzt über derartige statistische Aggregationen sichtbar gemacht. Auf die Beobachtung solcher Marktlagen lässt sich dann eine Vielzahl von Organisationen einheitlich bzw. komplementär ‚einnorden‘; diese richten daran dann wiederum ihr je unterschiedliches organisatorisches Handeln aus. Als überorganisationelle Struktur kann ein solcher Sinnhorizont indes nicht selbst wieder der Organisationsebene zugehören. In dieser Hinsicht übernehmen die hier skizzierten Religionsstatistiken ähnliche Funktionen, wie sie Urs Stäheli (2004) dem Börsenticker als wirtschaftsspezifisches Verbreitungsmedium bescheinigt. Insbesondere zwei der von Stäheli hervorgehobe20 Vgl. aber Daiber (1998) für eine jüngere Entwicklung von auf Mitgliedschaft und Zugehörigkeit abstellenden Laienorganisationen im südkoreanischen Buddhismus und Konfuzianismus. 21 Wie im letzten Kapitel dieser Arbeit erörtert wird, sehen sich selbst Vertreter des Hinduismus in Graden zur Beobachtung christlicher Bekehrungen in anderen Ländern (und innerhalb anderer Religionen) veranlasst, um Rückschlüsse auf die eigene Betroffenheit von christlichen Bekehrungsabsichten zu ziehen.

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nen Aspekte sind auch für diesen religiösen Kontext relevant. Zum einen hat der Börsenticker insofern eine Repräsentationsfunktion, als er den wirtschaftlichen Zahlungsverkehr in seiner rasanten Dynamik eindringlich vor Augen führt; zum anderen konsolidiert er eine Ausdifferenzierung von Zahlungskommunikation auf der Gesellschaftsebene, indem er einem potentiell gesellschaftsweiten Publikum Anschlussmöglichkeiten an aktuelle Marktlagen vermittelt: „Gerade weil die Zahlungsoperationen genauso wie die in der Börse erzeugten Preise weitgehend unsichtbar und abstrakt sind, erhält das Medium, welches diese darstellt, besondere Bedeutung. Erst das vom Ticker beschriebene Endlosband macht die Finanzkommunikationen jenseits von Interaktionskontexten beobachtbar und wird dadurch zur Grundlage für räumlich verstreute Anschlussoperationen. Der Ticker repräsentiert nicht einfach ein bereits diskursiviertes Börsengeschehen, sondern er macht die Börse außerhalb ihrer Wände erfahrbar und verwandelt so die raumgebundene Börseninteraktion in die Preiskommunikation eines raumüberschreitenden Funktionssystems. Erst durch den Ticker wird der Finanzmarkt zum Markt.“ (Stäheli 2004: 252; Herv. M.P.)

Wie die Graphiken deutlich machen, erfüllen auch die hier vorliegenden Religionsstatistiken Repräsentationsfunktionen: In der Veranschaulichung der missionsrelevanten Fluktuationen zwischen den verschiedenen Religionen wird ein globaler religiöser Zusammenhang offenbar. Zugleich kommt ihnen aber ebenso die konstitutive Funktion zu, religiöse Wechsel überhaupt erst beobachtbar und so zum Ausgangspunkt missionarischer Intervention zu machen. Die Kontinuität solcher konversionsbezogenen ‚Taktungen‘ wird dabei über die zum Teil wöchentlichen Aktualisierungen der Datenbank WCD sowie anderer evangelikaler Internetplattformen gewährleistet, von denen einige unten noch zu diskutieren sind. Ähnlich wie der Börsenticker aus zunächst „unsichtbaren“ Zahlungsoperationen und Preiskommunikationen anschaulich einen Marktzusammenhang generiert, so konstruiert auch die hier untersuchte Religionsstatistik durch ihre gesellschaftsweit zugängliche und kontinuierliche Bilanzierung von Konversionen einen interreligiösen ‚Markt‘, obgleich dieser zunächst allein das pfingstlich-evangelikale Christentum fasziniert. Gleichwohl hat die Religionsstatistik in vielerlei Hinsicht eine andere Qualität als der Börsenticker. So handelt es sich hier nicht etwa um „Echtzeitkommunikation“ (Stäheli 2004: 260), die die Ereignisse nahezu im Moment ihres Geschehens verbreitet. Die Dynamik täglicher religiöser Umschläge wird über statistische Interpolationen gewissermaßen ‚fingiert‘. Vor allem aber: Die Religionsstatistik zieht nicht einfach ‚Konversionsentscheidungen‘ aus den „raumgebundenen“ organisatorischen und interaktiven Kontexten heraus und macht sie gesellschaftsweit sichtbar und anschlussfähig. Vielmehr handelt es sich hierbei um kommunikative Konstruktionen einer partikularen Beobachterperspektive. Konversionen werden dem ausgewerteten statistischen Material rückwirkend zugrunde gelegt. Neben statistischen Fragebögen, Feldstudien, Interviews und Korrespondenzen sowie zahlreichen Dokumentationsmaterialien, Jahrbüchern etc., die sich bezüglich der Kirchen, Religionen und religiösen Gruppierungen akquirieren lassen, bilden dabei nicht zuletzt die Regierungszensnjs zwischen 1900-2000 eine wesentliche Quelle (vgl. WCT: 468). Nach Aussage der Autoren (ebd.) werden im Rahmen solcher Zensnjs in über 120 Ländern die religiösen Zugehörigkeiten der Bevölkerung erhoben. Bei den Ländern ohne entsprechende Er-

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hebungen stützt man sich für eine Einschätzung der religiösen Zugehörigkeiten auf die anderen Quellen sowie auf religions- und politikwissenschaftliche Literatur (vgl. ebd.). Auf dieses religionsstatistische Rohmaterial wird folglich eine Logik des „denominational switching“ (Wuthnow 1988: 88ff.) projiziert, wie sie vor allem für den religiösen Kontext der USA typisch ist. Anhand von Daten der Gallup-Erhebung kann Wuthnow (1988) zeigen, dass in den 1980er Jahren jede dritte Person der amerikanischen Erwachsenenbevölkerung im Laufe ihres Lebens mindestens einmal ihre religiöse Zugehörigkeit gewechselt hat. Sogar unter denen, die als Juden bzw. Katholiken erzogen worden sind, wird für 15 bzw. 17 Prozent eine solche religiöse Mobilität konstatiert.22 Diese Praxis lässt sich aber kaum auf die Verhältnisse außerhalb der USA generalisieren. Dabei wird die Problematik von Mehrfachzugehörigkeiten und religiöser ‚Polygamie‘ etwa, die gegen ein solches ‚denominationales‘ bzw. organisatorisches Modell und eine ‚Summenkonstanzlogik‘ von Religion spricht, durchaus gesehen; gleichwohl schätzen es die Autoren als vernachlässigbar ein: „In Thailand, a Christian may consider himself to be 70% Buddhist also, and vice versa. In India, a Christian may regard himself as also a Hindu. [...] Nevertheless, the overwhelming majority of individuals in the world can be said to have and to profess one single predominant religion or philosophy. In this survey, therefore, we consider every person to be a coherent individual with one single religion or none, or in a small number of cases doubly-professing in 2 distinct religions.“ (WCT: 464)

Für eine solche Auffassung von Religion erhält diese Perspektive nicht zuletzt Rückendeckung von den Regierungszensnjs selbst, der Hauptquelle der hier diskutierten Religionsstatistiken: „We recognize here that there are many individuals who like to think of themselves as having 2, 3, 4 or even more of these labels simultaneously. In reply it should be noted that (1) no government census in any country gives such individuals the option of a multiple choice, (2) such individuals are normally few in number, (3) the vast majority of people in virtually all countries can be clearly described by a single term each, and (4) our survey is a demographic one describing broad populations rather than exceptional individuals. To this extent our use of mutually-exclusive categories is justified.“ (WCT: 475; Herv. M.P.)

Dem Problem mangelnder Vergleichbarkeit, das insbesondere in kirchlich erhobenen Statistiken aufgrund unterschiedlicher Definitionen von Kirchenmitgliedschaft (z.B. nur Erwachsene, auch Kinder etc.) auftritt, wird durch entsprechende statistische Bereinigungen begegnet (vgl. WCT: 468ff.). Den Diskrepanzen zwischen Zensusdaten und Kirchenstatistiken wird man hier dadurch gerecht, dass man zwischen den nun nicht als exklusiv gedachten Kategorien der „affiliated Christians“ (Kirchenstatistik) und der „professing Christians“ (Zensus) unterscheidet (vgl. dazu WCT: 469f.). Da22 Wuthnow (1988: 71ff.) hat in derartiger Mobilität einen Rückgang des Denominationalismus gesehen; vgl. aber Casanova (1992: 29f.), der dies unter Bezugnahme auf Wuthnow umgekehrt als die eigentliche Verwirklichung des denominationalistischen Prinzips bezeichnet.

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neben findet sich die Kategorie der „practicing Christians“, die auf Erhebungen der Gottesdienstpartizipation beruht.23 Das, was als Konversionsentscheidung behandelt wird, ist somit in erster Linie ein Rechenkonstrukt. Veränderungen in statistisch dokumentierten religiösen Zugehörigkeiten, etwa solche zwischen zwei Zensuserhebungen, werden dabei um jene Veränderungen bereinigt, die lediglich auf demographischem Wandel beruhen. Die daraus hervorgehenden religiösen Wechsel werden dann auf entsprechend kürzere Zeiteinheiten als die zeitlichen Abstände zwischen den Erhebungen ‚heruntergerechnet‘. Die Konversion als spezifischer Beitritts- oder Austrittsakt mit einer entsprechenden Raum-Zeit-Stelle bildet somit in weiten Teilen ein mathematisches Artefakt. Damit liegt der Fall hier deutlich anders als im Falle der Börsenkommunikation oder auch der Beobachtung sportlicher Leistungen durch ein vergleichendes Publikum. Die Funktion einer Spiegelung und Verbreitung von Systemzuständen hat die hier verhandelte Religionsstatistik mit diesen Fällen zwar gemein. Das Publikum im Sport und der Börsenticker in der Wirtschaft erfüllen diese Funktion allerdings dahingehend, dass sie diskrete und lokale Ereignisse eines Interaktionskontexts enträumlichen, in das Gesamtsystem spiegeln und zum Ausgangspunkt weiterer, potentiell gesellschaftsweiter Anschlüsse machen. Demgegenüber werden im Falle der Religionsstatistik nicht einfach Ereignisse aus den begrenzten Interaktionskontexten hinausgezogen und auf die Gesellschaftsebene gehoben. Die Verlaufsrichtung ist vielmehr die umgekehrte: Über statistische Rechnungen werden religionsbezogene Veränderungen nachträglich diskretiert und als individuelle Konversionsentscheidungen in lokalen Kontexten rekonstruiert. Die zu diesen beobachteten ‚Konversionen‘ semantisch zugehörigen (und christlich partikularen) religiösen Interaktions- und Organisationskontexte werden somit ebenfalls implizit ‚hinzukonstruiert‘. Weder die kulturellen Vorstellungen einer individuellen Wahlfreiheit und ‚monogamen‘ Zugehörigkeit im Bereich der Religion noch ihre rechtlich-institutionellen Voraussetzungen lassen sich hier ohne weiteres vom amerikanischen Kontext auf andere Re(li)gionen und Kulturen der Welt übertragen. Das schließt nicht aus, dass tatsächlich individuell ‚deliberierte‘ Entscheidungen zum Organisationsbeitritt, gar auf der Basis von interaktiven Evangelisationsanstrengungen o.ä., stattgefunden haben mögen. Entscheidend ist, dass es für diese statistische Perspektive darauf letztlich nicht ankommt. Alles, was jenseits demographischen Wandels zu den religiösen Veränderungen beigetragen hat, wird hier als ‚Konversion‘ stilisiert. Der missionsorientierte Selektionshorizont, der hier durch den spezifischen Elementarakt der ‚Konversion‘ fortlaufend reproduziert wird und neue Ausgangslagen für bekehrungsbezogene Aktivitäten schafft, ruht damit nicht bloß auf der Verbreitung, sondern noch grundlegender auf der Konstruktion spezifischer Elementaroperationen, die im scharfen Kontrast zu den tatsächlichen sozialen Selbstauslegungen der Situationen ‚vor Ort‘ stehen kann. Der Zugang zum Gegenstand der Bekehrung, den die vorliegende Untersuchung damit in ihrer Beobachtung dritter Ordnung wählt, lässt sich nicht leicht der gegen-

23 Ferner findet sich eine Kategorie der „Great Commission Christians“ als diejenigen Christen, die dem Missionsbefehl aktiv folgen; zu der komplizierten Berechnung dieser Gruppe vgl. WCT: 665ff.

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wärtigen soziologischen Konversionsforschung subsumieren.24 Er ist dem Ansatz in der Konversionsforschung am nächsten, der sich für die kommunikative Konstrukti24 Für Forschungsüberblicke siehe Krech (1995); Pollack (2009b); Wohlrab-Sahr et al. (1998); einen mittlerweile ‚klassischen‘ Überblick liefern Snow/Machalek (1984). Gemeinhin werden dreierlei Forschungsschwerpunkte innerhalb der soziologischen Konversionsforschung unterschieden: Ein Akzent liegt auf der Konzeptualisierung von Konversion. Die Beiträge reichen hier von Definitions- und Abgrenzungsversuchen (vgl. Gordon 1974; Nock 1933; Shepherd 1979; Staples/Mauss 1987; Travisano 1970) über Phasen- bzw. Prozessmodelle (vgl. Gooren 2004; Lofland/Stark 1965; Rambo 1993; Richardson/Stewart 1978) bis hin zu Typologien von Konversionen (vgl. z.B. Lofland/Skonovd 1981; Rambo 1993: 12ff.). Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei den Ursachen von Konversionen. Eine dominante Strömung legt dabei einen besonderen Fokus auf soziale Netzwerke in ihrer Erklärung von Konversion (vgl. Gerlach/Hine 1970; Harrison 1974a; Stark/Bainbridge 1980); in eine ähnliche Richtung zielen Ansätze, die besonders auf Faktoren emotionaler Bindung, etwa an charismatische Persönlichkeiten etc., abstellen (vgl. Jacobs 1989; Rambo 1993: 96ff.; Ullman 1982); ferner kommt dabei Konversion unter funktionalistischen Gesichtspunkten in den Blick, d.h. hinsichtlich individueller Probleme, die durch eine Konversion gelöst werden und einen solchen Schritt entsprechend erklären. Im deutschsprachigen Raum hat insbesondere Monika Wohlrab-Sahr (1995; 1996a; 1996b; 1999) Konversionen zum Islam in Deutschland und in den USA aus einer solchen ‚funktionalistischen‘ Perspektive untersucht. Als Beitrag zur Ursachenforschung darf auch Loflands und Skonovds (1981) Typologie von Konversionsmotiven gelten; unter Motivgesichtspunkten ist schließlich auch der Rational-Choice-Ansatz zu erwähnen (vgl. Stark/Finke 2000). Hier wird Konversion als Resultat einer individuellen Kosten-Nutzen-Erwägung verstanden und zu einer religiösen Angebotslage ins Verhältnis gesetzt. Eine der bestimmenden Kontroversen sowohl im Zusammenhang mit den konzeptualisierenden als auch kausalanalytischen Forschungsperspektiven liegt in der Frage, ob dem Individuum eher eine passive oder eher eine aktive Rolle in der Konversion zukommt (vgl. Pollack 2009b: 309f.; Wohlrab-Sahr et al. 1998: 11). Den Ansätzen gemein ist dabei ein eher ‚ontischer‘ Zugang zum Sachverhalt der Konversion. So unterscheiden sich die sozialwissenschaftlichen Definitionen von Konversion kaum von jenen, denen man auf der Gegenstandsseite begegnet. Der Topos eines ‚radikalen persönlichen Wandels‘ etwa, der auch in der vorliegenden Untersuchung in der Betrachtung des (pfingstlich-)evangelikalen Konversionsverständnisses zur Sprache kam, bestimmt hier auch maßgeblich die wissenschaftliche Diskussion (vgl. Snow/Machalek 1984: 169; Wohlrab-Sahr et al. 1998: 17). Demgegenüber hat sich drittens ein jüngerer, stärker konstruktivistisch akzentuierter Forschungsstrang darum bemüht, die Ebenen der sozialwissenschaftlichen Analyse und des sozialen Tatbestandes der Konversion deutlicher auseinander zu halten. Dabei rückt vor allem die narrative Struktur von Berichten über Konversionen und ein Verständnis von Konversionserzählungen als gruppenspezifischen Wirklichkeitskonstrukten und Deutungsschemata in den Vordergrund (vgl. Beckford 1983; Bischofberger 1992; Frediksen 1986; Krech 1998b; Shimazono 1986; Snow/Machalek 1983); Thomas Luckmann (1987) etwa führt die Konversionserzählung im Rahmen seiner wissenssoziologischen Kommunikationstheorie als eine „kommunikative Gattung“ (vgl. auch Ulmer 1988). Einige dieser Ansätze sind dabei immer noch als ein eher konzeptioneller Versuch zu verstehen; hier nähert man sich dem Sachverhalt der Konversion analytisch anhand von Anzeichen, die auf der rhetorischen Ebene anzusiedeln sind, und grenzt sich da-

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on von Konversion im Rahmen von autobiographischen Erzählungen interessiert. Allerdings geht es im vorliegenden Zusammenhang weniger um den mikrosozialen Charakter solcher Konstruktionen und deren individuell-biographische Signifikanzen. Stattdessen gilt das Interesse dieser Studie der Konstruktion eines ‚makroskopischen‘ Sinnhorizonts, der sich auf der Basis einer Quantifizierung von Konversionen konstituiert. Solche Sinnorientierungen schlagen gleichwohl, wie noch genauer zu zeigen sein wird, auf die Organisations- und Interaktionsebene durch, indem Organisationen sich entsprechenden Missionszwecken verschreiben und man Konversionen innerhalb von Interaktionen nicht nur herbeizuführen versucht, sondern auch rhetorisch inszeniert. Die Konversionserzählungen, die die Konversionsforschung auf der individuellen Ebene und Gruppenebene durchleuchtet, tragen im pfingstlichevangelikalen Lager dann nicht zuletzt eine Referenz auf die übergeordnete Ebene der massenhaften Bekehrung der Welt – etwa indem die individuellen Zeugnisse im Rahmen der Evangelisationskampagnen mit entsprechenden Verweisen und Evokationen von ‚Quantität‘ versehen werden („Und wieder eine Bekehrung zu Gott“). Es geht hier also um eine differenzierungstheoretische Herangehensweise an die Bekehrungsfrage, für die sich innerhalb der soziologischen Konversionsforschung zunächst kein Vorbild findet. Gleichwohl nähert sich auch der vorliegende Ansatz seinem Gegenstand – ebenso wie die Forschung zu Konversionserzählungen – auf einer Ebene der Beobachtung zweiter bzw. dritter Ordnung. Es geht nicht um eine wissenschaftliche Beobachtung von Konversionen an sich, sondern um die Beobachtung einer Beobachtung von Konversionen. In konstruktivistischer Hinsicht gibt sich der Fall der pfingstlich-evangelikalen Beobachtung religiöser Zugehörigkeitslagen indes noch radikaler. Hier werden nicht nur – in der soziologischen Beobachtung wie in den Beobachtungen auf der Gegenstandsseite selbst – psychische Realitäten weggekürzt, inmit von Ansätzen ab, die Indikatoren in entsprechenden Mitgliedschaften und Konfirmationsritualen sehen (vgl. etwa Snow/Machalek 1983). Beobachtungen erster Ordnung und Beobachtungen zweiter Ordnung sind hier folglich noch stark konfundiert, auch wenn die kommunikative Ebene rein als Kommunikation zum Analysegegenstand wird und man sich davor verwahrt, anhand von Konversionsberichten Ursachenforschung zu betreiben. Andere Studien ziehen allerdings noch deutlicher die konstruktivistischen Konsequenzen aus dem kommunikationsanalytischen Ansatz und beobachten Konversionserzählungen im Hinblick auf die Form und Typik, die diese nicht etwa wissenschaftlich, sondern von der Warte der in Frage stehenden sozialen Gruppe als Indikatoren einer faktischen Konversion validieren; psychische Realitäten werden dabei zum Teil ausdrücklich in der Analyse weggekürzt, ohne sie freilich zu bestreiten (vgl. Krech 1994; 1998b; Stolz 2000). Einen mittleren Weg wählen hier diejenigen Ansätze, die in den Konversionserzählungen ein soziales Interpretament sehen, mit dem sich bestimmte Bewusstseinsphänomene oder biographische Erfahrungen als Konversion auslegen oder Konversionen im Zusammenspiel mit Bewusstseinsprozessen auf den Weg bringen lassen (vgl. Pollack 2009b: 318ff.; Staples/Mauss 1987; Stromberg 1990; 1993). Gerade die evangelikale Konversion ist immer wieder Gegenstand insbesondere des rhetorischen bzw. kommunikationsanalytischen Ansatzes geworden (vgl. nur Bischofberger 1992; Booth 1995; Lawless 1988b; Staples/Mauss 1987; zuletzt Manglos 2010). Es wurde oben im historisch-religionswissenschaftlichen Abriss über die Pfingstbewegung erwähnt, dass im evangelikalen Milieu in der Regel von dem Konvertiten eine bestimmte Konversionserzählung erwartet wird.

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dem Konversionen allein auf der kommunikativen Ebene authentifiziert werden.25 In den im vorliegenden Zusammenhang analysierten Beobachtungen globaler Konversionsdynamiken wird selbst noch von den je lokalen kommunikativen Realitäten weitgehend abgesehen, ohne dass dies der Perpetuierung und Selbstreproduktion einer gesellschaftlichen Sinnsphäre einen Abbruch täte. Was auch immer zu einem unterschiedlichen Antwortverhalten in entsprechenden Zensusbefragungen geführt hat – seien es individuell-psychische Idiosynkrasien, seien es soziale Dynamiken und Prozesse, die zwischen den Befragungen entsprechende Veränderungen bewirkt haben, sei es gar ein statistischer Erhebungsfehler: Über die hier an den Tag gelegten Beobachtungsschemata und Verrechnungsmethoden wird diese Veränderung als Konversionsentscheidung konstruiert und auf einer solchen Basis eine fortlaufende Reproduktionsdynamik hinsichtlich religiöser Zugehörigkeitslagen im globalen Maßstab fabriziert. Gleichwohl lässt sich das, was hier beobachtet wird, als autopoietisches System im Sinne Luhmanns (1984a) bezeichnen. Die Analogie zum biologischen Begriff der Autopoiesis liegt nicht zuletzt darin, dass für das soziale System ähnlich wie für biologische Organismen eine Selbstkonstitution der Systemelemente durch das System selbst unterstellt wird. Im Sinne einer Emergenz von oben (vgl. Luhmann 1984a: 49) wird im Zusammenhang der kommunikativen Operationen des Systems selbst bestimmt, was als kommunikatives Element zu gelten hat und was nicht. Kommunikation wird über entsprechende Zurechnungen und kommunikativen Anschluss als Kommunikation validiert. Sie ist somit „ohne Mitteilungsabsicht möglich, wenn es Ego gelingt, eine Differenz von Mitteilung und Information gleichwohl zu beobachten“ (Luhmann 1984a: 208). Ein Handzeichen etwa muss nicht als Gruß gemeint gewesen sein, um als ein solcher behandelt zu werden. Und in Organisationen kann etwas als Entscheidung genommen werden, „das für den, dem es zugerechnet wird, gar nicht so erschienen war“ (Luhmann 2006: 124). Nichts anderes gilt für Funktionssysteme: Auch hier werden Elemente über ihre kommunikative Einflechtung in einen funktionsspezifischen Operationszusammenhang als systemzugehörig qualifiziert. Das ‚Konstruktionspotential‘ variiert unter den Funktionssystemen dabei allerdings erheblich. Einer Geldzahlung lässt sich schwerlich ihr wirtschaftlicher Sinn abstreiten. Ähnliches gilt für einen Richterspruch und die Reproduktion des Rechtssystems. Was indes als Demonstration politischer Macht behandelt werden kann, lässt bereits weitaus mehr Interpretationsfreiheiten und Aushandlungsspielräume – man denke nur an die kalkuliert eingesetzten Ambiguitäten im Rahmen der politischen Diploma25 Dabei geht es auf der Ebene der soziologischen Betrachtung nicht etwa darum, eventuelle psychische Realitäten zu leugnen; es handelt sich hier nicht um ein ‚entweder-oder‘ von Konversion als kommunikativem Akt oder Bewusstseinsveränderung, wie bisweilen mit Blick auf die soziologische Konversionsforschung suggeriert wird (vgl. zu dieser Kritik Pollack 2009b: 313f.). Die systemtheoretische Pointe liegt darin, dass die Selbstreproduktion der Kommunikation zwar nicht ohne psychische Systeme auskommt, wohl aber, ohne dass jede kommunikative Zurechnung tatsächlich durch entsprechende psychische Realitäten und Motivlagen gedeckt sein muss. Auch hier gibt es freilich Grenzen; zu Recht erinnern Friedrich et al. (1998: 94f.) in diesem konversionsbezogenen Zusammenhang an den systemtheoretischen Gedanken einer strukturellen Kopplung zwischen Kommunikation und Bewusstsein, mit dem ein wechselseitig einschränkendes Verhältnis gemeint ist.

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tie. Gleiches gilt für die Frage, was als Kunstwerk (im Gegensatz zu Kitsch oder Erzeugnissen ohne künstlerischen Wert) gelten darf. Westliche Ausstellungen der ‚Kunst‘ ‚primitiver‘ oder nicht-westlicher Kulturen stellen zum Teil Artefakte zusammen, die sich in der Regel nicht auf den künstlerischen Sinnhorizont hin entworfen haben, vor dem sie schließlich als Kunst ausgewählt werden. Gerade hier ruht der Anschlusszusammenhang in hohem Maße auf den Selektions- und Konstruktionsleistungen einer Ebene ‚sekundärer Kommunikation‘ auf, d.h. der bloß beobachtenden Kunstkritik. Und auch im vorliegenden Zusammenhang hat man es mit einem System zu tun, das autonom bestimmt, was es als spezifische Elemente, d.h. Konversionen, behandelt und was nicht. Es ist folglich nicht so sehr der konstruierte Charakter der Bekehrungen, der diesen Operationszusammenhang vom Operieren anderer Teilsysteme unterscheidet, insoweit auch Letztere auf kommunikative Zurechnungen und beobachtende Synthesen angewiesen sind. Der (eher graduelle) Unterschied liegt vielmehr darin, dass diese Konstruktion religiöser Wirklichkeit in drastischem Ausmaß von den Konstruktionen religiöser Anderer divergieren dürfte. Ihrer operativen Realität tut dies indes keinen Abbruch. Indem die registrierten ‚Konversionen‘ und Zugehörigkeiten stets auf vergangene Verteilungen religiöser Anhänger zurückweisen und direktiv auf zukünftig mögliche vorausweisen, richtet sich ein globaler Operationsverbund religiöser Mobilität als ‚Abschattungskontinuität‘ ‚oberhalb‘ der Organisations- und Interaktionsebene ein.26 Es konstituiert sich auf der Basis einer zum Teil kontrafaktischen Zurechnung von Konversionen die Realität eines globalen Missionsunternehmens, das sich von solchen Konstruktionen weitreichend orientieren lässt. Ein alle Religionen inkludierendes Funktionssystem im Sinne Luhmanns (2000a), das sei hier nochmals gesagt, soll damit nicht bezeichnet sein. So verknüpfen sich mit dieser Erörterung auch keine Annahmen der Ausdifferenzierung einer religiösen ‚Funktion‘. Damit schließt die vorliegende Beschreibung auch an den jüngeren Ansatz Peter Beyers (2006) an, der die Funktionsperspektive in seinen Arbeiten zum religiösen „Funktionssystem“ weitgehend, wenn auch nur implizit, aufgegeben hat. Auch im vorliegenden Zusammenhang geht es allein um die Ausdifferenzierung eines spezifischen Sinngeschehens – ein Sinn, der sich in substantieller Hinsicht als ‚religiös‘ qualifizieren lässt. Sofern dabei dennoch die Rede vom „Funktionssystem“ ist, soll damit allein dessen makrosoziale Verortung angezeigt sein, ohne dass damit irgendwelche religiösen Alleinzuständigkeiten postuliert oder anderweitige religiöse Makrostrukturen ausgeschlossen wären. Die Globalität dieser Struktur wird dabei zunächst allein durch die Totalität ihrer Perspektive eingelöst: Alle ‚Konversionen‘ der Welt werden in diesen Sinnzusammenhang einbezogen und je weiteren bekehrungsbezogenen Beobachtungen und Handlungen zugrunde gelegt. Es konstituiert sich folglich dahingehend ein globaler ‚Singular‘, als dem Anspruch nach keinerlei zahlenmäßige Verschiebungen zwischen den religiösen Zugehörigkeiten unberücksichtigt bleiben; es sind keine Nebenschauplätze religiöser Konkurrenz abseits von den Relevanzstrukturen dieser Sinnperspektive vorgesehen. Inwieweit sich andere 26 In diesem phänomenologischen Sinne darf hier folglich von „Vernetzung“ die Rede sein. Es sei bezüglich dieses phänomenologisch-systemtheoretischen Konzepts von Vernetzung erneut auf die obige Kritik an der Unterscheidung einer „Beschreibungsdimension“ und „Vernetzungdimension“ der Globalisierung bei Heintz/Werron (2011) hingewiesen (siehe Kap. VI, Anm. 3 und 8).

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Religionen davon tatsächlich beeinflussen lassen, inwieweit also das Kriterium der Konvergenz des in dieser Arbeit veranschlagten Globalitätsbegriffs erfüllt ist, wird Gegenstand des letzten Kapitels sein. Für den Augenblick ist jedoch die Beschaffenheit der hier konstruierten Sinnwelt noch etwas genauer zu analysieren. Im Folgenden gilt es sich daher den fremdreferentiellen Momenten dieser konversionsfokussierten Aufmerksamkeitsökonomie zuzuwenden. 1.5 Die fremdreferentielle Konfiguration von Welt Wie in der Rekonstruktion der Differenzierungstheorie Luhmanns deutlich wurde, konstruiert ein Funktionssystem seine Umwelt nach Maßgabe einer je spezifischen Funktionsperspektive. So aktualisieren Operationen der Wirtschaft nicht nur Selbstreferenz über ihren Geldbezug, sondern praktizieren zugleich Fremdreferenz, indem im selben Akt etwa auf Waren, Nachfrage oder Bedürfnisse verwiesen wird. Erziehungsbezogene Kommunikation flaggt durch das Symbol der Erziehungsabsicht ihre Zugehörigkeit zum operativen Zusammenhang des Erziehungssystems aus und führt zugleich fremdreferentielle Bezüge auf die zu erziehenden Personen oder etwa die Lernatmosphäre in der Klasse. Ganz analog lassen sich auch für den sich in der WCE/WCT/WCD niederschlagenden Sinnzusammenhang entsprechende Fremdreferenzen ausmachen. Im Einklang mit der Konversionsthematik und dem selbstreferentiellen Anschlusszusammenhang von Konversionen kommen auf der fremdreferentiellen Seite die zu bekehrenden Individuen unter dem Gesichtspunkt der ‚kommunikativen Erreichbarkeit‘ und des ‚kommunikativen Erfolgs‘ in den Blick. Unter dem Aspekt der Erreichbarkeit wird die konversionsbezogene Sinnwelt religiöser Zugehörigkeiten folglich wieder zur geographisch-räumlichen Welt ins Verhältnis gesetzt. Es hat sich bereits in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt, inwiefern Nationalstaaten und Städte vor allem unter dem Gesichtspunkt der Beherbergung bislang nicht oder nicht ausreichend evangelisierter und christianisierter Bevölkerungsanteile in den Blick kommen. Wie schon im 19. Jahrhundert offenbart sich hier eine religiöse Semantik von ‚Welt‘, die weniger die der ‚gefallenen‘ Welt ist, als vielmehr die des ganzen Globus als Missionsgebiet (vgl. auch Coleman 2000: 49; Tyrell 2004: 98). Kommunikative Erreichbarkeit bedeutet allerdings nicht allein die Überbrückung von räumlichen Distanzen in der Vermittlung von evangelisationsbezogenen Kommunikationsofferten, sondern auch das sprachliche Verstehen solcher Angebote. Wie zuvor schon angedeutet, hat dies bereits im 19. Jahrhundert beachtliche Anstrengungen befördert, sich mit den Sprachen der Welt vertraut zu machen und entsprechende Bibelübersetzungen auf den Weg zu bringen. Auch in der Perspektive der pfingstlich-evangelikalen Mission kommt ‚Welt‘ mitunter als die Summe aller unterschiedlichen Sprachen in den Blick. Problematische Chancen des Annahmeerfolgs von Bekehrungsangeboten lenken aber gleichzeitig auch den Blick auf kulturelle Barrieren. Auch hierfür finden sich schon Präzedenzen im 19. Jahrhundert. So wurde oben bereits auf zahlreiche Artikel in der „Allgemeinen Missions-Zeitschrift“ hingewiesen, die die ethnischen Gruppen der Erde ‚profilieren‘.27 Im Rahmen der pfingstlich-evangelikalen Missionsbeobachtung wird ‚Welt‘ folglich auch als Summe der 27 Vgl. erneut Haigh (1896): „Der Durchschnittshindu“, und Endemann (1876): „Die SothoNeger“.

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verschiedenen ethnokulturellen Gruppen bzw. „people groups“ rekonstruiert. Diese Beobachtung ist insbesondere im Rahmen der Gemeindewachstumsbewegung elaboriert worden. So liefert etwa der bereits erwähnte Ralph D. Winter, ehemals Professor an der School of World Mission des Fuller Seminary und Gründer des Foreign Mission Fellowship und des U.S. Center for World Mission, folgende Definition für eine „Volksgruppe“: „For evangelization purposes, a people group is the largest group within which the Gospel can spread as a church planting movement without encountering barriers of understanding or acceptance.“ (vgl. Winter/Koch 1999: 69; Herv. M.P.) Auf die frappierende Nähe zu den kommunikationstheoretischen Überlegungen Luhmanns (etwa 1981/2005) braucht hier kaum noch hingewiesen zu werden. Schließlich wird hier nicht nur die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens, sondern auch die Unwahrscheinlichkeit der Annahme religionsbezogener Selektionsofferten thematisiert. Donald McGavran, der Begründer der Gemeindewachstumsbewegung, war es, der Annahmewahrscheinlichkeiten systematisch mit den kulturellen Traditionen der Adressaten in einen Zusammenhang gebracht hat, so beispielsweise mit Ethnizität, dem indischen Kastensystem und anderen soziokulturellen Hintergründen.28 Seine zentrale Schlussfolgerung war: „Menschen werden gerne Christen, wenn sie dazu nicht Rassen-, Klassen- oder Sprachbarrieren überschreiten müssen.“ (McGavran 1990: 196) An diese Konzeption schließt der Gedanke der „hidden peoples“ von Ralph Winter sowie das verwandte Konzept der „unreached peoples“ an, mit dem insbesondere C. Peter Wagner und Edward R. Dayton arbeiten.29 Diese Perspektive setzt auf kulturelle statt auf geographische Distanz und macht damit auf Gruppen aufmerksam, „who, whether geographically near or far from Christian outreach, are sufficiently different linguistically, socially, economically, or culturally so that they are simply not realistic candidates for membership in existing Christian churches“ (Winter 1979: 17).30 Winter (1979: 18) zählt 2.456 Milliarden der ca. drei Milliarden Nicht-Christen zu den „hidden peoples“. Mit dieser Perspektive wird Kritik an Missionsstrategien geübt, die sich mit der Unterstützung von Nationalkirchen begnügen und damit das missionsstrategisch relevante „Bevölkerungsmosaik“ (McGavran 1990: 64) innerhalb der Nationalstaaten übersehen.31 In der WCE (II, 243ff.) zeigt sich nun, wie mit dieser fremdreferentiellen Perspektive auf die Welt wiederum Globalität im Sinne von Totalität realisiert wird. So 28 Vgl. http://www.joshuaproject.net/assets/HowManyPeopleGroupsAreThere.pdf vom 10.10. 2009, S. 2; vgl. auch Winter/Koch (1999 : 69). 29 Vgl. zu terminologischen Vorbehalten zu „reached/unreached“ Winter (1979: 39ff.). 30 Winter (1979: 17ff.) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen vier Ebenen der Evangelisation: E0-Evangelismus, der sich nominalen, aber nicht praktizierenden Christen innerhalb christlicher Kulturen widmet; E1-Evangelismus, der sich Nicht-Christen widmet, für die kulturell passende Gemeinden existieren; schließlich E2- und E3-Evangelismus, die sich Nicht-Christen widmen, für die keine kulturell passenden Gemeinden existieren, wobei auf der Ebene 2 noch eine gewisse kulturelle Nähe zu bestehenden Gemeinden besteht, während auf der Ebene 3 beinahe vollständige kulturelle Differenz zu konstatieren ist. 31 Winter (1979: 38f.) sieht sich dabei in der Tradition von Hudson Taylor und den „faith missions“, deren Kerneigenschaft er nicht allein in der auf „faith“ beruhenden Finanzierungsplanung, sondern auch in der Sensibilität für solche „hidden peoples“ sieht; so etwa in den Gründungen der China Inland Mission, African Inland Mission etc.

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werden zum einen – hinsichtlich der Problematik einer Verständlichkeit missionsbezogener Kommunikationsofferten – unter dem Stichwort „Linguametrcis“ alle Sprachen der Welt unabhängig von ihren ethnokulturellen Einbettungen in einer Tabelle aufgelistet. Wie schon in den enzyklopädischen Unterfangen des 17. und 18. Jahrhunderts vermittelt hier nicht zuletzt die tabellarische Form einer abgeschlossenen Liste die totalisierende Perspektive. Die Welt wird – ohne Rest – in Sprachen zerlegt. Dabei wird auch auf die Arbeiten der Wycliffe Bible Translators und des damit assoziierten Summer Institute of Linguistics (heute: SIL International) zurückgegriffen. Diese wurden 1942 durch den in Guatemala aktiven Missionar Cameron Townsend ins Leben gerufen und widmen sich der Übersetzung der Bibel in alle lebenden Sprachen der Welt sowie der Verbreitung dieser Übersetzungen.32 Das Ziel ist es, allen ethnokulturellen Gruppen das Evangelium in ihrer indigenen Sprache zugänglich zu machen. Dafür studieren Mitarbeiter von WBT/SIL die verschiedenen „Ethnokulturen“ vor Ort unter linguistischen und ethnologischen Gesichtspunkten. Obwohl sich damit auch klassische Missionstätigkeiten verbinden, ist in diesem reflexionsbezogenen Zusammenhang vor allem das von SIL International verantwortete „Ethnologue“-Projekt von Bedeutung. Es katalogisiert alle Sprachen der Welt; bis dato sind 6.909 Sprachen erfasst.33 Dabei werden auch die weit über hundert verschiedenen Zeichensprachen für Gehörlose berücksichtigt. Wycliffe Bible Translators beziffert die Zahl der Sprachen, in denen noch keine Bibelübersetzungen vorliegen auf 2.393; dies umfasst die Muttersprachen von insgesamt zwei Milliarden Menschen.34 In der an diese Forschungen anknüpfenden WCE/WCT/WCD werden nun acht unterschiedliche Verwandtschaftsgrade zwischen den einzelnen Sprachen unterschieden, die jeweils das Ausmaß der wechselseitigen Verständlichkeit angeben. Für jede Sprache lassen sich dabei sechs Zugehörigkeiten zu immer umfassenderen Sprachfamilien angeben (von dem relativ spezifischen „Glossocluster“ bis zu einer der 10 umfassenden „Macrozones“). Innerhalb der Sprache selbst lässt sich dabei noch zwischen Dialekten unterscheiden. Über den Vergleich der Codes zweier beliebiger Sprachen, anhand derer eine Einordnung in die Sprachfamilien erfolgt, lässt sich dann der Grad der gegenseitigen Verständlichkeit bestimmen. Für eine gemeinsame „Macrozone“ etwa wird ein Verständlichkeitsausmaß von 0-5% veranschlagt. Die gemeinsame Zugehörigkeit zu einem „Glossocluster“, der ersten Ordnungsstufe oberhalb der Sprache selbst, impliziert demgegenüber eine Verständlichkeit von 80-85% (und damit „general intercomprehension“, vgl. WCE: II, 248). Hier werden folglich Möglichkeiten geboten, die Verständlichkeit eines Evangelisationsangebots missionsstrategisch im Voraus zu bestimmen, unabhängig von der Herkunft des Missionars und des Adressaten. Zugleich liegen für all diese Sprachen zusätzliche statistische Informationen vor, die für die Missionsplanung von besonderer Relevanz sind. So findet sich etwa eine Angabe über die gegenwärtige Anzahl der Menschen, für die die jeweilige Sprache ihre Muttersprache darstellt, samt einer demographischen Extrapolation für das Jahr 2025. Damit lässt sich der jeweilige ‚Bedarf‘ an missionarischen Angeboten in den verschiedenen Sprachen quantitativ vergleichend vor Augen führen. Entspre32 Vgl. zum Folgenden http://www.wycliffe.org vom 29.08.2009. Für eine kritische Untersuchung zu WBT/SIL vgl. Stoll (1982). 33 http://www.ethnologue.com/ethno_docs/introduction.asp#history vom 29.08.2009. 34 http://www.wycliffe.org/About/Statistics.aspx vom 29.08.2009.

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chend gehen damit Daten über die bisherige massenmediale Versorgung in den jeweiligen Sprachen einher. So gibt die Statistik Auskunft darüber, ob christliche Radioprogramme in einer Sprache überhaupt nicht, lokal, national, international (von einem Land ausgehend), „plurinational“ (von 2-4 Ländern ausgehend), „multinational“ (5-9 Länder) oder gar global (von 20 Ländern oder mehr) ausgestrahlt werden. Auch wird über den Stand und die Verfügbarkeit von entsprechenden Übersetzungen der Bibel sowie des „Jesus-Films“, einer Verfilmung des Lukas-Evangeliums von Seiten der Campus Crusade for Christ, informiert.35 Analog zu der Inventarisierung von Sprachen findet sich unter dem Stichwort „Ethnosphere“ ein Abschnitt, der alle „people groups“ der Welt kompiliert (vgl. WCE: II, 14ff.). Solche „Volksgruppen“ werden nach den Gesichtspunkten von Rasse, Sprache und Kultur unterschieden.36 Wiederum kommt „Globalität“ hier in der totalisierenden Perspektive einer erschöpfenden Liste zum Tragen: Unter dem Aspekt kultureller Barrieren hinsichtlich der Annahme von Bekehrungsangeboten wird die Welt vollständig in solche wechselseitig exklusiven „people groups“ aufgelöst. Daneben findet sich noch eine weitere Tabelle, die die Auflistung noch einmal länderspezifisch herunterbricht (vgl. WCE: II, 30ff.). Diese Ländersystematik trägt damit deutlich dem Konzept der „unreached people groups“ Rechnung, das gerade auf mögliche übersehene Minoritäten und ethnische Milieus innerhalb der verschiedenen Länder der Welt aufmerksam machen will. Analog zum obigen Indikator der sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten findet sich auch in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf die Konstruktionsmöglichkeit eines Indikators, der über die „kulturelle Distanz“ zwischen zwei „people groups“ Auskunft gibt (vgl. WCE: II, 18). Jeder Volksgruppe wird ein sechsstelliger Code zugewiesen, dessen Ziffern jeweils einen ethnokulturellen Aspekt klassifizieren (z.B. „biologische Rasse“, „Kontinentalrasse“, „Hautfarbe“ etc., vgl. WCE: II, 19). Im Abgleich zweier Codes, bei dem für jede Nichtidentität zweier Spalten eine 1 addiert wird, lässt sich ein Index mit ganzen Zahlen zwischen 0 und 6 ermitteln, wobei 0 für die geringstmögliche und 6 für die größtmögliche kulturelle Distanz steht. Dies ermöglicht christlichen Missionaren, sich über die Anzahl bzw. das Ausmaß kultureller Barrieren zu informieren, die zwischen ihnen und ihrer Zielpopulation stehen. Dabei ist es auch möglich, Durchschnittswerte für ganze Länder zu errechnen, indem die kulturellen Distanzen der Teilpopulationen mit ihrem Anteil an der Gesamtpopulation gewichtet werden. Auch wenn die vorliegende Untersuchung auf die zum Teil ‚amerikanische‘ Perspektivität in dieser Beobachtungsschematik aufmerksam zu machen versucht: Hier ist man bemüht, den Missionsauftrag gerade kulturell zu entpartikularisieren; kulturelle Distanzen lassen sich für jedes beliebige bikulturelle „Tupel“ von Missionar und Adressat berechnen.37 35 Vgl. zu Campus Crusade for Christ unten, Kap. IX.2.1; zum Jesus-Film siehe Kap. IX.2.2. 36 Im Hinblick auf die genauen Kriterien und infolgedessen auch die genaue Zahl der Volksgruppen bestehen unterschiedliche Auffassungen; vgl. hierzu: http://www.joshuaproject. net/assets/HowManyPeopleGroupsAreThere.pdf vom 10.10.2009. 37 Die Tatsache, dass hier unter dem Gesichtspunkt des kommunikativen Erfolgs partikulare Gesichtspunkte wie Sprache und Kultur eingeführt werden, ist auch aus medientheoretischer Perspektive interessant. Erfolgsmedien wie Geld, Wahrheit, Macht etc. haben nicht nur die Eigenschaft, mehr oder minder entsprachlicht zu operieren; sie können durch den

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Ferner liegen auch hier missionsrelevante Zusatzstatistiken vor. Für jede Volksgruppe werden etwa die demographischen Wachstumsraten ausgewiesen. Einer weiteren Tabelle lassen sich wiederum Daten über die ‚mediale Versorgung‘ der Volksgruppen in den verschiedenen Ländern entnehmen, allerdings hier nicht allein die jeweils indigene Sprache betreffend; so findet sich auch eine Angabe, ob Bibeln in einer Zweitsprache vorhanden sind, die von mindestens 50% der landesansässigen Volksgruppe verstanden wird. Ähnlich wie für die religiösen ‚Populationen‘ liegen hier auch für die „people groups“ in den jeweiligen Ländern Angaben über den Anteil derjenigen vor, die das Evangelium als kommunikative Offerte bereits erreicht hat. Zwei weitere Parameter zum evangelisationsbezogenen ‚Sättigungsgrad‘ sowie zum missionarischen Erfolg vermitteln einen besonders prägnanten Eindruck davon, inwieweit diese Missionsbeobachtung das Missionsunternehmen geographisch zu orientieren und dirigieren vermag. So findet sich in der länderbasierten Aufstellung der „people groups“ unter der Rubrik „evangelism“ eine Variable „e“, die über die „evangelistischen Angebote pro Kopf pro Jahr“ für die Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen in den Ländern Auskunft gibt. Dem liegt eine Annahme über die Anzahl von „Evangelisationsstunden“ in dem Land und in der spezifischen Sprache der Volksgruppe zugrunde. Eine Stunde Exposition gegenüber dem Evangelium wird dabei als ein evangelistisches Angebot bzw. ein „disciple-offer“, d.h. als Angebot eines „new life in Christ“ und der weiteren Schulung in christlichen Dingen, gewertet (WCT: 680). Auf der Grundlage der Präsenz bestimmter ‚Evangelisationsagenten‘ und ‚Evangelisationsmomente‘ – dem Anteil Christen in der Volkgruppe, der Existenz von Bibelübersetzungen, Radioprogrammen u.ä. in der jeweiligen Sprache und in kulturell angepasster Form, der Präsenz von Missionaren, die sich (auch) dieser Volksgruppe annehmen, etc. – erfolgt dann eine Schätzung des entsprechenden ‚Evangelisationsoutputs‘ pro Jahr, die auf die Anzahl der Angehörigen der jeweiligen Volksgruppe bezogen wird (vgl. WCT: 675ff.; 740ff.). Die Variable „responsiveness“ bildet demgegenüber einen aussagekräftigen Erfolgsparameter innerhalb der Rubrik „evangelism“: Sie gibt Auskunft über die jährliche Anzahl der Taufen pro einer Millionen Evangelisationsstunden im Jahr. Die Berechnung beruht dabei auf einer Erhebung entsprechender Taufen und der soeben geschilderten Kalkulation des Evangelisationsaufkommens in Stunden (vgl. WCT: 776f.). In dieser Berechnung einer Effektivität von Evangelisationsbemühungen drückt sich die grundlegende Philosophie der Gemeindewachstumsbewegung aus: Die Mission ist dort zu konzentrieren, wo die besten Resultate erfolgen; es gilt, mit anderen Worten, empfängliche Personengruppen zu bevorzugen (vgl. McGavran 1990: 239; Stafford 1986: 21). Vor dem Hintergrund einer endzeitlichen Naherwartung, die von einem knappen Zeithorizont auszugehen hat, sind solche Priorisierungen durchaus als ‚rational‘ anzusehen. Solche missionsdirigierenden Parameter finden sich auch in den Länderstudien der WCE/WCT/WCD, die die vielfältigen missionsrelevanten Daten der verschiedeVerweis auf universelle Symbole zugleich von kulturellen Partikularismen weitreichend absehen. Man könnte folglich darin, dass für den kommunikativen Erfolg eines eigentlich universell-inkludierenden Missionsunterfangens gerade Kulturelles in Beschlag genommen wird, ein funktionales Äquivalent oder eine Kompensation für das universalisierende Erfolgsmedium sehen, das Luhmann zufolge in der Religion fehlt.

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nen Nationen der Welt aufführen. Sie sind bereits oben in der Diskussion der länderspezifisch heruntergebrochenen Religionsverteilungen zur Sprache gekommen. Unerwähnt blieb dabei bislang das „Great Commission Instrument Panel“, das in einer komprimierten Übersicht die wichtigsten missionsbezogenen Indikatoren abbildet, nun auf die Gesamtpopulation eines Landes bezogen (siehe Abb. 6 für das Beispiel Singapur): Abbildung 6: „Great Commission Instrument Panel“ (Singapur)

Quelle: Barrett, Kurian et al. (2001: I, 662)

Neben den Religionsverteilungen und der Verteilung der Bevölkerung auf die drei ‚Evangelisationswelten‘ A, B, C findet sich ein Graph, der das Ausmaß der Evangelisation in Prozent zwischen 1900 und 2025 in einer Verlaufskurve angibt. Dem liegt ein Schlüssel zugrunde, der für jedes Evangelisationsmoment (Missionare, Medien etc.) in einem Land den Anteil der Bevölkerung schätzt, der durch jenes als evangelisiert gelten darf. Diese Prozentsätze werden addiert, um so auf den evangelisierten Gesamtanteil an der Bevölkerung zu kommen (vgl. WCT: 753f.). Ein weiterer Graph bildet die bereits erläuterte Variable der „evangelistischen Angebote pro Kopf pro Jahr“ („evangelistic offers per capita per year“) hier für die Gesamtbevölkerung und als Verlaufskurve ab, beginnend mit dem Jahr 1900 und extrapolierend bis 2025. Schließlich gibt ein weiteres Schaubild die geschätzten „Kosten pro Taufe“ im Land an. Dem Anspruch nach ist damit der finanzielle Aufwand ausgewiesen, den es im Jahr 2000 bedurfte, um eine Bekehrung zum Christentum im jeweiligen Land zu erreichen. Unter der Annahme, dass der ‚terminus ad quem‘ aller Aspekte des organisierten Christentums die individuelle Bekehrung sei, wird der gesamte finanzielle Aufwand der Kirchen in einem Land auf die Anzahl der Taufen pro Jahr bezogen (vgl. WCT: 662). Es werden folglich die Kosten aller kirchlichen (und nicht bloß missionarischen) Aktivitäten einbezogen, einschließlich laufender Kosten, Ausbildungskosten etc. Schließlich ist hier noch einmal eigens auf eine Variable in der Volksgruppenbeobachtung einzugehen, die deshalb bemerkenswert ist, weil sie auf eine weltpolitische ‚Plausibilitätsstütze‘ für einige dieser Semantiken hindeutet. Mit der Variable „targeting“ wird – ebenfalls unter der Rubrik „evangelism“ in der Volksgruppentabelle – für eine „people group“ in einem bestimmten Land der evangelisationsbezogene Versorgungsgrad auf einer Skala von 1-10 bemessen (vgl. WCE: II, 30ff.; WCT: 833ff.). Dabei weisen die Werte 1-4 insofern auf „prime targets“ hin, als hier eine Unterversorgung („inadequate provision“) mit evangelistischen Angeboten besteht; die Werte 5-7 indizieren eine ausreichende Versorgung („adequate provision“) und weisen die betroffene Personengruppe somit allenfalls als „occasional targets“ aus; die Wert 8-10 schließlich zeigen eine Überversorgung („excessive provision“)

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mit konversionsbezogenen Angeboten an und zeichnen damit „unnecessary targets“ aus (vgl. WCT: 836). Die Berechnungsgrundlage bildet auch hier die bereits erwähnte Variable „e“ („evangelistic offers per capita per year“). Damit sind wiederum Priorisierungen für die Mission angezeigt, wobei der Wert 1 die höchste, der Wert 10 die niedrigste Prioritätsstufe darstellt. Mit dieser Variable orientieren sich die Autoren ausdrücklich an einer Terminologie der Vereinten Nationen: „Targeting is a sophisticated procedure adopted by the United Nations and countless other nonmilitary organizations for reaching their non-military, nonviolent, and non-coercive goals. Here we give it a pacifist meaning: planned global and local sharing to directly benefit peoples and religions.“ (WCT: 834)

Hier sind es nun allerdings nicht der Zugang zu Trinkwasser, tägliche Nahrungszufuhr oder Bildungschancen, die unter dem Gesichtspunkt ausreichender Versorgung diskutiert werden, sondern Bekehrungsofferten. Semantiken einer globalen „Ungleichverteilung“ bzw. regionalen „Unterernährung“ werden in diesem Zusammenhang ins Religiöse transponiert. So ziehen die Autoren hinsichtlich der Frage einer „fair distribution“ (WCT: 766) in der Evangelisierung eine bemerkenswerte „Parallele“ zum Welthunger, die es lohnt, hier ausführlicher zu zitieren: „There is a close parallel with the problem of world hunger today. Enough food is produced every day to feed the whole world. Yet 2 billion persons across the globe are undernourished, 1.2 billion go hungry every night, and 500 million live on the verge of starvation. Agencies distributing food cannot supply every need but must reach a balance involving need, priorities, adequate supply, equal opportunity, fair shares. And the already well-fed should not be allowed to divert such supplies to their own use. Likewise, Table 25–12 shows that the average Christian in World C receives every day 530 times more invitations than an unevangelized non-Christian in World A. This is clearly an unbalanced situation. Proper balance must mean that at least as much attention is given to the individual in World A as in Worlds B or C.“ (WCT: 765)

Hier wird eine Resonanzbeziehung zwischen dieser globalen Missionsperspektive und den weltgesellschaftsbezogenen Semantiken der politischen Sphäre, insbesondere des ‚Entwicklungsdiskurses‘, offenbar. Solche semantischen Importe liegen nicht nur wegen der Homologie der Beobachtungsmuster nahe. Ähnlich wie es im historischen Exkurs in Anlehnung an Carruthers und Espeland (1991) für die ‚doppelte Buchführung‘ der Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts postuliert wurde, lässt sich solchen Imitierungen ebenfalls die Funktion zuschreiben, Legitimität zu generieren. Tatsächlich werden gerade in Bezug auf das quantifizierende Vorgehen immer wieder Vergleiche mit der UN und anderen säkularen Institutionen gezogen: „This gathering of statistics has been the responsibility of UNESCO since 1945 and, despite immense technical difficulties, it has published results regularly since. Table 24–1 demonstrates that secular global bodies who are responsible for specific problem areas see part of their task as the regular enumeration and quantification of those areas.“ (WCT: 741)

Entsprechend fällt an der Präsentationsform der WCE eine deutliche Orientierung am „Statistical Yearbook“ der UN auf. Hier wie dort geht etwa eine sogenannte „World

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Summary“ den übrigen, zumeist alphabetisch nach Ländern geordneten Teilen voraus. Wie oben angeführt, diente bei William Carey und später bei Donald McGavran der Vergleich mit Handelsunternehmen der Legitimitätsbeschaffung für ihr jeweiliges Missionsverständnis. Hier scheint man sich nun allerdings stärker an der Politik zu orientieren. Diese drastische Metaphorik einer evangelisationsbezogenen Unter- bzw. Überversorgung bestimmter Personengruppen macht noch einmal den geostrategisch dirigierenden Charakter dieser fremdreferentiellen Missionsbeobachtung deutlich. Einen bedeutenden Ausdruck hat dies in der Semantik des „10/40-window“ erhalten, einem prominenten Topos im evangelikalen ‚Missionsdiskurs‘. Gemeint ist damit die Region zwischen dem 10. und 40. Breitengrad nördlich des Äquators, die die Mehrheit aller „unevangelisierten“ Länder umfasst – dies sind 2,39 Milliarden Individuen ohne Kenntnis oder ‚ausreichendem‘ Zugang zum Evangelium, die sich auf ungefähr 5.185 „unreached people groups“ verteilen.38 Die weite Verbreitung dieser semantischen Formel zeigt das Ausmaß an, in dem sich die Missionsunternehmen tatsächlich durch die religionsstatistischen Beobachtungen orientieren lassen. Mit diesen geostrategischen Parametern verbindet sich gleichzeitig eine besondere Affinität zu visuellen Darstellungen (vgl. hierzu auch Mézié 2008). Bereits im historischen Exkurs wurde auf die kartographischen Anstrengungen aufmerksam gemacht, die die globale ‚gesamtreligiöse‘ Beobachtung von Anfang an gestützt haben und die semantischen Umbrüche – etwa hin zum populationsstatistischen Beobachtungsmuster – auch im Visuellen mitvollzogen haben. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung kombiniert nun die Vorzüge der Visualität mit den gegenwärtigen Verbreitungs- und Aktualisierungsmöglichkeiten des Internets. Hier wird die operative Dynamik der weltreligiösen Lage, wie sie sich von der Warte dieser Sinnperspektive darstellt, kontinuierlich ins Visuell-Kartographische abgetragen. Diesen Aspekt gilt es im Folgenden abschließend zu erörtern. 1.6 Visualisierte Selbst- und Fremdreferenzen Innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung existiert eine Reihe von Projekten, die Visualisierungen des Globus und seiner religions- und missionsrelevanten Verteilungen bereitstellen (vgl. hierzu Waymire 1987). Zu den wichtigsten Unternehmungen in dieser Hinsicht zählen Global Mapping International sowie das Joshua Project. Global Mapping International ist eine eigenständige Organisation, die 1983 von Bob Waymire auf dem Campus des U.S. Center for World Mission gegründet wurde.39 Sie kooperiert eng mit dem von Patrick Johnstone gegründeten Projekt Operation World zusammen, einem religionsstatistischen Unternehmen ähnlich dem David B. Barretts, das neben Büchern ein eigenes Internetportal unterhält.40 Das Joshua Project ist eine Forschungsinitiative, die sich mittlerweile als Arm des U.S. Center for World Mission versteht. Beide Unternehmen stellen missionswilligen Christen internetgestützte Computersoftware zur Verfügung, mit denen sich missionsbezogene Statistiken kartographisch abbilden lassen. In diesem Zusammenhang wird ‚Weltge38 Vgl. etwa http://www.joshuaproject.net/10-40-window.php vom 10.10.2009. 39 Siehe http://www.gmi.org/gmi/history.htm vom 01.08.2009. 40 Siehe www.operationworld.org vom 01.10.2012.

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sellschaft‘ nicht nur auf der Ebene einer totalisierenden Sinnperspektive realisiert, die jede Region und Religion der Erde unter missionsrelevanten Gesichtspunkten beleuchtet. Hier kommt zugleich ein Verbreitungsaspekt zum Tragen: Die missionsrelevanten Informationen lassen sich weltweit über das Internet einsehen, stehen folglich Missionswilligen, aber auch, wie noch deutlich wird, Anhängern anderer Religionen, die die pfingstlich-evangelikale Missionsoffensive missbilligen, überall zur Verfügung. Besonders beeindruckend ist dabei der Grad an technischer Hochrüstung und die Nutzbarmachung von ‚state-of-the-art‘-Technologien im Medium des Internets. So finden sich etwa auf den Webseiten interaktive Weltkarten, die den Status der Weltevangelisation, Verteilungen religiöser Zugehörigkeiten, die ansässigen „people groups“ etc. länderspezifisch ausgeben können. Auf der Webseite von Operation World lässt sich so für jedes Land der Anteil „Unerreichter“, der Anteil Christen sowie der Anteil Evangelikaler an der Bevölkerung unmittelbar ersehen. Das Joshua Project bietet zudem in Kooperation mit dem Global Research Department des International Mission Board der Southern Baptist Convention eine Applikation zum Download an, die die „people-groups“-Perspektive mit der Google-Maps-Plattform integriert (siehe Abb. 7):41 Abbildung 7: Screenshot der Google-Earth-Applikation für „people groups“

Abb .

Quelle: Erhältlich unter http://public.imb.org/globalresearch/Pages/MapGoogleEarth.aspx

Damit lassen sich für beliebige Regionen die Verteilungen der verschiedenen „people groups“ direkt auf dem Weltglobus ermitteln. Per Mausklick ist dabei jeweils ein missionsrelevantes Profil einsehbar. Neben Informationen zur Muttersprache und der Religionszugehörigkeit gehört hierzu auch ein Indikator „GSEC“ („Global Status of Evangelical Christianity“), der von 1-6 das Ausmaß evangelikaler ‚Durchdringung‘

41 Vgl. auch Krämer (2011: 430) zu solchen „mash-ups“ spezifischer Datensätze mit der Google-Earth-Anwendung.

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der ‚Volksgruppe‘ skaliert. Die grünen und roten Schattierungen der eingezeichneten Punkte geben diesen Status unmittelbar wieder.42 Diesen Visualisierungen lassen sich repräsentationale Funktionen für die hier erörterte Sinnkonstruktion zuschreiben, die die religionsstatistischen Tabellen an Wirksamkeit noch übertreffen: So wird über die Gesamtrepräsentation des Globus, von dem ausgehend sich dann Regionen von Interesse gesondert anzeigen lassen, der Rückbezug lokaler Missionsbemühungen zum Auftrag der Weltevangelisation stets in optischer Verdichtung präsent gehalten. Den Betreibern geht es dabei nach eigener Aussage um die Bereitstellung eines stets aktuellen Bildes von der Situation des „harvest field“ – im weltgesellschaftlichen Singular!43 Wie in den Karten des 17.-19. Jahrhunderts wird dabei der ‚weltgesellschaftliche‘ Raum mit einer religionsspezifischen Sinnperspektive überzogen. Dies liegt ganz auf der Linie der Beobachtung von Rudolf Stichweh (2008), dass Funktionssysteme den Raum nach je eigenen Sachgesichtspunkten (re-)konstruieren und (re-)organisieren. Solche „Eigenräume der Funktionssysteme“ (ebd.: 111) kommen in der Wirtschaft etwa unter logistischen Gesichtspunkten des Warentransfers zustande, in der Wissenschaft gewinnen sie etwa als geographischer und physikalischer Forschungsgegenstand Form, in der Politik etwa als territorial begrenzte Macht. Für Religion verweist Stichweh (ebd.) in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Lokalität religiöser Wallfahrtsorte. Für die hier erörterte Sinnperspektive liefert der Missionsauftrag die Relevanzstruktur, anhand derer der Raum rekonfiguriert wird. Hinsichtlich der Visualisierung dieser religionssystemspezifischen Eigenräume lässt sich in Anlehnung an Stäheli (2007b) von einer visuellen Selbst- und Fremdreferenz des hier erörterten Sinnsystems sprechen. Ich wähle hier, anders als Stäheli, den Begriff der Selbst- und Fremdreferenz (im Gegensatz zu „Beschreibung“), weil es sich im vorliegenden Fall weniger um überdauernde Sinnstiftungen, sondern um je aktuelle Bestandsaufnahmen handelt, die sich im Zuge weiterer systemzugehöriger Operationen gleich wieder verändern. Auf der selbstreferentiellen Seite betrifft dies die konversionsbezogenen Religionsverteilungen, auf der fremdreferentiellen Seite die zu inkludierenden „people groups“ mit ihren jeweiligen Charakteristika und ihrem aktuellen Evangelisationsstand sowie jedwede anderen missionsrelevanten Aspekte der ‚Welt‘. Gleichzeitig scheint mir bei diesen visuellen Repräsentationen weniger die Funktion einer „Außendarstellung“ (Stäheli 2007b: 75), sondern vielmehr die einer Innenorientierung des Systems entscheidend. Besonders eindringlich wird dies durch die bereits erwähnte Semantik des „10/40-window“ exemplifiziert, die mehr als alles andere eine visuelle Semantik ist, da sie direkt auf geographische Koordinaten (den 10. Grad SB und 40. Grad NB) verweist. Es gibt kaum einen Internetauftritt pfingstlich-evangelikaler Missionsgesellschaften, der sich nicht mit einer gra42 0 = „No evangelical Christians or churches. No access to major evangelical print, audio, visual, or human resources.“ 1 = „Less than 2% Evangelical. Some evangelical resources available, but no active church planting within past 2 years.“ 2 = „Less than 2% Evangelical. Initial (localized) church planting within past 2 years.“ 3 = „Less than 2% Evangelical. Widespread church planting within past 2 years.“ 4 = „Greater than or equal to 2% Evangelical.“ 5 = „Greater than or equal to 5% Evangelical.“ 6 = „Greater than or equal to 10% Evangelical.“ Siehe dazu die Legende innerhalb der Applikation. 43 Siehe http://www.gmi.org/gmi/history.htm vom 01.08.2009.

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phisch flankierten Referenz auf diese Region ziert. Diese kartographischen Abbildungen solcher Evangelisationslagen und Missionsbedingungen bringen hier visuell ‚Systemzustände‘ zur Darstellung, die den globalen Ausgangspunkt weiterer Missionsaktivitäten bilden – global wiederum in dem zweifachen Sinne, dass sie einerseits einen Systemzustand im Singular einer globalen Totalität aller aktuellen konversionsrelevanten Begebenheiten abbilden, wie es durch die Präsentationsform der Weltkarte bzw. der Weltkugel ikonisch zur Geltung kommt; und dass sie andererseits alle daran anschließenden Missionsaktivitäten unabhängig vom Ursprungs- und Zielort zu orientieren und dirigieren vermögen. Gerade für diese Direktionsfunktion werden die Vorzüge des visuellen Mediums ausgeschöpft. Abb. 8 zeigt eine Darstellung des „10/40-window“: Abbildung 8: Das „10/40-window“

Quelle: http://www.crosspointechurch.com/missions/page_1040window.htm

Die Aufmerksamkeit bzw. der Blick wird hier schon durch die farbliche Hervorhebung auf die entscheidenden Länder gelenkt; der bloß in grau gehaltene Rest verkommt zur diffusen, unscharfen Landmasse, von der sich die missionsrelevante Region abhebt. Das ‚Fenster‘ als markante Rahmung der ‚10/40-Länder‘ erzeugt durch den Hell-Dunkel-Kontrast nicht nur den Effekt eines optischen Fokus, sondern evoziert durch die Suggestion von Außenraum und Innenraum die Vorstellung eines buchstäblichen Fensters als ‚Einstieg‘ bzw. ‚Zugang‘ zum vorrangigen Missionsgebiet. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten des Internets der operativen Dynamik dieser Sinnperspektive, innerhalb derer religiöse Zugehörigkeiten demographisch und bekehrungsbedingt einem Wandel unterliegen, besonders gerecht. Es lassen sich Änderungen kontinuierlich und ohne größeren Aufwand ‚online‘ in die Darstellungen abtragen. Diese kartographischen Abbildungen speisen sich so in einen rekursiven Zusammenhang von Bekehrungsaktivitäten ein, an dessen Konstitution sie maßgeblich beteiligt sind. Religiöse Zugehörigkeiten und entsprechende Wechsel werden aus einem Missionsinteresse heraus weltweit registriert und bilden den Ausgangspunkt zukünftiger Missionsaktivitäten, die sich an Gesichtspunkten wie einer missionarischen Unterversorgung oder etwa dem Anteil von Nicht-Christen an einer Population orientieren. Die Darstellungen katalysieren so die ihnen zugehörigen Anschlüsse, indem sie den Blick auf weitere relevante Missionsgebiete lenken und zu der Produktion neuer religionsstatistischer Verteilungen anleiten. Diese bekehrungsbezogene Sinnkonstruktion erhält nicht zuletzt damit realen ‚Bodenkontakt‘: Die daran an-

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schließenden Missionsbemühungen erwirken neue zählbare Bekehrungen oder konstituieren zumindest bilanzierungswürdige Missionsunternehmen, die sich wieder in aktualisierten Indikatoren über die missionarische „Sättigung“ und „Responsivität“ einzelner Gruppen und Regionen niederschlagen. Obgleich man es hier also hinsichtlich der Beobachtung anderer Religionen mit einem partikularen und in weiten Teilen kontrafaktischen Sinnentwurf zu tun hat, vermag sich dieser Operationszusammenhang in seinem faktischen Operieren gegen alternative Auslegungen weltreligiöser Vielfalt – abseits von Semantiken der Konversion und der religiösen Zugehörigkeit – weitgehend zu immunisieren. In diesem Teilkapitel ist die ‚sinnkultivierende‘ Tätigkeit von rein auf Beobachtung spezialisierten Organisationen erörtert worden. Diese organisatorische ‚Trägerschaft‘ und Instandhaltung eines übergeordneten Sinnhorizonts lässt sich dabei auf das allgemeinere Differenzierungsparadigma zurückführen, das in dieser Untersuchung mit den Namen Dilthey, Simmel und Weber verbunden wird. Auch bei ihnen, so ist gezeigt worden, wird, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, auf eine Unterscheidung zwischen spezifischen Sinngebieten und ihnen untergeordneten institutionellen Trägerstrukturen abgestellt. Bei Dilthey satteln die Kultursysteme zum Teil auf „äußeren Organisationsformen“, etwa Verbänden, Körperschaften oder Anstalten auf. Simmel führt das Priestertum, den Richterstand und den Arbeiterstand als Träger der je ideellen Zusammenhänge des Religiösen, des kodifizierten Rechts und der Technik an. Bei Weber schließlich ist es die religiöse Ethik, die durch das Priestertum, durch die Prophetie und nicht zuletzt durch die Konkurrenzdynamik zwischen beiden eine Systematisierung und Rationalisierung erfährt. Schließlich finden sich auch bei Luhmann (2006: 395) Andeutungen, dass bestimmte „Umweltdifferenzierungen [...] durch entsprechend orientierte Organisationen getragen“ werden. Im Einklang mit diesen Positionen wurde auch im Rahmen dieses Teilkapitels versucht, die organisatorische Beteiligung an der Ausdifferenzierung und Aufdauerstellung eines gesellschaftlichen Sinnhorizonts deutlich zu machen. Im nächsten Teilkapitel gilt es nun einige derjenigen Organisationen vorzustellen, die sich an diesem Sinnhorizont tatsächlich orientieren und ihn infolge ihrer Missionsaktivitäten kontinuierlich verändern – Organisationen also, die sich der ‚eigentlichen‘ Bekehrungsarbeit widmen und dabei religionsbezogene Weltgesellschaftlichkeit nicht allein in der beobachtenden Konstruktion eines globalen Sinnhorizonts, sondern vor allem durch ihre Missionsanstrengungen bis an die Grenzen kommunikativer Erreichbarkeit realisieren.

2. O RGANISATION UND W ELTGESELLSCHAFT II: M ISSION BIS AN DIE G RENZE KOMMUNIKATIVER E RREICHBARKEIT Rudolf Stichweh (2000a: 250ff.) hat vor allem drei „Innovationen“ in den Fokus gerückt, die maßgeblich an der Herausbildung von Weltgesellschaft beteiligt sind: Das

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Funktionssystem, die Organisation, schließlich Telekommunikation.44 Funktionssysteme reihen sich hier insbesondere aufgrund ihrer spezifischen Sinnperspektiven ein, die in der Regel nicht an regionalgesellschaftlichen Grenzen Halt machen. Mit diesem differenzierungstheoretischen Gesichtspunkt hat sich der vorige Abschnitt in der Betrachtung der organisatorisch gestützten Aufdauerstellung einer konversionsbezogenen Beobachtungssphäre beschäftigt. Hier soll es vor allem um die anderen beiden Errungenschaften gehen. Die weltgesellschaftsbezogene Bedeutsamkeit von Organisationen sieht Stichweh (2000a: 252) unter anderem in ihren Möglichkeiten, Personal hinsichtlich sachthematischer Zwecke an räumliche entlegene Orte zu verpflanzen und innerorganisatorisch einen überregionalen Kommunikationsfluss zu unterhalten (vgl. auch Luhmann 1971/2005: 67). Bezeichnenderweise schwebt Stichweh (2000a: 251) dabei als paradigmatischer Fall eine missionarische Organisation vor: So wird dort auf den Jesuitenorden aufmerksam gemacht, der im Zeichen der Mission schon früh bis nach China vorgedrungen ist. Die zentrale Bedeutung von Techniken der Telekommunikation wiederum ergibt sich unmittelbar aus dem Gesellschaftsbegriff, der auf Grenzen kommunikativer Erreichbarkeit abstellt (vgl. Stichweh 2000a: 253). Hier sind vor allem solche Kommunikationstechniken von Relevanz, die sich von Verkehrstechniken bzw. Techniken des Personentransports zu lösen vermögen und eine davon unabhängige Übermittlung von Kommunikation ermöglichen. Insbesondere die elektronischen Medien erlauben so eine vergleichsweise ‚mühelose‘ kommunikative Penetration des geographischen Raumes. Auch Robert Wuthnow und Stephen Offutt (2008) haben nicht zuletzt mit Blick auf den Evangelikalismus auf die „transnationalen religiösen Vernetzungen“ aufmerksam gemacht, die in solchen „flows“ von Missionaren und religiösen Medienformaten gründen. Entsprechend gilt es auch im vorliegenden Zusammenhang zunächst einen Blick auf solche „special purpose groups“ innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung zu werfen, die auf die personelle Verpflanzung von Missionaren und Kirchen spezialisiert sind – allen voran die sogenannten „parachurches“ (2.1). In einem zweiten Abschnitt soll es dann um jene „special purpose groups“ gehen, die sich auf die mediale, vor allem elektronische Verbreitung des Evangeliums spezialisieren (2.2). 2.1 „Parachurches“ Der Missionsimpetus der pfingstlich-evangelikalen Gemeinden geht mit einer Ausbildung unterschiedlicher Missionsstrukturen einher. Selbst kleinere Gemeinden entsenden für überregionale Missionstätigkeiten zum Teil eigene Missionare, ohne dafür weitere Vermittlung in Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu Pousson 1992: 93ff.). Daneben gibt es Missionsgesellschaften, die mit bestimmten Denominationen assoziiert sind und dabei in administrativen und finanziellen Fragen unterschiedliche Grade der Autonomie einnehmen.45 Schließlich gibt es unabhängige und interdenominationale Missionsgesellschaften, sogenannte „parachurches“, die in der Mission wohl die 44 In einem ähnlichen Zusammenhang nennt Stichweh (2005a) als „Formen der Strukturbildung“ in der Weltgesellschaft neben funktionaler Differenzierung und Organisationen noch Netzwerke, „epistemic communities“, Weltereignisse, Weltkriege, Weltöffentlichkeit und Weltstädte. 45 Für eine diesbezügliche Klassifikation vgl. Winter (1974: 21ff.; 1980: 202ff.).

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zentrale Rolle spielen (vgl. hierzu Brouwer et al. 1996: 184ff.; Pousson 1992: Kap. 7).46 An dieser Stelle gilt es sowohl einige der denominational gebundenen Missionsgesellschaften als auch einige „parachurch-missions“ vorzustellen. Dabei sind insbesondere diejenigen zu berücksichtigen, deren Missionsaktivitäten dezidiert global ausgerichtet sind, sich also auf nahezu alle Kontinente erstrecken. Es handelt sich dabei um eine sehr begrenzte Auswahl, deren einziger Zweck es ist, einen kurzen Eindruck über die organisatorische Aufstellung der pfingstlich-evangelikalen Mission zu vermitteln. Dabei darf nicht übersehen werden, dass mit der Gründung lokaler und nationaler Pfingstkirchen in der Regel von dort aus eine nicht minder ‚energische‘ nationale bzw. regionale Missionstätigkeit einhergeht, die für viele der Effekte verantwortlich zeichnet, die im letzten Kapitel dieser Studie diskutiert werden sollen.47 Unter den klassischen Pfingstkirchen sind die Assemblies of God und die Church of God auch in missionarischer Hinsicht zentrale Akteure. Außerhalb Nordamerikas ist die Organisation Assemblies of God World Missions mit 297 Missionaren in 50 Ländern Afrikas, mit 292 Missionaren in 33 Ländern und Gebieten des pazifischen Raums, mit 308 Missionaren in 43 Ländern und Gebieten Eurasiens, mit 345 Missionaren in 37 europäischen Ländern und Gebieten sowie mit 477 Missionaren in 37 Ländern Lateinamerikas und der Karibik aktiv.48 Aktuell zählt diese pfingstliche Denomination weltweit rund 63 Millionen Anhänger.49 Ihr gehört offiziell auch die Yoido Full Gospel Church in Seoul, Süd-Korea, an, die 1958 von Pastor Yonggi Cho gegründet wurde und als „megachurch“ zu den größten Pfingstgemeinden der Welt zählt. Die Church of God World Missions ist außerhalb Nordamerikas derzeit mit insgesamt 250 Missionaren in 176 Ländern aktiv; allein für die Zeit zwischen September 2010 und März 2011 vermeldet die Website dabei 32.069 Bekehrungen weltweit.50 Insgesamt zählt diese Denomination knapp 6 Millionen Anhänger. Auf den Webseiten der Assemblies of God World Missions und Church of God World Missions finden sich vielfältige Referenzen auf die „unreached people groups“, was die Übernahme der im letzten Kapitel erörterten Beobachtungsperspektiven deutlich anzeigt. Im Zusammenhang denominationaler Mission sei hier ferner noch die globale Ausbreitung der Universal Church of the Kingdom of God erwähnt, die nicht zu46 Auch die frühen Missionsgesellschaften der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts waren in der Regel unabhängig und interdenominationell, vgl. Tyrell (2004: 106ff.); zur Langzeitentwicklung protestantischer Missionsgesellschaften vgl. Winter (1980: 205). 47 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wuthnow (2009), der eine empirisch reichhaltige Studie zum allgemeinen amerikanischen Engagement in der globalen christlichen Mission und Diakonie liefert. Wuthnow sieht hier einen Wachstumstrend, den er mit generellen Globalisierungsschüben und den erleichterten infrastrukturellen Rahmenbedingungen für transnationale Vernetzung in Zusammenhang bringt. Dabei ist es ihm nicht zuletzt ein Anliegen, auf die vielfältigen Verbindungen zwischen amerikanischen Gemeinden und dem Christentum außerhalb der USA hinzuweisen. 48 Vgl. http://worldmissions.ag.org vom 22.03.2011. 49 Vgl. http://ag.org/top vom 22.03.2011. 50 Vgl. http://www.cogwm.org/index.php?option=com_content&task=view&id=581&Itemid =744 vom 22.03.2011.

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letzt deshalb bemerkenswert ist, weil es sich hier um eine pentekostale Kirche mit Ursprung in Lateinamerika und damit außerhalb der ‚Ersten Welt‘ handelt. Die 1977 von Edir Macedo in Brasilien gegründete Kirche zählt heute über 1000 Gemeinden in ca. 80 Ländern weltweit (Freston 2005: 33f.); insbesondere in Südafrika hat die UCKG einen beachtlichen Erfolg.51 Eine prominente „parachurch“ innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung ist Youth with a Mission (YWAM), die 1960 von dem pfingstlichen Assemblies-ofGod-Pastor Loren Cunningham gegründet wurde. YWAM zählt heute insgesamt 1000 Ableger in 149 Ländern und beschäftigt dabei nahezu 16.000 Mitarbeiter.52 Die lokalen Missionsstationen sind dabei in der Planung und Finanzierung weitgehend autonom; jeder Mitarbeiter muss zudem in der Regel für seine eigene Finanzierung aufkommen. YWAM sticht insbesondere durch ihr internationales Personal hervor. Bereits 1990 hatten 32 Prozent der Mitarbeiter eine nicht-westliche Herkunft (vgl. Pousson 1992: 132); heute ist es nach eigenen Angaben beinahe die Hälfte, die u.a. Brasilien, Korea, Indien, Indonesien und Nepal entstammt.53 Dieser Trend gilt nicht nur für das Personal der YWAM, sondern für die pfingstlich-evangelikalen Missionsbemühungen insgesamt (vgl. hierzu auch Mullins 1992). Laut Larry D. Pates (1989: 13) Studie zu Missionen der „Zwei-Drittel-Welt“ waren bereits 1988 30% der protestantischen Missionsaktivitäten nicht-westlichen Ursprungs. Darunter stellten insbesondere Asien und dort Indien den Löwenanteil der Missionare und auch der Missionsgesellschaften (vgl. ebd.: 26ff.). Aktuelleren Einschätzungen zufolge kommen mittlerweile über die Hälfte aller nationalen und internationalen Missionare aus der nicht-westlichen Welt (vgl. Johnstone 2003: 44). Eine bemerkenswerte Entwicklung ist zudem die Tatsache, dass diese zunehmend die westliche Welt als Missionsgebiet erwählen (vgl. hierzu Miller/Yamamori 2007: 198f.). Auch daran wird deutlich, dass die pfingstlich-evangelikale Bewegung trotz ihres amerikanischen Ursprungs und Charakters mittlerweile global getragen wird und kein unilaterales Unternehmen geblieben ist.54 Campus Crusade for Christ ist eine weitere prominente pfingstlich-evangelikale „parachurch“-Organisation, die sich dem Zweck globaler Evangelisierung und Bekehrung verschreibt; sie selbst gibt ihr Ziel folgendermaßen wieder: „Helping to 51 Vgl. hierzu Freston (2005); zur UCKG allgemein siehe Freston (1995; 1999); zur globalen Mission des brasilianischen Pentekostalismus insgesamt siehe ferner Freston (2004; 2008). Freston (2005: 35) berichtet von 2500 protestantischen Missionaren aus Brasilien in über 70 Empfängerländern weltweit; diese stammen auch zu 90 Prozent von Missionsgesellschaften brasilianischen Ursprungs. Damit gehöre Brasilien nach Südkorea zu den führenden Missionsländern aus dem „globalen Süden“. 52 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch den Internetauftritt auf http://www.ywam.org vom 31.08.2009. 53 Vgl. http://www.ywam.org/contents/get_stf_staff.htm vom 31.08.2009. 54 Mit Stichweh (2000a: 261f.) ließe sich hier auch von einer „Dezentralisation in einem Funktionssystem“ sprechen – unter Berücksichtigung der Vorbehalte, die die Rede von einem Funktionssystem in diesem Zusammenhang anbelangen. Neben diffusionsbezogenen und vernetzungsbezogenen Formen wird eine solche Dezentralisierung bei Stichweh als ein dritter Mechanismus der Globalisierung beschrieben. Es handelt sich um die Auflösung privilegierter regionaler Zentren für die Produktion funktionsrelevanter Kommunikationen.

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fulfill the Great Commission in the power of the Holy Spirit by winning people to faith in Jesus Christ, building them in their faith and sending them to win and build others; and helping the Body of Christ do evangelism and discipleship.“55 Sie wurde 1951 von Bill Bright, einem Studenten des hier bereits genannten Fuller Theological Seminary, auf dem Campus der UCLA gegründet und bemüht sich insbesondere um die Rekrutierung von Studenten für den Missionsdienst. Campus Crusade for Christ agiert seit 1958 international und hat heute eine Präsenz in 191 Ländern.56 Die One Mission Society International ist eine kleinere evangelikale Missionsgesellschaft, die ursprünglich als Oriental Mission Society in Japan begann und heute mit ca. 425 Missionaren und 458 Evangelisations- und „church-planting“-Teams in 48 Ländern in Afrika, Asien, der Karibik, Europa und Lateinamerika aktiv ist.57 Ihr erklärtes Ziel ist „to see the Gospel of Jesus Christ spread throughout the world, with the greatest number of disciples made, and to see God glorified in all that we say and do – to fulfill the Great Commission“.58 Der quantitative Aspekt tritt in ihrer Internetpräsentation deutlich zutage; für alle Länder, in denen die Organisation aktiv ist, werden die relativen Häufigkeiten der religiösen Zugehörigkeiten angegeben und von den bisherigen Missionserfolgen berichtet: Für Afrika etwa lässt sich der entsprechenden Internetseite entnehmen: „As of May 2010, the outreach has facilitated the planting of 7,000 new churches that serve 480,000 members. We currently plant an average of 4.8 churches and add 442 new members per day.“ Zwei Missionsorganisationen, die sich eher auf einen Kontinent beschränken, verdienen hier noch besondere Erwähnung: Es sind dies Gospel for Asia sowie die auf Afrika spezialisierte Organisation Christ for All Nations. Gospel for Asia wurde 1979 von K.P. Yohannan gegründet. Der Inder hatte zuvor eine theologische Ausbildung in den USA abgeschlossen und dort als Pastor gearbeitet. Die Organisation hat ihren Sitz in Texas. Der Internetauftritt von Gospel for Asia zeugt eindringlich von den Beobachtungsmustern, die oben am Beispiel der WCE/WCT/WCD erörtert wurden. Ihr erklärtes Ziel ist „Reaching the Most Unreached“. Gemeint sind dabei die 97 Prozent der unevangelisierten Weltbevölkerung, die allesamt in dem dort ausführlich erläuterten „10/40-window“ ansässig sind. Vor allem ihnen gilt die Mission von Gospel for Asia. Die gerade in soteriologischer Hinsicht so ‚dramatische‘ Situation in dieser Region wird auch hier in den üblichen statistischen Interpolationen veranschaulicht: „Over 80,000 die every day in Asian countries without knowing about the love of Jesus Christ.“59 Dabei rühmt sich Gospel for Asia insbesondere ihrer Methode, mit „national missionaries“, d.h. indigenen Missionaren, zu arbeiten: Der Vorteil wird dabei unter Bezugnahme auf das missiologische Konzept der „kulturellen Barrieren“ herausgestellt, das bereits im vorangegangenen Teilkapitel dieser Untersuchung zur Sprache kam: „With few or no cultural barriers to overcome, national missionaries can readily share the Gospel to those 55 http://www.ccci.org/about-us/ministry-profile/index.aspx vom 31.08.2009; vgl. Stoll (1990: 91ff.) für eine kritische Perspektive auf Campus Crusade for Christ und YWAM. 56 http://www.ccci.org/about-us/ministry-profile/index.aspx vom 31.08.2009. 57 Vgl. http://www.onemissionsociety.org/our-one-mission/intro; http://www.ministrywatch. com/profile/oms-international.aspx vom 31.08.2009. 58 http://www.onemissionsociety.org/our-one-mission/intro vom 26.03.2011. 59 Vgl. http://www.gfa.org/about/reaching-the-most-unreached vom 26.03.2011.

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who, unlike their western counterparts, have never heard.“60 Gospel for Asia schult nach eigenen Angaben jedes Jahr mehrere tausend Arbeiter für die Verbreitung des Evangeliums.61 Die von dem deutschen Pfingstprediger Reinhard Bonnke gegründete Organisation Christ for All Nations (CfaN) hat sich der Evangelisation des afrikanischen Kontinents verschrieben.62 Im Zentrum ihrer Aktivitäten stehen spektakulär inszenierte Evangelisationskampagnen, sogenannte „crusades“, die inzwischen ganze Stadien füllen und ganz auf Massenbekehrungen zum Christentum ausgerichtet sind. Nach eigenen Angaben hat CfaN in den Jahren zwischen 1987 und 2000 16 Millionen Konversionsentscheidungen bewirkt.63 Mit dem Charakter solcher Evangelisationsveranstaltungen wird sich das nächste Teilkapitel beschäftigen. Parallel zu diesen Kampagnen bietet CfaN in der Regel Seminare und Konferenzen für Pastoren, Gemeindemitarbeiter und Prediger der lokalen Gemeinden an (vgl. Brouwer et al. 1996: 164; Gifford 1987: 64). Auf solchen „Feuerkonferenzen“64, die nach CfaN-Angaben von bis zu 50.000 Menschen besucht werden, werden Strategien und Techniken der Evangelisation vermittelt. Diese Inhalte werden den Teilnehmern auch auf Audiound Video-Kassetten angeboten, teilweise kostenfrei (vgl. Gifford 1987: 65). Brouwer et al. (1996 : 164) sehen in dieser Art der Einflussnahme ein Spezifikum der pfingstlich-evangelikalen „parachurches“, das sich vor allem an ihrem Verhältnis gegenüber den unabhängigen christlichen Gemeinden in Afrika (AICs) bemerkbar macht: „These missionaries have a totally new ecclesiology, according to which the true church is made up of all born-again believers, and has nothing to do with those organized bodies traditionally called churches. Many of these missionaries are not primarily aiming to plant or spread their own churches, which has traditionally been the agenda of mainline missionaries. These new missions are more than ready to influence existing churches, so they positively court these AICs.“

2.2 Medienverwendung Die Pfingstbewegung hat seit Anbeginn eine hohe Affinität zum Einsatz von Verbreitungsmedien. Wie Edith Blumhofer (1989: 279ff.) in ihrer Untersuchung über die Assemblies of God zeigt, machten bereits die ‚frühen‘ Pfingstler von Printmedien intensiven Gebrauch. Schon kurz nach den „Azusa-Street“-Ereignissen wurde mit dem Gospel Publishing House ein wichtiges Organ für die Evangelisierung geschaffen. Zahlreiche Abhandlungen und Zeitschriften wurden zu diesem Zweck veröffentlicht, zumeist in hoher Auflage und nicht selten zur kostenlosen Distribution (ebd.: 278f.). Heute steht eine Vielzahl von Verbreitungsmedien bereit, darunter auch elektronische Medien, die von pfingstlichen ebenso wie von nicht-pfingstlichen Evangelikalen für ihre religiösen Zwecke im hohen Maße in Anspruch genommen werden. Be60 61 62 63 64

Vgl. http://www.gfa.org/about/why-national-missions-works vom 26.03.2011. Vgl. http://www.gfa.org/about/faqs/#q6 vom 26.03.2011. Vgl. http://www.cfan.org vom 26.03.2011. Vgl. http://www.bonnke.net/cfan/en/cfan/history vom 26.03.2011. Vgl. auch http://www.bonnke.net/cfan/de/home/arbeitsweise vom 26.03.2011.

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reits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts richtete Aimee Semple McPherson, die Gründerin der pfingstlichen International Church of the Foursquare Gospel, eine religiöse Rundfunkanstalt ein, Kall Four Square Gospel (KFSG) (vgl. Anderson 2004a: 56f.; Sutton 2007: 79ff.; Wacker 1995: 147). Radio bildet eines der meistversprechenden Verbreitungsmedien für diejenigen, die sich dem Zweck der Weltevangelisation verschreiben – Radioempfangsgeräte sind weltweit sehr viel verbreiteter als Fernsehgeräte oder der Zugang zu entsprechenden Printmaterialien (vgl. Diamond 1989: 4f.). Religiöses Radio wird hier nicht zuletzt für die Penetration muslimischer und kommunistischer Regionen als nützlich erachtet, da diese Regime Missionaren oft feindselig gegenüberstehen. Bill Bright, der Gründer der Missionsgesellschaft Campus Crusade for Christ, beschrieb den Einsatz von Radio und Multimedia einst in bellizistischen Metaphern: „Proclaiming the gospel is like a military offensive, with the mass media serving as the Air Force – softening up the objective – so that the ground forces can come in and capture the area.“ (Zit. n. Brouwer et al. 1996: 86) Drei Rundfunkorganisationen amerikanischen Ursprungs verdienen hier besondere Hervorhebung – HCJB, FEBC und TWR (vgl. hierzu auch Diamond 1989: 5ff.; Hadden 1990: 162). 1931 wurde HCJB (Heralding Christ Jesus’ Blessings) als erste internationale Rundfunkanstalt für die Verbreitung des Evangeliums mit Sitz in Quito, Ecuador, gegründet.65 HCJB sendet heute in 100 Ländern und 120 Sprachen und Dialekten. Die Ausstrahlungsgebiete liegen überwiegend in Lateinamerika und Europa. 1941 war HCBJ der erste Radiosender, der russischsprachige Sendungen in die damalige Sowjetunion sendete (vgl. Diamond 1989: 5). FEBC (Far East Broadcasting Company) ist eine weitere bedeutende religiöse Rundfunkanstalt, die sich seit ihrer Gründung im Jahre 1945 insbesondere auf den asiatischen Raum konzentriert.66 Ihr selbsterklärtes Ziel ist „to develop radio programming and deliver it to listeners in Asia in such a way that they move toward Jesus Christ and into His Kingdom, that they know Him as Saviour, Lord, and King, follow His teaching, and live in obedience to Him as His servants, and as members of a local body of believers“.67 FEBC unterhält heute insgesamt 41 Radiostationen (AM und FM) weltweit. Daneben bestehen Kurzwellen-Sendestationen auf den Philippinen und Saipan. FEBC sendet in mehr als 154 Sprachen, mit insgesamt 627 Stunden Radioprogramm täglich.68 TWR (Trans World Radio), mit dem Firmenmotto „Reaching the World for Christ by mass media so that lasting fruit is produced“, ist die dritte große Rundfunkanstalt mit einer bis ins Jahr 1954 zurückreichenden Geschichte. TWR sendet in 200 Sprachen und Dialekten und erreicht damit 160 Länder auf allen Kontinenten.69 1985 einigten sich HCJB, FEBC und TWR in dem Abkommen World By 2000 darauf, ihre Ressourcen kooperativ und koordiniert zum gemeinsamen Zweck der Weltevangelisation einzusetzen. Das Ziel war, bis zum Jahr 2000 jedem Menschen auf der Welt das Evangelium in einer ihm verständlichen Sprache per Radio zugäng65 66 67 68 69

Siehe zu folgenden Daten auch den Internetauftritt auf www.hcjb.org vom 26.03.2011. Vgl. http://www.febc.org/about/history.html vom 28.08.2009. http://www.febc.org/about/core_values.html vom 28.08.2009. http://www.febc.org/about/history.html vom 23.03.2011. http://www.twr.org/twr/discover/about vom 28.08.2009.

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lich zu machen (vgl. Diamond 1989: 10). Die Assoziation trägt heute den Namen World by Radio und ist um weitere Mitglieder, etwa FEBA (British Far East Broadcasting Association), gewachsen. Neben dem Radiofunk bildet das Fernsehen ein weiteres elektronisches Medium, das in der pfingstlich-evangelikalen Bewegung unter dem Aspekt einer weltweiten medialen Penetration zum Einsatz kommt. Nicht zuletzt das sogenannte „televangelism“, Fernsehpredigten charismatischer Evangelisten, ist dabei ein Format, das in der evangelikalen Szene der USA zu einiger Bedeutung gelangt ist und über entsprechende Sendeanstalten auch global verbreitet wird.70 Von besonderer Prominenz ist dabei das von dem Pfingstevangelikalen Pat Robertson gegründete Christian Broadcasting Network (CBN), das sich primär auf derartige Fernsehformate konzentriert.71 Herzstück des Senders ist das Programm „The 700 Club“, das von Pat Robertson selbst moderiert wird und eine Kombination aus Nachrichten und Kommentaren, Interviews, Reportagen und christlicher Predigt bietet. Seit den 1970ern wird auch eine internationale Version des „700 Club“ in bislang ca. 60 Ländern jenseits der USA ausgestrahlt. 1995 gründete CBN die Division CBN WorldReach, die in mehr als 50 Ländern operiert und religiöse Sendungen in 89 Sprachen produziert. Damit erreicht sie nach eigener Auskunft „230 Länder und Territorien“.72 Diese Formate werden oft im Zielland selbst durch ein landeseigenes Produktionsteam hergestellt, um eine kulturelle Nähe der Inhalte zu gewährleisten. Neben CBN zählen Jim Bakkers PTL Inspirational Network und Paul Crouchs Trinity Broadcasting Network zu den drei christlichen Fernsehanstalten mit der global weitestreichenden medialen Durchdringung. Neben der Verbreitung christlicher Sendungen über eigene Sendestationen, auch per Satellit, und dem Erwerb von Sendezeiten bei lokalen Sendestationen zählt die technische und ideelle Unterstützung indigener Fernsehprediger und massenmedial agierender Evangelisten zu ihren Verbreitungsstrategien (vgl. Hadden 1990: 164f.). Solche massenmedialen Anstrengungen erreichen durchaus ein breites Publikum. Die Studie von Dennis A. Smith (1988: 77) zum Einfluss religiöser Medien konnte feststellen, dass der ‚Televangelist‘ Jimmy Swaggart 73,2 % der christlich aktiven zentralamerikanischen Bevölkerung bekannt war. Ob durch solche Programme tatsächlich Bekehrungen effektuiert werden, ist indes fraglich, setzt sich das Publikum doch in der Hauptsache aus bereits Konvertierten zusammen (vgl. hierzu Wright 1989). In diesem Zusammenhang verdient auch das „Jesus-Film“-Projekt Beachtung, das durch Paul Eshleman von der Missionsorganisation Campus Crusade for Christ 1979 ins Leben gerufen wurde.73 Es widmet sich der Übersetzung, Synchronisation und Verbreitung einer Verfilmung des Lukasevangeliums. Einschließlich reiner Audioversionen und Kinderversionen rühmt sich das Projekt, Kopien in bislang 1.122 Sprachen produziert zu haben.74 Bemerkenswert ist auch in diesem Zusammenhang 70 Vgl. zum „televangelism“ und religiösen Fernsehprogrammen Abelman (1990); Hadden (1983; 1987); Schultze (1992); Wuthnow (1987). 71 Vgl. zum Folgenden den Internetauftritt auf http://www.cbn.com vom 28.08.2009. 72 http://www.cbn.com/worldreach/worldreach_about.aspx vom 28.08.2009. 73 Vgl. hierzu den Internetauftritt auf http://www.jesusfilm.org vom 28.08.2009. 74 http://www.jesusfilm.org/film-and-media/statistics/languages-completed vom 24.03.2011.

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die statistische Perspektive auf Konversionen, die von Seiten der Verantwortlichen mit dem Film in Verbindung gebracht werden: „Every four seconds, somewhere in the world, another person indicates a decision to follow Christ after watching the ‚JESUS‘ film.“75 Solche Anstrengungen stehen in enger Verbindung mit den ethnolinguistischen Forschungen der bereits erwähnten Wycliffe Bible Translators bzw. des Summer Institute of Linguistics International. Die WBT selbst wie auch die United Bible Societies76, die 145 Bibelgesellschaften in über 200 Ländern und Territorien umfasst, widmen sich daneben auch der Übersetzung und Verbreitung von Bibeln in Printform. Auch lokale Gemeinden und Evangelisten machen starken Gebrauch von audiovisuellen Medien; insbesondere für den afrikanischen und lateinamerikanischen Raum wird dies im letzten Kapitel der Arbeit noch etwas näher zu erörtern sein. Es ist ferner keine Seltenheit, dass Prediger Videoaufzeichnungen oder Audioaufnahmen ihrer Gottesdienste zur Verfügung stellen (vgl. Coleman 2000: 168; Miller 1997: 142, 145); diese können dann selbst wieder überregional oder gar global zirkulieren. So versorgt mittlerweile die bereits erwähnte brasilianische UCKG die spanischsprachige Bevölkerung der USA mit entsprechenden Evangelisationsformaten (vgl. Mora 2007; zit n. Wuthnow/Offutt 2008: 227). Vor dem Hintergrund des vorangegangenen Teilkapitels IX.1, das die ‚beobachtenden‘ Aktivitäten der pfingstlich-evangelikalen Bewegung erörtert hat, wird man vermuten können, dass diese medienbasierten Missionsbemühungen nicht blind operieren. Wie oben dargelegt, wird auch das Ausmaß der medialen Versorgung spezifischer Länder und „people groups“ statistisch registriert und kann somit Orientierungen hinsichtlich des Bedarfs und des erwartbaren Erfolgs liefern. Die ‚Befangenheit‘ der ‚handelnden‘ Organisationen in dieser Sinnperspektive zeigt sich an den ‚Diskursfragmenten‘, die die Texte der Internetauftritte an den Tag legen – so etwa in der Rede von „unreached people groups“ und dem „10/40-window“ sowie in der statistischen Buchführung über eigene Bekehrungserfolge mit den in diesem Zusammenhang typischen Interpolationen. Die bisherigen Ausführungen haben das Verhältnis von Organisation und Weltgesellschaft/gesellschaftlichem Sinnsystem berührt. Es wurde einerseits in einem ersten Teil erörtert, wie organisatorisch auf Dauer gestellte Reflexionsleistungen einen spezifischen konversionsbezogenen Sinnhorizont beobachtend konstituieren und kultivieren. Durch die dabei in die Welt projizierten Unterscheidungen werden diejenigen systemspezifischen Elementarakte erst konstruiert, die einen Möglichkeitshorizont fortlaufend reproduzieren und so vorzeichnen, welche weiteren konversionsbezogenen Aktivitäten möglich und ‚sinnvoll‘ sind. Der Sinnhorizont ist dabei im Sinne des hier veranschlagten Globalitätsbegriffs in einer Hinsicht global: Alle Bekehrungen bzw. religiösen Wechsel unter allen Religionen der Welt werden in dessen Reproduktion einbezogen. Der Frage einer Konvergenz mit den Sinnentwürfen anderer Religionen wird das letzte Kapitel dieser Arbeit nachgehen. Der zweite Abschnitt hat sich dem Verhältnis von Organisation und Weltgesellschaft unter einem anderen Gesichtspunkt zugewandt. Hier sind die Organisationen zur Sprache gekommen, die in der Hauptsache vor dem hier erörterten Sinnhorizont 75 http://www.jesusfilm.org vom 24.03.2011. 76 Vgl. http://www.biblesociety.org vom 24.03.2011.

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agieren und Weltgesellschaft nun dadurch realisieren, dass sie diesen globalen Sinnzusammenhang voll abzuschreiten versuchen, d.h. in der Adressierung aller Menschen bis an die Grenzen kommunikativer Erreichbarkeit eine Weltbekehrung bzw. -evangelisation ins Werk zu setzen versuchen. Im Folgenden gilt es nun stärker auf die Ebene der Organisation ‚herunterzuschalten‘ und zu erörtern, wie die Konversionsorientierung organisationsintern als Zweck abgearbeitet wird. Dabei ist zu zeigen, wie in dieser Hinsicht die Interaktionsebene organisatorisch eingespannt wird. Dies wird mit der Desintegrationsdiagnose ins Verhältnis zu setzen sein, die Luhmann für die Religion im deutschen Kontext hinsichtlich des Verhältnisses von Interaktion, Organisation (Kirche) und Gesellschaft (Religion) veranschlagt hat. Hier soll demgegenüber auf das hohe Ausmaß von Integration aufmerksam gemacht werden, das in diesem Zusammenhang zwischen den drei Ebenen hinsichtlich des Konversionsaspekts zu konstatieren ist.

3. O RGANISATION UND I NTERAKTION : D IE KONVERSIONSORIENTIERTE I NBESCHLAGNAHME INTERAKTIVER D YNAMIKEN Wie bereits im Kapitel über die Differenzierungstheorie(n) Niklas Luhmanns erörtert wurde, waren die frühen Studien zur Religion in differenzierungstheoretischer Hinsicht von einiger Skepsis hinsichtlich der religiösen Kompatibilität mit modernen Differenzierungsformen geprägt. Diese Skepsis galt auch dem Verhältnis von Interaktion, religiöser Organisation und dem gesellschaftlichen Funktionssystem Religion. Ausgehend von dem Befund einer „Funktionsdefizienz“ zeichnete Luhmann für die verschiedenen Ebenen religiöser Systembildung das Bild einer weitgehenden Desintegration: Die abhandengekommene gesellschaftliche Verankerung der religiösen Funktion führt zu einem Mangel an organisatorischen Zweckvorgaben; entsprechend fehlen auch für die Interaktionsebene kontrollierbare Erfolgskriterien und Rückkopplungsmöglichkeiten, auf deren Grundlage organisatorische Strukturanpassungen vorgenommen werden können. Nicht zuletzt werden organisatorische Innovations- und Anpassungspotentiale durch den identifikatorischen Halt der Kirche an einer religiösen Dogmatik blockiert, die sich aufgrund ihres sakralen Charakters einer Variabilität weitreichend entzieht. Vor diesen Hintergrund gilt es nun die pfingstlich-evangelikale Bewegung ins Profil zu setzen. Es ist auch hier ihre amerikanische Prägung, die sie maßgeblich von Luhmanns europäisch verengter Beschreibung des Protestantismus abhebt. Wie oben bereits anhand der Arbeiten von Sidney E. Mead erörtert wurde, spielen kirchenhistorische Einschränkungen und Selbstbindungen, wie sie für die Traditionskirchen Europas zu konstatieren sind, kaum eine Rolle in der amerikanische Religiosität; dies liegt nicht zuletzt an dem freikirchlichen System und dem damit verbundenen Akzent auf persönlichem Glauben. Darauf lässt sich auch ein weitreichender Pragmatismus hinsichtlich des Bekehrungszwecks zurückführen. Ein solcher ist in den Perspektiven der Gemeindewachstumsbewegung fest verankert; er hat aber eine Geschichte, die sich bis zu den Erweckungsbewegungen zurückverfolgen lässt. So lassen sich, wie oben gesehen, insbesondere Charles Finney und in seinem Gefolge Dwight L. Moody

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als Pioniere jener „New Measures“ im Bereich der Mission anführen, die auch zum Repertoire heutiger pfingstlich-evangelikaler Evangelisten gehören. Heute wie damals bringt ein Ausspruch Dwight L. Moodys die dabei an den Tag gelegte zweckrationale Nüchternheit prägnant auf den Punkt: „It makes no difference how you get a man to God, provided you get him there.“ (Zit. n. Mead 1954: 309) So sind Interaktion, Organisation und Gesellschaft im Falle der pfingstlich-evangelikalen Bewegung in vergleichsweise hohem Maße miteinander ‚verschaltet‘ und integriert. Die gesellschaftliche Sinnstruktur der Konkurrenz um Konversionen gibt den Organisationen einen eindeutig quantifizierbaren Zweck an die Hand, auf den hin sich das Missionsunterfangen durchgreifend rationalisieren lässt. Wie nun insbesondere in diesem Kapitel erörtert werden soll, werden dafür gerade auch die Potentiale der Interaktionsebene organisatorisch in Anspruch genommen. Dies geschieht insbesondere in dreierlei Hinsicht. Zum einen wird in den Evangelisationsveranstaltungen und Gottesdiensten auf die massenpsychologischen Wirkungen gesetzt, die sich infolge des „hohe[n] emotionale[n] Pegel[s]“ (Zimmerling 2001: 125) sowie der Inszenierung wundersamer Ereignisse wie Heilungen, Prophetie und spontaner Bekehrung in den Evangelisationsveranstaltungen und Gottesdiensten entfalten. Diese Organisation von ‚Efferveszenz‘, um in diesem Zusammenhang einen Durkheim’schen Terminus aufzugreifen, gilt es in einem ersten Abschnitt zu diskutieren (3.1). Zweitens werden die spezifischen Dynamiken von Interaktionskontexten auch dazu genutzt, Konvertiten ‚bei der Stange zu halten‘: Die Pfingstgemeinden, die zum Teil als „megachurches“ beachtliche Größen erlangen, implementieren nicht selten ein Zellstrukturprinzip, in denen die Bekehrten ethnisch und sozioökonomisch homogenen Kleingruppen zugeführt werden. Hier spielen sich zahlreiche religiöse Aktivitäten wie Bibellektüre, Gebete u.ä. ab. Dabei ist, wie in diesem Abschnitt zu erörtern sein wird, vor allem die Bindungswirkung entscheidend, die durch diesen emotional gefärbten ‚face-to-face‘-Zusammenhang hervorgebracht wird (3.2). Drittens wird, wie in einem daran anschließenden Abschnitt dargelegt werden soll, im Rahmen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung in der Regel von allen Mitgliedern erwartet, missionarisch tätig zu werden (3.3). Dabei kommt eine Art ‚Karrierestruktur‘ zum Tragen, die nicht auf theologische Qualifikation, sondern ganz auf Rekrutierungserfolge in Interaktionszusammenhängen setzt. Die Organisation liefert hier klare Erfolgskriterien für die Interaktion, auf die hin sie insbesondere in der Stellenstruktur reagieren kann. So werden in der pfingstlich-evangelikalen Bewegung charismatische Persönlichkeiten herangezüchtet, die dann innerhalb der Gemeinde aufsteigen, sich als Pastoren mit eigenen Gemeinden selbständig machen oder als Evangelisten gar weltweit ‚zirkulieren‘. 3.1 Zur Organisation von ‚Efferveszenz‘: Die Evangelisationsveranstaltungen der pfingstlichevangelikalen Bewegung Eine für die pfingstlich-evangelikale Bewegung typische und effektive Methode, Individuen zu bekehren bzw. Konversionsentscheidungen zu effektuieren, besteht in

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der Evangelisationsveranstaltung.77 Diese zentriert sich in der Regel um einen charismatischen ‚Wanderprediger‘ bzw. Evangelisten und zeichnet sich durch ihren hochspektakulären, emotional aufgeladenen und auf Massenbekehrung konzentrierten Charakter aus. Die Erörterung solcher Veranstaltungen soll hier in vier Schritten erfolgen. In einem ersten Schritt ist deren typische Struktur am Beispiel jener „crusades“ darzustellen, die der deutsche Pfingstevangelist Reinhard Bonnke im Rahmen seiner Organisation CfaN in Afrika durchführt (3.1.1). In einem zweiten Schritt sollen die Interaktionsdynamiken, die hier für die Konversionsentscheidung der Teilnehmer eine Rolle spielen, unter Berücksichtigung massenpsychologischer Mechanismen genauer beleuchtet werden (3.1.2). In einem dritten Punkt wird sich die Diskussion dem hier zutage tretenden strukturellen Verhältnis von Interaktion, Organisation und Gesellschaft zuwenden (3.1.3). Der letzte Abschnitt schließlich sieht einige Bemerkungen zum operativen Verhältnis der Ebenen vor; hier geht es um ihre operative Kopplung im objektivierten Akt der Konversionsentscheidung (3.1.4). 3.1.1 Die pfingstlich-evangelikale Evangelisationsveranstaltung Die „crusades“ bzw. „gospel-crusades“ Reinhard Bonnkes bilden einen paradigmatischen Fall einer pfingstlich-evangelikalen Evangelisationsveranstaltung.78 Sie beginnen in der Regel mit einer langen, oft anderthalb Stunden währenden ‚Aufwärmphase‘, in der dem Publikum Hymnen und Lieder beigebracht werden, die dann kontinuierlich gesungen werden (vgl. Gifford 1987: 67f.). Obgleich sich die ganze Antizipation und Aufmerksamkeit auf den Evangelisten richtet, werden die Teilnehmer in der Regel zu einer intensiven Beteiligung angehalten. So wird das Publikum bereits hier emotional ‚aufgepeitscht‘ und zu einem spontanen Ausleben von Gefühlsregungen ermutigt. Entsprechend verleihen auch im Weiteren gelöste Gesten, Lobpreisungen und Halleluja-Rufe sowie das typische Zungenreden der gesamten Veranstaltung einen lebhaften und aufgeheizten Charakter. Den zweiten Teil der Veranstaltung bildet dann eine längere Predigt durch den Evangelisten; dies ist in der Regel Bonnke selbst, der jüngere CfaN-Evangelist Daniel Kolenda oder einer von vielen Predigern aus dem globalen Netzwerk pfingstlichevangelikaler Evangelisationsprediger.79 In der Rede kommt ein rhetorisch mitrei77 Vgl. hierzu auch Kern (1997: 213f.): „Die Charismatiker haben mit der Evangelisation einen Typus von Veranstaltung entwickelt, dessen einzelne Komponenten sie gezielt nutzen und gestalten, um bei den Besuchern ein Bekehrungserlebnis herbeizuführen.“ (Herv. i.O.) 78 Vgl. hierzu und zum Folgenden Brouwer et al. (1996: 157f.); Gifford (1987). Zur allgemeinen Struktur pfingstlich-evangelikaler Evangelisationsveranstaltungen siehe auch Kern (1997: 213ff.). Einige der folgenden Charakterisierungen basieren auch auf eigenen Beobachtungen von Teilen der „crusade“ in Kochi, Kerala, Indien, wie sie auf YouTube verfügbar sind, sowie der webcasts auf www.cfan.org. 79 Gifford (1987: 64f.; 67f.) nennt im Rahmen der von ihm beobachteten zweiwöchigen „crusade“ neben Bonnke u.a. noch Kenneth Copeland (USA), Benson Idahosa (Nigeria), Ralph Mahoney (USA) und Kenneth Meshoe (Lesotho). Einen Eindruck von der globalen Vernetzung geben auch die Pamphlete, Broschüren und kleineren Schriftstücke, die insbesondere im Rahmen der „Feuerkonferenzen“ für die lokalen Pastoren ausliegen. Wie Gif-

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ßender Stil zum Tragen, der farbenfroh, bilderreich und dramatisch von dem unmittelbaren Wirken Gottes in der Gegenwart berichtet. Der Akzent liegt dabei zumeist auf einer eindringlichen Schilderung von Wundern und Wunderheilungen, die sich vor den Augen und im Mitwirken des Evangelisten ereignet haben sollen. Damit verbinden sich Versprechungen für die anwesenden Kranken, hier und heute Heilung zu erfahren. Von einer Unterjochung durch den Teufel wird gesprochen und von einer Befreiung durch Jesus Christus. Die Anwesenden werden unzweideutig darüber unterrichtet, dass ihnen bei einer Ablehnung des Evangeliums die Hölle drohe. Während der gesamten Predigt wird in der Regel mit Simultanübersetzungen operiert, was dem Ganzen nicht etwa an Schwung nimmt, sondern ihm durch das zum Teil hochemotionale, die Botschaft sekundierende Gebaren des Übersetzers noch eine besondere dramaturgische Note verleiht. Es werden zudem immer wieder Reaktionen vom Publikum eingefordert, dabei das Mikrofon zur Masse richtend („Say yes to Jesus“). Der Predigtteil kulminiert schließlich in einer Massenbekehrung („Now the most holy moment of this evening has come“). Die Menschen werden aufgefordert, ihre Augen zu schließen und ihre Hände zu heben, schließlich auch aufzustehen, wenn sie „gerettet“ werden wollen. Mit ihnen spricht Bonnke das Erlösungsgebet („prayer of salvation“), das um Vergebung der Sünden und Rettung bittet. Satz für Satz wird es von den Konversionswilligen im Publikum mit lauter Stimme nachgebetet. Die vorgebeteten Worte Bonnkes sind hochemphatisch („I say YES! YES! YES! to Jesus“). Im Publikum eingestreut sind tausende „counsellors“; dies sind Mitarbeiter und Freiwillige der lokalen Gemeinden, die im Vorfeld für die Aufgabe der unmittelbaren Nachbetreuung im Anschluss an die Konversionsentscheidung geschult werden.80 Sie verteilen an diejenigen, die die Arme gehoben haben und das Erlösungsgebet mitgesprochen haben, sogenannte „decision cards“, anhand derer die Konversionsentscheidung objektiviert wird.81 Diese Titulierung hebt den Entscheidungscharakter der Angelegenheit noch einmal deutlich hervor. Die Karte besteht entsprechend aus zwei Teilen; einer davon enthält einige weitergehende Anweisungen („Now that you are saved...“) und bleibt beim Konvertiten; der andere Teil mit den Daten des Konvertiten wird einer der partizipierenden Lokalgemeinden zugespielt, die sich dann seiner weiteren Betreuung und Schulung annimmt. Daran schließt in der Veranstaltung nicht selten ein Segment an, in dem die Geistestaufe zelebriert wird. Am vierten Tag der Veranstaltung in Ogbomosho, Nigeria, vom 10.-14. November 2010 etwa folgt direkt auf die Predigt und Bekehrung durch ford (1987: 79) berichtet, finden sich hier neben Schriften der bereits genannten Evangelisten auch Texte von Jimmy Swaggart, Gordon Lindsay, Kenneth Hagin und John Osteen. Gar eine Schrift von Dwight L. Moody findet sich Gifford (ebd.: 79) zufolge in der Auslage, wodurch die historische Genealogie dieses gegenwärtigen Evangelisationsunterfangens noch einmal deutlich angezeigt und gewissermaßen auch von dieser Seite selbst hervorgehoben wird. 80 Vgl. hierzu http://www.bonnke.net/cfan/en/cfan/functioning-of-cfan vom 03.04.2011. Diese Technik der Einstreuung von Mitarbeitern ins Publikum wandte schon Charles G. Finney an; vgl. dazu McLoughlin (1959: 98f.) und Kap. IV. 81 Der Einsatz von solchen „decision cards“ lässt sich bis zum amerikanischen Evangelisten Edward Payson Hammond (1831-1910) zurückverfolgen; vgl. McLoughlin (1959: 156f.).

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den CfaN-Evangelisten Daniel Kolenda eine Predigt Bonnkes zum „baptism into the Holy Spirit“.82 Dabei werden zunächst die Bedingungen genannt, die es braucht, „to receive power“; hier wird dem zweistufigen ordo salutis gefolgt: So wird die Abkehr von der Sünde durch ein Bekenntnis zu Jesus als erste Bedingung genannt. Ebendies ist zuvor durch das Erlösungsgebet mit Daniel Kolenda vollzogen worden. Als zweite Bedingung wird „Glaube“ angeführt: „It is impossible to receive anything from God without faith.“ Damit ist zugleich ein Erklärungsschema mitgeliefert, mit dem die Botschaft gegen Zweifel immunisiert wird, falls sich in der Folge die Geisteserfahrung nicht einstellen sollte. Bonnke erklärt dann das Vorgehen: Auf sein Signal hin seien „in einer Stimme“ wiederholt Lobpreisungen zu schreien. Das sei das Rezept für die Zungenrede: „And suddenly your language will change.“ Nach diesen Einweisungen gibt Bonnke schließlich das Signal, und die Masse beginnt mit erhobenen Armen mit den Lobpreisungen, während Bonnke und der Übersetzer in Zungen ausbrechen und immer wieder das Publikum anfeuern: „Receive the fire!“ Die Menschen rudern wild mit den Armen, johlen und reden zum Teil in Zungen.83 In einem letzten Teil werden dann in der Regel Heilungen am Publikum exerziert. Dabei wird vom Evangelisten ein Heilungsgebet gesprochen; so werden etwa in Ogbomosho, Nigeria, durch Daniel Kolenda verschiedene Krankheiten genannt und deren Heilung beschworen: „Be healed of all leprosy! Be healed of all skin disease! Your blind eyes will now open! In the name of Jesus!“ Schließlich werden diejenigen, die sich geheilt glauben, auf die Bühne gebeten, wo sie von der Heilung Zeugnis ablegen, indem sie demonstrativ ihre wiedergewonnen Fähigkeiten – etwa das Laufen ohne Krücken – zur Schau stellen (vgl. auch Brouwer et al. 1996: 158).84 Diese dramaturgische Struktur aus enthusiastisch-exaltierter Anheizphase, einer rhetorisch eingängigen Predigt durch eine (im untheologischen Sinne) charismatische Persönlichkeit und schließlich der Kulmination in einer Massenbekehrung und ihrer Objektivation in dem Ausfüllen von „Entscheidungskarten“ o.ä. ist allen evangelikalen Evangelisationsveranstaltungen weitgehend gemein (vgl. Kern 1997: 213ff.). In kleineren Veranstaltungen als denen Bonnkes, so etwa in den Evangelisationskampagnen von Billy Graham, verbindet sich der Bekehrungsappell in der Regel mit einem „Ruf zum Altar“ (vgl. hierzu Altheide/Johnson 1977). Hier bewegen sich die Bekehrungswilligen nach vorne, wo sie vom Evangelisten als Gruppe noch einmal gesondert adressiert werden und schließlich gemeinsam mit den „counsellors“ ähnliche „decision cards“ ausfüllen, wie sie in den Veranstaltungen Bonnkes ausgeteilt werden.85 Auch hier sind die „counsellors“ aus den lokalen Gemeinden bereits in das 82 Vgl. http://www.bonnke.net/cfan/en/webcast vom 3.4.2011. 83 Die Szene weckt Assoziationen mit dem von Durkheim (1912/1981: 295ff.) beschriebenen ‚corrobbori‘ in Australien. 84 Vgl. Kern (1997: 217f.) und Zimmerling (2009: 214ff.) zu diesem auf John Wimber zurückgehenden „power evangelism“, in dem über den gezielten Einsatz von Zeichen und Wundern bzw. von Charismen Evangelisation betrieben wird. 85 Wie Altheide und Johnson (1977) berichten, finden sich auf Grahams Karten drei Antwortoptionen: (1) Die eigentliche Konversionsentscheidung („Acceptance of Christ as Savior and Lord“); (2) Heilsvergewisserung („Assurance of Salvation“); (3) Wiederaufnahme des Glaubens nach zwischenzeitlicher Abtrünnigkeit o.ä. („Rededication“). Wie die Autoren feststellen, neigen die „counsellors“ trotz absichtsvoll gestreuter Gegenanzeigen dazu,

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Publikum eingestreut und angewiesen, beim Abschlussgebet nach konversionsbereiten Teilnehmern Ausschau zu halten. So können jene den Bekehrungsmotivierten direkt zum Altar folgen, um dort entsprechende Paarungen mit einem „counsellor“ schnell und mit wenig Verständigungsaufwand zu arrangieren (Altheide/Johnson 1977: 332f.). Dabei werden ebenfalls Informationen für ein intensives „follow-up“ durch die lokalen Gemeinden notiert und zum Teil schon der Kontakt mit anwesenden Pastoren oder anderen Mitarbeitern der lokalen Gemeinden hergestellt (vgl. ebd.: 333). Das Hervorströmen der „counsellors“ beim Altarruf, die abgesehen von einem Namensschildchen kaum von anderen Teilnehmern zu unterscheiden sind, vermittelt zusätzlich den Eindruck einer besonderen Wirksamkeit der Botschaft des Evangelisten und hat zur Folge, dass sich stets eine große Menge an augenscheinlich Bekehrungswilligen zum entsprechenden Zeitpunkt in Richtung Altar bewegt (ebd.: 332). Hier zeichnet sich schon ein gewisser massenpsychologischer Stimulus ab, der sich im Rahmen dieser Veranstaltungen entfalten kann. Nicht allein die Evangelisationsveranstaltungen, sondern selbst noch die eigentlichen Kirchengottesdienste im engeren Sinne sind von dieser Konversionsperspektive durchdrungen. George Marsden (1987: 85) konstatiert etwa in seiner historischen Arbeit über das Fuller Theological Seminary mit Bezug auf eine Vielzahl evangelikaler Kirchen: „Morning worship was not primarily for building up the saints; rather it was for evangelizing the unconverted. [...] Worship itself was secondary and subordinate to evangelism, so that catchy hymns and choruses or thrilling xylophone recitals to warm up the audience transformed or entirely crowded out the traditional American Protestant liturgy. Liturgy was, in fact, an alien word in many such churches.“86

Entsprechend weisen die Pastoren der Pfingstgemeinden im Umgang mit den klassischen kirchlichen Handlungen, den Kasualien, oft erhebliche Unsicherheiten auf; die Teilnehmer der ersten Kategorie zuzuschlagen, sobald in dem kurzen Zwiegespräch in irgendeiner Form ein Glaubensbekenntnis geäußert wird (ebd.: 339). 86 Ähnlich auch Coleman (2000: 100f.) in seiner Untersuchung der Word-of-Life-Kirche in Schweden: „[T]hose who have achieved election are repeatedly encouraged to extend the message and opportunity of salvation to others. The physical presence of unconverted others, or at least their evocation in linguistic or imagistic form, is not merely a challenge but is a constituting feature of the evangelical life. [...] Much participation in Faith activities is therefore goal-oriented. The valorisation of stillness, calm, peace or rest in divine grace, is far less evident in the language of Faith than it is in other Christian discourses in Sweden.“ In diesem Zusammenhang macht Coleman auch deutlich, wie die gottesdienstliche Kommunikation nicht allein durch die Referenzen auf die noch Unkonvertierten über den Kreis der Anwesenden hinausweist, sondern auch durch das Heranziehen zahlreicher Verbreitungsmedien: „Virtually all services at the Word of Life are video- and audio-taped, and become available for sale and export soon after their occurrence in real time. [...] The group also uses satellite television to broadcast to other parts of Europe, and Bible School and university students can take courses in the uses of state-of-the-art communications media.“ (Coleman 2000: 168) Vgl. in diesem Zusammenhang für andere charismatischen Kirchen auch Miller (1997).

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Bergunder (1999: 262f.) deutet dies für den indischen Fall etwa am Beispiel von Begräbniszeremonien an. Wo sich Gottesdienste in Bekehrungen und Heilungen, oder den Zeugnissen und Predigten darüber, weitgehend erschöpfen, bleibt für das traditionell-religiöse Angebot der Gemeinden wenig Raum.87 Die enge Bindung der Organisations- und Interaktionsebene an die Konversionsperspektive neigt dazu, die religiösen Handlungen ohne direktes Bekehrungsmotiv oder thematischen Bezug zur Konversion aus dem religiösen Sinnhorizont zu verdrängen.88 Im Folgenden gilt es den interaktiven Dynamiken hinsichtlich ihrer Bedeutung für diesen organisatorischen Zweck der Bekehrung näher nachzugehen. 3.1.2 Die massenpsychologischen Dynamiken der Interaktion – Anschluss an klassische Perspektiven Die oben geschilderten Evangelisationsveranstaltungen sind hier hinsichtlich der Dynamiken in den Blick zu nehmen, die ihnen allein aufgrund der Tatsache zukommen, dass sie als Interaktionssysteme verfasst sind – sich also unter Bedingungen körperlicher Anwesenheit und wechselseitiger Wahrnehmung ereignen. Dabei scheint mir insbesondere der Massencharakter dieser Veranstaltungen von Bedeutung zu sein. Zur Masse finden sich in den Sozialwissenschaften klassische Perspektiven, die sich trotz ihrer Klassizität weitgehend bedenkenlos für eine derart systemtypologisch zugespitzte Erörterung in Anspruch nehmen lassen. Dies ist deshalb der Fall, weil sie in ihren Beschreibungen der relevanten Sozialphänomene auf Eigenschaften und Bedingungen abstellen, die diese Phänomene in zweierlei Richtung auf Abstand bringen: zum einen ‚nach oben‘ zur Organisations- und Gesellschaftsebene in der Akzentuierung kollektiver Anwesenheit; zum anderen ‚nach unten‘ zum bloß psychisch verfassten Individuum in der Betonung sozialer Emergenz. Vier Autoren bzw. Arbeiten sollen dabei im Blick sein: zum einen Gustave Le Bon und seine „Psychologie der Massen“; zweitens Gabriel Tarde und seine eigenen, jüngst von Urs Stäheli (2009) neu beleuchteten Betrachtungen zur Masse; ferner einige Überlegungen Georg Simmels; schließlich Emile Durkheim und seine religionssoziologische Beschreibung von „Efferveszenz“. In Gustave Le Bons (1895/1982) Charakterisierung der Masse tritt der Gedanke ihrer emergenten Qualitäten unzweideutig hervor; so weist er ausdrücklich auf die neuen Eigenschaften hin, die durch die Vereinigung der Individuen zur Masse ent87 In diesem Zusammenhang spricht die Organisationsforschung bisweilen auch von einem Fall eines „goal-displacement“ bzw. „means-ends-inversion“; vgl. z.B. Demerath/Thiessen (1966); hierzu sind Analogien im Bereich politischer Partei-Organisationen bekannt (vgl. Luhmann 1968/1973: 222f.). Hier sieht sich die Partei mit dem Problem konfrontiert, dass die Zwecke ihres Parteiprogramms für ihre Realisierung den politischen Machterwerb voraussetzen und so für das interne Verhalten in der Partei nur sehr unbestimmte Vorgaben liefern. Für die „internen Funktionen der Rationalisierung und Wirksamkeitskontrolle des eigenen Verhaltens wird dieses Verhältnis einfach umgekehrt und das Programm als Mittel zum Zwecke des Machterwerbs behandelt“ (Luhmann 1968/1973: 223). 88 Stolz (1999: 207) bemerkt, dass diese „Bekehrungsgottesdienste“ im Rahmen des Evangelikalismus in der Regel ausschließlich vor Bekehrten stattfinden; insofern schreibt er ihnen eher einen „strukturerhaltenden“ als tatsächlich missionierenden Charakter zu.

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stehen.89 Le Bons Blick gilt zwar durchaus auch dem Individuum; dies allerdings in der Hauptsache hinsichtlich der sich in ihm entfaltenden Wirkungen, die allein der Tatsache zuzurechnen sind, dass es für den Augenblick Teil einer Masse geworden ist. Es sind dies: das Gefühl einer „unüberwindlichen Macht“ (ebd.: 15), das den ansonsten gezügelten Trieben insbesondere dann zum Durchbruch verhilft, wenn eine Anonymität zusätzlich jegliches Verantwortungsgefühl verschwinden lässt; zweitens die „geistige Übertragung“ (ebd.) bzw. Ansteckung („contagion mentale“), mit denen sich individuelle Handlungen und Gefühle innerhalb der Masse ausbreiten; schließlich die Suggestibilität bzw. „Beeinflussbarkeit“ (ebd.: 16), auf die auch die zuvor erwähnte Ansteckung zurückgeführt wird. Das Individuum fällt Le Bon zufolge in der Masse in einen einigermaßen ‚primitiven‘ Zustand zurück, der dann wiederum die Masse als Ganzes charakterisiert: Es ist ein Zustand der Triebhaftigkeit, leichten Beweglichkeit und Erregbarkeit sowie der Spontanität und Überschwänglichkeit in den Gefühlsregungen. Dabei ist für Le Bon nicht schon die bloße Ansammlung vieler an einem Ort hinreichendes Kriterium für die Bildung einer Masse; es bedarf hierzu eines gemeinsamen Zwecks oder zufälligen Reizes, um aus der Ansammlung eine tatsächliche Masse im engeren Sinne zu konstituieren. Hier wird dann der Einzelne zum Hypnotisierten, der sich als „Sklave seiner unbewussten Kräfte“ (ebd.: 16) durch die Masse mitreißen lässt; Letztere tritt in dieser Analogie an die Stelle des Hypnotiseurs. Insofern es im vorliegenden Zusammenhang um die Suggestions- und Persuasionspotentiale der Interaktionssituation gehen soll, brauchen der Gedanke Le Bons zur Primitivität der Masse und die Theorie des Unbewussten, die sich daran knüpft, nicht weiterverfolgt zu werden. Hier soll der Blick stärker dem Aspekt der Suggestibilität und dem darauf zurückgeführten Konzept der Ansteckung gelten. Beide finden sich auch bei Gabriel Tarde und sind hier mit seiner Theorie der Nachahmung in Berührung gebracht. Wie Stäheli (2009) ausführt, entwickelt Tarde gerade am Fall der Masse seine Sozialtheorie, die alles Soziale auf „Die Gesetze der Nachahmung“ zurückzuführen sucht; aufgrund der de-individuierenden Wirkungen, die Tarde wie Le Bon der Masse zuschreiben, lassen sich Nachahmungseffekte hier unter „idealen Bedingungen studieren“ (Stäheli 2009: 404). Ganz analog zu Le Bon nimmt auch Tarde die Massendynamiken als ein emergentes Geschehen – und kompromittiert damit ein Stück weit seine Kritik an Durkheims Konzeption des Sozialen als einer Realität „sui generis“ (vgl. Stäheli 2009: 401).90 So liefert Tarde in dem Aufsatz „Le Public et la 89 Vgl. dort auch die Position gegen Herbert Spencer (Le Bon 1895/1982: 13): „In Widerspruch zu einer Anschauung, die sich befremdlicherweise bei einem so scharfsinnigen Philosophen wie Herbert Spencer findet, gibt es in dem Haufen, der eine Masse bildet, keineswegs eine Summe und einen Durchschnitt der Bestandteile, sondern Zusammenfassung und Bildung neuer Bestandteile, genau so wie in der Chemie sich bestimmte Elemente, wie z. B. die Basen und Säuren, bei ihrem Zustandekommen zur Bildung eines neuen Körpers verbinden, dessen Eigenschaften von denen der Körper, die an seinem Zustandekommen beteiligt waren, völlig verschieden sind.“ 90 Es darf dabei allerdings nicht übersehen werden, dass sich sowohl bei Le Bon als auch bei Tarde Annahmen über tiefere, gleichsam primitive Schichten des individuellen Bewusstseins finden, die ein Substrat der Effekte bilden, die in Massenzusammenhängen aktiviert werden; bei Tarde ist hier etwa die Rede von einer „Enthüllung“ eines „latenten Charak-

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Foule“ eindringliche Schilderungen von Ansteckungs- bzw. Nachahmungsdynamiken, die zuvorderst den Umständen wechselseitiger Wahrnehmung und den kommunikativen Anschlüssen der Interaktion geschuldet sind. Eine längere Passage sei in diesem Zusammenhang zitiert: „Well-known [...] is the indefinite amount of time spent in the rain, even at night, by curious crowds awaiting a big military review. Inversely, it often happens at the theater that the same public which calmly resigned to an excessive delay suddenly becomes exasperated and will not suffer another minute’s delay. Why is a crowd thus always more patient and more impatient than an individual? The same psychological cause explains both cases: the mutual contagion among the assembled individuals. So long as no manifestation of impatience, foot stamping, catcalling, sound of canes or of feet is produced in a group [...], each individual is impressed by the sight of his neighbors’ resigned or cheerful attitude, and unconsciously reflects their gaiety or resignation. But if someone […] takes the initiative and becomes impatient, he is soon imitated by degrees, and the impatience of each individual is redoubled by that of the others.“ (Tarde 1901/1969: 291; Herv. M.P.)

Hier werden zweierlei Prozesse herausgekehrt, die auf physische Kopräsenz zwingend angewiesen sind. Es ist dies zum einen die vorbewusste Übernahme der am Körper des anderen abgelesenen Befindlichkeiten; zum anderen ein Rückkopplungseffekt, der in seiner Unmittelbarkeit ein wechselseitiges Aufschaukeln der Emotionen zur Folge hat, die sich schließlich bis zum Äußersten potenzieren können – Le Bon hatte in diesem Zusammenhang vom Wachsen der Suggestion durch „Gegenseitigkeit“ gesprochen.91 Es ist dieser letzte Punkt, der auch Georg Simmel (1890/1989: 211) – ähnlich wie Tarde – dazu veranlasst hat, in der Masse einen besonders elementaren Fall von Sozialität zu sehen: Ihre Hyperreaktivität, die Simmel (ebd.) unter dem Begriff der „Kollektivnervosität“ verhandelt, gilt ihm als „die reinste Wechselwirkung“. Die „Verstärkung eines Eindrucks oder eines Impulses dadurch, daß er zugleich eine große Anzahl von Einzelnen trifft“ (ebd.), hat auch bei Simmel seine Grundlage in den ‚psychosomatisch‘ verankerten Nachahmungsprozessen, die auf wechselseitige Wahrnehmung, folglich auf Interaktion, angewiesen sind. Es lohnt, auch Simmel hier ausführlicher zu Wort kommen zu lassen. Er hat die psycho-physiologischen Grundlagen des Nachahmungsprozesses, der sich in der Sozialität dann selbstreferentiell potenziert, detailliert beschrieben: „Unwillkürlich ahmen wir Bewegungen nach, die wir um uns herum vorgehen sehen; wie wir häufig beim Anhören eines Musikstücks dieses ganz oder halb unbewusst mitsingen, beim Anblick einer lebhaften Aktion dieselbe mit unserm Körper oft in der seltsamsten Weise akkompagnieren, so machen wir zunächst rein physisch die Bewegungen, Änderungen der Gesichtszüge usw. mit, in denen sich eine Gemütserregung neben uns befindlicher Personen offenbart. Vermöge der Assoziation aber, die auch in uns zwischen einem Gefühl und seiner Äußerung ters“ und von „Virtualitäten, die zutiefst im Inneren verborgen sind“ (vgl. Tarde 1892; zit. n. Stäheli 2009: 288). 91 Stäheli (2009: 401f.) sieht hier Parallelen zum systemtheoretischen Gedanken der Selbstreferenz.

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gebildet ist und auch in rückläufiger Richtung wirksam wird, erregt jene rein äußerliche Mitbewegung auch wenigstens ein Teilchen des ihr entsprechenden inneren Ereignisses.“ (Simmel 1890/1989: 214f.)

Wie insbesondere bei Tarde und Simmel deutlich wird, entfaltet die Kopräsenz nicht so sehr wegen der Reflexivität der Wahrnehmung, d.h. der Wahrnehmung des Wahrgenommenwerdens, ihre spezifische Wirkung, sondern vielmehr infolge der Reziprozität der Wahrnehmung: Die „Wechselwirkung der Individuen untereinander“ gründet hier vor allem in der gegenseitigen Wahrnehmung der Körper, die es über die entsprechenden Rückkopplungen schließlich vermag, „jede gegebene Stärke der Empfindung über sich hinauszutreiben“ (Simmel 1890/1989: 215). Schon die emotionale Reaktion eines Einzelnen kann so über die Dynamik der Nachahmung und Wechselwirkung die gesamte Masse rasch in einen Zustand heftigster Erregung versetzen: „Daher lacht man im Theater und in Versammlungen über Scherze, die uns im Zimmer sehr kühl lassen würden, daher gelingen die spiritistischen Manifestationen am besten in ‚Zirkeln‘.“ (Simmel 1908/1992: 206) Emile Durkheim, der hier als letzter klassischer Kronzeuge zu Wort kommen soll, fasst den hier geschilderten Prozess unter seinen Begriff der „Efferveszenz“ und bringt ihn zugleich in engste Berührung mit dem Bereich der Religion. Le Bons Einfluss auf Durkheims Überlegungen ist bekannt (vgl. Lukes 1972: 462f.). Durkheim wird durch die Frage, woher die religiöse Erfahrung des Heiligen rührt, die sich radikal vom Profan-Alltäglichen scheidet, auf das massendynamische Geschehen in Kollektivversammlungen gestoßen. Das Phänomen des Heiligen ist für ihn nichts anderes als die heftige Erregung und der individuelle Kontrollverlust in solchen Interaktionskontexten, die mit keiner anderen Erfahrung der Welt vergleichbar sind. Auf die weiteren Implikationen dieses Gedankens wurde schon im ersten Kapitel eingegangen. An dieser Stelle interessiert nun die Tatsache, dass Durkheim ebenfalls auf die beiden Mechanismen der unweigerlichen Imitation unmittelbar beobachtbarer Gefühlszustände und deren reziproken Verstärkung abstellt: „Sind die Individuen einmal versammelt, so entlädt sich auf Grund dieses Tatbestandes eine Art Elektrizität, die sie rasch in einen Zustand außerordentlicher Erregung versetzt. Jedes ausgedrückte Gefühl hallt ohne Widerstand in dem Bewußtsein eines jeden wider, das den äußeren Eindrücken weit geöffnet ist. Jedes Bewußtsein findet sein Echo in den anderen. Der erste Anstoß vergrößert sich auf solche Weise immer mehr, wie eine Lawine anwächst, je weiter sie läuft. Und da diese starken und entfesselten Leidenschaften nach außen drängen, ergeben sich allenthalben nur heftige Gesten, Schreie, wahrhaftiges Heulen, ohrenbetäubendes Lärmen jeder Art, was wiederum dazu beiträgt, den Zustand zu verstärken, den sie ausdrücken.“ (Durkheim 1912/1981: 297)

Man wird der Durkheim’schen Beschreibung dieser religiösen Zeremonien eine gewisse Nähe zu den Manifestationen pfingstlicher Religiosität im Rahmen der Evangelisationsveranstaltungen und Gottesdienste schwerlich absprechen können. Entsprechend findet sich unter anderem bei Rey (1985) eine massenpsychologisch informierte Kritik des Geschehens in solchen Veranstaltungen. Im Blick sind ihm dabei mitunter die Heilungsgottesdienste der amerikanischen Heilpredigerin und Evangelistin Kathryn Kuhlman. Hier gilt sein Interesse insbesondere dem charismatischen

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„Ruhen im Geist“, das sich im massenhaften entzückten Zu-Boden-Gehen der Veranstaltungsteilnehmer manifestiert.92 Rey (1985: 80) verweist hier ausdrücklich auf die Suggestionswirkung und die dahinter liegenden Dynamiken der Nachahmung und wechselseitigen Verstärkung im kopräsenten Publikum. Er beobachtet in diesem Zusammenhang die bei Tarde und Le Bon beschriebene Entfaltungsdynamik, mit der sich eine zunächst individuelle Reaktion zur kollektiven Erregung steigert: „[W]enn jemand einer Suggestion unterliegt, sie verwirklicht und z.B. umfällt, werden andere, die zusehen, durch Nachahmung ebenfalls umfallen, dem Gesetz des Beispiels unterliegend. Deshalb ist es bei solchen Versammlungen wichtig, daß zunächst einige fallen – der Sturz der anderen folgt mit Sicherheit – oder daß jemand geheilt wird, damit durch Nachahmung andere ebenfalls geheilt werden.“ (Rey 1985: 80)

Reys Ausführungen zeigen, dass sich die emotionale Überwältigung bzw. „Geisteserfahrung“, die dann zu Konversionsentscheidungen führen kann, leicht auf bloße Dynamiken der Interaktion in größeren Ansammlungen zurückführen lässt. Für die hier mit hineinspielenden Rationalitäts- und Reflexionsdefizite, die der Masse klassischerweise zugeschrieben werden, muss man dabei nicht, wie zum Teil Tarde und Le Bon, ein Substrat unbewusster Triebe oder verborgene Bewusstseinsschichten unterstellen; auch hier lassen sich die Eigenheiten der Interaktion erklärend heranziehen. So dürften schon allein die rasche Sequentialität und das hohe Tempo des interaktiven Geschehens dazu führen, dass ein reflektiertes Innehalten und das sorgfältige Abwägen eigener Reaktionen und Kommunikationsbeiträge entgegen spontaner Gefühlsregungen kaum gelingen können. Auf einen ähnlichen Punkt stellt auch Detlef Pollack (1998) in seiner Analyse der Evangelisationsveranstaltung der evangelikalen Missionsorganisation ProChrist ab. Er sieht eine Funktion der dichten und pausenlosen Rede des Evangelisten darin, dass durch den „Ansturm der Kommunikation“ (ebd.: 464) auf das Bewusstsein der Raum für mögliche eigene Reflexion, aus der Zweifel und Skepsis erwachsen könnten, weitgehend besetzt wird.93 Im vorliegenden Zusammenhang der Ebenendifferenzierung kommt es insbesondere darauf an, dass die hier genannten, der Konversion zuträglichen Interaktionspotentiale nicht einfach blind ‚nebenherlaufen‘, sondern durch einen dahinterstehenden organisatorischen Apparat für die Evangelisation und Bekehrung zweckvoll eingesetzt und stimuliert werden. Dieser strukturellen Verschaltung von Interaktion und Organisation gilt der nächste Abschnitt. 92 Diese und ähnliche körperliche Manifestationen wie unkontrolliertes Lachen etc. sind seit den 1990er Jahren auch als Toronto-Segen bekannt geworden, nachdem sie gehäuft innerhalb der Toronto Airport Vineyard Gemeinde auftraten; vgl. hierzu Kern (1997: 339ff.). 93 Daneben stellt Pollack (1998) hinsichtlich der Persuasionsstrategien, die im Rahmen der Veranstaltung zum Zuge kommen, vor allem auf die kommunikativen Inhalte der Predigt des Evangelisten ab. Zum einen verstehe dieser es, in seinen Deutungsangeboten die Komplexität der Welt auf eine einzige Alternative: Konversion oder nicht, zu reduzieren. Zum anderen versuche er, eigene Mitteilungsabsichten in der Rede zu invisibilisieren und sich als reines Sprachrohr Gottes zu stilisieren, wodurch Negationspotentiale erheblich eingedämmt würden; Pollack bezieht diese Überlegungen direkt auf die Luhmann’sche Funktionsbestimmung der Religion.

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3.1.3 Zum strukturellen Verhältnis von Interaktion und Organisation in der Evangelisationsveranstaltung Rey weist im Rahmen seiner Betrachtung der Evangelisations- und Heilungsveranstaltungen Kathryn Kuhlmans (1907-1976) auf die organisatorischen Leistungen hinter dem Geschehen hin, die gezielt auf eine Steigerung der Suggestibilität des Publikums ausgerichtet sind. Auf der Grundlage der von James Buckingham (1979) verfassten Biographie Kuhlmans berichtet Rey (1985: 62), dass hier eine „perfekte Organisation“ zum Zuge kam, die „[n]ichts [...] dem Zufall über[ließ]“ (Herv. getilgt). Hier ist die Rede von einem militärischen Drill der Saalordner und der Schaffung eines „Klimas der Glaubwürdigkeit“ durch die absichtsvolle Platzierung von Geistlichen auf der Bühne oder in den vorderen Reihen. Daneben sind es vor allem gezielt zum Einsatz gebrachte musikalische Elemente, die hier für die entsprechenden ‚Gärungsprozesse‘ im Publikum sorgen sollen: So schreibt Buckingham (1979: 218; zit. n. Rey 1985: 62) in Bezug auf die Rolle des Organisten: „Die Musik und die dadurch hervorgerufene Stimmung waren für die Schaffung einer Atmosphäre, in der der Heilige Geist frei wirken konnte, unerläßlich.“ Auf den gezielten Einsatz von „suggestiven Mitteln“ im Zusammenhang von pfingstlich-evangelikalen Evangelisations- und Heilungsveranstaltungen macht auch Hutten (1982: 372) aufmerksam: „Er [der Heilungsprediger, M.P.] erzählt Beispiele von wunderbaren Heilungen. Er läßt Geheilte vor die Versammlung treten, die ein Zeugnis von ihrem Erleben geben. Er weckt die Aktivität der Teilnehmer, indem er sie zu spontanen Bekenntnissen anfeuert. Er ist bemüht, eine faszinierende und zugleich enthemmende Atmosphäre zu schaffen – durch Musik, Chöre und Lieder, durch Halleluja-Rufe, durch Erzielung erster, gewissermaßen ‚ansteckend‘ wirkender Heilungen, durch Dramatisierung des ganzen Ablaufes der Versammlung, die nun zu einem wechselseitigen Geschehen zwischen Evangelist und der Schar der Teilnehmer wird, zu einem Ineinander von Ruf und Echo.“ (Herv. M.P.)

Auch die oben illustrierten Evangelisationsveranstaltungen Reinhard Bonnkes und Billy Grahams lassen auf den absichtsvollen Einsatz spezifischer Mittel zur Förderung einer Atmosphäre der Suggestibilität schließen. So ist die Untersuchung auf lange musikalische Aufwärmphasen gestoßen, in denen die Beteiligten zur emotionalen Ausgelassenheit stimuliert werden. Ganz entscheidend ist hier die ausdrückliche Aufforderung, den eigenen Gemütszustand zum Ausdruck zu bringen und in körperlichen Handlungen zu objektivieren. Es ließen sich in diesem Zusammenhang wiederholte Appelle ausmachen, Lobpreisungen und anderweitig wahrnehmbaren Bekenntnissen freien Lauf zu lassen; so auch beim Höhepunkt der Veranstaltung, der eigentlichen Konversionsentscheidung. Hier werden die Anwesenden aufgefordert, die Hände in die Luft zu heben, schließlich aufzustehen, sofern sie sich zu einer Konversion entschieden haben. Das hat zum einen den Zweck, die „counsellors“ mit den „decision cards“ auf sich aufmerksam zu machen. Zum anderen dürfte aber gerade in den Veranstaltungen dieser Größe das kollektive Emporrecken der Hände oder das Aufstehen einer Masse einen überwältigenden, mitreißenden Charakter entfalten. Ganz Ähnliches lässt sich für den klassischen ‚Altargang‘ behaupten, wie er auch in den Veranstaltungen Grahams seinen Platz hat. Mit Altheide und Johnson (1977: 333) ist oben bereits darauf hingewiesen worden, dass hier das Hervorströmen der

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Bekehrungswilligen durch die Beteiligung der eingestreuten „counsellors“ noch zusätzlich den Eindruck einer gewaltigen Reaktion im Publikum erzeugt und die entsprechenden ‚Sogwirkungen‘ zeitigen kann.94 Darüber hinaus bergen die farbenfrohe, bilderreiche Predigt über Konversions- und Heilungserfahrungen, schließlich die eigenen „testimonies“ der bereits Konvertierten und Geheilten selbst, Identifikationsund Ansteckungspotentiale, über die sich dann die entsprechenden Reaktionen im Publikum fortpflanzen können. Der choreographierte Charakter dieser Veranstaltungen macht deutlich, dass Interaktionsdynamiken hier beinahe ‚sozialtechnologisch‘ für das organisatorische Ziel der Massenbekehrung herangezogen werden. Die Organisationsebene macht sich allerdings nicht allein in den ‚routiniert‘ eingesetzten Interaktionselementen bemerkbar, die auf eine zugrundeliegende Programmstruktur schließen lassen. Sie kommt gleichzeitig in dem massiven organisatorischen Aufwand in der Vorbereitung und im Hintergrund der Veranstaltung zum Tragen; darin wird noch einmal die Kontinuität mit frühen amerikanischen Evangelisten wie etwa Dwight L. Moody deutlich.95 So geht den Evangelisationsveranstaltungen Bonnkes eine lange Planungsphase voraus.96 Bereits Monate im Vorfeld wird mit den lokalen Gemeinden Kontakt aufge94 Das suggestive Potential zeigt sich nicht zuletzt daran, dass im Rahmen einer soziologischen Studie zu den Evangelisationsveranstaltungen Billy Grahams eine an der ethnographischen Beobachtung beteiligte Wissenschaftlerin – eine Jüdin – sich tatsächlich zu einer Konversionsentscheidung in der Veranstaltung hat hinreißen lassen (die sie allerdings nachher widerrufen hat); vgl. hierzu Lang/Lang (1960: 424f.). Kritisch gegenüber massenpsychologischen Deutungen zeigt sich indes Bruce (1982); er weist auf den stark ritualisierten und unenthusiastischen Charakter moderner „crusades“ hin. Diese Beobachtung wird man für die „crusades“ Bonnkes nicht geltend machen können; trotz ihres klaren Skripts zeigt sich dort ein außerordentlich hoher „emotionaler Pegel“ (Zimmerling 2001: 125). Doch selbst daran hängt das massenpsychologische Argument nicht. Schon die Konsultation der oben aufgeführten klassischen Autoren macht deutlich, dass massenpsychologische Wirkungen nicht unbedingt mit emotionaler Aufregung und Entgrenzung gleichzusetzen sind. Auch das stundenlange geduldige Warten in der Menge wird dort als Beispiel eines Masseneffekts genannt, und so kann auch ein pietätvoller Charakter, wie er eher auf nicht-pfingstlichen „crusades“ zutage treten mag, durchaus eine ‚ansteckende‘ Wirkung entfalten. Ob davon tatsächlich eine innere Konversion ausgeht – ein Punkt, an dem sich Bruce stößt – kann dabei außer Acht bleiben. Es kommt hier zunächst allein darauf an, dass kommunikative Objektivierungen von Konversionsentscheidungen – der Gang zum Altar, das Heben der Hände, die Signierung der „decision card“ – stimuliert werden, an die dann wiederum kommunikativ und in weitgehend loser Kopplung an psychische Realitäten angeschlossen werden kann; eine Theorie des „brainwashing“ und eine massenpsychologische Deutung des wahrnehmbaren Geschehens auf „crusades“ sind somit zwei verschiedene Dinge. Dabei scheint es mir selbstverständlich, dass man, wie Bruce (1982: 120) ferner anmahnt, solche Effekte nicht allein der Situation zuschreiben kann, sondern persönliche Faktoren wie etwa die generelle Einstellung zum Christentum beeinflussen, inwieweit man sich von der Stimmung ‚mitreißen‘ lässt. 95 Vgl. dazu Kap. IV. 96 Vgl. hierzu und zum Folgenden http://www.bonnke.net/cfan/en/cfan/functioning-of-cfan und http://www.bonnke.net/cfan/en/cfan/history vom 7.4.2011.

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nommen und gemeinsam mit interessierten lokalen Pastoren ein Planungskomitee eingerichtet. Gleichzeitig findet eine intensive Schulung der „counsellors“ statt, welche dann, wie oben gesehen, gezielt in den Versammlungen zum Einsatz kommen. Ein umfangreiches Team von Elektrikern, Administratoren, Lastwagenfahrern, ITExperten und Video-Technikern ist bereits Wochen vorher mit der technischen Vorbereitung und schließlich Durchführung der Evangelisationsveranstaltungen betraut. Daneben sorgt ein breit angelegter Werbefeldzug mit Plakaten, Transparenten und Medienmitteilungen schon lange im Voraus dafür, dass bei der eigentlichen Veranstaltung tatsächlich mit einem großen Publikum gerechnet werden kann. Detlef Pollack (1998: 448ff.) kann in seiner bereits erwähnten Untersuchung von ProChrist den organisatorischen Aufwand einer Evangelisationsveranstaltung konkret beziffern: So traten in der Evangelisationswoche vom 7.-13.05.1995 insgesamt 28.000 ehrenamtliche Mitarbeiter an den Veranstaltungsorten in Aktion; im Werbefeldzug wurden 100.000 Plakate, 70.000 öffentlich angebrachte Aufkleber, 1.000.000 Einladungen sowie mehrere hunderttausend Prospekte, Flyer o.ä. aufgeboten. Daneben gab es auch hier Ankündigungen und Erklärungen im Fernsehen, im Rundfunk und in der Presse. Die größtenteils spendenfinanzierten Kosten der Veranstaltung betrugen insgesamt acht Millionen D-Mark. Die ‚spontan-enthusiastische‘ Interaktion der Evangelisationsversammlungen hat folglich ein organisatorisch hochgerüstetes Substrat. Es handelt sich bei diesem Verhältnis von Interaktion und Organisation nicht einfach um ‚Interaktion in Organisationen‘, wie man es etwa für Fakultätssitzungen, chirurgische Eingriffe oder Verkaufsverhandlungen konstatieren würde. Vielmehr wird hier nahezu der ganze organisatorische Apparat in seiner arbeitsteiligen Struktur und den detaillierten und erprobten Programmvorgaben in den Dienst einer möglichst enthemmten, hochemotionalen Interaktionssituation gestellt. Es handelt sich hier, so könnte man in Anlehnung an Durkheim sagen, um die ‚Organisation von Efferveszenz‘ – dies allerdings nicht als Selbstzweck, sondern als Strategie hinsichtlich des nach wie vor übergeordneten Organisationszwecks der Bekehrung möglichst vieler. Genau diesen strategischen Einsatz der Interaktion und ihrer spezifischen Potentiale hat auch Hutten (1982: 374) in diesem Zusammenhang beobachtet: „Die Heilungsversammlungen werden als die wirksamsten Missions- und Bekehrungsmittel angesehen, durch die unwissende Heiden ebenso wie kalt gewordene Christen überwältigt werden. Betreibt man die Heilungsevangelisation mit einer großen Zahl von vollmächtigen Evangelisten und mit einer großzügigen, alle Hilfsmittel der Massenwerbung und Massenwirkung benützenden Strategie, dann kann sie ein Weg zur Christianisierung der Welt sein.“ (Herv. i.O.)97

97 Möglicherweise lässt sich in diesem Zusammenhang die efferveszente, massendynamische Interaktion, wie an anderer Stelle die Berücksichtigung kultureller Spezifika, als ein funktionales Äquivalent zu den Persuasionsmöglichkeiten symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien sehen, die Luhmann zufolge im Bereich der Religion fehlen. Dieser Schluss läge auch insofern nahe, als der Theorie zufolge Kommunikationsmedien gerade auf die Interaktionsentlastung von Kommunikation und damit auf die neuartigen Negationspotentiale reagieren.

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Dieses strukturelle Verhältnis von Interaktion und Organisation ist auch vor dem Hintergrund zu bewerten, dass man für Religion und Organisation in mancherlei Hinsicht eine gewisse Inkompatibilität und Widersprüchlichkeit konstatieren kann. Max Weber (1921/1972: 661ff.) hat dies unter anderem als Problem der „Veralltäglichung des Charismas“ thematisiert. Mit Tyrell (2005b: 37f.) darf man dem Religiösen eine besondere Affinität zur „suborganisatorischen Sozialität“, etwa zu „enthusiastisch-charismatischen“ oder „efferveszenten“, mithin „kollektiv-affektiven sozialen Ausnahmebefindlichkeiten“ bescheinigen; oder gar zu individuell-persönlichen Erfahrungen (James) und mystischer Innerlichkeit, was dann ebenfalls eher zum Kleingruppenhaften als Sozialform disponiert (so etwa Troeltsch, Schleiermacher, vgl. Tyrell 2002: 106). Demgegenüber neigt das Organisatorische gerade umgekehrt zur Versachlichung und Verunpersönlichung, eher zum Reglement als zum Spontanen, und ist mit profanen Dingen wie wirtschaftlicher Bestandshaltung und juristischer Verantwortung befasst, die in einer gewissen Spannung zum Bereich des Sakralen stehen.98 Die pfingstlich-evangelikalen Evangelisationsveranstaltungen zeichnen sich vor diesem Hintergrund als ein Fall aus, der diese Spannungsmomente auf beachtliche Weise aufzulösen versteht und dabei die beiden Pole – Organisation und Efferveszenz – gar noch aneinander zu steigern vermag. Dies zeigt sich, wie noch deutlich werden wird, auch an der Inanspruchnahme von Gruppenbindungen und der spezifischen ‚Karrierestruktur‘. Zuvor gilt es in diesem Zusammenhang jedoch auf die operativen Kopplungen zwischen Interaktion, Organisation und Gesellschaft aufmerksam zu machen. 3.1.4 Zur operativen Kopplung von Interaktion, Organisation und gesellschaftlichem Sinnsystem in der Evangelisationsveranstaltung Im Zusammenhang einer allgemeinen Rekonstruktion der Differenzierungstheorien Luhmanns wurde oben ein Vorschlag zur Zusammenführung von Ebenendifferenzierung und funktionaler Differenzierung gemacht, der der Luhmann’schen Theorie auch in ihrer späteren, auf Operativität und Autopoiesis abstellenden Version gerecht zu werden versucht. Dabei wurde betont, dass es sich bei Interaktionen, Organisationen und Funktionssystemen um operativ geschlossene Systeme handelt, die nicht etwa Teilsysteme voneinander bilden, sondern sich über je spezifische Operationen voneinander abgrenzen: d.h. über Kommunikation unter Bedingungen reflexiver Wahrnehmung, über Entscheidungen und über funktionsspezifische Elementarakte. Das mit der Rede von Ebenen implizierte vertikale Verhältnis und folglich auch die makrosoziologische Situierung der Funktionssysteme wurden in diesem Zusammenhang auf Beziehungen der Emergenz zurückgeführt.99 So können Organisationen auf der Basis von in Interaktionen gefällten Entscheidungen einen eigenen rekursiven Zusammenhang einrichten, der sich auf diese Interaktionen nicht reduzieren lässt (allerdings gehen Interaktionssysteme dabei insofern nicht in der Organisation auf, als 98 Vgl. hierzu auch Petzke/Tyrell (2012); zum Verhältnis von Charisma und Organisation siehe auch Gebhardt (1999). 99 Vgl. zum Verhältnis der Ebenendifferenzierung und der Emergenzfrage auch Heintz (2004: 23f.).

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sie stets auch Kommunikationen ohne Entscheidungsbezug beinhalten können, z.B. den Flirt mit der Kollegin). Ähnlich kann ein funktionsspezifischer Elementarakt gleichzeitig die Form einer organisatorisch relevanten Entscheidung annehmen (etwa eine Zahlungsentscheidung) und/oder Element von Interaktionskontexten sein – auch hier gilt jedoch: Der darauf eingerichtete funktionsspezifische Operationsnexus und seine Anschlusslogik lassen sich weder auf Organisationen noch auf Interaktionen reduzieren.100 Diesen Gedanken gilt es nun für den vorliegenden Fall zu spezifizieren. Am Beispiel der Konversionsentscheidung im Rahmen der oben geschilderten Evangelisationsveranstaltung lassen sich die Ebenen Interaktion, Organisation und Gesellschaft in ebendieser operativen Hinsicht ins Verhältnis setzen. So bildet die Konversionsentscheidung in ihrer objektiven Kundgabe durch das Erheben der Hände und schließlich durch das Ausfüllen der „decision card“ ein zentrales Element der Interaktionssituation und hat hier besondere Anschlüsse zur Folge: Die umstehenden Menschen nehmen die kommunikative Äußerung wahr, lassen sich möglichweise dadurch beeinflussen und folgen dem Beispiel, möglicherweise wird sie von dem Evangelisten mit Lobpreisungen kommentiert etc. Als Entscheidung ist diese Konversion aber zugleich organisatorisches Element. Mit der Unterzeichnung der „decision card“ vollzieht der Konvertit faktisch seinen Beitritt zu einer der lokalen Gemeinden. Diese Mitgliedschaftsentscheidung wird dann Prämisse weiteren Entscheidens: Es wird entschieden, wer sich innerhalb der Gemeinde der weiteren Betreuung und Schulung des Konvertiten annimmt, gleichzeitig können dem Konvertiten selbst organisatorische Handlungen und Entscheidungen abverlangt werden, etwa das eigene Evangelisieren, zu dem jedes neue (und alte) Mitglied der Pfingstgemeinden angehalten wird. Drittens schließlich konstituiert die Konversionsentscheidung bzw. die Unterschrift der „decision card“ einen Elementarakt des Sinnsystems, das im ersten Teil dieses Kapitels beschrieben wurde. Als schriftlich dokumentierte Konversion wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit – wenn auch mit Verzögerung – in den Registrations- und Bilanzierungsprozessen der beobachtenden Organisationen Berücksichtigung finden, die einen interreligiösen Vergleichs- und Beobachtungszusammenhang kultivieren und dabei einen Möglichkeitshorizont weiteren bekehrungsorientierten Handelns reproduzieren. Die Ebene der Interaktion, Organisation und Gesellschaft sind folglich für den Augenblick der objektiven Manifestation der Konversionsentscheidung ‚operativ gekoppelt‘, um in der direkten Folge wieder in je eigene, interaktive, organisatorische oder teilsystemspezifische Anschlüsse auseinander zu fallen.101

100 Organisationen können sich natürlich auch über interaktionsfrei ablaufende Kommunikation reproduzieren und Funktionssysteme über interaktions- und organisationsfreie Kommunikation. 101 Für die Konversionsentscheidung lässt sich schließlich noch eine Kopplung mit dem psychischen Bewusstsein unterstellen (vgl. auch Stolz 2000); möglicherweise nicht allein im Sinne einer auch bewusst mitvollzogenen sprachlichen Operation, die die Konversion kundgibt, sondern auch im Sinne einer einschneidenden Erfahrung, die das weitere psychische Erleben nachhaltig beeinflusst und eine Abkehr von ehemaligen Lebensgewohnheiten zur Folge hat.

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Allein mit der im Rahmen von solchen Evangelisationsveranstaltungen oder Gottesdiensten produzierten Konversionsentscheidung des Individuums ist es indessen nicht getan. Von der Warte der Organisation gilt es danach den Konvertiten dauerhaft ‚bei der Stange zu halten‘. Auch hierfür werden Interaktionspotentiale von Seiten der Organisation zum Teil gezielt in Anspruch genommen. Diesem Sachverhalt der Bindungspotentiale von Interaktion ist im folgenden Abschnitt nachzugehen. 3.2 Die Bindungswirkungen der Interaktion Der gezielte Einsatz von Interaktion für Bindungszwecke erfolgt auf zweierlei Wegen. Zum einen über Selbstdarstellungserfordernisse (3.2.1), zum anderen über Bindungen an Kleingruppen (3.2.2). 3.2.1 Bindung durch Selbstbindung in der Interaktion Dem evangelikalen Verständnis von Konversion zufolge verbindet sich mit der Bekehrung ein radikaler Bruch mit dem bislang in Sünde oder Verworfenheit geführten Leben. Damit dieser Schritt und die damit zusammenhängende Eingliederung in die Gemeinde von Dauer sein kann, ist das Abschneiden möglicher Pfade, die zurück zum alten Leben führen, aus organisatorischer Perspektive durchaus erwünscht. Ein zentrales Moment, das den Rückfall in frühere Lebensgewohnheiten bzw. die Abkehr vom gelebten Glauben in der Gemeinde erschwert, liegt in den Selbstdarstellungserfordernissen der Interaktion selbst. Die Konsistenzerwartung in der Selbstdarstellung verleiht der objektiv manifestierten Konversionsentscheidung eine Bindungswirkung insbesondere dann, wenn sie vor Personen erbracht wird, denen man mit großer Wahrscheinlichkeit wieder begegnen wird. Meredith McGuire (1977) hat insbesondere darin eine Funktion des „Zeugnisses“ über die neue Gotteserfahrung vor der versammelten Gemeinde sowie Freunden und Familie gesehen.102 Mit diesen Effekten wird von Seiten der Organisation durchaus kalkuliert; sie sind zumindest von der Gemeindewachstumsbewegung klar erkannt. So konstatieren Read et al. (1969: 316) in ihrer Studie „Latin American Church Growth“ in Bezug auf chilenische Gemeinden: „New converts are encouraged to give immediate expression to their faith by preaching on the street corner. [...] By verbalizing his faith he makes his commitment more secure. By public testimony he identifies himself as an Evangelical. This public identification makes it more difficult for him to recant or return to the world.“ (Herv. M.P.)

Dieselbe Bindungswirkung im Sinne eines Akts des „bridge-burning“ (McGuire 1977: 165) lässt sich auch der allgemeinen Evangelisationsarbeit zuschreiben, die, wie unten noch näher zu erörtern ist, von allen neuen Mitgliedern erwartet wird. So wird auch in diesem Zusammenhang unweigerlich den eigenen Freunden und der 102 Hine (1969) und Harrison (1974b) haben diese Funktion eher dem Zungenreden zugeschrieben. Demgegenüber argumentiert McGuire (1977) zu Recht, dass diese nicht im ähnlich öffentlichen Rahmen stattfindet und zum Teil durch die Gemeinden nicht als erforderlich angesehen wird.

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Familie in missionarischer Absicht von der persönlichen Konversion berichtet und so die Abkehr von der Gemeinde aufgrund der Erfordernisse einer konsistenten Selbstdarstellung erschwert. 3.2.2 Bindung durch Gruppenkohäsion Interaktionsbedingte Bindungen lassen sich allerdings nicht allein auf der Ebene von Selbstdarstellungszwängen ausmachen; insbesondere wenn Interaktionen als Kleingruppen Dauer gewinnen, gehen mit der zunehmenden emotionalen Färbung der ‚face-to-face‘-Beziehung zusätzliche Bindungswirkungen einher. Hartmann Tyrell (1983) hat mit Bezug auf Luhmanns Ebenendifferenzierung und im Anschluss an Friedhelm Neidhardt (1979) den Vorschlag gemacht, die Gruppe als eigenen Systemtypus „zwischen Interaktion und Organisation“ anzusiedeln. Er hat sich dabei nicht zuletzt auf die gerade angesprochene „Diffusität“ und relative Dauer der Mitgliederverhältnisse als ein eigenes Grenzziehungsprinzip berufen, das die Gruppe etwa von der flüchtigen und zufälligen Interaktion ebenso klar abgrenzt wie von den in erster Linie unpersönlich bestimmten und zum Teil interaktionsfrei reproduzierten organisatorischen Zusammenhängen. Aus dieser Diffusität, die die Gruppenmitgliedschaft nicht unter sachspezifische Gesichtspunkte stellt, sondern diese umgekehrt an ‚Höchstpersönlichem‘ festmacht, erwächst die besondere Bindungswirkung: Das Moment der Zusammengehörigkeit und des Wir-Gefühls drängt auf Dauer und Fortsetzung der Beziehung und lässt dann die Abwesenheit Einzelner auffällig und in hohem Maße legitimationsbedürftig werden (vgl. Tyrell 1983: 83). Die Registration von Abwesenheit gilt zwar, wie Kieserling (1999: 35, Anm. 6) zu Recht bemerkt, auch für Organisationen.103 Ihre Bedeutung ist allerdings eine ganz andere, wo der spezifische Sinn und Bestandszweck des sozialen Systems gerade in den beteiligten Personen selbst, folglich in der Sozialdimension und nicht in der Sachdimension liegt; hier tangiert das Ausscheiden Einzelner das System in schlechterdings existenzieller Hinsicht. Die Bindungswirkung ist zugleich eine ungleich höhere, wo nicht nur eine Seite der Persönlichkeit der sozialen Einheit zugewandt ist, sondern die Gruppe die ganze Person umfasst: Hier darf folglich alles Persönliche thematisch werden, und das betrifft, anders als in Organisationen etwa, gerade auch die externen Rollen des Individuums.104 Folglich ist die eigene Identität in die besondere Geschichte und Sonderwelt der Kleingruppe nicht nur in hohem Maße eingeflochten; die Einheit und Identität der Person wird in solchen Primärgruppen überhaupt erst ‚gespiegelt‘ und garantiert. Gerade darin liegt das Motiv für die Aufrechterhaltung

103 Der Einwand Kieserlings nennt in diesem Zusammenhang neben Organisationen auch segmentäre Gesellschaften; dieses Argument scheint mir aber weniger stichhaltig, kommt Letzteren doch gerade aufgrund der noch gering ausgeprägten Ebenendifferenzierung ein Kleingruppencharakter zu. 104 Obgleich Neidhardt (1979; 1980) ebenfalls von einer „hohen Personalisierung“ als „Systemprinzip“ (1980: 114) ausgeht, betont er in diesem Zusammenhang indessen ein inneres Abgrenzungsproblem der Gruppe: Sie könne „nicht alle Erfahrungen, Argumente und Leidenschaften ihrer Mitglieder gleichermaßen zulassen“ (ebd.: 11). Es müssten folglich durchaus Indifferenzen aufgebaut werden.

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der Gruppenbeziehung: „Trennung würde [...] immer auch Selbständerung und Verlust oder Umdeutung der eigenen Geschichte bedeuten.“105 Diese Bindungswirkungen von Kleingruppen werden nun durch die GemeindeOrganisationen innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung zum Teil ganz gezielt in Anspruch genommen. Insbesondere die größeren Gemeinden implementieren in der Regel ein Organisationsmodell, das die Gemeinde in kleinere „Zellgruppen“ unterteilt (vgl. Bergunder 1999: 76 u. passim; Read et al. 1969: 67f.; Wagner 1974: 53ff.). In diesen spielt sich ein Großteil der religiösen Aktivitäten unter ‚face-toface‘-Bedingungen ab. Miller und Yamamori (2007: 191ff.) haben eine detaillierte Beschreibung dieses Zellgruppenprinzips geliefert: So besteht eine Zelle in der Regel aus 7-10 Personen. Ein typisches Treffen in diesen Gruppen findet zumeist bei einem der Teilnehmer zuhause statt und umfasst neben reiner Geselligkeit etwa gemeinsamen Gesang und Gottesdienste, gemeinsame Bibellektüre und Diskussionen sowie persönliche Fürbitten und Lobpreisungen. Es sind folglich diese Zellgruppen, in denen das „discipling“, die Schulung in christlicher Lebensführung, nach oder manchmal auch vor der Konversionsentscheidung vollzogen wird. Wie Miller und Yamamori (ebd.: 193) konstatieren, sind die Gespräche in diesen Gruppen tatsächlich sehr intim und persönlich; sie betreffen zumeist aktuelle familiäre, berufsbezogene, gesundheitliche oder ähnliche Probleme. In der Gruppe gibt es gewöhnlich einen Leiter und einen Stellvertreter, die etwas stärker mit der Organisation der Gruppenaktivitäten betraut sind. Übersteigt die Gruppe eine gewisse Größe, so wird sie in zwei Gruppen geteilt, wobei der Stellvertreter die Leitung der neuen Gruppe übernimmt und je neue Stellvertreter aus dem Kreis der jeweiligen Gruppe rekrutiert werden. Dadurch ist gewährleistet, dass die notwendige Beziehungsdichte und -intimität nicht unterschritten wird.106 Schließlich finden sich oberhalb der Zellgruppenleiter in der Regel Aufseher, die für mehrere Gruppen zuständig sind und regelmäßigen Kontakt zu den jeweiligen Leitern unterhalten (vgl. Miller 1997: 137).107 Je nach Größe der Gemeinde stehen die Gruppenleiter zum Teil auch in einem direkten und regelmäßigen Austausch mit den Pastoren. Das Zellgruppenprinzip geht als Organisationsmodell im Wesentlichen auf den koreanischen Pfingstpastor Yonggi Cho zurück, der zugleich ein wichtiger Vertreter der Gemeindewachstumsbewegung ist (vgl. nur Cho/Hostetler 1981). Die von ihm verfasste Literatur ist in der pfingstlich-evangelikalen Bewegung weit verbreitet; wie Rosalind Hackett (1996: 76) anmerkt, gibt es etwa in Afrika kaum einen Pastor, der nicht auf das Zellstrukturprinzip vertraut. Wie Brouwer et al. (1996: 118) illustrieren, ist auch Chos eigene „megachurch“, die Yoido Full Gospel Church, vollständig in Zellgruppen organisiert; über eine pyramidische Leitungsstruktur, an deren Spitze Cho selbst steht, werden diese Gruppen eng an die Gemeinde gebunden und kontrolliert:

105 So Niklas Luhmann (2008: 60) in Bezug auf Liebesbeziehungen. 106 Wie Cho und Hostetler (1981: 66f.) bemerken, ist diese Teilung für die Gruppe oft ein schmerzhafter Prozess, was für ihre Bindungswirkung spricht. 107 Vgl. auch Kern (1997) für die Diskussion solcher Leitungsstrukturen am Beispiel der Ichthys-Gemeinde in Frankfurt am Main.

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„As of 1990, when the church had six hundred fifty thousand members, there was the following hierarchy: 48009 home cell leaders, 48009 assistant home cell leaders, 6740 section leaders, 402 subdistrict leaders, 24 district leaders, 11 regional chapel leaders, a director of pastoral care department, and Dr. Paul Yonggi Cho himself.“ (Ebd.)

Die feste Verankerung im Gemeindewachstumsdenken zeigt sich dabei nicht zuletzt in der Implementation eines Homogenitätsprinzips: Die Gruppen werden nach Gesichtspunkten größtmöglicher Ähnlichkeit, etwa in ethnischer und sozio-ökonomischer Hinsicht, aufgeteilt. Cho macht sich dabei die Einsicht Donald McGavrans zu eigen, dass Menschen eher zum Christentum übertreten, wenn sie hierfür möglichst wenige soziokulturelle Hürden nehmen müssen (vgl. Brouwer et al. 1996: 118). In den Kleingruppen begünstigt dieses Zugeständnis an menschliche Homophilie gleichzeitig noch das ‚organische‘ Wachstum von Zusammengehörigkeitsgefühlen und „Diffusität“ und sorgt somit für die oben erörterten Bindungswirkungen, die den Konvertiten mit stabilen ‚Bleibemotiven‘ ausstatten.108 Die emotionalen Aspekte und Funktionen der Zellgruppe werden auch von Miller und Yamamori (2007: 195) hervorgehoben: „Properly functioning cell groups become like extended families. Not only is the cell group a place of emotional and sometimes physical support, it is a moral community of significant others that places demands on its members. [...] [C]ell groups meet people’s direct needs for love, care, and concern.“109 Das Spannungsverhältnis von Organisation und Religion wird auch hier wiederum in ein Steigerungsverhältnis aufgelöst: Die Einsicht, die sich bei Franz-Xaver 108 Diese Förderung eines ‚Wir-Gefühls‘ ist bei Cho (1984: 51) deutlich im Blick; so schreibt er bezüglich des „homogenous principle“ (ebd.): „There is one basic principle that must be maintained for cell groups to be successful. That principle is homogeneity. [...] I have discovered that groups based on geographical considerations alone tend to bring people together who have little in common. [...] So much time and energy will be spent trying to develop a feeling of oneness that the main purpose of reaching the lost and caring for the sheep will not be as effective.“ (Herv. M.P.) Der Akzent auf missionarische Effizienz kommt im Zitat ebenfalls zum Vorschein; siehe dazu auch Cho (1984: 54) in Bezug auf das Homogenitätsprinzip: „But in developing our cell system, we try to use this natural principle for the sake of more efficiently reaching the lost for Jesus Christ.“ (Herv. M.P.) 109 Die erörterten identitätsstiftenden Funktionen, die damit einhergehen, lassen sich allerdings nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Bindungswirkungen thematisieren. Kaufmann (1999: 87f.) sieht darin gerade die gegenwärtige Funktion der Religion schlechthin. Wenn es um religiöse Daseinsorientierung und Kontingenzchiffrierung geht, könne diese unter modernen Bedingungen nicht mehr plausibel über „kosmisierende“ Sinnstrukturen gewährleistet werden. Vielversprechender sei es hier für Religion, am individuellen Lebensprozess anzusetzen: „Demzufolge wäre das Problem der Identitätserhaltung heute die strategische Funktion von Religion und nicht mehr die Kosmisierung. Identität kann jedoch nur in kommunikativen Prozessen gewonnen werden, die den Menschen in seiner Ganzheit thematisieren, also in dialogischen Kommunikationen, wie sie insbesondere in familialen Kontexten, aber auch in solchen der Freundschaft, der Therapie u.ä. anfallen können.“ (Kaufmann 1999: 88) Vgl. hierzu auch Nassehi/Weber (1989: 416); vgl. zu diesem Aspekt der religiösen Stabilisierung der Persönlichkeit auch Tenbruck (1960); zur familialen Funktion der Vollinklusion der Person siehe Luhmann (1990/2005b).

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Kaufmann (1979: 33) findet, dass „[r]eligiöse Motivationen [...] vermutlich nur in ‚gemeinschaftlichen‘, nicht in ‚gesellschaftlichen‘ Sozialbeziehungen tradiert werden“, wird hier selbst in den organisatorischen Dienst des numerischen Wachstums gestellt; ‚Gemeinschaftliches‘ wird kalkuliert eingesetzt und mit unpersönlichzweckrationalen und methodisch-reflektierten Mitteln gesteigert, indem in der Gruppenzusammenstellung partikulare Gesichtspunkte wie Kultur, soziale Herkunft, Geschlecht bewusst in Rechnung gestellt werden. Zugleich schließt die Zellgruppenmethode organisatorisch rational an die oben erörterten Evangelisationsveranstaltungen an. Die dort über Interaktionsdynamiken gewonnenen Konvertiten lassen sich im Zuge des „follow-up“ durch die lokalen Gemeinden schon in den Tagen danach in einen Kleingruppenzusammenhang hineinstellen und folglich über bloß situativ bedingte Stimmungen hinaus an das Christentum binden. In diesen Zellen spielen sich auch eigene Missionsaktivitäten ab, die vor allem entlang der Freundschafts- und Verwandtschaftsnetzwerke der verschiedenen Mitglieder verlaufen (vgl. Bergunder 1999: 266).110 Zugleich koppelt sich an das Zellgruppenprinzip in Gemeinden und Denominationen, in denen die Zellgruppen etwas mehr Autonomie genießen, eine besondere Proliferationsdynamik; hier verselbständigen sich wachsende Zellen zu je eigenen Gemeinden. Dieser den Pfingstkirchen eigentümliche Ausbreitungsmodus wird auch als „growth by splitting“ (Wagner 1974: 62) beschrieben. Er ist in der Literatur über die Pfingstbewegung wiederholt dokumentiert worden und geht dort oftmals mit einer Metaphorik der biologischen Zellteilung einher (vgl. Anderson 2004a: 50f.; Brouwer et al. 1996: 58, 115; Cox 1995: 55; Gerlach 1977: 680f.; Lehmann 1996: 123; Stoll 1990: 128; Wilson 1994: 110). Zum Teil haben diese Spaltungen eine schismatische Qualität; etwa, wenn sie auf Rivalitäten ‚charismatischer‘ Persönlichkeiten zurückgehen. Entsprechend sind offene Formen von Konflikt und Konkurrenz unter Pfingstkirchen keine Seltenheit (vgl. für Südindien Bergunder 1999: 275). In der Regel ist diese Form der Ausbreitung aber gewünscht. So dienen die Zellgruppen auch dazu, charismatisch qualifizierte Persönlichkeiten geradezu heranzuzüchten: „[I]t [„the cell group“, M.P.] is a laboratory for developing leadership. Rather than concentrating leadership in the hands of a few people at the top of the pyramid, the cell group structure allows every seventh or eighth person in the congregation to have some direct leadership role [...].“ (Miller/Yamamori 2007: 194) Darin zeigt sich bereits eine Karrierestruktur innerhalb der Organisation, die auf Evangelisations- und Führungskompetenz setzt und folglich auch dem Zweck der Bekehrung möglichst vieler untersteht. Im Folgenden ist diesem Aspekt, der wiederum in organisatorisch rationaler Weise Interaktions- und Organisationsebene koppelt, ausführlicher nachzugehen. 3.3 Die bekehrungsorientierte Karrierestruktur und ihr Verhältnis zur Interaktion In der vorliegenden Untersuchung wurden bislang recht unterschiedliche Organisationen innerhalb der pfingstlich-evangelikalen Bewegung betrachtet: Von den auf Reflexion spezialisierten missiologischen Instituten über pfingstliche Rundfunk- und Fernsehanstalten bis hin zu Missionsgesellschaften und den eigentlichen Denomina110 Cho (1984: 53) berichtet gar von einer Gruppenvorgabe von 2 Konvertiten pro Jahr.

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tionen und Gemeinden. Es ging dabei auch darum, die „organisatorische Hochrüstung“ (Geser 1999: 46) innerhalb der Bewegung und ihre differenzierungstheoretischen Implikationen aufzuzeigen. Gleichwohl ist zu bemerken, dass unter diesen Organisationen nicht alle – insbesondere von Luhmann als zentral erachteten – Organisationsmerkmale gleichermaßen zum Tragen kommen. Die „Trennung von Motiv und Zweck“ bzw. von „Teilnahmemotivation und Leistungsmotivation“, die Luhmann (1964/1999: 89ff.) im Anschluss an Chester I. Barnard (1938) als organisationstypisch herausarbeitet, gilt nicht in allen Fällen. Insbesondere im Rahmen der Missionsgesellschaften erfolgen viele der Arbeitsleistungen eher nicht auf Bezahlung, sondern, so wird man unterstellen dürfen, aufgrund einer persönlich-innigen Unterstützung des religiösen Missionszwecks selbst. Aus Sicht der Klassifikation von Etzioni (1961) hat man es hier also mit einem Fall von Organisationen zu tun, die weder über materielle Anreize noch zwangsbasierte Maßnahmen, sondern über die Internalisierung normativer Erwartungen und Wertvorstellungen motivieren bzw. „Fügsamkeit“ erwirken. Das rückt den Fall in dieser Hinsicht folglich in die Nähe des Vereins oder etwa der politischen Partei.111 Der Organisationsstatus bleibt davon indessen unberührt: Dies zeigt sich nicht nur an der Grenzziehung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern, die durch die Koinzidenz von Beitrittsentscheidung einerseits und Aufnahmeentscheidung andererseits bestimmt wird. Es wird auch in der arbeitsteiligen Stellenstruktur und der damit einhergehenden Differenzierung von Kommunikationswegen, handlungsprogrammatischem Rollenprofil und Person deutlich (vgl. hierzu Luhmann 1975/2005c: 51ff.); für alle drei Komponenten gilt dabei auch hier eine weitreichende und voneinander unabhängige Änderbarkeit auf der Grundlage von Entscheidungen. Diese Form der Organisation kommt auch Gemeinden bzw. Denominationen zu. Hinsichtlich des eingeschränkten Kreises der religiösen Amtsträger innerhalb der Kirche hatte auch Luhmann von Organisation im engeren Sinne gesprochen: Hier existieren Dienstregeln, denen man sich durch „Eintritt in die engere Organisation“ unterwirft und durch Austritt, der nicht dem Kirchenaustritt gleichkommt, wieder entziehen kann (vgl. Luhmann 1972: 259). In Bezug auf den kirchlichen Kreis, der nicht nur die amtstragenden, sondern auch die bloß partizipierenden und rein rechnerischen Mitglieder umfasst, gab sich Luhmann indes reservierter. Für ihn eignet sich hier der Begriff Organisation mitunter deshalb streng genommen nicht, weil für diesen breiteren Mitgliederkreis aus der Mitgliedschaft in der Regel keine spezifizierten Anweisungen und Programmierungen für weiteres Verhalten folgen. Über die Beitrittsentscheidung hinaus lässt sich religiöses Verhalten hier kaum als Entscheiden auffassen, das Teil einer organisatorischen „Entscheidungsverknüpfung“ werden könnte, so Luhmann (1977a: 295). Auch in dieser Hinsicht heben sich die Pfingstgemeinden typischerweise von der ‚europäischen Traditionskirche‘ ab. Wie bereits mehrfach angeklungen, ist auch das allgemeine Gemeindeleben hochgradig von der Konversionsperspektive bestimmt. Sieht man einmal von der Heilungs- und Wohlstandsperspektive ab, so tragen nahezu alle Aktivitäten in der Gemeinde eine Referenz auf Evangelisation und Bekehrung (vgl. auch Kern 1997: 314). Entsprechend gilt die formale Erwartung an jedes Mit111 Vgl. insbesondere zum Verein Stichweh (2000b); in Bezug auf Missionsgesellschaften vgl. Tyrell (2004: 76ff.).

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glied, einen Beitrag zur Evangelisation und Missionierung zu leisten (vgl. ebd.: 210; Read et al. 1969: 317). Entscheidend für diesen Zusammenhang ist, dass sich daran eine Karrierestruktur koppelt, die auf Rekrutierungserfolge in Interaktionen setzt. Nicht theologische Qualifikationen bedingen hier einen Aufstieg in einer bestimmten Stellenhierarchie, sondern: „effective communication of the gospel“ (Read et al. 1969: 320). So beschreibt Lalive D’Epinay (1969: 75) eine typische Karrierefolge eines Pfingstlers in Chile: „[H]e starts soon after his conversion as a preacher in the streets, where he will show the strength of his convictions and the quality of his testimony. […] The hard-working church member will afterwards be put in charge of a Sunday School class and, if he pleases the leaders, he may be entrusted with responsibility for creating and leading a new ‘outpost’. That is where he will be able for the first time to demonstrate his charisma.“

Die hohe Integration von Interaktion und Organisation zeigt sich hier folglich auch daran, dass die Organisation klare Erfolgskriterien für die Interaktion liefert, anhand derer sie diese beobachten und in der Stellenstruktur entsprechend reagieren kann; schließlich sind die Rekrutierungserfolge zählbar: „[S]uccess will be the necessary proof and sufficient proof of his calling, since people are convinced that it is not the man who makes conversions, but the power of god which dwells in him.“ (Ebd.)112 Wie bereits angedeutet, ist auch das oben erwähnte Zellgruppenprinzip in der Regel in diese Karrierestruktur eingeflochten. Die Leiter dieser Gruppe sind typischerweise solche Personen, die sich zuvor in anderen Evangelisationszusammenhängen als besonders qualifiziert hervorgetan haben (vgl. Read et al. 1969: 333f.). Die Möglichkeiten, danach zu einem Aufseher über mehrere Gruppen aufzusteigen oder sich gar mit einer Gruppe als Pastor zu verselbständigen, sind ebenfalls an charismatische Fähigkeiten gekoppelt. So schreibt auch David Martin (1990: 65) in Bezug auf dieses Karriereprinzip: „Anyone could rise to the top if equipped with spiritual gifts, and if those gifts did not find room in one Pentecostal church another church rapidly appeared where room could be found.“ Weitere theologische Qualifikationen sind daran in den allermeisten Fällen nicht gebunden.113 Bei C.P. Wagner (1974: 89ff.) ist in Bezug auf diese ‚Ausbildung‘ in ‚evangelistischer‘ Publikumswirksamkeit entsprechend von „seminaries in the streets“ die Rede. In diesen Zusammenhängen wachsen dann auch Evangelisten heran, die sich, nicht selten mit eigenen Missionsorganisationen, interdenominationalen Evangelisationsveranstaltungen widmen. Dies können etwa besonders begabte Pastoren sein, die dann auch von anderen Denominationen oder Gemeinden eingeladen werden (vgl. Bergunder 1999: 241f.). In der Regel werden die Rollen jedoch klar getrennt: So verstehen sich die meisten Evangelisten als unabhängige Prediger. Gleichwohl bieten viele der größeren pfingstlich-evangeli112 Der kommunikative Erfolg steht nicht zuletzt auch deshalb im Vordergrund, weil Kirchenzehnte und das Spendenaufkommen der Gemeinde in der Regel die einzige Finanzierungsgrundlage des Pastors darstellen (vgl. Bergunder 1999: 252; Lalive D’Epinay 1969: 76). 113 Die Assemblies of God bilden hier insoweit eine Ausnahme, als sie für das Amt des Pastors Bibelschulungen und theologische Qualifikationen voraussetzen; vgl. für Südindien Bergunder (1999: 239).

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kalen Denominationen Trainingsprogramme für Evangelisten an (vgl. McClung 1988: 289). Solche, die es zu einiger Prominenz bringen, werden dabei überregional und zum Teil global für entsprechende Evangelisationsveranstaltungen angefragt. Dabei zirkuliert innerhalb der Bewegung entsprechendes Video- und Audiomaterial, das etwa auch Bonnke von seinen Veranstaltungen produziert, aber auch Broschüren und eigene Literatur dieser Prediger. Die pfingstlich-evangelikale Bewegung bringt hier eine Reihe von ‚Stars‘ hervor, die dann weltweit auf ‚efferveszente‘ Interaktion hin eingeladen werden.114 Rosalind Hackett (1996) berichtet in diesem Zusammenhang von intensiven Vernetzungen zwischen Asien und Afrika. Hier findet ein reger Austausch von Evangelisten statt; selbst Yonggi Cho hat in der Vergangenheit „crusades“ in Südafrika und Kenia veranstaltet. Persönliche Verbindungen laufen dabei den institutionellen Verknüpfungen oftmals voraus (vgl. Hackett 1996: 75). Eine wichtige Rolle in diesem Netzwerk spielt dabei das Haggai-Institut in Singapur, an dem regelmäßig Trainingsseminare für Kirchenleiter aus Asien und Afrika abgehalten werden (ebd.: 71). Organisatorisch kontrollierte Interaktionen dienen jedoch nicht nur der Entwicklung und Entdeckung charismatischer Persönlichkeiten. Auch neue Techniken und Strategien der Evangelisation, die hier zum Zuge kommen und sich als erfolgreich erweisen, werden ohne weiteres in die Programmstrukturen der Organisationen aufgenommen (Miller 1997: 154f.). Mit Luhmann (1972: 282) lässt sich in diesem Zusammenhang von einem „sekundären Lernen“ der Organisation sprechen: „[M]an lernt aus den Lernprozessen der Interaktion.“ Diese zweckrationale Nüchternheit und ‚trial-and-error‘-Mentalität spiegelt sich schon in den Grundannahmen der Gemeindewachstumsbewegung wider. Die dafür notwendige Flexibilität wird durch eine etwaige ‚historische Geltung‘ der Dogmatik kaum eingeschränkt, sind doch Spontanität und innovatives Wirken des ‚Heiligen Geistes‘ selbst Teil dieser Dogmatik: „The Pentecostals do not feel themselves to be a part of the tradition of church history. Ignoring the centuries of church evolution since apostolic times they attempt to return to the simplicity and power of the early Church. Whatever they recognize as the leading of the spirit they are free to follow. Sometimes their methods are highly unconventional. Sometimes they are shocking to other Evangelicals who are more self-conscious about their methodology.“ (Read et al.: 1969: 322)115

114 Vgl. zu globalen Interaktionen auch Heintz (2007b). Global sind Interaktionen ihr zufolge dann, wenn ihr Teilnehmerkreis bewusst global rekrutiert ist, sie sich – offen oder geheim – an einen globalen Adressatenkreis richten und sie schließlich einen thematischen Bezug auf globale Probleme haben. Heintz sieht eine unverzichtbare Funktion von Interaktionen vor allem dort, wo globale Strukturen noch im Werden sind. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften eignen sich Interaktionen hier als „Spielmaterial“ und „Experimentierfeld“ für Strukturaufbau. Auch im vorliegenden Zusammenhang erfüllen Interaktionen eine unverzichtbare Funktion für die globale Mission; sie liegt hier allerdings eher in den Persuasionsmöglichkeiten unter Bedingungen verdichteter und emotional aufgeladener Sozialität. 115 Vgl. hierzu auch Gause (1976: 15); Hollenweger (1972: 345); Miller (1997: 155); Parker (1996); Wacker (2001: 114).

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Auch Bergunder (1999: 171f.) konstatiert in ähnlichem Zusammenhang: „Die formalisierte Begründung von Entscheidungen als nicht hinterfragbarer Wille Gottes ist sehr charakteristisch für große Teile der südindischen Pfingstbewegung. Getroffene Entschlüsse werden oft mit ‚Gott hat mir das gesagt‘ oder ähnlichen Redewendungen begründet.“ Nicht zuletzt der Missionserfolg selbst wird dabei als Wirkung des Geistes gedeutet und fungiert folglich als eine entsprechende Legitimationsgrundlage organisatorischer Entscheidungen. Das Gemeindeleben ist somit weitgehend von der Konversionsperspektive durchsetzt. Es herrscht die (freilich unrealistische) Erwartung, dass jedes Mitglied zu einem Rad im Getriebe der riesigen Evangelisations- und Bekehrungsmaschinerie wird; oder in den Worten Kerns (1997: 383): „Die Gemeinde selbst wird zu einem missionarischen Instrument, mit dem die Ausbreitung des evangelikal-charismatischen Christentums gefördert wird.“ (Herv. i.O.) Oftmals sind dabei den einzelnen Gemeinden von Seiten der Denomination klare, quantifizierbare Missionsvorgaben gemacht. Wagner (1974: 59f.) berichtet in seiner Analyse des pentekostalen Wachstums etwa von einem „church-planting“-Programm der Assemblies of God in Bolivien, die jeder Gemeinde die Gründung einer Tochtergemeinde pro Jahr als Ziel vorgab. Die für effiziente Mission notwendige Flexibilität im Umgang mit den eigenen Denominationsstrukturen, die schon durch die amerikanische Prägung angelegt ist, wird dabei durch den Akzent auf pneumatische Spontanität noch zusätzlich potenziert. So lässt sich die pfingstlich-evangelikale Gemeindeorganisation nicht nur durch die klar spezifizierte Zweckformel des numerischen Wachstums von der unterbestimmten Zweckorientierung absetzen, die Luhmann (1972) in dem frühen Religionsaufsatz dem traditionellen Protestantismus bescheinigt hatte. Sie gewinnt noch ein zusätzliches Profil durch ihre weitgehende Unbekümmertheit in der Änderung ihrer Organisationsstrukturen, die sich von den historisch-dogmatischen Bedenken und Einschränkungen, die Luhmann für die problematische Immobilität der Kirchen verantwortlich gemacht hatte, ganz unbelastet zeigt. Die Pfingstgemeinde ist folglich in weitaus engerem Sinne ‚Organisation‘, als dies für die europäischen bzw. deutschen Traditionskirchen, denen Luhmanns Blick galt, zu konstatieren ist. Dies zeigt sich gerade auch in einer zweckrationalen Verschaltung von Organisation und Interaktion, die entsprechende Rückkopplungsmöglichkeiten von der Interaktion auf die Organisationsstrukturen unter Gesichtspunkten effizienter Bekehrung vorsieht.

4. F AZIT Dieses Kapitel hat die Missionsperspektive der pfingstlich-evangelikalen Bewegung im Schema zweierlei Differenzierung analysiert. Im Zentrum stand dabei die Globalität eines konversionsfokussierten Sinnsystems, das entscheidend auf den Registrations- und Bilanzierungsleistungen von beobachtenden Organisationen ruht. Hier wird dem Anspruch nach jeder religiöse Wechsel unter allen Religionen der Welt als Konversion zugerechnet und entsprechend verbucht. Auf dieser Grundlage reproduziert sich ein Möglichkeitshorizont, der je ausgehend von einer aktuellen Lage religiöser Zugehörigkeiten durchgreifend einschränkt, welche weiteren Bekehrungen bzw. Missionsunterfangen möglich und sinnvoll sind. Dieser Horizont ist im Sinne des

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hier vorgeschlagenen Globalitätsbegriffs insofern global, als er total ist: Jede zugerechnete Konversion auf der Welt überführt als spezifische Elementaroperation das System in eine neue Ausgangssituation, die weiteres mögliches Missionshandeln weltweit vorzeichnet und einschränkt. Auch Erfolgsparameter und globale Konzentrationsmaße, die über missionarische ‚Versorgung‘ Auskunft geben, haben hier eine entsprechende Direktionsfunktion. Dieser Sinnhorizont orientiert auf der Seite des Pfingstevangelikalismus eine Reihe von Organisationen, die sich dieser Missionsperspektive verpflichtet fühlen: so etwa Rundfunk- und Fernsehanstalten, die missionarische Programmformate in entsprechend ‚missionsbedürftige‘ Regionen senden, denominationale wie interdenominationale Missionsgesellschaften, die direkte ‚face-toface‘-Missionsarbeit leisten, aber auch Gemeinden, die nicht minder den Missionszweck ins Zentrum rücken. In diesem Zusammenhang zeigt sich eine enge Integration und Verzahnung von Interaktion, Organisation und gesellschaftlicher Sinnperspektive. Die auf Konversion fokussierte Sinnsphäre liefert den Organisationen einen handhabbaren, quantifizierbaren Zweck an die Hand, für den sie gerade auch die Interaktionsebene in Anspruch nehmen können; dies wurde oben an dreierlei Phänomenen dargestellt: Einerseits an den ‚efferveszenten‘ Evangelisationsveranstaltungen, die gezielt für die Massenbekehrung zum Einsatz kommen und auf einem durchorganisierten Betrieb aufruhen; zweitens an den interaktiven Bindungswirkungen, die für einen Verbleib in den Gemeinden Sorge tragen; schließlich an der organisatorischen Karrierestruktur, die an Interaktionserfolgen orientiert ist. Sowohl hinsichtlich der weltgesellschaftlichen Sinnkonstruktion als auch der Integration von Interaktion-Organisation-Gesellschaft ließ sich dabei eine amerikanische Prägung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung konstatieren. Die denominationalen Beobachtungsschemata und die Konkurrenz- und Bekehrungsperspektive, mit denen die religiöse Weltlandschaft überzogen wird, werden allerdings nur einseitig getragen. Dem hier zugrunde gelegten Globalitätsbegriff wird dies folglich nur insofern gerecht, als es sich im vorliegenden Fall um eine Totalitätsperspektive handelt; nicht gerecht wird es ihm aufgrund der anzunehmenden Divergenz in den Konstruktionen religiöser Welt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die hier beobachteten Religionen ihrerseits komplementär beobachten, d.h. sich gleichermaßen einer quantifizierenden Perspektive verpflichtet fühlen, die von wechselseitig exklusiven Zugehörigkeiten ausgeht und entsprechende Aufmerksamkeiten hinsichtlich Zu- und Abwanderungsdynamiken abverlangt. Man hat es bei diesem Sinnentwurf folglich mit einer Entsprechung zu ‚vor-weltgesellschaftlichen‘ Weltentwürfen zu tun, in denen andere Gesellschaften in der Umwelt einer Gesellschaft zwar ihre Berücksichtigung finden, allerdings ohne dass dies mit deren jeweils eigenen Weltentwürfen zur Deckung käme.116 Allerdings verbinden sich damit besondere

116 Man vergleiche diesen Sinnentwurf und die ihm zugehörigen Konversionszurechnungen mit dem bereits erwähnten Beispiel der Batek bei Stichweh (2000a: 235), einer Sammlerund Jägergesellschaft im Urwaldgebiet der malaiischen Halbinsel: Hier werden faktische soziale Aktivitäten in der Umwelt der Batek, z.B. die Abholzung der Wälder, unter Bezug auf eine spezifische kosmologische Konstruktion zum Anlass von schamanischen Aktivitäten genommen, denen wiederum eine Relevanz weit über die eigene Gesellschaft hinaus zugeschrieben wird. Man hat es auch hier mit Sinnzuschreibungen zu tun, die auf der

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‚Sinnzumutungen‘, die das Potential haben, auch auf der Seite anderer Religionen korrespondierende Realitäten zu erzeugen. Immerhin räumt man Letzteren von pfingstlich-evangelikaler Seite einen Platz als ‚Mitgliedschaftsreligionen' in diesem Sinnkosmos ein und rechnet ihnen bestimmte Aktivitäten als Bekehrungen zu. Darauf gründet dann gerade eine faktische operative Dynamik, die es erlaubt, von einem (obgleich zunächst einseitig getragenen) Sinnsystem zu sprechen. Im Vokabular der objektiven Hermeneutik ließe sich den betreffenden Aktivitäten folglich ein „objektiver Sinnüberschuss“ zusprechen, auf den hin sich dann diese Religionen auch allmählich selbst auslegen mögen. Dieser Annahme folgend gilt es im nächsten und letzten Kapitel dieser Untersuchung, einige Konvergenzen auf der Seite solcher Religionen aufzeigen, die sich diesen Sinnzumutungen ausgesetzt sehen und mit entsprechenden Missionsoffensiven konfrontiert werden. Tatsächlich entfaltet die hier erörterte Sinnperspektive unter gewissen Bedingungen auch bei nicht-christlichen Religionen ein ‚Faszinationspotential‘. Dies lässt sich im Folgenden für einige Strömungen innerhalb des Hinduismus, des Buddhismus und des Islam darlegen; auch auf eine neue Konkurrenzdynamik im Verhältnis zum Katholizismus soll dabei hingewiesen werden. Es erhebt sich hier folglich über das lose, desintegrierte Feld von Religionen und Religiösem eine voraussetzungsvollere, spezifisch religiöse Makrostruktur, ein interreligiöses Sinnsystem, das sich um den Akt der Bekehrung zentriert und einige wenige Religionen als Mitgliedschaftsreligionen auf sich ‚auszurichten‘ vermag. Das schließt andere, gleichsam (inter-)religiöse, aber sachlich unterschiedlich fokussierte interreligiöse Strukturen von globaler Extension nicht aus. Das Interesse dieser Arbeit gilt jedoch allein einer konversions- und missionsbezogenen interreligiösen „Vergesellschaftung“ (im Sinne Simmels).

Seite der Waldarbeiter und anderen ‚Nicht-Batek‘ kaum den Horizont des jeweiligen sozialen Handelns und Erlebens bilden dürften.

X. Interreligiöse Konvergenzen: ‚Konversion‘ als Brennpunkt der Auseinandersetzung

Im Folgenden gilt es sich der Frage zuzuwenden, inwieweit die soeben illustrierte Konversionsperspektive es vermag, auch andere Religionen im Zuge des tatsächlichen Missionskontakts auf sich zu ‚verpflichten‘. Das vorangegangene Kapitel hat die Globalität des Sinnsystems im Sinne seiner Totalität aufgezeigt: Es wurde illustriert, wie alle Religionen kontinuierlich auf ihre Anhängerzahlen hin beobachtet werden und dem Anspruch nach jeder religiöse Wechsel als Konversionsentscheidung verbucht wird. In diesem Kapitel geht es um den zweiten Aspekt des hier veranschlagten Globalitätsbegriffs: die Konvergenz der globalen Sinnhorizonte. Gerade in diesem Zusammenhang soll hier gelegentlich von ‚Verwicklung‘, ‚impliziter Anerkennung‘ und ‚Befangenheit‘ die Rede sein. Es geht um die Frage, inwieweit die stillschweigenden Voraussetzungen dieser Sinnperspektive, ihre spezifischen ‚Ontologien‘ und Kategorien sowie die damit verbundenen Aufmerksamkeitsinvestitionen und Relevanzstrukturen auch die Beobachtungsperspektiven anderer Religionen zu dirigieren vermögen. Damit ist hier vor allen Dingen die Annäherung an ein Religionsverständnis gemeint, das von wechselseitig exklusiven Zugehörigkeiten ausgeht, numerischen Verhältnissen dabei eine besondere Signifikanz zuschreibt und sich entsprechend – unter Konkurrenzvorzeichen – für religiöse Wechsel bzw. ‚Mobilität‘ interessiert. Mit Bourdieu ließe sich hier von der Durchsetzung eines feldspezifischen „nomos“ und einer dazugehörigen „illusio“ sprechen bzw. von einer spezifischen „doxa“ als „Gesamtheit von Voraussetzungen kognitiver und gleichzeitig wertender Art“ (Bourdieu 1997/2001: 127).1 In systemtheoretischer Hinsicht geht es um das Ausmaß, in dem auch auf nicht-christlicher Seite das religiöse Erleben und Handeln durch einen Horizont möglicher Zugehörigkeitsverteilungen orientiert wird, und um die strukturellen Entwicklungen, die für eine solche Orientierung sprechen und daraus folgen. Kurzum: Der Fokus dieses Kapitels liegt darauf, inwieweit sich auch andere Religionen auf den besonderen Sinn dieser Konstruktion religiöser Welt einlassen und sich ihrer Logik unterwerfen. Hier wird das Ergebnis allerdings bescheidener sein. Nicht alle Religionen, die von Seiten der pfingstlich-evangelikalen Bewegung auf ihre Anhängerzahlen hin beobachtet werden, beobachten ihrerseits die religiöse Welt in einer gleichsinnigen Weise. Man kann hier in den meisten Fällen sicher keine komplementäre Perspektive

1

Vgl. speziell zu diesen Begriffen auch oben, Kap. II.1.3.

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auf religiöse Konversionsverteilungen unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz behaupten. Vielmehr ist von unterschiedlichen Konstruktionen interreligiöser Verhältnisse unter je spezifischen Relevanzgesichtspunkten auszugehen. So ist nicht zuletzt das Religionsverständnis, das auf wechselseitig exklusive Zugehörigkeiten abstellt und in der christlichen Missionsperspektive vorausgesetzt ist, eine hochgradig partikulare kulturelle Vorstellung. Die religiöse „Monogamie“ samt der damit einhergehenden „Tauflogik“, die den Gläubigen als „Mitglied“ an die Religion bindet, ist eine genuin christliche Praxis, die sich nicht ohne weiteres auf andere Religionen übertragen lässt (Tyrell 2010: 207ff.).2 So sind für Asien Verhältnisse religiöser „Promiskuität“ (ebd.), in denen religiöse „Dienstleistungen“ von ganz verschiedenen Religionen und Kulten in Anspruch genommen werden, durchaus üblich. Max Weber (1921/1972: 276) etwa weiß über die Chinesen zu berichten, dass „ein großer Teil von ihnen, in der Schule mit der allein offiziell approbierten konfuzianischen Ethik auferzogen, zwar für jeden Hausbau taoistische Divinationspriester zu Rate zieht und für tote Verwandte nach konfuzianischen Riten trauert, aber daneben buddhistische Seelenmessen lesen läßt“.3 Organisationszugehörigkeiten im Sinne eines „taking of the customer into the organization“ (Parsons 1960b: 25) sind hier somit untypisch. Wie Hans Geser (1999: 41ff.) religionsvergleichend herausstellt, weist das Christentum als „Gemeindereligiosität“ (Weber 1921/1972: 277ff.) eine ungleich höhere Disponiertheit zur Organisationsebene auf. Der Islam etwa neigt demgegenüber eher einem Modus „makrosozialer Integration“ zu, was sich durch seinen Entstehungskontext in einer Region unzusammenhängender Stammesgesellschaften ohne übergreifende politische Struktur begründen lässt.4 Im Buddhismus dagegen dominieren eher „mikroskopische Lehrer-Schüler-Verhältnisse“ (Geser 1999: 42).5 Für die christliche Disposition zur Organisationsförmigkeit zeichnet nicht zuletzt der strikte Wahrheitsexklusivismus samt der asymmetrischen Unterscheidung zwischen „religio vera“/„religio falsa“ verantwortlich.6 Wo es um richtigen und falschen Glauben geht, kommt der religiösen Organisation die Funktion zu, in einem Umfeld alternativer Deutungen entsprechende Verbindlichkeiten zu erzeugen (vgl. auch 2 3

4 5

6

Vgl. zum Folgenden auch Petzke/Tyrell (2012). Bereits im historischen Exkurs wurde auf die europäische Sorge angesichts der ‚Anhängerzahl‘ des Buddhismus hingewiesen, die auf dem irrtümlich zugrunde gelegten okzidentalen Religionsverständnis beruht; auch die hier erneut zitierte Stelle bei Weber richtet sich gegen dieses Missverständnis. Geser (1999: 42) bezieht sich hier u.a. auf Bellah (1970/1991: 150f.). Die charakteristische Mittelstellung des Christentums auf der Mesoebene ergibt sich Geser (1999: 42ff.) zufolge zum einen aus dem zumindest originären Fehlen des Anspruchs auf ein makroskopisches Reglement der Gesamtgesellschaft; die weltliche Autonomie des Staates wird im antiken römischen Reich nicht in Frage gestellt, dem Kaiser gegeben, was des Kaisers ist. Zum anderen öffnet das Christentum mit seiner Brüderlichkeitsethik ein breites Mittelfeld zwischen einem lokalen Mikrokosmos einerseits und der universellen Menschheit andererseits, das Raum und Bedarf für eine Vermittlung durch die Organisation schafft. Interpretationsleistungen, die den Lokalismus und Universalismus der Liebesethik zueinander in Bezug setzen sowie mit den weltlichen Sphären vermitteln helfen, sind hier durch kollektiv bindende Entscheidungen auf den Weg zu bringen. Vgl. hierzu erneut Tenbruck (1977; 1993).

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Luhmann 2000a: 238). Anders liegt der Fall bei den asiatischen Religionen. Die diesbezüglichen Bemerkungen Tenbrucks (1993: 57f.), die bereits im historischen Exkurs zur Sprache kamen, lassen sich hier noch einmal direkt auf die Frage der religiösen Zugehörigkeit beziehen. So geht es bei den asiatischen Religionen eher um individuelle Selbsterlösung, die auf „mystischer Gnosis“ und nicht auf der ebenso universellen wie exklusiven Wahrheit einer Offenbarung beruht. Entsprechend fehlt es dort an der Entwicklung verbindlicher Dogmatiken und den damit einhergehenden organisatorischen Bindungen und Ausschließlichkeitsansprüchen. Man hat es folglich ursprünglich mit einer weitreichenden Divergenz der Perspektiven unter den Religionen zu tun. Den Ausgangspunkt und Hintergrund der nachstehenden Erörterungen bildet also eine hohe Unwahrscheinlichkeit interreligiöser Konvergenzen hinsichtlich der in dieser Arbeit analysierten Sinnperspektive. Gerade in Anbetracht dessen sind auch bescheidene Hinweise auf entsprechende Annäherungen und ein komplementäres Zusammentreffen der jeweiligen Beobachtungen religiöser ‚Welt‘ bemerkenswert. Die Untersuchung schließt in diesem Zusammenhang an die aufschlussreichen Beobachtungen an, die Christopher Bayly (2004: 325ff.) für die christliche Mission des 19. Jahrhunderts und die daraus hervorgehenden Wechselwirkungen mit anderen Religionen angestellt hat. Dabei gilt es im Weiteren diese Beobachtungen in den vorliegenden differenzierungstheoretischen Rahmen hineinzustellen, sie entsprechend zu erweitern und am Fall der pfingstlichevangelikalen Bewegung bis in die Gegenwart zu verlängern. Der Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert ist dabei nicht zuletzt deshalb angebracht, weil die missionsbezogenen Erfahrungen aus dieser Zeit zum Teil heute noch einen Einfluss darauf haben, wie andere Religionen die gegenwärtige christliche Mission deuten. Der Blick soll dabei speziell dem Hinduismus, dem Islam, dem Buddhismus sowie dem Katholizismus gelten; hier ist die Spur von Entwicklungen aufzunehmen, die für eine ‚Verwicklung‘ und Investition in die hier erörterte Sinnperspektive sprechen. Dabei muss der in mehrerer Hinsicht selektive Charakter der folgenden Untersuchungen betont werden. Die Analyse hat ein sehr limitiertes Interesse: Es soll hier allein um die Konvergenzen gehen, die sich zumindest in Teilen auf eine Konfrontation religiöser Traditionen mit christlichen bzw. pfingstlich-evangelikalen Weltentwürfen zurückführen lassen. Bereits darin liegen zwei zentrale Einschränkungen. Die eine rührt unmittelbar aus dem konstruktivistischen Ansatz der Erörterung: Die Aufmerksamkeit gilt hier den realen Folgen einer (weitgehend kontrafaktisch angelegten) Sinnkonstruktion. Das aber bedeutet, dass die anderen religiösen Traditionen hier allein als Reagierende in den Blick kommen. Damit wird die Gesamtkomplexität interreligiöser ‚Co-Evolution‘ freilich ‚perspektivisch‘ angegangen bzw. dem Untersuchungsinteresse gemäß auf selektive Weise zugeschnitten. Mögliche Annäherungen von christlicher bzw. pfingstlich-evangelikaler Seite, Wechselwirkungen zwischen den Beteiligten sowie ‚proaktive‘ Einflüsse von nicht-christlicher Seite werden damit ausdrücklich nicht bestritten. Diesen lässt sich allerdings im Rahmen dieser Untersuchung kaum gerecht werden. Sie würden dem Argument einer ‚Vergesellschaftung‘ und wechselseitigen Beobachtung der Religionen auch nicht zuwiderlaufen, sondern ihm eher noch zusätzliche Plausibilität verleihen. Die zweite Einschränkung gründet in dem hier angesetzten Globalitätsbegriff. Diesem geht es gerade um die Konvergenz der Sinnhorizonte, d.h. um das Zusammenfallen der Beobachtungsperspektiven und den ihnen zugrundeliegenden ‚ontolo-

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gischen‘ bzw. kategorialen Grundannahmen. Damit wird im Weiteren die Divergenz weitreichend beiseitegelassen, die sich gleichermaßen auf den Kontakt mit der christlichen Mission und deren Sinnzumutungen zurückführen ließe. Zu denken ist hier etwa an die ‚bewusst‘ vollzogene, gar nach beförderte Abweichung von den von ‚westlicher‘ Seite herangetragenen Religionsverständnissen; Abweichungen also, die den religiösen ‚Anderen‘ nun gerade in Rechnung stellen. Gleichwohl vollziehen sich die Annäherungen, denen hier im Folgenden nachgegangen werden soll, im Zusammenhang mit interreligiösen ‚Konfliktperspektiven‘. Dies entspricht unmittelbar der spezifischen Eigengesetzlichkeit jener Sinnkonstruktion, hinsichtlich derer es hier auf entsprechende ‚Bindungen‘, ‚Investitionen‘ und ‚implizite Anerkennungen‘ ankommt. Wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde, ist es eine Konkurrenzlogik, die gegenwärtig von pfingstlich-evangelikaler Seite an die ‚anderen Religionen‘ herangetragen wird. Von Konvergenz kann im vorliegenden Zusammenhang folglich nur dann die Rede sein, wenn von anderer Seite den Beobachtungen und Handlungen eine komplementäre Konkurrenzperspektive zugrunde gelegt wird – die Konvergenz in den Sinnorientierungen liegt also nicht zuletzt in der Konkurrenz. Auch in diesem Zusammenhang kommt es der Untersuchung aber in erster Linie auf die Vereinheitlichungen an, die die Grundlage und Voraussetzung dieses ‚Streitgeschehens‘ bilden:7 so etwa die Ausrichtung auf den gemeinsamen Bezugspunkt religiöser Zugehörigkeitsverteilungen, die gemeinsamen kategorialen Wirklichkeitsauffassungen, die damit impliziert sind, und die Angleichungen in den religiösen Strukturen, die aus solchen Orientierungen hervorgehen. Etwaige Distinktionsmanöver und die Kultivierung von Divergenz, mit denen man das eigene religiöse ‚Angebot‘ gegen den christlichen ‚Konkurrenten‘ zu profilieren sucht, wären zwar nicht minder Ausdruck eines Konkurrenzverhältnisses. Sie sollen im vorliegenden Zusammenhang aber allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Untersuchung muss sich hier auf die grundlegenderen Annäherungen und Übereinkünfte beschränken, auf deren Basis sich eine entsprechende Profilbildung und Distinktion unter Konkurrenzvorzeichen überhaupt erst erheben kann. Es sind zugleich, gerade in Anbetracht der divergenten Ausgangslage und der bereits angesprochenen Unwahrscheinlichkeit solcher Annäherungen, die weitaus bemerkenswerteren Wirkungen des interreligiösen Kontakts. Sie dürfen folglich in der Darstellung den Vorrang haben. Dabei wird in diesem Zusammenhang keineswegs behauptet, dass diese Konvergenzen allein dem interreligiösen ‚Konflikt‘ selbst entstammen müssen; wie noch deutlich wird und zum Teil im historischen Exkurs schon deutlich wurde, haben staatliche Zensuserhebungen und europäischer Orientalismus einen erheblichen Anteil an der Durchsetzung der Kategorien und 7

Wissenssoziologische bzw. konstruktivistische und konfliktsoziologische Perspektiven laufen hier folglich zusammen. Die Konvergenz in den Sinnentwürfen und die gemeinsame Anerkennung bestimmter Wirklichkeitsdefinitionen als reale Folge einer zunächst ‚kontrafaktischen‘ Konstruktion bilden zugleich das ‚soziologisch positive‘ Moment eines Konfliktzusammenhangs. Diese „Wechselbeziehung zwischen der Dualistik und der Einheit des soziologischen Verhältnisses“ hat Simmel (1908/1992: 307) besonders prägnant am Beispiel des „Kampfspiels“ und des „Rechtstreits“ vorgeführt. Dieser Gedanke einer Vergesellschaftung über die implizit geteilten Grundvoraussetzungen des Streits liegt auch der Differenzierungstheorie Bourdieus und seinen Konzepten der feldspezifischen „illusio“, des „nomos“, der „doxa“ etc. zugrunde.

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Deutungsmuster, die wesentliche kognitive Prämissen für eine ‚Verstrickung‘ in diesen Konkurrenzzusammenhang darstellen. Neben diesen zwei zentralen Einschränkungen – auf ‚Reaktion‘ und ‚Konvergenz‘ – ist für das Weitere noch in anderen Hinsichten Selektivität anzumelden. So beansprucht die Untersuchung nicht zu zeigen, dass diese Transformationen jeweils die gesamte religiöse Tradition (des Islam, des Hinduismus, des Buddhismus und des Katholizismus) erfassen. Entsprechend verwahrt sich die Erörterung davor, von monolithischen Blöcken auszugehen, wo doch alle diese Traditionen in sich selbst heterogene Strömungen und zum Teil erhebliche Spaltungen aufweisen. Selektiv ist auch die Wahl der geographischen Räume und interreligiösen Schauplätze, die hier einer näheren Betrachtung unterzogen werden. So zeigen sich etwa im Buddhismus und Hinduismus die interessierenden Phänomene insbesondere dort, wo sie sich mit nationalistischen Ideologien verbinden, so etwa in Sri Lanka bzw. Indien. Schon in Thailand und Südkorea zeigt sich beispielsweise für den Buddhismus ein ganz anderes Bild. Gleichzeitig konzentriert sich die Darstellung je regional nur auf eine Religion ohne dabei zu übersehen, dass in den verschiedenen Kontexten stets noch viele weitere vertreten sind. Und schließlich sind hier, das sollte noch einmal eigens betont werden, auch nicht die vielfältigen nicht-religiösen Wirkungen der christlichen Mission von Interesse.8 Allein um die Durchsetzung einer Relevanzperspektive, für die ‚Konversion‘ einen Unterschied macht, soll es hier gehen. Dabei müssen der Untersuchung dieses Kapitels, mit Simmel (1890/1989: 116) gesprochen, bisweilen „die Produkte anderer Wissenschaften ihr Material bilden“. Dies sind im vorliegenden Zusammenhang insbesondere geschichts- und religionswissenschaftliche Studien. Es gilt hier „neue Synthesen aus dem [zu schaffen], was für jene schon Synthese ist“ (ebd.). Damit ‚wildert‘ diese Arbeit aber notgedrungen auf fremdem Gebiet. Sie kommt hier nicht umhin, in mancherlei Hinsicht ‚dilettierend‘ vorzugehen. Gemeint ist, dass die vorliegende Untersuchung der Gründlichkeit und dem ‚idiographischen‘ Charakter der vielen einzelnen Studien sowie der Komplexität ihrer Gegenstände kaum gerecht werden kann, wenn sie an diese eine abstraktere, ‚fachfremde‘ Begrifflichkeit mit einem nicht minder ‚fachfremden‘ Untersuchungsinteresse anlegen will. Schließlich wird hier gerade der Frage nachgegangen, inwieweit sich die verschiedenen Phänomene ausgehend von einer bestimmten theoretischen Perspektive auf eine Linie bringen lassen – und dies ganz bewusst entgegen der unbedingt anzuerkennenden Individualität und Heterogenität dessen, was dabei in den Blick genommen wird. Letztere Aspekte sind hier vorausgesetzt und beiseite gelassen, wenn unter spezifischen Gesichtspunkten das Material nach ähnlichen Entwicklungen befragt wird. Dabei werden hier freilich nicht nur wissenschaftliche Studien neu verarbeitet; der Blick gilt zum Teil auch weiterhin solchen Materialien, die von Seiten religiöser ‚Akteure‘ selbst produziert werden. Insbesondere dreierlei Aspekten gilt es sich in diesem Zusammenhang zuzuwenden. Zum einen ist nach Organisationsbildungen Ausschau zu halten, deren ausdrückliches Ziel die Eindämmung bzw. Umkehr von Bekehrungserfolgen des Chris8

Zu breiteren Wirkungen der christlichen Mission vgl. etwa die „Bilanz“ bei Osterhammel (2009: 1265ff.). Auch die Rolle der Mission im breiteren Kolonialprojekt einer „Zivilisierung“ der Eingeborenen muss hier außen vor bleiben; vgl. dazu etwa die Beiträge in Fischer-Tiné/Mann (2004).

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tentums darstellt. Solche Organisationsgründungen interessieren hier also nur insofern, als sie für eine Orientierung an dem spezifischen ‚Sinn‘ der hier analysierten Sphäre sprechen. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang das Aufkommen oder Aufleben eigener Bekehrungsaktivitäten insbesondere innerhalb der nicht-christlichen Religionen in den Blick zu nehmen. Und schließlich soll die Aufmerksamkeit der stabilen Herausbildung und Ausdifferenzierung einer Beobachtung der christlichen Mission und eines entsprechenden Interesses an religiösen Zugehörigkeitsverteilungen von Seiten nicht-christlicher Religionen gelten. Für die innerchristliche Konkurrenz zum Katholizismus ist die Argumentation freilich etwas anders zu nuancieren: Gleichwohl gilt es auch hier auf Wirkungen der pfingstlich-evangelikalen Mission in Lateinamerika hinzuweisen und Reaktionen aufzuzeigen, die für Beobachtungen unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz sprechen. Unter dem Stichwort der Konvergenz ist in all diesen Fällen das ‚Faszinationspotential‘ einer Sinnperspektive aufzuzeigen, wie sie heute gerade von der pfingstlich-evangelikalen Bewegung getragen wird. Es soll gezeigt werden, dass es sich hier nicht bloß um eine folgenlose Kuriosität und randständige Aberration handelt, sondern dass sich im Zuge der daraus hervorgehenden Aktivitäten auch eine Reihe anderer religiöser Traditionen weitgehend auf diese konversionsorientierte Sinnstruktur ‚einnorden‘ lassen und daran zum Teil auch strukturelle Reformen im Bereich der Organisation und religiösen Praxis knüpfen. Diese Entwicklung lässt sich auch auf die Logik der Ebenendifferenzierung abbilden: So schlägt sich bei den hier verhandelten religiösen Strömungen die Orientierung an einer bekehrungsspezifischen Sinnperspektive in Nachrüstungen auf der Organisationsebene nieder; über die Aufdauerstellung von entsprechenden Beobachtungsleistungen wird auch auf der eigenen Seite eine gesellschaftliche Sinnstruktur von religiösen Zugehörigkeitsverteilungen und konkurrierenden Religionen kultiviert; schließlich wird im Zuge der Entwicklung bzw. Revitalisierung eigener Bekehrungsaktivitäten auch – wenn auch nicht ausschließlich – die Interaktionsebene unter Missionsgesichtspunkten in Beschlag genommen. Das Ergebnis mag hier zwar dahingehend hinter dem Globalitätsbegriff dieser Arbeit zurückbleiben, dass nicht für alle Religionen der Welt von einer solchen Konvergenz in den Sinnorientierungen auszugehen ist. Gleichwohl sprechen die Hinweise auf Konvergenzen in ausgewählten religiösen Strömungen für die Interreligiösität dieser Sinnsphäre. Den Anfang dieser Untersuchung macht im Folgenden die Diskussion des Hinduismus in Indien (1); daran schließt eine Betrachtung des Buddhismus in Sri Lanka an (2); der Blick gilt dann dem Islam in Indonesien und Teilen Afrikas (3); schließlich folgt eine Erörterung des Katholizismus in Lateinamerika (4).

1. H INDUISMUS (I NDIEN ) Im Folgenden gilt es viererlei Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent nachzuzeichnen, innerhalb derer der christlichen Mission eine entscheidende Rolle zukommt. Dabei ist die Betrachtung jeweils im 19. Jahrhundert anzusetzen und, mit der Ausnahme des ersten Abschnitts, bis in die Gegenwart zu verlängern, in der insbesondere von der pfingstlich-evangelikalen Bewegung die weiteren Impulse ausgehen. Die Untersuchung widmet sich hier zunächst der Rolle der christlichen Mission in

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der Konstruktion des ‚Hinduismus‘ als ein die verschiedenen religiösen Traditionen umgreifendes ‚Gebilde‘ (1.1). Tatsächlich bildete die Mission einen wichtigen Katalysator für die Genese eines hinduistischen ‚Selbstverständnisses‘ als eine Religionsgemeinschaft neben anderen Religionen. In einem zweiten Abschnitt sind einige hinduistische Organisationsgründungen zu den missionarischen Aktivitäten der Christen in Beziehung zu setzen; jene reichen von religiösen Kernorganisationen bis hin zu religiös motivierten Organisationen im Bereich der Erziehung und sozialen Hilfe (1.2). Das vordringliche Motiv lag dabei in der Eindämmung und Verhinderung von Konversionen, die einerseits an christlichen Schulen erfolgten und andererseits insbesondere sozial Schwächere und unberührbare Kasten betrafen. Ferner gilt es die bemerkenswerte Einrichtung einer eigenen Form der Bekehrung im Zuge einer Umdeutung des Purifikationsrituals „shuddhi“ zu beleuchten (1.3). Dies war ebenfalls ein vornehmlich defensives Manöver angesichts des missionsbedingten ‚Ausblutens‘ der Hindus; Letztere sahen sich inzwischen drei missionierenden Religionen gegenüber: den Christen, den Sikhs und den Muslimen. Schließlich wird die Herausbildung von Strukturen zu thematisieren sein, die nicht nur auf die Beobachtung christlicher Missionsaktivitäten in Indien, sondern weltweit ausgerichtet sind (1.4). 1.1 Zur Konstruktion des Hinduismus Die religiösen Traditionen auf dem indischen Subkontinent, die ab dem 19. Jahrhundert dem ‚Hinduismus‘ subsumiert werden, sind ebenso vielfältig wie divers (vgl. Oddie 2003: 155). Darauf machen Autoren, die den essentialisierenden und reifizierenden Zug der Hinduismus-Kategorie anmahnen, unermüdlich aufmerksam.9 Dabei werden gerade auch die Spannungen zwischen diesen Traditionen ins Feld geführt, denen einige Autoren eher den Charakter eines interreligiösen Konflikts als den von internen Spaltungen zusprechen: so etwa in Bezug auf die Auseinandersetzungen zwischen dem Vishnu verehrenden Vaishnavismus und dem Shiva verehrenden Shaivismus.10 Der Begriff ‚Hindu‘ (im Unterschied zum jüngeren Wort ‚Hinduismus‘) lässt sich in diesem Zusammenhang bis in die Antike zurückverfolgen;11 so etwa auf das im altpersischen Reich gebräuchliche „Zend“ bzw. „Zendhu“, das vom Sanskrit-Namen für den Indusfluss (skt.: „Sindhu“) abgeleitet ist. Es stellte zunächst eine Fremdbezeichnung für das indische Territorium und die indische Bevölkerung im Allgemeinen dar. Mit der Einwanderung von Muslimen wurde das Wort im Persischen bzw. Urdu schließlich auch zur Unterscheidung von Nicht-Muslimen und Muslimen auf ‚indischem‘ Gebiet verwendet. Der ‚religiös-synthetisierende‘ Zug war hier folglich schon im ‚Residualcharakter‘ des Begriffs angelegt. In dieser Funktion trat die Bezeichnung „Hindu“ im europäischen Raum schließlich an die Stelle des dort gebräuchlichen Wortes „Gentoo“. Dieses leitete sich von „gentio“ bzw. „gentile“ (port. bzw. engl. für „Heide“) ab und bezog sich seit dem Mittelalter auf Eingeborene des 9

Vgl. nur Fitzgerald (1990); Frykenberg (1997; 2004: 110). Für einen aktuellen Literaturüberblick zu dieser nach wie vor kontrovers diskutierten Frage siehe Keppens/Bloch (2010). 10 Vgl. Oddie (2003: 159f.) und die dort zitierte Literatur. 11 Vgl. hierzu und zum Folgenden Frykenberg (1997: 83ff.); Stietencron (1997).

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indischen Subkontinents, die sich keiner der bekannten Religionen zuordnen ließen. Während frühe persische Gelehrte durchaus in der Lage waren, verschiedene Religionen unter den ‚Hindus‘ zu unterscheiden, verflossen die Unterschiede hier nun nahezu vollständig innerhalb der ‚Heiden‘-Kategorie; mitunter ging man für ‚Heiden‘ im Allgemeinen gar von einer gemeinsamen, wenn auch ‚aberranten‘ Religion aus. Solche Zuordnungen und Synthesen deckten sich freilich nicht mit dem Selbstverständnis der indischen Eingeborenen. Gleichwohl finden sich schon vor der kolonialen Periode vereinzelt Quellen, in denen der Terminus ‚Hindu‘ als Selbstbeschreibungsformel fungiert; im Kontext des Mogulreiches und des Vordringens des Islam dient die Bezeichnung zum Teil auch der eigenen Abgrenzung vom religiösen ‚Anderen‘. Der Begriff des ‚Hinduismus‘ ist dagegen weitaus jüngeren Datums; er ist in der Hauptsache ein Fabrikat des europäischen Orientalismus (vgl. King 1999). Europäische Gelehrte verfassten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Bücher über Indien (vgl. hierzu Marshall 1970). Anfangs entstammten die Autoren noch überwiegend dem kontinentalen Europa; ihre Werke trugen dabei Material aus vielfältigen Kontexten zusammen – etwa der jesuitischen Mission oder individuellen Reiseunternehmungen. Mit der britischen Kolonialbesetzung nahmen sich allerdings zunehmend britische Autoren der Sache an, die zumeist eine Weile im Dienste der East India Company standen. Für ihre Arbeiten, die zum Teil ins Deutsche und Französische übersetzt wurden, konnten sie in weiten Teilen Europas ein breites Publikum gewinnen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang John Zephaniah Holwell (1711-1798), Alexander Dow (ca. 1735-1779) und Nathaniel Brassey Halhed (17511830), die sich ‚klassischen‘ indischen Quellen über persische Übersetzungen näherten, sowie William Jones (1746-1794), der zu den ersten Europäern zählt, die mit Hilfe von Brahmanen lernten, Sanskrit zu lesen (vgl. Masuzawa 2005: 149ff.).12 Das Wort „Hindooism“ selbst ist dabei wohl erstmals in einem Brief des (späteren) Leiters der East India Company Charles Grant nachgewiesen, den dieser 1787 von Kalkutta nach England versandte (vgl. Oddie 2010: 45). Der Terminus ‚Hinduismus‘ zeigt dabei insbesondere durch das Suffix ‚-ismus‘ an, dass man sich unter dem, was damit bezeichnet wurde, ein kohärentes religiöses Gedankengebäude vorstellte. Als solches diente es sich nun ganz neuartigen Vergleichen mit anderen Religionen an, als dies für die diffuse Rubrik des ‚Heidentums‘ der Fall war. Der ‚Hinduismus‘ kam nun einer Religion gleich, die als solche prinzipiell über zentrale Merkmale, wie etwa grundlegende Glaubenssätze und ethische Praktiken, zu definieren und so ihrerseits von anderen Religionen abzugrenzen sein müsste (vgl. ebd.: 45f.). Ausgehend von dieser Vorstellung nahmen die orientalistischen Gelehrten überwiegend den Brahmanismus für das ‚Ganze‘ (vgl. King 1999: 169; Oddie 2010: 46): Hier fanden sich Priesterrollen und heilige Texte, wie sie dem westlichen Verständnis von Religion zugehörig waren. Nicht zuletzt der ‚protestantische‘ Akzent auf ‚Schrift‘ hatte zur Folge, dass man sich den ‚Hinduismus‘ über angeblich ‚kanonische‘ Sanskrit-Texte erschloss (vgl. King 1999: 167). Die ab 1879 erscheinende Kompilation „The Sacred Books of the East“, in der F. Max Müller den Hinduismus (neben anderen) in die Riege der „Buchreligionen“ aufnimmt, gibt hiervon Zeugnis 12 Zu inhaltlichen Aspekten der Arbeiten dieser und weiterer Autoren vgl. Marshall (1970: 20ff.).

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(vgl. dazu Masuzawa 2005: 259ff.). Die Privilegierung des Brahmanismus in der Synthetisierung und Homogenisierung des ‚Hinduismus‘ wurde dabei von Seiten der brahmanischen Eingeboren durchaus begrüßt (vgl. Oddie 2010: 48). Tatsächlich hat man sich von religionswissenschaftlicher Seite weitgehend von der Vorstellung verabschiedet, der zufolge die indischen Einwohner lediglich eine passive Rolle in der Fabrikation des ‚Hinduismus‘ einnahmen. Eher wird von einer Kollaboration indischer, vor allem brahmanischer Intellektueller und westlicher Orientalisten ausgegangen (vgl. hierzu Keppens/Bloch 2010: 5f., 7ff.). Das ‚pars pro toto‘ westlicher Gelehrter traf sich dabei zum Teil mit eigenen Verfallsnarrativen, vor deren Hintergrund die vielfältigen lokalen Praktiken und oralen Traditionen gedeutet wurden (vgl. King 1999: 170). So muss man annehmen, dass das Konzept des ‚Hinduismus‘ schon im Zuge seiner Entwicklung und Konsolidierung im doppelten Kontext von Fremdund Selbstbeschreibung stand. Die britische Kolonialverwaltung leistete der Verfestigung dieser Konstruktion noch weiteren Vorschub. Die einheitliche religiöse Rubrik ‚Hinduismus‘ empfahl sich den Verwaltungsbeamten als einfaches Instrument in der Klassifikation der religiösen Landschaft Indiens (vgl. Oddie 2010: 47). In Kapitel XII wurde bereits auf die zentrale Rolle eingegangen, die die Kolonialstatistik und die daran anschließenden politischen Maßnahmen in der Genese eines ‚hinduistischen‘ Selbstbewusstseins gespielt haben; dies kann im Weiteren entsprechend beiseitegelassen werden. Erwähnt sei aber, dass neben dem Verwaltungsapparat auch das Erziehungswesen in BritischIndien einen Beitrag in dieser Sache leistete. Die Arbeiten westlicher Orientalisten gehörten hier zum Lehrstoff, mit dem der Unterricht über indische Kultur bestritten wurde (vgl. King 1999: 160, 166). Als Inder näherte man sich so der eigenen Kultur auf der Grundlage westlicher Konzepte und Kategorien. Die Vorstellung vom ‚Hinduismus‘ als der indischen ‚Religion‘ brach sich so auch von dieser Seite ihren Weg. Die christliche Mission des 19. Jahrhunderts bildete schließlich einen weiteren und möglicherweise den gewichtigsten Faktor in der Durchsetzung eines ‚hinduistischen‘ Selbstverständnisses in Teilen der indischen Bevölkerung. Die orientalistische Konzeption des ‚Hinduismus‘ als kohärentes religiöses Gefüge sickerte auch in die Polemik der christlichen Missionare ein. Im missionarischen Kontext lässt sich das Wort erstmals um 1801 in einem Tagebuch von William Ward nachweisen, einem Mitarbeiter der Mission William Careys nahe Kalkutta (vgl. Oddie 2003: 156f.). Gerade der homogenisierende Charakter des Begriffs lag ganz auf der Linie des missionarischen Unternehmens. Insoweit es in erster Linie um Delegitimation und die Anmeldung christlicher Überlegenheitsansprüche ging, lag eine differenzierte Haltung gegenüber den lokalen Traditionen fern. In Straßenpredigten stellten die christlichen Missionare die vorfindlichen religiösen Traditionen über einen Vergleich mit dem Christentum in ein möglichst ungünstiges Licht. Die Rede von den ‚Hindus‘ und dem ‚Hinduismus‘ lag dabei nicht allein schon wegen der leicht handhabbaren Unterkomplexität und ihrer rhetorischen Würze nahe. Der Vergleich selbst schuf die Plausibilität für diese Konzeption: Indem er eine Vergleichbarkeit wie selbstverständlich voraussetzte, verstärkte er die Suggestion vom Hinduismus als einer dem Christentum parallelisierbaren, obgleich von christlicher Seite als unterlegen erachteten religiösen Entität (vgl. Oddie 2003: 164ff.). So sorgte gerade die ‚agonale‘ Konfrontation dafür, dass sich die ‚synthetische‘ Vorstellung vom Hinduismus noch weiter innerhalb der indigenen Bevölkerung kon-

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solidierte. Die Profilierung gegen den religiösen ‚Anderen‘ und die allgegenwärtige christliche Polemik samt ihren Interpretamenten verliehen der Idee auch auf Seite der Eingeborenen weitere Plausibilität. Dabei war es nicht zuletzt der beleidigende Ton in der missionarischen Rhetorik, der entsprechende Gemeinschaftsgefühle heraufbeschwor (vgl. Oddie 2003: 166). Gerade die gemeinsame defensive Haltung gegenüber den westlichen Eindringlingen, die lokale Götter, Brauchtümer und heilige Stätten in ihrer Rede unterschiedslos attackierten, ließ selbst die Einheimischen die tatsächlich vorhandenen Differenzen leicht übersehen. Man ziehe zu diesem Streitgeschehen nur Georg Simmel (1908/1992: 360) heran, der die zusammenschließende Bedeutung des Kampfes nicht zuletzt darin erkennt, „daß durch ihn nicht nur eine bestehende Einheit sich in sich energischer konzentriert, und alle Elemente, die die Schärfe ihrer Grenzen gegen den Feind verwischen könnten, radikal ausscheidet – sondern daß er Personen und Gruppen, die sonst nichts miteinander zu tun hatten, überhaupt zu einem Zusammenschluß bringt“.

Diese vereinende, ja überhaupt erst konstruktive Wirkung des Antagonismus lässt sich ohne weiteres auf den vorliegenden Kontext der Formierung einer Kategorie des Hinduismus und eines damit verbundenen hinduistischen Bewusstseins und Gemeinsinns übertragen. Gerade der Bekehrungserfolg von Seiten christlicher Missionare führte hier zu einer (mit Durkheim gesprochen) „colère publique“, die das „Kollektivbewusstsein“, welches dabei so heftig reagierte, im eigentlichen Sinne erst konstituierte: „Certainly it was this issue [d.h. „conversion“, M.P.] that did a great deal to arouse concern, to create a sense of crisis, and to underline the need for Hindus of different sects, cults, and traditions to forget their differences and join together in defense of what was seen increasingly as an overarching dharma, a common religious and social heritage. [...] [A] single instance of conversion was capable of creating widespread panic among parents, relatives, and other members of the Hindu community.“ (Oddie 2003: 168)13

Bereits an dieser Stelle wird das Ausmaß deutlich, in dem Konversion schon als isolierter sozialer Akt eine interreligiöse Relevanz und Brisanz erhält und das religiöse Geschehen interpunktiert bzw. strukturiert. Die in Kurs kommende Münze des Hinduismus führte nicht zuletzt zu eigenen polemischen Gegeninitiativen auf Seiten des ‚Hinduismus‘ selbst (vgl. hierzu Conlon 1992; Jones 1992). Dabei wurden zum Teil logische Inkonsistenzen und ‚Kuriositäten‘ in der Bibel in ähnlicher Weise herangezogen und karikiert, wie dies christlicherseits mit den in Indien angetroffenen Kosmologien und Bräuchen erfolgte; zum Teil wurde auch Christus und gar der Person Gottes selbst der göttliche Status abgesprochen sowie der Offenbarungscharakter der Bibel bestritten und eine menschliche Urheberschaft behauptet. Beachtlich ist dabei der extensive Gebrauch, den die Hindus von der Druckerpresse machten, hier ebenfalls dem Beispiel der christlichen Missionare folgend (vgl. Conlon 1992: 13). Es zirkulierten zahlreiche Traktate und 13 Oddie zitiert in diesem Zusammenhang Mehrota (1971), Mohar Ali (1965) und Suntharalingam (1974: 35f.).

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Pamphlete anti-christlicher Stoßrichtung, die wiederum unter den Christen entsprechende Reaktionen in Zeitungen und anderen Druckerzeugnissen provozierten (vgl. Hudson 1992: 44). Zugleich unternahmen die Hindus nun selbst Versuche einer systematischapologetischen Darstellung des Hinduismus. Dabei kamen dann nicht zuletzt doch wieder Differenzen innerhalb der indischen Traditionen auf. So wurde darunter vieles abgestoßen und vom ‚wahren Hinduismus‘ ferngehalten, insbesondere solche Bräuche und Vorstellungen, die bei den Missionaren auf deutliche Geringschätzung gestoßen waren (vgl. Oddie 2003: 178ff.). Ein Beispiel hierfür ist ein Reformversuch durch Raja Ram Mohun Roy, der sich von volksreligiösen Elementen abwandte und auf eine rationalistische Interpretation des ‚Hinduismus‘ setzte (vgl. auch Jones 1976: 15ff.). In der Tat wird Roy die erstmalige Verwendung des Wortes „Hindooism“ als Selbstbezeichnung zugeschrieben (vgl. Oddie 2010: 45). Dem 19. Jahrhundert entspringen einige solcher Reformbewegungen, für die zum Teil die Bezeichnung „NeoHinduismus“ geläufig ist (vgl. King 1999: 160f.). Hier brachte man – oft in Übernahme orientalistischer Konzeptionen – den Hinduismus und indische ‚Spiritualität‘ gegen die westliche Kultur in Stellung. In diesem Zusammenhang spielt auch der Bengali Vivekananda eine Rolle, der durch Roy stark beeinflusst war (vgl. Brekke 2002: 13ff., 41ff.; Klimkeit 1981: 273). Er gründete Ende des 19. Jahrhunderts die Ramakrishna-Mission, die sich einer Verbreitung des Hinduismus auch im Westen annahm. Vivekananda war auch Sprecher am World Parliament of Religions in Chicago und zugleich einige Zeit befreundet mit dem Buddhisten Anagarika Dharmapala, der unten noch näher zur Sprache kommen wird.14 Sein Anliegen galt unter anderem einem „religiösen Nationalismus auf vedantischer Grundlage“ (Klimkeit 1981: 273). Hier haben die ethnisch-religiös gefärbten Nationalismen ihre Wurzeln, wie sie gegenwärtig etwa im Rahmen der noch zu erörternden Ideologie der „Hindutva“ vertreten werden. Im Folgenden gilt es sich aber zunächst den organisatorischen Wirkungen zuzuwenden, die die Begegnungen mit den christlichen Missionaren in Indien nach sich zogen. Hier wie im Weiteren ist dabei insbesondere auf den Arya Samaj als eine weitere Reformbewegung einzugehen, die nun gerade hinsichtlich des Untersuchungsinteresses an interreligiösen, konversionsfokussierten Dynamiken von besonderer Relevanz ist. 1.2 Organisationsbildungen Der indische Subkontinent war lange vor der christlichen Mission des 19. Jahrhunderts Schauplatz von Bekehrungsaktivitäten. Schon seit einigen hundert Jahren hatte sich der Islam hier ausgebreitet (vgl. hierzu Rizvi 1991), und auch der Sikhismus, ebenfalls eine bekehrende Religion, konnte sich seit seiner Entstehung insbesondere im nordindischen Punjab dominant etablieren. Auch war der Kontinent schon lange zuvor mit dem Christentum in Berührung gekommen (vgl. Frykenberg 2008). Dieses hatte mittlerweile als spezifisches „dharma“ in die indische Kosmologie Einzug erhalten (vgl. hierzu Haußig 1999: 94). Nichtsdestotrotz verband sich mit den christlichen Missionsanstrengungen des 19. Jahrhunderts eine neuartige Herausforderung 14 Vgl. zum World Parliament of Religions erneut Lüddeckens (2002) sowie Seager (1995).

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für die hinduistische Bevölkerung (vgl. Gold 1991: 533, 539; Jones 1981; 1992: 52; Jordens 1991: 217): Dies lag zum einen an der organisierten Form der Mission mit ihren Ausläufern ins Erziehungs- und Gesundheitswesen sowie in die Waisen- und Armenfürsorge; es lag an den neuen Techniken, die dabei zum Zuge kamen, etwa den Straßenpredigten, den öffentlichen Debatten und der Distribution von Druckerzeugnissen; es lag aber auch an einer neuartigen Transparenz der Mission, deren dramatische und für die Hindus alarmierende Wirkung durch den Zensus ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regelmäßig in Zahlen offengelegt wurde. Aus dieser neuen Situation ergaben sich folgenreiche Impulse für hinduistische Organisationsbildungen, die vornehmlich dem Zweck dienen sollten, den konversionsbedingten Verlusten Einhalt zu gebieten. Sie deuten auf eine ‚Verwicklung‘ und ‚Befangenheit‘ im spezifischen Sinn einer bekehrungsorientierten interreligiösen Konkurrenz hin. So kam es auf der Seite des Hinduismus zu Organisationsgründungen, die in Gestalt und Vorgehensweise die Missionsgesellschaften der Christen imitierten. Diese waren zumeist dort zu beobachten, wo Bekehrungserfolge besonders dramatisch waren und einen entsprechenden Druck auf die hinduistische Gemeinschaft ausübten; so etwa in Kalkutta, wo eine besonders große Zahl an Angehörigen der oberen Kasten zum Christentum übertrat (vgl. Oddie 2003: 174). 1851 erfolgte hier die Gründung der Society for the Deliverance of Hindu Apostates, die sich vornehmlich der Wiedereingliederung abtrünniger oder randständiger und damit bekehrungsgefährdeter Hindus verschrieb (vgl. ebd.). Eine genuine Missionsgesellschaft entstand erstmals in Südindien mit der Society for Diffusing the Philosophy of the Four Vedas, die zum Teil christliche Gottesdienste imitierte, wobei statt der Bibel hinduistische Quellen verlesen wurden; gleichzeitig organisierte sie Petitionen gegen das Missionsvorgehen der Christen (vgl. ebd.: 175). Selbstverständlich basierte auch das publizistische Vorgehen, das oben bereits erwähnt wurde, auf entsprechenden Organisationsstrukturen, wie sie etwa die Hindu Tract Society (ab 1887) bereitstellte (vgl. hierzu Oddie 1982). Der Punjab in Nordindien bildete in diesem Zusammenhang eine zentrale Arena für den Prozess der Organisationsbildung im Hinduismus. Die American Presbyterian Mission war 1834 eine der ersten Missionsgesellschaften in diesem Gebiet, gefolgt von der Church Missionary Society im Jahre 1854 und der Church of Scotland 1855; binnen kürzester Zeit wurden Schulen, Waisenhäuser, „zenana“-Missionen (von Frauen für Frauen) gegründet und missionarische Publikationen in Umlauf gebracht (vgl. Jones 1976: 9; Jordens 1991: 217). Hier kam es Anfang der 1860er Jahre zur Gründung des Brahmo Samaj, einer Reformorganisation, die sich der Verbreitung der Ideen des bereits erwähnten Raja Ram Mohun Roy annahm. Dabei handelte es sich allerdings um eine Organisation, die dem Christentum weitgehend tolerant, wenn nicht gar bewundernd gegenüber stand und es nicht nur in Form, sondern auch in inhaltlich-doktrinären Aspekten kopierte. Im vom Proselytismus ‚geschundenen‘ Punjab war ihr, anders als in Bengalen, folglich vergleichsweise geringer Erfolg beschieden (vgl. Jones 1976: 17f.). Von weitaus größerer Bedeutung war die Gründung des Arya Samaj 1877 – zu einer Zeit als sich die Folgen der christlichen Mission (sowie der Islamisierung) und die Marginalisierung der Hindus im Punjab immer drastischer offenbarten, nicht zuletzt durch die mittlerweile in Gang gekommenen Zensuserhebungen. Durch Swami Dayanand Saraswati ins Leben gerufen, offerierte die Organisation zwar auch eine monotheistisch reformierte Variante des Hinduis-

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mus, die den populärreligiösen Elementen ihr Recht absprach. Anstatt allerdings, wie der Brahmo Samaj, dem Christentum bloß eine ‚äquivalente‘ Organisation eher an die Seite als entgegen zu stellen, stand hier ein eigener Überlegenheitsanspruch und eine aggressive Selbstbehauptung gegen die christliche Herausforderung im Vordergrund (vgl. Jones 1976: 30). Bis zum Tode Dayanands konnte sich die Bewegung erfolgreich über den größten Teil Nordindiens ausbreiten. Noch in den Jahren vor seinem Tod wuchs die Abteilung in Lahore zu einem Zentrum heran, das die weitere Entwicklung des Samaj bestimmen sollte; neben innovativen Formen des Gottesdienstes wurden hier auch auf dem Gebiet der Massenmedien und Mission weitere Vorstöße gemacht, die den übrigen Zweigen im Land als Beispiel dienen sollten (vgl. ebd.: 46ff.). Eigene Zeitschriften sollten die ideologische Auseinandersetzung mit den christlichen Missionaren, aber auch mit der hinduistischen Orthodoxie unterstützen. Des Weiteren wurde 1882 mit der Arya Updeshak Mandali (Arya Missionary Circle) eine eigene Abteilung für die Gewinnung von Anhängern gegründet, „with the special object of dealing a death blow to Christianity with weapons of reason and fair argument“.15 Ausschlaggebend für die Gründung war hier die sich anbahnende Entscheidung eines Studenten, zum Christentum zu konvertieren (vgl. ebd.: 47). Die organisatorischen Innovationen sollten sich jedoch nicht auf solche Instrumente des bloßen Predigens und Argumentierens beschränken. Den Aryas waren schließlich nicht zuletzt die englischen Erziehungsanstalten ein besonderer Dorn im Auge. Eine westliche Bildung galt für den gesellschaftlichen Erfolg im britischen Regime als unverzichtbar. Damit waren die Institutionen aber zugleich ein zentrales Vehikel für eine christlich-kulturelle Einflussnahme auf die Schüler und Studenten (vgl. Jones 1976: 48). Gerade die gut gebildeten Schichten waren damit durchgehend in Gefahr, dem christlichen Glauben anheim zu fallen. Die christlichen Missionare waren schließlich im Bereich der Erziehung mit eigenen Schulen von der Primarstufe bis hin zur Universitätsausbildung breit aufgestellt; diese galten ihnen ausdrücklich als Instrument der Bekehrung.16 Die christlichen Universitäten zählten dabei in der Bevölkerung zu den besten Bildungseinrichtungen des Landes und zogen oft mehr Studenten unter den hinduistischen Eliten an als aus den christlichen Gemeinden (vgl. Frykenberg 2008: 337). Die Nachfrage nach einer höheren, ganz in Englisch gehaltenen Ausbildung blieb aufgrund der damit verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten auch angesichts gelegentlicher Konversionen zum Christentum bestehen; gleichwohl waren solche stets von großer Aufregung begleitet und ließen Forderungen nach missionsunabhängigen Schulen laut werden (vgl. Frykenberg 2008: 326). So nimmt es nicht Wunder, dass bereits unmittelbar nach dem Tod Dayanands unter den 15 „The Regenerator of Arya Varta“ vom 20. August 1883 (Bd. 1, Nr. 7), S. 3; zit. nach Jones (1976: 47). 16 Vgl. Frykenberg (2008: 324ff.) zu den schottischen Missionaren Alexander Duff, John Wilson und John Anderson, die prominente Befürworter einer höheren Ausbildung in Englisch waren; der Zweck der Bekehrung von Angehörigen höherer Schichten war ihnen dabei zentral; zu Duff vgl. auch Emmott (1965). Die Frage, ob an indischen Schulen eine englische oder eine ‚orientalistische‘ Ausbildung in der Vernakularsprache erfolgen sollte, war in Britisch-Indien lange Zeit eine kontroverse Angelegenheit, in der Missionare, britische Regierungsbeamte und auch die indische Bevölkerung gespalten waren; siehe hierzu Frykenberg (2008: 301ff.) und wiederum Emmott (1965).

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Aryas das Vorhaben aufkam, eine eigene Schule zu gründen, die eine englische Bildung mit vedischer Erziehung verband und damit Gelegenheit zum Aufstieg ohne Risiken der Bekehrung offerierte (vgl. Jones 1976: 68). 1886 erfolgte eine erste solche Gründung, und im Laufe der 1890er Jahre konnten sich weitere Erziehungsanstalten des Samaj auf allen Ausbildungsstufen im gesamten Punjab ausbreiten. Nachdem sich in den jährlichen Examinationen die hohe Qualität der Ausbildung herausstellte, wurden diese spendenfinanzierten Einrichtungen 1888 auch von der Regierung offiziell anerkannt (vgl. Jones 1976: 78). Wie sehr dieses Unterfangen von der Sorge um Konversionen bestimmt war, zeigen die Umstände der Gründung einer Mädchenschule in Jullundur im Jahre 1890. Ihrer Einrichtung war eine Kampagne vorausgegangen, die Lala Munshi Ram des Jullundur Arya Samaj im Jahre 1888 in Reaktion auf einen Konversionsfall an einer christlichen Mädchenschule ins Leben gerufen hatte. Die Erinnerung Munshi Rams ist bei Kenneth Jones (ebd.: 104) wiedergegeben: „On my return home from court, Vedakumari came running with this newly learnt message, ‚Christ is the prophet. No price is required to mention his name. Christ is my anchor. He is my Krishna, etc., etc.‘ I was startled to hear this and, on enquiry, I learnt that they were taught even to detest our holy Sastras. I realized then that an Aryan Girls’ School was an absolute necessity.“17

Organisatorische Vorstöße des Samaj auf dem Gebiet der Waisen- und Armenfürsorge scheinen ganz analog motiviert: Es galt Bekehrungen abzuwenden. Während der Hungerperioden tat sich der Arya Samaj durch die Einrichtung und Erweiterung von Waisenhäusern sowie durch gezielte Hilfsaktionen hervor. Im Kontext der Hungersnot von 1896 wurden vier Waisenhäuser im Punjab gegründet und bis 1897 beinahe 1000 Waisen aufgenommen; 1899 strömten Mitglieder des Samaj bis nach Bombay, Kathiawar und die Central Provinces aus, um über 1700 Waisen in den Punjab umzusiedeln (vgl. Jordens 1991: 220). Das Motiv der Abwendung christlicher Bekehrungen tritt dabei in der Begleitrhetorik deutlich zutage. So lässt das FerozeporeWaisenhaus in der Ausgabe der „Tribune“ am 5. Dezember 1896 verlauten: „The Committee are prepared to take charge of any orphan child, male or female, sent to them from any part of the country. Many a Hindu waif should thus be saved from being brought up in a Christian asylum.“ (S. 4; zit. n. Jones 1976: 236) Die Notwendigkeit einer Genehmigung von Seiten der Regierung, die mit dieser zunächst auf sich warten ließ, führte zu einigen Spannungen zwischen christlichen Missionaren, der britischen Verwaltung und dem Arya Samaj. 1901 kam es zu einem Rechtsstreit zwischen einem christlichen Missionar und dem Präsident des Simla Arya Samaj in einer Vormundschaftsfrage, die allerdings zugunsten des Samaj entschieden wurde. Noch im selben Jahr ließ sich die Famine Commission auf Druck des Samaj davon überzeugen, dass pflegebedürftige Kinder nicht an Personen oder Institutionen einer anderen Glaubensrichtung übergeben werden, solange nicht alles daran gesetzt wurde, sie an Personen oder Institutionen ihrer eigenen Religion zu vermitteln (vgl. Jones 1976: 74). Die organisatorischen Maßnahmen im Bereich der Bildung und Sozialhilfe folgen damit deutlich religiösen Motiven, die an Bekehrungsereignissen orientiert 17 Jones zitiert hier Munshi Ram nach Jambunathan (1961: 100f.).

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sind. Dies spricht für die Entstehung einer Aufmerksamkeits- und Handlungssphäre, die sich auf Konversion als sinnstrukturierenden Akt ausrichtet. Der Arya Samaj bleibt bis heute eine sichtbare Organisation im Hinduismus, die sich gerade auch als globaler Akteur der hinduistischen Integration annimmt; so versorgt der Samaj außerhalb Indiens die hinduistische Diaspora mit Schulen, Publikationen und Jugendorganisationen (vgl. Gold 1991: 559). Innerhalb Indiens kommen indessen der RSS (Rashtriya Svayamsevak Sangh) samt ihren Schwesterorganisationen gegenwärtig die bedeutenderen Rollen in der interreligiösen Konfrontation mit dem Christentum, aber auch mit dem Islam zu.18 Die RSS, gegründet im Jahre 1925, tritt für die nationalistische Ideologie der „Hindutva“ ein (etwa: „Hinduheit“).19 Sie vertritt das Ideal einer politischen Einheit des indischen Subkontinents sowie seiner rassisch-ethnischen Einheit unter dem Dach einer rein hinduistisch-religiösen Kultur. Damit sind nicht allein Personengruppen ausgeschlossen, deren Vorfahren nicht aus Indien stammen, sondern auch Inder, deren Religionen nicht als Teil des Hinduismus angesehen werden, d.h. indische Christen und indische Muslime. Mit anderen Worten: Die Ideologie hat – trotz des apolitischen Selbstverständnisses – sowohl eine politische als auch eine religiöse Referenz, und gerade in letzterer Hinsicht ist sie für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung; denn in diesen Sinnbezügen wird die RSS als eine religiöse Organisation empfänglich für eine Sphäre, die durch die Relevanz von Konversionen strukturiert ist. Zwei politische Parteien, die Bharatiya Jana Sangh sowie die Bharatiya Janata Party (BJP), sind mit der RSS affiliiert. Deren Plattform steht im Einklang mit der RSS-Ideologie, obgleich man im politischen Raum die Rhetorik der „Hindutva“ angesichts der säkularen Verfassung Indiens nicht in gleicher Schärfe bedienen kann. Die Vishva Hindu Parishad (VHP, Weltrat der Hindus), eine Tochterorganisation der RSS, ist für den religiösen Zusammenhang indes von größerer Bedeutung; ihr Anliegen ist vor allem die Förderung religiöshinduistischer Einheit über die Kultivation entsprechender religiöser Symbole und Orte, etwa der Geburtsstätte der hinduistischen Gottheit Ram. Sie bildet damit den rein religiösen Arm der sogenannten Sangh Parivar, einer Dachorganisation von durch die RSS gestützten und mit ihr assoziierten hindu-nationalistischen Organisationen. Die VHP wurde 1964 von RSS-Führern mit dem hauptsächlichen Zweck gegründet, den ‚proselytischen‘ Religionen, d.h. dem Christentum und dem Islam, effizienten Widerstand zu leisten (vgl. Jaffrelot 1996: 193; siehe auch van der Veer 1994). Die VHP hat dabei eine stark transnationale Ausrichtung mit Ablegern in zahlreichen Ländern außerhalb Indiens (vgl. van der Veer 1994: 656f.). Sie ist heute einer der zentralen Träger der Rekonversionsbewegung, die ursprünglich durch den Arya Samaj ins Leben gerufen wurde. Dieser bemerkenswerten Entstehung eines hinduistischen Äquivalents zur Konversion wendet sich der folgende Abschnitt zu. Dabei setzt die Untersuchung auch hier wieder im 19. Jahrhundert an.

18 Vgl. zum Folgenden Andersen/Damle (1987); Gold (1991); Jaffrelot (1996). 19 Die Ideologie der „Hindutva“ geht zurück auf Vinayak Damodar Savarka, einem indischen Nationalisten, der in dieser Sache einschlägige Bücher während eines Gefängnisaufenthalts verfasste; vgl. hierzu Embree (1994: 620).

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1.3 Die Einrichtung von (Re-)Konversion: „shuddhi“ Die polemischen und organisatorischen Maßnahmen, wie sie im 19. Jahrhundert in besonders anspruchsvoller Form durch den Arya Samaj unternommen wurden, blieben den konkurrierenden Religionen, allen voran dem Christentum, in einer entscheidenden Hinsicht unterlegen. Anders als das Christentum, der Islam und selbst der Sikhismus war der Arya Samaj keine ‚bekehrende‘ Religionsgruppe. Nicht zuletzt die dramatischen Verluste auf Seiten der Hindus, die der Zensus offenbarte, machte den Aryas diese Unterlegenheit deutlich. In einem alarmierenden Artikel im Jahre 1883 machte ein Publikationsorgan des Arya Samaj, „The Regenerator of Arya Varta“, auf den drastischen Anstieg der Christen im Punjab von 19.092 auf 417.372 Anhänger binnen den vorangegangenen vier Dekaden aufmerksam (vgl. Jones 1981: 86). Im Laufe der 1880er Jahre wurde unter den Aryas folglich zunehmend über den Bedarf an einer bekehrungsanalogen Praxis diskutiert. Am 14. September 1886 notierte etwa die „Arya Patrika“, eine weitere Zeitschrift des Samaj: „The absence of proselytism in Hindu society is certainly a very important drawback in the way of its reform. No increase can now take place in the number of the Hindus and even persons gone out of their society can not enter it without undergoing a set of ceremonies to submit to which would reflect volumes of discredit upon an educated person.“ (S. 2f.; zit. n. Jones 1976: 130; Herv. M.P.)

Die Relevanz der bloßen ‚Zahl‘ ist in dem Zitat deutlich angezeigt. Unter diesem Eindruck wandte man sich dem Purifikationsritual „shuddhi“ zu, von dem bereits durch Dayanand selbst, dem Begründer des Arya Samaj, zur Wiedereingliederung eines Konvertiten Gebrauch gemacht wurde; was zunächst nicht Schule zu machen schien, wirkte nun im Lichte der verheerenden Missionserfolge der Christen zunehmend attraktiv. Traditionell stellte das „shuddhi“ ein Ritual der Reinigung dar, das nach der Übertretung von Kastengrenzen oder anderen Tabubrüchen eingesetzt wurde; in der Regel wurde es durch ein Bad im Ganges-Fluss, eine Pilgerreise, eine Speisung der Brahmanen oder eine Reinigung durch Kuh-Exkremente vollzogen (vgl. Jones 1976: 129). Beim Arya Samaj kam es nun als Ritual der „Rekonversion“ zum Einsatz. Dabei beschränkte man sich zunächst größtenteils auf Hindus, die zum Christentum und Islam konvertiert waren. Trotz dieser Einschränkung war die Zahl der für eine solche Rekonversion in Frage kommenden Individuen beträchtlich; denn die Auslegung, wer als originärer Hindu zu betrachten sei, wurde sehr liberal gehandhabt. Tatsächlich erstreckte sich das Potential auf nahezu die gesamte muslimische und christliche Gemeinde, da den Aryas selbst die Nachfahren von Konvertiten noch als hinduistisch galten und lediglich solche nicht dazu gezählt wurden, die von Einwandern anderen Glaubens abstammten; Letztere aber machten beispielsweise unter den Muslimen einer Einschätzung der Aryas zufolge nicht mehr als 5-10 Prozent aus (vgl. Jones 1976: 130). Gleichwohl sollte die Zielgruppe des „shuddhi“ noch erweitert werden. Den numerisch größten Missionserfolg verzeichneten die christlichen Missionare nämlich insbesondere unter den Mitgliedern der niedrigen Kasten und Kastenlosen. Bei den Konversionen aus den höheren Kasten handelte es sich stets um Einzelfälle, auch wenn diese aufgrund des illustren Status der Konvertiten sowohl bei Christen als

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auch bei Hindus breite Aufmerksamkeit auf sich zogen. In den niederen Gesellschaftsbereichen aber vollzogen sich die Bekehrungen seit den 1860er Jahren zunehmend in Form von Massenkonversionen (vgl. hierzu Forrester 1991). Dabei waren gerade die kastenimmanenten Verflechtungen dem Missionsziel zuträglich; die kollektive Christianisierung vermied den schmerzhaften Bruch mit dem sozialen Umfeld, der sich für das Individuum mit dem Übertritt zum Christentum oftmals verband. Diese Vorteile einer kulturell homogenen Ausbreitung des Christentums macht sich auch, wie oben gesehen, die „church-growth“-Perspektive zu eigen. Dabei sprachen sich anfangs die Missionare selbst ausdrücklich gegen Bekehrungen ‚en bloc‘ aus; der soziale Bruch mit den Heiden galt ihnen als der Konversion unbedingt zugehörig (vgl. Forrester 1991: 67f.). Diese Position wurde allerdings 1879 auf der Missionskonferenz in Bangalore und auch in den Folgejahren deutlich relativiert und Massenbewegungen zum Christentum als akzeptabel, wenn nicht sogar in Teilen als vorteilhaft erachtet (ebd.: 88). Max Weber (1921/1988: 117ff.) hat auf die stabilisierend-domestizierende Wirkung der indischen Theodizee hingewiesen. Auch unter den christlichen Missionaren machte man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Regel die Erfahrung, dass die niederen Schichten mit ihrer benachteiligten Position durchaus im Reinen waren und keinerlei Wünsche nach Veränderung hegten (vgl. Forrester 1991: 66). Nicht zuletzt die Umbrüche, die durch das Kolonialregime und die Europäisierung der Verhältnisse auf den Plan kamen, dürften diese Genügsamkeit der traditionellen Strukturen deutlich relativiert und in Frage gestellt haben (vgl. ebd.: 71). Die Aussicht auf sozialen Aufstieg, die das Christentum bot, konnte so zunehmend einen Reiz auf die unteren Kasten ausüben. Dabei war es zum einen das egalitäre Element innerhalb des Christentums selbst, das die Attraktivität ausmachte. Die Konversion zum Christentum bedeutete zum anderen auch einen Aufstieg und den Zugang zu vormals verschlossenen Privilegien in der hinduistischen Gesellschaftsstruktur; die ehemals Unberührbaren wurden berührbar, denn wo sie sich als Christen zu erkennen gaben, galten für sie nicht die sozialen Restriktionen, die an ihre ursprüngliche Kastenzugehörigkeit geknüpft waren (vgl. hierzu Fischer 1991: 130ff.). Oftmals bot allerdings schon die bloße ökonomische Hilfestellung von christlicher Seite zur Bekehrung Anlass genug. So lassen sich für damals insbesondere in Verbindung mit den größeren Hungersnöten Konjunkturen von Massenkonversionen feststellen (vgl. Forrester 1991: 73). Der numerische Erfolg war dabei beachtlich. In der Dekade von 1881-1891 belief sich der Zuwachs der christlichen Gemeinde im Sialkot-Bezirk auf 3000 Prozent (vgl. Jones 1976: 144). Diese Tatsache, dass der Hinduismus sein größtes Leck vor allem bei den unteren Kasten zu verzeichnen hatte, blieb auch der breiteren Öffentlichkeit nicht verborgen (vgl. Jones 1976: 144; 1981: 93f.; Jordens 1991: 219). Die „Tribune“ notiert am 19. Oktober 1891: „Few people have any idea about the rapidity with which the number of the Indian Christian community is being swollen by the conversion of the people of the lowest castes. In fact if conversions go on at this rate there will no longer remain any ‚low castes‘ at a not very distant date and the ‚higher castes‘ will have to exert all their energies in protecting themselves from being pushed to the wall by aggressive mehters and chamars elevated from their degraded position to the religious level of their rulers.“ (S. 4; zit. n. Jones 1976: 144; Herv. i.O.)

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Anfang der 1890er Jahre fanden somit erste „shuddhi“-Zeremonien für Unberührbare statt, deren Zweck nicht die Bekehrung, sondern ein sozialer Aufstieg war; es galt so die Angehörigen dieser Kasten enger an die hinduistische Gemeinde zu binden und den Reiz des Christentums zu minimieren (vgl. Jones 1981: 93). Wo es zudem vormals nur um individuelle Rekonversionen ging, drehte es sich vor allem ab dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in den Rekonversionskampagnen nun auch auf hinduistischer Seite mehr und mehr um Massenbekehrungen. Mit der Gründung eines All India Shuddhi Sabha streute die Bewegung bis in den Kashmir und die United Provinces (vgl. Jordens 1991: 221). Allein im Punjab wurden bis 1910 zwischen 60.000 und 70.000 „shuddhis“ vollzogen; in den United Provinces stieg die Zahl der Aryas bis 1921 auf 205.000 an (vgl. ebd.: 221f.). Dies hatte tiefgreifende Folgen für die sozialstrukturelle Zusammensetzung des Samaj. Das egalitäre Prinzip, das den vormals Unberührbaren Zugang zu ihnen ansonsten verschlossenen vedischen Ritualen und Rechten verlieh, ließ sich nur schwer gegenüber den Etablierten durchsetzen (vgl. hierzu Jones 1976: 309f.). Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Haltung der hinduistischen Orthodoxie gegenüber dem „shuddhi“ von ganz besonderem Interesse. Wie im historischen Exkurs bereits erwähnt, war diese nämlich trotz der umwälzenden, traditionsbrechenden Bedeutung dieser Praxis nicht einseitig negativ, sondern durchaus ambivalent. Angesichts der drastischen Verluste infolge von Bekehrungen insbesondere zum Christentum drängte sich die Notwendigkeit des „shuddhi“ in den meisten Fällen auch den Vertretern der hinduistischen Orthodoxie auf (vgl. Jones 1976: 309; Jordens 1991: 224). Die Berührbarkeit der Konvertiten aus den unteren Kasten wurde somit in der Regel anerkannt, obgleich der Kontakt weiterhin gemieden wurde (vgl. Jones 1976: 309). Solche Zugeständnisse deuten auf die ‚implizite Anerkennung‘ einer Sinnperspektive hin, die auf numerische Relevanz setzt und an Konversionen orientiert ist. Diese Perspektive riss auch mit der indischen Unabhängigkeit und der Trennung von Indien und Pakistan nicht ab. Während die Aufmerksamkeit und die religiöse Konkurrenz zuvor noch dem Islam ebenso wie dem Christentum gegolten hatten, konzentrierte sich die Beobachtung nun noch deutlicher auf den christlichen Proselytismus (vgl. Jones 1981: 98). Allerdings gewann die Frage der Mission und Konversion zunächst eine vornehmlich politische Dimension. Bereits im Vorfeld der Gründung der indischen Nation sprach sich M.K. Ghandi sehr deutlich gegen Bekehrungen von Hinduisten zum Christentum aus; es stelle ein Verstoß gegen das geburtsmäßige „dharma“ dar. Die hinduistische Identität wird hier als ein soziokulturelles Erbe verstanden, das man allenfalls reformieren, nicht aber ablegen könne (vgl. Kim 2003: 23ff.). An dieses Verständnis von Religion ist folglich ein etwas anderes Verständnis von Religionsfreiheit gekoppelt: Religionsfreiheit wird von nicht-christlicher Seite in der Regel nicht als religiöse Wahlfreiheit interpretiert, sondern als Freiheit von Eingriffen in die eigene Religionsausübung, zu denen auch Bekehrungsversuche zählen (vgl. Claerhout/de Roover 2005; 2008: 68).20 Entsprechend verabschiedeten einzelne Bundesstaaten Indiens schon wenige Jahre vor der Unabhängigkeit restriktive Gesetze, die eine Bekehrung – selbst für das konversionswillige Individu20 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Thomas (2001; 2004), der auf die Kontroverse zwischen kollektivistischen und individualistischen Definitionen von Religion aufmerksam macht, die jeweils auf unterschiedliche weltkulturelle Legitimitätsressourcen zugreifen.

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um – deutlich erschwerten (vgl. Kim 2003: 38ff.). Auch der Prozess des indischen Verfassungsentwurfs war von Debatten zwischen christlichen und hinduistischen Interessensverbänden geprägt, die jeweils für eine Gesetzgebung eintraten, die ihrem Verständnis von Religionsfreiheit am nächsten kam. Das Ergebnis der Verhandlungen war indes weitgehend vorteilhaft für die christliche Position (vgl. Kim 2003: 42ff.). Das Recht, die eigene Religion zu propagieren, wurde ausdrücklich, wenn auch ungern, eingeräumt; zudem wurde von einer Klausel, die Bekehrungen durch „unlauteren Einfluss“ verboten hätte, aufgrund der dehnbaren Formulierung letztlich abgesehen.21 Gleichwohl blieb das ‚Propagationsrecht‘ und die Konversionsfrage insbesondere im Hinblick auf Minderjährige auch weiterhin Gegenstand von Auseinandersetzungen. Der Lobbyismus und politische Aktivismus stellte dabei ein zentrales Instrument hinduistischer Interessensgruppen dar, um Bekehrungs- und Missionsaktivitäten von Seiten der Christen zu unterbinden. Die bereits erwähnte RSS, mit ihrem Anliegen der Förderung der religiös-ethnisch-nationalistischen „Hindutva“, bildete in dieser Hinsicht eine der zentralen Organisationen. Tatsächlich kam es in einigen Bundesstaaten wie Madhya Pradesh, Orissa und Arunachal Pradesh in den 1960er und 1970er Jahren zu Dekreten, die die Propagation einer Religion nicht unter den Schutz der Religionsfreiheit stellen (vgl. Kim 2003: 76ff.). Diese Entwicklung nahm ihren Ausgang von Madhya Pradesh, wo die RSS zuvor die Regierung zur Einrichtung einer missionsbezogenen Untersuchungskommission bewegen konnte, deren Resultat, der Niyogi-Report, unten noch näher zu diskutieren sein wird. Dies ist sicher kein Zufall: In Madhya Pradesh hatten „Adivasis“ einen hohen Anteil an der Bevölkerung: indische Ureinwohner also, unter denen die christlichen Missionare in den 1950ern drastische Massenbekehrungen vollziehen konnten (vgl. Kim 2003: 62). Die vornehmlich politische Dimension der Auseinandersetzung mag auf den ersten Blick gegen die religiöse Qualität dieser Sinnsphäre sprechen. Tatsächlich spricht sie, so mein Argument, dafür. Es wurde bereits am Fall der pfingstlich-evangelikalen Bewegung deutlich, dass die Dynamik einer auf ‚Weltbekehrung‘ abzielenden Relevanzstruktur zu einer vergleichsweise engeren Inanspruchnahme der Leistungen anderer Funktionssysteme führt; so etwa der Massenmedien in den missionarisch aktiven Rundfunkanstalten und –programmen oder der Wissenschaft in den missionswissenschaftlichen Reflexionsmethoden. Für die Bestimmung der Systemreferenz ist das Ziel dieser Inanspruchnahme entscheidend; dieses aber ist ganz klar ein religiöses: die Bekehrung. Nicht anders verhält es sich im vorliegenden Fall. Zwar vereint der ideelle Komplex der „Hindutva“, der hier die Interessen der RSS und der VHP bestimmt, religiöse, ethnische und politische Dimensionen auf diffuse Weise. Nichtsdestotrotz ist die konkrete Absicht hier stets die Abwendung von Bekehrungen zur Stärkung der hinduistischen Gemeinschaft vis-à-vis der christlichen Religionsgemeinschaft; das Unternehmen ist damit am Aspekt religiöser Affiliation orientiert. Unter diesem Gesichtspunkt konversionsbezogener Interessen und der Lösung eines als religiös zu qualifizierenden Konflikts wird hier der Komplex von Recht und Politik angerufen, um eine kollektiv bindende und staatlich durchgesetzte Entscheidung 21 Wie Sarkar (1999: 95) andeutet, mag hier auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass ein Propagations- und Bekehrungsverbot Möglichkeiten der Rekonversion in den Hinduismus gleichermaßen unter Verbot gestellt hätte.

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zugunsten der eigenen (religiösen) Position zu erwirken. Inwieweit sich dabei im Falle der RSS religiöse mit nationalistischen bzw. politischen Motiven mischen, bleibt dabei insofern unerheblich, als es letztlich auf das Interesse an ‚konversionsbedingten‘ Zugehörigkeitsverteilungen ankommt; gerade das scheint auf die Eigenlogik einer Sphäre einzuschwören, in deren Zentrum der Bekehrungsakt steht. Wie noch darzulegen ist, wird auch im Buddhismus sowie im Islam die Abwehr von christlichen Bekehrungsbemühungen nicht selten von einer Rhetorik begleitet, die religiöse Aspekte mit kulturellen und nationalen Gesichtspunkten in Berührung bringt. Selbst für den Katholizismus in Lateinamerika gilt dies noch. Politischer Lobbyismus lässt sich dabei in all diesen Kontexten solange beobachten, wie er in der Durchsetzung eigener bekehrungsbezogener Interessen, sei es in proaktiver oder defensiver Hinsicht, wirkungsvoll erscheint. Nichtsdestotrotz scheint die Blockierung politischer Kanäle bzw. die Wirkungslosigkeit politischer Initiativen hier in der Regel mit einem Ausdifferenzierungsschub bzw. einer operativen Dynamisierung dieser Sinnsphäre einherzugehen. Wo die staatliche Unterbindung von christlichen Bekehrungen unterbleibt, werden die Gegeninitiativen in diesem Zusammenhang schließlich auf das religiöse Kerngeschäft bzw. auf den Akt der Bekehrung selbst zurückgeworfen.22 Eine solche verstärkte Inanspruchnahme des Bekehrungsmoments lässt sich auch in Indien im Zusammenhang mit der Zunahme des pfingstlich-evangelikalen Missionserfolgs insbesondere der letzten dreißig Jahre beobachten. Im christlichen Lager hatten sich, wie in Kapitel VIII erörtert, seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Stimmen gemehrt, die auf ein Umdenken in der allgemeinen Missionstheologie drängten. Im Weltkirchenrat verband sich dies mit einem zunehmenden Akzent auf sozialen Fragen und auch in der katholischen Kirche formierte sich mit der Befreiungstheologie zum Teil eine ähnliche Strömung. Gegen diese Abkehr von einem Missionsverständnis, in dessen Zentrum die Bekehrung und Evangelisation steht, opponierte allen voran, wie bereits dargelegt, das pfingstlich-evangelikale Lager. Insbesondere ab den 1980er Jahren erregte dessen ungebrochen aggressive Missionstätigkeit zunehmend die allgemeine Aufmerksamkeit in Indien, nicht zuletzt deshalb, weil sich jene Gruppe nun gegenüber dem moderaten und liberalen christlichen Lager noch deutlicher ins Profil setzte.23 Der Anteil der pfingstlich-evangelikalen Anhänger an der Bevölkerung beträgt zwar nur rund 4 Prozent; 90 Prozent davon gehen allerdings auf das Konto der „Dritten Welle“ (vgl. Barrett, Kurian et al. 2001: I, 360f.). Mit ihrer offensiven Mission erlangen sie eine hohe Sichtbarkeit und zeitigen entsprechende Reaktionen. Dieses ‚Wiederaufleben‘ einer Missionsperspektive, die dezidiert auf Konversion setzt und Indien als Teil eines Projekts der Weltbekehrung sieht, geht mit einem 22 Nicht zufällig haben wir es in diesem Kapitel durchgehend mit Kontexten zutun, in denen de facto eine säkulare Verfassung mit einem zumindest praktischen politischen Egalitarismus hinsichtlich der verschiedenen Religionen existiert. 23 Zu vergessen ist dabei nicht, dass auch von katholischer Seite die Bedeutung von Bekehrung und Evangelisation in der Mission durch Johannes Paul II. in den achtziger Jahren noch einmal deutlich bekräftigt wurde, nicht zuletzt mit Blick auf den lateinamerikanischen Kontext, wo die Pfingstkirchen zu einem entthronenden Konkurrenten avancierten (vgl. Kim 2003: 137). 1990 wurde dieser Auffassung einer notwendigen Verkündigung des Evangeliums gegenüber anderen Glaubensrichtungen und der Bekehrung in dem Dokument „Redemptoris Missio“ abermals Nachdruck verliehen (vgl. ebd.: 138f.).

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erneuten Aufschwung von hinduistischen Rekonversionskampagnen von Seiten der VHP einher (vgl. Kim 2003: 139ff.; siehe auch Zavos 2001). Der Akzent der Gegenwehr liegt somit nun weniger auf der Durchsetzung politischer Restriktionen wie noch die Jahre zuvor, sondern zunehmend auf resoluten Rückbekehrungen. Hier werden insbesondere untere Kasten, „Dalits“ und „Adivasis“, die zum Christentum, aber auch zum Islam übergetreten sind, in den Hinduismus per Ritual symbolisch reintegriert.24 Im Gujarat der 1990er Jahre etwa wiesen die Zensusstatistiken – entgegen dem nationalen Trend – einen rasanten Anstieg des Christentums auf, der sich vor allem auf Konversionen unter den „Adivasis“ zurückführen ließ. Insofern auch diese von Seiten der VHP als dem Hinduismus zugehörig reklamiert wurden, stieß dieser Sachverhalt hier auf besonders energische Reaktionen. Hier setzte sich eine Dynamik von Bekehrung und Rückbekehrung in Gang, die die indische Presse von einem „battleground for conversion“ sprechen ließ (vgl. Kim 2003: 157).25 Die Sangh Parivar initiierte ein Programm mit dem Namen „ghar vapsi“ („ghar vapasi“), was soviel wie „Heimkehr“ bedeutet. Das „paravartan“, wie die Rekonversion nun üblicherweise in diesem Zusammenhang genannt wird, steht dabei ganz in der Tradition des „shuddhi“; anders als dieses zielt es jedoch allein auf ‚Überläufer‘ zum Christentum und Islam ab, nicht auch auf Unberührbare (vgl. Sarkar 1999: 97). Neben solchen Rückbekehrungen kommen auch weiterhin entsprechende organisatorische Maßnahmen im schulischen wie sozialen Bereich in der Abwendung von Konversionen zum Zuge (vgl. Kim 2003: 156f.).26 Bis heute ist diese Dynamik ungebrochen; immer wieder kommt es zu groß angelegten Rückbekehrungen von Individuen, die von den hinduistischen Fundamentalisten als Hindus beansprucht werden und zum Christentum oder zum Islam übergelaufen waren (vgl. Mayer 2008: 47).27 Das spricht dafür, dass das Summenkonstanzprinzip und die institutionelle Logik einer bekehrungsbezogenen Sinnsphäre nach wie vor einen prägenden Einfluss auf die hier betrachteten Strömungen im Hinduismus hat. Diese Sphäre produziert entsprechende konversionsbezogene Aktivitäten und integriert sie in einen interreligiösen Wettbewerb, in dem neue religiöse Zugehörigkeitsverteilungen kontinuierlich zum Ausgangspunkt neuer Bekehrungsaktivitäten werden, die wiederum neue Zugehörigkeitsverteilungen herstellen usw. Dieser ‚selbstreferentielle‘ Zusammenhang ist zwar zumindest auf hinduistischer Seite vornehmlich auf den nationalen Kontext Indiens begrenzt. Er geht allerdings auch bei den Hindus mit der Aufdauerstellung von Beobachtungsstrukturen einher, die sich für die Mission und Bekehrungsaktivitäten des

24 Politische Aktivitäten in diesem Zusammenhang sind gleichwohl nicht abgerissen; vgl. hierzu Kim (1999: 157ff.). 25 Kim zitiert hier den Artikel „Desperate Acts of Faith“ von Ruben Banerjee in „India Today“, 30. März 1998. 26 Es blieb indes nicht bei solchen friedlichen Reaktionen. Daneben kamen gegen Ende der 1990er Jahre auch gewalttätige Übergriffe gegen christliche Gemeinden insbesondere im Gujarat vor (vgl. Kim 2003: 156f.). 27 Vgl. nur für einen aktuellen Fall im indischen Thane nahe Mumbai die Meldung der Nachrichtenagentur AsiaNews vom 27.10.2009: „6,000 Christians reconverted to Hinduism by extremist groups“ (http://www.asianews.it/news-en/Maharashtra,-6,000-Christians-recon verted-to-Hinduism-by-extremist-groups-16698.html vom 21.10.2010).

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Christentums in einem globalen Rahmen interessieren. Diesen gilt der nächste Abschnitt. 1.4 Konversionsbeobachtungen Im Folgenden gilt das Interesse der Herausbildung dauerhafter Beobachtungs- und Reflexionsstrukturen auf der Seite des Hinduismus, die die tragenden Säulen einer bekehrungszentrierten Sinndomäne und Aufmerksamkeitsökonomie bilden. Die Konfrontation mit christlicher Mission führte schon früh zur dauerhaften Beobachtung christlicher Missionsaktivitäten von hinduistischer Seite. Wie oben gesehen, diskutierte bereits im 19. Jahrhundert eine hinduistische Presse kontinuierlich den missionsbedingten Schwund an Hindus anhand der neuesten Zensusergebnisse und verband dies mit Aufrufen zu entsprechenden Gegenmaßnahmen. Zum Arya Samaj gehörten stets auch Publikationsorgane, die solche Reflexionsfunktionen erfüllten; bereits genannt wurde hier etwa „The Regenerator of Arya Varta“. Dieser kam zwar schon nach zwei Jahren zum Erliegen, wurde allerdings sogleich von anderen Zeitschriften abgelöst, so dass der Samaj nie ohne solche Organe war (vgl. Jones 1976: 47). Auch die RSS unterhält seit der Unabhängigkeit Indiens zahlreiche Publikationen, darunter zwei wöchentliche Zeitungen auf nationaler Ebene: den „Organiser“ (in Englisch) und den „Panchjanja“ (in Hindi) (vgl. Embree 1994: 642). Bis heute finden sich darin regelmäßig Artikel, die christliche Missionsaktivitäten reflektieren und die Frage der Bekehrung traktieren.28 Ein zentrales Ereignis einer – wenn auch in dieser Form mehr oder weniger einmaligen und somit allenfalls indirekt strukturbildenden – missionsbezogenen Bestandsaufnahme von hinduistischer Seite bildet im unabhängigen Indien der „NiyogiReport“, der in den 1960er Jahren von der Regierung in Madhya Pradesh in Auftrag gegeben wurde, auch auf Betreiben der RSS hin (vgl. Kim 2003: 60ff.). Der Report, dessen Zweck eine externe Sichtung und Bewertung des christlichen Missionsunternehmens war, wurde durch ein eigens einberufenes Christian Missionary Activities Enquiry Committee angefertigt. Es finden sich darin neben einer historischen Betrachtung über die christliche Mission in Indien zum Teil detaillierte Bestandsaufnahmen über die Anzahl und Herkunft der Missionare in Indien bzw. Madhya Pradesh, eine Differenzierung der in Indien präsenten christlichen Konfessionen bzw. Denominationen sowie, wo verfügbar, Konversionsstatistiken (so etwa für Anzahl der Taufen in den Leprosorien).29 In seiner Beurteilung der christlichen Mission konstatiert der Bericht unlautere Motive und Mittel und gibt als Fazit eine Empfehlung zur strengen Reglementierung und Restriktion der Missionstätigkeit ab; dies betraf auch die erzieherischen und diakonischen Einrichtungen, denn gerade sie galten der Kommission als besonders anstößiges Vehikel der Bekehrung.30 28 Vgl. hierzu die Online-Ausgabe von „The Organiser“ unter http://www.organiser.org vom 21.10.2010. 29 Vgl. hierzu insbesondere Band I, Teil III, Kapitel 3 des „Nyogi-Reports“: „Missionary Activities in Madhya Pradesh since Independence as disclosed by oral and documentary evidence“, abrufbar unter http://voiceofdharma.org/books/ncr/7vipiii.htm vom 21.10.2010. 30 Trotz des vehementen Einspruchs von christlicher Seite kam es in Orissa (1967) und Madhya Pradesh (1968) zur Implementation der Empfehlungen in den oben bereits erwähnten

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In jüngerer Zeit ist eine publizistische Aktivität von hinduistischer Seite zu beobachten, die für den vorliegenden Zusammenhang von ganz besonderem Interesse ist: Hier werden zur Beobachtung der christlichen Missionstätigkeit die pfingstlichevangelikalen Publikationen selbst herangezogen. Die Sinnperspektive, die in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurde, übt hier insofern eine ‚faszinierende‘ Wirkung aus, als die christliche Registration von Konversionen ihrerseits von Seiten einiger Hindus regelmäßig beobachtet und ausgewertet wird, um auf die christliche Bedrohung für die hinduistische Gemeinschaft Indiens aufmerksam zu machen und dagegen zu mobilisieren. Im Zentrum stehen dabei nicht zuletzt die ‚missiologischen‘ Publikationen, von denen einige bereits in den vorangegangenen Kapiteln diskutiert wurden. So machte etwa der indische Intellektuelle und „Hindu Revivalist“ Ram Swarup in der „Times of India“ auf das „Mission Handbook“ von World Vision International ebenso aufmerksam wie auf die erste Auflage der „World Christian Encyclopedia“ von David B. Barrett et al. (vgl. Swarup 1985; Swarup 1988). Das offensichtliche Anliegen Swarups ist es, für die daraus unzweideutig hervortretenden Ambitionen der Weltevangelisation und -bekehrung zu sensibilisieren. In einen solchen Argumentationszusammenhang sind auch die dort aufzufindenden Zahlen eingebettet, u.a. etwa die Zahl der Missionsorganisationen und der Missionare, ihre Zunahme und die Höhe der finanziellen Mittel.31 Bemerkenswert ist zudem, dass diese Statistiken nicht allein hinsichtlich christlicher Aktivitäten und Bekehrungserfolge in Indien beobachtet werden; der Blick gilt der ganzen Welt, und hier vor allem den Ländern der ‚Dritten Welt‘, um entsprechende Konsequenzen für das hinduistische Indien zu ziehen. So wird etwa in einem kursorischen Überblick der dramatische Missionsfortschritt in einzelnen Ländern dargestellt und endet schließlich mit einer Angabe über die Zahl der in Indien derzeit präsenten Missionare – die erwünschte Implikation ist hinreichend deutlich. Es lohnt sich, die entsprechende Passage etwas ausführlicher zu zitieren: „Christianity is losing its hold in Western countries but they still keep it for export to the third World. […] Latin America lost its home and religion long ago and it is now 97 per cent Christian. […] Africa is now 36 per cent Christian, and 44 per cent if we consider only the south of the Sahara. In certain countries like Uganda, the conversion rate is so high that ‚it has been difficult to keep records up to date.‘ In Nigeria, 3,000 missionaries are at work. Both by natural increase and conversion, 6.2 million Africans are being added annually to the Christian fold. In the North, Islam competes and already one-thirds of the people are Muslims. But in both cases, the indigenous peoples and culture and religions are at the receiving end. In Asia too, the missions have made serious inroads. The Philippines is 92 per cent Christian; South Korea 32 per Erlassen zur Religionsfreiheit. Diese Erlasse wurden in den 1970er Jahren in einem Verdikt des Supreme Court noch bestätigt, und der Bundesstaat Arunachal Pradesh folgte kurz darauf dem Beispiel von Orissa und Madhya Pradesh mit einem ähnlichen Dekret (vgl. Kim 2003: 79). Der Report wird noch heute in der Polemik gegen christliche Missionsaktivitäten durch Sprecher des Sangh Parivar zitiert (vgl. Sarkar 1999: 96). 31 „In 1968, North America’s 411 agencies supported 35,800 missionaries; in 1984, 794 agencies sent out 67,000 personnel, an increase of 86 per cent in agencies and about the same in men. In 1985, North America was spending 1,3 billion dollars on its missionary operations.“ (Swarup 1988)

414 | W ELTBEKEHRUNGEN cent. In India 6,000 missionaries are labouring, of them 3,500 Catholic and the rest Protestant.“ (Swarup 1988)32

Zwar kann man hier nicht dahingehend von einer Konvergenz der Perspektiven sprechen, dass beide Seiten sich das Ziel einer Maximierung der jeweiligen globalen Anhängerschaften zu eigen machen. Gleichwohl wird deutlich, dass die Beobachtungshorizonte hier in eins fallen, indem sie sich auf konversionsbedingte Änderungen in den religiösen Zugehörigkeiten kaprizieren – wenn auch im Falle der hinduistischen Beobachter aus deutlich defensiver Perspektive, der es um eine Abwendung von Konversionen geht. Man bewegt sich, mit Augustus de Morgan gesprochen, in einem gemeinsamen „universe of discourse“. Einer der unerbittlichsten Kritiker und Beobachter christlicher Bekehrungsbestrebungen ist der indische Intellektuelle Arun Shourie, Mitglied der RSS-nahen Partei BJP (vgl. etwa Shourie 1994; 2000). An seinem Beispiel wird noch einmal besonders deutlich, wie sich auch innerhalb des Hinduismus eine operative Ebene für die reine Beobachtung von Konversionen bzw. die Kommunikation über Konversion ausdifferenziert.33 Es lohnt sich deshalb, Shourie hier etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen. Dieser untersucht in seinen Schriften zahlreiche Publikationen aus dem pfingstlich-evangelikalen Lager akribisch auf die sich darin offenbarenden Bekehrungsabsichten und -strategien. Auf diese Weise wird auch hier auf die missionarische Bedrohung Indiens hingewiesen; so etwa in der Schrift mit dem eindringlichen Titel „Harvesting Our Souls. Missionaries, Their Design, Their Claims“. Dabei hat sich Shourie selbst mit der Gemeindewachstumsperspektive auf „people groups“ vertraut gemacht: „Missionary publications bear ample testimony to this focus [d.h. auf „harvesting work“ in Indien, M.P.]: they are full of targets, of detailed plans, of marketing strategies by which the harvest here is to be multiplied: a church to be planted in ‚every‘ village, a Bible to be placed in every pair of hands, lists and characteristics of ‚people-groups‘ which are to be targeted – women, Scheduled Castes, and, most of all, tribals; the beliefs and characteristics of each target-group which can be used to enter the group, the beliefs which are liable to be hindrances and how these may be transformed into aids.“ (Shourie 2000: 26)

In diesem Zusammenhang wird immer wieder aus dem Buch „Operation World“ von Patrick Johnstone zitiert, das auch in der vorliegenden Arbeit bereits erwähnt wurde 32 Der Artikel endet mit einer Kritik an der UNO-Erklärung zur freien Religionswahl und mahnt an: „But is there to be no similar charter that declares that countries, cultures and peoples of tolerant philosophies and religions who believe in live and let live, too have a right against aggressive, systematic proselytising? Are its well-drilled legionaries to have a free field?“ (Swarup 1988) Vgl. auch Swarup (1985) für eine globale Bilanz der christlichen Mission. Als sich im Übrigen in den 1990er Jahren ein erhöhter Aktivismus im Hinblick auf das symbolträchtige Jahr 2000 abzeichnete, bis zu dem allen Menschen der Welt das Evangelium zu verkünden sei, erregte auch dies die Aufmerksamkeit kritischer hinduistischer Beobachter (vgl. hierzu Kim 2003: 133ff.). 33 Vgl. zu der Herausbildung einer Operationsebene der Beobachtung im Sport erneut Werron (2010: 68 und passim).

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und in Struktur und Rhetorik den Schriften David B. Barretts gleicht. Shourie entgehen zudem weder die Spendenaufrufe auf den einschlägigen Webseiten noch sind ihm die führenden Köpfe des „church-growth“-Ansatzes fremd: „The site of AD 2000 Missions informs donors, Vasanthraj Albert of the Church Growth Research Research Center in Madras, [sic] states, ‚I believe that India is on the map for the global church.‘ And Peter Wagner, coordinator for the AD 2000 United Prayer Mobilization Network observes, ‚Of all the nations in the world, India has the highest potential of fruitful investment of evangelistic effort at this time. It is the place to invest time, energy and resources.‘“ (Shourie 2000: 31; Herv. M.P.)

Herangezogen und breit zitiert wird auch der „Thailand Report on Hindus“, der vom evangelikalen Lausanne Committee for World Evangelization im Zusammenhang einer Konferenz zur Weltevangelisation in Pattaya, Thailand, 1980 herausgegeben wurde (vgl. ebd.: 58). Dabei wird noch einmal die Intention der Bekehrung aller Hindus deutlich exponiert: „On the goal of the missionaries, the Consultation observed ‚we are conscious that God longs for the whole Hindu people to know Jesus Christ and live under his Lordship (Isa. 17:7, 8).‘“ (Shourie 2000: 58) Bemerkenswert ist dabei, dass hier auch der Blick auf die hinduistische Diaspora im Ausland registriert wird: „Notice too the concluding words: ‚...Hindus in every part of the world.‘ These missionary-experts concluded that Indians who had settled abroad and whose links with their mother-culture had thus been weakened by exposure to the West, are a group that would yield a specially rich harvest.“ (Ebd.: 59) Die ‚defensive‘ Perspektive auf die hinduistische ‚in-group‘ Shouries ist also ebenso global wie die auf den christlichen Gegner in seiner weltweiten Missionsaktivität. Hingewiesen wird ferner auf den medialen Feldzug christlicher Missionare; dabei sind ihm auch die zentralen, in Kapitel IX.2.2 erörterten Rundfunkanstalten namentlich bekannt: „They point out that in a society in which literacy levels are low, it is ‚radio evangelism‘ which will prove the ‚real boon‘. But the use of this medium requires careful calibration, the missionary-experts emphasize: ‚Only a programme prepared after careful audience research will produce results. For example, the vernacular transmissions prepared by Trans World Radio and broadcast on medium wave have revolutionised the broadcasting scene in India [...].‘ And of course the latest harvester, television: ‚Television is new and popular with the middle class and upper class in cities‘, the far-seeing missionary-experts write in 1980, ‚Christian programmers should be keen to take the various opportunities offered by Government, especially on Christian festival days.‘“ (Shourie 2000: 61)

In gleichem Zusammenhang zitiert Shourie (2000: 64) auch wieder „Operation World“: „‚Although there is no Christian broadcasting from stations within India, more than 20 studios prepare programmes for broadcasting by TWR Sri Lanka and Guam (24 languages), FEBA Seychelles (18 languages and 250 programmes a week) and FEBC Manila (4). Weekly there are 295 hours broadcasting in a total of 35 languages. TWR broadcasts in the early morning

416 | W ELTBEKEHRUNGEN have gained an audience of millions. Pray for wise long-term strategies that will lead to effective evangelism and church-planting – perhaps by radio alone...‘.“

Dazu stellt Shourie (ebd.) fest: „Notice not just the manner in which everything is viewed, but the enormous network which is already bent to the task of harvesting us…“ Auch die katholische Kirche wird hier im Hinblick auf ihre Missionsperspektive beobachtet; ferner werden die Dekrete des Vatikanum II unter diesem Gesichtspunkt evaluiert (vgl. ebd.: 34ff.).34 Diese Beobachtung von Beobachtungen, obgleich sie der Abwehr von Bekehrungsaktivitäten dient, zeugt davon, dass die reziproke Beobachtung von Hinduismus und Christentum im gemeinsamen Horizont von religiösen Zugehörigkeitsverteilungen erfolgt. Hier stehen nicht zwei religiöse Beobachtungsmodi isoliert nebeneinander; es sind nicht zweierlei Konstruktionen religiöser Welt bzw. religiöser Diversität, die ohne Berührung miteinander koexistieren. Die aggressive Missionsperspektive insbesondere des pfingstlich-evangelikalen Christentums stellt vielmehr eine Herausforderung dar, der sich der Hinduismus trotz – oder in gewisser Hinsicht auch gerade wegen – seiner Ablehnung des darin zum Tragen kommenden Fokus auf Konversionen nicht entziehen kann. Die pfingstlich-evangelikale Konstruktion der Welt als Missionsgebiet ist eine Konstruktion, die sich die hier zu Wort gekommenen Vertreter des Hinduismus zwar nicht zu eigen machen. Es ist aber eine Konstruktion, auf die sie sich um des Fortbestands des Hinduismus einzulassen gewillt sind oder gar genötigt sehen. In dieser Hinsicht werden die religiösen Zugehörigkeitslagen und die darauf orientierte organisationelle Landschaft, nicht nur Indiens, sondern, wie gesehen, auch der Welt, zu einem gemeinsamen Sinnterrain, auf dem sich beide Parteien auskennen und begegnen: die christliche Seite proaktiv, die hinduistische Seite eher reaktiv bzw. defensiv. Die Beobachtungen der eigenen (religiösen) Gemeinschaft als „target-group“ werden ihrerseits beobachtet und daraus entsprechende Konsequenzen gezogen, die der Logik eines Nullsummenspiels bezüglich Konversionen folgen. In dieser Hinsicht ist auch die gemeinhin angeführte religiöse Toleranz des Hinduismus, die gegen die Möglichkeit einer solchen Konfrontation und Konkurrenz angeführt wird, in ein anderes Licht zu setzen.35 Die Konfrontation zwischen Christentum und Hinduismus widerspricht zwar auf den ersten Blick der Auffassung vom Hinduismus als einer kulturellen Tradition, die allen Religionen ihr Recht und ihre partikulare Wahrheit zuspricht. Tatsächlich steht sie aber im Einklang damit. Dies wird deutlich, wenn man die Religionen auf ihre Soteriologien hin beobachtet (vgl. hierzu auch Kim 2003: 175ff., 187ff.; van der Veer 1994: 658f.). Auf soteriologischer Ebene ist das Christentum, so wie es vor allem von der evangelikalen Strömung vertreten wird, in dem Sinne exklusivistisch angelegt, als es ‚wahre‘ religiöse Botschaften neben dem Evangelium nicht als Heilsweg anerkennt. Auch der Hinduismus lässt sich aber soteriologisch als exklusivistisch ansehen, allerdings in anderer, höherstufiger Hin34 Es finden sich auch Internetseiten, die Artikel über Konversionen und christliche Mission zu Aufklärungszwecken sammeln; vgl. etwa http://www.christianaggression.org vom 15.04.2011. 35 Vgl. van der Veer (1994: 658f.) zur religiösen Toleranz in der Selbstbeschreibung des Hinduismus durch Organisationen wie der VHP, die paradoxerweise wieder zur Untermauerung eines religiösen Überlegenheitsanspruches angeführt werden.

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sicht. So sieht er zwar nicht ein Heil für alle vor, sondern lässt je partikulare, dem geburtsabhängigen „dharma“ entsprechende Heilswege neben anderen bestehen. Er tut dies allerdings innerhalb einer spezifisch hinduistischen ‚Rahmensoteriologie‘, die gleichermaßen mit einem exklusiven Wahrheitsanspruch auftritt und somit der durchgreifenden Christianisierung gerade nicht tolerant gegenüberstehen kann. Wo das Christentum sich nicht als Teil einer hinduistischen Kosmologie pluraler Heilswege einordnet, sondern das universelle Evangelium dieser Kosmologie entgegenstellt und sie damit negiert, wird es zum soteriologischen Gegenspieler des Hinduismus, dessen Vertreter entsprechende Bekehrungen zum Christentum nicht ungerührt lassen können.

2. B UDDHISMUS (S RI L ANKA ) Im Folgenden ist sich analogen Transformationen im Buddhismus zuzuwenden, die sich gleichermaßen mit der christlichen bzw. pfingstlich-evangelikalen Mission in einen Zusammenhang bringen lassen. Das Interesse gilt dabei allerdings in der Hauptsache dem singhalesischen Kontext.36 Zwar sind Konfrontationen zwischen dem Buddhismus und dem pfingstlich-evangelikalen Christentum keineswegs auf Sri Lanka begrenzt. In Südkorea etwa hat die pfingstlich-evangelikale Bewegung einen maßgeblichen Anteil daran, dass das Christentum den Buddhismus mittlerweile als größte Religion überholt hat. Gleichwohl sind die Phänomene, auf die es hier ankommt, wohl nirgendwo so ausgeprägt wie in Sri Lanka. Hier werden die Bekehrungsaktivitäten des pfingstlich-evangelikalen Christentums von buddhistischer Seite besonders kritisch beobachtet. In einem ersten Abschnitt ist wiederum zunächst die orientalistische Konstruktion des Buddhismus und die damit verbundene Herausbildung eines buddhistischchristlichen Antagonismus in Sri Lanka zu beleuchten (2.1). In diesem Zusammenhang lassen sich Organisationsbildungen beobachten, mit denen man sich in erster Linie gegen die Bekehrungsaktivitäten des Christentums zur Wehr zu setzen versucht; ihnen gilt der zweite Abschnitt (2.2). Auch in diesem Fall geht damit die Ausbildung von neuen, dem Christentum weitgehend analogen Formen der Mission einher; diese sind zusammen mit konversionsbezogenen Kontroversen der Gegenwart in einem dritten Abschnitt zu diskutieren (2.3). Schließlich lassen sich auch hier spezifische Aufmerksamkeitsstrukturen ausmachen, die Konversionen in Sri Lanka regelmäßig unter Beobachtung stellen und reflektieren (2.4). 2.1 Zur Konstruktion des Buddhismus Der Buddhismus als eine religiöse Entität bzw. als ein mehr oder weniger monolithisch gedachter religiöser ‚Block‘ ging, wie auch der Hinduismus, im Wesentlichen

36 Vgl. für in diesem Zusammenhang relevante Arbeiten zum Buddhismus in Nepal LeVine/Gellner (2007); Perera (1998); für Thailand Zehner (1996); für Südkorea Lee (2006); Oh (2006).

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aus der Konstruktionstätigkeit westlicher Beobachter hervor.37 Die Beobachtung von Lehren und Praktiken, die heute dem Buddhismus zugerechnet werden, reichen bis ins Mittelalter zurück – wie im historischen Exkurs gesehen, geben Reiseberichte und die Religionsinventarisierungen mitunter davon Kunde. Gleichwohl erfolgte die Synthetisierung dieser geographisch verstreuten Erscheinungen zum Buddhismus erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erste Vermutungen über Verwandtschaften religiöser Praktiken in Siam (Thailand), Ceylon (Sri Lanka) und China reichen zwar bis ins 17. Jahrhundert zurück. Sie finden sich etwa in den Arbeiten des Franzosen Simon de Loubère aus dem Jahre 1693, der an der Siam-Mission unter Ludwig IV. beteiligt war. Auch der Jesuit Louis le Comte glaubte bereits 1697 unter den Siamesen, Tartaren, Japanern und Chinesen dieselbe Religion zu erkennen. Die Klassifikation dieser Praktiken unter dem Terminus „Buddhismus“ gewann allerdings erst um 1820 allmählich an Popularität. ‚Der‘ Buddhismus wurde hier zu einem „taxonomischen Objekt“ (Almond 1988: 13), obgleich noch Unklarheiten über die historischen Verbindungen der lokal verstreuten Manifestationen bestanden; auch dauerte es noch bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, bis man sich darüber einig war, dass es sich dabei um etwas anderes als den Brahmanismus handelte. Vor allem die numerische Größe ‚des‘ Buddhismus schlug im 19. Jahrhundert die europäischen Beobachter in den Bann. Bereits 1799 notierte Francis Buchanan: „However absurd the tenets of this religion may be, yet as influencing the conduct of so large a proportion of mankind, it becomes an object of great importance in the history of the human race.“ (Buchanan 1799: 163; zit. nach Almond 1988: 11f.) Gerade die scheinbare zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber dem Christentum faszinierte und alarmierte dabei zugleich; dies hatte die Relativierungen etwa durch Monier-Williams und Rhys Davids zur Folge, die hier bereits im historischen Exkurs zur Sprache kamen und in die noch Max Weber einstimmte. Mit einer positiven Würdigung eines wahren, ursprünglichen, idealen Buddhismus, wie er an wissenschaftlichen Institutionen aus religiösen Texten (re-)konstruiert wurde, ging die negative Bewertung des Buddhismus einher, wie er sich den Missionaren und Kolonialisten im Osten darstellte (vgl. Almond 1988: 37). Die ‚tatsächlichen‘ buddhistischen Praktiken ließen sich so in ein Verfallsnarrativ einbetten, das den Missionaren die Legitimation für ihr Missionsunterfangen wie auch das Material für ihre Polemiken lieferte (vgl. ebd.: 40). Diesen Gestus machten sich auch die buddhistischen Erneuerer in Sri Lanka selbst zu eigen, indem sie für sich den essentiellen, originären Buddhismus reklamierten und in Anbetracht des traditionellen singhalesischen Buddhismus mit seinen magischen, volksreligiösen Elementen in ähnlicher Weise einen Verfall konstatierten (vgl. Seneviratne 1999).38 Wie schon im hinduistischen Fall hatte auch hier die polemische Agitation der christlichen Missionare das Aufkommen eines neuen buddhistischen (Selbst-) Bewusstseins zur Folge. Schon kurz nachdem die ersten Provinzen Sri Lankas 1796 von den Holländern in britische Hand übergegangen waren, fassten Missionare der 37 Vgl. zum Folgenden Almond (1988). 38 Vgl. auch Harris (2006) für eine aktuelle Studie zur Missionsgeschichte Sri Lankas, die gegen die Einseitigkeit der Orientalismusthese stärker die Interaktion und Wechselwirkung zwischen den christlichen Kolonialherren und Buddhisten akzentuieren will; ähnlich auch Hallisey (1995); Lopez (1995).

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London Missionary Society (1804), der Baptist Missionary Society (1812), der Wesleyaner (1814), der Church Missionary Society (1820) sowie einige Missionare des American Board of Comissioners for Foreign Missions (1816) auf der Insel Fuß (vgl. Malalgoda 1976: 191f.). Zwar waren die Buddhisten bereits zuvor mit der christlichen Mission in Berührung gekommen, zunächst von katholischer Seite unter der portugiesischen Besetzung, sodann von reformierter Seite unter holländischer Verwaltung. Die Mission des 19. Jahrhunderts stellte in ihrer bereits erwähnten organisatorischen Bandbreite allerdings auch hier eine neue Herausforderung für die singhalesischen Buddhisten dar; so nahm auch deren Reaktion einen ganz und gar neuen Charakter an. Zunächst indes trafen die westlichen Missionare auf eine unerwartete Offenheit und respektvolle Würdigung des Christentums von Seiten der buddhistischen Mönche (vgl. ebd.: 212). Allerdings galt diese religiöse Toleranz den Missionaren nicht etwa als eine Tugend; sie wurde vielmehr als Apathie und religiöse Indifferenz abgewertet.39 Dabei machten sich die Missionare keine Illusionen darüber, dass diese ‚gleichmütige‘ Einstellung der Einheimischen das Unterfangen der Bekehrung ungemein erschwerte. So nimmt es auch nicht Wunder, dass der sich allmählich formierende Widerstand und das zunehmende Aufkommen eines ‚antagonistischen‘ Bewusstseins der Buddhisten samt der zugehörigen Logik eines interreligiösen Nullsummenspiels christlicherseits eher begrüßt, als mit Sorgen betrachtet wurden: „They [d.h. die Missionare, M.P.] were gratified to see that Christianity and Buddhism were at last in open combat, to find that all, in the end, would be compelled to make a definite choice between the opposing sides.“ (Ebd.: 212f.) Auch in diesem Kontext leistete die christliche Taktik der Verbreitung polemischer Schriften sowie des Einsatzes polarisierender Predigten – insbesondere anlässlich buddhistischer Zeremonien und Versammlungen – einen maßgeblichen Beitrag zur Genese dieser Opposition. Allein im Zeitraum zwischen 1849 und 1861 zirkulierten auf der Insel 1.500.000 christliche Pamphlete (vgl. ebd.: 205). Ab den 1860er Jahren fingen schließlich auch buddhistische Mönche an, entsprechende Erzeugnisse zu drucken und in Umlauf zu bringen (vgl. ebd.: 213ff.). Dies geschah allerdings erst, nachdem Appelle an die Regierung, den beleidigenden Attacken der Missionare Einhalt zu gebieten, ohne den gewünschten Effekt blieben. Als entscheidende Zäsur in der buddhistischen Reaktion auf das christliche Missionsunterfangen des 19. Jahrhunderts gilt im Allgemeinen die Debatte zwischen dem wesleyanischen Missionar David de Silva und dem buddhistischen Mönch Mohottivatte Gunananda in Panadura im Jahre 1873, bei der die buddhistische Seite dem eigenen Empfinden nach einen Triumph erzielte. Tatsächlich gingen ihr aber schon ähnliche Ereignisse öffentlich inszenierter Diskussionen zwischen Buddhisten und Missionaren voraus (vgl. hierzu ebd.: 222ff.). Seit Anfang der 1860er Jahre ließen sich die buddhistischen Mönche zunehmend auf solche Herausforderungen von christlicher Seite ein. Bei einer verabredeten Debatte im Februar 1865 verblüfften die Buddhisten ihre christlichen Gegner nicht zuletzt mit der Masse an Unterstützern, die sich zu diesem Anlass mobilisieren ließ. So hielt der Missionar George Parsons in einem Schreiben in diesem Zusammenhang sichtlich beeindruckt 39 Vgl. aber Walters (1992: z.B. 194ff.), der die These vertritt, dass die religiöse Toleranz des Buddhismus, bzw. deren „Konstruktion“, hier einen wesentlichen Impuls für das liberale Überdenken der eigenen, christlichen Mission lieferte, das dann insbesondere im 20. Jhd. Gestalt annahm.

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fest: „The one aim of the fifty priests and the two thousand followers, who assembled here on February 8, was not to defend Buddhism but to overthrow Christianity.“ (Zit. n. ebd.: 223) Und so quittierte in Panadura auch der frenetische Jubel eines zahlenmäßig überlegenen Publikums buddhistischer Laien die Abschlussrede des Mönchen Mohottivatte als Sieg.40 Dieses Ereignis bildete in mancherlei Hinsicht die Initialzündung für einen antagonistisch aufgestellten Buddhismus in Sri Lanka. Die Ereignisse und Reden von Panadura wurden schriftlich festgehalten und erreichten so die Aufmerksamkeit von Colonel H.S. Olcott, der gemeinsam mit der russischen Aristokratin Madame Blavatsky 1875 die Theosophical Society of New York gründete. Insoweit Olcott dem Christentum eher kritisch gegenüberstand und sich vom Orient religiöse Wahrheiten versprach, sah er die buddhistischen Reaktionäre als Brüder im Geiste (vgl. Gombrich/Obeyesekere 1988: 204). Er nahm mit Mohottivatte Korrespondenz auf und setzte 1880 nach Sri Lanka über, um den Buddhisten dort im Widerstand gegen die christlichen Missionare zur Seite zu stehen. Dort wurde Olcott mit offenen Armen empfangen: einerseits wegen des Legitimitätsgewinns, den die Anerkennung eines weißen Amerikaners für die Buddhisten Sri Lankas bedeuten musste, da diese von den Missionaren immerhin als kulturell unterlegen betrachtet wurden (vgl. Bechert 1984: 276); zum anderen wegen seiner brauchbaren Vertrautheit mit ‚westlichen‘ Organisationsmodellen. Die organisatorischen Innovationen, die sich in Sri Lanka im Zusammenhang mit dem buddhistischen ‚Widerstand‘ beobachten lassen, verdanken sich somit nicht zuletzt dem Wirken Olcotts. Dieser rief unter strategischen Gesichtspunkten ausdrücklich zur Imitation der christlichen Mission in Sachen Organisation auf: „If you ask how we should organize our forces, I point you to our great enemy, Christianity, and bid you look at their large and wealthy Bible, Tract, Sunday-school, and Missionary Societies – the tremendous agencies they support to keep alive and spread their religion. We must form similar societies and must make our most practical and honest men of business their managers.“ (Olcott, zit. n. Malalgoda 1976: 245)

Den Organisationen, die aus diesem Impetus entstanden sind, gilt der folgende Abschnitt. 2.2 Organisationsbildungen Obeyesekere (1970: 46f.) hat für den reformierten Buddhismus, der in weiten Teilen in Reaktion auf die christlichen Bekehrungs- und Delegitimationsbemühungen in Sri Lanka entstanden ist, den Begriff des „Protestant Buddhism“ geprägt. Damit ist zum einen die Komponente des Protests gegen die christliche Mission und die koloniale Besatzungsmacht impliziert; zum anderen ist dabei die Übernahme christlichprotestantischer Normen und Organisationsformen samt einer weitreichenden LaienPartizipation im Blick.41 Insbesondere der organisationale Aspekt soll im Vorder40 Vgl. Brekke (2002: 64ff.) für einen biographischen Hintergrund zu Mohattivatte Gunananda. 41 Der Begriff hat auch bei anderen Autoren Anklang gefunden; siehe nur Bond (1988: 45ff.); Malalgoda (1976: 189ff.).

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grund der folgenden Betrachtung stehen. Fünf Organisationen sind zu diskutieren, deren Gründungen auch Bezüge zur christlichen Bekehrungsoffensive aufweisen und die zum Teil bis in die Gegenwart fortwirken. Diese sind die Society for the Propagation of Buddhism, die Buddhist Theosophical Society, die Maha Bodhi Society, die Young Men’s Buddhist Association (YMBA) sowie der All Ceylon Buddhist Congress (ACBC). Noch bevor Olcott dem buddhistischen Widerstand seine Unterstützung anbot und die Entwicklung in Sri Lanka beeinflussen konnte, hatte sich mit der Society for the Propagation of Buddhism bereits eine Organisationsgründung in Reaktion auf die christlichen Bekehrungsaktivitäten vollzogen.42 Die Gesellschaft wurde 1862 durch den bereits erwähnten Mönchen Mohottivatte Gunananda gegründet; insbesondere sie zeichnete für die bereits erwähnten Traktate und Pamphlete verantwortlich, in denen der Buddhismus nun gegen das Christentum ‚anschrieb‘. Dabei wurden in der Hauptsache Versuche unternommen, die christliche Doktrin argumentativ zu ‚widerlegen‘, ähnlich wie es die christliche Gegenseite auch hinsichtlich der Glaubensvorstellungen des Buddhismus unternahm. Der Name der Gesellschaft indiziert bereits deutlich, dass es sich hierbei um eine unverhohlene buddhistische Kopie der Society for the Propagation of the Gospel handelt, die seit den 1840ern auf der Insel publizistisch aktiv war. Die buddhistische Organisation nutzte dabei für ihre Aktivitäten eine Druckerpresse, die (ironischerweise) 1855 durch die Church Missionary Society veräußert wurde. Das Unternehmen avancierte bald zum Herausgeber mehrerer regelmäßig erscheinender Zeitschriften. Auf christlicher Seite wurde entsprechend mit eigenen „periodicals“ nachgezogen, so dass sich über längere Zeit hinweg stets zwei Zeitschriften in Sri Lanka in einem kontinuierlichen Schlagabtausch befanden. Es war dies bereits ein Vorgeschmack auf jene organisatorischen Initiativen auf buddhistischer Seite, die sich in den folgenden Jahrzehnten unter dem Einfluss von Colonel Olcott in Sri Lanka abspielen sollten. Colonol Olcott gründete 1880 unmittelbar nach seiner Ankunft eine Theosophical Society mit einem buddhistischen und einem nicht-buddhistischen Zweig (vgl. Malalgoda 1976: 246). Während letzterem kein Erfolg beschieden war, bot die Buddhist Theosophical Society (BTS) buddhistischen Laien eine Möglichkeit organisatorischer Zugehörigkeit und Betätigung und war somit maßgeblich an der Genese des Bewusstseins eines buddhistischen ‚Blocks‘ vis-à-vis dem Christentum beteiligt.43 Eine ihrer entscheidenden Wirkungen entfaltete die BTS auf dem Gebiet der Erziehung. Wie auch in den anderen Kontexten britischer Kolonialherrschaft hatten die christlichen Missionsschulen im Bereich der Bildung eine Monopolstellung inne, die ihnen einen strategischen Vorteil im Hinblick auf ihren Bekehrungsauftrag verschaffte. Denn wie etwa in Indien galt eine westliche Ausbildung als Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere. Diese war in der Regel aber nur an Missionsschulen zu erlangen und kam folglich zu dem Preis, sich zugleich christlicher Apologetik aussetzen zu müssen. Die buddhistischen Klosterschulen boten hier kein tatsächliches Äquivalent für die säkulare Ausbildung, die man für das berufliche Fortkommen benötigte. Zwar kam es bereits mit der Errichtung des in religiöser Hinsicht neutralen Department of Public Instruction im Jahre 1869 zur Gründung erster buddhistischer Schu42 Vgl. zum Folgenden Malalgoda (1976: 220f.). 43 Ich halte mich hier in der Hauptsache an Bond (1988: 48ff.); Malalgoda (1976: 232ff.).

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len; diese durften je nach Qualität ihres säkularen Curriculums auch mit finanzieller Förderung durch die Kolonialverwaltung rechnen. Aufgrund mangelnder Organisationserfahrung konnte ein effizienter Betrieb allerdings oft nicht lange aufrechterhalten werden; so wurde die finanzielle Unterstützung der Regierung in der Regel nur wenige Jahre später wieder entzogen. Erst als sich Olcott und die BTS der schulischen Ausbildung annahmen, konnten die Buddhisten eine wirkliche Alternative zur christlichen, insbesondere protestantischen Konkurrenz bieten. Olcott mobilisierte über Spendensammlungen die hierfür benötigten Ressourcen. Die Schulen folgten dabei dem christlichen Vorbild – ihnen wurde lediglich ein buddhistischer Anstrich verliehen. So zierten etwa statt der üblichen christlichen Heiligen nun buddhistische Namen die Schulen, beispielsweise Ananda, Nalanda, Rahula oder Mahabodhi (vgl. Obeyesekere 1970: 46). Und statt christlicher Religionslehre wurde buddhistischer Religionsunterricht angeboten. Hier kam ein von Olcott konzipierter buddhistischer Katechismus zum Einsatz, der ein Analogon zu dem Katechismus darstellte, den die christlichen Missionare in ihren Schulen verwandten. Jener folgte dem westlichorientalistischen Verständnis eines klassischen, dem Christentum in Rationalitätsgesichtspunkten gar als überlegen erachteten Buddhismus; nach Tilgung einiger theosophischer Elemente wurde er auch von den Mönchen ratifiziert (vgl. Obeyesekere 1995: 248). Ansonsten waren die Curricula der christlichen und buddhistischen Erziehungsanstalten von identischem Charakter. Für die englische Ausbildung in den buddhistischen Schulen sorgten amerikanische und englische Theosophen sowie Singhalesen, die einst selbst eine westliche Ausbildung durchlaufen hatten. Bis 1890 entstanden so 142 buddhistische Schulen, von denen einige es gar mit der Ausbildung der besten christlichen Schulen aufnehmen konnten. Neben ihren Vorstößen auf dem Gebiet der Erziehung widmete sich die BTS zugleich der polemischen Auseinandersetzung mit dem Christentum, wie es zuvor die Society for the Propagation of Buddhism tat. Zu diesem Zwecke unterhielt die BTS Zeitschriften wie z.B. „The Buddhist“. Neben der BTS gehörte seit 1891 die Maha Bodhi Society zu den treibenden Agenten jener buddhistischen Reformbewegung, die sich in Reaktion auf die christlichen Herausforderer formierte. Gegründet wurde sie durch Anagarika Dharmapala, der anfangs unter starkem Einfluss von Olcott und Balvatsky stand, sich mit der Zeit aber zunehmend von der BTS distanzierte. Dharmapalas Biographie war von frühen Kränkungen durch die anti-buddhistische Polemik seiner christlichen Lehrer an der Missionsschule geprägt (vgl. hierzu Obeyesekere 1976; siehe auch Seneviratne 1999: 28f.). Eine Begegnung mit Olcott führte Dharmapala, der damals noch Don David Hevavitharana hieß, schließlich zu der Entscheidung, sein Leben dem Buddhismus zu widmen (vgl. hierzu Bond 1988: 53ff.). Der Namenswechsel zu „Dharmapala“ (d.h. „Wächter des Dharma“, vgl. Seneviratne 1999: 29) erfolgte mit dem Beitritt in die BTS; daran schloss das Gelöbnis zum Leben als „brahmacharin“ an. Dharmapala sah sich als Verfechter eines modernen, rationalen Buddhismus. ‚Sein‘ Buddhismus war der Buddhismus der Orientalisten und Indologen: Dharmapala war ein glühender Verehrer der Arbeiten westlicher Gelehrter wie Thomas William Rhys Davids und Henry Clarke Warren (vgl. Bond 1988: 56). So hegte Dharmapala einerseits Bewunderung für das westliche Gesellschaftsmodell mit seinen aufgeklärten, entzauberten Elementen, das er auch anlässlich seines Auftritts als Repräsentant des Buddhismus im World Parliament of Religions in Chicago 1893 zu sehen

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bekam. Andererseits verachtete er die britische Kolonialherrschaft, den ‚westlichdekadenten‘ Lebensstil und den im christlichen Gewand daherkommenden kulturellen Überlegenheitsgestus der Missionare. Seine Attacken galten so einerseits dem volksreligiös-abergläubischen Buddhismus, andererseits dem christlichen Herausforderer. Beide Gegner verschmolzen in einem Narrativ, dem zufolge der ‚Verfall‘ des Buddhismus und die Abkehr von seinen reinen, asketisch-rationalen Elementen allen voran dem degenerativen Einfluss der westlichen Invasoren geschuldet sei; ein Topos, der auch in der Gegenwart angesichts der evangelikalen Präsenz in Sri Lanka bedient wird.44 Mit der Gründung der Maha Bodhi Society verfolgte Dharmapala entsprechend ein Restaurationsanliegen: Es galt den Buddhismus in der Variante wiederherzustellen, die ihm als die wahre vorschwebte.45 Sein antimissionarisches Engagement gewann dabei zunehmend eine nationalistische Färbung: Zu den religiösen Rationalisierungs- und Reformbemühungen gesellten sich Ambitionen singhalesischer Unabhängigkeit. Dennoch war sein Engagement für den Buddhismus von transnationalem, ökumenischem Charakter. Nationalistische Gesinnung und transnationaler PanBuddhismus ließen sich auch an dieser Stelle in einem einzigen Narrativ zusammenbinden: Hier stand Sri Lanka als Hüterin des unverfälschten Buddhismus in der Verantwortung, der Degeneration des Buddhismus weltweit entgegenzuwirken – geradezu im Sinne einer „manifest destiny“ (vgl. Bond 1988: 55; Seneviratne 1999: 35). Noch heute verschreibt sich die Maha-Bodhi-Gesellschaft diesem Ziel und versteht sich als aktive Förderin und Garantin eines Welt-Buddhismus (vgl. Gom brich/Obeyesekere 1988: 206). Zu ihrer Satzung zählen u.a. die Aufgaben, dem spirituellen, intellektuellen und sozialen Wohl der Buddhisten in Sri Lanka im Besonderen und der Welt im Allgemeinen zu dienen; Schulen, Hospitäler, Waisenhäuser, Bibliotheken, Museen, Stipendien etc. zu stiften; buddhistische Presse- und Publikationsorgane einzurichten; sich der Verkündung des Buddhismus zu widmen und mit gleichgesinnten Institutionen zu kooperieren (vgl. Ratnatunga 1991: 9). Von der missionarischen Agenda wird im nächsten Abschnitt zu sprechen sein. Der Buddhismus, den Dharmapala und die Maha-Bodhi-Gesellschaft vertrat bzw. vertritt, sieht folglich statt Weltflucht innerweltliches Wirken und soziales Engagement gemäß buddhistischen Werten vor; dabei werden intermediäre Heilsmöglichkeiten auch für Laien zugestanden. Die Kluft zwischen weltfernem Mönchtum und unqualifizierten Laien wird dabei weitreichend überbrückt (vgl. Bond 1988: 58; Obeyesekere 1976: 246ff.). Die Rolle des „Anagarika“, die Dharmapala für sich erfand, hält folgerichtig selbst eine Zwischenstellung zwischen Mönchtum und Laientum inne. Zwei weitere Organisationen, die in Reaktion auf den christlichen Missionskontakt im 19. Jahrhundert entstanden sind und bis heute fortbestehen, sind die 1898 gegründete Young Men’s Buddhist Association und der 1919 aus ihr hervorgehende All Ceylon Buddhist Congress. Bei der YMBA ist das spiegelbildliche Verhältnis zur YMCA selbstevident. Neben erzieherischen und kulturellen Angeboten zeichnete sich die YMBA insbesondere durch soziale Hilfsangebote und den Ausbau von Hos44 Vgl. Obeyesekere (1995: 251); für die Gegenwart siehe Berkwitz (2006: 57; 2008b). 45 Einen entscheidenden Impuls lieferte hier auch der Besuch eines buddhistischen Wallfahrtsortes in Indien, des Bodh Gaya; zu Dharmapalas Entsetzen reklamierte inzwischen der Hinduismus diese Stätte für sich (vgl. Bond 1988: 54).

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pitälern und Waisenhäusern aus (vgl. Bond 1988: 65ff.). Der ACBC gründete zu diesem Zwecke einen National Council of Social Services. Eine treibende Kraft dahinter war auch hier die Annahme, dass dieses Ressort das zentrale Einfallstor für christliche Bekehrungen in der singhalesischen Bevölkerung bot. Soziale Angebote sollten den Buddhisten offen stehen, ohne dass sie sich dabei der Gefahr aussetzen mussten, zu einer fremden Religion bekehrt zu werden (vgl. Bond 1988: 67). Gleichzeitig kamen sie damit dem Vorwurf sozialer Gleichgültigkeit bei, einem wiederkehrenden Topos in der christlichen Polemik (vgl. ebd.). Die Institutionen folgten entsprechend in organisationaler Hinsicht auch hier in der Regel den christlichen Modellen. Im Zuge des Tsunamis von 2004 hat sich in Sri Lanka die Kritik an christlicher Mission im Gewand von sozialen Hilfsangeboten noch einmal verstärkt. Tatsächlich sind Fälle christlich-evangelikaler Organisationen bekannt, die ihre Krisenunterstützung mit aktiver Missionstätigkeit verbinden (vgl. hierzu Matthews 2007). In diesem Zusammenhang kamen erneut Absichten und Initiativen der Gründung buddhistischer Hilfsorganisation auf, die entsprechende Angebote ohne das Bekehrungsrisiko zur Verfügung stellen (vgl. Berkwitz 2008a: 211). Auch hier liegen also Hinweise auf eine ‚Befangenheit‘ in einem Sinnzusammenhang vor, der religiösen Zugehörigkeiten eine besondere Relevanz zuschreibt. Die YMBA übernahm in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ferner die Zeitschrift „The Buddhist“, die zuvor vom BTS herausgegeben wurde. Der All Ceylon Buddhist Congress ist bis heute ein wichtiges Beobachtungsorgan der Buddhisten Sri Lankas. Er hat sich in bislang zwei bedeutenden Untersuchungskommissionen der Bestandsaufnahme von Bekehrungsaktivitäten und christlicher Ausbreitung in Sri Lanka angenommen; die daraus hervorgehenden Berichte bilden eine wichtige Grundlage des pro-buddhistischen Lobbyismus in Sri Lanka. Diesem Gesichtspunkt wird sich unten noch der entsprechende Abschnitt zur Konversionsbeobachtung zuwenden. Gleichwohl enden die Ambitionen des ACBC nicht an den Grenzen Sri Lankas. Besondere Bedeutung erlangte er anlässlich der Vorbereitungen zum „Jayanti“ im Jahre 1956, dem 2500-jährigen Jubiläum des Todestags Siddharta Gautamas bzw. seines Eintritts ins Nirvana. Schon 1950 veranstalte die ACBC in diesem Zusammenhang eine Konferenz, zu der Repräsentanten aller buddhistischen Länder geladen waren (vgl. Bond 1988: 76f.). Hieraus ging die Gründung des World Fellowship of Buddhists hervor. Dieser buddhistische Dachverband hat bis heute das Ziel, alle Buddhisten der Welt dazu zu animieren, einheitlich für das „dhamma und den Frieden“ einzutreten (vgl. ebd.). An das „Jayanti“-Jubiläum war auch ein neues Selbstbewusstsein des Buddhismus als globale Religion gekoppelt. So berichtet der Missionswissenschaftler Georg Friedrich Vicedom (1959: 13) von einer Weltkarte, die während der Jubiläumsjahre 1954-1956 auf einem öffentlichen Platz in Colombo ausgestellt war und vermittels Glühbirnen die gegenwärtige Ausbreitung des Buddhismus auf der Erde veranschaulichte. Ferner ging hiervon auch ein neuer Impuls für die buddhistische Missionstätigkeit aus. Diese hatte bereits im 19. Jahrhundert in Reaktion auf das Christentum im singhalesischen Buddhismus zu einer neuen Form gefunden. Diesem Gesichtspunkt gilt der folgende Abschnitt.

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2.3 Buddhistische Mission und die gegenwärtige Kontroverse um Bekehrungen in Sri Lanka Jüngere Arbeiten stellen in Frage, ob der Buddhismus bereits vor dem 19. Jahrhundert eine missionierende Religion war. So vertritt etwa die Arbeit von Walters (1992; vgl. auch 2005) die These, dass die Klassifikation des Buddhismus als missionierende Religion ein Fabrikat westlicher Interpretationsschemata sei. Passagen in den heiligen Schriften, die zum Wanderpredigen aufrufen, gelten Walters (1992: 211) noch nicht als Indiz für eine auf Proselytismus und Bekehrung abstellende Missionsperspektive. Vielmehr wurde ein einschlägiges Buddha-Zitat, das zur Predigt und Verbreitung des „dharma“ aufruft, Walters (2005: 6077) zufolge allein im Zuge einer dekontextualisierenden und christlich voreingenommenen Lesart zum buddhistischen „Missionsbefehl“ stilisiert. Die Ausbildung eigentlicher Missionsstrukturen sei tatsächlich erst im 19. Jahrhundert im Kontakt mit westlichen Missionsunternehmen erfolgt (dazu kritisch Learman 2005; vgl. auch Kemper 2005). Gleichen Datums sei auch das Konzept der buddhistischen Konversion und das buddhistische Missionsvokabular; so etwa das Wort „dharmaduta“, die Sanskrit-Bezeichnung für „Missionar“ (vgl. Walters 2005: 6080f.). Wie man diese These auch bewerten mag, weitaus unumstrittener ist, dass sich im 19. Jahrhundert weitreichende Veränderungen in den buddhistischen Missionsstrukturen vor allem ausgehend vom singhalesischen Kontext vollzogen. Insbesondere mit Anagarika Dharmapala kam ein missionarischer Buddhismus mit modernen organisationalen Formen auf den Plan (vgl. Kemper 2005: 27). Die Missionsinteressen Dharmapalas waren direkt an seine Ambition gekoppelt, den Buddhismus auch jenseits von Sri Lanka in seiner reinen, ursprünglichen Form zu restaurieren bzw. zu verbreiten. So verstand sich Dharmapala anlässlich seines Auftritts beim World Parliament of Religions in Chicago 1893 tatsächlich als ersten buddhistischen Missionar im Westen (vgl. Brekke 2002: 105). Wie auch in anderen Zusammenhängen galt Dharmapala das Christentum in Sachen Bekehrung dabei zum Teil als ausdrückliches Vorbild, obgleich sich gegen dessen Einfluss die eigenen Initiativen ja in weiten Teilen richteten. Den Mönchen seiner Zeit warf Dharmapala Tatenlosigkeit in missionarischen Dingen vor; er tat dies im direkten Vergleich mit dem christlichen Missionseifer: „It is possible to say with definiteness that if there are virtuous monks today it is possible to propagate Buddhism in diverse foreign lands as was done before. Many padres from England and America leave their country and their loved ones and go to Africa where there are very fierce and uncivilized people, and to Australia which is situated far to the south, to propagate the Christian dharma. But it is greatly saddening to find our monks practicing indifference, and have no intention of propagating Buddhism in the provinces.“ (Zit. n. Seneviratne 1999: 38)

Wie Seneviratne (1999: 41f.) festhielt, scheint dabei auch die Heilsarmee eines der Vorbilder in der Organisation der buddhistischen Mission gewesen zu sein. Dharmapalas Idee einer „counter army“ (ebd.) bildet dabei wiederum ein buddhistisches Komplement: „In 1883 a preacher of the Salvation Army named Gladwin landed in Colombo with his wife and children, rented a house on Kalser Street in Pettah, and started work in a corrugated metal

426 | W ELTBEKEHRUNGEN roofed hall. On many occasions I went to that corrugated metal roofed hall and listened to the speeches made there. The army that started very humbly has now reached fullness. Buddhists should [take this lesson and] resolve to establish [an army of their own known as] a Roar of Liberation Army (Vimukti Ghoaska Samudara). [...] Preachers of various creeds come to Lanka and mislead the Buddhist public. A delegation of Buddhist preachers should go to preach in foreign countries. Buddhists are under orders to teach the dhamma to those who commit sinful acts and to place them in virtue.“ (Zit. n. Seneviratne 1999: 41; Kürzung M.P.)46

Zu solchen Missionszwecken wurde selbst noch die traditionelle buddhistische Predigt, „dharmadesana“, der christlichen Predigt in Länge und Form stark angeglichen (vgl. Seneviratne 1999: 47ff.). Die in diesem Kontext entstandenen Missionsaktivitäten erhielten nun mit dem „Jayanti“-Jubliläum der 1950er Jahre neuen Schwung. Mit dem Jubiläumsgeist verbanden sich ähnliche ‚eschatologische‘ Töne, wie man sie von der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts kennt (vgl. Bond 1988: 77ff.). So war das Jubiläum einem traditionellen Glauben zufolge dazu bestimmt, mit einem nie zuvor dagewesenen Wiederaufleben des Buddhismus an allen Orten der Welt einherzugehen. Die Missionsaufrufe, die in diesem Zusammenhang erklingen, erinnern an den globalen Missionseifer des Christentums im 19. Jahrhundert. So heißt es in der Einleitung zum „Jayanti“-Sonderband der bereits erwähnten Zeitschrift „The Buddhist“: „Now, more than ever before, the world needs the message of the Buddha, his teaching of tolerance and tranquility.“ (Malalasekera 1956: 1; zit. n. Bond 1988: 78) Mit dem neuen Akzent auf Weltmission verbindet sich dabei eine Emphase auf das Erreichen aller; die Lehre soll ausdrücklich von jedem Menschen aufgenommen werden. So gibt ein Beitrag in derselben Ausgabe zu verstehen: „It is but our duty and birthright to see this unique teaching imbibed by all humanity.“ (Gunasiri Mahathera 1956: 33; zit. n. Bond 1988: 78) Wie Bond (ebd.) darlegt, nahm sich in diesem Zusammenhang der All Ceylon Buddhist Congress und die neu gegründete World Fellowship of Buddhists der Sendung von buddhistischen Missionaren an. Hierzu wurde eigens ein Dhammaduta Activities Committee eingerichtet. Beflügelnd wirkte dabei auch der neue Erfolg im Westen; dort erwärmte man sich seit Dharmapalas Auftritt im World Parliament of Religions zunehmend für den Buddhismus (vgl. ebd.).47 Die buddhistische Mission bzw. Gegenmission in Sri Lanka spielt gegenwärtig allerdings keine den hinduistischen Rekonversionskampagnen vergleichbare Rolle in der Auseinandersetzung mit dem pfingstlich-evangelikalen Christentum. Nichtsdestotrotz erregt auch hier insbesondere seit den 1980er Jahren die neue institutionelle Präsenz und aggressive Missionspolitik der „Dritten Welle“ die öffentliche Aufmerksamkeit (vgl. Perera 1998: 25). Die offensiven Techniken der Hausbesuche48, der 46 Für eine Deutung von Dharmapalas Reaktionen auf die Erfahrungen und Folgen christlicher Mission, die ihnen eine „überkompensatorische“ Symbolik zuspricht, vgl. Obeyesekere (1970: 49). 47 Vgl. Baumann (2001) zur globalen Verbreitung des Buddhismus; für die globale Mission des thailändischen Buddhismus vgl. Scott (2008). 48 Perera (1998: 44f.) nennt in diesem Zusammenhang unter anderem die Ceylon Every Home Crusade, eine evangelikale Organisation, die seit den 1970er Jahren mit der persönlichen

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Distribution von Literatur sowie der öffentlichen Evangelisations- und Heilungsveranstaltungen machen die Pfingstevangelikalen zu einem deutlich sichtbaren Element in der religiösen Landschaft Sri Lankas (vgl. Perera 1998: 49). Wie Elizabeth Harris (2006: 205ff.) anmerkt, ruft diese Evangelisierungspolitik Erinnerungen an die Situation des 19. Jahrhunderts wach; diese sei tief im nationalen Gedächtnis der Bevölkerung verankert und mit ein Grund dafür, dass die buddhistischen Reaktionen besonders feindselig ausfallen. Letztere nehmen in Sri Lanka aber eher den Weg der Öffentlichkeitsarbeit. Hier wird im öffentlichen Raum für die christliche Missionsgefahr sensibilisiert und vor allem politischer Widerstand organisiert. Speerspitze des Protests war bis vor einigen Jahren der inzwischen verunglückte Mönch Gangodawila Soma (1948-2003) (vgl. Berkwitz 2006: 55ff.; 2008b). Der charismatische und äußerst populäre Soma vertrat einen buddhistischen Nationalismus: Er setzte sich für die Rückbesinnung auf buddhistische Traditionen sowohl in religiösen wie auch in politischen Dingen ein. Entsprechend war er ein unerbittlicher Kritiker der pfingstlich-evangelikalen Bekehrungsaktivitäten; die christliche Mission galt ihm als zentrale Ursache für den angeblichen moralischen Verfall der singhalesischen Gesellschaft.49 Dabei ist insbesondere sein Einsatz von modernen Massenmedien für die Verbreitung seiner Gedanken hervorzuheben.50 Sowohl im Radio, im Fernsehen als auch in den Printmedien verhandelte er eine Bandbreite von Themen, zu denen auch die religiöse Konkurrenz auf Sri Lanka gehörte (vgl. Berkwitz 2008b: 85f.).51 Er propagierte ganz dezidiert einen exklusivistischen Buddhismus; entsprechend verurteilte er all jene „schädlichen Buddhisten“, die von einer grundlegenden Einheit und einem gemeinsamen Kern aller Religionen ausgingen. Die Durchsetzung eines solchen exklusivistischen Religionsverständnisses scheint mir die Voraussetzung für eine Sensibilität gegenüber Konversionen zu sein. So gründeten einige Mönche kurz nach der Beerdigung Somas die Jathika Hela Urumaya (JHU), eine Partei, die sich insbesondere für das Verbot „unethischer Bekehrungen“ stark macht. Tatsächlich bildet dies den ersten Punkt ihres Parteiprogramms (vgl. Berkwitz 2008a: 208). Damit sind mutmaßlich ,unlautere‘ Bekehrungsstrategien insbesondere der pfingstlich-evangelikalen Missionsorganisationen im Blick. Die JHU errang bei der Wahl 2004 aus dem Stand 9 Sitze und reichte umgehend einen Entwurf für ein „Anti-Konversionsgesetz“ ein (vgl. ebd.: 208f.). Seitdem steht „AntiKonversionsgesetzgebung“ regelmäßig zur Debatte; zwischen 2005 und 2006 gab es allein vier solcher Vorstöße (vgl. Matthews 2007: 457). Allerdings führte davon bislang keiner zu einer tatsächlichen Verabschiedung eines solchen Gesetzes; dies würde den säkularen Charakter der Verfassung auch weitgehend unterminieren. Wie Matthews (2007: 471) konstatiert, dürfte dabei auch die singhalesische Sorge um internationale Anerkennung, vor allem seitens der USA, eine Rolle gespielt haben.

Mission an der Haustür befasst ist; vgl. hierzu auch: http://ceylonehc.org/page/about-us vom 16.04.2011. 49 Wie gesehen, lässt sich dieser Diskurs bis zu Dharmapala zurückverfolgen. 50 Vgl. auch Berkwitz (2003: 63ff.) zum neueren Phänomen einer medialen Präsenz des Buddhismus in Sri Lanka. 51 Dabei hatte Soma Tamilen und Muslime nicht weniger im Visier als die christlichen Missionare und NGOs.

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Auch hier gilt, dass politischer Lobbyismus und Aktivismus nicht gegen, sondern für die ‚implizite Anerkennung‘ einer Konversionsorientierung spricht. Unzweifelhaft ist allerdings auch, dass eine Verlagerung der Konkurrenz auf das religiöse ‚Kerngeschehen‘ einen deutlichen Ausdifferenzierungsschub implizieren würde. Ein solcher lässt sich hier indes nicht im gleichen Maße konstatieren wie etwa im Falle der Bekehrungs- und Rückbekehrungsdynamiken in Indien. Gleichwohl sind die Versuche, Konversionen abzuwenden, auch hier nicht auf die politischen Vorstöße der JHU begrenzt. Nicht zuletzt der ausbleibende Erfolg in diesem Zusammenhang legt alternative Strategien nahe. So sind, wie Berkwitz (2008a: 209) bemerkt, zahlreiche weitere Gruppen jenseits der Politik im Kampf gegen die christlichen Bekehrungsaktivitäten involviert. Dabei wird vor allem publizistisch vorgegangen: So zirkulieren zahlreiche Pamphlete, die Buddhisten über mögliche Antworten und Reaktionen auf die klassischen Polemiken und Annäherungen christlicher Missionare informieren; die Anstrengungen dienen gewissermaßen einer ‚Wappnung‘ bzw. Immunisierung gegen die christliche Mission (vgl. ebd.).52 Trotz des eher defensiven Charakters solcher Maßnahmen scheint man auch hier davon sprechen zu dürfen, dass sich eine Summenkonstanzlogik in der interreligiösen Beobachtung auf Seiten der singhalesischen Buddhisten durchgesetzt hat. Davon zeugt auch die regelmäßige Beobachtung der christlichen Bekehrungsaktivitäten; die bekehrungsorientierte Relevanzstruktur tritt dabei deutlich zutage. Diesem Gesichtspunkt wendet sich der nächste Abschnitt zu. 2.4 Konversionsbeobachtung Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts etablierten sich in Sri Lanka etliche Publikationsorgane, die sich neben einer buddhistischen Apologetik auch der Beobachtung der Aktivitäten des christlichen Antipoden annahmen. An zentraler Stelle stand dabei die bereits erwähnte Zeitschrift „The Buddhist“ (1888), die zunächst von der Buddhist Theosophical Society und später von der YMBA herausgegeben wurde. Auch gegenwärtig liegt mit der seit Mai 2002 monatlich erscheinenden Zeitschrift „The Buddhist Times“ ein singhalesisches Reflexionsorgan vor, dass sich ganz ausdrücklich in den Dienst der Sensibilisierung für die Bedrohung christlicher Bekehrungsaktivitäten stellt.53 In dem Leitartikel der ersten Ausgabe mit dem Titel „Why a Buddhist Times“ wird auf die vielfältigen Gefahren aufmerksam gemacht, die dem Buddhismus in Sri Lanka drohen; an zentraler Stelle stehen dabei – neben der tamilischen LTTE und einer Vernachlässigung von staatlicher Seite – die „evangelikalen Sekten“, „who come here in the guise of tax-exempt foreign investors or as plain and simple proselytizers loaded with dollars to distribute among the poor“ (Anon. 2002a; zit. n. Berkwitz 2008a: 210). In den Ausgaben finden sich entsprechend Inventarisierungen der auf Sri Lanka aktiven „Evangelist organizations“. Daneben warnen Artikel vor den „conversion methods“ von Christen aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Süd-Korea. Genannt werden etwa die Errichtung von „community 52 Wie Perera (1998: 75f.) bemerkt, wird dabei von Seiten der Bevölkerung in der Regel kaum zwischen Evangelikalen und anderen Christen differenziert, so dass auch moderate Christen in Sri Lanka unter Generalverdacht geraten. 53 Vgl. hierzu und zum Folgenden Berkwitz (2003: 65; 2008a: 210f.).

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centres“ für Gebetstreffen, Bildungsangebote mit versteckten Bekehrungsinteressen, Programme für Wunderheilungen bis hin zu Methoden, Männer dafür zu bezahlen, sich als Mönch zu verkleiden und durch öffentliches Fehlverhalten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (vgl. Anon. 2002b; zit. n. Berkwitz 2008a: 210). Bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch der Aufruf an die Leser, gegenüber Bekehrungsaktivitäten wachsam zu sein und diese gegebenenfalls dem Vorsteher des lokalen Klosters zu melden (vgl. ebd.). Dies spricht für die Konsolidierung einer Beobachtungsperspektive auf buddhistischer Seite, die sich um den Akt der Bekehrung strukturiert bzw. auf darauf bezogene Ereignisse ausrichtet. Ein zentrales Ereignis in der Beobachtung des Christentums stellt ein Bericht dar, den eine eigens eingerichtete Untersuchungskommission, das Buddhist Committee of Inquiry, 1956 verfasste (vgl. Bond 1988: 80; Tambiah 1992: 22). Finanziert wurde dies vom All Ceylon Buddhist Congress. Es handelt sich dabei um einen Bericht zur Situation des Buddhismus in Sri Lanka. Der Bericht bildet damit ein singhalesisches Analogon zum oben erörterten „Nyogi-Report“ in Madha Pradesh in Indien. Wie Bond (1988: 80) festhält, hatte der ACBC zunächst die Regierung zu einer solchen Untersuchungskommission aufgerufen. Diese lehnte allerdings unter Berufung auf die Trennung von Religion und Politik ab; in der Folge nahm sich der ACBC selbst der Sache an. Zwischen 1954 und 1955 fanden in ganz Sri Lanka Anhörungen zur Lage des Buddhismus von Seiten des Komitees statt (vgl. ebd.: 82). Der Bericht, der in seiner englischen Übersetzung den Titel „The Betrayal of Buddhism“ trägt, ist vor allem ein Dokument des Vergleichs zwischen christlicher Mission und buddhistischem „sangha“ für die Jahre zwischen 1796 und 1948 (vgl. hierzu Tambiah 1992: 33ff.). Darin wird etwa auf die organisatorische Unterlegenheit des Buddhismus gegenüber dem Christentum aufmerksam gemacht, insbesondere was die breitgefächerte Mission des Christentums und den Bereich der Erziehung anbelangt. Vor allem wird allerdings eine ungleiche Förderpolitik der britischen Regierung getadelt.54 Der Bericht versucht durch entsprechende Reformvorschläge einer weiteren „Desintegration“ des Buddhismus, nicht zuletzt infolge christlicher Mission, entgegenzuwirken (Tambiah 1992: 34). Hierzu gehört auch die Forderung, den christlichen Schulen die Fördermittel zu entziehen und Erziehung in rein staatliche Hände zu legen. 2008 ist ein zweites Mal eine Kommission von Seiten des All Ceylon Buddhist Congress eingesetzt worden, die sich noch deutlicher der Beobachtung und Bilanzierung christlicher Missionsaktivitäten verschreibt: die Commission on Unethical Conversions.55 Dies zeugt auch davon, welche Brisanz christliche Bekehrungsaktivitäten jüngst wieder durch den vermehrten und offensiven Vorstoß pfingstlichevangelikaler Organisationen gewonnen haben (vgl. Matthews 2007; Perera 1998).56 Die Relevanzstruktur der Untersuchungskommission ist spürbar auf den Akt der Bekehrung ausgerichtet. Im Folgenden sei deshalb etwas ausführlicher aus dem Inaugu54 Zur teilweise fragwürdigen Faktizität der Ergebnisse des Berichts siehe Tambiah (1992: 183ff.). 55 Siehe hierzu den Internetauftritt unter http://www.acbc.lk/commission.htm vom 8.10.2010. 56 Dies ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil die pfingstlich-evangelikale Bewegung mit weniger als drei Prozent und das Christentum mit insgesamt knapp 10 Prozent kaum eine numerisch bedeutsame Präsenz in Sri Lanka haben (vgl. Barrett, Kurian et al. 2001: I, 695).

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rationsdokument zitiert, das die Aufgaben der Kommission in sechzehn Punkten skizziert.57 Die ersten vier Punkte betreffen dabei die Durchleuchtung der Organisationsstruktur von missionarisch aktiven Verbänden, ihrer finanziellen Quellen, ihres Einflussbereichs im Feld der Erziehung sowie ihrer eventuellen Verwendung von ausländischen Finanzmitteln für Bekehrungsaktivitäten: „1. Ascertain information enabling to identify the general structure and operational mechanism of organizations engaged directly or indirectly in converting Sri Lankan Buddhists to other religious faiths. 2. Ascertain the Sources [sic] of funding of such organizations. 3. To investigate into the disbursement of financial and other assistance by these organizations to achieve the set goals of these organizations in the fields of pre-school education, collegiate education, tertiary education or any other academic institution. 4. Is there any evidence to support the contention that funds received from foreign sources by legalized charitable organizations, foreign religious organizations, non-governmental organizations, voluntary bodies incorporated in Sri Lanka or by promoters of Board of Investment projects are surreptitiously diverted for purposes linked to conversion of Buddhists to other religions.“

Die Punkte 5-7 betreffen die Untersuchung einer Anreizstruktur für Konversionen; so etwa mögliche Benachteiligungen von Buddhisten innerhalb öffentlicher oder privater Organisationen, Bekehrungsversuche im Verbund mit humanitären Hilfsangeboten, speziell im Zusammenhang mit dem Tsunami von 2004, und anderweitige Bekehrungsstrategien: „5. Ascertain whether promotional prospects or achievements or any other gains have been deprived to any one employed in any government department, corporation, government owned other undertaking or private sector or non government organization on the basis of one being Buddhist by faith. Similarly whether there has been any occasion where any Buddhist has been induced by offer of employment, promotional prospects or other inducements if he changes the religion. 6. What are the popular strategies employed to attract unsuspecting people to other religions for conversion in urban and rural locations. 7. Is there evidence to support the view that some relief workers both local and foreign who offered to help out the victims of the December 2004 Tsunami disaster made use of that opportunity to convert Buddhists.“

Punkt 8 betrifft eventuelle mediale Angebote, die von der traditionellen buddhistischen Kultur abführen und so eine generelle Disposition zur Abkehr vom buddhistischen Glauben erzeugen. Punkt 9 fragt nach einer regionalen Häufung von Konversionsfällen: „8. Is there evidence to suggest that a consorted effort is under way by some media Institutions to distract people particularly the youth from observing traditional cultural ethos, and to undermine the country‫ތ‬s distinctive Buddhist identity with ulterior objective of creating a mind set conducive to religious conversions. 9. Are there certain locations or regions which are con-

57 Vgl. zum Folgenden wiederum http://www.acbc.lk/commission.htm. Seit Juni 2012 liegt auch eine englische Fassung des Ergebnisberichts vor. Leider war es mir bis zum Druck dieser Arbeit nicht mehr möglich, Zugang zu diesem Material zu erhalten.

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sidered relatively more conducive for conversion. If so what are their dominant characteristics.“

Punkt 10 berührt eventuelle Ursachen für Konversionen, die in einer Vernachlässigung bestimmter gesellschaftlicher Handlungsfelder durch den buddhistischen „sangha“ selbst liegen. Punkt 11 gibt die Untersuchung eventueller desintegrativer Folgen von Konversionen für Familie und Gesellschaft auf: „10. Is there evidence to show a growing tendency that lack of interest or concern on the part of some sections of the Maha Sangha about mundane matters of the Buddhist community has encouraged the laity to seek help from fundamentalists or any other religions which eventually lead to conversions. 11. Is there evidence to suggest that conversions have caused disunity and dissension in the family or society.“

Im Hinblick auf die statistische Registrierung von Konversionsakten sind vor allem die Punkte zwölf und dreizehn relevant. Hier wird um eine Bilanzierung und demographische Aufschlüsselung von Konversionen in den letzten Jahren gefragt, nach eventuellen „Reversionen“ zurück zum Buddhismus sowie nach den Ursachen einer solchen „Reversion“: „12. On the data available the commission [sic] to compile a list of conversions from Buddhism to any other religions made during the past years under the following heads. / District / Male / Female / Children under 18 years of age / religion. 13. Whether any persons who were converted had reverted to Buddhism. If so reasons for such reversions.“58

Diese Punkte liefern deutliche Hinweise auf die Übernahme einer Perspektive auf Konversion bzw. Bekehrung, die den Schemata der oben erörterten „World Christian Encyclopedia“ weitgehend analog ist. Konversion wird in beiden Fällen nach der Leitdifferenz von „conversion“/„reversion“ bzw. „conversion“/„defection“ und somit als religiöse Mobilität und Inzidenz von objektivierbaren Zugehörigkeitsentscheidungen reflektiert. Es spricht also auch im Falle des singhalesischen Buddhismus einiges für ein weitgehendes ‚Interesse‘ an der Bekehrungsproblematik, das sich historisch bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Es lassen sich Aktivitäten ausmachen, die zur Abwendung von Bekehrungen dienen; gleichzeitig haben sich hier zumindest im nationalen Kontext auch auf buddhistischer Seite Strukturen der Beobachtung und Reflexion von Konversion etabliert. All dies spricht für die Durchsetzung eines Religionsverständnisses, das auf exklusive Zugehörigkeiten abstellt und folglich eine Nullsummenlogik zugrunde legt. Wie auch in Indien dürfte dabei die Verbindung mit einer nationalistischen Ideologie eine maßgebliche Rolle spielen; da58 Die letzten Punkte des Dokuments fragen schließlich nach bislang nicht berücksichtigen, aber ebenso relevanten Aspekten und Formen von unlauteren Bekehrungen, sowie nach Empfehlungen in Bezug auf die vorangegangenen Punkte: „14. To ascertain and report generally on above matters in relation to conversion of persons by fraudulent and unethical means. 15. To ascertain on matters not covered by para 1 to 14 but relevant to conversions by fraudulent and unethical means. 16. Recommendations regarding matters referred to under para 1 to 15.“

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rauf wird in der Schlussbemerkung dieses Kapitels noch einmal zurückzukommen zu sein. Im nächsten Teilkapitel gilt es sich jedoch zunächst den muslimischen Reaktionen auf die christliche bzw. pfingstlich-evangelikale Mission zuzuwenden.

3. I SLAM (AFRIKA , I NDONESIEN ) Während bei der vorangegangenen Betrachtung hinduistischer und buddhistischer Reaktionen auf die christliche Mission allein der indische Subkontinent im Fokus lag, sind im Falle des Islam mehrere Schauplätze der Konfrontation in den Blick zu nehmen. Die Untersuchung wird sich dabei im Wesentlichen auf Ägypten, Nigeria und Indonesien konzentrieren, in denen die re-strukturierenden Effekte der christlichen Bekehrungsbemühungen besonders prägnant und in der sozialwissenschaftlichen Literatur hinreichend dokumentiert sind. Dabei ist wie gehabt bei der protestantischen Mission des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts anzusetzen. Die Missionskontakte des 19. Jahrhunderts sind dabei nicht etwa deshalb bemerkenswert, weil hier das Christentum erstmals in muslimische Regionen eingedrungen wäre. Ganz im Gegenteil sind sie vielmehr deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie bewährte Formen der Koexistenz beider Religionen aufbrechen und die Beziehungen in einen neuen Sinnhorizont stellen. So waren Christen unter den muslimischen Herrschern im mittleren Osten ausdrücklich geduldet. Als sogenannten „Dhimmis“ hatte ihnen die Ausübung ihrer Religion freigestanden, solange sie die muslimische Vorherrschaft nicht in Frage stellten (vgl. Sharkey 2004a: 98). Sieht man also von den Kreuzzügen des Mittelalters ab, die, wie unten deutlich wird, noch heute als Interpretament der christlichmuslimischen Beziehungen von Vertretern beider Religionen herangezogen werden, trugen die missionarischen Unterfangen des 19. Jahrhunderts ein neues Element in die muslimische Wahrnehmung des Christentums hinein. Allerdings wies die Mission unter den Muslimen in keinem der Missionsgebiete signifikante Erfolge auf. Die strengen Sanktionen des Islam gegenüber Apostaten ließen Konversionen buchstäblich zum Einzelfall werden. Dies lag aber auch daran, dass anders als etwa bei den lokalen Religionen Afrikas eine anti-christliche Apologetik dem Islam von Beginn an eigen war; der Koran erkennt Jesus als historische Persönlichkeit an, obgleich er ihm den göttlichen Status abspricht. Der Islam sieht sich damit in gewisser Hinsicht als ‚Christentum 2.0‘. Die muslimische Offenbarung wird dem Christentum nicht einfach nur entgegengesetzt; vielmehr wird die christliche Botschaft in weiten Teilen ausdrücklich berücksichtigt und überboten, ähnlich wie dies zuvor für das Verhältnis von Judentum und Christentum galt.59 Schon an dieser Stelle deutet sich also an, dass sich die Konkurrenz von Islam und Christentum oftmals gar nicht um tatsächlich vollzogene Bekehrungen dreht. Gleichwohl sind die interreligiösen Beobachtungen und Dynamiken, die hier in den verschiedenen Regionen zu betrachten sind, auf Konversion als potentielles Ereignis fokussiert. Die Aktivitäten stehen damit, von muslimischer wie von christlicher Seite, im Horizont möglicher religiöser Zugehörigkeitsverteilungen, die es abzuwenden, zu befördern oder zu konsolidieren gilt. Ge-

59 Zebiri (1997: 141ff.) spricht in diesem Zusammenhang vom Christentum als „ProtoIslam“.

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rade solchen ‚Verwicklungen‘ und Aufmerksamkeitsinvestitionen hinsichtlich eines dergestalt strukturierten Sinnhorizonts gilt es hier nachzugehen. Im Folgenden wird weitgehend analog zur Erörterung des Hinduismus und Buddhismus vorzugehen sein. Der Aspekt einer ‚orientalistischen‘ Konstruktion des Islam soll in diesem Zusammenhang allerdings nicht berücksichtigt werden. Obgleich sich etwa die klassische Studie von Said (1978) der westlichen Konstruktion des arabischen ‚Anderen‘ annimmt, liegt der Fall hier doch etwas anders als im Hinduismus und Buddhismus. Zum einen ist, wie eben angedeutet, die Differenz zum Christentum auch auf Seiten des Islam von Anbeginn konstitutiv für das Selbstverständnis als Religion. Zum anderen betrifft die Orientalismus-Studie Saids eher die westlicheuropäische Konstruktion einer ganzen orientalischen Kultur und nicht per se den Islam als religiösen Widerpart zum Christentum. Folglich steigt die folgende Erörterung unmittelbar bei muslimischen Organisationsbildungen ein, die in den verschiedenen Kontexten überwiegend in Reaktion auf und zur Abwehr von christliche(n) Missionsanstrengungen auf den Weg gebracht wurden (3.1). Im Anschluss daran gilt es sich der muslimischen Mission, der „da’wah“, zuzuwenden, die in diesem Zusammenhang neu auflebt und auf eine ‚Befangenheit‘ in einer bekehrungsorientierten Sinnsphäre hindeutet. In diesem Zusammenhang werden weitere muslimische Organisationen zur Sprache kommen, die unter dem ersten Punkt allein aus dem Grund nicht berücksichtigt sind, weil sie nicht primär der antichristlichen Reaktion entsprangen (3.2). Schließlich gilt es auch für den Islam die Entstehung einer sekundären Kommunikationsebene aufzuzeigen, die sich allein der Beobachtung von Konversionen widmet; auch dies spricht für die Aufdauerstellung und Kultivierung einer Relevanzstruktur, die sich für Bekehrungsaktivitäten und religiöse Zugehörigkeitsverteilungen interessiert (3.3). 3.1 Organisationsbildungen Die Betrachtung gliedert sich im Folgenden nach Regionen und wendet sich zunächst Organisationsbildungen im Sudan und Ägypten (3.1.1), dann in Nigeria (3.1.2), schließlich in Indonesien (3.1.3) zu. 3.1.1 Sudan und Ägypten Heather Sharkey (2003; 2005; 2006; 2008a; 2008b) hat in ihren Arbeiten die Begegnung des Islam mit der christlichen Mission im Sudan und Ägypten des 19. Jahrhunderts aufgearbeitet. Neben katholischen Missionsorden waren vor allem die Church Missionary Society und die American Presbyterian Mission in der Region vom Niltal bis in den Süden Sudans aktiv. Sie missionierten unter Muslimen, indigenen Religionen, aber auch unter Maroniten sowie koptischen und armenischen Christen. Obgleich die CMS bereits 1825 in Ägypten präsent war, begann die konzentrierte Mission unter den Muslimen erst ab den 1880er Jahren im Zuge der britischen Eroberung des Gebiets. Im Sudan setzte die protestantische Mission gar erst an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert ein. Um des politischen Friedens willen zeigte sich die britische Kolonialregierung wie in den meisten Missionskontexten zurückhaltend gegenüber den Interessen der christlichen Mission. Während sie Letztere unter den

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animistischen Religionen duldete, wurde etwa im Sudan die Proselytenmacherei unter Muslimen untersagt; ein Verbot, an das sich die Missionsgesellschaften allerdings selten hielten. Hier katalysierten die Missionsanstrengungen in den christlichen Schulen und Krankenhäusern immer wieder spontane Protestbewegungen unter den Muslimen.60 Nachhaltige Organisationsgründungen waren indes eher in Ägypten zu beobachten. Von größter Bedeutung ist dabei die Muslim Brotherhood (al-Ikhwan alMuslimun), die 1928 durch den ägyptischen Lehrer Hasan al-Banna gegründet wurde (vgl. hierzu auch Mitchell 1969). Obgleich hier auch nationalistische Unabhängigkeitsinteressen eine Rolle spielten, war und ist diese dem Selbstverständnis nach eine pan-islamische Institution, die sich allen Sunniten der Welt verbunden fühlt (vgl. Sharkey 2006: 72). Die Opposition gegen die christliche Mission bildete dabei von Anbeginn ein wesentliches Raison d’Être der Organisation. Entsprechend stand auf der ersten Konferenz im Jahre 1933 die Ergründung von Gegenmaßnahmen gegen die christlichen Missionsaktivitäten an zentraler Stelle (vgl. Sharkey 2008b: 129). Wie auch in Indien und Sri Lanka galt es hier den Christen auf der Höhe ihrer eigenen Missionsstrategien zu begegnen. So sollten muslimische Schulen ebenso eingerichtet werden wie muslimische Armen- und Waisenhäuser. Ferner fasste man den Entschluss, in den Dörfern Aufklärungsarbeit über die christliche Missionsgefahr zu leisten und für mehr islamischen Gehalt im staatlichen Schulunterricht einzutreten (vgl. Sharkey 2008b: 129). Die Muslimische Bruderschaft konnte sich schnell als internationale Organisation mit Ablegern in zahlreichen Ländern etablieren.61 Gegenwärtig hat sie eine Präsenz in über 70 Nationen (vgl. Grundmann 2005: 9). Auf ihr eigenes Missionsprogramm wird der nächste Abschnitt zu sprechen kommen. Kurz zuvor, im Jahre 1927, wurde in Kairo die Jami’at al-Shubban al-Muslimin gegründet. Deren englischer Name Young Men’s Muslim Association, YMMA, bringt unzweideutig zum Ausdruck, dass es sich hier um ein muslimisches Gegenprogramm zur Young Men’s Christian Association handelte; Letztere war ebenfalls in Kairo aktiv. Auf eine analoge Kopie ist die vorliegende Erörterung bereits mit der YMBA in Sri Lanka gestoßen. Zunächst sah die Satzung der YMMA allein die Förderung islamischer Werte vor. Wenige Jahre später traten jedoch dezidiert anti-missionarische 60 Vgl. zum Sudan insbesondere Sharkey (2002; 2006). 1926 formierte sich etwa im Nordsudan angesichts der Nachricht über eine angebliche Konversion eines muslimischen Mädchens eine Protestbewegung, die unabhängige Schulen ohne christliche Lehrkräfte forderte und dafür Geld sammelte (vgl. Sharkey 2006: 70). Tatsächlich konnten die Missionare angesichts der Restriktionen, die die britische Verwaltung der Mission im Sudan und Ägypten (wie auch in Nigeria) auferlegte, ihre Missionsarbeit unter den Muslimen nur innerhalb der Schulräume und Krankenhäuser und dort auch nur im Verstoß gegen das Missionsverbot verrichten. So wurden etwa Arbeiter in Krankenhäusern dazu angehalten, mit den muslimischen Patienten regelmäßig zu beten; in den Schulen wurden manchmal christliche Lehren, Hymnen und Gebete in den Unterricht eingeflochten, in Einzelfällen auch heimlich ein ganzer Kurs zum Christentum eingerichtet (vgl. Sharkey 2002: 61f.). Die raschen Proteste, die gewöhnlich in diesem Zusammenhang entstanden, verhinderten im Übrigen Bekehrungen auch dort, wo Muslime (zunächst) ein eigenes Interesse an der christlichen Botschaft bekundeten oder gar nach der Taufe verlangten (vgl. Sharkey 2002: 62, Anm. 62). 61 Vgl. für eine Diskussion ihrer gegenwärtigen Organisationsstruktur Grundmann (2005: 15ff.).

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Resolutionen mit auf den Plan: So verschrieb man sich unter anderem der Abwehr christlicher Mission, der Überwachung christlicher Veranstaltungen und dem Lobbyismus für eine islamische Erziehung an staatlichen Schulen (vgl. Sharkey 2008b: 105).62 Eine weitere Organisation, die sich hier in die muslimischen Organisationsgründungen im ägyptischen Missionskontext einreiht, ist die 1933 von Scheich Mustafa al-Maraghi ins Leben gerufene Jami’at Muqawamat al-Tansir. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name „Gesellschaft zur Bekämpfung der Christianisierung“; in englischen Quellen war für die Organisation aber die Bezeichnung Society for the Defense of Islam geläufig (vgl. Sharkey 2008b: 128). Die Ziele, die sich diese Organisation auf die Fahnen schrieb, bestanden auch hier in der Bekämpfung von Apostasie und Häresie, der argumentativen Widerlegung christlicher Polemik, der Offenlegung der „Verwerflichkeit“ christlicher Missionspraktiken sowie der Sammlung von Spenden für Waisenhäuser, in denen Kindern eine muslimische statt einer christlichen Sozialisation zuteilwerden sollte (vgl. Sharkey 2008b: 128). Diese Organisationsgründungen sprechen dafür, dass die interreligiösen Beobachtungen und Handlungsinitiativen sich auch von muslimischer Seite zunehmend an Bekehrungen orientierten bzw. entzündeten. Die Organisationen entstanden in einem Klima der Skandalisierung von einzelnen drohenden oder vollzogenen Konversionsereignissen bzw. von mutmaßlichen christlichen Diffamierungen des Islam. Diese wuchsen zum Teil zu regelrechten Affären heran (vgl. hierzu Sharkey 2008b: 116ff.): so etwa im Fall von Kamil Mansur, eines zum Christentum konvertierten Ägypters, dem eine Verunglimpfung des Islam vorgeworfen wurde; ebenso im Falle der Konversion des 18-jährigen Yusuf’Abd-al-Samad, welche auf unlautere Missionspraktiken wie Hypnose zurückgeführt wurde. Der Fall der Halbwaise Turkiyya Hasan Abu Yusuf zog dabei in ganz besonderem Maße die Aufmerksamkeit und Empörung der Öffentlichkeit auf sich. Das Kind gab in der muslimischen Presse nach einer Auseinandersetzung mit einer Lehrerin der Schwedischen Salaam-Schule in Port Said fragwürdige Missionsmethoden zu Protokoll, wohl nicht ohne Einflussnahme von Seiten der Berichterstattenden. Vorfälle dieser Art sicherten den oben genannten Organisationen breite Unterstützung in der Bevölkerung. Gleichzeitig überzeugten sie die Organisationsverantwortlichen des YMMA und der Muslimischen Bruderschaft von der Notwendigkeit einer islamischen Gegenmission in der Heimat und unter Nicht-Muslimen im Ausland (vgl. Sharkey 2008b: 120). Diese Vorfälle zeugen zudem bereits von einer (noch näher zu erörternden) dauerhaften Beobachtungs- und Agitationstätigkeit von Seiten muslimischer Presseorgane im Ägypten der 1930er Jahre. Diese leisteten einerseits die nötige Skandalisierungsarbeit im Hinblick auf Konversionsereignisse; andererseits warteten sie auch mit entsprechenden Aufrufen zu islamischen Gegenmaßnahmen auf. So erschienen etwa im Kontext der KamilMansur-Äffare in der Zeitschrift „al-Fath“ zahlreiche Artikel unter der Kopfzeile „Islam braucht Propaganda und Evangelismus“ („al-Islam fi haja ila al-da’aya wa’ltabshir“) (vgl. Sharkey 2008b: 120). 62 Christliche Missionare schrieben damals der YMMA auch die Rädelsführerschaft bei zahlreichen muslimischen Demonstrationen gegen die christliche Mission in Mansura zu, bei der unter anderem verunglimpfende und zum islamischen Widerstand aufrufende Pamphlete durch muslimische Aktivisten verteilt wurden (vgl. Sharkey 2006: 72).

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3.1.2 Nigeria In Nigeria nahm die Mission des 19. Jahrhunderts ab 1842 ihren Lauf, als die Wesleyan Mission und die Church Missionary Society im Süden Fuß fassten (vgl. Williams/Falola 1995: 17f.).63 Im muslimischen Norden war der Mission zunächst jedoch kaum Erfolg beschieden, nicht zuletzt aufgrund der Haltung der Royal Niger Company, die auch hier auf die Vermeidung von religionsbedingten Unruhen bedacht war (vgl. ebd.). Erst ab den 1940er Jahren, unter Bedingungen verstärkter Enthaltung der politischen Verwaltung in religiösen Dingen, kam es zu einer vermehrten missionarischen Penetration des Nordens (vgl. ebd.). Seit den 1960er Jahren hat zudem eine neue Missionswelle insbesondere pfingstlich-evangelikaler Organisationen aus dem Ausland eingesetzt, die auch unter den indigenen Gemeinden zu einem religiösen „revival“ und einem entsprechenden Aufblühen von Missionsaktivitäten geführt hat (vgl. Marshall 1991: 22f.). Entsprechende muslimische Reaktionen ließen hier nicht lange auf sich warten. Die ersten durchschlagenden, dezidiert anti-christlichen Organisationsgründungen liegen insbesondere im Bereich der Jugend- und Studentenbewegungen. Hackett (2001) hat in diesem Zusammenhang auf die gewichtige Rolle der Erziehungsinstitutionen in der missionarischen Auseinandersetzung zwischen dem Christentum und dem Islam aufmerksam gemacht (vgl. dazu auch Williams/Falola 1995: 30ff.). Dies betrifft zum einen die bereits angedeutete und sich mehr oder weniger in allen Kontexten einstellende Nachfrage nach westlicher Erziehung ohne den christlichen ‚Missionsballast‘. Zum anderen ist dabei die Tatsache im Blick, dass insbesondere Universitäten zu einer zentralen Arena der interreligiösen Auseinandersetzung wurden. Ab den 1940er Jahren gerieten nigerianische Erziehungsanstalten zunehmend ins Fadenkreuz von christlichen Studentenvereinigungen wie etwa der Scripture Union oder der Student Christian Movement. Diese Organisationen widmeten sich der Evangelisierung von Studenten und verteilten zu diesem Zwecke Bibeln und einschlägige Pamphlete an den entsprechenden akademischen Einrichtungen (vgl. Hackett 2001: 551). Auch die bereits in Kapitel IX erwähnte Campus Crusade for Christ war hier in der Mission aktiv. Zahlreiche indigene bzw. lokale evangelikale Missionsorganisationen von vornehmlich studentischer Zusammensetzung folgten ihrem Beispiel; so auch die Fellowship of Christian Students, die 1957 im „Middle Belt“ ins Leben gerufen wurde und sich bald den muslimischen Norden Nigerias als Missionsgebiet auserkor (vgl. ebd.). In Reaktion auf diese Indoktrinations- und Evangelisationsbemühungen formierte sich 1954 die Muslim Student Society (MSS). Ihr Ziel war eine Stärkung des Islam unter Schülern und Studenten (vgl. hierzu ebd.: 551f.; Hackett 1999: 255, Anm. 35). Zu diesem Zweck ging die MSS einer breiten Publikationstätigkeit nach, für die ihr Mittel von mitunter hochrangigen Muslimen aus weiten Teilen der muslimischen Welt zuflossen (vgl. Williams/Falola 1995: 177). Im Jahre 1987 zählte die MSS bereits über 5 Millionen Mitglieder (vgl. ebd.). Im selben Jahr machte die Vereinigung durch einen Vorfall am Advanced Teachers’ College in Kafanchan von sich reden (vgl. Ibrahim 1989; Loimeier 1992: 70ff.). Während einer evangelikalen Aktionswoche der Fellowship of Christian Students mit 63 Vgl. Ekechi (1972) für eine Studie zur Konkurrenz innerhalb der christlichen Mission, speziell zwischen katholischer und protestantischer Mission im südlich gelegenen Igboland.

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dem Titel „Mission 1987“ brach auf dem Campus ein gewaltsamer Konflikt zwischen Muslimen der MSS und Christen aus. Kurz darauf breitete dieser sich in der weiteren Bevölkerung und bis in andere Bundesländer aus. Den Anlass bildeten unter anderem ein Banner, auf dem „Welcome to Jesus’ Campus“ zu lesen war, sowie die Tatsache, dass ein zum Christentum konvertierter Muslim, Rev. Abu Bako, als Redner zu einer Missionsveranstaltung geladen war. Muslimische Studenten unterbrachen diese Veranstaltung gewaltsam, nachdem eine Studentin angeblich abfällige Bemerkungen über den Koran mitbekommen hatte. Diese Auseinandersetzung, die zu einem Verbot der MSS an Universitäten führte, spielte sich zu einer Zeit ab, in der Nigeria einen Beitritt zur Organization of the Islamic Conference, der internationalen Allianz islamischer Staaten, erwog; dies heizte den Konflikt zwischen Christen und Muslimen während dieser Phase noch zusätzlich an (vgl. Loimeier 1992: 70). Eine weitere, ‚reaktiv‘ bestimmte Organisationsgründung sei ebenfalls an dieser Stelle genannt, obgleich sie sich nicht in Nigeria vollzog. Es handelt sich um das Islamic Propagation Center International, das 1958 in Durban, Südafrika, gegründet wurde. Ihm kommt eine besondere Bedeutung für den afrikanischen Islam insgesamt und nicht zuletzt auch für den nigerianischen Kontext zu. Das Zentrum wurde von Ahmed Deedat gegründet, der 1918 im indischen Gujarat geboren wurde und 1927 nach Südafrika übersiedelte. Deedat entwickelte seine anti-missionarische Einstellung anlässlich diffamierender Polemiken gegen den Islam von Seiten christlicher Missionare, derer er 1936 Zeuge wurde (vgl. Chesworth 2006: 172f.; Poston 1992: 139; Westerlund 2003: 266ff.; Zebiri 1997: 46ff.). Wie unten noch näher zu diskutieren ist, hatte Afrika in dem 2005 verstorbenen Deedat ein muslimisches Pendant zum Pfingstevangelisten Bonnke gefunden. Von Durban aus werden anti-missionarische Traktate, Pamphlete, aber auch Audio- und Videokassetten von Veranstaltungen und Debatten Deedats über ganz Afrika verteilt. Im Abschnitt über die Revitalisierung der „da’wah“ wird auf Deedat und seine Organisation zurückzukommen sein. 3.1.3 Indonesien Auch Indonesien geriet früh in den Blickpunkt des neu aufkommenden Missionsinteresses im 19. Jahrhundert. Bereits in den 1810er Jahren wurde hier die Baptist Missionary Society aktiv; Jabez Carey, der Sohn William Careys selbst, war zu dieser Zeit in Maluku tätig (vgl. Aritonang/Steenbrink 2008: 870). Organisatorische Antworten auf die christliche Mission lassen sich von Seiten der Muslime indes vornehmlich im zwanzigsten Jahrhundert beobachten, hier vor allem in den sechziger Jahren; diese Zeit war von einer neuen Welle evangelikaler Missionstätigkeit und Massenbekehrung geprägt (vgl. ebd.). Studien von damals zeigen, dass 16 von den 35 zu jener Zeit aktiven Missionsorganisationen erst nach 1965 mit ihrer Arbeit auf der Insel einsetzten und 30 davon amerikanischen Ursprungs waren (vgl. Mujiburrahman 2006: 29). Die Muslime adressierten ihre Einwände gegen die christliche Mission zunächst an das politische System, so dass sich auch hier – wie in Indien und Sri Lanka – die Auseinandersetzung um ‚Anti-Konversionsgesetze‘ und die Auslegung der Religionsfreiheit drehte (vgl. hierzu ebd.: 33ff.). Die Beschwerden richteten sich vor allem gegen die Praxis der missionarischen Hausbesuche sowie der Armenfürsorge mit dem mutmaßlichen Zweck der Bekehrung. Zudem drängten die Petitionen muslimischer Aktivisten auf eine Unterbindung der direkten materiellen Unterstützung der

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religiösen Institutionen durch ausländische Organisationen. Dies zielte vor allem auf die christlichen Kirchen und Missionsgesellschaften mit Verbindungen in die USA ab. Darüber hinaus sollten Missionsaktivitäten sich ausschließlich auf Personengruppen richten, die keiner der staatlich anerkannten Religionen und damit auch nicht dem Islam angehörten. Diese Rechtsanliegen bildeten im Suharto-Regime den zentralen Zankapfel in der christlich-muslimischen Auseinandersetzung.64 Für den vorliegenden Zusammenhang ist hier bemerkenswert, dass die antimissionarischen Organisationsbildungen und die davon ausgehenden Aktivitäten insbesondere dann einsetzten, als der Weg über das politische System für die Muslime zunehmend aussichtslos erschien. Als etwa eine Wiederauflage der muslimischen Reformpartei Masyumi am Widerstand der Regierung gescheitert war, wurde durch Muhammed Natsir, vormals ein führender Kopf dieser Partei, die Dewan Dahwah Islamiyah Indonesia (DDII, engl.: Indonesian Council of Islamic Propagation) gegründet (vgl. Mujiburrahman 2006: 50). Ihr ausdrücklicher Zweck ist die Revitalisierung der muslimischen Form der Mission, der „da’wah“, zur Eindämmung einer fortschreitenden Christianisierung. In den Gründerjahren der Organisation wurde auf Seminaren und Konferenzen der einseitige Griff nach dem Staat als muslimische Strategie kritisiert und zum Ausbau von „da’wah“-Aktivitäten angemahnt. Dabei wurde auf die Gefahr einer Ausrottung des Islam als Folge der christlichen Mission hingewiesen und der Fall Spaniens als historisches Lehrstück herangezogen (vgl. Mujiburrahman 2006: 51). Das in diesem Zusammenhang vorgetragene Playdoyer Ida Chalids, eines Religionsführers aus dem traditionalistischen Lager in Indonesien, ist dabei besonders aussagekräftig; so kam auch hier eine organisatorische Überlegenheit des christlichen Gegners zur Sprache: „With regard to the problem of da’wah, we are often faced with the truth of the idea that well-organized falsehood sometimes can vanquish unorganized truth. [...] There is no guarantee that Islam will survive in Indonesia. [...] The one that can guarantee its survival is only the Islamic community itself.“ (Chalid 1968; zit. n. Mujiburrahman 2006: 51; Herv. M.P.) Damit ist der Aspekt eigener Bekehrungsanstrengungen von Seiten des Islam in Reaktion auf christliche Mission bereits berührt. Diesem gilt es sich im Folgenden zuzuwenden. Dabei löst sich die weitere Betrachtung von einer Gliederung nach Regionen und orientiert sich stattdessen primär an den unterschiedlichen Sachgesichtspunkten jener Entwicklung. 3.2 Revitalisierung der „da’wah“ Es wurde bereits dargelegt, dass die oben erwähnten Organisationen einen ihrer zentralen Zwecke darin hatten, christlichen Missionsaktivitäten Einhalt zu gebieten. Dieses Ziel verfolgten sie mitunter dadurch, dass sie erzieherische und soziale Angebote – klassische Instrumente und Ressorts der christlichen Mission – in einer islamischen Version anboten. Zugleich verband sich damit – teilweise von Anbeginn, teilweise 64 Dabei kam es bisweilen auch zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten einiger Muslime, die von führenden Köpfen der islamischen Reformbewegung wenn auch nicht gebilligt, so doch auf die Missionsoffensive der Christen zurückgeführt wurden; so etwa im Falle des Übergriffs von 1967 in der Stadt Makassar, bei der Kirchen und andere religiöse Einrichtungen angegriffen und beschädigt wurden (vgl. Mujiburrahman 2006: 38f.).

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erst im Laufe der Zeit – auch ein eigenes Missionsprogramm, das sich der islamischen Tradition der „da’wah“ bediente. Diese traditionell-muslimische Variante der Mission wurde dabei für gewöhnlich mit einer Methodik und organisatorischen Rationalität angereichert, die in vielerlei Hinsicht den christlichen Gegner kopierte. „Da’wah“ bedeutet buchstäblich „Einladung“ oder „Ruf“ und wird im Koran etwa in der Sure 16:125 erwähnt: „Call unto the way of thy Lord with wisdom and fair exhortation, and reason with them in the better way.“65 Wie Poston (1992: 11ff.) erörtert, vollzog sich die ursprüngliche Mission im Islam eher nicht als ein Unterfangen, das auf individuelle Bekehrungen ausgelegt war. Die Islamisierung der Gebiete erfolgte, differenzierungstheoretisch gesprochen, vielmehr durch einen Griff nach den zentralen gesellschaftlichen Funktionsbereichen. Bekehrung fand dabei gewissermaßen ‚von oben‘ statt: „The establishment of Muslim institutions [...] was an integral part of the process of Islamization. Included among these were the masjid (mosque) as a specifically religious agency, the madrasa as an educational institution, a legislative system based on the Shari’a, a court system, and an economic structure. As Islamic history developed, it became apparent that Muslim control of these institutions (particularly the legislative and judicial branches of government) contributed to the progress of Islamization, even though these structures were not used to impose Islam directly upon the people.“ (Poston 1992: 15; Herv. i.O.)

Innerhalb dieser „Islamic ambiance“ (Levtzion 1982; zit. n. Poston 1992: 16) ließen sich dann die eigentlichen Konversionen im alltäglichen Kontakt zwischen den muslimischen Eroberern und der indigenen Bevölkerung leicht auf den Weg bringen. Damit unterscheidet sich die frühe muslimische Mission grundlegend von den christlichen und buddhistischen Missionen; diese agierten in der Regel nicht von einer gesellschaftspolitischen Position der Macht aus, sondern waren auf die Duldung der jeweiligen Staatsautoritäten im Missionsgebiet angewiesen (vgl. Poston 1992: 16). Die bereits erörterten Organisationen bleiben dieser Tradition der islamischen Mission in vielerlei Hinsicht verhaftet. Dies äußert sich etwa in ihrem Eintreten für die Einführung der „shari’ia“; in Nigeria wurde diese etwa von Seiten der Muslim Student Society eingefordert und auch in Indonesien war dies in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Teil der Agenda muslimischer Vertreter (vgl. Ibrahim 1989: 73; Mujiburrahman 2006: 105ff.; Westerlund 1992: 80f.). Der Fall Indonesien zeigt aber auch, dass dort, wo ein solcher Griff nach dem Staat durch die Verfassung verbaut ist, die christliche Herausforderung zu anderen Strategien nötigt. Hier näherte man sich dem Bekehrungsprogramm der Christen an, indem man stärker auf individuelle Affiliationsbekundungen abzielte. Dieser Strategiewechsel in Indonesien, der mit der Gründung der DDII erfolgte, wurde durch Muhammad Natsir auf eine klare Formel gebracht: „[W]e are no longer conducting dakwah through politics, but engaging in political activities through dakwah.“ (Mahendra 1995: 129; zit. n. Mujibur-

65 Vgl. hierzu Poston (1992: 3f.); für einen Vergleich zwischen „da’wah“ und christlicher Mission siehe Scantlebury (1996) und Wagner (2003). Wagner (2003) klärt auch das theologische Verhältnis der „da’wah“ zu den muslimischen Konzepten des „jihad“ (Kampf), der „ummah“ (muslimische Gemeinschaft) und der 5 Säulen des muslimischen Glaubens.

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rahman 2006: 50)66 Die Gesellschaftsebene ist bei der Islamisierung zwar immer noch im Blick, jedoch liegt der erste Ansatzpunkt jetzt nicht mehr bei den staatlichgesellschaftlichen Institutionen oder Funktionsbereichen, sondern bei der Bevölkerung bzw. den zu bekehrenden Individuen selbst. Auch das Programm der Muslimischen Bruderschaft weist diese neuartige Auslegung der „da’wah“ auf, die eine Islamisierung der Gesellschaft ‚von unten‘ zu betreiben sucht. Die „da’wah“ steht bei der Bruderschaft schon früh im Zentrum ihrer Aktivitäten. Die Priorisierung des Individuums gegenüber institutionellen Bereichen als Ansatzpunkt für eine Islamisierung kommt in der Zielstruktur der Bruderschaft deutlich zum Ausdruck. So gibt Poston (1992: 67) die Reihenfolge wie folgt wieder (vgl. dazu auch Grundmann 2005: 17): „1. Make every individual a true Muslim. 2. Develop the Muslim family on Islamic lines. 3. Establish a Muslim umma (community). 4. Establish an Islamic state in Egypt.“ Wohlgemerkt ist auch hier bloß die strategische Reihenfolge umgekehrt. An dem Projekt einer ‚makrostrukturellen‘ Islamisierung wird unbedingt festgehalten. Insoweit die Mission der Bruderschaft nun aber wie die christliche Missionspraxis zunächst am Individuum ansetzte, lag auch eine Übernahme christlicher Missionsstrategien nahe. So übernahmen die Muslimbrüder etwa die Methode, Kaffeehäuser und öffentliche Plätze aufzusuchen, um dort Predigten zu halten und zur Konversion zum Islam einzuladen (vgl. Poston 1992: 66; Sharkey 2006: 72). Das Ziel einer Umformung des Individuums kommt auch in den Erziehungs- und Bildungsprogrammen zum Tragen, denen innerhalb der „da’wah“Arbeit der Bruderschaft ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. Grundmann 2005: 17). Auch in diesem Zusammenhang spricht somit vieles für einen deutlichen Ausdifferenzierungsschub einer bekehrungsbasierten Sinnsphäre. Die ‚implizite Anerkennung‘ einer konversionsbezogenen Relevanzstruktur zeigt sich nicht allein darin, dass man auf die Abwendung von christlichen Bekehrungen bedacht ist und sich zu diesem Zwecke politisch Gehör verschaffen will. Das Ausbleiben politischen Erfolgs führt zudem zur Verlagerung der anti-christlichen Anstrengungen auf die Ebene eigener Bekehrungsaktivitäten. Auf christliche Bekehrungen bzw. Bekehrungsabsichten wird nun zunehmend mit muslimischen Bekehrungsunternehmungen reagiert. Damit kommt, wie auch schon im hinduistischen Fall, ein interreligiöser Anschlusszusammenhang von Bekehrungsakten und konversionsbezogenen Maßnahmen in Gang. Diese Dynamisierung einer ‚Konkurrenz auf dem Gebiet der Bekehrungen‘ wird im nigerianischen Kontext auch durch die Organisation Jama’atu Nasrul Islam (JNI, engl.: Society for the Victory of Islam) angeschoben. Sie wird hier erst an dieser Stelle angeführt, weil es sich bei ihr um eine Organisation handelt, die nicht gleichermaßen deutlich aus der Reaktion gegen die christliche Mission heraus geboren ist, auch wenn dieser Faktor eine gewisse Rolle gespielt haben mag. Gegründet wurde sie Anfang der 1960er Jahre im nigerianischen Kahmadu durch Ahmadu Bello, dem Sardauna von Sokoto und damaligen Premierminister Nordnigerias sowie späteren Vize-Präsidenten der Islamischen Weltliga (vgl. Hock 1996: 58f.; Loimeier 1997:

66 Vgl. auch Schumann (2005: 379) zu dieser Intensivierung der „da’wah“ in Indonesien als Alternative zum Griff nach dem Staat.

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135ff.).67 Die Organisation verstand sich vornehmlich als muslimischer Dachverband mit dem Ziel, die Einheit und Verbreitung des Islam zu fördern. Zu diesem Zwecke verschrieb sie sich dem Moscheenbau, der Errichtung von islamischen Schulen, der Publikation islamischer Schriften in Volkssprachen sowie der Ausbildung von Missionaren (vgl. Hock 1996: 58f.). Dahinter stand durchaus auch ein quantitatives Ziel: Es ging darum, die Zahl der Muslime gegenüber der Zahl der Christen in Nordnigeria zu erhöhen (vgl. Ibrahim 1989: 71). Ein besonderes Augenmerk galt dabei auch der Bekehrung der Völker im „Middle Belt“ Nigerias; in groß angelegten Konversionskampagnen unternahm Bello Touren durch die Ortschaften, oft auf Wunsch der Dorfvorsteher, um Bekehrungen in großer Zahl vorzunehmen (vgl. Larkin/Meyer 2006: 306; Paden 1973: 187ff.). Dies stellte eine direkte Reaktion auf den christlichen Missionserfolg dar, der als Bedrohung für die religiöse Einheit des Nordens gedeutet wurde (vgl. auch Ibrahim 1989: 78f.). Auch hier bildete der Rekurs auf Zensusdaten einen entscheidenden Motor für das Bekehrungsunternehmen (vgl. ebd.). So offenbarten die Daten zwischen den Jahren 1931 und 1963 einen dramatischen Anstieg des Christentums unter den indigenen Völkern. Entsprechend startete Bello im Jahre 1963 eine Kampagne, die von den vornehmlich muslimischen Teilen der Provinzen Niger, Kano, Katsina und Sokoto ausging und von dort in das überwiegend christliche „Middle Belt“ vorstieß. Die Bekehrung der lokalen Völker des „Middle Belt“ gestaltete sich so als direkte Konkurrenz zwischen Christentum und Islam.68 Diese interreligiöse Konkurrenzdynamik hat in Afrika insbesondere durch die jüngeren Evangelisierungskampagnen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nicht an Aktualität eingebüßt. Reinhard Bonnkes Organisation Christ for All Nations (CfaN) spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Dramaturgie und Organisation der CfaN-Veranstaltungen wurden bereits im vorangegangenen Kapitel ausführlich erörtert. An dieser Stelle haben vielmehr deren Wirkungen auf die muslimische Gemeinschaft in Afrika zu interessieren. Das CfaN-Projekt einer „Christianisierung“ Afrikas muss dabei per se schon provozierend wirken. Das gleiche gilt für die unverhohlene Selbstbeschreibung als „crusade“ („Kreuzzug“); immerhin bilden die christlichen Kreuzzüge des Mittelalters bis heute einen populären Resonanzboden für die muslimische Betrachtung des missionierenden Christentums (vgl. Sharkey 2003; siehe auch Hackett 1999: 254). Doch auch darüber hinaus hantiert das Unternehmen mit reichlich islamfeindlicher Rhetorik. Bonnke wird es zwar in einigen Ländern von politischer Seite untersagt, bei seinen Veranstaltungen den Islam direkt zu beleidigen (vgl. Ludwig 1996: 223). Die publizistischen Begleitkampagnen stilisieren das Bonnke‫ތ‬sche Unternehmen jedoch deutlich als Offensive gegen den Islam und sind dabei um keine bellizistische Metapher verlegen. Zugleich lassen die Predigten kaum Zweifel an Bonnkes Auffassung, dass der Glaube an Jesus 67 Später wurde die Organisation von Abubakar Gumi angeführt, auf den noch im Zusammenhang der Medienverwendung zurückzukommen sein wird (vgl. Paden 1973: 184, Anm. 82). 68 Eine solche Konkurrenzperspektive tritt auch deutlich in den einschlägigen Artikeln der Missionszeitschriften des 19. Jahrhunderts hervor; so etwa im bereits erwähnten Artikel „Mohammedanismus und Christentum im Kampfe um die Negerländer Afrikas“ in der „Allgemeinen Missions-Zeitschrift“ (Merensky 1894: 145ff.); vgl. hierzu auch Sharkey (2002: 54) und die dort zitierte Literatur.

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Christus der einzige Heilsweg sei. Paul Gifford (1992: 171), der Bonnkes Aktivitäten in Afrika genauer beleuchtet hat, schreibt in diesem Zusammenhang: „Bonnke is quite open that he is conducting a campaign against Islam, moving against the Muslim lands of North Africa. Of his Jos crusade, Revival Report says: ‚Muslims vie militantly for control of the city. That fact...made the Jos crusade crucial for CfaN in its evangelistic commitment to drive upward into Africa.‘ And elsewhere: ‚Jos was one of CfaN’s most strategically important crusades for advancing north into Nigeria’s Moslem strongholds.‘ This he considers his divine mandate: ‚We are even knocking on the gates of Islamic fortresses, because Jesus has said ‚Knock and it shall be opened unto you‘.‘ Everyone understands exactly whom he is referring to when he writes: ‚We are gripped by a holy determination to carry out the Great Commission of our Lord, which is a command to attack the strongholds of Satan.‘ The widelyheralded, seemingly unstoppable advance of Christianity, exemplified by Bonnke and his seemingly limitless resources, personnel and technology, appears as the ultimate threat to Muslims. To Muslims, Bonnke’s aim is the elimination of every mosque from Africa in the shortest possible time. This elimination is to be achieved through evangelisation and not through arson (and of course the importance of that cannot be overemphasised) but in Muslim eyes the ultimate effect is the same, their cultural annihilation).“69

Wie bereits dargelegt, versucht Bonnke mit seinem Vorgehen auch lokale Gemeinden zu inspirieren. In begleitenden Workshops werden die lokalen Pastoren in den Bonnke‫ތ‬schen Evangelisierungsmethoden unterrichtet. Andere großformatige, in Afrika aktive Organisationen dieser Art sind African Evangelistic Enterprise, Tanzanian Fellowship of Evangelical Students, Calvary Ministries (CAPRO) und die hier bereits mehrfach zur Sprache gekommene Campus Crusade for Christ. Dieses Vorgehen hat nun nicht allein christliche Gemeinden und Organisationen in Afrika inspiriert. Es lassen sich auch muslimische Varianten solcher ‚Evangelisierungskampagnen‘ ausmachen und als Reaktion auf diese pfingstlich-evangelikale Missionsoffensive deuten. So ging der bereits erwähnte Ahmed Deedat und seine südafrikanische Organisation Islamic Propagation Center International in der „da’wah“-Mission geradezu spiegelbildlich zu Bonnke vor; Abun-Nasr und Loimeier (2005: 447) sprechen von einem „Gegenpropagandaprogramm“, mit dem Deedat die „crusades“ Bonnkes in der Vergangenheit begleitet habe. Auch dem Selbstverständnis nach diente Deedats Unternehmen als „countercrusade“ gegen den Versuch einer Christianisierung des afrikanischen Kontinents (vgl. Poston 1992: 141). Durch die unterhaltsame Rhetorik und den beißenden Sarkasmus erfreute sich der charismatische Prediger bei seinem Publikum einer hohen Beliebtheit: Seine Vorträge und Debatten zielten dabei auf eine argumentative Widerlegung der Überlegenheitsansprüche des Christentums ab (vgl. hierzu Westerlund 2003). Dabei galt es ihm Muslime gegen christlich-missionarische Argumente ebenso zu rüsten wie Nicht-Muslime zu bekehren (ebd.: 271). In den von seinem Center organisierten Debatten diskutierten er (oder andere Muslime) zum Teil mit führenden Persönlichkeiten der evangelikalen Szene; darunter auch Jimmy Swaggart (vgl. Zebiri 1997: 46). Eine dabei üblicherweise zum Zuge kommende rhetorische Strategie war der Versuch, Passagen der Bi69 Das Zitat findet sich auch bei Chesworth (2006: 164). Gifford zitiert in diesem Zusammenhand den „Revival Report“ 1/90E, F/90E und A/91E.

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bel oder christliche Glaubenssätze ad absurdum zu führen – eine Technik, die sich oben auch in den hinduistischen und buddhistischen Missionskontexten auf beiden Seiten ausmachen ließ. Wie die Veranstaltungen Bonnkes, so sind auch die Vorträge und Debatten Deedats als Audio- und Video-Kassetten erhältlich und werden neben Pamphleten und anderweitiger „da’wah“-Literatur durch das Center vertrieben; sie sind weltweit erhältlich, so auch im amerikanischen Kontext (vgl. Poston 1992: 192).70 Wie Chesworth (2006) erhellt, geht auch die rhetorische Technik des „mihadhara“, die insbesondere in Ost-Afrika, etwa Kenya und Tansania, verbreitet ist, auf den Einfluss Deedats zurück. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen das Christentum diskreditierenden Religionsvergleich, der im Zusammenhang mit der „da’wah“ zum Einsatz kommt. In Nigeria hat sich in Sachen Missionsveranstaltungen insbesondere die 1978 durch Ismaila Idris gegründete Izala-Bewegung (Izalat al Bid’a Walqamatal Sunna; wörtl.: „Gesellschaft für die Verhinderung von Innovationen“) hervorgetan (vgl. Hackett 2003: 54ff.; Kukah 1992: 190f.; Larkin/Meyer 2006: 298ff.; Westerlund 1992: 79). Die Izala folgt im Wesentlichen den Idealen von Scheich Abubakar Gumi, einem radikalen Anti-Sufisten, der im Laufe der 1970er Jahre in Nordnigeria zu einem der bedeutendsten Muslime aufstieg. Das Christentum bildete hier zunächst nur einen weiteren Gegner neben dem Sufismus, der angeblich vom ‚wahren‘ Islam abführte. In Anbetracht der christlichen Missionserfolge im nigerianischen „Middle Belt“ hat die Izala allerdings Anfang der 1990er Jahre den Kampf gegen die SufiBruderschaften um der muslimischen Einheit willen weitgehend eingestellt (vgl. Abun-Nasr/Loimeier 2005: 436). Mit ihren öffentlichen Kundgebungen stellt die Izala ein weiteres muslimisches Pendant zu den Evangelisationsveranstaltungen Bonnke‫ތ‬scher Couleur dar, wie man sie seit den 1970er Jahren allgemein beim pfingstlichevangelikalen Christentum in Nigeria beobachten kann (vgl. Kukah 1992: 190f.). Die Vorgehensweise bei diesen muslimischen Kampagnen ist auch hier derjenigen Bonnkes weitgehend analog: Eine Region wird Monate im Voraus als Veranstaltungsort ausgewählt und dann mit einem ambitiösen Werbefeldzug überzogen, in dem über Poster, Radio etc. auf das kommende Ereignis hingewiesen wird. Das Ereignis selbst wird, ebenso wie bei Bonnke (und bei Deedat), auf Kassetten aufgenommen, die im Anschluss innerhalb und außerhalb Nigerias vertrieben werden (vgl. auch Kane 1994). Damit ist zugleich das Phänomen einer muslimischen Adoption pfingstlichevangelikaler Missionsmethoden im Bereich der Massenmedien angesprochen. Insbesondere in Nigeria (und Ghana) lassen sich solche Imitationen beobachten (vgl.

70 Wie Poston (1992: 133) beschreibt, finden sich darunter einige Schriften, die hauptsächlich zum Zwecke der ‚Wappnung‘ von Muslimen über die Strategien und Argumente der christlichen Missionare informieren. Ein Beispiel hierfür bildet das zweibändige Werk „Missionary Christianity and Islam“ von Ahmad Shafaat. Dieser wertet darin Material aus, das in der Ausbildung christlicher Missionare verwandt wird, und setzt sich mit den dort verhandelten Vorschlägen zur Bekehrung von Muslimen Punkt für Punkt auseinander (vgl. ebd.). Eine ähnlich defensive Form der ‚informationspolitischen‘ Gegenmission wurde auch oben für den buddhistischen Kontext erörtert.

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Hackett 1998; 1999; 2003; Larkin/Meyer 2006).71 Auf der christlichen Seite sind es dort fast ausschließlich die pfingstlich-evangelikalen Gemeinden, die durch solche medialen Formen der Mission auffallen. Neben Postern, ‚Ramschliteratur‘ und Video- und Audiokassetten kommt in Nigeria insbesondere der Rundfunk in der Evangelisation zum Einsatz.72 Den kontroversen und antagonistischen Inhalten in den religiösen Sendungen sind derzeit kaum Grenzen gesetzt; das liegt einerseits an einer staatlichen Deregulation der Medien, andererseits an der ökonomischen Abhängigkeit der Stationen von den Erlösen aus dem Sendezeit-Verkauf (vgl. Hackett 2003: 62). Die katholischen und traditionellen protestantischen Kirchen folgen diesem Trend eher nicht; ihr Engagement gilt bislang weiterhin dem humanitären Bereich der Erziehung, Entwicklungshilfe und medizinischen Versorgung (vgl. Gifford 1991: 100f.; Hackett 1999: 250). Auch die muslimische Gemeinschaft gab sich in großen Teilen zunächst reserviert gegenüber einem eigenen Auftritt in den Massenmedien, zumal diesen der Hautgout westlicher Kultur anhaftete.73 Seit den 1980er Jahren kontern muslimische Aktivisten allerdings zunehmend mit medialen Gegenprogrammen. Auch hier war es Scheich Abubakar Gumi und die Izala-Bewegung, die Pionierarbeit leisteten: Der Scheich konnte mit der Federal Radio Corporation of Nigeria (FRCN) eine erste Radiostation als Plattform für seine Botschaften nutzen. Auch im Bereich der Printmedien hatte er der christlichen Mediendominanz etwas entgegenzusetzen; hier stand ihm die Zeitung „New Nigerian“ als Medium zur Verfügung. Im Süden Nigerias finden die Massenmedien indes eine noch umfassendere Verwendung von muslimischer Seite. Neben den Printmedien, denen sich muslimische Missionsgesellschaften wie Ansur-ud-deen und Anwar-ul-Islam in der Kolonialperiode zur Verteidigung und Verbreitung des Islam zuwandten, kommen heute sowohl Radio als auch Fernsehen in der „da’wah“ zum Einsatz. Diese Medien werden hier etwa von dem National Council of Youth Organisations (NACMOYO) und einer Reihe von Moscheevereinen wie der Islamic Brotherhood Group, der Young Muslim Light of Truth und der Young Muslim Gospelers Association of Nigeria in der Mission genutzt (vgl. Hackett 2003: 55). Man hat es hier mit einer regelrechten medialen Arena missionarischer Konkurrenz zu tun, die sich als rein bekehrungsbezogenes interreligiöses Geschehen ausdifferenziert. Aufgrund der Prominenz des Pfingstevangelikalismus in Nigeria bei einem gleichzeitig hohen muslimischen Anteil an der Bevölkerung ist hier die interreligiöse Dynamik besonders ausgeprägt.74 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die muslimischen Reaktionen auf christliche Bekehrungskampagnen sich nicht allein in imitierenden, missionarischen 71 Die Adoptionsverhältnisse zwischen Islam und Christentum sind indes nicht einseitig: Larkin und Meyer (2006: 308) berichten auch von einer Beeinflussung des Christentums in Nigeria durch den Islam, die sich in einer zunehmenden Politisierung und sozio-politischen Interessenvertretung bemerkbar mache. 72 Vgl. insbesondere zu den pentekostalen Posterkampagnen in Nigeria auch Ukah (2008). 73 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hackett (2003: 54ff.); Larkin/Meyer (2006: 298ff.); Westerlund (1992: 79). 74 Die in den 1980er Jahren gegründete Pentecostal Fellowship of Nigeria war schon wenige Jahre später die mächtigste Stimme in der Christian Association of Nigeria (vgl. Marshall 1991: 22), während nahezu die Hälfte der nigerianischen Bevölkerung muslimischen Glaubens waren und sind.

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Gegenmaßnahmen erschöpfen, sondern zum Teil auch gewalttätiger Natur sind. 1991 etwa musste eine Veranstaltung Bonnkes in Kano, Nigeria, abgesagt werden, weil es zu muslimischen Aufständen kam. Nachdem 8.000 Muslime die Residenz des Emirs belagerten und eine Absage der für den Folgetag geplanten Veranstaltung erwirkten, zogen Teile der Menge weiter in ein christliches Viertel, um dort zu randalieren; der Aufstand zog sich über mehrere Tage hin. Bonnkes Veranstaltung ging, wie üblich, ein breit aufgestellter, reichlich provokanter Werbefeldzug voraus: So wurde die Stadt mit „Kano for Jesus“-Postern überzogen und auch im Fernsehen und Rundfunk auf das Ereignis hingewiesen (vgl. Gifford 1992: 170f.). Gleichzeitig war zuvor dem bereits mehrfach erwähnten Prediger Ahmed Deedat die Einreise verweigert worden, während diese Bonnke andererseits gewährt wurde (vgl. Hackett 1999: 253). Auch andere Kampagnen dieser Art bergen immer wieder das Risiko gewalttätiger Reaktionen. Im Zuge einer Kundgebung in Kumasi, Ghana, bei der ein christlicher Prediger sich mit zahlreichen Bekehrungserfolgen unter Hadschis brüstete, kam es zu ähnlichen Zusammenstößen (vgl. Hackett 1999: 251, Anm. 16). Die „da’wah“-Initiativen sind indes nicht auf die hier erörterten Regionen beschränkt. Verschiedene Organisationen haben auch den Westen als Missionsgebiet auserkoren (vgl. Poston 1992). Insbesondere die Islamische Weltliga zeichnet sich in diesem Zusammenhang aus (vgl. hierzu Sicard 1976: 352ff.). Die 1962 in Mekka gegründete Organisation widmet sich im globalen Rahmen zum einen der Bekehrung von Nicht-Muslimen zum Islam; zum anderen ist es ihr Ziel, Muslime auf ihr spezifisch-saudisches Verständnis des Islam einzuschwören (vgl. Grundmann 2005: 75ff.). Sie unterhält Büros, Kultur- und Bildungszentren sowie ein publizistisches Angebot rund um die Welt. Dabei ist es ihr auch ein Anliegen, eine Assimilation der islamischen Diaspora in westlichen Ländern an die dortige Kultur zu unterbinden (vgl. ebd.: 12). Auch die World Islamic Call Society ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen; sie wurde durch das (ehemalige) libysche Staatsoberhaupt Muammar alGaddafi zum Zwecke der Verbreitung seiner Version des Islam gegründet. Die Liste ließe sich erweitern.75 Auch in den USA haben sich nationale, vornehmlich sunnitische Organisationen herausgebildet, die sich der „da’wah“ in diesem Land verschrieben haben; Poston (1992: 101ff.) nennt hier insbesondere die 1963 an der University of Illinois gegründete Muslim Student Association sowie die Islamic Society of North America. Gerade im amerikanischen Raum mit seiner denominationalistischen Verfassung der religiösen Sphäre zeigt sich das bereits diskutierte Phänomen, dass sich dort, wo die politisch-konstitutionelle Situation eine Islamisierung durch den Griff nach den Institutionen verbietet, eine auf individuelle Konversion und Rekrutierung ausgelegte Perspektive in der Missionsorientierung der muslimischen Organisationen die Oberhand gewinnt (vgl. Poston 1992: 54ff.). Entsprechend hat die individualistische „da’wah“Ideologie von Hassan al-Bannah hier über mehrere Wege Eingang gefunden und bildet noch heute einen ausdrücklichen Referenzpunkt der Missionsphilosophie der meisten Organisationen (vgl. Poston 1992: 78ff.).

75 Vgl. für den Versuch einer umfassenden Dokumentation der globalen islamischen Mission (von der Seite der pfingstlich-evangelikalen Quantifizierungsarbeit) Johnson/Scoggins (2005).

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In diesem Abschnitt wurden Hinweise darauf zusammengetragen, dass christlichen Missionsvorstößen mit neuartigen Formen muslimischer Mission begegnet wird und sich so ein interreligiöser Anschlusszusammenhang von bekehrungsorientierten Aktivitäten ausdifferenziert. Im Folgenden gilt es sich der Herausbildung einer sekundären Kommunikationsebene der Beobachtung von bzw. Kommunikation über Konversionen auf muslimischer Seite zuzuwenden, die hier für die Kultivierung einer konversionsfokussierten Aufmerksamkeitsökonomie verantwortlich zeichnet. Insofern diese Reflexionsleistungen die entsprechenden Relevanzstrukturen überhaupt erst auf Dauer stellen und das interreligiöse Geschehen hinsichtlich (potentieller) Änderungen in den religiösen Zugehörigkeitsverteilungen spiegeln, kommt ihnen in der kontinuierlichen Stimulierung und Orientierung der oben genannten Entwicklungen und Aktivitäten eine entscheidende Rolle zu. 3.3 Konversionsbeobachtung Bereits das Beispiel Ägyptens hatte von der Einrichtung einer polemisch-kritischen Berichterstattung durch die muslimische Presse gezeugt, die sich der Beobachtung und Skandalisierung christlicher Missionsaktivitäten widmet. Tageszeitungen im ägyptischen Raum druckten in diesem Zusammenhang wiederholt sensationelle Berichte über angebliche Entführungen, Gehirnwäschen und Misshandlungen von Muslimen durch christliche Missionare ab (vgl. Sharkey 2004a: 100). In Ägypten etwa war es in den 1930er Jahren insbesondere die Tageszeitung „al-Balagh“, die ihre aggressive Berichterstattung ausdrücklich als Antwort auf die missionarischen Angriffe auf Muslime und den Islam verstand (vgl. Sharkey 2006: 75). Wie Heather Sharkey (2004a) darstellt, steht diese journalistische Form der Missionsbeobachtung an den Wurzeln eines „Genres antimissionarischer Traktate“, das sich bis heute im mittleren Osten erhalten hat und noch immer entsprechende Publikationen hervorbringt. Den entscheidenden Grundstein hierfür legte 1953 das Buch „al-Tabshir wa’l-isti’mar fi al-bilad al’arabiyya“ (engl.: „Evangelism and Imperialism in the Arab World“) von Mustafa Khalidi, einem ehemaligen Professor für Geburtshilfe an der American University of Beirut, und Umar Farrukh, einem Experten in Islamischer Geschichte, arabischer Poetik und Sufismus. Das Buch, das innerhalb der folgenden 30 Jahre in sechs weiteren Auflagen und in russischer, persischer sowie türkischer Übersetzung erscheinen sollte, argumentiert nicht rein von der religiösen Seite her. So lautet das zentrale Argument, dass religiöse Motive bei den christlichen Missionaren an zweiter Stelle stünden; zuvorderst ginge es ihnen um eine Vernichtung der arabischmuslimischen Kultur und um die westliche Hegemonie im Bereich des Politischen und Ökonomischen. Gleichwohl führt diese These bei den Autoren – wie auch im hinduistischen Kontext – zu einer Sichtung der Schriften christlicher Missionare selbst und konsolidiert damit eine Aufmerksamkeitsökonomie, die sich für christlichmissionarische Organisationen, Strategien und Aktivitäten interessiert. Inventarisierungen, wie sie die im vorangegangenen Kapitel verhandelte pfingstlich-evangelikale Perspektive bestimmen, sind entsprechend auch Bestandteil einiger solcher Traktate. Ahmad ibn Al-Hasin etwa listet in seiner Schrift „al-Khatar al-tabshiri al-salibi fi alKuwayt“ („The Crusader Evangelical Threat in Kuwait“) aus dem Jahre 1996 alle christlichen Institutionen und ausländischen Schulen auf und warnt vor christlichen Gastarbeitern aus Indien als möglichen „Fußsoldaten“ christlicher Mission (vgl.

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Sharkey 2004b: 105). Auch die medienbasierte Form transnationaler Missionierung entgeht dieser publizistisch auf Dauer gestellten Beobachtung nicht. Die Rundfunkund Fernsehstationen, die christliche Botschaften aus benachbarten Ländern, etwa Zypern, in muslimische Regionen senden, sind – wie in Indien, so auch hier – klar im Blick (vgl. Sharkey 2004a: 101). Wie schon aus einigen Titeln hervorgeht, versuchen die Traktate in der Regel, das Christentum differenziert zu betrachten. Für die missionsorientierten Christen aus dem Ausland werden bisweilen Sondertermini wie etwa die Bezeichnung „salibiyya“ („Kreuzzüglertum“) veranschlagt. Diese sind damit klar unterschieden von christlichen „Dhimmis“, die über lange Zeit hinweg in friedlicher Koexistenz mit Muslimen gelebt haben bzw. leben. Die christliche Mission wird hier zwar bisweilen als Agent oder gar bloßes Instrument eines breiteren Projekts westlichen Imperialismus beschrieben. Gleichwohl – oder gerade deswegen – stellt sich dieser Beobachtungshorizont aber auf den Akt der Bekehrung ein und bildet damit eine regelrechte Komplementärperspektive zum Beobachtungszusammenhang der pfingstlich-evangelikalen Seite. Mögen die Implikationen der Auseinandersetzung von Seiten der Autoren auch eher politisch, ökonomisch und kulturell stilisiert sein als rein religiös: Der Kern des Arguments ist, dass die Bekehrung zum Christentum das Instrument darstellt, mit dem hier die westliche Vorherrschaft auf den Weg gebracht werden soll; wo militärische Eroberung also scheiterte, soll nun die „Eroberung der Seelen“ die islamische Welt in die Knie zwingen, so die Deutung (vgl. Sharkey 2004a: 101). Folglich gilt es den Autoren auch hier die christliche Seite auf ihren Missionsapparat hin zu beobachten und solche Maßnahmen zu erwägen und zu befördern, die Konversionen abzuwenden vermögen. So verbinden sich die Arbeiten bisweilen auch mit Aufrufen zur „da’wah“, um der Mission zu kontern „by reversing the ‚contest‘ for souls“ (Sharkey 2003: 49). Dies spricht dafür, dass der Blick durch einen Horizont möglicher Bekehrungen strukturiert wird. Auch in Indonesien begann sich in Anbetracht der neuen ausländischen Missionsinitiativen seit den 1960er Jahren ein anti-missionarischer Diskurs zu etablieren, der die christlichen Missionsaktivitäten unter dauerhafte Beobachtung stellte (vgl. Mujiburrahman 2006: 33). So kursieren im indonesischen Raum ebenfalls entsprechende anti-missionarische Werke und verbreiten sich von dort aus über die gesamte muslimische Welt. Mujiburrahman (2006: 51) berichtet etwa von Schriften, die im Mittleren Osten mit dem Zweck verbreitet wurden, Gelder und Unterstützung für die revitalisierten „da’wah“-Programme anzuwerben. So enthält zum Beispiel das Buch mit dem Titel „Die neue missionarische Invasion Indonesiens“, das 1968 zunächst anonym und 1984 in zweiter Auflage dann unter dem Pseudonym Abu Hilal alIndunisy erschien, Berichte von den missionarischen Aktivitäten der Christen in Indonesien. Darin werden mutmaßliche christliche Pläne, Java in zwanzig und Indonesien in fünfzig Jahren zu christianisieren, ebenso diskutiert wie die finanzielle Förderung der Mission aus dem christlichen Ausland. Daneben findet sich eine Inventarisierung aller in Indonesien tätigen christlichen Institutionen. Es lassen sich die Aufmerksamkeitsstrukturen auf Seiten der Muslime, die für eine Konversions- und Missionsrelevanz sensibilisieren, folglich auch für diesen Kontext konstatieren. Entsprechend bot die Versammlung des Weltkirchenrates 1975 in Jakarta einen erneuten Anlass für muslimische Intellektuelle und Repräsentanten des bereits erwähnten Propagierungsrats DDII, in Artikeln und Pamphleten über die Gefahren der Christianisierung zu informieren und zu einer Stärkung der „da’wah“-Programme auch in Koope-

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ration mit Muslimen anderer Länder aufzurufen (vgl. Mujiburrahman 2006: 65ff.). Dies gab Anstoß zu einem Programm der Islamisierung, das breite Vernetzungen bis in den mittleren Osten schuf (vgl. ebd.: 68).76 Wie Wagner (2003: 343) berichtet, ist auch die Islamische Weltliga bis heute ein wachsamer Beobachter der christlichen Missionsmethoden und -strategien unter Muslimen. In ihrem Magazin „The Muslim World League Journal“ erscheinen regelmäßig Artikel, die über die christliche Mission unter Muslimen Bericht erstatten. Auch im Falle einiger Strömungen des Islam spricht somit einiges für eine weitgehende ‚Befangenheit‘ in einer konversionsbezogenen Sinnsphäre, die sich in Organisationsgründungen, bekehrungsbezogenen Aktivitäten und der Aufdauerstellung von entsprechenden Aufmerksamkeits- und Beobachtungsstrukturen niederschlägt. Im Folgenden ist mit dem Katholizismus ein weiterer Fall einer besonderen ‚Interessenseinspannung‘ durch die pfingstlich-evangelikale Mission zu diskutieren. Da es sich nun um einen inner-christlichen Konkurrenten handelt, lassen sich nicht in gleichem Maße Transformationen aufzeigen, wie dies bei den anderen religiösen Strömungen zum Teil seit dem 19. Jahrhundert der Fall ist. Nichtsdestotrotz finden sich auch hier Reaktionen, die für einen konversionsorientierten Beobachtungs- und Konkurrenzzusammenhang zwischen Katholizismus und Pfingstevangelikalismus sprechen.

4. K ATHOLIZISMUS (L ATEINAMERIKA ) Wenn es um Betrachtungen religiöser Konkurrenz geht, die durch den pfingstlichevangelikalen Wachstumserfolg angestoßen wird, so kommt man nicht umhin, auch den Katholizismus in den Blick zu nehmen. Zwar ist die katholisch-protestantische ‚Konkurrenz‘ so alt wie der Protestantismus selbst und damit in mancherlei Hinsicht trivial. Gleichwohl gewinnt sie auf dem lateinamerikanischen Kontinent durch die Ausbreitung der Pfingstkirchen erneute Aktualität und zudem eine besondere Brisanz, hat doch der Katholizismus auf diesem Erdteil über Jahrhunderte praktisch konkurrenzlos die religiöse Situation bestimmt. Die Diskussion des Katholizismus muss in diesem Zusammenhang gleichwohl eine etwas andere Nuancierung nehmen. So kann es hier nicht darum gehen, organisatorischen Innovationen und Sensibilisierungen für Missionsperspektiven nachzugehen. Reaktionen speziell auf den Pfingsterfolg in Lateinamerika sollen hier dennoch angedeutet werden. Hierzu soll 76 1974 etwa veranstaltete die Islamische Weltliga, für die Mohammed Natsir, der Gründer des DDII, mittlerweile eine Beraterfunktion innehatte, eine Konferenz in Mekka, die sich mit Fragen der „da’wah“ befasste (vgl. Mujiburrahman 2006: 68). Im selben Jahr kündete Tunku Abdul Rahman, der vormalige Premierminister Malaysias, anlässlich der Konferenz der Außenminister islamischer Staaten in Malaysia ein „da’wah“-Projekt an, für das ein eigenes Gebäude in Kuala Lumpur errichtet wurde; den organisatorischen Rahmen des Projekts sollte eine „Körperschaft für die Verbreitung des Islam in Malaysia“ bilden (Pertubuhan Kemajuan Islam Malaysia, PERKIM) (vgl. ebd.). Die Außenminister SaudiArabiens und Libyens sicherten hierfür, so wurde berichtet, finanzielle Unterstützung zu. Dieser Vorstoß in Malaysia bot wiederum Anlass, zu einer Verstärkung der „da’wah“Initiativen in Indonesien am Beispiel des Nachbarn aufzurufen.

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ein erster Abschnitt – statt wie sonst auf reaktive Organisationsbildungen – auf die zunehmende De-Monopolisierung des lateinamerikanischen Katholizismus im Laufe des letzten Jahrhunderts zu sprechen kommen (4.1). In einem zweiten Teil ist die Frage der Konversionsbeobachtung, die sonst am Ende stand, vorzuziehen. Dabei ist zum einen daran zu erinnern, dass auch im Katholizismus missionsbezogene Statistik und Reflexion fest verankert sind; zum anderen gilt es hier die wachsame katholische Beobachtung des protestantischen Vordringens auf dem lateinamerikanischen Kontinent aufzuzeigen (4.2). Schließlich soll an der Stelle, an der bei den nicht-christlichen Religionen die Konstruktion oder Revitalisierung von Bekehrungspraktiken betrachtet wurde, die katholische Imitation pfingstlicher Missionsmethoden und Erfolgsrezepte aufgezeigt werden (4.3). 4.1 Katholische De-Monopolisierung in Lateinamerika Über Jahrhunderte hinweg hatte die katholische Kirche in Lateinamerika eine unangefochtene Monopolstellung inne. Bereits die „conquista“ Lateinamerikas durch Spanien und Portugal seit dem späten 15. Jahrhundert hatte unter einem einheitlichen Banner von weltlicher wie auch römisch-katholischer Obrigkeit stattgefunden.77 Die staatliche Expansion ging mit dem Aufbau katholischer Missions- und Kirchenstrukturen Hand in Hand. Die indigenen Religionen und Kulte wurden dabei unterdrückt und als religiöse Anbieter durch Massentaufen und erzwungenen Kirchenbesuch in der Bevölkerung faktisch ausgeschaltet. Indianische Kultstätten wurden zerstört oder schlicht von Kirchen überbaut. Auch in den folgenden Jahrhunderten blieben Staat und Kirche eng verbunden. Rom gestand der spanischen und portugiesischen Krone weitreichende Privilegien zu, so etwa die patronatsrechtlich bedingte Möglichkeit, königstreue Bischöfe zu ernennen. Im Gegenzug wurde das religiöse Monopol der Kirche staatlich geschützt. Tatsächlich wurden eingewanderte Protestanten während der Kolonialzeit der Inquisition überstellt. Infolge der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Länder von der spanischen bzw. portugiesischen Krone erfuhr die Kirche indes eine deutliche Schwächung. Insofern die Hierarchie weitestgehend mit königstreuen Geistlichen besetzt war, richtete sich die Aggression der Unabhängigkeitskämpfer zum Teil auch gegen die Kirche. Nichtsdestotrotz hielten auch die neuen Republiken weitgehend am Staatskirchentum fest. Immerhin genoss die Kirche in der Bevölkerung nach wie vor ein großes Ansehen und stellte somit einen unverzichtbaren Machtfaktor dar. Die liberalen Kräfte hatten zwar ein wirtschaftliches Interesse an Zuwanderung aus protestantischen Ländern, so dass in vielen Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichem Maße religiöse Toleranz durchgesetzt wurde. Diese blieb aber in den vielen Fällen darauf beschränkt, ein Privatexerzitium in Gebäuden zu gewähren, die von außen nicht als Kirchen erkennbar waren (so etwa in Brasilien und Peru). Im Zuge des Erstarkens konservativer Kräfte nach der Befreiungsphase kam es ferner zu einem Abschluss von Konkordaten mit Rom, die die Re77 Vgl. hierzu Gründer (1992); übersehen werden darf dabei indessen nicht, dass die Misshandlungen der indigenen Bevölkerung durch die Soldaten und Administratoren von Seiten der Priester zum Teil durchaus angeprangert wurden, ohne freilich die Eroberung als solches zu hinterfragen; vgl. dazu Hutchinson (2001: 1764). Ich halte mich für das Weitere an Prien (1990; 2000; 2007).

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ligionsfreiheit faktisch wieder kassierten. Erst im Laufe des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte sich die Trennung von Staat und Kirche in den lateinamerikanischen Ländern auch de facto weitgehend durchgesetzt.78 Insbesondere der Einfall des pfingstlich-evangelikalen Protestantismus hat im letzten Jahrhundert das Monopol des Katholizismus zunehmend ins Wanken gebracht. Der klassische Protestantismus konnte sich demgegenüber nur sehr beschränkt über die Einwandererkirchen hinaus ausbreiten, nicht zuletzt, weil er von den Lateinamerikanern als fremd wahrgenommen wurde (vgl. Martin 1990: 50, siehe auch Prien 2000: 184f.). Doch auch ein sichtbarer Erfolg des Pfingstevangelikalismus blieb lange Zeit aus. Erste Berührungen erfolgten in Lateinamerika indes schon kurz nach dem „Azusa Street Revival“ (vgl. Freston 1998: 335f.). Nachrichten über die Ereignisse in Los Angeles verbreiteten sich etwa über die Netzwerke der lateinamerikanischen Immigranten in Kalifornien; nur wenige Jahre später folgten erste Missionsunternehmen. In den 1950er Jahren erreichte die Missionsinitiative aus Nordamerika dann neue Dimensionen, nachdem der Kommunismus der protestantischen Mission in China und anderswo ein Ende gesetzt hatte (vgl. Cleary 1997: 10). Ungefähr zu dieser Zeit nahm der pfingstlich-evangelikale Wachstumserfolg seinen Anfang. Bereits 1962 nannte das „Time Magazine“ den lateinamerikanischen Pentekostalismus „the fastest growing church in the Western Hemisphere“ (zit. n. Cleary 1997: 2).79 Dabei trat der Erfolg nicht in allen Ländern in gleichem Maße und auch nicht zur gleichen Zeit ein. Brasilien und Chile verzeichneten bereits in den 1950er Jahren ein beachtliches Wachstum (vgl. Freston 1998: 337). In Brasilien etwa breitete sich schon in den 1950ern und 1960ern ausgehend von den Gründerkirchen eine zweite Generation von Kirchen aus, derer einige über 100.000 Mitglieder aufwiesen (vgl. Ireland 1997: 123). Seit den 1970er Jahren ziehen insbesondere die zentralamerikanischen Länder nach, allen voran Guatemala und El Salvador (vgl. Freston 1998: 337). Wie in den anderen Kontexten, die oben diskutiert wurden, hat die missionarische Ausbreitung seit den 1980er Jahren im Zuge der „Dritten Welle“ neuen Schwung erhalten, insbesondere in Brasilien (vgl. Freston 2001: 13). Dabei rekrutieren die Pfingstkirchen vor allem unter rein nominellen Katholiken. Wie Prien (1990: 460) bemerkt, hatte sich im Zuge der Jahrhunderte währenden Monopolostellung ein „Kulturkatholizismus“ etabliert, der nicht sehr fest in der Bevölkerung verankert war, sondern „dem die Einhaltung der äußeren Formen der Frömmigkeit genügte“. Hier hatte und hat die pfingstlich-evangelikale Mission ein leichtes Spiel. Das beachtliche Wachstum der Pfingstkirchen in Lateinamerika hat bereits in den 1960er Jahren das soziologische Interesse geweckt; in diese Zeit fallen die mittlerweile klassischen Studien von Willems (1967) und Lalive D’Epinay (1969).80 Auch die nicht minder grundsteinlegenden Studien von Martin (1990) und Stoll (1990) haben den lateinamerikanischen Kontext im Blick. Der pfingstliche Erfolg zog auch die Aufmerksamkeit der damals noch rein evangelikalen Gemeindewachstumsbewegung auf sich. Die vom Fuller Seminary in Auftrag gegebene Studie „Latin American Church Growth“ (Read et al. 1969) wurde im vorangegangenen Kapitel mehrmals 78 Einen länderspezifischen Überblick liefert Prien (2007: 245ff.). 79 Der Artikel ist abrufbar unter http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,874606, 00.html vom 16.04.2011. 80 Vgl. dazu Kap. VIII, Anm. 9.

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herangezogen; ebenso die Studie von C.P. Wagner (1974), die sich gleichfalls den Pfingstlern auf dem lateinamerikanischen Kontinent zuwendet. Das Interesse der folgenden Erörterung gilt indessen der katholischen Beobachtung des pfingstlichevangelikalen Vorstoßes auf diesem Kontinent. 4.2 Zur katholischen Beobachtung der pfingstlich-evangelikalen Bewegung Auch auf der Seite des Katholizismus finden sich organisatorisch rationalisierte Formen der Selbst- und Fremdbeobachtung. Anders als in der pfingstlich-evangelikalen Bewegung haben statistische Bestandsaufnahmen hier allerdings einen vergleichsweise ‚arkanen‘ Charakter. Während im einen Fall die statistische Selbstbeobachtung die Einheit der Bewegung gewissermaßen erst konstituiert, so ist diese im katholischen Fall mit der Verfasstheit als Weltorganisation vorausgesetzt: Statistiken kommt hier folglich von Anfang an die Qualität von Interna zu. Zwar werden mit dem „Annuarium statisticum ecclesia“ jährlich Statistiken zum weltweiten Priesterbestand, den Ordinationen u.ä. offengelegt. Für die missionsbezogenen Beobachtungen der weltweiten religiösen Konkurrenz gilt dies indessen nicht. Dass eine solche stattfindet, darf man gleichwohl unterstellen. Mit der Congregatio de Propaganda Fide, seit Vatikanum II: Kongregation für die Evangelisierung der Völker, liegt ein eigens für die Mission abgestellter organisatorischer Arm der katholischen Kirche vor (vgl. hierzu Seiterich 2008). Dieser wurde 1622 durch Papst Gregor XV. als Reaktion auf die protestantische Ausbreitung in Europa eingerichtet. Bereits im historischen Exkurs kamen die vergleichsweise ambitionierten Beobachtungen der religiösen Welt zur Sprache, die die Congregatio schon im 17. Jahrhundert unternahm: so etwa der Report des Propagandasekretärs Franceso Ingoli aus dem Jahre 1630 mit dem Titel „Relazione delle Quattro Parti del Mondo“ und, bereits in bemerkenswert quantitativer Perspektive, der Bericht „Stato della Religione Cattolica in tutto il Mondo“ des Propagandasekretärs Urbano Cerri aus dem Jahre 1677. Man kann nur vermuten, „welch hochkarätige Informationen von Kirchenleuten aus äußerst sensiblen Teilen der Erde“ (Seiterich 2008: 57) heute in der Zentrale zusammengetragen werden. Wie der Artikel von Seiterich (2008) deutlich macht, gilt der gegenwärtige „geostrategische“ Blick der Congregatio, die derzeit von dem Inder Ivan Dias geleitet wird, vor allem den Pfingstlern und dem Islam. Obgleich die katholische Beobachtung anderer Religionen nicht gleichermaßen einer Analyse offen steht, wie dies für die pfingstlich-evangelikale Bewegung der Fall ist, so liefern einzelne Quellen doch Hinweise auf das durchaus wache (und besorgte) Interesse an der pfingstlich-evangelikalen Ausbreitung, insbesondere in Lateinamerika. Cleary (1997: 10) legt dar, dass die „protestantische Gefahr“ spätestens seit den 1950ern ein geläufiges Thema innerhalb der lateinamerikanischen Kurie war. Dafür zeichnete vor allem der bereits erwähnte neue Schwung in der nordamerikanischen Mission verantwortlich. Dieser bot 1955 gar den Anlass für die Erste Allgemeine Konferenz des Lateinamerikanischen Episkopats; hieraus ging der Lateinamerikanische Bischofsrat (CELAM) hervor (vgl. Prien 1990: 471). Insbesondere Anthony Gill (1998; 1999) hat sich mit der katholischen Reaktion auf den pentekostalen Wachstumserfolg auseinandergesetzt. Er hat dabei vielfältiges Material zusammengetragen, das von der vigilanten Beobachtungstätigkeit der katholischen Seite

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Kunde gibt. So hat Papst Pius XII. in seiner Rede vom 5. Oktober 1957 vor dem World Congress of the Lay Apostolate mit Bezug auf Lateinamerika auf vier gravierende Gefahren für die katholische Kirche hingewiesen, zu denen auch das zunehmende Eindringen des Protestantismus zählte: „[T]here are four mortal dangers threatening the Church: the inroads of Protestant sects; the secularization of the whole way of life; Marxism, whose presence is felt in the universities, and is very active and even dominant in almost all the labor organizations; and, finally, a troublesome spiritism.“ (Herv. M.P.)81 Auch wenn sich unter dem Etikett der protestantischen Sekten stets mehr verbirgt als nur die pfingstlich-evangelikalen Gruppen, so zeigt diese Bemerkung doch recht deutlich, dass die katholische Kirche schon sehr früh ein Auge auf die religiöse Entwicklung in Lateinamerika geworfen hatte. Insbesondere auf den Generalversammlungen des eben erwähnten Lateinamerikanischen Bischofsrats (CELAM) waren diese „Sekten“ immer wieder ein wichtiges Thema. So wird auch im Schlussdokument der CELAM-Konferenz 1979 in Puebla auf die Bedrohung des „Glaube[ns] unserer Völker“ durch den „Einfluß proselytischer Sekten“ (CELAM 1979: § 342) aufmerksam gemacht. So heißt es dort: „Viele Sekten haben sich durch ihre eindeutige und hartnäckige Haltung nicht nur als gegen den Katholizismus gerichtet erwiesen, sondern sind nach Auffassung der Kirche auch ungerecht, denn sie haben versucht, die Glieder der Kirche mit einer geringen Vorbildung auf ihre Seite zu ziehen.“ (CELAM 1979: § 80) Unzweideutig geht die Sorge um die katholische Hegemonie auch aus einer Ansprache von Papst Johannes Paul II. an die vierte CELAM-Generalversammlung in Santo Domingo im Jahre 1992 hervor, in der er die religiösen Konkurrenten als „gierige Wölfe“ bezeichnete: „Like the Good Shepherd, you are to feed the flock entrusted to you and defend it from rapacious wolves. A source of division and discord in your ecclesial communities are – as you well know – the sects and ‚pseudospiritual‘ movements mentioned in the Puebla Conclusions, whose aggressiveness and expansion must be faced.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 47f.; Herv. i.O.)82

Auf dieser CELAM-Konferenz sind das Profil und die Erfolgsrezepte der sogenannten „fundamentalistischen Sekten“ klar im Blick. Es sei hier eine Passage aus dem Schlussdokument von Santo Domingo ausführlich zitiert, die die ebenso detaillierte wie alarmierte katholische Beobachtung speziell der pfingstlich-evangelikalen Bewegung illustriert:

81 http://www.papalencyclicals.net/Pius12/P12LAYAP.HTM vom 16.04.2011; vgl. hierzu auch Gill (1998 : 91f.). 82 Diese spezielle Bemerkung von Papst Johannes Paul II. ist im Übrigen auch dem oben erwähnten hinduistischen Intellektuellen Arun Shourie (2000: 397) nicht entgangen. Er führt sie als Beleg für den Exklusivismus der katholischen Kirche an und impliziert damit gewissermaßen eine Farce ihrer „ökumenischen“ Anstrengungen, auch anderen Religionen Toleranz zu erweisen. Bemerkenswert daran sind sowohl die Reflexivität als auch die Globalität der religiösen Beobachtungen. Die innerreligiöse Konkurrenz im lateinamerikanischen Christentum wird von einer hinduistischen Position vor dem Hintergrund einer christlichhinduistischen Auseinandersetzung in Indien beobachtet.

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„The problem of the sects has reached dramatic proportions and has become truly worrisome, particularly due to increasing proselytism. Fundamentalist sects are religious groups that insist that only faith in Jesus Christ saves, that the only basis for faith is Scripture interpreted personally in a fundamentalist manner, and hence excluding the Church; they emphasize the end of the world and the proximity of judgment. They are characterized by their very enthusiastic proselytizing through persistent house visiting and large-scale distribution of Bibles, magazines, and books; their presence and the opportunistic help they provide at times of personal or family crisis; and their great technical skill in using the media. They have at their disposal immense funding from other countries and the tithes oblige all their members to pay. Other features are a rigorous moralism, prayer meetings with a participatory and emotional Bible-based worship, and their aggressive stance toward the Church; they often resort to defamation and to material inducements. Although they are only weakly committed to the temporal realm, they tend to become involved in politics with a view to taking power. Such fundamentalist sects have grown enormously in Latin America since the time of Puebla.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 112; Herv. M.P.; Absatzmarken getilgt)

Wie daraus hervorgeht, sind die pfingstlich-evangelikalen Missionsstrategien der Hausbesuche und der vielfältigen Mediennutzung klar identifiziert; gleiches gilt für die gemeinschaftlich-unterstützenden Strukturen etwa der Hausgebetskreise und Zellgruppen; schließlich ist auch die partizipatorische und emotionale Liturgie der pfingstlich-evangelikalen Gottesdienste im Blick. Auch auf der jüngsten CELAM-Konferenz in Aparecida 2007 wird auf den „Proselytismus zahlreicher Sekten, animistischer Religionen und neuer pseudoreligiöser Ausdrucksformen“ hingewiesen und darauf „eine gewisse Schwächung des christlichen Lebens“ zurückgeführt (CELAM 2007: 324f.). Dabei finden sich auf katholischer Seite ähnliche statistische Interpolationen wie sie die vorliegende Arbeit auf der protestantischen Seite bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt hat. Chesnut (2003: 84) berichtet etwa von einer Studie mit dem Titel „Latin American Mission Panaroma“, die 1978 (kurz vor der Generalkonferenz in Puebla) von der CELAM in Auftrag gegeben wurde. Darin finde sich die Warnung, dass „each day two thousand Latin American Catholics were leaving the church for the ‚sects‘“ (Chesnut 2003: 84). Das Herunterrechnen auf tägliche Raten der Konversion vermittelt hier eine ähnliche Drastik, wie sie auch die analogen Weltbeobachtungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung auszeichnet. Die katholische Sensibilität angesichts einer neuen religiösen Konkurrenzsituation in Lateinamerika wird von Chesnut (2003: 84ff.) und Gill (1999: 18f.) in zahlreichen weiteren Kommuniqués auf nationaler wie kontinentaler Ebene aufgezeigt. Wie auch bei den oben betrachteten religiösen Strömungen lassen sich damit spezifische Reaktionen von Seiten des Katholizismus in Verbindung bringen, die es im Folgenden zu betrachten gilt. 4.3 Katholische Reaktionen und Imitationen Trotz einer kaum noch zu überschauenden Literatur zum Pentekostalismus in Lateinamerika finden sich nur wenige Arbeiten, die die katholische Seite unter dem Ge-

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sichtspunkt der vergleichsweise neuen Konkurrenzsituation beleuchten.83 Wichtige Ausnahmen bilden hier die Arbeiten von Anthony Gill (1998; 1999) und R. Andrew Chesnut (2003), die auch schon im vorangegangenen Abschnitt herangezogen wurden; sie haben sich der religiösen Situation in Lateinamerika von der Warte einer Rational-Choice-Perspektive genähert. Obgleich an ökonomischer Terminologie wenig Zurückhaltung geübt wird, bewahrt sich ihr „supply-side approach“ in weiten Teilen die Sensibilität für die genuin religiösen (und nicht im engeren Sinne ökonomischen) Sinnziele, die den Hintergrund für die strategischen Manöver in der interreligiösen Auseinandersetzung bilden.84 An ihre Ergebnisse lässt sich hier folglich anschließen, ohne den differenzierungstheoretischen Ansatz der vorliegenden Arbeit zu kompromittieren. Gill (1999: 23) macht in diesem Zusammenhang auf ein Muster aufmerksam, das sich zum Teil auch bei den oben untersuchten nicht-christlichen Religionen in anderen nationalen Kontexten beobachten ließ. So reagierte die katholische Kirche in den einzelnen Ländern Lateinamerikas auf die religiöse Konkurrenz im Allgemeinen zunächst auf politischem Wege: Die Regierungen wurden zur legislativen Intervention gegen die protestantische Mission angehalten oder es wurde auf besondere rechtliche Privilegierungen des Katholizismus in den mittlerweile unter Religionsfreiheit stehenden Staaten gedrängt (vgl. Gill 1999: 24ff.; siehe auch Smith 1998: 60ff.). So wurden auf Initiative des brasilianischen Episkopats in den vierziger Jahren U.S.Missionaren die Aufenthaltsgenehmigungen vorenthalten (vgl. Gill 1999: 24). Ein Konkordat zwischen der kolumbianischen Regierung und dem Vatikan aus dem Jahre 1953 sicherte mehr als drei Viertel des staatlichen Territoriums ausschließlich der katholischen Mission zu (ebd.). Und auch in Argentinien wurde auf Einschränkungen protestantischer Missionstätigkeit gepocht. Die Argumentationen ähneln dabei in einem verblüffenden Maße denjenigen, die etwa von Seiten des Hinduismus in Indien oder des Buddhismus in Sri Lanka in der Debatte um Konversionen vorgebracht werden. Gill (ebd.: 24) zitiert in diesem Zusammenhang ein Schreiben des argentinischen Episkopats vom 25. Januar 1945, das auch hier wiedergegeben sei:

83 Die meisten Arbeiten konzentrieren sich eher auf einen Vergleich der Pfingstbewegung mit dem Katholizismus im Allgemeinen oder den Basisgemeinden im Besonderen, etwa um Erklärungen für den pfingstlichen Wachstumserfolg herauszuarbeiten; vgl. dazu exemplarisch Burdick (1993); dabei fehlt es in der Regel an Beobachtungen zweiter Ordnung: d.h. an soziologischen Untersuchungen zur katholischen Perspektive auf die pfingstliche Herausforderung. Auch die Artikel in Cleary/Stewart-Gambino (1992) haben in dieser Hinsicht nur wenig zu bieten. Cleary (1992) ist ebenfalls eher darum bemüht, den Erfolg der Pfingstkirchen zu erklären. Zugleich geht es ihm darum, das Bild einer Summenkonstanzlogik zu relativieren, der zufolge das pentekostale Wachstum allein auf Kosten der katholischen Kirche gehe. So habe etwa in Guatemala auch die katholische Seite zum Teil von einem allgemeinen „religious awakening“ (Cleary 1992: 186) profitiert. Cleary (1994) ist eher an Möglichkeiten und Zeichen der Annäherung zwischen Pfingstlern und Katholiken interessiert. Den „catholic responses“ (Cleary 1994: 206) auf eine Entmonopolisierung gilt dabei nur ein knapper Blick. 84 Sehr deutlich etwa bei Gill (1999: 20).

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„The right of Protestants and dissidents to have their religious exercise respected and not be persecuted does not give them the right to proselytize. These religious civil liberties and tolerance of all religions, guaranteed in the Constitution for all inhabitants of the country, is something very distinct from [the] absolute religious liberty claimed by Protestant missionaries.“ (Canclini 1972: 107; zit. n. Gill 1999: 25)

Wie in den asiatischen Kontexten werden hier unterschiedliche Auslegungen von Religionsfreiheit, wie sie der eigenen Position im augenblicklichen religiösen Kraftgefüge günstig sind, gegeneinander ausgespielt. Je mehr indessen der Protestantismus, insbesondere in pfingstlich-evangelikaler Ausprägung, einheimische bzw. indigene Gestalt gewann, desto weniger war die Durchsetzung von rechtlichen Benachteiligungen im Interesse der Nationalregierungen (vgl. Gill 1999: 25, 28). Eine zunehmende Liberalisierung und religiöse Pluralisierung der verschiedenen lateinamerikanischen Staaten hat zusätzlich dazu geführt, dass die katholische Kirche inzwischen in noch größerem Maße darauf angewiesen ist, über rein religiöse Manöver auf die Konkurrenzsituation zu reagieren (vgl. Gill 1999: 28ff.). Ähnlich wie in den oben erörterten Zusammenhängen hat damit das Ausmaß der Trennung von Staat und Kirche einen offensichtlichen Einfluss auf die Form, in der auf den pfingstlich-evangelikalen Missionsvorstoß reagiert wird. Wo politischer Lobbyismus aussichtslos erscheint, werden häufiger rein religiöse Maßnahmen getroffen. So ließ sich etwa für den Islam zeigen, dass Revitalisierungen der „da’wah“ insbesondere dann auftraten, wenn eine gesellschaftliche Islamisierung ‚von oben‘, d.h. durch die religiöse Inbeschlagnahme gesellschaftlicher Institutionen und Funktionsbereiche, weitgehend blockiert war. Und auch die VHP in Indien sieht sich angesichts der politisch unzureichend gebändigten Mission der pfingstlich-evangelikalen Bewegung nach wie vor zu Rückbekehrungen veranlasst. Ähnliches lässt sich auch für den Katholizismus in Lateinamerika beobachten. Auch hier wird zunehmend ‚rein‘ religiös reagiert. Priester aus dem Kontext der Katholischen Aktion in Lateinamerika übten sich angesichts des protestantischen Wachstumserfolgs bereits in den 1950er Jahren in einer kritischen „Selbstevaluation“ der katholischen Kirche. Gill (1998: 99; 1999: 21) zitiert in diesem Zusammenhang den Maryknoll-Priester William J. Coleman (1958), der in „Latin American Catholicism: A Self-Evaluation“ auf die geringe Priesterdichte hinweist (vgl. Coleman 1958: 21). Coleman (ebd.: 49; zit. n. Gill 1998: 99) schreibt diesbezüglich: „[I]t was observed that when an abandoned area has been in the control of Protestants for some time, if the place once again receives the care of a priest, invariably most of the Protestant converts return to their traditional Catholic faith, often at the material sacrifice of being cut off from Protestant economic resources.“

Auch Johannes Paul II. weist in der bereits erwähnten Ansprache anlässlich der vierten CELAM-Generalkonferenz in Santo Domingo auf das Problem des Priestermangels im Zusammenhang mit dem Vordringen der „Sekten“ hin (vgl. Hennelly 1993: 48). Ein notwendiges Aufstocken des geistlichen Personals ist den Beobachtern hier eine logische Folge. Entscheidender ist in diesem Zusammenhang jedoch die deutlich zutage tretende Strategie, dem pfingstlich-evangelikalen Wachstum mit einer Imitation ihrer Erfolgsrezepte zu begegnen (vgl. auch Smith 1998: 62ff.). So wurde bereits

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in dem Schlussdokument zur dritten CELAM-Generalversammlung 1979 in Puebla, Mexiko, ausdrücklich zur Beobachtung der religiösen Konkurrenz hinsichtlich der Ursachen ihres Erfolgs aufgerufen: „Das Phänomen der ‚freien religiösen Bewegungen‘ sowie die Ursachen für deren schnelles Anwachsen sind sorgfältig zu untersuchen, damit wir uns in unseren kirchlichen Gemeinschaften den Bestrebungen und Fragen stellen können, auf die diese Bewegungen eine Antwort geben wollen. Hierhin gehören z.B. eine lebendige Liturgie, erfahrene Brüderlichkeit und aktive missionarische Mitwirkung.“ (CELAM 1979: §1122)85

Das Motto der „Neuen Evangelisation“, unter dem die vierte CELAM-Generalkonferenz in Santo Domingo stand, muss in Teilen auch als Reaktion auf den pfingstlichevangelikalen Missionserfolg gedeutet werden (vgl. auch Chesnut 2003: 93f.). Die „rapacious wolves“, wie Johannes Paul II. die religiöse Konkurrenz in der Ansprache titulierte, ‚wilderten‘ schließlich der Wahrnehmung nach unter Lateinamerikanern, die nicht hinreichend im katholischen Glauben verwurzelt waren. So wird entsprechend im Schlussdokument dieser Generalkonferenz eine der zentralen Herausforderungen für die katholische Evangelisierung in der wirkungsvollen Adressierung jener Zielgruppen gesehen, die sich auch in Lateinamerika am empfänglichsten für die pfingstlich-evangelikale Mission zeigen: „Provide an effective pastoral response to the advance of the sects by making the Church’s evangelizing activity more present in the vulnerable sectors such as migrants, those populations unattended by priests or in which there is a great deal of religious ignorance, and simple people or those with material needs and family problems.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 112)

In diesem Zusammenhang finden sich entsprechende Direktiven für die Evangelisierung, die deutlich dem pfingstlich-evangelikalen Profil verpflichtet sind; dieses war dort nur wenige Absätze zuvor eingehend zur Sprache gekommen. Das einschlägige Zitat wurde bereits im obigen Abschnitt X.4.2 zur katholischen Beobachtung wiedergegeben. Ausgehend davon wird nun unter anderem die Betonung gemeinschaftlichfamiliärer, partizipatorischer Kreise und Gebetsgruppen empfohlen. Dabei ist deutlich ein ähnliches Zellgruppenprinzip wie das der Pfingstevangelikalen im Blick; auch hier geht es darum, die große Gemeinde in zahlreiche Kleingruppen zu untergliedern: „Strive to make the Church ever more communitarian and participatory through ecclesial communities, family groups, Bible circles, and ecclesial movements and associations so that the parish becomes a community of communities.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 112; Herv. M.P.) In einem anderen Dokument der Generalkonferenz wird in einem analogen Zusammenhang zur Stärkung der Basisgemeinden aufgerufen. Auch hier geht es um die Übernahme des gemeinschaftlichen Profils der „Sekten“:

85 Vgl. CELAM (1979: §1102) zur Formulierung der „freien religiösen Bewegung“: „Außerdem gibt es [in Lateinamerika] die ‚freien religiösen Bewegungen‘, wie sie heute genannt werden (volkstümlich: ‚Sekten‘), von denen einige innerhalb eines im Grunde christlichen Glaubensbekenntnisses angesiedelt sind, was für andere hingegen nicht zutrifft.“

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„The ‚sects‘ confront the church with a challenge: they demonstrate the necessity of promoting a renewed model of the church based on a life in a community. The best way to face the sects is to promote the CEBs [d.h. Comunidades Eclesiales de Base; M.P.]; the sects oblige us to search for a greater insertion among the people, to accelerate the process of inculturation, to diversify ministries in the church and to find new ways of establishing dialogue.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 33)86

Ferner wird in dem Schlussdokument zu Santo Domingo im Zusammenhang mit dem ‚Sektenvorstoß‘ zur katholischen Haus-zu-Haus-Evangelisation geraten.87 Wie ebenfalls zuvor in dem Dokument herausgestellt wurde, ist dies eine Technik, die in Lateinamerika insbesondere zum Repertoire der pfingstlich-evangelikalen Gruppen gehört. Auch Chesnut (2003: 86) macht auf diese Übernahme der Hausbesuch-Evangelisation aufmerksam. Er nennt in diesem Zusammenhang den mexikanischen Pater Flaviano Amatulli, der sich in zahlreichen Büchern mit der ‚Sektenproblematik‘ auseinandergesetzt hat; er ist zugleich Leiter einer vom mexikanischen Episkopat eigens eingerichteten Abteilung, die allein für die Frage des sektiererischen Proselytismus abgestellt ist. In seinem Buch „La iglesia católica y las sectas“ (1986) spricht er sich ausdrücklich für Hausbesuche als „allgemeines Impfmittel gegen den sektiererischen Virus“ aus (Amatulli 1986: 4; zit. n. Chesnut 2003: 86). Bemerkenswert ist ferner die in dem Schlussdokument der vierten CELAMKonferenz offengelegte Strategie, die katholische Bevölkerung gegen die missionarisch eingesetzten Angriffe auf den Katholizismus zu wappnen, indem über die Sekten und deren Strategien aufgeklärt und Gegenargumente und Reaktionsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden.88 Eine analoge Vorgehensweise ließ sich auch am Fall des Buddhismus in Sri Lanka und des Islam beobachten. Schließlich wird in dem Schlussdokument zur Förderung einer lebhaften und partizipatorischen Liturgie aufgerufen.89 Chesnut (2003) hat in seiner Untersuchung die Bewertung der katholischen Charismatischen Erneuerung durch die katholische Hierarchie in diesen Zusammenhang hineingestellt. Die als „Zweite Welle“ bekannte Erneuerungsbewegung in den Traditionskirchen nahm in den 1960er Jahren in den 86 Gill (1998) vertritt die These, dass eine oppositionelle Haltung gegenüber den autoritären Regimen Lateinamerikas in der Vergangenheit insbesondere dort auftrat, wo der Erfolg der Pfingstler und des Sozialismus besonders groß war und staatliche Einschränkungen nicht oder nur unzureichend erwirkt werden konnten. Die befreiungstheologisch motivierten Basisgemeinden und die Option für die Armen, die dabei im Blick sind, werden dabei als strategisches Manöver der katholischen Hierarchie angesichts der „protestantischen Gefahr“ gedeutet. Ob dabei allerdings wirklich ein derart ‚zynisches Kalkül‘ jene Rolle gespielt haben mag, die Gill (1998) ihm zuspricht, vermag meines Erachtens auch die in der Hauptsache korrelationsanalytisch vorgehende Studie nicht zu erhellen. 87 „Promote home visiting by trained lay people and organize a specific form of pastoral work aimed at welcoming Catholics back to Church.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 113) 88 „Calmly and objectively provide the people with ample instruction on the features and differences of the various sects and on how to answer unjust accusations against the Church.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 113) 89 „Promote a lively and participatory liturgy projecting outward toward life.“ (Zit. n. Hennelly 1993: 113)

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USA ihren Anlauf. Ein Jahrzehnt später fasste sie auch in der katholischen Kirche in Lateinamerika Fuß, nachdem sie von katholischen Priestern aus den USA in die größeren lateinamerikanischen Städte importiert wurde (vgl. Chesnut 2003: 66ff.). Der ökumenische Geist, der die Bewegung in ihren Ursprüngen prägte, trat im lateinamerikanischen Kontext indessen weitgehend zurück.90 Wie Chesnut (2003: 69ff.) anhand entsprechender Dokumente zu zeigen weiß, rückte in den Bewertungen durch die katholische Hierarchie stattdessen das kompetitive Potential der Bewegung in den Vordergrund: Als katholische Variante der zunehmend erstarkenden pfingstlichen Religiosität wurde sie zum Teil als aussichtsreiches Mittel gesehen, um den Abwanderungen zu den protestantischen Konkurrenten Einhalt zu gebieten. Chesnut (2003: 70) zitiert in diesem Zusammenhang ein Kommuniqué anlässlich eines Treffens der Generalsekretäre der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen 1976 in Rio de Janeiro; auf dem Treffen wurden die Zeugen Jehovas, der Spiritismus und auch die pentekostalen Assemblies of God als besonders gefährliche Sekten thematisiert. In der Mitteilung wird die strategische Evaluation der Charismatischen Erneuerung hinreichend deutlich: „In relation to the latter [Assemblies of God], we think that a correct and just appreciation of the Charismatic groups can establish a point of attraction which offers an alternative to the disquietude of our times.“ (Comunicado Mensal 1/76; zit. n. Chesnut 2003: 70) Obgleich sich nur wenige Stimmen innerhalb der katholischen Kirche rundweg gegen die Charismatische Erneuerung aussprechen, ist die Einstellung der Kurie ihr gegenüber durchaus von Ambivalenzen geprägt. Mit der Würdigung ihrer positiven Effekte für den lateinamerikanischen Katholizismus ging stets auch die Sorge um die priesterliche Autorität und das klare katholische Profil einher (vgl. Chesnut 2003: 71ff.).91 Die Ambivalenz erinnert ein Stück weit an die Einstellung der hinduistischen Orthodoxie gegenüber dem „shuddhi“: Auch hier ging kritisches Traditionsbewusstsein mit der Erwägung strategischer Vorteile Hand in Hand. Mit der Charismatischen Erneuerung haben ferner andere typisch pfingstlichevangelikale ‚Evangelisations‘-Formate in den lateinamerikanischen Katholizismus Einzug erhalten. So sind, wie im afrikanischen Islam, mittlerweile auch auf katholischer Seite die emotional aufgeladenen Massenveranstaltungen zu beobachten, wie sie auch von der pfingstlich-evangelikalen Seite bekannt sind. Auf diesen treten „‚pop-star‘ priests“ (Clarke 1999) auf, die sich als katholische Äquivalente zu den pfingstlich-evangelikalen Evangelisten wie Edir Macedo der UCKG in Brasilien oder Reinhard Bonnke in Afrika verstehen lassen. Ähnlich wie mit Ahmed Deedat im afrikanischen Islam ist mit dem Priester Marcelo Rossi ein entsprechendes Pendant im 90 Vgl. hierzu auch Cleary (1994: 210) in Bezug auf den Dialog, der seit den 1970er Jahren zwischen Vertretern klassischer Pfingstkirchen und der Charismatischen Erneuerung im Gange ist: „Almost no one in Latin America knows about this dialogue and for many reasons, including the hostility of Pentecostals to Catholics, it is extraordinary that it took place at all.“ 91 Wie de Oliveira (2003: 21) zeigt, ist die Sorge um das katholische Profil durchaus berechtigt; so ist in der brasilianischen Öffentlichkeit die Charismatische Erneuerung weitreichend mit der pfingstlich-evangelikalen Bewegung „identifiziert“ worden. Dies hat unter anderem zu einer stärkeren Akzentuierung der Marienverehrung bei den katholischen Charismatikern geführt; dazu auch Chesnut (2003: 89ff.).

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Katholizismus herangewachsen. Rossi ist einer von vielen Priestern, die für diesen neuen Stil des Katholizismus in Brasilien stehen.92 Auch wenn Rossi selbst nicht mit der Charismatischen Erneuerung identifiziert werden will, so wäre sein Erfolg, wie Armbruster (2003: 40f.) konstatiert, ohne diese nicht zu denken. Schließlich hat auf katholischer Seite erst die Charismatische Erneuerung die nötige Bresche für das Repertoire dieser neuen Riege ‚charismatischer‘ Prediger geschlagen. So sind etwa zeitgenössische Musik, die die Priester zum Teil selber mit Gesang oder Instrumenten begleiten, Tanz und frenetischer Jubel zentrale Elemente der Veranstaltungen. Auch Heilungen bzw. ‚Exorzismen‘ (im weitesten Sinne) spielen bei Rossi in wöchentlichen „Befreiungsmessen“ („missas de libertação“) eine große Rolle (vgl. Armbruster 2003: 41; Chesnut 2003: 80f.). Wie Clarke (1999: 211, 215) konstatiert, wird dabei zu einer neuen Affirmation des katholischen Glaubens ermutigt, das Züge von den Wiedergeburtserfahrungen des „born-again“-Christentums trägt; gegenüber dem nominellen, traditionalen Katholizismus wird mit Nachdruck das Verständnis der katholischen Zugehörigkeit qua ‚Berufung‘ kultiviert. Die Größe der Ereignisse zeigt dabei ebenfalls deutlich die stilistische Nähe zur pfingstlich-evangelikalen Bewegung an. Im November 1997 zog Rossi 100.000 Menschen in das MurumbiStadion in São Paolo, noch weitere 30.000 wohnten der Veranstaltung vor den Toren bei; das Spektakel fand unter dem Titel „Sou Feli Por Ser Catolico“ („Ich bin glücklich Katholik zu sein“) statt (vgl. Clarke 1999: 210). Wie Chesnut (2003: 81) anführt, macht Rossi keinen Hehl daraus, dass es der Pfingstler Edir Macedo war, der ihn und andere, wie er sagt, „wachgerüttelt“ habe. Rossis Messen werden auch im Fernsehen und Radio übertragen; er selbst ist ein regelmäßiger Gast in Talkshows und Unterhaltungssendungen (vgl. Armbruster 2003: 41). Während es nicht an kritischen Stimmen aus dem befreiungstheologischen wie auch konservativen Lager fehlt, scheint Rossi doch die allgemeine Zustimmung der Hierarchie sicher; davon zeugt auch ein Empfang durch Papst Johannes Paul II. im Jahre 1998 (vgl. Clarke 1999: 213). Und auch Papst Benedikt XVI. hat Rossi, der in São Paolo mit der Mãe de Deus inzwischen eine eigene „megachurch“ errichtet hat, jüngst mit einer Auszeichnung geehrt (vgl. Oehrlein 2012). Neben diesen enthusiastischeren Formen sind es auch massenmediale Aktivitäten, mit denen auf katholischer Seite bewährte Evangelisationstechniken der pfingstlich-evangelikalen Bewegung Einzug erhalten haben. Wie Chesnut (2003: 85) berichtet, hat Papst Johannes Paul II. im Rahmen der Bischofskonferenz Guatemalas die Bischöfe dazu aufgerufen, Fernsehen und Rundfunk als Medien der Evangelisation einzusetzen – das ausdrückliche Ziel dabei: „resisting the pernicious influence of proselytizing activities of groups that have very little authentically religious content and sow so much confusion among Catholics“ (Conferencia Episcopal de Guatemala 1997: 867; zit. n. Chesnut 2003: 85f.). Auch in seiner Ansprache auf der Generalkonferenz in Santo Domingo hat Johannes Paul II. die Verwendung von „modern mass media“ (zit. n. Hennelly 1993: 55) in der Evangelisation angemahnt. Auch solche Medieninitiativen werden nicht ausschließlich, aber doch in der Hauptsache von der Charismatischen Erneuerung getragen. Chesnut (2003: 95) berichtet von sieben ka92 Clarke (1999: 209) nennt daneben den Pater José Luiz Janzen de Mello Neto alias Padre Zeca aus Rio de Janeiro sowie Pater Marcario Batista Sobrinho, der aus einem kleinen Dorf in Brasilien stammt.

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tholischen Radiostationen, derer sechs von der Charismatischen Erneuerung geführt werden; in Brasilien sind es gar 181 katholische Radiostationen, von denen ebenfalls die meisten auf das Konto der Erneuerungsbewegung gehen. Auch im Bereich des ‚Televangelismus‘ zieht die katholische Seite nach. Der Amerikaner Edward Dougherty, Pater der Charismatischen Erneuerung, hat hier bereits in den achtziger Jahren mit ersten katholischen Fernsehformaten in Brasilien Fuß gefasst (vgl. Chesnut 2003: 95). Mittlerweile hat er eine eigene Produktionsfirma in São Paolo etabliert, Century 21, die mit modernster Technologie katholische Sendungen produziert; diese werden zum Teil landesweit ausgestrahlt (ebd.). Mit Rede Viva hat Brasilien 1995 zudem seine erste katholische Fernsehstation erhalten (vgl. Armbruster 2003: 39). Damit antwortet die katholische Seite auch im Äther auf die Konkurrenz der pfingstlichenevangelikalen Bewegung. Auf deren Seite wiederum wartet allen voran die Universal Church of the Kingdom of God mit religiösen Fernsehformaten auf. Sie besitzt seit den 1990er Jahren eine Aktienmehrheit beim Fernsehsender Rede Record. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die massenmediale „Konkurrenz und Inszenierung eines ‚Heiligen Krieges‘“ (Armbruster 2003: 36) mit der Übertragung der Schändung einer Marienfigur durch den UCKG-Bischof Sérgio von Helder am 12.10.95 auf dem kircheneigenen Kanal. Der Akt richtete sich gegen Katholizismus und afrikanischen Spiritismus zugleich, insoweit die dunkelhäutige „Aparecida“ auch einen heiligen Stellenwert im Candomblé-Kult hat. Wie auch im nigerianischen Kontext hat der religiöse Wettbewerb in Brasilien damit einen Nebenschauplatz im Bereich der Massenmedien erhalten.93 Es spricht somit auch im Falle des Katholizismus einiges für eine Konkurrenzdynamik, die durch die Mission der pfingstlich-evangelikalen Bewegung angestoßen wird.

5. F AZIT Dieses Kapitel hat aufzuzeigen versucht, dass die von der pfingstlich-evangelikalen Bewegung kultivierte Sinnkonstruktion reale Folgen zeitigt. Die kontrafaktische Beobachtung anderer Religionen als ‚Mitgliedschaftsorganisationen‘ und der damit zusammengehende Versuch, ‚Anhänger‘ durch Bekehrung ‚abzuwerben‘, hat bei den 93 Die Charismatische Erneuerung mag auch in einigen der Kontexte, die hier im Zusammenhang mit den nicht-christlichen Religionen erörtert wurden, eine strategische Rolle spielen. Schließlich ist auch in diesen Regionen der Katholizismus durch den pfingstlichevangelikalen Vorstoß betroffen. So hält etwa Perera (1998: 31) für Sri Lanka fest, dass „recent trends in the mainstream Catholic Church can, at a certain level[,] be interpreted as responses to evangelical incursions into Catholic flock and the Church‘ [sic] sphere of influence“. Er weist in diesem Zusammenhang auf die zunehmend zu beobachtenden Heilungsgottesdienste in katholischen Kirchen hin. Während orthodoxe Stimmen diesbezüglich zunächst eine kritische Haltung eingenommen haben, scheint diese mittlerweile auch hier einer weitgehend positiven, zumindest duldenden Einstellung Platz zu machen. Perera (ebd.: 32) bemerkt in diesem Zusammenhang: „The relative lack of opposition to healing services today from the church hierarchy perhaps indicates its recognition that such services play a role in maintaining a certain degree of cohesiveness, at a time the Church feels threatened from many quarters, including from evangelical groups.“

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hier erörterten religiösen Strömungen zu Reaktionen geführt, die für eine ‚implizite Anerkennung‘ dieser Sinnstruktur sprechen. So liegt den hier dargestellten Aktivitäten und interreligiösen Beobachtungen ein Religionsverständnis zugrunde, dass von wechselseitig exklusiven Zugehörigkeiten ausgeht. Vieles spricht dafür, dass eine Summenkonstanzlogik als spezifische ‚Kontingenzformel‘, in der eine Konkurrenz um Konversionen gründet, auch auf dieser Seite den Blick auf die pfingstlichevangelikale Bewegung strukturiert. In der Folge kapriziert sich auch hier in Ansätzen eine Beobachtungs- und Handlungsökonomie auf den spezifischen Elementarakt der Konversion. Es ist erörtert worden, wie zum Teil schon einzelne Bekehrungen oder Bekehrungsabsichten von nicht-pfingstlicher Seite registriert und zum Ausgangspunkt für gezielte Gegenmaßnahmen genommen werden. Auch hier scheint man vor einem Horizont bereits vollzogener und möglicher weiterer Bekehrungen zu agieren, der mit jedem Akt der Konversion restrukturiert wird und die Ausgangslagen für weiteres Handeln und Beobachten ändert. Es wurde dargelegt, wie ein solcher Horizont auch auf der nicht-pfingstlichen Seite durch ausdifferenzierte Beobachterpositionen bzw. eine sekundäre Kommunikationsebene der bloßen Konversionsbeobachtung kultiviert wird; so etwa über Publikations- und Presseorgane, die, wo vorhanden, auch Zensusergebnisse aufnehmen und unter Konkurrenzgesichtspunkten reflektieren. Gar die statistischen Beobachtungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung selbst werden ihrerseits wieder – in dritter Ordnung, wenn man will – unter diesem Gesichtspunkt beobachtet. Dies spricht für die engen Verschränkungen des interreligiösen Beobachtungszusammenhangs. Wie gesehen, finden aber auch eigenständige Inventarisierungen und Erhebungen mit Missionsbezug statt, etwa in den erwähnten Untersuchungsberichten in Indien und Sri Lanka. Die Erörterungen hatten auch hier einen impliziten Bezug zur Ebenendifferenzierung: So wurde darauf hingewiesen, dass auch auf der Seite anderer Religionen ein organisatorisches Feld entstanden ist, das sich nachhaltig auf die gesellschaftliche Sinnsphäre einer Konkurrenz um Konversionen ausrichtet. Unter diesem Gesichtspunkt werden dort zum Teil die Organisationsformen wie auch die medialen oder interaktiven Missionsstrategien der christlichen bzw. pfingstlich-evangelikalen Seite übernommen; Letzteres gilt, wie soeben gezeigt wurde, selbst noch für den katholischen Konkurrenten. Anders als Peter Beyer (2006) führt die vorliegende Untersuchung die formalen Annäherungen unter den Religionen somit nicht auf die Durchsetzung legitimer Modelle des Religiösen zurück. Die interreligiösen Beobachtungs- und Vergleichsperspektiven gründen im vorliegenden Fall vielmehr in der Konkurrenz um Konversionen, die ihnen zugleich eine – in Beyers Darstellung fehlende – operative Basis liefert. Die Angleichung ist hier folglich weder Selbstzweck noch an legitimierender Anerkennung orientiert, sondern beruht eher auf ‚strategischen‘ Erwägungen, denen die interessierte ‚Verwicklung‘ in eine konversionsfokussierte Sinndynamik vorausgeht. In weiten Teilen hat dies auf der nicht-pfingstlichen Seite einen eher verteidigenden Charakter. So sind etwa im Fall des Hinduismus oder des singhalesischen Buddhismus keine analogen Ambitionen einer Weltbekehrung im Spiel, obgleich es auch hier Komponenten globaler Mission gibt oder gegeben haben mag. Gleichwohl führt auch schon die bloß verteidigende Einstellung zu folgenreichen Bindungen an besondere Sinnperspektiven. Insbesondere im Falle des Islam und des Hinduismus gründet darin zum Teil eine Beobachtung der globalen Aktivitäten des christlichen

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Gegners; in der Bewertung des Missionsunternehmens des christlichen Antipoden sind dabei weltweite Konversionsstatistiken von Relevanz. Es spricht hier folglich vieles für die Existenz eines Sinnsystems, das zumindest eine Auswahl von Religionen auf sich auszurichten vermag und sich infolge von Konkurrenzdynamiken als Makrostruktur über das anderweitig eher desintegrierte globale Feld religiöser Gebilde und Sinnzusammenhänge erhebt. Ähnlich wie das globale Handelsrecht bzw. die „lex mercatoria“ im ansonsten wenig globalisierten Rechtssystem scheint hier ein sachlich verengter, weil allein konversionsbezogener Anschlusszusammenhang im Bereich des Religiösen einen weitgehend globalen Charakter angenommen zu haben. Es gilt an dieser Stelle auf einige andere Muster aufmerksam zu machen, die in der obigen Darstellung zum Vorschein gekommen sind. So ist auffällig, dass sich insbesondere im hinduistischen und buddhistischen Fall die Konkurrenzperspektive mit nationalistischen Ideologien verbindet. Nationalistische Untertöne gewinnt die Konkurrenz zum Teil auch im Katholizismus; so wird bisweilen eine ursprünglich katholische Verfasstheit Lateinamerikas veranschlagt und die protestantische Mission von katholischer Seite als Angriff auf die kulturelle Identität dargestellt (vgl. Cleary 1994: 207). Gleichzeitig wird der pfingstlich-evangelikalen Mission in den verschiedenen Kontexten eine breitere imperialistische Agenda unterstellt. Eine mutmaßliche finanzielle Unterstützung aus dem nordamerikanischen Ausland wird dabei zum Anlass genommen, die Mission als hegemoniales Projekt der westlichen Kultur insgesamt, oder wie im Fall des Katholizismus, als CIA-Komplott zu stilisieren. Wie auch Mayer (2008: 39) beobachtet, interferiert der Konflikt um Konversion so bisweilen mit dem Diskurs eines „clash of civilizations“. Dies mag auf den ersten Blick das differenzierungstheoretische Ergebnis der Untersuchung in Frage stellen; tatsächlich scheint mir aber die Ausdifferenzierung einer Sphäre, die rein um Konversionsereignisse strukturiert ist, dadurch nicht gefährdet. So haben diese Denunziationen und Verunglimpfungen eine offensichtliche Funktion der Delegitimation und dienen nicht zuletzt dem Zweck, Konversionen abzuwenden; sie sind also, so darf man unterstellen, durch das Interesse an Bekehrungen und die ihnen zugrundeliegende Summenkonstanzlogik bestimmt. Eine Analogie zur Wirtschaft mag das Argument verdeutlichen: Werbefeldzüge inländischer Fabrikanten, die sich auf altbewährte Traditionen berufen und sich implizit oder explizit gegen billigere Anbieter aus dem Ausland positionieren – etwa indem der „Made in the USA“Signifikant auf dem amerikanischen Markt als Qualitätszertifikat stilisiert wird, dabei gar noch an patriotische Gefühle appellierend – kompromittieren ebenfalls nicht die Ausdifferenzierung der Wirtschaft, sondern sind im Gegenteil von wirtschaftlichen Strategien bestimmt.94 In beiden Fällen bildet eine spezifische ‚illusio‘, hier die Relevanz religiöser Zugehörigkeiten, dort der wirtschaftliche Profit, die Grundlage für den Rückgriff auf entsprechende Mittel der Diskreditierung. Gleichzeitig mag die nationalistische Färbung im Falle der hier betrachteten Strömungen des Hinduismus und Buddhismus gar noch einen Beitrag zur Plausibilisierung exklusiver religiöser Zugehörigkeiten geliefert haben. Schließlich folgt die Logik nationalstaatlicher Zugehörigkeit ebenfalls dem Muster eindeutiger Zuorden94 In einem ähnlichen Zusammenhang argumentiert auch Roy (2010: 227), dass Abschottungsversuche nationaler „Märkte“ in der Religion ebenso wenig wie in der Wirtschaft gegen globale Marktstrukturen sprechen.

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barkeit: Jedes Individuum gehört im Normalfalle ausschließlich einer Nation an; Mehrfachzugehörigkeiten sind klar als Ausnahmen markiert. Die asiatischen Religionen sind, wie gesehen, ursprünglich nicht wie das Christentum als Mitgliedschaftsreligionen verfasst. In dem Maße allerdings, in dem religiöse Momente sich hier mit nationalistisch-ethnischen Gesinnungen verbinden und eine solche Diskurslogik aufnehmen, vermag dort auch der Aspekt von zählbaren Zugehörigkeiten an Plausibilität zu gewinnen. So liegt die Vermutung nahe, dass dort, wo dem Buddhismus solche Färbungen abgehen, ein ‚befangenes‘ Interesse an der hier betrachteten Sinnsphäre nicht in gleicher Weise zu beobachten ist. Tatsächlich zeigen sich in Korea buddhistische Vertreter zwar durch die pfingstlich-evangelikalen Polemiken und Vandalismen betroffen (vgl. Lee 2006; Oh 2006) – eine Kontroverse, die sich um den Akt der Bekehrung dreht, drängt sich dort indessen nicht gleichermaßen deutlich auf. So ist es sicher auch kein Zufall, dass die meisten Regionen, die hier einer näheren Betrachtung unterzogen wurden, durch den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts geprägt sind. So lieferten nicht nur die europäischen Kolonialverwaltungen zusätzliche Plausibilitätsstützen für ein Religionsverständnis, das auf exklusive Zugehörigkeiten setzt; wie gesehen, hat der Zensus hier zum Teil eine bedeutende Rolle gespielt. Obendrein war auch die Opposition gegen das Kolonialregime selbst ein wichtiger Katalysator für Unabhängigkeitsbestrebungen, bei denen religiöse Identitätsressourcen mobilisiert und auf eine Weise definiert wurden, die zugleich für den Wettbewerb um Konversionen empfänglich gemacht haben. Entsprechend hat, wie oben deutlich wurde, die Kolonialperiode einen prominenten Platz im kulturellen Gedächtnis der betreffenden Religionsanhänger; sie liefert in weiten Teilen noch immer zentrale Interpretamente für die Auslegung der gegenwärtigen pfingstlich-evangelikalen Missionsoffensive. Schließlich spielt in den hier betrachteten Regionen die Säkularität der Verfassungen eine bedeutsame Rolle. So hat sich selbst in Indien und Sri Lanka die politische Regierung eine weitreichende Neutralität bewahrt. Die immer wieder eingebrachten Vorschläge für Gesetze, die auf ein Verbot von Konversionen oder Proselytismus abzielen, haben bislang auf nationaler Ebene wenig Erfolg gehabt. Gerade das drängt die Religionen in weiten Teilen dazu, gegen den pfingstlich-evangelikalen Missionsvorstoß mit genuin religiösen Mittel vorzugehen. Illustriert wurde dies am Beispiel der Rekonversionskampagnen in Indien, der gegenwärtigen publizistischen Aufklärungsarbeit und anderer Gegeninitiativen in Sri Lanka, der Revitalisierung der „da’wah“ in Afrika und Indonesien sowie der katholischen Imitation pfingstlicher Evangelisationstechniken in Lateinamerika. Verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit und die daraus hervorgehende politische Neutralität haben hier eine differenzierungstheoretisch bedeutsame Funktion – ein Argument, das Luhmann schon 1965 in seiner Arbeit „Grundrechte als Institution“ vertreten hat.

Schluss

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein Begriff eines globalen Sinnsystems entwickelt und der Analyse religiöser Zusammenhänge zugrunde gelegt. Dabei ging es um zwei Kriterien: Es wurde einerseits auf die Totalität einer ausdifferenzierten Sinnperspektive abgestellt, die alle ihr sachlich zugehörigen elementaren Operationen unabhängig von deren räumlichen Situierung in die Reproduktion eines spezifischen Möglichkeitshorizonts einbezieht. Es wurde dabei andererseits auf eine Konvergenz in den Horizontstrukturen der betreffenden kommunikativen Ereignisse gesetzt: Die vor diesem Sinnhorizont beobachteten und darin eingefassten Kommunikationen bzw. Kommunikationszusammenhänge sollen sich allesamt auf denselben Möglichkeitsraum sachspezifischen Erlebens und Handelns hin entwerfen. Ausgehend davon wurde eine Sinnperspektive aufgezeigt, die dem Totalitätskriterium gerecht wird: So kommt mit der protestantischen Missionsbeobachtung des 19. Jahrhunderts ein Sinnzusammenhang ins Werden, der dem Anspruch nach alle Bekehrungen zum Christentum weltweit registriert und bilanziert; dabei werden über jede Bekehrung die weiteren Möglichkeiten ‚sinnvoller‘ Missionsaktivitäten kontinuierlich restrukturiert. Diese Perspektive wird heute insbesondere von der pfingstlichevangelikalen Mission getragen und auf ‚Wechsel‘ zwischen anderen Religionen ausgeweitet, die allesamt als konkurrierende ‚Mitgliedschaftsreligionen‘ in den Blick kommen. Hinsichtlich des Konvergenzkriteriums kann jedoch in diesem Zusammenhang zunächst nicht von Globalität gesprochen werden: Es handelt sich hier um eine Konstruktion religiöser Welt, die mit den Sinnentwürfen der darin erfassten Religionen nicht ohne weiteres zur Deckung kommt. Wie allerdings im letzten Kapitel gezeigt wurde, erwachsen aus dieser kontrafaktischen Beobachtung reale Folgen: Die direkte Konfrontation mit solchen Sinnzumutungen hat das Potential, unter bestimmten Voraussetzungen auch andere, nicht-christliche Religionen ein Stück weit auf diese Perspektive ‚einzunorden‘. Für eine Auswahl religiöser Strömungen konnten Ansätze einer Entwicklung komplementärer Beobachtungsformen, Sinnzuschreibungen und Relevanzstrukturen nachgezeichnet werden. Akte der Bekehrung interpunktieren dabei auch in deren Beobachtungen zunehmend das interreligiöse Geschehen unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz. Die Anlage der Untersuchung blieb dabei dem Erklärungsmuster von ‚Weltgesellschaftstheorien‘ treu, indem die je lokalen Transformationen und interreligiösen Dynamiken von der Warte globaler Strukturentwicklungen beschrieben und erklärt wurden. Der Fokus galt dabei in der Hauptsache der quantifizierenden Perspektive der pfingstlich-evangelikalen Mission. Entsprechend sind ‚typische‘ religiöse Sachver-

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halte und Phänomene, etwa Gebete, Kulthandlungen und religiöse Feiern, im Rahmen dieser Studie vergleichsweise unterrepräsentiert. Eine gesellschaftliche Bedeutung ist ihnen damit keineswegs abgesprochen. Allerdings gründen, so hat sich gezeigt, gerade in der quantitativen Abstraktion von solch qualitativen Aspekten, wie sie von der pfingstlich-evangelikalen Bewegung selbst vorgenommen werden, weltgesellschafts- wie differenzierungstheoretisch bedeutsame Dynamiken. So wird es nicht zuletzt durch diesen numerischen ‚Reduktionismus‘ möglich, disparate Religionen in ein Vergleichsverhältnis zu setzen, aus dem sich kontinuierlich neue Informationen generieren lassen. Statistische Inventarisierungen der religiösen Welt konstituieren hier das ständig im Wandel begriffene ‚Zahlenobjekt‘ religiöser Zugehörigkeitsverteilungen, auf das sich auf pfingstlich-evangelikaler Seite eine umfassende Aufmerksamkeits- und Handlungssphäre ausrichtet. Wie gezeigt wurde, ist dieser Sinnzusammenhang dabei in grundlegender Hinsicht auf Instanzen angewiesen, die sich allein der interreligiösen Beobachtung verschreiben und fortlaufend über aktuelle globale ‚Religionsverhältnisse‘ informieren. Daran orientiert sich ein ganzes Feld pfingstlich-evangelikaler Organisationen, die hinsichtlich des Zwecks der Bekehrung auch die Interaktionsebene wohlkalkuliert einspannen. Dort, wo sich spezifische Religionsverständnisse durchsetzen, lassen sich zum Teil auch andere Religionen von entsprechenden quantitativen Orientierungen ‚in den Bann schlagen‘; auch auf dieser Seite hat sich dies mitunter in der Aufdauerstellung einer Konversionsbeobachtung, in entsprechenden Organisationsgründungen und zum Teil in ‚interaktiven‘ Strategien bemerkbar gemacht. Das System bzw. die ‚Makrostruktur‘, die damit beschrieben ist, ist im Vergleich zu dem globalen religiösen Funktionssystem, das Niklas Luhmann und auch Peter Beyer vorgeschwebt hatte, weitaus bescheidener. Ein integrierter Zusammenhang all dessen, was Luhmann, Beyer und auch die pfingstlich-evangelikale Bewegung als Religion beobachten, ließ sich hier nicht aufzeigen. Die Bescheidenheit des Ergebnisses ist indes das konsequente Resultat einer differenzierungstheoretischen ‚Epoché‘. So wurde hier nicht vorentschieden, wo die Grenzen des religiösen Feldes liegen, um diesem dann nachträglich den Status eines Funktionssystems zuzusprechen – etwa indem ein weltpolitikanaloger Religionszusammenhang behauptet wird, der dann allerdings bei näherem Hinsehen jeder operativen Grundlage entbehrt. Stattdessen wurde der Versuch unternommen, einer autonomen Konstitution eines interreligiösen Zusammenhangs nachzugehen. Die Untersuchung hat entsprechend von eigenen Religionsdefinitionen abgesehen, um vielmehr im religiösen Gegenstandsbereich selbst nach religionsübergreifenden Selbstbeschreibungen und Grenzbestimmungen Ausschau zu halten. Auch eine solche Analyse braucht freilich einen Ansatzpunkt; aufgrund der christentumsgeschichtlichen Prägung des Religionsbegriffs lag es nahe, beim Christentum selbst anzusetzen, dessen Selbst- und Fremdbeschreibung als Religion außer Frage steht. Mit der Auswahl der pfingstlich-evangelikalen Bewegung wurde dabei zugleich eine Konsequenz aus dem differenzierungstheoretischen Überblickskapitel gezogen. Wie dort herausgearbeitet wurde, gelten die in differenzierungstheoretischer Hinsicht fruchtbarsten Analysen dem amerikanischen Kontext, während europäisch verengte Betrachtungen ein weitgehend einheitliches Bild religiöser Unsichtbarkeit, Zusammenhangslosigkeit und Depotenzierung zeichnen. Gerade in der interreligiösen Weltkonstruktion der pfingstlich-evangelikalen Bewegung

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kommen die typisch ‚amerikanischen‘ Sinnmuster einer quantitativ orientierten Konkurrenz um Bekehrungen zum Tragen. Vor diesem Hintergrund hat sich der hier verfolgte Ansatz noch in einer anderen Formulierung von Luhmanns später Religionstheorie absetzen lassen. So wurde argumentiert, dass diese, auf der Ebene der Weltgesellschaft ansetzend, implizit einer europäisch orientierten Betrachtung eines desintegrierten Terrains religiöser und ‚religioider‘ Sinngebungsformen verhaftet bleibt. Demgegenüber hat die vorliegende Untersuchung nachzuzeichnen versucht, wie sich der in differenzierungstheoretischer Hinsicht ‚potente‘ Fall amerikanischer Interreligiosität gewissermaßen selbst in einer kontrafaktischen Beobachtung auf die Ebene der Weltgesellschaft projiziert. So hat die Analyse dort, wo solche Beobachtungen auf Seiten anderer Religionen entsprechende Folgen zeitigen, gewissermaßen auch einer religiösen ‚Amerikanisierung‘ gegolten: Die Frage war hier, inwieweit ‚denominationale‘ Selbstverständnisse bzw. mitgliedschaftsorientierte Konkurrenzperspektiven auch auf anderer Seite aufgegriffen werden und die wechselseitigen Beobachtungen integrieren. Der interreligiöse Zusammenhang, der sich über diesen Ansatz beschreiben ließ, ist zwar gegenüber dem allumfassenden „Funktionssystem“ Niklas Luhmanns deutlich reduziert. Gleichwohl – oder gerade deshalb – lassen sich hier jene eigenlogischen Dynamiken, übergreifenden Selbstbeschreibungen, operativen Zusammenhänge und spezifischen Möglichkeitshorizonte aufzeigen, die in Luhmanns Beschreibungen der übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme an vorderster Stelle stehen, in seiner späten Religionsschrift aber weitgehend fehlen. Damit ist allerdings nicht der Anspruch erhoben, eine Beschreibung all dessen abgeliefert zu haben, was in religiöser Hinsicht von weltgesellschafts- und differenzierungstheoretischer Relevanz sein mag. Mögliche anderweitige interreligiöse Perspektiven und Zusammenhänge von globaler Extension, die in sachlicher Hinsicht anderen Orientierungen folgen, sind hier ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Was den allgemeinen theoretischen Ertrag dieser Untersuchung anbelangt, so seien hier ferner zwei Befunde genannt, die nicht auf den Gegenstand der Religion und den spezifischen Fall der Pfingstbewegung beschränkt sind. Der erste davon wird allerdings am religiösen Beispiel ganz besonders deutlich: So zeigt sich hier, dass die Ausdehnung und Globalisierung von gesellschaftlichen Subsystemen nicht allein rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen bedarf, im vorliegenden Fall etwa der Trennung von Staat und Kirche und der Garantie von Religionsfreiheit. Das eigenlogische Systemgeschehen ruht auf noch sehr viel elementareren kognitiven Prämissen und kulturellen Deutungsmustern auf. So hat die hier nachgezeichnete interreligiöse Konkurrenzlogik ein kulturspezifisches Religionsverständnis zur Grundlage, das sich auf einen kategorialen Apparat von individueller Zugehörigkeit, wechselseitig exklusiven Glaubensgemeinschaften und religiöser Mobilität stützt. Darüber hinaus kommen in diesem Zusammenhang partikulare Vorstellungen organisatorischer Rationalität in der Beförderung, Abwehr oder Umkehr von Bekehrungen zum Tragen. Solche kulturellen Schemata lassen sich aber nicht allein auf eine religiöse Sonderwelt zurechnen. Sie liegen insoweit ‚quer‘ zur gesellschaftlichen Differenzierung, als sie von vielfältigen Mechanismen und Komplexen gestützt werden. So haben im vorliegenden Fall insbesondere staatliche Zensnjs maßgeblich zur Durchsetzung einer ‚individualistischen‘, mitgliedschaftsorientierten Konzeption von Religion beigetra-

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gen. Noch die aktuellen globalen Religionsbeobachtungen der pfingstlich-evangelikalen Bewegung ruhen in der Hauptsache auf Zensuserhebungen, die von religiösen Assoziationen von Individuen ausgehen und dabei eine populationsstatistische Logik der religiösen Beobachtung befördern. Und auch der organisatorische Rationalismus, der sich hier in religiösen Dingen entfaltet, dürfte auf umfassendere Plausibilitätsund Legitimitätsstrukturen angewiesen sein. Es ist damit sicher kein Zufall, dass die hier erörterten interreligiösen Auseinandersetzungen in der Regel einen kolonialgeschichtlichen Hintergrund haben. Im Zuge der Kolonialisierung wurden entsprechende Kulturmuster nicht nur an andere religiöse Traditionen herangetragen. Sie hatten bis ins 20. Jahrhundert hinein zudem das Gewicht eines ganzen ‚Regimes‘ und wurden im Zusammenspiel zahlreicher Institutionen stabilisiert. Die hier zum Tragen kommenden Akzente auf Individualität, „voluntary association“ und Rationalität deuten an, dass gerade die Durchsetzung und Unterstützung spezifisch „weltkultureller“ Deutungsmuster und „Skripte“ im Sinne John W. Meyers et al. eine wesentliche Prämisse für die Globalisierung der interreligiösen Konkurrenz um Bekehrungen darstellen. So sind es nicht zuletzt die in kultureller Hinsicht voraussetzungsvollen ‚rationalen Akteure‘, die dieser Dynamik zugrunde liegen: entscheidungskompetente Individuen einerseits, zweckorientiert handelnde Organisationen andererseits. In diesem Zusammenhang ist der neo-institutionalistische Blick für ihren konstruierten Charakter und ihre kulturelle Kontingenz gerade auch dem religionssoziologischen „supply-side approach“ der Rational-Choice-Theorie vorzuhalten. Dieser geht generell davon aus, dass sich schon durch eine ausreichende Differenzierung von Religion und Politik Verhältnisse einstellen, in denen Individuen auf der Basis religiöser Vorlieben ‚Konsum-Entscheidungen‘ zwischen konkurrierenden religiösen Anbietern treffen. Die Nicht-Selbstverständlichkeit und Partikularität der damit implizierten Vorstellungen von Religion, religiöser Zugehörigkeit, individuellen Präferenzen etc. bleiben indes ebenso unberücksichtigt wie die Mechanismen, über die sich besagte Vorstellungen gegebenenfalls verbreiten und durchsetzen können. Die hier erörterten religiösen Differenzierungsdynamiken scheinen jedoch nicht nur in kognitiver, sondern auch in normativer Hinsicht auf diffuseren, „weltkulturellen“ Fundamenten zu stehen. Im vorliegenden Fall lässt sich so etwa das Verhalten der Nationalregierungen in Indien oder etwa Sri Lanka deuten; hier zögert man, den Vorstößen in der ‚Anti-Konversions-Gesetzgebung‘ buddhistischer bzw. hinduistischer Vertreter nachzugeben. Wie Matthews (2007) deutlich macht, ist es insbesondere die Sorge um internationale Anerkennung und Angst vor diplomatischen Sanktionen durch den Partner USA, die dabei eine entscheidende Rolle spielen. Wie gesehen, nötigt dies die betroffenen Religionen dazu, den pfingstlich-evangelikalen Missionsvorstößen auf genuin religiösem Wege zu begegnen. Eine religionsspezifische Dynamik wird hier durch Normen säkularer Neutralität in Gang gebracht, die ihre Legitimierung und ihren Rückhalt in den (wiederum umfassenderen) Anerkennungszusammenhängen einer „world polity“ finden. Hieraus lassen sich nun allgemeine Schlussfolgerungen für die Analyse der Globalisierung von gesellschaftlichen Subsystemen ziehen. So wären bei einer differenzierungstheoretischen Betrachtung eigengesetzlicher Dynamiken und Sonderhorizonte unter weltgesellschaftstheoretischen Gesichtspunkten stets auch die sachthematisch unspezifischeren, wenngleich kulturell-partikularen ‚Ontologien‘ und Normen

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in Rechnung zu stellen, die Ersteren gegebenenfalls zugrunde liegen. In dieser Hinsicht können sich neo-institutionalistische Perspektiven und differenzierungstheoretische Ansätze in der Weltgesellschaftsforschung ergänzen. Schließlich dürften ähnliche Plausibilitätsstrukturen, wie sie sich hier im religiösen Fall auswirken, auch hinsichtlich anderer eigenlogischer Systemdynamiken von Bedeutung sein. Dies kann hier nur angedeutet werden: Im Falle der Politik etwa ist politische Willensbildung und ein davon ausgehender Aktivismus in vielerlei Hinsicht ebenfalls an ‚Ontologien‘ entscheidungswilliger Akteure und entsprechende normative Garantien gekoppelt. Ähnliche Prämissen liegen auch der Ausbildung von ‚Unternehmergeist‘ und wirtschaftlicher Nachfrageorientierung zugrunde, an die eine entsprechende ökonomische Dynamik anknüpft.1 In all diesen Fällen hat man es mit voraussetzungsvollen ‚Individualisierungen‘ in die Richtung vielfältiger Sinnziele zu tun, auf denen sich eine entsprechende „Selbstorganisation“ gesellschaftlicher Großsysteme wie Wirtschaft, Politik oder Religion im lokalen oder globalen Maßstab einrichten kann (vgl. hierzu auch Luhmann 1997c). Die rechtlichen Institutionen, auf die derartige Dynamiken angewiesen sind, waren auch Luhmann (1965) schon früh im Blick. Insbesondere in weltgesellschaftstheoretischen Zusammenhängen sind aber gerade auch ihre wissenssoziologischen Bedingungen von Relevanz. So ist zu vermuten, dass eine Globalisierung entsprechender Subsysteme auf eine flankierende Globalisierung normativer und ‚kulturell-ontologischer‘ Infrastrukturen angewiesen ist. Entsprechend gilt es von differenzierungstheoretischer Seite auch die vielfältigen Träger und Promotoren solcher umfassenderen Sinnmuster zu berücksichtigen, wie sie gerade auf der Seite des Neo-Institutionalismus hinsichtlich der Instandhaltung und Durchsetzung einer Weltkultur in den Blick kommen. Für den Neo-Institutionalismus würde ein derartig komplementäres Verhältnis freilich bedeuten, sich nicht einseitig den durchgreifenden „Isomorphien“ über die verschiedenen Subsystemgrenzen hinweg zu widmen, sondern auch den je besonderen Logiken der einzelnen Sinnzusammenhänge noch etwas mehr Platz in der Theorie einzuräumen. Das ‚ausgewogene‘ Programm, das damit angedeutet ist, läge im Übrigen ganz auf der Linie Max Webers: Dieser hatte sowohl der eigengesetzlichen Verfassung und Auseinanderentwicklung verschiedener Wertsphären wie auch deren gemeinsamen Einbettung in einer voraussetzungsvollen Kultur des „okzidentalen Rationalismus“ Rechnung getragen. Ein zweiter Befund gilt speziell der systemtheoretisch orientierten Differenzierungstheorie. So wurde Niklas Luhmann hier einem allgemeineren differenzierungstheoretischen Paradigma zugeordnet, das grundlegend durch Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Max Weber in Anschlag gebracht wurde; auch die Feldtheorie Pierre Bourdieus lässt sich hier subsumieren. Allen ist gemein, dass sie sich in erster Linie für die Ausdifferenzierung besonderen Sinns interessieren; es geht um sachspezifische Sonderwelten, die prinzipiell alles ins Licht ihrer je autonomen Wertgesichtspunkte zu setzen vermögen. In den dabei betrachteten Ordnungen, Sphären, Gebilden, Feldern oder Systemen stimmen die Autoren in weiten Teilen ebenfalls überein: So kommen in diesen Hinsichten etwa Wissenschaft, Politik, Religion, Wirtschaft 1

In der Tat argumentieren ja etwa Martin (1990) und Berger (1997), dass der global expandierende Pfingstevangelikalismus selbst durch seine individualistische Ethik solchen politischen und wirtschaftlichen Ausdifferenzierungsdynamiken außerhalb der ‚OECD-Welt‘ den Weg ebnet.

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und Kunst in den Blick. Einzig Luhmann verbindet damit jedoch eine Perspektive funktionaler Differenzierung. Es geht ihm auf der Differenzierungsebene der modernen Gesellschaft um Großsysteme, die eine grundlegende gesellschaftliche Funktion erfüllen. Gerade die makrostrukturelle Verortung von Sinnzusammenhängen, so scheint es, hängt im Wesentlichen an den Möglichkeiten einer solchen Funktionsbenennung. Demgegenüber hat diese Studie insbesondere das systemtheoretische Konzept der Elementaroperation in den Mittelpunkt gerückt; im Blick waren dabei etwa wissenschaftliche Publikationen, Zahlungen und – im vorliegenden Untersuchungsfall – religiöse Bekehrungen, die jeweils in einen phänomenologischen Horizont weiterer Möglichkeiten sachspezifischen Erlebens und Handelns eingebettet sind. Eine solche Akzentuierung öffnet den Blick für eigengesetzliche Strukturen, deren makrostrukturelle Situierung weniger an einer klar zu identifizierenden Funktion als vielmehr an einem operativen Verbund sinnspezifischer Kommunikationsakte oberhalb der Interaktions- und Organisationsebene festzumachen ist. Die Feldtheorie Pierre Bourdieus etwa bewahrt sich den Blick für prinzipiell jeden antagonistischen Zusammenhang, der mit spezifischen Aufmerksamkeitsinvestitionen und eigenlogischen Einsätzen einhergeht, d.h. auf spezifische Relevanzen und Handlungsorientierungen ‚zu verpflichten‘ vermag. Indem man die Differenzierungstheorie der Systemtheorie auf etwas mehr Distanz zu ihren funktionalistischen Grundorientierungen brächte, könnten auch hier anderweitige Makrosysteme Berücksichtigung finden als die beinahe schon a priori zu benennenden gesellschaftlichen Funktionssysteme. So mögen eventuell auch kleinteiligere Operationszusammenhänge in den Blick kommen, die gleichwohl einen sachspezifischen Möglichkeitshorizont auf der Gesellschaftsebene begründen, an dem sich dann etwa Organisationen, Interaktionen und Individuen orientieren. Die hier analysierte konversionsbasierte Sinnsphäre, die sich innerhalb eines breiteren Terrains des Religiösen ausdifferenziert, ist dafür ein Beispiel. Eine solche ‚afunktionalistische‘ Perspektive setzt eine stärker substantialistisch oder sinntheoretisch orientierte Differenzierungsperspektive voraus, die zunächst die gesellschaftliche Situierung des Zusammenhangs garantiert, bevor funktionalistische Analysen daran anschließen.

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