Weiter | Nutzen: Landwirtschaftliche Gebäude im Allgäu 9783955535940, 9783955535933

Landwirtschaftl. Gebäude im Allgäu Bauernhäuser prägen die Identität der Allgäuer Kulturlandschaft seit Jahrhunderten.

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German Pages 216 Year 2022

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Weiter | Nutzen: Landwirtschaftliche Gebäude im Allgäu
 9783955535940, 9783955535933

Table of contents :
Vorwort
Die ausgewählten Projekte
Alles wegschieben? Warum wir alte Bauernhäuser umbauen
01 Görisried / Vom Segen der Gelassenheit in zweiter Reihe
02 Halblech / Bauenmüssen und Wohnenlassen als Lebenskunst
03 Nesselwang / Wo das Ferienhaus im eigenen Haus möglich wird
04 Pfronten / Ein Ort aus ländlicher Gunstlage und Geschichtsrau
05 Wald / Wenn ein Hausbau neue Maßstäbe setzt
06 Unterthingau / Platz für einen Hidden Champion in jeder Dorfmitte
07 Buchenberg / Zusammenspiel und Planung helfen bei Überraschung
08 Kempten / Ausgelassen feiern, wo einst hart gearbeitet wurde
09 Immenstadt / Kraft des Naheliegenden und geglückte Fügung
10 Immenstadt / Analog erneuern heißt weiterbauen statt gegensetzen
11 Immenstadt / Wenn der Baufortschritt mit der Eisenbahn kommt
12 Bolsterlang / Fließender Raum zwischen dichtem Dorf und weitem Land
13 Obermaiselstein / Neue Interessen bringen neues Leben ins alte Haus
14 Oberstdorf / Wie die Ortsgeschichte zu Hausgeschichte wird
15 Heimenkirch / Wenn Bescheidenheit sich als Glücksfall erweist
16 Arnach / Mit Stahl und Glas alten Stallgeruch austreiben
17 Bad Grönenbach / Wenn Umbau auf Umbau auf Umbau aufbaut
18 Türkheim / Zwanglosigkeit des Landes trifft Reichtum der Stadt
19 Pleß / Ein Haus wird zur gebauten Dorfgemeinschaft
Album
Variation eines Typs – das Allgäu-Haus
Konstruktive Strategien bei der Sanierung traditioneller Allgäuer Bauernhäuser
Projektdaten
Kurzbiografien
Buchbeteiligte – Dank

Citation preview

architekturforum allgäu

weiter // nutzen Umgebaute Bauernhäuser im Allgäu Florian Aicher Wolfgang Huß

Edition ∂

gewidmet Doris Riedmiller

Vorwort „Ich setzte mich eine Zeitlang hinein in dieses gemauerte Gehäuse. Draußen vor dem winzigen Fenster trieben die Schneeflocken vorbei, und bald kam es mir vor, als befände ich mich in einem Kahn auf der Fahrt und überquerte ein großes Wasser. Der feuchte Kalkgeruch verwandelte sich in Seeluft; ich spürte den Zug des Fahrtwinds an der Stirn und das Schwanken des Bodens unter meinen Füßen und überließ mich der Vorstellung einer Schiffsreise aus dem überschwemmten Gebirge hinaus.“ Der Schriftsteller W. G. Sebald beschreibt mit diesen Worten in seinem Buch „Schwindel. Gefühle“ in der Geschichte „Il Ritorno in Patria“ sehr poetisch ein Raum­ gefäß in der Nähe seines Geburtsortes Wertach und transportiert ein Stimmungsbild unserer Allgäuer Kultur­ landschaft, die jahrhundertelang maßgeblich durch ihre Bauwerke mitgeformt wurde, zumeist durch Höfe und Stadel. Sebald verließ das Allgäu in jungen Jahren und wanderte später nach England aus, thematisierte in seinen Werken aber immer wieder die prägenden Erinne­ rungen an seinen Herkunftsort. Der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts fortschreitende Wandel in der Landwirt­ schaft zwingt uns faktisch zum Nachdenken über den Umgang mit und die Zukunft dieser prägenden Bausubs­ tanz. Die Frage nach dem „Sollen wir überhaupt weiter­ nutzen?“ sollte sicherlich mit einem „In jedem Fall!“ beantwortet werden, die Frage nach dem „Wie weiter­ nutzen?“ bietet indes eine Fülle an Optionen, die nicht immer von einem tieferen Verständnis für den Bestand getragen sind. Genau dies war für das architekturforum allgäu der eigentliche Anlass zu vorliegender Publikation. Dazu wurde im Jahr 2019 ein interner Arbeitskreis ins Leben gerufen, der sich auf die Suche nach beispiel­ haften Projekten im ganzen Allgäu gemacht hat. Aus über hundert ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäuden traf eine unabhängige Fachjury – bestehend aus dem verantwortlichen Redakteur des „Bauberaters“ beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, Bernhard Landbrecht, dem Augsburger Architekturprofessor

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Wolfgang Huß und dem Vorarlberger Architekten DiplomIngenieur Walter Felder – die Auswahl der 19 im Buch gezeigten Projekte. Diese wurden intensiv von Studierenden des Masterstudiengangs der Hochschule Augsburg unter die Lupe genommen, die nach ausführlichen Analysen auch einheitliche Planunterlagen dazu erarbeitet haben. Die Projekte werden einzeln in Bild, Text und Plan vorgestellt. Dabei werden unterschiedliche Fragestel­ lungen und Lösungswege deutlich, die nicht zuletzt mit den zahlreichen Variationen des Haustyps zusammen­ hängen. Diese Vielgestalt wird im Gespräch mit Anton Hohenadl, dem ehemaligen Kreisbaumeister des Ost­ allgäus, Dr. Bernhard Niethammer, dem Leiter des Schwä­ bischen Bauernhofmuseums Illerbeuren, und Franz Vogler als Architekt und Hausforscher thematisiert. Durchaus ernst genommen wird die Frage, wieso diese Bauten, die ihrem bäuerlichen Zweck kaum mehr genü­gen, überhaupt zu erhalten seien: Das Gespräch mit der Architektin Martina Buchs, der Historikerin Dr. Veronika Heilmannseder und dem Landschaftsarchitekten Philip Sodeur sucht darauf Antworten. Ganz praktische Fragen, die sich stellen, wenn man sich mit dem Umbau eines solchen Hauses befasst, beantwortet Wolfgang Huß, Architekt und Professor an der Hochschule Augsburg. Verfasser der Hausgeschichten ist Florian Aicher, der auch die beiden begleitenden Gespräche geführt hat. Ins Bild gesetzt wurden die meisten Objekte von Hermann Rupp, neben Rainer Retzlaff und Nicolas Felder. Die Gestaltung des Buches lag in den Händen von Nicola Reiter. Ein ganz herzlicher Dank gilt dem Arbeitskreis aus den Reihen des architekturforum allgäu für seinen großen ehrenamtlichen Einsatz. Allen, denen das Allgäu und seine früher identitätsstif­ tende Baukultur am Herzen liegt, sei dieses Buch empfohlen. Franz G. Schröck im Namen des architekturforum allgäu

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Memmingen

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Oberstaufen 12 13

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Oberstdorf

Die ausgewählten Projekte 01 02 03 04 05 06 07

Görisried / Vom Segen der Gelassenheit in zweiter Reihe Halblech / Bauenmüssen und Wohnenlassen als Lebenskunst Nesselwang / Wo das Ferienhaus im eigenen Haus möglich wird Pfronten / Ein Ort aus ländlicher Gunstlage und Geschichtsraum Wald / Wenn ein Hausbau neue Maßstäbe setzt Unterthingau / Platz für einen Hidden Champion in jeder Dorfmitte Buchenberg / Zusammenspiel und Planung helfen bei Überraschung Kempten / Ausgelassen feiern, wo einst hart gearbeitet wurde

S. 16

S. 84

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Immenstadt / Kraft des Naheliegenden und geglückte Fügung Immenstadt / Analog erneuern heißt weiterbauen statt gegensetzen Immenstadt / Wenn der Baufortschritt mit der Eisenbahn kommt Bolsterlang / Fließender Raum zwischen dichtem Dorf und weitem Land Obermaiselstein / Neue Interessen bringen neues Leben ins alte Haus Oberstdorf / Wie die Ortsgeschichte zu Hausgeschichte wird

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Heimenkirch / Wenn Bescheidenheit sich als Glücksfall erweist Arnach / Mit Stahl und Glas alten Stallgeruch austreiben

S. 134

17 18 19

Bad Grönenbach / Wenn Umbau auf Umbau auf Umbau aufbaut Türkheim / Zwanglosigkeit des Landes trifft Reichtum der Stadt Pleß / Ein Haus wird zur gebauten Dorfgemeinschaft

S. 152

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Legende flach hügelig voralpin hochalpin

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S. 24 S. 32 S. 40 S. 50 S. 58 S. 66 S. 74

S. 92 S. 100 S. 108 S. 116 S. 124

S. 142

S. 160 S. 168

Alles wegschieben? Warum wir alte Bauern­ häuser umbauen Gewöhnlich schätzen wir menschliche Artefakte, wenn sie funktionieren. Durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft trifft dies auf viele Bauernhäuser nicht mehr zu. Und der Chor schwillt an: Wegschieben, das alte Glump! Etwa dieses Bauernhaus, ein ganz seltenes Beispiel mit Bauschmuck des Jugendstils: Bei der letzten Fahrt durch den Ort stand es noch, nun steht stattdessen ein Bauschild, dass ein Investor, jenseits eines Radius von 20 Kilometern kaum bekannt, hier eine Wohnanlage errichtet. Oder der stattliche Hof über der Illerschleife, mit fast 360 Grad Rundblick vor Kurzem noch weithin sichtbar, nun ersetzt durch eine Maschinenhalle. Ob Traktoren eine Seele haben? Ob die Fendts, John Deeres und New Hollands nach vollbrachter Ernteschlacht darüber sinnen, was aus ihnen wird, wenn künftige Konsumenten ihre Lebensmittelsensibilität pflegen, die Chinesen ihr Milchpulver selber machen, das Fleisch aus Bioreaktoren kommt und das Land als B’schütte*-Depot ausgedient hat? Ob dann ihre Blechhallen bleiben als Zeugen eines Berufsstandes, der für mehr als 1000 Jahre Land und Leute prägte?

Zu einem einführenden Gespräch trafen sich am 24. Januar 2022 Florian Aicher (FA), Martina Buchs (MB), Veronika Heilmannseder (VH) und Philip Sodeur (PS) in Kempten. FA Was empfindet die Architektin Martina Buchs bei unserer einleitenden Beschreibung? MB Diese Entwicklung ist nicht zu ignorieren – Höfe stehen leer, dann verschwinden sie. Dabei sind sie nicht nur für sich, sondern für die Landschaft prägend. Damit geht für mich ein Stück Heimat verloren, ein Gefühl für das Allgäu, eine Identität. FA Dabei handelt es sich nicht um eine rein sachliche Angelegenheit, sondern um Dinge mit einer Aura im Sinne Walter Benjamins – als Inkorporation vergangener Zeiten und Ereignisse. Was sagt das der Historikerin Veronika Heilmannseder?

*   Gülle

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VH Diese Häuser zeugen von Hunderten von Jahren Arbeit der Menschen auf dem Land, Kultivierung der Natur, Umgang mit naheliegenden Dingen. Das Haus selbst ist in seiner Materialität und Konstruktion durch Ge­ schichte geprägt, ist Erinnerungsort. So wie es dasteht, eröffnet es Einblicke in unsere Herkunft. Es ist ein Gebilde, das seine Gestalt einer Zweckbindung verdankt, ist handhabbar, handwerklich gemacht. Es gewinnt seine Sinn­ haftigkeit aus konkretem Gebrauch, aus bäuerlichem Tun. Jeder Raum, jedes Ding ist verbunden mit dem Rhythmus von Tag und Jahr, dem Schaffen und Ruhen. Tenne, Stall, Heustock, Stube, Ofen, Eckbank, Tisch und das Bänkle an der sonnenwarmen Hauswand sprechen vom Tun und vom Sozialen. Und aus diesem Schaffen ergibt sich eine intensive Beziehung zum Umfeld, der Gegend, der Landschaft. All dies ergibt eine Sinnhaftig­ keit, die nichts Abgehobenes hat, sondern im konkreten, sinnlichen Tun wurzelt. FA Das heißt: geschichtliche Kontinuität, räumlicher Kontext, tätige Konkretion? VH Genau. Und wenn das nun abgeräumt wird, sind diese Dimensionen verloren – selbst dann, wenn sie symbolisch im Museum erhalten werden. Der originale Raumbezug ist entscheidend. FA So ein Haus ist ein Speicher für Erinnerung und Ort der Erfahrung. VH Und schafft damit Orientierung, auf die wir Men­ schen angewiesen sind: Welterfahrung, Identität. Da weiß ich, woher ich komme, was ich mache, wohin ich gehe. FA Dieser Schaffenszusammenhang ist heute vielfach verloren. Doch das heißt nicht, dass er überholt ist. Ein solcher Zusammenhang macht einen deutlichen Unter­ schied zu unserer Kultur des Fragmentarischen, die das Leben nicht wirklich einfacher macht. VH Ja, ein Schaffens- und Sinnzusammenhang. Ein Beispiel aus dem Bereich „Schmuck im Raum“: die FC-BayernChristbaumkugel. Den Apfel als Christbaumschmuck hat jeder verstanden als ein Zeichen für die Welt in Gottes Hand. Eine Kugel mit einem Logo ist ein Marketingobjekt, bar jeden Sinns. Der Hinweis auf den Werdegang des Menschen ist zum Gag geworden – ein sinnentleertes Bild anstelle bedeutungsvoller Dinge.

„Das   Haus ist Erinnerungsort und bietet deshalb Orientierung.“ [Veronika Heilmannseder]

FA Wobei diese Bedeutungen an alltägliche Rituale und soziale Praxis, allgemeiner: Tätigkeiten gebunden sind. VH Die FC-Bayern-Kugel ist Kitsch. Gefühliges ohne Sinn. Ganz anders verhält es sich etwa mit einer gehäkelten Gardine im Fenster, wie sie üblich war. Das ist Sicht­ schutz, aber auch Sonnenschutz, Streuung des Lichts im Raum, Schmuck, ein Zeichen, dass da jemand etwas absichtsvoll gemacht hat, sich zeigt. Das ist die Kultur des Tuns, sozial, nicht des Konsums. Die ist stimmig mit sich und ihrer Umgebung. Auch die Materialien stehen hier zu Mensch und Umwelt in Einklang. Das Beispiel Fenster und Schmuck, der den Dingen inneliegt, ist hier auch in anderer Hinsicht hilfreich. Ein Holzfenster oder ein Fensterladen mit Material aus der Umgebung passt zum Haus, lässt sich reparieren und verschwindet nach endgültigem Gebrauch wieder. Ein Plastikfenster oder ein Rollladenkasten mit ortsfremdem, energieaufwendigem Material passt nicht zum Haus, stört seinen Charakter, kann im Alt­ bestand für Schimmel sorgen und bleibt letztlich als Sondermüll zurück. Material und Ausstrahlung scheinen lieblos und voll von Hybris. Dagegen soll so ein Haus in gesundem Maß ein Möglichkeitsraum sein.

Voralpen bei Genf. Die Heckenlandschaft ist durch bäuerliche Nutzung geprägt. Das Bild aus dem Jahr 1444 gilt als erste topografisch genau bestimmbare Landschaftsdar­stellung der europäischen Malerei.

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FA Es geht also nicht nur um eine vergangene Kultur, die es zu kultivieren gilt, sondern um eine Kultur, die für uns heute einen Wert darstellt, möglicherweise mit wachsen­ der Bedeutung. Es geht um Vergegenwärtigung, nicht Vergangenheitsseligkeit. Es geht ums eigene Leben. Der Architekt Franz Riepl hat festgestellt: Wer auf dem Land wohnt, will anders leben. Und er hat von der Ungezwungenheit gesprochen, von der Sinnlichkeit, Alltäglichkeit, von Naturnähe. Ist das für den Landschaftsarchitekten Philip Sodeur ein Thema? PS Ich kenne viele Leute in den Metropolen, die sehnen sich nach dem Land – wohl auch mehr in den vergangenen Krisenjahren. Und ich kenne viele auf dem Land, die beklagen sich: Hier fehlt was. VH Doch die Naturnähe ums Haus wird auch auf dem Land immer weniger. Auch der Bezug zur Landschaft wird schwieriger, nicht zuletzt durch die Maschinengiganten heutiger Landwirtschaft, die die Landschaft für sich fordern. PS Dabei liegt der Landschaftsbezug ja gerade im Allgäu auf der Hand. Unsere Bauernhäuser sind Wahr­zeichen dieser Landschaft – und haben als ihr wesentlicher Teil einen Eigenwert. Niemand käme auf die Idee, markante Monumente der Städte abzureißen. Was diese für die Stadt, sind die Bauernhäuser für unsere Landschaft. Dafür gibt es historische Gründe, etwa die Verein­ödung. Die hat den Charakter unserer Landschaft geprägt – und das ver­ schwindet langsam.

Konrad Witz, Der wunderbare Fischzug (Detail), 132 × 154 cm, Tempera auf Tannenholz, Musée d’art et d’histoire, Genf

Voralpen, 500 Jahre später, 500 km östlich – mit ähnlicher Landschaftsstruktur über lange Zeit und einen weiten Raum. Intensivlandwirtschaft und Siedlungswesen haben seither wenig davon übrig gelassen.

Alwin Seifert, Foto Anfang 1940er-Jahre, Nachlass A. Seifert, TUM Weihenstephan,  Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum 

Im Studium galt der Lehrsatz von John BrinckerhoffJackson: „Landschaft ist ein dynamisches System men­ schengemachter Räume.“ Das ist der heutige Landschafts­ begriff: menschengemacht, dynamisch. FA Klingt gut, aber doch abstrakt. Versuchen wir es konkreter; nehmen wir zwei Bilder – beide zeigen eine Voralpenlandschaft, das eine bei Genf, das andere bei Salzburg. Das Allgäu liegt fast in der Mitte. Das eine, von Konrad Witz, gilt als eines der ersten Landschafts­ bilder überhaupt, das andere, von Alwin Seifert, stammt aus seinem Buch zur Heckenlandschaft. Zwischen beiden liegen 500 Jahre. Verblüffend die – menschen­ gemachte – Ähnlichkeit, über die Zeit, über die Räume hinweg. Diese durch Hecken geprägte maßstäbliche Landschaft hatten wir bis in die 1960er-Jahre. Dann setzte eine Dynamik ein, die im halben Jahrtausend zuvor ihresgleichen sucht. Heute ist das meiste davon ver­ schwunden.

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PS Diese Hecken waren Teil der bäuerlichen Landschaft – Begrenzung, Lieferant von Holz und Laub als Einstreu. Rückschnitt „pflegte“ die Hecken – das ist tätige Kultur. Wie weit die kulturelle Wirkung reicht, zeigt die Sprache. Das Wort Hexe kommt von Hecke. VH An und vor der Hecke, am Hag fand die Hexe ihre Heilpflanzen, letztlich als Gabe von Weisheit, außerhalb des kultivierten Raums – die Kundige, die Hagsche, wie die mittelhochdeutsche Wortwurzel lautet. Nochmals: Orientierung – das bot diese Landschaft. Und darüber hinaus Lebensraum für zahlreiche Arten. Diese Landschaft gilt als artenreichste schlechthin. Sie steht für das Bild von Vielfalt im Unterschied zur Monotonie der Maschinensteppe.

PS Und auch hier meint „Dynamik menschengemachter Räume“: Es gibt keine natürliche Landschaft, unberührte Natur. FA Doch zu bedenken ist: Der Mensch, der Natur kul­ turell überformt, ist selbst ein Naturwesen. Es bleibt Natur, auch als überformte. Und: Auf Unterscheidung kommt es an – nehmen wir die Dynamik der letzten 50 Jahre, so nimmt sich die der 500 Jahre davor wie Stillstand aus. VH Für die letzten 50 Jahre müsste das Stichwort menschengemacht präzisiert werden durch maschinen­ gemacht. Wie weit uns das letztlich gutgetan hat, erfahren wir womöglich erst in den kommenden Jahren. Die Bot­ schaft von Ökologie, Artenschwund, Klimawandel lernen wir ja erst. Kommt die Hecke als Gegengewicht wieder? Besinnen wir uns wieder auf die Räume ums Haus herum: Hausgarten, Obstgarten, die bestellten Felder, die ein­ gehegt und nicht grenzenlos sind. Das ist Hauswirtschaft, Haus und Landwirtschaft, Landschaft als Bezugskultur, die das Allgäu ausmacht und die wir bewahren müssen. FA Bezugskultur, das ist eine Dynamik von Beziehungen, offen für vieles, aber nicht beliebig, sondern gebunden – an Landschaft, Natur, Boden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat vor einiger Zeit geraten, doch den Begriff Landschaft aufzugeben und stattdessen Industriegebiet zu sagen – so rücken wir mit unserer Technik dem Land auf den Leib. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir uns auf die Bindung an die Landschaft besinnen. PS Das Antlitz der Landschaft wird sich verändern, das hat Robert Habeck angekündigt. In welche Richtung? Die letzten 50 Jahre haben gezeigt, was beim freien Spiel der Kräfte herauskommt. Das muss anders werden; wir brauchen Moderation, Auseinandersetzung um die Frage: Welche Landschaft wollen wir? FA Setzt das nicht voraus, dass wir eine Idee von Landschaft haben? Nicht alles steht zur Disposition. Was Habeck sich unter Antlitz vorstellt, wüsste man schon gern. VH Anders gesagt: Wir müssen Ressourcen schonen. Das wissen wir und das zeigt uns schon so ein Bauern­haus. Da ist man sehr sparsam mit den eigenen Kräften umgegangen. Sorgsam, angemessen, sinnvoll. Das gilt für das Haus wie für die Landschaft. Da hat sich Raubbau verboten. Und auch heute darf sie nicht zum Erwachse­ nenspielplatz unserer Freizeitkultur verkommen.

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Das bewusste Bewahren der Kulturlandschaft ist ja nicht neu: Auf der Alp machen wir das schon längst. Also: Das Antlitz wird sich ändern, aber es hat angemessen zu geschehen, mit Rücksicht auf natürliche und kulturelle Ressourcen. Auch die kommende Energiewirtschaft muss den gegebenen Räumen gerecht werden. PS Unbehagen spüre ich bei den Worten Ressource, Bestand, das Ganze. Wer sagt, was das ist? Der bäuerlichen Welt des 19. Jahrhunderts war das noch selbstverständ­ lich. Dieter Wieland wusste es noch, aber ich meine, die Welt hat sich seither schon weitergedreht. Jetzt kommt es darauf an, die Fragmentierung zu moderieren. FA Das ist ein Suchen danach, wie die Dinge zusammen­ hängen. Das fertige Bild ist uns nicht gegeben. Doch beginnt das offene, dynamische Verständnis nicht bei null. Es hat die Ressource, den Eigenwert der Landschaft aufzunehmen.

„Unser   kulturelles Wissen müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, verdichten.“ [Philip Sodeur]

PS Landschaft ändert sich sehr schnell und tiefgreifend heutzutage. Da ist Planung gefragt, Interessensausgleich, Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. FA Gion Caminada hatte auch sein Tal in den Bergen im Sinn, als er feststellte: „Kultur ist früher einfach, fast von selbst, entstanden; heute müssen wir das reflektieren, bewerten, entscheiden.“ Auf welcher Basis? PS Basis ist schon unser kulturelles Wissen; das müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, verdichten. Reflektieren bedeutet auch: Nicht alles hat Bestand; nicht jede Bude muss erhalten werden. Man muss schon genau hin­ schauen.

FA Das ist absolut richtig. Was sind unsere Kriterien? Kann es sein, dass ein Bauernhaus nichts mehr wert ist, bloß weil der Traktor nicht mehr durchs Scheunentor passt? Was ist die Funktion eines Hauses? Was wollen wir denn an die Stelle all dieser Dinge setzen? VH Was sich da Neues entwickelt, geht aus vom Bestand. Was immer einfließt in den Entwurf, ist nicht unbegrenzt verfügbar, weder an Altem noch an Neuem. Auch hat all das mit unserem Empfinden zu tun, ist nicht reines Verstandesding, sondern Bezugsraum, in dem wir uns wiederfinden möchten. PS Erstaunlicherweise sagt das Naturschutzgesetz: Aufgabe ist es, die Schönheit der Landschaft zu bewah­ ren. Das ist doch sensationell: Juristen, die nicht zu emotionalem Überschwang neigen, führen diesen Begriff ein: Schönheit! FA Mehr Planung, mehr Moderation forderst du – was heißt das konkret? PS Viel kommt auf uns zu. Kann eine Gemeinde allein das leisten? Kann das der Staat allein? Vieles spricht dafür, dass die regionale Ebene gestärkt werden muss. MB Regionalplanung wird ziemlich vernachlässigt. Offensichtlich ist diese Ebene schwierig, auf der Gemeinden sich untereinander verständigen, über ihre eigenen, aber auch Bezirks- oder Landesgrenzen hinausdenken müssen. Anzudenken wäre auch – ähnlich wie die Gestaltungsbei­ räte in den Städten – ein Gremium, das sich mit lokalen und zusammenhängenden Landschaftsräumen befasst. Sich Räume mit gemeinsamen Qualitäten, Potenzialen oder Problemen vorzunehmen, wäre wichtig. FA Für dich stiftet das Allgäu-Haus Identität, weil es Teil des großen Ganzen ist. Wie das? MB Es ist ein Zusammenspiel vielfältiger Kräfte und Einflüsse. Zu wenig kam mir in unserer Diskussion der Mensch vor. Er prägt das Gesicht dieser Häuser. Jede Wendung im Leben hat Spuren am Gebäude hinterlassen – Spuren tragen zur Identität bei. Insbesondere die Bauern­ häuser wurden im Wandel der Zeit an neue Bedürfnisse angepasst. FA Andererseits sprichst du von einem Typ. Das ist ja gerade etwas sehr Beständiges. Wie verhält sich das eine zum anderen? MB Das ganze Haus ist etwas Flexibles, ist offen für Wechsel, Transformation. Der findet am deutlichsten im

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Wirtschaftsteil statt. Von da geht die Gefährdung des Hauses heute aus. Wir müssen neue Konzepte entwickeln. Der Hof vor 100 Jahren war eine Arbeitsgemeinschaft mit oft zahlreichen Beschäftigten – Leben und Arbeiten an einem Ort. Das wird gerade wieder Thema, man will wieder gemeinsam wohnen. Und es gibt neue Beschäftigungs­ möglichkeiten, ein neues Handwerk, Co-Working, Home­ office – von Werkstätten über Betreuungseinrichtungen bis zu temporären Orten zum Zusammenkommen. Es gibt neue Sozialformen, gemeinsam, vom Mehr-GenerationenWohnen bis zu neuen Lebensgemeinschaften und Wohn­ situationen. PS Löst sich nicht auch die Beziehung vom Haus zur Landschaft? MB Sie wird anders, mit anderer Intensität. Aber so ein Haus regt die Leute immer zu etwas an und wenn es „nur“   die Bewirtschaftung des Gartens ist. Man findet schnell Gleichgesinnte, auch Bauern – noch nie war es so leicht, Fleisch vom Hof zu bekommen, wie heute. Es gibt viele Initiativen, man tauscht sich aus. Textil gegen Kräuter, Nachhilfe gegen Käse … PS Die Leute in den Dörfern sind skeptisch. Schon gut, dass das alte Haus stehen bleibt, aber: Was machen die Neuen da? Irritierend. Dem Dorf bringt es einen tiefen Wandel. Fremde ziehen ein, Stadtleben, nichts ist mehr selbstverständlich. Bleiben die Leute, machen was, dann renkt sich das ein. Etwas anderes sind die Zweitwohnungs­besitzer, bei denen sich höchstens am Wochen­ ende etwas rührt. Es gibt sie, die Szene des alten Dorfes, mal mehr, mal weniger. Aber wer ist da wirklich noch Bauer? Im Oberallgäu sind noch 50 Prozent der Fläche landwirtschaftlich genutzt; der Tourismus trägt 10 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Was ist das Dorf?

FA Es gibt ähnliche Regionen, gar nicht weit weg, da hat sich das Stadt-Land-Gefälle deutlich abgebaut. MB Ich stelle fest: Sinnhafte Arbeit jenseits üblicher Bahnen wird gesucht – in der Stadt wie auf dem Land. Schaffen, machen, etwas erzeugen und leben an einem Ort – da bietet so ein Haus allerhand. Das ist nicht das, was es früher war, aber für den Wunsch nach eigenem Leben passt es. Und eigentlich ist auch nicht so wichtig, wo die neuen Bewohner herkommen. Wichtig ist: Sie machen was, man versteht es irgendwie, man sieht was. Das Haus verändert sich wieder mit den Bedürfnissen seiner Bewohner, wird weitergebaut. FA Weiterbauen sagst du. Was seine Funktion verloren hat, birgt neue Potenziale. MB Das Allgäu-Haus ist ein Typ mit einem eigentlich strengen Schema. Ein Hybrid – etwas Gebündeltes, Gemischtes. Das war dieses Haus immer – nie monofunk­ tional. Dieses Potenzial muss man erhalten und neu denken. Offensichtlich birgt diese Strenge auch Locker­ heit für neue Nutzung. FA Das machst du gerade ganz konkret. Neue Nutzung im alten Bauernhaus – und doch der Landwirtschaft treu. MB Die Milchwirtschaft auf diesem Hof wurde schon länger aufgegeben, aber der Erbe – ein gelernter Käser – hat sich in den Kopf gesetzt, mit zwei Gleichgesinnten dort Käse zu machen. Die Milch kommt vom Nachbarn. Also entstehen in Stall, Tenne, Heustock eine Käserei, Hofladen und Seminarraum. Besonders hierbei ist, dass das alte G’schäl* zum Käsereiferaum wird. FA Du hast sicher gehört: Schöne Idee, aber das geht ja nicht. Geht es? MB Es geht! Man muss mit dem Bestand arbeiten, sich manches aus dem Kopf schlagen, Neues kommt dazu. Man übt sich in der Kunst des Kompromisses. Das ging vom Bauherrn aus: Arbeiten mit dem, was wir haben; neu bauen, wollen wir nicht. Das ewige „geht nicht“ ist nicht clever.  Viel geht – wenn man sich auf die Sache einlässt. Das braucht viel Zeit, Nachdenken, Bereitschaft zur Korrektur. Für die schnelle Bestellung ist es nichts.

„Die   Zukunft des Bauens liegt im Bestand. Ressourcen spart man durch Weiterbauen – das macht sogar viel Spaß.“ [Martina Buchs]

VH Letztlich steckt dann auch mehr drin als das sach­ liche Ergebnis: Die Erfahrung, ich kann selbst etwas bewirken. MB Gut wird es, wenn man sich mit dem Wesentlichen, was gegeben ist, befasst. Natürlich kann man alles machen. Man kann auch in so ein Haus ein DesignerAmbiente hineinzaubern. Nur: Das kostet! Und ob es sinnvoll ist, muss jeder selbst entscheiden. Aber wenn mir so eine Aufgabe begegnet, empfehle ich, von da aus zu denken, was ansteht, wie man mit dem Ding umgehen kann. Man muss bereit sein, sich einzulassen, zu improvi­ sieren, situativ zu handeln, wertzuschätzen, was man findet. Natürlich muss man sich auch von manchem trennen, abwägen, was man erhält und was man neu denken darf. Und man wird feststellen: Neue Räume sind möglich. Überhaupt: Räume. Das ist doch das große Potenzial dieser Häuser. Was für ein Raum ist ein Heustock! Also die gute Mischung macht es, und angemessen muss es sein! FA Bäuerliche Kultur hat nicht so viel mit Baustil zu schaffen. MB Natürlich hat jeder die Idee, den Reiferaum in der Güllegrube einzurichten, für verrückt erklärt. Aber wir haben das mit Fachleuten durchdacht und dann eine saubere Lösung gefunden. FA Und das Thema energetische Sanierung? MB Wir haben das hingekriegt, den Standard der KfWFörderung erreicht. Da gibt’s beim Umbau Stellschrauben. Wenn’s an einer Stelle nicht geht, geht’s an einer anderen besser. Die Summe zählt. Und wieder: genau hinschauen. FA Auch die Relation der Bauteile spielt eine Rolle: Diese Bauten sind angemessen befenstert, ohne die Fensterexzesse seit den 60er-Jahren. MB Auch sind die Wände oft besser, als man sagt. Da zeigt sich, wie gut das Bauhandwerk bis in die 50er-Jahre war, bis ins Detail, den einfachen Bauschmuck einge­ schlossen.

*   Güllegrube

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Als Bauteil fällt das Dach besonders ins Gewicht; da gibt es genug gute Lösungen. FA Der größte Beitrag zum klimagerechten Bauen war freilich die erste Entscheidung: nicht bauen, sondern weiternutzen, weiterbauen. MB Die Zukunft des Bauens liegt derzeit im Bestand. Die meisten Ressourcen spart man durch Weiterbauen. Schweizer Klimaaktivisten fordern einen generellen Baustopp. Allerdings kostet Umbau mehr Zeit, mehr Engage­ ment. Das wollen viele nicht. Wenn aber Neubau nicht mehr leistbar ist, was bleibt? Umbau und Weiternutzen wurden am Bauernhaus immer gemacht, sich darauf zu besinnen lohnt sich – es macht sogar viel Spaß. PS Wer Nachhaltigkeit ernst nimmt, kommt um das Thema graue Energie nicht herum. Dann sind wir beim Bestand. Das gilt auch für die Dörfer. Sterbende Ortskerne bei steigendem Flächen- und Ressourcenverbrauch für neue Baugebiete – das ist nicht mehr vertretbar. Die Klimakrise und die Betrachtung des Bauens über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg schaffen neue Tatsachen. VH Der Oikos kommt wieder: Herd und Hof. Eine Einheit mit Umweltbezug. Bäuerliches Wirtschaften und Bauen sind im Kern nachhaltig und somit zukunftsfähig. MB Das heißt pfleglicher Umgang mit dem Bestand. Und sich bei materiellen und kulturellen Ressourcen an das zu halten, was ansteht.

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Projekte

01– 04

01

Görisried  /  Vom Segen der Gelassenheit in zweiter Reihe

Bauherren   Liselotte Hebel und Dr. Tilmann Haug Architekt   Michael Molitor, Kempten Ursprungsbau   1831/32 Fertigstellung Umbau   1998 Standort   87657 Görisried Lage   Weiler

Wohnen auf dem Land – im alten Bauernhaus. Doch was ist alt? Der letzte Landwirt erwei­terte den Stall deutlich, heute entspricht das Bauernhaus seinem Zustand hundert Jahre früher.

Es ist damals wohl ganz schnell gegangen: Nachdem die junge Familie einige Jahre Ferien auf einem Bauernhof verbracht hatte, erhielt die Mutter von einem Schul­ kameraden aus Memmingen den Hinweis auf ein „Höfle“, das zu erwerben sei. Bereits beim ersten Besuch 1996 fiel die Entscheidung für den Kauf. Was so als Ferien­ haus begann, ist heute fester Bestandteil des familiären Wohnens. Es ist zunächst nicht so klar, was den Reiz dieses Anwesens ausmacht. Auf der Suche nach ihm fahre ich 25 Jahre später erst mal daran vorbei. Außerhalb des Dorfs, inmitten hügeligen Grünlands, die Berge hinter entfernten Wäldern versteckt, liegt eher als steht dieser bescheidene bäuerliche Einfirstbau mit Schopf, der seinerzeit noch etwas größer war und so den Bau verdüsterte, wie die Bauherrin sich im Gespräch erinnert. Und noch heute ist es so: Der Reiz entfaltet sich bei der Annäherung und strahlt dann von innen.

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Die typische Fassade nach Westen: geschlos­ sen, holzverschalt, knapper Dachüberstand. Untypisch: die weite Loggia und die bei Bedarf vor Wind und Wetter schützenden Schiebelä­ den

Die Wand saniert, neue Fenster nach altem Muster, die Wiese bis ans Haus geführt: So lässt sich auf der Rückseite auf der neu-alten Bank der sommerliche Abend genießen.

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Hier ist alles so, wie wir das Allgäu mögen: Heuarbeit unter blauem Himmel auf grüner Wiese mit Schwader, umgangssprachlich „Heuma“ – Blick aus der Loggia

Das Haus ist gegliedert wie jedes Allgäuer Bauernhaus noch vor 75 Jahren: Im Osten die Wohnräume, dann der durchgehende Flur, gefolgt von Stall, Tenne und Bergeräu­ men im Westen. Das ist auch bei diesem Haus aus den Jahren 1831/32 nicht anders, das im Zuge der Vereinödung als ausgemauertes Fachwerk errichtet wurde mit ver­ schaltem Bergeraum und Schopf unter durchgehendem, flach geneigtem Dach in Ost­West­Richtung. Der Umbau von 1998 belässt den Wohntrakt bei die­ sem althergebrachten Raumgefüge. Betritt man vom Flur aus die Stube, so begegnen uns erstmals die genann­ ten Reize: Fenster nach Osten und Süden, weiß gekalkte Wände, eine weiß lackierte Decke und gut gealterte Eichendielen am Boden – ein lichter Raum. Ungewöhnlich die Raumhöhe, ansonsten ist alles am gewohnten Platz: in der Rauminnenecke der Grundofen, gegenüber Tisch und Eckbank aus Fichte und Ahorn massiv und die mit Ringen gefasste Halbkugel des Ofens mit Kalkputz versehen – bäuerliche Gebrauchsmöbel und Architektur. Diesem großzügigen Raum und seiner „Kameradschaft der Dinge und der Luft um sie her“ (Ernst Bloch) musste freilich erst auf die Sprünge geholfen werden: Der Fuß­ boden wurde um 20 Zentimeter abgesenkt. Dann wurden die feuchten Wände bis zur Fensterbrüstung neu aufge­ mauert und mit einer Wandheizung versehen, die im Kalkputz verschwindet. Die Fenster wurden durch Kasten­ fenster mit Einfachverglasung in zarten Sprossen nach historischem Vorbild ersetzt. Ein neuer Boden wurde ver­ legt und der Grundofen aufgeführt.

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Von der Loggia in die Tiefe des Raums: Einst bauten hier Kühe wiederkäuend den Heustock ab, heute wird musiziert oder man lässt einfach „alle fünfe gerade sein“.

Die grundlegende Maßnahme der Bodenabsenkung dehnt sich auf die angrenzenden Wohnräume aus, wird in den neuen Räumen im vormaligen Stall und in der Tenne übernommen und setzt sich im Außenraum fort, was dem Bau zu einem Mehr an aufrechter Haltung verhilft. Der „Vertiefung“ des Gebräuchlichen steht ein entschiedener „Aufbruch“ bei den neuen Räumen gegen­ über. Setzt man sich an den Tisch in der Stube gegenüber der Türe und schaut zurück, so ergibt sich bei offenen Türen ein Blick nach Westen längs durchs ganze Haus, im Unterschied zu Wohnräumen, Flur, Stall und Tenne, die

Grundrisse Bestand

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Erdgeschoss 1 Diele 2 Stube 3 Küche 4 Flur 5 Abort 6 Speis 7 Stall 8 Scheune

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Obergeschoss 1 Diele 2 Stube 3 Küche 4 Abort 5 Abstellraum

Grundrisse Umbau

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Erdgeschoss 1 Diele 2 Stube 3 Küche 4 Speis 5 Wohnraum 6 Podest 7 Loggia 8 Flur 9 WC 10 Heizung 11 Abstellraum 1 12 Abstellraum 2 13 Gästezimmer 14 Abstellraum 3 15 überdachter Freisitz

Obergeschoss 1 Diele 2 Schlafzimmer 3 – 4 Kinderzimmer 5 WC 6 Bad 7 Abstell­ fläche ehem. Scheune 8 Luftraum

Ansichten Bestand

Ost

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Süd

West

Ansichten Umbau

Ost

Süd

West

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung 1 2

Schiebeelement West 1 Abdeckbrett mit Kupferabdeckung 2 Obere Führungsschiene 3 Führungsrolle 4 Schalung 5 Holz­Schiebeelement 6 Handlauf (nicht realisiert) 7 Sims 8 Untere Führungsschiene

3

5 4

6

7

Bodenaufbau Loggia

8

9 Gehrost auf Lager 10 Blechabdeckung Kupfer auf Schweißbahn 11 Schalung 12 Gefällekeil 13 Lagerhölzer 14 Schweißbahn 15 Bodenplatte Stahlbeton

9 12

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10 11 13 14 15

Immer wieder: die Stube. Das Licht auf dem Tisch, die Fenster über Eck, die Bank, die Gliederung der Decke. Immer gleich, nie das­ selbe. Modern wirkt die alte, weiß lackierte Decke.

Beim Baugesuch aus dem Jahr 1909 ging es um den rückwärtigen Anbau einer „Speis“. Deutlich wird: Noch ist der Stall nur für acht Rinder ausgelegt und entspricht damit der heute wieder hergestellten Haustiefe.

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quer zum Haus angeordnet sind – eine Umkehr der übli­ chen Richtungen um 90 Grad. Wendet man sich im Flur also in die der Stube gegen­ überliegende Richtung, so betritt man den weiten Wohn­ raum, der sich mit 5 Metern Breite und teilweise 3 Metern Höhe rund 10 Meter auf ein raumhaltiges Fenster mit vorgelagerter Loggia hin entwickelt und seitlich zusätzlich durch ein Fenstertor belichtet wird. So bewegt man sich durch mehrere Schichten bäuerlicher Nutzung. Das be­ ginnt mit dem Stall, der heute mit noch originaler, tiefer Decke vorwiegend die ausgedehnte Sitzecke um einen großzügigen offenen Kamin beherbergt. Das setzt sich fort mit der ehemaligen Tenne, heute mit der deutlich höheren Decke ein Raum für Flügel und Cembalo, gut beleuchtet dank verglastem Scheunentor. Daran schließt der ehema­ lige Bergeraum an; hier geht es um zwei Stufen hinauf auf ein großzügiges Podest mit dem raumhaltigen Fenster­ element, dessen Schiebetüre die vorgelagerte Loggia einbeziehen lässt. Von hier aus werden die beiden Stufen verständlich: Sie gleichen die Absenkung des Bodens aus und stellen sicher, dass die Loggia nicht in den anschlie­ ßenden Wiesen versinkt. Möglich wurde diese Raumfolge erst durch den Rückbau einer Stallerweiterung und der vorgezogenen

„  Ein bestehender Hof ist ein ge­ heraus, sich damit auseinanderzu­ wachsener Teil der Umgebung und setzen, gut mit dem Bestand um­ im Idealfall gut eingefügt. Oft auch zugehen, etwas zu erhalten und in einer besonderen Lage. Man trotzdem etwas Neues, Eigenes zu steigt in eine Geschichte ein, schaffen.“ [Liselotte Hebel und Tilman Haug] schreibt sie fort. Es fordert einen Tenne aus dem Jahr 1909. So vergrößert sich der Mittags­ raum vor dem Haus, ergänzt um einen gedeckten Freiraum, was dem Haus Helligkeit und Heiterkeit beschert. Ohne auf jeden Raum einzugehen, muss das neuge­ wonnene Gästezimmer erwähnt werden. Es bildet den letzten Raum des Ausbaus, am nördlichen Ende der ehemaligen Tenne gelegen. Wie mit der Loggia nach Westen erlaubt sich der Architekt einen Eingriff ins Gefüge, indem die verschalten Wände zur Wetterseite hin großzügig geöffnet werden. Ist es dort eine filigrane Stahlkonstruk­ tion, die die sorgfältig gegliederte Fensterwand mit schmalen Sprossen ermöglicht, so ist es hier eine über Eck geführte Verglasung mit eng gestellten, wandhohen Sprossen. Hier wie dort ist man „fast draußen“, und hier wie dort erlauben einfache Schiebetore, wie sie der Dorfschlosser vor 25 Jahren noch herzustellen wusste, die Räume zu verschließen, wenn es zurück in die Stadt geht. Dann liegt der verwitterte Westgiebel wie eh und je, gleich den benachbarten Scheunen, fensterlos in der Wiese.

In die Scheune wurde rückwärtig ein Gäste­ zimmer eingebaut, erreichbar vom Hausflur, zur Morgen- und Abendsonne gerichtet, durch Schiebeläden verschließbar.

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Raumqualität ohne Schnickschnack: Licht und Farbe, Material und Gliederung bilden den Grundton, die handwerklich saubere Ausfüh­ rung die Melodie.

Feierabend. Der Arbeitsplatz vor dem Hackenschopf ist noch beleuchtet, in den Garten geht’s erst morgen wieder, den Platz hinterm Haus neben der Küche erreichen die letzten Sonnenstrahlen.

Was also macht den Zauber dieses Hauses aus? Der Bauherr berichtet, wie er früher oft München zum Bergsteigen verlassen habe, anregender Kontrast zum umtriebigen Stadtleben. Etwas anderes findet er hier. „Man lebt mit den Elementen, in der Ruhe des Allgäus, wie in zweiter Reihe vor den Bergen.“ Die Lebenswelt kommt zu ihrem Recht, die Kinder haben immer noch Kontakt zu den Nachbarn, mit denen sie im Spiel groß wurden, die Dinge nehmen ihren Lauf. Viel verdankt das Haus dem Wirken des Architekten Michael Molitor. Wie er die Qualitäten des Bauernhauses zu heben weiß, und wie er da, wo Eingriffe nötig sind, diese entschieden ausführt hat, aus dem pragmatischen Geist der Bauern und mit den Mitteln seiner Zunft: Maß, Ordnung, Materialgespür. Zeitlos ist das eine wie das andere; Kunst und Alltag treffen sich, stimmen zusammen, Stimmigkeit entsteht, bar jeder Landhausästhetik. „Taohafte Welt“ hat Bloch das genannt.

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Die Einfügung eines loftartigen Wohnraums in den ehemaligen Wirtschaftstrakt bereichert die typische Zellenstruktur des Wohntrakts. Der Charakter des Wirtschaftstrakts ist trotz der neuen Setzung großer Öffnungen erhalten geblieben. Die planerische Be­ rücksichtigung von künftigen Teilungs- und Nutzungs­ möglichkeiten erhöht die Zukunftstauglichkeit wert­ voller Bausubstanz.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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Halblech  /  Bauenmüssen und Wohnenlassen als Lebenskunst

Bauherren   Daniela Garsch und Klaus Schmid Architekten   Fritz Weinberger, Gabriele Ander Ursprungsbau   1543 Fertigstellung Umbau   2004 Standort   87642 Halblech Lage   Alleinlage

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Es gibt Häuser, die drängen einem die grundsätzliche Frage auf: Was ist ein Haus? Ist es ein Gehäuse für den täglichen Bedarf? Ist es eine Unterkunft? Ist es Obdach, Asyl oder Heim, gar Heimat? Ist es eine Wohn­maschine, wie der Großmeister der Moderne, Le Corbusier, befand? Die Antwort wird von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen. Da ist dieses Haus, von dem man in Abwandlung einer klassischen Feststellung sagen kann: Das Haus ist der Körper der Seele. Jedenfalls antwortet Daniela Garsch auf die Frage, wie sie denn zu diesem Haus kamen, gerade­ heraus: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Das war vor 20 Jahren, als sie sich mit Klaus Schmid zum Kauf dieses Hauses entschloss. Schaut man die Fotos vom damaligen Zustand an, kann man bloß feststellen: Das muss intensiv gewesen sein! Mit seinem kaum 100 Meter entfernten Nachbarn bilden die beiden Höfe einen Weiler, am Nordhang einer ost-westlich verlaufenden Kette von circa 850 Meter hohen Moränenhügeln gelegen; bewegtes Gelände, viel Wald, dünn besiedelt. Die landwirtschaftliche Nutzung der Höfe liegt weit zurück. Und doch klingt die Begeiste­ rung über den Fund in den Worten von Daniela Garsch noch heute nach: „Wo gibt’s denn noch so eine Alleinlage?“ Der Pioniergeist war geweckt. Über 30 Jahre stand das Haus mehr oder weniger leer, war dem Verfall preisgegeben. Gäbe es die Fotos nicht, würde man der Feststellung von Klaus Schmid nicht glauben: „Bis 50 Zentimeter über dem Erdreich war fast das ganze Holz Kompost – was erst richtig zum Vorschein kam, nachdem containerweise Unrat hinausgeschafft worden war.“

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Haus und Landschaft: Man könnte meinen, mit seiner verwitterten Schalung und steinbe­schwerten Landerndeckung sei das Haus aus dem Land herausgewachsen. Dabei ist das moderne Giebelfeld erst wenige Jahre alt.

Es hat Jahre gebraucht, das Haus in seine Vielfalt und Fülle zu entbergen. Rechts der fast 500 Jahre alte Wohnteil, halb so alt die heute geöffnete Laube, links der 150 Jahre alte Rossstall

Was dann zum Vorschein kam, nennt der ehemalige Kreisbaumeister Anton Hohenadl ein Kleinod: das älteste Bauernhaus des Landkreises – 1555 erstmals namentlich erwähnt, die Hauptstütze dendrochronologisch datiert auf 1543. Im Kern wurde der Ständerbohlenbau um 1550 errichtet und rund ein Jahrhundert später grundlegend erneuert. Abgefaste Pfosten sprechen dafür, dass damals die Innenräume zur besseren Dichtigkeit ver­ putzt wurden. 1725 folgte eine weitere Verbesserung: Bis zur Fensterbrüstung erhielt das Erdgeschoss eine Vormauerung und im Norden kam ein Schopf hinzu. 1776 wurde der Bau im Süden um eine Laube ergänzt, wie der Schopf eine Pfosten­Riegel­Konstruktion. Alles wird nun unter einem erneuerten flach geneigten Dach mit Landerndeckung zusammengefasst. Wohl aus dieser Zeit stammen auch die neuen, gemauerten Wände im Bereich der Feuerstellen von Flur, Stube und Küche. Mitte des 19. Jahrhunderts bezeugen Erweiterungen, wie die Öfen in Stube und Küche mit ihrem klassizisti­ schen Dekor, bescheidenen Wohlstand. 1867 wird der Wirtschaftsteil um einen Rossstall als Ständerbohlenbau ergänzt. Um 1900 erhält der Wohnbau einen sägespan­ haltigen Putz und eine gemauerte Stallerweiterung nach Westen für rund zehn Rinder, die bis ins letzte Drittel des Jahrhunderts genutzt wird.

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In abgeschiedener Lage besonders geschätzt: die Diele als Dreh­ und Angelpunkt zwischen Laube, ehemaliger Flurküche, Stube und – gegenüberliegend – Atelier und Wohnerweite­ rung

Grundrisse Bestand

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Obergeschoss

Erdgeschoss 1 Laube 2 Hausgang 3 Tenne und Durchfahrt 4 Küche 5 – 6 Stube 7 Abstellraum 8 Gaden 9 Schopf 10 Stall

1 Stube 2 Hausflur

Grundrisse Umbau

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Erdgeschoss 1 Laube 2 Diele 3 Vorraum 4 Windfang 5 Stube 6 Küche 7 Wirtschafts­ flur 8 WC / Dusche 9 Hauswirtschafts­ raum 10 Vorrat / Garten 11 Atelier 12 Lager 13 Holzlager 14 Heizung 15 Nassraum 16 Hobby­/ Abstellraum

Obergeschoss 1 Laube 2 Hausflur 3 Luft­ raum über Vorraum 4 Luftraum über Windfang 5 Wohnen 6 Schlafzimmer 7 Abstellraum 8 Bad 9 Luftraum über Atelier 10 – 11 Zimmer 12 Garderobe 13 Bad 14 Luftraum über Hobbyraum

Ansichten Bestand

Ost

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Süd

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Ansichten Umbau

QUERSCHNITT

- FLUR

ANSICHT WEST

Ost

Süd

West

Schnitte Bestand QUERSCHNITT

- FLUR

QUERSCHNITT - FLUR

QUERSCHNITT

- FLUR

Schnitte Umbau QUERSCHNITT - FLUR

QUERSCHNITT

- FLUR

QUERSCHNITT - FLUR

Detailzeichnungen Fassadenschnitt, Ansicht Ost QUERSCHNITT - FLUR

1 Innenputz 2 Putzträger Holzbretter 3 Bestandsmauerwerk 4 Wärmedämmung Holzfaser 5 glatter mineralischer Außenputz (zwischen den Fenstern: Holzverbretterung)

1 2

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Sorgfalt bis ins Detail: Der Boden ist abgesenkt mit neu verlegten historischen Dielen, der Ofen gehört seit etwa 1850 zum Bestand. Die Decke wurde unter der abgehängten Putzdecke freigelegt; Wände und Eckbank sind original, die Stütze aus Schwarzstahl war aus statischen Gründen neu erforderlich.

„Lieblingsplätze   gibt’s einige: mit Freunden in der Stube oder Musik hören im ehemaligen Pferdestall.“ [Klaus Schmid]

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2003 erwarben dann die heutigen Besitzer das Haus. Ein Jahr lang zog sich das Ausräumen hin. Dann konnte die Sanierung beginnen, die sich insbesondere beim histo­rischen Kern des Wohnhauses am Bestand vor 1900 orientierte. In Streifen von 50 bis 100 Zentimeter wurde die Konstruktion abgefangen, untergraben, mit einem Betonfundament versehen; dabei wurden schadhafte Holz­bauteile ersetzt. Raum um Raum wurden die Böden erneuert – im Erdgeschoss durch abgesenkte, gedämmte Bodenplatten aus Beton, im Flur ergänzt um Fußboden­ heizung, im Obergeschoss kam eine Brettstapeldecke dazu. Im Obergeschoss wurde der Raum bis unters Dach geöffnet, das Dach neu gedämmt. Die alten Rafen wurden ausgebaut, durch Trocknen vom Ungeziefer befreit und wieder eingebaut. Darauf und auf den Pfetten liegend ergänzen neue Balken, die eine 20 Zentimeter dicke Wärmedämmung integrieren. Auf der Schalung darüber entwickelt sich ein neues dreischichtiges Landerndach. Die Außenwände erhielten ihre frühere Ansicht zurück und wurden außen um 6 bis 8 Zentimeter Wärme­ dämmung ergänzt. Die Brüstungsbereiche wurden verputzt und weiß gestrichen; dagegen setzen sich die naturbelassenen senkrechten Bohlen mit neuer Dämmung zwischen den Fenstern ab. Die zusätzliche Wandstärke erlaubt, die außen bündigen Fenster um jeweils innen

Das Fenster mit feststehendem Mittelpfosten in der Ständerbohlenwand zwischen links und rechts stehenden Bohlen und oben und unten Riegeln als Abschluss der liegenden Wandbohlen

Das verformungsgerechte Aufmaß wurde von Harald Bader aus Simbach gezeichnet.

vorgesetzte Fenster zu Kastenfenstern zu ergänzen. Innen erhielten die Putzflächen der Wände lediglich eine Ver­gütung durch Glätteputz aus Sumpfkalk. Die Dämmebene aus Heu, die sich zwischen diesem Putz und der äußeren Schalung der historischen Wand verbirgt, wurde konse­ quenterweise beibehalten. Eine Besonderheit des Ständerbohlenbaus sind die schräg ums Eck geführten Innenwände, die ermöglicht wurden, indem die Ständer abgeschrägt wurden. Die weiß verputzte Wand bildet einen belebenden hellen Kontrast zu Boden und Kassetten­ decke aus gedunkelter Fichte. Dank sorg­fältiger Kon­ servierung konnte die alte Stubenbank in Form und Lage unverändert erhalten werden. Bei den übrigen Räumen erlaubte man sich mehr Freiheiten. Im nördlichen Schopf sind Bad und Neben­ räume in neu aufgemauerten Räumen untergebracht. Ebenfalls neu gemauert sind die Sockelwände im Heustock mit Holzlager und Heizraum. Mit dieser Raum­ ausstattung konnte das Haus 2011 bezogen werden. Doch damit ist für Klaus Schmid mit seiner Leiden­ schaft fürs Bauen die Sache nicht zu Ende. Der ehe­ malige Rossstall mit Ständerbohlenwand nach Süden wurde seither zu Atelier und Gästewohnung umgebaut. Aus dem ersten Stock des Heustocks wurde ein „Salon“ mit großflächiger Verglasung nach Westen, dezent versteckt hinter vertikaler Verbretterung. Man tut gut

Kleine Details wie die Abfasung der oberen Ecke der vorspringenden Trittstufe der Wangentreppe zeigen eine hoch entwickelte Handwerkskultur im Alltäglichen.

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Jede Zeit hat ihre Zeichen. Viele Details bezeugen den bäuerlichen Wohlstand der Jahrhundertwende um 1900, so die Eingangstür mit klassizistischem Schmuck.

Mit seiner „Bandfassade“ könnte der Mittelteil des Giebels glatt als „modern“ durchgehen – oder ist es umgekehrt? Mit seiner Vielfalt, Lebendigkeit, gar bescheidenen Ornamentik ist er der Moderne freilich weit voraus.

daran achtzugeben, bilden doch die jahrhundertealten Balken mit ihren Kopfbändern „Raumteiler“ in Kopfhöhe. Der neu aufgemauerte Stall dagegen ist derzeit noch in Arbeit – die Fußbodenheizung für die Werkstatt wird gerade eingebaut. Der Hof nach Norden ist durch eine teilweise neu gemauerte, teilweise translozierte Remise abgeschlos­ sen. Und das südliche Nachbarsgehöft, das ein ähnliches Schicksal wie das eigene Haus erlebte, beginnt er nun mit einem Freund wiederzubeleben – ein Projekt, das in ähnlichen Zeitdimensionen gedacht wird.

Der Ursprung des „Peterhofs“ ist auf 1543 datiert. Beim jüngsten Umbau wurde der konsequente Erhalt der denkmalgeschützten Substanz zur Prämisse erklärt. Im Außenbild zeigt sich die Qualität des sensiblen Verwebens der fast unmerklich überarbeiteten Bestands­ architektur mit klug eingefügten, zeitgemäßen Ergän­ zungen. Es entsteht ein hohes Maß an Homogenität, die energetische Sanierung ist mit Augenmaß und Gefühl für die Bestandsproportionen umgesetzt. Im ehemaligen Stallteil ist eine neue Geschossdecke eingebaut, da­ durch entstehen zusätzliche Wohnfläche und die Option von zwei separat nutzbaren Wohneinheiten.  

Das ist kein gewöhnlicher Hausbau. Hier ist Bauen eine Lebensweise – der Philosoph Martin Heidegger be­ schreibt es so: „Das Wesen des Bauens ist das Wohnen­ lassen. … Das Wohnen aber ist der Grundzug des Seins.“ Bauen und Wohnen – das ist Klaus Schmid. Zuhause ist er, ganz er selbst, indem er baut, seine Welt, Tag für Tag – was für ein Privileg!

[Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

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Nesselwang / Wo das Ferienhaus im eigenen Haus möglich wird

Bauherren Marion Pfeuffer und Martin Kopp Architekten F64 Architekten, Kempten Ursprungsbau 1616 Fertigstellung Umbau 2018 Standort 87484 Markt Nesselwang Lage Weiler

Dem Morgen dargebracht: Die ersten Sonnen­ strahlen treffen die Wohnräume im traditio­ nellen Allgäuer Bauernhaus. Die Rückseite erlaubt sich mit stehender Schalung und großen Glasflächen einen modernen Auftritt.

Der Feldweg wand sich einst durch feuchte Wiesen der Anhöhe zu, auf der seit Jahrhunderten der Weiler mit seinen fünf Bauernhöfen thront. Links erheben sich Bayerstetter Köpfel und Alpspitz, rechts fällt das Land flach ab Richtung Bayerisch­Schwaben. Seit der ersten Karte vor gut 150 Jahren hat sich an Art und Stellung der Häuser wenig geändert; eine frühe Aufnahme zeigt sie gesäumt von Obstbäumen. Im Tal kam Ende des 19. Jahr­ hunderts ein Hof hinzu, auf halber Höhe ab den 1960er­ Jahren zwei Austragshäuser. Der Weg ist nur bis zum letzten Haus dort oben asphaltiert. Eine Welt für sich. Seit 1996 betreibt hier kein Bauer mehr Landwirt­ schaft im Haupterwerb. Die Älteren bewirtschaften noch den eigenen Wald, die Jungen gehen Beschäftigungen im nahen Nesselwang nach, manche auch weiter weg. Als 2015 der Hof „Beim Glaser“ zum Kauf angeboten

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Mit dem Lauf der Sonne werden Haustür, seitliche Fenster und der anschließende, weite Flur in Licht getaucht. Neue Details folgen samt der fein geschindelten Fassade und Fenster­ läden dem Vorgänger.

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Nordlicht, Panoramaaussicht ins ruhige Voralpenland, alltäglicher Umgang mit Holz, ob alt oder neu: das Studio am Ende des Flurs, der sich zu einer Loggia öffnet

wurde, wussten die beiden Allgäuer Marion Pfeuffer und Martin Kopp, Sprachlehrerin und Architekt, dass sie nicht viel Zeit zum Entscheiden hatten – und griffen beherzt zu. „Man wohnt hier in der Landschaft, in einer besonde­ ren Nachbarschaft, nicht wie in einer Siedlung. Man kennt sich, sieht und hört, was auf der Straße los ist, lässt bei passendem Wetter auch mal die Türe offenstehen und ist doch durch das Haus geborgen“, so die Hausherrin Marion Pfeuffer. „Und jedes Haus hat seine Rückseite, seinen privaten Raum.“ Ihr Lebensgefährte pflichtet bei: „Das Haus mit seiner Geschichte begründet eine ganz intensive Beziehung zum Ort und seinen Leuten. Es stellt einem ständig Fragen; das muss man annehmen, einfach weil’s da ist. Auch das Verhältnis zu den Dingen ändert sich. Wir wohnen seit vier Jahren hier in unseren Räumen und noch manches ist nicht fertig. Für einen Architekten ist ja so etwas kaum auszuhalten – und doch geht’s wunderbar. Fast ist es so, als ob sich das Haus weiterbaut, es gibt keinen Grund, mit neuer Gestaltung gegenzuhalten. Offen ist das Haus und doch bergend – es ist schon gemütlich.“ Das Wohnhaus ist ein Holzbau auf Streifenfundamenten bzw. teilweise unterkellert, aus Bachsteinen, im Kern ein zweistöckiger Ständerbohlenbau mit flachem Pfettendach wie in der Gegend üblich. Und schon beginnen die Fragen. Dendrochronologisch wird das Holz auf das Jahr 1616 bestimmt. Ist das Haus so alt? Erbaut vor dem Dreißigjäh­ rigen Krieg, der dieser Gegend gewaltige Verwüstungen

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Kaum zehn Jahre ist es her, dass der Lauf der Dinge sich wendete. Das Haus hat das Schindelkleid in Ochsenblutfarbe gegen frische, naturbelassene Lärche eingetauscht.

Grundrisse Bestand

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Erdgeschoss 1 Flur 2 Kellerklappe 3 Bad 4 Holzlager 5 Speisekammer 6 Küche 7 Stube 8 Kuhstall 9 Pferdestall 10 Tenne 11 Schopf

Obergeschoss 1 Durchgang 2 Flur 3 Gästezimmer 4 Kinderzimmer 5 Schlaf­ zimmer 6 Heulager 7 Obertenne

Grundrisse Umbau

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Erdgeschoss 1 Eingang 2 Flur 3 Loggia 4 Lesezimmer mit Kellerklappe 5 Küche 6 Stube 7 Loggia Süd 8 Kellerersatz 9 Wäsche 10 Tenne 11 Garage 12 Sommer­ küche

Obergeschoss 1 Flur 2 Loggia 3 Bad 4 Schlafzimmer 5 Arbeitszimmer 6 ehem. Heulager

Ansichten Bestand

Ost

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Süd

West

Ansichten Umbau

Ost

Süd

West

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

GSEducationalVersion GSEducationalVersion

Detailzeichnung

GSEducationalVersion

Schnitt Sommerküche

1 2

Deckenaufbau 1 Holzschalung, Hinterlüftung 2 Holzweich­ faserplatte 3 Balken mit Einblasdämmung 4 Brettsperrholzplatte 5 Lattung, Täfer Tanne Wandaufbau 6 Verglasung 7 Stütze 8 Faltelement Bodenaufbau 9 Diele Tanne 10 Unterkonstruktion mit Fußbodenheizung, Splittfüllung 11 Stahl­ betonbodenplatte, Abdichtung 12 Dämmung Schaumglasschotter

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3 4 5

6 7 8

9 10 11 12

Im hintersten Eck des Stadels am weitesten von der alltäglichen Stube entfernt: ein Raum „aus einer anderen Welt“, so offen wie möglich, bei Bedarf verschwunden in der Bretterwand dank Faltläden – die „Ferienwohnung“ im eigenen Haus

„Negative   Überraschungen gab es nur relativ kleine, wenn Bauteile in schlechterem Zustand waren als erwartet. Aber auch positive Über­ raschungen haben wir erlebt, kleine Funde, die uns enger mit der Geschichte des Gebäudes ver­ binden oder bis heute Rätsel auf­ geben.“ [Martin Kopp und Marion Pfeuffer]

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brachte? Ein Bauernhaus dieser Größe mit reichlich Stall noch vor der Stallhaltung? Der Grundriss zeigt den typischen „Wohnwürfel“ mit Stube, Kammer und breitem Flur, wie er eher im Alpen­ raum gebräuchlich ist. Denkt man sich den Wirtschaftsteil mit Tenne und kleinem Stall (Mittertennhaus), ergäbe dies ein kleines Bauernhaus, wie für die Wirtschaftsweise dieser Zeit üblich und somit wahrscheinlich. Die spätere Verbreiterung so eines Hauses ist ein üblicher Vorgang, als die Viehhaltung zunimmt – der Wohnbau wird nördlich um einen Raum erweitert, zu ebener Erde eine Wagen­ remise, darüber eine Kammer, der Stall vergrößert. Ein neuer Dachstuhl wird notwendig. Der Hof dieser Größe ist Anfang des 19.  Jahrhunderts nachgewiesen. Bei einem solch „modernen“ Hof liegt es nahe, dass das Haus Mitte des 19. Jahrhunderts abermals umfangreiche Verände­rungen erfährt. Decken und Böden werden erneuert mit dem Ziel, Raumhöhe zu gewinnen; die Ausstattung der Stube mit Täfer und klassischem Architekturschmuck sowie Fenster und Türen stammen aus dieser Zeit – man kann sich was leisten und zeigt dies mit einer Schindel­ fassade am Wohnhaus. Dazu kommt eine Erneuerung des Stalls. Rund 50 Jahre später erhalten die bislang sicht­ baren Holzflächen innen einen mit Holzspänen versetzten Putz. Auch wird der Kamin erstmals über Dach geführt.

Beim Umbau wurde Wert darauf gelegt, historische Schichten – so eine gemalte Tapete auf gekalkter Holzwand – nicht unter makellos weißer Neubauwand zum Verschwinden zu bringen.

Überraschung, die anspornt: Der ungewöhnlichen Zierdecke und einem befremdlich grünen Wandanstrich begegnete man mit kräftiger Farbe – und schon fühlt man sich in der Ägäis.

1914 wird dann der Bergeraum um Balkenlänge nach Westen erweitert und in den 1920er-Jahren mit abgeschlepptem Dach nach Norden ergänzt. Die südliche Zufahrt zur Tenne wird bis zur Traufe des Schopfs vorgezogen und ein Rossstall integriert. Damit hat der Hof für rund ein Dutzend Rinder sein Maximum erreicht – ein Bauorganismus, dem Bedarf angepasst und doch gleich geblieben.

türelement zu einer Loggia geöffnet werden kann. Zum Wohnteil wird eine neue Holzständerwand eingezogen, um Schranktiefe versetzt, sodass der Flur des Wohnteils auf ganzer Gebäudetiefe und -höhe über Schränke verfügt. Der breite Flur wird heller Lebensraum, indem das Bad an seinem Ende einer Loggia mit eingezogener Glaswand weicht. Die Stube wird saniert, die Küche durch Auflassen der Speisekammer auf doppelte Größe gebracht, die hintere Kammer wird Büro. Auch im ersten Stock wird der Flur nach Norden geöffnet, die Schlafzimmer bleiben, die nördliche Kammer wird Bad. Konstruktiv galt es, Keller und Fundamente zu sichern, die Außenwände mit 14 Zentimeter Zellulose,

Aus diesem Geist wird das Haus ab 2015 der neuen Nutzung angepasst. Tenne und Bergeraum werden konstruktiv gesichert und bleiben vorerst ungenutzt. Der Stall wird Werkstatt, Hauswirtschaftsraum, Lager und erhält nach Süden ein großzügiges Vestibül, das dank Schiebe­

Ein High-Tech-Apparat aus vergangener Zeit, der noch heute seinen Dienst tut. Die neue Küche verträgt bestens einfach gekalkte Wände, Aufputzinstallation und naturbelassenen Dielenboden.

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Trotz einheitlichem Schindelschirm kann man dem Wachsen des Hauses zusehen: Der Kern mit vier Fensterachsen und weißem Sockel wurde um eine Remise nach Norden erweitert.

neuer Schalung und Schindeln sowie Kastenfenstern zu vergüten. Der Boden zum Keller und die Decke zum Kaltdach wurden mit 20 bzw. 24 Zentimeter Dämmung versehen, auch die Decken statisch verbessert, ohne Putz oder Deckentäfer zu beschädigen. Erhalten werden konnte manche Bohlenwand, das Stubentäfer, die Boden­ fliesen im Flur. Wo Ersatz unumgänglich war, blieb man bäuerlich, etwa mit neuen Fichtendielen. Lediglich bei den Schreinerarbeiten kam Weißtanne zum Einsatz. Beson­ derheiten wie die farbige Kammer, jetzt Bad, wurde durch eine weitere Farbe belebt. So wie das Haus unterschiedliche Seiten hat, so auch unterschiedliche Fassaden. Während es sich zur Straße mit Schindelkleid und weißen Fensterrahmen fein zeigt, wirken die Rückseiten pragmatisch robust mit Stadelschalung, dazu bandartige Fenster. Vor allem aber birgt der abgeschleppte, noch rohe Heustock einen ungewöhnlichen Raum: Die ausgebaute „Sommer­küche“ lässt sich dank Schiebewänden und Fenstertüren weit öffnen: Sommerplatz, Gästezimmer, Ort des Sonnen­ untergangs – Ferienhaus im eigenen Haus.

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Das alles wurde ins Werk gesetzt mit viel Eigenleistung, bewährten Handwerkern der Region, intensiver Planung und vielen Gesprächen, engagiertem Schaffen ohne Akkord bei guter Stimmung, belebt durch Marions tägli­ ches Mittagessen. Natürlich sei das mehr Aufwand, als neu zu bauen, so Martin Kopp, aber die Abschreibungs­ möglichkeiten des Denkmalschutzes seien eine beacht­ liche finanzielle Hilfe. „Und alles darüber hinaus ist eh unbezahlbar; gelohnt hat es sich allemal.“

Ein schönes Beispiel, wie zeitgemäßes Wohnen mit dem Bedürfnis nach Licht, Luft und Offenheit in eine historische Baustruktur behutsam integriert werden kann.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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Pfronten  /  Ein Ort aus ländlicher Gunstlage und Geschichtsraum

Bauherren  Familie Rampp Architektin  Dorothea Babel-Rampp, Pfronten Ursprungsbau  1678 Fertigstellung Umbau  2019 Standort  87459 Pfronten Lage  innerorts

Es ist ein außerordentliches Ensemble: ein Bauernhof und eine Kapelle auf dem Weg zur Burg Falkenstein – beides verbürgt um 1680 erbaut, die Kapelle wahrscheinlich im Kern deutlich älter. Wir erleben einen dichten Raum, sowohl körperliche Nähe als auch das Zusammenspiel von Bauten großer geschichtlicher Tiefe, der etwas Größeres erleben lässt, jenseits unserer begrenzten, singulären Existenz. Das mag Dorothea Babel-Rampp, Bauherrin und Archi­ tektin, die in der Nähe aufwuchs und sich noch an den alten Hof mit maximal fünf bis sechs Kühen erinnert, zum Erwerb inspiriert haben. Das war 2013; mit reichlich Zeit und Unterstützung durch das Denkmalamt haben sie und Sohn Linus, ebenfalls Architekt, in den Folgejahren das Haus zu neuem Leben erweckt. Geschichtlicher Raum ist etwas anderes als historische Fakten. Wenn ein Bauernhaus so alt ist, steht es nicht im ursprünglichen Zustand vor uns. Der Ort, die Lage, die Grundkonstruktion sind original; doch im Lauf der Jahr­ hunderte wurde es immer wieder verändert, überformt – insbesondere, wenn Holzkonstruktionen Anpassungen erleichtern. Im vorliegenden Fall sind Keller und Außenwände des Erdgeschosses mit Bachsteinen gemauert; die Wetterseite zum Tal ist aber eigenartigerweise eine Ständerbohlenwand mit stehenden Bohlen, was doppelt bemerkenswert ist. Womöglich war talseitig eine zweige­ schossige Steinwand eine konstruktive Überforderung. Der Holzschirm, der am Giebel um die Ecke gezogen ist, wirkt jedenfalls wie eine Korrektur. Auch der Stall mit seinen preußischen Kappen ist sicher nicht original, sondern spricht für einen Umbau im späten 19. Jahrhun­ dert. Funktionslose Aussparungen im Holztragwerk sind Hinweis auf eine Anhebung der Erdgeschossdecke, vermutlich ebenfalls aus dieser Zeit. Auch Tenne und

Geschichte und Bauten, auf einzigartige Weise verdichtet: Zurückgehend auf das 12. Jahrhundert und den Bau der Burg Falkenstein, wird die Kapelle 500 Jahre später, als das Bauernhaus entsteht, bereits uralt genannt.

→  Kaum zu glauben: Der Schnittpunkt der zeitlichen und räumlichen Linien heute, im bis unters Dach ausgebauten Heustock und Tenne mit eingebauter Galerie, Tor zur Straße und links zur Veranda, der die verschindelte Kapelle gegenüber liegt

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Der Blick auf das Ensemble nach der Sanierung: Bemerkenswert die Verstrebung der Fußpfetten, die auf eine Erweiterung eines ursprünglich kleineren Gebäudes schließen lässt.

Bergeraum wurden wohl in dieser Zeit erneuert, womög­ lich um die Straßenenge neben der Kapelle zu entschär­ fen. In den Schatten gestellt wurden diese Veränderungen aber durch die „Modernisierungsmaßnahmen“ und Einbauten in den 1970er­Jahren, als die Landwirtschaft aufgegeben und der Hof vermietet und mit allem, was der Baumarkt so hergab, ausgestattet wurde. Der aktuelle Umbau ist insofern einschneidend, als erst­ mals der bäuerliche Wohn­ und Wirtschaftsbau in ein reines Wohnhaus überführt wurde. Trotzdem bleiben die grundlegende historische Raumstruktur und die Baukons­ truktion maßgebend. Einerseits wird die Rückkehr zum Original gesucht und herausgestellt, andererseits werden zeitgemäße Elemente hinzugefügt und bestmöglich integriert. Die Hinwendung zum Original wird beim Wohnhaus­ teil sichtbar. Böden und Holzwände wurden Schicht für Schicht abgetragen bis zur ersten Schicht. Was schadhaft war, wurde ersetzt durch Ähnliches aus alten Abbruch­ häusern. Nicht „denkmalpflegerisch korrekt“, sondern „stimmig“ heißt die Parole. Deutlich wird dieses Prinzip bei den Fenstern, die den originalen nicht neu nachgebildet sind, sondern aus alten Abbruchhäusern stammen.

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Im Unterschied zum Wirtschaftsteil wird im Wohnteil die alte Substanz kultiviert, wie der Hausflur zeigt: einfache Holzkonstruktionen, gekalkte Wände, Holz- oder, wie hier, Böden aus Solnhofener Kalkstein.

„Ja, ich würde es jederzeit wieder machen. Es entstehen sanierte Gebäude mit einzigartigem Charme, die als Neubau so nicht realisierbar sind.“ [Dorothea Babel­Rampp]

Grundrisse Bestand

3 1

3

2

4

2

4

1

8

5

7 8

7 6

Erdgeschoss 1 Tenne 2 ehem. Stall 3 Flur 4 Wohnen 5 Kochen 6 Abort 7 Badezimmer 8 ehem. Pultdach­Anbau

6

5

Obergeschoss 1 Luftraum 2 Schlaf­ zimmer 3 Flur 4 – 5 Schlafzimmer 6 – 7 Flur 8 Abort

1

Dachgeschoss 3 Dachboden

2

3

1 Luftraum 2 Flur

Grundrisse Umbau

3

4

5 6

1

2

3

4

2 8

7

1

1 6

2

3

5

9

Erdgeschoss 1 Wohnen 2 Kochen 3 WC 4 Garderobe 5 Flur 6 Büro 7 Klavierzimmer 8 Terrasse 9 Balkon

Obergeschoss 1 Galerie 2 Schlafzimmer 3 Flur 4 – 5 Schlafzimmer 6 Badezimmer

Ansichten Bestand

West

Nord

Ost

Süd

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Dachgeschoss 3 Dachboden

1 Luftraum 2 Flur

Ansichten Umbau

West

Nord

Ost

Süd

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Axonometrie

2

1 ehem. Wohnhaus 2 Hausflur 3 ehem. Stall 4 ehem. Tenne 5 Galerie 1

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5 3

4

Straßenansicht mit ausgebautem Stadel und verglastem Tor zur Straße. Das Verkehrsaufkommen ist so bescheiden, dass die Flügel des Tennentores in der alten Holzwand meist offenstehen.

Wände, Decken und Böden wurden in diesem Sinn saniert. Es gibt wenige zusätzliche Einbauten und wenige alte Möbel: Bank, Stuhl, Tisch. So entsteht eine sonst selten zu findende Atmosphäre karger Stimmigkeit – der Raum wirkt ganz für sich. Das wird durch einzelne moderne Möbel für heutige Bedürfnisse kaum gestört. Ein Element freilich fällt auf: Ein relativ voluminöser Sockel führt am Boden um die Wände; darin verbirgt sich ein Wandtempe­ rierungssystem, das insbesondere bei Steinwänden angezeigt ist, nutzt es doch deren Speicherfähigkeit und sichert ein gutes Klima ohne Heizkörper oder Fußboden­ heizung. Anders umgegangen wurde mit dem Stallbereich, der nun Essküche und Bad aufnimmt. Nur noch die Balkenund Kappendecke erinnert an den Altbau; heute gibt es einen glatten Estrich mit Fußbodenheizung, weiße Wände, natürlich zeitgemäße Gerätetechnik und Möbel nach



   Die Stube lebt vom rohen, fast archaischen Umgang mit dem alten Holz. Hinter der Holzbrüstung ist die Wandheizung versteckt, die ansonsten in einer Sockelleiste untergebracht ist – im Raum gegenüber zu erkennen.

Schönheit des Elementaren: Die Treppe mit den Handläufen aus gewachsenem Rundholz. Im Hintergrund die Ständerbohlenwand nach Westen – als Erweiterung oder konstruktiv einfacher zu errichtende Wand über dem Steilhang.

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heutigem Standard. Das ändert sich nochmals, wenn man in den offen angrenzenden Wohnraum wechselt. Nun reicht der Raum rund 6 Meter bis unter den First; die Tragkonstruktion bestimmt den Raumeindruck, die vormalige Heulege ist zu einer Galerie geworden, das Tennentor kann geöffnet werden, der Raum ist durch einen verglasten Windfang thermisch geschützt. Große, feststehende Glasflächen in Stahlrohrrahmen dominieren die gegenüber­ liegende Westwand mit Blick übers Tal und die Nordwand, hier mit einer Tür zur vorgelegten Terrasse. Querbelichtung und -belüftung unterstreichen ländliche Ungezwungen­ heit. Der Raum hat eine neue Bodenplatte mit Weißtan­ nenboden und Fußbodenheizung erhalten; die Kalkglätte der gedämmten Gefache der Wände kontrastiert mit den naturbelassenen Holzbalken. Und wieder: Neue Möbel zeigen den Stil unserer Zeit. Nach der Qualität eines solchen Hauses befragt, betont Linus Rampp: Unikat und Geschichte. Keine Neuplanung ergäbe so ein Gebilde, das seine Gestalt der ständigen Beschäftigung mit dem, was hier vorliegt, verdankt. Das heißt, „man wurzelt am Ort, spürt den Charme der Geschichte, deren Teil man ist, sieht, woher man kommt, ergänzt und schreibt fort und weiß, dass das auch in Zukunft möglich ist.“ Der Schauspieler Edgar Selge hat auf den Punkt gebracht, was daraus folgt: „Erinnern reicht nicht. Man muss auch erfinden oder mindestens montie­ ren. Dann kommt das Emotionale zurück.“

Alt: Die Kastenfenster im Altbau entsprechend historischer Vorgabe. Neu: Zur energetischen Ertüchtigung wurden zwei Flügel mit je Einfachverglasung aus Abbruchbauten neu eingesetzt.

Im Bereich des ehemaligen Stalls sind nun die Küche und darüber das neue, großzügige Bad raumhoch bis unters Dach geöffnet. Das erlaubt Blickbezüge in den neuen Wohnbereich.

Die Ständerbohlenwand der Westseite zeigt unter der Decke Spuren einer Erhöhung der Decke, vermutlich vom Ende des 19. Jahrhunderts.

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Terrasse in der Abenddämmerung: großzügig zum Wohnzimmer verglast mit feststehenden Glastüren in üblichem Maß. Von hier geht der Blick übers Tal auf die Gipfel von Edels-, Kien- und Breitenberg.

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Das schlichte Bestandsgebäude erhält seinen besonderen Reiz durch die quer zum First abfallende Topografie in Verbindung mit dem dichten, dorfräumlichen Bezug zu den angrenzenden sakralen und profanen Bauten. Der Umgang mit dem Gebäude erscheint beispielhaft: Im gemauerten, ehemals als Wohnung genutzten Vorder­ haus wird die ursprüngliche Raumstruktur und die äußere Erscheinung wieder hergestellt. Der Stall- und Heulagerbereich wird dagegen als ephemer verstanden, die Leichtigkeit und räumliche Offenheit der Holzkon­ struktion ermöglichen die deutlich ablesbaren Eingriffe. Der neue Wohnbereich erhält seine Spannung aus dem Zusammenspiel von Bestandskonstruktion und neuer Hülle.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

Projekte

05 – 08

05

Wald  /  Wenn ein Hausbau neue Maßstäbe setzt

Bauherren  Prof.  Dr.  Ben Bachmair und Angela Bachmair Architekturbüro  Sabine Pfister, InterQuality Architekten, Augsburg Ursprungsbau  Mitte  18. Jahrhundert Fertigstellung Umbau  1996 Standort  87616 Wald Lage  Ortsrand

Das lang gestreckte Bauernhaus mit flach geneigtem Dach zeigt die typische Gliederung in Stadel und Tenne, Stall, Flur und Wohn­ räume. Da bäuerliche Arbeit vor dem Haus entfällt, reicht die Wiese bis zur Haustür.

Ein Winternachmittag, wie er im Buche steht. Tief stehende Sonne, in der Ferne immer wieder Gipfel des Allgäuer- oder Ammergebirges, enge Ortsdurchfahrten und weites Feld, einige Schneewehen über den Straßen, und dann doch ankommen. Eine nicht ganz einfache Anreise, nachdem Telefon und Internet tagelang ausge­ fallen waren und das Handy nur an ausgewählten Orten empfängt. In scharfem Winkel geht der Weg von der Haupt­ straße ab, und nochmals fragt man sich, ob man richtig ist, bis klar wird: Dies ist die lange Zufahrt zum gesuch­ten Haus, einem niedrigen Allgäuer Bauernhaus mit sehr flachem Dach, an dem der Wandel der Landwirtschaft der letzten 250 Jahre vorübergegangen ist. Die Wand aus Feldsteinen trennt den Wohnteil vom Stall. Mit runderneuertem Boden und neuer Decke ist der alte Stall heute Studio, Werkstatt und behaglicher Rückzugsraum gleichermaßen.

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Rum quam quae pra id quuntem quibus eaquaectur, eos quamend elitate ctatempos velis del et odis dolore west

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„Man hört die Ruhe, das richtig Eingehängte, die wohlbekannte Kameradschaft der Dinge“, so hat Ernst Bloch den Besuch eines bayeri­ schen Bauernhauses in den 1920er-Jahren beschrieben.

Der Eindruck des Ursprünglichen bestätigt sich beim Betreten des Hauses: Die Dielen des Flurs haben viele Füße gesehen. Das steigert sich in der Stube: Ein regelrechtes Wellenmeer führen die breiten Dielen hier auf. „,Da hat der Vater uns das Tanzen in genagelten Schuhen beigebracht.‘ So hat es mir einer der letzten Bewohner des Hauses, der hier aufwuchs, erzählt“, so die Journalistin Angela Bachmair, die mit ihrem Mann, Professor für Medien, seit 27  Jahren hier wohnt. „Die Hausführung macht Ben“, meint sie und so beginnen wir im Westen mit der Scheune. Der aufgeräumte, doch nicht weiter ausgebaute Raum bis unters Dach zeigt eine gebeilte, mit überblatte­ ten Kopfbändern gefügte Konstruktion, die vielfach ergänzt, erneuert und ausgeglichen werden musste, um das heutige Dach mit neuen Sparren, Unterdach und harter Deckung plan und dicht zu bekommen. In der ehemaligen Sattelkammer hat der Hausherr, der im Ruhe­ stand Imker geworden ist, seine Utensilien für die Bienen­ arbeit untergebracht. An der Nordwand hängen seine und der Enkelkinder Bilder. Zum Wohnraum hin, in dieses Volumen eingestellt, schließt der Stall an, in vorliegender Form wohl aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, gemauert und mit einer Holzbalkendecke versehen. Der ist seit erst rund zehn ←  Dafür geben manche viel Geld aus – diese „  Skulptur“ entstand aus handwerklichem Können, einfachem Bauschmuck und deutlichen Spuren von Gebrauch. Technische Perfektion hat hier nichts verloren.

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Gemäß dem Motto, dass jede Veränderung, die keine Verbesserung ist, eine Verschlechterung darstellt, wurde erhalten, was sich bewährt hat; so auch die offene Elektroinstallation – eine der ersten in einem Bauernhaus in der Gegend.

Grundrisse Bestand

5

4

5

2

7 6

7

3

1

6

2

2

4

1

7

Erdgeschoss 1 Fletz 2 Stube 3 Küche 4 Austrag 5 Waschküche 6 Stall 7 Scheune

Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2 – 3 Kammer 4 Hühnerstall 5 Abort 6 Heustadel 7 Tenne

Grundrisse Umbau

5

7

4

4 6

8

3

1

5

6

7

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2

1

2

9

Erdgeschoss 1 Fletz 2 Stube 3 Küche 4 Speisekammer 5 Bad 6 Wohn­ und Arbeitsatelier 7 Scheune 8 Imkerei 9 Abstellraum 10 Gerätschaftsscheune

3

Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2 Arbeits­ zimmer 3 Schlafzimmer 4 WC 5 – 6 Abstell­ raum 7 Sauna

Ansichten Bestand

Süd

Ost

Ansichten Umbau

Süd

Ost

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnungen historisches Fenster 3

1 4 5

5

2 4 1

1 Holzladen 2 herausnehmbare Zusatzver­ glasung 3 Fenster Montagevorrichtung 4 historische Sprossenfenster 5 Öffnungs­ flügel

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Der Flur im Obergeschoss – ein Ständerbohlen­ bau mit verputzten Außenwänden auf den Erdgeschosswänden aus Feldstein. Am Ende des Flurs ging es einst rechts in den Hühner­ stall.

„Es   gibt mehrere Lieblingsplätze. Das ist einmal die Stube und dort der alte Kachelofen sowie der große Esstisch. Ein weiterer Lieb­ lingsplatz ist der sanierte Stall, den wir intensiv für handwerkliche und musische Hobbys nutzen. Vor dem Haus an der Südseite steht im Windschatten eine Sitz­ gruppe zum Kaffeetrinken.“ [Angela und Ben Bachmair]

Jahren begehbar, nachdem der Zustand des hölzernen Unterbaus eine Komplettsanierung erzwang – die Stand­ sicherheit der flankierenden Wände war gefährdet. Die Nordwand wurde mit Dämmziegeln erneuert, die Natur­ steinwand zum Wohnteil mit neuem Fundament gesichert, ein neuer Dielenboden schwimmend im Kiesbett verlegt. Erstaunlich die Wand zum Wohnteil: auf ganzer Länge, bis zur Decke einen halben Meter Naturstein. Das Staunen nimmt zu, wenn man feststellt, dass die hinteren Räume, Küche und Kammer, gleichfalls von Natursteinwänden gefasst sind. Was für Ben Bachmair nur den Schluss zulässt, hier handle es sich um den ältesten Kern des Hauses, einem der drei Häuser des vermutlich vor 500 Jahren gegründeten Weilers. Die heutige Größe des Wohnhauses verdan­ ke sich einer Erweiterung um 1750: die Stube als Stän­ derbohlenbau. Die Nutzung des Wohnteils ist im Grunde gleich ge­blieben – Stube und Küche im Erdgeschoss, drei Schlafräume im Obergeschoss. Lediglich die eine Kammer im Erdgeschoss wurde zum Bad und das Plumpsklo zum WC. Wer allerdings das Haus aus der Zeit des Kaufs 1995 noch vor Augen hat, kann den Wandel kaum glauben: Jahrzehnte war das Haus von der Witwe des Bauern alleine bewohnt worden und glich mit undichtem Dach und herabfallendem Putz einer Ruine. Die einzelnen Maßnahmen aufzuzählen, wäre uferlos. Prinzipiell wurde neu eingebaut, was heutiger Standard gebietet: Heizung (Gas), Wandtemperierung, sanitäre und elektrische Installation, Bad mit Fußbodenheizung.

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Die Abenddämmerung senkt sich übers Haus, die letzte Sonne spiegelt sich in den Vor­ fenstern, die saisonal die Einfachverglasung zum Kastenfenster vergütet. Haus, Schopf und Hecke umgrenzen das grüne Wohnzimmer mit Apfelbaum.

Es wurde Wert darauf gelegt, zu erhalten und weiter zu nutzen, was taugte – etwa alte Fenster oder die genann­ ten Dielen. Schließlich wurde ergänzt bzw. dem Vorbild gemäß erneuert – die Fenster etwa konnten dank zusätz­ licher Winterfenster beibehalten werden, und die elek­ trische Aufputzinstallation blieb und entspricht mit neu eingezogenen Kabeln heutigem Standard.

Ein Wellenmeer aus durchgetanzten Massiv­ holzdielen, die Bank als Reling, ein Horizont aus feingliedrigen Fenstern, überwölbt durch die Gliederung der Kassettendecke – da lässt sich die unterschrittene DIN-Höhe leicht verschmerzen.

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Vielfach musste die Gründung vergütet und insbesondere beim ebenerdigen Holzbauteil verfaultes Holz ersetzt werden. Erneuert wurde der gesamte Putz: Auf die Bohlen mit holznagelartigem Putzträger kamen circa 5 Zenti­ meter strohgebundener Lehmputz mit einem Kalkputz als letzter Lage. Bestehender Hohlraum zwischen Bohlen­ wand und Täfer wurde mit Schafwolle ausgestopft, sodass die Ansicht des neuen Raums dem Vorgänger gleicht – in den Worten von Angela Bachmair: „Einen rechten Winkel findet man hier äußerst selten.“ Ob das nicht arge Abstri­ che an der perfekten schönen neuen Welt sind? „Wir haben immer einfache Lebensformen gesucht“, antwortet sie, „Lebensformen, wie wir gelebt haben, als wir jung waren. Und: Geschichte hat mich immer interessiert.“ Dem pflichtet Ben Bachmair bei: „Es ist das dritte Haus, das wir saniert haben – nach einem in Hessen und einem in Italien. Es ist ein vielleicht eigenwilliges Hobby – gemäß unserer Lebenseinstellung. Wir gehören nicht zur ‚Generation Kreuzschiff‘. Das Haus widersetzt sich einer ,McDonaldisierung‘. Diese Form individuellen Handelns ist nicht dem Kommerz verpflichtet, es geht nicht nur um Zweckmäßigkeit, um Konsum. Es ist eine andere Logik – die hat auch ihren Preis. Ich muss etwas zu tun haben als Kontrast oder Ergänzung zur Arbeit des Geisteswissenschaftlers. Das Handwerkliche brauche ich, den eigenen Rhythmus, auch Entschleunigung. Angekom­ men bin ich beim Imkern – ideal!“ Das eigene Leben ist wichtig – dabei ist man sich durchaus einer gewissen Ambivalenz zur Stadtwohnung in Augsburg bewusst. Auch Perspektiven ändern sich – man entdeckt Schattenseiten, fragt sich, was aus dem

Aus den Wohnräumen durch den Stadel und einen kleinen „Schlupf“ in der geschlossenen Stadelwand im Westen erreicht man einen Freisitz mit Blick ins unverbaute Land – unter zwei alten Eschen eine Oase an heißen Sommertagen.

Land wird. Und weiß dann gerade in den vergangenen zwei Jahren der Corona-Pandemie, was man an einem solchen Ort hat. „Es ist der Familienwohnsitz geworden“, so Angela Bachmair, „der Ort, an dem man sich trifft: Eltern, Kinder, Enkel. Ein Ort, der das Kommen und Gehen zulässt, genug Platz bietet. Den Kleinen einen Raum für Erlebnisse –   Bäume, Tiere, Wasser –, den Älteren Entspannung und Konzentration. Und neuerdings Ruhe vor dem viralen Sturm. Es ist ein Glück, mit der Familie zusammenleben zu können. Und dazu kommen noch Freundschaften im näheren und weiteren Umkreis, Begegnungen, die zu pflegen man lernt. Das ist Lebensqualität.“

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Das Haus stellt Anforderungen und hat Potenzial. Über die Nachnutzung brauchen sich die Bachmairs keine Sorgen mehr zu machen, Kinder und Enkel sind längst überzeugt. Und es bleibt dabei: Wohl dem, dessen Dach über dem Kopf ein einfaches geblieben ist.

Das Projekt besticht durch die Wertschätzung des Bestands und dessen behutsame Instandsetzung und Pflege.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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Unterthingau  /  Platz für einen Hidden Champion in jeder Dorfmitte

Bauherren  Sandra und Joachim Gareiß Architekt  Gerd Riedmiller, Hafner Bau, Görisried Ursprungsbau  1661 Fertigstellung Umbau   2011 / 12 Standort  87647 Unterthingau Lage  Ortsmitte

Eine besondere Beziehung vom ältesten Haus im Ort zum Schloss im Hintergrund, einem Bau vom Ende des 16. Jahrhunderts: Als Gutshof mit dem Schloss verbunden ist die „Löwen­ wirtschaft“ seit Beginn dem Dorfleben zugewandt.

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Der bäuerliche Wirtschaftsraum wird Friseursalon. Stall und Tenne werden geöffnet, der neue Boden geht durch, der Raum reicht bis unters Dach. Öffnungen und raumhohe Spiegel erweitern das Raumgefühl.

Immer öfter ist die Rede von aussterbenden Ortskernen. Man könnte meinen, dies sei ein unabwendbares Schick­ sal. Und dann das: ein Friseursalon in einem Allgäuer Dorf für Kunden aus der Nachbarschaft, aber auch von weit her, aus der Schweiz, aus der Landeshauptstadt München. Gibt’s das? „Ja“, sagt Sandra Gareiß. „Kompe­ tenz und Ambiente sind ausschlaggebend“, betont die Obermeisterin, die einem 15-köpfigen Team vorsteht und daneben ihre Profession als Vorstandsmitglied der Handwerkskammer Schwaben vertritt. Kompetenz versteht sich da von selbst. Aber Ambiente? Was ist damit gemeint? Mit hoher Wahrscheinlichkeit gibt es keinen zweiten Friseursalon wie diesen, in Stall und Tenne eines Bauern­ hauses, das schriftlich erstmals 1661 erwähnt wurde, nach anderen Hinweisen jedoch noch älter ist. Die bis zu 60 Zentimeter starken Wände aus Backsteinen heben das Wohnhaus aus der üblichen Bauweise von Bauern­ häusern dieser Zeit heraus. Das Gebäude diente ver­ mutlich dem nur einen Steinwurf entfernt westlich gelegenen Schloss als Gutshof für seine Landwirtschaft. Das Schloss wurde 1515 erstmals als Sitz des Nieder­ gerichts des Fürststifts Kempten urkundlich erwähnt. Die beidseitig befahrbare Tenne verband auf direktem Weg den Marktplatz beim Schloss mit dem Hof der Landwirtschaft an der Hauptstraße, wodurch – auch das ungewöhnlich – die Wohnung nach Norden ging. Eine weitere Besonderheit und doch seinerzeit nicht unüblich: Der Raum der Stube im Erdgeschoss war seit dem 17. Jahrhundert Gaststube der „Löwenwirtschaft“.

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Nicht so schwungvoll wie in den 1970erJahren geht es heute um die Kurve und auf den haar spa zu: Verkehrsberuhigung. Der rechte Bau ist dem Kirchhof mit Mauer und kräftiger Linde am Eck gewichen.

können: Baugenehmigung, Abstimmung mit dem Denk­ malamt, bautechnische Fragen, Ausschreibung, Hand­ werker, Bauleitung, Finanzierung sowie Fördermöglich­ keiten; um nur die Wichtigsten zu nennen. Das erforderte Geduld und gute Nerven vor allem im Umgang mit den Ämtern. „Wir haben uns da einige Male gefetzt, aber immer Kompromisse gefunden, und heute verstehen wir uns immer noch prächtig“, erinnert sich der Bauherr. Dabei wussten Herr Gareiß und seine Frau, was sie in die Waagschale zu werfen hatten: Das Interesse, ein Denkmal wieder zu beleben. Bei aller Liebe zu diesem Altbau musste er öfters deutlich machen: „Eure Vorstellungen sind nicht leist- und umsetzbar; wir beenden das Projekt.“ Doch fand man, meist nach ein paar Tagen, einen Kompromiss. Dazu zählt auch das Zugeständnis der Denkmalschutzbehörde, dass die Wiederkehr mit dem Heustock abgebrochen und durch einen Neubau derselben Kubatur und Optik ersetzt werden durfte – das neue Wohnhaus. Dann war es soweit: Im April 2011 wurden mit dem Abbruch des alten Wirtschaftsteils die Baumaßnahmen begonnen, im November desselben Jahres das Haus bezogen, im Januar 2012 der neue, große Salon eröffnet. Und der Bauherr stellte fest: „Das ist preiswerter als ein Neubau.“ Wie das? „Mit Herzblut und viel Eigenleis­ tung – wobei meine berufliche Tätigkeit nicht unter­ brochen wurde. Und: Nicht auf alle hören.“

Die Hülle mit Außenwand und Dach ist gedämmt und präzise mit Gipskartonplatten verkleidet; umso wirksamer entfaltet sich der Kontrast zur alten Konstruktion aus Balken, Bohlen und Backsteinen.

Die Oberthingauerin Sandra Gareiß führt seit 1993 einen stetig wachsenden Friseursalon in der Ortsmitte von Unterthingau. Da die Platzverhältnisse der gemieteten Geschäftsräume immer enger wurden, fiel der Blick auf den baufälligen Hof in der direkten Nachbarschaft. Da der Ehemann von Sandra Gareiß auch über baulichen Sachverstand verfügt, er ist staatlich geprüfter Bau­ techniker, reifte der Entschluss, hier einen neuen Lebensmittelpunkt zu finden – mitten im Ort, an einer Hauptstraße. Nicht wenige Ortsansässige schüttelten den Kopf und sahen Schlimmes voraus. Doch sie hatten die 20 Jahre Bauerfahrung von Joachim Gareiß unterschätzt. Als ersten Schritt schloss das Ehepaar Gareiß vor der eigentlichen Eigentums­ übergabe einen Vorverkaufsvertrag mit einer Frist von neun Monaten mit dem damaligen Eigentümer ab, um in diesem Zeitraum alle relevanten Fragen klären zu

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Beispiel altes Wohnhaus: Die starken Steinwände erhielten keine zusätzliche Wärmedämmung. So konnten die alten Fenster bleiben, ergänzt durch neue, innenliegende Fenster mit Iso-Verglasung. So entstanden mit wenig Aufwand gut dämmende Kastenfenster. Bleiben konnten so auch alle Dach- und Bodenanschlüsse. Auch innen

Nach heutigem Baurecht müsste der Bau weit von der Straße rücken – so bleibt er raum­ bildend. Und ist dank gemauertem Sockel aus Feldsteinen unempfindlich gegen Schnee und Spritzwasser.

Grundrisse Bestand

4

6

2 1

5

2 1

4 5

3

3

Erdgeschoss       1  Tenne  2  Tennendurchfahrt    3  Milchkammer  4  Stall  5  Hausflur   6  Wohnung

Obergeschoss       1   Luftraum  2  Lager   3  Soler  4  Abort  5  Wohnung

Grundrisse Umbau

7 3

1 3 1

5 4

1

2 2

4

6

6 GSEducationalVersion

GSEducationalVersion

5

GSEducationalVersion

Erdgeschoss       1   Friseursalon  2  Hausflur   3  Einliegerwohnung  4  Seminarraum  5  Garage   6  (ehem.) Café  7  Nebenräume Café / Friseursalon

GSEducationalVersion

Obergeschoss       1  Dachterrasse  2  Wohnung   3  Luftraum  4  Schwe­bender Gang (Wohnkanal)    5  Wohnung  6  Büro

Ansichten Bestand

Süd-Ost

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Nord-Ost

Ansichten Umbau

Süd­Ost

Nord­Ost

Ansichten Bestand

Ansichten Umbau

GSEducationalVersion

Detailzeichnung ehem. Tennendurchfahrt 1 2 3 4 5 6 GSEducationalVersion

1 4 6 7

Dachdeckung 2 Sparren 3 Dämmung Holzschalung 5 Mauerwerk Schwebender Gang (Wohnkanal) gedämmte Bodenplatte

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7

Das Tennentor ist heute Schaufenster des Friseursalons, der Stall ist Waschen – Schnei­ den – Legen vorbehalten, die Wohnräume werden für Verwaltung und Versammlung sowie rückwärtig für eine Einliegerwohnung genutzt.

Der bis unters Dach offene Kundenraum wird im ersten Stock durch einen geschlossenen Gang gekreuzt, der die Wohnung im Ersatzneu­ bau der Widerkehr mit der Verwaltung im Kopfbau verbindet.

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wurde erhalten, was ging: Decke und Boden des Ober­ geschosses, die barocke Kassettendecke in der ehe­ maligen Wirtsstube. Nur der Boden wurde hier abgesenkt: 30 Zentimeter ins Erdreich, darauf eine gedämmte Betonbodenplatte mit Fußbodenheizung und einem Dielenboden. Das flach geneigte Dach über dem alten Wohnhaus blieb nichtausgebautes Kaltdach. Die Stube ist heute Seminar- und Sozialraum, das Schlafzimmer darüber Büro. Die Kammern im ersten Stock sind zu einer kleinen Mietwohnung zusammengefasst. Der ehemalige Stall- und Tennenbereich ist aber das eigentliche „Highlight“ des Hofs. Die gemauerten Stall­ wände mit ihren Futterluken blieben stehen, die Decke verschwand. Mit der Tenne reicht der offene Raum bis unter den First in 8 Meter Höhe. Auf halber Höhe kreuzt ein geschlossener Wohnkanal – die „Brücke“ vom alten Haus zum rückwärtigen Neubau. Doch mit Luftraum darüber, mit den Luken und Durchgängen, mit den Einbauten und Spiegeln entlang der alten Stallwand und den Futter­ barren vor den Friseursesseln bleibt der Eindruck des Ganzen erhalten als lebhaftes, fast schwindelerregendes Raumgefüge. Dieser Raum wird vom Hof betreten durch eine neue Glasfassade anstelle des Scheunentors. Auf der gegenüberliegenden Seite antwortet eine gleich große Glasfront, die den Blick auf das rote Schloss Unterthingau freigibt. An diese Raumzone schloss einst der Heustock an; der musste einem Neubau weichen. Im Erdgeschoss finden sich Nebenräume, Heizzentrale, Garagen und ein

„Das   hier ist Lebensqualität, nicht immer ist alles perfekt, aber das macht doch den Charme aus. Man will schließlich sehen, dass man lebt.“ [Sandra und Joachim Gareiß] Barbershop mit separatem Zugang vom Hof, der ein einige Jahre betriebenes Bistro abgelöst hat. Im Obergeschoss liegt die neue 6-Zimmer-Wohnung der Bauherrenfamilie, nach Süden orientiert, mit Sicht in eine baumbestandene Gartenzone. Die gesamte Anlage wird durch das gewinkel­ te Dach mit roten Ziegeln und einheitlicher First- und Trauflinie zusammengefasst. Die Haustechnik reagiert maßgeschneidert auf das alte Haus und seine neue Nutzung. Der Salon hat einen hohen Bedarf an Warmwasser von etwa 100.000 Litern pro Jahr. Unterschiedliche Heizsysteme versorgen die histo­ rischen Räume: im Erdgeschoss Altbau eine Fußboden­ heizung; im Obergeschoss Altbau Gebläsekonvektoren; im Friseursalon und im „Neubau“ eine Deckenheizung. Bei den steinernen Wänden des Altbaus kam keine Dämmung zum Einsatz. Trotz allem liegt der Wärmebedarf für die Gesamtanlage bei unter 70 kWh/(m²a). Dieser Bedarf wird durch eine Luftwärmepumpe gedeckt, die hinter dem Haus kaum vernehmbar vor sich hin brummt.

Die alte Stallwand mit den Futtertrögen und Heuluken ist atmosphärisches Highlight und trägt den Gang ein Stockwerk höher. Besondere Sorgfalt beanspruchte die Freilegung und Fixierung des Mauerwerks.

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Im Putz neben der Eingangstür wurde eine Strichfigur entdeckt, der besondere historische Bedeutung zugeschrieben wird.

„Ich würde es wieder so machen“, sagt Joachim Gareiß, „Meine Söhne, meine Frau und ich sind uns einig: kein Neubau mehr.“ Und ein strittiges Thema kommentiert er ganz klar: Mit den Abschreibungsmöglichkeiten der AfA Denkmalschutz wird die Finanzierung erleichtert. Denn ein Großteil der investierten Bausumme kann über insgesamt elf Jahre abgeschrieben werden.

Ein eigener Raum für ein ungewöhnliches Geschäft im Dorf. Und für die neue Kundschaft der Männer mit gepflegter zweiter Frisur gibt es im anschließenden Neubau den barbershop.

Die Revitalisierung des L-förmigen Hofs liefert einen wichtigen Beitrag für die soziale Funktion des Dorfkerns. Die Wohnnutzung ist durch einen Friseursalon um ein zusätzliches Angebot für das Dorfleben erweitert. In der denkmalpflegerischen Herangehensweise werden im Umgang mit Innen- und Außenraum ganz unterschiedli­ che Wege beschritten: Die Außenfassaden transportie­ ren das traditionelle Bild fast ohne Bruch, es sind nur wenige, notwendige moderne Elemente ergänzt. Im Inne­ ren überraschen und überzeugen dagegen die Kontraste zwischen den fragmentarisch anmutenden Bestands­ konstruktionen, wie zum Beispiel das vom Putz befreite, partiell ausgebesserte Mauerwerk, und den modernen Einbauten und Möblierungen.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

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Buchenberg  /  Zusammenspiel und Planung helfen bei Überraschung

Bauherren  Stefanie und Armin Waibel Architekt  Franz Vogler, Oberstdorf Ursprungsbau  1553 Fertigstellung Umbau  2012 Standort  87474 Buchenberg Lage  Weiler

Wer je gebaut hat, weiß, dass er mit „Unvorhergesehenem“ zu rechnen hat. In höherem Maß gilt das für Umbauten. Ungewöhnlich heftig hat es die Waibels erwischt. In ländlichem Grün mit großzügig bemessenem Raum sollten die Kinder der jungen Allgäuer Familie aufwachsen. Ein 2008 erworbenes Bauernhaus sollte dies möglich machen; die Nähe einer größeren Straße wurde durch die traum­ hafte Lage mehr als entschädigt – der östliche Wohnteil schaut über die weite Senke des Illertals bei Kempten bis zu den Bergen. Dabei stand eigentlich fest: Der desolate Zustand des Hauses – seit 25 Jahren Leerstand, keine Heizung, nur kaltes Wasser – verlangte Abriss und Neubau. Die Abrissgenehmigung war erteilt, da kündigte das zustän­ dige Denkmalamt aufgrund eines Hinweises eines Heimatpflegers einen Ortstermin an. Die Überraschung – und Freude – der Besucher war groß. Viele Raumteile von historischer Substanz waren noch gut in Schuss und eine dendrochronologische Untersuchung erbrachte die

Die mächtige Wiederkehr des 20. Jahrhunderts hält heute Verkehrslärm ab und gibt dem bescheidenen, vierhundert Jahre älteren Bauernhaus mit Blick weit übers Illertal bei Kempten einen starken Rücken.

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Gelassen wie der Abend nach einem langen Tag: das verputzte und gekalkte Allgäuer Bauernhaus mit putzbündig sitzenden Fenstern, richtig gegliedert und proportioniert, dazu die grünen Läden

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Und doch: Selbst hinter solch einem Auftritt kann sich ein Kleinod verbergen. Ansicht um 2005 vom arg mitgenommenen Altbau

Auch wenn das Hausalter Ehrfurcht gebietet: Spätere Einbauten wie diese Stube in bäuerlicher Klassik beeindrucken mit der Stimmigkeit der Details bis hin zum gedämpf­ ten Glanz des vornehmen Hellgrau.

Sensation: Wesentliche Holzteile wurden auf das Jahr 1553 datiert – wenige Jahre nach dem Bauernkrieg und 100 Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, zwei für das Allgäu einschneidende Ereignisse. Damit zählt dieses Haus zu den ältesten Bauern­ häusern des Allgäus – und das Interesse des Denkmal­ amts war ihm sicher. Aus dessen Perspektive war nun der Erhalt die einzige Option, und eine intensive Erörterung über die Zukunft des Gebäudes hob an. Es ist bemer­ kenswert, in welch hohen Tönen der Bauherr auch noch heute den Umgangsstil lobt. Der Abriss war amtlich genehmigt; das Haus war nie Denkmal gewesen und wurde auch nicht dazu erklärt. Überzeugende Argumente und gemeinsames Bemühen prägten das Zusammenspiel von Amt, Bauherren und später Architekt. So wurde eine kostenfreie Vorplanung bereitgestellt. Die Finanzierung wurde unterstützt, Wege für Zuschüsse erschlossen, die insgesamt ein Drittel der Baukosten deckten. Schließlich wurde der Kontakt zum Architekten Franz Vogler vermittelt, ein ausgewiesener Fachmann für derartige Aufgaben. Nach sorgfältiger Planung ging es 2012 ans Werk. Der historische Kern, das Wohnhaus, ist ein „Dreiraum­ würfel“ mit Stube und Kammer zu ebener Erde und zwei Kammern darüber sowie einem Flur von ungewöhnlicher Breite, wie er im Oberallgäu üblich ist und der einst als

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Klassik? Ist es dem rationalistischen Geist dieser Zeit zuzuschreiben, dass hier im Herrgottswinkel kein Kruzifix zu finden ist? An dieser Stelle zeigt die sonst schmucklose Decke das Bild einer Taube als Symbol für den Hl. Geist.

Grundrisse Bestand

9

7

8

4 3 7

5

3

5

4

6

1

2

1

2

6

Erdgeschoss 1 Flur / Küche 2 Stube 3 Gaden 4 Stall 5 Flur 6 Abort 7 Stall 8 Stadel 9 Güllegrube

Obergeschoss 1 Diele 2 – 3 Kammer 4 oberer Gaden 5 Lager 6 Tenne 7 Stadel

Grundrisse Umbau

4

6 5

8

3 1

2 8

7

Erdgeschoss 1 Diele 2 Stube 3 Musik­ zimmer 4 Essplatz / Wohnraum 5 Flur 6 WC 7 Heizung 8 ehem. Stall

Nord­West

Ansichten Umbau

Süd­Ost

69

7

6

1

Obergeschoss 1 Diele 2 Kinderzimmer 3 Abstellraum 4 Kinderzimmer 5 Schlaf­ zimmer 6 WC 7 Bad 8 ehem. Tenne

Ansichten Bestand

Süd­Ost

4

5

3

Nord­West

2

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Fassadenschnitt Treppenhaus

1 2 3

4

1 Bohlenbalkendecke 2 Stahlblechwangen Treppe 3 Treppenstufen Holzdielen 4 Podest Holzbalken 5 Fußbodendielen 6 Holzbalken­ lage, gedämmt 7 Stahlbetonbodenplatte

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5 6 7

„Wir   haben Opfer bringen müssen, hatten aber großartige Unter­ stützung. Unterm Strich sind wir sehr glücklich hier.“ [Armin Waibel] Neu strukturiert wurde der alte Stall: der Boden um zwei Stufen tiefer gelegt und beheizt, die Rückwand ganzflächig verglast. Die neue Decke wird von einer filigranen Stahlkonstruktion, deutlich vor die Wand gerückt, getragen.

Die Rückseite im modernen Anstrich: um einen vorspringenden Schopf begradigt mit sachlicher Holzverschalung, kleinen, frei gesetzten Fenstern im Wohnteil und einer Glasfassade im Stallteil. Und die Wiederkehr großzügig ausgehöhlt

→  Fast eine abstrakte Komposition: Das Treppenhaus über drei Stockwerke am Ende des Hausflurs ist eine Konstruktion aus Stahl­tafeln, Glasplatten und Trittstufen aus Massivholz mit maximalem Lichtdurchlass.

offener Küchenraum diente, wofür das eingedunkelte Holz spricht. Die Raumhöhe lag bei 1,80 Meter. Konstruktiv ist es ein Ständerbohlenbau wie im Unterland verbreitet, ausgesteift über angeblattete Kopfbänder, außen verputzt, innen teilweise vertäfert. Auf oberstem Rähm und aufge­ ständerten Firstpfetten liegt das flach geneigte Rafendach, wie im Gebirge üblich. Eine Allgäuer Eigenart: das zuneh­ mend weiter ausladende Dach über dem Südeingang, das im Hackenschopf ausläuft.

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 Zur Zeit des Kaufs schloss an den Wohnteil der haustiefe Stall an mit kaum mehr als 2 Metern Raumhöhe, dann als westlicher Abschluss die hohe Wiederkehr – Tenn, Geräteraum und Heuberge in einem. Offensichtlich wurde das Haus mehrfach „umge­ strickt“. Die Wiederkehr ersetzte in den 1920er-Jahren den Schopf. Der hier übliche Stall war in die vormalige Tenne neben dem Wohnhaus gewandert – die sich durchsetzende Milchwirtschaft um 1880 erforderte mehr Platz für Tiere und Heu. Mit den Stallwänden zog ein neuer Baustoff ins Haus: Ziegel. Ein Wandel, an den 2012 angeknüpft wurde – nun für ein Wohnen nach heutigen Standards. Das heißt vor allem: hinreichende Raumhöhen – durch Absenken des Erd­ geschossbodens um 30 Zentimeter und Öffnen der Obergeschossdecke bis unters Dach. Das schließt energeti­ sche Ertüchtigung ein – durch ein neues Dach mit hin­ reichend Dämmung und Holzfaserdämmung hinter dem Wandtäfer. Dazu der Einbau einer Pelletheizung mit

Wohl eines der ältesten Bauteile: Die Firststütze mit aufgeblattetem Kopfband und Sicherung durch Holznägel; die dunkle Färbung des Holzes geht auf Rußablagerung aus der offenen Flurküche zurück.

Das aufwendig nach historischem Vorbild gebaute Kastenfenster hat je einen feststehen­ den Mittelpfosten, zwei Fensterflügel und ein kleines Schiebefenster – den „Rucker“ – zur fein gesteuerten Raumlüftung.

Die Tür von der Stube zum Gaden – heute Elternschlafzimmer – ist flankiert von einem Uhrenkasten und einer Kredenz für die wenigen Preziosen bäuerlichen Alltags. Man beachte die farblich feine Durcharbeitung der Holzverkleidung.

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Fußboden- und Wandsockelheizung und eines neuen Bads sowie eine großzügige Treppe und neue Decken in Flur und Stall. Vor allem aber: Gekonnter Umgang mit den histo­ rischen Bauteilen, etwa den Kastenfenstern oder Wandund Deckentäfer, die sorgfältig saniert wurden. Das beißt sich keinesfalls mit entschieden zeitgemäßen Elementen, etwa der halbgewendelten Treppe mit Handläufen aus Stahl und Glas – nicht als modischer Schnickschnack, sondern aus wohlüberlegten Gründen

der Belichtung. Und dann ist handwerkliche Sorgfalt – bei alt wie neu – das Bindeglied, das alles zusammen­ hält. So bietet das Haus unterschiedlichste Räume: intim, behaglich mit viel Geschichte wie die alte Stube und großzügig ins Freie offene wie die Essküche im ehemali­ gen Stall mit Terrasse zur Abendsonne. So sind die Träume doch wahr geworden – mit viel Eigenarbeit und Herzblut und einigen Jahren Wohnen ganz nah an der Baustelle. „Wir haben Opfer bringen müssen, hatten aber großartige Unterstützung. Unterm Strich sind wir sehr glücklich hier“, fasst Armin Waibel die letzten Jahre zusammen.

Kaum ein Weiß strahlt mehr als gelöschter Kalk. Deutlich lässt sich der große Raum der Stube und der kleine des Gadens bzw.  von Oberstube und Obergaden ablesen. Der nördlich angefügte Schopf wurde abgebrochen.

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Das Hofgebäude als Teil der Kulturlandschaft zeigt exemplarisch die nachhaltige Wandlungs- und Entwick­ lungsfähigkeit qualitätsvoller bestehender Bausubstanz über Jahrhunderte. Die jüngste Entwicklungsstufe basiert auf einem großen Verständnis für die Werte und die Struktur des Bestands und implementiert zeitgemäße Anforderungen nach mehr Licht und einer verstärkten Öffnung zum Außenraum in überzeugender Weise. Die differenzierten, qualitätsvollen, handwerklichen Details von Alt und Neu verleihen dem einfachen Hofgebäude Raffinesse und Tiefgang.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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Kempten / Ausgelassen feiern, wo einst hart gearbeitet wurde

Bauherr Hans Heel Architekten Hagspiel Stachel Uhlig Architekten, Kempten Ursprungsbau 1913 Fertigstellung Umbau 2015 Standort 87435 Kempten Lage Alleinlage

Es gab Zeiten, da ging es mit dem Bauernstand richtig aufwärts – die Epoche um 1900 war so eine. Technische Neuerungen wurden eingeführt, Experimente gemacht, neu gebaut, angebaut … Die meisten der großen Höfe im flacheren Allgäu, verputzt und mit Dächern von etwa 35 Grad Neigung, verdanken dieser Zeit ihre Gestalt. Ein Beispiel ist der Michlhof. Das Urkataster, das Bayern ab 1808 erstmals kartografisch exakt erfasst und für Kempten mit Umgebung um 1825 erstellt wurde, zeigt für den Standort keinerlei bauliche Anlage. Wohl aber weiß man, dass sich auf dem Bauplatz ein Steinbruch befand, dem zeitweise die westliche Erweiterung Kemptens ihren Naturstein verdankt. Um 1910 beantragt ein Michael Hartmann die Errich­ tung eines neuen Bauernhofs, 1913 ist Fertigstellung. Es ist ein stattliches Bauernhaus mit Wohnhaus nach Osten, zwei Wohngeschossen und ausgebautem Dach. Der Bau ist mit Bruchstein und Vollziegel gemauert und bis unters Dach verputzt. Die Giebelseite hat fünf Fensterachsen in den ersten beiden Geschossen, drei im Dach und drei auf der nördlichen Traufseite. Die Sprossenfenster mit Läden sind außer im Dachbereich mit Segmentbögen überwölbt – ein wohlproportionierter Bau ohne weiteren Bauschmuck. Der Grundriss entspricht dem gebräuchlichen, weiter­ entwickelten Seitenflurhaus mit traufseitigem Zugang zum breiten Flur, von dem Stube, Küche und ein „Zimmer“ abgehen und von dem eine gerade Treppe nach oben führt. Ungewöhnlich: Das Haus wird von Norden betreten, der Zufahrt entsprechend. Und: Die Südseite ist fensterlos. Es ist ein Hof, der ganz auf die sich nun durchsetzende Milchviehhaltung ausgerichtet ist, fußend auf dem wachsenden Einfluss der Lehrmeinungen aus den ein­ schlägigen Hochschulen zur Ertragssteigerung. Es geht um Stallhaltung, Grünland für Heufütterung, Güllewirt­ schaft. Der Stall für einst eine Handvoll Rinder wird entschieden größer; aus Holz­ wird Steinbau. Damit rückt

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Das Gehöft steht da, wie es um 1910 errichtet wurde, dabei ist der Wohntrakt abgetragen und mit genau demselben Aussehen wiederaufgebaut worden – mit nunmehr energetisch tadellosen Werten.

→ Feiern in einem Ambiente, das wohl jeder Allgäuer in Erinnerung hat. Wenige Balken des alten Stadels mussten ergänzt werden und sind sichtbar verschraubt. Neue Belichtungs­ elemente berücksichtigen das Bild des Stadels.

Stimmungsvoll: die Steinwand des alten Kälberstalls, die dank Außendämmung sichtbar bleibt. Das neue Tragwerk der Obertenne aus Stahl schafft Transparenz, der neue Eichen­ boden Noblesse.

er von jenseits der Tenne direkt an das steinerne Wohn­ haus neben den Hausflur. Im vorliegenden Fall reicht der Stall noch weiter nach Süden hinaus und weitet sich um Flurbreite – deshalb gibt es im Süden keine Fenster. Auf der ganzen Länge begleitet diesen Stall die Tenne, die nun samt Jungviehstall und Heustadel bis unters Dach eine reine Holzkonstruktion ist – lediglich ein Rossstall ist gemauert. Dieser Holzbau – reiner Arbeitsund Bergeraum – schließt mittig mit der Firstrichtung senkrecht zum Wohnhaus bei gleicher Breite und doppelter Länge ab. Eine ganz nach den neuen Arbeitsvorgängen ausgerichtete Anordnung für den ambitionierten Hof mit 15 Rindern, dazu Jungvieh sowie 3 Rössern – in Zeiten ohne Arbeitsmaschinen beachtliche Zahlen. Auch das zeigt den waltenden Sachverstand: Der Wirtschaftsbau hat gleich zwei Hocheinfahrten statt wie üblich eine, eine bauliche Neuigkeit, die sich in der Gegend erst in den letzten Jahrzehnten zuvor durchgesetzt hatte und die Heueinfuhr entschieden erleichterte. Die Durchbildung des Holztragwerks dagegen zeigt ein Beharren an der traditionellen Konstruktion des Verzap­ fens; die komplizierten Knoten im Verschnitt der beiden Dächer sind Hinweis auf ein Handwerk im Umbruch. Und doch: Fotos aus den frühen Jahren dieses Hauses zeigen stolze Erwachsene und eine stattliche Kinderschar. Oder es posiert eine Dame – wohl die Bäuerin – stolz neben dem Brunnen mit eigener Quelle vor diesem Haus.

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Luftbild mit rechts Wohnhaus, links große Wiederkehr mit Hocheinfahrt in die Obertenne sowie Stallerweiterung mit kleiner Melk­ kammer im Gebäudezwickel. Deutlich ist die Senke des Steinbruchs zu erkennen.

Grundrisse Bestand

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12 7

10 9 2

7

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1

1

2

3

3

6 4

5

4 5

6

Erdgeschoss 1 Hausgang 2 Stube 3 Küche 4 Zimmer 5 Abort 6 Wagenschuppen 7 Vieh­ stall 8 Heuviertel 9 Pferdestall 10 Wagen­ remise 11 Chaisenremise 12 Geschirrkammer

Obergeschoss 1 Flur 2 – 4 Zimmer 5 Abstellkammer 6 Luftraum 7 Scheune

Grundrisse Umbau

15 14

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10

16 12

3

4

3

5

4 2

6 9 10

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2

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7

1

5 8 6 7

1

Erdgeschoss 1 Bar 2 Vorbereitungsküche 3 Spülküche 4 Flur 5 Schlafzimmer 6 Bad 7 Küche / Essen / Wohnen 8 Flur 9 WC 10 Gastraum 11 Buffetbereich 12 Windfang 13 WC Damen 14 Heizungsraum 15 WC Herren 16 Flur 17 WC barrierefrei

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Obergeschoss 1 Cateringbereich 2 Elektro­ raum 3 WC 4 Bad 1 5 Ferienwohnung 1 6 Ferienwohnung 2 7 Bad 2 8 Treppenhaus 9 Saal 10 Stuhllager

Ansichten Bestand

West

Süd

Ansichten Umbau

West

Süd

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Fassadenschnitt West

1 2

3 4

Außenwandaufbau OG 1 Tragschicht Holzstützen Bestand 2 Schalung Vollholzdielen 3 Dämmschicht Zellulose und Holzfaser 4 Holzschalung auf Konter­ lattung Außenwandaufbau EG 5 Innenputz 6 Nichttragende Wand Hoch­ lochziegel 7 Dämmschicht Zellulose 8 Trag­ wand Bestand Naturstein

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5 6 7 8

Der große Festsaal in der alten Obertenne vermittelt etwas von der Holzbaukunst um 1900. Trotz Alter und erhöhter statischer Anforderung genügt er heute allen Ansprüchen.

Berichtet wird, dass nicht genügend Wirtschaftsfläche zur Verfügung stand, weshalb man nebenher ein Fuhrunter­ nehmen mit den Rössern betrieb, später dann eine Schreinerei. Es half nichts; 1980 wird die Landwirtschaft aufgegeben und der Hof an die Stadt Kempten verkauft.

Keine 100 m war der Steinbruch entfernt für den Baustoff dieser Wand. Um das allseitig erlebbar zu behalten, wurde die Dämmung mit Vormauerung mal innen, mal außen eingebaut.

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Nach Leerstand und Zwischennutzung erwarb 2013 die heutige Besitzerin, die Gastronomen- und Hoteliersfamilie Heel, das Anwesen von der Stadt Kempten. Als Ergänzung ihres Angebots sollte hier eine „Eventlocation“ im Grünen entstehen. Der Wohnteil sei in so desolatem Zustand gewesen, dass nur noch Abbruch und Neubau infrage kamen, berichtet Hans Heel, wobei die äußere Erscheinung weitgehend beibehalten, das Innere mit drei Gästeapparte­ ments in den Obergeschossen und einer größeren Woh­ nung im Erdgeschoss abgewandelt und baukonstruktiv heutigen Ansprüchen an Komfort und Energieeffizienz entsprechend ausgeführt wird. Zur Herausforderung wurde der Wirtschaftsteil. Dabei erwies sich die solide Ausführung der historischen Konstruktion als wichtigstes Pfund. Einerseits ruhen die Umfassungswände des Erdgeschosses auf dem steiner­ nen Grund des alten Steinbruchs, sind aus gleichem Mate­

„Jede   Veranstaltung ist etwas ganz Besonderes, Ambiente und Flair sind unvergleichlich. Für unsere Gäste ist es atemberaubend zu sehen, wie dieses Bauernhaus von 1913 so anders genutzt werden kann.“ [Hans Heel] rial in circa 50 Zentimeter Stärke aufgemauert und tragen den Boden des Heustocks. Diese Wand wurde durch Vormauerung und Dämmung aus eingeblasener Zellulose energetisch vergütet – innen- und außenseitig im Wech­ sel, um allseitig die Hauptkonstruktion sichtbar zu belassen. Am aufwendigsten wurde die minutiöse Vergü­ tung der Sichtfugen. Andererseits hält die massive Holzkonstruktion des Heustocks bis unters Dach selbst heutiger Statik mit höheren Schneelasten stand, nur vier Balken von etwa 4 Meter Länge wurden ergänzt. Gegenüber dem Aufwand, in vielen Schritten 100 Jahre Heustaub zu entfernen, wirkt die Ertüchtigung von Wand und Dach durch außen aufge­ brachte Dämmung zwischen Holzständern (20 Zentimeter) bzw. Aufsparren (28 Zentimeter) fast bescheiden. Die Bohlenwand erhielt zusätzlich raumhohe Fenster nach Westen, die hinter den Latten der durchgehenden BodenDeckelschalung verschwinden. Mit zusätzlicher Warm­ luftheizung und neuem Eichenboden ist die Obertenne so zu einem Festsaal mit 8 Meter Firsthöhe geworden.

Die Hocheinfahrt ist heute Erweiterung des Festsaals als Freischankfläche und Promenade ins anschließende Wäldchen.

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Ein solcher Heustadel ist auf vielfältigste Weise nutzbar. Konstruktiv einfach und großflächig verbaut fällt die Dämmung der Hülle kaum ins Gewicht und sichert ganzjähri­ ge Bespielbarkeit.

Dagegen nimmt sich der Gastraum in der weiten Unterten­ ne mit rund 2,5 Meter Raumhöhe fast intim aus; sichtbare Steinwände und die Holzverkleidung unterstreichen dies. Nach ihrem Ausbau zur Wurmbekämpfung und Entfernung des Kalkanstrichs tragen die alten Balken wieder die Decke, unterstützt durch neue Stahlträger und Rundrohr­ stützen, dazu kommt ein neuer Eichenboden. Der Abbruch des Steinhauses mit Stall befreit vom leidigen Kampf mit Salpeter im alten Mauerwerk. Dafür gibts heute eine Bar und auf Hauslänge je Stockwerk eine Cateringküche neben den klar geschnittenen Festräumen. Treppe und WC-Anlage finden im ehemaligen Rossstall Platz. „Am Brunnen, wo früher das Vieh getränkt wurde, wird heute der Aperitif gereicht“, so Hans Heel. „Wo früher hart gearbeitet wurde und das Heu lagerte, wird heute gegessen, gefeiert und getanzt.“

Um das ruhige Erscheinungsbild der Westseite von Allgäuer Berghallen zu erhalten, verbergen sich die großen Fenster des Saals wie die geschlossene Wand hinter eng stehenden Latten.

Die Intention der Architekten ist klar nachzuvollziehen: Die Volumetrie und der Charakter des auf einem T-för­migen Grundriss errichteten Hofs sollen sich trotz teilweisem Ersatzneubau und einer weitreichenden Umnutzung erhalten. So musste der ursprüngliche Wohnungsteil abgetragen und nahe am alten Erschei­ nungsbild neu organisiert werden, um optimal für Ferienwohnungen genutzt werden zu können. Das räumliche Potenzial der beiden vorhandenen, übereinanderliegenden Tennen wurde für ganz unterschiedliche Gastronomie- und Veranstaltungsebenen genutzt. In diesem Bereich wurde die Substanz so weit wie möglich erhalten und nur an notwendigen Stellen ergänzt. [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

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Projekte

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Immenstadt  /  Kraft des Naheliegenden und geglückte Fügung

Bauherr  Prof.  Peter Tausch Architekten  tausch architekten, München / Immenstadt Ursprungsbau  ca. 1763 Fertigstellung Umbau  2012 Standort  87509 Immenstadt Lage  Ortsrand

„Alles Köstliche kommt uns nur durch Zufall zu.“ Nicht nur der Weg, wie Peter Tausch zu dem Anwesen in Freundpolz fand, sondern auch, wie mancher Raum dort zu seiner heutigen Gestalt kam, scheint Ernst Jünger mit diesem Bonmot bezeichnet zu haben. Das erstaunt insofern, als einem Architekten, wie es der Hausherr ist, doch strenge Rationalität zugeschrieben wird. Gut ein halbes Leben ist es her, dass es den Wahlmünchner für einige Jahre für die Ferien zu einem Freund in die Nachbarschaft verschlug. Verständlich angesichts des großartigen Panoramas, das die kleinen Weiler auf dem letzten Sonnenhang gegenüber dem Austritt des Illertals hinüber in die Berge bieten! Auf Jahre der Abstinenz folgten immer wieder Besuche in dieser Gegend, entscheidend war jedoch nach missglücktem Hausprojekt anderswo ein Blick ins Immobilienangebot. Ein dort gelistetes Bauernhaus sollte wenigstens wieder einmal eine Reise ins Allgäu wert sein. Vor Ort war es dann Liebe auf den ersten Blick – der Kauf 2007 ein spontaner Entschluss, den Peter Tausch seither niemals bereut hat.

Ansicht von der Straße, mit der Stube an der nord-östlichen Ecke. Das Bild verdeutlicht einen Vorzug des flachgeneigten alpinen Dachs: Im Winter erreicht das „Dämmpaket“ aus Schnee eine Stärke von gut einem Meter.

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85

Der vormals geschlossene, mit Blech beschlagene Giebel nach Süden ist heute großzügig mit maßstäblichen Fenstern fürs Atelier geöffnet, die neu konstruierte Wand gedämmt und mit lasierter Schalung versehen.

Wohl die zentrale Entwurfsidee: Die weite, ehemalige Flurküche ist großzügig nach oben geöffnet und wird zur zentralen Halle. Links die Strickwand der alten Wohnzimmer, rechts ein „moderner“ Strickverband, Voll­ holzbalken mit Nut und Feder.

Dabei war keineswegs klar, was er da erhielt. Das Haus, direkt an der Straße gelegen, war deutlich in die Jahre gekommen und von den letzten Bewohnern verbaut und unter zahllosen Schichten verborgen worden. „Wegschie­ ben“, war der häufigste Rat, „was Neues weg von der Straße bauen.“ Was für den Städtebauer mit Blick für Orts­ gefüge und Bautyp nie infrage kam. Das Mitterstallhaus mit einem halben Dutzend Rindern gehört zu den hier üblichen Bauernstellen der Zeit um 1750. Traufseitig wird ein klassischer Küchenflur mit unge­ wöhnlich breitem Flur erschlossen. Die Stube ist – im Ort kein Einzelfall – nach Nord­Osten orientiert. Der kleine Hackenschopf, die dem Haus vorgelegte Rampe über dem Misthaufen und die Doppelpfette am First sind für die Gegend typisch. Knappe Dachüberstände ließen einen Blockbau vermuten. Die nun anstehende Bauaufnahme bestätigte dies, als der Kern von zahlreichen Tapeten und Verkleidungen befreit wurde. Die gelagerten Balken werden durch „Allgäuer Klebestützen“ – so der beauftrage Zimmerer – abgesichert. Aussparungen zeigen ältere Korrekturen der Raumhöhe, zahlreiche Ständer belegen Türlichten von kaum 1,70 Meter Höhe. Die Struktur des hangseitigen Schopfs lässt auf eine spätere Erweiterung des Hauskerns schließen. Insgesamt ein baulicher Organismus im Wandel.

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Wechselnde Farbigkeit des Holzes beim Zusammenspiel von Blockwand und neuer Holzkonstruktion von Galerie und Decke zum Dachboden

Grundrisse Bestand

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6

9 3 2

4

7

2

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3

1

6

1

4

Erdgeschoss 1 Küche 2 Flur 3 Bad 4 Abort 5 – 6 Zimmer 7 Scheune 8 Klärgrube 9 Werkstatt

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Obergeschoss 1 Küche 2 Flur 3 Abort 4 – 5 Zimmer 6 Speicher

Grundrisse Umbau

7 10

2

3

9

6 2

4

5 1 8

7

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6

1

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4

Erdgeschoss 1 Flurküche 2 Lager 3 Werkstatt 4 Bad 5 Flur 6 Wohnen 7 Bad 8 Einliegerwohnung 9 Pellets 10 Lager / Heizung

Obergeschoss 1 Galerie 2 – 3 Schlafzimmer 4 Bad 5 Wohnatelier 6 Atelier 7 Terrasse

Ansichten Bestand

Ost

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West

Süd

Ansichten Umbau

Ost

West

Süd

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Fassadenschnitt Süd

Dachaufbau 1 Ziegeldeckung 2 Lattung / Konterlattung 3 Dachbahn auf Schalung 4 Einblasdämmung zwischen Sparren (mit Aufdoppelung) 5 Dampfbremse 6 Gipskartonplatte, geschliffen auf Lattung Außenwandaufbau 7 Fassadenschalung auf Kreuzlattung 8 Einblasdämmung zwischen Holzständer 9 Dampfbremse 10 Gipskartonplatte, geschliffen auf Lattung Deckenaufbau 11 Holzbelag, OSB ­Platte auf Unterkonstruk­ tion 12 Wärmedämmung zwischen Holz­ balken 13 Deckenbekleidung

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1 2

3 4 5 6

7 8 9 10

11 12 13

„Da    das Haus in einem schlechten Bauzustand war und über Jahr­ zehnte viele bauliche Veränderun­ gen erfolgten, musste zunächst eine gründliche Bestandsaufnahme gemacht werden.“ [Peter Tausch]

Die neue Halle ist heute tatsächlich wieder Flurküche und zentraler Lebensraum des Hauses. Die Galerie ist über das einfache Geländer an der Obergeschossdecke aufge­ hängt.

Altersschwach, doch nicht falsch: Der Schindelschirm wurde neu aufgebaut, die Fenster an derselben Stelle modernisiert. Lediglich die Blechbahnen haben ihre Zeit nicht überdauert.

Mit seiner Sanierung schließt Tausch an diese Dynamik an. Der konstruktive Kern wird freigelegt und soll so weit wie möglich erfahrbar bleiben, ohne den Anspruch zeitgemä­ ßen Komforts infrage zu stellen. Zum einen ist also die Statik der Konstruktion zu sichern, zum anderen die Hülle energetisch zu vergüten. Das heißt einerseits: Sanierung des Dachs mit Aufdoppelung der Pfetten, mit neuen Dachbalken und Dachdeckung; Erneuerung der haushohen Wand zwischen Wohn- und Wirtschaftsteil und Ausbesse­ rung der Ständer bzw. Riegel des Stadels. Andererseits die Vergütung der Hülle: Hier verfolgt Tausch einen nicht alltäglichen Weg. Er verabschiedet sich von den zahlreichen raumseitigen Beschichtungen, einschließlich der unter Lackschichten versteckten Vertäferung. Die Ebene der innenliegenden „Klebestützen“ wird mit einer Schalung abgeschlossen, der Hohlraum mit Dämmung ausgeblasen, die Wand mit weiß gestrichenem Gipskarton abgeschlossen. Die Decken werden auf ihren konstruktiven Kern – Balken und eingenutete Bretter – reduziert, die Böden – wo immer möglich – mit den geschliffenen Originaldielen belegt. Konstruktive Holzelemente treten so in Kontrast zur nun nach innen weißen Außen­ wand mit neuen, weiß gestrichenen Fenstern. Die zeitgemäß wirkende weiße Wand belebt historisches Gefüge. Hinzu kommen räumliche Korrekturen, insbesondere die Erhöhung der niedrigen Räume durch Absenken des Bodens im Erdgeschoss. Dafür wird der versottete, feuchte Keller aufgefüllt und die Decke über dem Obergeschoss im Zusammenhang mit der Sanierung des Dachstuhls angehoben. Vor allem aber wird der breite Flur neu gedeu­ tet, indem er über zwei Geschosse zum neuen Zentrum des Wohnteils wird – mit Küche, Galerie und zentralem Tisch. So etwas, meint Tausch, kann man eigentlich nicht planen. Den Umbau hat er mit unzähligen Baustellenbesuchen begleitet, sich zeitweise im ehemaligen Gasthaus gegen­

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über einquartiert – was noch möglich war, bevor dieses zu Ferienwohnungen umgebaut wurde. Intensive Präsenz auf der Baustelle also. „Als eines Tages bei der Sanierung der Böden die Decke im Flur offen war, nur noch schwarze Balken der alten Flurküche, da ist mir die Qualität dieses Raums aufgegangen. Erst vor Ort erkennt man das Potenzial des Raums. Man muss sich einleben. Schon bei der Bauaufnahme war das so – was gibt’s da zu erkennen, finden, entdecken!“ Und er, der kein Fachmann für Sanierung war, räumt ein, dass ihm, nachdem er mit dem Typ des Hauses vertraut wurde, „klar wurde, wie einfach das eigentlich ist – weil die alte Struktur so stark ist.“ Das gilt auch für die weiteren Schritte: Die neue, massive Holzwand zu Stall und Heustock und der Ausbau von Stall und Stadel zwei Jahre später – mit einer Gästewohnung im Stall und einem großzügigen Wohnatelier im Stadel als Erweiterung seines Büros. Große, wohlproportionierte Fenster bieten eine spektakuläre Aussicht auf die nahen Alpen. Davor vermittelt eine Veranda zu den umliegenden Wiesen. Die Holzkonstruktion des Stadels ist neu ver­ schalt und ausgedämmt, innen weiß gestrichen gegenüber der schwarzen, hinterlüfteten Vertikalschalung außen, in Kontrast zum neuen Schindelkleid des Wohnteils.

Die schadhaften Wände der Stube mussten ersetzt oder konstruktiv ergänzt werden, woraus sich innenliegende Dämmung und Gipskarton­ verkleidung ergaben. So entstand eine modern purifizierte Stube mit glatten, weißen Wänden.

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Ergänzend zum Wohnatelier nach Süden blieb noch Raum für ein Werkstattatelier für gröbere Arbeiten zum westlichen Hang. Doppelstegplatten erlauben die Belichtung des Dachraums.

All dies konnte mit regionalen Handwerkern bewältigt werden – die zu gefragten Partnern wurden. Dabei sind raffinierte Details Tauschs Sache nicht. Er weiß um die Kraft des naheliegenden Ansatzes, einfacher Lösungen und klarer Gliederung und Proportion. Die zentrale Flurküche zeigt es: Die Öffnung nach oben ist in ihrem Maß auf den Esstisch bezogen. Fußbodendielen und Konst­ruktion der Galerie sind aus Fichte; die einläufige Treppe hat Stahlwangen und ein Geländer vom Schlosser aus 2 × 2 Zentimeter dünnen Stäben, an denen die Galerie hängt und die den Raum mit filigranen Proportionen strukturieren. Mehr braucht’s nicht – alles Weitere machen Bilder an den Wänden, die Einrichtung und die Menschen selbst.

Die Zentralität der Flurküche im gut 250 Jahre alten Gebäude wird in der Überarbeitung gestärkt. Der beispielhafte Umgang mit den sehr geringen Raumhöhen des Bestands zeigt sich in der Küche augenscheinlich: Der über zwei Geschosse offene Raum bietet die fast notwendige, punktuelle Großzügigkeit. In den übrigen Bereichen des Wohnhauses wurden die zum Teil ma­ roden Decken in angepasster Höhenlage neu eingebaut. Dadurch entstehen akzeptable Raumhöhen. Diese Anpassung wurde in sorgfältiger Abstimmung mit dem Fassadenbild geplant, gleiches gilt für die hochwertige energetische Sanierung. Das in Farbigkeit wie Öffnungs­ art konsequente Absetzen des stärker überarbeiteten Scheunenteils vom historischen Wohnhaus überzeugt. [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

Der neu gestaltete Ateliertrakt mit Gästehaus im Geist einer angemessenen Moderne und der alte Wohnteil mit neuem Schindelkleid unter dem gemeinsamen, mächtigen Schnee­ dach, von Osten gesehen

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Immenstadt  /  Analog erneuern heißt weiterbauen statt gegensetzen

Bauherr  die Sozialbau Kempten Architekturbüro  Andreas Hild, Hild und K Architekten, München Ursprungsbau  Ende 19. Jahrhundert Fertigstellung Umbau  1992 Standort  87509 Immenstadt Lage  innerorts

Wer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas auf sich hielt, baute im Chalet-Stil, einer Holzbauart mit ausgeklügelten Architek­ turdetails, wie hier anzutreffen.

Es ist schwer vorstellbar, dass ein Bauernhaus indus­ trielle Wurzeln hat. Und doch gibt es so etwas – in Immenstadt. Dort entstand ab 1855 die „Mechanische Bindfadenfabrik Immenstadt“. Ausschlaggebend für die Ortswahl waren ein direkter Bahnanschluss für den Bezug von Hanf aus Italien und Osteuropa und den Versand in alle Welt, ausreichend Wasserkraft sowie Arbeitskräfte zu den unterdurchschnittlichen Löhnen der Provinz. Am Ende des Jahrhunderts arbeiteten hier etwa tausend Arbeitskräfte. Für diese entstanden Wohn„Kolonien“ neben ausgedehnten Fabrikanlagen – ein regel­ rechter Stadtteil. Dazu kamen zentral gelegen zwei Fabrikantenvillen mit umfangreichen Grünanlagen, ergänzt um ausgedehnten Grundbesitz außerhalb. Zur

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Bewirtschaftung wurde vor der Jahrhundertwende ein landwirtschaftlicher Betrieb errichtet – daher die Be­ zeichnung „Stadthof“. Dem Umfeld entsprechend ist es ein stattlicher Bau, vergleichbar einem Gutshof, was wenige erhaltene Bildquellen andeuten. Das Gebäude ist wie ein orts­ übliches Bauernhaus angelegt – im Osten wird gewohnt, im Westen gearbeitet. Ganz modern ist die geschwungene Hocheinfahrt, die das Obergeschoss beinahe in der Mitte der südlichen Traufseite erreicht. Den überdurchschnitt­ lichen Anspruch belegt der erhaltene Bauschmuck der Wohnhausfassade. Dieses „Bauernhaus“ ist Ausdruck der patriarcha­ lisch geprägten Unternehmenskultur der Gründerfamilie.

An Stelle des nicht mehr verwendbaren Wirtschaftsteils entstand der Neubau mit kleinen Wohnungen im Erdgeschoss und Maisonetten im ersten und im Dachgeschoss; die Gestalt des verbliebenen Altbaus war maßgebend.

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Laubengang auf der Nordseite für die Maisonette-Wohnungen. Das Erscheinungsbild des ganzen Hauses prägt die Gliederung der großen Öffnungen mit neuzeitlichem Material wie Stahlprofil oder Streckblech.

Das ändert sich mit dem Ableben des Patriarchen und der neuen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Im Zuge einer 1920 erfolgten Fusionierung wird der Hauptsitz des Unter­ nehmens nach Füssen verlegt und vor Ort von Direktoren geführt. Die Bauten um die Fabrikantenvilla in Immenstadt verlieren ihre Bedeutung, die Landwirtschaft des „Stadt­ hofs“ weicht Mitte des 20. Jahrhunderts einer Wohnnut­ zung. Die Sozialbau Kempten übernimmt 1979 die 500  Wohnungen des Quartiers in desolatem Zustand. In den 1980er-Jahren erfolgt die Generalsanierung. Letzter Baustein ist im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das „Stadthaus“ mit Wohnungen und Wohnheim. Unter Beibe­ haltung von Umfang und Gliederung werden neue Sozial­ wohnungen geplant. Erfreulich unkompliziert lässt sich das im ehemaligen Wohnhaus umsetzen; der typische Flur mit einläufiger Treppe erschließt auf drei Stockwerken je zwei Wohnungen Richtung Giebel. Die Fassade mit gegliedertem, verputztem Erdgeschoss und Holzschindeln, pilasterartigem Holztäfer, feingliedrig ornamentierter Schalung im Giebel und geschnitzten Pfettenkonsolen kann original erhalten werden. Der Wirtschaftstrakt lässt sich nicht halten und wird durch einen Neubau gleichen Volumens ersetzt. Der alten Gliederung folgend entstehen im Erdgeschoss

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Neu trifft Alt. Gliederung und Architekturmotive des Altbaus im Chalet-Stil werden aufge­ griffen, aber nicht kopiert, sondern in freier Interpretation fortgesponnen – etwa die horizontale Schichtung oder pilasterartige Holzpaneele.

Grundrisse Bestand

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Erdgeschoss 1 Abstellraum 2 Diele 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Küche 6 Wohnzimmer 7 Abort 8 Zimmer

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Obergeschoss 1 Abstellraum 2 Diele 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Küche 6 Wohnzimmer 7 Bad 8 Zimmer 9 Flur

Grundrisse Umbau

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Erdgeschoss 1 Windfang 2 Diele 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Küche 6 Wohnzimmer 7 Bad

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Obergeschoss 1 Laubengang 2 Diele 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Küche 6 Wohnzimmer 7 WC 8 Loggia 9 Zimmer

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Dachgeschoss 1 Putzbalkon 2 Diele 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Küche 6 Wohnzimmer 7 Bad 8 Zimmer

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4

5

6

Ansichten Bestand

Nord

West

GSEducationalVersion

Ansichten Umbau

Nord

Schnitt Bestand

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West

Schnitt Umbau

Historische Aufnahme. Der besprochene Bau ist der mittlere der drei traufseitigen in der Bildmitte im Zentrum des Betriebsgeländes.

Optimale Ausnützung der Laubengangzone: im Obergeschoss Stauraum und ergänzende Belichtung der Dachgeschosse über Dach­ flächenfenster

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vier Zweizimmer- und darüber vier Vierzimmer-Maisonette­ Wohnungen, jeweils zweiseitig belichtet. Die behinderten­ gerechten Erdgeschosswohnungen sind von Norden erschlossen und haben nach Süden einen Freisitz mit Gärtchen. Problematisch bleibt die große Tiefe solcher Bauten. Indem die Architekten Andreas Hild und Till Kaltwasser die Maisonette nördlich durch einen Lauben­ gang erschlossen und südlich eine Balkonzone vorlager­ ten, reduzierten sie die Raumtiefe, gewannen im Dachraum Höhe für das Obergeschoss und Platz für weitere kleine Balkone mit dezenter Belichtung über das Dach. Der verbleibende Dachraum ist als Kaltdach ausgebildet, als Speicher und Trockenraum der Hausgemeinschaft. Die gespiegelte Anordnung der Wohnungen und die Ausführung in Mauerwerk mit Stahlbetondecken sichern eine kostengünstige Ausführung. Vermeintliche Neben­ sächlichkeiten wie gekoppelte Dielen der Erdgeschoss­ wohnungen oder die mittige Anordnung der Treppen der Maisonette erhöhen die Wohnqualität. Reichlich Dach­ überstand ist aus dem landwirtschaftlichen Bauen vertraut, ebenso wie die Eindeckung mit Stegfalzblech mit sauber integrierten Oberlichtern – wie man überhaupt immer wieder auf Baudetails aus der Landwirtschaft stößt, etwa Stallentlüfter oder Schiebeläden wie bei Ställen.

Um die Belichtung bei großer Raumtiefe zu optimieren, sind die Brüstungen von Laubengang und Balkonen auf maximalen Lichtdurchlass ausgelegt. Das eingesetzte Streckmetall ist in seiner feingliedrigen Struktur Referenz an die Holzschindeln des Wohnteils; die Gliederung der neuen Fassade in „Fenster“ und „Felder“ über zwei Geschosse greift dessen Holztäfer auf, schafft dezent private Zonen und macht die Wohnungen identifizierbar. Auch wenn sich der neue Wohnbau in Maß und Material konsequent vom alten Hausteil absetzt, spielt er in Struktur und Maßstab doch unübersehbar auf diesen an. Er bringt die Gliederung des alten landwirtschaftlichen Gebäudes in Erinnerung und bindet mit dem durchlaufen­ den horizontalen Materialwechsel Alt und Neu zusammen. Unter Verzicht auf historische Versatzstücke wurde auf heute gebräuchliche Elemente des landwirtschaftli­ chen Bauens zurückgegriffen. Aus der Überlagerung des landwirtschaftlichen Ursprungs und der heutigen Wohn­ nutzung entsteht etwas, das beiden Bedeutungen gerecht wird und die Gestaltung ebenso unterläuft wie unser Bemühen, alles in Schubladen abzulegen: Wie neu ist alt? Die äußere Erscheinung erregte anfangs die Gemüter; die neuen Baustoffe und der Wechsel in der Fassade seien störend. Dem hielt Eckhard Rieper, seinerzeit Geschäfts­ führer, entgegen, man habe „etwas entwickelt, was dem historischen Charakter des Hauses entspricht.“ 1994, zwei Jahre nach Fertigstellung, wurde das Haus mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet. Das ist lange her – heute lässt sich feststellen: Die Mieter kommen gut mit

Der alte Eingang erschließt nach wie vor den historischen Hausteil, dazu den nördlichen Laubengang der Maisonetten. So bleibt auf der Südseite Raum für private Vorgärten der neuen Erdgeschosswohnungen.

Die großzügige Verglasung des Wohnraums der Maisonette-Wohnung verbindet den Südbalkon mit geschlossener Brüstung und filigranem Gitter mit diesem zu einem hellen, solide ausgestatteten Lebensraum.

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„Die    behindertengerechten Woh­ nungen im Neubau mit den häufi­ geren Wechseln aufgrund der persönlichen Umstände finden sofort neue Mieter. Wir werden auch zukünftig das Stadtbild prägende Gebäude erhalten und sanieren.“ [Marcus Mayer, die Sozialbau]

Linien und Proportionen des Altbaus werden beim Neubau fortgeführt; die geschlossene Brüstung des Laubengangs wird möglich durch Verzicht auf das Souterrain zugunsten der bodengleichen Erdgeschosswohnungen.

dem Haus zurecht; im alten Wohnteil ist die Mietdauer überdurchschnittlich, bei den behindertengerechten Wohnungen gibt es – bedingt durch Wechsel in Pflege­ einrichtungen – den meisten Wechsel, die Maisonetten sind beliebt.

Bereits 1993 zeigten die Architekten einen beispielhaften Weg auf, historische Gebäude im kleinstädtischen Kontext zu erhalten und trotzdem auf Notwendigkeiten der Bevölkerungsentwicklung zu reagieren: 14 neue Wohnungen nimmt das Gebäude nach dem Umbau eines Bauernhauses auf. Trotz weitgehenden Umbaus vor allem im hinteren Tennenteil des Einfirsthofs werden traditionelle Elemente zitiert: Das Erdgeschoss bewahrt trotz recht großer Öffnungen den Charakter eines massiven Sockelgeschosses. Die Laubengänge und Balkone darüber, welche vier Maisonette-Wohnungen aufnehmen, reflektieren die Leichtigkeit einer traditionellen Scheune. Die Atmosphäre bewahrt Anklänge an großfamiliäres Zusammenleben auf einem Hof. [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

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Immenstadt  /  Wenn der Baufort­ schritt mit der Eisenbahn kommt

Bauherrin  Buddhistische Gemeinde (Buddhismus Stiftung Diamantweg) Architekten  Dietrich Untertrifaller Architekten, Bregenz, mit Roland Gnaiger Ursprungsbau  um 1910 Fertigstellung Umbau  2015 Standort  87509 Immenstadt Lage  Alleinlage

Blick über den Garten des Herrenhauses auf das mächtige Ökonomiegebäude, das heute der (Ver-)Sammlung dient, und auf den Gästetrakt; davor der Gartenpavillon des Herrenhauses

Gut Hochreute ist heute ein spirituelles Begegnungszen­ trum. Die Hofanlage war bereits zur Zeit ihrer Entste­ hung um 1910 landwirtschaftlichen Reformideen verpflichtet; Kultur und Natur sollten nach den Vorstel­ lungen eines Augsburger Textilunternehmers mit der Selbstversorgungsanlage eine neue Einheit eingehen. Während die Wohnhäuser vom Jugendstil geprägt sind, herrscht bei den Betriebsbauten technische Rationalität bei höchstem Qualitätsstandard vor. Bis zu 150, meist

„Der   Speisesaal im ehemaligen Stallbereich wird als Treffpunkt zu gemeinsamen Mahlzeiten, Aus­ tausch, Besprechungen, Film­ abenden, Kinderspiel, Partys multi­funktional intensiv genutzt.“ [Buddhistische Gemeinde]

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Das Erdgeschoss, einst Stall für drei Dutzend Rinder, ein Dutzend Rösser und Dutzende von Schweinen, ist heute moderner Gast- und Speisebereich mit rund 150 Plätzen inklusive Bar, Großküche und Foyer.

Der mächtige alte Giebel mit traditioneller Biberschwanzdeckung, Ochsenauge und Lüftungstürmchen verträgt den neuen Aufzugs­ turm und die moderne Glasfassade sowie die ornamentale Zahnleiste der Holzschalung.

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Das weit ausladende Vordach dank damals neuartiger Holzkonstruktion schafft einen geschützten Raum, der selbstverständlich zur Freischankfläche und Erweiterung des Gastraums wird. Die Kastanien tun das ihre.

italienische Baufachkräfte, setzten auf der Baustelle diesen Standard ins Werk. Das Ökonomiegebäude mit seinem mächtigen Satteldach mit Ochsenaugen und symmetrisch gesetzten Türmchen war bei Fertigstellung 1913 technisch auf der Höhe der Zeit. Im gemauerten Erdgeschoss befanden sich die Stallungen, die über die Türme entlüftet wurden. Darüber lag der gewaltige Bergeraum – die wegweisende Holzkonstruktion ergab eine stützenfreie Fläche von 550 Quadratmetern. Die Zangenkonstruktion mit geschraubten Knoten knüpft an den Ingenieurholzbau seiner Zeit an. Noch nach 100 Jahren ein Gewinn: Für die Sanierung ließ sich der Dachstuhl problemlos zerlegen, ergänzen und wieder baugleich errichten.



    Blick aus dem Herrenhaus auf den Ökonomie­bau kurz nach der Fertigstellung um 1910. Ohne Einpflanzung wird die ganze Dimension des Gebäudes deutlich. Rationale Landwirtschaft: Platz für ein Dutzend Rösser, drei Dutzend Rinder, Schweine und Hühner, dazwischen Hauschinde zur Verteilung des Futters mit Raum für Schweizer und Melkgeschirr

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Grundrisse Umbau

5 7 3

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1

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4

Erdgeschoss 1 Foyer 2 Windfang 3 Küche 4 Foyer 5 Fluchttreppenhaus 6 Aufenthalts­ / Essbereich 7 Treppenhaus

2

1

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4

Obergeschoss 1 Treppenhaus 2 Fluchttreppenhaus 3 Gebetsraum (Gompa) 4 Nebenräume

Ansichten Bestand

Nord

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Ost

Ansichten Umbau

Nord

Ost

Schnitt Bestand

Schnitt Umbau

Detailzeichnung

1 2 3 4 5 6 7

Fassadenschnitt Nord

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Dachaufbau 1 Ziegeldeckung (Biberschwanz) 2 Lattung / Konterlattung 3 Dachbahn 4 Zwischen­ sparrendämmung 5 Unterdachdämmung, Dampfbremse 6 Installationsebene 7 Holz­ schalung, akustisch wirksam Außenwandaufbau 8 Holzschalung auf Kreuzlattung 9 Däm­ mung zwischen und auf Holztragwerk 10 Installationsebene 11 Holztäferung Deckenaufbau 12 Holzdielen mit Trittschalldämmung 13 Stahlbetondeckenplatte 14 Gipskarton­ platte auf Unterkonstruktion Bodenaufbau 15 Bodenbelag 16 Schwimmender Estrich 17 Dämmung auf Schweißbahn 18 Stahlbeton­ bodenplatte

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12 13 14

15 16 17

18

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Ein wahrer Kirchenraum, gebaut für nichts als Heu! Ein Beispiel frühen Ingenieurholzbaus mit Zangenkonstruktion und Schraubenbolzen erlaubt ungekannte Stützenfreiheit. Dem beeindruckenden Tragwerk antwortet der Eichenboden.

Das Gebäude wurde ab 2013 komplett umgebaut. Im Erdgeschoss befinden sich nun Foyer, Speisesaal und zent­ rale Küche. Großzügige Räume, fallweise eine raumhoch verglaste Fassade und ein moderner Innenausbau mit Holz gehen mit den sichtbar belassenen Ziegelwänden des Altbaus eine spannungsreiche Komposition von historischer Vielschichtigkeit ein. Die dem Speisesaal vorge­lagerte Terrasse ergänzt den Raum mit weitem Vordach und dem Blätterdach 100-jähriger Kastanien. Mit dem gegenüberliegenden Herrenhaus und den Seitenbauten ergibt sich ein großzügiger, introvertierter Hof, der durch die Bergkette der ansteigenden Nagelfluhkette über den Dächern seinen Abschluss findet. Das Obergeschoss als eindrucksvollen Raum mit seinem Dachstuhl bis unter den First als Einheit zu erhalten, stellte dagegen die eigentliche Herausforderung dar. Mit einem Meditationsraum, „Gompa“ genannt, ist das geglückt – dem Erhabenen des neuen Inhalts entspricht die historische Form dieser landwirtschaftlichen Kathedrale. Dank des großzügig verglasten Anbaus, in dem die Fluchttreppen untergebracht sind, konnte der Raum in seiner Gesamtheit erhalten bleiben – möglich geworden durch die zielorientierte Kooperation der Behörden.

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Blick aus einem der Gästezimmer auf den neu verschalten Giebel mit Fensterschlitzen im Maß der Deckbretter. Eine Pergola verlängert den südlichen Vorraum des Gebäudes bis zum Schlaftrakt.

Klar gegliedert: der einstige Ökonomiebau im Morgenlicht. Der gemauerte Stall birgt heute den Gastro-Bereich, die reine Holzkonstruktion des Bergeraums darüber den Andachtsraum. Rechts angeschlossen: der Flur mit Treppen (siehe unten)

Nördlich des großen Saals ist sachlich modern die Erschließungszone angeordnet; an deren Ende hat man einen Blick auf den anschlie­ ßenden Hof des Gästetrakts, der hangseits mit seinem Grasdach ins Gelände übergeht.

Die Aufbaudämmung mit weiß lasierter Akustikverklei­ dung betont die Struktur des Tragwerks; Gleiches gilt für die neu gedämmte Wand des hohen Kniestocks, in die im Raster der Außenschalung senkrechte Lichtschlitze eingelassen sind. Lediglich vier verzinkte Rohre für die Be­ lüftung sind sichtbare Zeugen der neuen Zeit. Eine neue Betondecke über dem Erdgeschoss gewährleistet den Brandschutz und sichert die gesuchte Ruhe. Abgerundet wird die Atmosphäre durch einen Boden aus massiver Eiche, stammweise verlegt. Indem die historische, tech­ nisch begründete Struktur dieses Gefüges herausgearbei­ tet und neue Baustoffe mit äußerster Zurückhaltung eingesetzt wurden, entstand ein Raum beeindruckender Konzentration. Dieser Bau bildet heute die spirituelle Mitte und das materielle Rückgrat. Durch die neue Nutzung wurde dies noch unterstrichen, indem der westliche Hof mit Herrenhaus vor sieben Jahren an seinem östlichen Ende ein Pendant erhielt: Ein Hof, der dreiseitig von zwei­ geschossigen modernen Gästehäusern gebildet wird und zum Tal offen ist, schiebt sich in den Hang und schmiegt sich mit begrüntem Flachdach in die Allgäuer Wiesen. Damit bestätigt die Anlage die Kulturlandschaft, die sich in Jahrhunderten herausgebildet hat: Sonnenterrassen im Wechsel mit Böschungen am Südhang oberhalb des Alpsees charakterisieren die durch Viehwirtschaft gepräg­ te, weitgehend offene Landschaft. Der First des Haupt­ gebäudes unterstreicht die Stufen der Landschaft, und die beiden abschließenden Höfe bilden neu gestaltete Terrassen.

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Blick über das Gut Hochreute mit dem zentral gelegenen Ökonomiegebäude, dem Herrenhaus rechts und dem neuen Gästetrakt links, auf den Alpsee und das Illertal im Hintergrund

Die Umnutzung des Wirtschaftsgebäudes einer Hof­ anlage von 1910 zeigt die Beständigkeit handwerklicher und architektonischer Qualität unabhängig von der Nutzung.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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12 Bauherren   Familie Strauß Architekten   Franz Vogler, Oberstdorf, und Creaplan Metzler, Blaichach Ursprungsbau   1725 Fertigstellung Umbau   2011 Standort   87538 Bolsterlang Lage  innerorts

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Bolsterlang  /  Fließender Raum zwischen dichtem Dorf und weitem Land

Quadratur des Kreises? Unvereinbar? Eine große Wohn­ halle und dichte Wohnlichkeit, Panoramafenster und kleine Kastenfenster, ein uneinsehbarer Garten und Panoramablick, 300 Jahre Strickbau und Betonfertigteile, Allgäu-Haus und zentrale Ortslage. Bemerkenswert ist das dichte Gefüge des Dorfs am Rande eines Plateaus des östlich verlaufenden Illertals. In seiner Grundstruktur hat es sich kaum gegen­ über der ersten Bauaufnahme zu Beginn des 19. Jahr­ hunderts verändert. Zwei von Norden kommende Wege bilden mit zwei nach Süden führenden ein etwas ausein­ andergezogenes Kreuz, an dem eine Kapelle steht. Das Haus ist direkt an den oberen, nach Süden führen­ den Hauptweg gebaut mit direktem Zugang zur Tenne. Es ist ein im Allgäu übliches Mittertennenhaus: rechts der Wohnteil, links der Stall und der Heustock darüber, allerdings in variierter Form, wie es im Oberallgäu öfter anzutreffen ist – der Topografie und der Dorfenge geschuldet. An der Süd-West-Ecke liegt der wohl älteste Wohnhauskern mit einem als Souterrain ausgebildeten Keller, der wohl einst als Weberkeller diente. Anzunehmen ist der Zugang zur durchgehenden Flurküche mit südwest­licher Stube und anschließendem Schlafzimmer oder allgäuerisch „Gaden“. Eine Treppe am Ende des Flurs führte ins Obergeschoss mit zwei Schlafräumen neben dem Flur. Dieser Wohnteil ist oberhalb des Kellers ein reiner Block- oder Strickbau – ein Wandgefüge aus übereinandergelegten behauenen Balken von circa 15 × 15 Zentimetern. Von diesem „Wohnwürfel“ führen Türen zur neben­ liegenden Tenne, die ebenerdig an die ansteigende Straße anschließt; eine Treppe verbindet mit den höher­ liegenden Wohnräumen über dem Souterrain. Die Tenne

Geht’s gemütlicher? Doch Vorsicht: Gemüt ist nicht für jeden etwas; ist man doch dem gar so wichtigen Weltgetriebe entrückt, auf sich zurückgeworfen, kommt gar ins Grübeln? Dafür gibt’s geeignete Orte. Hier etwa.

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mit Stall und Heustock ist ein Gefüge aus Holzständern, Balken und verzapften Bügen mit einem einfachen, ste­ henden Stuhl des flach geneigten Pfettendachs. In diese Struktur ist der Stall als Blockbau eingestellt. Abweichend vom üblichen Schema ist östlich ein Längsschopf vorgelagert, einst über eine südliche Hocheinfahrt erschlossen. Das Bodenniveau dieses Bau­ teils liegt über dem des Wohnhauses, das wiederum über dem der Tenne liegt. Man kann also von drei relativ eigenständigen Raumgruppen sprechen, die unter einem Dach vereint sind. Ob dies immer der Fall war, ist zweifel­ haft, zumal das Urkataster an der Süd­Ost­Ecke deutlich abweicht. Es ist naheliegend, dass der Längsschopf nachträglich angebaut wurde, als mit dem Niedergang der Weberei und zunehmender Viehhaltung ein größerer Bergeraum für den Winter nötig wurde. Jedenfalls belegen unterschiedliche Details ein fort­ währendes Umbauen des Hauses, ausgehend vom äl­ testen Kern, der dendrochronologisch um das Jahr 1725 datiert ist. Doch der Wohnteil mit seinen nur rund 2 Metern Raumlichte zeigt Spuren einer Anhebung der Decke um circa 20 Zentimeter. Ein Foto aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zeigt noch ein Bauernhaus, einen verschindelten Giebel mit Ziergiebeln über den Fenstern und die rechte Hocheinfahrt mit Scheunentor. Eine Generation später zeigt sich ein ganz anderes Bild: Die beiden Wohngeschosse verputzt, weiß gestrichen, verein­ fachte Fenster, grüne Läden. Anstelle der Hocheinfahrt Lebendigkeit des Holzes – je nach Lage wäscht es das Wasser vornehm silbern, brennt es die Sonne rotbraun bis fast schwarz. Das spielt sich auch auf einer einzigen Wand ab, sofern sie gegliedert ist und nicht monoton gleichförmig.

Der Glanz einer alten Stube ist unvergleichlich; zeitgemäßes Wohngefühl braucht dazu nicht viel – oft reicht eine klare Linie, etwa die durchlaufende Bank an der Wand, darunter die Heizung, einige neue Möbel.

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„Es gab keine Überraschungen beim Umbau und wir würden alles wieder so machen wie damals. Neben der Stahltreppe und der Glasfassade als Lieblingselemente ist die Bauernstube unser Lieb­ lingsort.“ [Familie Strauß]

Grundrisse Bestand

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1

2

3

Untergeschoss 1 Lager 2 Flur 3 Lager

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2

6

3

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Erdgeschoss 1 Stube 2 ehem. Flurküche 3 Gaden 4 bestehender Wohnraum 5 Garage 6 bestehende Ferienwohnung

8

3

Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2 Treppen­ haus 3 Schlafzimmer 4 Bad 5 Schlaf­ zimmer 6 Galerie 7 Luftraum über bestehen­ dem Wohnraum 8 bestehende Ferienwohnung

Grundrisse Umbau

5 7

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2

2

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1

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Untergeschoss 1 Lager 2 Flur 3 Lager

3

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Erdgeschoss 1 Stube 2 Wohndiele 3 Büro 4 bestehender Wohnraum 5 Garage 6 bestehende Ferienwohnung

Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2 Bad 3 Treppenhaus 4 Schlafzimmer 5 Bad 6 Schlafzimmer / Ankleide 7 Galerie 8 Luftraum über bestehendem Wohnraum 9 bestehende Ferienwohnung

Ansichten Bestand

West

111

Süd

Ost

Ansichten Umbau

West

Süd

Ost

Schnitt Umbau

Schnitt Bestand

Detailzeichnungen historisches Fenster

1 12

1 Innere Flügel mit Rucker 2 Anschlag Rucker 3 Führungsschiene 4 Äußere Flügel ohne Sprossen (1­Fachverglasung) 5 Fensterbank innen (Holz) 6 Täferleisten 7 3­S­Platte 8 Holzweichfaser­Wärme­ dämmung 9 Blockbalkenwand 10 Schindel­ fassade 11 Fensterbank außen (Holz) 12 Fensterladen 13 Ladenband 14 Laden­ leiste

4

Ansicht außen

Vertikalschnitt 3

6 7 8

5

2 1 9 11

112

Horizontalschnitt

4

10 12 14 13

Das Neue ist am ältesten: Bevor man sich an das historische Wohnhaus machte, wurden Tenne und Heustock bis auf das konstruktive Gerüst abgeräumt und in ein modernes Raumkontinuum verwandelt.

Haus und Weg vor zwei Generationen. Die dann folgende Generation wollte sich des Holzes entledigen, das Haus verschwand unter Rabitz und Putz. Dann kehrte das Holz zurück als Schindelkleid.

zeigen Fenster wie im Wohnhaus und eine Haustüre im Erdgeschoss die Umwandlung in eine Ferienwohnung an. Die durchgehende Vertikalschalung des Giebels fasst beide Teile zusammen. So in etwa fanden die neuen Eigentümer – ein Unternehmer­ paar aus Bayerisch-Schwaben mit Wurzeln in der Gegend – 2003 das Haus vor. Ihre Leidenschaft für das Wandern in den Bergen, aber auch die Suche nach Ruhe und Entspan­ nung, kurz: die Lebensqualität auf dem Land führte sie hierher. Und damit begannen ab 2005 wieder intensive Phasen des Bauens an diesem Haus.

Im Obergeschoss: innen horizontale Weiß­ tannenbohlen zur Wärmespeicherung vor Holzfaserdämmung und Blockwand, nach historischem Vorbild gebaute Kastenfenster, innen mit „Rucker“; Decke wie Bestand

113

Ungewöhnlich dabei war, dass man das Pferd gewisser­ maßen vom Schweif her aufzäumte – den Anfang machten nämlich Tenne und Stall. Und das ziemlich radikal: Der Bau wurde regelrecht ausgebeint. Für kurze Zeit stand nur noch der Kern des Tragwerks, um rund 20 Zentimeter angehoben. So konnte anstelle des Blockbaus des Stalls eine Garage in Ortbeton eingebaut werden. Ein neuer Boden mit Fußbodenheizung und geschliffenem Zement­ estrich folgte, dann eine moderne Holzkonstruktion zur Unterstützung der bestehenden und Einbau einer Galerie; ein neues Schlafzimmer und ein Bad über der Garage, ein neues, gedämmtes Dach, nach Norden eine kernge­

dämmte Fertigteilbetonwand direkt vor dem historischen Holzgerüst und nach Osten, zum Garten, eine stählerne Pfosten-Riegel-Konstruktion mit großformatigen AluFenstern. Eine bei Stadeln übliche Boden-Deckel-Schalung verbirgt dieses Raumgefüge zur Straße hin, ein eingezo­ gener Eingang und ein als Genter (Gestell zum Nachreifen der Feldfrüchte) stilisierter Balkon vor dem Schlafzimmer sind die einzigen Hinweise auf das neue Leben dahinter. Fünf Jahre später war der Altbau dran. Die Raumzuschnitte erwiesen sich als brauchbar, und die vielen Verschöne­ rungen waren der Substanz kaum abträglich. Unter zahlreichen Tapeten kam der gesunde Blockbau zutage, auch das Ablaugen lackierter Decken war möglich wie das Abbeizen des ausgebauten Täfers, was eine neue Schicht Holzfaserdämmung erlaubte. Wo dies – etwa im Ober­ geschoss – fehlte, verbessern stattdessen Weißtannen­ dielen die Wärmespeicherung. Auch ließ sich der Außen­ putz samt Putzträger leicht entfernen und durch einen Schindelschirm ersetzen, ergänzt um Fenster nach historischem Vorbild, die als Kastenfenster energetisch optimiert wurden. Sobald es statisch grenzwertig wurde, halfen ein Stahlträger oder die Aufdoppelung einer alten Bohlendecke. Lediglich der Flur erhielt eine neue

Bad im Altbau: Duschwanne aus geglättetem Beton mit integrierter Installation und Heizung. Duschen im Holzhaus dank Trenn­ wänden aus Glas, auch vor Blockwand – seit zehn Jahren ohne jede Beanstandung

Blockbalkendecke. Die neue Heizung ist mit Finesse ins historische Bild integriert. Das wird belebt durch wenige Kontraste. Da ist die über alle drei Stockwerke reichende Treppenskulptur aus Schwarzstahl und Glas mit Belichtung durch eine „Gügere“ (ein ortstypischer Dachausstieg zum Kaminkehren und Dachausbessern), die nur gelingt in engem Zusammen­ spiel von Architekt und Handwerker. Das gilt ebenso für Die Treppe im Altbau: komplett in der Werkstatt aus Schwarzstahl geschweißt mit freitragenden Trittstufen und über das Dach in den Altbau eingesetzt. Dann wurde die Öffnung zum Dachfenster nach historischem Vorbild ausgebaut – zum „Gügere“.

Um die Elektroinstallation und den beschädigten Abschluss der Blockbauwand abzudecken, erhielt die Zarge der abgebeizten alten Türe zusätzlich eine breite Deckleiste aus Weißtanne.

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das Bad: moderne Armaturen, Duschen zwischen Block­ wänden dank raumhoher Gläser, beheizte, rutschfeste Duschwanne aus Ortbeton, die die Installation integriert. Oder ein neuer Ofen: eine Kombination aus Grundofen nach historischem Vorbild, speichernder Wand und offenem Kamin. Ein Haus wie eine Landschaft, Einladung zum Ortswech­ sel – ein Raumkontinuum aus dem Bilderbuch der Moderne. Mal informelle Lässigkeit, mal heimeliges Schatzkästchen; einerseits ausgesuchte Kontakte zur Straße, andererseits ungestörte Öffnung zum übersichtlichen Garten, seitlich mit dichtem Bewuchs und geradeaus abfallendem Gelände und freiem Blick über die Dächer des Dorfs geradewegs aufs Nebelhorn.

Ist das schon im Tessin? Die Rückseite dörflicher Verdichtung erstaunt mit üppigem, privatem Grün. Aus den Wohnräumen im ehemaligen Wirtschaftsteil immer gegenwär­ tig: der Blick über den Garten direkt aufs Nebelhorn.

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Das ehemalige Bauernhaus stellt aufgrund seiner Lage ein ortsbildprägendes Element dar. Mit wenigen ge­ zielten Maßnahmen und der professionellen Umsetzung im Detail gewinnt der Baukörper seine Kraft und Origi­ nalität zurück.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

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Obermaiselstein  /  Neue Interessen bringen neues Leben ins alte Haus

Bauherren  Stefanie und Mathias Kappeler Architekt  Franz Vogler, Oberstdorf Ursprungsbau  um 1565 Fertigstellung Umbau  2018 Standort  87538 Obermaiselstein Lage  innerorts

Flowers are made for blooming, und fürs Allgäu-Haus gilt: Ungekünstelt entfaltet sich der Reiz einer sonnengegerbten Blockbau­ wand, weißer Fensterstöcke, grüner Läden und strahlend weiß gekalkten Sockels.

Auf den ersten Blick nimmt einen der Hausgarten gefan­ gen, der sich zwischen der Südseite des Hauses und zwei stattlichen Walnussbäumen ausbreitet und der mit jeder Fruchtreihe von Sorgfalt kündet. Unwillkürlich fragt man sich: Versorgt er denn das ganze Haus? Die Antwort „nicht ganz“ lässt mehr offen, als dass sie die Neugier beant­ wortete, die gar nicht so geschätzt wird. Der zweite Blick wird von der Rosenpracht an der Hauswand gefesselt; man denkt ans Tessin. Beides sind die Domänen der Frauen im Haus, während dem Hausherrn eher nach Vieh zumute wäre; doch er weiß um seine Grenzen und gibt sich lieber Studien zum Hausbau hin. So ist das Haus: ein Zuhause ausgeprägter Individualisten. Die unterschiedlichen Räume, die sich unter dem First eines Allgäuer Bauernhauses versammeln, bieten dafür die Grundlage. Zur Morgensonne sind es die Wohnräume,

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Die alte Flurküche ist heute wieder Küche, was nicht ausschließt, dass man’s sich bequem machen kann. An der neuen Decke ist ersichtlich, dass das Geschoss um 20 cm angehoben wurde.

Ein Hof, zwei Wohnungen, drei Eingänge: für die Wohnungen im Erd- und Obergeschoss sowie das separate Studio. Der Hackenschopf wird teilweise gedeckter Außenraum mit Balkon – dem historischen „Genter“ nachempfunden.

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Der gemauerte Stubenofen mit neuester Heiztechnik folgt altem Vorbild. Brauch ist die Liege am Warmen – allgäuerisch „Gutsche“, dem englischen couch verwandt.

in der Mitte der Raum zum Arbeiten, der großzügig zur Mittagssonne geöffnet werden kann und bis unters Dach reicht, zur Wetterseite dann Bergeräume für Gerät und Futter neben dem Stall. Dieses allgemeine Schema ist bei jedem Haus individuell variiert. Jede Raumgruppe ist ganz eigen geprägt, und das ist erstaunlicherweise unabhängig davon, wie konstruiert wurde – sei es als Blockbau, Ständerbohlenbau, Fachwerk oder gemauert. Typologisch am strengsten ist der Wohnteil: quadra­ tische Stube, Kammer und durchgehender Flur sowie analoge Zimmer darüber, auch Dreiraumwürfel genannt. Hier ist es ein Block­ oder Strickbau, ein aus liegenden Balken „gemauertes“ Gefüge, das durch Verkämmen der Balkenenden stabil wird. Die Balkenstärke von 13 bis 15 Zentimetern ergibt die einstige Wandstärke, 13 Lagen ergeben die ursprüngliche Raumlichte von etwa 185 Zenti­ metern. Später wurden die Außenwände vertäfert, zur besseren Dichtigkeit. Beim Flur fangen dann die Differenzen an. Meist ist dieser Raum offen bis unters Dach und bietet Platz für die Treppe und eine Flurküche; der Rauch entweicht durch die Ritzen des Landerndachs, das so imprägniert wird. Von hier aus wird auch der Stubenofen befeuert, womit die Stube selbst zum ersten rauchfrei beheizten Raum in Europa wird. Anders liegt die Sache im typi­ schen Oberallgäuer Bauernhaus: Die Kochstelle liegt in

118

Konstruktive Spezialität: Beim Blockhaus werden die konischen Bodendielen in eine Nut verlegt; zum Schluss verspreizt eine letzte keilartige Bohle den Boden; diese – der „Treibladen“ – wird von außen eingetrieben.

Grundrisse Bestand

1 5

2

3

4

1

2

3

1

4

2

4

3

Kellergeschoss 1 Rossstall 2 Stall 3 Heuschinde (Heulege) mit Luftkanal 4 Tenne 5 Keller

Erdgeschoss 1 Scheune 2 Eingangsbereich mit Flurküche 3 Schlafzimmer 4 Stube

Obergeschoss 1 Luftraum Scheune 2 Flur 3 Schlafzimmer 4 Obere Stube

Grundrisse Umbau

1

1 11

4

3

10

9

7

8

2

7

6

5

6

5

2 1

6

2

1

8

3 3

5

Kellergeschoss 1 Wohnung 2 Diele 3 Keller

Erdgeschoss 1 Schlafzimmer 2 Küche 3 Atelier 4 Nebenräume 5 Holzlege 6 Zimmer 7 Eingangsbereich 8 Stube 9 Schlafzimmer 10 Küche 11 Bad

Obergeschoss 1 Abseite 2 Schlafzimmer 3 Galerie und Luftraum Atelier 4 Luft­ raum Holzlege 5 Schlafzimmer 6 Flurküche mit Essbereich 7 Bad 8 Stube

Süd

Ost

Ansichten Bestand

West

119

4

Ansichten Umbau

West

Süd

Ost

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnungen Grundriss Gebäudeeck Süd­Ost

Schnitt Geschossdecke EG­OG

2 7 3

8 9 10 11

1 2 3

6 5 4

29 cm

nach Umbau

20 cm

vor Umbau 12

1 Täfertafel (Verkleidung Stube) 2 Dämmung Schafwolle 3 Blockholzwand 4 Dämmung, Holzweichfaser 5 Hinterlüftung 6 Schindeln auf Unterkonstruktion 7 Dämmung, Holzweichfaser

120

8 Bodendielen 9 Trittschalldämmung 10 Dreischichtplatte (mit Deckenbalken verschraubt) 11 Deckenbalken 12 Holz­ kassettendecke

Der Hof mit teilweise offenem Hackenschopf; im Unterschied zur Südseite ist der wetterge­ schützte Ostgiebel unverschindelt; helle Hölzer über den Fenstern im 1. Obergeschoss zeigen die Erhöhung des Dachs um 50 cm.

der Stube, der Rauch wird durch die Wand in den Flur geführt. Die üblicherweise einläufige Treppe wird als halbgewendelte hinten im Flur angeordnet, der nun nicht anders zu verstehen ist als sonst der Tenn oder, wie es hier heißt, der Schopf: ein weiter Arbeitsraum. Eigentlich müssten nun Stall und Bergeraum an­ schließen, wie bei einem kleinen Allgäuer Hof mit wenigen Rindern. Doch hier weiß man nicht, ob das so war, denn dieser Hausteil ist 1905 neu gebaut worden, wäh­ rend der alte Wohnteil dendrochronologisch auf 1565 datiert werden kann. Somit zeigt uns das Haus mehrere Wachstumsschübe. Ursprünglich gebaut wurde es Ende des 16. Jahrhunderts; der Einbau der Vertäferung erfolgte Ende des 18. Jahrhunderts; die Verschindelung des Blockbaus Ende des 19. Jahrhunderts; der Neubau des Wirtschaftsteils am Anfang des 20. Jahrhunderts. Und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde das Gebäude in ein Wohnhaus umgewandelt. Mit anderen Worten: Gewiss ist der Wandel, getragen durch eine starke Struktur. Der Umbau geschah in zwei Etappen und begann mit Wohnteil und Schopf. Die Decken der beiden Wohn­ geschosse wurden durch Erhöhung der Wände in origina­

121

„Wir sind froh, dass das Bauern­ haus seinen ursprünglichen Charakter – trotz der umfang­ reichen Umbauarbeiten in der alten Tenne – bewahrt hat und heute das Ortszentrum des kleinen Weilers positiv prägt.“ [Stefanie und Mathias Kappeler]

Im ehemaligen Heustock im Westen hat sich der Hausforscher seine Studierstube mit Bibliothek auf der Galerie eingerichtet; darunter findet eine kleine Gästewohnung Platz.

Wie einfach und doch immer seltener: die lebendige Selbstverständlichkeit der frei schwingenden Abfolge von Hof, Haus, Hecke und Kapelle

Die Stube mit Herrgottswinkel; der Fries über den Fenstern zeigt die Erhöhung des Raums von 1,85 auf 2,05 m durch Anheben der Decke. Dasselbe gilt für das Obergeschoss.

122

Die Treppe zur Bibliothek in vertrauter Handwerkstradition. Das große Fenster dahinter belichtet den Raum, drehbare Bretterlamellen erlauben die Steuerung des Lichts und schützen vor ungebetenen Einblicken.

ler Bauweise um jeweils 25 Zentimeter angehoben. Wand- und Deckentäfer wurden erhalten, die komplett angehobene Decke mit einer 8 Zentimeter dicken Brettsperrholzplatte kraftschlüssig verschraubt. Die Außenwände er­hielten 11 Zentimeter Außendämmung im Bereich des neuen Schindelschirms und 13  Zentimeter Innendämmung hinter dem Täfer in der Giebelwand, die nun wie vor 200 Jahren wieder die Strickkonstruktion zeigt – wie die Trennwände innen. Die Verstärkung der Wände bietet Platz für den Ausbau der bestehenden Fenster zu Kastenfenstern mit iso­lierverglasten Fenster­ flügeln innen. Das Haus erreicht so KfW-70-Standard. Vergleichsweise einfach war der Umbau des Schopfs. Das Schopftor wurde zurückgesetzt, sodass ein geschütz­ter Freisitz und ein Balkon im Obergeschoss entstanden. Innen ergänzen nun zwei Bäder und zwei Zimmer das Raumangebot, wodurch nach Abschluss der Umbauten Eltern und Tochter über jeweils abgeschlossene Wohn­ einheiten verfügen. Die Holzpelletheizung mit Pellet­ bunker sowie eine Werkstatt fanden Platz in den hangbe­ dingt tieferliegenden Stallräumen. 2018 wurde der zweite Bauabschnitt begonnen: der Ausbau der Scheune über der ehemaligen Stallung. Der wurde so angelegt, dass nochmals eine eigene Wohneinheit möglich ist; derzeit sind die Räume informel­ ler genutzt – ob als Fitness- oder Büroraum. Der Wohn­ raum, der zweigeschossig bis unter den First reicht, verfügt über eine Empore mit Bibliothek. Bemerkenswert, wie in die ehemalige Stadelwand, die geschlossen verschalte Westwand, die Befensterung integriert wurde: Im Bereich von drei türbreiten, raumhohen Fenstern wurde die Verschalung als schwenkbare Lamellen ausge­ bildet.

Nach Westen bleibt es beim üblichen, geschlos­ sen verschalten Giebel. Wer genau hinsieht, erkennt freilich die ungewöhnliche Form der Bretter in der Mittelzone; es sind drehbare Lamellen vor den dahinterliegenden Fenstern.

Der Ursprungsbau aus dem Jahr 1565 hatte über die Jahrhunderte bereits einige grundlegende Transformationen erfahren, bevor er in ein bei Bedarf teilbares Wohnhaus umgewandelt wurde. Hervorzuheben sind die räumliche Sensibilität und die konstruktive Raffinesse, mit der Wohnkomfort, erhebliche energetische Aufwertung und räumliche Flexibilität in das Haus gebracht wurden, ohne dabei seinen vorhandenen Charakter infrage zu stellen. Die subtilen Veränderungen zeigen sich erst auf den zweiten Blick. Der Weiler profitiert durch die erfolgreiche Sanierung des zentral gelegenen Gebäudes, das den Ortskern prägt, erheblich. [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

Der Traufpunkt des Hackenschopfs erlaubt großzügige Schiebefenster am Tisch des ebenerdigen Studios. Die Innenschale dieses neuen Raums ist mit Gipskartonbeplankung und Weißtannenboden sachlich gehalten.

123

14

Oberstdorf  /  Wie die Orts­geschichte zu Hausgeschichte wird

Bauherr  Familie Ammann Architekt  Franz Vogler, Oberstdorf Ursprungsbau  um  1760 Fertigstellung Umbau  2018 Standort  87561 Markt Oberstdorf Lage  innerorts

Bauernhaus und schon lange mehr: Backhaus mit Laden, Gästehaus, Wohnhaus. Immer hat man seine Fühler nach draußen ausgestreckt, wovon auch die Doppelpfette im First zeugt, die bis in den Bregenzerwald anzutreffen ist.

Wer vom westlichen Ortsrand kommend die Weststraße Richtung Ortsmitte in Oberstdorf nimmt, geht traufseitig an der nördlichen Hauskante des hier behandelten Hauses mit flach geneigtem Dach vorbei. Seine Gestalt und Lage mit dem Wohnteil nach Osten gleicht den Häusern, die wir passiert haben. Ein Haus weiter, nach der folgenden Wegkreuzung, ändern sich Lage und Hausform deutlich. Nun überwiegt die giebelständige Anordnung etwas höherer Gebäude mit steileren Blech­ dächern. Nach weiteren 500 Metern, jenseits der Ortsmitte, ändert sich die Bebauung abermals; nun über­ wiegen wieder zweigeschossige Holzbauten mit flach geneigten Dächern, dicht an dicht in unregelmäßiger Anordnung. Diese Abfolge von Bauformen zeigt wesentliche Stadien der Geschichte von Oberstdorf, einer Ortschaft, die vorrangig vom Holzbau geprägt ist – und wiederholt von verheerenden Bränden heimgesucht wurde. Ver­ schont blieb die dichte Bebauung am östlichen Ortsrand.

124

Nach dem Krieg war der einfache Balkon schon zur regengeschützten Altane ausgebaut worden. Frische Brötchen aus der Bäckerei im Haus, zu erkennen am hohen Kamin, werden dem Zuspruch der Gäste nicht geschadet haben.

Schon immer ein stattliches Haus: Das zeigt zum einen der weite, giebelseitige Mittelflur, zum anderen waren die Räume großzügig und hoch. Die lackierte Decke wurde beim letzten Umbau sandgestrahlt.

125

Architekturschmuck wirbt um Gäste; die schmucke, hellgraue Putzfassade, heute auf Holzfaserdämmung, lässt die weißen Fensterstöcke strahlen. Wie die Blech­deckung ist sie Schutzmaßnahme nach dem Dorfbrand 1865.

Westliche Ortsteile dagegen fielen einem Brand Ende des 17.  Jahrhunderts zum Opfer, 1865 dann fiel die Ortsmitte in nur vier Stunden nahezu restlos in Schutt und Asche. Beim umgehenden Wiederaufbau Ende des 19. Jahrhun­ derts war häufig Stein die Antwort, wohingegen man sich 200 Jahre zuvor noch anders entschieden hatte. Auffallend ist, wie sehr die Bauweise westlich und nördlich der unseres Hauses gleicht. Einst hatten alle bäu­ erlichen Anwesen einen zweistöckigen Wohnteil, eine Tenne als Arbeitsraum und den Stall mit Heuschober unter einem durchgehenden, flach geneigten Dach. Die Häuser stehen mit der Tennenzufahrt unmittelbar an der Straße, der Wohnteil liegt entlang der beiden Hauptstraßen nach Osten, entlang der Querstraßen nach Süden. Die groß­ zügigen Freibereiche zwischen den Häusern waren einst von Obstbäumen bestandene Wiesen oder Gärten – Brandschutz mit Wohnqualität. Mit einiger Übung lässt sich diese Struktur trotz zahlreicher Zubauten noch heute ausmachen.



    Der Essplatz der Wohnung im Obergeschoss mit Zugang auf den Südbalkon. Das Fachwerk des Wohnhauses wechselt mit der Blockwand zum alten Wirtschaftsteil. Die indirekte Beleuchtung verschwindet in der abgehängten Decke.

126

Der breite Flur zur Giebelmitte war wohl immer schon ein komfortabler Aufenthaltsraum.

Grundrisse Bestand

7

6

3

3

2

5

3

3

1

1

4

3

3

2

Erdgeschoss 1 Flur 2 Stube 3 Schlaf­ zimmer 4 Tenne 5 Abort 6 Zimmer 7 Küche

3

3

Obergeschoss 1 Flur 2 Abort 3 Gäste­ zimmer

Grundrisse Umbau

6 5

7

1

1

4 3

3

3

5

4

2

Erdgeschoss 1 Flur 2 Wohnzimmer 3 Küche 4 Nutzraum 5 Speisekammer 6 Bad / WC 7 Schlafzimmer

127

6

Obergeschoss 1 Flur 2 Wohnzimmer 3 Bad / WC 4 Schlafzimmer 5 Flurküche 6 Büro

Ansichten Bestand

Süd

Ost

4

Nord

2

Ansichten Umbau

Süd

Ost

Nord

Schnitt Bestand

Schnitt Umbau

Detailzeichnungen historisches Fenster Vertikalschnitt

Horizontalschnitt 5

1 7

8

6

1 Blockbalken 2 Holzweichfaserdäm­ mung 3 Gewebeputz 4 Fensterladen 5 Täfelung mit Unterkonstruktion 6 Bestehender Putz 7 Einfachverglasung 8 Isolierglas

2 3 4

3

128

2

6

1

5

8

7

Die Küche der Erdgeschosswohnung mit eigenem Ausgang in den südlichen Garten; die lackierte Decke entspricht einem älterem Ausbaustandard und integriert indirektes Licht; der Küchenkorpus hängt frei an der Blockwand.

Ausgewogen ist das Zusammenspiel von Massivholz, geputzten oder gespachtelten Flächen und anthrazitfarbig gefliesten Aufbauten, die die Installation für die weißen Objekte bergen.

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Tatsächlich ist unser Haus das zweite in der Reihe, welches den großen Brand überstand – und das, obwohl der Bau aus den  1760er-Jahren beinahe ein reiner Holzbau ist, seinerzeit mit Dachdeckung aus hölzernen Legschindeln. Abgesehen von der straßenseitigen Steinwand, ein Hinw­eis auf einen einstigen Krämerladen mit Bäckerei. Ansonsten: Der Wohnteil ist ein Holzbau als Strick- und Fachwerkbau mit Holzbalkendecken und Holzdachstuhl, verputzt; im Wirtschaftsteil herrschen sichtbares Fachwerk und Bohlenständerbau. Der eher seltene giebel­seitige Zugang mit reichlich Flur und raumsparender Treppe an dessen Ende mag dem Laden an der Straße geschuldet sein. Wann dieser aufgegeben wurde, lässt sich nicht genau angeben. Gewiss ist jedoch: Mit der Jahrhundert­ wende erwächst Oberstdorf ein neuer Geschäftszweig: der Tourismus. Anfangs rücken die Hausbewohner zusam­ men und machen Zimmer für Gäste frei, doch bald er­ halten die Häuser neuartige Anbauten, dieses Haus um 1910 einen Balkon am östlichen Giebel, der in den folgen­

„Das   Haus hat für uns einen sehr hohen emotionalen Wert, da wir darin unsere Kindheit und Jugend verbrachten. Diese Erinnerung an die Räumlichkeiten von früher und insbesondere der funktionale Wandel zum jetzigen Zustand offen­baren für uns den wahren Charme des Hauses.“ [Familie Ammann]

Blick aus der Stube in die Küche mit Zugang zum Garten – Raum genug für eine zusätzliche „Gutsche“ neben dem Grundofen an histori­ schem Platz

Vom Treppenhaus zur Dachgeschosswohnung in der ehemaligen Tenne ergibt sich ein separater Zugang in die Obergeschosswohnung. Die filigrane Konstruktion der Treppe: Wangen und Geländer aus Stahl, die Stufen aus gebürsteter Weißtanne.

den Jahren opulenter ausgebaut wird. 1932 wird dann die Kammer über der Tenne zu einem Kehrgiebel mit Gäste­ zimmern und Balkonen ausgebaut, in den 1960er-Jahren kommt auf der Südseite eine Altane hinzu. In dieser Zeit wird auch der Stall zu einer eigenständigen Wohnein­ heit umgebaut.

Einst Tenne, heute Hauseingang mit wetter­ geschütztem Vorraum, seitlicher Haustüre und gegenüberliegender Treppe in die Oberge­ schosse. Vertikale Latten bieten Sichtschutz zur Straße bei gleichzeitig großzügiger Belichtung.

130

Um 2015 entschließen sich die Eigentümer, ihr jahrelang als Gästehaus genutztes Haus zu sanieren und selbst zu bewohnen. Das Haus wird mit 8 bis 10 Zentimeter Weichfaserdämmung auf dem alten Putz energetisch ertüchtigt, erneut verputzt und mit Kastenfenstern nach histori­ schem Vorbild versehen. Im Inneren wurden die Holzwän­ de teilweise freigelegt, teilweise gestrichene Wandund Deckentäfer abgebürstet. Im Bereich der Tenne entstanden neue Wohnräume mit eigener Erschließung. Der Umbau nahm viel Eigenleistung in Anspruch, doch gravierende Eingriffe waren nicht notwendig, die Maßnah­ men waren überschaubar und nachvollziehbar. Die neuen Bewohner verstehen ihren Umbau in einem größeren Ganzen. In den Worten des Hausherrn, Johann Ammann:

Schon dämmert’s. In der Werkstatt neben der Küche ist noch Betrieb; im Kehrgiebel darüber, erbaut um 1930, befindet sich die Dachwoh­ nung, die Balkonvorbauten links entstanden um  1960, die rechts um  1910.

„Jede Generation hat das Haus auf seinen aktuellen Stand gebracht. So war sichergestellt, dass immer pfleglich mit ihm umgegangen wurde. Und so gab es beim Umbau zwar immer Überraschungen, aber alles ist eigentlich schön rausgekommen. Und diejenigen, die nach uns kommen, können es dank sorgfältigen Umbaus auf ihren Stand bringen.“

Während das denkmalgeschützte Vorderhaus mit viel Sorgfalt im Detail restauriert und behutsam energetisch saniert wurde, ist der Eingriff im Bereich der Tenne strukturell: Hier ist mit zurückhaltend modernen Mitteln eine neue Treppe implementiert, welche die Ebenen unabhängig voneinander nutzbar macht und räumlich verbindet. Erlebenswerte Elemente des Bestandsge­ bäudes wie Blockbau- und Fachwerkwände wurden frei­gelegt und verbleiben sichtbar. Der Charme des innerörtlichen Bauernhauses, zu dem die im frühen 20. Jahr­ hundert vorgestellten Balkone für Sommerfrischler beitragen, bleibt auch in seiner neuen Nutzung als Familienwohnsitz für die Nutzer und den Ort erhalten. [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

131

132

Projekte

133

15 – 16

15 Bauherr  Martin Weber Architekt  Philip Lutz, Ludescher+Lutz Architekten, Bregenz Ursprungsbau  um 1880 Fertigstellung Umbau  2011 Standort  88178 Markt Heimenkirch Lage  freistehend

Zweischalige Hülle: Nach Westen und Süden sind dem Kern des Hauses wettergeschützte Außenräume vorgelagert, die mit ihrer Reduktion auf Dreieck und liegendes Rechteck auf die Geometrie der Moderne anspielen.

134

Heimenkirch  /  Wenn Bescheidenheit sich als Glücksfall erweist

Das kleine Bauernhaus in ursprünglicher Form mit typischer Gliederung, bevor es mehrfach umgestaltet wurde: bescheidene, eingeschos­ sige Anlage mit Kehrgiebel

Beim Stichwort Allgäuer Bauernhaus denkt man gewöhn­ lich an ein großes Gebäude unter steilem Dach mit reichlich Stall, großem Bergeraum und Wiederkehr mit Hocheinfahrt. Doch nur wohlhabende Bauern konnten sich dergleichen leisten; der gewöhnliche Bauer musste mit weniger auskommen. Eine solche bescheidene Bauernstelle war dieses Haus. Vor 130 Jahren errichtet, freistehend inmitten der eigenen Wirtschaftsfläche für die Bauernfamilie, vier Kühe, ein Pferd. Wohnhaus und Stall waren gemauert, der Wirtschaftsteil mit Tenne und Bergeraum als Fachwerk gezimmert, darüber das durchgehende Dach. Das einge­ schossige Haus wurde bis unters Dach bewohnt. Noch heute bezeugen alte Hochstämme den einst großen Obst­ garten ums Haus, davor lag der Gemüsegarten. Seit Langem schon wurde die Landwirtschaft aufgegeben und das Haus nur noch als Wohnhaus genutzt. Mit steigenden Ansprüchen wurde es eng. Man über­ legte, den Wirtschaftsraum auszubauen, doch die Sanie­ rung stand in keinem Verhältnis zum Nutzen. Also Neubau. Doch einen kompletten Neubau wollte die Behörde nicht genehmigen. So fand man mit dem Bauamt in Lindau einen Kompromiss, der im Grunde auch der Neigung der Bauherren entsprach: Das gemauerte Wohnhaus blieb erhalten und wurde mit der Hingabe eines Hausliebhabers saniert; den Wirtschaftsteil ersetzt ein Neubau. Das durchgehende Dach fasst beide zusammen – nunmehr mit einer großen Schleppgaube für die Dachräume.

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Die Veranda auf der Südseite bildet einen stützenfreien Rahmen, der mithilfe einer verdeckten Stahlkonstruktion in der Waage gehalten wird. Einige Stufen trennen den Eingangsbereich vom höheren Wohnteil.

Der kräftige Rahmen der Stahlkonstruktion erlaubt einen freien Grundriss im Erdgeschoss des Wohnraums, der den ehemaligen Wirtschaftsteil ersetzt. Der weite Außenbereich liegt wenige Stufen tiefer.

Um- und Neubau wurden durch den Architekten Philip Lutz aus Bregenz begleitet. Viel wurde auf der Baustelle entwickelt, das Zusammenspiel von Bauherrschaft und Architekt reichte bis zu kleinen Details. Noch heute ist man sich freundschaftlich verbunden. Auf einem betonierten Keller entstand eine reine Holzständerkonstruktion – lediglich einmal durch eine Betonscheibe und eine sparsame Stahlkonstruktion unterstützt. Angestrebt wurde ein offener Raum. Und mit dem Umbau des Hauses wurde die Chance genutzt, zwei eigene Wohnbereiche – einen für die Kinder, den anderen für die Eltern – zu schaffen, miteinander verbunden über je eine Stiege. Bei Bedarf lässt sich so das Haus in zwei eigenständige Wohnungen teilen. Damit ist ein Problem vieler Einfamilienhäuser elegant gelöst – Vorsorge für die Zeit, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Eine ausgeprägte Vorzone verbindet die Gebäude­ teile. Das Dach schleppt sich auf gesamter Gebäudelänge flach ab; nach Süden entsteht so ein etwa  1,5 Meter tiefer gedeckter Rahmen, Zugang, Stellplatz und großzügige Veranda in einem. So kann der neue, raumhoch verglaste Wohnraum ganz auf Sonnenschutz verzichten. Dagegen geben sich die Ost- und Nordseite des Hauses geschlossen, verschalt mit rustikalen, naturbelassenen Schwartlingen, die witterungsbedingt vergrauen und das Haus samt grauer Dachdeckung ganz selbstverständlich in die Landschaft integrieren.

136

Klar gegliedert: Der Konstruktion der großzügigen Veranda ist eine Zone üppigster Blütenpracht vorgelagert, bevor der Blick über die Allgäuer Wiesen zum Nachbarn und hinüber zum Wald schweift.

Grundrisse Bestand

1

4

4

1

1 2

2

3

3

5

Kellergeschoss ca. 1880 1 Vorrat

Erdgeschoss ca.1880 1 Stall / Tenne 2 Flur 3 – 4 Stubenzimmer

Obergeschoss ca.1880 1 Stall / Tenne 2 Flur 3 Stubenzimmer 4 Kinderzim­ mer 5 1880 eine Wiederkehr, 1990 zwei Wiederkehre

Grundrisse Umbau

2

8

4

1

9

2 1

Kellergeschoss 1 Vorrat 2 Kellerräume

3

Erdgeschoss 1 Essen / Küche / Wohnen 2 Flur 3 – 4 Stubenzimmer

7

Ost ca. 1990

Nord ca. 1990

Ost

Nord

Ansichten Umbau

Süd

137

5

4

2

3

Obergeschoss 1 Flur 2 Badezimmer 3 – 4 Stubenzimmer 5 Fitness 6 Bad 7 Schlafzimmer 8 Ankleide 9 Flur

Ansichten Bestand

Süd ca. 1990

6

1

Schnitte Bestand

ca. 1880

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Schnitt Schleppgaube

1 2

4 5

3

7

Dachaufbau 1 Dachziegel (Doppeldeckung) 2 Lattung 3 Aufdachdämmung Holzweichfaser 4 Zwischensparrendämmung, Dampfbremse 5 Gipskartonplatten auf Unterkonstruktion 6 Stahlträger Außenwandaufbau 7 Holzschalung 8 Holzständer mit Zwischen­ dämmung 9 OSB ­Platte 10 Gipskarton­ platten auf Unterkonstruktion

138

8 9 10

6

Noch immer betritt der Besucher das Haus durch die alte Haustür, gefolgt vom großzügigen Flur. Was rechter Hand einst Stube und Küche waren, sind nun die Kinderzimmer. Links öffnet sich ein breiter Durchgang, durch den man zum großen erdgeschossigen Wohnraum gelangt – Auftakt einer Raumfolge, die durch Abtreppungen an Raumhöhe und Weite gewinnt: vom niedrigen Altbau, über drei Stufen hinab zum Essplatz und Küche, nochmals drei Stufen zur weiten Veranda und schließlich einige Stufen auf den englischen Rasen unter das Laubdach der Obstbäume. Haus und Garten – eine Einheit. Ein neues Wohngefühl entfaltet sich da, Küche und Essplatz, Wohnraum und Kamin, Veranden und Garten gehen ungehindert ineinander über. Belichtet ist der Raum von drei Seiten – raumhoch und auf ganzer Länge verglast nach Süden, ein liegendes Fenster in der Küche nach Norden, differenziert nach Westen mit viel Glas zur Veranda und wenig Fenster aus der Kaminecke des Wohnraums. Weißtanne beherrscht die Ausstattung, der nahe Bregenzerwald lässt grüßen – ungekünsteltes Handwerkerkönnen bei hoher Materialkultur. Die Zimmer des Obergeschosses sind raumhaltig bis zum First und ebenfalls in Weißtanne verkleidet. Das

Der großzügige, gedeckte Freibereich, der nach der Abstufung im Haus hier nun stufenlos in den Garten mit alten Obstbäumen und üppigem Blumenschmuck übergeht.

39 139

Der Kamin als Gelenk zwischen Küche, Essund Wohnraum. Modernes Ambiente mit weißen Putzflächen an den Wänden, natur­ belassenes Holz an Boden und Decke, indirekte Beleuchtung, Einbaumöbel, graue Polster.

große Elternschlafzimmer geht auf den großen Balkon, sodass man inmitten der Blätter der Obstbäume die Abendsonne genießen kann. Eine Besonderheit: Die Schwartlinge der Fassade sind hier senkrecht gestellt, sodass Teile der Wand von innen als Lamellenvorhang wirken. Das Haus, inmitten Allgäuer Wiesen gelegen, 150 Meter vom nächsten Nachbarn entfernt, umgeben von Obst­ bäumen, Heckenrosen, Königskerzen, Lavendel und mehr, vermittelt, was Lebensqualität auf dem Land heißt. Man lebt hier mit der Natur und der Geschichte, mit dem ungehobelten Holz draußen und dem feinen Ausbau innen sowie dem technischen Standard unserer Zeit. Mögen andere sich um Stil bemühen, hier zählt die Haltung der Kultur auf dem Land. „Ruhe, viel Grün, Natur pur – das ist freies, unbeschwertes Leben. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal zur Entspannung Unkraut jäte“, meint Ulrike R., die Bauherrin, und der Bauherr ergänzt. „Die Weite zwischen den Obstbäumen, frei vom kitschigen Klischee der Berge, ganz lässig und leger: ein wahres Lebenselixier.“

Der Veranda im Erdgeschoss entspricht im Obergeschoss eine Loggia vor dem Schlaf­ zimmer. Die tiefergezogene Westwand ergibt eine geschützte Sitzecke; die Brüstung dagegen bleibt dank Lattenabstand licht­ durchlässig.

140

Weitläufig: links die Küche, der kräftige Stahlrahmen in der Mitte des Hauses, rechts der Essplatz mit Panoramablick in den Garten. Deutlich: die zwei Stufen in den Altbau mit geringeren Raumhöhen

„Unser   großer Garten ist nicht perfekt, aber schön. Wir genießen diesen Luxus von Platz und Freiheit, und die Arbeit macht noch Freude.“ [Martin Weber]

Die Nord-Ost-Seite gibt sich mit ihrer sparsamen Lochfassade bäuerlich-ländlich. Vertikale Deckleistenschalung und knapper Dachüberstand lassen an einen Stadel denken.

Die Transformation eines Bauernhauses in ein zeitgemä­ ßes Wohnhaus ist funktional, strukturell wie räumlich überzeugend: Durch die asymmetrische Dachform wird das aus der landwirtschaftlichen Bautradition vertraute, einseitige Vordach in eine Wohntypologie übersetzt: Der sich nach außen öffnende Vorraum wandelt sich – typologisch, nicht real – von der wettergeschützten Verladezone zur gedeckten Wohnterrasse, die den Übergang von innen nach außen im Zusammenspiel mit einer giebelseitig vorgelagerten Zone räumlich attraktiv strukturiert. Die Fassadengestaltung spiegelt den

141

Transformationsprozess in ihrem Wechsel zwischen traditionellen Formaten und gut gesetzten, großformatigen Öffnungen und der physisch alternden, gestalterisch aber alterslosen Holzbekleidung selbstverständlich und nachvollziehbar.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

16

Arnach  /  Mit Stahl und Glas alten Stallgeruch austreiben

Bauherrin  Katholische Kirchengemeinde St. Ulrich und St. Margaretha, Arnach Architekten  Schirmer & Partner, Ertingen Ursprungsbau  1715 Fertigstellung Umbau  2002 Standort  88 410 Arnach Lage  Ortsmitte

Blick vom Foyer Richtung Sitzungssaal. Die tragende Wand zwischen Flur und Stube wurde in wenige Stützen aufgelöst; neue Elemente wie die Trennwand zum Saal und die neue Flurdecke sind in Stahlrahmen gefasst.

Da ist sie noch, die Struktur eines historischen schwäbi­ schen Bauernhauses: traufseitig der mittige Eingang, rechts die Wohn-, links die Wirtschaftsräume, darüber das steile Sparrendach. Damit sind die Gemeinsamkeiten erschöpft. Seit 2002 dient das Haus als katholisches Gemeindehaus Arnach. Der Eingang erschließt die Gemeinderäume und führt rückwärtig zum um ein Stockwerk höher liegenden Friedhof. Der Wirtschaftsteil wurde komplett ersetzt und beherbergt nun einen dreiseitig verglasten Saal und einen Musikraum im raumhaltig ausgebauten Dach. „Wir sind gottfroh, dass wir dieses Haus haben“, sagt Michael Rauneker, Kirchenpfleger und Ortsvorsteher von Arnach, „nach der Kirche ist es das wichtigste Haus der Gemeinde. Die Neuinterpretation des alten Mesmer­ hauses bietet mehr Möglichkeiten der Nutzung als eine Rekonstruktion; verschiedene Veranstaltungen können gleichzeitig stattfinden. Die Nachfrage kommt aus

142

Eine typische Aufnahme, wie sie Wanderfoto­ grafen um 1900 von Bewohnern und ihren Häusern am Land machten – hier die Mesmerfamilie vor dem Bauernhaus mit Wirtschafts­ zugang von der rechten Giebelseite.

Mit der Kirche auf einem Drumlin bilden das Mesmerhaus, das Pfarrhaus und die Kaplanei (nicht im Bild) ein Ensemble. Deutlich setzt sich beim Mesmerhaus der gemauerte Sockel vom Fachwerk darüber ab.

„Das   Gebäude trägt nicht nur zur intakten Dorfmitte bei, sondern ist mittlerweile wesentlicher Be­ standteil des Dorflebens, für die Kirchengemeinde ist es unverzicht­ bar.“ [Michael Rauneker, Ortsvorsteher Arnach, Katholische Kirchengemeinde St. Ulrich und St. Margaretha]

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Der Gemeindesaal im neuen, weit aufgeglasten Ersatzbau des alten Wirtschaftsteils. Außer für Sitzungen eignet sich der Raum dank großzügiger Küche und separatem Catering­ zugang für Feiern mit 60 bis 80 Personen.

allen Gruppen und übersteigt beim Saal das Potenzial. Dass man statt eines radikalen Neubaus bei der Figur des Altbaus blieb, stärkt den Ort mit dem zentralen Ensemble aus Kirche, Pfarrhaus, Kaplanei und Mesmerhaus.“ Ein Gebäude, das radikale Änderung erfuhr und sich doch gleich blieb, typisch in seiner Erscheinung und doch außergewöhnlich. Erbaut wurde das Haus 1715 am Fuß des „Kirchberges“ als Mesmerhaus, eine Generation vor dem Bau der Barockkirche, die eine Vorgängerkirche ersetzt. Die Aufgaben eines Mesmers erfasst laut Duden das Wort „Kirchdiener“ nur andeutungsweise. Er hatte sich um Kirche und Gottesdienst zu kümmern, die Glocke zu läuten, Orgel zu spielen. Er war der Lehrer des Dorfs und hatte Verwaltungsaufgaben zu erledigen. In Arnach bewerkstelligte er etwa um 1780 die „Vereinödung“ (erste Flurbereinigung). Seinen Lebensunterhalt musste er zu einem erheblichen Teil durch ein eigenes Bauerngut bestreiten. Darüber hinaus wurde in diesem Haus das Handwerk des Schneiders, Sattlers und Schusters ausgeübt. Eine solche „Diversifizierung“ schlägt sich in der Variation des Bautyps wieder; genaue Pläne aus dem Jahr 1824 verdeutlichen dies. Typisch ist der Gang des Mittel­ flurhauses mit einläufiger Treppe, der freilich um 90 Grad abgewinkelt ist, da das Erdgeschoss rückwärtig einge­ graben ist. Rechts liegt anstelle der Stube die größere Schulstube mit Ofen, erkennbar an drei statt zwei trauf­

144

Neue Einbauten wie die Treppe setzen sich als grafisch exakte Konstruktion in Stahl und Eiche von der Plastizität des geputzten Mauerwerks ab.

Grundrisse Bestand

5 7

4

4

5

3

6

3 6

8

1

9

2

1

Erdgeschoss 1 Wohnzimmer 2 Werk­ statt 3 Küche 4 Speis 5 Torflager ehem. Stallteil: 6 Holzraum 7 Kessel­ haus 8 Kohlenraum 9 Remise

1

2

Obergeschoss 1 – 4 Zimmer 5 Abort 6 Lagerraum

Dachgeschoss 1 Dachraum

Grundrisse Umbau

GSEducationalVersion

7 5

4

6 4

3 3

1

1 2

3

1

Erdgeschoss 1 Saal 2 Foyer 3 Sitzungssaal 4 WC / Garderobe 5 Abstellraum 6 Küche 7 Stuhllager

Obergeschoss 1 Saal Luftraum 2 Reserve 3 Lager 4 WC

Dachgeschoss 1 Probesaal, Bühne 2 Gruppenraum 3 Technik

Ansichten Bestand

GSEducationalVersion GSEducationalVersion

West

145

2

2

Nord

Ost

Ansichten Umbau

West

Nord

Ost

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Fassadenschnitt Saal

3

4

1 2

1 Alu­Paneel 2 Umlaufender Stahlrahmen, verzinkt 3 Anschlusswinkel mit Halfen­ schiene 4 Innenliegender Sonnenschutz 5 Entwässerungsrinne 6 Alu­Blech

5

146

6

Der Musikraum unterm Dach des Neubaus wird vom Kirchenchor und dem örtlichen Musikunterricht genutzt. Gelobt wird die Akustik, ermöglicht durch die raumhaltige Akustikwand gegenüber dem Glasgiebel.

seitigen Fenstern. Die Mesmerwohnung liegt mit Wohn­ stube und drei Kammern im Obergeschoss und hat über den Flur einen „ebenerdigen“ Zugang aufs höhere Niveau von Kirche und Friedhof. Links vom Mittelflur liegen typischerweise die bäuerlichen Nutzräume: Stall, Tenne und Bergeraum. Mit sechs Futterplätzen für Kühe, dazu weiteren für Jungvieh und wohl einem Pferd zeigt sich ein durchaus stattlicher Betrieb, der mit circa 5 Hektar Land auf vorwie­ gend Viehwirtschaft schließen lässt. Abweichend vom typischen Grundriss wird die Tenne, Arbeitsraum und Wagenzufahrt, nicht traufseitig, sondern von der nördli­ chen Giebelseite erschlossen. Der Bergeraum über dem niederen Stallraum reicht bis unter den First. Um 1840 erhielt Arnach einen Neubau mit zwei Schulstuben; die Lehrerwohnung blieb noch ein halbes Jahrhundert im Mesmerhaus. Mit der Eröffnung eines

147

neuen, stattlichen Schulhauses um 1901, einen Steinwurf vom Mesmerhaus entfernt und einem Lehrerhaus 1910 endet die Personalunion von Lehrer und Mesmer. Mit einer neuen Mesmerfamilie zogen die genannten Handwerke ins Haus ein; Schulstube und Wirtschaftsteil, seit Mitte der 1880er-Jahre landwirtschaftlich nicht mehr ge­ braucht, wurden neu genutzt. 1938 wird im ehemaligen Stall eine Dampfheizung für die Kirche eingebaut, der Heustadel wird zum Pfarr- und Gemeindesaal; die Kirche musste sich während des Dritten Reichs eigene Räume schaffen. Das Ende dieser Zeit brachte auch dem Haus neue Verhältnisse: Flüchtlinge zogen ein, teilweise übernahmen sie den Kirchendienst. Das Handwerk fand neue Räume in eigenen Neubauten; der landwirtschaftliche Strukturwandel dezimierte die Höfe, das Einfamilienhaus wurde zur vorherrschenden Wohnform und die Auszeh­

Das Haus vom Kirchberg aus mit anschließen­ dem Friedhof. Eine öffentliche Toilette steht den Besuchern des Friedhofs zur Verfügung. Bei entsprechenden Anlässen ist das Haus vom Dorfplatz zum Kirchplatz offen.

rung des Ortszentrums nahm ihren Lauf, einschließlich der Bausubstanz des Mesmerhauses, das nur noch gut genug für gelegentliche Versammlungen und Vermietung an „Gastarbeiter“ schien. Eine Generation später stand die Zukunft des Hauses auf dem Spiel; Abriss, Neubau, Erhaltung oder Neuinter­ pretation standen zur Debatte. 1999 gab ein Architektur­ wettbewerb die Antwort: Das Siegerprojekt von Schirmer & Partner sah die Sanierung des Wohnteils und den Abbruch mit Neubau des Wirtschaftsteils in den Abmessungen des Altbaus vor. Heute ist der „Wohntrakt“ mit Natursteinmauerwerk im Erdgeschoss und Fachwerk im Obergeschoss denkmal­ pflegerisch saniert. Die Flurzone mit einer modernen Treppenanlage als Stahlholzkonstruktion erschließt fünf Veranstaltungsräume und verbindet den Kirchplatz mit dem Friedhof. Ein großer Saal für 60 bis 90 Personen ersetzt bis zur Traufe den Wirtschaftsteil; vier Betonstützen tragen die Betondecke; drei Außenwände sind größtmög­ lich verglast mit einer Sprossenriegelkonstruktion in Metall mit vorgehängten Sonnenschutzelementen aus horizontalen Holzlatten. Der darüberliegende Dachraum ist Musiksaal. Heizung und Sanitärausstattung entspre­ chen heutigem Standard. Der Bau macht die Begegnung von Alt und Neu deutlich, ohne sie zu dramatisieren; der einst holzverschalte Wirtschaftsteil kehrt stilisiert in den Holzlamellen wieder. Die Organik des alten Sparrendachs ist moderner Geometrie gewichen.

148

Runde Stahlstützen, Betondecken, eine raumhaltige Glasfassade und verschiebbare Sicht- und Sonnenschutzrahmen mit Brettern aus unbehandeltem Holz setzen den neuen Saalbau deutlich vom Altbau ab.

Kirche und Gemeindehaus spielen mit ihren entschiedenen Satteldächern lebendig zusam­ men. Bei der Platzgestaltung wurde der Glasfassade ein immer gepflegtes Kissen aus Buchs vorgelegt.

Während der denkmalgeschützte Wohnbereich des Pfarrhauses aus dem frühen 18. Jahrhundert vorsichtig umgebaut wurde, wurde der Ökonomiebereich durch den transparenten Gemeindesaal ersetzt, der formal die Leichtigkeit und Struktur eines traditionellen Wirt­ schaftsgebäudes spiegelt und in eine moderne Sprache übersetzt. Der offene Gruppenraum unter dem steilen Dach wird für die Öffentlichkeit erlebbar. Eine geschickt in den Bestand eingesetzte Treppe nutzt die Topografie für die Erschließung des Dachgeschosses. Vielfältige

149

Raumbezüge entstehen zwischen dem offenen Gemein­ dezentrum und dem übrigen Ortskern. Eine beispielhaft gelungene Revitalisierung unter einem gemeinsamen Dach ist das Resultat.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

150

Projekt Projekte

151

17 – 19

17

Bad Grönenbach  /  Wenn Umbau auf Umbau auf Umbau aufbaut

Bauherrin  Ursula Köhler Architekt  Alexander Nägele, SoHo Architektur, Memmingen Ursprungsbau  1900 Fertigstellung Umbau  2012 Standort  87730 Markt Bad Grönenbach Lage  Weiler

Seit 50 Jahren ungezwungene Wohnlichkeit: Die Stube mit Holzdielen, geputzter Wand, Kassettendecke mit Unikatdrucken des Künstlers Peter Rudolf, einigen Bildern und einfachem, aber hochwertigem Mobiliar.

Manchmal liegt die Umwandlung eines alten Bauernhauses in den Lebensraum eines Städters schon so weit zurück, dass der erste Umbau durch einen weiteren überformt wird. Wer das erstaunlich findet, übersieht, dass sich der alte Typus des Bauernhauses selbst in einem ständigen Wandel befand. So ist es kaum auszumachen, wie das Haus denn ursprünglich ausgesehen hat. Der Weiler liegt in topo­ grafisch für das Unterallgäu ungewöhnlich bewegter Gegend mit viel Wald und einem Moor vor dem Haus – nichts für eine großräumige Landwirtschaft. So verwun­ dert es nicht, dass der Hof in frühen Zeugnissen als „Sölde“ bezeichnet wird – ein kleines „Gütl“, das mit einer Handvoll Hektar für die Selbstversorgung kaum reichte. Die früheste Erfassung 1824 im Urkataster zeigt ein Bauernhaus in den Maßen von circa 10 × 20 Metern. Noch heute wird der Wohnteil mit Stube und Gaden (Kammer) von einer rund 50 Zentimeter starken Außen­

152

Das alte Bauernhaus, Fachwerk auf steinernem Sockel, mit gemauertem Anbau zum Hang, seit 50 Jahren Ersatzbau für einen Holzstadel. Hinter dem schattigen Obstgarten gewähren viele Fensterflächen einen hellen Wohnraum.

153

Blick aus dem großen Fenster des Wohnraums mit Bibliothek und Galerie – Durchblicke und Lichtführung vom First bis ins Erdgeschoss zu jeder Tageszeit ist Thema dieses white cube.

wand gefasst – gewiss der Kern des Hauses. Darauf sitzen die Fachwerkwände des Obergeschosses mit Schlaf­ zimmern auf, darüber erhebt sich ein circa 45 Grad steiles Sparrendach. Stube und Kammer werden durch einen breiten Flur verbunden, doch wie das Haus von hier aus weiterging, liegt im Dunklen. Seine heutige Länge sowie zwei Wiederkehren sind den Erweiterungen des Wirt­ schaftsbereichs zu verdanken, der sich von einem Subsis­ tenzbetrieb mit einer Handvoll Rinder zu einer kleinen Landwirtschaft mit zehn bis zwölf Rindern entwickelt hat, was der bewirtschafteten Fläche von zuletzt 10 Hektar entspricht. Einem weiteren Wachstum waren somit Grenzen gesetzt – und damit das Ende der Landwirtschaft in den 1970er­Jahren vorprogrammiert. In dieser Zeit eröffnet Manfred Köhler in Memmingen seine Zahnarztpraxis. Doch es sind mindestens zwei Leidenschaften, die ihn darüber hinaus – ganz Kind seiner Zeit – umtreiben: Autos und Musik, konkreter: Oldtimer aller Art und das, was heute „Heimat­Sound“ heißt. Für das eine braucht es Platz, für das andere wenig Nachbar­ schaft – beides ein Problem in der Stadt, nicht jedoch am Land. Kein Wunder, dass sein Blick auf diesen Weiler „hinter den sieben Bergen“ fiel, zumal es familiäre Bande nach Grönenbach gibt. So kann er 1975 das Haus für wenig Geld erwerben, genau zu der Zeit, als beginnt, was

154

Das Haus vor einem halben Jahrhundert – dem Zeitgeist gemäß ist jede bauliche Differen­ zierung unter einer einheitlichen Putzschicht erstickt, dazu gibt es Standardfenster.

Grundrisse Bestand

GRUNDRISS ERDGESCHOSS M 1:200

B

A

A

1

22

1

2

1

2

1

3 3

3 3

6

66 GRUNDRISS ERDGESCHOSS M 1:200 5 4

5

7

7

4

8

B

A

4

A

B

Erdgeschoss 1 Wohnen 2 Luftraum 3 Küche 4 Wohnen 5 WC 6 Dusche 7 Garage / Werkstatt

4

5

7

1

2

Obergeschoss 1 Galerie 2 Luftraum 3 – 4 Zimmer 5 Flur 6 Bad 7 Garage / Werkstatt 8 Schlafzimmer

Dachgeschoss 4 Zimmer

1 – 2 Luftraum 3 Galerie

3 6 5

7

4

Grundrisse Umbau B

2

1

1

2

1

2

3

3

6 7

8

Erdgeschoss 1 Wohnen 2 Luftraum 3 Küche 4 Wohnen 5 WC 6 Dusche 7 Garage / Werkstatt 8 Flur

4

8

3

5

4

7

4

6 9

5

Obergeschoss 1 Galerie 2 Luftraum 3 Bibliothek 4 – 5 Zimmer 6 Flur 7 Garage / Werkstatt 8 Bad 9 Schlafzimmer

Dachgeschoss 1 Luftraum 2 Büro 3 Luftraum 4 Zimmer

Ansichten Bestand

Ost

155

Süd

West

Ansichten Umbau

Ost

Süd

West

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Fassadenschnitt Neues Fenster Ostseite

1

8

9

2 7

1 Deckleisten Metall 2 Pfosten­Riegel­ Konstruktion Holz 3 Zweifachverglasung 4 Staudenbeet 5 Randeinfassung mit Kiesschüttung 6 Luftraum 7 Geländer 8 Bibliothek 9 Einbauregal 10 Aufbau Boden EG: Fliesen, Estrich, Fußbodenheizung, Betonbodenplatte

3 6

4

5 10

156

später Strukturreform genannt wird und vielen kleinen Landwirtschaften das Aus beschert. Drei Jahre wird nun umgebaut – das übliche Ausräumen, Instandsetzen der Wohnhauswände, Entfernen von Wandverkleidungen und Freilegen des Fachwerks, Einbau gegliederter Fenster sowie – nach Plänen von Architekt Lechleitner – der Ersatz einer maroden, hölzernen Wiederkehr durch einen gemauerten Gebäudeteil gleichen Volumens. Dieser Teil ergänzt die Raumfolge von Stube und Küche um einen Wohnraum, der bis unters Dach reicht und mit einer Galerie zur Attraktion des Hauses wird. Fotos aus dieser Zeit zeigen, dass hier Wohnen weit interpretiert wurde – es war ein Ort des Musizierens und Feierns mit Musikanten und Fans. Natürlich war das künstlerische Interesse nicht auf Musik beschränkt, und so wurde dieser Raum im „alternativen Stil“ gestaltet mit viel Holz – an Wänden und Dachschrägen, Regalen und Treppe sowie der Konstruktion der Galerie – und einem großen Fenster. Die Küche durfte in ultramarin gestrichen werden. Nur die Stube behielt den alten Boden und die weiß geputzten Wände. Die Kassettendecke erhielt einen Schmuck vom Memminger Künstler Peter Auf der Südseite, den Moorwiesen zu- und von der Straße ganz abgewandt, entfaltet sich der private Freiraum mit Pflaster aus geknackten Wacken, Bauerngarten, Remisen, Obstbäumen und eigenem kleinen Badesee.

157

Die neue, durch Versetzen einer Wand vergrößerte Küche im Zentrum des Hauses zwischen Ess- und Wohnzimmer. Helle Einbauten, Solnhofer Platten am Boden, indirektes Licht aus abgehängter Decke, direkter Zugang zum Garten.

Rudolf. Dem knapp bemessenen Raum mit einer Höhe von wenig mehr als 2 Metern kam zugute, dass der Kachelofen durch einen gusseisernen Jugendstilofen ersetzt werden konnte, den man beim Umbau des Grönenbacher Schlosses vom Müll holte. Die restlichen Räume – Stall, Milchkammer und der große Bergeraum – wurden aufs Einfachste in Werk­ stätten, Gästezimmer und Hauswirtschaftsräume ver­ wandelt. Sie dienen heute überwiegend der mittlerweile beachtlichen Sammlung an Traktoren und Pkws. Der nächste große Umbau betraf 2003 Umfeld und Garten im Süden nach Plänen von Architekt Max Eichenauer. Ein hierher translozierter Stadel und Bienen­ häuser bilden mit einem Bauerngarten, einer großzügigen, gepflasterten Terrasse und einem Naturpool einen Raum, der im nahen Moor, einem Wäldchen und den entfernten Hügeln ausklingt. Dann begann 2009, dreißig Jahre nach Bezug, ein neuer Anlauf. Auf die Frage von Architekt Alexander Nägele, ob man denn in einer finnischen Sauna wohne, musste Hausherrin Ursula Köhler erst mal schlucken. Danach ging’s der Fichte an den Kragen. Dachflächen, Wände und Decken – darunter die des unter den First gehängten Büros – wurden in eine Komposition präziser weißer Flächen verwandelt. Die Galerie wurde um eine Bibliothek erweitert, die Brüstung in eine Bank mit Stauraum verwandelt. Regale und die Treppe unters Dach Seit dem letzten Umbau prägt heller Natur­ stein über der Fußbodenheizung das Erdge­ schoss, dazu das Holz in der Stube. An den hölzernen Anbau erinnert die alte Blockwand; ins Obergeschoss führen massive Blockstufen.

158

„Das   Wohnen in alten Gemäuern gibt ein angenehmes Raumund Klimaempfinden. Wenn der Ofen im Winter an ist, sitze ich gerne oben im Sessel und schaue über die Zitronen in den Himmel. Bei großer Kälte ist der Ofen in der Stube der wärmste und für mich angenehmste Ort – und die Schneeflocken am Fenster zum Garten zu betrachten, ist wunder­ schön.“ [Ursula Köhler] werden mit bunten Büchern und gefaltetem Holzbelag zu Raumskulpturen. Der neue Eichenboden der Galerie greift in den Altbau über und bindet den Flur des Obergeschos­ ses bis zur Südwand ein, wo ein großes Fenster in einem Alkoven aus Eiche den Blick ins Land inszeniert. Sitzt man im tiefen Sofa auf der Galerie, so zeigt sich, worum es bei einem gelungenen Umbau eigentlich geht: um Raum und Licht. Von hier fällt der Blick an einem sonnigen Tag geradeaus in den tieferen Wohnraum und durch das große Fenster in den Obstgarten, zur Seite den Flur entlang durch den Alkoven auf die Hügel im Süden und

Von Beginn an haben sich langes Bauernhaus und kurzer Querbau deutlich unterschieden. Das ist heute nicht anders, nur die Mittel haben sich geändert: War das Haus einst aus Holz, so mutet es heute fast wie ein Glasbau an.

nach oben durch ein großes, rahmenlos verbautes Dach­ fenster ins unendliche Blau des Himmels. Der letzte Streich erfolgte 2012. Der bisher verbaute Flur im Erdgeschoss wurde geöffnet, die Küche vergrößert und neu eingerichtet, eine alte Strickwand transloziert und das Erdgeschoss mit Solnhofer Naturstein ausgelegt. Das makellose Weiß der Kücheneinbauten und der abgehängten Decke mit ihren Einbaustrahlern kontrastiert mit dem Ocker des Natursteins und dem gebürsteten Edelstahl der Küchenarbeitsflächen. Damit lässt sich gut leben. „Egal, ob zu zweit oder mit vielen: Es gibt immer Platz und vielfältige Räume“, so die Bauherrin, die den Satz des Architekten inzwischen gut verdaut hat. „Das Licht auf den weißen Wänden ist immer ein Erlebnis, ob die Sonne scheint oder der Mond oder Schnee auf dem Dachfenster liegt. Der Kontrast dieses lichten Raumgefüges mit der kuscheligen Stube ist ein Gewinn.“ Dem stimmt auch ihr Mann zu, den es eher in die Stube zieht, dessen Sammlerleidenschaft aber „im Rundherum viel Platz findet. Die vielfältigen Räume, die vielen Tage im Süden vor dem Haus, das ist eigenes Leben – verreist sind wir schon länger nicht mehr.“

159

Das Projekt steht für das Erkennen und Erhalten von auf den ersten Blick unscheinbaren Bestandsqualitäten und ein sensibles Weiterbauen mit dem Ergebnis einer interessanten, baulich-zeitlichen Schichtung: Der ungewöhnlich, weil traufseitig und flächenbündig an den Giebel des alten Bauernhauses angefügte Körper aus den 1970er-Jahren wird erhalten. Der Architekt transportierte das Interieur des Anbaus, vor einem halben Jahrhundert durchaus den damaligen Zeitgeist spie­ gelnd, in eine heute aktuelle Raumgestaltung und bindet mittels der Innenraumgestaltung den Anbau stärker an das Bauernhaus. Ein vielschichtiger Dialog zwischen den Elementen von drei zeitlichen Schichten ländlicher Baukultur entsteht.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

18

Türkheim  /  Zwanglosigkeit des Landes trifft Reichtum der Stadt

Bauherren  Manuela und Antanas Zakys Architekt  Franz Arnold, Memmingen Ursprungsbau  1713 Fertigstellung Umbau  2018 Standort  86842 Markt Türkheim Lage  innerorts

Was für ein Haus! Ein Bauernhaus soll das gewesen sein? Mit seinem auffallend üppigen Putzschmuck, der massi­ ven Bauweise, dem steilen Walmdach, den hohen Räumen und einer beinahe symmetrischen Fassade, ehemals betont durch einen Erker als Mittelrisalit? Einleuchtender erscheint, dass das Haus Teil der Schlossanlage war, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Türkheim entstand mit zentralen Bauten von immerhin Viscardi, Zucalli, Schmuzer. Tatsächlich geht das Haus auf diese Zeit zurück und bildet mit seinen Nachbarbauten eine Kette freistehender Bedienstetenhäuser mit kleiner Landwirtschaft. Was man der Anlage nach rund 300 Jahren nicht mehr ansah.

Ein Allgäuer Bauernhaus? Irritierend das Walmdach, das dem Bau allerdings erst 150 Jahre nach Errichtung aufgesetzt wurde, wie der Bauschmuck. Dem Original entspricht das Tennentor mit rechts Wohnung und links Ökonomie.

Für die beiden Unterallgäuer Manuela und Antanas Zakys, beide als Informatiker und Betriebswirte für viele Jahre in der halben Welt unterwegs und noch immer in der bayerischen Metropole viel beschäftigt, erwies sich das Haus bei ihrer Rückkehr in die Heimat als Volltreffer: Leben im Grünen auf dem Land, Kindergarten und Schule für den Nachwuchs in unmittelbarer Nähe und mit Bahn oder A96 gut angebunden. Das galt es freilich erst einmal zu „ent-decken“. Die Struktur des Bauernhauses musste wieder freigelegt werden. Dazu waren Fachleute gefragt. Der er­ fahrene Architekt Franz Arnold übernahm die Hauptrolle, Kreisbauamt sowie untere und obere Denkmalbehörde spielten engagiert mit. Womit hier das Vorurteil abgeräumt sei: Denkmalschutz behindert. Orientiert er sich am Kern der Sache und verliert sich nicht kleinlich in Details, ist er eine große Hilfe.

→  Ornamentaler Kratzputz von 1811. Auf den

Grundputz kam Glattputz, in den der Schmuck durch Auskratzen gearbeitet wurde; die Zwischenfelder erhielten grobkörnigen Spritzputz – eine einfache und erschwingliche „barocke“ Nobilitierung.

160

Ein Bauernhaus bestand typischerweise aus der zentralen Tenne, mit Wohnbereich und Stall auf je einer Seite. So eine Tenne ist das räumliche Zentrum jedes Bauern­ hauses dieser Gegend und sollte wieder zum Lebens­ mittelpunkt der Familie werden. Dazu musste der Erker weichen; wie erwartet kam das große Tennentor mit steilem gemauerten Korbbogen zum Vorschein. Das be­ herrscht nun die Ansicht wie den zweigeschossigen Raum dahinter mit großem Esstisch; rechts schließen offen die Küche und rückwärtig die Couchecke an, links liegen Flur und Wohnräume wie seit je. Hier konnte man sich auf erhaltende Sanierung beschränken. Die Tennen- und Stallzone dagegen wurde bis auf die Balkenlage der beiden Geschosse komplett entkernt. Als großer Gewinn erwiesen sich die massiven Wände, die innen mit 8 Zentimeter, außen mit 14 Zentimeter Dämmputz vergütet wurden. Auf der Südseite entfiel wegen der direkten Sonneneinstrahlung und des Schmuckputzes die Außendämmung. Dank großer Raumhöhen konnten neue Holzböden samt Fußbodenheizung problem­ los eingebaut werden; desgleichen die Decken als Tro­ ckenbau. So prägen nun die sichtbaren alten Balken und

Die Tenne, heute als Wohnküche Zentrum des Hauses, geht auf die ursprüngliche Raumord­ nung des Hauses zurück. Der Vorgarten verschafft genügend Distanz zum großzügig verglasten Tor.

In den 1930er-Jahren wurde das Bauernhaus umgebaut, in die Tenne ein Obergeschoss eingebaut und vor das Tor ein Erker gesetzt, der den Bogen mehr schlecht als recht verbarg.

162

Zusammenspiel von Alt und Neu: Die kaum sichtbare rahmenlose Verglasung schirmt die Galerie im Obergeschoss vom Essraum ab. Differenzierter, anstelle von einheitlichem Putz sowie altes neben neuem Holz beleben den Raum.

Grundrisse Bestand

5

5

7 4

6

8

3

11

2

1

13

6

4

9

9 10

7

8

3

12

2

4

1

13

10 2

1

15

5 7

3

12

Erdgeschoss 1 Flur 2 Wohnraum 3 Küche 4 Bad 5 Waschküche 6 Vorraum 7 Lager 8 Schlafzimmer 9 ehem. Stall 10 – 11 Flur 12 Küche 13 Wohnraum

11

6

14

Obergeschoss 1 Flur 2 Schlafzimmer 3 Küche 4 Bad 5 Lager 6 Loggia 7 Garderobe 8 Flur 9 Lager 10 Bad 11 Küche 12 Schlafzimmer 13 Flur 14 Schlafzimmer 15 Wohnraum

Dachgeschoss 1 Vorraum 2 Abort 3 Wohnraum 4 – 6 Schlafzimmer 7 Dachboden

Grundrisse Umbau

10 9 7

4 8

6

1

4 5

2

6

78

3

3

2

2

163

1

5

9

Obergeschoss 1 Flur 2 Luftraum Galerie 3 – 4 Kinderzimmer 5 Bad 6 Gästezimmer 7 Bad Einlieger 8 Flur Einlieger 9 Schlaf­ zimmer Einlieger

Dachgeschoss 1 Flur 2 Schlafzimmer 3 Ankleide 4 Bad 5 Kochen / Essen / Wohnen Einlieger

Ost

Nord

Ansichten Bestand

Süd

4

1

3

Erdgeschoss 1 Flur 2 Essen 3 Kochen 4 Wohnraum 5 Speisekammer 6 Büro 7 WC / Dusche 8 Garderobe 9 Hauswirtschaft 10 Werkstatt

5

Ansichten Umbau

Süd

Ost

Nord

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnung Schnitt ehem. Tenne

8

Dachaufbau 1 Ziegeldeckung (Biberschwanz) 2 Lattung, Konterlattung 3 Dachbahn 4 Aufdachdäm­ mung, Dampfbremse 5 Sichtschalung, ­balken

11

7

10

1 2 3 4 5

6

9

Bodenaufbau DG 6 Parkett auf Trockenestrich 7 Heizele­ ment / Holzweichfaser­, Gipsfaserplatte 8 OSB ­Platte 9 Dämmung im Fehlboden 10 historische Sichtschalung 11 historischer Deckenbalken Bodenaufbau EG 12 Parkett auf Heizestrich 13 Heizelement, Dämmung 14 Schweißbahn 15 Bodenplatte auf Filterkies

164

13

12

15

14

Blick in die Tenne aus der Galerie – angesichts des reichlichen Raumangebots alter Bauern­ häuser liegt die Rückbesinnung auf die räumliche Qualität des Ursprungsbaus nahe.

„Wohnen   in einem jahrhunderte­ alten Gemäuer bringt ein ganz anderes, behagliches Wohngefühl, auf das wir nicht mehr verzichten wollen. Die schönen Ausblicke entschädigen einen für Kompro­ misse, die wir eingehen mussten.“ [Manuela und Antanas Zakys]

165

weiße Wand- und Deckenflächen die Räume; lediglich über der Tenne ist eine Sichtholzdecke aus alten Dielen eingezogen worden. Zur Wohnung kommt eine Einlieger­ wohnung auf der Hälfte der Fläche des Ober- und Dachge­ schosses mit separatem Zugang. Zum Ausbau des Dachs wurde der historische Dachstuhl, der 1987 durch Brand beschädigt und notdürftig repariert worden war, im originalen Sinn erneuert; durch wohl­durchdachte Aufbau­ dämmung mit neuer Deckung konnte der historische Eindruck gesichert werden. Insgesamt verursacht so ein sorgfältiger Umbau für die zeitgemäße Nutzung mit denkmalpflegerischen Standards Kosten, die über einem vergleichbaren Neubau liegen. Sowohl Bauherr wie Architekt beziffern den Aufwand mit 115 Prozent. Dem steht freilich ein Zugewinn in Form von Zuschüssen, Förderung und Einsparungen infolge der Abschreibung gegenüber, der sich auf etwa 30 Prozent der Bausumme addiert. In der Summe hat sich das Unternehmen also auch finanziell rentiert. Doch der eigentliche Gewinn liegt im Wohlbefinden. „So ein altes Haus hat Qualitäten, die ein Neubau nie erreicht – es hat Geschichte, es lebt ganz anders in Zeit und Raum“, führt Manuela Zakis aus und hebt die Ein­bindung in den Ort hervor: Zum Kindergarten sind es

Die moderne Küche im einstigen Wirtschafts­ teil. Geringe Raumhöhen werden mühelos überspielt, wenn hohe Räume – hier der Essraum in der alten Tenne – anschließen.

wenige Minuten, die Schule ist gar im Blick, der ganze Einkauf ist mit dem Rad zu machen. Und: Sie haben einen Beitrag zum Ort geleistet. „Wir merken das in der ganzen Ortschaft: Jeder hat etwas über das Haus zu erzählen.“ Da wankt fast die Sachlichkeit des Architekten: „So soll’s sein: Der Bauherr ist zufrieden, und der Architekt nicht unglücklich.“ So hat denn ein langer Weg zwei Unterallgäuer wieder nach Hause geführt und einem alten Haus wieder seine Grundstruktur beschert. Das war dann den Denkmalpreis 2019 wert.



    Palimpsest nach De Quincey: „Immerwäh­ rende Schichten von Ideen, Bildern, Gefühlen sind auf deinen Geist gefallen, sanft wie das Licht, verbrannten scheinbar alles was vorher war, doch wurde in Wirklichkeit keine Einzige ausgelöscht.“

→  Beeindruckend, mit welch geringfügigem

Einsatz in vormaschinellen Zeiten stimmige Fügungen bewerkstelligt wurden – durch kraftschlüssige Versätze, Überblattung, Verzapfung und Holznägel.

166

Die Reihung der Häuser, reichlich Platz davor und der Ansatz einer Allee lassen die Einfügung in die barocke Schlossanlage erken­ nen. Auch wenn es aus der Zeit um 1800 stammt, unterstreicht das breit lagernde Walmdach diesen Eindruck.

167

Die Durchfahrt des Nebenhäuschens einer Schlossanlage war seit einem Umbau 1930 mit einem Erker verbaut. Diese konsequent zu öffnen und wieder zum Zentrum des ungewöhnlichen Hauses zu machen, ist als die grundlegend richtige Entscheidung bei Sanierung und Umbau des Gebäudes zu sehen. Denn die charakteris­ tische Struktur in Fassade und Erschließung wird so wiederbelebt und zudem eine außergewöhnliche Raum­ qualität erzeugt. Die Strategie, den Wirtschaftsbereich weitgehend zu entkernen und räumlich zur Durchfahrt zu öffnen, trägt zu dieser Qualität ebenso bei wie die Zweigeschossigkeit des vorderen Durchfahrtsbereichs mit ihrem offenen Blick ins Obergeschoss. Der Verzicht auf ein Wärmedämmverbundsystem, genauer gesagt die Entscheidung für einen sehr dicken Wärmedämmputz, stärkt die Materialität und Authentizität des histori­ schen Baus.  [Wolfgang Huß, Mitglied der Jury]

19

Pleß  /  Ein Haus wird zur gebauten Dorfgemeinschaft

Bauherrin  Gemeinde Pleß Architekt  Architekturbüro Sebastian Geiger, Pleß Ursprungsbau  1676 Fertigstellung Umbau  2008 Standort  87773 Pleß Lage  innerorts

Landwirtschaft nach Gutsherrenart. In dem mächtigen Gebäude horteten einst die Fugger die Abgaben ihrer Untergebenen. Entspre­chend solide sind die Ausführung der Massivsteinwände und der liegende Holzdachstuhl.

168

Staunenswert! Am südlichen Ende der Hauptstraße von Pleß tritt einem ein Bauwerk von beachtlichem Volumen und steilem Giebel geradezu in den Weg. Diesen Eindruck verstärken Giebelgesimse als Bauschmuck einer nahezu geschlossenen Fassade. Eine stattliche Erschei­ nung, die einen besonderen Bau in dem einst blühenden Bauerndorf heraushebt. Bei der guten (Er-)Haltung ist glaubhaft, dass es sich um das älteste Gebäude der Ortschaft handelt – älter als die Dorfkirche, die als größte Dorfkirche des Illertals gilt. Tatsächlich diente das Gebäude landwirtschaftlichem Gewerbe, wenn auch nicht als Bauernhaus. Es wurde 1676 als Abgabestadel von den Fuggern errichtet, die ihren Herrschaftsbereich nach dem Dreißigjährigen Krieg von Augsburg bis an die Iller ausgedehnt hatten. Wie fest ihre Absicht war, macht die Bauausführung deutlich: Noch nach 350 Jahren bilden die Umfassungsmauern aus Stein und der Ausbau aus Holz bis unters Dach die tragende Substanz – wo doch die Pflege eines Lagerraums eher nachlässig gewesen sein dürfte.

Das Erdgeschoss, heute Festsaal der Gemeinde. Die historische Konstruktion zeigt sich unverhüllt, die neuzeitliche Technik der Lüftung muss sich nicht verstecken.

169

Historischer Plan von 1892 anlässlich des Abbruchs der südlichen Gebäudehälfte. Das klare Gefüge des Holzbaus und die saubere Trennung von Holz- und Steinkon­ struktion werden deutlich.

Weniger Dauer war der Herrschaft selbst beschieden. Bereits 1719 wird das Gebäude der Reichskartause Buxheim nahe Memmingen überschrieben, fällt dann wieder an die Fugger und mit der Mediatisierung 1806 ans bayerische Königreich. Einen weiteren Eigentümer­ wechsel an die benachbarte Brauerei übersteht der Bau 1851 zunächst unbeschadet; doch 40 Jahre später erfolgt ein gravierender Eingriff. Der Bau wird durch Abbruch der halben Gebäudelänge auf die heutige Dimen­ sion gebracht – mit anderen Worten: Die Fugger hatten doppelt so groß gebaut! Der Bauplan von 1892 für die neue Giebelwand nach dem Abbruch gibt Aufschluss über die Konstruktion: ein bis zum First in 15 Meter Höhe reiner Holzbau, im Erdge­ schoss dreischiffig mit ursprünglich zehn, nach dem Abbruch fünf Jochen. Die Stützen sind über Büge mit den Balken auf Traufhöhe ausgesteift. Darüber erhebt sich ein doppelter, liegender Stuhl mit zwei Geschossen, das untere mittig unterstützt. Andreaskreuze in der Dachebene besorgen die Aussteifung, darauf kommt die Sparrenlage

Der Hauptzugang von Süden mit Foyer und angeschlossener neuer Treppe. Wie der historische Bestand ist die Ausstattung von bäuerlicher Robustheit.

Wo die Fenster im Giebel nicht ausreichen, ergänzen großzügige, flächenbündig in die Dachfläche integrierte Fenster die Belichtung, ohne das beeindruckende Dach zu sehr zu stören.

→  Nach dem Umbau wurden die Dachflächen­

fenster auf das Nötige beschränkt; die große Dachfläche und die abgeschleppte Zufahrt – heute Hauptzugang und Foyer – entfalten ihre Wirkung.

170

Grundrisse Bestand

1

2 1 3 2

Erdgeschoss 1 Aufgang Treppe KG 2 Treppenhaus EG – OG 3 Arbeitsraum Schreinerei

3

Dachgeschoss 1 Treppenhaus 2 Dachraum 1 3 Dachraum 2

Grundrisse Umbau

1 5 6

2

3

8 7

9 9

1 7

6

4

5

2

10 3

4

8

Erdgeschoss 1 Aufgang Treppe KG 2 Treppenhaus EG – OG 3 Foyer 4 Veranstaltungssaal 5 Stuhllager 6 WC barrierefrei 7 Buffet 8 Küche 9 Fluchttreppe

Dachgeschoss 1 Treppenhaus 2 Sitzecke 3 Probesaal 4 Küche / Bar 5 WC Damen 6 WC Herren 7 Lager 8 Aufgang Dach­ boden 9 Proberaum 10 Fluchttreppe

Ansichten Bestand

Nord­Ost

171

Süd­Ost

Süd­West

Ansichten Umbau

Nord­Ost

Süd­Ost

Süd­West

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnungen

1 2

Eingang Nord­Ost 3

1 Biberschwanzziegeldeckung 2 Steinwolle­ dämmung 3 Fußpfette 4 Pfosten­Riegel­ Konstruktion Glasfassade 5 Oberbelag Fliesen auf Estrich 6 Stahlbetonbodenplatte

4

5

172

6

Da kann man’s krachen lassen! Die massive Bauweise minimiert Lärmprobleme – ein Gewinn für die Musikprobenräume im Obergeschoss, die durch die neue Treppe separat zugänglich sind.

„Nach   den anfänglichen großen Zweifeln in der Gemeinde und auch bei der Musikkapelle wird nun der Stadel auch von der einhei­ mischen Bevölkerung und den Ver­einen genutzt, es kommen viele auch von auswärts. Beim Umbau waren vom ersten bis zum letzten Tag immer genügend freiwillige Helfer vor Ort.“ [Bürgermeister Anton Keller]

mit Unterbau für die Deckung des 53 Grad steilen Dachs, wohl immer schon mit Biberschwänzen. Diese Holzkonstruktion ist im Erdgeschoss durch Wände aus vorwiegend Ziegeln und Feldsteinen einge­ fasst. Mauervorlagen umgreifen die längsseitigen Holz­ stützen. Im alten, nördlichen Giebel bindet die Balkenlage in die gemauerte Wand ein, im neuen, südlichen bleiben tragende Holzstützen in der Mauer sichtbar. Traufseitig gab es mittig Einfahrten, gewölbt mit Korbbögen. Abge­ schleppte Dächer und konisch aufgehende Seitenwände boten guten Wetterschutz. Eigenartig ist ein gewölbt gemauerter Keller, der nur ein Viertel der Grundfläche einnimmt, in der Mitte des Gebäudes liegt, nicht mit der Stützenstellung im Erdge­ schoss korrespondiert und mit dem Scheitel der Wölbung 2,5 Meter unterhalb des Erdgeschossbodens liegt. Ins­ besondere der große Abstand zu beiden Giebeln unter­ stützt die Annahme, dass er nachträglich eingebaut wurde. Dafür spricht auch seine Nutzung als Eiskeller – für die benachbarte Brauerei. Die Kellertreppe seitlich der östlichen Einfahrt wird dank der schrägen Wölbung zu einer besonderen Raumskulptur. Nach 100 Jahren machte der Bau mit durchhängendem Dach einen desolaten Eindruck. Wieder wechselt der Besitzer; eine Familie Heise erwirbt ihn 1992 und beginnt mit der Instandsetzung. Der Restaurator setzt Dach und

173

Man gönnt sich ja sonst nichts: Den angeblat­ teten Kopfbändern dieses reinen Zweckbaus wurde dennoch ein barocker Schwung verpasst. Darüber die Sachlichkeit moderner statischer Ertüchtigung

Der möglicherweise nachträglich eingebaute Keller – als handwerklich ausgeführter Massivbau versteht sich das Gewölbe von selbst.

Holzkonstruktion instand und gleicht teilweise erhebliche Setzungen aus. Doch das Vorhaben, dort eine Schreinerei zu betreiben, scheitert; das Gebäude kommt 1999 unter den Hammer, und die Gemeinde erhält – dank guter Nerven, wie Bürgermeister Keller berichtet – den Zuschlag und ein jetzt saniertes Gebäude. Viele Freunde hat man sich damit zunächst nicht gemacht. Anfangs, so Keller, war das halbe Dorf fürs „Weg­ schieben“. Es war wohl einige Überzeugungsarbeit durch den damaligen Bürgermeister Peter Lessmann und das langjährige Engagement eines Arbeitskreises vonnöten, der Gemeinde den Erhalt ihres ältesten Gebäudes nahezubringen – nun mit neuer Nutzung als Veranstaltungsraum und Ort musikalischer Bildung, das eine im Erdgeschoss, das andere im großen Dachraum. Mit diesem Konzept gelang es, großzügige Förderung einzuwerben. Nach fünf Jahren begann die Planung, 2006 dann der Bau. Entschei­ dend war, dass nun die ganze Gemeinde an dem Unter­ nehmen teilnahm. Die Summe an Eigenleistung wurde nie

174

Das Haupttreppenhaus mit Blick in den Probenraum zeigt bis ins Treppengeländer sorgfältig durchdachte Details – mit den Handwerkern des Ortes auf deren Können hin entwickelt und ausgeführt.

ermittelt, war aber enorm; örtliche Betriebe arbeiteten zu Gestehungskosten. So entstand ein Gemeinschaftswerk. Unter Leitung von Architekt Sebastian Geiger wurde das Mauerwerk durch eine Horizontalsperre trockengelegt und die Dämmung im Dach ergänzt, ein Anschluss an das örtliche, durch Abwärme von Biogasanlagen gespeiste Nahwärmenetz hergestellt mit Fußbodenheizung im Erdge­ schoss und Heizkörpern im Dach, dazu eine Lüftungsanlage im Saal des Erdgeschosses sowie eine komplett neue Elektroinstallation. Die Raumbezüge wurden geklärt, sanitäre Einrichtungen und ein neues Treppenhaus sowie

Westseite mit Schrägsicht auf den Nordgiebel mit den ursprünglich kleinen Fenstern, größeren Türen unter dem vom dritten Dachboden auskragenden Kranarm. Die Öffnungen der Trauffassade sind original, die Fenstergliede­ rung entspricht der geänderten Nutzung.

eine offene Cateringküche neben dem Saal eingebaut. Putz und Anstrich sowie die Böden wurden erneuert; dazu kamen neue Holzfenster mit Iso-Verglasung sowie eine komplette neue Windfanganlage als raumhaltig verglaste Pfosten-Riegel-Konstruktion, innen reine Eichen-, außen Eichen-Alu-Konstruktion. Nicht zu zählen die klärenden Gespräche bis hin zu den Einrichtungsdetails. Spannend war die Baustelle, erinnert sich Geiger, mit Besuchen mehrmals die Woche. Ihm sei daran gelegen gewesen, den einfachen Charakter des landwirtschaftli­ chen Zweckbaus zu bewahren und von zeitgeistigem Design abzusehen, Details – etwa die Treppe und ihre Geländer – für örtliche Handwerker zu entwickeln sowie solider Ausführung Vorrang einzuräumen und – so die Worte von Bürgermeister Keller – „akribisch“ auf gutes Funktionie­ ren zu achten. Indem die Biografie des Bauwerks weiter­ geschrieben wurde, wurde die Identität des Ortes gewahrt. Das Haus ist seitdem bestens ausgelastet. Private Feste und Feiern, Treffen der Vereine, Veranstaltungen von auswärts – jede Woche ist etwas los. Den 18 Vereinen steht einmal jährlich eine mietfreie Nutzung zu – der Dank

175

der Gemeinde für den Einsatz beim Umbau. Ohne diesen Obolus würde das Haus sogar schwarze Zahlen schreiben, doch das, so der Bürgermeister, sei es der Gemeinde wert. Und Alt-Bürgermeister Lessmann bestätigt: „Für den Ort und weit darüber hinaus ist dieses, unser Haus gar nicht mehr wegzudenken.“

Die kulturhistorisch wertvolle Bausubstanz des Zehent­ stadels wird durch die Umnutzung zu einem Haus für die Gemeinschaft und bekommt dadurch eine neue gesellschaftliche Bedeutung.  [Walter Felder, Mitglied der Jury]

01 Görisried S. 16

02 Halblech S. 24

Einfamilienhaus, Gästebereich, Lager

Rothmoos Halblech Halblech Halble Halblech Roth Rothmoo Rothmoos Rothmoos Hochre Hochreute Hoch Hochreute Hochreute Hochreute Nesselwang Nesselwang Nesselwang Nesselwan Nesselw Nessel Unterthinga Unterthing Unterthingau Unter Unterthi Pfronte Pfronten Pfron Pfronten Pfronten Pfronten Türkheim Türkhei Türkheim Türkheim Oberstdorf Immenstadt Oberstdorf Oberstdorf Oberstdo Türkheim Immenst Imme Oberst Ober Wald Wald Wald Wald Wald Immenstadt Immenstadt Immenst Immenstad Pless Pless Pless Pless Pless Ples Ried Unterthingau Ried Ried Ried Ried Ried Unterthi Unterthing Unterthingau Unterthingau

Nesselwang Heimenkirch Heimenkirch Heimenkirc Heimenkirch Immenstadt Immenstadt Immenstadt Immenst Rothmoos Imme Imm Rothmo Rothmoos Oberst Oberstdorf Ober Oberstdor Oberstdorf Rot Roth Oberstdorf Görisried Görisried Görisrie Ried Ried Ried Ried Ried Michelhof Michelhof Michelhof Michel Görisried Görisried Görisried Görisried Pless Ples Pless Pless Mich Mi PlessPless Halblech Halble Hal Türkheim Türkheim Türkheim Türkh Türkhei Quervergleich

03 Nesselwang S. 32

04 Pfronten S. 40

05 Wald S. 50

06 Unterthingau S. 58

1 Wohnung, Atelier, Lager

1 Wohnung, Garage

1 Wohnung

1 Wohnung, Stall, Scheune

Friseursalon, Café, 2 Wohnungen, Garage

311 m² 130 m²

350 m² 150 m²

199 m² 54 m²

234 m² 32 m²

300 m² 350 m²

379 m² 274 m² + 249 m² (Gewerbe)

22 °

19°

16°

16 / 17,6°

18°

19°

22,2 × 20,8 m 12 × 10,4 m

25 × 17,9 m 20,8 × 14,1 m

27,5 × 24 m 14,2 × 14 m

18,3 × 9,8 m 12 × 9,8 m

26 × 29,4 m 13,5 × 15 m

27 × 20 m 13,5 × 14 m

Wärmeerzeugung

Wandheizung (Brennwert­ system, Flüssig­ gas)

Scheitholz­ heizung

Gas­Brennwert­ kessel, Schweden­ ofen

Gasheizung mit Gastank, Kachel­ und Holzofen

Zentralheizung (Gas), Kachelöfen

Luft­Wasser­ Wärmepumpe mit Kaltdampfein­ spritzung

Wärmeübergabe

Wand, Heizkörper

Heizkörper, Fuß­ bodenheizung

Bauteiltemperie­ rung in Wänden und Böden

Sockelheizung (Heizrohre mit Aufsatzlamellen)

Heizkörper, Fußbodenheizung, Kachelöfen

überwiegend Deckenheizung, zusätzlich: Gebläsekonvekto­ ren, Fußboden­ heizung

Bauaufgabe

Bestand Umbau Ersatz

Nutzung

Nutzungseinheiten

Flächen

Wohnfläche sonstige Nutzfläche Dachneigung

Giebelansicht

l×b

Gesamtgebäude ehem. Wohnteil

Beheizte Räume ehem. Stallteil

Anpassung Raumhöhen ehem. Wohnteil

Nachrüstung Wärmedämmung ehem. Wohnteil

Fenster ehem. Wohnteil

177

10 Immenstadt S. 92

Wohnhaus, ehemalige Stallung

1 Wohnung, 4 Ferienwohnun­ gen, Gastronomie

2 Wohnungen, Garage

14 Wohnungen

267 m² 330 m²

217 m² 810 m²

280 m² 87 m²

19° / 30°

34°

13,9 × 10,5 m 11,9 × 17,9 m

Nesselwang Nesselwang Nesselwan Nesselw Nessel Nesselwang Hochreute Hochreute Hochreute Ried Hochre Hoch Heimenkirch Heimenkirch Heimenkir Heimen RiedRied Ried Ried Ried

09 Immenstadt S. 84

Pfronten Pless Pless Pless Bolsterlang Bolsterlang Bolsterlan Bolsterl Pfronten Pfronten Pfront Pfronten Pfronten Pless Ples

08 Kempten S. 74

Hochreute Oberstdorf Oberstdorf Oberstdor Hochreute Hochreute Hochr Oberst Hochreu Ober Hochreute Michelhof Michelhof Michel Mich Mi Michelhof

Pless Pless Pless Ples Pless Nesselwang Nesselwang Nesselwan Pless Arnach Arnach Arnach Arna Immenstadt Immenstad Immenst Immen Imm Immenstadt Nesselw Nessel

Immenstadt Immenstadt Immenst Immen Imm Nesselwang Nesselwang Nesselwang Nessel Nesselwa Buchen Buch Buchenbe Buchenber Buchenberg Nesselwan Michelhof Michelhof Michel Mich Mi Oberstdorf Oberstdorf Oberstdorf Ober Oberstd Oberstdor 07 Buchenberg S. 66

11 Immenstadt S. 100

12 Bolsterlang S. 108

13 Obermaiselstein S. 116

Tagungszentrum

3 Wohneinheiten, Garage

3 Wohnungen, Lager

1010 m² 240 m²

1170 + 360 m²

144 + 379 m² 172 m²

347 m² 204 m²

21°

30°

45°

18°

18°

26,3 × 14,2 m 12,7 × 12,7 m

17 × 14 m 9,5 × 14 m

35,5 × 14,5 m 12,7 × 14,5 m

52,5 × 18,5 m (Gesamtgebäude)

20,1 × 17,2 m 9,2 × 9,2 m

21,1 × 16,6 m 9,2 × 9,4 m

Pelletkessel, zentraler Ofen, Kachelofen

Brennwertkessel Erdgas, Solarthermie

Pelletkessel, Holzofen

Gastherme

Hackschnitzel, Geothermie

Pelletkessel, Kachelofen

Pelletkessel, Kachelofen

Heizkörper, Kachelofen (still)

Heizkörper, Deckenheizung, Fußbodenheizung

Heizkörper

Heizkörper

keine Angabe

Wandtemperie­ rung mit Kupfer­ heizrohren, Kachelofen

Fußbodenheizung

178

Einfamilienhaus, Gästebereich, Lager

15 Heimenkirch S. 134

2 Wohnungen, Keller

16 Arnach S. 142

Gemeindehaus

17 Bad Grönenbach S. 152

Wohnung, Garage

18 Türkheim S. 160

Einfamilienhaus mit Einliegerwoh­ nung

19 Pleß S. 168

Unterthing Unterthi Unter Unterthingau Unterthingau Unterthinga Unterthingau Hochreute Ried Unterthing Unterthinga Unterthingau Unterthingau Unterthingau Hochre Hoch Hochreute Untert Heimenkirc Unterthi Heimenkirch Heimenkirch Heime Heimenk

Nessel Bolsterlang Bolsterlang Bolsterlang Bolsterlan Bolsterl Michelhof Ober Mich Mi Michelhof Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Ried Heimenkirch Heimenkirch Heimenkirch Heimenkirc Heimenk Ples Nesselwang Arnach Arnach Arnach Arn Arnac Nesselw Nessel Nesselwang Rothmoo Roth Rot Rothmoos Rothmoos Rothmoos Rothmoos Rothmo Rothmoos Rothmoos Rothmoos Rothmoos Roth Rothm Görisried Oberstdorf Hoch Görisried Görisried Görisried Görisrie Oberst Ober Oberstdorf Türkheim Türkhei Türkh Türkheim Türkheim Türkheim Türkheim Pfron Halblech Pless Halblech Halblech Halble Hal Türkheim Türkheim Türkheim Türkheim Türkheim Bolsterlan Bolsterlang Bolsterlang Bolst Bolsterl Türkhei Türkheim Pless Ples Pless 14 Oberstdorf S. 124

Fort­ und Weiterbildungs­ zentrum für Musik

Bauaufgabe

Bestand Umbau Ersatz

Nutzung

Nutzungseinheiten

Flächen

307 m² 136 m²

210 m² 77 m²

510 m²

410 m² 640 m²

263 + 70 m² 331 + 98 m²

441 m² 253 m²

Wohnfläche sonstige Nutzfläche

18°

45°

51°

45°

45°

53°

Dachneigung

Giebelansicht

l×b

26,6 × 13,4 m 14,4 × 13,4 m

20 × 10,3 m 7 × 8,8 m

19,9 × 11 m 11,2 × 11 m

27,1 × 10,5 m 7,6 × 15 m

11 × 14,2 m (Gesamtgebäude)

21,4 × 19,1 m (Gesamtgebäude)

Gesamtgebäude ehem. Wohnteil

Beheizte Räume ehem. Stallteil

Anpassung Raumhöhen ehem. Wohnteil

Nachrüstung Wärmedämmung ehem. Wohnteil

Fenster ehem. Wohnteil

Holzofen, Ölheizung

Wärmepumpe mit Erdsonden, Solar­ kollektoren, Photo­ voltaikelemente

Gasheizung

Pelletkessel, Holzofen, Solarthermie

Erdgas

Nahwärmenetz

Wärmeerzeugung

Heizkörper

Fußbodenheizung, Kaminofen

Fußbodenheizung, Heizkörper

Heizkörper, Fußbodenheizung, Kachelofen

Fußbodenheizung

Fußbodenheizung, Heizkörper

Wärmeübergabe

179

Album

01

02

03

05

06

07

08

09

12

10

11

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Legende Album

01 Kapelle „Unsere Liebe Frau im Burgweg“, im Hintergrund Projekt 04 Pfronten, Foto Dr. Hubert Kindlert 02 Hof Haggenmüller bei Altusried (Archiv Alois Kracker, Altusried) 03 Ort unbekannt, evtl. Reinhardsried (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried) 04 Anwesen Diepolder, Einöde, 1927 (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried) 05 Hauptmannsgreut, vermutlich 1950 er­Jahre (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried) 06 Projekt 03 Nesselwang, Familienfoto 1938 (Archiv Martin Kopp) 07 Hof mit zugehörigem Grundbesitz in der Ajen, Hirschdorf bei Kempten, Zeichnung 1868 08 Hof Riedschneider bei Zadels, Ronsberg (Archiv Familie Schröck, Kempten) 09 Ort unbekannt, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

10 Ort unbekannt, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried) 11 Projekt 03 Nesselwang, Hochzeitsfoto (Archiv Martin Kopp) 12 Einödhöfe zwischen Wiggensbach und Altusried, 1928 (Foto Michael Haggenmüller) 13 Beim Schreiner in Winnings, Wiggensbach, um 1914 /15 (Archiv Alois Kracker, Altusried) 14 Projekt 04 Pfronten, mit Kapelle „Unsere Liebe Frau im Burgweg“, Foto Eberle Verlag, Alt­Pfrontener­Photoalbum Bilder von den Anfängen der Photographie bis 1930, Pfronten 1984 15 Projekt 03 Nesselwang, Foto Albert Haug, Gschwend, 1981 16 Ort unbekannt (Archiv Alois Kracker, Altusried) 17 Herkunft unbekannt 18 Ort unbekannt, Sennerei, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

19 Hof Buchenbrunn bei Markt Rettenbach (Archiv Familie Schröck, Kempten) 20 „Gruß aus Blockwiesen“, Postkarte (Archiv Roland Rasemann, Leutkirch) 21 Projekt 03 Nesselwang, Klaus Jäger, Kaufbeuren (Archiv Martin Kopp) 22 Ort unbekannt (Archiv Roland Rasemann, Leutkirch) 23 Umbau eines Anwesens in Urlau, ca. 1905 (Archiv Christian Skrodzki, Leutkirch)

Variation eines Typs – das Allgäu-Haus

Ja, das gibt es: das Allgäu-Haus. Die Literatur der Hausforschung kennt diesen Begriff. Indes ist es gar nicht einfach, diesen Begriff mit den in dieser Region verbreiteten Hausformen zur Deckung zu bringen – zumal bereits die Region selbst kaum zu fassen ist. Hinzu kommt der Wandel des bäuerlichen Tuns und Bauens im Lauf der vergangenen 500 Jahre. Im Folgenden ein Gespräch auf der Suche nach einem Typ.

oder West-Ost-Richtung verlaufen. Diese regelmäßige Ausrichtung von West nach Ost ergibt eine eigene kultur­ landschaftliche Prägung und macht den Unterschied zum Schwäbischen, wo sich die Wohnteile an der Straße gegenüberstehen.

Am 11. Januar 2022 trafen sich Florian Aicher (FA), Anton Hohenadl (AH), Bernhard Niethammer (BN) und Franz Vogler (FV) im Bauernhofmuseum Illerbeuren zu einem Gespräch. FA 25  Jahre ist es her, dass sich das nahe Rotisforum das Thema Allgäu-Haus vorgenommen hat. Franz Vogler, du erinnerst dich? FV Gewiss! Das Wort hatte etwas Schlagwortartiges für etwas, das niemand recht anpacken wollte – das Bauen dieser Region. Es wurde freilich bald klar, dass ein Wort für die Vielfalt der Hauslandschaft dieser Region nicht reicht. FA Schließt das aus, dass es Merkmale gibt, die den historischen Bauernhäusern des bayerischen und schwä­ bischen Allgäus gemeinsam sind? Welche könnten das sein? FV Zunächst: Es wurde mit Holz gebaut. Im schnee­ reichen Oberallgäu mit flachen Dächern und verschindelten Wänden, im Unterallgäu mit steilen, strohgedeckten Dächern und Ständerbohlenwänden. Konstruktiv domi­ nierte Holz. AH Dazu kommt, dass alles unter einem Dach zusammen­ gefasst war: Mensch und Vieh, Wohnen und Arbeiten, Maschinen und Vorratshaltung. Wir sprechen vom Einfirst­ haus. Weiter gilt als übergeordnetes Merkmal die Orien­ tierung an Klima und Wetter. Eine kleinklimatische Schichtungsfolge von Westen mit Heustock, mittig gelegenem Stall und Tenne schließt im Osten mit dem Wohn­ teil ab. Das ist so in den Dörfern wie in den Einzelgehöf­ ten. Dabei ist es unerheblich, ob die Straßen in Nord-Süd-

195

Das Bauernhaus im Tageslauf der Sonne und der Hauptrichtung von Wind und Wetter

FV Diese grundlegende Anordnung wird jedoch immer modifiziert durch die Topografie oder die Dichte der geschlossenen Siedlungen. Das Beispiel Oberstdorf zeigt, wie im alten Ortskern diese Orientierung auch unter dem Druck der Erbteilung aufbricht. FA Ist man dagegen über Land unterwegs, so ist man selbst in dichtestem Nebel über die Himmelsrichtung orientiert, sobald ein Bauernhof in Sicht kommt. FV Es liegt nahe, dass die Bauten sich von den vorherr­ schenden Nord- bzw. Westwinden abwenden – schon die 6000 Jahre alten Bauten am Federsee zeigen das. Ebenso logisch, wenn auch nicht so alt, ist das Raumgefüge auf der Ostseite des Hauses. Zur Morgensonne, an der Süd-Ost-Ecke des Hauses, liegt die helle Stube, an der Nord-Ost-Ecke der elterliche Schlafraum, der Gaden. Zur Gebäudemitte liegt der Flur, erschlossen von der Mittagsseite.

1 + 2

3

6

4

2

5

1

2

1

5

6

FA Der Hof in der Mittagssonne vor dem Haus – das haben die Gehöfte der Region gemeinsam.

5

4

10

1 2

7

4 7 = 3

1

7

8

9

mit dem Haus in der Grundstücksmitte und der Zufahrt im Norden stört das vorhandene Dorfgefüge erheblich. Die Raum- und Erschließungsfolge von öffentlicher Straße, halböffentlichem Hofraum und privatem Wohn­ raum ist verloren.

4

2

7

1

8

9 5

5 1

1  Stall  2  Heustock  3  Hof  4  Gaden  5  Stube   6  Flurküche  7  Tenne  8  Flur  9  Küche   10  Remise

BN Und das gilt sowohl für das frühe Bauernhaus mit gemischter Vieh- und Feldwirtschaft als auch für das spätere mit Viehhaltung; das gilt auch bei handwerklicher Nutzung. Das Museum bearbeitet gerade einen Fall, wo über 200 Jahre so ein Haus mit 3-Raum-Wohnteil, Stall-Werkstatt und Heustock-Lager nacheinander von einem Kürschner, einem Nagelschmied und einem Weber genutzt wurde. Diese stabile Wechselnutzung bricht ein, als die Landwirtschaft zur intensiven Marktproduktion übergeht.

Die Entwicklung des Allgäuer Bauernhauses. oben  Vorläufer Paarhof, Frühform Bauernhaus Mitte  Seitenflurhaus mit Tenne und einem First unten  seitliche Erweiterung und Wechsel vom Mittertenn- zum Mitterstallhaus

BN Dabei ist der Flur weit mehr als ein Verbindungs­ raum. Er ist ein Multifunktionsraum von einer zur anderen Seite des Hauses, vom Erdgeschoss bis unters Dach, mit der Treppe entweder links vom Eingang oder am Flurende. Der Raum war ursprünglich bis unters Dach offen, der Rauch der Kochstelle zog durch die Dachdeckung ab. Entsprechend großzügig fällt der Raum aus, im Oberallgäu mehr als im Unterallgäu. Dieser Multifunktionsraum hält sich lange und wird erst allmählich ins eigentliche Wohnen integriert. Das kommt aus dem alpinen Raum und macht einen deutlichen Unterschied zum Zentralraum der Hallenhäuser weiter im Norden. AH Man betritt dieses Quer- oder Seitenflurhaus traufseitig von der besonnten, warmen Längsseite – wie auch Stall und Tenne. Der Vorraum des Hauses, der Hof, gehört wesentlich zu diesem Raumgefüge. Er spielt eine Haupt­ rolle, ist Lebensraum und Verbindung zur Straße. Die Stube in Ecklage ist Dreh- und Angelpunkt zwischen Außenraum und Hausinnerem. Die zentrale Bedeutung des Hofs als sozialer und ortsplanerischer Baustein des Dorfs ist bisher viel zu wenig beachtet worden. Wenn der Hof mit den leerstehenden Hofstellen verschwindet, dann ver­ schwindet der Charakter des Dorfs. Deshalb ist die Umnutzung so wichtig. Die Dörfer und Weiler im Allgäu sind in halboffener Bauweise erbaut: Das Haus ist an die nördliche Grund­ stücksgrenze gerückt, der Hofraum liegt auf der eher schneefreien Südseite. Die heute übliche offene Bauweise

196

Der Ort Hörmanshofen, Gemeinde Biessenhofen, ca. 1830 mit typischer Struktur: zum Flusslauf parallele Hauptstraße mit Ausweitung für den südlichen Hof vor dem Bauernhaus mit Stube an der Süd-Ost-Ecke.

FA Das gilt auch für die Mühlen der Region: einerseits der 3-Raum-Wohnteil, andererseits die Mühlentechnik statt der Räume für die bäuerliche Arbeit. AH Die regelmäßige Verteilung der Nutzung im Rhythmus der Gefache vom Wohn- zum Wirtschaftsteil bringt auch die typische Abfolge in der Ansicht des Gebäudes mit sich: der Wechsel bei Material, Art der Fügung, Dichtigkeit der Außenhaut und Anzahl der Öffnungen je nach Bedarf.

Die Holzkonstruktion des Wohnteils ist verputzt oder verschindelt; beim Wirtschaftsteil bleibt die Holzkonstruk­ tion offen, beim Heustock ist Durchlässigkeit in Maßen sogar erwünscht. Im Westen wirken die Gebäude ver­ schlossen mit grauem Wetterschirm aus Holz, im Osten der helle Giebel mit den typischen Fensterreihen. Jedes Haus hat ein eindeutiges Vorne und Hinten, ein Gesicht und eine Rückseite. BN Das zeigt die pragmatische Flexibilität des AllgäuHauses: Der Hausstock kann im Norden wachsen, der Wirtschaftsteil im Westen. Dagegen ist ein Fachwerkhaus etwa im Ries „endlich“, also abgeschlossen. FV Dazu trägt auch das flachgeneigte Dach bei. Von einer Ausgangslage mit drei Fensterachsen im Giebel geht das über fünf bis zu neun Achsen, einschließlich wechselnder Nutzung, etwa einer Wagenremise im Erdgeschoss. FA Auch die Südseite kennt Erweiterungen: den Ganter, ein Gestell zum Nachreifen der Feldfrucht, oder den Schopf. Und das Seitenflurhaus bewältigt den räumlichen Wechsel, den wachsende Viehhaltung mit sich bringt: Aus dem älteren Mittertennhaus wird das Mitterstallhaus. Nun liegt der Stall neben dem Wohnen, nicht mehr die Tenne. Das alles sind Gemeinsamkeiten. Was sind wesent­ liche Unterschiede? FV Das Haus des Oberallgäus, alpinen Ursprungs, ist ein Block- oder Strickbau. Der setzt den gerade wachsenden Nadelbaum voraus und hat strenge Regeln hinsichtlich Größe, Proportion und Fügung. 6 Meter Holzlänge sind ein Limit. Die Balken werden gestapelt, mit zunehmend komplizierten „Schlössern“ gestrickt, ein annähernd quadratischer Raum entsteht. Das ist das Maß der Stube, dazu kommt der halb so breite Gaden und mit dem breiten Flur ergibt sich wieder annähernd ein Quadrat. Bei den Walsern, die die Gegend vom Berg herab besiedelten, ergibt das einen Wohnkubus, dem ein Wirtschaftskubus zur Seite steht; der Giebel schaut ins Tal. Mit der Zeit, im flachen Gelände, wird beides unter einem Dach zusammen gefasst mit dem Arbeitsraum Tenne dazwischen.

Block- oder Strickbau des Alpenraums. Flach geneigtes Pfettendach

FA Im schwäbischen Bauernhaus sind über die Ge­ schosse durchlaufende Ständer prägend, darunter mächtige Firstständer bis zur Firstpfette, Auflager für die steilen Sparren des strohgedeckten Dachs, das sich über der Außenwand erhebt. Während Wand und Dach beim Blockbau als „gemauerter Holzbau“ (A. Seifert) zusammen entstehen, ist der Ständerbau ein Gefüge aus senk- und waagrechten Traggliedern, stabilisiert durch schräge Verbindungen – Bänder genannt. Wand und Dach sind deutlich geschieden. AH Der Ständerbohlenbau im Allgäu ist ein Fachwerk­ bau, allerdings in einem Block über beide Geschosse gezimmert und ausgefacht mit Bohlen. Bohlen sind statisch mittragende kräftige „Bretter“, eingenutet in die Ständersäulen. Das erlaubt weite Abstände der Ständer­ konstruktion. FA Der Ständerbau strukturiert den Hausstock; das Dach erhebt sich darüber als eigenes, stabiles Gefüge mit Sparren, die am First fest untereinander und am Fußpunkt im „Zerrbalken“ verankert sind. Beim Blockbau liegen die Dachbalken auf First- und letztem Wandbalken lose auf – Rafen genannt. Das Sparrendach muss steil, das Dach des Blockbaus kann nur flach sein. Beim reinen Sparren­ dach ist wenig, beim Rafendach etwas mehr Dachüber­ stand möglich.

AH Dem steht der Ständerbohlenbau im mittleren und unteren Allgäu gegenüber. Er führt Fachwerk- und Blockbau zusammen und optimiert die Anwendung des Materials Holz. Die räumliche Verteilung der Bauweisen deutet aber auch daraufhin, dass sich hier offensichtlich verschiedene Kulturkreise treffen, und zwangsläufig entwickeln sich auch Übergangsformen.

Ständerbohlenbau des Voralpenraums. Flach geneigtes Pfettendach mit Kaltraum

197

Haus der Übergangszone mit exzentrischem First, weitem Vordach, Flugpfette und Anbau

FV Im Westallgäu kommt noch der Einfluss des Fach­ werkbaus vom Bodensee dazu.

Fachwerkbau Oberschwabens mit Sparren­ dach und stehendem Stuhl

Beim Ständerbau erlaubt die gegenüber dem Hausstock eigene Struktur des Dachgefüges eine Verschiebung der beiden Strukturen. So zeigt sich im Übergangsbereich der beiden Bauweisen, dass sich die Mitte des Dachs gegen­ über der Mitte des Hausstocks nach Süden verschiebt. Damit wird dort ein weit auskragendes Vordach möglich mit der in dieser Gegend typischen „Flugpfette“. Das Vordach nimmt manchmal schräg zum Schopf hin zu. AH Man sieht, dass das beidseitig gleich geneigte Satteldach im Allgäu immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Flach geneigte Dächer zwischen 17 und 21 Grad reichten übrigens früher wohl bis zu einer Linie Buchloe – Memmingen.

Buchloe Memmingen

BN Doch bereits ein Lexikon über Schwaben beschreibt um 1780 den Kemptener Raum als wichtige Gegend der Rinderzucht – für Fleisch und Zucht. Rinderherden ziehen über Säumerwege bis nach Italien. Später – zur Zeit der napoleonischen Kriege – machen Walser mit Pferdezucht Geschäfte. Bis ins 18. Jahrhundert galten zehn Rinder als sehr viel; in unserer Gegend wird das schon früher zum Stan­ dard. Der Zusammenhang mit den Bemühungen des Klosters Kempten um wirtschaftliche Innovation nach dem Dreißigjährigen Krieg liegt auf der Hand – besonders als Vereinödung. Das bedeutet Aussiedlung, Schwächung der Dorfgemeinschaft, Wegfall des Flurzwangs und bringt wirtschaftlichen Aufschwung. Mit wachsendem Viehbe­ stand wachsen der Stall und das Haus – das sehen wir hier ab dem 17. Jahrhundert. FV Im Oberallgäu entspricht dem die Verbreitung der Alpwirtschaft. Die Talböden sind nun dem Heu für die winterliche Stallhaltung vorbehalten. Das beginnt schon im 16. Jahrhundert.

Kempten

Lindau

FA Soweit zur räumlichen Differenzierung; dazu kommt die zeitliche Dimension. Auszugehen ist von bäuerlicher Subsistenzwirt­ schaft – Selbstversorger, gemischte Frucht­ und Viehwirt­ schaft, wenige Rinder als Dreinutzvieh (Milch, Fleisch, Zugtier). Wenn, dann wird Flachs für den Markt verarbei­ tet. Entsprechend bescheiden das Haus mit Wohnkubus, Tenne, Stall, etwas Bergeraum.

Füssen

AH Da bereitet sich vor, was dann Fahrt aufnimmt mit Bauernbefreiung und freier Verfügung über Grund und Boden. Nun wird die umgetriebene Fläche so mancher Hofstelle deutlich größer.

Verbreitung der Konstruktionstypen nach Hoferer Fachwerk Ständerbohlenbau Block­ oder Strickbau Grenze zwischen Flach­ und Steildach

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FA Mit sozialen Konsequenzen. Großen Höfen stehen verlassene gegenüber. Die Auswanderung aus dem Allgäu steigt. Die landwirtschaftliche Lohnarbeit nimmt zu, andererseits auch das ländliche Handwerk, oft im Neben­ erwerb.

Mit Carl Hirnbein und Johann Althaus treten zwei Perso­ nen auf, die für den grundlegendsten Wandel der Allgäuer Landwirtschaft stehen – die Milchwirtschaft beginnt sich Mitte des 19.  Jahrhunderts durchzusetzen, hat an dessen Ende weite Teile erfasst und dominiert heute den gesam­ ten Raum. Ein regelrechter Technologieschub hebt an – ein Blick in die Zeitung des Milchwirtschaftlichen Vereins macht staunen. Vom Haushalt über den Stall bis zur Feldarbeit: überall neue Maschinen. Mit den ersten Schritten der Elektrifizierung führt dies zur Gründung zahlreicher Werkstätten auf dem Land. BN Im Nachbarort entsteht eine Firma für Hebezeug, die mit Heukran-Anlagen Furore macht. Im Umkreis von zehn Kilometern gibt es mehrere Traktor-„Fabriken“. Die Firma Fendt entwickelt sich aus einer Dorfschmiede. Diese Gründerzeit erreicht auch den Hausbau und bewirkt einen umstürzenden Wandel: die Versteinerung des bäuerlichen Holzhauses. AH Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden Ziegel zum Baustoff erster Wahl für Stall und Wohnteil, zunächst im Wohnhaus zum Brandschutz der offenen Feuerstelle. Die Ziegelherstellung breitet sich rasant aus, oft als Feld­ brand in den bäuerlichen Jahresablauf integriert, später in Kleinbetrieben. Lehm steht fast überall an. BN Ziegelherstellung war bis weit ins 19.  Jahrhundert Herrschaftsprivileg. Die Mengen und Transportwege für Herrschaftsbauten haben mit bäuerlichem Bauen nichts zu tun. Das wird erschwinglich mit kleinen Ziegeleien. Und wenn der Ofen auskühlt, wird Kalk gebrannt. Den Rohstoff lieferten die Gebirgsflüsse, der Strukturwandel die

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FV Auch beim Holz ist in Maßen Zweitverwendung gang und gäbe. Das erschwert die Datierung manchen Hauses. FA Die steinernen Bauernhäuser prägen heute das Landschaftsbild, mindestens nördlich von Kempten. Doch unter dem Putz versteckt sich manche Holzwand – nobilitiert durch einen steinernen Überwurf. Die landwirtschaftliche Lehre der Zeit begünstigt Stein. Fachverbände und Hochschulen (etwa Weihenstephan ab  1852) empfehlen den trockenen, gelüfteten, hellen Raum für die ganzjährige Stallhaltung von nun ein bis zwei Dutzend Rindern. Auch der Brandschutz zum nahen Heustock ist ein Argument. Zahlreich sind die wunderba­ ren Stallräume mit böhmischen Kappengewölben. AH Vor allem bringt die neue Wirtschaftsform erhöhten Bedarf an Bergeraum mit sich. Zunächst behilft man sich mit einer Aufsteilung der Dächer, vielfach bei verbrei­ tertem Hausstock. Die heute typischen weißen Giebel mit Dächern um 35 Grad gehen zurück auf diese Zeit. FV Also doch wieder Holzbau: ein neuer Dachstuhl, ein anderer Heustock wird nötig. Zunächst wird das Heu – arbeitsintensiv – über die „Tennenbohne“, die Decke über dem Stall, eingebracht. Erleichterung verspricht eine Obertenne mit Hocheinfahrt. Die ist oft nur möglich, indem die Dachrichtung des Bergeraums um 90 Grad gedreht wird; dabei wird der niedrige Schopf auf Firsthöhe gebracht. Die „Wiederkehr“ ist geboren, und frühe Bei­ spiele verbreiten sich um 1870 und 1880/90 in einem regelrechten Bauboom. AH Beim Dachraum über dem Wohnteil wird der Rauch­ abzug relevant. Ursprünglich zog der Rauch der Herd­stelle über eine Rauchkammer im Obergeschoss direkt durch die Dachdeckung ab. Erst im 19.  Jahrhundert verbreitete sich die Bauweise, den gemauerten Kamin über die Dachhaut zu führen. Die Lage der Feuerstelle war immer ein Festpunkt im Haus.

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Variationen des Allgäuer Bauernhauses im Umkreis von Legau 1  um 1700  2  um 1890  3  um 1910   4  um  1800

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Arbeitskraft. Aus mancher Ziegelei wird ein Großbetrieb, besonders wo es nicht weit zur Eisenbahn ist. Ein Plus des Ziegels: Er lässt sich gut wiederverwenden.

BN Die erste Bayerische Bauordnung ab 1860 schreibt einen solchen „russischen Kamin“ vor – gemauert mit eigenem Fundament bis über Dach. Parallel wird die Brandversicherung eingeführt. Der Austausch zieht sich über Jahre hin, mit allerhand Zwischenschritten, etwa einem Raum hinter dem Kamin für Kinder. AH Auch die nun rauchfreien und aufgesteilten Dächer wurden mit harter Ziegelbedachung versehen. Wirklich regendicht werden sie aber erst ab etwa  1860 mit dem Dachfalzziegel.

FA Daran muss erinnert werden angesichts dessen, was heute vermeintlich wirtschaftliche Effizienz hervor­ bringt. Wo bleibt der gestalterische Anspruch? BN Dabei kann man gerade an stattlichen Bauernhäu­ sern dieser Zeit über ökonomische Rationalität hinaus Architekturschmuck sehen – sofern er nicht abgeschlagen wurde. Heute dagegen sehen wir patentierte Standard­ lösungen, ohne Ansehen der Situation, ohne einen Gedan­ ken über den Tag hinaus. Historische Stufen der Holzverarbeitung und -fügung: Überblattung mit Holznagel, Zapfen und Versatz, Zange und Schraubbolzen

FA Das alles vollzieht sich in der 2. Hälfte des 19.  Jahr­ hunderts – in vielen Schritten. An manchen Details lassen sich diese ablesen – so am Abstand des Dachansatzes zur obersten Fensterreihe. Bei frühen Aufsteilungen, die am Sparrendach Schwabens orientiert sind, ist dieser Abstand klein. Gibt es einen Kniestock, wie beim Haus der Übergangszone, wird er größer und bei späteren Dach­ stühlen zum gemauerten Kniestock. Parallel wandelt sich die Konstruktion des Dach­ stuhls – vom stehenden zum liegenden Stuhl. Das ist begleitet von grundlegenden Neuerungen der Zimmerei: Reine Holzverbindungen wie Blatt, Versatz oder Zapfen werden um Zangenkonstruktionen mit Stahlverbindern ergänzt. Diese Zeugen eines frühen Ingenieurholzbaus kommen mit dem Eisenbahnbau ins Land. Damit werden enorme Dachüberstände auf der Hofseite möglich. Mit den breiten und erhöhten Giebeln, die oft ein 2.  Obergeschoss erlauben, erreicht dieser Haustyp seinen Höhepunkt – das stattliche Allgäuer Bauernhaus. FV Mustergültig zeigt dies der Bergeraum des Gutes Hochreute bei Immenstadt – Ingenieurholzbau auf der Höhe der Zeit. Bauherr war ein Industrieller aus Augsburg. Der Impuls dieses neuen Holzbaus geht bald in die Breite und lässt sich an vielen Bauten verfolgen. AH Der Wert dieser Wirtschaftsteile verdient mehr Aufmerksamkeit, gehen doch wesentliche Neuerungen von hier aus. BN Der genannte Raum des Hofgutes Hochreute ist technisch State of the Art, in Gliederung, Proportion und Beherrschung des Volumens ist es Architektur. Das ist ein Vorbild für die Bewältigung des Wandels in der Land­ wirtschaft.

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FV Eine Fehlentwicklung, die sich daran zeigt, dass viele solcher Bauten in immer kürzeren Intervallen abgebro­ chen werden, weil sie überholt sind. Gute Architektur und saubere Konstruktion dagegen haben Bestand und zahlen sich aus. FA Sagt denn das Stallbauunternehmen dem Landwirt, was die Entsorgung seiner Stahlhalle kostet? BN Es ist zwei Generationen her, da haben sich die Bauämter noch um Gestaltung, um charakteristisches Bauen bemüht. Heute herrscht dagegen reine Verwaltung. Niemand will sich eine blutige Nase holen, Selbstverwirk­ lichung ist Trumpf. FV Gute Beispiele gibt’s ja. Noch immer hilft es, sich des Baustoffs zu bedienen, der ansteht und das handwerklich gut umzusetzen. Muss denn ein Stall stützenfrei wie eine Industriehalle sein? Fingerspitzengefühl ist gefragt. AH Weiternutzen statt Abreißen ist anspruchsvoll, weil Wirtschaftsteile oft Hallenbauten sind und keine Wohn­ bauten. Sie für neue Zwecke, auch für Wohnen, zu öffnen, setzt neue Wege voraus – bei Bauherren, bei Planern, Handwerkern und auch Kommunen und Ämtern. In den Städten werden neue / alte Wohnformen ausprobiert. Auch in den Dörfern braucht es neue Wege, wenn wir den Bestand an Dörfern und Bauernhöfen nicht aufgeben wollen. Mit der Erhaltung und Weiterentwicklung unserer Gebäude werden wir uns wieder des eigenen kulturellen Wissens und seines Potenzials bewusst.

Fachteil

Konstruktive Strategien bei der Sanierung traditioneller Allgäuer Bauernhäuser Wolfgang Huß

Im Umbau jedes alten Bauernhauses steckt die einmalige Chance, einen Ort mit unverwechselbarer Atmosphäre zu schaffen, in dem die Bewohner Geschichte und Gegenwart gleichzeitig erspüren können. Neben dieser individuellen Qualität ist das Bewahren von historischen Häusern ein unschätzbarer Dienst an der Allgemeinheit, im besten Fall ein Gewinn für alle Beteiligten. Ohne gute Vorbereitung und fachkundige Beratung kann der Umbau jedoch schnell zu einem Abenteuer der eher unangenehmen Art werden. Um eine erste Orientierung zu bieten, werden im Folgenden die Sanierungsmöglichkeiten häufig verwendeter tradi­ tioneller Bauteilkonstruktionen und die erforderlichen Voraussetzungen beschrieben.

Anforderungen Eine Sanierung sollte mit einer gründlichen Aufnahme der Bestandssubstanz beginnen. Darauf aufbauend können die Planenden dann die Zielsetzung der Sanierung bestim­ men. Tragfähigkeit und Brandschutz sind auch bei einer Sanierung unverhandelbar und erfordern die Beratung von Fachingenieuren. Schallschutzanforderungen gelten nur bei mehreren Nutzungseinheiten, die bei tiefergrei­ fenden baulichen Eingriffen zumindest nach dem gesetz­ lich definierten Mindestschallschutz (DIN 4109 Schall­ schutz im Hochbau) voneinander getrennt werden müssen. Innerhalb einer Nutzungseinheit ist der Umgang mit dem Schallschutz eine Komfortfrage, die individuell entschieden werden kann. Eine energetische Sanierung ist im Sinne einer nachhaltigen Nutzung immer Bestandteil der plane­rischen Überlegungen. Bei baulichen Veränderungen an der Außenhülle eines Gebäudes greifen derzeit die Anforde­rungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), das bei denkmalgeschützten Gebäuden Abweichungen ermög­ licht.

Finanzierungshilfen Es empfiehlt sich, sich vor energetischen Sanierungen eingehend über finanzielle Fördermöglichkeiten zu informieren. Zu nennen wäre etwa die von Bund und Ländern gemeinsam betriebene Förderbank KfW (Kredit­ anstalt für Wiederaufbau). Sie fördert energetische Sanierungen, die Erweiterung von Wohnfläche und andere

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bauliche Maßnahmen, welche die Nachhaltigkeit eines Gebäudes verbessern. Je nach Programm erfolgt die Förderung mittels zinsgünstiger Kredite oder zusätzlich mit Tilgungszuschüssen. Die Höhe der Förderung wächst mit dem erreichten energetischen Niveau. Vor Beginn der Maßnahme muss eine Beratung durch einen qualifizier­ ten Experten für Energieeffizienz erfolgen. Dieser kann auch Auskunft über eventuelle lokale Fördermöglichkeiten geben. Auch die jeweilige Genehmigungsbehörde hilft hier in der Regel weiter. Insbesondere bei Maßnahmen an denkmalgeschütz­ ten Gebäuden lohnt es unbedingt, sich einen Überblick über steuerliche Vergünstigungen, Zuschüsse und Förderungen zu verschaffen. Neben einem Steuerberater stellen die Landesämter für Denkmalpflege Bayern bzw. Baden-Württemberg eine belastbare Informationsquelle dar.

Räumliches Potenzial und Herausforderungen Insbesondere die ehemals landwirtschaftlich genutzten Bereiche eines Bauernhofs bieten große Möglichkeiten für die Erweiterung der Wohnnutzung. Das großzügige Flächenangebot erlaubt es, sehr komfortable Einfamilien­ häuser oder auch mehrere Nutzungseinheiten, etwa für Mehr­generationenhäuser, zu organisieren. Die Nutzungs­ möglichkeiten beschränken sich jedoch keinesfalls auf das Wohnen allein. Moderne Lebensmodelle mit kombinier­ tem Wohnen und Arbeiten finden hier ebenso Raum wie auch völlig unabhängige, beispielsweise gewerb­liche oder öffentliche Nutzungen. Dem Potenzial in der Fläche steht meistens eine Herausforderung in der Höhe entgegen: Die Wohnräume von Bauernhäusern haben oft lediglich lichte Höhen zwischen 1,85 und 2,25 Meter. Erschwerend kommt hinzu, dass neue Deckenaufbauten zusätzlich Höhe erfordern, sodass gegebenenfalls in das Raumgefüge des Bestands eingegriffen werden muss. Projektabhängig kann ein Absenken des Erdgeschoss­ bodens Abhilfe schaffen. Das bietet sich an, da meist kein Keller vorhanden ist. Diese Maßnahme wird sinnvollerweise mit dem Einbringen einer Dämmschicht und einer Abdich­ tung gegen aufsteigende Erdfeuchte verbunden. Zu prüfen sind in diesem Fall die Konsequenzen für den Anschluss an das Gelände, die Sockelausbildung, bestehende Wand­innenoberflächen, Türen, Fensterbrüstungen und Treppen. Die Räume im Obergeschoss können möglicherweise durch ein Anheben der Decke über diesem Geschoss zusätzliche Höhe gewinnen. Eine weitere Variante ist die Entfernung dieser Decke, sodass das Dach zum Raum­ abschluss wird. In diesem Fall muss vom Tragwerksplaner vor allem geprüft werden, ob die Aussteifung des Hauses weiterhin intakt bleibt (Abb. 01)

Sanierungsmöglichkeiten

01 Möglichkeiten zur Anpassung der Raumhöhe

Eine mögliche Entwurfsstrategie besteht darin, mit einem zentralen zweigeschossigen Bereich partiell Großzügig­ keit in der Höhe anzubieten, wodurch die verbleibenden niedrigeren Räume eher Geborgenheit vermitteln als beengend wirken.

Gründung und Keller Gründungen der Allgäuer Häuser wurden häufig sehr sparsam ausgeführt, Verformungen und Durchfeuchtungen sind daher häufige Problemstellungen bei einer Sanierung. Die Standsicherheit, mögliche Setzungen der Bestands­ konstruktion, die Belastung aus aufsteigender Erdfeuchte und dem im Sockelbereich auftretenden Spritzwasser sind die Parameter, die über eine möglicherweise notwen­ dige Überarbeitung der Gründung entscheiden. Eingriffe in die Gründung und Abdichtungsmaßnahmen sind mit hohem baulichem Aufwand verbunden, für die nachhaltige Nutzung eines Gebäudes jedoch im Wortsinn fundamental, sodass dieser Bereich schon im frühen Planungsstadium und mit Expertise angegangen werden muss.

02 Schnitt Sockel mit Unterfangung des Bestands durch neue Stahlbeton­Fundamente

Ist das Gebäude massiv von Setzungen betroffen, weil die Bestandsfundamente zu knapp bemessen wurden, muss eine Unterfangung in Form von neuen Stahlbetonfunda­ menten ausgeführt werden (Abb. 02). Gerade bei Holzbau­ ten ist das relativ gut abschnittsweise möglich, da die Holzkonstruktion durch ihre Steifigkeit ein partielles Frei­ legen und Ausbauen der Bestandsfundamente oft ohne aufwendige Maßnahmen zur Abstützung erlaubt. Auch Mauerwerkswände können gut abschnittsweise unterfan­ gen werden, in diesem Fall muss jedoch kleinteiliger gearbeitet werden. Werden die Außenwände statisch unterfangen, kann in diesem Zuge mit minimalem Aufwand eine Feuchtigkeitssperre eingebracht werden.

Typische Konstruktionen im Bestand Auf ebenem Grund stehend sind die historischen Allgäuer Bauernhäuser meist nicht unterkellert. Aus hügeliger Topografie resultieren häufig Teilunterkellerungen, bei­ spielsweise in Form von kleinen, der Küche zugeordneten Lagerräumen. Gründungen bestehen aus oft sehr knapp bemessenen Streifenfundamenten, die in der Regel aus Feldsteinen gemauert wurden. Der Boden von nicht unterkellerten Erdgeschossen besteht bei älteren Gebäu­ den aus verdichtetem Erdreich, auf dem dann meist ein Holzdielenboden auf Lagerhölzern eingebracht wurde. Teilunterkellerungen sind teils als gemauerte Gewölbekeller ausgeführt, teils überspannen Holzbalken­ decken die Kellerräume. Beton kommt erst ab dem spä­ ten 19. Jahrhundert als Material für Bodenplatten, Funda­ mente und Kellerwände hinzu.

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03 Abdichtung gegen aufsteigende Erdfeuchte

Ist das Gebäude standsicher gegründet, jedoch massiv von aufsteigender Erdfeuchte betroffen, kann eine durchgehende Abdichtung Abhilfe schaffen (Abb. 03). Mauerwerkswände können zu diesem Zweck mit einer Horizontalsperre versehen werden. Dabei wird entweder mechanisch eine durchgängige Sperrschicht etwa aus Blechen abschnittsweise eingerammt oder das Mauer­ werk wird mit eng aneinanderliegenden Bohrungen versehen, durch die zur Abdichtung eine verkieselnde Flüssigkeit eingebracht wird (Bohrlochinjektion). Bei geringerer Feuchtigkeitsbelastung kann alternativ durch eine Beheizung der Außenwand mittels Heizleitungen im Sockelbereich ein funktionierendes Feuchtigkeitsma­ nagement erreicht werden. Eine permanente, jedoch

moderate Vorlauftemperatur trocknet dabei die Wand und unterbindet das Aufsteigen der Erdfeuchte (Abb. 04).

04 Bauteiltemperierung nach Henning Großeschmidt, Schnitt Sockel

Der erdgeschossige Bodenaufbau gegen Erdreich kann unter vertretbarem Aufwand mit einer Abdichtung gegen Erdfeuchte, einer Wärmedämmung und einer Dampf­ bremse ertüchtigt werden. Außenliegende Abdichtungen von Kellerwänden kön­ nen durch streichfähige mineralische Abdichtungen oder bituminöse Bahnen erreicht werden. Dafür ist ein Aufgraben der gesamten Kelleraußenwand bis zum Fundament erforderlich. Gleichzeitig können dann leicht noch Wärme­ dämmung und Drainage mitausgeführt werden (Abb. 05). Trotzdem ist es meist nicht ratsam, ehemals ungedämmte Kellerräume zu beheizen, da sich durch die warme Raumluft die Feuchtigkeitsbelastung für die Konstruktionen erheblich erhöht. Wesentlich kosten­ und energieeffi­ zienter ist das unterseitige Dämmen von Kellerdecken.

Außenwände Bei der Sanierung von Außenwänden soll neben der Instandsetzung meist auch die energetische Bilanz mit einer zusätzlichen Wärmedämmschicht verbessert werden. Dabei muss die Wärmedämmung in sorgfältiger Abstimmung mit dem Fassadenbild vorab genau geplant werden, um den Charakter und die Detailproportionen des historischen Gebäudes nicht zu verfälschen. Es lohnt sich, die Notwendigkeit und das Maß der Außenwanddämmung in Hinblick auf die energetische Bilanz kritisch zu hinterfragen. Im Vergleich zum Dach bzw. Dachraum und Boden bzw. Keller, wo ein hoher Dämmstandard oft leicht erreicht werden kann, sind bei den Wänden der finanzielle Aufwand und die Auswirkun­ gen auf die Architektur unverhältnismäßig groß. Typische Konstruktionen im Bestand Bei historischen Bauernhäusern sind grundsätzlich die Außenwandkonstruktionen von Wohnbereichen und Wirtschaftsräumen zu unterscheiden, die ihrer Funktion entsprechend unterschiedlich ausgebildet sind. Im Wirt­ schaftsbereich bestehen Wände in der Regel aus einfachen Stabwerken, die mit Brettschalungen bekleidet werden. Ein Stall dagegen ist häufig gemauert. Da diese Bereiche ganz unterschiedlich aus­ oder umgebaut, mit eingestellten Räumen versehen oder häufig auch ersetzt wurden und werden, konzentriert sich unsere weitere Betrachtung auf den Wohnbereich. Bauten bis zum 19. Jahrhundert weisen in der Regel zweigeschossige Holzkonstruktionen auf. Während im Westen und Süden des Allgäus der vollwandige Blockbau üblich war, wurden im Norden und Osten vorwiegend Ständerbaukonstruktionen in verschiedenen Varianten verwendet: Bei Fachwerkwänden bilden stehende Ständer, schrägstehende, aussteifende Streben und die liegenden Schwellen sowie die meist in Geschossmitte angeordne­ ten Riegel das Tragwerk. Die entstehenden Gefache wurden entweder mit hölzernem Flechtwerk und beidsei­ tigem Putz geschlossen oder auch mit Ziegelsteinen ausgemauert. Beim Ständerbohlenbau wurden die Felder zwischen den tragenden, mit Nuten versehenen Ständern mit Blockbohlen ausgefacht (Abb. 06).

05 Abdichtung von Teilunterkellerungen

Als Ergänzung von Abdichtungsmaßnahmen kommt ein raumseitiger Sanierungsputz infrage, der die Feuchtigkeit und die Salze, die bei austrocknenden Wänden austre­ ten, bis zu einem gewissen Grad aufnehmen kann. Als weitere Maßnahme können sensorgesteuerte, dezentrale Einzellüfter die Trocknung des Kellers unterstützen.

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06 Konstruktionsprinzipien von Wänden in historischen Holzgebäuden

In beiden Fällen verlangt die Konstruktion nach geradlinigen und schmucklosen Grundformen. Die Wandkonstruktion ist bei einem Blockbau entweder sichtbar belassen oder mit einer Fassadenbekleidung aus Holz versehen. Dabei kamen entweder vertikale Holzschalungen oder Holz­ schindeln zur Ausführung. Ab dem 19. Jahrhundert waren industriell hergestellte Nägel verfügbar, die den Auf­ wand für eine Schindelung deutlich reduzierten. Insbeson­ dere auf der Wetterseite sind solche Schutzschirme häufig ausgeführt worden. Die Holzbauten wurden ab dem 19. Jahrhundert teils nachträglich verputzt. Die Verbindung zwischen der Holz­ konstruktion und dem Putz wurde durch sogenannte „Bissen“, das sind dicht gesetzte Holznägel, in die Block­ bohlen eingeschlagene Kerben oder später auch mit aufgenagelten Strohmatten, welche die Wärmedämmung verbessern, bewerkstelligt. Bei manchen Gebäuden wurde eine ursprüngliche Holzkonstruktion später durch Mauerwerk ersetzt.

Porenbeton oder hochwärmedämmenden Ziegeln. Diese Schale muss jedoch in der Regel eine eigene Gründung erhalten, was den Aufwand erhöht. Bei Blockbauten muss in der Sanierung berücksich­ tigt werden, dass auch historische Holzkonstruktionen bei sich ändernder Luftfeuchtigkeit weiterhin quellen und schwinden. Das spielt bei dieser Bauweise eine besondere Rolle, da die Dimensionsschwankungen in erster Linie quer zur Holzfaser stattfinden und sich durch die überein­ ander gestapelten Holzquerschnitte summieren. So ändert sich die Geschosshöhe bei einer Holzfeuchteschwankung von 5 Prozent um etwa 2,5 Zentimeter. Daher sind hinter­ lüftete Holzbekleidungen technisch gesehen die robustere Variante gegenüber Putzsystemen. (Abb. 07)

Sanierungsmöglichkeiten Grundsätzlich kann man eine Wärmedämmschicht außerhalb oder innerhalb der Tragkonstruktion anbringen, im Fall von Ständerkonstruktionen kann die Wärmedäm­ mung auch in der Ebene der Konstruktion ausgeführt werden. Bauphysikalisch vorteilhaft sind eine außenlie­ gende Wärmedämmung und eine Dämmung zwischen den Ständern. 1. Außenliegende Wärmedämmung Bei Mauerwerkswänden kann diese in Form eines Wärme­ dämmverbundsystems, bestehend aus einer Wärme­ dämmung und einem Außenputz, aufgebracht werden. Die schlechte Recycling­Fähigkeit und die Schadensanfäl­ ligkeit vieler dieser Systeme sind gegenüber den sehr guten energetischen Eigenschaften abzuwägen. Eine sehr sorgfältige Ausführung von gut qualifizierten Fachfirmen ist Voraussetzung. Beim betrachteten Bautyp mit in der Regel zwei Geschossen sind Dämmungen aus nachwach­ senden Rohstoffen wie etwa Holzweichfaserplatten oder – an traditionellen Konstruktionen orientierte – Schilfrohr­ matten möglich, deren ökologische Bilanz wesentlich besser ausfällt als die von extrudierten Polystyrol­ oder Mineralwollplatten. Bei den Putzen gibt es eine große Bandbreite von Produkten; die Anwendung der traditionell üblichen Kalkputze ist auch heute noch empfehlenswert. Alternativ zu Wärmedämmverbundsystemen kommen Wärmedämm­ putze ein­ oder mehrlagig mit Schichtdicken von 3 bis 15 Zentimeter zur Anwendung. Diese Putze sind mit leichten mineralischen oder Polystyrol­basierten Zuschlä­ gen oder Aerogelen versetzt. Die Entsorgung ist weniger problematisch als die von Wärmedämmverbundsystemen, die Dämmleistung fällt im Vergleich jedoch geringer aus. Eine weitere mineralische Alternative bieten Vormauerungen aus sehr leichten Steinen wie etwa aus

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07 Außenliegende Wärmedämmung – Varianten der Konstruktion

2. Innenliegende Wärmedämmung Besonders im Fall von denkmalgeschützten Fassaden ist die bauphysikalisch anspruchsvollere und in der Dämm­ stärke beschränkte Innendämmung eine wichtige Option. Hinter einer raumseitigen Wandvertäferung etwa lässt sich diese Dämmung gut integrieren. Bei herkömmlichen Dämmmaterialien muss die Innendämmung auf der Raumseite mit einer sorgfältig ausgeführten Dampfbrem­ se vor Durchfeuchtung geschützt werden. Vor allem die Anschlüsse etwa an Deckenbalken sind unter Berücksich­ tigung aller Wärmebrücken sorgfältig zu planen und lückenlos auszuführen. Eine einschichtige Dämmung aus Kalziumsilikat­ platten bietet sich gespachtelt und mit einer diffusions­ offenen Farbe gestrichen als Sichtmaterial an.

08 Innenliegende Wärmedämmung – Varianten der Konstruktion

Diese Platten haben neben der einfacheren Montage weitere Vorteile: eine gute Feuchtepufferung, ein hohes Rücktrocknungspotenzial und zudem eine fungizide Wirkung. (Abb. 08) 3. Wärmedämmung in der Konstruktionsebene Bestehende Außenwände in Holzleichtbauweisen wie dem Ständerbau können – statische Funktionstüchtigkeit vorausgesetzt – analog zu einer zeitgemäßen Rahmen­ bauwand auch zwischengedämmt und innen­ wie außen­ seitig bekleidet werden.

Die Größe von Glasscheiben war vor der industriellen Revolution technisch beschränkt, und Glas war sehr teuer. Daher sind die Fenster oft knapp bemessen. Je nach Region gibt es verschiedene Varianten der Fensterteilung: Ein feststehender Mittelpfosten ist häufig anzutreffen, zuweilen auch ein festes Pfostenkreuz. Die Öffnungsflügel werden mit sehr filigranen Sprossen ein­ oder zweimal horizontal oder auch kreuzförmig unterteilt. Teils finden sich kleine Öffnungsflügel, die zur Seite geschoben werden („Ruckerle“) oder als Drehflügel ausgebildet wer­ den. (Abb. 10)

Fenster Proportionen und Profilierung der Fensterrahmen sind für den Ausdruck eines historischen Bauernhauses von zentraler Bedeutung. Analog zu den Gesichtszügen eines Menschen haben schon leichte Veränderungen große Auswirkungen, sodass bei einer Sanierung auf die Detail­ lierung große Sorgfalt gelegt werden sollte. Typische Konstruktionen im Bestand Typisch für die Allgäuer Bauernhäuser sind Kastenfenster aus Holz bei Wohnräumen. In der Regel sind die Fenster relativ weit außen in der Laibung angeschlagen und weiß gestrichen. Einfache Fensterläden sind wesentlicher Bestandteil. Die Bretter der Läden werden von zwei hori­ zontalen Leisten gehalten. Diese sogenannten Einschub­ leisten werden im Nord­ und Ostallgäu auf der Außenseite des Ladens angeschlagen, im Süd­ und Westallgäu auf der Innenseite, sodass sie bei geöffnetem Laden sichtbar sind. Sowohl bei verputzten wie auch bei mit Holz beklei­ deten Fassaden finden sich häufig kleine Gesimse über dem Fenstersturz (Klebdächer), welche die Fenster vor der Witterung schützen. (Abb. 09)

09 Typische Fensterteilungen

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10 Grundriss Profilierung historisches Holzfenster

Sanierungsmöglichkeiten Je nach Zustand der Fenster, etwaigen Anforderungen aus dem Denkmalschutz oder dem energetischen Ziel gibt es verschiedene Möglichkeiten der Sanierung. Vorangestellt sei der Hinweis, dass die – zugegeben billigeren – Kunst­ stofffenster die Atmosphäre eines Bauernhauses voll­ ständig zerstören und Holz als Rahmenmaterial für alle Varianten empfohlen werden muss. Gleiches gilt für den Einbau von Rollladenkästen oder Jalousien: Der Erhalt oder Ersatz der charaktergebenden Fensterläden ist eine Grundvoraussetzung für eine gelungene Sanierung nach einer der folgenden Varianten (Abb. 11): 1. Erhalt und Überarbeitung der Bestandsfenster Intakte historische Kastenfenster reichen in ihrer energe­ tischen Leistung nicht an moderne Mehrfachverglasungen heran. Ihre Dämmeigenschaften (saniert) liegen mit einem Wärmedurchgangskoeffizienten für die Fenster­ konstruktion mit Rahmen und Glas (Uw­Wert) von etwa 2,5 W/m²K zwischen historischen Einfachverglasungen (durchschnittliche Uw­Werte um 5 W/m²K) und modernen Dreifachverglasungen (durchschnittliche Uw­Werte um 0,9 W/m²K). Eine ausreichende thermische Behaglichkeit ist damit aber durchaus gewährleistet. Eine komplette Überarbeitung der Fenster schließt die Ausbesserung schadhafter Stellen der Rahmenkonstruktion, die Erneue­ rung der Beschichtung der Rahmen, das neue Andichten und gegebenenfalls auch den Ersatz der Glasscheiben, die Überarbeitung der Bänder und Beschläge sowie gegebenenfalls auch die Überarbeitung des Anschlusses an die Bestandswände ein. Insbesondere bei denkmalge­

schützten Gebäuden ist dieser erhebliche Aufwand wegen der optisch­atmosphärischen Qualität und der Belichtung der Innenräume lohnenswert: Die filigranen Profile und die einfachen Glasscheiben lassen deutlich mehr Tageslicht ins Innere, was bei den typischen knappen Fensteröffnun­ gen die Raumqualität erheblich verbessert.

Öffnungen zu ergänzen. Dabei sollte neben der Verträg­ lichkeit mit dem äußeren Fassadenbild auch darauf geachtet werden, dass die Belichtung der Räume an der richtigen Stelle sinnvoll verbessert und nicht die vor­ handene Belichtung der Räume konkurrierend überblen­ det wird.

2. Teilweiser Ersatz des Fensters Ein sehr guter Mittelweg zwischen dem Erhalt des histori­ schen Außenbilds und hohen energetischen Anforderun­ gen ist der Erhalt lediglich der Außenfenster und der Austausch der Innenfenster durch eine moderne, mehr­ fachverglaste Fensterkonstruktion. Dabei ist eine gewisse Undichtigkeit der Außenflügel eher positiv, da der Zwi­ schenraum so belüftet und trocken gehalten wird. Bei der Wahl der Innenfenster ist auf eine gute Tageslichttrans­ mission zu achten, sodass hier Zweifachverglasungen gegenüber Dreifachverglasungen besser abschneiden. Ein nur einfach mittig geteiltes oder – je nach Öffnungssitua­ tion – ungeteiltes Innenfenster kann eine gute Raumwir­ kung erzielen, da so das historische Außenfenster optisch in den Vordergrund rückt. In Einzelfällen wird das Prinzip auch umgekehrt und ein neues Außenfenster vor die historischen Innenfenster gesetzt.

Dach

3. Ersatz der Fenster Wenn der Erhalt der originalen Fenster nicht möglich ist, kann häufig auch mit neuen, mehrfachverglasten Holz­ fenstern eine mit der Bestandsarchitektur verträgliche Gestaltung erreicht werden. Durch den Einsatz von aufkaschierten Fenstersprossen bei dahinter durchge­ henden Glasscheiben wird ein ähnlich filigraner Eindruck wie bei den originalen Fensterprofilen erzielt. Wichtig ist es dabei, durch die Anordnung der Sprossen und die Gestaltung der Profile und der Einbausituation die ur­ sprüngliche Proportion der Fenstergeometrie bestmöglich abzubilden.

Die Dachfläche stellt einen beträchtlichen Teil der Hüllfläche eines Allgäuer Bauernhauses dar. Der Wärmeverlust über diese Fläche hat einen relevant großen Einfluss auf die energetische Gesamtbilanz des Gebäudes. Eine nachträg­ liche Wärmedämmung kann zum Teil sehr kosteneffizient und zudem meist ohne eine Störung der Gestaltung realisiert werden, sodass diese Maßnahme bei jeder Sanierung erwogen werden sollte. Typische Konstruktionen im Bestand Dachneigung und Dachform historischer Gebäude sind stark mit dem damals verfügbaren Deckmaterial ver­ knüpft. Im Süden dominiert das flache Legschindeldach mit 15 bis 18 Grad Dachneigung und einer Holzschindel­ deckung, die mit steinbeschwerten Stangen vor dem Verrutschen gesichert war. Im Norden kommt das in Schwaben vorherrschende Deckmaterial Stroh vor, das zur sicheren Regenwasserableitung eine Neigung von 45 bis 50 Grad erfordert. Das geschindelte Dach begünstigt eine einfache Satteldachform, da die Dachränder an Giebel und Traufe einfach, Grate dagegen schwierig umsetzbar sind. Strohdeckungen führten dagegen häufig zu Walmdächern, weil hier der seitliche Abschluss am Ortgang eine Heraus­ forderung darstellt und die Deckung leicht über Walm­ grate geführt werden kann. Während flache Legschindeldächer zwingend als Pfettendächer ausgebildet werden, sind bei den steilen, ehemals strohgedeckten Dächern meist Sparrendächer anzutreffen. Im 19. Jahrhundert wurden die traditionellen Deck­ materialien sukzessive von den aufkommenden Dach­ ziegeln abgelöst, was häufig auch die Anpassung der

11 Varianten der Fenstersanierung

Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, die bestehende Befensterung an geeigneten Stellen wie dem Eingang, dem Tennentor oder in bislang geschlossenen Fassaden durch neue, gut gesetzte und großzügig dimensionierte

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12 Thermische Hülle bei Dachsanierung – Varianten

Dachkonstruktion auf einen Winkel zwischen 35 und 40 Grad zur Folge hatte. Die Wohnräume sind vom Dachraum in der Regel durch eine Geschossdecke getrennt. Die Vergrößerung des Dachraums durch Aufsteilen im ausgehenden 19. Jahr­ hundert wird meist als Pfettenkonstruktion ausgeführt; der Kniestock setzt sich durch. Sanierungsmöglichkeiten Grundsätzlich kann eine nachträglich eingebrachte Wärme­ dämmung in der Schrägdachebene oder in der Ebene der letzten Geschossdecke eingebaut werden. Neben der Nutzung des Dachs und der vorgefundenen Raumgeometrie ist der Zustand der vorhandenen Konstruktion und der Deckung ein Entscheidungsfaktor in der Wahl der Sanie­ rungsvariante. (Abb. 12) 1. Wärmedämmung in der Schrägdachebene Eine Dämmung in Dachebene kann entweder als nach­ trägliche Zwischensparrendämmung oder als Aufsparren­ dämmung ausgeführt werden (Abb. 13). Die Zwischenspar­ rendämmung kann – intaktes Unterdach und intakte Dachdeckung vorausgesetzt – im Grundsatz auch von innen ausgeführt werden. Die bestehenden Sparren sollten auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden, da sich durch die Dämmung die Lasten gegenüber der Bestandssitua­ tion zumindest geringfügig erhöhen. Sind die vorhandenen Sparren nicht ausreichend tragfähig und / oder die Dach­ deckung marode, ist es sinnvoll, den gesamten Dachauf­ bau bis auf die Sparren zurückzubauen. Zu gering dimen­ sionierte Sparren können ersetzt, einseitig aufgedoppelt oder durch beidseitige Holzlaschen verstärkt werden. Wenn die vorhandenen Sparren und gegebenenfalls die alte Schalung sichtbar gezeigt werden sollen, ist auch eine Aufsparrendämmung denkbar. In diesem Fall wird über der Schalung ein neuer Dachaufbau einschließlich der Dachdeckung von außen aufgebracht. Dadurch werden die Proportionen des Gebäudes leicht verändert, was in der Planung berücksichtigt werden sollte. Die Dämmung des Schrägdachs ist besonders dann sinnvoll, wenn die Dachschräge dem nutzbaren Raum zugeschlagen wird und so eine zu geringe Raumhöhe aus­ geglichen werden soll. 2. Wärmedämmung über der letzten Geschossdecke Ist das bestehende Dach mit Tragkonstruktion und Deckung intakt, ist das Einbringen einer Wärmedämmung direkt über der letzten Geschossdecke eine gleicher­ maßen kosten­ wie energieeffiziente Maßnahme, die dem ursprünglichen Charakter der Häuser gut entspricht. Es besteht die Möglichkeit, den Zwischenraum der Decken­ balken zu nutzen oder die Dämmung teilweise oder ganz über dem bestehenden Deckenaufbau einzubringen. Letzteres ist die einfachste Lösung, die das Einbringen einer ebenen Dampfbremse auf der bestehenden Ge­

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schossdecke erlaubt. Ein einfacher Gehbelag aus Brettern kann leicht in die Konstruktion integriert werden. Diese Sanierungsvariante mit einem Kaltdach als Resultat hat mehrere Vorteile: In die bestehende Dach­ konstruktion wird nicht eingegriffen, sie bleibt weiter zugänglich und revisionierbar. Die Dämmarbeiten finden unter dem Schutz des bestehenden Dachs statt. Aus energetischer Sicht ist von Vorteil, dass das beheizte Volumen kleiner bleibt und sich auf die bewohnten Räume beschränkt. Für den sommerlichen Wärmeschutz ist der Dachraum von großem Vorteil, weil die über die Dachde­ ckung eingebrachte Wärmestrahlung großenteils abgelüf­ tet werden kann. Im Winter ist die Pufferzone des unbe­ heizten Dachraums aus energetischer Sicht ebenfalls vor­ teilhaft.

13 Varianten zur Dachdämmung

Geschossdecken Bei der Sanierung von Geschossdecken stehen deren Trag­ fähigkeit und die Anforderungen an Schall­ und Brand­ schutz im Vordergrund. Resultierend aus den oftmals extrem geringen Raumhöhen im Bestand ist die zusätzliche Aufbauhöhe der Sanierungskonstruktion eine entschei­ dende Komponente in der Planung. Typische Konstruktionen im Bestand Mit Ausnahme von Decken in Blockbauten sind Holzbalken­ decken die gängige Konstruktion. Meist sind direkt auf den Deckenbalken die Fußbodenbretter montiert. Teils ist eine zweite, in eine Nut in den Deckenbalken eingescho­ bene Bretterlage (sogenannter Fehlboden) vorzufinden. Der Zwischenraum ist mit Spreu oder anderem Material verfüllt. Alternativ ist die Bretterlage unterseitig an den Balken befestigt. Die Untersicht zeigt sich manchmal verputzt. Dabei krallt sich der Putz in die offenen Fugen zwischen dünnen Latten oder wird über aufgenagelte Strohmatten gehalten. Bei Konstruktionen ab dem 19. Jahr­ hundert finden sich hölzerne Kassettendecken als Unter­ sicht. Bei Blockbauten sind – der Struktur der Wandkon­ struktion folgend – flächige, schlanke Decken aus kräftigen Bohlen vorzufinden, die gleichzeitig Deckenkonstruktion und Gehbelag bilden.

Sanierungsmöglichkeiten Wenn die bestehenden Deckenbalken statisch ohnehin nicht intakt sind oder die zusätzlichen Lasten eines neuen Fußbodenaufbaus nicht aufnehmen, können sie analog zu den Dachsparren mit Laschen oder Zangen verstärkt werden. Oft sind Deckenbalken im Auflagerbereich durch Feuchtigkeit marode und müssen dann ausgetauscht werden. Es besteht bei Forderungen nach Substanzerhalt aus dem Denkmalschutz im Ausnahmefall auch die Möglichkeit, zwischen den bestehenden Balken neue Balken einzufügen. Eine Aufbetonschicht von circa 10 bis 12 Zentimeter Stärke, welche mit verbindenden Schrauben auf die bestehenden Deckenbalken aufgebracht wird (HolzBeton-Verbunddecke), kann die Tragfähigkeit und gleichzeitig den Schall- und Brandschutz erheblich verbessern. In der Wahl des Bodenaufbaus steht eine Vielzahl von Lösungen zur Verfügung, die hauptsächlich nach Schallschutzanforderungen gewählt werden. Schwim­ mende Estriche, Trittschalldämmungen und Schüttungen verbessern Luft- wie Trittschallschutz, erfordern aber zusätzliche Aufbauhöhe. Wo immer es möglich ist, sollten bestehende Dielen­ böden wiederverwendet werden, da diese den Raumein­ druck entscheidend prägen. Neue Gehbeläge sollten zumindest durch das Material Holz dem Charakter des Bestandshauses entsprechen. Von Lackierungen ist dabei eher abzuraten, eine Oberflächenbehandlung durch Öle oder Wachse entspricht den alten Böden eher, zudem bleibt so die punktuelle Ausbesserung von Schadstellen problemlos möglich.

Quellen – Dokumentationen der Beispielprojekte durch Studierende des Masterstudien­ gangs Architektur der Hochschule Augsburg im Wintersemester 2020/2021 im Wahlpflichtmodul „TransAll“, Betreuung: Prof. Wolfgang Huß, Lehrbeauftragter Architekt Franz G. Schröck – Florian Aicher, Hermann Kaufmann (Hrsg.), Belebte Substanz. Umgebaute Häuser im Bregenzerwald, München 2 / 2015 – Helmut Gebhard, Hans Frei (Hrsg.), Bauernhäuser in Bayern, Schwaben, Bd. 7 (Ries, Mittelschwaben, Allgäu), Kreuzlin­ gen / München 1999

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– Heinrich Götzger, Baufibel für das Allgäu und das Bayerische Bodensee-Ufer, hg. vom Arbeitskreis Baugestaltung in der Fachgruppe Bauwesen des NSBDT mit der Arbeitsgemeinschaft Heimat und Haus u. a., München 1943 [Dieses Buch wurde von einem offiziellen Organ des nationalsozialistischen Regimes herausgegeben. Es ist unter dieser Perspektive äußerst kritisch als Zeitzeugnis zu betrachten. Allerdings werden ausschließlich sachlich unstrittige, meist technische Informationen dargestellt und typische Konstruktionen wie etwa Fensterprofile aufbereitet. Anm. d. Verf.]

Projektdaten

01 Görisried Historie Baujahr Ursprungsbau: 1831/ 32 Hofstatt Vorangegangene Bauetappen: 1923 Kuhstall-Verlängerung, ca. 1966 Aufgabe der Landwirtschaft Letzte Umbaumaßnahme: 1997 / 98, Nutzung als Wochenend- und Ferienhaus Baudenkmal: nein Wichtige Projektbeteiligte: Bauaufnahme, Restaurator: Michael Molitor, Kempten; Rohbau, Zimmerer: Fa. Hafner, Görisried; Fensterbau Kasten­ fenster: Schreinerei Bader (Nachfolge Petra Bader), Unterthingau; Türen: Schreinerei Vogler, Wald; Küche: Schreinerei Schorer, Görisried; Grundofen, Kamin: Ofen Gschwend, Kempten; Schwimmteich: Fa. Schellheimer, Wildpoldsried Bearbeitung, Zeichnungen: Franziska Riesenegger, Hochschule Augsburg 02 Halblech Historie Baujahr Ursprungsbau: 1543 „Peterhof“ (sog. Hausname) Vorangegangene Bauetappen: 1776 Anbau einer erdgeschossigen Laube an der Südseite, im 18. / 19. Jahrhundert Umbau des Mittelteils zu einer ummauerten Küche, 1867 Anbau des Rossstalls südseitig an der Scheune, im 20. Jahrhundert Einbau eines Stalls mit massivem Mauerwerk im nördlichen Wirtschaftsteil Letzte Umbaumaßnahme: 2004 Fertig­ stellung von Sanierung und Umbau des Wohnstallhauses Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-77-173-61 BLfD (Bayerisches Landes­ amt für Denkmalpflege): „Bauernhaus, Schwangauer Haustyp, zweigeschossiger verputzter Ständerbau mit Flachsatteldach, verschaltem Giebel, offener Laube und Resten von Bemalung am Tenntor, spätes 17. Jh.; ehemaliger Pfarrstadel, massiver Satteldachbau, 18. Jh.“ Veröffentlichungen: Helmut Gebhard, Hans Frei (Hrsg.): Bauernhäuser in Bayern. Schwaben. Dokumentation Band 7: Ries, Mittelschwaben, Allgäu. München 1999, S. 300 – 302 Wichtige Projektbeteiligte: Bestandsaufnahme: Harald Bader, Simbach; Befunddokumentation: Restaurierungsbe­

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trieb Weinzierl, Bellenberg; Denkmalpflege, 04 Pfronten Bauforschung: Franz Hölzl, München; Röntgendendrochronologie: Jutta Hofmann, Historie Baujahr Ursprungsbau: 1678 laut dendro­ Nürtingen; Tragwerksplanung: Ingenieur­ büro Rudolf Wirth, Peiting; HLS-Planung: chronologischer Untersuchung „Boltes-Hof“, später „Pauler-Hof“ (sog. Fa. Roland Hinterseher, Schongau; Zimme­ rer: Fa. Martin Gindhart, Rottenbuch; Hausname) Fensterbau: Schreinerei Karl Sieber, Prem; Vorangegangene Bauetappen: 1960 Umbau von Flur und angrenzendem Stallbereich, Außenlagen: Stefan Obholzer, Rottenbuch / Einbau neuer Fenster in das Wohnhaus Schönberg Letzte Umbaumaßnahmen: 2012 – 2019 denkmalgerechte Sanierung des ehemali­ Bearbeitung, Zeichnungen: Jacob Lettl, gen Wohnhauses mit Umbau der Tenne Hochschule Augsburg 03 Nesselwang Historie Baujahr Ursprungsbau: 1616 laut dendro­ chronologischer Untersuchung Vorangegangene Bauetappen: 1846 Erneuerung im Wohntrakt von Außen- und Zwischenwänden und von Decken und Böden, Bau des Kuhstalls; 1895 Umbau­ maßnahmen Kamin, Zwischenwand Küche – Speise; 1914 Erweiterung Tenne nach Westen, neues Ziegelmauerwerk zwischen Flur und Kuhstall und bei Teilen der Südwand, Ausbesserung der Außenwände des Wohngebäudes, Schindelverkleidung, Ausbau der Stube, Ausgleich und Begradi­ gung von Böden; 1948 kleinere Umbaumaß­ nahmen wie Hofeinfahrt und Einbau Bad. Letzte Umbaumaßnahme: 2016 Beginn der statischen Ertüchtigung von Tenne und Wohnhaus, bis April 2018 Ausbauarbeiten im Wohnhaus Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-77-153-38 BLfD: „Bauernhaus, zweige­ schossiger Blockbau mit Flachsatteldach, Schuppenschindelverkleidung und Kopfbug unter der Firstpfette, 1616“ Auszeichnungen: 2. Platz Denkmalschutz­ preis 2020 des Landkreises Ostallgäu, Shortlist Thomas-Wechs-Preis 2022 Wichtige Projektbeteiligte: Bauaufnahme, Restaurator: Weinzierl – Restaurierungsbetrieb, Bellenberg; Tragwerksplanung: Merdian Baustatik, Durach; Brandschutzplanung: AnwanderWaldmann, Sulzberg; Vermessung: Czitron Ingenieurvermessung, Kempten; Zimmerer, Innenausbau: Wölfle Holzbau, Oy-Mittel­ berg; Baumeister: Xaver Lipp Bauunterneh­ mung, Oy-Mittelberg; Schreiner neue Fenster: Schreinerei Gött, Oy-Mittelberg; Schreiner (alte Fenster): Schreinerei Hoffmann, Oy-Mittelberg; Möbel: Schreinerei Guggemos, Rückholz; Innenausbau: Sebastian Schlaud, Weitnau Bearbeitung, Zeichnungen: Anna Lena Löcherer, Hochschule Augsburg

Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-77-159-44 BLfD: „Ehemaliges Bauern­haus, zweigeschossiger Flachsatteldachbau mit Giebelbüge und mit Schräg­ wülsten, 1. Hälfte 17. Jh., im 19. Jh. erneuert“ Auszeichnungen: Denkmalschutzpreis 2020 Wichtige Projektbeteiligte: Bauaufnahme: Dorothea Babel-Rampp, Pfronten; Tragwerksplanung: Dr. Bernhard Mohr – Dr. Schütz Ingenieure, Kempten; HLS-Planung: Fa. Hauke, Füssen; Elektro-Arbeiten: Fa. Wieland, Füssen; Rohbau, Verputz: Toni Ungelert, Lechbruck; Zimmerer: Fa. Friedl, Pfronten; Fenster, Haus- und Innentüren: Dr. Thomas Becker, Peißenberg; Stahl-Fensterkonstruktion: Metallbau Kössel, Immenstadt; Innenoberflächen, Dendro: Restaurierungsbe­ trieb Weinzierl, Bellenberg; Restaurator Fassade: Herbert Haug, Friesenried; Estrich: Fa. Wolfgang Gruber, Haldenwang; Begasung: Binker Materialschutz, Lauf a. d. Pegnitz Bearbeitung, Zeichnungen: Alexandra Merath, Hochschule Augsburg 05 Wald Historie Baujahr Ursprungsbau: Mitte 18. Jahrhun­ dert Vorangegangene Bauetappen: Um 1900 Anbau eines Schupfens,  1925 Erweiterung Schupfen;  1926 Ökonomiegebäudeerwei­ terung; 1927 Anbau eines weiteren Schupfens; 1953 Sanierung des Kamins Letzte Umbaumaßnahme: 1996 Fertig­ stellung Sanierung Wochenendhaus Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-77-179-14 BLfD:  „Ehem. Bauernhaus, Mitterstallbau mit zweigeschossigem Wohnteil, Hakenschopf und Andreaskreuz über Tenne, Wohnteil verputzter Ständer­ bau, Mitte 18. Jh.“ Wichtige Projektbeteiligte: Bauaufnahme, Sanierungsgutachten: Architekt Hubert Thomas, Schwäbisch

Gmünd; Holzbau: Zimmerei Häfele, Marktoberdorf; Schreiner: Fa. Horst Herbein, Wald Bearbeitung, Zeichnungen: Jacob Lettl, Hochschule Augsburg 06 Unterthingau Historie Baujahr Ursprungsbau: erstmals urkund­ lich 1661 als Löwenwirtschaft erwähnt, Vermutung der Zugehörigkeit zum Schloss der Fürstäbte Vorangegangene Bauetappen: im Barock Letzte Umbaumaßnahme: 2012, Nutzung als Friseursalon und Café (heute Barbershop) mit drei Wohneinheiten Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-77-175-6 BLfD: „Ehem. Bauernhaus, zweigeschossiger Flachdachbau mit zweiflügeliger Haustür und verputztem Fachwerkgiebel, im Kern 2. Hälfte 18. Jh.“ Wichtige Projektbeteiligte: Rohbau, Verputz: Fa. Hafner, Görisried; Zimmerer: Fa. Manfred Hösle, Sulzberg; Elektro-Installation: Fa. Martin, Wald; Fenster: Schreinerei Thomas Mayr, Görisried; Holztreppe, Türen: Fa. Holzwerk­ statt, Görisried Bearbeitung, Zeichnungen: Anna Lena Löcherer, Hochschule Augsburg 07 Buchenberg Historie Baujahr Ursprungsbau: 1553 ehemaliges Bauernhaus (Eckpfosten Stall, Eck­pfosten des Ständerbohlenbaus Wohnteil und Dachstuhlhölzer aus dieser Zeit) Vergangene Bauetappen: 1812 Raumeintei­ lung im Obergeschoss des Wohnteils, Kastenfenster mit Rucker, Ausstattung der Wohnstube, vermutlich auch diverse Anbauten mit Stallteil Letzte Umbaumaßnahme: 2012 Fertigstel­ lung nach Umbau als Wohnhaus Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-80-117-22 BLfD: „Bauernhaus, zwei­ geschossiger Flachsatteldachbau in Ständer- bzw. Blockbauweise errichtet, um 1550 (dendro.dat.)“ Veröffentlichung: Denkmalpflege-Informa­ tionen (Heft 2019, S. 29 – 31), Michael Habres, Älter als gedacht: Ein „Allgäuer Dreiraumwürfel“ mit Bohlenbalkendecke von 1553, in: Denkmalpflege-Informationen Heft 171 / 2019, S. 29 – 31

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Wichtige Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: Markus Berkmann, Weiler; Energieberatung: Herz und Lang, Weitnau; Heizung, Sanitärinstallation; Thomas Stetter, Sonthofen; Zimmerer: Holzbau Cambium, Gunter Schroetter  u. Moses Schaaf, Waltenhofen (NiedersonthofenRieggis); Restaurator: Holzrestau­rierung Bartsch, Immenstadt; Kastenfenster, Vertä­ felung, Möbel, Fassade: Restaurierungs­ werkstätten Peter Niederhauser, Prittri­ ching; Verputz, Spengler: Fa. Kalchschmid, Waltenhofen; Fenster: Schreinerei Nikolaus Jocham, Argenbühl; Treppe: Stahl-Glasbau Dann, Kempten Bearbeitung, Zeichnungen: Rebecca Mengele, Hochschule Augsburg 08 Kempten Historie Baujahr Ursprungsbau: 1913 ehemaliger Einödhof mit Bauernhaus, Stall und Scheune „Michlhof“ (sog. Hausname) Vorangegangene Bauetappen: Stallvergrö­ ßerung nach Süden mit Anbindung an das vorhandene Scheunendach durch Pultdach, 1980 Hofaufgabe und Verkauf an die Stadt Kempten, ab 1993 Nutzung durch IPA (International Police Association) als Freizeitheim Letzte Umbaumaßnahme: 2015 Fertigstel­ lung Um- und Neubau Wohnhaus mit 4 Appartements, Untertenne: Michlstube, Rossstall: WC und Technikbereich, Jung­ viehstall: Bar, Obertenne: großer Saal mit Nebenbereichen Baudenkmal: nein Veröffentlichungen: „Heels Michlhof – Be­ reicherung für Kempten“, in: Allgäuer Zeitung, Juni 2015 Wichtige Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: Dr. Schütz Ingenieure, Kempten; HLS-Planung: Fa. Fechtig, Waltenhofen; Wärmeschutz: Ing.-Büro W. Rengstl, Weitnau; Elektro-Installation: EMW Elektro Mario Wurst, Kempten; Brandschutz: IB Anwander, Sulzberg; Rohbau: Kniselbau, Ofterschwang; Zimmerer, Trockenbau: Holzbau Bockreiss, Depsried; Fenster: Schreinerei Mayer, Eschach; Restaurator, Verputz: Fa. Huber, Wiggensbach; Maler, Gerüstbau: Roland Uebelhör, Kempten; Inneneinrichtung: Möbel Mayer, Kempten Bearbeitung, Zeichnungen: Irene Schiele, Hochschule Augsburg

09 Immenstadt Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1763 ehemaliges Bauernhaus Letzte Umbaumaßnahme: 2012 Fertigstel­ lung Umbau zum Wohnhaus mit Einlieger­ wohnung Baudenkmal: nein Veröffentlichungen: Hubertus Adam, Wolfgang Bachmann, Häuser des Jahres. Die besten Einfamilienhäuser 2013; München 2013, S. 94 – 99 Auszeichnungen: „Häuser des Jahres 2013“, „Architektouren 2015“ Wichtige Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: Herbert Haug, Wertach; HLS-Planung, Heizung: Fa. Hagspiel, Waltenhofen (Niedersonthofen-Rieggis); Elektro-Installation: Fa. Schmid, Missen; Zimmerer: Fa. Kennerknecht, Immenstadt; Fenster: Fa. Herbert Feuerstein, Oberstaufen Bearbeitung, Zeichnungen: Johanna Gaidamak, Hochschule Augsburg 10 Immenstadt Historie Baujahr Ursprungsbau: Stadtbauernhof vom Ende des 19. Jahrhunderts Letzte Umbaumaßnahme: 1992 Umbau zu einem Mehrfamilienhaus mit 14 Wohnein­ heiten Baudenkmal: nein Veröffentlichungen: „Bauwelt“ Heft 28 – 29, Jg. 84, 1993, S.  1539  – 1541; Holger Reiners, Bauernhäuser umbauen. München 1995 Auszeichnungen: Deutscher Bauherren­ preis 1994, Hohe Qualität – Tragbare Kosten im Wohnungsbau Wichtige Projektbeteiligte: Statik: Werner Lämmle, Wiggensbach; HLS-Planung: Landmann u. Partner, Kempten; Elektro-Planung: IB Gutmann, Kempten Bearbeitung, Zeichnungen: Anton Feliust, Hochschule Augsburg 11 Immenstadt Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1910 ehemaliges landwirtschaftliches Mustergut Letzte Umbaumaßnahme: 2013 – 2015 Buddhistisches Zentrum (Foyer, Speisesaal und zentrale Küche, Meditationshalle [Gompa])

Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-80-124-55 BLfD: „Gutshof Hochreute; Stadel, langgestreckter Satteldachbau“ Veröffentlichungen: Florian Aicher: „Formen des Geistes“ in: Leben und Wohnen, Beilage der Vorarlberger Nachrichten Sa / So, 10. / 11. Okt. 2015, S. 4 – 7 Auszeichnungen: Deutscher Holzbaupreis 2015 (Würdigung Gompa) Wichtige Projektbeteiligte: Statik: gbd, A-Dornbirn; Bauphysik: Bernhard Weithas, A-Lauterach; Haustechnik: Fa. Mayer, Ottobeuren; Brandschutz: IBS, A-Linz; Landschaftsarchitektur: Barbara Bacher, A-Linz Bearbeitung, Zeichnungen: Anton Feliust, Hochschule Augsburg 12 Bolsterlang Historie Baujahr Ursprungsbau: 1725 ehemaliges Bauernhaus mit Tenne, „Monessar-Hof“ (sog. Hausname) Vorangegangene Bauetappen: 2003 Heizungssanierung, 2005 Umbau des nördlichen Tennenteils Letzte Umbaumaßnahme: 2011 Fertigstel­ lung der Umbaumaßnahmen am ehe­ maligen Wohnteil Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-80-116-9 BLfD: „Ehem. Bauernhaus, zweigeschossiger Blockbau mit Schlepp­ dach, Wohnteil verputzt, im Kern um 1720, Wirtschaftsteil erneuert“ Veröffentlichungen: Thomas Drexel: 50 Häuser zum Wohlfühlen, Beitrag in der Doku­ mentation „10 Jahre Denkmalpreis des Bezirks Schwaben“, S. 220 – 226, München 2013 Auszeichnungen: Denkmalpreis Schwaben 2013 Wichtige Projektbeteiligte: Bauaufnahme: Büro für historische Bauforschung Benno Willburger, Dietmannsried; Befunduntersuchung: Restaurierungs­ werkstätte Peter Niederhauser, Prittriching; HLS-Planung: ABS Heizung Sanitär, Obermaiselstein; Zimmerer: Holzbau Luitpold Lipp, Oberstdorf; Fenster: Nikolaus Jocham, Argenbühl; Treppenbau: Metallbau Bischof, Sonthofen; Maler: Hermann Luitz, Bolsterlang Bearbeitung, Zeichnungen: Daniela Fieger, Hochschule Augsburg

13 Obermaiselstein Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1565 ehemali­ ges Bauernhaus, „Fideleshüs“ (sog. Hausname) Vorangegangene Bauetappen: 1793 Umbau und Sanierung Kellergeschoss des Wohnhauses, Einsetzen einer Zwischendecke über der Flurküche, 1907 südseitiger Anbau Wirtschaftsteil, laubenartiger Vorbau an der Südseite des Wohngebäudes und Schindelung des Gebäudes Letzte Umbaumaßnahme: bis 2018 Instand­ setzung und Sanierung mit Einbau von zwei Wohnungen im ehemaligen Wirtschaftsteil Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-80-131-18 BLfD: „Bauernhaus, zwei­ geschossiger offener Blockbau mit flachem Satteldach auf hohem Bruchstein-Unter­ geschoss, 1567 (dendro. dat.)“ Veröffentlichungen: „Servus“-Magazin Ausgabe 12 / 2012 Auszeichnungen: Bayerischer Denkmal­ pflegepreis 2010, Denkmalpreis des Bezirks Schwaben 2010 Wichtige Projektbeteiligte: Holzbautechnik: Alois Schraudolf, Oberstdorf; HLS-Planung: Michael Karlinger, Oberstdorf; Energieberatung: Herz und Lang, Weitnau; Heizung, Sanitär: Batscheider Michael, Oberstdorf; Elektro-Installation: Wolfgang Wörfel, Obermaiselstein; Baumeister Hubert Burlefinger, Oberstdorf; Verputz: Familie Schlegel, Obermaiselstein; Zimmerer: Mathias Schraudolf, Oberstdorf; Spengler: Markus Luxenhofer, Oberstdorf; Fenster, Haustüre: Schreinerei Jocham, Argenbühl; Innentüren, Möbel: Sebi’s Schreinerei, Bad Hindelang; Bodenbeläge: Cornel Dünßer, Oberstdorf; Maler: Fa. Siebner, Oberstdorf Bearbeitung, Zeichnungen: Anna Mayer, Hochschule Augsburg

Bearbeitung, Zeichnungen: Paula Wölfel, Hochschule Augsburg 15 Heimenkirch Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1880 Wohnhaus mit Stall und Tenne Vorangegangene Bauetappen: 1960 Malerwerkstatt, 1990 Umbau mit zwei Gauben Letzte Umbaumaßnahme: 2011 Fertigstel­ lung Umbau und Neubau Einfamilienhaus Baudenkmal: nein Veröffentlichungen: „Es ist Sommer“, in Kreisbote, August 2020 „Baukultur-Ge­ schichten“ Wichtige Projektbeteiligte: Heizung, Sanitär-, Elektro-Installation: Sinz Haustechnik, Meckatz; Erdwärme-Bohrung: Erbotec Josef Demski, Heimenkirch; Abbruch, Pflasterarbeiten: Florian Lingg, Opfenbach; Maurer: Lau-Bau, Röthenbach; Zimmerei: Fa. Forster, Opfenbach; Spengler: Manfred Reichart, Heimenkirch; Fenster: Fa. Zech, Lindau; Fliesen: Uwe Esslinger, Hergensweiler; Steinmetz: Fa. Lenz, A-Alberschwende; Maler: Wolfgang Karg, Opfenbach; Schreiner: Ewald Kuhn, Weiler-Simmerberg; Ofenbau: Fa. Kanetzki, Heimenkirch; Beleuchtung: Die Welle Sonja Bruckner, Waltenhofen Bearbeitung, Zeichnungen: Dana Schmid, Hochschule Augsburg

14 Oberstdorf 16 Arnach Historie Baujahr Ursprungsbau: um 1760 Letzte Umbaumaßnahme: 2016 – 2018 Umbau zum Wohnhaus Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-80-133-167 BLfD: „Wohnteil eines ehem. Bauernhauses, zweigeschossiger, verputz­ ter Blockbau mit Flachsatteldach und Balkonvorbauten des frühen 20. Jh., im Kern  18. Jh.“ Wichtige Projektbeteiligte: HLS-Installation: Robert Vogler, Oberstdorf; Elektro-Installation: Johannes Huber,

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Niedersonthofen; Zimmerer: Fa. Mathias Schraudorf, Oberstdorf; Spengler: Fa. Markus Luxenhofer, Fischen; Schreiner: Nikolaus Jocham, Argenbühl; FassadenArbeiten: Florian Huber, Oberstdorf; Ofenbau: Fa. Gillich. Blaichach; Fußböden: Andreas Robl, Sonthofen; Innentreppe: Metallbau Bertele, Blaichach; Maler: Fa. Sieber. Oberstdorf; Fliesen: Fa. Demmel, Oberstdorf

Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1715 ehemaliges Pfarrhaus mit Stall Vorangegangene Bauetappen: 1938 Einbau eines Raumes für einen Niederdruckkessel zur Kirchenheizung, 1989 Fassadenände­ rungen, Anpassung der Deckenhöhen, Änderung der Fenster Letzte Umbaumaßnahme: 2002 Fertigstel­ lung des Umbaus vom Pfarrhaus zum Gemeindehaus Baudenkmal: ja, Kulturdenkmal nach Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg,

Nr. 102762784: „Pfarrhaus. Zweigeschossig. Satteldach. Massiv. Ecklisenen und Sandstein-Rundbogenportal. 2. Hälfte 18. Jh.“ Veröffentlichungen: architekturforum allgäu (Hrsg.): Architektur im Allgäu 1990 – 2005. Lindenberg im Allgäu, 2006, P009, S. 58 – 59 G. Reischmann: Zur Geschichte des Arnacher Mesmerhauses, in: Arnacher Kirchenanzeiger 1999 Auszeichnungen: „Beispielhaftes Bauen“ Landkreis Ravensburg 1999 bis 2003 Wichtige Projektbeteiligte: Vermessung: Büro Wichert, Weingarten; Statik: Ingenieurbüro Brasser, Bad Wurzach; Heizung: Fa. Fessler, Bad Wurzach; ElektroInstallation: Fa. Weiss, Bad Wurzach; Rohbau: Höbau Arnach, Bad Wurzach; Zimmerer: Fa. Veser, Kißlegg; Fenster: Schreinerei Maucher, Bad Wurzach; Schlosser: Merkle Maschinenbau, Baienfurt; Metallbau Fassade: Fa. Neyer, Haisterkirch; Sicht­ schutzanlagen: Fa. Schlegel, Dürmentingen; Verputz: Fa. Kaufmann, Bad Wurzach; Maler: Fa. Sonntag, Bad Wurzach; Estrich: Fa. Meschenmoser Fußbodentechnik, Salem; Schreiner: Fa. Erwin und Markus Hecht, Ertingen-Binzwangen Bearbeitung, Zeichnungen: Sebastian Thumm, Hochschule Augsburg 17 Bad Grönenbach Historie Baujahr Ursprungsbau: ca. 1900 erstmals auf Karten erwähnt als Bauernhof mit Stube Vorangegangene Bauetappen: ca. 1977 Umbaumaßnahmen Wohngebäude Letzte Umbaumaßnahme: 2010 – 2012 Umbau Vorderhaus in zwei Abschnitten

Bearbeitung, Zeichnungen: Olga Natzer, Hochschule Augsburg 18 Türkheim Historie Baujahr Ursprungsbau: 1713 Gesinde- und Angestelltenhaus mit Stallung, Teile des Kellers von 1650, Dachstuhl von 1767 Vorangegangene Bauetappen: 1811 Umbau zu zweigeschossigem Walmdachhaus, 1930 Vermauerung Durchfahrt und Anbau Erker, Wohnräume in ehemaligen Wirtschaftsteil und Dachgeschoss, 1960 Einbau von Bädern, Balkon auf Erker Letzte Umbaumaßnahme: 2017 / 18 Sanierung als Wohnhaus mit Einliegerwoh­ nung Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-78-203-5 BLfD: „Wohnhaus, zweige­ schossiger Walmdachbau, im Kern 1767 (dendro.dat.), Fassade mit Stuckdekor, bez. 1811“ Auszeichnungen: Denkmalschutzpreis 2019 Wichtige Projektbeteiligte: Statik: Dipl.-Ing.  A.  Pöllmann, Sontheim; Energieplaner: Ingenieurbüro Courage, Memmingen; Heizung, Sanitär-Installation: Manfred Deubler, Türkheim; Elektro-Instal­ lation: Ralf Lorenz, Pfaffenhausen; Baumeister: Kerler Bau, Rammingen; Zimmerer: Fa. Zettler, Memmingen; Restaurator: Weinzierl – Restaurierungsbetrieb, Bellenberg; Verputz, Maler: Fa. Gries, Bad Grönenbach; Türen, Schreinerarbeiten: Wilhelm Eisenschmid, Markt Rettenbach; Treppen: Fa. Baumgartner, Breitenbrunn; Sandstrahlen: Fa. Fackler, Memmingen Bearbeitung, Zeichnungen: Julia Mayer, Hochschule Augsburg 19 Pleß

Baudenkmal: nein Veröffentlichungen: architekturforum allgäu (Hrsg.): Magazin „Einblicke –  Aussichten“, 1/2015 und 2/2017, S. 32 Auszeichnungen: Architektouren 2010, Xella Wettbewerb „Bauen im Bestand“ 2010, 3. Preis Wichtige Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: Ing. Büro Martin Mader, Senden; HLS-Planung: Bleher Haustechnik, Salgen-Pfaffenhausen; Rohbau: Hafner Bau, Görisried; Zimmerer: Fa. Schöner, Bad Grönenbach; Fenster: Fa. Denz, Weitnau Innenausbau, Oberboden: Pro Natur, Wiggensbach; Einrichtung: Gerhard Huber, Kissing und Galerie Riedmiller akzente. einrichtungen, Bad Grönenbach–Thal

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Historie Baujahr Ursprungsbau: 1676 Erbauung als „Abgabestadel“ der Fugger Vorangegangene Bauetappen: 1719 Besitzüberschreibung an Reichskartause Buxheim bis zur Säkularisierung, anschlie­ ßende Rückübertragung an die Fugger nach Rechtsstreit, 1851 Kauf durch Gotthard Knoll, nachfolgender Erwerb durch Ehepaar Munding, Nutzung als Lager für Brauerei, 1890 Abbruch der südlichen Gebäudehälfte, 1992 Erwerb durch Margarete Heise, 1995 Instandsetzung des Stadels durch Albrecht Heise (Nutzung als Schreinerei) Letzte Umbaumaßnahme: 2008 Umbau zum Zentrum für kulturelle und gesellschaftli­ che Nutzung

Baudenkmal: ja, Aktennummer D-7-78-188-9 BLfD: „Ehemaliger Zehent­ stadel des Klosters Buxheim, eingeschos­ siger Satteldachbau mit Giebelgesimsen, traufseitige Vorbauten mit Pultdach für die Einfahrten“ Veröffentlichungen: Bezirk Schwaben (Hrsg.): Vergangenheit hat Zukunft. 20 Jahre Denkmalpflege in BayerischSchwaben. Dillingen 1994, S. 112 Wichtige Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Walter Höss, Osterberg; HLS-Planung: Ingenieur­ büro Lutzenberger, Mindelheim; Abbruch: Armin Butscher, Pless; Horizontal-Ab­ dichtung: Bauunternehmen Jörg, Eggenthal; Zimmerer: Holzbau Josef Baumberger, Pless; Spengler: Rainer Albrecht, Heimer­ tingen; Fenster, Türen: Anton Schöb, Winterrieden; Innen-, Außenputz: Fa. Schneider, Dietenheim; Schlosser: SchmiedeLandtechnik Fritz Madlener, Pless; Sandstrahl-Arbeiten: Fa. Fackler, Bad Grönenbach; Kücheneinrichtung: Fa.  Hermann Großküchentechnik, Immenstadt; Außenanlagen: Petra Walser, Pless Bearbeitung, Zeichnungen: Sophie Bauer, Hochschule Augsburg

Kurzbiografien

Florian Aicher Geboren 1954 in Ulm und aufgewachsen im Umfeld der dortigen Hochschule für Gestaltung. Aicher studierte Architektur an der Staatsbauschule Stuttgart, verbrachte seine Lehrjahre in den USA und schloss sein Studium 1979 ab. Angestellte Tätigkeit im Architekturbüro Werner Wirsing bis 1981, seither selbstständiger Architekt mit Lehraufträgen im In- und Ausland. Lebt in Rotis, Allgäu, und ist dort vor allem journalistisch tätig als Fachautor zu regionalen Architek­ turthemen. Martina Buchs Geboren und aufgewachsen in Kempten im Allgäu, Studium der Architektur und Stadtplanung an der Uni Stuttgart mit Auslandssemestern an der ETSAV Barcelona und ETH Zürich. Während des Studiums wissenschaftliche Mitarbeiterin am Chair of Architecture and Urban Design, ETH Zürich, und Lehrstuhl für Orts- und Regionalplanung, Uni Stuttgart, wo sie ihre Masterarbeit zum Thema „Weiterbauen von Oberallgäuer Bauernhöfen“ verfasste. Nach und während des Studiums Mitarbeit in verschiedenen Büros in Zürich, Ulm und Kempten. Seit September 2021 Mitglied des Vorstands architekturforum allgäu. Walter Felder Geboren 1963 in Schoppernau im Bregenzer­ wald (A). Nach dem Besuch der HTL Rankweil studierte Diplom-Ingenieur Walter Felder Architektur an der Universität Innsbruck. Daran schloss eine mehrjährige Tätigkeit als Projektleiter im Büro Dietrich Untertrifaller Architekten an. 1998 erfolgte die Gründung des Architekturbüros Felder Geser mit Standort in Egg (A) im Bregenzer­ wald. Das Büro beschäftigt sich schwerpunkt­mäßig mit der räumlichen Entwick­ lung des ländlichen Raums, dem Bauen im ländlichen Raum sowie der Revitalisie­ rung alter Bausubstanz. Veronika Heilmannseder Geboren 1984 in Memmingen, auf dem Land aufgewachsen. Studierte Geschichte, Germanistik, Erziehungswissenschaften und Management von Kultur- und NonProfit-Einrichtungen in München, Ludwigs­ burg und Kaiserslautern, Promotion zum Dr. phil. Freie Tätigkeit in historischer Forschung, Verwaltung und Kultur bei Diözesen, Kommunen, Unternehmen und öffentli­ chen Einrichtungen, Lehrbeauftragte an der HS Kempten. Agentur-, Cluster- und Netzwerkgründerin mit Schwerpunkt Kultur,

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Kommunikation und Transformation im ländlichen Raum. Anton Hohenadl Geboren 1953 in Landsberg am Lech. Nach dem Architekturstudium an der TU München arbeitete er von 1980 bis 1984 im Archi­ tekturbüro Riemerschmid in Landsberg, absolvierte anschließend das Baurefe­ rendariat bei der Bayerischen Staatsbau­ verwaltung und wirkte von 1987 bis 2019 als Leiter der Kreisplanung und als Kreisbaumeister im Landkreis Ostallgäu. Schwerpunkte waren Orts- und Außenent­ wicklung sowie Denkmalschutz. Wolfgang Huß Geboren 1973 in München. Huß studierte 1994 bis 2000 Architektur an der TU München und der ETSA Madrid. Von 2000 bis 2007 arbeitete er als angestellter Architekt in München. 2007 bis 2016 war er an der TU München wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Entwerfen und Holzbau unter der Leitung von Prof. Hermann Kaufmann. 2011 gründete er mit Martin Kühfuss und Christian Schühle das Büro HKS Architekten in München. Seit 2016 lehrt er als Professor an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hoch­ schule Augsburg. In Lehre und Praxis beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit vorgefertigtem Holzbau. Bernhard Landbrecht Geboren 1952 in München. 1978 Diplom Architektur an der TU München. Nach Mitarbeit bei Gebhard + arc Architekten akademischer Rat an der TU München, danach Lehraufträge an der FH Regens­ burg, 1985 Regierungsbaumeister, frei­ schaffender Architekt und Stadtplaner BDA in München. 1998 Deutscher Städtebaup­ reis. Seit 2011 Schriftleitung „Der Bauberater“. Seit 2015 stellvertretendes Mitglied des Landesdenkmalrats Bayern für die DASL , seit 2016 Beiratsmitglied des Bayerischen Landesvereins für Heimatpfle­ ge. Seit 2015 Heimatpfleger der Landes­ hauptstadt München. Bernhard Niethammer 1997 bis 2000 Ausbildung zum Bau- und Möbelschreiner mit Gesellenbrief. Im Anschluss Studium der Werkstoffwissen­ schaften an der Bauhaus-Universität Weimar bis 2001, dann Magisterstudium der Baugeschichte, Geschichte und Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Promotion zum Dr.-Ing. an der RWTH Aachen über die Bedeutung von Putz und Farbe in der italienischen Villen-und Palastarchitektur der Renaissance. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Baugeschichte und Denkmalpflege

der RWTH Aachen bis 2012. Seit 2009 als freiberuflicher Bauforscher tätig. Ab 2019 Leiter des Schwäbischen Bauernhof­ museums Illerbeuren. Nicola Reiter Geboren in Kempten und aufgewachsen im Allgäu, studierte sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Sie lebt und arbeitet im Allgäu als Grafikdesignerin und Buchgestalterin, auftragsbezogen hauptsächlich im Bereich Kunst, Fotografie und Architektur. Daneben beschäftigt sie sich mit eigenen künstlerischen Projekten, die sie in Buchform publiziert und ausstellt. Das von ihr gestaltete Buch „ Aenne Biermann. Fotografin“ (Scheidegger & Spiess) erhielt den Deutschen Fotobuch­ preis 2020. Nicola Reiter lehrte unter anderem an der Folkwang Universität der Künste Essen. Doris Riedmiller Galeristin und Übersetzerin. 1984 bis  1988 Mitarbeit an der Schriftenreihe des „rotis institut für analoge studien“, Autor Otl Aicher. Danach Redaktion der Buchprojekte „Lufthansa Länderbibliothek Schweiz, Japan, Kalifornien, Mexiko“ und „Otl Aicher, typographie“ (dt.-engl.).  1992 Vorstands­ mitglied im Trägerverein der SfG „schule für gestaltung“, Ravensburg. Lebte und arbeitete im Unterallgäu, Bad Grönenbach-Thal. Veranstaltungsreihe Thal # 01 bis # 18 seit 2007. Seitdem auch Mitglied des Vorstands architekturforum kempten, ab 2014 architekturforum allgäu. Tragischer Unfalltod im September 2022. Hermann Rupp Geboren 1960 in Burghausen an der Salzach. Nach dem Abitur in Sonthofen absolvierte er eine handwerkliche Fotografenausbildung in Kempten. Er besuchte die Meisterklas­ se der Bayerischen Staatslehranstalt für Photografie in München und legte dort 1990 die Meisterprüfung ab. Seit 1993 arbeitet Rupp selbstständig als Werbe- und Architekturfotograf, überwiegend in Süd­ deutschland und in seinem Studio in der ehemaligen Spinnerei in Kempten. Franz G. Schröck Architekt und Stadtplaner. Geboren in Kempten im Allgäu, Studium der Architek­ tur an der TU München und an der ETH Zürich. Arbeit als Architekt und Stadtplaner zuerst in der Schweiz unter anderem im Atelier Peter Zumthor, dann wieder im Allgäu. Er betreibt ein Büro für Baukultur in Kempten und ist Lehrbeauftragter an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hochschule Augsburg. Er war Gründungs­ vorstand des architekturforums allgäu und ist seit 2014 dessen Geschäftsführer.

Philip Sodeur Geboren  1978 in Immenstadt im Allgäu. Nach dem Studium der Landschaftsar­ chitektur an der FH Weihenstephan arbeitete er im Architekturbüro Wolfgang Sodeur in Sonthofen, wirkte in unterschied­ lichen Konstellationen an städtebaulichen Wettbewerben mit und engagierte sich ehrenamtlich für die Baukultur (u. a. Vorstandsmitglied des architekturforums allgäu 2014 bis 2017, Gründung Baustelle Sonthofen e. V.). Seit 2013 ist er Mitarbeiter im Ingenieurbüro Borth, seit 2016 arbeitet er zudem als Lehrbeauftragter an der Hochschule Augsburg, Fakultät für Architektur und Bauwesen, als Betreuer von Städtebauprojekten und gibt Vorlesungen zu  „Stadt und Freiraum“. Seit 2018 ist er immer wieder als Jurymitglied bei städtebaulichen Wettbewerben tätig. Franz Vogler Geboren 1944 in Oberstdorf, Studium der Architektur an der TH München, Diplom 1974. 1966 bis  1974 Sportkarriere in der alpinen Skinationalmannschaft. Mitarbeit im Büro Prof. Dr. H. Gebhard in München (Projekt Dom-Gymnasium Freising), anschließend zwei Jahre im Büro F. S. Platou, Oslo (NOR). Ab  1982 eigenes Büro in Oberstdorf; verschiedene Büropartner­ schaften. Tätigkeitsbereich überwiegend im Landkreis Oberallgäu und in Bad Grönenbach, z. B. das Kneippsanatorium Bad Clevers. In den letzten Jahren häufig Sanierung von ehemaligen denkmalge­ schützten Bauernhäusern.

Buchbeteiligte – Dank

Der Arbeitskreis des architekturforum allgäu e. V. mit Regina Dahlström, Joachim Gierling, Anton Hohenadl, Cordula Hörmann, Dorothea Netzer, Nicola Reiter, Doris Riedmiller, Hermann Rupp, Franz G. Schröck, Armin Tittel, Franz Vogler dankt der Jury für die Projektauswahl: Walter Felder, Egg (A) Wolfgang Huß, Augsburg Bernhard Landbrecht, München den Studierenden der Hochschule Augsburg: Sophie Bauer, Anton Feliust, Daniela Fieger, Johanna Gaidamak, Jacob Lettl, Anna Lena Löcherer, Anna Mayer, Julia Mayer, Olga Natzer, Rebecca Mengele, Alexandra Merath, Franziska Riesenegger, Irene Schiele, Dana Schmid, Sebastian Thumm, Paula Wölfel; Betreuung: Prof. Wolfgang Huß, Lehrbeauf­ tragter Franz G. Schröck Das architekturforum allgäu e. V. dankt im Speziellen den Landkreisen Unterallgäu und Ostallgäu, der Alfons Hörmann Stiftung und der Bayerischen Architektenkammer für die finanzielle Unterstützung sowie seinen langjährigen Partnern: Förderer: Allgäuer Elektrohaus Allgäuer Überlandwerk Baumit BSG-Allgäu die Sozialbau Josef Hebel Meckatzer Löwenbräu SWW Oberallgäu Unterstützer: bestvent Eventtechnik braun|steine Creaton Glas Trösch Graphisoft oh! Oskar Hoffmann Pro Natur sirch Holzverarbeitung Staehlin Spenglerei Wanner Ziegelwerk Klosterbeuren Zumtobel Kooperationspartner: Bayerische Architektenkammer (ByAK) Treffpunkt Architektur Schwaben (TAS) der Bayerischen Architektenkammer

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Fotonachweis

Impressum

Alle Fotografien von Nicolas Felder, Wiggensbach – Eckartsberg (Projekte: 10,  15,  18) Rainer Retzlaff, Waltenhofen –  Niedersonthofen (Projekte: 03, 09, 17) Hermann Rupp, Kempten (Projekte: 01, 02, 04, 05, 06, 07, 08, 10, 12, 13, 14, 16, 19) Darko Todorovic, Dornbirn (Projekt 11)

Herausgeber: architekturforum allgäu e. V. Autoren: Florian Aicher, Wolfgang Huß

außer S. 8: Gemälde von Konrad Witz 1444 (Detail), MAH Musée d’art et d’histoire, Genf, Fotografie: Bettina Jacot Descombes S. 9: Nachlass A. Seifert, TUM Weihenstephan, Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum S. 14 / 15: Nicola Reiter, Kempten S. 21 unten: Zeichnung Baugesuch Vorderstaig, 1919 S. 30 rechts: Verformungsgerechtes Aufmaß von Harald Bader, Simbach S. 34 unten: historisches Bild, Hörich S. 38 oben links: Martin Kopp, Nesselwang S. 40: historisches Bild, Meillingen S. 48 / 49: Nicola Reiter, Kempten S. 59 oben: Hafner Bau, Görisried S. 59 Mitte: Gemeindearchiv Unterthingau S. 60 oben: Hafner Bau, Görisried S. 68 links: historisches Bild, Gablers S. 74, 79 unten, S. 80 oben: Architekturbüro Hagspiel Stachel Uhlig, Kempten S. 76 Mitte: historisches Luftbild, Michlhof S. 82 / 83: Nicola Reiter, Kempten S. 89 unten: Prof. Peter Tausch, Freundpolz S. 97 oben: Studio Heimhuber, Sonthofen S. 97 unten: Thomas Mayfried, München S. 102 Mitte, unten: historisches Bild und Plan, Gut Hochreute S. 113 rechts: historisches Bild, Sonderdorf S. 124 unten: historisches Bild, Meillingen S. 132 / 133: Nicola Reiter, Kempten S. 135 oben: historisches Bild, Heimenkirch S. 140 unten / 141: Architekturbüro Lutz, Bregenz S. 142 unten: historisches Bild, Arnach S. 150 / 151: Nicola Reiter, Kempten S. 154 unten: historische Farbfotografie, Rothmoos S. 157 unten, S. 159: Benedikt Natzer, Schrobenhausen S. 162 links unten: historisches Bild, Türkheim S. 169 oben: Planzeichnung Zehentstadel Pleß  1892, Staatsarchiv Augsburg Illustrationen S. 195 – 208: Florian Aicher Projekt 10: Nicolas Felder: S. 92, S. 93, S. 94 unten, S. 98 oben, S. 99; Hermann Rupp: S. 94 oben, S. 98 unten

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Redaktion: Doris Riedmiller, Franz G. Schröck Gestaltung: Nicola Reiter Zeichnungen: Studierende der Hochschule Augsburg Illustrationen: Florian Aicher © 2022, erste Auflage DETAIL Business Information GmbH, München detail.de ISBN 978-3-95553-593-3 (Print) ISBN 978-3-95553-594-0 (E-Book)

Foto Umschlag: Freundpolz, Hermann Rupp Koordination im Verlag: Sandra Hofmeister Lektorat: Katrin Pollems-Braunfels Schlusskorrektur: Gabriele Oldenburg Herstellung: Simone Soesters, Roswitha Siegler Lithografie: ludwig:media, Zell am See Druck und Bindung: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen Papier: Umschlag: FLY extraweiß 400 g / m 2, Innenteil: Munken Lynx zartweiß 120 g / m 2, Bengali hellgrün 80 g / m 2

Die für dieses Buch verwendeten FSC-zertifi­ zierten Papiere werden aus Fasern hergestellt, die nachweislich aus umwelt- und sozialver­ träglicher Herkunft stammen. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbe­sondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwer­ tung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzli­ chen Bestimmungen des Urheberrechtsgeset­ zes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbe­ stimmungen des Urheberrechts. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbib­ liothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Die Inhalte dieses Fachbuchs wurden nach bestem Wissen und Gewissen sowie mit größter Sorgfalt recherchiert und erarbeitet. Für die Vollständig­keit und Richtigkeit der Beiträge wird keine Gewähr übernommen. Rechtliche Ansprüche können aus dem Inhalt dieses Buchs nicht abgeleitet werden.