Wahlfeststellung und in dubio pro reo: Zugleich eine Dokumentation der höchstrichterlichen Rechtsprechung 1934–1986 [1 ed.] 9783428461363, 9783428061365

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Wahlfeststellung und in dubio pro reo: Zugleich eine Dokumentation der höchstrichterlichen Rechtsprechung 1934–1986 [1 ed.]
 9783428461363, 9783428061365

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JÜRGEN WOLTER

Wahlfeststellung und in duhio pro reo

Schriften zum Strafrecht Band 69

Wahlfeststellung und in dubio pro reo Zugleich eine Dokumentation der höchstrichterlichen Rechtsprechung 1934 - 1986

Von

Prof. Dr. J ürgen W olter

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek WoUer, Jürgen: Wahlfeststellung und in dubio pro reo: zugl. e. Dokumentation d. höchstrichterl. Rechtsprechung 1934 - 1986 / von Jürgen WoIter. - Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 69) ISBN 3-428-06136-5

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Irma Grininger, Berlin 62 Druck: Werner Hildebrand, Berlln 65 Printed in Germany

© 1987 Duncker

ISBN 3-428-06136-5

Karl Lackner zum 70. Geburtstag

Vorwort

Die Abhandlung verfolgt im wesentlichen drei Ziele. Entsprechend besitzt sie einen materiellrechtlichen, einen strafprozessualen und strafzumessungsrechtlichen sowie einen kriminologischen und kriminalpolitischen Schwerpunkt. Sie ist zunächst die zweite und erheblich erweiterte Auflage einer sechsteiligen Fallund Aufsatzreihe in der JuS 1983 und 1984. Auf diese Weise kann dem Wunsch nach einer zusammenhängenden Schrift und Einarbeitung wichtiger neuer Entscheidungen (etwa BGHSt 32,48, 146) am besten entsprochen werden. Doch macht diese Neuauflage nur die Hälfte des Buches aus. DerText ist um 23 neue Fälle (Nr. 9a, lOa, lOb, 12a- c, 18a- c, 20a-d, 24a, 37, 38,41-47)aufnunmehr 70 Beispiele einschließlich der Abwandlungen erweitert worden. Auf die Rechtsvergleichung und die Ziele des Strafprozesses wie der richterlichen Entscheidung wird verstärkt Bedacht genommen. Funktion, Verhältnis, Rechtscharakter und Reichweite von Wahlfeststellung und in dubio pro reo werden dargestellt. Eine Systematisierung des gesamten Materials, eine dogmatische Rechtfertigung und Präzisierung der sog. normativen Stufenverhältnisse und eine Konkretisierung der materiellrechtlichen Gleichwertigkeitsformel werden versucht. Das zweite Anliegen ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Es wird erstmals umfassend angestrebt, die in Rechtsprechung und Wissenschaft zu Unrecht vernachlässigten Bereiche des Strafprozeßrechts (etwa §§ 264, 265, 266 StPO bei Wahlfeststellungen), der Tenorierung und der Strafzumessung anhand der erreichbaren höchstrichterlichen Entscheidungen darzustellen. Zusammen mit den tatsächlichen und materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wahlfeststellung ergeben die strafprozessualen und strafzumessungsrechtlichen Erfordernisse der alternativen Verurteilung ein Gesamtbild, das auch präzisierte urteilsund gutachtentechnische Hinweise erlaubt. Auf diese Weise wird Gewinn sowohl für die praktische Entscheidung wie vor allem für die Ausbildung erzielt. Das Hauptanliegen der Abhandlung ergibt sich aus dem Untertitel. Er betrifft den kriminologischen und kriminalpolitischen Teil der Arbeit. 50 Jahre Rechtsprechung zur Wahlfeststellung und zu in dubio pro reo sind dokumentiert. Die Übersicht über insgesamt fast 400 Voten beginnt mit der Plenarentscheidung RGSt 68, 257 aus dem Jahre 1934, in der erstmals die Wahlfeststellung zwischen zwei verschiedenen Straftatbeständen (Diebstahl und Hehlerei) zugelassen wurde. Und sie endet - zwischen 1944 und 1946 zwangsläufig unterbrochen1986. In dieser Dokumentenanalyse wurden sämtliche ohne weiteres erreichbaren Entscheidungen ausgewertet: vor Kriegsende die publizierte Judikatur; nach dem Kriege die gesamte veröffentlichte und unveröffentlichte Rechtspre-

8

Vorwort

chung des OGH und des BGH sowie sämtliche publizierten Voten der anderen Strafgerichte. Zum Teil ging es um die Überprüfung von Hypothesen; im wesentlichen beschränkt sich die Dokumentation auf deskriptive Aussagen. Schon diese Ergebnisse sind von Interesse. Jede zweite Entscheidung des BGH und OGH betrifft die Alternativität von Diebstahl und Hehlerei. Zwei von drei Voten beziehen sich ausschließlich auf die Eigentums- und Vermögenskriminalität. Ein wenig abgeschlagen nimmt die Alternativität von Vollrausch und Rauschtat den nächsten Rang ein - angesichts der Tatbestandsfassung von § 323a StGB und der Interpretation in BGHSt 32, 48 freilich ebenfalls bemerkenswert. Freisprüche kommen in den beiden Hauptfeldern der Wahlfeststellung so gut wie nicht vor. Und die Grenzen der prozessualen Tatidentität werden großenteils nicht problematisiert. In bestimmten Bereichen läßt die unveröffentlichte BGH-Rechtsprechung die Wahlfeststellung in größerem Umfang zu als die publizierte Judikatur. Die veröffentlichten Entscheidungen sind so zum Teil nicht repräsentativ. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse werden kriminalpolitische Lösungskonzepte angesprochen (Restriktionen bei der Rechtsprechung; Verfassungsbeschwerde; gesetzgeberisches Einschreiten). Die Dokumentation will JURIS nicht vorgreifen oder ersetzen. Allerdings hat sich gerade bei dieser Spezialuntersuchung gezeigt, daß beim Aufspüren der einschlägigen Entscheidungen das Lesen von Eingangsvorschriften, Leitsätzen, Sachverhalten oder Registerheften nicht genügt. Die eigentliche Problematik war oftmals im unbedeutenden Detail versteckt. Deshalb mögen auch einige Voten nicht aufgedeckt worden sein. Doch ist zu vermuten, daß sich im Gesamtbild Wesentliches nicht ändern würde. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Anfang Mai 1986, zum Teil darüber hinaus, berücksichtigt worden. Insgesamt versucht das Buch, den Strafrichter und Staatsanwalt ebenso anzusprechen wie den Strafrechtslehrer und Studenten. Belange des Gesetzgebers und des BVerfG sind gleichfalls berührt. Angesichts der umfassenden und systematischen Aufbereitung des Materials, der Wiedergabe und dogmatischen Ergänzung des aktuellen Diskussionsstandes sowie eines detaillierten Gesetzesund Sachverzeichnisses wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Abhandlung die Funktion eines kleinen Handbuches zur Wahlfeststellung haben möge. Mein Dank gilt allen, die mich bei Abfassung und Druck des Textes sowie bei der Erarbeitung der Dokumentation unterstützt haben. Wertvolle Hilfe beim Zugänglichmachen und Beschaffen des Materials habe ich beim Bundesgerichtshof, beim Bundesministerium der Justiz und bei der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg erhalten. Namentlich danke ich Herrn Präsidenten des BGH, Professor Dr. Gerd Pfeiffer; Herrn Dr. Hildebert Kirchner und Herrn Bibliotheksoberrat beim BGH Dietrich Pannier; Herrn Priv.Doz. und Reg.Dir. Dr. Klaus Rogall (Bundes ministerium der Justiz) und Herrn Professor Dr. Kar! Lackner (Universität Heidelberg) sowie ihren Mitarbeitern. Bei der Erfassung

9

Vorwort

des Materials haben mir meine wissenschaftlichen Hilfskräfte, Frau Rechtsanwältin Renate Paulus und Frau cand.iur. Hilke Pommerening zur Seite gestanden. Die Hauptlast der Dokumentation einschließlich der Statistiken, des Gesetzesund Sachverzeichnisses und der Korrekturen lag jedoch bei Herrn cand.iur.Dirk Lammer, ohne dessen unermüdlichen Einsatz die tatsächlichen Grundlagen der Arbeit nicht hätten erfaßt werden können. Das Manuskript ist von meiner Sekretärin, Frau Wilma Buchholz, vorbildlich umgesetzt worden. Nicht zuletzt gebührt mein aufrichtiger Dank dem Verlag Duncker & Humblot und Herrn Geschäftsführer Ernst Thamm, der die Abhandlung in die "Schriften zum Strafrecht" aufgenommen und mit Verständnis betreut hat. Das Buch ist in großer Verehrung, mit aufrichtigem Dank für die Heidelberger Zeit und mit sehr herzlichen Glückwünschen zum 70. Geburtstag Herrn Professor Dr. Karl Lackner gewidmet. Er ist mit der Abhandlung durch wertvolle Diskussionen, einen gemeinsamen Seminarabend zu BGHSt 32,48 im WS 1984/85 und den Fundus seiner Heidelberger BGH-Entscheidungssammlung aufs engste verbunden. Die Arbeit an diesem Buch hat wider Erwarten noch 1986 so viel Zeit in Anspruch genommen, daß ich zu meinem Bedauern der Einladung zu einer Beteiligung an der Festschrift für Karl Lackner trotz Zusage nicht mehr rechtzeitig nachkommen konnte. Bonn, 1. Januar 1987

Jürgen Wolter

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

I.

H.

Kriminalpolitische Notwendigkeit, reclttsstaatliche Grenzen und rechtstatsächliclte Grundlagen

19

Das Problem von Wahlfeststellung und "in dubio pro reo" ......... .

19

1. Unproblematische Fälle (Freispruchsfälle; "Rechtsfragen") ....... .

19

2. Die ProblemHille .......................................... .

20

Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit sowie zwischen Schuld und General- bzw. Spezial prävention ..................... .

21

1. Rechtssicherheit und Tatbestandsbestimmtheit ..................

21

2. Einzelfallgerechtigkeit .......................................

22

3. Schuldsühne, Prävention und Genugtuung; Prozeß- und Urteilsziele

23

4. Praktische Erwägungen .....................................

24

5. Rechtsstaatliche und sozialstaatliche Rechtsprechung und Wissenschaft

25

Rechtsgeschichte, Rechtscharakter und Rechtsvergleichung bei der Wahlfeststellung ..................................................

26

1. Rechtsgeschichte und Rechtscharakter .........................

26

2. Rechtsvergleichung .........................................

28

IV.

Rechtstatsächliche Grundlagen ..................................

28

V.

Extremauffassungen bei der Wahlfeststellung ......................

29

1. Die unbegrenzte Zulassung der Wahlfeststellung ................

29

2. Freispruchslösungen ........................................

30

Alternativität von Modalitäten, Qualifikationen und Regelbeispielen eines Straftatbestandes .............................................

31

1. Das Problem der Ungleichwertigkeit ..........................

31

III.

VI.

VII.

2. Wahldeutige Feststellung eines Tatbestandsmerkmals ............

33

3. Begriffslogische Stufenverhältnisse ............................

34

Die eigentlichen Fallgruppen und die vier denkbaren Urteilsergebnisse

35

12

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil

I.

II.

III.

Die zwölf Fallgruppen von Wahlfeststellung und in dubio pro reo

36

Fallgruppe A. "Echte Wahlfeststellung" zwischen verschiedenen Straftatbeständen ohne "Rumpftatbestand" ............................. .

37

l. Unterfallgruppe AI. Alternative Modalitätenfeststellung bei einem Straftatbestand ehne "Rumpftatbestand" als "unechte Wahlfeststellung" ....................................................

37

2. Unterfallgruppe A2. Eindeutige Modalitätenfeststellung bei "begriffslogischem Stufenverhältnis" ..................................

38

Fallgruppe B. Sog. Postpendenzfeststellung .......................

38

l. Die vier wesentiichen Auffassungen ...........................

39

2. Vermittelnde Stellungnahme .................................

41

3. Methodische Einordnung ....................................

41

4. Lösung von Fall 8 .........................................

42

Fallgruppe C. Kombination von "in dubio pro reo" und "unechter Wahlfeststellung" .................................................

43

l. Unterfallgruppe CI. "In dubio pro reo" bei "begriffslogischem Stufen-

lerhältnis" verschiedener Strafgesetze und teilidentischer Tatsachengrundlage .................................................

2. Unterfallgruppe C2. "Unechte Wahlfeststellung" bei "reiner Tatsachenalternativität" ............................................. 3. Lösung von Fall 9 ......................................... 4. Lösung von Fall 9a ........................................ 5. Die neueste Entwicklung .................................... IV.

V.

VI.

44

46

47 50 51

Fallgruppe D. Kombination von"in dubio pro reo" und "echter Wahlfeststellung" ....................................................

51

l. Die wesentlichen Auffassungen ...............................

51

2. Stellungnahme .............................................

53

Fallgruppe E. Doppelte Anwendung von "in dubio pro reo" ........ .

54

l. Kein Mißbrauch des in dubio pro reo-Grundsatzes ..............

54

2. Ergebnis im Fall 13 ........................................

55

3. Unterfallgruppe EI. Modalitätenfeststellung bei einem Straftatbestand mit "Rumpftatbestand" .....................................

56

Fallgruppen F, FI. "Unechte Wahlfeststellungen" bei "normativen Stufenverhältnissen" ................................................

56

13

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen; § 323a StGB

I.

57

"Unechte Wahlfeststellungen" bei "normativen Stufenverhältnissen"

57

1. Fallgruppe F ("Unechte Wahlfeststellung" bei "normativem Stufenver-

hältnis mehrerer Straftatbestände"); Meinungsstand ............. .

57

2. Begriffslogisches Stufenverhältnis (eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage) ...................................

58

3. Wahlfeststellung (alternative Verurteilung) oder Freispruch ........

59

4. Normatives Stufenverhältnis (eindeutige Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage) ........................................

61

5. Zusammenfassung und Ablehnung von Einzelauffassungen ........

63

...

64

7. Systematische Einordnung der Fallgruppe F ....................

68

8. Unterfallgruppe FI (eindeutige Modalitätenfeststellung bei "normativem Stufenverhältnis") ......................................

68

Kombinierte Fallgruppen ..................................... .

69

1. Kombination der Fallgruppen CI und F ...................... .

69

2. Uneinigkeit der BGH-Senate ................................ .

70

3. Uneinigkeit im Schrifttum .................................. .

71

4. Alternativität von Tateinheit und Tatmehrheit ................. .

72

5. Kombination der Fallgruppen Fund A ....................... .

73

6. Kombination der Fallgruppen D und F, FI ...... . . . . . . . . . . . . . .

74

Der Sonderfall des § 323a StGB ................................

75

1. Alternativität von Rauschtaten i.R. von § 20 und § 21

...........

75

2. Alternativität von Rauschtaten i.R. von § 20 und "überhalb von § 21"

80

3. Alternativität von Rauschtaten LR. von § 20 und "unterhalb von § 21"

84

4. Alternativität von Rauschtat LR. von § 20 und möglicher Rauschtat

85

IV.

Die Sonderauffassung von Dreher ...............................

86

V.

Ausblick .... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

6. Definition und Reichweite des "normativen Stufenverhältnisses"

11.

III.

Vierter Teil

I.

Lösungsschema und Zwischenbilanz; tatsächliche Voraussetzungen von Wahlfeststellung und in dubio pro reo

87

Tabellarische Übersicht der Urteilsergebnisse, Fallgruppen und Lösungen

87

1. Die vier denkbaren Urteilsergebnisse ..........................

87

Inhaltsverzeichnis

14

11.

111.

2. Fallgruppen, Lösungswege und Urteilsergebnisse

87

Das Verhältnis von Wahlfeststellung und in dubio pro reo ......... .

89

I. Der in dubio pro reo-Satz i.e.S. und i.w.S. .....................

89

2. Zweiteilung des Systems: in dubio pro reo-Fälle (i.e.S.) und Wahlfeststellungen ........................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

3. Vorrang der Wahlfeststellung aus den Ausgangsalternativen .......

90

4. Vorrang der vier Hilfslösungen vor dem Freispruch ..............

92

Die tatsächlichen Voraussetzungen von Wahlfeststellung und in dubio pro reo ... ......................................................

93

I. Strafbarkeit sämtlicher Sachverhaltsalternativen .................

93

2. Exklusive Alternativität der Sachverhalte .....................

96

Fünfter Teil

I.

11.

Die Gleichwertigkeit der Alternativen als materiellrechtliche Voraussetzung der Wahlfeststellung (Meinungsstand)

98

Ungeeignete oder bedenkliche Lösungen ......................... .

98

I. Vermeidung der Wahlfeststellung (.. materiellrechtliche Lösung" von Mayer; ..in dubio-Lösung" von Dreher) ........................

100

2. Vernachlässigung des Handlungsunwerts und .. Zweitrechtsguts" ( .. Identität des Unrechtskerns"; Günther; Montenbruck; Grünhut) .......

101

3. Bedenkliche Lösungen trotz Berücksichtigung der Handlungs- und vollen Erfolgsunwerte .........................................

106

4. Problematik der konkreten bzw. abstrakten Betrachtungsweise .....

107

Ansätze zur Bewältigung des Gleichwertigkeitsproblems .............

108

I. .. Vergleichbarkeit im typischen kriminellen Unrechtsgehalt" (Rudolphi)

108

2. ..Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit" ............

110

3... Vergleichbarkeit bei typischen Untergruppen eines abstrakten Deliktstypus im konkreten Fall" (Eser) ..............................

115

Sechster Teil Die Gleichwertigkeit der Alternativen als materiellrechtliche Voraussetzung der Wahlfeststellung (eigene Lösung)

117

I.

Grundlagen

117

11.

..Typisierende gesetzliche Anknüpfungspunkte" zur Lösung des Gleichwertigkeitsproblems ...........................................

117

Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

15

1. Gesetzliche Vertypung durch identische Tatbestandsmerkmale

119

2. Gesetzliche Vertypung durch Tatbestandsmerkmale, Qualifikationen, Regelbeispiele und andere benannte Strafänderungsgründe ........

120

3. Vertypung durch Konkurrenzen ..............................

121

4. Vertypung durch gesetzlich angeordnete Analogien ..............

121

5. Gesetzliche Vertypung durch "kriminologischen Zusammenhang" (§ 48 a.F. StGB) und weitere Strafzumessungsvorschriften .............

123

6. Vertypung durch strafprozessuale Vorschriften (§ 265 StPO) .......

124

7. Fazit .....................................................

124

Die Gleichwertigkeit bei vergleichbaren Problemen .................

124

1. Täterschaft und Teilnahme ..................................

124

2. Vollrauschtatbestand .......................................

125

3. § 2 111 StGB ..............................................

126

4. Prozessuale Tatidentität bei materiellrechtlicher Handlungsmehrheit (§§ 155, 264 StPO) .........................................

126

5. Keine Parallele: Irrtum über Tatbestandsalternativen .............

127

Ergebnis: Präzierte Gleichwertigkeitsformel bei Wahlfeststellungen ....

128

1. Wortlaut .................................................

128

2. Reichweite ................................................

128

3. Konsequenzen

129 Siebenter Teil

1.

H.

III.

Verfahrensrecht und Strafzumessung

130

Tatidentität (§§ 155,264 StPO) und Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes (§ 265 StPO) .........................................

131

1. Tatidentität und Rechtskraft .................................

131

2. Alternative Fassung von Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß; § 265 StPO und Revision.. . .. . . . . . . . . ... .. . .. . . . . . .. .. . . .. . .. . .. .

131

3. § 265 StPO bei logischen Stufenverhältnissen

132

Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand und Nachtragsanklage (§ 266 StPO); Rechtskraft ...................................

132

1. Materiellrechtliche Vorfragen .................................

133

2. Grenzen der Tatidentität; Nachtragsanklage und Verfahrensverbindung

134

Alternativ gefaßter Schuldspruch (§ 267 StPO) ....................

137

1. Vorzüge der alternativ gefaßten Urteilsformel bei echter Wahlfeststellung .....................................................

137

2. Urteilsformel bei alternativen Modalitäten (unechter Wahlfeststellung)

137

16

IV.

Inhaltsverzeichnis 3. Urteilsformel bei normativen Stufenverhältnissen

138

4. Urteilsformel bei "Tatsachenalternativität" und Regelbeispielen ...

138

Bestrafung aus dem konkret mildesten Gesetz (§ 267 StPO) .........

139

1. Strafe bei echter Wahlfeststellung und alternativer Modalitätenfeststellung ....................................................

139

2. Strafe bei unechter Wahlfeststellung und "Tatsachenalternativität"

140

3. Verbot strafschärfenden Rückgriffs auf alternative Straftaten .....

140

4. Strafe bei fortgesetzten Taten ...............................

141

5. Rückgriff auf § 158 StGB ..................................

141

6. Rückgriff auf eigentlich strengere Alternative sowie auf § 157 StGB

142

V.

Beweiserhebung und Urteilsgründe (§§ 244, 267 StPO) ..............

143

VI.

Weitere Einzelfragen .........................................

144

I. Beteiligung ..............................................

144

2. Alternativität fortgesetzte Tat - Tatmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144

3. Alternativität fortgesetzte Tat - Einzeltat ....................

145

4. Rückfall .................................................

145

5. Alternativität Jugendstrafrecht - Erwachsenenstrafrecht ........

146

6. Sachliche Zuständigkeit ....................................

146

7. Wahrheitsbeweis ..........................................

146

8. Rechtsmittel und Verschlechterungsverbot (§ 331 StPO) .........

146

9. Rechtskraft und § 264 StPO ................................

147

10. Amnestie ................................................

147

11. Wiederaufnahme ..........................................

147

12. Disziplinarverfahren .......................................

147

Achter Teil

Gutachtentechnik

148

I.

Das Verhältnis von Wahlfeststellung und in dubio pro reo

148

11.

Alternativer Sachverhalt und alternative Fallösung .................

148

III.

Aufbauanleitung für das Gutachten .............................

149

IV.

I. Reihenfolge der Prüfung ...................................

149

2. Prüfungsschema ..........................................

151

Wahlfeststellung und Konkurrenzlehre ...........................

152

Inhaltsverzeichnis

17

Neunter Teil

I.

Dokumentation der höcbstrichterlichen Rechtsprechung von 1934-1986

153

Kriminologische Grundlagen ...................................

153

I. Forschungsinteresse; Strafprozeßtheorie und» Theorie der Wahlfest-

stellung"; normative Ziele ..................................

11.

III.

IV.

153

2. Dokumentenanalyse als Erhebungsmethode; Umfang der Dokumentation ...............................................

154

3. Deskriptive Aussagen und Hypothesen .......................

157

Daten; Überprüfung von Hypothesen; Vorbereitung rechtlicher Stellungnahmen.....................................................

158

I. Gesamtzahl der Entscheidungen .............................

158

2. Unzulässige Wahlfeststellungen (Freispruch; Stufenverhältnis; Auffangtatbestand; Kombination) ...............................

158

3. Unvollständige und unbewußte Feststellungen der Untergerichte . . .

160

4. Wahlfeststellung zwischen mehr als zwei Alternativen ...........

161

5. Die Urteilsformel bei Wahlfeststellungen ......................

161

6. Die Alternativität von Verbrechen und Vergehen ...............

161

7. Die Grenzen der prozessualen Tatidentität (§§ 264, 265, 266 StPO)

163

8. Die Alternativität von Diebstahl und Hehlerei .................

163

9. Die Alternativität von sonstigen Eigenturns- und Vermögensdelikten .....................................................

164

10. Die Alternativität von Vollrausch und Rauschtat ...............

165

11. Sonstige Alternativitätsfälle .................................

166

Rechtliche Konsequenzen der Dokumentenanalyse .................

167

I. Verurteilungen und Freisprüche .............................

167

2. Der Vollrauschtatbestand ..................................

168

3. Diebstahl und Hehlerei ....................................

169

4. Auswirkungen und Ausmaß der unveröffentlichten BGH-Rechtsprechung ...............................................

169

5. Die Grenzen der prozessualen Tatidentität

170

6. Gesetzgebung und Verfassungsbeschwerde

171

Dokumentation und Kurzdarstellung der Entscheidungen ...........

172

18

Inhaltsverzeichnis

Zehnter Teil

Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

207

Literaturverzeichnis

210

Gesetzesverzeichnis

216

Verzeichnis alternativer Gesetze .......................................

218

Sachverzeichnis ....................................................

220

Erster Teil

Kriminalpolitische Notwendigkeit, rechtsstaatliehe Grenzen und rechtstatsächliche Grundlagen* Falll: Auf den Geldboten G ist ein Überfall verübt worden. Der vermummte Täter hat G mit einer scharf geladenen und entsicherten Schußwaffe eingeschüchtert. Der Täter ist mit dem Geld geflohen. Später kommt es zur Hauptverhandlung gegen den Angeklagten X vor der Großen Strafkammer. a) Das Gericht ist am Ende der Verhandlung davon überzeugt, daß der Täter das Geld "an sich gerissen" hat, ist sich jedoch nicht sicher, ob der Angeklagte X der Täter gewesen ist. b) Das Gericht ist sowohl von der Täterschaft des X wie von dem Umstand überzeugt, daß G dem X das Geld "übergeben" hat. c) Das Gericht ist von der Täterschaft des X überzeugt, bleibt aber unsicher, ob X das Geld an sich gerissen oder ob G das Geld dem X übergeben hat (vgl. auch BGHSt 5, 281).

I. Das Problem von Wahlfeststellung und "in dubio pro reo" 1. Unproblematische Fälle (Freispruchsfäl/e; "Rechtsfragen")

Auch nach Ausschöpfung sämtlicher Erkenntnis- und Beweismittel in der Hauptverhandlung (§ 244 II StPO) ist das Gericht oftmals nicht in der Lage, das Tatgeschehen vollständig in allen Einzelheiten aufzuklären. Das liegt schon in der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit begründet 1. Das Gericht muß deshalb in zahlreichen Fällen mangels ausreichender Überzeugung (§ 261 StPO) nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freisprechen. So liegt es im Fall 1a. Hier steht zwar das anzuwendende Strafgesetz fest (§ 250 I Nr. 1). Denn ganz gleich, ob man mit der h. L. 2 auf die angesichts der Schußwaffe mangelnde Handlungsfreiheit (und die dann fehlende Vermögensverfügung) des G oder mit dem BGH3 auf das äußere Erscheinungsbild der Tat abhebt: Das Ansichreißen des Geldes ist Wegnahme, die Tat ein schwerer Raub. Jedoch bleibt die Beteiligung des X offen. Solche in dubio-Fälle interessieren schon deshalb nicht, weil ihre Lösung - hier Freispruch - unbestreitbar ist (näher 4. Teil III 1).

* I

2 3

§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB.

RGSt 66, 134; Tröndle, in: LK, § 1 Rdnr. 61. Etwa Samson, in: SK StGB, § 249 Rdnrn. 4 ff. BGHSt 7, 254.

I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

20

Näher zu erörtern sind hingegen solche Konstellationen, die gleichsam umgekehrt liegen: Die Beteiligung des X steht zur Überzeugung des Gerichts fest, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz. Freilich läßt sich dabei Fall] b von vornherein als ebenfalls unproblematisch ausklammern. Denn hier steht das erstinstanzliche LG allein vor der Rechtsfrage, ob es mit der h.L. (trotz der "Übergabe" des Geldes) wegen der mangelnden Handlungsfreiheit des G schweren Raub (§ 250 I Nr. 1) oder mit dem BGH wegen des äußeren Erscheinungsbildes schwere räuberische Erpressung (§ 255 i.V. mit § 250) annehmen soll. Eine Rechtsfrage ist stets der eindeutigen Lösung fähig und bedürftig: iura novit curia4 • Das Gericht darf also weder zu einer in dubio-Entscheidung greifen - sei es zu einem Freispruch oder sei es zu der Verurteilung aus dem konkret milderen Delikt (das angesichts der gleichen abstrakten Strafrahmen ohnehin schwerlich auszumachen wäre); noch darf es eine wahlweise Feststellung (§ 250 oder § 255)5 treffen. Es muß sich vielmehr zu einem eindeutigen rechtlichen Votum durchringen und mag - ohne rechtliche Bindung an, aber mit Blick auf die BGH-Rechtsprechung - den X wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilen. 2. Die Problemfälle

Nach allem liegen die eigentlichen Problemfäl1e von "Wahlfeststel1ung" und "in dubio pro reo" zutage. Es geht im wesentlichen um Beweislagen, bei denen die Beteiligung (des X) feststeht, das Tatgeschehen jedoch nicht vollständig in al1en Einzelheiten aufzuklären ist und dieser Tatsachenzweifel - wollte man ihn rechtlich ummünzen - mit Sicherheit zur Feststellung verschiedener Strafgesetze führen würde. So liegt es etwa im Fall] c. Das LG, das der BGH-Rechtsprechung zu folgen bereit ist, kann nur (und immerhin) wahlweise einen schweren Raub oder eine schwere räuberische Erpressung feststel1en. Es steht dann vor der Frage, ob es X wahldeutig "aus § 250 oder § 255" verurteilen darf, d.h. eine sog. "Wahlfeststellung" 6 treffen bzw. - wie neuerdings auch formuliert wird - zu einer alternativen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage 7 gelangen kann. StGB und StPO geben auf diese Frage keine Antwort. Der Gesetzgeber hat die Lösung des Problems bewußt Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen (näher unten 11 und III). Auf den ersten Blick liegt es nahe, X wiederum mit Hilfe des (nunmehr wechselseitig angewendeten) Grundsatzes "in dubio pro reo" freizusprechen. Der BGHSt 14,73; Eser, in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnr. 67; Wolter, S. 16 jeweils m. w. Nachw. Tröndle, in: LK, § I Rdnr. 65; Blei, AT, S. 35. 6 Dieser Begriff ist eingebürgert, jedoch ungenau und mißverständlich, vgl. Tröndle, in: LK, § 1 Rdnr. 64; Willms, 1Z 1962, 628; Wolter, S. 15 Fußn. I. 7 Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 61; Wolter, S. 16. 4

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H. Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit

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(volle) Schuldnachweis bezüglich des Raubes ist ebensowenig zu führen wie hinsichtlich der räuberischen Erpressung, denn eine unzweifelhafte Feststellung des Raubes scheitert an der Möglichkeit der räuberischen Erpressung - und umgekehrt. Der in dubio-Satz bildet dann eine Entscheidungsregel des Rechtsanwendungsrechts, die bei Zweifeln der genannten Art die Nichtanwendung beider Straftatbestände anordnet. Er läßt sich weiter als die prozeßrechtliche Ausformung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit begreifen. Materiellrechtlich spiegelt er sich wider in dem "nullum crimen, nulla poena sine lege"Satz (§ 1 und Art. lO3 11 GG)8. Freilich hätte das Gericht - das sei hiernur beiläufig erwähnt-imFall1cnoch eine dritte Möglichkeit. Es könnte mit Hilfe des in dubio-Prinzips eindeutig und auf eindeutiger Tatsachengrundlage aus demjenigen (Teil-)Strafgesetz verurteilen, das der Täter in jedem Fall verletzt hat. Und das ist - sieht man zunächst einmal von § 246 ab - die Nötigung nach § 240, die im Raub wie in der räuberischen Erpressung steckt. Doch ist zugleich der Ausnahmecharakter dieser dritten Entscheidungsvariante zu betonen (näher 4. Teil 11 2c). Vielfach hat das Gericht einen solchen "Rumpftatbestand" nicht zur Verfügung. Man denke an die Alternativitäten von Diebstahl und Erpressung, von Diebstahl und Betrug usw. Dennoch sei im folgenden die Möglichkeit des Teilschuldspruchs aus einem "Rumpftatbestand" (hier § 240) stets mitdiskutiert.

11. Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit sowie zwischen Schuld und General- bzw. Spezialprävention 1. Rechtssicherheit und Tatbestandsbestimmtheit

Sowohl ein Freispruch mit Hilfe einer wechselseitigen Heranziehung des in dubio-Satzes als auch eine in dubio-Verurteilung allein aus § 240 anstelle einer alternativen Verurteilung wegen Raubes oder räuberischer Erpressung erscheinen aus mehreren Gründen problematisch. Einmal gebietet es gerade der dem Rechtsstaatsprinzip in Gestalt der Rechtssicherheit entnommene Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit (§ 1, Art. lO3 11 GG), die Strafgesetze breit aufzufächern. Hätte der Gesetzgeber einfach ins Gesetz geschrieben "Wer durch Gewalt oder unter Anwendung von Drohungen fremdes Eigentum oder Vermögen an sich bringt oder schädigt . .. ", so hätte einer Verurteilung wegen dieses qualifizierten Vermögensdelikts i.w.S. nichts im Wege gestanden. Daß eine solche Weite eines Straftatbestandes erheblichen Bedenken ausgesetzt wäre, braucht nicht näher begründet zu werden. Es sind also gerade die verfassungsrechtlich 8 Zum Ganzen Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 5;Jescheck. S. 113, 117; vgl. auch Gollwitzer. in: Löwe-Rosenberg (LR), § 261 Rdnr. 112 tT.; Pfetffer. in: KarisKomm, Einl. Rdnr. 12.

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I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

gebotene Tatbestandsbestimmtheit und Rechtssicherheit (zusammen mit der schon genannten begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit), die solche wahldeutigen Tatsachengrundlagen erzwingen9 • Schon von daher scheint es nicht unproblematisch, unter allen Umständen für einen Freispruch bzw. für einen Teilschuldspruch nach § 240 zu plädieren (der weder die "Vermögensschädigung" noch die "Qualifikation" der Nötigung in den §§ 250, 255 zum Ausdruck brächte). Oftmals sind es unwesentliche und angesichts der Hektik des Tatgeschehens auch schlechterdings in der Hauptverhandlung nicht rekonstruierbare Begleitumstände, die das Gericht in dieses Dilemma bringen. Denn wie soll sich der Geldbote G oder auch der Täter X im Falll c noch genau erinnern, ob das Geld in dieser höchstbedrohlichen und sekundenschnell abgeschlossenen Situation "gereicht" oder "genommen" wurde? - In anderen Fällen hängt die rechtliche Qualität des nicht voll aufgeklärten Geschehens überhaupt nicht mehr vom Täter, sondern nur noch von der Willensrichtung beim Opfer ab. Das ist etwa der Fall bei der Alternative Trickdiebstahl und Betrug (dazu unten 5. Teil, Fall 32). Hier bliebe auch nur - sieht man von einer etwaigen und dann farblosen Unterschlagung als Begleit- oder Nachtat ab - der Freispruch übrig, da die Täuschung allein (anders als die Nötigung bei den §§ 250, 255) als "Rumpftatbestand" nicht strafbar ist. Ein anderes Beispiel für den "Zweifel in der Opfersphäre" bildet wiederum die Alternativität von Raub und räuberischer Erpressung, nunmehr auf der Grundlage der h.L.: Es läßt sich - in Abwandlung des Falles lc - nicht mehr aufklären, ob das durch die Androhung von brutalen Schlägen eingeschüchterte Opfer noch Handlungsfreiheit besessen hat oder nicht. Erneut hätte das - nunmehr der h.L. folgende - Gericht nur die unzureichenden - wenn auch jeweils der Rechtssicherheit genügenden - Möglichkeiten von Teilschuldspruch (§ 240) bzw. Freispruch. 2. Einze/jallgerechtigkeit

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet nun aber nicht nur eine der Rechtssicherheit genügende, sondern zugleich auch eine gerechte Entscheidung im Einzelfall. Das der Rechtsidee immanente Gebot der Einzelfallgerechtigkeit fordert nämlich, einen Täter, der notwendig und sicher eine von mehreren (weitgehend vergleichbaren) Straftaten begangen hat, nicht völlig ungestraft bzw. mit einem unmaßgeblichen Teilschuldspruch (etwa § 240) davonkommen zu lassen. Es ist deshalb stets zu versuchen, einen Ausgleich von Rechtssicherheit und Gerech9 Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. I m. Nachw. Andererseits hat die in Art. 103 II GG an den Gesetzgeber gerichtete Weisung, bestimmte Tatbestände zu schaffen, nichts mit der prozessualen Frage zu tun, was mit einem Täter zu geschehen hat, der entweder den einen oder den anderen von zwei dem Art. 10311 GG entsprechenden Straftatbeständen verwirklicht hat. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Wahlfeststellung lassen sich insoweit nicht herleiten; treffend Dreher-Trändle. § I Rdnr. 15.

11. Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit

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tigkeit herzustelien lO • Anstelle einer absoluten Durchsetzung des einen Prinzips auf Kosten des anderen muß durch verhältnismäßige Beschränkung des einen zugunsten des anderen jedem Grundsatz zu optimaler Wirksamkeit verholfen werdenIl. Und diese Synthese der beiden Ausformungen des Rechtsstaatsprinzips muß zumindest dann zu einer vollen Verurteilung führen, wenn die beiden in Betracht kommenden Straftatbestände (wie der Raub und die räuberische Erpressung im Fal/lc) sich in ihrem kriminellen Unrechts- und Schuldgehalt und dann auch im Handlungs- und Erfolgsunwert im wesentlichen gleichen (näher unten 6. Teil). Ein Freispruch wäre hier angesichts der identischen Angriffsart und der letztlich deckungsgleichen Eigentums- bzw. Vermögensverletzung ein unerträglicher Formalismus 12. Und ein Teilschuldspruch nach § 240 würde weder der Rechtsgutsverletzung noch der qualifizierten Angriffsart gerecht 13. 3. Schuldsühne, Prävention und Genugtuung; Prozeß- und Urteilsziele

Insoweit ist es auch hinzunehmen, daß die Grundlage der Strafe nach §§ 250, 255 nicht eine in allen Einzelheiten nachgewiesene Schuld ist (vgl. auch § 46 I 1). Die wahldeutige Verurteilung tangiert durchaus in einem gewissen Maße das Schuldprinzip und damit wiederum den Rechtsstaatsgrundsatz; sie beeinträchtigt deshalb auch den Strafzweck der Schuldsühne. Aber das Schuldprinzip ist nur unwesentlich verletzt, wenn die alternativen Straftaten tatbestandstypisch, strafzumessungsrechtlich oder auch kriminologisch und strafprozessual miteinander verzahnt sind. Es kann noch Zumessung von Strafe auf der Grundlage von Tatschuld stattfinden. Die Verwirklichung der Prozeß- und Urteilsziele (neben Rechtssicherheit, Gerechtigkeit, Rechtsfrieden und Schuldausgleich z.B. auch Wiedergutmachung und Prävention) bleibt gewährleistet. Ohne einen wahldeutigen Schuldspruch ("wegen Raubes oder räuberischer Erpressung") würden neben der Schuldsühne insbesondere die weiteren Strafzwecke und damit im wesentlichen präventive Erfordernisse entscheidend vernachlässigt und ausgehöhlt. Denn bei fast identischen Straftatbeständen wie den §§ 250, 255 kann im Falle der Verurteilung beim Täter zumindest der Effekt erreicht werden, das wesensgleiche oder doch vergleichbare Rechtsgut (Eigentum/Vermögen) auf entsprechend qualifizierte Weise (Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben durch Anwendung einer Schußwaffe) nicht mehr zu verletzen. Die Allgemeinheit wird vor einem spezifischen Rückfall des 10 Etwa Jescheck, S. 117; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 5; Wolter, S. 47; OLG Karlsruhe, NJW 1976,903. 11 Treffend und näher Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 74 m. Nachw. 12 Jescheck, S. 117. 13 S. auch Eser, in: Schönke-Schröder, 21. Aufl. (1982), § 1 Rdnr. 87 gegen Günther, S. 219 ff., 272. Für zulässige Wahlfeststellung zwischen Raub und räuberischer Erpressung BGHSt 5, 281; BGH, MDR 1985, 89 bei Holtz.

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I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

Täters geschützt. Auf diese Weise können speziaJpräventive Belange der Sicherung (vgl. auch § 2 S. 2 StVollzG) voll durchgesetzt werden; im Einzelfall können auch die anderen beiden Aspekte der Individualprävention - die Resozialisierung (dazu § 46 I 2, § 2 S. I StVollzG) und die Abschreckung des Täters - voll verwirklicht werden 14. Der Täter mag die wahldeutige Verurteilung bis zu einem gewissen Grade akzeptieren. Andererseits wird beim Täter ein Stigmatisierungseffekt 15 (angesichts der erforderlichen weitgehenden Vergleichbarkeit der jeweils in Rede stehenden Straftat bestände) vermieden. - Und auch (positive) Generalprävention 16 kann geleistet werden, weil im Strafverfahren und mit der Verurteilung nach den §§ 250, 255 der Allgemeinheit durchaus klar gemacht werden kann, worin der Täter ein schlechtes Beispiel gegeben hat. Die dem Überfall auf den Geldboten zugrunde liegenden Rechtsnormen können langfristig internalisiert werden. Die Allgemeinheit kann zur Beachtung dieser Rechtsnormen aufgerufen werden l7 • Sie mag andererseits dem Täter auch die andere Tat durchaus "zutrauen". - Und schließlich läßt sich allein mit einer wahldeutigen Verurteilung nach den §§ 255, 250 hinreichende Genugtuung für das Opfer erzielen. 4. Praktische Envägungen

Nicht zuletzt sprechen auch praktische Envägungen für eine Wahlfeststellung im Fall Jc oder in ähnlichen Konstellationen. Denn ließe man eine alternative Verurteilung überhaupt nicht zu, so wäre die Versuchung des Gerichts besonders groß, um eines gerechten Ergebnisses willen Tatsachenzweifel zugunsten eindeutiger Feststellungen zu überwinden. Und dies könnte auch zu Lasten des Angeklagten gehen. Denn während bei einer Wahlfeststellung das Gericht aus dem konkret milderen Strafgesetz zu bestrafen hat (näher unten 7. Teil IV), könnte es eindeutig auch das schwerere Delikt feststellen. Das wird zwar grundsätzlich nicht bei der Alternativität von Raub und räuberischer Erpressung mit ihren identischen abstrakten Strafrahmen und nahezu deckungsgleichen Tatbeschreibungen praktisch, kann jedoch bei anderen Wahlfeststellungen von ausschlaggebender Bedeutung sein l8 • - Andererseits gäbe man dem durchaus schuldigen Täter bei Nichtzulassung einer Wahlfeststellung ein wirkungsvolles Mittel zur Strafvereitelung bzw. Strafmilderung zur Hand. Er brauchte sich nur (unwiderlegbar) einer anderen - wenn auch angesichts der klaren Sachlage (z.B. 14 Vgl. _ wenn auch zu weit gehend - Schulz, JuS 1974, 639f.; ferner Trändie, in: LK, § I Rdnr. 62; krit. 0110, in: Festschr. f. Peters, S. 385. An die Stelle z.B. einer Geldstrafe (§240) träte eine (nach dem Regelstrafrahmen zu vollstreckende) Freiheitsstrafe (§§ 250 - 255). 15 Vgl. Eser, in: Schänke-Schräder, § I Rdnr. 109. 16 Zum Verhältnis von Schuld und Generalprävention Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. la, b vor § 19. 17 Näher Jakobs, GA 1971,270; Schulz, JuS 1974,640. 18 Trändie, in: LK, § I Rdnr. 63 m. Nachw.

11. Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit

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fremde Sachen in seinem Besitz) vergleichbaren - Straftat zu berühmen, und schon wäre der Freispruch oder unzureichende Teilschuldspruch unabweisbar l9 • 5. Rechtsstaatliche und sozialstaatliche Rechtsprechung und Wissenschaft

Zusammengefaßt sind es also auch handfeste kriminalpolitische Bedürfnisse, die eine Wahlfeststellung und damit alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage jedenfalls dann erfordern, wenn die wahldeutigen Straftatbestände sich im kriminellen Unrechts- und Schuldgehalt und dann auch im Handlungs- und Erfolgsunwert im wesentlichen gleichen. Das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit sowie zwischen Schuldnachweis und Genugtuung für das Opfer sowie Spezial- und Generalprävention zu lösen - nicht etwa zu negieren -, das ist die Aufgabe einer rechtsstaatlichen und (angesichts des Strafzwecks der Resozialisierung) auch sozialstaatlichen Rechtsprechung und Wissenschaft l8 • Diese Aufgabe haben die Vereinigten Strafsenate des RG 20 nach (viel zu) langem Zögern im Jahre 1934 erkannt und die Wahlfeststellung in dem Paradebeispiel der Alternativität von Straftaten erstmals zugelassen: Es war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme offen geblieben, ob die beim Angeklagten vorgefundene Sache von diesem gehehlt oder bereits gestohlen worden war (näher unten 5. Teil, Fall 27). Das RG hat die wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei im Ergebnis mit der "rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit" der beiden Straftatbestände begründet und dabei auf die oben dargelegten kriminal politischen Bedürfnisse einschließlich der Sicherheit der Urteilsfindung und der Gerechtigkeit der Urteilswirkung hingewiesen. Diese Judikatur ist bis heute die Grundlage für die Nachkriegsrechtsprechung und beachtlicher Teile der Wissenschaft und damit insgesamt der noch h.M. geblieben (näher unten 5. Teil 11 2). Sie hat großenteils - wenn auch nicht durchweg 21 - zu nicht unbefriedigenden Ergebnissen geführt 22. Sie ist jedoch angesichts des unpräzisen Kriteriums der "rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit" ohne feste Konturen geblieben und vermag es deshalb regelmäßig nicht, klar nachvollziehbare Entscheidungen zu verbürgen 23 • Die gegen sie ins Feld geführten vielfältigen Gegenauffassungen mit vergleichbaren Gleichwertigkeitsformeln kommen überwiegend zu ähnlichen Ergebnissen. Auch sie sind mannigfacher Kritik ausgesetzt (näher unten 5. Teil). In der 19

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Trändie, in: LK, § I Rdnr. 109. RGSt 68, 257. Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 36; Wolter, S. 83 jeweils m. Nachw. Etwas positiver die Einschätzung bei Eser, in: Schänke-Schräder, § 1 Rdnr. 81; Trändie, in:

LK, § 1 Rdnrn. 63, 95. 23 S. auch Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 36 f. m. Nachw.

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I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

Tat kann man in zahlreichen Einzelfällen darüber streiten, wo die Vergleichbarkeit und WahlfeststeIlbarkeit der Straftatbestände endet und der Freispruch mit Hilfe des wechselseitig herangezogenen in dubio-Prinzips bzw. der "Teilschuldspruch" aus einem "Rumpftatbestand" beginnt. Von einer Generallösung sind sämtliche "Gleichwertigkeitsformeln" weit entfernt. Die Entwicklung ist noch im Flusse, wie zahlreiche neuere Entscheidungen der obersten Gerichte belegen 24 • Angesichts der Vielfältigkeit von Beweiszweifeln und Strafgesetzen wird es wohl auch niemals ein Patentrezept oder eine Generalformel geben können 25 • Man wird sich lediglich mit Hilfe einer klaren Unterscheidung von Fallgruppen (dazu 1.-3. Teil), einer KlarsteIlung der tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (dazu 4. und 7. Teil), einer Lösung der Frage nach dem jeweiligen Vorrang von eindeutigem oder alternativem Urteil (dazu näher 2.~4. Teil) sowie einer Präzisierung und Untergliederung der materiellrechtlichen Gleichwertigkeitsformel 26 (dazu 5. und 6. Teil) gleichsam ein "Koordinatenkreuz/ür eine systematische Lösung des Einzelfalles" schaffen können (dazu 4. und 8. Teil). In jedem Fall wird man sich mit Blick auf die genannten Konflikte verfassungsrechtlicher Prinzipien und strafzumessungsrechtlicher Grundsätze den bei den denkbaren Extremlösungen (unbeschränkte Zulassung der Wahlfeststellung auf der einen Seite und konsequenter Freispruch in allen Fällen auf der anderen Seite) verschließen müssen. Das war nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichte lehrt, und ist bis heute nicht einhellige Auffassung.

III. Rechtsgeschichte, Rechtscharakter und Rechtsvergleichung bei der WahlfeststeUung 1. Rechtsgeschichte und Rechtscharakter

Der Gesetzgeber der StPO von 1877 sowie des StGB von 1953 (und 1969) hat das Problem der Wahlfeststellung bewußt offen gelassen 27 • Dabei hat man die Problematik mit Recht als überwiegend strafprozessuale angesehen. Denn es geht - wie schon eingangs betont - vornehmlich um die richterliche Überzeu24 Etwa BGHSt 32, 48 (3. Teil, Fall 20a); BGHSt 32, 146 (4. Teil, Fälle 30, 42); BGH, GA 1984, 373 (2. Teil, Fall lOb); BGH, NJW 1984, 1693 (4. Teil, Fall 24a); BGH, NStZ 1984,214 (vgl. 3. Teil,FallI8a); BGH, StrafV 1984,242; MDR 1982, 102 f. bei Holtz; NStZ 1983,364 (Fall I8b); BGH, VRS 65, 133 (7. Teil, Fa1147); BGH, MDR 1983,89 (7. Teil, Fall 43); BGH, MDR 1985,89 bei Holtz (5. Teil, Fall 29); BGHSt 33,44 (3. Teil, FallI8c); ferner BGH, GA 1984,287; vgl. auch die w. neueren Entscheidungen NT. 283 ff. in der Dokumentation (9. Teil 11) sowie BGHSt 32, 215 (6. Teil, Fall 38). 25 Schaffstein, NJW 1952, 726; Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 110. 26 Vorbildlich Eser, in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnrn. 111 tT. 27 Nachw. bei Wolter, S. 20 tT. zu den §§ 2b StGB, 267b StPO a.F. und zur weiteren Geschichte unten V I.

111. Rechtsgeschichte, Rechtscharakter und Rechtsvergleichung

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gungsbildung (§ 261 StPO) und um das Beweisrecht (§ 244 StPO). Der Richter ist verpflichtet, zunächst sämtliche verfügbaren Erkenntnis- und Beweismittel auszuschöpfen, um zur Feststellung eines eindeutigen Geschehens zu gelangen. Gelingt das nicht, so werden die Anforderungen an die Sachaufklärung letztlich verschärft. Sie hat sich auf sämtliche Alternativen zu erstrecken (näher 7. Teil V). Betroffen ist des weiteren das Prozeßprinzip "in dubio pro reo", das man freilich besser als eine Entscheidungsregel des Rechtsanwendungsrechts umschreiben könnte 28 • Allerdings läßt sich davon die materiellrechtliche Kehrseite der Tatbestandsbestimmtheit (§ 1 StGB, Art. 103 11 GG) nicht trennen 29 • Die verfahrensrechtliche Bedeutung der Wahlfeststellung erweist sich auch mit Blick auf die §§ 264, 265,266, 267 StPO. Sofern die Alternativtaten Teile desselben historischen Vorgangs (§ 264 StPO) sind, sind Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß alternativ zu fassen. Ist dies unterblieben, muß der Angeklagte nach § 265 StPO auf die Möglichkeit der Wahlfeststellung hingewiesen werden (näher 7. Teil I). Bei Überschreitung der Grenzen der Tatidentität ist nach h.M. eine Nachtragsanklage (§ 266 StPO) zu erheben (näher 7. Teil 11). Der Schuldspruch ist (nach umstrittener Auffassung) alternativ bzw. mit Hinweis auf die mehrdeutige Tatsachengrundlage zu fassen (vgl. auch § 267 StPO; näher 7. Teil 111). Das Gericht hat zu begründen, daß und weshalb eine eindeutige Feststellung der Tatsachen und der gesetzlichen Merkmale "der Straftat" nicht möglich war (näher 7. Teil V; vgl. auch § 267 I StPO). Und stets hat die Bestrafung aus dem konkret mildesten Gesetz zu erfolgen (§ 267 StPO; näher 7. Teil IV). Trotz dieses strafprozessualen Übergewichts ist der materiellrechtliche Teilcharakter der Wahlfeststellung nicht zu verkennen. Bei der Frage der Gleichwertigkeit der Alternativen arbeitet man mit materiellrechtlichen Kriterien wie Vergleichbarkeit von Handlungs- und Erfolgsunwert sowie psychologischer/ seelischer Gleichwertigkeit auf der Ebene der Tatschuld und des subjektiven Unrechts. Zum Teil - etwa bei der Heranziehung von "Rumpftatbeständen" stützt man sich auf Konkurrenzregeln (näher 3. und 5. Teil). Auch das zeigt, daß wir es mit einem Problem auf der Grenze von materiellem Recht zum Strafprozeß- und Strafzumessungsrecht zu tun haben (vgl. auch 8. Teil IV). Insgesamt spricht deshalb viel für die These, daß die Problematik der Wahlfeststellung zwischen materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht anzusiedeln ist. Es betrifft Fälle ohne klares Ergebnis, deren Lösung insbesondere durch Rückgriff auf herkömmliche materiellrechtliche und strafprozessuale Kriterien und Erfordernisse, wie sie bei eindeutigem Ergebnis vorgegeben sind, anzustreben ist.

Näher 2. Teil I 2 und Frisch, in: Festschr. f. Henkel, S. 281 ff. Näher zum Streitstand Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 75; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 6; Tröndle, in: LK, § I Rdnr. 61; Wolter, S. 38 ff., 46. 28

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1. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

2. Rechtsvergleichung

Im deutschsprachigen Raum ist die Wahlfeststellung eine deutsche Spezialität. In der Schweiz hat es in den letzten 40 Jahren eine einzige Entscheidung zur Wahlfeststellung gegeben; und Österreich läßt die Wahlfeststellung bei verschiedenen Straftaten überhaupt nicht zu - auch nicht bei der praktisch bedeutsamsten Alternativität von Dil!bstahl und Hehlerei 29a • Arzt 29a äußert die Vermutung, daß eine Rechtskultur, in der die Wahlfeststellung als Rechtsinstitut Fuß gefaßt hat, erst die Zweifel erzeugt, um deren Lösung es geht.

IV. Rechtstatsächliche Grundlagen

In Deutschland sieht die Lage ganz anders aus. Von 1948 bis Anfang 1986 hat es allein in der Rechtsprechung des OGH und des BGH (unter Einbeziehung sämtlicher veröffentlichten und unveröffentlichten Entscheidungen) bei der Parade-Alternativität von Diebstahl und Hehlerei einschließlich ihrer Qualifikationen und besonders schweren Fälle 117 Wahlfeststellungen gegeben. Das ist genau die Hälfte sämtlicher 234 Wahlfeststellungskonstellationen (näher 9. Teil 11 8). Nimmt man die 28 Fälle hinzu, die noch ausschließlich im Eigentums- und Vermögensdeliktsbereich angesiedelt sind, so erhöht sich die Prozentzahl auf 62 %. Bel der Alternativität von Diebstahl und Hehlerei ist nicht ein einziger Freispruch zu verzeichnen. Bei den anderen Alternativitäten aus dem Vermögensbereich hat es lediglich sechs unzulässige Wahlfeststellungen mit der Konsequenz des Freispruchs gegeben. Die Dokumentation im 9. Teil zeigt auch, daß Alternativitäten außerhalb des Vermögensbereichs nicht erheblich ins Gewicht fallen. Wiederum bezogen auf die gesamte OGH- und BGH-Rechtsprechung nehmen "Vollrausch-Rauschtat" (16 Fälle = 6,9 %), Aussagedelikte (9 Fälle), "Körperverletzung-Tötung" (8 Fälle) sowie "Täterschaft-Teilnahme" (7 Fälle) die Ränge drei bis fünf ein. Bei ,,vollrausch-Rauschtat" als dem zweitwichtigsten Deliktskreis der Wahlfeststellung hat der Gesetzgeber das Beweisproblem 1974 mit § 323a I in eine Tatbestandsalternative umgedeutet und auf diese Weise weitgehend beseitigt (näher 3. Teil III, Fälle 20 jJ.). Bei der Behandlung der Alternativität von Aussagedelikten besteht erhebliche Unsicherheit und Uneinigkeit. Bei Körperverletzung und Tötung geht es überwiegend um ein besonderes Beweisproblem, das auch zwischen den Senaten des BGH kontrovers ist (näher 3. Teil 11, Fälle 18, 18a). Und bei Täterschaft und Teilnahme (ferner bei mehreren Alternativitätsfällen "Körperverletzung-Tötung") sind Rechtsprechung und Wissenschaft z.T. auf 29a Arzt. JR 1985, 213 m. Nachw.; Platzgummer. S. 23; TröndJe. in: Festsehr. f. Jescheck. S.689f.; zur Rechtsvergleichung im übrigen Nachw. bei Montenbruck. S. 17ff. und Waller. S. 19 Fußn. 24.

V. Extremauffassungen bei der Wahlfeststellung

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einen Weg verfallen, der ähnlich wie beim Vollrausch einen Freispruch wegen unzulässiger Wahlfeststellung vermeidet (näher 3. Teil I, Fälle 14a, 14b). V. ExtremaufTassungen bei der WahlfeststeUung

1. Die unbegrenzte Zulassung der WahlJeststellung Angesichts des unter III I geschilderten prozessual-materiellen Mischcharakters des Problems müßte die Wahlfeststellung - wollte man sie überhaupt und

unabhängig von Einzeltatbeständen wie § 323a gesetzlich regeln - sowohl im StGB (im Anschluß oder in Ergänzung des § I) als auch in der StPO (im Rahmen der §§ 261, 267 StPO) fixiert werden. Von dieser Doppelregelung hat der nationalsozialistische Gesetzgeber 1935 Gebrauch gemacht (§§ 2b StGB, 267b StPO)30, allerdings der damaligen Kriminalpolitik entsprechend die Wahlfeststellung unbegrenzt - d.h. ohne Vergleichbarkeitserfordernis - zugelassen. Daß eine solche Lösung (durch Kontrollratsgesetz 1946 aufgehoben) nicht nur der Rechtssicherheit, dem Schuldprinzip und jeder sinnvollen Strafzwecküberlegung widersprochen hat, braucht nicht mehr betont zu werden. Sie hat darüber hinaus sogar der Einzelfallgerechtigkeit widerstritten, also gerade dem Prinzip, das für die grundsätzliche Zulassung der Wahlfeststellung ins Feld geführt wird (oben 11). Fall 2: Der Angeklagte hatte nach Auffassung des Gerichts entweder gewerbsmäßig einen Versuch des Schwangerschaftsabbruches oder einen Betrug begangen. Er hatte über einen Vermittler 25 RM bekommen und bei der Schwangeren zunächst eine (für einen Schwangerschaftsabbruch ungeeignete) Einspritzung in den Unterarm vorgenommen. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, daß er sich in einer wirtschaftlichen Notlage befunden, sich jedoch gehütet habe, eine Abtreibung vorzunehmen (vgl. RGSt 71, 44).

In einem solchen Fall wird es der Angeklagte ebensowenig wie die Allgemeinheit als gerecht empfinden, daß (alternativ) wegen Versuchs eines gewerbsmäßigen Schwangerschaftsabbruches bestraft wird, obwohl der Täter (möglicherweise) in Wahrheit lediglich einer wirtschaftlichen Notlage durch einen vergleichsweise geringfügigen Betrug zu entrinnen trachtete. Daß es schon wegen der Unvergleichbarkeit der geschützten Rechtsgüter am hinreichenden Schuldnachweis ebenso mangelt wie an einem zureichenden Ansatzpunkt für Generaloder Spezialprävention, liegt auf der Hand 31. Ohne genügenden Schuldnachweis darf es keine (präventiv ausgerichtete) Strafe geben (vgl. auch § 46 I). Und kommt es zur Bestrafung, kann sie auch in ihrer mildesten Form nicht gerecht sein. Insofern sind sämtliche Auffassungen entschieden abzulehnen, die auch Wortlaut bei Tröndle. in: LK, § 1 Rdnr. 60. Vgl. auch Jakobs. GA 1971, 270; gegen Zulässigkeit der Wahlfeststellung etwa BGH. MDR 1958, 739 bei Dallinger; Henkel. S. 354 Fußn. 19; Schaffstein. NJW 1952. 727. 30

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I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

noch nach der Aufhebung der §§ 2b StGB, 267b StPO im Jahre 1946 bis in die Gegenwart für die unbegrenzte Zulassung der Wahlfeststellung eingetreten sind 32 • Dagegen spricht nicht zuletzt die ersatzlose Streichung des § 2b a.F. 33 • 2. Freispruchslösungen

Trotz der vom Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsfreiheit ist freilich auch der radikalen Gegenposition - Freispruch in jedem Falle 34 , allenfalls Teilschuldspruch nach einem unmaßgeblichen "Rumpftatbestand" wie z.B. § 240 im Falll c - ebenso klar zu widersprechen. Das ist unter 11 bei der Alternativität von Raub und räuberischer Erpressung mit Gerechtigkeits-, Strafzweck- und Praktikabilitätserwägungen im einzelnen begründet worden. Abzulehnen ist auch eine Variante dieser Freispruchslösung, die eine "WahlfeststeIlung" jedenfalls (und allein) bei gleichwertigen Ausführungsarten (Modalitäten) oder Qualifikationen desselben Delikts zugelassen hat. Fall 3: Bei einer Anklage wegen Erpressung ist am Ende der Hauptverhandlung für das Gericht offen, ob der Angeklagte mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel vorgegangen ist (vgl. RGSt 11, 104).

In diesem Fall und bei ähnlichen Konstellationen 35 hat das RG bis 1934 mit einem Teil der Wissenschaft wegen der (regelmäßigen) Gleichwertigkeit der Varianten und der Identität des in Frage stehenden Strafgesetzes eine" Wahlfeststellung" zugelassen. Und auch nach 1946 hat es Stimmen gegeben, die zu dieser engen reichsgerichtlichen Judikatur zurückkehren wollten 36 • Aber auch diese "gelockerte Freispruchslösung" ist entschieden zu eng. Die Hauptfälle der Alternativität verschiedener Strafgesetze bleiben unberücksichtigt; der Freispruch bei mehreren gleichwertigen Alternativstraftatbeständen wäre ungerecht. Vor allem ist bei Ausführungsarten und Qualifikationen desselben Strafgesetzes auch noch gar nicht der Boden der eigentlichen ("echten,} Wahlfeststellung, d.h. der alternativen Verurteilung aus verschiedenen Strafgesetzen, betreten 37 • Denn die Fälle der echten Wahlfeststellung sind dadurch gekennzeichnet, daß die Beteiligung des Angeklagten, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Bei der Alternativität von Modalitäten und Qualifikationen eines Straftatbestandes wird jedoch eindeutig auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage verurteilt ("unechte WahlJeststellung"). 32 33 34

35 36

E. v. Hippe/, NJW 1963, 1535; Nüse. GA 1953,39. Wolter. S. 51 m. Nachw.; vgl. auch Dencker. JZ 1984,460. Endruweit. S. 293 ff.; Maurach. AT, S. 114; Schmidhäuser. AT, 5/44; Studienbuch, 3/89. Nachw. bei Wolter. S. 21, 66 ff., 238 ff.; Tröndle. in: LK, § I Rdnr. 74. Heinitz. JZ 1952, 102; Schom. DRiZ 1974, 49; w. Nachw. bei Rudolphi. in: SK StGB,

Anhang § 55 Rdnr.4. 37 Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 15, 27 f.

VI. AIternativität von Modalitäten und Qualifikationen

31

VI. Altemativität von Modalitäten, Qualifikationen und Regelbeispielen eines Straftatbestandes Freilich bedarf es für diese Konstellationen einer AIternativität von Modalitäten und Qualifikationen eines Straftatbestandes (einschließlich der Wahldeutigkeit von Regelbeispielen und anderen strafschärfenden Strafzumessungsumständen)38 einiger klarstellender Hinweise.

I. Das Problem der Ungleichwertigkeit

Zunächst ist es durchaus nicht so, daß sämtliche Modalitäten, Qualifikationen oder Regelbeispiele, nur weil sie in einer Strafvorschrift zusammengefaßt sind, ungeprüft als gleichwertig angesehen werden können 39 . Diese Gleichwertigkeit mag zwar in den meisten Fällen gegeben sein 40 ; etwa bei den verschiedenen Tathandlungen der Hehlerei 41 oder bei der Alternativität von Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft 42 • Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Auch ist es bisweilen zufällig oder willkürlich, ob der Strafgesetzgeber für mehrere Begehungsweisen nur eine oder mehrere Bestimmungen gebildet hat 40 • So hätte der Gesetzgeber etwa die Alternativen des § 265 auch in verschiedenen und angesichts der Nichtvergleichbarkeit zumindest der Handlungen letztlich sogar ungleichwertigen Straftatbeständen unterbringen können43 . Entsprechendes ist inzwischen bei der Zerlegung des § 257 a.F. in Begünstigung und Strafvereitelung (§§ 257, 258) geschehen. Sollte die Alternativität der Modalitäten von § 265 oder ein entsprechender Fall einmal praktisch werden, müßte man freisprechen. Schließlich mag beim Mordtatbestand bei der Alternativität von Umständen innerhalb der drei Merkmalsgruppen (z.B. Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat in der dritten Gruppe) die Gleichwertigkeit von vornherein als unzweifelhaft erscheinen. Dann wird eindeutig wegen Mordes ("auf wahldeutiger Tatsachengrundlage") mit entsprechendem Schuldspruch (näher 7. Teil 111), verurteilt. Anders kann es jedoch sein, wenn je ein Merkmal aus je einer anderen Gruppe alternativ betroffen ist.

38 Für die analoge Problematik z.B. bei § 243 Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 29a m. Nachw. 39 Vgl. aber Nowakowski. JurBI 1958, 383. 40 Eser, in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 93. 41 RGSt 51, 180; 56, 51; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 29; Ruß. in: LK, §259 Rdnr.48. 42 RG. Recht 1916 Nr. 1821; JW 1930,937,3087; BGH. MDR 1951, 179; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 29 m. w. Beispielen; vgl. auchBGH. DAR 1980,265 zu § 142 I und 11. 43 Näher Wolter. S. 72: "kumulatives Mischgesetz" .

32

I. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

Fall 4: Nach der Beweisaufnahme bleibt offen, ob der Angeklagte das Opfer aus Mordlust oder aus Heimtücke getötet hat (vgl. BGHSt 22, 12).

Hier wird man durchaus für einen nicht mehr wesensgleichen Unrechts- und Schuldgehalt der alternativen Modalitäten des Mordes plädieren können. Denn während es sich bei der Heimtücke um einen primär (handlungs- )unrechtssteigernden und tatbezogenen Umstand handelt, ist die Mordlust eher als schuldsteigerndes und täterbezogenes Merkmal (§§ 28, 29) zu begreifen 44 • Eine (eindeutige) Verurteilung aus dem Mordtatbestand auf wahldeutiger Grundlage scheidet deshalb aus 45 • Doch kann in solchen Fällen nach ganz h.M. mit Hilfe des in du bio-Satzes aus dem Grundtatbestand des Totschlags eindeutig (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) bestraft werden 46 • Es liegt hier dann ähnlich wie bei der Verurteilung aus § 240 im Fa/llc, sofern man die Wahlfeststellung der Ausgangstatbestände Raub und räuberische Erpressung - entgegen dem hier verfochtenen Standpunkt - für unzulässig halten wollte. Entsprechendes gilt bei alternativen Qualifikationen und Regelbeispielen, obwohl bei letzteren die Frage kontrovers diskutiert wird. Fall 5: Nach einer Anklage wegen eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs bleibt am Ende der Hauptverhandlung offen, ob der Angeklagte eine Waffe bei sich geführt hat, um diese bei der Tat zu verwenden (§ 125a Nr. 2), oder ob er einen anderen durch eine Gewalttätigkeit in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 125a Nr. 3).

Sofern man hier eine Gleichwertigkeit der alternativen Regelbeispiele annehmen wollte, müßte dennoch eindeutig aus § 125 bzw. wegen " Landfriedens bruchs in einem besonders schweren Fall" verurteilt werden47 • Die Alternativität der Strafzumessungsmerkmale käme dann im Schuldspruch nicht zum Ausdruck47 • Freilich könnte man schon wegen der "dogmatischen Nähe" von Qualifikationen und Regelbeispielen daran denken, in den Urteilstenor "Verurteilung wegen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall" den Zusatz "auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage" aufzunehmen (vgl. auch 7. Teil III). Jedoch spricht hier mehr dafür, die beiden Regelbeispiele als ungleichwertigzu betrachten. Denn es ist ein Unterschied im Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, ob der Täter mit einem wurfbereiten Stein in der Hand festgenommen wird oder ob er einen Passanten oder Polizisten derart zusammengeschlagen hat, daß dieser nur durch einen glücklichen Zufall mit dem Leben davonkommt. Sieht man die Dinge so, dann ist nach zutreffender Auffassung eindeutig nur aus § 125 ohne Befürwortung eines besonders schweren Falles (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) zu verurteilen 47 • Die Gegenauffassung, die den Strafrahmen des Etwa Eser, in: Schönke-Schröder, § 211 Rdnr. 6. Jakobs, GA 1971,270 f.; Wolter, S. 148; anders BGHSt 22, 12; Dreher-Tröndle, § 1 Rdnr. 17; Rudolphi. in: SK StG B, Anhang § 55 Rdnr. 29; Gollwitzer, in: LR, § 261 Rdnr. 148; vgl. noch BGH Beschl. v. 17.10.74 - 2 StR 184/74 (niedriger Beweggrund - Verdeckungsabsicht). 46 Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 93; Jakobs. GA 1971, 271; grundsätzl. auch Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 28; Wolter. S. 138 ff. 47 Eser. in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnr. 93a; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 29a; Wolter. S. 70 f., 140. 44

45

VI. Alternativität von Modalitäten und Qualifikationen

33

§ 125a heranzieht, weil der Täter in jeder Alternative einen besonders schweren Fall verwirklicht hat 48 , verstößt gegen die Prinzipien von Schuld und gerechter Strafe und ist deshalb abzulehnen. Nichts dürfte dann ja auch dagegen sprechen, bei der Alternativität von ungleichwertigen Modalitäten und Qualifikationen aus dem jeweiligen Straftatbestand (im Fall 4 also aus § 211) zu verurteilen - ein schwerlich annehmbares Ergebnis. Nach allem bleibt festzuhalten, daß wir es bei der Alternativität von Modalitäten, Qualifikationen sowie Regelbeispielen oder anderen strafschärfenden Strafzumessungsgründen zwar nicht mit einer "echten Wahlfeststellung" zu tun haben, weil sich der Schuldspruch stets nur auf einen einzigen Straftatbestand freilich auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage - bezieht und die Strafe auch nur aus diesem Straftatbestand entnommen wird 49 • Aber die materiellrechtlichen Grundsätze der Wahlfeststellung (näher 5. und 6. Teil zur Gleichwertigkeitsprüfung) gelten hier50 ebenso wie die übrigen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Prinzipien (näher 4. Teil III und 7. Teil I, 11). Auch bei einer Gleichwertigkeit von alternativen Modalitäten usw. mag die Feststellung der milderen Alternative von Bedeutung sein. Denn nur sie ist Grundlage für die Strafzumessung51 (vgl. auch 7. Teil IV). 2. Wahldeutige Feststellung eines Tatbestandsmerkmals

Entgegen Eser49 gehören freilich nicht hierher die Fälle, in denen letztlich ein und dasselbe Tatbestandsmerkmal auf einer wahldeutigen Tatsachenfeststellung beruht. Fall 6: Es war ungeklärt geblieben, ob der betroffene Kraftfahrzeughalter seinen Pkw selbst vorsätzlich verbots widrig abgestellt hat (§§ 12, 49 StVO; 24 StVG) oder ob er den Verstoß begangen hat, indem er vorsätzlich in Bezug auf § 12 StVO seiner Ehefrau das Fahrzeug überlassen hat, die ihrerseits unzulässig geparkt hat (§§ 12,49 St VO; 24 StVG; 14 OWiG) (vgl. OLG Ramm, NJW 1981, 2269).

Eser will hier - "entgegen dem OLG Ramm" - die Grundsätze der Gleichwertigkeit bei der Wahlfeststellung bezüglich der "Art der Tatbeteiligung im Rahmen von Einheitstäterschaft nach § 14 OWiG" gewahrt wissen. Dieser Standpunkt wäre jedoch nur dann überzeugend, wenn die Unterscheidung von Alleintäterschaft (insofern gilt übrigens entgegen dem OLG Ramm § 14 OWiG gerade nicht) und Beteiligteneigenschajt nach § 14 OWiG (etwa Anstiftung der Ehefrau) im Gesetz qua Modalitäten Ausdruck gefunden hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr geht es in beiden Tatalternativen um das einheitliche Tatbestandsmerkmal "wer" in den §§ 49 StVO, 24 StVG. Und dieser "jedermann" 4S 49

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51

Günther. S. 69 f. Etwa Eser. in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 93. Eser (Fußn. 49); vgl. aber auch Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 28. Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 27; Gollwitzer. in: LR, § 261 Rdnr. 149.

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1. Teil: Kriminalpolitik und rechtsstaatliche Grenzen

kann der Alleintäter wie der Beteiligte i.S. von § 14 OWiG sein. Der Betroffene im Fall 6 kann deshalb eindeutig nach den §§ 12,49 StVO, 24 StVG auf wahldeutiger Tatsachengrundlage verurteilt werden (so jedenfalls im Ergebnis auch das OLG Hamm)52. 3. Begriffslogische Stufenverhältnisse Ein letzter klarstellender Hinweis: Die in Betracht kommenden Modalitäten usw. müssen nicht unbedingt in einem "Entweder-Oder-Verhältnis", sie können auch in einem "Mehr-Weniger-Verhältnis" ("begriffslogischen Stufenverhältnis") stehen. Fall 7: Es bleibt offen, ob der Täter die fremde Sache zerstöl t oder nur beschädigt hat.

Dieser Fall hat mit einer Wahlfeststellung von vornherein nichts zu tun. Vielmehr kann man - da das Zerstören das Beschädigen logisch als Vorstufe mitbeinhaltet - eindeutig unter Zuhilfenahme des Grundsatzes "in dubio pro reo" das Beschädigen (als eindeutige Tatsachengrundlage) feststellen und als Strafzumessungsgrundlage heranziehen s3 • Der Sachverhalt ist teilidentisch. Die Alternativen schließen sich nicht i.S. von sog. "exklusiver Alternativität"S4 (näher 4. Teil III 2) gegenseitig aus. Der Strafrichter kann gerade nicht davon ausgehen, daß bei Nichtvorliegen der einen Modalität notwendig die andere erfüllt ist (vielmehr ist bei Vorliegen der einen - z.B. des Zerstörens - notwendig auch die andere gegeben). Der in du bio-Satz entfaltet seine klassisch-enge Funktion und erfüllt die strafprozessuale Forderung nach einer eindeutigen Verurteilungsgrundlage5s • Das Beschädigen steht zwar nicht als solches - wie vom Gesetzgeber vorgegeben -, jedoch mit der Maßgabe eindeutig fest, daß es auch in der qualifizierten Form des Zerstörens gegeben sein kann. Der in du bio-Satz bildet eine Entscheidungsregel, die bei Zweifeln über Modalitäten eines begriffslogischen Stufenverhältnisses die Feststellung des milderen Umstandes und eine entsprechende Rechtsfolge anordnet 28 • 12 BayObLG, DAR 1983, 255; 1977, 106; vgl. auch OLG Dresden, HRR 1939 Nr. 181; OGHSt I, III f. (dazu unten 4. Teil III I Fußn. 15); OLG Hamm, VRS 8, 155; OLG Neustadt, MDR 1956, 312; BGH, GA 1980, 23; BGH Beschl. v. 28.11.79 - 3 StR 439/79; BGH, MDR 1981, 267 bei Holtz; BGH, VRS 62, 274; OLG Karlsruhe, NJW 1980, 1859 (gegen 0 LG Koblenz, NJW 1965, 192; dazu unten 2. Teil III 2 mit Fußn. 30; 6. Teil II I); Gol/witzer, in: LR, §261 Rdnr. 149; Nowakowski, JurBI 1958, 383 (Erwürgen oder Erschlagen bei § 212); Otto, in: Festsehr. f. Peters, S. 387f.; w. Nachw. 9.Teil II 11, Fußn. 51. 13 Wolter, S. 69; entsprechendes gilt für das Verhältnis von Unterschlagung (§ 246 I 1. Alt.) und Veruntreuung (§ 246 I 2. Alt.) - S. 73; oder für das Verhältnis von Gefahr der schweren Körperverletzung und des Todes (§§ 125a Nr. 3,250 I Nr. 3); zur Alternativität von Alleintäterschaft und Mittäterschaft i.S. von § 25 I, II vgl. Tröndle, in: LK, § I Rdnr. 65 m. Nachw.; Wolter, S. 238 f. 54 Vgl. auch BGHSt 12, 389; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 9. W. Nachw. 2. Teil 11 I Fußn. 6; 4. Teil III 2. 11 Peters, Strafprozeß, S. 288; Wolter, S. 40.

VII. Eigentliche Fallgruppen und Urteilsergebnisse

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VII. Die eigentlichen Fallgruppen und die vier denkbaren Urteilsergebnisse Nach diesen Klarstellungen kann man daran gehen, die problematischen (und "eigentlichen") Fallgruppen von Wahlfeststellung und "in dubio pro reo" zu bilden. Dabei wurde wiederholt betont, daß es sich bei den "echten" Fällen um solche handelt, bei denen die Beteiligung des Angeklagten, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Geht man von diesem groben Raster aus, so sind sechs verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden. Sie unterliegen zwar im wesentlichen den gleichen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (näher unten 4. Teil III und 7. Teil I, 11). Aber ihre materiellrechtliche und methodisch-systematische Lösung ist z.T.lebhaft umkämpft. Diese sechs Fallgruppen mit "echten" Fällen von Wahlfeststellung und "in dubio pro reo" werden ergänzt durch sechs Unterfallgruppen mit "unechten" Fällen, die z. T. schon zur Sprache gekommen sind (Fälle 3, 6) und die teilweise auch zur Lösung der "echten" Fälle herangezogen werden müssen. Dabei sei vorangestellt, daß sämtliche 12 Fallgruppen mit Blick auf das angestrebte "Lösungsschema" (oben 11 5) lediglich vier Urteilsergebnisse nach sich ziehen können: (1) Alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage = "echte WahlJeststellung" (z.B. § 249-§ 255; Fall Jc) (2) Eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage = "unechte WahlJest-

stellung": (a) bei Modalitäten-, Qualifikations- und Regelbeispielsalternativität (z.B. Modalitäten des § 253 - Fall 3) (b) bei Tatsachenzweifeln innerhalb desselben Tatbestandsmerkmals (Fall 6)

(3) Eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage = "in dubio pro reo" (z.B. Fälle 4. 5, 7) (4) Freispruch aufgrund wechselseitiger Anwendung von "in dubio pro reo" (z.B. § 263 §§ 218, 22; Fall 2).

Umstritten ist bei einzelnen Fallgruppen freilich, welchem von mehreren denkbaren Urteilsergebnissen - auch unabhängig von der Frage nach der Ungleichwertigkeit der Alternativen und damit vom Freispruch - der Vorrang gebührt.

Zweiter Teil

Die zwölf Fallgruppen von Wahlfeststellung und in dubio pro reo Die problematischen und eigentlichen Fallgruppen von Wahlfeststellung und "in dubio pro reo" wurden im 1. Teil grob so gekennzeichnet, daß die Beteiligung des Beschuldigten, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz feststeht. Von diesen Fallgruppen gibt es insgesamt sechs (A - F). Sie werden ergänzt durch sechs - z.T. schon vorgestellte - Unterfallgruppen (AI, A 2, CI, C 2, EI, F I), die mit der genannten tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslage nichts zu tun haben, die jedoch zur Lösung oder Abgrenzung der "eigentlichen" (echten) Fälle herangezogen werden müssen. Dabei könnte man die Unterfallgruppen z.T. auch anders zuordnen, etwa A2 und CI in den Zusammenhang der "begriffslogischen Stufenverhältnisse" bringen. Derartige Zuordnungen sind letztlich nicht entscheidend. Jene sind bei der nachfolgenden Darstellung entweder zur Lösung (CI, C2) bzw. Abgrenzung der Hauptfallgruppen (AI, C2, EI, F I) oder zur Vervollständigung einer Unterfallgruppe (A2 gegenüber AI) entstanden. Die Unterfallgruppen AI, C 2, EI, F I zeichnen sich (präziser) dadurch aus, daß sie nicht wie die zugeordneten Hauptfallgruppen auf verschiedene Strafgesetze, sondern entweder auf dasselbe Strafgesetz (C 2) oder (noch konkreter) auf verschiedene Modalitäten desselben Strafgesetzes (AI, EI, F I) bezogen sind (vgl. weitere Zusammenfassungen unten 4. Teil I). Bei sämtlichen Fallgruppen sind (nur) vier Urteilsergebnisse möglich (näher oben 1. Teil VII, unten 4. Teil 11); z.T. ist man sich über das zutreffende bzw. vorrangige Urteilsergebnis uneinig: 1. Alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage (echte Wahlfeststellung)

2. Eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage (unechte WahlJeststellung)

3. Eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage (in dubio pro reo) 4. Freispruch (wechselseitige Anwendung von in dubio pro reo)

I. Fallgruppe A (echte Wahlfeststellung)

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I. Fallgruppe A. "Echte Wahlfeststellung" zwischen verschiedenen Straftatbeständen ohne "Rumpftatbestand"

Beispielhaft genannt sei die Alternativität von Diebstahl und Erpressung (näher 4. Teil,Fall 21): Hier führt eine mehrseitige Tatsachen-(Sachverhalts-) U ngewißheit zu einer doppelten 1 (mehrseitigen) Rechtsnormungewißheit. In dieser Fallgruppe stellen sich durchweg die Probleme der Gleichwertigkeit der Alternativstraftatbestände (näher 5. und 6. Teil) und bei Gleichwertigkeit - und dann "alternativer Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage" - die weiteren Probleme der (vorzugswürdig alternativen) Fassung des Schuldspruchs und der Grundlagen der Strafzumessung (näher 7. Teil II1, IV). Bei Ungleichwertigkeit von Diebstahl und Erpressung, wofür angesichts des Angriffs auf die Verfügungsfreiheit des Opfers bei § 253 viel spricht 2 , kann man nicht auf einen "Rumpftatbestand" zurückgehen (wie z.B. auf § 240 bei Annahme der Unvergleichbarkeit der §§ 249 und 255 im FaIl1c). Zu überlegen ist, ob man dann nicht zur Vermeidung eines Freispruchs auf eine Z.B. gesetzeskonkurrierende (eindeutig feststehende) Anschlußtat - etwa eine grundsätzlich mitbestrafte Unterschlagung durch Weitergabe des "gestohlenen oder erpreßten" Geldes - zurückgreifen kann (näher Fall 21). Bezüglich § 246 käme dann eine "eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage" in Betracht. Im Ergebnis hätte die etwa zulässige Wahlfeststellung (§§ 242 - 253) Vorrang vor einer eindeutigen Verurteilung (§ 246), die den Unrechtsgehalt des Geschehens nicht ausschöpft; und die verkürzende eindeutige Verurteilung wegen Unterschlagung Vorrang vor dem offenbar ungerechten Freispruch.

1. Unterfallgruppe A I. Alternative ModalitätenJeststellung bei einem Strqftatbestand ohne "Rumpftatbestand" als "unechte WahlJeststellung"

Nicht hierher gehören die oben (I. Teil V 2, VI 1) abgehandelten Modalitäten, Qualifikationen und Regelbeispiele eines Straftatbestandes ohne Rumpftatbestand (z.B. Fall 3: Erpressung mittels Gewalt oder Drohung). Die mehrseitige Tatsachenungewißheit beseitigt nicht die Rechtsnormgewißheit. Es wird bei (wegen der) Gleichwertigkeit der Modalitäten (im Fall 3) eindeutig (wegen Erpressung) auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage verurteilt. Hier stellt sich zwar das Problem der Strafzumessung (alleinige Berücksichtigung der milderen Alternative), nicht jedoch die Frage des Schuldspruchs. - Bei Ungleichwertigkeit der 1 Möglich ist die Wahlfeststellung auch bei mehr als zwei Alternativen: OLG München. DJ 1936, 1499; BGH. MDR 1957,397 bei Dallinger; BGHSt 16, 187; OLG Düsseldorf, DAR 1970, 190 (drei Täterschaftsformen); BGH Urt. v. 10.11.81 - 5 StR 544/81; Urt. v. 27.3.84 - 5 StR 961/83; Tröndle. in: LK, § I Rdnr. 81; Wolter. S. 120. 2 Eser. in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 115; vgl. auch BGH. DRiZ 1972,30; Wolter. GA 1974, 162 f.; Lackner. in: LK, § 253 Rdnr. 37.

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2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

Modalitäten (etwa bei § 265) kommt mangels Rumpftatbestandes, wie er z.B. bei den Mordmodalitäten mit § 212 gegeben ist (oben Fall 4 und unten Fallgruppe EI), nur Freispruch in wechselseitiger Heranziehung des in dubio-Satzes in Betracht. 2. Unterfallgruppe A 2. Eindeutige Modalitätenfeststellung bei "begriffslogischern Stufenverhältnis"

Diese im Falll (oben I. Teil VI 3) angesprochene Alternativität führt mit Hilfe des in dubio-Prinzips zur "eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage" aus der minderen Alternative (Beschädigung statt Zerstören bei § 303). Mit einer (unechten) Wahlfeststellung haben diese Fälle mit teilidentischern Sachverhalt nichts zu tun (vgl. auch Unterfallgruppe CI). Das Beschädigen der Sache steht - jedenfalls mit der Maßgabe, daß es auch in der qualifizierten Form des Zerstörens gegeben sein kann - eindeutig fest. Der in dubio-Satz entfaltet seine klassisch-enge Funktion und erfüllt die strafprozessuale Forderung nach einer eindeutigen Verurteilungsgrundlage. Er bildet eine Entscheidungsregel, die bei Zweifeln über Modalitäten eines begriffslogischen Stufenverhältnissees die Feststellung des milderen Umstands und eine entsprechende Rechtsfolge (d.h. die Strafzumessung bezüglich dieses Umstands) anordnet. Die hier nur einseitige Sachverhaltsungewißheit beseitigt erneut nicht die Rechtsnormgewißheit; es mangelt an "exklusiver Alternativität" (vgl. Falll sowie nachfolgend Fallgruppe B).

11. Fallgruppe B. Sog. PostpendenzfeststeUung3 Hier haben wir es mit einer "einseitigen Sachverhaltsungewißheit" und doppelten Rechtsnormungewißheit und dann (also) mit einer Alternativität der Straftatbestände ohne "exklusive Alternativität" der Sachverhalte bzw. mit einer Wahlfeststellung trotz "Teilidentität des Sachverhalts" zu tun. Diese höchst komplizierte und umstrittene Konstellation, die sämtliche bisher bekannten Grundsätze der Gesamtproblematik auf den Kopf stellt, spielt bei Fällen mit Vor- und Nachtat eine Rolle. In derartigen Beispielen steht der Sachverhalt der Nachtat eindeutig fest (z.B. i.S. der §§ 246, 257, 258, 259), jedoch ist zweifelhaft, ob und inwieweit der Täter bereits an der Vortat beteiligt gewesen bzw. ob eine Vortat überhaupt begangen worden ist. Hier besteht ein offener Streit, ob i.S. von Fallgruppe A eine echte WahlJeststellung zwischen Vor- und Nachtat ("alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage") - und bei Ungleichwertigkeit ggfs. ein Freispruch - oder eine "eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage" lediglich aus der Nachtat in Betracht kommt. J Zum Begriff Hruschka, JZ 1970, 641; NJW 1971, 1392; Küper, in: Festsehr. f. Lange, S. 69 ff.; Duo, in: Festsehr. f. Peters, S. 374.

II . Fallgruppe B (Postpendenzfeststellung)

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Fall 8: Eine Pelzfirma lieferte ein Pelzstück unter Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung an die Bestellerin X. X bezahlte nicht und bestritt später, das Pelzstück überhaupt erhalten zu haben. Indessen verkaufte sie das Pelzstück. Das Gericht konnte nicht sicher feststellen, ob X schon bei der Bestellung die Absicht der Nichtbezahlung und des Verkaufs gehabt hatte (vgl. OLG Ramm. JMBlNRW 1955,2364).

X hat entweder durch den Verkauf des Pelzstücks lediglich eine Unterschlagung begangen oder einen Abzahlungsbetrug mit anschließendem Verkauf des Pelzstücks, der als (Anschluß-)Unterschlagung zu werten sein könnte. Der Verkauf des Pelzstücks steht eindeutig fest. Der Sachverhalt ist teilidentisch. Die Sachverhaltsungewißheit bezieht sich auf die betrügerische Absicht der X. Einer eindeutigen Verurteilung wegen Unterschlagung (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) scheint nichts im Wege zu stehen; eine Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung - sofern überhaupt zulässig - weder angezeigt noch auch nur denkbar (vgl. Fallgruppe A2). Doch sind die Dinge bei näherem Zusehen erheblich komplizierter. Dabei muß man auch die Frage im Auge behalten, ob die Unterschlagung bei Vorliegen des Betruges aus Konkurrenz- oder aus Tatbestandsgründen wegfiele. Dann finden sich im wesentlichen vier Auffassungen. J. Die vier wesentlichen Auffassungen

a) Das OLG Ramm hat X im Fall 8 eindeutig wegen Unterschlagung verurteilt. Es begreift im Einklang mit der früher h.M. die Unterschlagung nach einer (z.B. betrügerischen) Erstzueignung als straflose Nachtat. Diese Nachtat lebe jedoch - da der (lediglich konkurrenzrelevante) Betrug nicht nachgewiesen werden könne - wieder auf. - X habe also so oder so eine strafbare Unterschlagung begangen. Schlagwortartig kann man die Auffassung so kennzeichnen: Bei bloß konkurrenzrelevanten Postpendenzverhältnissen hat die eindeutige Verurteilung aus der Nachtat (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) zumindest Vorrang vor einer etwaigen Wahlfeststellung zwischen Vor- und Nachtat 5 (bzw. - bei Ungleichwertigkeit der Taten - vor einem Freispruch). Es fehlt an der für die Wahlfeststellung eigentümlichen doppelten Sachverhaltsungewißheit, der sog. exklusiven Alternativität der in Betracht kommenden Sachverhalte. Der Richter ist ja gerade nicht davon überzeugt, daß bei Nichtvorliegen des einen Straftatbestandes notwendig der andere erfüllt ist - und umgekehrt 6 • 4 Vgl. auch BGH. MDR 1955,269 bei Dallinger; OLG Schleswig, SchlHA 1984,81; OLG Hamm, NJW 1974, 1958; OLG Saarbrücken. NJW 1976,68; w. Nachw. zu Postpendenz-Fällen bei Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 24 f.; Eser, in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnrn. 101 f.; Wolter, GA 1974, 161 ff. S Etwa Eser, in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnrn. 102 f.; vgl. auch GolIwitzer, in: LR, § 261 Rdnr. 140. 6 Dazu BGHSt 12,389; BGH, NStZ 1981,33; GA 1984,374; Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 91; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 9,aberauch 15; Tröndle, in: LK, § 1 Rdnr. 66; krit. Günther, S. 50 ff.; Hruschka, NJW 1971, 1392.

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2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

b) Die zweite Auffassung bezieht die Gegenposition: Auch bei konkurrenzrelevanten Postpendenzverhältnissen komme allein eine WahlJeststellung (man mag hinzufügen: oder ein Freispruch) in Betracht 7. Da die - wenn auch nur einseitige - Sachverhaltsungewißheit (hier ausnahmsweise) zur Gesetzesalternativität (§ 263 - § 246) führe, müßten die gleichen Grundsätze wie in Fallgruppe A eingreifen. Dies gelte umsomehr, als hier auch von den Anhängern der eindeutigen Verurteilung (mit Recht) die tatsächlichen und prozeßrechtlichen Erfordernisse einer Wahlfeststellung (dazu unten 4. Teil III und 7. Teil I, 11) vorausgesetzt werden. c) Eine dritte Meinung gelangt zumindest dann zur WahlJeststellung, wenn die Nachtat bei Vorliegen der Vortat bereits aus Tatbestandsgründen wegfällt 8. Und dies sei nach der Rechtsprechung des Großen Senats9 , wonach man sich eine Sache nicht tatbestandsmäßig i.S. von § 246 ein zweites Mal zueignen kann, auch im Verhältnis von Betrug und Unterschlagung der Fall. X habe im Fall 8 also entweder einen Betrug mit anschließendem tatbestandslosen Verkauf des Pelzstücks oder eine Unterschlagung (wiederum durch den Verkauf) begangen. - Zu entscheiden ist dann, ob die Wahlfeststellung wegen Gleichwertigkeit derbeiden Straftatbestände zulässig ist, wofür angesichts des Angriffs auf die Willensentschließungsfreiheit des Getäuschten und damit mit Blick auf den besonderen Handlungsunwert des Betrugs wenig spricht 10, oder ob Freispruch erfolgen muß. d) Die vierte Auffassung läßt hingegen auch den bei tatbestandsrelevanten Postpendenzverhältnissen ll eine eindeutige Verurteilung aus dem Unterschlagungstatbestand als Nachtat immer dann zu, wenn eine Wahlfeststellung zwischen Vor- und Nachtat unzulässig ist l2 • Denn dann sei der Betrug - auch unter den verkürzten Voraussetzungen einer alternativen Verurteilung - weder schuldhaft noch strafbar (d.h. aber auch "nicht bewiesen"). Und dann falle eben diejenige Voraussetzung weg, die der Große Senat 13 für die Tatbestandslosigkeit der Zweitzueignung ausdrücklich aufgestellt hat. Mit Blick auf den etwaigen und der Wahlfeststellung nicht zugänglichen Betrug habe X also eine Unterschlagung Z.B. Tröndle. in: LK, § I Rdnr. 67; vgl. auch Günther. JZ 1976, 666. Etwa Deubner. NJW 1962, 95; vgl. auch Eser. in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 102. 9 BGHSt 14, 42 tf. 10 BGH Urt. v. 1.12.59 - I StR 542159; Baumann-Arzt-Weber, Strafrechtsfälle und Lösungen, Fall 25, S. 156; Deubner. NJW 1962,95; Günther, JZ 1976,668; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 25; Wolter. GA 1974, 166; anders BGH Urt. v. 2.6.64 - I StR 173/64; OLG Hamm. NJW 1974, 1958; OLG Saarbrücken. NJW 1976,68; Eser. in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 114 (vgl. noch Fußn. 14). " Die weitere sehr beachtliche Differenzierung von Küper, in: Festsehr. f. Lange, S. 79 ff.Frage nach der "Konkurrenzregulierung" der tatbestandlichen Einschränkung - soll hier außer Betracht bleiben. Vgl. auch Eser. in: Schönke-Schröder. § I Rdnr. 102. 12 Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 25; Wolter. GA 1974, 165 ff. jeweils m. w. Nachw. 13 BGHSt 14, 45. 7

8

11. Fallgruppe B (Postpendenzfeststellung)

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als grundsätzlich mitbestrafte Nachtat begangen, die aber gerade wegen der mangelnden Wahlfeststellungsfähigkeit des § 263 wieder auflebe. X habe so oder so mit dem Verkauf des Pelzstücks eine Unterschlagung verwirklicht und könne deshalb eindeutig (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) aus § 246 verurteilt werden. 2. Vermittelnde Stellungnahme

Mit den größeren Vorzügen ausgestattet scheint der vierte Lösungsweg. Er führt bei Zulässigkeit der Wahlfeststellung zwischen Vor- und Nachtat entsprechend der dritten Lösung zu einer alternativen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage. Denn dann ist der Betrug im Fall 8 - wenn auch i.S. einer eingeschränkten, der Wahlverurteilungjedoch eigentümlichen Feststellung - schuldhaft, strafbar und bewiesen. Und unter diesem Aspekt ist der Verkauf des Pelzstücks tatbestandslose Zweitzueignung und kann nicht eindeutig als Unterschlagung festgestellt werden. Ganz entsprechendes gilt dann freilich entgegen der ersten Lösung auch bei konkurrenzrelevanten Postpendenzverhältnissen. Solange der Betrug (alternativ) bewiesen und strafbar ist, stellt sich die Frage des Wiederauflebens der straflosen Nachtat nicht (zwingend). Bei Unzulässigkeit der Wahlfeststellung vermeidet der vierte Lösungsweg freilich im Einzelfall entgegen der zweiten und dritten Auffassung einen ungerechten und den Grundgedanken von Genugtuung, Schuld und Prävention zuwiderlaufenden Freispruch. Allerdings "umgehen" die Verfechter der genannten Lösungswege den oftmals fälligen Freispruch durch eine mehr als zweifelhafte extensive Fassung der Gleichwertigkeitsformel 14 ; dabei wird z.T. unter Außerachtlassung der unterschiedlichen Handlungsunwerte allein auf die Gleichwertigkeit der Rechtsgutsverletzung (sog. "Identität des Unrechtskerns") abgestellt 14 (näher unten 4. und 5. Teil I 2). 3. Methodische Einordnung

Die differenzierende Lösung ist mitten zwischen den echten Wahlfeststellungen (auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage) i.S. der Fallgruppe A und den eindeutigen Verurteilungen (auf eindeutiger Tatsachengrundlage) anzusiedeln. Da jedoch - insbesondere bei tatbestandsrelevanter Postpendenz - stets zunächst die Frage nach der Gleichwertigkeit von Vor- und Nachtat und damit nach der WahlfeststeIlbarkeit der Ausgangstatbestände zu stellen ist, empfiehlt sich ent14 Vgl. Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 114; die "rechts ethische und psychologische Vergleichbarkeit" sei gegeben; dagegen Deubner, JuS 1962,24 und Tröndle, in: LK, § I Rdnrn. 104, 108: Gleichwertigkeit der Rechtsgutsverletzung.

2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

42

gegen der herkömmlichen Einordnung 15 die Einstufung der Postpendenzfeststellungen als "echtes" Wahlfeststellungsproblem. Damit ist der zweiten Lösung in der Tendenz Recht zu geben. Und insofern hat auch - entgegen der ersten Lösung bei den "konkurrenzrelevanten" Fällen - die WahlJeststellung Vorrang vor der eindeutigen Verurteilung aus dem milderen der alternativen Straftatbestände (vgl. auch die nachfolgende Fallgruppe C). Damit verliert ausnahmsweise auch das Erfordernis der "exklusiven Alternativität der in Betracht kommenden Sachverhalte" seine ausschließliche Bedeutung für die alternative Verurteilung 16 • Und man kann schon an dieser Stelle eine dritte These wagen: Man sollte und kann auf mitbestrafte oder sonstige gesetzeskonkurrierende Taten nur dann zurückgreifen, wenn das auf die Strafbarkeit zu untersuchende "Oberdelikt" nicht schuldhaft und strafbar begangen und damit nicht bewiesen und dann auch "nicht wahlverurteilungsfahig" ist (näher 4. Teil 11 3). 4. Lösung von Fall 8

Da eine Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung mangels Gleichwertigkeit der Straftatbestände lO ausscheidet, ist X eindeutig aus § 246 zu verurteilen. Das gilt sowohl i.S. der "konkurrenzrelevanten Postpendenz" (Wiederaufleben der mitbestraften Unterschlagung) als auch i.S. der "tatbestandsrelevanten Postpendenz" (Tatbestandsmäßigkeit der Zweitzueignung mangels Schuldhaftigkeit, Strafbarkeit, Beweisbarkeit und Wahlverurteilungsfahigkeit der betrügerischen Erstzueignung). - Wer hingegen - wenn auch weniger gut vertretbar (näher 5. Teil 112 und 6. Teil 11 4) - die Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung befürwortee 4 , braucht sich um die etwaige dem Betrug nachfolgende Unterschlagung nicht zu sorgen. Für ein Wiederaufleben der mitbestraften Tat ist dann kein Raum (Konkurrenzlösung); oder der Verkauf des Pelzstücks stellt sich angesichts des schuldhaften und strafbaren Betrugs als tatbestandslose Zweitzueignung dar. Die Postpendenzfeststellungen sind also entweder echte Wahlfeststellungen i.S. der Fallgruppe A (alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage - hier ausnahmsweise i.S. nur einseitiger Sachverhaltsungewißheit) oder (bei Unzulässigkeit der Wahlfeststellung) Fälle der eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage. Also wiederum wie in Fallgruppe A: Vorrang der Wahlfeststellung vor der eindeutigen Verurteilung; Vorrang der eindeutigen Verurteilung vor dem Freispruch.

15 16

Etwa Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 15,24, 29b, aber auch 25 a.E. Anders z.B. Eser. in: Schänke-Schräder. § I Rdnrn. 102,94; vgl. auchBGH. GA 1984,374.

111. Fallgruppe C (Kombination bei unechter Wahlfeststellung)

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III. Fallgruppe C. Kombination von "in dubio pro reo" und "unechter Wahlfeststellung" Fall 9: X hat als Zeuge in zwei Instanzen widersprüchlich ausgesagt. Die erste Aussage hat er beschworen. Eine der Aussagen ist mit Sicherheit wissentlich falsch erstattet worden. X hat also entweder eine Falschaussage erstattet (§ 153) oder einen Meineid geleistet (§ 154) (vgl. BayObLG. JZ 1965, 774).

In diesem nicht unumstrittenen Fall ist zunächst wieder unser Ausgangspunkt gegeben. Die Beteiligung des X steht fest, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz. Auch haben wir es erneut wie in Fallgruppe A mit einer mehrseitigen Sachverhaltsungewißheit und einer doppelten Rechtsnormungewißheit zu tun. Dennoch handelt es sich nach h.M. im Ergebnis nicht um einen Fall der "echten Wahlfeststellung" i.S. der Fallgruppe A und damit um eine alternative Verurteilung bzw. bei und wegen der Ungleichwertigkeit der Alternativen um einen Fall für einen Freispruch. Vielmehr wird nach h.M. 17 der Meineid mit Hilfe des Grundsatzes "in dubio pro reo" 18 auf die uneidliche Falschaussage als "Rumpftatbestand" verkürzt, so daß am Ende eindeutig aus § 153 - allerdings nunmehr auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage (1. oder 2. Instanz) - verurteilt werden kann. An die Stelle der "echten" (der Gleichwertigkeitsprüfung unterliegenden) Wahlfeststellung zwischen Meineid und uneidlicher Falschaussage tritt eine Kombination von "in dubio pro reo" und "unechter" ("gleichartiger") - dasselbe Strafgesetz betreffender und ohne weiteres zulässiger - Wahlfeststellung. Freilich ist dieses Ergebnis - wie bemerkt - nicht unangefochten. Hingegen besteht in einem vergleichbaren Fall aus dem Bereich der Konkurrenzen - so weit ersichtlich - Einigkeit in dem sachentsprechenden Ergebnis: Fall 9a: X hat entweder einen Betrug durch falsche mündliche Angaben oder einen (andersgearteten) Betrug mit Hilfe eines gefälschten Blanketts begangen (vgl. auch OLG Braunschweig. NdsRpfl 1958,22; Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 99).

Hier liegt eine Alternativität von Betrug oder Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug vor. Der Betrug ist von der Rechtsnorm her eindeutig, jedoch auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage begangen. Die Urkundenfälschung ist ein ungleichwertiges, bereits einer anderen Rechtsgutsgruppe zugehöriges Delikt (vgl. auch unten Fall lOa). Hier bestehen (anders als im Fall 9) von vornherein keine Bedenken, die tateinheitlieh begangene (alternative) Urkundenfälschung wegfallen zu lassen und eindeutig wegen Betrugs auf wahldeutiger Tatsachengrundlage zu verurteilen (vgl. noch unten 4). 17 Etwa BayObLG, JZ 1965,774 f.; 1976.33; BGHSt 13,70 (dazu Fall 46); BGH, NJW 1957, 1887; OLG Düsseldorf, NJW 1976,580; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 17; Eser, in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 99; vgl. auch Walter. S. 38 fr.; Hürxthal. in: KarlsKomm, § 261 Rdnr.68. 18 Zum .. begriffslogischen Stufenverhältnis" zwischen Meineid und uneidlicher Falschaussage BGHSt 8, 209; 13,70; 22, 154; BGHSt 31, 136; w. Nachw. in Fußn. 17.

44

2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

Man kann die Lösung und die Gleichbehandlung der Fälle 9 und 9a darüber hinaus rechtfertigen, wenn man sich zweier allgemein anerkannter Unterfallgruppen (CI, C 2) bewußt ist. 1. Unterfallgruppe CI. "In dubio pro reo" bei "begriffs logischem Stufenverhältnis" verschiedener Strafgesetze und teilidentischer Tatsachengrundlage Fall 10: Es bleibt zweifelhaft, ob der Dieb (§ 242) eine Schußwaffe bei sich geführt hat (§244 I Nr. I) oder nicht (BGH, MDR 1970, 520)ISa.

a) Es ist fast einhellige Meinung, daß beim "begriffslogischen Stufenverhältnis" von verschiedenen Straftat beständen mit teilidentischer Tatsachengrundlage der Grundsatz "in dubio pro reo" in seiner klassischen Funktion eingreift (vgl. schon Unterfallgruppe A 2 zu den Modalitäten desselben Straftatbestandes). Deshalb gelangt man im Fall 10 zu einer eindeutigen Verurteilung wegen einfachen Diebstahls auf eindeutiger Tatsachengrundlage. Hinsichtlich der Qualifikation in § 244 I Nr. I ist zugunsten des Täters von dem Fehlen der Schußwaffe auszugehen. Der Straftatbestand § 244 I Nr. I umfaßt in einem logischen "MehrWeniger-Verhältnis" zwingend den Grundstraftatbestand § 242 19 • Auf die - hier wohl zu bejahende - Ungleichwertigkeit von Qualifikation und Grunddelikt kommt es schon angesichts der teilidentischen (eindeutigen) Tatsachengrundlage nicht an. Der einfache Diebstahl steht - jedenfalls mit der Maßgabe, daß er auch in der qualifizierten Form des Diebstahls mit Waffen gegeben sein kanneindeutig fest. Der in dubio-Satz erfüllt "in klassisch-enger Weise" die strafprozessuale Forderung nach einer eindeutigen Verurteilungsgrundlage. Für eine (echte) Wahlfeststellung ist hier von vornherein kein Raum. Der Grundsatz in dubio pro reo hat nicht nur Vorrang vor der Wahlfeststellung (die außerdem mangels Gleichwertigkeit der Alternativen unzulässig wäre und - mit Hilfe einer wechselseitigen Anwendung des in dubio-Satzes - zum Freispruch führen müßte); er hat vielmehr alleinige Geltungskraft. Hinzu kommt, daß jedes "begriffslogische Stufenverhältnis" per se auch als ein "normatives Mehr-Weniger-Verhältnis" zu begreifen ist 20. Auch in wertender Betrachtung enthält die Qualifikation lediglich ein Plus an objektivem und subjektivem Unrecht sowie an Schuld, ein graduell abgesetztes Mehr an Zurechnung. Und zumindest für diesen Fall (vgl. noch unten VI sowie 3. Teil, FallgrupISa Vgl. auch BGH, GA 1980,23; Urt. v. 15.9.64 - I StR 288/64; Urt. v. 26.10.71 1 StR 308/71. 19 Etwa BGHSt 22, 156; 31, 136; Nowakowski, lurBI 1958, 382; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 18 m. w. Nachw.; Tröndle, in: LK, § 1 Rdnrn. 61,65; krit., jedoch i. Erg. ebenso Günther, S. 124 ff. (vgl. aber auch S. 129), 132 ff., 250 ff., der freilich auch in Beispielen wie Fall 10 zu Unrecht von einer mehrdeutigen Tatsachengrundlage ausgeht (S. 137). 20 Treffend Duo, in: Festschr. f. Peters, S. 378; vgl. auch Nowakowski, lurBI 1958, 382; Günther, S. 124 ff.; Wolter, S. 96 Fußn. 232.

111. Fallgruppe C (Kombination bei unechter Wahlfeststellung)

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pen F, F 1) steht nicht entgegen, den Satz in dubio pro reo als eine Entscheidungsregel heranzuziehen, die bei Zweifeln über "zurechnungssteigernde" Umstände die Anwendung des Grundtatbestandes und die Verhängung der entsprechenden Rechtsfolge (schon aus Gründen der Gerechtigkeit) anordnet 21 . Das begriffslogische Stufenverhältnis gleichsam als Prototyp des normativ-ethischen Stufenverhältnisses! Weitere Beispiele für solche logischen und zugleich normativen Stufenverhältnisse bilden etwa die Alternativität von Vollendung und (tauglichem) Versuch 22 , Vergewaltigung und sexueller Nötigung23 , Mord und Totschlal4 sowie Regelbeispiel und "Ausgangstatbestand,,25. Schwieriger zu begründen 26 , jedoch nach h.L. ebenfalls zu befürworten ist ein solches begriffslogisches Stufenverhältnis zwischen Real- und Idealkonkurrenz 27 sowie vor allem zwischen Raub und Diebstahl bzw. Nötigung28 (immerhin ist der Raub nicht nur die Summe von Diebstahl und Nötigung29 ). Nicht hierhin gehört - entgegen der h.M. - die Alternativität von Vergewaltigung und Verführung (näher unten 3. Teil Fallgruppe F, Fall 16). b) In diesen Zusammenhang sind auch solche Fälle zu stellen, in denen der Täter entweder eine einzige Straftat oder aber dieses Delikt in Tateinheit/Tatmehrheit mit einem ungleichwertigen (Fall JOa) oder gleichwertigen (Fall JOb) anderen Straftatbestand begangen hat. FalllOa (Abwandlung von Fall9a): X hat entweder einen Betrug oder diesen Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen (Tröndle, in: LK, § I Rdnr. 65). Fall lOb: X hat entweder eine Hehlerei oder diese Hehlerei in Tateinheitlfatmehrheit mit Beihilfe zum Diebstahl begangen (BGH, GA 1984,373).

Im Ergebnis übereinstimmend mit Tröndle (FaIl10a) und dem BGH (Fall JOb) fällt hier mit Hilfe des in dubio-Satzes in seiner klassisch-engen Funktion der ungleichwertige - da bereits einer anderenRechtsgutsgruppe zugehörige - § 267 Vgl. auch Frisch. in: Festschr. f. Henkel, S. 284. Etwa RGSt 41,353; BGHSt 22, 156; 23, 205; 31, 136; Baumann, JZ 1983, 116; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 19 m. Nachw. Zur Alternativität von untauglichem Versuch und Vollendung vgl. aber unten 3. Teil I 6. 23 JA 1970,402; Wolter, S. 269; zu entspr. VersuchsfällenBGHSt 11, 102;BGH, MDR 1975, 196 bei Dallinger. 24 BGHSt 31, 136; Eser, in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnr. 95; Schaffstein, NJW 1952,728; vgl. auch BGH, NJW 1986, 266. 25 OLG Düsseldorf, NJW 1976,580; Baumann, JZ 1983, 116; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 19; Wolter, S. 140. 26 Grundsätzl. krit. Günther, S. 51 ff., 124 ff. 27 Etwa BGH, MDR 1980,628 bei Holtz (näher unten 3. Teil 11, Fall18b m. Nachw.). 28 BGHSt 25, 186; Baumann, JZ 1983, 116; Herdegen, in: LK, § 249 Rdnr. 27; Otto, in: Festschr. f. Peters, S. 378; Schulz, JuS 1974,636 Fußn. 2; Wolter, S. 76 m. Fußn. 84; GA 1974, 21

22

162.

2'

Deshalb gelangt Christians, S. 76, zur Wahlfeststellung zwischen Raub und Diebstahl.

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2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

(Fall lOa). aber auch die durchaus nicht ungleichwertige Beihilfe zum Diebstahl (Fall lOb) weg. Es kann nach Ausscheiden des ideal- bzw. realkonkurrierenden Delikts eindeutig wegen Betrugs bzw. wegen Hehlerei auf eindeutiger Tatsachengrundlage verurteilt werden. Der Sachverhalt ist im Betrugs- (Fall lOa) bzw. Hehlereiteil (Fall lOb) teilidentisch. Und dieser eindeutig feststehende Sachverhaltsteil macht ein Ausgangsdelikt der alternativen Straftatbestände aus. Inso-

fern liegen die Dinge anders als in den Fallgruppen A und B bei dem Problem des Rückgriffs auf eine mitbestrafte und damit gerade nicht als Ausgangsdelikt betroffene Unterschlagung. Und Fall lOa als Beispiel für die Unterfallgruppe CI unterscheidet sich auch von Fa1l9a als Beispiel für die Fallgruppe C. Denn im Fa1l9a handelt es sich - wie im Fa1l9- um eine eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage. Vor der endgültigen Lösung der Fäl/e 9 und 9a sei noch kurz auf die zweite Unterfallgruppe C 2 verwiesen.

2. Unter/al/gruppe C 2... Unechte WahlJeststel/ung" bei .. reiner Tatsachenalternativität" Fa//lOc (Abwandlung von Fa//9): Die Aussagen in erster und zweiter Instanz. von denen eine mit Sicherheit wissentlich falsch erstattet worden ist, sind beide unbeschworen geblieben (vgl. auch BGHSt 2, 351).

Hier gelangt man nach (fast) einhelliger Auffassung zu einer eindeutigen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage wegen Falschaussage nach § 153 ~ (näher 6. Teil 11 1). Streit besteht insoweit allein hinsichtlich der Heranziehung der tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Wahlfeststellung, die aus rechtsstaatlichen Gründen hier ebenfalls aufzustellen sind 31 (näher 4. Teil III und 7. Teil I, 11), und bezüglich der Terminologie. Ganz überwiegend und mit Recht spricht man in solchen Fällen von "unechter bzw. gleichartiger Wahlfeststellung", da nicht verschiedene Strafgesetze, sondern nur "Tatsachenalternativitäten" innerhalb desselben Straftatbestandes zur Debatte stehen 32 • Die Frage nach den materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wahlfeststellung (d.h. nach der Gleichwertigkeit) stellt sich zwangsläufig nicht. Ebensowenig berührt die Tatsachenalternativität die Eindeutigkeit des Schuldspruchs. Allerdings mag der Tenor auf "Falschaussage auf mehrdeutiger 30 Z.B. BGH Urt. v. 12.2.81 - 4 StR 714/80; BGHSt 2,352 (zu § 154); Eser. in: SchönkeSchröder. § I Rdnr. 64; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 16; Tröndle. in: LK, § I Rdnr. 68; Wolter. S. 24 Ir., 273 f.; vgl. auch OLG Karlsruhe. NJW 1980, 1859; Möhl. NJW 1965, 1927; anders OLG Koblenz. NJW 1965, 1928. W. Nachw. unten 6. Teil II 1 Fußn. 10. 31 Eser. Tröndle (Fußn. 30); Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 15; anders OLG Hamm. NJW 1981,2269 (I. Teil VI 2, Fall 6); Blei. AT, S. 36. 32 Nachw. bei Eser. Rudolphi (Fußn. 30); OLG Hamm. NJW 1981, 2269.

III. Fallgruppe C (Kombination bei unechter Wahlfeststellung)

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Tatsachengrundlage" lauten. Und bei der Strafzumessung ist die den Angeklagten weniger belastende Sachverhaltsalternative zugrunde zu legen 33 (vgl. auch 7. Teil IV). In diesen Zusammenhang gehört auch die "wahldeutige Feststellung eines Tatbestandsmerkmals" (oben 1. Teil, Fall 6; unten 4. Teil, Fall 24a). Auf die Gleichwertigkeit des mehrdeutigen Sachverhalts kommt es nicht an.

3. Lösung von Fall 9

In diesem Ausgangsfall der Fallgruppe C sind die Probleme der Unterfallgruppen Cl und C2 kombiniert. Es scheint deshalb der h.M. nichts im Wege zu stehen, X eindeutig wegen Falschaussage auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage zu verurteilen. Meineid und Falschaussage stehen in einem begriffslogischen Stufenverhältnis l8 • Auf die materiellrechtliche Gleichwertigkeit der §§ 153, 154die wohl wegen des besonderen Unwertes der Beeidigung zu verneinen ist 34 kommt es nach h.M. offenbar nicht mehr an 35 • Auf diese Weise wird auch der sonst drohende Freispruch vermieden. Und wenn schon im Fall10c (Unterfallgruppe C2) verurteilt werden kann, dann erst recht, wenn eine Aussage sogar noch beeidet worden ist. a) Dem wird von einer beachtlichen Mindermeinung im Schrifttum entgegengehalten, daß der in dubio-Satz so in sein Gegenteil verkehrt werde. Denn man schaffe mit seiner Hilfe trotz der Ungleichwertigkeit der Ausgangstatbestände Meineid und Falschaussage die Voraussetzungen einer "zulässigen Wahlfeststellung" zwischen einer (etwaigen) Falschaussage in der ersten Instanz und einer solchen in der zweiten Instanz 36 , anstatt im Wege seiner wechselseitigen Heranziehung einen Freispruch zu erzielen. b) Dieser Gedankenführung wird von der h.M. nicht ohne gewichtige Gründe widersprochen. Man verweist zum einen auf die Fälle der Unterfallgruppe Cr, bei denen niemand bei der Ungleichwertigkeit der Tatbestände (etwa bei Mord zur Ermöglichung einer Straftat und einfachem Totschlag oder bei schwerem und einfachem Diebstahl [Fall 10] oder schließlich im Fall 1Oa) für einen Freispruch plädiert 37 • Fall 9 liegt, wenn man die zusätzliche Sachverhaltsalternativität (Aussage in 1. bzw. 2. Instanz) den engen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Wahlfeststellung unterwirft (näher 4. OLG Kar/sruhe, NJW 1980, 1859; Möh/, NJW 1965, 1927. Günther, S. 127; Küper, NJW 1976, 1829; Rudo/phi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 18. 35 Hardwig, GA 1964, 147; Hruschka, JR 1978, 26; Olto, in: Festschr. f. Peters, S. 383; Rudo/phi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 18; Schu/z, JuS 1974,637; vgl. auch Wo/ter, S. 39. 33

34

36 Deubner, JuS 1962, 22 Fußn. 25; vgl. auch Jakobs, GA 1971, 261 m. Fußn. 21; Küper, NJW 1976, 1829; Trönd/e, JR 1974, 134. 37 Rudo/phi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 18.

48

2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

Teil III und 7. Teil I, 11), nicht maßgeblich anders 37 • Zum zweiten erfüllt der in du bio-Satz hier (anders als in der sogleich zu besprechenden Fallgruppe 0) jedenfalls in einem gewissen Maße seine eigentliche Funktion: Er schafft die Grundlage für einen eindeutigen Urteilsspruch (freilich auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage) 38. Und deshalb geht es (drittens) bei der (eindeutigen) Verurteilung wegen Falschaussage auf wahldeutiger Tatsachengrundlage auch gar nicht um eine echte Wahlfeststellung (vgl. Unterfallgruppe C2)37. c) Im Ergebnis vermeidet die h.M. auf diese Weise den sonst drohenden Freispruch wegen der Ungleichwertigkeit der Ausgangstatbestände. Ein solcher Freispruch wäre nicht nur ungerecht; er widerstritte auch den (oben 1. Teil 11) hervorgehobenen Prinzipien von Schuld und Prävention 39 und ließe außer acht, daß der Meineid zur uneidlichen Falschaussage wie jede andere Qualifikation zum Grundtatbestand nicht nur in einem begriffslogischen, sondern auch in einem "normativen Stufenverhältnis" steht (wie bei Fall 10 deutlich gemacht worden ist). Nicht die Ungleichwertigkeit und Andersartigkeit der Straftatbestände, sondern ihre logische und normative Abstufbarkeit muß deshalb bei der Lösung der Problematik im Vordergrund stehen. Freilich kann man der Mindermeinung nicht entgegenhalten, daß sie ihrerseits den ungerechten Freispruch erzwingt. Sie gelangt dadurch zu einer Verurteilung, daß sie die Wahlfeststellung in weiteren Grenzen als die Mehrheitsauffassung zuläßt. Sie begnügt sich - auch im Fall 9 - mit der Gleichwertigkeit bzw. Identität der Rechtsgutsverletzung ohne Rücksicht auf die verschiedenen Handlungsunwerte ("Identität des Unrechtskerns,,«J; vgl. schon Fallgruppe B, Fall 8). Und diese Identität ist bei dem Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation - auch bei § 153 und § 154 - stets gegeben. Die Kritik an der Mindermeinung hat deshalb weniger an ihrem "Grundergebnis" (das ebenfalls auf Verurteilung zielt) als vornehmlich bei der zweifelhaften Weite ihrer Gleichwertigkeitsformel anzusetzen. Sie muß sich den Vorwurf gefallen lassen, den Täter bei einer wahldeutigen Verurteilung mit einem ungerechtfertigten Makel - nämlich möglicherweise auch einen Meineid begangen zu haben - zu belasten (näher 5. Teil I 2). d) Auch die h.M. kann man für den Einzelfall noch problematisieren und zumindest im Ansatz mit der Mindermeinung harmonisieren. Man kann nicht vollkommen davon absehen, daß wir es im Fall 9 - anders als in den Fällen 10, JOa, lOb - mit einer wahldeutigen Tatsachengrundlage zu tun haben. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist nicht - wie in den Fällen JO, lOa, JOb - teilidentisch. d.h. in einem Teilstück zweifelsfrei gesichert; bei solcher Teilidentität des Sachver38 Rudolphi (Fußn. 37); Wolter. S. 40; vgl. auch Hruschka. JR 1978,26; krit., jedoch i. Erg. ebenso Löhr. JuS 1976,717 f.• 720; ferner im Text unter d) sowie Küper. NJW 1976. 1829. 39 Vgl. auch Jakobs. GA 1971,262,265, der in vergleichbaren Fällen mit dem "Ausweichen" auf den Strafzweck der Generalprävention argumentiert. 40 Etwa Deubner. JuS 1962, 23 f.; NJW 1967. 738 und NJW 1969, 147; Tröndle. JR 1974, 135.

III. Fallgruppe C (Kombination bei unechter Wahlfeststellung)

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halts ist die Anwendung des in dubio-Satzes nicht nur bedenkenfrei, sondern geradezu klassisch begründet 41 • Vielmehr bleibt im Fall 9 auch nach bzw. trotz Heranziehung des ("weiter gefaßten" und über seinen klassischen Anwendungsbereich hinausreichenden) in dubio-Satzes die wahldeutige Tatsachengrundlage - freilich mit eindeutiger Rechtsnorm - bestehen (anders unten Fallgruppe E). Es geht hier also letztlich um spezifisch wahlfeststellungsrechtliche Überlegungen und im Ergebnis um "unechte Wahlfeststellungen" -, bei denen in einer "gewissen Analogie" zur "in dubio pro reo-Verurteilung" auf ein logisches und normatives Minus in der einen Tatalternative zurückgegriffen wird 41 • Dieses Verfahren der Tatbestandsreduktion scheint zwar mit der h.M. rechtlich unbedenklich. Aber man sollte das "Wahlfeststellungsspezifische" nicht völlig leugnen. Die h.M. räumt nun aber - wie begründet - der eindeutigen Verurteilung (auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage) - d.h. der "unechten Wahlfeststellung" ausnahmslos den Vorrang vor der echten Alternativfeststellung ein 42 • Demgegenüber bleibt zu erwägen, ob man diesen Grundsatz nicht entsprechend den Erörterungen zur Postpendenzfeststellung (Fallgruppe B a.E.) zumindest für die Fälle der zulässigen (echten) Wahlfeststellung zwischen den Ausgangstatbeständen umkehren kann. Dieser Fall wird zwar angesichts der grundsätzlich unterschiedlichen Handlungsunwerte z.B. von Qualifikation und Grundtatbestand 43 selten praktisch werden. Aber wenn einmal ausnahmsweise die Gleichwertigkeit der Ausgangstatbestände auszumachen ist, dann ist die echte Wahlfeststellung41 ehrlicher, tatgetreu und beweisgerecht. Fall 11: X hat eine geringwertige Sache gestohlen. Es bleibt offen, ob er i.S. von § 243 I Nr. 6 die Hilflosigkeit seines stark sehbehinderten Opfers ausgenutzt oder bei anderer Gelegenheit LS. von § 244 I Nr. 3 als Mitglied einer Bande unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds gestohlen hat.

In diesem - sicherlich konstruierten - Fall stehen sich angesichts des § 243 11 im Ergebnis der Grundtatbestand des § 242 und die Qualifikation des § 244 gegenüber. Und dennoch ist eine Vergleichbarkeit der alternativen Geschehensweisen insofern gegeben, als der Gewahrsam des Opfers jeweils erheblich gefährdet, der Gewahrsamsschutz besonders vordringlich war. Denn ganz gleich, ob der Täter z.B. die Sehschwäche des Opfers ausgenutzt oder seiner Forderung durch Anwesenheit eines Kumpanen Nachdruck verliehen hat: Beide Male bestand für das Opfer eine mehr oder weniger große Hilflosigkeit und Gefährdetheit. Dabei mag man sogar von dem später zu erörternden Problem (unten 5. Teil 11 2, 6. Teil 11) absehen, inwieweit eine konkrete Betrachtungsweise der zugrunde liegenden Tatsachen zulässig ist. Denn bis zu einem gewissen Maße 41 Dazu treffend Küper, NJW 1976, 1829; Arth. Kaujmann-Neumann, JuS 1981,675 (anders aber bei Postpendenzfeststellungen; oben Fallgruppe B). 42 Ausdrücklich BGHSt 31, 136; Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 103; HÜTxthal, in: KarisKomm, § 261 Rdnrn. 68,73; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 29b, 18. 43 VgJ. auch Günther, S. 136; Wolter, S. 39.

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2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

scheint hier die Hilflosigkeit des Opfers in den §§ 242, 243 I Nr. 6 und 244 I Nr. 3 sogar tatbestandlieh vertypt. Wie auch immer: Sollte einmal ausnahmsweise die Gleichwertigkeit von Grundtatbestand und Qualifikation festzustellen sein, so ist die Wahlfeststellung die ehrliche, unmittelbare und praktikable Lösung. Sie ist näher an der Wahrheit und gerechter als die eindeutige Verurteilung wegen einfachen Diebstahls. Und sie beeinträchtigt weder die Rechtssicherheit noch das Schuldprinzip. Sie wird der Spezial- und Generalprävention besser gerecht. Und sie verwirlicht den schon bei den Fallgruppen A und B hervorgehobenen Grundsatz der Konkurrenzlehre, daß auf eine gesetzeskonkurrierende Tat (etwa § 153 "in" § 154 oder § 242 "in" § 244) nur dann zurückgegriffen werden sollte, wenn aus dem "Oberdelikt" (etwa § 154) mangels Schuld, Strafbarkeit und Beweisbarkeit und dann auch mangels WahlfeststeIlbarkeit nicht verurteilt werden kann. Wenn man das akzeptiert, dann bietet die Fallgruppe C durchaus vergleichbar mit der Postpendenzfeststellung der Fallgruppe B oder auch dem Rückgriff auf mitbestrafte Nachtaten in Fallgruppe A entweder eine "echte Wahlfeststellung" i.S. der Fallgruppe A (alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage) oder (bei Unzulässigkeit der Wahlfeststellung) eine eindeutige Verurteilung (allerdings nunmehr auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage). Also wiederum (wie bei den bisherigen Hauptfallgruppen A und B): Vorrang der (echten) Wahlfeststellung vor der eindeutigen Verurteilung; Vorrang der eindeutigen Verurteilung vor dem Freispruch. 4. Lösung von Fall 9a

Der dem Fall 9 sachentsprechenden Lösung von Fa1l9a i.S. einer eindeutigen Verurteilung wegen Betruges auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage ("gleichartige Wahlfeststellung") steht nach allem nichts im Wege. Auch hier sind die Probleme der Unterfallgruppen CI und C 2 kombiniert. Eine Wahlfeststellung zwischen den Ausgangsstraftatbeständen §§ 267, 263, 52 - § 263 kommt schon mangels Gleichwertigkeit der Urkundenfälschung nicht in Betracht. Deshalb ist in Anlehnung an die Unterfallgruppe CI und mit Hilfe des in du bio-Satzes die Tateinheit von Betrug und Urkundenfälschung auf den Rumpf eines allein verwirklichten "Blankettbetrugs" zu reduzieren. Dieser Blankettbetrug steht mit der Maßgabe eindeutig fest, daß er auch in der "qualifizierten" Form der Tateinheit mit einer Urkundenfälschung begangen worden sein kann. Und dieser Betrug ist entsprechend der Unterfallgruppe C 2 mit dem anderen, durch mündliche Angaben herbeigeführten Betrug in die geschilderte Beziehung einer "gleichartigen Wahlfeststellung" zu setzen. Auf diese Weise wird der sonst wegen der ungleichwertigen Urkundenfälschung drohende Freispruch vermieden. Er wäre auch ungerechtfertigt und liefe dem Strafzweck der Prävention zuwider, weil er allein um deswillen erfolgen würde, weil der Täter über den wahldeutigen Blankettbetrug hinaus (alternativ) sogar noch eine Urkundenfälschung begangen hat.

IV. Fallgruppe D (Kombination bei echter Wahlfeststellung)

51

5. Die neueste Entwicklung In einem erst später zu besprechenden Zusammenhang hat neuerdings BGHSt 33,44 (3. Teil, Fall 18c) den Lösungsweg von Fa1l9a auch auf diejenige Konstellation übertragen, in der das tateinheitlich verwirklichte Delikt in der einen Alternative gleichwertig mit der anderen, allein herbeigeführten Alternativstraftat ist. Diese Entscheidung stößt nach dem unter 3. zu Fall 11 Gesagten auf Bedenken. Vielmehr muß die Wahlfeststellung dann Vorrang haben (näher Fall 18c). IV. FaUgruppe D. Kombination von "in dubio pro reo" und "echter Wahlfeststellung"

Anders und schwieriger als in Fallgruppe C liegt es bei dieser Konstellation, einer Kombination der Fallgruppen Cl und A. Wiederum geht es um eine mehrseitige Sachverhaltsungewißheit mit doppelter Rechtsnormungewißheit. Erneut wird der eine Straftatbestand mit Hilfe des - "weiter gefaßten" (vgl. Fallgruppe C unter 3d) - in dubio-Satzes auf einen Grund- oder Rumpftatbestand verkürzt, obwohl bzw. weil die Ausgangstatbestände ungleichwertig sind. Aber dieser Grundtatbestand ist nicht rechtlich identisch, sondern lediglich gleichwertig mit dem anderen zur Debatte stehenden Straftatbestand. Der in dubio-Satz schafft hier also - anders als in der Fallgruppe C - die Voraussetzungen einer echten (und zulässigen) Wahlfeststellung und damit einer alternativen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage, die zwischen den Ausgangstatbeständen gerade nicht möglich ist. Daß diese Fallgruppe umstritten ist, liegt auf der Hand. Fall 12: Am Ende der Hauptverhandlung bleibt offen, ob der Täter das bei ihm vorgefundene Geld dem Opfer gewaltsam weggenommen (§ 249) oder sich lediglich nach dem Raub verschafft hat (§ 259) (vgl. BGHSt 21, 152; BGH Besch!. v. 21.6.68 - 4 StR 221/68).

1. Die wesentlichen Auffassungen a) Der BGH spricht sich mit Rücksicht auf die (sicher) fehlende "rechtsethisehe und psychologische Vergleichbarkeit" von Raub und Hehlerei (der Räuber verletzt zusätzlich die persönliche Freiheit seines Opfers) gegen eine alternative Verurteilung aus. Er begründet das ferner damit, daß sonst die Sicherheit der Urteilsfindung und die Gerechtigkeit der Urteilswirkung nicht gewährleistet seien. Wenn der Täter in Wirklichkeit nur eine Hehlerei begangen habe, dürfte er sich mit Recht ungerechtfertigt bemakelt fühlen, wenn er, sei es auch nur wahlweise, zugleich wegen Raubes verurteilt werde. Er müsse deshalb im Ergebnis freigesprochen werden.

2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

52

b) Dem ist der überwiegende Teil des Schrifttums mit dem Hinweis entgegengetreten, daß der Raub mit Hilfe des ("weiter gefaßten"; vgl. Fallgruppe C unter 3d) in dubio-Satzes auf den Diebstahl verkürzt und sodann eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei, die auch der BGH zulasse 44 , ermöglicht werden könne45 • Demgegenüber sei ein Freispruch für den unbefangenen Beobachter unbegreiflich. Denn der Täter werde nur deshalb freigesprochen, weil er die Sache möglicherweise gewaltsam und damit mit größerer krimineller Energie weggenommen habe. Der Tatrichter werde auf bedenkliche Weise zu einer "eindeutigen" Feststellung (z.B. auch nur des Raubes) ermuntert; der Angeklagte werde geradezu herausgefordert, sich einer schweren Alternativstraftat zu berühmen (oben 1. Teil 11 4). Und dies alles sei der Sicherheit der Urteilsfindung und der Gerechtigkeit der Urteilswirkung in größerem Maße abträglich als die alternative Verurteilung wegen "Diebstahls oder Hehlerei,,46. Dieser Auffassung hat sich im Ergebnis inzwischen auch der BGH selbst bei der Alternativität von Raub und Unterschlagung angeschlossen47 • Die wegen des Freiheitsangriffs bei § 249 unzulässige Wahlfeststellung der Ausgangstatbestände wird mit Hilfe des ("weiter gefaßten") in dubio-Grundsatzes umgemünzt in die alternative Verurteilung wegen Diebstahls oder Unterschlagung. Freilich wird dabei vom BGH übersehen, daß wir es hier mit einer Postpendenz-Konstellation der Fallgruppe B und deshalb angesichts der Unstatthaftigkeit einer Wahlfeststellung zwischen Raub und Unterschlagung mit einer eindeutigen Verurteilung aus § 246 auf eindeutiger Tatsachengrundlage zu tun haben 48 • c) Eine dritte Auffassung im Schrifttum wendet sich sowohl gegen denjeweiligen "Mißbrauch" des in dubio-Prinzips als auch gegen den Freispruch des BGH im Fall 12. Der in dubio-Satz werde in sein Gegenteil verkehrt, wenn man mit seiner Hilfe trotz der Unvergleichbarkeit der Ausgangstatbestände die Voraussetzungen einer zulässigen (echten) Wahlfeststellung schaffe49 • Andererseits sei die alternative Verurteilung schon zwischen den Ausgangstatbeständen Raub und Hehlerei zulässig, da sie in ihrem Unrechtskern - dem Angriff auf Eigentum und Vermögen - identisch seien 49 (Theorie von der "Identität des Unrechtskerns"; vgl. schon Fallgruppen Bund C). BGHSt I, 304; 11, 28; 15, 65,268; 16, 187. Etwa Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 44; Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 112; Walter. S. 75 fT., 119 f.; ferner Baumann-Weber. AT, S. 170; Küper. NJW 1976, 1829; Maurach-Zipf, AT, Teilbd. 1, S. 129; Dtto. in: Festschr. f. Peters, S. 391 Fußn. 71; Schulz. JuS 1974,635 fT.; Gol/witzer. in: LR, § 261 Rdnr. 153; Hürxthal. in: KarisKomm, § 261 Rdnr. 77; Herdegen. in: LK, § 249 Rdnr. 27; Ruß. in: LK, § 259 Rdnr. 48. 46 Vgl. auch Tröndle. in: LK, § 1 Rdnr. 109. 47 BGHSt 25,185 f.; ebenso i. Erg. DLG Hamm. NJW 1982, 192;AGSt. Wendel. DAR 1980, 54 (§ 315c - § 21 StVG führt zu § 316 - § 21 StVG) (näher 3. Teil H, Fall 19). 48 Vgl. auch Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 112; Jescheck. S. 115; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 44. 49 Deubner. JuS 1962,22; s. auch Hruschka. NJW 1973, 1805; Tröndle. in: LK, § 1 Rdnr. 108; JR 1974, 134. 44 45

IV. Fallgruppe D (Kombination bei echter Wahlfeststellung)

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2. Stellungnahme

a) Ohne Falll2 schon an dieser Stelle endgültig lösen zu wollen (dies setzt Klarheit über die Gleichwertigkeitsfrage voraus; näher 5. und 6. Teil), läßt sich gegen die Auffassung zu Ic ein doppeltes einwenden. Einmal blendet sie mit ihrer These vom identischen Unrechtskern die "Handlungsunwerte" (insbesondere den Angriff auf die persönliche Freiheit des Opfers) ohne zureichenden Grund aus. Andererseits scheint es ungereimt, den Mißbrauch des in dubio-Prinzips zu beklagen und dann zu einem ungleich schärferen Ergebnis als die Auffassung zu I b zu gelangen. Denn es bedarf nicht der Wiederholung, daß sich die alternative Verurteilung wegen ,,Raubes oder Hehlerei" schwerlich mit den Prinzipien des hinreichenden Schuldnachweises, der Vermeidung von Stigmatisierungseffekten sowie der Spezial- und Generalprävention vereinbaren läßt (oben 1. Teil II); und zwar selbst dann, wenn der Raub nicht - was er ehrlicherweise müßte - in der Urteilsformel erscheint (näher unten 7. Teil III). b) Andererseits ist die schwankende Rechtsprechung des BGH (vgl. oben lb und c) angesichts anderer Entscheidungen nur schwerlich verständlich. Dies gilt sowohl für Entscheidungen aus dem Eigentums- und Vermögensbereich (Fall l2a) als auch für ein Votum aus dem Feld der Konkurrenzen (Falll2b; vgl. zu anderen aufschlußreichen Konkurrenzbeispielen auch die Fälle 9a, lOa, lOb). Fall 12a: Der Täter hat entweder eine gewerbsmäßige Hehlerei (§ 260) oder einen schweren Diebstahl (§ 243 a.F.) begangen (BGH, MDR 1970, 13 bei Dallinger).

Hier verurteilt der BGH ohne Zögern und im Widerspruch zu der späteren Entscheidung BGHSt 21, 152 (Falll2) wegen "einfacher Hehlerei oder schweren Diebstahls" 50. Fall 12b: X hat entweder einen Diebstahl in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung oder eine einfache Hehlerei begangen (BGHSt 15, 266).

Hier fallen mit Hilfe des ("weiter gefaßten") in dubio-Satzes die mit § 259 ungleichwertigen §§ 133, 274 zugunsten einer echten Wahl feststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei weg51 • Es handelt sich erneut um eine Kombination der Fallgruppen Cl und A. c) Zur Fa1lgruppe D als Kombination der Fallgruppen Cl und A wird man schließlich auch diejenigen Konstellationen rechnen können, in denen beide - der Wahlfeststellung nicht zugänglichen - Ausgangstatbestände mit Hilfe des (" weiter gefaßten") in dubio-Prinzips auf eine wahlverurteilungsfähige Alternative reduziert werden. 50 W. Nachw. bei Wolter, S. 77 Fußn. 88 - 92, S. 119 Fußn. 372; vgl. auch BGHSt 11,26 (5. Teil 11 2, Fall 34); 15, 65 f. 51 Etwa Dreher-Tröndle, Rdnr. 43 vor § 1; Hürxthal, in: KarisKomm, § 261 Rdnr. 77; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 44; Wolter, S. 79; vgl. auch BGHSt 15,65 f.; BGH Urt. v. 18.5.76 - 1 StR 146/76 (in BGHSt 26, 346 insoweit nicht abgedruckt).

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2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

Fall12c: Nach der Hauptverhandlung bleibt offen, ob der Täter die bei ihm vorgefundenen Sachen dem Opfer gewaltsam weggenommen (§ 249) oder sich gewerbsmäßig nach dem Raub verschafft hat (§ 260).

Hier können Raub und gewerbsmäßige Hehlerei auf die der Wahlfeststellung zugängliche Alternative "einfacher Diebstahl oder einfache Hehlerei" verkürzt werden 52 • d) Fazitjür die Fal/gruppe D: Vorrang der zulässigen Wahlfeststellungausden Ausgangstatbeständen vor der statthaften Wahlverurteilung mit Hilfe von grundsätzlich gesetzeskonkurrierenden (Rumpf-)Tatbeständen; Vorrang letzterer (wie in den Fällen 12, 12a, 12c) vor dem Freispruch. Damit besteht in der Sache Harmonie mit den bisher behandelten Fallgruppen A - C, bei denen in zweiter Linie allerdings eine eindeutige Verurteilung mit Hilfe von grundsätzlich gesetzeskonkurrierenden Tatbeständen (auf eindeutiger - A, B - bzw. mehrdeutiger - C - Tatsachengrundlage) in Betracht kommt. V. Fallgruppe E. Doppelte Anwendung von "in dubio pro reo" Fall 13: In der Hauptverhandlung kann nicht geklärt werden, ob der Angeklagte X die Zeugin Z mit Gewalt genötigt bzw. zu nötigen versucht hat, um sie zu berauben oder sie zu vergewaltigen l ).

1. Kein Mißbrauch des in dubio pro reD-Grundsatzes

Auch in dieser Fallgruppe handelt es sich dem Ausgangspunkt der Überlegungen getreu bei feststehender Beteiligung des X um eine mehrseitige (hier auf innere Tatsachen bezogene) Sachverhaltsungewißheit verbunden mit einer doppelten Rechtsnormungewißheit (Raubversuch oder Vergewaltigungsversuch). Dabei erscheint eine Wahlfeststellung wegen der ungleichwertigen - insbesondere verschiedenen Rechtsguts- und Deliktsgruppen zugehörigen - Straftatbestände unzulässig, andererseits einer Verkürzung der Ausgangstatb.l!stände jeweils auf den identischen "Rumpftatbestand" § 240 möglich. Insofern sind die beiden denkbaren Lösungen schon vorgezeichnet. Entweder man reduziert sowohl den Raubversuch wie den alternativen Vergewaltigungsversuch "in dubio pro reo" auf die (identische) Nötigung bzw. den Nötigungsversuch. Dann kann man eindeutig auf eindeutiger Tatsachengrundlage verurteilen 54 , Oder man

52

53

376.

Wolter, S. 77, 120 m. Nachw. Etwa Blei, AT, S. 39; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 44; Wolter, S. 120 Fußn.

54 Solche Fälle haben auch praktische Bedeutung (vgl. etwa Rhein-Neckar-Zeitung v. 3.1.1983).

V. Fallgruppe E (Kombination bei in dubio pro reo)

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spricht frei, weil man erneut den (nunmehr "doppelten") Mißbrauch des in dubio-Satzes beklagt 55. Freilich läßt sich ein Mißbrauch des in dubio-Satzes hier von keiner Warte aus ernsthaft begründen. Zunächst zwangsläufig nicht vom hier eingenommenen Standpunkt: Wenn der in dubio-Satz schon in einem weiter gefaßten Sinne im Fall 9 (Alternativität von Meineid und uneidlicher Falschaussage) zur Erzielung einer eindeutigen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage (§ 153) vgl. auch Fal19a - oder im Fall 12 (§ 249 - § 259) zur Erlangung einer alternativen Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage (§ 242 - § 259) - vgl. auch Fälle 12a - cherangezogen werden darf, dann erst recht zur Erreichung einer eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage. Denn er wird hier im Fall 13 sogar seiner eigentlichen und klassisch-engen Funktion gerecht. Seine Anwendung führt zu einer eindeutigen Verurteilung (auf eindeutiger Grundlage); ein Teilstück des Sachverhalts ist von vornherein zweifelsfrei gesichert (vgl. schon Fälle JO - JOb). Insofern wird auch die Gegenmeinung bei den Fällen 9 und 12 das Ergebnis im Fall 13 (Nötigungsversuch bzw. Nötigung auf eindeutiger Grundlage) anerkennen müssen, erhebt sie doch auch in den Fällen 10 - lOb keinen Widerspruch gegen eine eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage nach Heranziehung des in dubio-Satzes in seiner klassischen Funktion 56 • Daß in unserem Fall 13 der in dubio-Satz solchermaßen letztlich zweimal angewendet werden muß, kann keinen rechtlich entscheidenden Unterschied machen (vgl. im übrigen oben Fall 12c). 2. Ergebnis im Fall 13

Im Ergebnis hat also im Fall 13 wegen der Unzulässigkeit der Wahlfeststellung zwischen den Ausgangstatbeständen die eindeutige Verurteilung wegen Nötigung bzw. Nötigungsversuchs mit Hilfe des klassisch~ngen in dubio-Satzes Vorrang vor einem Freispruch. Bei Zulässigkeit der Wahlfeststellung hingegen (vgl. 1. Teil, Fall 1c: Alternativität von Raub und räuberischer Erpressung) ist die wahldeutige Verurteilung aus den Ausgangstatbeständen dem eindeutigen Votum bezüglich des "Rumpftatbestandes" Nötigung vorrangig. Insgesamt gilt für Fallgruppe E wiederum - wie in den Fallgruppen A, Bund C: Vorrang der echten Wahlfeststellung vor der eindeutigen Verurteilung mit Hilfe von grundsätzlich gesetzeskonkurrierenden Tatbeständen (auf eindeutiger - A, B, E - bzw. mehrdeutiger - C - Tatsachengrundlage); Vorrang der eindeutigen Verurteilung vor dem Freispruch. In Fallgruppe D tritt "in zweiter Linie" - im übrigen sachentsprechend - an die Stelle der eindeutigen die wahldeutige Verurteilung mit Hilfe von grundsätzlich gesetzes konkurrierenden (Rumpf-)Tatbeständen. 55 Vgl. auch Peters, S. 288, der jedoch mit seiner allgemeinen Bemerkung angesichts des dann behandelten Beispiels den Fall 13 nicht klar einbezieht. 56 Ausdrücklich Tröndle, in: LK, § I Rdnr. 65.

56

2. Teil: Die zwölf Fallgruppen

3. Unterfallgruppe EI. Modalitätenfeststellung bei einem Straftatbestand mit "Rumpftatbestand"

Ganz entsprechendes wie in Hauptfallgruppe E gilt in dem schon im 1. Teil behandelten Fall 4 (Alternativität von Mord aus Mordlust und Mord aus Heimtücke). Der einzige Unterschied zur Fallgruppe E ist, daß die Ausgangsalternativität denselben Straftatbestand betrifft. Im Ergebnis wird wiederum wegen der Unzulässigkeit einer Wahlfeststellung der Mordmodalitäten und damit wegen Unstatthaftigkeit einer "unechten Wahlfeststellung" (eindeutigen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage) - eindeutig auf eindeutiger Grundlage mit Hilfe zweifacher Anwendung des klassisch-engen in dubio-Satzes aus dem grundsätzlich gesetzes konkurrierenden "Rumpftatbestand" (§ 212) verurteilt. Also: Vorrang der "unechten Wahlfeststellung" (vgl. 1. Teil VII) vor der eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage; Vorrang letzterer vor dem Freispruch.

VI. Fallgruppen F, F I • "Unechte Wahlfeststellungen" bei "normativen Stufenverhältnissen" Damit mag vorläufig der Überblick über die Hauptfallgruppen A - E und die zugeordneten Unterfallgruppen (AI, A 2, CI, C2, EI) beschlossen werden. Diese jeweils fünf Fallgruppen sind im folgenden 3. Teil um eine jeweils sechste, die "Wahlfeststellungen bei sog. normativen Stufenverhältnissen" (Fallgruppen F, F I), abschließend zu ergänzen (3. Teil I). Diese untergliedern sich in die "unechten WahlJeststellungen bei normativem Stufenverhältnis mehrerer Straftatbestände" (F) und die "eindeutigen Modalitätenfeststellungen bei normativem Stufenverhältnis" (FI). Beispiele sind die Alternativitäten von Vorsatz und Fahrlässigkeit oder von Täterschaft und Teilnahme. In diesem Zusammenhang wird dann auch auf kombinierte Fallgruppen - etwa CI und F oder D und F, F 1- (3. Teil 11) sowie auf den Sonderfall des § 323a (3. Teil III) einzugehen sein.

Dritter Teil

Normative Stufenverhältnisse; kombinierte FaUgruppen; § 323a StGB I. "Unechte WahlfeststeUungen" bei "nonnativen Stufenverhältnissen" 1. Fallgruppe F ("Unechte Wah/feststellung" bei "normativem StuJenverhältnis mehrerer StraJtatbestände"); Meinungsstand

Bei dieser schwierigen und letzten Hauptfallgruppe (vgl. zu den anderen Fallgruppen den 2. Teil) mit den Alternativitäten Z.B. von Täterschaft und Teilnahme bzw. Vorsatz und Fahrlässigkeit haben wir es letztmalig mit unserer Ausgangsfragestellung zu tun: Die Beteiligung des X steht fest, nicht jedoch das anzuwendende Strafgesetz. Fall14a: Nach der Hauptverhandlung war offengeblieben, ob der Angeklagte X dem Y bei einem Diebstahl durch geistige Unterstützung Beihilfe geleistet hat (Abwandlung: durch Zusage von tatkräftiger Unterstützung zur Tat angestiftet hat) oder durch Leistung von Aufpasserdiensten als Mittäter zur Seite gestanden hat (vgl. BGHSt 23, 203)'. Fall 14b: Nach der Hauptverhandlung war zweifelhaft geblieben, ob die Angeklagte X den Täter Y zu dessen Mord angestiftet oder ob sie ihm nur Hilfe geleistet hat (BGHSt 31, 136)2. Fall 15: Der Angeklagte X setzte sich in einer Gastwirtschaft an einen Tisch, an dem schon der Zeuge N saß. N wollte X begrüßen und streckte ihm die Rechte hin. Statt N die Hand zu geben, brachte ihm X, der Begrüßungen N's mit Handschlag nicht mochte, mit einem geöffneten Taschenmesser eine Schnittwunde von 4 cm Länge auf dem Handrücken bei. In der Hauptverhandlung blieb offen, ob X die Verletzung des N i.S. von dolus eventualis gewollt (Abwandlung: beabsichtigt) hat oder ob er ihn mit dem Messer nur hat erschrecken wollen. In der zweiten Alternative hat X jedenfalls vorhergesehen, daß N seine Hand mit Verletzungsrisiko erschreckt zurückzog, aber darauf vertraut, daß er nicht verletzt würde (Abwandlung: X hat die Verletzung des N nicht vorhergesehen, hätte sie aber erkennen können und müssen) (vgl. BGHSt 17,210)3.

Die rechtliche Behandlung dieser - mit den Abwandlungen fünf - Fälle ist nach wie vor lebhaft umstritten. Im wesentlichen werden drei Auffassungen verfochten. Bei Lichte besehen besitzt jede der drei Auffassungen (je nach Fallge, Hierhin gehört auch - entgegen dem BGH - BGH. MDR 1982, 970 bei Holtz (jedenfalls dann, wenn A den Bebenfalls als "Dieb oder Hehler" angesehen hat); vgl. auch B GH, GA 1984, 287. 2 M. Anm. Baumann. JZ 1983, 116; Sonnen. JA 1983, ISS; Geppert. JK, § 26 StGB Nr. 2; Hassemer. JuS 1983, 311; Dingeldey. NStZ 1983, 166; Hruschka. JR 1983, 177; vgl. auch Kratzseh. JA 1983,339. 3 Vgl. auch OLG Hamm. MDR 1982, 164.

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen

staltung) einen richtigen Kern. Es ist also nicht so - wie die streithafte Diskussion glauben machen möchte -, daß nur eine Meinung allein ein Lösungskonzept für sämtliche Beispiele ergibt. 2. Begriffslogisches Stufenverhältnis (eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage)

Eine Mindermeinung im Schrifttum versucht, insbesondere bei der Alternativität von Mittäterschaft und Beihilfe (Ausgangs-Fall 14a)4 bzw. von Anstiftung und Beihilfe (Fall 14b) 5 sowie schließlich bei dem Beweiszweifel von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit (Ausgangs-Fall 15)6, ein begriffs/ogisches Stufenverhältnis zu bilden. Diese Fälle werden also als weitere Beispiele der Fallgruppe CI (vgl. 2. Teil III 1) behandelt. Der Grundsatz "in dubio pro reo" könne in klassisch-enger Funktion angewendet werden. Der Sachverhalt sei teilidentisch. Es bestehe also keine "exklusive Alternativität" der in Betracht kommenden Sachverhalte. Eine nur einseitige Sachverhaltsungewißheit führe zu einer mehrseitigen Rechtsnormungewißheit. Wer Mittäter sei, leiste schon begriffslogisch zumindest Beihilfe 5; wer bedingt vorsätzlich handele, verhalte sich zumindest auch bewußt fahrlässig 6• Es könne eindeutig aufeindeutiger Tatsachengrundlage wegen Beihilfe zur Tat (Fall 14) bzw. wegenfahr/ässiger Körperverletzung (Fall /5) bestraft werden. (Daß mit der Begründung eines begriffslogischen Stufenverhältnisses zugleich stets eine normative Stufung gegeben ist, ist i.R. der Fallgruppe CI näher begründet worden). So sinnvoll und vor allem systematisch und kriminalpolitisch angezeigt diese Überlegungen im Einzelfall sind (eine - wie immer geartete - Wahlfeststellung kommt, wie im 2. Teil bei den Fallgruppen A 2 und CI begründet, bei teilidentischem Sachverhalt von vornherein nicht in Betracht, und der in dubio-Grundsatz besitzt hier alleinige Geltungskraft): sie vermögen jedenfalls die Gesamtproblematik nicht angemessen in den Griff zu bekommen. Denn einmal steht und fällt diese Auffassung mit einer bestimmten Sichtweise bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bzw. von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Wer bei den letzteren Z.B. die Wahrscheinlichkeitstheorie verficht, wird mit dem begriffslogisehen Stufenverhältnis eher Gehör finden 7 als derjenige, der - mit den besseren Gründen - auf die Entscheidung des Täters für oder gegen die Rechtsgutsverletzung (etwa: ernsthaftes Rechnen und Sichabfinden mit der RechtsgutsbeEtwa Müller-Sax. KMR, 6. Aufl. (1966), § 260 Anm. 6 A 2; Wo/ter. S. 245 ff. m. Nachw. Für das begriffslogische Stufenverhältnis von Anstiftung und Beihilfe (Fall 14b) vgl. Legien. S. 111; dagegen Wo/ter. S.250; Hruschka. JR 1983, 179. 6 Z.B. RGSt 41,391 f.; RG. Rspr. 4, 199 f.; BGH Urt. v. 12.10.71- 5 StR 478/71; Mayer. AT, S. 418; Nowakowski. JurB11958, 382; Wo/ter. S. 154 ff., 201 ff. m. Nachw.; vgl. grundsätzl. auch Jakobs. AT, S. 259. 7 Zu diesem Gedanken grundsätzl. Duo. in: Festsehr. f. Peters, S. 378. 4

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einträchtigung - Vertrauen auf einen guten Ausgang) abhebt. Und wer bei der Abschichtung z.B. von Mittäterschaft und Beihilfe auf das mehr oder weniger große objektive Gewicht der Tatunterstützung oder das ebenso abstufbare Tatinteresse abstellt 8, wird das logische Stufenverhältnis einfacher begründen können als derjenige, der auf der Grundlage der subjektiven Theorie mit Täter- oder Teilnehmerwillen oder i.R. der objektiven Tatherrschaftstheorie mit dem Vorhandensein oder Fehlen der Tatherrschaft 9 arbeitet. Aber selbst wenn man sich auf dem Boden von Abfindungs- bzw. Tatherrschaftstheorie um die Begründung eines logischen Stufenverhältnisses im Einzelfall bemüht lO, vermag man zumindest zahlreiche andere Alternativitäten auch in den abgewandelten Fällen 14a und 15 (etwa Anstiftung - Täterschaft bzw. Absicht - unbewußte Fahrlässigkeit) - mit dem Kriterium der logischen Stufung und dem Ergebnis der eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage nicht mehr zu lösen 11. Spätestens hier muß man sich auf einer zweiten Stufe der Überlegungen mit der Wahldeutigkeit, der wesensmäßigen Unterschiedlichkeit und gegebenenfalls der Ungleichwertigkeit der Begehungsweisen auseinandersetzen.

3. WahlJeststellung (alternative Verurteilung) oder Freispruch Das führt dann grundsätzlich zu einer zweiten Minderauffassung im Schrifttum, die je nach Alternativität undje nach Standpunkt bei der Gleichwertigkeitsfrage entweder eine WahlJeststellung i.S. der Fallgruppe A zuläßt 12 oder für einen Freispruch 13 plädiert 14. Auch diese zweite Stufe der Überlegungen ist grundsätzDagegen freilich Wolter. S. 245 ff. Dazu Schröder. JZ 1970, 423. 10 Wolter. S. 154 ff., 201 ff., 240 ff. m. zahlr. Nachw. 11 Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 21 f.; Wolter. S. 154ff., 246. Vgl. noch Fußn. 12, 13. 12 Für Mittäterschaft - Beihilfe etwa BGH. MDR 1953, 21 bei Dallinger (offengelassen in BGHSt 15,65); Fuchs. NJW 1967, 740; vgl. auch Grünhut. MSchrKrim 1934,337 f.; Schönke. DRZ 1947,49; Zeiler. JW 1938, 150; für Täterschaft -Anstiftungvgl. insb. BGHStl, 129; OLG Düsseldorj. NJW 1976, 580; Baumann-Weber. AT, S. 168 f. Für Anstiftung - Beihilfe z.B. Grünhut. MSchrKrim 1934,337 f.; Wolter. S. 249 f. m. Nachw.; vgl. auch Hruschka. JR 1983, 181. Für Vorsatz - Fahrlässigkeit etwa BGHSt 4, 343 (unter Außerachtiassung des Kriteriums der "rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit"; krit. BGHSt9, 393; 17,213); vgl. auch AG St. Wendel, DAR 1980,54(4. TeilII,FaI/19);Deubner. JuS 1962, 24 (vom Standpunkt der Lehre von der "Identität des Unrechtskerns"; dazu krit. 2. Teil III 3c; 5. Teil I 2a). 13 Für Täterschaft - Anstiftung etwa (noch) Wolter. S. 248 (dieser Standpunkt wird im folgenden aufgegeben). - Für Vorsatz - Fahrlässigkeit z.B. OLG Hamm. NJW 1982, 193; Lang-Hinrichsen. DRiZ 1960,381; Kohlrausch-Lange. §2b Anm. 13; Niese. JZ 1955,321; Schaffstein. NJW 1952, 729; Wolter. S. 217 z.B. für Absichtstat - unbewußt fahrlässige Tat (dieser Standpunkt wird im folgenden ebenfalls aufgegeben). 14 Differenzierende Standpunkte nehmen Fuchs (GA 1964, 71) und Tröndle (in: LK, § I Rdnrn. 101 f.; vgl. auch Gol/witzer. in: LR, §261 Rdnr. 143 Fußn. 91) ein (krit. aber Jakobs. GA 1971,260; Otto. in: Festschr. f. Peters, S. 378; Wolter. S. 161). 8

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lich zutreffend. Denn wenn sich kein begriffslogisches Stufenverhältnis - entsprechend 2 - ausmachen und damit eine eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage nicht begründen läßt, dann ist in zweiter Linie an eine (echte) Wahlfeststellung zu denken. Freilich sei nachdrücklich betont: wer die Möglichkeit der eindeutigen Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage und damit die klassische Anwendung des in dubio-Prinzips (wie in den Fällen 14a und 15 bei Mittäterschaft-Beihilfe und dolus eventualis - bewußte Fahrlässigkeit) übergeht und sich sogleich einer Wahlfeststellungslösung zuwendet 15, verkennt die strafprozessuale Forderung nach einer eindeutigen Verurteilungsgrundlage l6 • Kommt eine eindeutige Tatsachengrundlage nicht in Betracht (Fall 14b; Abwandlungen der Fälle 14a und 15), so hat freilich eine zulässige alternative Verurteilung Vorrang vor jeder anderen Lösung (vor einem Freispruch - dazu sogleich; und vor einer eindeutigen Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage - dazu unten 4). Das entspricht dem Beweisergebnis und ist tatgetreu und wahrhaftig. Auf diese Weise ließe sich etwa Fall14b lösen. Denn Anstiftung und Beihilfe stehen in keinem begriffslogischen Stufenverhältnis 5 • Sie sind jedoch im Handlungs- und Erfolgsunwert und auch im Schuldgehalt gleichwertig (näher 5). Denn beide stehen als Teilnahmeformen an der Peripherie des Tatgeschehens. Die Herrschaft über das jeweils gleich geschützte und mittelbar angegriffene Rechtsgut bleibt beim Täter. Und für die Gleichwertigkeit mag auch sprechen, daß diese Alternativität im Einzelfall bei Verletzung einer Sonderpflicht zur zulässigen Wahlfeststellung von mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft erstarken mag 17 • Andererseits kann es nicht befriedigen, wenn man bei anderen und praktisch bedeutsamen alternativen Beweislagen zum Freispruch gelangen müßte. So widerstreite es den Prinzipien von Gerechtigkeit, Schuld und Prävention, wenn etwa bei den Alternativitäten von "Absichtstat und unbewußt fahrlässig begangenem Delikt" (Abwandlung Fall 15) oder "Täterschaft und Anstiftung" (Abwandlung Fall 14a) in wechselseitiger Anwendung des in dubio-Satzes freigesprochen werden müßte l8 • Denn daß diese Alternativen im Handlungsunwert ungleichwertig und damit wahlfeststellungsunfähig sind, mag zwar jeweils erörterungsbedürftig sein I2 ,13, kann jedoch zumindest für den Beweiszweifel Absicht - unbewußte Fahrlässigkeit nur schwerlich in Abrede gestellt werden. Der dann drohende Freispruch kann nicht das letzte Wort sein. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß es in diesen Fällen jeweils - wenn auch nicht begriffslogisch, so 15 Nachw. in Fußn. 12; vgl. auch Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnm. 21 f. (freilich bzgl. der sogleich unter c vorzustellenden Auffassung). 16 Peters, Strafprozeß, S. 287. 17 Vgl. auch Wolter, S. 249 m. Fußn. 81; dagegen BGHSt 23, 208. 18 S. auch BGHSt 17,213 (Vorsatz - Fahrlässigkeit); Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr.22.

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doch zumindest - normativ lediglich um verschiedene Grade und nur abgestufte Intensitäten bei der (Mit-)Verursachung derselben tatbestands mäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Rechtsgutsbeeinträchtigungen geht. Bei den Beteiligungsformen (Fal/14) ist die abgestufte Intensität der (Mit-) Verursachung am tatbestandsmäßigen Unrechtserfolg und damit vornehmlich die objektive Zurechnung betroffen. Das gilt nicht nur für das Verhältnis von Mittäterschaft und Beihilfe (Fall 14a), bei dem man zugleich schon eine begriffslogische Stufung ausmachen kann. Und das hat nicht allein Bedeutung für die Alternativität von Anstiftung und Beihilfe (Fal/14b), wofür - wie im Fal/14azusätzlich § 27 11 2 spricht 19. Vielmehr ist das auch (und dann sogar ausschlaggebend) von Belang für die hier in Rede stehende Alternativität von Täterschaft und Anstiftung (Abwandlung Fall 14a)20. - Und bei den subjektiven Bezügen wie Absicht und unbewußte Fahrlässigkeit (Abwandlung Fal/15) geht es dann sachentsprechend und entscheidungs erheblich um personale und individuelle normative Zurechnungsstufen. 4. Normatives Stufenverhältnis (eindeutige Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage)

Angesichts des drohenden ungerechten Freispruchs in den zuletzt genannten Fällen (Abwandlung der Fälle 14a und 15) nimmt es nicht wunder, daß die heute absolut h.M. in Rechtsprechung und Schrifttum mit Hilfe des Kriteriums des (allein) "normativen Stufenverhältnisse" für eine eindeutige Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage plädiert. Dabei zieht sie erneut den Grundsatz in dubio pro reo heran und erstreckt ihre Thesen regelmäßig auf sämtliche Fälle von Täterschaft und Teilnahme sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit 21 • Diese h.M. hat herbe, jedoch unzutreffende Kritik erfahren. Insbesondere wird ihr vorgeworfen, letztlich eine Entscheidung in dubio contra reum zu treffen (dazu sogleich). BGHSt 23, 207; 31, 136 ff. Vgl. auch Lackner, § I Anm. 3b ce. Baumann-Weber, AT, S. 168 f.lehnen hier ein normatives Stufenverhältnis ab (vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW 1976,579; GolIwitzer, in: LR, §261 Rdnrn. 145, 158), gelangen andererseits zu einer zulässigen Wahlfeststellung (ein diskutables Ergebnis). Vgl. noch Fußn. 13. 21 Etwa RGSt7I, 365; BGHUrt. v. 8.8.52 -4StR 523/51;BGHSt23, 207 (für Mittäterschaft - Beihilfe); BGHSt 17,210 (für Vorsatz - Fahrlässigkeit; vgl. noch Fußn. 36); BGHSt 31,136 und Baumann, JZ 1983, 116 (für Anstiftung - Beihilfe); Baumann-Weber, AT, S. 168 ff. (anders nur für Täterschaft - Anstiftung; vgl. Fußn. 20); Gollwitzer, in: LR, § 261 Rdnrn. 143, 145; Hürxthal, in: KarlsKomm, § 261 Rdnr. 69; leseheck, S. 115; Kleinknecht-Meyer, § 261 Rdnr.36; Lenckner, S.40 Fußn. 77; Nowakowski. JurB11958, 383 (nur für Täterschaft - Teilnahme; vgl. Fußn. 6); Peters, Strafprozeß, S. 288 f.; Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnrn. 20 ff.; Schmidhäuser, AT, 3/90 (nur für Vorsatz - Fahrlässigkeit); Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnrn. 96, 98; Tröndle, in: LK, § I Rdnrn. 65,101 (vgl. aber Fußn. 14); Geppert, JK, §26StGB Nr. 2; Dingeldey, NStZ 1983, 166 f.; Kratzsch. JA 1983,339; Maurach-Zipf, AT/I, S. 129 (für Vorsatz - Fahrlässigkeit). 19

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Ihr ist andererseits - was bisher noch nicht geschehen ist - entgegenzuhalten, daß sie ihr Lösungskonzept auf sämtliche hier in Rede stehende Fälle ausdehnt; also auch auf die Ausgangs-Fälle 14a und 15 22 , obwohl hier wegen eines begriffslogischen Stufenverhältnisses und damit wegen der Teilidentität des Sachverhalts (Mittäterschaft - Beihilfe; dolus eventualis - bewußte Fahrlässigkeit) sogar die strafprozessual regelmäßig geforderte eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage in Betracht kommt (oben 2); und neuerdings auch auf Fall 14b (Anstiftung - Beihilfe)23, obwohl die hier zulässige alternative Verurteilung (auf wahldeutiger Tatsachengrundlage) aus Gründen der Beweisgerechtigkeit und Wahrhaftigkeit den Vorrang besitzt (oben 3). Durchschlagend ist das Lösungskonzept der h.M. jedoch für die verbleibenden Alternativitäten in den Abwandlungen der Fälle 14a und 15 (Täterschaft - Anstiftung; Absicht - unbewußte Fahrlässigkeit) sowie für zahlreiche andere Konstellationen, von denen zum Teil noch die Rede sein wird (unten 6). Hier fehlt es sowohl an einer Teilidentität des Sachverhalts als auch an der Statthaftigkeit einer Wahlfeststellung; die Sachverhalte sind "exklusiv alternativ", und die alternativen Straft at bestände (Handlungsunwerte) sind ungleichwertig. Demgegenüber greift der mehrfach erhobene Einwand, daß es sich bei der dann befürworteten "eindeutigen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage wegen normativen Stufenverhältnisses" um eine unzulässige Analogie zum Nachteil des Täters handele (in dubio contra reum)24, nicht durch 25 • Angesichts der herausgestellten Abstufung von Zurechnungsformen bei jeweils identischer Rechtsgutsbeeinträchtigung läßt sich die Entscheidung für die mindere Zurechnungsstufe (z.B. Anstiftung; unbewußte Fahrlässigkeit) durchaus unmittelbar26 (und nicht nur analog27 ) mit Hilfe der (freilich weiter gefaßten) in dubio-Regel treffen. Auch hier geht es um die Alternativität von Tatsachen 28 , wenn auch nicht um einen teilidentischen Sachverhalt. Insofern ist die klassisch-enge Funktion der in dubio pro reo-Regel, wie sie in den Fallgruppen Al und C 2 vorliegt, hier nicht betroffen. Denn die Heranziehung des in dubio-Prinzips ändert an der wahldeutigen Tatsachengrundlage und damit an dem Wahlfeststellungsspezifischen der Entscheidung nichts 29 • Immerhin läßt sich der in du bio-Satz, über dessen grundZ.B. RGSt 71,365; BGHSt 23, 203; Gollwitzer. Hürxthal. Rudolphi. Eser (0. Fußn. 21). Etwa BGHSt 31, 136; Baumann. JZ 1983, 116. 24 Fuchs. NJW 1970, 1053; GA 1964, 66; Löhr. JuS 1976, 716; Wolter. S. 86, 92 f. (dieser Standpunkt wird im folgenden aufgegeben). 25 Etwa BGHSt 23, 203 ff.; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 22. 26 Baumann. JZ 1983, 116 f.; Dingeldey. NStZ 1983, 166; Günther. S. 153; vgl. auch RGSt 71, 365; anders Hruschka. JR 1983, 180. 27 BGHSt 23, 207; 31, 136 ff.; Schröder. JZ 1970,423; vgl. auch Nowakowski. JurB11958, 383; Kratzsch. JA 1983, 339. 28 Mißverständl. BGHSt 23, 207; Fuchs. NJW 1967, 739; Schröder (0. Fußn. 27). 29 Treffend Küper. NJW 1976, 1829; ferner Geppert. JK, §26 StGB Nr. 2; vgl. schon 2. Teil III Fallgruppe C. 22

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I. Unechte Wahlfeststellung bei normativem Stufenverhältnis

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sätzliche Reichweite immer noch Unklarheit herrscheo, (i. w.S.) durchaus als eine Entscheidungsnorm des Rechtsanwendungsrechts begreifen, die bei Zweifeln über Zurechnungsgrade aus Gründen der Gerechtigkeit, Schuld und Prävention die Rechtsfolge "Strafe nach dem Delikt mit der minderen Zurechnungsform " anordnet 31.

5. Zusammenfassung und Ablehnung von Einzelauffassungen

a) Faßt man kurz zusammen, so ist die zunächst so homogen erscheinende Fallgruppe der "normativen Stufenverhältnisse" dreifach aufzuschlüsseln und auch in dieser Reihenfolge einer Lösung zuzuführen. Es gibt erstens normative Stufenverhältnisse, die zugleich begriffslogische Stufen enthalten (z.B. Mittäterschaft - Beihilfe; dolus eventualis - bewußte Fahrlässigkeit: Fälle 14a und 15). Nur hier trifft zu, daß es an "exklusiver Alternativität" der Sachverhalte mangelt 32, d.h. daß der Sachverhalt teilidentisch ist. Ergebnis: eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage. Der in dubio pro reo-Satz gilt in klassischenger Funktion. Für eine echte oder unechte Wahlfeststellung ist von vornherein kein Raum. Liegt die begriffslogische Stufung nicht vor, so kommt in zweiter Linie aus Gründen der Beweisgerechtigkeit und Wahrhaftigkeit eine alternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage (echte Wah/feststellung) in Betracht (z.B. Anstiftung - Beihilfe: Fall14b). Hier sind Erfolgsunwert und Handlungsunwerte identisch bzw. gleichwertig. Ist die echte Wahlfeststellung unzulässig. so ist drittens - zur Vermeidung eines Gerechtigkeit, Schuld und Prävention widerstreitenden Freispruchs - eine unechte WahlJeststellung zu treffen, d.h. eindeutig aufwahldeutiger Grundlage aus der minderen Zurechnungsform zu verurteilen (Täterschaft - Anstiftung; Absicht - unbewußte Fahrlässigkeit: Abwandlungen der Fälle 14a. 15). Der in du bioSatz gilt nur i.w.S. Denn er ändert an der mehrdeutigen Tatsachengrundlage nichts. Es geht gleichsam um "eindeutige Wah/feststellungen"33. Der Schuldspruch darf dann - wegen der Ungleichwertigkeit der Alternativen (Handlungsunwerte) und zur Vermeidung einer Bemakelung des Täters - nicht wahldeutig sein. Er muß eindeutig sein (z.B. Anstiftung; oder auch: unbewußte Fahrlässigkeit), weil diese eine Alternative normativ in der höheren Zurechnungsstufe der im Tenor unberücksichtigten anderen Alternative (Täterschaft; oder auch: Absieh t) steckt.

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Vgl. Frisch. in: Festschr. f. Henkel, S. 281 ff.; Günther. S.153. S. auch Frisch (0. Fußn. 30). 0110. in: Festschr. f. Peters, S. 374f.; anders Rudolphi. in: SK StGB, Anhang§ 55 Rdnr. 15. Nowakowski. JurBI 1958,383.

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte FaUgruppen

Rechtsprechung und Schrifttum sind sich im wesentlichen über diesen dritten Schritt der Lösungskonzeption einig, obwohl sie - wie schon bemerkt - die ersten beiden Lösungsstufen in einigen Fällen unzutreffend überspringen. Zu bemängeln ist darüber hinaus ein doppeltes. Einmal sind die einzelnen Wege zu diesem Lösungsziel ganz überwiegend ungangbar (dazu sogleich b). Und zum anderen fehlt fast durchweg ein klarer Leitgesichtspunkt für die Ermittlung eines "normativen Stufenverhältnisses". Das meist angebotene "normative Mehr-WenigerVerhältnis bei der Zurechnung eines tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges"34 reicht dazu nicht aus (näher 6). b) Nicht haltbar ist der Weg des BGH, der in den Fällen 14a und b (Mittäterschaft - Beihilfe; Anstiftung - Beihilfe) den Grundsatz in dubio pro reo lediglich analog anwenden will 35. Der in dubio-Satz kann - wie begründet - in allen Fällen mit normativem Stufenverhältnis direkt herangezogen werden 26 . Darüber hinaus verwirrt, daß der BGH im Fall 15 stattdessen mit dem Institut des sog. AuJfangtatbestandes arbeitet 36. Das Fahrlässigkeitsdelikt sei vom Gesetzgeber gleichsam als ein Straftatbestand geschaffen worden, der auch diejenigen Taten erfasse, die möglicherweise vorsätzlich begangen worden sind. Das ist in zweifacher Richtung wenig einleuchtend. Zunächst einmal hat der Gesetzgeber die ihm unterlegte Absicht nicht gehabt 37 . Vor allem aber ist kein Grund ersichtlich, warum nicht sämtliche Fälle gleich - etwa mit Hilfe des in dubio-Satzes i.w.S. zu behandeln sind. Daß es sich bei Täterschaft und Teilnahme üedenfalls angesichts der subjektiven Teilnahmetheorie) um innere Tatsachen handelt und das gleiche Verbot betroffen ist 38, trifft ja für die Altemativität von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht weniger ZU 39 . 6. Definition und Reichweite des "normativen Stufenverhältnisses"

Das "normative Stufenverhältnis" wird von denjenigen, die sich über die Formel "wertmäßiges Stufenverhältnis bei (Mit-)Verursachung des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges"34 hinaus um eine Eingrenzung bemühen, auf zwei34 Etwa Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 21 (präziser in BT, § 138 Rdnr. 35; § 323c Rdnr. 31); w. Nachw. in Fußn. 21. 35 BGHSt 23,207; 31, 136 ff. 36 BGHSt 17,210; OLG Hamm, MDR 1982, 164; ebenso BayObLG, NJW 1967,361 für das Beihilfedelikt; BGH Urt. v. 6.9.62 - 1 StR 163/62, zit. in BGH, GA 1967, 183 ftir §226 gegenüber §§ 211 f. 37 BayObLG, NJW 1967,361; Dreher, MDR 1970, 370; Fuchs, NJW 1967, 740;Peters, Strafprozeß, S. 289. 38 BGHSt 23, 207. 39 Schröder, JZ 1970, 423; vgl. auch Otto, in: Festchr. f. Peters, S. 389. Im übrigen hindert die Alternativität von inneren Tatsachen nicht die Anlegung von Wahlfeststellungsmaßstäben (vgl. I. Teil V 1, Fall 2: §§263 - 218, 22; 2. Teil V,Falll3: §§ 178, 22- 249, 22 sowie oben Fall 14b); dazu Fuchs, NJW 1970, 1053; Wolter, S. 97f.; vgl. auchBGH. MDR 1958,739; Dingeldey, NStZ 1983, 166.

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fache Weise definiert. Erstens wird mit gutem Grund auf die Subsidiarität der Zurechnungsformen abgehoben 40 • Zum anderen bzw. darüber hinaus wird auf den Angriff auf dasselbe Rechtsgut bei den bei den Alternativtaten abgestellt, die sich allein durch die Schwere des Handlungsunwerts unterscheiden 41 • Das Gesetz nehme bei ihnen zwar Wertungsunterschiede an, ohne jedoch zugleich den Zusammenhang zwischen ihnen aufzuheben 42 • Dabei wird u.a. auf die Beispiele Täterschaft - Teilnahme, Vorsatz - Fahrlässigkeit, aber auch Vollendung - untauglicher Versuch verwiesen 43 • Diese Überlegungen sind im Grundsatz durchaus zutreffend, jedoch nicht präzise genug. Man muß durch eine Konkretisierung dieser Ansätze der Gefahr begegnen, mit dem Instrument des "normativen Stufenverhältnisses" für nahezu jede Alternativität - gerade für diejenigen Beweiszweifel, die wegen der Ungleichwertigkeit der Alternativen an sich einen Freispruch erfordern - eine geradezu willkürliche Verurteilungsmöglichkeit zu eröffnen (dazu auch unten III und IV). a) Zunächst ist es angezeigt, zwischen Erfolgsunwert (Rechtsgutsverletzung) und Handlungsunwert (Angriffsart) zu unterscheiden. Der Erjolgsunwert sowie der Rechtsgutsträger sind bei "normativen Stufenverhältnissen" regelmäßig identisch (z.B. Täterschaft - Teilnahme; Vorsatz- Fahrlässigkeit). Und sofern einmal in der einen Alternative der in Frage stehende Erfolgsunwert nicht herbeigeführt wird (Vollendung - untauglicher Versuch), wird das identische Rechtsgut zumindest ebenfalls angegriffen (etwa beim untauglichen Versuch). Also ist der eine Baustein des normativen Stufenverhältnisses die "Identität des verletzten bzw. angegriffenen Rechtsguts und Rechtsgutsträgers". Damit entfällt - entgegen Eser44 - das normative Stufenverhältnis bei Totschlag und Schwangerschaftsabbruch. Und somit sind ebenfalls "aus dem Spiel" zahlreiche Fälle der sog. "ausdrücklichen Subsidiarität", etwa die §§ 258(a) - 145d oder auch die §§ 125 I I. Alt. - 211 ff., 242 ff. sowie die §§ 248b - 253, 263 45 • b) Der andere Baustein der "wertmäßigen Stufenverhältnisse" ist - um das Ergebnis vorwegzunehmen - die "normative Subsidiarität der Angriffsarten (Handlungsunwerte)". Das ist freilich weiter zu präzisieren. Die Handlungsunwerte sind zunächst einmal ungleichwertig - wie immer man die (mangelnde) Vergleichbarkeit bei der Wahlfeststellung bestimmt. Denn wären sie gleichwertig 4ü Etwa Otto, in: Festschr. f. Peters, S. 377 ff.; Schröder, JZ 1970,423; vgl. auch Nowakowski. JurBI 1958, 382 Fußn. 15 ("Konsumtion"); Sonnen, JA 1983, 156. 41 Rudolphi. in: SK StOB, § 138 Rdnr. 35; § 323c Rdnr. 31; vgl. auch Hanack, in: LK, § 138 Rdnr.75. 42 Otto, in: Festschr. f. Peters, S. 376; Schröder, JZ 1970, 423. 43 Duo, in: Festschr. f. Peters, S. 380. 44 In: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 97a. 4S Zur Subsidiarität in diesen Fällen Lenckner, in: Schönke-Schröder, § 125 Rdnr. 38; Eser, in: Schönke-Schröder, § 248b Rdnr. 13.

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen

und wären darüoer hinaus Rechtsgutsträger und verletztes bzw. angegriffenes Rechtsgut identisch (oben a), so bestünde auf jeden Fall vollständige Gleichwertigkeit der Alternativen. Dann aber wäre die vorrangige, da ehrliche, tatgetreue und beweisgerechte alternative Verurteilung (echte Wahlfeststellung) zu befürworten (oben 3, 5a; vgl. auch 2. Teil III 3d; 4. Teil 11 3). Des weiteren könnte man nicht allein für ausreichend halten, daß im Falle der Kumulation der Alternativen weder Real- noch Idealkonkurrenz zu begründen wäre. Das geriete zu weit, wie schon die (unter a) genannten Fälle der "ausdrücklichen Subsidiarität" (etwa §§ 248b - 253) gezeigt haben. Schließlich sind auszugrenzen die Fälle der sog. "begriffslogischen Subsidiarität" mit teilidentischem Sachverhalt. Das sind Beispiele für die Fallgruppe CI (vgl. 2. Teil III I), nicht für die hier besprochene Fallgruppe F. Zur begriffslogischen Subsidiarität gehören diejenigen KonkurrenzFälle, bei denen die eine Straftat zwar logisch in der anderen steckt, bei der jedoch - anders als bei dem Konkurrenzverhältnis der Spezialität - stets noch die Frage ausdrücklich zu entscheiden (und zu bejahen) ist, ob (und daß) Gesetzeskonkurrenz anstelle von Idealkonkurrenz oder auch Realkonkurrenz vorliegt 46 • Hierhin gehören dann im Handlungsunwert z.T. durchaus vergleichbare Beispiele wie etwa die Alternativität von tauglichem Versuch und Vollendung47 , von unterlassener Hilfeleistung nach § 323c und unechtem Unterlassungsde1ikt z.B. i.S. von § 212 48 oder schließlich - entgegen den überwiegenden Stellungnahmen49 - der Beweiszweifel von Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) und Beteiligung an der anzeigepflichtigen Tat; dies jedenfalls dann, wenn und soweit der Straftatbeteiligte ebenfalls zur Anzeige nach § 138 verpflichtet 50 ist 51 • 46 Vgl. auch Klug, ZStW 68, 409, 413, 415; Wolter, S. 111 f., 113 Fußn. 34 (S. 112 f. auch zu den Fällen der Konsumtion). 47 S. auch BGHSt 22, 154; BGH, MDR 1977, 282 bei Holtz (unten FaIlIBa); Fuchs, NJW 1967, 739; Wolter (0. Fußn. 46). Dagegen liegt bei der Alternativität von untauglichem Versuch und Vollendung allein ein normatives Stufenverhältnis vor, weil in der Vollendung (Risikorealisierung) logisch lediglich ein tauglicher Versuch (Risikoschaffung) stecken kann. 48 Vgl. auch Rudolphi, in: SK StGB, § 323c Rdnr. 31 ("begriffslogisches oder zumindest normatives Stufenverhältnis"). Dem entspricht Rudolphis These (§ 323c Rdnrn. 2,3), daß § 323c als unechtes Unternehmensdelikt allein auf taugliche Unterlassungsversuche beschränkt ist (vgl. noch Fußn, 47) und daß das Erfolgsabwendungsgebot des § 323c inhaltlich - wenn auch nicht in der Intensität - dem Garantengebot des unechten Unterlassungsdelikts gleichsteht. 49 Einerseits wird die Zulässigkeit der Wahlfeststellung und damit eine Bestrafung abgelehnt (etwaBGH, MDR 1979,635 bei Holtz [dazu 4. Teil III l,FaIl26J;Dreher-Trändle, § I Rdnr. 19; Lackner, § 138 Anm. 5; eramer, in: Schänke-Schräder, § 138 Rdnr. 29; andersRGSt73, 52 nach § 2b a.F.); andererseits wird ein rein normatives Stufenverhältnis befürwortet (Rudolphi, in: SK StGB, § 138 Rdnr. 35; Schmidhäuser, in: Festschr. f. Bockelmann, S. 698; vgl. auch Hanack, in: LK, § 138 Rdnr. 75; Maurach-Schroeder, BT/2, S.312). so Rudolphi. in: SK StGB, § 138 Rdnr. 19; Schmidhäuser (0. Fußn. 49). Insofern kommt entgegen Rudolphi und Schmidhäuser schon eine eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachengrundlage nach § 138 in Betracht (Fallgruppe CI). 51 Verneint man diese Verpflichtung des Tatbeteiligten, so ist die Annahme eines rein normativen Stufenverhältnisses freilich zutreffend (Nachw. Fußn. 49), da § 138 im Vorfeld eben diejenigen Rechtsgüter zu schützen bestimmt ist, die der Straftatbeteiligte angreift (Rudolphi, in: SK StGB, § 138 Rdnr. 2).

I. Unechte Wahlfeststellung bei normativem Stufenverhältnis

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c) Fazit: Was dann als Leitlinie für die "Wertstufenverhältnisse" bleibt, ist die "rein normative - nicht begriffslogische - (regelmäßig stillschweigende) Subsidiarität der ungleichwertigen Angriffsarten (Handlungsunwerte) bei Identität des verletzten oder angegriffenen Rechtsguts und Rechtsgutsträgers". Bei diesen Konstellationen käme im Falle der Kumulation eine Ideal- oder Realkonkurrenz nicht in Betracht. Auf eine knappe und verkürzende Formel gebracht: "Normative Stufenverhältnisse zeichnen sich durch die Identität des Erfolgsunwerts und die normative Subsidiarität der ungleichwertigen Handlungsunwerte aus". Mit diesem präzisierten Leitgesichtspunkt werden die bisherigen Ergebnisse bestätigt. Die Anstiftung ist gegenüber der Täterschaft (Abwandlung Fall14a). die unbewußte Fahrlässigkeit gegenüber der Absicht (Abwandlung FaI/15). der untaugliche Versuch gegenüber der Vollendung43 "stillschweigend" und strikt normativ subsidiär52 ; ein begriffslogisches Stufenverhältnis und damit eine Teilidentität des Sachverhalts scheiden jeweils aus. Stets sind dasselbe Rechtsgut und derselbe Rechtsgutsträger betroffen. Und im Falle der Kumulation der Alternativen käme Ideal- oder Realkonkurrenz nicht in Betracht 52 • d) Auf dieser Grundlage kann zu einigen weiteren die Diskussion beherrschenden Alternativen Stellung genommen werden. Mit der h.M. bilden die Begehungsstraftat und das unechte UnterJassungsdelikt 53 ein normatives Stufenverhältnis. Entgegen der h.M. 54 gehört zu diesen Wertstufenverhältnissen auch die Alternativität von Vergewaltigung und Verführung. Fall 16: Der Täter X hat das 15jährige Mädchen entweder mit vorgehaltener Pistole bedroht und durch brutales Würgen widerstandslos gemacht und dadurch zum Beischlaf genötigt oder mit ganz anderen milderen Mitteln zum Beischlaf verführt (vgl. BGHSt 22, 154).

Selbst wenn man hier mit dem BGH allein auf die Beseitigung des inneren Widerstandes des Mädchens abstellt, läßt sich eine begriffslogische Subsidiarität und Stufung und damit eine eindeutige Verurteilung auf eindeutiger Tatsachen52 Schröder. JZ 1970,423; Stree, in: Schönke-Schröder. Vorb. § 52 Rdnr. 107; Wesseis. AT, S. 188. Durchaus parallele Überlegungen werden angestellt, wenn eine Anstiftung in der irrtümlichen Annahme von mittelbarer Täterschaft (Wesseis. AT, S. 150 m. Nachw.), eine Beihilfe in der Mittäterschaft bei versuchter Tat (Schmidhäuser. AT, 14/23; Schröder. JR 1958, 427f. = Anm. zu BGHSt 11, 268) sowie eine Beihilfe in der nicht zurechenbaren sukzessiven Mittäterschaft stecken soll (etwa Roxin. in: LK, § 25 Rdnrn. 137 f.). Auch bei der "rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie" beim Erlaubnistatbestandsirrtum (dazu Wesseis. AT, S. 126) mag man mit dem Subsidiaritätsgedanken arbeiten. 53 Eser. in: Schönke-Schröder. § 1 Rdnr. 97a; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 22; vgl. auch BGH. NJW 1964,732 (Wahlfeststellung scheidet aus); i. Erg. auch Montenbruck. in dubio, S. 124ff. 54 Die h.M. begründet bereits ein begriffslogisches Stufenverhältnis i.S. der Fallgruppe Cl ("begriffslogische Subsidiarität", da § 177 auch Frauen über 15 Jahre erfaßt): Gol/witzer. in: LR, § 261 Rdnr. 140; Kleinknecht-Meyer. § 261 Rdnr. 36; Rudolphi. in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 19; Tröndle. in: LK, § 1 Rdnr. 65; zweifelnd Dreher. MDR 1970,369; Dreher-Tröndle. § I Rdnr. 14; anders Deubner. NJW 1969, 147; Schröder. JZ 1968,571; Horn. in: SK StGB, § 182 Rdnr. 7 (für Wahlfeststellung).

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen

grundlage nicht begründen. Denn es läßt sich schlechterdings nicht sagen, daß die Verhinderung jeglichen Widerstandes durch brutales Würgen oder massives Bedrohen logisch die Überwindung des "anfänglichen Zierens und Sträubens,,55 durch Verführung enthält. Hier liegt lediglich und immerhin ein normatives Stufenverhältnis und damit ein Beispiel der Fallgruppe F vor. Erfolgsunwert und Rechtsgutsträger sind identisch; die Angriffsarten sind ungleichwertig, jedoch wert mäßig abstufbar und subsidiär56 . X ist in "unechter (eindeutiger) Wahlfeststellung" eindeutig auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage wegen Verführung nach § 182 zu verurteilen.

7. Systematische Einordnung der Fallgruppe F

Die Fallgruppe F mit "normativen Stufenverhältnissen" eröffnet nach allem eine neue (dritte) Variante des Urteilsergebnisses "eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage", d.h. der "eindeutigen (unechten) Wahlfeststellung" . Es kann nicht nur auftreten bei alternativen Modalitäten, Qualifikationen und Regelbeispielen desselben Straftatbestandes (Fallgruppe AI: Drohung oder Gewalt bei § 253, Fall 3) bzw. bei Tatsachenzweifeln innerhalb derselben Tatbestandsmerkmale (oben Fall 6 sowie Fallgruppe C 2, FalllOc), sondern auch bei der Alternativität verschiedener Straftatbestände innerhalb eines "normativen Stufenverhältnisses" . 8. Unterfallgruppe F I (eindeutige Modalitätenfeststellung bei "normativem Stufenverhältnis")

Nichts wesentlich anderes als bei der Fallgruppe F gilt letztlich für die normativen Stufenverhältnisse bei Modalitäten desselben Straftatbestandes, der vierten und letzten Variante der "eindeutigen Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage" und damit der "eindeutigen (unechten) Wahlfeststellung". Fall 17: Nach der Hauptverhandlung bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte X § 316 mit direktem Vorsatz oder unbewußt fahrlässig verwirklicht hat.

Dieses Beispiel grundsätzlich anders zu entscheiden als die Abwandlung von Fall 15 in der Hauptfallgruppe F (Alternativität von § 223 und § 230), besteht schon deshalb kein Anlaß, weil es fast zufällig anmutet, ob der Gesetzgeber die vorsätzliche und fahrlässige Tatverwirklichung in verschiedenen Straftatbeständen (§§ 223, 230) oder in einem einzigen Delikt (§ 316) unterbringt. Deshalb ist sachgerecht und parallel zur Abwandlung von Fall 15 zu fragen, ob die alter" BGHSt 22, 155. '6 Hürxlhal, in: KarisKomm, § 261 Rdnr. 69; Jakobs, GA 1971,271; Löhr, JuS 1976,715

Fußn.3.

11. Kombinierte Fallgruppen

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native Modalitätenfeststellung (entsprechend Fallgruppe AI im 2. Teil I 1) als "unechte Wah/feststellung" möglich ist (I. Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung aus § 316 auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage). Das entspricht dem Gebot des Vorrangs der Alternativfeststellung aus Gründen der Beweisgerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, der grundsätzlich auch bei Modalitäten desselben Straftatbestandes durchzuhalten ist. Man könnte dann sogar - um die Alternativität der Modalitätenfeststellung zu betonen - im Schuldspruch formulieren "wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr" (näher 7. Teil III).

Ist die alternative Modalitätenfeststellung hingegen - wie hier zwischen direktem Vorsatz und unbewußter Fahrlässigkeit - unzulässig, so kommt eine eindeutige Modalitätenfeststellung aufgrund normativen Stufenverhältnisses in Betracht. X ist demnach (nur) wegen "fahrlässiger Verwirklichung des § 316 auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage" zu verurteilen (2. Möglichkeit einer "unechten Wahlfeststellung"). Da es sich freilich beide Male um eine unechte Wahlfeststellung handelt und damit allein § 316 betroffen ist, mag man sich im Fall 17 auch "zusammenfassend" mit einer eindeutigen Verurteilung aus § 316 auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage begnügen.

11. Kombinierte Fallgruppen Die Fallgruppen F bzw. F I können mit den anderen Fallgruppen (2. Teil: AEI) kombiniert sein. Solche Konstellationen haben auch durchaus praktische Bedeutung (Fälle 18, 18a-c, 19). Dabei erweist sich, daß die hier versuchte Systematisierung von "Wahlfeststellung und in du bio pro reo" wertvolle Entscheidungshilfe leisten kann. 1. Kombination der Fallgruppen CI und F Fall 18: Der Angeklagte X hatte den Tod derS herbeigeführt, indem er zunächst- ohne Tötungsabsicht - den Hals der S zusammendrückte, bis sie reglos zusammensackte, und sie sodann würgte, um sie zu töten. Es war nicht feststell bar, welche der Handlungen den Tod der S verursacht hat (Kombination der Fallgruppen CI und F) (vgl. BGH, MDR 1979, 279 bei HoltZ)57.

X hat entweder eine vorsätzliche Körperverletzung i.V. mit (unbewußt) fahrlässiger Tötung (bzw. entweder § 226) in Tatmehrheit mit versuchtem (absichtlichen) Totschlag oder eine vorsätzliche Körperverletzung in Realkonkurrenz mit vollendetem Totschlag begangen. Der BGH hat hier den X allein wegen ver57 M. abI. Anm. Wolter. MDR 1981,441; vgl. auchBGH. GA 1958, 109m. abI. Anm.Peters. GA 1958,99; Gollwitzer. in: LR, §261 Rdnr. 130 Fußn. 80.

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen

suchten Totschlags und vorsätzlicher Körperverletzung verurteiit 58 , obwohl X mit Sicherheit durch eine der beiden Handlungen auf zurechenbare Weise den Tod von S herbeigeführt hat. Das Gericht hat das im wesentlichen damit begründet, daß nach dem Grundsatz in dubio pro reo für beide Handlungen zugunsten des Täters davon auszugehen sei, daß sie nicht zum Tode geführt hätten. Das kann nicht überzeugen 59. Systematisch kommt man dem allein gerechten Ergebnis eines versuchten Totschlags i.V. mit einer vorsätzlichen Körperverletzung und i. V. mit einer fahrlässigen Tötung (bzw. §§ 212, 22 i.V. mit § 226) dadurch näher, daß man auf die Kombination der Fallgruppen Cl und F zurückgreift. Der nach der einen Geschehensalternative immerhin mögliche vollendete Totschlag läßt sich sowohl auf einen (unbeendet-)versuchten tauglichen Totschlag reduzieren ("begriffslogische Subsidiarität"; Fallgruppe Cl) als auch auf eine unmittelbar anschließende unbewußt fahrlässige Tötung zurückzuführen ("normative Subsidiarität"; Fallgruppe F). Beides läßt sich dann mit der nach beiden Geschehensalternativen begangenen vorsätzlichen Körperverletzung verbinden. Das vorzugswürdige Ergebnis ist deshalb entgegen dem BGH die eindeutige Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage.

2. Uneinigkeit der BGH-Senate

Inzwischen überwiegen freilich Entscheidungen des BGH, die auf dieser Linie liegen. Das Gericht berücksichtigt also überwiegend die zurechenbare Tötung. Eine Entscheidung des Großen Senats steht aus. Die neuere Diskussion zeigt erhebliche Gegensätze. Fall 18a: X hatte sieben bis zwölf Schläge mit einer Flasche gegen das Opfer geführt, zunächst mit Körperverletzungsvorsatz, sodann, als das Opfer bewußtlos war, mit dem Willen, es zu töten. Ob allein die vor oder die nach dem Tötungsvorsatz verabreichten Schläge oder ob sowohl die einen wie die anderen den Tod herbeigeführt hatten, war nicht festzustellen (BCH, MDR 1977, 282 bei Ho/tz; vgl. auch BCH, StrafV 1984,409; NStZ 1984, 214; Urt. v. 31.10.79 - 2 StR 407/79).

Der BGH verurteilt im Fall 18a mit Recht und ohne Zögern wegen Totschlagsversuchs in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge. Auch in den genannten drei anderen Entscheidungen wird die Todesfolge dem Angeklagten zugerechnet. Es handelt sich im Fall18a erneut um eine Kombination der Fallgruppen Cl und F. Der BGH bezieht sich auch ausdrücklich auf das "MehrWeniger-Verhältnis" von vollendetem und versuchtem Totschlag47 • Der un58 Vgl. auch Dreher-Tröndle, § I Rdnr. 19; Hruschka, JuS 1982, 322ff.; Hürxthal, in: KarisKomm, §261 Rdnrn. 57,69; w. Nachw. in Fußn. 57; die neueste Entscheidung (BGH, StrafV 1986, 200) nimmt zu dieser Streitfrage nicht Stellung. 59 Ebenso Rudolphi, in: SK StGB, Anhang § 55 Rdnr. 29b; Eser, in: Schönke-Schröder, § 1 Rdnr. 103; vgl. auch Hirsch, in: LK, §226 Rdnr. 8; Wolter, StrafV 1986, 317 f.

11. Kombinierte Fallgruppen

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wesentliche Unterschied zu Fall 18 besteht allein darin, daß es sich im Fall18a von vornherein um ein tateinheitliches Geschehen handelt 590. 3. Uneinigkeit im Schrifttum

Nun wendet Hruschka 60 insbesondere gegenüber der Lösung im Fall 18 u.a. ein, daß der Täter nur einmal gegen das Tötungsverbot verstoßen habe, sofern man die zweite Geschehensalternative zugrunde legt (der Tod wird erst durch das vorsätzliche Würgen herbeigeführt). Nach dem in dubio-Satz sei es geboten, dem Täter dann auch nur einen einmaligen Verstoß gegen das Tötungsverbot zur Last zu legen; d.h. der Vorwurf, das Opfer durch den ersten Akt getötet zu haben, sei fallenzulassen. Hruschka betrachtet es als Kunstgriff, die §§ 226; 212, 22; 53 (so die rechtliche Qualifikation der gesamten ersten Geschehensalternative) mit Blick auf den Mindestvorwurfin der zweiten Geschehensalternative (§§ 226; 212, 22; 52 als Reduktion des vollendeten Totschlags) zu einer Tateinheit zusammenzuziehen und entsprechend auf wahldeutiger Grundlage zu verurteilen. Und Hruschka sieht in einem weiteren Gedankengang für den Richter allein die Möglichkeit, entweder aufgrund wahldeutiger Feststellungen (was jeweils zu § 226 führen kann) oder - vorzugswürdig, obwohl bzgl. der Strafzumessung belastender - aufgrund eindeutiger Feststellungen zu verurteilen (was neben einer hier zu vernachlässigenden Körperverletzung zum Totschlagsversuch hinlenkt). Eine Kombination der alternativen und der eindeutigen Feststellungen sei hingegen nicht statthaft. Diese Gedankenführung hat Gewicht. Gegen sie läßt sich vorbringen, daß das Gesamtgeschehen von der Beweislage her einschließlich seiner rechtlichen Bedeutung mehrdeutig, und nicht etwa zweifelsfrei gesichert ist. Selbst der Totschlagsversuch steht in seiner tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung objektiv nicht eindeutig fest. Denn in der ersten Geschehensalternative im Fall 18 ist er untauglich und ungefährlich (das Würgen hatte den Todeseintritt hier noch nicht einmal mehr beschleunigt); bei der zweiten Sachverhaltsmöglichkeit ist der Tötungsversuch hingegen als logische Vorstufe des vollendeten Totschlags in höchstem Maße gefährlich und tauglich. Im Fall 18 haben wir es von vornherein mit einer spezifischen WahlJeststellungssituation zu tun (vgl. dazu auch 2. Teil III 3d, Fall 9; oben I 2c; unten 4. Teil, Fall 26). Der Täter hat also - wenn nicht eine Körperverletzung mit Todesfolge in Tatmehrheit mit beendet-untauglichem Totschlagsversuch - sogar einen vollendeten (und dann zwangsläufig tauglichen) Totschlag begangen. Nichts darf dann hindern, die Alternative des vollendeten Totschlags zugunsten des Täters aufzulösen in eine Tateinheit von unbeendet59. Wie Fall 18 liegen andererseits BGH, StrafV 1984, 409 (dazu Dtto, JK, § 211 StGB Nr. 12) und BGH, NStZ 1984,214. 60 JuS 1982, 323 f.

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3. Teil: Normative Stufen verhältnisse; kombinierte FaUgruppen

tauglichem Totschlagsversuch und anschließender Körperverletzung mit Todesfolge 61 • 4. Alternativität von Tateinheit und Tatmehrheit

Nach dieser Reduktion der Alternative des vollendeten Totschlags stellt sich für den Richter im wesentlichen allein noch die Frage 62 , ob er wegen Totschlagsversuchs i.V. mit Körperverletzung mit Todesfolge tatmehrheitlich (so die erste Geschehensalternative) oder tateinheit/ich (so die zweite reduzierte Alternative) verurteilen soll. Und bei diesem Problem ist es von jeher einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung, daß mit Hilfe des in dubio-Prinzips der milderen Alternative - regelmäßig der Idealkonkurrenz - der Vorzug gebührt. Freilich sollte man auch bei diesem Konkurrenzproblem nicht das "Wahlfeststellungsspezifische" aus den Augen verlieren 61a • Fall 18b: Das Gericht konnte nicht feststellen, ob sich der Täter X zur Wegnahme der Handtasche vor, bei oder erst nach der Sexualtat entschlossen hatte (BGH, MDR 1980, 61 Eine ganz ähnliche Entscheidung fallt der BGH, MDR 1982, 102 f. bei Holtz: Der Angeklagte A hatte sein Opfer 0 schwer verletzt und danach bestohlen. 0 war später verblutet, hätte aber von A noch durch Herbeirufung ärztlicher Hilfe gerettet werden können. Es war nicht feststellbar, ob A die Tätlichkeiten mit Tötungsvorsatz begangen, daß er dem 0 die tödliche Verletzung überhaupt beigebracht und daß er die Gewalt im Zusammenhang mit der Wegnahme des Geldes angewendet hatte. Es standen sich mithin die Alternativen Mord in Tateinheit mit schwerem Raub oder gefahrliche Körperverletzung i. V. mit Diebstahl und zumindest fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gegenüber. Der BGH bestraft wegen der zweiten Tatalternative, deren Delikte mit Blick auf die erste Alternative sogar in Tateinheit stehen (dazu i.e. sogleich FallI8b). - Bei der Lösung kann man sich wiederum zunutze machen, daß in § 211 sowohl eine gefahrliche Körperverletzung wie eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen steckt (teils begriffslogisches, teils normatives Stufenverhältnis; oben I); und § 250 wird auf den einfachen Diebstahl reduziert. - Der BGH führt auch zu Recht aus, daß sich A bezüglich § 222 nicht auf die alternative Möglichkeit des Mordes mit der Folge einer dann straflosen (mitbestraften) fahrlässigen Tötung durch Unterlassen berufen kann. Sonst wäre i.R. einer prozessualen Tat (näher 7. Teil I, 11) eine alternative Verurteilung stets - z.B. auch zwischen Raub und unmittelbar anschließender Hehlerei - schon um deswillen ausgeschlossen (der Vortäter kann nicht Hehler sein). Es ist uns im übrigen schon i.R. der Postpendenzfeststellungen (2. Teil 11, FallS) begegnet, daß dann, wenn eine Wahlfeststellung aus den beiden Ausgangsalternativen nicht zulässig ist, die eine Alternative (hier entsprechend § 211) mit Blick auf die nachfolgende andere (hier entsprechend § 222 durch Unterlassen) weder schuldhaft noch strafbar begangen noch beweisbar ist. Auch deshalb kann die im Verhalten nachfolgende alternative fahrlässige Tötung durch Unterlassen nicht ausscheiden. Der Ausgangsfall des BGH (MDR 1982, 102 f. bei Holtz) liegt auch nicht deswegen wesentlich anders, weil es hier allein um die Tötung des 0 als "einmalige" Rechtsgutsverletzung geht. Vgl. noch 4. Teil III I, Fall 26. 61a Insoweit m. Recht Montenbruck. in dubio, S. 108 ff. (vgl. noch unten 7. Teil IV,FaI147m. Fußn.57). 62 Zu den weiteren Fragen, daß zugunsten des Täters der beendet-untaugliche Totschlagsversuch als der gegenüber dem unbeendet-tauglichen mildere Versuch zugrundezulegen ist (sofern es bei der Strafzumessung überhaupt darauf ankommt), und daß man die zusätzlich eindeutig verwirklichte Körperverletzung vernachlässigen kann, näher Wolter. MDR 1981,443; vgl. zur Körperverletzung auch Hruschka. JuS 1982, 323.

11. Kombinierte Fallgruppen

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628 bei Ho/tz; vgl. auch BGH, StrafV 1984,242; NStZ 1983,364; MDR 1982, 101; 102 f.; 1980, 455 jeweils bei Ho/tz; MDR 1972, 923 bei Dallinger).

Der BGH legt zunächst mit Hilfe des in dubio-Satzes die günstigste Möglichkeit zugrunde (Wegnahme der Handtasche nicht als Raub, sondern - wegen nachträglichen Vorsatzes - als Diebstahl). Andererseits dürfe dieser Diebstahl aber nicht als tatmehrheitlich mit der Sexualstraftat begangen aufgefaßt werden. Bleibe wie im Fall18b nach dem Beweisergebnis offen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Tateinheit (falls doch ein Raub vorgelegen hätte) oder die Tatmehrheit gegeben waren, so sei von Tateinheit auszugehen, weil sie regelmäßig die für den Täter günstigere Fallgestaltung darstelle 63 • Da es sich insoweit vornehmlich um ein Problem der Strafzumessung (und auch der prozessualen Tat) handelt, wird zur endgültigen Behandlung dieses Beispielskreises auf den 7. Teil IV (Fälle 46, 47) verwiesen 63a •

5. Kombination der Fallgruppen Fund A Läßt man Fall 18b mit seiner doppelten Anwendung von in du bio pro reo (§§ 249 - 242; Tatmehrheit - Tateinheit) beiseite, so haben wir es jedenfalls in den Ausgangs-Fällen 18 und 18a64 mit spezifischen Wahlfeststellungskonstellationen und der Kombination der Fa1lgruppen Cl und F zu tun. Hingegen tritt in der neuesten BGH-Entscheidung die Alternativitätsproblematik nicht so deutlich zutage. Der BGH übergeht sie sogar stillschweigend. Falll8c: Der Angeklagte X hat entweder eine Beihilfe zum Diebstahl in Tateinheit mit Hehlerei in der Form der Absatzhilfe oder diese Hehlerei i.V. mit Beihilfe zur Hehlerei in der Form des Sichverschaffens oder nur Beihilfe zur Hehlerei in der Form der Absatzhilfe bzw. des Absetzens begangen (vgl. auch BGHSt 33, 34).

63 Ebenso Arth. Kaufmann-Neumann, JuS 1981,676; Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 95; Gollwitzer, in: LR, §261 Rdnr. 126; Hürxthal, in: KarlsKomm, §261 Rdnr. 61; zu denkbaren Ausnahmen Montenbruck, in du bio, S.110f. 63. Allerdings sei schon an dieser Stelle vermerkt, daß BGHSt 25, 186 und BGHSt 10,294 zumindest inkonsequent entschieden worden sind. In BGHSt 25, 186 war die Ausgangsalternative schwerer Raub in Tateinheit mit § 223a oder Unterschlagung und gefährliche Körperverletzung. Der BGH reduziert den schweren Raub auf einen Diebstahl und läßt die Alternativität für eine wahldeutige Verurteilung im übrigen bestehen. Zumindest für die Strafzumessung muß man freilich auf die mildere Unterschlagung in Tateinheit (= Rückgriff auf die Diebstahlsalternative) mit geflihrlicher Körperverletzung zurückgreifen. - In BGHSt 10, 294 läßt der BGH eine Wahlfeststellung zu zwischen vollendeter Abtreibung in Tatmehrheit mit versuchtem Totschlag oder vollendeter Abtreibung in Tateinheit mit vollendetem Totschlag. Auch hier hätte der BGH mit Blick auf Falll8b wegen vollendeter Abtreibung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag verurteilen können und müssen (vgl. auch - mit anderer Begründung - Eser, in: Schönke-Schröder, § I Rdnr. 97a; dazu 3. Teil I 6, Fußn. 44). 64 Interessanterweise beruft sich Holtz bei der Darstellung von Fall18b ausdrücklich auf den Ausgangs-Fall 18 und zieht auf diese Weise den auch hier vorgezeichneten Bogen; umgekehrt Hruschka (JuS 1982,324 Fußn. 43), der sich bei der Lösung von Fall 18 auf Fall18b bezieht.

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3. Teil: Normative Stufen verhältnisse; kombinierte Fallgruppen

Der BGH legt kurzerhand die günstigste Fallgestaltung - die Beihilfe zur Hehlerei - zugrunde. Mit Recht bemerkt Arzt 65 , daß diese Verurteilung auch auf Wahlfeststellungsregeln beruht. Der BGH hat im Ergebnis die Fallgruppen F (die Alleintäterschaft des X wird auf Beihilfe reduziert) mit Cl und C 2 = Fallgruppe C kombiniert: die eindeutige Verurteilung wegen Beihilfe zur Hehlerei auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage wird dadurch erzielt, daß die tateinheitlich begangene und durchaus gleichwertige Beihilfe zum Diebstahl in der ersten Tatalternative in Wegfall gerät. Insofern besteht auf dem BGH-Lösungsweg eine gewisse Parallele zum Fall 9a (vgl. oben 2. Teil III 5), der sich freilich dadurch auszeichnet, daß das ausscheidende tateinheitliche Delikt ungleiehwertig ist. Insgesamt ist das BGH-Ergebnis zwar nicht unzutreffend. Jedoch ist eine WahlJeststellung zwischen Diebstahlsbeihilfe in Tateinheit mit Hehlereibeihilfe und der anders gearteten alternativen Hehlereibeihilfe die vorzugswürdige Lösung (vgl. auch 2. Teil III 3, Fall I I). Diese Wahlfeststellung ist ehrlicher und weitgehend tatgetreu und beweisgerecht. Gegen diese Lösung ließe sich allenfalls einwenden, daß die anders geartete alternative Hehlereibeihilfe doppelt in Beziehung gesetzt wird: als gleichwertiges Delikt gegenüber der Diebstahlsbeihilfe und als rechtlich identische wahldeutige Straftat zur Hehlereibeihilfe. Doch schadet das nicht. Denn Diebstahls- und Hehlereibeihilfe als alternative Bezugsdelikte stehen in Tateinheit, so daß insoweit nur eine (alternative) Strafe festgesetzt wird (zur Bestrafung aus dem mildesten Gesetz unten 7. Teil IV). Im Fall I Be handelt es sich deshalb in erster Linie um eine Kombination der Fallgruppen Fund A. 6. Kombination der Fallgruppen D und F. F l Fall 19: Der Pkw des Angeklagten X - Insassen: X und der Zeuge G - war in einer Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen. G und X wurden in ihrer Gesundheit gefährdet; Sachen von bedeutendem Wert wurden beschädigt. Bei X wurde eine Blutalkoholkonzentration von 2,74 g%o ermittelt. Hinsichtlich des Fahrers des Pkw machten X und G, der keine Fahrerlaubnis besaß, im Verlauf des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung derart widersprüchliche Angaben, daß offen bleiben mußte, wer von beiden tatsächlich gefahren war. Hinsichtlich des Gestattens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis kam bei X Vorsatz, hinsichtlich des Fahrens in fahruntüchtigem Zustand sowie der konkreten Gefährdungen nur Fahrlässigkeit in Betracht (Kombination der Fallgruppen D und F 1) (vgl. AG SI. Wendel. DAR 1980,53; OLG Ramm. NJW 1982,

192 66 ).

Die Ausgangsalternativen sind hier eine fahrlässige Straßenverkehrsgefahrdung (§ 315c) oder ein vorsätzliches Gestatten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG). Das AG hat X alternativ wegenjahrlässiger Trunkenheit im Verkehr 65

66

JR 1985,213. M. Anm. Schulz. NJW 1983, 265.

III. Sonderfall des § 323a StGB

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(§ 316 II) oder fahrlässigen Duldens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) verurteilt 67 . Das scheint zumindest vertretbar. Denn dann hat Xjeweilsfahrlässig auf durchaus gleichwertige Weise (Fahren ohne Fahrtüchtigkeit - Fahren[-Lassen] ohne Fahrerlaubnis) die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt68. Und es liegt eine Kombination der Fallgruppen D und F l vor: § 315c wird mit Hilfe des in dubio-Satzes i.w.S. auf § 316 69 reduziert (Fallgruppe Cl), um eine Wahlfeststellung (Fallgruppe A) zu ermöglichen (die Kombination der Fallgruppen Cl und A entspricht der Fallgruppe D). Zugleich wird die vorsätzliche Begehungsweise bei § 21 StVG wegen des "normativen Stufenverhältnisses" von Vorsatz und (unbewußter) Fahrlässigkeit 70 (vgl. auch die Abwandlung von Fall 15 sowie Fall 17) auf die Fahrlässigkeit verkürzt (Fallgruppe Fl). Freilich mag man trotz dieser durchaus statthaften doppelten Reduktion (§ 315c - § 316; Vorsatz-Fahrlässigkeit bei § 21 StVG) die Dinge auch anders sehen. Denn es handelt sich in der einen "Rumpfalternative" um "eigenes täterschaftliches Handeln" (Selbstfahren) und andererseits um das teilnahmeartige Dulden des Fahrens ohne Erlaubnis (Gestatten fremder Täterschaft)71. Beides mag ungleichwertig sein wie z.B. auch Täterschaft und Anstiftung (Abwandlung Fall 15) 13. Dann kommt nur Freispruch in Betracht. Gegenüber diesem Freispruch vorzugswürdig und vorrangig ist es freilich, die beiden Alternativen in ein normatives Stufenverhältnis (fahrlässige Täterschaft - "fahrlässige Teilnahme") zu bringen 7l (Fallgruppe F) und eindeutig aus § 21 StVG auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage zu verurteilen. Fall 19 erweist sich dann als eine Kombination der Fallgruppen Cl und A (D) sowie F l und F.

ßI. Der Sonderfall des § 323a StGB 1. Alternativität von Rauschtaten i.R. von § 20 und § 21 a) Fall 20: Der Angeklagte X hatte unter Alkoholeinwirkung mehrere Polizeibeamte schwer beschimpft. Nach der Hauptverhandlung war offen geblieben, ob er sich zur Zeit der Beleidigung im Zustande der Schuldunfähigkeit befunden (§§ 20, 323a) oder ob er die Beleidigung im Zustande erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hatte (§§ 21, 185) (vgl. BGHSt 9, 390).

Ebenso OLG Hamm. NJW 1982, 192; dagegen Dreher-Tröndle. § I Rdnr. 19. AG St. Wendel. DAR 1980,54. 69 Konkrete Gefährdung als logisches Plus gegenüber der abstrakten Gefährdung in § 316: AG SI. Wendel. DAR 1980,54; Schulz. NJW 1983,265. 70 Vgl. demgegenüber die Lösung von Tröndle. in: LK, § I Rdnr. 102 (Wahlfeststellung- nur - bei .. Identität des Unrechts kerns"; dazu Fußn. 14). 71 Eser. in: Schönke-Schröder. & I Rdnrn. 97a. 113. 67

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3. Teil: Normative Stufenverhältnisse; kombinierte Fallgruppen

Der Große Senat hat im Jahre 1956 mit der Lösung im Fall 20 eine Wende der Entwicklung eingeleitet. Die Stationen bis 1956 lassen sich ganz kurz fest halten. Unter Geltung des § 2b a.F. (dazu 1. Teil V 1) war die Wahlfeststellungzwischen Vollrausch i.S. von §§ 20, 330a a.F. und Rauschtat(z.B. §§ 21, 185)ohne weiteres zulässig 72 • Zum Teil wurde die wahldeutige Verurteilung schon vor Einführung und Geltungskraft, jedoch in unmittelbarer zeitlicher Nähe des § 2b a.F. aus dem Jahre 1935 für möglich gehalten 73 • Nach Aufhebung des § 2b a.F. im Jahre 1946 ist die Wahlfeststellung von der Rechtsprechung wegen rechtsethischer und psychologischer Unvergleichbarkeit unter Hinweis auf RGSt 68, 257 stets abgelehnt und damit die Folge eines Freispruchs eröffnet worden 74 • Diese Konsequenz hat die Praxis als kriminalpolitisch unbefriedigend empfunden. Der Große Senat hat deshalb den § 330a a.F. als eine Art Auffangtatbestand für Zweifelsfalle b