Von Parasiten und Menschen: Herausgegeben:Votýpka, Jan; Kolárová, Iva; Horák, Petr;Übersetzung:Helmbold, Lily Carolin 9783662656952, 9783662656969, 3662656957

Was macht Parasiten so interessant? Warum haben die Menschen Angst vor ihnen? Gibt es überhaupt einen Grund, sich vor Pa

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Von Parasiten und Menschen: Herausgegeben:Votýpka, Jan; Kolárová, Iva; Horák, Petr;Übersetzung:Helmbold, Lily Carolin
 9783662656952, 9783662656969, 3662656957

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
1 Warum gerade Parasiten?
Willkommen im Parasitenland
Klopf, klopf, darf ich herein? – die Wirtsspezifität
Sie beschützen? So weit kommt es noch!
Unser Pakt gilt nicht mehr!
„Mensch, wer bist du?“
„Ich bin weiträumig, enthalte Vielheit!“
Es war einmal ein gewöhnlicher Haushalt
Leben oder leben lassen?
Exkurs: Vampire unter uns – das kleine „Wer ist wer“?
2 Parasiten der Mitteleuropäer – Insekten und Milben
„Einer Laus wohnt mehr Treue bei. Sie lässt den Mann nicht, wo er auch sei …
Exkurs: In unserem Bett
3 Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer
Zecken auf der Lauer
Es hat schon wieder Hummeln im Hintern … oder Madenwürmer
Exkurs: Zwischen Feld und Flur
4 Parasiten der Mitteleuropäer – Toxoplasma
Toxoplasma – toxisch oder nicht toxisch?
Alles begann in Böhmen – die kurze Geschichte vom Toxoplasmosestudium
Lebenszyklus: Wie, wann und wer wird infiziert?
Toxoplasmose als Krankheit
Österreichische Fortsetzung
Sind wir nur Marionetten in den „Händen“ von Toxoplasma?
Exkurs: In unserer Küche
5 Parasiten unserer Haustiere
Was kann und soll ein Tierhalter tun und wann sollte der Parasitologe des Vertrauens gerufen werden?
Kann ich mich nicht anstecken?
Hund und Katz und ihre Parasiten
Spulwürmer
Bandwürmer
Filarien
Weniger häufige Helminthiasen
Toxoplasma gondii bei Katzen und andere Kokzidiosen
Ein Hundefloh für jedermann!
Bis zum Zeckenstich …
Krätze und Räude
Unangenehme Mitbringsel von Reisen
Nager und anderes Getier
Ratschlag Nr. 1: Auch Mäuse sind Tiere
Ratschlag Nr. 2: Seien Sie bei der Wahl des Züchters wählerisch
Ratschlag Nr. 3: Kontrollieren Sie den Neuankömmling
Ratschlag Nr. 4: Vertrauen Sie Ihrem Tierarzt, auch ein kleines Tier kann ein großes Problem haben
Exkurs: In unserem Hinterhof
6 Krankheiten, Kriege und Geschichte
Exkurs: Die Geschichte einer Entdeckung
7 Parasitophobie – der Schrecken aller Schrecken
Geschichten aus der Praxis
Diagnostik
8 Parasiten in der Alternativmedizin
Bioresonanz
MMS
Heiler und Entgiftungsberater
Natürliche Antiparasitika
Fazit
Exkurs: Vom Förster Robátko und den Naturfreunden
9 Parasiten – unsere Verbündeten?
Sex, Drugs and Rock’n’ Roll
Der Einsatz von Parasiten in der biologischen Schädlingsbekämpfung
Was der Arzt nicht kann, kann ein Parasit
Der Aderlass – unsterblicher Ruhm der Blutegel
Doch keine Würmer! Die Larventherapie
Parasiten – schlechte Meister, aber gute Diener
Freiwillige Infektionen mit Darmwürmern
Freiwillige Infektionen mit Einzellern
Das Mikrobiom
Das Eukaryom
Exkurs: Parasiten in der „Kunst“
Flohtheater und Flohzirkus
10 Viren sind auch Schmarotzer, sogar die allerschmarotzerhaftesten
Viren sind wirklich klein
Viren und das Leben
Woher kommen Viren?
Wie sehen Viren aus und wie vermehren sie sich?
Haben Viren auch Feinde und Krankheiten?
Viren als Krankheitserreger
Viren und Autoimmunerkrankungen
Viren und Tumoren
Parasiten, übertragen von anderen Parasiten – Infektionen durch Arboviren
Die Entwicklung der Virostatika – von Aciclovir bis Sofosbuvir
Viren als Freunde – eine mutualistische Symbiose
Der Mensch und die Pflanzenviren
Viren als Werkzeuge in den Händen des Menschen
Exkurs: Frühsommer-Meningoenzephalitis in Mitteleuropa
Exkurs: Die Entwicklungsgeschichte von Tenofovir
11 Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel
Ungebetene Eindringlinge
Heimische Fremdlinge
Exkurs: In unserem Teich
12 Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer Infektionen bei Auslandsreisen
Malaria
Ausbreitung
Erreger
Lebenszyklus
Pathogenese und klinische Anzeichen
Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Amöbiasis
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen und Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Leishmaniose und Trypanosomiasis
Leishmaniose
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen
Kutane Leishmaniose
Mukokutane Leishmaniose
Viszerale Leishmaniose
Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Trypanosomiasen
Verbreitung
Afrikanische Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit
Verbreitung und Erreger
Lebenszyklus, Pathogenese und klinische Anzeichen
Diagnostik
Amerikanische Trypanosomiasis oder Chagas-Krankheit
Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen und Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Helminthiasen – mit parasitären Würmern infiziert
Schistosomiasis (Bilharziose)
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen und Diagnose
Behandlung
Vorbeugung
Filariosen
Lymphatische Filariosen
Onchozerkose (Flussblindheit)
Loiasis
Zystische Echinokokkose (zystische Hydatidose)
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen und Diagnostik
Behandlung und Vorbeugung
Zystizerkose
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen
Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Eingeschleppte Darminfektionen, verursacht durch Protozoen und Helminthen
Giardiasis (Lambliasis)
Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese
Klinische Anzeichen
Diagnostik
Behandlung
Vorbeugung
Durch parasitäre Würmer verursachte Darminfektionen
Schlusswort

Citation preview

Jan Votýpka Iva Kolářová Petr Horák Hrsg.

Von Parasiten und Menschen

Von Parasiten und Menschen

(Zeichnung Josef Chalupský)

Jan Votýpka · Iva Kolářová · Petr Horák Hrsg.

Von Parasiten und Menschen Aus dem Tschechischen übersetzt von Lily Carolin Helmbold

Hrsg. Jan Votýpka Karls-Universität Prag Prag, Tschechien

Iva Kolářová Karls-Universität Prag Prag, Tschechien

Petr Horák Karls-Universität Prag Prag, Tschechien Übersetzt von Lily Carolin Helmbold Prag, Tschechien

ISBN 978-3-662-65695-2 ISBN 978-3-662-65696-9  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Übersetzung der tschechischen Ausgabe: O parazitech a lidech, Copyright © Jan Votýpka, Iva Kolářová, Petr Horák a kol., 2018. Herausgegeben von Stanislav Juhaňák – Triton. Alle Rechte vorbehalten © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: © Renata Brtnická, 2018 Planung/Lektorat: Stefanie Wolf Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Dieses Buch handelt von Parasiten. Und von Menschen, selbstverständlich. Aber warum interessieren uns diese Parasiten so sehr? Warum bleiben sie nicht – wie andere Arten von Krankheitserregern und kleinem Ungeziefer – Domäne eines kleinen Kreises von Spezialisten? Weil Menschen sich vor Parasiten fürchten. Meistens unbewusst, aber umso mehr als vor anderen Infektionserregern. Die Erklärung dieser scheinbaren Anomalie hat vor allem mit der Größe der Parasiten zu tun. Die Vorstellung, dass sich Viren oder Bakterien in uns vermehren, ist nicht annähernd so beängstigend, da diese pathogenen Organismen winzig klein und mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Bei klassischen Parasiten sind wir jedoch bereits an der Sichtbarkeitsgrenze angelangt. Selbst bei Parasiten gilt, die kleinen, einzelligen Nutznießer rufen weniger Bedenken und Schrecken hervor als parasitäre Würmer oder Gliederfüßer. Dies ist jedoch nur die gefühlsmäßige, irrationale Seite unserer Wahrnehmung, denn vom Standpunkt der objektiven Gefahr aus gesehen sind die einzelligen Parasiten weitaus gefährlicher und kosten weitaus mehr Menschenleben als die großen. Ohne jeden Zweifel ist ein Parasit jedoch umso furchterregender, je größer und ekelhafter er ist, unabhängig von der tatsächlichen Gesundheitsgefahr. Den Gipfel von Ekel und Abscheu löst wohl der Bandwurm aus, sich ausgelassen in unserem Darm tummelnd, oder die Larven der sog. Myiasisfliegen, die in unserer Haut heranwachsen. Und doch bedroht keiner dieser Parasiten unser Leben. In Europa fühlen wir uns relativ sicher, anderswo auf der Welt, vor allem in den Tropen und Subtropen, gibt es jedoch weiträumige Gebiete, in denen V

VI      Vorwort

Parasiten weiterhin ein sehr ernstes Gesundheitsproblem und eine echte Gefahr für den Menschen darstellen. Die Anzahl direkter Opfer erreicht jedes Jahr eine Million, die der indirekten ist noch viel höher. Da die armen Entwicklungsländer kein Interesse der Pharmaindustrie wecken, bleibt die Entwicklung von Medikamenten gegen Parasiten ein eher vernachlässigter Teil der globalen Forschung. Umso erfreulicher ist es, dass 2015 der Nobelpreis, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung, drei Parasitologen verliehen wurde. Der Amerikaner irischer Abstammung William C. Campbell und der Japaner Satoshi Omura erhielten ihn für ihre Forschungen zur Behandlung von parasitären Helminthen und die Chinesin Tu You-you für ihre Forschung zur Behandlung von Malaria. Das Karolinska-Institut in Stockholm begründete seine Entscheidung zur Preisverleihung wie folgt: „Die Preisträger haben revolutionäre Therapien zur Behandlung einiger der verheerendsten parasitären Krankheiten entwickelt, von denen jedes Jahr Hunderte Millionen Menschen betroffen sind.“1 Angebracht hinzuzufügen – insbesondere in den ärmsten Regionen der Welt. Obwohl die meisten gefährlichen und lebensbedrohlichen Parasiten in Europa nur selten vorkommen, sind die weniger gefährlichen immer noch weit verbreitet. In Zeiten von Epidemien entgeht kaum ein Kind dem Läusebefall, genauso kommen in Kindergruppen immer noch Madenwürmer vor. Etwa ein Fünftel der europäischen Bevölkerung ist mit dem Einzeller Toxoplasma infiziert, der jedoch bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen keine nennenswerten Symptome hervorruft, obwohl sein Einfluss auf das Verhalten der Infizierten untersucht wird. Seinen eigenen Parasiten zu haben, ist also gar nicht so selten, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. In unserem Körper leben jedoch auch andere Organismen, die wir als Parasiten betrachten könnten, obwohl sie nur seltenst Krankheiten verursachen. So tragen die meisten erwachsenen Menschen winzige Haarbalgmilben in ihren Haarfollikeln und im Verdauungstrakt fast aller Menschen finden wir eine Reihe mehr oder weniger harmloser Untermieter, neben immensen Mengen an Bakterien zum Beispiel auch parasitäre Mikrosporidien. Parasiten sind lebende Organismen und passen sich als solche nicht nur ihren Wirten, sondern auch der äußeren Umwelt und den sich ständig ändernden Bedingungen einer zunehmend globalisierten Welt an. Gerade die weltweite Vernetzung, der beschleunigte Verkehr und die wachsende Bevölkerungszahl auf unserem Planeten bieten ideale Bedingungen für die 1 The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2015. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2023. Sun. 9 Apr 2023. https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2015/summary/

Vorwort     VII

Verbreitung verschiedener Krankheitserreger, Parasiten nicht ausgenommen. Noch nie waren auf der ganzen Welt so viele Menschen, Tiere und Waren in Bewegung, noch nie war es so einfach und schnell, an jeden erdenklichen Ort zu gelangen. Diese schier unendliche Bewegungsfreiheit gilt jedoch auch für verschiedene ungebetene Gäste, die, erst einmal an einen neuen Ort gelangt, dort große und manchmal irreversible Schäden anrichten können, wie wir in jüngster Vergangenheit am eigenen Leib erfahren haben. Die Welt verändert sich ständig und ein Phänomen der Gegenwart, an das wir uns gewöhnen müssen, sind große Migrationsbewegungen von Menschen, die durch den Klimawandel, kriegerische Konflikte und die politische und wirtschaftliche Lage vertrieben werden. Mit den ankommenden Menschen können zwar auch verschiedene Infektionskrankheiten eingeschleppt werden, einschließlich der parasitären, solange jedoch in den Zielländern ein gut ausgebautes Gesundheitsnetz besteht, können die potenziellen Gesundheitsrisiken von Expertenteams bewältigt werden. Selbstverständlich, Parasiten kommen nicht nur beim Menschen vor. Regelmäßig begegnen wir ihnen sowohl bei Haustieren, als auch bei Nutzund Wildtieren in unserer Umgebung. Parasiten sind buchstäblich überall um uns herum und manchmal sogar in uns selbst. Sollen wir also Angst vor ihnen haben? Auf keinen Fall dürfen wir sie unterschätzen, ebenso falsch wäre es aber, ihre Gefahr und ihre negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu überschätzen. Im Gegenteil, zum Teil wird ihre positive Wirkung auf unsere Immunität in Betracht gezogen und in einigen speziellen Fällen werden Parasiten sogar offiziell zur Behandlung eingesetzt. Der beste Weg, übertriebene Ängste vor Parasiten loszuwerden, besteht darin, gut informiert zu sein – über ihr Aussehen, ihre Lebensweise und die potenziellen Gefahren, die sie für uns darstellen. Und genau darum geht es in diesem Buch. Jan Votýpka Iva Kolářová Petr Horák

Inhaltsverzeichnis

1

Warum gerade Parasiten? 1 Jan Votýpka

2

Parasiten der Mitteleuropäer – Insekten und Milben 33 Jan Votýpka

3

Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer 51 Jan Votýpka und Petr Horák

4

Parasiten der Mitteleuropäer – Toxoplasma 69 Petr Kodym

5

Parasiten unserer Haustiere 95 David Modrý

6

Krankheiten, Kriege und Geschichte 127 Josef Chalupský

7

Parasitophobie – der Schrecken aller Schrecken 141 Karel Fajfrlík

8

Parasiten in der Alternativmedizin 155 Iva Kolářová und Martin Kolář

9

Parasiten – unsere Verbündeten? 187 Jan Votýpka, Julius Lukeš und Petr Horák

10 Viren sind auch Schmarotzer, sogar die allerschmarotzerhaftesten 233 Jan Konvalinka und Ladislav Machala IX

X      Inhaltsverzeichnis

11 Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel 275 Jan Votýpka, David Modrý und Petr Horák 12 Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer Infektionen bei Auslandsreisen 299 František Stejskal Schlusswort 357

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber

Doc. RNDr. Jan Votýpka, Ph.D.,  (*1972) ist Parasitologe und Dozent des Lehrstuhls für Parasitologie der Naturwissenschaftlichen Fakultät der KarlsUniversität in Prag und gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter des tschechischen Instituts für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Akademie der Wissenschaften in Böhmisch Budweis. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Erforschung von Parasiten und anderen Pathogenen, die von blutsaugenden Insekten übertragen werden. Weiter befasst er sich mit der parasitären Biodiversität, die er an verschiedenen Orten in Europa, Afrika, Asien und Südamerika erforscht, und arbeitete auch in mehreren endemischen Gebieten der viszeralen und kutanen Leishmaniose, insbesondere im Nahen Osten und in Afrika. Er ist (Co-)Autor mehr als 150

XI

XII      Herausgeber- und Autorenverzeichnis

wissenschaftlicher Artikel und mehrerer Bücher und Buchkapitel. Er engagiert sich für die Popularisierung der Biologie – ist Mitorganisator der tschechischen Biologie-Olympiade, Vorsitzender des Redaktionsausschusses der naturwissenschaftlichen Zeitschrift Živa usw. Im Rahmen der Popularisierung der Parasitologie wirkte er als Kurator der Wanderausstellung „Parasiten – eine surreale Formenwelt“.

RNDr. Iva Kolářová, Ph.D., (*1978) ist Parasitologin und Assistenzprofessorin des Lehrstuhls für Parasitologie der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität. Sie beschäftigt sich mit dem Thema des Speichels der Sandmücken – der blutsaugenden Insekten, die den Erreger der parasitären Erkrankung namens Leishmaniose übertragen. An der Professur für Parasitologie betreut sie Studenten im Bachelor-, Master- und postgradualen Studium, hält Vorlesungen über die Immunologie parasitärer Infektionen und leitet den Parasitologiekurs im Rahmen des Programms der Universität des Dritten Lebensalters. Sie arbeitet mit dem Prager Zentrum für Talentierte Jugendliche als Leiterin des Online Kurses AP Biology. Hinzu ist sie Mitglied des Komitees der Tschechischen Gesellschaft für Parasitologie. Dank eines Fulbright-Stipendiums absolvierte sie ein Praktikum an den National Institutes of Health in den USA. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich aus wissenschaftlicher Sicht mit alternativen Heilmethoden, insbesondere mit denen, die mit Parasiten und parasitären Infektionen zusammenhängen.

Herausgeber- und Autorenverzeichnis     XIII

Prof. RNDr. Petr Horák, Ph.D.,  (*1965) ist Parasitologe und Professor des Lehrstuhls für Parasitologie der Naturwissenschaftlichen Fakultät der KarlsUniversität. Er beschäftigt sich mit der Erforschung parasitärer Helminthen, insbesondere der Vogelschistosomen, den Erregern der menschlichen Zerkariendermatitis, und der Bandwürmer, die Tumorentwicklung unterdrücken könnten. Seine Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf die Untersuchung der funktionellen Morphologie und der Mechanismen, die Helminthen das Überleben in ihren Wirten ermöglichen. Er ist (Co-)Autor mehr als 100 wissenschaftlicher Artikel und mehrerer Bücher oder Buchkapitel. Derzeit übernimmt er als Prodekan der biologischen Sektion (der Bund von elf Lehrstühlen und gemeinsamen Servicelabors) an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität auch organisatorische Tätigkeiten. Ausführlichere Informationen sind auf seiner persönlichen Website https://www.petrhorak.eu zu finden.

XIV      Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Bildredaktion

RNDr. Jana Bulantová, Ph.D.,  (*1981) arbeitet als Assistenzprofessorin des Lehrstuhls für Parasitologie an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität, wo sie sich vor allem an Feld- und Mikroskopiekursen beteiligt. Sie hält externe Vorlesungen über Reptilienparasiten, mit denen sie sich während ihres Doktorstudiums beschäftigte und denen sie bis heute Teile ihrer Freizeit widmet. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf dem natürlichen Vorkommen vogelpathogener Schistosomen, die beim Menschen nach dem Baden in natürlichen stehenden Gewässern Zerkariendermatitis verursachen. Ihre Domäne sind fortgeschrittene bildgebende Verfahren und Sammlungen von Parasiten, die sie zur Herstellung von Lehrpräparaten für Parasitologiestudenten verwendet. Sie verwaltet die helminthologischen Sammlungen der wissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität. Viele ihrer Mikrofotografien verschiedener Parasiten wurden in nationalen und internationalen Fachzeitschriften und Büchern veröffentlicht.

Autorenverzeichnis Doc. RNDr. Josef Chalupský, CSc.† Lehrstuhl für Parasitologie, Naturwissenschaftliche Fakultät der Karls-Universität in Prag Doc. RNDr. Oleg Ditrich, CSc.  Lehrstuhl für Parasitologie, Naturwissenschaftliche Fakultät der Südböhmischen Universität in Böhmisch Budweis RNDr. Karel Fajfrlík, Ph.D.  Abteilung für Mikrobiologie der Medizinischen Fakultät der Karls-Universität und Universitätskrankenhaus in Pilsen

Herausgeber- und Autorenverzeichnis     XV

RNDr. Petr Kodym, CSc. Nationales Referenzlabor für Toxoplasmose, Staatliches Gesundheitsinstitut in Prag MUDr. Martin Kolář  Abteilung für Anästhesiologie und Wiederbelebung der 3. Medizinischen Fakultät der Karls-Universität und Universitätsklinikum Královské Vinohrady in Prag Prof. RNDr. Jan Konvalinka, CSc.  Institut für Organische Chemie und Biochemie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag Prof. RNDr. Jan Kopecký, CSc. Lehrstuhl der Medizinischen Biologie, Fakultät für Naturwissenschaften der Südböhmischen Universität in Böhmisch Budweis Prof. RNDr. Julius Lukeš, CSc.  Parasitologisches Institut, das Biologisches Zentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Böhmisch Budweis und Fakultät für Naturwissenschaften der Südböhmischen Universität in Böhmisch Budweis Prof. MUDr. Ladislav Machala, Ph.D. AIDS-Zentrum des Krankenhauses Na Bulovce und der 3. Medizinischen Fakultät der Karls-Universität in Prag Prof. MVDr. David Modrý, Ph.D. Institut für Botanik und Zoologie, Naturwissenschaftliche Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn und Institut für Veterinär Wissenschaften, Fakultät für Agrarbiologie, Nahrung und Naturressourcen, Tschechische Agraruniversität in Prag MUDr. RNDr. František Stejskal, Ph.D.  Klinik für Infektions-, Parasitenund Tropenkrankheiten der 1.–3. Medizinischen Fakultät der KarlsUniversität, Tschechisches Institut für Postgraduale Weiterbildung und Krankenhaus Na Bulovce in Prag, Institut für Immunologie und Mikrobiologie der 1. Medizinischen Fakultät der Karls-Universität und des Allgemeinen Universitätskrankenhauses in Prag, Abteilung für Infektionskrankheiten im Regionalkrankenhaus in Liberec

Fachliche Beratung Prof. Dr. Wilfried Haas Ehemalige Abteilung Parasitologie, ehemaliges Institut für Zoologie 1, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

XVI      Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Prof. RNDr. Tomáš Scholz, CSc. Parasitologisches Institut, das Biologisches Zentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Böhmisch Budweis

Übersetzung Mgr. Lily Carolin Helmbold 

1 Warum gerade Parasiten? Jan Votýpka

Willkommen im Parasitenland Willkommen auf unserem Planeten! Gleich zu Beginn müssen wir eine Sache klarstellen. Dieser Planet (er heißt übrigens Erde) ist in erster Linien ein Planet der Parasiten.

So ist es. Parasitismus, auch Schmarotzertum genannt, ist in der Natur wahrscheinlich weiter verbreitet als jede andere Lebensstrategie. Bei einem flüchtigen Blick mag es so scheinen, als seien Parasiten verhältnismäßig selten, doch das liegt vor allem an ihrer versteckten Lebensweise in den Körpern ihrer Wirte. Viele von uns stellen sich unter dem Wort Parasit für gewöhnlich einen ekelerregenden, weißlich-schleimigen Wurm vor, zum Beispiel einen Bandwurm, gegebenenfalls ein blutrünstiges Insekt oder eine Zecke. Nach kurzem Überlegen fallen uns vielleicht noch die winzigen einzelligen Erreger (Protozoen) von Malaria und der Schlafkrankheit ein. Und damit kommen wir auch schon zur Entwirrung der Fachbegriffe. Die klassische Parasitologie, als wissenschaftliche Disziplin und als Zweig der Medizin, konzentriert sich historisch auf die Untersuchung eben dieser drei oben genannten Gruppen parasitärer Organismen, nämlich

J. Votýpka (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_1

1

2     J. Votýpka

a

b

c

Abb. 1.1  Die holy trinity der Parasitologie. In der klassischen, das heißt human- und veterinärmedizinischen Parasitologie, betrachten wir nur Mitglieder der folgenden drei großen Gruppen als Parasiten: Einzeller (Protisten), Helminthen (parasitische Würmer) und Gliederfüßer. Das Wimperntierchen Trichodina (a), auf der Haut von Fischen lebend, vertritt Einzeller (besser gesagt Protisten) und ihre auffälligen und außergewöhnlichen Konturen waren Inspiration für das Logo des Parasitologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (Abb. 9.9). Der Fadenwurm Cucullanus cirratus (b) ist Stellvertreter parasitärer Würmer (Helminthen), kommt im Darm von Meeresfischen vor und zeichnet sich durch eine mit winzigen Zähnen besetzte Mundkapsel aus. Die letzte Gruppe, parasitische Gliederfüßer (zu denen Krebstiere, Milben und Insekten gehören), repräsentiert die Milbe der Gattung Myobia (c), die sowohl bei wilden als auch bei domestizierten Nagern vorkommt. (Quelle: Jana Bulantová)

parasitäre Würmer, auch Helminthen1 genannt, Gliederfüßer und Protozoen. Deren Wirte sind entweder Menschen (dann fallen sie ins Interessengebiet der Humanmedizin) oder Tiere (mit ihnen beschäftigt sich die Veterinärmedizin) (Abb. 1.1). Aus Sicht eines Biologen ist Parasitismus jedoch viel, viel umfassender definiert: Ein Parasit ist jeder beliebige Organismus, der langfristig auf Kosten eines anderen Organismus, des Wirts, lebt. Diese relativ einfache Definition bedarf allerdings einiger Erläuterungen. Entgegen der gängigen Meinung, nur Tiere seien Wirte, kann in Wirklichkeit alles und jeder ein Wirt sein. Neben Tieren also auch Pflanzen oder Pilze, Protozoen oder Algen und sogar Bakterien, die mit einem bakteriophagen Virus infiziert werden können. So wenig diese Definition einschränkt, wer oder was ein Wirt sein kann, so wenig ist auch die systematische Einordnung des Parasiten selbst ein-

1  Zu den parasitären Würmern oder Helminthen gehören mehrere miteinander nicht verwandte Gruppen wie Bandwürmer, Egel, Hakenwürmer und viele weitere.

1  Warum gerade Parasiten?     3

gegrenzt. Im weitesten Sinne des Wortes „Schmarotzer“ können wir zu den drei „klassischen“ Parasitengruppen, den Würmern, Gliederfüßern und Protozoen, deshalb auch parasitisch lebende Vertreter der Pflanzen, Pilze und Bakterien hinzuzählen. Vor allem aber sind alle Viren als Parasiten zu betrachten, da sie sich ohne ihre Wirtszellen nicht vermehren können (Abb. 1.2). Obwohl es überraschend klingen mag, müssen wir auch alle „Pflanzenschädlinge“ als Parasiten im weitesten Sinne betrachten, seien es nun bakterielle oder virale Infektionen, Pilzbefall durch Rost und Mehltau oder diverse herbivore Insekten wie an Blättern fressende Raupen oder Blattläuse, die an Knospen saugen (Abb. 1.3). Eine so weit gefasste Definition von Parasitismus lässt die anfängliche Vorstellung, dass mehr als die Hälfte aller Lebensformen auf dieser Welt zumindest eine Teilzeit ihrer Existenz parasitär leben, nicht mehr so schockierend erscheinen. a

b

Abb. 1.2  Das soll ein Parasit sein? Im weitesten ökologischen und biologischen Sinne können als Parasiten alle Organismen bezeichnet werden, die mindestens einen Teil ihres Lebens auf Kosten eines anderen Organismus (des sog. Wirts) leben. Neben den klassischen Parasiten erfüllen auch viele weitere Organismen diese sehr allgemeine Definition. Zum Beispiel leben alle Viren (a; Orbivirus ) in Wirtszellen, in denen sie sich auch vermehren. Es bleibt zwar umstritten, ob ein Virus überhaupt ein Lebewesen ist (scherzhaft wird es manchmal auch als „schlechte Nachricht in einer Eiweißhülle“ bezeichnet), es besteht jedoch kein Zweifel, dass Viren intrazelluläre Parasiten sind. Ebenso leben viele Bakterien (b; Mycobacterium tuberculosis  , der Erreger der Tuberkulose) auf Kosten ihrer Wirte und können daher ohne Übertreibung als parasitäre Organismen bezeichnet werden. (Quelle: a, CDC/Fred Murphy; b, CDC/James Archer)

4     J. Votýpka

a

b

Abb. 1.3  Parasitäre Pflanzen. Zu Parasiten kann eine Vielzahl unterschiedlicher Organismen zählen, von Viren und Bakterien über Einzeller und Pilze bis hin zu Pflanzen. Die Weißbeerige Mistel (Viscum album) (a) ist eine typische und weitbekannte halbparasitäre Pflanze. Aufgrund ihrer Wuchsform und ihrer immergrünen Blätter ist sie von Aberglauben und Mythen umrankt, und das schon seit vorchristlicher Zeit, als sie zum Beispiel bei Ritualen keltischer Druiden verwendet wurde. Laut frühchristlicher Überlieferung stammte das Holz für das Kreuz Jesu Christi von der Mistel, die damals noch ein mächtiger, frei stehender Baum gewesen sein soll. Darüber hinaus symbolisiert die Mistel auch die Zeremonie des Abendmahls von Leib und Blut Christi, auch deshalb ist sie weltweit als Symbol für Weihnachten erhalten geblieben. Als Heilpflanze findet sie in der Heilkunde und Pharmazie eine breite Anwendung. In Mitteleuropa sind drei (Unter-)Arten verbreitet, die sich anhand ihrer Wirtspflanzen unterscheiden. Die Tannenmistel ist die seltenste Unterart, etwas häufiger ist die Kiefernmistel und am weitesten verbreitet ist die Laubbaummistel. Durch das Vorhandensein von Chloroplasten (grüne Farbe) ist die Mistel photosynthetisch aktiv (daher wird sie auch als Halbparasit bezeichnet) und bezieht daher hauptsächlich Wasser und Mineralstoffe von ihren Wirten. In einigen Gebieten schadet die Mistel den Wirtsbäumen (Obstbäume miteingeschlossen) jedoch so stark, dass Eingriffe erforderlich sind. Weitaus weniger bekannt, aber ebenfalls weit verbreitet, ist eine andere parasitäre Pflanze, die Seide (Cuscuta) (b). Ihr volkstümlicher Name „Teufelszwirn“ bezieht sich auf ihre Fähigkeit die Wirtspflanze zu umranken und mit ihren „Wurzeln“ Nährstoffe herauszusaugen. Da sie kein eigenes Chlorophyll bildet und somit keine Photosynthese betreiben kann, ist sie vollständig von ihrem Wirt abhängig, von dem sie Wasser sowie mineralische und organische Stoffe bezieht. (Quelle: a, Franz Eugen Köhler, b, Helena Kulíková)

Die obige Definition enthält noch zwei weitere wichtige Aspekte des Schmarotzertums, nämlich die Form der Coexistenz und den Einfluss des Parasiten auf seinen Wirt. Die Grundbedingung parasitären Lebens besteht

1  Warum gerade Parasiten?     5

in der langfristigen Coexistenz zweier unterschiedlicher Organismen. Der hierfür verwendete Fachbegriff lautet Symbiose, die von den meisten jedoch als etwas Positives und beidseitig Vorteilhaftes verstanden wird. Allerdings entspricht nur eine Form der Symbiose (also des Zusammenlebens), der Mutualismus2, dieser gängigen Vorstellung. Den meisten Leserinnen und Lesern ist der Mutualismus als klassische, beidseitig vorteilhafte Coexistenz womöglich von Pilzen und Algen, die als Flechte coexistieren, von einzelligen Pansensymbionten in den Mägen von Wiederkäuern oder von der beidseitig vorteilhaften Hilfe zwischen Clownfischen und den nesselnden Tentakeln bestimmter Seeanemonen bekannt. Ein anderer Typ von Symbiose wird als Kommensalismus bezeichnet und bedeutet, dass ein Partner vom Zusammenleben profitiert, zum Beispiel indem er Futterreste vertilgt, während dem anderen Partner das Zusammenleben im Wesentlichen nicht schadet. Die dritte und letzte Variante des Zusammenlebens ist der Parasitismus. Bei ihm profitiert der Parasit (Schmarotzer oder Nutznießer) von der Beziehung, während der Wirt auf unterschiedliche Art und Weise leidet. Damit kommen wir zum zweiten, in der Definition erwähnten Aspekt der Coexistenz – dem Einfluss des Parasiten auf seinen Wirt. Ein Parasit lebt nämlich immer auf Kosten eines anderen Organismus, der unter seiner Anwesenheit leidet. In der Regel tötet der Parasit seinen Wirt jedoch nicht, zumindest nicht sofort. Genauer gesagt versucht ein echter Parasit seinen Wirt sogar so lange wie möglich am Leben zu erhalten, damit er genügend Zeit für die eigene Vermehrung und Infizierung neuer Wirte hat. Die beschriebene parasitäre Lebensstrategie, das heißt das Zusammenleben mit einem langfristig überlebenden Wirt, unterscheidet sich vollkommen von allen anderen gängigen Lebensstrategien, zum Beispiel der Prädation. Beutegreifer, seien es Fleischfresser, insektenfressende Vögel, Fledermäuse, räuberische Insekten oder fleischfressende Pflanzen, leben zwar ebenfalls auf Kosten ihrer Beute, allerdings töten sie diese direkt, und außerdem kann man den Kontakt zwischen Jäger und seiner Beute definitiv 2 Mit

dem Begriff „Symbiose“ verhält es sich recht kompliziert und so können wir mit etwas Übertreibung sagen, dass uns die Worte fehlen. Historisch wurde die Symbiose als eine beidseitig vorteilhafte Verbindung zweier Organismen verstanden, doch heutzutage setzt sich mehr und mehr ein allgemeines Konzept dieser Beziehung zwischen Organismen durch, ohne den gegenseitigen Vor- oder Nachteil zu definieren. Dieses allgemeine Konzept entspricht im Übrigen besser der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Symbiose, das sich vom griechischen σύν für „zusammen“ und βίωσις für „Leben“ ableitet. Zunächst setzte sich dieses allgemeine Konzept in den USA durch, heutzutage wird es aber auch in Europa zunehmend akzeptiert. Bleibt man beim ursprünglichen Begriff der Symbiose als positiver Coexistenz (Mutualismus), fehlt ein Oberbegriff für alle Arten des Zusammenlebens unabhängig vom gegenseitigen Vor- oder Nachteil.

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nicht als langfristig bezeichnen. Gerade der zeitliche Aspekt (langfristiges Zusammenleben) und der Einfluss auf die biologische Fitness des Wirts (schadet zwar, tötet aber nicht) sind für Parasiten charakteristisch. Wir müssen uns auch eingestehen, dass Parasiten nicht böse sind. Wir können sie nicht als „Strafe Gottes“ oder „Ausgeburten der Hölle“ betrachten. Die Frage „Warum existieren sie?“ können wir mit dem einfachen „Weil sie es können!“ beantworten. Parasitismus müssen wir als Lebensstrategie verstehen, als Lebensstil, den sich Schmarotzer angeeignet haben, um auf diesem Planeten zu überleben. Im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung haben sich Parasiten wie alle anderen Organismen auf der Erde an ihre Umgebung angepasst und lediglich die Gelegenheit genutzt, die sich ihnen bot – in diesem Fall den reich gedeckten Tisch in Form des Wirtskörpers (Abb. 1.4).

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Abb. 1.4  Parasitäre Pilze. Viele Pilzarten leben in langfristiger Coexistenz mit anderen Organismen. Einige sind mutualistisch, andere kommensalisch und wieder andere parasitär. Zu den parasitären Pilzen gehören zum Beispiel solche, die Hauterkrankungen hervorrufen, unter denen wohl jeder schon einmal gelitten hat. Andere Pilze können an Pflanzen parasitieren. Einer der bekanntesten ist der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) (a), der an Getreidesamen schmarotzt und diese in ein dunkles, auffallend längliches, hartes Gebilde verwandelt. Die im Volksmund auch als Giftkorn, Hungerkorn oder Hahnensporn bekannten Auswüchse enthalten große Mengen pharmazeutisch wirksamer Alkaloide, die für eine Erkrankung namens Ergotismus oder auch Antoniusfeuer verantwortlich sein können. Gesundheitlich und wirtschaftlich weniger wichtig, aber biologisch interessanter sind einige entomopathogene (d. h. insektenbefallende) Pilze, die das Verhalten infizierter Individuen manipulieren können. Am bekanntesten sind Vertreter der Gattung Cordyceps, die unter anderem tropische und subtropische Ameisen befallen. Der Pilz durchwächst das infizierte Individuum allmählich und zum Zeitpunkt, wenn der Fruchtkörper zur Bildung bereit ist, zwingt er die Ameise einen erhöhten Platz über der Ameisenstraße aufzusuchen. Dort beißt sich die infizierte Ameise in ihrem Aufsitz, meist ein Blatt oder Stängel, fest und verbleibt dort, bis der Fruchtkörper des parasitären Pilzes (b) aus ihrem meist schon toten Körper herauswächst. So werden Sporen freigesetzt, die auf die Ameisenstraße rieseln und dort neue Ameisen anstecken, und der Zyklus kann sich wiederholen. (Quelle: a, Helena Kulíková; b, David Modrý)

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Klopf, klopf, darf ich herein? – die Wirtsspezifität Falls die Welt voller Parasiten ist, wieso wimmelt es in unseren Körpern dann nicht nur so von ihnen?

Dieses scheinbare Paradox hängt mit der sogenannten Wirtsspezifität von Parasiten zusammen. Vereinfacht ausgedrückt stellt der Wirt seinen Parasiten Kost und Logis zur Verfügung, sodass seine Untermieter sich um nichts mehr kümmern müssen (Abb. 1.5). Doch nichts ist umsonst. Natürlich freut sich kein Gastgeber über ungebetene Gäste und daher versucht er,

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Abb. 1.5  Brutparasitismus bei Vögeln. Der Kuckuck (Cuculus canorus) nimmt unter den Vögeln eine ganz besondere Stellung ein. Sein berühmter Kuckucksruf, den wirklich jeder erkennt, ist untrennbar mit dem kommenden Sommer und kulturellen Traditionen vieler europäischer Nationen verbunden. Trotzdem bleibt der Kuckuck ein geheimnisvoller Vogel, den wir zwar oft hören, aber selten sehen. Seine Einzigartigkeit liegt jedoch nicht in seiner versteckten Lebensweise, sondern in einer ungewöhnlichen Fortpflanzungsstrategie, die man als interspezifischen Brutparasitismus bezeichnet. Der Kuckuck ist das einzige Wirbeltier unter den Brutparasiten unserer Breiten. Er baut kein eigenes Nest, sondern legt seine Eier in die Nester kleiner Singvögel. Der erwachsene Kuckuck parasitiert am häufigsten an Rohrsängern, Rotkehlchen und Gartenrotschwänzen (a) und zerstört dabei ein oder mehrere Eier des Wirts. Wenn die Adoptiveltern das untergemogelte Ei nicht erkennen, verlieren sie bald ihren gesamten eigenen Nachwuchs, denn das frisch geschlüpfte Kuckucksküken (b) beginnt sofort, sich der unerwünschten Konkurrenz im Nest zu entledigen. (Quelle: Tomáš Grim)

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sich auf jede erdenkliche Weise zu wehren. Bereits im Laufe der Evolution haben alle Organismen eine Art Abwehrsystem entwickelt, um zu verhindern, dass Parasiten in ihren Körper eindringen und ihn befallen. Irgendeine Form von Abwehrmechanismus finden wir nicht nur bei Wirbeltieren, sondern auch bei Wirbellosen, Pflanzen, Pilzen, Protozoen, Algen und sogar bei Bakterien. Wenn ein Parasit also „beschließt“, im Körper eines anderen Organismus zu leben, muss er eine Strategie entwickeln, um das Abwehrsystem seines Wirts zu überwinden. Im Laufe seiner Evolution hat jeder Parasit Waffen gebildet, die es ihm ermöglichen, die Abwehrkräfte des Wirts zu überwinden und nicht nur in den Wirt einzudringen, sondern sich dort auch zu etablieren und weiterzuentwickeln. In der Natur ist jedoch nichts statisch, deshalb trödelt der Wirt nicht und sucht einen Weg, die Waffen des Angreifers zu überlisten. Und so dauert über Millionen von Jahren ein endloses Wettrüsten voller Angriffe und Gegenangriffe an, bis schließlich ein sehr empfindliches Gleichgewicht zwischen den beiden Kriegsparteien hergestellt ist. Dieses Wettrüsten führt oft zu einer erheblichen Spezialisierung. Jeder Wirt und jeder Parasit, egal zu welcher Gruppe von Organismen sie jeweils gehören, entwickelt eigene spezifische Waffen, gegen die ebenso gute und spezifische Gegenwaffen und Verteidigungsmaßnahmen entwickelt werden müssen. Diese sind zwar innerhalb des jeweiligen Parasit-WirtPaars wirksam, aber in der Regel völlig nutzlos, um die Abwehrkräfte eines anderen potenziellen Wirts zu überwinden oder sich gegen einen anderen Parasiten zu verteidigen. Die relativ starke Spezialisierung von Parasiten auf ihre Wirte (die Wirtsspezifität) ist der Hauptgrund für die derzeitige Situation, in der die Welt um uns herum voll verschiedener Parasiten ist, der Mensch aber hauptsächlich von den Arten parasitiert wird, die sich in ihrer evolutionären Vergangenheit auf den Menschen spezialisiert haben. Einige dieser Parasiten haben sich sogar so stark spezialisiert, dass sie sich nur beim Menschen entwickeln können und wir sie deshalb nicht einmal mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, teilen. Unter den klassischen Parasiten, also den Würmern, Gliederfüßern und Protozoen, finden wir mehr als ein Dutzend solcher hoch spezialisierter Vertreter. Bei den Helminthen sind es beispielsweise adulte Rinder- und Schweinebandwürmer sowie Madenwürmer, bei den Gliederfüßern die Krätzmilbe sowie drei Arten3 mensch-

3  Die Kopflaus, die Kleiderlaus und die Filzlaus, wobei die ersten beiden manchmal als eine Art angesehen werden.

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Abb. 1.6  Blutsauger und Vampirismus. Der Vampir ist ein mythologisches Geschöpf, das sich vom Blut lebender, meist menschlicher Wesen ernährt. Von Vampiren, den Untoten, die tagsüber im Grab schlafen und nachts das Blut ihrer unglücklichen Opfer saugen, hat sicherlich jeder schon einmal gehört oder gelesen. Und in der Regel denken wir sofort an Graf Dracula aus Transsylvanien (a). Aber weitaus weniger Menschen wissen, dass Vampire reale Geschöpfe dieser Welt sind. In den rumänischen Bergen würden wir sie allerdings vergeblich suchen, denn Vampire (Desmodus) (b, c) sind eine Gattung kleiner tropischer Fledermäuse, die nur in Mittel- und Südamerika vorkommen. Wie auch ihre mythischen Verwandten ernähren sie sich ausschließlich vom Blut gleichwarmer Organismen. Tagsüber verstecken sie sich an dunklen Orten und schwärmen erst nach Einbruch der Dunkelheit aus. Selten fliegen sie direkt zum Wirt, sondern kriechen über den Boden heran. Ihre Backenzähne sind verkümmert, doch die Schneidezähne, mit denen sie die Haut des Wirts anschneiden, sind umso schärfer. Den günstigsten Ort zum „Anbeißen“ finden Vampire mithilfe eines speziellen Organs mit Wärmesensor, welches in den Nasengruben liegt und hilft, pulsierendes Blut aufzuspüren. Das fließende Blut saugen sie nicht aus, sondern lecken es mit der Zunge ab. (Quelle: a, Wikipedia – ein Porträt von Vlad III. mit einer „habsburgischen“ Lippe auf Schloss Ambras in Innsbruck; b–c, Radek Lučan)

licher Läuse als Vertreter der parasitären Insekten. Unter den Protozoen weisen zum Beispiel die Erreger von Malaria (Plasmodium) diese hohe Wirtsspezifität auf. Bei anderen Gruppen menschlicher Parasiten, insbesondere bei Bakterien und Viren, könnten wir ebenfalls Dutzende, vielleicht sogar Hunderte hoch spezialisierter Arten finden. So wie sich keine andere Wirtsart mit unseren spezifischen Parasiten infizieren kann, so können wir uns auch nicht mit spezifischen Parasiten anderer Tierarten, oder sogar Pflanzenarten und weiterer Organismen, anstecken (Abb. 1.6). So unbegründet die Angst ist, eine Mistel auf dem Kopf wachsen zu haben oder den Raupen des Kohlweißlings als Futter zu dienen, so wenig muss man sich vor dem Befall durch andere wirtsspezifische Parasiten fürchten. Leider gibt es auch hier Ausnahmen. Einige Parasiten, aber glücklicherweise nicht viele, haben Mittel und Wege entwickelt, um die Abwehrmechanismen verwandter und in einigen Fällen sogar völlig

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unverwandter Wirtsorganismen zu überwinden. Unter Menschen herrscht oft der Glaube, dass Hundeflöhe nicht auf den Menschen übergehen. Aus eigener Erfahrung und der Forschung wissen wir jedoch, dass die Wirtsspezifität von Flöhen nicht annähernd so hoch ist wie die von Läusen. Während wir unsere wirtsspezifischen Läuse mit unserem Hund nicht untereinander austauschen können, selbst wenn Hund und Herrchen sich ein Bett teilen, saugen Flöhe bereitwillig an beiden (Abb. 1.7). Ein weiteres Beispiel unter den „klassischen“ Parasiten ist der Einzeller Toxoplasma gondii, dem ein späteres Kapitel gewidmet ist. Dieser Parasit, mit dem ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel aller Menschen in Europa infiziert ist, ist in der Lage, sich in den meisten Gleichwarmen zu entwickeln, das heißt in den meisten Säugetier- und Vogelarten. Am weitesten von jeglicher Wirtsspezifität entfernt lebt das Bakterium Pseudomonas aeruginosa, da es nicht nur verschiedene Tierarten, einschließlich des Menschen, sondern auch Pflanzen befallen kann.

Sie beschützen? So weit kommt es noch! Eine hohe Wirtsspezifität, also die begrenzte Fähigkeit, nicht verwandte Wirtsarten zu infizieren, ist die Ursache eines sehr interessanten Phänomens, das bereits zu Beginn dieses Kapitels angesprochen wurde. Nämlich die riesige Artenvielfalt der Parasiten. Die Notwendigkeit, sich eng auf seinen Wirt zu spezialisieren, führte evolutionär zur Entstehung vieler verschiedener Parasitenarten. Stark vereinfacht können wir behaupten, dass jeder Wirt mindestens einen spezifischen Parasiten hat. Verständlich: Je größer der Wirt und je länger er lebt, desto mehr spezifische Parasiten wird er haben. Während es beim Menschen Dutzende bis Hunderte sind (besonders falls man Bakterien und Viren mit einbezieht), wird ein Bodenbakterium wahrscheinlich nur von einem oder zwei spezifischen Bakteriophagen bedroht. Außerdem ist auch ein Parasit selbst nicht vor Angriffen eines anderen Parasiten sicher – in diesem Fall sprechen wir von Hyperparasitismus, der sogar mehrfach auftreten kann. Damit gelangen wir wieder zu der Behauptung zurück, die meisten Organismen auf diesem Planeten seien zumindest einen Teil ihres Lebens parasitär. Daraus folgt, dass mindestens die Hälfte der irdischen Biodiversität aus parasitischen Organismen besteht. Natur- und Artenschutz rücken in den Vordergrund unserer Wahrnehmung und gehören zu den Leitideen politischer Aufrufe und lang-

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Abb. 1.7  Hyperparasitismus – wenn der Parasit Parasiten hat. Die parasitäre Lebensweise ist allgegenwärtig. Auch der Parasit selbst ist nicht sicher davor und kann ebenfalls Opfer von Parasitismus werden (sog. Hyperparasitismus). Wir kennen an Viren parasitierende Viren oder an Bakterien parasitierende Bakterien. Unter höheren Organismen ist mehrfacher Parasitismus sogar noch häufiger. Die parasitische (genauer parasitoide,  s. Kap. „Parasiten – unsere Verbündeten?“) Erzwespe (a, b) aus der Familie der Chalcididae untersucht eine Galle auf dem Blatt einer Wirtspflanze. Gallen selbst sind Pflanzengebilde, die nach dem Befall durch einen gallenbildenden Parasiten entstehen, in diesem Fall einer Esskastanien-Gallwespe. Während sich die Larve der Gallwespe parasitisch in den von der Pflanze unfreiwillig gebildeten Gallen entwickelt, wachsen die Nachkommen des Parasitoids (der Erzwespe) im Körper der Gallwespenlarve heran, die deshalb ausnahmslos stirbt. Die Erzwespe ist also ein Parasitoid der an Pflanzen parasitierenden Gallwespe. Schmetterlingsraupen sowie andere herbivore (d. h. pflanzenfressende) Insekten können ohne Übertreibung als Parasiten ihrer Wirtspflanzen betrachtet werden. Doch die Raupen werden oft selbst zu Wirten verschiedener parasitoider Wespen. Der Eschen-Scheckenfalter (Euphydryas maturna) ist einer der seltensten Tagfalter Europas und gilt als vom Aussterben gefährdete Art. Das Bild zeigt seine auffällig schwarz-gelb gefärbte Raupe, die von der parasitären (oder parasitoiden) Zehrwespe (c) befallen wurde. Die Wespenlarven ernähren sich vom Gewebe im Inneren der Raupe, verlassen ihren Wirt jedoch vor der Verpuppung und spinnen ihre Kokons außerhalb des Raupenkörpers. Die parasitierte Raupe ist jedoch noch am Leben und bewacht und schützt die Puppen ihrer Peiniger sogar noch einige Zeit lang vor Gefahren. Zum Beispiel vertreibt sie andere parasitische Wespen, die ihre eigenen Larven in die verpuppten Zehrwespen legen wollen (das wäre schon Parasitismus dritter Stufe). In dem Augenblick, wenn die erwachsenen Zehrwespen aus den Puppen schlüpfen (d), ist die parasitierte Raupe bereits tot. (Quelle: a–b, Jiří Švábík; c, Pavel Moravec; d, Jana Bulantová)

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fristiger Verpflichtungen der Menschheit gegenüber dem Planeten, den sie bewohnt. Doch wie gehen wir mit der Tatsache um, dass Parasiten den Großteil der Biodiversität bilden? Manchmal kommen wir dadurch in recht paradoxe Situationen. Wenn eine Art ausstirbt, sei es der seltene mauretanische Dodo oder die gegenwärtig aussterbende nördliche Unterart des Breitmaulnashorns, verschwinden zusammen mit dem Wirt auch alle seine spezifischen Parasiten und Symbionten im Allgemeinen. In solchen Fällen sollten wir nicht den Verlust einer, sondern Dutzender oder Hunderter von Arten beklagen, die unwiederbringlich vom Erdboden verschwunden sind. Schätzungen zufolge sterben täglich mehrere Arten verschiedener Organismen aus. Diese Zahl umfasst jedoch nur die „Wirte“, also hauptsächlich Arten wild lebender Pflanzen, Pilze, Algen und Tiere. Natürlich handelt es sich dabei nicht um große und spektakuläre Arten wie das Breitmaulnashorn, sondern eher um kleine, unscheinbare Insekten oder endemische Pflanzen tropischer Urwälder. Doch auch sie beherbergen in ihren Körpern reihenweise Parasiten und andere Symbionten, und so verlieren wir täglich Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Organismen, ohne es zu merken. Dies ist ein so erschreckender Verlust biologischer Vielfalt wahrhaft apokalyptischer Ausmaße, dass es die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Deshalb wird lieber gar nicht darüber gesprochen. Obwohl ungewollt und unwiederbringlich Tausende parasitischer Arten vom Erdboden verschwinden, ist uns Menschen bisher nur die gezielte Ausrottung eines einzigen  menschlichen und eines einzigen  tierischen hoch pathogenen Krankheitserregers gelungen. Es handelt sich um den Erreger Echter Pocken und den Erreger der Afrikanischen Rinderpest, verursacht durch Paramyxoviren. In Anbetracht des schlechten Rufs einiger weniger Vertreter stehen die Chancen schlecht, dass Parasiten als Gruppe in die Rote Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten aufgenommen werden. Und so werden in Zoos auch weiterhin Antiparasitika in großem Umfang eingesetzt, obwohl wir damit wahrscheinlich die letzten Vertreter vieler noch unbekannter Parasitenarten töten. Ebenso werden bei der Verwaltung von Schutzgebieten die komplexen Lebenszyklen vieler Parasiten nicht berücksichtigt, sodass diese Gebiete unbewohnbar werden, obwohl sie häufig das letzte Vorkommen der Art beherbergen. Weltweit funktionieren verschiedene Programme zur Erhaltung von Wild- und Nutztieren, in deren Rahmen Landwirte und Züchter finanziell unterstützt werden, um alte Rassen verschiedener Haustiere wie Tauben, Hühner und Kaninchen zu

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erhalten. Doch welche Chancen auf Unterstützung hätte ein Plädoyer für den Erhalt der aussterbenden Filzlaus, die zu einer weltweit gefährdeten Art wird? Unsere Vorurteile sind zu stark und so müssen wir uns wohl damit abfinden, dass Parasiten nie rechtlicher Schutz gewährt wird, obwohl sie ein integraler Bestandteil aller Ökosysteme sind und eine wichtige Rolle darin spielen (Abb. 1.8).

Unser Pakt gilt nicht mehr! Das langfristige Zusammenleben, das evolutionär in einer gegenseitig tolerierten Coexistenz mündete, ist für den Wirt zwar nicht optimal (besser wäre es, gar keine Parasiten zu haben), aber einigermaßen akzeptabel. a

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Abb. 1.8  Die Filzlaus am Rande des Aussterbens. Einige parasitäre Organismen sind so selten, dass sie unseren Schutz verdienen. Einige haben diesen Schutz tatsächlich erhalten und sind in die Rote Liste aufgenommen worden. In vielen europäischen Ländern stehen so zum Beispiel der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis), der seltene Pilz Cordyceps entomorrhiza, der an Laufkäfern parasitiert, oder die Tannenmistel (Viscum album subsp. abietis ) unter Schutz. Von den menschlichen Parasiten hat allerdings noch kein Vertreter solchen Schutz erhalten, obwohl einige ausschließlich an Menschen parasitierende Organismen, die außer uns keine andere Wirtsart haben, in der sie überleben könnten, am Rande des Aussterbens stehen. Ein typisches Beispiel sind Filzläuse, die gegen alle gebräuchlichen Insektizide sehr empfindlich sind und außerdem unter der heutzutage modischen Enthaarung leiden, da die Anhaftung ihrer Eier (a), Nissen genannt, und der ausgewachsenen Filzlaus (b) selbst am Körper des Wirts verhindert wird. (Quelle: Jana Bulantová)

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Umgekehrt sind dieses Gleichgewicht und die begrenzten negativen Auswirkungen auf den Wirt aus Sicht des Parasiten eindeutig günstiger als hohe Virulenz und Pathogenität, die zu einem schnellen Tod des Wirts führen würden. Die schlichte Vermehrung im Körper eines bereits infizierten Wirts ist aus Sicht des Parasiten nämlich keine langfristige Lösung. So sehr sich der Parasit auch bemühen wird, zu seinem Wirt „lieb“ zu sein, wird dieser eines Tages sterben, ob aufgrund des Parasiten oder anderer Umstände. Und mit dem Wirt zusammen sterben auch der Parasit und alle seine Nachkommen, die sich im Wirtskörper befinden. Es gibt zwar Parasiten, die den Wirt erst nach dessen Tod verlassen, doch das sind seltene Ausnahmen. Für die meisten Parasiten ist das Ableben des Wirts mit ihrem eigenen körperlichen Ableben verbunden. Das Hauptziel eines jeden Schmarotzers besteht also darin, zu Lebzeiten des Wirts so viele andere Wirte wie möglich zu infizieren, um sich so in Raum und Zeit zu verbreiten. Daher ist es für Parasiten günstig, ihren Wirt so lange wie möglich am Leben zu erhalten, um selbst genug Zeit zur Vermehrung und Ansteckung anderer Wirte zu haben. Aus der evolutionären Motivation heraus, zu seinem Wirt möglichst wenig „böse“ zu sein, folgt eine sehr wichtige Tatsache. Die meisten Menschen setzen zwischen die Worte „Infektion“ und „Krankheit“ automatisch ein Gleichheitszeichen, doch ist das nicht korrekt. Vereinfacht können wir sagen, dass eine Krankheit den pathologischen Zustand des Körpers oder Geistes beschreibt, der dem Betroffenen subjektive und objektive Beschwerden bereitet (obwohl sich der Betroffene dessen in manchen Fällen nicht bewusst sein muss). Viele Parasiten verhalten sich jedoch so „anständig“ gegenüber ihrem Wirt, dass gar keine nennenswerten pathologischen Erscheinungen auftreten. Obwohl der Parasit weiterhin auf Kosten seines Wirts lebt und dessen Fitness (Lebensqualität) deshalb beeinträchtigt ist, können wir diesen Zustand nicht als Krankheit bezeichnen. Etwa jeder fünfte Mensch in Europa und damit auch jeder fünfte Leser dieses Buchs ist wahrscheinlich mit dem bereits erwähnten Parasiten Toxoplasma gondii infiziert. Dennoch wäre die Behauptung falsch, 150 Mio. Europäer würden an Toxoplasmose leiden, das heißt, durch die Infektion mit dem Einzeller T. gondii tatsächlich erkrankt sein. Auch für viele andere Infektionserreger gilt, dass sich eine Ansteckung nicht automatisch zu einer Krankheit entwickelt. Es ist also notwendig, zwischen einer Krankheit und dem bloßen Vorhandensein eines Parasiten in unserem Körper, einer Infektion, zu unterscheiden. Wie wir in einem der folgenden Kapitel erfahren werden, haben viele Menschen in ihrem Blut Antikörper

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gegen Borreliosebakterien, die von Zecken übertragen werden. Obwohl wir dabei oft von Antikörpern gegen Borreliose sprechen, ist dies nicht ganz richtig, denn die meisten dieser Menschen haben unter keiner Krankheit, das heißt unter Borreliose gelitten, sondern wahrscheinlich nur eine asymptomatische Infektion durchgemacht. Obwohl Toxoplasma als auch Borreliosebakterien nur bei einer Minderheit der Infizierten Krankheitserscheinungen, also Toxoplasmose bzw. Borreliose, hervorrufen, sind einige Parasiten in ihrer „friedlichen“ Coexistenz mit ihren Wirten noch viel weiter gegangen, sodass sich eine Krankheit bei infizierten Wirten so gut wie nie äußert. Zum Beispiel steckt sich fast jeder im Laufe seines Lebens mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) an, und so ist das Virus einer der häufigsten menschlichen Parasiten. Die absolute Mehrheit der Infektionen mit diesem Virus verläuft asymptomatisch, das heißt ohne Symptome, in Ausnahmefällen kann das Virus jedoch eine infektiöse Mononukleose oder gar Krebs verursachen (s. Kapitel über Viren). Ein richtiger Parasit schadet seinem Wirt also möglichst wenig. Nach langem Zusammenleben kann es sogar so weit kommen, dass er überhaupt nicht mehr schadet und als Kommensale eingestuft werden könnte. In manchen Fällen ist es wirklich recht schwierig zu entscheiden, ob der betrachtete Organismus ein Parasit ist oder nicht. Warum haben Parasiten dann einen so schlechten Ruf und warum verursachen sie überhaupt Krankheiten oder töten ihren Wirt sogar? Mit der Antwort auf diese Frage verhält es sich wie mit einer vorbildlichen Schulklasse, deren Ruf von einem einzigen Raufbold für immer verdorben wurde. Die meisten Parasiten, sowohl im weitesten Sinn, also vom Virus bis zum Tier, als auch im engen medizinischen, dem „klassischen“ Sinn (Würmer, Gliederfüßer und Protozoen), verursachen bei ihren Wirten tatsächlich keine ernsthaften pathologischen Erscheinungen. Deshalb spricht man nicht über sie, fast so als ob es sie gar nicht gäbe. Die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf die paar wenigen Gefährlichen, was den falschen Eindruck erweckt, alle Parasiten seien böse und würden ihren Wirten schaden oder sie gar töten. Es ist nicht einfach, die Existenz dieser Ausnahmen zu erklären, denn im Verlauf der Infektion können mehrere Wege zu schwerwiegenden pathologischen Erscheinungen führen. In vielen Fällen können unerwartete Krankheitsanzeichen auf einen Zufall, respektive das Zusammenspiel zufälliger Umstände, zurückzuführen sein. Eine ungünstige Kombination von Zeit, Gewebelokalisation wie auch einer parallelen Infektion mit anderen Parasiten oder eine Veränderung des physiologischen oder immunologischen Zustands des Wirts führen

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dazu, dass die Ansteckung mit einem ansonsten relativ harmlosen Parasiten bei dem Betroffenen plötzlich viel ernster verläuft als beim Großteil der Bevölkerung. Obwohl wir für Parasiten oder Krankheitserreger im Allgemeinen konkrete Namen verwenden, handelt es sich nie um eine völlig homogene Organismengruppe, denn innerartliche Unterschiede finden wir bei jeder Spezies. Was haben Völker mit unterschiedlichstem Aussehen wie Pygmäen, Skandinavier und Kasachen gemeinsam? Sie alle gehören derselben Spezies Homo sapiens an. Genauso wie sich Menschen voneinander unterscheiden, so unterscheiden sich auch verschiedene Gruppen (Linien, Stämme, Varietäten), die zu ein und derselben Parasitenart gehören. Zwischen den einzelnen parasitären Linien kommt es häufig zu Kreuzungen und ständig entstehen neue Mutationen und Abweichungen. Leider können diese Mutationen manchmal zur Entstehung hoch virulenter Stämme führen, die den langjährigen Burgfrieden mit dem Wirt brechen und beginnen, sich außerhalb der vereinbarten Regeln zu verhalten. Ein solcher Vertragsbruch hat in der Regel tragische Folgen für beide Seiten, da der rasche Tod des Wirts eine wirksame Übertragung der Parasiten verhindert, sodass der hoch virulente Stamm in der Regel nach einiger Zeit wieder aus der Population verschwindet. Ein weiterer Fall, bei dem sich der Parasit seinem Wirt gegenüber unlogisch und nicht nachhaltig verhält, ist, wenn es erst kürzlich (im evolutionären Sinne) zur Adaptation des Parasiten an einen neuen Wirt kam. Jeder Parasit, ja sogar jeder seiner Stämme, hat seine eigene Entwicklungsgeschichte und ist an seinen Wirt angepasst. Kommt es jedoch zum Wirtswechsel (oder lediglich zum Wechsel innerhalb unterschiedlicher Wirtspopulationen – z. B. von Europäern zu indigenen Völkern), kann ein ernstes Problem entstehen. Als Beispiel dient uns die wohl bekannteste und vor allem gefährlichste Krankheit, die von einem klassischen Parasiten hervorgerufen wird. In der Menschheitsgeschichte forderten nicht Kriege die meisten Opfer, wie es der Geschichtsunterricht vermitteln mag, sondern Malaria. Diese Krankheit wird durch vier Arten parasitärer Einzeller der Gattung Plasmodium verursacht. Ursprünglich an Affen parasitierend, haben sich die Vertreter dieser Gattung im Laufe der Evolution an den Menschen angepasst. Bei drei Arten (Plasmodium malariae, P. ovale und P. vivax ) scheint diese Spezialisierung auf den Menschen schon vor recht langer Zeit stattgefunden zu haben, sodass sich im Laufe unserer Coexistenz offenbar eine Art Gleichgewicht zwischen Wirt (uns Menschen) und Parasit eingependelt hat. Diese drei Plasmodium-Arten verursachen zwar

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Malaria in Begleitung von hohem Fieber, die Erkrankung verläuft jedoch in der Regel ohne schwerwiegende Folgen. Die vierte Art (P. falciparum) dagegen parasitierte ursprünglich an Gorillas und ist erst unlängst auf den Menschen übergesprungen, sie verursacht die Malaria tropica, auch Tropenfieber genannt. In dieser relativ kurzen Evolutionszeit hat sich noch kein mutualistisches Gleichgewicht eingestellt, und so ist diese Plasmodium-Art für ihren neuen menschlichen Wirt immer noch hochgradig pathogen. Der Parasit P. falciparum ist für die Mehrzahl tödlicher Malariafälle verantwortlich, wovon es bis unlängst noch etwa zwei Millionen jährlich gab. Dank koordinierter Maßnahmen internationaler Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Ärzte ohne Grenzen (MSF) sowie privater Stiftungen wie der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) konnte diese Zahl in den letzten Jahren glücklicherweise drastisch reduziert werden (Abb. 1.9). Neben dem klassischen (sog. obligaten) Parasitismus, bei dem der Parasit keine andere Möglichkeit hat, als auf Kosten seines Wirts zu leben, gibt es eine weitere, etwas abgeänderte Lebensstrategie. Sogenannte fakultative Parasiten können über Generationen hinweg außerhalb des Körpers ihrer potenziellen Wirte als gewöhnliche, frei lebende Organismen existieren. Wenn sich jedoch die Gelegenheit bietet, einen Wirtskörper zu besiedeln, werden sie diese nutzen. Im Wirtskörper folgt die Vermehrung, da sich zwischen Parasit und Wirt jedoch kein evolutionäres Gleichgewicht eingestellt hat, welches langfristig aufrechterhalten wird, führt eine Infektion oft zu tödlichen Krankheiten. Ein Beispiel für solche Organismen ist das feuchtigkeitsliebende Bakterium Legionella pneumophila, das die Legionärskrankheit verursacht, oder die Amöben der Gattungen Naegleria und Acanthamoeba, deren Befall des menschlichen Gehirns fast immer zum Tod führt. Eine weitere Möglichkeit, wann Parasiten buchstäblich ausbrechen und ihre Wirte töten können, sind opportunistische Infektionen. Wir wissen bereits, dass die meisten Parasiten in relativem Einklang mit ihrem Wirt leben. Dieses empfindliche Gleichgewicht ist bedingt durch das Vorhandensein schwerer Waffen auf beiden Seiten. Das Zusammenleben können wir uns daher auch als ein Tauziehen vorstellen, bei dem beide Recken gleich stark sind. Aber was passiert, wenn einer nachgibt? Wenn es der Parasit ist, dem die Kraft ausgeht, wird er gnadenlos eliminiert und wir bemerken das natürlich nicht einmal. Doch wenn uns, den Wirten, die Kraft ausgeht, beherrscht der Parasit bald die Arena und sein Wirken äußert sich als Krankheit, im schlimmsten Fall als Tod. Typische opportunistische Parasiten sind die bereits mehrfach erwähnte Toxoplasma gondii, aber auch

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Abb. 1.9  Entdeckung des Malariaerregers bei Gorillas. Eine ganze Reihe von Erregern menschlicher Krankheiten kommt hauptsächlich in Populationen von Wild- und Haustieren vor. Solche Krankheiten werden als Zoonosen bezeichnet (z. B. Borreliose). Viele Parasiten, die derzeit fast ausschließlich in der menschlichen Population zirkulieren (sog. Anthroponosen), stammen jedoch auch von Wildtieren. Erst kürzlich wurde entdeckt, dass dieses Schicksal auch den gefährlichsten Parasiten des Menschen ereilte, der weiterhin jährlich Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen hat. Es handelt sich um den Malariaerreger Plasmodium falciparum (a), der die schwerste Form der menschlichen Malaria verursacht. Das Bild vom Blutausstrich eines Patienten zeigt die Parasiten (violett eingefärbt), die sich wegen der typischen Gestalt im Stadium der sogenannten Ringform befinden. Die Pfeile weisen auf infizierte rote Blutkörperchen. Dieser Parasit, übertragen von Stechmücken der Gattung Anopheles, war primär an das Leben in Menschenaffen, konkret Gorillas, angepasst (b). Diese infizieren sich zwar häufig, die Infektion ruft jedoch keine klinische Krankheitserscheinung hervor. Dass das langfristige Zusammenleben mit dem Wirt zu bedeutend abgesenkter Virulenz führt, ist ein für Parasiten typisches Verhalten. Erst vor relativ kurzer Zeit, vor einigen Tausend Jahren, ist dieser Parasit im afrikanischen Dschungel allerdings auf den Menschen übergesprungen (c), und da der Mensch immer noch ein vergleichsweise neuer Wirt für diesen Parasiten ist, hat sich noch kein Gleichgewicht eingestellt und die Infektion wirkt sich verheerend auf den menschlichen Organismus aus. Obwohl es in der Vergangenheit wahrscheinlich häufiger zum gegenseitigen Tausch dieser Parasiten kam, zirkuliert P. falciparum heutzutage in der menschlichen Bevölkerung ganz ohne Beteiligung von Menschenaffen. Ohne Zweifel bleibt der gefährlichste Malariaparasit des Menschen jedoch ein unerwünschtes einstiges Geschenk der Gorillas. (Quelle: a, Jana Bulantová; b–c, David Modrý)

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einige in der menschlichen Bevölkerung weit verbreitete Pilzorganismen wie Mikrosporidien (Enterocytozoon, Encephalitozoon) oder der seltsame „Pilz“ Pneumocystis. Unter normalen Umständen geht uns die Kraft nicht so einfach aus, unser Immunsystem kann jedoch durch äußere Einflüsse geschwächt und gelähmt sein. Beispielhaft sind gezielte immunsuppressive Behandlungen, bei denen wir bewusst versuchen, das eigene Immunsystem zu schwächen. Zu dieser etwas untypischen Therapie wird öfters nach bestimmten Transplantationen gegriffen (beispielsweise dann, wenn das transplantierte Gewebe oder Organ von einem anderen Menschen stammt), nach denen man sich bemüht, die Tendenz des Immunsystems zu unterdrücken, das fremde Transplantat anzugreifen, mit anderen Worten zu vernichten. Einer ähnlichen Behandlung unterziehen wir uns auch beim Versuch, bestimmte Autoimmunerkrankungen zu therapieren. Ebenso können unsere Abwehrkräfte durch bestimmte Infektionskrankheiten erheblich geschwächt werden, die gezielt spezifische Komponenten unseres Immunsystems angreifen – am bekanntesten ist das HI-Virus, das bei Infizierten die Krankheit AIDS auslösen kann, die sich eben durch eine Schwächung des Immunsystems äußert. Unsere Abwehrkräfte können auch durch Stress geschwächt werden – allgemein bekannt ist der Zusammenhang zwischen einer stressbedingten Immunschwäche und der Entstehung von Herpes, das Symptom einer latenten viralen Infektion. Ein schlechter Gesundheitszustand, also eine unzureichend funktionierende Immunabwehr, kann auch Folge von übermäßiger körperlicher Anstrengung oder schlechter Ernährungsbedingungen sein – deshalb leiden Häftlinge, Flüchtlinge, Geiseln und verarmte Bevölkerungsgruppen so oft an vollkommen banalen Krankheiten, von denen ein wohlgenährter Mensch unter Normalbedingungen kaum Notiz nehmen würde. Bei Säugetieren, und somit auch beim Menschen, ist ebenfalls die Phase des Abstillens riskant, da bei bestimmten Tiergruppen die Plazenta keine Übertragung von Antikörpern aus dem mütterlichen in den fötalen Blutkreislauf zulässt (z. B. im Gegensatz zu Wiederkäuern). Die Muttermilch enthält eine Reihe wichtiger Antikörper, die der Säugling erst nach und nach beginnt selbst zu bilden. Ein Ende der Zufuhr dieser Antikörper mütterlicherseits und unzureichende Eigenproduktion, gepaart mit einem insgesamt unvollkommen ausgebildeten Immunsystem, waren in der Vergangenheit (und sind es in einigen Teilen der Welt auch heute noch) Hauptgründe für den plötzlichen Kindstod.

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„Mensch, wer bist du?“ „Ich bin weiträumig, enthalte Vielheit!“4 Dieses hypothetische Gespräch zwischen dem tschechischen Schriftsteller Miloslav Kubeš, der scheinbar trivial fragt, wer wir sind, und dem Dichter Walt Whitman, der in seinem Werk Song of Myself eine überraschende Antwort gibt, wird das Motto des folgenden Kapitels über eine unerwartete Welt in uns selbst sein. Den Menschen als wandelnden Zoo zu betrachten, wäre noch vor zehn oder 20 Jahren als eine etwas extreme Sichtweise eingestuft worden. Seitdem hat sich vieles verändert, vor allem jedoch das Paradigma selbst. Im Rahmen der natur-sozialwissenschaftlichen Disziplinen bezeichnet der Begriff Paradigma ein Prinzip, das während einer bestimmten historischen Phase als Vorbild gilt und von den Wissenschaftlern und Forschern mehrheitlich anerkannt wird. Ein Paradigma definiert nicht nur was erforscht werden soll, sondern auch mit welchen Ansätzen und Methoden sowie nach welchen Regeln und Konventionen die Forschung konzipiert werden soll. Paradigmen in Wissenschaft und Gesellschaft sind von ihrer Natur aus zeitlich begrenzt und ihr Wandel vollzieht sich meist als radikaler Umschwung, in der Regel durch eine wissenschaftliche und manchmal auch eine gesellschaftliche Revolution. Und eben eines der grundlegenden Paradigmen über unsere Sicht auf uns selbst hat sich in jüngster Zeit erheblich verändert. Wenn wir den menschlichen Körper in seine Grundbestandteile zerlegen würden, würden wir feststellen, dass er aus etwa 37 Billionen Zellen besteht, denen wir daher die Bezeichnung Homo sapiens („weiser Mensch“) geben könnten. Nach dieser „Etikettierung“ bleiben jedoch noch fast unglaubliche 100 Billionen weiterer Zellen übrig, hauptsächlich Bakterien und mikroskopisch kleine Pilze, die zusammen etwa zwei Kilogramm unseres Gesamtgewichts ausmachen. Zählt man nur Mikroorganismen, so bilden unsere körpereigenen Zellen nur etwa ein Viertel aller Zellen im Körper. Zu einem Zehntel gelangen wir, wenn wir auch Viren in unsere Zählung mit einbeziehen, sie jedoch als eigenständige Organismen zu definieren ist in gewissem Maße problematisch. Aber selbst, wenn wir nur Mikroorganismen in Betracht ziehen, übersteigt ihre Anzahl zwei- bis dreimal die Anzahl unserer Zellen.

4 Quelle:

Deutsche Übersetzung: Kubeš (von Übersetzerin übersetzt), Whitman (Hans Reisiger 1922: Walt Whitmans Werk. Berlin, Germany: S. Fischer Verlag.)

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Das Interessanteste, nicht nur aus Sicht der Biologen, ist jedoch nicht die pure Anzahl dieser mikrobiellen Zellen, die unseren Körper bevölkern, sondern die schier unglaubliche Vielfalt an Bakterien- und mikroskopischen Pilzarten. In jedem von uns leben mehr als 1000 Arten von Mikroorganismen, die allermeisten von ihnen bis heute unbeschrieben. Zur Veranschaulichung: In Deutschland wurden bisher rund 700 Wirbeltierarten (von Fischen über Vögel bis hin zu Säugetieren) und 3200 Blütenpflanzenarten nachgewiesen. Der kleine Bakterien- und Pilzgarten unseres Körpers kann sich also mit einem zoologischen und botanischen Garten messen, der die Fauna und Flora Mitteleuropas versammelt. Es erwartet uns jedoch noch eine weitere interessante Entdeckung. Die Mikroorganismen unseres Körpers mit ihren rund zwei Millionen Genen übertreffen die Anzahl menschlicher Gene um das Hundertfache. Würden wir also jeden beliebigen Menschen bis auf seine einzelnen Gene zerlegen, würde nur eines von 100 zur menschlichen Spezies Homo sapiens gehören; alle anderen kämen von anderen in uns lebenden Organismen. Und so könnten wir uns tatsächlich fragen, wer oder was wir sind, wenn nur eine von drei Zellen die unsere ist und von den Genen sogar nur jedes hundertste. Natürlich reicht eine vereinfachte, auf eine Spezies beschränkte Sichtweise unserer Individualität als Spezies Homo sapiens für die meisten unserer alltäglichen sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Interaktionen völlig aus. Wollen wir jedoch einen genaueren Blick auf unsere biologische Beschaffenheit werfen, einschließlich gesundheitsbezogener Fragen, dürfen wir die vorangehenden Informationen nicht ignorieren. Wir müssen lernen, uns als eine Art biologisches Superindividuum wahrzunehmen, definiert als Summe des menschlichen Organismus und seines Mikrobioms. Es ist eben diese wechselseitige symbiotische Verbindung des Menschen und all seiner körperlichen Gefährten, dank der wir in individuellem (ontogenetischem), historischem und evolutionärem Zeitrahmen zu Existenz und Überleben fähig sind.

Es war einmal ein gewöhnlicher Haushalt Wer sind unsere Mitbewohner eigentlich, wo halten sie sich auf und wie gelangen sie in unsere Körper?

Das menschliche Mikrobiom (früher als Mikroflora bezeichnet) ist ein komplexes Ökosystem. Es besteht aus Billionen nicht zellulärer Viren (zusammenfassend als Viriom bezeichnet), primitiven Bakterien und

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Archaeen (Prokaryom) und höher entwickelten Eukaryoten (Eukaryom), zu denen hauptsächlich mikroskopisch kleine Pilze und Hefepilze (Mykobiom) gehören. Vervollständigt wird diese Liste, wenn auch nicht bei jedem Individuum, durch Einzeller und manchmal Würmer, Helminthen genannt. Die größte Anzahl an Individuen und Arten befindet sich im Dickdarm, aber auch andere Teile unseres Körpers (insbesondere Mund- und Nasenhöhle, Haut, Vagina) sind reich an symbiotischen Organismen. So gut wie frei von fremden Organismen sind dagegen beispielsweise das Gehirn oder das Blut. Die Besiedlung unseres Körpers durch das Mikrobiom beginnt schon im Geburtskanal der Mutter, während andere Mikroorganismen über Muttermilch, Speichel und Haut auf uns übertragen werden. Später folgen dann verschiedene Quellen aus der Umwelt wie Wasser, Boden, Lebensmittel, andere Menschen und Tiere. Unser Körper ist evolutionär darauf vorbereitet, mit dieser Vielzahl von Mikroorganismen zusammenzuleben, und so kommt es auf individueller Ebene zu momentanen sowie langfristigen Wechselwirkungen zwischen dem Mikrobiom und unserer Physiologie, insbesondere unserem Immunsystem. Erst kürzlich wurde nachgewiesen, dass die Zusammensetzung der bakteriellen Darmflora im ersten Lebensjahr einen langfristigen Einfluss auf den Aufbau des Immunsystems und damit auf die Gesundheit des Menschen hat. Verständlicherweise kann dieses neu entstehende Gleichgewicht leicht durch äußere Einflüsse gestört werden, was lebenslange Folgen nach sich zieht. Die Empfehlung ist daher eindeutig – wenn möglich, sollten Kinder bis zum vollendeten ersten Lebensjahr keine Antibiotika erhalten. Aus evolutionärer Sicht leben Mikroorganismen seit Millionen von Jahren mit uns zusammen, schon seit dem Urbeginn der menschlichen Evolution. Während dieser Zeit haben wir uns so gut aneinander gewöhnt, dass wir sie als alte Freunde betrachten können. Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es jedoch einige ziemlich dramatische Veränderungen in der mikrobiellen Besiedlung unseres Körpers und unsere Mitbewohner wechselten einige Male radikal. Die wahrscheinlich größten Veränderungen in der Zusammensetzung des menschlichen Mikrobioms fanden während des sogenannten ersten epidemiologischen Übergangs statt, während die Menschen im Kontext der neolithischen Revolution grundlegend ihre Lebensweise änderten. Sie wurden sesshaft und begannen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Zusätzlich zu neuen Ernährungsgewohnheiten kamen sie auch in engen und vor allem langfristigen Kontakt mit einer Reihe an Nutztieren, von denen sie schließlich einen erheblichen Teil unseres heutigen Mikrobioms erwarben. Es ist offensichtlich, dass der absolute Großteil (mehr als 99 %) unserer mikrobiellen Gemeinschaft von kommensalischen Arten gebildet wird, die

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in Harmonie mit dem Wirtsorganismus leben und ihm in keiner Weise schaden. Es ist sogar möglich, oder vielmehr höchst wahrscheinlich, dass einige unserer Untermieter für uns von Nutzen sind. Zum einen verhindern sie die Vermehrung anderer, pathogener Arten und zum anderen helfen sie beispielsweise bei der Verdauung bestimmter Nahrungsbestandteile, produzieren einige in der Nahrung seltene Vitamine und andere essenzielle Stoffe und beteiligen sich an der Errichtung schützender Filter auf der Oberfläche von Schleimhäuten und der Haut. Viele aktuelle Studien belegen, dass das Mikrobiom das gesamte Spektrum der physiologischen Prozesse und Stoffwechselfunktionen unseres Körpers beeinflusst, und seine optimale Zusammensetzung scheint ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Gesundheit zu sein. Innerhalb des Ökosystems „Wirt“ interagieren Bakterien miteinander und beeinflussen unser Immunsystem und damit auch unseren Gesundheitszustand. Aus demselben Grund findet die sogenannte Fäkaltransplantation zunehmend Beachtung. Dabei hilft das „Transplantat“ eines gesunden Spenders mit optimal diversifizierter Darmflora, im Darm des Empfängers das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen. Intensive Forschungen der letzten Jahre zeigten, dass die Bewohner unseres Darms (einschließlich parasitärer Würmer) das Vorkommen und den Verlauf immunvermittelter Erkrankungen (einschließlich Hypersensitivität und Autoimmunerkrankungen) stark beeinflussen können, womit wir uns in einem der folgenden Kapitel noch im Einzelnen beschäftigen werden.

Leben oder leben lassen? Sollten wir uns also vor Parasiten fürchten und sie so gut es geht bekämpfen und austilgen oder sollten wir sie eher als eine Seltenheit betrachten, die in manchen Fällen sogar nützlich sein kann?

Wie bei vielen anderen komplizierten Fragen dieser Welt ist die Antwort alles andere als einfach und geradlinig. Unabhängig davon, ob wir Parasiten aus evolutionärer, biologischer, veterinärmedizinischer oder humanmedizinischer Sicht betrachten, müssen wir uns immer dessen bewusst sein, dass zumindest einige Parasiten für den Menschen immer noch ein sehr ernstes Gesundheitsrisiko darstellen. Hunderttausende Menschen sterben jedes Jahr an diversen parasitären Infektionen und Hunderte Millionen leiden an mehr oder weniger ernsten Krankheitssymptomen, verursacht durch schmarotzende Organismen. Obwohl die letzten 200 Jahre im Zeichen wichtiger parasitologischer

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Entdeckungen standen, bleiben Parasiten nach wie vor ein ernstes Problem der Human- und Veterinärmedizin. Sie verursachen sieben von zehn der wichtigsten vernachlässigten/übersehenen Infektionskrankheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation überwacht werden (Chagas-Krankheit, Schlafkrankheit, Leishmaniose, Malaria, Schistosomiasis, Onchozerkose und lymphatische Filariose5). Zusätzlich übertragen blutsaugende Gliederfüßer auch eine Reihe anderer Infektionen, insbesondere viraler Infektionen, wie das Denguefieber und Gelbfieber, Borreliose und weitere Erkrankungen. Trotz stetiger Bemühungen gibt es bis heute keinen wirksamen Impfstoff6 gegen jegliche parasitäre Krankheiten des Menschen und immer häufiger beobachten wir Resistenzen gegen die verwendeten Medikamente. Einen ähnlichen Trend sehen wir bei blutsaugenden Krankheitsüberträgern, die Resistenzen gegen gebräuchliche Insektizide entwickeln und sich infolge menschlicher Aktivitäten und des globalen Klimawandels in neue Gebiete ausbreiten … und zusammen mit ihnen verbreiten sich auch die übertragenen Pathogene. Nicht zu vernachlässigen ist auch der bedeutende Einfluss der Parasiten auf frei lebende, aber vor allem auf domestizierte Tiere. Durch Parasiten entstandene Schäden erreichen astronomische Summen und in einigen Fällen sind Parasiten der wichtigste limitierende Faktor, der über eine rentable oder überhaupt mögliche Nutztierhaltung bestimmt. Mitteleuropäern des 21. Jahrhunderts erscheint die Welt der Parasiten sicherlich in ganz anderem Licht als den Bewohnern von Armenvierteln und ländlichen Gebieten in Entwicklungsländern. Wir genießen das Privileg, in einem Teil der Welt zu leben, in dem Parasiten an Menschen nur eine Randerscheinung der Medizin sind. Diese Sonderstellung ist jedoch schwer erkämpft und nicht selbstverständlich, weshalb wir uns ihrer Existenz bewusst sein sollten. Obwohl parasitär verursachte Krankheiten beim Menschen vor allem in tropischen und subtropischen Ländern ein Problem darstellen, konzentriert sich deren Erforschung häufig auf wirtschaftlich entwickelte Länder der gemäßigten Zone. Es gehört zur moralischen Pflicht reicher und stabiler Länder, ihren Platz in der heutigen Welt verantwortungsvoll einzunehmen und ärmeren Regionen der Welt zum Beispiel eben bei der Bekämpfung parasitärer Krankheiten zu 5 Im Deutschen gibt es, anders als in vielen anderen Sprachen, für die Bezeichnung einer Erkrankung zwei mögliche Endungen: -iasis und -ose. Obwohl die meisten zur Endung -ose neigen, wird der Suffix -iasis aus historischen Gründen in vielen Institutionen, Lehrbüchern und populären Texten weiterhin für einige Erkrankungen verwendet. Deshalb haben wir uns entschlossen, uns auch in diesem Buch an diese Tradition zu halten, und so tragen die erwähnten Krankheiten beide möglichen Endungen, je nach ihrer häufigeren Verwendung. 6 In naher Zukunft wird jedoch ein Malariaimpfstoff (Mosquirix®) erwartet, der allgemein verfügbar sein soll und insbesondere für Kinder in endemischen Gebieten bestimmt ist.

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helfen. Und es ist wichtig in Erinnerung zu behalten, dass das hohe Niveau der europäischen Medizin weit in die Vergangenheit zurückreicht und der globale Kampf gegen Infektionskrankheiten schon zu Zeiten eines in den West- und den Ostblock geteilten Kontinents gefördert wurde. Trotzdem sahen Wissenschaftler und Ärzte beider ideologisch verfeindeter Regionen Krankheiten und Infektionserreger weiterhin als Hauptfeinde der Menschheit.

Exkurs: Vampire unter uns – das kleine „Wer ist wer“? Das wesentliche Merkmal eines echten Parasiten ist die langfristige Bindung zu seinem Wirt7. Dies gilt für fast alle inneren Parasiten (Endoparasiten), für parasitäre Würmer sowie für Einzeller. Wesentlich komplexere Beziehungen finden wir jedoch bei äußeren Parasiten, die wir als Ektoparasiten bezeichnen. Ihre bekanntesten Vertreter sind Gliederfüßer. Ektoparasiten mit dauerhaftem und langfristigem Kontakt zum Wirt nennen wir permanente Parasiten; zu ihnen gehören typischerweise Läuse, Kieferläuse und Flöhe, von den Milben zum Beispiel die Krätzmilbe. Es gibt jedoch auch ein breites Spektrum an Parasiten, deren Kontakt mit dem Wirt von kurzer Dauer ist und auf das Blutsaugen beschränkt bleibt. Typische Vertreter dieser temporären Parasiten sind vor allem Stechmücken, aber auch Kriebelmücken, Schnaken, Bremsen und weitere. Aus ökologischer Sicht werden diese temporären Ektoparasiten als Mikroprädatoren bezeichnet. Dieser Begriff wurde gewählt, weil Mikroprädatoren analog zu echten Prädatoren während ihres Lebens eine größere Anzahl von Beuteorganismen „erlegen” und der gegenseitige Kontakt zwischen Jäger und seiner Beute zeitlich stark begrenzt ist. Da die Beute jedoch nur ein paar Tropfen Blut verliert und nicht ihr Leben, wurde der Begriff Mikroprädator eingeführt. Und es sind eben diese Mikroprädatoren, die am häufigsten irgendwo im Wald oder auf der Wiese nebenan auf uns warten. Aber dort bleiben sie im Normalfall auch. Während wir jemanden mit Parasiten infizieren können, die wir langfristig in oder auf uns tragen (Läuse oder Krätze), kann kaum von einer 7  Dieses

Buch befasst sich hauptsächlich mit echten Parasiten, die wir als solche nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus ökologischer Sicht bezeichnen können. Die Merkmale einzelner Parasitengruppen erwähnen wir jedoch zur Veranschaulichung der komplexen Beziehungen zwischen Parasiten und ihren Wirten und als Orientierungshilfe in der Terminologie beim Studium ähnlicher Fachtexte.

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Ansteckung oder Übertragung von Stechmücken und anderer vorübergehender Parasiten zwischen Wirten die Rede sein (Abb. 1.10). Die Unterschiede zwischen permanenten und temporären Parasiten sind schon anhand ihrer Morphologie deutlich. Bei permanenten Parasiten unterläuft die Morphologie ihres Körpers oft erhebliche Veränderungen aufgrund der langfristigen Bindung zum Wirt. Dauerhaft parasitäre Insekten haben beispielsweise oft ihre Flügel verloren – siehe Läuse, Flöhe oder Bettwanzen. Der Körper temporärer Parasiten (Mikroprädatoren) blieb weitgehend unverändert und ähnelt dem anderer frei lebender Insekten. Das gilt für Stechmücken ebenso wie für Kriebelmücken, Schnaken, Bremsen und andere vorübergehende Peiniger. Der einzige Anhaltspunkt zur Unterscheidung dieser kleinen gefräßigen „Vampire“ von frei lebenden, nicht parasitären Vertretern könnte ihr Saugrüssel sein. Merkwürdigerweise bleibt auch dieses Merkmal uneindeutig. Als Unterscheidungsmerkmal dient es nur bei einer einzigen Insektengruppe – den Solenophagen. Der englische Begriff vessel feeders bezieht sich auf ihre Fähigkeit, feine Blutgefäße anzustechen und Blut zu saugen, ohne kleine, subkutane8 Blutergüsse zu verursachen. Solenophage Insekten besitzen einen vergleichsweise dünnen und langen Rüssel, mit dem sie recht schmerzlos stechen können. Bei den Mikroprädatoren, also den vorübergehenden Ektoa

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c

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Abb. 1.10  Alle Mann festhalten. Für Ektoparasiten ist es höchst wichtig, festen Halt am Wirtskörper zu finden. Kopfläuse, dauerhafte Parasiten an Säugetieren, haben stechend-saugende Mundwerkzeuge und müssen sich daher auf ihre Beine zum Festhalten verlassen. Diese enden in starken, beweglichen Krallen (b), mit denen sie die Haare des Wirts wie mit einer Zange greifen, wie am Beispiel der Schweinelaus (Haematopinus apri) zu sehen ist, die sich an den Borsten eines Ebers festhält (a). Dagegen benutzen Haarlinge (hier der Katzenhaarling Felicola subrostratus ) (c) starke Mundwerkzeuge (d), um sich an Haare von Säugetieren oder Vogelfedern zu klammern. (Quelle: Jana Bulantová)

8 Subkutanes

Gewebe befindet sich unmittelbar unter der Haut. (Anm. d. Übers.)

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parasiten, gehören Stechmücken und die exotische Tsetsefliege dazu. Bei den permanenten Parasiten zählen wir Läuse und Bettwanzen zu dieser Gruppe (Abb. 1.11). Eine ganz andere Strategie des Blutsaugens wählen die Telmophagen, englisch pool feeders. Mithilfe ihres Saugrüssels beschädigen sie mechanisch und manchmal sogar chemisch das Gewebe und saugen dann das Blut auf, das sich in kleinen, subkutanen Blutergüssen an der Stelle des Stichs sammelt. Der Rüssel selbst ist kürzer und breiter und daher weitaus unauffälliger als bei Solenophagen; oft wäre man sogar überrascht, dass er zum Blutsaugen dient. Der Stich eines robusten Rüssels ist viel schmerzhafter und das Blutsaugen dauert meist länger. Ein extremes Beispiel für langes Blutsaugen sind Zecken, bei denen das ausgewachsene Weibchen etwa zehn Tage braucht, bis es vollständig gesättigt ist. Im Gegensatz dazu sind Lederzecken (Gattung Argas ) innerhalb nur einiger Dutzend Minuten vollgesogen und bei typischen temporären telmophagen parasitären Insekten wie Kriebelmücken, Gnitzen, Bremsen oder wärmeliebenden tropischen Mücken ist das Blutsaugen nur eine Frage weniger Minuten. Von den permanenten Parasiten gehören Flöhe zu dieser Gruppe (Abb. 1.12). Im Allgemeinen hinterlässt der Stich eines solenophagen Insekts keine allzu großen Wunden in der Haut, dagegen sind die Spuren des Stichs eines telmophagen Insekts viel deutlicher. Diese Eigenschaft betrifft jedoch nur das Einstechen selbst. An den großen, auffälligen, rot geschwollenen und unangenehm juckenden Stichen sind in erster Linie nicht die Insekten schuld, die uns gestochen haben, sondern unser Immunsystem. Das greift etwas gedankenlos Stoffe im Speichel an, der zu Beginn des Saugvorgangs in die Wunde gespuckt wird, um die Blutgerinnung zu verhindern und die Hautreaktion des Wirts (d. h. Schmerz und Juckreiz) zu dämpfen, sodass der Mikroprädator nicht vorzeitig vertrieben wird. Dieser Dämpfungseffekt lässt jedoch rasch nach und die im Speichel enthaltenen Stoffe werden zum Ziel einer stürmischen Immunreaktion, die zur Bildung juckender Pusteln führt. Nichtsdestotrotz reagiert unser Immunsystem auf wiederholte Stiche der meisten Insekten mit einer allmählichen Abschwächung der Reaktion, bis sich die juckenden Stellen nach gewisser Zeit gar nicht mehr bemerkbar machen. Fliegende blutsaugende Mikroprädatoren unter den Insekten lassen sich jedoch neben der Art des Saugens und der Auffälligkeit ihres Rüssels noch nach einem weiteren Merkmal klassifizieren, das eng mit der Art und Weise zusammenhängt, wie sie ihren Wirt belästigen. Unter den Vertretern unserer heimischen Fauna haben ausschließlich Stechmücken die Fähigkeit, ihre Opfer sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen wie

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Abb. 1.11  Präzise Stiche der Solenophagen. Vertreter der solenophagen Insekten besitzen einen langen dünnen Rüssel, der es erlaubt, feine Blutgefäße anzustechen und Blut zu saugen, ohne kleine, subkutane Blutergüsse zu verursachen. Beim saugenden Weibchen der Gemeinen Stechmücke (Culex pipiens var. molestus ) (a) ist im Hinterteil das Blut zu sehen und die unter den Körper gebogene Scheide (Unterlippe) des Saugrüssels. Das Männchen (c), unter anderem an seinen auffallend behaarten Fühlern zu erkennen, saugt kein Blut, sondern Nektar und andere zuckerhaltige Flüssigkeiten. Bettwanzen (Cimex lectularius) (b), von denen beide Geschlechter und alle Entwicklungsstadien Blut saugen, besitzen ebenfalls einen dünnen Rüssel, der im Ruhezustand unter den Körper gelegt wird (d); wie bei der Stechmücke durchdringt nicht der gesamte Rüssel die Haut des Wirts, sondern nur ein paar dünne Stechborsten. (Quelle: a, David Modrý; b, Helena Kulíková; c–d, Jana Bulantová)

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Abb. 1.12  Schmerzhafte Stiche der Telmophagen. Im Gegensatz zum Rüssel der Solenophagen ist der Rüssel telmophager Insekten viel breiter und robuster, sodass ihr Stich deutlich schmerzhafter ausfällt. Das Blut ihrer Wirte saugen sie nicht aus Blutgefäßen, sondern aus subkutanen Blutergüssen. Nachdem der Rüssel herausgezogen wurde, kommt es häufig zu Nachblutungen, wie bei diesem von Bremsen der Gattung Hybomitra (a) geplagten Pferd. Der Rüssel von Bremsen, hier der Gattung Tabanus (b), ist dabei auf den ersten Blick recht kurz. Zu den Telmophagen zählen auch Flöhe (c; Katzenfloh, Ctenocephalides felis ), deren langer Rüssel erst in der Detailansicht des Kopfs (d) gut sichtbar wird. (Quelle: Jana Bulantová)

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Häusern, Wohnungen, aber auch Zelten oder Autos zu stechen. Ähnlich verhalten sich auch Wadenstecher, ihr Vorkommen ist aber immer an Ställe und Großviehhaltung gebunden. Zu weiteren mehr oder weniger wärmeliebenden Vertretern, die bereit sind, in geschlossenen Räumen zu saugen (in der Fachsprache wird dieses Phänomen als Endophagie bezeichnet) gehören zum Beispiel Mücken der Gattung Phlebotomus, genannt Sandmücken. Andere Vertreter mitteleuropäischer Mikroprädatoren, also Kriebelmücken, Gnitzen oder Bremsen, leben hauptsächlich exophag und stechen ihre Wirte nur im Freien oder in großen offenen oder halboffenen Räumen, beispielsweise auf Hausterrassen an. Ein weiteres Merkmal der „Blutsauger“ hängt mit ihrer Tages- bzw. Nachtaktivität zusammen. Zur Dämmerung begegnen uns hauptsächlich Gnitzen und Stechmücken, die aber bekanntlich die ganze Nacht hindurch aktiv sind. Wenn sehr sonniges oder trockenes Wetter herrscht, können Mücken uns an schattigen Plätzen zu jeder Tageszeit stechen. Im Gegensatz dazu sind Bremsen und Wadenstecher mehr oder weniger tagaktiv, ebenso wie Kriebelmücken, die bis zum Sonnenuntergang fliegen. Das Blutsaugen als Strategie hat sich bei Insekten im Laufe der Evolution mehrfach unabhängig voneinander entwickelt, hauptsächlich als relativ einfache Methode zur Beschaffung von Nährstoffen, insbesondere der für die Eiproduktion benötigten Eiweiße. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es bei der überwiegenden Mehrheit blutsaugender Plagegeister die blutrünstigen Weibchen sind, die uns angreifen, während die friedliebenden Männchen geruhsam Blütennektar saugen. Dies ist der Fall bei Stechmücken, Kriebelmücken, Gnitzen, Sandmücken und Bremsen. Ausnahmen bilden Wadenstecher und Lausfliegen, auf die wir später noch eingehen werden. Aus globaler Sicht sind blutsaugende Gliederfüßer besonders als Überträger zahlreicher menschlicher Infektionskrankheiten gefährlich. In den Tropen verbreiten Stechmücken Malaria, das Denguefieber und viele weitere tödliche Erkrankungen. Unter mitteleuropäischen Bedingungen kommen bestimmte Virusinfektionen in Betracht, die in der Regel einen sehr leichten, grippeähnlichen Verlauf nehmen, wie die durch das Tahyna-Virus verursachte Erkrankung oder das West-Nil-Fieber, in südlichen Regionen dann Leishmaniose bei Menschen und auch bei Hunden sowie einige Viruserkrankungen wie das Chikungunya- und das Pappataci-Fieber. In Mitteleuropa stellen Kriebelmücken, Gnitzen, Bremsen oder Wadenstecher keine epidemiologische Gefahr für den Menschen dar und sind zusammen mit Stechmücken nur lästige Plagegeister, die den Aufenthalt in der Natur unan-

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genehm machen oder, wie im Fall der Stechmücken, zu einem ungebetenen Besuch einfliegen. Die epidemiologische Bedeutung von Zecken als Überträgern schwerwiegender menschlicher Erkrankungen wird im folgenden Kapitel erläutert. Obwohl blutsaugende Insekten für uns persönlich in der Regel keine Gefahr bezüglich einer Krankheitsübertragung darstellen, ist es dennoch notwendig, gegen diese Blutsauger zu kämpfen. Und dieser Kampf kann auf mehreren sehr unterschiedlichen Ebenen geführt werden. Auf individueller Ebene handelt es sich dabei hauptsächlich um verschiedene Sprays, also Repellents (insektenvertreibend) und Insektizide (insektenvernichtend). Neben der Verwendung dieser Stoffe für Körper und Kleidung können sie auch flächig auf Wände von Wohnungen, Einrichtungsgegenstände, Zelte und Ähnliches aufgetragen werden. Weiter bieten sich verschiedene Moskitonetze an, sei es in Form von Fensternetzen, die das Eindringen der Mücken ins Zimmer verhindern, von Moskitonetzen über den Betten oder in Form von Netzen und Schleiern, die an Hüten befestigt werden und bei Waldspaziergängen Schutz bieten. Auf einem völlig anderen Prinzip beruhen Bemühungen zur Beseitigung von Mückenbrutstätten. Neben der Trockenlegung von Sümpfen und anderen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen können Brutstätten mithilfe chemischer Mittel (meist Pyrethroide) oder, aus Sicht des Naturschutzes wesentlich schonender, durch biologische Bekämpfung beseitigt werden. Eines der erfolgreichsten Projekte zur biologischen Bekämpfung von Stechmücken ist der Einsatz des pathogenen Bakteriums Bacillus thuringiensis, dessen einzelne Stämme eine hohe Wirtsspezifität aufweisen – so infiziert beispielsweise Bacillus thuringiensis var. israelensis ausschließlich Mückenlarven (Abb. 1.13).

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Abb. 1.13  Clever gegen Mücken. Das Bakterium Bacillus thuringiensis und seine einzelnen Stämme werden schon seit Langem im Kampf gegen unerwünschte Insekten eingesetzt. Gene dieses Bakteriums wurden sogar in einige Pflanzen eingebaut, um so dauerhaften Schutz vor Pflanzenschädlingen zu bieten (z. B. Bt-Mais, Bt-Soja). Das ausgeprägt wirtsspezifische und für die Natur harmlose Bakterium Bacillus thuringiensis var. israelensis (Bti) wird zur Abtötung von Mückenlarven eingesetzt, meist in Form insektizider Granulate. Unter geeigneten Bedingungen werden Mückenbrutstätten mithilfe kleiner Flugzeuge aus der Luft behandelt (a), insbesondere nach weiträumigen Überschwemmungen (b). (Quelle: František Rettich)

2 Parasiten der Mitteleuropäer – Insekten und Milben Jan Votýpka

Wie schon in der Einleitung dieses Buchs erwähnt, können zu Parasiten im weitesten Sinne des Wortes neben den klassischen Vertretern auch alle Viren, pathogene Bakterien oder Pilze und Hefepilze gezählt werden. In diesem Kapitel über in Mitteleuropa natürlich vorkommende Parasiten des Menschen wollen wir uns jedoch nur mit den echten Parasiten befassen, das heißt mit parasitischen Einzellern, Würmern (Helminthen) und parasitären Gliederfüßern. Während wir in früheren Jahrhunderten in fast jedem Mitteleuropäer gleich mehrere Parasitenarten gefunden hätten, sind menschliche Parasiten in Mitteleuropa heute fast vom Aussterben bedroht. Die Zahl der mit Spuloder Bandwürmern infizierten Menschen liegt in den einzelnen EU-Ländern jährlich im zweistelligen Bereich und der früher gefürchtete Fadenwurm Trichinella spiralis kommt bei Menschen nur noch sporadisch vor. Als recht selten gelten auch Darminfektionen mit verschiedenen Protozoen, etwas häufiger kommen vielleicht einige Amöben oder Lamblien vor. Der Einzeller Plasmodium vivax, der Malaria verursacht und von Stechmücken übertragen wird, wurde in Mitteleuropa schon vor mehr als einem halben Jahrhundert ausgerottet. Auch die früher relativ häufig vorkommende Geschlechtskrankheit, durch den Einzeller Trichomonas vaginalis verursacht, zählt mittlerweile zu den seltenen Erkrankungen. J. Votýpka (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_2

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Die allermeisten menschlichen Parasiten leben in Europa nicht gerade wie auf Rosen gebettet. Dank guter hygienischer Gewohnheiten der Gesellschaft und fortschrittlicher medizinischer Versorgung treffen wir sie immer seltener an. Dennoch halten einige letzte parasitäre Mohikaner den Posten, zum Beispiel Läuse, Zecken, Madenwürmer und Toxoplasma, auf die wir noch näher eingehen werden. Das Bewusstsein über unsere heimischen Parasiten ist gesamtgesellschaftlich recht gering und vielen Menschen würde nach einer Weile des Überlegens vielleicht die Stechmücke oder ein anderes fliegendes blutsaugendes Insekt einfallen, wie Bremsen oder Wadenstecher. Diese winzigen Vampire entsprechen jedoch nicht ganz der Definition eines Parasiten, hauptsächlich, weil sie kein langfristiges Zusammenleben mit dem Wirt anstreben. So eine Mücke kommt angeflogen, summt eine Weile lang lästig herum, sticht, saugt sich voll und verschwindet wieder. Zecken sind in Bezug auf die Definition schon deutlich besser dran, denn falls wir es ihnen erlauben, verbleiben sie auf unserem Körper deutlich länger (Abb. 2.1). Im Fall der weiblichen Zecke kann der Zeitraum mehr als eine Woche betragen. Und da Zecken auch Überträger einer Reihe gefährlicher Krankheitserreger sind, werden wir sie in diesem Kapitel genauer unter die Lupe nehmen. Schildzecken sind jedoch bei Weitem nicht die a

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Abb. 2.1  Schildzecken versus Lederzecken. Schildzecken kennt jeder, aber Lederzecken? Schildzecken, hier durch das Weibchen des Gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus) (a) vertreten, sind viel häufiger und frei in der Natur anzutreffen. Ihr Körper ist härter, von einem Schild bedeckt (der sich beim Weibchen etwa bis zur Hälfte des Körpers erstreckt und beim Männchen den ganzen Körper bedeckt) und mit auffälligen Mundwerkzeugen ausgestattet. Im Gegensatz dazu haben Lederzecken, hier die Geflügelzecke (Argas persicus) (b), im Allgemeinen einen weicheren Körper ohne Schild, sodass ihr Geschlecht schwer zu unterscheiden ist. Außerdem sind ihre saugenden Mundwerkzeuge unter dem Körper versteckt. In freier Wildbahn sind sie nicht anzutreffen, da sie typische Bewohner der Nester und Behausungen ihrer Wirte, zum Beispiel Tauben und Geflügel, sind. (Quelle: Jana Bulantová)

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e­ inzigen an Menschen saugenden Milben. Züchter von Vögeln, Säugetieren und sogar Reptilien können unangenehme Erfahrungen mit verschiedenen Arten von Vogelmilben machen, die zwar bevorzugt an tierischen Wirten parasitieren, falls die Umstände es erzwingen, können sie aber zumindest kurzzeitig auch zum Menschen wechseln, was zu unangenehmen Hautreaktionen und Allergien führen kann. Ebenso können Taubenzecken (Argas reflexus), die häufig auf Dachböden in Gesellschaft von Stadttauben leben, bei starkem Populationswachstum oder Mangel an Taubenwirten in die tiefer gelegenen Wohnungen ziehen und deren menschliche Bewohner befallen. Vielerorts machen Menschen nach Aufenthalten in der Natur, Gärten oder Parks unangenehme Erfahrungen mit einer weiteren Milbe. Es geht um die orange-roten Larven der Herbstmilbe (Neotrombicula autumnalis). Sie kommen im Spätsommer vor und saugen einige Tage lang an einer Vielzahl von Wirten, einschließlich des Menschen. Aufgrund ihrer geringen Größe bleiben sie am Körper meist unentdeckt, aber die charakteristisch juckenden, geröteten Pickel an schwitzigen Hautstellen (z. B. Achselhöhlen, Kniekehlen, entlang der Gummibänder von Unterwäsche, unter dem Uhrenarmband) verraten, dass gerade Herbstmilben die Ursache für diese sogenannte Stachelbeerkrankheit oder Erntekrätze sind. Noch besser entsprechen Bettwanzen (Cimex), die sich dauerhaft in unseren Wohnungen niederlassen und wiederholt an uns saugen, vor allem während der Bettruhe, der Vorstellung von Parasiten. Während Bettwanzen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts bei uns praktisch zur Seltenheit wurden und daher aus dem Blickfeld von Parasitologen und Gesundheitsexperten gerieten, verhalfen Globalisierung und zunehmende Mobilität der Menschen zu ihrer Wiederkehr. Ihr Vorkommen stieg in den meisten europäischen Ländern um mehr als das Zehnfache und längst gelten sie nicht mehr ausschließlich als Gäste unhygienischer Haushalte. Heutzutage sind praktisch alle Haushalte einem gewissen Infektionsrisiko ausgesetzt. Dagegen verzeichnen menschliche Flöhe, von denen uns vor allem der Menschenfloh (Pulex irritans) interessiert, einen stabilen und langfristigen Rückgang. Obwohl der Menschenfloh bei Weitem nicht ausschließlich Menschen aufsucht und sich auch bei einer Reihe anderer Säugetierarten wie Hunden und Schweinen entwickelt, ist er einer der wenigen Flöhe, die sich unter geeigneten Bedingungen problemlos in unseren Haushalten entwickeln und nur mit menschlichen Wirten auskommen können. Das Vorkommen dieses Flohs beim Menschen wird bei uns jedoch immer seltener. Aufgrund der geringen Bindung an ihren Wirt (also einer geringen Wirtsspezifität) können wir auch von Hunde- und Katzenflöhen und seltener von

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Vogelflöhen gestochen werden, dabei handelt es sich jedoch eher um kurzfristige Episoden, die mit dem Vorkommen geeigneter Wirte, hauptsächlich Hunden und Katzen, oder deren Schlafplätzen in unserer unmittelbaren Nähe zusammenhängen. Am besten erfüllen jedoch Läuse und Krätzmilben die Definition typischer Parasiten innerhalb der Reihen schmarotzender Insekten und Milben. Im Gegensatz zu den vorangehenden Nutznießern weisen sie eine sehr hohe Wirtsspezifität auf, sodass sie ausschließlich am Menschen parasitieren (Abb. 2.2). Kopfläuse sind Vertreter der blutsaugenden Insekten und aufgrund ihres häufigen Vorkommens widmen wir ihnen auch in diesem Kapitel volle Aufmerksamkeit. Krätzmilben hingegen sind, wie der Name schon sagt, Vertreter der Milben und ihre einzelnen Stadien saugen kein Blut, sondern bohren Gänge durch die unteren Schichten unserer Haut. Die betroffenen Stellen werden als Krätze bezeichnet. Mit Ausnahme von Kriegszeiten war Krätze in der modernen Geschichte Europas nie sehr häufig. Ihr Auftreten ist im Laufe der Zeit recht stabil geblieben, und obwohl sie in letzter Zeit einen negativen Trend verzeichnet, ist Krätze weiterhin in meist dicht bewohnten Einrichtungen anzutreffen, seien es Gefängnisse, Sammelunterkünfte, Studentenwohnheime oder sogar Krankenhäuser. a

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Abb. 2.2  Er liebt mich, er liebt mich nicht. Eines der wichtigsten Merkmale der Beziehung zwischen einem Parasiten und seinem Wirt ist die Wirtsspezifität. Einige Parasiten können nur ein enges Spektrum an Wirten infizieren und in vielen Fällen handelt es sich um nur eine bestimmte Wirtsart, in der sie den entsprechenden Teil ihres Lebenszyklus abschließen können. Andere Parasiten hingegen weisen eine geringe Wirtsspezifität auf und können ein breites Spektrum an Wirten infizieren. In extremen Fällen „unterscheiden“ sie noch nicht einmal zwischen Pflanzen und Tieren. Unter den Milben gibt es eine Reihe unspezifischer Parasiten wie tierische Milben (im Bild die Gattung Ophionyssus ) (a) oder Herbstmilben (Neotrombicula), während Grabmilben (Sarcoptes) ein Beispiel für sehr hohe Wirtsspezifität sind, da sie sich nur in einem bestimmten Wirt entwickeln können; beim Menschen ist dies beispielsweise die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei) (b). (Quelle: Jana Bulantová)

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„Einer Laus wohnt mehr Treue bei. Sie lässt den Mann nicht, wo er auch sei … … und lässt sich auch mit ihm henken.“1

Dieser alte Spruch aus dem 16. Jahrhundert verweist auf eine uralte Verbindung zwischen dem Menschen und seinem ewigen Gefährten, der Laus, die sich seit jeher an uns klammert. Wohl jeder ist in seinem Leben schon einmal an Läuse geraten. Sei es durch ihren Stich auf der eigenen Haut oder die Jagd auf den Köpfen der Mitmenschen, insbesondere von Kindern. Obwohl fast jeder mit Läusen Bekanntschaft gemacht hat, wissen nur wenige, wie das Leben der Läuse aussieht, wo und wann sie sich aufhalten und welche Gesundheitsrisiken sie darstellen. Läuse kommen im Gegensatz zu Flöhen nur bei Säugetieren vor und sind zudem hoch wirtsspezifisch. Daher kann man sich nur bei einem anderen Individuum derselben Art anstecken. Das bedeutet, dass Menschenläuse wirklich nur an Menschen parasitieren und kein anderes Tier sich anstecken kann. Und das gilt natürlich auch umgekehrt. Am Menschen haben sich im Laufe der Evolution drei Lausarten entwickelt, aber nur eine ist häufig und weltweit verbreitet. Die beiden anderen Arten verschwinden allmählich und es kommt die Zeit, wo sie in die Rote Liste bedrohter Arten aufgenommen werden müssten. Die weltweit seltenste Art ist die Filzlaus (Phthirus pubis), auch unter ihrem poetischen französischen Namen „Schmetterling der Liebe“ (papillon d’amour) bekannt. Die Filzlaus, hauptsächlich im Schamhaar lebend, hat einfach Pech. Die heutzutage modische Vollrasur bedeutet für sie ein wahrlich existenzielles Problem. Die Filzlaus ist zwar ein kleines Läuschen, dennoch hat sie starke Krallen und kann nach dem Saugen linsengroße, blaugraue Flecken (Maculae caeruleae) auf der Haut hinterlassen. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt meist während des Geschlechtsverkehrs und nur selten mit der Bettwäsche, da die Laus ohne ihren Wirt höchstens ein paar Dutzend Stunden überlebt. Sie überträgt keine ernsthafte Krankheit und die einzige weitere Art dieser Gattung (Phthirus) kommt bei Gorillas vor, was zu interessanten zoophilen Spekulationen über unsere Urahnen verführt. Viel wahrscheinlicher als Übertragungsweg sind jedoch die Jagd und der Verzehr von Gorillas oder die Nutzung ihrer vorübergehenden Nester durch den prähistorischen Menschen. 1  Ist

nur in der deutschen Übersetzung verwendet worden. Utz, Michael (unbekannt). Laus. In: Deutsche Welle. https://learngerman.dw.com/de/laus/a-4604536. abgerufen am 16.04.2023

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Eine weitere menschliche Art, oder besser gesagt zwei fast nicht unterscheidbare Arten, sind die Kleiderlaus (Pediculus humanus) und die Kopflaus (P. capitis), auch Kinderlaus genannt. Obwohl die Existenz und der Zusammenhang zwischen diesen beiden Lausarten weiterhin umstritten bleibt, ist ohne jeden Zweifel, dass die Kleiderlaus heute sehr selten ist, während die Kopflaus immer häufiger vorkommt. So wie die einzige weitere Art der Gattung Phthirus an Gorillas lebt, lebt auch die einzige weitere Art der Gattung Pediculus an Schimpansen und wir können davon ausgehen, dass die Übertragung auf den Menschen ähnlich erfolgte – während der Jagd auf Schimpansen oder der Nutzung ihrer Nester. Läuse haben den Menschen, oder besser gesagt die Gattung Homo, zweifelsohne seit jeher begleitet. Läuse hatte schon der prähistorische Mensch und der moderne Mensch „erbte“ sie von ihm. Interessant ist auch die Tatsache, dass es mehrere unabhängige Linien der Kopflaus gibt, die sich vor etwa einer Million Jahren, also vor der Entstehung des modernen Menschen, trennten. Während nur eine weltweit verbreitet ist, sind die anderen in ihrem Vorkommen stark begrenzt. Im Gegensatz zur Filz- und zur Kleiderlaus, die derzeit als selten gelten, ist die Kopf- oder Kinderlaus (P. capitis) keine Seltenheit, weltweit verbreitet und wird dank wachsender menschlicher Bevölkerung immer häufiger. Sie lebt ausschließlich im menschlichen Haar und ist vorwiegend ein Parasit in Kindergruppen aller Länder, unabhängig von deren Entwicklungsniveau und Wohlstand. Ihre Ausbreitung im Kopfhaar ist jedoch alles andere als gleichmäßig. Läuse sind am häufigsten an den Schläfen zu finden, wo auch ihre Eier – die Nissen, fest am Haaransatz in Hautnähe klebend – am leichtesten zu entdecken sind (Abb. 2.3). Obwohl Kopfläuse lästige parasitäre Insekten sind, die oft nur schwer wieder loszuwerden sind, sind sie abseits des Wirtskopfs überraschend empfindlich. Nymphen, die unreifen Stadien der Läuse, überleben fern des menschlichen Kopfs nur wenige Stunden. Obwohl ein ausgewachsenes Weibchen abseits vom Körper seines Wirts sogar länger als einen Tag überlebt, verliert es aufgrund von Dehydrierung und Unterkühlung schon viel früher seine Angriffsfähigkeit. Kälte und Feuchtigkeitsmangel sind auch die wichtigsten limitierenden Faktoren ihres Verbreitungsgebiets. Wenn das Haar zu kurz und schütter ist und es auf dem Kopf „windig“ wird, wird es Läusen zu kalt und zu trocken. Die häufigste Art der Übertragung ist enger Körperkontakt, eine kurze Berührung des Kopfs reicht jedoch meist nicht. Von Kopf zu Kopf krabbeln in der Regel adulte Stadien und es braucht nur ein einziges befruchtetes Weibchen, um auf dem neuen Wirt ein neues Läusegeschlecht zu gründen. Das Weibchen ist eine Art Gründermutter. Die Erklärung für das vermehrte

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Abb. 2.3  Menschliche Läuse. Beim Menschen kommen zwei (manchmal drei; s. Text) Arten von Läusen vor, die hoch wirtsspezifisch sind und daher auf keinem anderen Wirt leben können. Menschenläuse können wir also immer nur von einer anderen Person „bekommen“. Die Filzlaus Phthirus pubis (a) wird immer seltener, nicht zuletzt, weil sie fast ausschließlich im Schamhaar vorkommt. Ihr Körper und vor allem ihre kräftigen Beine und Krallen sind daher darauf ausgerichtet, sich an dickeren Haaren festzuhalten. Ganz anders erscheint die Kopflaus oder auch Kinderlaus (Pediculus capitis) (b), die sich hauptsächlich im Kopfhaar befindet. Auf dem Kopf finden wir außer den ausgewachsenen Tieren auch alle Larvenstadien (Nymphen) und die Eier (Nissen), die durch einen eiweißhaltigen Klebstoff ans Haar befestigt sind. Die frisch gelegten Nissen (c) werden meist an der Haarwurzel befestigt, damit sich die entwickelnde Larve (d) möglichst nah an der feuchten und warmen Haut befindet. Das Ei (die Nisse) öffnet sich durch einen Deckel (e) und bleibt noch lange nach dem Schlupf der Nymphe am wachsenden Haar kleben. (Quelle: Jana Bulantová)

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Auftreten von Kopfläusen bei Mädchen ist nicht so sehr die Länge ihrer Haare, sondern vielmehr die Häufigkeit des gegenseitigen Kopfkontakts, wenn sie sich etwas zuflüstern und ihre Köpfe zusammenstecken. Und das regelmäßige Vorkommen von Kopfläusen in Kindergruppen hängt nicht so sehr mit geringerer Immunität und Widerstandsfähigkeit der Kinder zusammen, sondern vielmehr mit dem häufigen Kontakt der Kinder untereinander. Kopfläuse sind jedoch keine reine Kindersache, jeder mit Haaren auf dem Kopf kann sich infizieren. Wegen ihrer geringen Überlebensfähigkeit fern des Wirtskörpers ist es bei Befall ratsam Kleidung, Mützen, Bettwäsche, Stofftiere, Handtücher und andere Gegenstände, in denen sich Läuse befinden könnten, ein bis zwei Tage lang an einem kühlen und trockenen Ort aufzubewahren. Diesen einfachen Eingriff überleben Läuse nicht. Auch die Beseitigung von Läusen im Haar sollte bei Verwendung insektizider Präparate relativ einfach sein. Dennoch ist es in der Regel notwendig, die Anwendung im Abstand von ein bis zwei Wochen zu wiederholen, da die meisten Präparate die nicht geschlüpften Larven in den Nissen nicht abtöten. Wie bei vielen anderen Krankheitserregern und Parasiten bedeuten Resistenzen jedoch eine Komplikation. Epidemische Ausbrüche von Kopfläusen treten immer in Wellen auf, was sowohl mit der Resistenz gegen verwendete Insektizide als auch mit dem Verhalten der Menschen und der Einstellung der Gesellschaft zur Pedikulose, dem Fachbegriff für Kopflausbefall, zusammenhängt. Die Benennung leitet sich von der lateinischen Gattungsbezeichnung für Kopfläuse – Pediculus – ab. Stark vereinfacht kann man sagen, dass die globale Läusepopulation etwa alle zehn Jahre eine fast vollständige Resistenz gegen die häufigsten Insektizide entwickelt, sodass diese wirkungslos werden. Leider bringt die Globalisierung eine mehr oder weniger weltweite Anwendung ähnlicher Präparate mit sich und wenn es zu Resistenzen kommt, sind diese ebenfalls global. Eine der jüngsten europäischen Epidemien, oder besser gesagt globalen Pandemien, von Kinderläusen unterscheidet sich von allen früheren Epidemien in ihrem Ursprung. Die Resistenz der Kopfläuse gegen den Wirkstoff Carbaryl ist zwar noch relativ schwach, aber der neueste Verdacht auf mögliche krebserregende und teratogene Wirkungen von Carbaryl hat dazu geführt, dass das Produkt vorsichtshalber schrittweise vom Markt genommen wurde. In dieser Situation können wir nur auf neue, sichere und wirksame Präparate warten, die die Kopfläuse wieder zuverlässig beseitigen. Die Entwicklung solcher Präparate ist jedoch bei Weitem nicht so einfach, wie es scheinen mag. Denn wir müssen bedenken, dass die Zielgruppe

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Kinder sind. Insektizide Mittel müssen daher absolut sicher sein. Sie dürfen unter anderem keine Rückstände im Körper oder in den Haaren hinterlassen, was bedeutet, dass sie eigentlich keine langfristige Schutzwirkung haben können. Die wäre allerdings wünschenswert, um den Parasiten effektiver zu vernichten. Falls also Insektizide nicht wirken oder wir sie aus diversen Gründen nicht einsetzen wollen, müssen wir die Pedikulose auf altmodische Art bekämpfen. Natürlich wäre ein kurzer Igelschnitt die endgültige Lösung des Problems; auf einem solchen Kopf finden Läuse keine geeigneten Lebensbedingungen vor. Diese Lösung dürfte jedoch bei den meisten infizierten Kindern, insbesondere bei Mädchen, auf wenig Verständnis stoßen. Stehen dann keine Insektizide zur Verfügung, kann man auf verschiedene ölhaltige Präparate zurückgreifen, die zur Erstickung der Läuse führen. Wie die meisten Insektizide tötet auch das Öl keine Nissen ab, sodass das „Ölbad“ wöchentlich ein- oder zweimal wiederholt werden muss. Läuse können auch mechanisch entfernt werden, entweder durch einfaches Herauspicken oder besser mit einem dichten Kamm – dem Läusekamm (Abb. 2.4). Einige Modelle versprechen zwar auch die Beseitigung der Nissen, doch darauf ist kein vollkommener Verlass und daher ist auch bei mechanischer Entfernung der Läuse eine regelmäßige Wiederholung wichtig. Das Haar sollte zwei- bis dreimal pro Woche gekämmt werden, mindestens zwei Wochen lang. Eine weitere Form der Behandlung besteht darin, die Läuse mit einem speziellen Heißluftfön abzutöten. Die hohe Temperatur und die trockene Luft führen zum Hitzetod der Läuse und bei ausreichender Anwendung sterben auch Nissen ab. Bei dieser Methode der Läusebekämpfung ist jedoch Vorsicht geboten, damit die Haut nicht verbrannt oder das Haar nicht ernsthaft beschädigt wird. Keine Behandlung, außer vielleicht dem Haarschnitt, kann jedoch eine Wiederkehr verhindern. Oft funktioniert die Entlausung allein, egal mit welcher Methode, sehr gut, aber schon bald kommt es zur Reinfektion. Das Kind infiziert sich in der Schule, im Kindergarten oder einer anderen Spielgruppe erneut und die Entlausung blieb scheinbar wirkungslos. Um eine wiederholte gegenseitige Übertragung von Läusen zu verhindern, müssen alle Kinder gleichzeitig  entlaust werden, was sich organisatorisch schwierig gestaltet. Daher ist und bleibt der Läusebefall in Kindergruppen ein häufiges Phänomen, wobei die Häufigkeit in Abhängigkeit von verfügbaren Insektiziden und aufkommenden Resistenzen der Läuse periodisch zu- und abnimmt. Da die Laus zu unseren ältesten Gefährten zählt, sollten wir zumindest ein wenig darüber wissen, wie es ihr bei uns ergeht. Die Laus ernährt sich

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Abb. 2.4  Der Läusekamm im Wandel der Zeit. Zur Entfernung von Läusen wurden schon seit jeher neben unterschiedlichen chemischen (Insektizide und Repellents) und physikalischen (Öle, Trocknung usw.). Methoden auch mechanische Verfahren eingesetzt. Das klassische „Läusepicken“ ist auf verschiedenen Gemälden oder Reliefs zu sehen (s. Exkurs Parasiten in der „Kunst“). Die Effizienz der Läusejagd kann jedoch durch die Verwendung speziell geformter, sehr dichter Kämme, der Läusekämme, erheblich gesteigert werden. Heutzutage sind Läusekämme günstig, häufig aus

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mit Metallzinken, und ihre Verwendung (oft in Verbindung mit chemischen Behandlungen) ist rein zweckmäßig, hauptsächlich um kleine Kinder von Läusen zu befreien. Kämme eignen sich vorzüglich zum Auskämmen ausgewachsener Tiere und Nymphen, einige Spezialkämme (mit sehr dichten fein verzweigten Metallzinken o. Ä.) können sogar Nissen entfernen, ihre Wirksamkeit hängt aber immer von der Dichte und vor allem der Haardicke ab. Historisch wurden Läusekämme, oft kleine Kunstwerke, jedoch zum täglichen Kämmen der Haare verwendet, insbesondere bei Erwachsenen. Die Geschichte der Läusekämme reicht bis in die archäologische Periode der Natufian-Kultur im östlichen Mittelmeerraum zurück (Spätpaläolithikum; 13.–10. Jh. v. Chr.). Weitere archäologische Funde stammen aus der altägyptischen Zeit (4.–3. Jh. v. Chr.) und es ist anzunehmen, dass Läusekämme auch schon früher verwendet wurden. Offensichtlich wurde der Läusekamm während der Menschheitsgeschichte mehrfach unabhängig erfunden. Die Kämme waren meist aus Holz, Knochen oder Elfenbein gefertigt und enthielten oft kunstvolle Schnitzereien. Im Mittelalter waren Bilder der höfischen Liebe und biblische Szenen die häufigsten Motive. Abgebildet sind ein historischer knöcherner Läusekamm der Etrusker (a), ein hölzerner Läusekamm der Ureinwohner Sri Lankas (b) und ein moderner Läusekamm aus Plastik und Metall (c, d). (Quelle: a, Wikipedia – Walters Art Museum; b, Iva Kolářová; c, Jana Bulantová; d, Petr Horák)

ihr ganzes Leben lang ausschließlich von menschlichem Blut. Das ausgewachsene Weibchen saugt etwa viermal täglich und verwendet das aufgenommene Eiweiß zur Produktion von Eiern, den Nissen. Im Laufe seines Erwachsenenlebens, das etwa zwei Wochen dauert, legt es etwa 50–60 Eier. Eine am Haar klebende Nisse entwickelt sich ungefähr eine Woche lang. Das geschlüpfte erste Nymphenstadium (die Larve) saugt bereits am Menschen, häutet sich wiederholt und ist in etwa zwei Wochen nach dem Schlupf eine erwachsene Laus. Kopfläuse übertragen glücklicherweise keine Krankheiten und belästigen den Menschen hauptsächlich durch den juckendem Kopf. Kopfläuse sind also mehr ein soziales Problem als ein gesundheitliches. Die letzte menschliche Laus, die wir hier besprechen, die Kleiderlaus (Pediculus humanus, manchmal auch als P. corporis bezeichnet), war dagegen ein gefürchteter Überträger zahlreicher tödlicher Infektionskrankheiten, insbesondere in Kriegszeiten. Wie der Name schon sagt, bleibt sie im Gegensatz zu den beiden vorherigen Arten nicht nur auf dem Körper des Wirts, sondern ist auch in der Kleidung zu finden, wo sie ihre Eier ablegt. Bei befallenen Menschen finden wir sie überall am Körper, insbesondere aber am Oberkörper. In Europa kommt sie nur noch sporadisch vor, gelegentlich in Gefängnissen oder Flüchtlingslagern. Anders als die gewöhnliche Kopflaus oder die seltene Filzlaus ist sie Überträger einer Reihe gefährlicher Erkrankungen. Es ist allgemein bekannt, dass bis zum Zweiten Weltkrieg in den meisten Kriegskonflikten der Großteil der Toten nicht direkten Kriegs-

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verletzungen, sondern verschiedenen Infektionen zum Opfer fiel. Und einige dieser Infektionen wurden von der Kleiderlaus übertragen, die unter Soldaten schon immer weit verbreitet war (s. Kapitel zur Geschichte). Die Kleiderlaus übertrug in der Vergangenheit, und tut es in einigen Gegenden der Welt bis heute noch, vor allem Flecktyphus, der auch als Fleck- oder Läusefieber bezeichnet wird. Verursacher der Krankheit ist das intrazelluläre parasitäre Bakterium Rickettsia prowazekii. Die zweite schwere Erkrankung, die hauptsächlich früher von Kleiderläusen übertragen wurde, ist das Schützengrabenfieber, auch Wolhynisches Fieber oder Fünftagefieber genannt, dessen Erreger auch ein intrazelluläres, parasitäres Bakterium, Bartonella quintana, ist. Beide Krankheiten tragen den Beinamen „Kriegskrankheiten“, denn ihre Überträger, die Kleiderläuse, gedeihen zu Kriegszeiten am besten, wenn es zu erhöhter Dichte an Menschen in Verbindung mit schlechten hygienischen Bedingungen kommt. Wie im Kapitel über die Geschichte erwähnt, wird davon ausgegangen, dass das unter französischen Soldaten wütende Fleckfieber wohl die Hauptursache für Napoleons niederschmetternden Misserfolg im Russlandfeldzug war. Da sich die Krankheit häufig auch in Gefängnissen ausbreitet, die Kleiderläusen gleichermaßen ein geeignetes Umfeld bieten, wird sie auch als Gefängnisfieber bezeichnet. So traten die letzten großen Epidemien von Fleckfieber in Europa in Konzentrationslagern und Gefängnissen auf, wobei sie in Letzteren auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Opfer forderten. Der Name Flecktyphus leitet sich vom griechischen Wort typhos ab, was „rauchig“ oder „nebelig“ bedeutet und mit der für die Krankheit charakteristischen Bewusstseinstrübung  zusammenhängt, und „Fleck“ bezieht sich auf den typischen Ausschlag am Rumpf des Patienten. Die Krankheit kann innerhalb weniger (drei bis vier) Wochen von selbst abklingen, aber insbesondere bei geschwächten Personen führen das plötzliche Fieber, Kopfschmerzen und beschädigte Blutgefäße zusammen mit Wundbrand oft zum Tod. Während des Ersten Weltkriegs grassierte das Fleckfieber vor allem unter Soldaten an der Ostfront. So starben allein in Russland mehr als drei Millionen Menschen und in Polen und den Balkangebieten erreichte die Sterblichkeitsrate unglaubliche 40 %. Auch unter dem Pflegepersonal war Fleckfieber eine der häufigsten Todesursachen. An der Westfront trug die Einrichtung von Entlausungsstationen dazu bei, die gefährliche Krankheit in Schach zu halten. Leider war die Gefahr auch nach Kriegsende noch nicht gebannt und bis 1922 forderte das Fleckfieber weitere etwa drei Millionen Menschenleben.

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Gerade die Zeit des Ersten Weltkriegs ist eng mit der Fleckfieberforschung verbunden. Zu dieser Zeit entdeckte Stanislav Provázek (Stanislaus Josef Mathias von Prowazek, geboren am 12. Januar 1875), ein gebürtiger Tscheche mit österreichischen Wurzeln, den Erreger des Fleckfiebers. Er studierte dieses Bakterium 1913 in Serbien und 1914 in Istanbul. Während weiterer Forschungen in einem deutschen Gefängniskrankenhaus erkrankte Provázek jedoch selbst an Fleckfieber und starb bald darauf (17. Februar 1915). Sein brasilianischer Kollege Henrique da Rocha Lima (1879–1956) schloss jedoch dessen Forschungen über den Erreger und die Übertragung der Krankheit erfolgreich ab und benannte den Erreger zu Ehren seines Freundes Rickettsia prowazekii. Auch die zweite schwere, von Läusen übertragene Krankheit ist eng mit den Schützengräben des Ersten Weltkriegs verbunden. Das Schützengrabenfieber wurde nämlich erstmals während des Ersten Weltkriegs beschrieben. Als Erreger identifizierte man das Bakterium Bartonella quintana, das man ursprünglich Rochalimaea quintana nannte, nach dem brasilianischen Forscher, der den Erreger des Fleckfiebers beschrieben hatte. Im Ersten Weltkrieg erkrankten mehr als eine Million Soldaten beider Fronten an diesem bakteriellen Fieber. Symptome des Schützengrabenfiebers werden mit denen des Flecktyphus verglichen, dem die Krankheit vor allem durch den Ausschlag auf Brust und Bauch stark ähnelt. Das größte Problem bei der Behandlung war das hohe Fieber, das in regelmäßigen Abständen tageoder wochenlang auftritt. Obwohl das Fieber in der Regel nach einiger Zeit von selbst verschwindet, leidet der Organismus der Erkrankten meist an Erschöpfung und in Verbindung mit anderen kriegsbedingten Leiden starben viele der Betroffenen schließlich.

Exkurs: In unserem Bett Die Ausbreitung von Parasiten und Krankheitserregern innerhalb von Wirtspopulationen, auch unter nicht verwandten Individuen, wird als horizontale Übertragung bezeichnet. Wohl der häufigste Übertragungsweg ist die Tröpfcheninfektion, von der Hunderttausende bis Millionen Europäer in Form von Grippe und verschiedener Atemwegserkrankungen jährlich betroffen sind, von denen uns derzeit Covid-19 (hervorgerufen durch das Coronavirus SARS-CoV-2) plagt. Ein weiterer horizontaler Übertragungsweg ist die sexuelle Übertragung. Der Großteil sexuell übertragbarer Parasiten und Pathogene ist hochgradig wirtsspezifisch, das heißt, sie kommen ausschließlich beim Menschen vor

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und ihre Übertragung erfolgt in der Regel, wenn auch nicht ausschließlich, durch intimen Kontakt zwischen Sexualpartnern. Sexuell übertragbare Krankheiten, auch als Geschlechtskrankheiten oder venerische Krankheiten bezeichnet, werden durch eine Reihe von Infektionserregern verursacht, darunter Viren, Bakterien, Pilze, aber auch echte Parasiten. Das derzeit gefährlichste Virus ist das Humane Immundefizienzvirus (HIVirus), das für eine der schlimmsten Pandemien der Neuzeit verantwortlich ist – die AIDS-Erkrankung. Weitere sexuell übertragbare Viren verursachen zum Beispiel Herpes, Hepatitis B oder Genitalwarzen, ausgelöst durch das Humane Papillomavirus (HPV). Unter den Bakterien werden Chlamydia trachomatis, der Erreger von Chlamydieninfektionen, das syphilisverursachende Bakterium Treponema pallidum, und Neisseria gonorrhoeae, der Erreger von Gonorrhö (auch Tripper genannt), allesamt sexuell übertragen. Unter den Pilzerkrankungen, als Mykosen bezeichnet, kann in einigen Fällen der Hefepilz Candida albicans, der Erreger unangenehmer Candidose, sexuell übertragen werden. Unter den sexuell übertragbaren „echten“ Parasiten gibt es Arten, die fast ausschließlich auf sexuellen Kontakt zwischen ihren Wirten angewiesen sind. Beispiele hierfür sind der Einzeller Trichomonas vaginalis oder die Filzlaus (Phthirus pubis). Andere Parasiten wie die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei), der Erreger der Krätze, nutzen diesen Weg nur als eine von vielen Möglichkeiten. Bei anderen Parasiten ist die Übertragung durch sexuellen Kontakt eher eine Sache des Zufalls, wie bei der Amöbe Entamoeba histolytica oder der Lamblie Giardia intestinalis. Während einige Parasiten in erster Linie an unsere „Bettgewohnheiten“ gebunden sind, stehen andere eher in Verbindung mit dem Bett an sich und bekamen sogar nach diesem unersetzbaren Einrichtungsstück ihren Namen, wie es in einigen europäischen Sprachen bei der Bettwanze (Cimex lectularius) der Fall ist. Als überwiegend sexuell übertragbar gelten unter Parasiten vor allem der Einzeller Trichomonas vaginalis und die Filzlaus. Während beide in der Vergangenheit relativ häufig vorkamen, sogar in der europäischen Bevölkerung, werden sie heutzutage immer seltener. Speziell bei den Filzläusen könnte man von regelrechter Gefährdung2 sprechen, die mit der zunehmend beliebten Rasur des Schambereichs und der Achselhöhlen zusammenhängt.

2 Während Nashörner oder seltene Frösche auf Roten Listen gefährdeter Arten geführt werden, bleiben Filzläuse wohl ungeschützt. Bisher sind keine Schutzgebiete oder finanzielle Zuschüsse für potenzielle Züchter in Sicht.

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Die Filzlaus, auch unter dem höchst poetischen französischen Namen papillon d’amour (Schmetterling der Liebe) bekannt, ist eine kleine, aber robust gebaute menschliche Laus mit charakteristischen, starken Krallen. Sie lebt hauptsächlich in der Schambehaarung, selten an anderen Körperstellen, jedoch nie im Kopfhaar. Sie wird in der Regel durch sexuellen Kontakt und nur selten über die Bettwäsche übertragen, da sie ohne ihren Wirt höchstens wenige Tage lang überlebt. Diese Laus ist zwar kein Krankheitsüberträger, ihre Stiche können jedoch blaugraue, linsengroße Flecken auf der Haut hinterlassen. Im Gegensatz zu Kopfläusen reagieren Filzläuse auf alle gängigen Insektizide sehr empfindlich. Trichomonas vaginalis gehört zu den einzelligen Parasiten (Protozoen, genauer Protisten, einzellige Eukaryoten) und nutzt für ihre Fortbewegung vier nach vorne gerichtete Geißeln und eine rückwärtige, die eine kurze undulierende Membran (eine Art Flosse) bildet (Abb. 2.5). Der Parasit in unserem Urogenitalsystem und ruft insbesondere bei Frauen Trichomoniasis hervor. Es handelt sich um eine sexuell übertragbare Krankheit, die in der Regel nicht von selbst ausheilt, aber bei der überwiegenden Mehrheit der Männer und etwa der Hälfte der Frauen symptomfrei (asymptomatisch) verläuft. Eben die asymptomatischen Träger sind für die weitere Ausa

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Abb. 2.5  Wie eine Trichomonade zur Berühmtheit wurde. Die Trichomonade Trichomonas vaginalis (a) ist weiterhin ein weit verbreiteter Parasit im Urogenitalsystem des Menschen, der vor allem in Entwicklungsländern gesundheitliche Komplikationen bei Frauen verursacht. Früher war der Parasit auch in Europa recht häufig, weshalb sich das Interesse beispielsweise auch tschechischer Parasitologen auf ihn richtete. Die grafische Darstellung dieser Trichomonade wurde daher später zum zentralen Motiv des Logos der Tschechischen Parasitologischen Gesellschaft (b). Obwohl die Zahl der Trichomoniasisfälle in den letzten Jahrzehnten stetig zurückgegangen ist und T. vaginalis heute ein relativ seltener Parasit ist, bleibt sein Ehrenplatz in der tschechischen Parasitologie fest etabliert. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Tschechische Parasitologische Gesellschaft, Autorin des Designs ist Eva Nohýnková)

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breitung von Trichomoniasis unter der menschlichen Bevölkerung verantwortlich. Bei einem Teil der infizierten Frauen entwickelt sich eine Entzündung der Vagina und des Gebärmutterhalses, begleitet von Rötungen und schaumigem Ausfluss; die gewöhnliche Mikroflora ist gestört und kann die Vaginalschleimhaut nicht vor Infektionen durch andere Pathogene schützen. Zusätzlich kann akute Trichomoniasis während der Schwangerschaft zu einer Frühgeburt und eine langfristig vernachlässigte Entzündung des Gebärmutterhalses bis hin zu Unfruchtbarkeit führen. Im Rahmen der Behandlung urogenitaler Trichomoniasis müssen auch alle Sexualpartner der Patienten therapiert werden, da sie asymptomatische Überträger sein könnten. Vorbeugung gegen Trichomoniasis funktioniert auf demselben Prinzip wie bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, das heißt durch Verwendung von Kondomen und Beständigkeit sexueller Partner. Urogenitale Trichomoniasis war früher weltweit eine weit verbreitete Erkrankung mit mehreren Millionen Fällen allein in Europa, heutzutage ist die Zahl der Infektionen jedoch stark rückläufig. Gleichermaßen gilt Krätze, von der Krätzmilbe verursacht, in gewissem Maße als sexuell übertragbare Krankheit, obwohl die möglichen Infektionswege deutlich facettenreicher sind als in den beiden obigen Fällen. Meist handelt es sich um engen und langfristigen körperlichen Kontakt zwischen Personen, die Übertragung per Bettwäsche ist jedoch auch nicht auszuschließen. Die Krankheitserscheinungen stehen in Verbindung mit dem Eindringen weiblicher Milben in die Hornschicht der Haut bis zum Übergang zu unteren Hautschichten, wo sie sich hauptsächlich von Gewebe- und Lymphflüssigkeit ernähren. Ihre in die Unterhaut gebohrten Gänge, in denen sie ihre Eier ablegen, können bis zu 5 cm Länge erreichen. Krätzmilben leben 4–6 Wochen, während derer das Weibchen bis zu 50 Eier legt. Nach dem Schlupf reift die neue Generation etwa über zwei Wochen bis zum adulten Tier heran. Männchen wie auch Nymphen und unbefruchtete Weibchen verbringen die meiste Zeit auf der Hautoberfläche. Die Erscheinungsformen von Krätze sind sehr individuell und variieren erheblich zwischen den Betroffenen. Sie äußert sich häufig durch Juckreiz, Rötung der Haut und Pickelbildung oder kleinen, einem Ausschlag ähnelnden Flecken. Diverse Körperteile können betroffen sein, meist mit Ausnahme des Gesichts. Typisch ist die zarte Haut zwischen den Fingern, an den Handgelenken, Ellenbögen, Geschlechtsteilen, dem Bauch, unteren Gesäß und den anliegenden Oberschenkeln betroffen. Zur Behandlung werden Salben verwendet, die geeignete akarizide (milbenabtötende) Substanzen und Schwefel enthalten. Zusätzlich muss verstärke Körperpflege betrieben und Wäsche gewaschen und gebügelt werden: Letztere sollte situations-

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bedingt für mindestens fünf Tage unbenutzt bleiben. Es ist ratsam, alle Personen, die in engem Kontakt mit der infizierten Person stehen, gleichzeitig zu behandeln, auch wenn sie (noch) keine klinischen Symptome aufweisen. Im Gegensatz zur urogenitalen Trichomoniasis oder dem Vorkommen von Filzläusen bleibt die Krätze mit mehreren Tausend Neuerkrankungen jährlich auch hierzulande eine immer noch relativ häufige Erkrankung. Ihr Auftreten sollte daher keinesfalls unterschätzt werden. Der letzte an unsere Betten gebundene Parasit ist die Haus- oder Bettwanze. Ursprünglich lebten diese Wanzen als Ektoparasiten an Fledermäusen, von denen sie höchstwahrscheinlich schon prähistorische Höhlenbewohner übernommen haben. Wahrscheinlich begannen damals einige Populationen dieser Fledermauswanzen damit, sich allmählich auf das Saugen an Menschen zu spezialisieren, sodass wir die heutigen Bettwanzen als wirtsspezifisch für den Menschen bezeichnen könnten, obwohl gelegentliche Rückgriffe auf Fledermäuse nicht auszuschließen sind. Bettwanzen sind sekundär flügellos, in der Regel hellbraun gefärbter, ca. 3–8 mm groß und auffällig abgeflacht, was ihnen ermöglicht, sich in Spalten und engen Orten zu verstecken, beispielsweise in Wand- und Möbelritzen, unter Matratzen, Polstern, Gemälden, Tapeten, Fußleisten u. Ä. In der Umgebung dieser Verstecke und auf der Bettwäsche können dunkelbraune bis schwarze Flecken zu finden sein – Kot mit verdautem Blut. Bettwanzen sind photophob, das heißt, sie verstecken sich tagsüber vor Licht und sind daher nur schwer zu finden. Das Blutsaugen erfolgt gewöhnlich während der Nachtruhe und diese Ernährungsweise nutzen alle Entwicklungsstadien, Nymphen sowie ausgewachsene Tiere. Vor allem adulte Tiere können allerdings äußerst lange hungern, sogar bis zu einem Jahr lang, sodass die Vorstellung, sie würden während unserer Abwesenheit in der Wohnung oder im Haus verhungern, leider ein Irrtum ist. Auch der Kältetod ist keine Option, da sie kurzzeitig Temperaturen von bis zu −18 °C überleben. Im Kampf gegen Bettwanzen spielte die Erfindung und anschließend flächige Anwendung von DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) in den 1940er- und 1950er-Jahren eine entscheidende Rolle. Aufgrund seiner negativen Umweltwirkungen ist DDT heute jedoch in den meisten Gebieten verboten. Während man früher bei Bettwanzenbefall die befallenen Gegenstände begasen musste, können heute zur Beseitigung Kontaktinsektizide eingesetzt werden. Bis in die 1980er-Jahre galten sie in unseren Haushalten als nahezu ausgerottet. In den letzten Jahrzehnten sind Bettwanzen jedoch aufgrund der Resistenz gegen verwendete Insektizide, der Globalisierung und unserer zunehmenden Mobilität wieder auf dem Vor-

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marsch. Ihr Vorkommen ist nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa, keine Seltenheit mehr. Bei Reisen in exotische Länder können wir außerdem auf die tropische Wanze (Cimex hemipterus) treffen, eine Art der warmen tropischen und subtropischen Regionen. Das Vorkommen von Bettwanzen hängt nicht mit Hygienestandards oder der Sauberkeit der Räumlichkeiten selbst zusammen. Bettwanzen können in fast jeder Wohnung oder jedem Haus auftreten, wohin sie entweder durch „Selbsthilfe“ gelangen, zum Beispiel entlang von Steigleitungen, Kabelleitungen und Gemeinschaftsbereichen des Hauses, oder wir schleppen sie mit Möbeln und anderen Gegenständen oder als „Mitfahrer“ in unserem Reisegepäck ein. Keine Ausnahme ist die Einschleppung von Bettwanzen aus Transportmitteln oder von gesellschaftlichen Veranstaltungen. Für die Gründung einer neuen Kolonie reicht ein befruchtetes Weibchen völlig aus. Die Anfälligkeit für Bettwanzenstiche variiert von Mensch zu Mensch stark, während sie der eine kaum spürt, entwickelt der andere an der Einstichstelle juckende Pusteln (Urticaria cimicina) und besonders empfindliche Menschen können am ganzen Körper Ausschlag entwickeln. Zum Glück übertragen Bettwanzen keine Krankheiten auf den Menschen und bleiben daher eher unangenehme Begleiter. Wie die sogenannten Vampirwanzen  Südamerikas (Unterfamilie Triatominae), haben auch unsere Bettwanzen spezielle Substanzen in ihrem Speichel. Diese erlauben ihnen relativ schmerzfreies Blutsaugen, ohne dass Juckreiz auftritt, der den schlafenden Wirt normalerweise darauf aufmerksam machen würde, dass etwas Niederträchtiges im Gange ist.

3 Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer Jan Votýpka und Petr Horák

Zecken auf der Lauer Nur wenige Menschen hegen positive Gefühle gegenüber Zecken. Schon ihr Anblick ist ekelerregend und furchteinflößend. Sie beißen sich an uns fest und wie wir sie auch drehen und wenden, sie lassen einfach nicht los. Darüber hinaus sind Zecken in unseren Breiten auch noch bedeutende Überträger von Infektionskrankheiten. Während es gegen die von Zecken übertragene virale Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) eine wirksame Impfung gibt, stehen wir gegen die bakterielle Lyme-Borreliose bisher ohne wirksamen Impfstoff da. Bei zeitiger Diagnose kann diese Krankheit jedoch erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden. Die Übertragung dieser Krankheitserreger wird von einer Reihe von Aspekten beeinflusst. Während das FSME-Virus in den Speicheldrüsen selbst ungesättigter Zecken vorkommt und daher innerhalb weniger Dutzend Minuten nach Beginn des Blutsaugens in die Haut des Wirts übertragen werden kann, sieht es im Fall von Borrelia burgdorferi, dem Erreger der Borreliose, anders aus. Bei Zecken der Art Ixodes scapularis, den Hauptüberträgern der Lyme-Borreliose in den USA, befinden sich die J. Votýpka (*) · P. Horák  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] P. Horák E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_3

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Borreliosebakterien (Borrelien) im Darm. Erst wenn die Zecke anfängt Blut zu saugen, werden sie freigesetzt, vermehren sich, durchdringen die Darmwand und wandern zu den Speicheldrüsen der Zecke, von wo aus sie den Wirt infizieren können, an dem die Zecke saugt. Dieser Prozess dauert jedoch mindestens 24 h und selbst nach 48 h des Blutsaugens ist die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung mit nur etwa 5 % noch sehr gering. Lange Zeit ging man von einer ähnlichen Situation in Europa aus. Der Übertragungsmechanismus unserer Borrelien (die in Europa übrigens deutlich artenreicher als in Amerika sind) ist jedoch anders und die Bakterien wandern wahrscheinlich gar nicht in die Speicheldrüsen der Zecke. Glücklicherweise gilt aber auch für uns, dass zumindest nach dem ersten Tag des Blutsaugens eine erfolgreiche Übertragung bakterieller Krankheitserreger in unseren Körper höchst unwahrscheinlich ist (Abb. 3.1). Zecken sind keine Insekten, sondern Milben, die zum Beispiel zusammen mit Spinnen zu den Cheliceraten (Kiefernklauenträgern) gehören. Während ihres gesamten Lebens ernähren sie sich ausschließlich vom Blut ihrer Wirte. Diese energie- und eiweißreiche Nahrung ermöglicht es ihnen, den gesamten Entwicklungszyklus von der Larve über die Nymphe bis zum ausgewachsenen Tier zu durchlaufen. Das Blut versorgt die Weibchen wiederum mit genügend Nährstoffen, um mehrere Tausend Eier in einem einzigen Gelege zu legen. Während Zecken in tropischen Gebieten allein durch das Blutsaugen Schäden am Vieh verursachen können, sind diese Milben in Europa vor allem als Überträger menschlicher Krankheitserreger von Bedeutung. Nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Haus- und Wildtieren können Zecken eine Reihe von Pathogenen übertragen, von Viren über Bakterien und Einzeller bis hin zu parasitären Würmern. In die Haut des Wirts werden die Erreger mit dem Speichel der Zecke übertragen. Die Zecke „spuckt” nämlich während des Blutsaugens wiederholt in die Wunde, um die Blutgerinnung und eine Abwehrreaktion an der Bissstelle zu verhindern, die den Wirt auf die Anwesenheit der Zecke aufmerksam machen würde. So enthält der Zeckenspeichel neben gerinnungshemmenden Stoffen auch Substanzen mit entzündungshemmender und immunsuppressiver Wirkung. Zecken, deren bekanntester Vertreter in Mitteleuropa der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) ist, saugen relativ lange am Wirt, bei Weibchen in der Regel bis zu zehn Tage. Während dieser Zeit sind die Zecken verschiedenen Immunreaktionen der Haut des Wirts ausgesetzt. Gerade weil Zecken ihren Wirt so lange ansaugen, mussten sie Mechanismen entwickeln, um die Immunreaktion des Wirts zu unter-

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Abb. 3.1  Eine Zecke auf der Lauer. Der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) ist blind. Er nimmt seine Umgebung jedoch mithilfe verschiedener chemischer Signale wahr. Daher lauern Zecken am häufigsten in der Vegetation, wo sie mit weit ausgestreckten Vorderbeinen (a) warten. An deren Ende befindet sich das hochempfindliche HallerOrgan (c, Pfeil), das selbst für kleinste Unterschiede in der Konzentration von ausgeatmetem Kohlendioxid und anderer Stoffe empfindlich ist, die auf die Anwesenheit eines potenziellen Wirts hinweisen. Hungrige, lauernde Weibchen sind leicht an dem auffälligen, dunklen Schild zu erkennen, der höchstens bis zur Hälfte des Körpers reicht (a), während dieser Schild beim Männchen den gesamten Körper bedeckt. Für das Durchdringen der Haut des Wirts, die Fixierung im Gewebe und das folgende Blutsaugen benutzt die Zecke einen speziell angepassten Rüssel, das Hypostom (d) (im Bild zur Verdeutlichung rot eingefärbt), das mit Reihen umgekehrter Zähne besetzt ist, welche jedoch keine Windungen ausbilden. Daher hat die Richtung des Herausdrehens der Zecke aus der Haut keinen Einfluss auf das Ergebnis unserer Bemühungen. Nach dem Vollsaugen, das ca. zehn Tage dauert, fallen die deutlich vergrößerten Weibchen (b) ab und warten, bis die aufgenommene Nahrung die Produktion Tausender Eier in ihrem Körper ermöglicht. Auf die Eiablage folgt der Tod. (Quelle: a, Jan Erhart; b, David Modrý; c–d, Jana Bulantová)

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drücken oder erfolgreich zu umgehen. Es ist erstaunlich, wie weitreichend die Auswirkungen des Zeckenspeichels auf unser Abwehrsystem sind. Tatsächlich enthält dieser Speichel ein sehr reiches, komplexes und in vielerlei Hinsicht noch unvollständig erforschtes Arsenal verschiedener Moleküle, die die meisten unserer Immunmechanismen unterdrücken können. Dazu gehört beispielsweise die Einschränkung der Fähigkeit spezialisierter Zellen (sog. Phagozyten), Krankheitserreger zu verschlucken, was die Produktion von Killermolekülen wie Sauerstoffradikalen oder Stickoxiden unterbricht. Auf ähnliche Weise unterdrücken andere Bestandteile des Zeckenspeichels die Aktivierung eines Komplements, das als eines der wichtigsten Werkzeuge des Immunsystems zur Verteidigung des Körpers dient und (bildlich gesprochen) wie ein Bohrer die Zellwand und Membran der Eindringlinge durchbohrt. Der Speichel hemmt auch die Produktion verschiedener Kommunikationsmoleküle, die für das synchrone und reibungslose Funktionieren der unterschiedlichen Komponenten des Immunsystems notwendig sind – ganz im Sinne einer grundlegenden militärischen Weisheit: „Ohne Verbindung (d. h. Kommunikation) kein Kommando.“ Zeckenspeichel kann sogar die Aktivität der T- und B-Lymphozyten unterdrücken, also der Zellen, die für die Produktion spezifischer Antikörper zuständig sind, welche zur Entzündung der Einstichstelle oder sogar zur Beschädigung der saugenden Zecke führen könnten. Es ist also mehr als offensichtlich, dass der Zeckenspeichel nicht nur als flüssiges Medium für den Transport des Erregers in die Haut dient. Die Pathogene nutzen dabei insbesondere die entzündungshemmende und immunsuppressive Wirkung, wodurch es zur Einschränkung der Abwehrmechanismen sowohl gegenüber der Zecke als auch der eindringenden Pathogene kommt. So schafft die lokale Wirkung des Speichels in der Haut Voraussetzungen für die Übertragung, Vermehrung und Ausbreitung der Krankheitserreger im Wirtskörper. Dieser Mechanismus wurde in den 1990er-Jahren im Labor von Patricia A. Nuttall in Oxford entdeckt und wird seitdem als „speichelaktivierte Transmission“ bezeichnet. Mehr als 30 Jahre Forschung an den Substanzen im Zeckenspeichel haben zur Entdeckung einer Reihe interessanter Moleküle geführt. Eines davon ist das Eiweißmolekül Salp15, das die Entzündung hemmt und so der Zecke das Saugen erleichtert, während es gleichzeitig die übertragenen Borrelien unbeabsichtigt vor den Auswirkungen der Antikörper und des Komplements des Wirts schützt. Darüber hinaus hat man festgestellt, dass mit Borrelien infizierte Zecken in den Speicheldrüsen

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eine bis zu zehnfach erhöhte Produktion dieses Moleküls aufweisen, das anschließend an die Oberfläche der Bakterien bindet und sie nach der Übertragung mechanisch schützt. Salp15 zeigt uns auch einen Weg zur Entwicklung eines Impfstoffs auf, der die Übertragung jeglicher Krankheitserreger von Zecken auf Menschen und andere Wirte verhindern könnte. Diese blockierenden Impfstoffe beruhen auf der Immunisierung des Wirts gegen diese Helfermoleküle, die so „zum Schweigen“ gebracht werden und vom übertragenen Krankheitserreger nicht mehr genutzt werden können. Der Vorteil solcher Impfstoffe liegt in ihrer Vielseitigkeit. Es würde nämlich nicht gegen einzelne Krankheitserreger geimpft, sondern gegen Substanzen im Zeckenspeichel, die die Übertragung der Erreger auf den Wirt erleichtern. Damit hätte unser Immunsystem eine Waffe in seinem Arsenal, die gegen eine Reihe jeweils nicht miteinander verwandter, zeckenübertragener Krankheitserreger wirksam sein könnte. Ein anderer Ansatz bei der Impfstoffentwicklung basiert auf versteckten Antigenen. Ein Antigen ist der Teil der Erregermoleküle, der die Immunantwort des Wirts durch die Bildung spezifischer Antikörper auslöst. Die Antikörper finden das entsprechende Antigen, binden es nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und markieren es für andere Komponenten des Immunsystems. Versteckte Antigene sind in diesem Fall diejenigen Antigene der Zecke, mit denen der Wirt bei Kontakt mit der Zecke nicht in Berührung kommt, also Antigene, die nicht im Speichel vorhanden sind und daher nicht in den Wirt gelangen können. Dabei kann es sich zum Beispiel um Antigene des Zeckendarms oder anderer Organe handeln. Wenn der Wirt mit diesen Antigenen geimpft wird, entwickelt er spezifische Antikörper, die die Zecke mit dem Blut zusammen aufnimmt. Im Darm der Zecke reagieren dann die aufgenommenen Antikörper mit den Darmzellen (mitsamt den erwähnten versteckten Antigenen), die infolgedessen zerstört werden. Es folgt der Tod der Zecke oder zumindest die Einschränkung ihrer Saugfähigkeit und weiteren Entwicklung. Ein solcher Impfstoff wird schon seit 1994 gegen die Zecke Rhipicephalus (früher Boophilus ) microplus eingesetzt, allerdings nur für tierärztliche Zwecke. Erst kürzlich wurde ein ähnlicher Impfstoff auf Basis versteckter Antigene entwickelt, der den Wirt gegen das Transportmolekül von Eisen in der Zecke immunisiert. Dieser wird derzeit an mehreren Orten auf der Welt getestet und steht hoffentlich bald für den allgemeinen Einsatz zur Verfügung (Abb. 3.2).

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Gegen Salp15 geimpfter Wirt

Ungeprägter Wirt

OspC

1. Salp15 schützt Borrelien vor Zerstörung durch Antikörper. 2. Salp15 hemmt adaptive Immunantwort gegen borrelienund zeckeneigene Antigene.

MΦ 5. 1.

Anti-OspC

Salp15

4.

Borrelia burgdorferi 3. Neutralisierung des immunsuppressiven Effekts von Salp15.

3.

B-Zelle 2.

B-Zelle

T-Zelle

T-Zelle

DC

4. Aufnahme der Komplexe Salp15-antiSalp15 und Salp15-anti-Salp 15-Borrelien durch wirtseigene Phagozyten. 5. Entdeckung ungeschützter Borrelien durch das wirtseigene Immunsystem.

DC TCR MHC II

MHC II TCR Reaktion des Wirts

Abb. 3.2  Zeckenimpfstoff verhindert die Übertragung der Lyme-Borreliose. Das Bakterium Borrelia burgdorferi trägt ein Molekül namens OspC auf seiner Oberfläche, das das zeckeneigene Speichelmolekül Salp15 bindet. Einmal gebunden, fungiert Salp15 als Schutzschild der Borrelien und schützt das Bakterium vor dem Immunsystem des Wirts. Ein gegen das Salp15-Molekül geimpfter Wirt hätte jedoch Antikörper im Blut (Anti-Salp15), die sowohl an freies Salp15 als auch an das an Borrelien gebundene Salp15 binden könnten. Im ersten Fall käme es zu einer Neutralisierung, was bedeutet, dass das Salp15-Molekül funktionsunfähig wäre und die Zecke somit Schwierigkeiten hätte, bequem Blut zu saugen. Höchstwahrscheinlich würde sie bald darauf von ihrem Wirt ablassen, wodurch sich unter anderem die Wahrscheinlichkeit einer Borrelienübertragung auf den Wirt verringern würde. Im zweiten Fall würden die Antikörper den Schutzschild der Borrelien zerstören, sodass die Bakterien bald von patrouillierenden, weißen Blutkörperchen (Phagozyten) verschluckt würden. Ähnlich würde sich auch das dritte Szenario auswirken, bei dem die Antikörper die Bindung des zeckeneigenen Salp15 an das bakterielle OspC verhindern würden. Entwickelt hat dieses Konzept der niederländische Arzt und Wissenschaftler Joppe W. R. Hovius, der sich seit Langem mit der Erforschung von Zecken und zeckenübertragenen Krankheiten befasst. Er gründete auch das The Amsterdam Multidisciplinary Lyme Center, in dem er erfolgreich Forschung und Behandlung an Lyme-Borreliose erkrankter Menschen verbindet. (Quelle: Hovius et al. 2007, geändert)

3  Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer     57

Es hat schon wieder Hummeln im Hintern … oder Madenwürmer Die Redewendung „Hummeln im Hintern“ verweist auf unruhiges, lebhaftes und zappeliges Verhalten und würde mit Madenwürmern statt Hummeln eine reale Grundlage in der Erscheinungsform der Infektion mit Madenwürmern (Enterobius vermicularis) bekommen: Angesteckte Kinder sind abends im Bett unruhig und können nicht einschlafen. Aber beginnen wir von vorne. Der Madenwurm gehört zu den Fadenwürmern und parasitiert mit hoher Wirtsspezifität im Menschen. Das Weibchen erreicht eine Länge von etwa 1 cm, das Männchen ist mit etwa 3 mm deutlich kleiner. Diese Parasiten sind weltweit verbreitet (die genaue Zahl der Infizierten ist schwer zu schätzen, sie liegt sicherlich im dreistelligen Millionenbereich) und es scheinen mehr Fälle in der gemäßigten Zone als in den Tropen und Subtropen aufzutreten. Dieser Wurm ist ein Geohelminth, was bedeutet, dass seine Nachkommen (die vom Weibchen gelegten Eier) in die äußere Umgebung gelangen, wo sie sich weiterentwickeln, ohne für die Entwicklung einen Zwischenwirt zu benötigen. Das Problem ist, dass sich diese Entwicklung sehr schnell vollzieht, sodass auch sehr schnell weitere Personen infiziert werden können. Wie kommt es dazu? Am häufigsten wird ein kleines Kind angesteckt, in dessen Darm (Dickdarm, Blinddarm, Rektum) sich Madenwürmer aufhalten und vermehren (Abb. 3.3). Gewöhnlich werden die befruchteten Weibchen abends, wenn das Kind zu Bett gebracht wird, aktiv und wandern zum Analbereich, an dessen Rand sie ihre Eier ablegen. Diese Bewegung der Weibchen kann von Juckreiz begleitet sein, sodass das Kind unruhig ist, sich am Po kratzt und nicht einschlafen kann. Die abgelegten Eier reifen sehr schnell aus, denn schon nach vier bis sechs Stunden entwickelt sich die infektiöse Larve. Daher können sich schon morgens nach dem Aufwachen bereits Eier in der Umgebung des Kinderzimmers befinden, die zur Infektion weiterer Familienmitglieder führen können. Die Infektion erfolgt durch das Verschlucken infektiöser Eier, und es gibt sicherlich viele Möglichkeiten, wie diese Eier in unseren Mund gelangen können, einschließlich des Schluckens von aufgewirbeltem Staub. Manchmal können selbst die besten Absichten des morgendlichen Decken- und Kissenlüftens am Fenster gefährlich sein; falls in einer solchen Familie jemand mit Madenwürmern infiziert ist, sind auch ahnungslose Passanten ansteckungsgefährdet. So kann sich auch ein Erwachsener, der es mit der Hygiene und Pflege genau nimmt, mit Madenwürmern infizieren. Eine solche Infektion ist keine Schande, doch ist es nötig, die Scham zu überwinden und alsbald den Arzt aufzusuchen.

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3  Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer     59  Abb. 3.3  Der Madenwurm – ein Unruhestifter. Die Infektion mit Madenwürmern (Enterobius vermicularis) gehört zu den häufigsten durch Darmparasiten verursachten Krankheiten des Menschen. Die Infektion erfolgt simpel über den Verzehr eines Eies (a) mit infektiöser Larve, die in unserem Darm freigesetzt wird und sich allmählich zu einem ausgewachsenen Tier entwickelt – dem bis zu 1 cm großen Weibchen (d) oder dem kleineren, hier rot eingefärbten Männchen (e). Die adulten Tiere sind makroskopisch durch ihre Größe und mikroskopisch durch die typische Form des Rachens (f), im Bild mit einem Pfeil markiert, relativ einfach von anderen Parasiten zu unterscheiden. Nach der Paarung überleben die Weibchen im Darm länger als die Männchen. Für die Eiablage wandern sie in den Enddarm und den After, was bei Befallenen zu Juckreiz, Unruhe und Schlaflosigkeit führt. Ob Kinder tatsächlich Madenwürmer haben, lässt sich mithilfe eines durchsichtigen Klebebands überprüfen, das morgens auf die Haut der betreffenden Körperteile geklebt wird. Anschließend wird es auf einen Objektträger (b) gelegt und zur mikroskopischen Untersuchung der Eier (c) ins Labor geschickt. (Quelle: Jana Bulantová)

Sollen wir uns vor einer solchen Infektion fürchten? Madenwürmer gehören zu denjenigen Parasiten, die gut an ihren Wirt angepasst sind und normalerweise keine ernsthaften Probleme verursachen; sie sind auf den Darm ihres Wirts spezialisiert. Obwohl andere Arten von Madenwürmern häufig bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien (und sogar Insekten) vorkommen, bleiben Hunde und Katzen verschont. Daher können diese Haustiere entgegen mancher Gerüchte keine Madenwürmer auf uns übertragen. Im Hinblick auf Komplikationen bei menschlichen Infektionen gibt es wohl nur drei Probleme: Manchmal können Madenwürmer die Darmschleimhaut reizen und eine lokale Entzündung verursachen (z. T. wird ein Zusammenhang mit akuter Blinddarmentzündung vermutet), die Schleimhäute und die Haut der Analregion reizen oder in die Genital- und Harnwege insbesondere junger Frauen eindringen und ebenfalls die Schleimhäute reizen und eine Entzündung verursachen; Entzündungen können auch mit der Kontamination der betroffenen Bereiche mit Darmbakterien zusammenhängen. Und wie sieht es mit der Behandlung aus? Früher konnte man in der Apotheke ein frei verkäufliches Präparat, einen roten, süßen Sirup, erwerben, der bei Kindern große Beliebtheit genoss. Heute ist jedoch ein Besuch in der Arztpraxis erforderlich, bei dem Medikamente, insbesondere mit dem Wirkstoff Benzimidazol, verschrieben werden, die zuverlässig gegen eine Vielzahl von Würmern, einschließlich Madenwürmer, wirken. In der Volksmedizin werden pflanzliche Produkte (Knoblauchaufguss oder Karottensaft) empfohlen, deren Wirkung nicht immer ausreichend und in manchen Fällen sogar zweifelhaft ist.

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Aber Behandlung ist nicht alles! So kommt es vor, dass Eltern in die Arztpraxis kommen und sich über wiederholten Madenwurmbefall ihrer Sprösslinge beklagen, obwohl ihnen schon diverse Medikamente verschrieben wurden. Das Problem besteht dann gelegentlich darin, dass vergessen wurde, Eltern und Kind auf die Notwendigkeit verstärkter Hygiene aufmerksam zu machen: nicht nur persönliche Hygiene (häufiges Händewaschen, verstärkte Hygiene im Analbereich, häufiger Wäschewechsel usw.), sondern auch im Haushalt (Waschen und Bügeln der Bettwäsche, häufiges Staubwischen und Staubsaugen usw.). Ohne solche Vorsichtsmaßnahmen kann sich sogar eine geheilte Person erneut mit Eiern aus der kontaminierten Umgebung infizieren – zusammen mit allen anderen Mitgliedern und Besuchern eines solchen Haushalts. Die Infektion breitet sich vor allem in Kindergruppen (Kindergärten usw.) sehr leicht aus, wo es schwierig ist, einen ausreichenden Hygienestandard aufrechtzuerhalten – mit Madenwurmeiern wird so zum Beispiel Spielzeug kontaminiert, das Kinder beim Spielen in den Mund nehmen. Besucht ein Kind einen Kindergarten, reicht eine einmalige Behandlung in der Regel nicht aus, da es sich leicht wieder bei anderen Kindern anstecken kann. Optimal ist daher neben erneuter Behandlung aller Kinder und des Personals auch die Desinfektion aller Oberflächen, was jedoch fast unmöglich ist, sodass sich Madenwürmer in Einrichtungen für Kinder dauerhaft halten.

Exkurs: Zwischen Feld und Flur Jan Votýpka Vor allem an warmen Sommerabenden reicht ein kurzer Spaziergang und bald spüren wir den Stich eines winzigen blutrünstigen „Vampirs“. Meist handelt es sich um ein kleines blutsaugendes Insekt, obwohl draußen noch viele weitere Kreaturen auf unser Blut warten. Weltweit kennen wir mehr als 3000 Mückenarten und selbst in Mitteleuropa können wir fast 100 finden. Während adulte Stechmücken jedem bekannt sind, leben die weniger bekannten Larven und Puppen in stehenden Gewässern. Obwohl sich die Larven im Wasser aufhalten, atmen sie Sauerstoff aus der Luft, den sie über ein Röhrchen am Ende des Hinterleibs (den Sipho) oder, im Fall der Anopheles-Mücke, über eine Art Platte aufnehmen. Deshalb sind sie so häufig nahe der Wasseroberfläche zu finden.

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Abb. 3.4  Aus dem Leben der Stechmücken. Stechmückenarten (Gattung Aedes ) schlüpfen in der Regel in Überschwemmungsgebieten (a), wenn geeignete Brutstätten durch Schmelzwasser im Frühjahr oder Sommerregen überflutet werden. Im Gegensatz dazu brüten Stechmücken der Gattung Culex (z. B. die an Vögeln parasitierende C. pipiens oder ihre Verwandte, die an Säugetieren und dem Menschen parasitierende C. pipiens var. molestus ) das ganze Jahr über in unterschiedlichsten Wasservorkommen (z. B. Fässern). Die Weibchen legen ihre Eier (b) in Gruppen auf der Wasseroberfläche ab. Die geschlüpften Larven (c) durchlaufen vier in der Größe zunehmende Stadien, von denen sich das letzte Stadium in eine bewegliche Puppe (d) verwandelt, die im Wasser verbleibt und mithilfe von Fortsätzen am Cephalothorax1 (Pfeil) atmet. Aus den Puppen schlüpfen blutsaugende Weibchen (e) und Männchen (f), die sich von Pflanzennektar ernähren und an ihren auffällig behaarten Fühlern und langen haarigen Palpen zu erkennen sind. (Quelle: a, Jan Votýpka; b–f, Jana Bulantová) 1 Der

Cephalothorax ist ein bei Gliederfüßern vorkommender Körperteil, der durch die Verschmelzung des Kopfs mit Brustsegmenten entstanden ist. (Anm. d. Übers.)

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Zwischen Feld und Flur, gemeint sind besiedelte Flächen, treffen wir meist auf Mücken der Gattung Aedes, die sich durch eine kontrastreiche Färbung auszeichnen – einen dunklen Körper mit hellen Streifen. Die Weibchen stechen vor allem Säugetiere, einschließlich des Menschen. Wegen ihrer blutrünstigen Angriffe ist eine der häufigsten mitteleuropäischen Stechmücken, die Rheinschnake (Aedes vexans), auch die bekannteste. Weibliche Aedes-Mücken legen ihre Eier an Stellen ab, die später, beispielsweise bei Regen, mit Wasser geflutet und zu geeigneten Brutstätten werden. Die Überflutung der zukünftigen Brutstätten führt zu synchronem Schlupf der Larven aus den gelegten Eiern und anschließend auch zum synchronen Schlupf ausgewachsener Mücken aus den Puppen. Eben deswegen kommt es in betroffenen Gebieten zu einem plagenhaften, das heißt massenhaften und zeitlich begrenzten Vorkommen der Aedes-Mücken. Die erste Mückenwelle erreicht uns in der Regel im Mai infolge der Schneeschmelze, weitere folgen im Sommer dank starker Sommerregen und anschließender Überschwemmungen. Insbesondere großflächige Überschwemmungen gehen fast immer mit einer anschließenden, plagenhaften Mückenwelle einher, noch „ausgeschmückt“ mit vermehrtem Auftreten übertragener, hauptsächlich viraler Krankheiten (Abb. 3.4). Eine ganz andere Fortpflanzungsstrategie wählt die Gattung Culex, eine weitere häufige Gattung unserer Stechmücken, zu der auch die Gemeine Stechmücke (Culex pipiens) gehört. Die Weibchen dieser Gattung legen ihre Eier direkt auf der Wasseroberfläche ab, wo die Larven durchgängig schlüpfen, sodass es zu keiner synchronen Entwicklung und keiner Mückenwelle kommt. Auf der Suche nach geeigneten Brutstätten verschmähen die Weibchen so gut wie keine Wasseroberfläche und so finden wir ihre Larven auch in unserer unmittelbaren Umgebung – in Regentonnen, vergessenen Wasserschüsseln und sogar Wasserbehältern unserer Innenräume. Die Befürchtung, diese geschlüpften Mücken könnten uns stechen, ist unbegründet, denn anders als im Mittelmeerraum saugen Gemeine Stechmücken in Mitteleuropa meist nur an Vögeln. Die Unterart C. pipiens var. molestus2 saugt im Gegensatz dazu hauptsächlich an Säugetieren, den Menschen nicht ausgeschlossen. Diese Spezies passte sich sogar der menschlichen Gesellschaft an und ist zu einer ausdrücklich synanthropen Spezies geworden, die in menschlichen Behausungen lebt. Die Larven dieser Stechmücke kommen beispielsweise in Wasserlachen in technischen 2 Manchmal werden auch die Artnamen Culex pipiens pipiens und Culex pipiens molestus für die beiden Unterarten verwendet. Die Tiere sind jedoch äußerlich nicht zu unterscheiden. Ihre Unterschiede liegen vor allem im Verhalten und ihrer Bereitschaft, an Menschen zu saugen.

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Kellerräumen, U-Bahn-Schächten und Ähnlichem vor. Unter günstigen Bedingungen vermehren sie sich ganzjährig und können durch Hausanschlüsse in einzelne Wohnungen eindringen und ahnungslose Bewohner stechen, selbst wenn draußen frostige Temperaturen herrschen. Es gibt vielerlei lokale Bezeichnungen für Gnitzen (Gattung Culicoides ), die oft auf andere, vollkommen harmlose Insektengruppen verweisen. Trotz dieser Ähnlichkeit sind weibliche Gnitzen weltweit gefürchtete Plagegeister. Am bekanntesten sind sie wohl in Schottland, wo schwarze, furchterregende Schwärme der biting midges den Aufenthalt im Freien zu bestimmten Jahreszeiten völlig unmöglich machen. Gnitzen gehören zu den kleinsten Vertretern stechender Insekten überhaupt, sodass wir den winzigen Plagegeist leicht übersehen. Das Vorkommen der Gnitzen ist wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Brutstätten und ihrer schlechten Flugfähigkeit mosaikähnlich in der Landschaft verteilt. So können sie in einem Dorf „alte Bekannte“ sein, während sie Menschen wenige Kilometer entfernt vollkommen unbekannt sind. Auf den Menschen übertragen europäische Gnitzen keine Infektionskrankheiten, allerdings können sie kleine Wiederkäuer mit dem Virus der Blauzungenkrankheit (BTV) und neuerdings auch mit dem SchmallenbergVirus infizieren, das bei Rindern, Schafen und Ziegen zu einer Erkrankung führt. Nach wie vor bleiben verschiedene Repellents die wichtigste Waffe zum Schutz vor Gnitzen. Kriebelmücken (Simuliidae) sind winzige, 2–6 mm große Zweiflügler mit dunkler Farbe und einer typisch gewölbten Brust; daher ihr „buckliges“ Aussehen. Ihre Larven entwickeln sich in Fließgewässern, wodurch der Lebensraum adulter Tiere einschränkt wird, die meist in der Nähe von Flüssen, Bächen und Überläufen anzutreffen sind. Im Gegensatz zu Stechmücken und Gnitzen sind weibliche Kriebelmücken überwiegend tagaktiv. Ihre Stiche sind sehr schmerzhaft und führen oft zu starken Hautreaktionen, die unter anderem mit Schwellungen einhergehen. Obwohl sie andernorts als Vektoren einer Reihe von Infektionskrankheiten, darunter der Flussblindheit, fungieren, stellen sie für die Bevölkerung Europas keine Gefahr dar. Bremsen (Tabanidae) sind oft bunt gefärbte Fliegen mit großen, auffallend smaragdgrünen, goldenen oder kupferfarbenen Augen. Die Weibchen greifen ihre Wirte, meist große Säugetiere, tagsüber an und ihr kräftiger Rüssel verursacht sehr schmerzhafte Stiche. Große Bremsenarten (Gattungen Tabanus und Hybomitra ) greifen den Menschen eher selten an und sind auf das Blutsaugen an großen Huftieren spezialisiert. Kleinere Arten (Gattungen Haematopota und Chrysops ) hingegen saugen gerne an

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Menschen und werden im Sommer während Waldspaziergängen oder Aufenthalten am Wasser zu lästigen Plagegeistern. Wie Gnitzen und Kriebelmücken übertragen auch europäischen Bremsenarten in der Regel keine menschlichen Krankheiten. Stechfliegen (Stomoxyidae) unterscheiden sich von allen obigen Gruppen blutsaugender Insekten dadurch, dass beide Geschlechter Blut saugen. Von den drei in Mitteleuropa vorkommenden Arten ist der Wadenstecher (Stomoxys calcitrans) der bekannteste und in Ställen und Scheunen anzutreffen, wo er Haustiere sticht, aber ungeniert auch Menschen angreift. Er ist der Stubenfliege (Musca domestica) sehr ähnlich, hat aber anstelle des stempelförmigen Rüssels ein zum Blutsaugen geeignetes stachelförmiges Mundwerkzeug. Der Stich ist schmerzhaft, doch zum Glück übertragen Stechfliegen keine Krankheiten (Abb. 3.5). Lausfliegen (Hippoboscidae)  –  merkwürdige, flache, blutsaugende Fliegen – sind von der Artenzahl her eine relativ kleine Gruppe und queren unseren Weg nur selten. Ihre Bedeutung als Krankheitsüberträger ist insa

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Abb. 3.5  Fliegen sind nicht gleich Fliegen. Lästigen Stubenfliegen sind allgegenwärtig, krabbeln über Lebensmittel, Tische und Menschen. Aber dort, wo Vieh gehalten wird, stechen sie auch noch schmerzhaft. Auf den ersten Blick scheint es wirklich so, aber in Wirklichkeit handelt es sind um zwei unterschiedliche Fliegen, obwohl sie fast identisch aussehen. Es ist jedoch ihr Rüssel, die sie verrät. Während die Stubenfliege (Musca domestica) (a) leckende, in einem Stempel (Labium) endende Mundwerkzeuge hat, ist der Rüssel des Wadenstechers (Stomoxys calcitrans) (b) in einen langen, scharfen Stachel umgewandelt und die Mundwerkzeuge sind stechend-saugend. (Quelle: Jana Bulantová)

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gesamt relativ gering und auf den Menschen können sie überhaupt keine Krankheiten übertragen. Das Leben der Lausfliegen unterscheidet sich deutlich von dem aller anderen blutsaugenden Zweiflügler und sie können als permanente, dauerhafte Parasiten betrachtet werden, die langfristig an die Körper ihrer Wirte gebunden sind. Ihre Lebensweise ähnelt deshalb eher der von Läusen als der anderer parasitärer Zweiflügler, was sich in ihrem deutschen Namen widerspiegelt. Der Körper der Lausfliege ist stark abgeflacht und die extreme Sklerotisierung macht diese an Vögeln und Säugetieren parasitierenden Fliegen äußerst widerstandsfähig gegen jegliche mechanische Beschädigung. Daher ist es fast unmöglich, sie einfach mit einer Fliegenklatsche zu erschlagen. Einige Arten gehen in der Anpassung an das Leben am Wirtskörper sogar noch weiter. Während Lausfliegen an Vögeln lebenslang ihre Flügel behalten, verlieren einige an Säugern parasitierende Arten ihre Flügel entweder nachdem ein Wirt gefunden wurde (Gattung Lipoptena, Hirschlausfliege), oder sie entwickeln überhaupt keine Flügel und die Übertragung erfolgt durch physischen Kontakt zwischen den Wirten (Schaflausfliegen). Am häufigsten begegnet man Lausfliegen im Sommer und Herbst, wenn die Arten L. cervi und L. fortisetosa Waldspaziergänger anfliegen. Menschen werden nur selten gestochen, doch die scharfen Krallen der Beinchen können ein unangenehmes Zwicken verursachen, wenn sie über unseren Körper laufen (Abb. 3.6). Neben verschiedenen blutsaugenden Fliegen können jedoch auch andere blutrünstige Kreaturen zwischen Feld und Flur lauern. Zecken und die von ihnen übertragenen Krankheiten sind Thema eines eigenen Kapitels, aber nicht nur im Wald oder auf der Wiese, sogar im eigenen Garten kann eine weitere unangenehme Überraschung warten. Es geht um die winzigen Laufmilben, deren Larven parasitisch leben, während die Nymphen und adulten Tiere in der Regel Jäger anderer Bodenlebewesen sind (Abb. 3.7). Die winzigen und für das Auge kaum sichtbaren, blassorangenen Larven beginnen nach dem Ansaugen an den Wirt, in dessen Haut lytische Enzyme freizusetzen. Diese ätzen einen feinen Kanal (Saugröhre) in die Haut, durch den sie Nahrung in Form von lysiertem Gewebe zusammen mit Gewebeflüssigkeit und Blut des Wirts aufsaugen. Am häufigsten kommt die Herbstmilbe (Neotrombicula autumnalis) vor, die bei infizierten Menschen einen Ausschlag, die Stachelbeerkrankheit oder Erntekrätze (Erythema autumnale) verursacht. Wie aus den lokalen und wissenschaftlichen Namen der Herbstmilbe (und sogar der von ihr verursachten Krankheit) hervorgeht, saugt sie während der Spätsommermonate und im frühen warmen Herbst an verschiedenen gleichwarmen Wirten, darunter auch der Mensch. Herbstmilben befallen uns am häufigsten dort, wo die Haut leicht verschwitzt

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Abb. 3.6  Lausfliegen – Laus oder Fliege? In letzter Zeit haben Lausfliegen der Gattung Lipoptena ungeahnte Aufmerksamkeit der Medien erfahren und werden oft fälschlicherweise als fliegende Zecken bezeichnet. Die Hirschlausfliege (Lipoptena cervi) (a) fliegt vor allem im Spätsommer und Herbst Rotwild an und befällt den Menschen eher selten. In jüngerer Vergangenheit ist jedoch die Art Lipoptena fortisetosa (b) immer häufiger in europäischen Wäldern anzutreffen. Diese Art ist etwas kleiner, weist eine geringere Wirtsspezifität auf und ist länger saisonal aktiv. Dieser Art begegnet der Mensch am häufigsten. Mit ihrem relativ feinen Rüssel (b) saugen sie an einer Vielzahl von Wirten und können auch Menschen stechen. Beide Arten verlieren ihre Flügel bald nach der Landung auf einem Wirt. (Quelle: a, David Modrý; b, Jana Bulantová)

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Abb. 3.7  Die Herbstmilbe (Neotrombicula autumnalis). Die wirtsunspezifischen, sechsbeinigen Larven (a) verursachen bei infizierten Menschen die Erntekrätze. Die Kiefer (b) beißen die Haut an und erzeugen mit einer Mischung aus Enzymen und anderen Stoffen einen Saugkanal, durch den sie Nahrung aus tieferen Hautschichten des Wirts saugen. (Quelle: Jana Bulantová)

3  Parasiten der Mitteleuropäer – Zecken und Madenwürmer     67

und aufgeweicht ist, also in den Bereichen eng anliegender Unterwäschebänder, Armbanduhren, aber auch in den Achselhöhlen und Kniekehlen und anderswo. Die zahlreichen Pickel verursachen anhaltenden Juckreiz, der auch nach dem Abfallen (etwa zwei Tage nach dem Anbeißen) oder Entfernen der Larven nicht abklingt. Dessen Ursache sind sowohl die lytischen Enzyme in den Saugkanälen als auch eine übertrieben starke Immunantwort unseres Körpers. Der Juckreiz lässt innerhalb weniger Tage nach, kann bei Allergikern jedoch eine Woche oder länger andauern. Das Vorkommen der Herbstmilben ist für gewöhnlich mosaikartig. Leider ist eine Bekämpfung schwierig und nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, einschließlich unserer Haustiere, leiden unter ihnen.

4 Parasiten der Mitteleuropäer – Toxoplasma Petr Kodym

Toxoplasma – toxisch oder nicht toxisch? Toxoplasma gondii mag in den meisten europäischen Sprachen keinen spezifischen Namen haben, ist jedoch ein wahrlich respektabler Parasit. Obwohl der Name Toxoplasma an etwas Toxisches erinnert, leitet sich der Name des Parasiten tatsächlich von den griechischen Wörtern toxon (τόξον) für „Bogen“  und plasma (πλάσμα) für „Form/Gestalt“ ab und geht auf die gebogene Form von Zwischenstadien des Parasiten zurück. Die Einzigartigkeit und gleichzeitig die Gefahr von Toxoplasma liegen also nicht in seiner vermeintlichen Toxizität, sondern in der Raffinesse seines Lebenszyklus. Dank seiner wechselnden Lebensstadien und vielen anderen raffinierten Tricks gelingt es ihm, das Immunsystem des Wirts leicht zu überwinden. Darüber hinaus kann er eine von anderen Parasiten unübertroffene Anzahl von Zwischenwirten, sogenannten paratenischen Wirten, in seinen Entwicklungszyklus mit einbeziehen, die als Infektionsreservoir dienen. Aufgrund dieser und weiterer Merkmale ist Toxoplasma zum Erreger der häufigsten parasitären Erkrankung des Menschen in Mitteleuropa geworden und man schätzt, dass jeder vierte bis fünfte Europäer mit diesem Einzeller infiziert ist. Außerdem ist dieser Parasit sehr eng mit der Tschechischen P. Kodym (*)  Nationales Referenzlabor für Toxoplasmose, Staatliches Gesundheitsinstitut Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_4

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Republik verbunden und falls ein Lebewesen den Platz im tschechischen Wappen verdient, dann ist es nicht der Löwe, sondern Toxoplasma gondii.

Alles begann in Böhmen – die kurze Geschichte vom Toxoplasmosestudium Zum Ende des Jahres 1921 wurde der elfmonatige Sohn eines Kutschers aus N. in das Prager Kinderkrankenhaus, die Klinik von Prof. Matěj Peština, aufgenommen, da er an einem enorm zunehmenden Hydrozephalus (Wasserkopf ) mit einer deutlichen Vergrößerung des Kopfumfangs litt. Der Augenarzt Prof. Josef Janků war von den ungewöhnlichen Augenbefunden und den vereinzelten, degenerativen Ablagerungen im Bereich der Makula fasziniert. „Allmähliches Aufkommen krampfartiger Zuckungen der Gliedermuskeln, in der Lunge ließen sich leichte Rasselgeräusche vernehmen. Später fehlte dem Kindlein der Appetit, erbricht, 4.III.1922 Exitus.“1 Bei der anschließenden Autopsie wurden massenhaft zystische Gebilde festgestellt, aber erst fünf Jahre später ergab eine eingehende Untersuchung der histologischen Präparate, dass der parasitäre Einzeller Toxoplasma gondii die Ursache für die Entstellung und den Tod des Kindes war. Dieser einzellige Schmarotzer wurde erstmals 1908 in Tunesien von zwei Franzosen, Charles Nicoll und Louis Manceaux, am Gewöhnlichen Gundi (Ctenodactylus gundi), einem Nagetier der Halbwüsten, beschrieben (Abb. 4.1). Der von Prof. Janků in tschechischer Sprache verfasste Artikel „Pathogenese und pathologische Anatomie des sogenannten kongenitalen Koloboms des gelben Flecks im normal großen und mikrophthalmischen Auge mit dem Nachweis von Parasiten in der Netzhaut“, der 1923 in der Zeitschrift tschechischer Ärzte veröffentlicht wurde, ist die erste weltweit anerkannte Beschreibung einer Toxoplasma-Infektion beim Menschen – einer Augeninfektion mit kongenitaler Übertragung, das heißt der Übertragung von der Mutter auf den Fötus. Die erste Beobachtung von T. gondii im Lymphknotengewebe gelang dann der Wiener Pathologin A. Piringer-Kuchinka. Seit diesen bahnbrechenden Entdeckungen ist klar geworden, dass T. gondii kein unbedeutender Parasit exotischer Nagetiere ist, sondern der Erreger einer weltweit verbreiteten und für den Menschen gefährlichen Krankheit – der Toxoplasmose. 1 Quelle: Janků J.: Pathogenesa a patologická anatomie tak zvaného vrozeného kolobomu žluté skvrny v oku normálně velkém a microphtalmickém s nálezem parasitů v sítnici. Čas. Lék. Čes. 1923; 62: 1021–1043. Deutsch: von Übersetzerin übersetzt.

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Abb. 4.1  Gundi und gondii. Einer der häufigsten einzelligen Parasiten des Menschen, Toxoplasma gondii (a), kommt bei fast einem Fünftel der erwachsenen Bevölkerung Europas vor und verursacht selten eine Krankheit namens Toxoplasmose. Der Gattungsname Toxoplasma leitet sich von den griechischen Wörtern für „Bogen“ und „Form/Gestalt“ ab und beschreibt daher sehr gut die bananenähnliche Form der Zoiten (a). Außer am Menschen parasitiert er an fast allen gleichwarmen Wirbeltieren, also Vögeln und Säugetieren. Es ist daher recht merkwürdig, dass die Erstbeschreibung dieses Parasiten von dem relativ seltenen und in seinem Verbreitungsgebiet eingeschränkten (endemischen) Nagetier der Halbwüsten, dem Gewöhnlichen Gundi (Ctenodactylus gundi) (b), stammt, der in Nordafrika, hauptsächlich in Tunesien und den umliegenden Ländern, lebt. Korrekt sollte der Name der Toxoplasma „gundii“ lauten, aber wahrscheinlich durch einen Fehler während der Beschreibung wurde Toxoplasma mit dem etwas verdrehten Artnamen „gondii“ versehen. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Iva Kolářová)

Immer mehr klinische Fälle sowie serologische Diagnosemethoden, die sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzten, zeigten, dass Toxoplasmose die häufigste parasitäre Erkrankung des Menschen in Europa und Nordamerika ist und potenziell schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich zieht. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Erkrankung bei einer überraschend großen Anzahl verschiedener Wirte auftritt. Wie Toxoplasmose jedoch tatsächlich übertragen wird, blieb lange Zeit ein Rätsel. Und so schrieb Prof. Otto Jírovec, der Begründer tschechoslowakischer Parasitologie und ein Pionier der toxoplasmologischen Tradition, noch 1960: „Wie sich der Mensch mit Toxoplasmose infiziert, ist nicht genau bekannt.“2 Als wichtigste Übertragungswege galten damals die orale (Verzehr infizierter Muskeln und Organe angesteckter Tiere), die perkutane 2 Quelle:

Original: Jírovec, Otto: Parasitologie pro lékaře, Praha Avicenum, 1977. Deutsch: Jírovec, Otto: Parasitologie für Ärzte, Jena VEB Gustav Fischer Verlag, 1960.

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(durch Abschürfungen und kleinere Hautwunden), die kongenitale (von der Mutter auf den Fötus) und die inhalative (durch Einatmen) Infektion. Auf eine umfassende Beschreibung des Lebenszyklus mussten die Experten bis 1970 warten, als der Schotte William McPhee Hutchison, der IndoAmerikaner Jitender Prakash Dubey und der Amerikaner Jacob Karl Frenkel entdeckten, dass der Katze die Schlüsselrolle des Endwirts bei der Verbreitung von Toxoplasma zukommt.

Lebenszyklus: Wie, wann und wer wird infiziert? Toxoplasma gondii ist ein Einzeller, der eine Reihe von Regeln bricht, die für andere Parasiten gelten. So hält er sich beispielsweise nicht daran, dass ein Parasit für gewöhnlich wirtsspezifisch ist3, also an einer oder höchstens einigen wenigen eng verwandten Wirtsarten parasitiert und nicht auf andere übertragen wird. Obwohl nur Katzen oder andere Katzenartige Endwirte sind, in denen sich der Parasit sexuell vermehrt, kann der Zwischenwirt von Toxoplasma, zumindest theoretisch, jeder Vogel oder jedes Säugetier und somit auch der Mensch sein. Im Gewebe des Zwischenwirts bilden sich sogenannte Gewebezysten und in jeder solchen Zyste ruhen Hunderte bis Zehntausende geduldig wartende, einzellige Toxoplasma-Stadien, die Bradyzoiten, die im Zwischenwirt bis zu seinem Tod überleben. Wird der Wirt jedoch von einem anderen gleichwarmen Tier verzehrt, setzen dessen Magensäfte, gegen die die Bradyzoiten resistent sind, die Toxoplasmen aus den Zysten frei, sodass sie die Darmwand des neuen Zwischenwirts durchdringen und sich schließlich wieder als Gewebezysten ansiedeln können. Wird der infizierte Zwischenwirt oder sein Gewebe jedoch von einer Katze (in unserem Fall einer Hauskatze) gefressen, erfolgt in ihrem Darm die sexuelle Vermehrung des Parasiten, deren Ergebnis resistente Oozysten sind, die mit dem Katzenkot ausgeschieden werden. In jeder Oozyste sind acht Sporozoiten eingepasst, die sowohl Zwischenwirte (Vögel oder Säugetiere) als auch den Endwirt (die Katze) infizieren können. Die massive Kontamination der äußeren Umwelt mit Oozysten und die Zirkulation von Bradyzoiten in Populationen verschiedener Zwischenwirte garantieren, dass eine Toxoplasma-Infektion früher oder später fast jede Katze ereilt und die glückliche Zukunft des Parasiten ist gesichert. Eben deshalb ist Toxoplasmose eine weit verbreitete Parasitose. 3 Es ist jedoch anzumerken, dass sich auch bei einigen anderen Parasiten die Wirtsspezifität bzgl. des Zwischenwirts deutlich von der Wirtsspezifität hinsichtlich des Endwirts unterscheidet.

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Auch der Mensch ist ein Zwischenwirt von Toxoplasma gondii, allerdings ist die Chance, von einer Katze gefressen zu werden, unter unseren Bedingungen minimal. Und so ist die Infektion des Menschen für Toxoplasma eine Sackgasse ohne Aussicht auf ein Happy End im Sexualleben. Der Mensch kann sich im Prinzip auf vier verschiedenen Wegen mit dem Parasiten Toxoplasma gondii infizieren (Abb. 4.2). Der erste Weg ist die

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Abb. 4.2  Lebenszyklus des Einzellers Toxoplasma gondii. Die Katze (der Endwirt) scheidet mit ihrem Kot unausgereifte Oozysten (1) in die Umwelt aus, die innerhalb weniger Dutzend Stunden sporulieren (2) und für eine Vielzahl wild lebender (3) und domestizierter (4), gleichwarmer Wirbeltiere, einschließlich des Menschen (5), infektiös werden. In diesen Zwischenwirten bildet der Parasit anschließend an verschiedenen Stellen Gewebezysten (z. B. im Nervensystem oder in der Muskulatur), die nach dem Verzehr eine Infektionsquelle für andere Zwischenwirte oder den Endwirt, also die Katze (6), darstellen können. Der Mensch kann sich sowohl durch sporulierte Oozysten aus der Umwelt als auch durch rohes Fleisch infizierter Zwischenwirte infizieren (7). Am gefährlichsten ist Toxoplasmose während der Schwangerschaft, wenn die Parasiten die Plazenta passieren und den Fötus schädigen können (8). (Quelle: Jana Bulantová)

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Infektion durch Oozysten aus Katzenkot. Paradoxerweise gilt die Katzenhaltung jedoch nicht als Risikofaktor, denn die Ansteckung bei der eigenen Katze wäre besonders großes Pech. Tatsächlich scheidet eine Katze in der Regel nur einmal in ihrem Leben Oozysten aus, und dann auch nur für zwei Tage bis drei Wochen. Danach erwirbt sie eine dauerhafte Resistenz gegen weitere Infektionen. Außerdem reifen die Oozysten nach der Ausscheidung zunächst an der Luft und werden erst nach ein bis fünf Tagen infektiös. So lange lagern nur wenige den Katzenkot zuhause. Außerdem hat ein Stubentiger, der ausschließlich kommerzielles oder wärmebehandeltes Futter bekommt, keine Chance sich anzustecken. Ein vergleichsweise wesentlich höheres Infektionsrisiko stellen Katzen dar, die durch Gärten und Parks streifen und Mäuse und andere potenziell infizierte Zwischenwirte erbeuten. Die meisten dieser Katzen infizieren sich und erkranken oft schon als abgestillte Katzenjunge an Toxoplasmose. Im Verlauf der Krankheit scheiden sie Dutzende bis Hunderte Millionen Oozysten aus, die widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse sind und ihre Infektiosität auch nach vielen Monaten und oft sogar einem ganzen Jahr nicht verlieren. Katzen sind säuberlich und vergraben ihren Kot gerne in aufgelockerter Erde von Gemüsebeeten oder in Sandkästen. Die Oozysten, widerstandsfähig gegen gängige Desinfektionsmittel, können dann an Händen oder angebautem Gemüse anhaften, weshalb gründliches Waschen, insbesondere von Wurzelgemüse, besonders wichtig ist. Und in der Umwelt sind es nicht wenige Oozysten: Beispielsweise wurden in den USA durchschnittlich 20 Oozysten pro Quadratmeter gefunden, in Frankreich waren 10 % der Bodenproben aus Krankenhausumfeld mit Oozysten kontaminiert. Und es ist nicht schwer, sich bei der Gartenarbeit zu infizieren – etwa 10 mg Erde, die mehrere Dutzend Oozysten enthalten können, bleiben unter den Nägeln hängen und manchmal reicht zur Ansteckung schon eine einzige Oozyste aus. Ein Mensch ohne Katze im Haus oder seiner Umgebung kann so zu Toxoplasmose kommen, ohne zu wissen wie. Wenn Katzenkot mit Oozysten ins Trinkwasser (in Europa nicht üblich) oder in Lebensmittel gelangt, kann dies lokale Epidemien auslösen. Gleichwohl können wir uns durch den Verzehr von Fleischprodukten, die Gewebezysten enthalten, infizieren (Abb. 4.3). Während Katzen am häufigsten durch Mäuse infiziert werden, sind Kaninchen- und Hammelfleisch für uns am risikoreichsten, Schweinefleisch und Geflügel weniger und fast risikofrei ist Rindfleisch. Ausschlaggebend kann die Art der Tierhaltung sein. Kleine Betriebe mit Zugang für Katzen und Nagetiere sind besonders gefährdet, während Tiere aus geschlossenen Großbetrieben mit künstlicher Ernährung in der Regel frei von Toxoplasmose sind. Gründ-

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Abb. 4.3  Toxoplasma gondii im Endwirt und im Zwischenwirt. Der parasitäre Einzeller Toxoplasma ist in seinem Lebenszyklus obligat zweiwirtig. Im Verdauungssystem des Endwirts, ausschließlich Katzen oder Katzenartige, findet die sexuelle Vermehrung statt. Dieser Prozess gipfelt in der Bildung resistenter Stadien, den Oozysten (a), die zwei Sporozysten mit jeweils vier Sporozoiten tragen und die mit dem Kot der Katze in die Umwelt ausgeschieden werden. Die ungeschlechtliche Vermehrung findet dagegen in einer Vielzahl möglicher Zwischenwirte statt, zu denen unterschiedlichste Vögel und Säugetiere gehören. Zunächst entwickeln sich frei bewegliche, sich schnell vermehrende Tachyzoiten, anschließend entstehen sich langsam vermehrende Bradyzoiten, die sich in Gewebezysten (b) verstecken. Die Gewebezysten kommen in verschiedenen Geweben vor: von Muskeln über die Leber bis zum Gehirn des Zwischenwirts. (Quelle: Břetislav Koudela)

liches Braten oder Kochen des Fleischs mit einer Kerntemperatur von mindestens 66 °C tötet Toxoplasma in Gewebezysten zuverlässig ab, ebenso wie das Tiefgefrieren unter −12 °C. Ein weiteres Risiko bedeutet die Kreuzkontamination von ungekochten Lebensmitteln (z. B. Gemüse und Obst) mit Küchengeräten, die zum Schneiden von rohem Fleisch verwendet wurden. Ein besonderes Risiko stellt die Verkostung roher Fleischware dar. Gewebezysten können auch bei Organtransplantationen von latent infizierten Spendern übertragen werden. In Fällen, in denen das Immunsystem des Empfängers künstlich geschwächt wurde, um die Chancen auf eine erfolgreiche Aufnahme des Transplantats zu erhöhen, kann anschließende Toxoplasmose zu einer ernsten Komplikation werden. Der letzte, vierte Infektionsweg ist die kongenitale Übertragung, bei der Toxoplasma über die Plazenta von der Mutter auf den Fötus übergeht, der durch Toxoplasmose schwer geschädigt werden kann. Zu dieser Übertragung kommt es jedoch nur bei einer Infektion der Frau während der Schwangerschaft. Falls sich die Mutter schon vor der Schwangerschaft mit Toxoplasma infiziert hat, ist der Parasit bereits unter Kontrolle des Immunsystems und es kommt zu keiner Übertragung auf den Fötus.

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Andere Übertragungswege sind noch sehr umstritten. In einigen Studien wurden Übertragungen von Tachyzoiten durch Hautabschürfungen, Muttermilch oder sogar Sperma vermutet. Tachyzoiten sind jedoch im Gegensatz zu Bradyzoiten der Gewebezysten oder Sporozoiten der Oozysten nicht darauf vorbereitet, die Härten der äußeren Umwelt zu ertragen und können sich auch der Wirkung von Magensäften nicht widersetzen, sodass sich ihre Rolle bei der Übertragung wahrscheinlich auf die bereits erwähnte kongenitale Übertragung beschränkt. Es ist fast unmöglich, den häufigsten der beschriebenen Infektionswege beim Menschen zuverlässig zu bestimmen. Nur wenige wissen, wie und wann sie sich infiziert haben, und Antworten in unterschiedlichen Fragebögen spiegeln eher die Vorstellung der Betroffenen wider als die Realität. Wenn wir Parasitologen einer Person, die in engem Kontakt mit Katzen lebt, ein negatives Testergebnis mitteilen, beobachten wir manchmal Enttäuschung und sogar Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses. Selbst der langjährige Leiter des tschechischen Nationalen Referenzlabors für Toxoplasmose (NRL TOXO), PhMr. Milan Zástěra, blieb bis zu seiner Pensionierung Spender völlig negativen Serums, obwohl er fast täglich eigenhändig mit unterschiedlichen Stämmen von Toxoplasma gondii arbeitete. Bedingungen und Wege der Übertragung variieren zwischen verschiedenen Teilen der Welt. In Mitteleuropa dürfte jedoch die Infektion durch Oozysten aus kontaminierter Umgebung die wichtigste Rolle spielen. Die Ansteckung scheint oft schon in sehr frühem Kindesalter zu erfolgen. Viele Tests zeigen, dass etwa 10–15 % der Jungen und Mädchen unter vier Jahren bereits mit Toxoplasmen infiziert sind. Dies ist ein scheinbar überraschendes Ergebnis, alle Eltern wissen jedoch, dass Kinder bestimmten Alters eine explorative, erkundende Lebensphase durchlaufen. Die noch unbekannte Welt wollen sie mit allen Sinnen entdecken. Sie kriechen über den Boden wie eine Landefähre über die Mondoberfläche und jeder Gegenstand wird untersucht, befühlt, beschnuppert und in den Mund genommen. Und wohl kein Terrain ist interessanter als ein Sandkasten. Es ist gut möglich, dass die meisten von uns, die Toxoplasmen in ihrem Körper beherbergen, auf ähnliche Weise zu ihnen gekommen sind. Wie zahlreich sind die Infizierten denn? Es kommt darauf an, wo man sie zählt. In Europa steigt die Prävalenz (d. h. der Anteil der infizierten Bevölkerung) von Norden (Norwegen: 7 %) nach Süden (Frankreich: 50 %; die früher angegebenen 80 % gelten für dieses Land reicher kulinarischer Traditionen nicht mehr). Auch die Besiedlung spielt eine wichtige Rolle – ländliche Gebiete weisen im Durchschnitt eine höhere Prävalenz auf

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als städtische Gebiete. Weiter ist das Alter der Betroffenen wichtig, da die Infektion kumulativ verläuft. So beträgt der jährliche Anstieg der Prävalenz in Deutschland fast 1 %, sodass sie unter Jugendlichen bei etwas mehr als 10 % liegt, während unter den 70-Jährigen fast 70 % infiziert sind. Das Zusammenwirken unterschiedlichster lokaler Umweltfaktoren und Gewohnheiten der Einwohner beeinflusst das Auftreten oder Verschwinden lokaler Infektionsausbrüche. Infolgedessen variiert die Prävalenz von Ort zu Ort, von Bezirk zu Bezirk, von Kreis zu Kreis und von Land zu Land erheblich. Ein gutes Beispiel dafür, wie trügerisch die Ermittlung einheitlicher nationaler Zahlen der Toxoplasmoseprävalenz sein kann, zeigt ein Vergleich die einzelnen Bundesländer: Die Seroprävalenz steigt von Westen (Nordrhein-Westfalen: 39 %) nach Osten (Sachsen: 77 %), und noch ausgeprägter ist der Trend bei der Anzahl klinischer Toxoplasmosefälle pro 1 Mio. Einwohner über 17 Jahre, die in Bayern fast fünfmal niedriger ist als in Berlin und Brandenburg. Der Grund dafür soll der erhöhte Verzehr roher Schweinefleischspezialitäten wie Rohwurst oder Mettwurst im Osten sein – na ja, wer weiß? Heutzutage scheint Toxoplasmose beim Menschen in vielen europäischen Ländern jedenfalls rückläufig zu sein. Veränderungen in der Lebens- und Ernährungsweise der Menschen könnten eine Rolle gespielt haben, insbesondere der Wechsel von der Nutztierhaltung zu Haustieren, die keine Chance haben, sich in den Entwicklungszyklen des Parasiten einzugliedern. Die Viehzucht hat sich in Großbetriebe mit hohen Hygienestandards verlagert. Selbst moderne Trends wie der ökologische Biolandbau oder das Niedrigtemperaturgaren von Fleisch, die die Verbreitung der Toxoplasmose theoretisch begünstigen könnten, haben den Rückgang der Toxoplasmosefälle beim Menschen nicht umgekehrt. Die große Zahl streunender Katzen in unserer Umgebung garantiert jedoch, dass Toxoplasmose nicht ohne Weiteres aus unserer Umwelt verschwinden wird.

Toxoplasmose als Krankheit Was passiert, wenn man sich mit T. gondii infiziert? Kurz gesagt, meistens nichts. Nach einer ein- bis zweiwöchigen Inkubationszeit können manchmal eher unauffällige Symptome auftreten, die an eine leichte Angina oder infektiöse Mononukleose erinnern. Die allermeisten Infizierten nehmen sie entweder gar nicht wahr oder schenken ihnen keine Beachtung. Dass sie sich infiziert haben, finden sie in der Regel nie heraus.

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Es scheint so, als sei Toxoplasmose, da sie nichts tut, eine völlig harmlose Infektion. Bei einem kleinen Teil der Infizierten (einer groben Schätzung auf Grundlage sehr ungenauer Zahlen zufolge etwa 1 %) kann sie jedoch schwerwiegende Folgen haben. Und angesichts der hohen Anzahl an Infizierten entspricht selbst dieses eine Prozent Tausenden von Patienten. Über die Schwere des Krankheitsverlaufs entscheiden mehrere Faktoren vonseiten des Parasiten und auch des Wirts. Auch die Größe der infektiösen Dosis oder der jeweilige Stamm von T. gondii, mit dem sich die Person infiziert hat, spielen eine Rolle. In Europa ist die Vielfalt an Stämmen relativ gering. Überwiegend kommt der Genotyp II vor und ist sowohl für asymptomatische als auch für die schwersten Fälle verantwortlich. Nur gelegentlich treten die Genotypen I und III auf. Im Gegensatz dazu ist die Heterogenität an Stämmen in Französisch-Guayana, Kolumbien oder Brasilien viel größer. Der europäische Genotyp II ist dort nicht vertreten, dafür gibt es eine Reihe neuer Isolate, die keinem der bestehenden grundlegenden Genotypen zuzuordnen sind. Im Gegensatz zur weitgehend gutartigen, mehr oder weniger harmlosen euro-amerikanischen Infektion sind in diesen Gebieten Fälle von disseminierter Toxoplasmose mit lebensbedrohlichen Lungenentzündungen häufig, die eine Aufnahme auf der Intensivstation erfordern. Aber auch in Europa dürfen wir uns nicht in völliger Sicherheit wiegen: Eine Überraschung bescherten einige sehr dramatische Fälle in Frankreich, die durch lateinamerikanische Stämme verursacht wurden. Da die betroffenen Patienten nie in exotische Länder gereist waren, konnte die Infektionsquelle erst nach aufwendiger Detektivarbeit gefunden werden – rohes Pferdefleisch südamerikanischer Herkunft, in einem französischen Supermarkt gekauft. Sieh an, die Globalisierung … Wie unser Immunsystem den Parasiten überwindet, ist sehr wichtig für den Verlauf der Krankheit selbst. Unsere Immunität wird weitgehend genetisch beeinflusst und unterschiedliche menschliche Populationen können unterschiedlich resistent gegenüber demselben Parasiten sein. Außerdem entwickelt sich die Immunität mit dem Alter und Männer sind beispielsweise etwas resistenter gegen Toxoplasmose als Frauen. Zudem unterliegen einige immunologische Parameter in Abhängigkeit vom aktuellen gesundheitlichen und psychologischen Zustand des Einzelnen erheblichen kurzfristigen Schwankungen. Der Krankheitsverlauf ist offensichtlich das Ergebnis zahlreicher Faktoren, einschließlich der Virulenz des parasitären Stamms und der Resistenz des Wirts zum Zeitpunkt der Infektion. Das größte Risiko stellt Toxoplasmose für immungeschwächte Personen, Schwangere, deren Föten und Neugeborene dar.

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Toxoplasmose verläuft in zwei Phasen, die wie zwei völlig unterschiedliche Infektionen anmuten. Während der akuten Phase, die kurz nach der Ansteckung ausbricht, sind die sich schnell vermehrenden Tachyzoiten das vorherrschende Stadium. Eine spezifische Immunreaktion zu ihrer Unterdrückung ist im Körper noch nicht etabliert, sodass ihrer Vermehrung nichts im Wege steht. Toxoplasmen sind intrazelluläre Parasiten und die Immunzellen, die die Eindringlinge eigentlich verschlingen und zerstören sollten, werden von den Eindringlingen als Taxi durch die Blut- und Lymphbahnen genutzt, weshalb sie mit der Zeit in das Gewebe praktisch aller Organe eindringen. Bei schwangeren Frauen können sie sogar die Plazenta passieren und in den Fötus gelangen. Während der akuten Phase von Toxoplasmose können mehr oder weniger schwerwiegende klinische Symptome auftreten. Typisch ist die Lymphadenopathie – eine Vergrößerung der Lymphknoten, vor allem im Kopf- und Halsbereich, um mehrere Zentimeter. Erhöhte Temperatur, Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie deutliche Müdigkeit sind ebenfalls typisch. Diese Beschwerden können mehrere Wochen oder Monate andauern und verschwinden dann in der Regel von selbst. Das menschliche Immunsystem kann, vielleicht dank des jahrtausendelangen Kontakts mit dem Parasiten, für gewöhnlich erfolgreich mit den eindringenden Tachyzoiten fertig werden. Bereits in der zweiten Woche nach der Infektion beginnen sich die entsprechenden Antikörper zu bilden, die zelluläre Immunantwort, die bei intrazellulären Infektionen eine entscheidende Rolle spielt, ist bereits im Gange. Als Reaktion auf die Toxoplasmen lösen Zellen des Immunsystems die Produktion einer Reihe von Substanzen aus, die im Zusammenspiel die Komponenten der Immunantwort stimulieren und koordinieren. Makrophagen werden aktiviert und sind in diesem Zustand in der Lage, Toxoplasmen zu verschlingen und zu zerstören. In den parasitierten Geweben kommt es zu einer starken Entzündungsreaktion. Tachyzoiten sind zwar aggressiv und aktiv, haben jedoch eine Achillesferse – sie halten nicht viel aus. Die meisten überleben den zunehmenden Druck des Immunsystems nicht. Aber Toxoplasma ist auf diese Wendung vorbereitet. Der Parasit reagiert mit seiner eigenen Wandlung: Die empfindlichen Tachyzoiten verwandeln sich in resistente Bradyzoiten. Diese bilden Gewebezysten um sich herum, in denen sie sich weiter vermehren und ihre Lebensfähigkeit bis zum Lebensende des Wirts behalten. In den Zysten sind sie perfekt versteckt und durch eine dicke Membran geschützt, die zur Verwirrung des Immunsystems sogar durch Moleküle des Wirts getarnt ist. Daher ist unser Immunsystem unsicher, ob dieses Gebilde (also die Gewebezyste) körpereigen oder körperfremd ist, und zieht es vor, nicht anzugreifen. Bradyzoiten in Gewebezysten werden daher nicht durch die Immunantwort des Wirts zer-

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stört. Leider gibt es bisher auch kein Medikament mit dieser Fähigkeit. Die Aufgabe der Bradyzoiten besteht nicht darin, durch das Gewebe zu kriechen und die eigene Zerstörung zu riskieren, sondern auszuharren und zu warten, bis die Zeit reif ist und der Lebenszyklus im Darm einer Katze vollendet werden kann. Bradyzoiten verursachen daher keine schädlichen Veränderungen und im Umfeld der Gewebezysten bleiben Entzündungsreaktionen aus. Falls klinische Symptome aufgetreten sind, verschwinden sie allmählich und die Toxoplasmose geht in eine latente, ruhige und asymptomatische Phase über. Es handelt sich um eine Art Grabenkrieg, bei dem unser Immunsystem den Parasiten daran hindert, sich zu vermehren und uns zu schaden, wir ihn aber gleichzeitig nicht loswerden können. In der Regel ahnt der Mensch nicht einmal, dass er in seinem Gehirn und Herz, seinen Muskeln, seiner Leber oder anderen Organen Toxoplasmen beherbergt. Dies kann nur durch immunologische Tests nachgewiesen werden. Jede infizierte Person, unabhängig davon, ob die Krankheit ausgebrochen ist oder ohne klinische Symptome verläuft, entwickelt spezifische Antikörper gegen den Parasiten. Und genau diese Antikörper können wir mit speziellen Tests im Blut der Person entdecken und so eine Infektion nachweisen. Die schützende Immunität gegen die akute Toxoplasmosephase wirkt zwar lebenslang, genauso wie die Infektion es ist. Nur in den sehr seltenen Fällen, wenn die Abwehrkräfte der infizierten Person dramatisch geschwächt sind (z. B. infolge einer HIV- oder einer anderen viralen Infektion oder infolge einer drastischen Immunsuppression zwecks Transplantation oder anderer therapeutischer Verfahren), gerät dieses Gleichgewicht ins Wanken. Das Immunsystem kann die Toxoplasmen nicht mehr daran hindern, ihre Gewebezysten zu verlassen, Bradyzoiten verwandeln sich wieder in schnell reproduzierende Tachyzoiten und es kommt zur Reaktivierung der Toxoplasmose. Diese äußert sich am häufigsten als zerebrale und seltener als pulmonale Form. Der Verlauf ist sehr schwer und führt ohne Behandlung oft zum Tod des Patienten. Allerdings sind die Tachyzoiten nicht mehr in ihren Zysten geschützt und reagieren daher empfindlich auf Medikamente. Paradoxerweise kann diese bösartigste Form von Toxoplasmose daher im Gegensatz zu allen anderen Formen recht erfolgreich geheilt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Toxoplasmose in der Regel keine sichtbaren gesundheitlichen Probleme verursacht, mit Ausnahme der folgenden vier klinischen Formen. Nur in diesen vier Fällen können wir die Toxoplasma-Infektion als Krankheit betrachten. 1) Außerordentlich schwere akute Toxoplasmose mit ungewöhnlich schweren und lang anhaltenden Symptomen. 2) Kongenitale Toxoplasmose, wenn sich die Mutter während ihrer Schwangerschaft infiziert und die Infektion auf

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das Kind übertragen wird. 3) Reaktivierte Toxoplasmose bei immunsupprimierten Personen oder bei Personen nach einer Organtransplantation. 4) Okuläre Toxoplasmose, die zu irreversiblen Schäden der Netzhaut führt (Verlust des Sehvermögens an Stellen der Läsion). Lage und Größe der Läsionen bestimmen, wie der Patient sehen wird; unter hiesigen Bedingungen sind Fälle von schwerer Sehbehinderung oder völliger Blindheit glücklicherweise nicht häufig (im Gegensatz zu einigen Gebieten Südamerikas). Da diese klinische Form der Toxoplasmose von Bradyzoiten ausgeht, die sich in der Netzhaut ansiedeln und dort reaktiviert werden, ist die Behandlung problematisch.

Österreichische Fortsetzung Wie wir bereits wissen, kann die gefährlichste Form der Toxoplasmose – die kongenitale Form – nur ausbrechen, wenn die werdende Mutter sich während der Schwangerschaft infiziert. Es kommt jedoch sehr darauf an, in welcher Phase der Schwangerschaft dies geschieht. Bei einer Infektion im ersten Trimester liegt die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den Fötus nur bei 5–15 %. Kommt es jedoch zu einer frühen Infektion des Ungeborenen, besteht die Gefahr schwerer Schäden am zentralen Nervensystem (z. B. Hydrozephalus, Meningoenzephalitis usw.). Die Schäden können so schwerwiegend sein, dass der Fötus nicht überlebt und die Schwangerschaft vorzeitig durch eine Fehlgeburt endet. Infiziert sich die Frau hingegen erst im dritten Trimester, kann die Wahrscheinlichkeit einer plazentaren Übertragung stark erhöht sein, die Symptome sind in der Regel jedoch leicht oder gar nicht bemerkbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kinder nicht Monate oder Jahre später beispielsweise eine okuläre Form der Toxoplasmose oder neuromotorische oder kognitive Beeinträchtigungen entwickeln. Allerdings denkt das ärztliche Personal aber kaum noch an einen Zusammenhang mit einer kongenitalen Infektion. Daher ist offensichtlich, dass das rechtzeitige Erkennen einer kongenitalen Toxoplasmose wirklich problematisch ist, weshalb die meisten Fälle unentdeckt bleiben. So werden in Deutschland, wo kein Screening durchgeführt wird (s. unten), geschätzt auf der Grundlage statistischer Modelle, mehr als 300 Neugeborene pro Jahr mit kongenitaler Toxoplasmose geboren, aber nur wenige davon diagnostiziert. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts bestand die einzige Möglichkeit zur Vorbeugung einer möglichen kongenitalen Toxoplasmose darin, bei der infizierten Schwangeren einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen. Glücklicherweise wurden die

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Untersuchungen nicht sehr häufig durchgeführt, denn bei einer hohen Seroprävalenz hätte dieses Vorgehen eindeutig katastrophale Folgen gehabt. Dieser Zustand bedrückte den österreichischen Kinderarzt Prof. Otto Thalhammer (1922–1994), der mit seinen Kollegen ein wirksames System zur Unterdrückung der kongenitalen Toxoplasmose einführte – das serologische Screening. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass nicht die serologisch positive Frau gefährdet ist, die bereits vor der Schwangerschaft an Toxoplasmose erkrankt war und daher eine Immunität entwickelt hat, sondern die seronegative Frau, die sich erst während der Schwangerschaft infizieren könnte. Das System basiert auf wiederholten Tests, von denen der erste entweder noch vor der Schwangerschaft oder so früh wie möglich am Anfang der Schwangerschaft durchgeführt werden soll. Falls das Vorhandensein von „Gedächtnisantikörpern“ nach einer früheren Toxoplasmose bestätigt, ist die Frau von weiteren Untersuchungen befreit, da sie die Infektion an ihren Nachkommen nicht mehr übertragen kann. Falls die Frau das relativ seltene Pech hat und der Verdacht auf eine gerade stattfindende akute Toxoplasmose besteht, bedeutet dies nicht nur weitere Untersuchungen, sondern vor allem eine intensive Behandlung, die die Chancen auf einen glücklichen Ausgang deutlich erhöht. Das häufigste Ergebnis „seronegativ“ bedeutet, dass sich die Frau in bestimmten Abständen weiteren Untersuchungen unterziehen und vor allem darauf achten muss, sich während der Schwangerschaft möglichst nicht zu infizieren. Österreich war das erste Land der Welt, das im Herbst 1975 im Rahmen des „Mutter-Kind-Passes“ ein Screening für schwangere Frauen einführte. Frankreich, wo das Toxoplasmosescreening neben dem Eiffelturm und dem Beaujolais nouveau als eines der Symbole nationaler Identität gilt, führte drei Jahre später ein ähnliches Screening ein. Die Inzidenz der kongenitalen Toxoplasmose von 50–70 pro 10.000 Geburten, wie sie von Thalhammer in den 1950er- und 1960er-Jahren berichtet wurde, ist auf unter eine pro 10.000 Geburten gesunken, und Schätzungen zufolge schützte dieses Programm in Österreich mindestens 200–300 Babys jährlich vor kongenitaler Toxoplasmose.

Sind wir nur Marionetten in den „Händen“ von Toxoplasma? So wie in weiter zurückliegenden Zeiten gelang es tschechischen Wissenschaftlern  auch in der jüngeren Geschichte der Entdeckungen im Zusammenhang mit Toxoplasmose, sich hervorzuheben. Die Theorie

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von Prof. Jaroslav Flegr, die auf dem manipulativen Verhalten von Parasiten fußt, hat es sogar bis in die internationalen Medien geschafft, einschließlich einer BBC-Sendung und der weltweiten Ausgabe des Magazins National Geographic. Die Theorie wurde sogar mit dem IgNobelpreis ausgezeichnet. Seine Manipulationshypothese geht davon aus, dass der Parasit versucht, das Verhalten des Wirts so zu verändern, dass die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den nächsten Wirt zunimmt. Im komplexen Entwicklungszyklus, der im einleitenden Kapitel beschrieben wurde, erfolgt die Übertragung meist durch Prädation, also die Erbeutung eines Zwischenwirts (mit infektiösen Stadien des Parasiten) durch einen Endwirt, in dem sich der Parasit zur Vollendung des Entwicklungszyklus sexuell fortpflanzt. Das vielleicht bekannteste Beispiel für Manipulation ist die Lebensgeschichte des parasitären Kleinen Leberegels (Dicrocoelium dendriticum, Abb. 4.4). Erwachsene Leberegel leben in den Gallengängen von Schafen, a

b

Abb. 4.4  Manipulative Saugwürmer. Saugwürmer haben komplizierte Lebenszyklen, an denen oft Wirbellose als Zwischenwirte beteiligt sind. Die Übertragung von einem Wirt zum nächsten darf dann nicht dem Zufall überlassen werden. Der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) beispielsweise parasitiert als adultes Tier (a) in den Gallengängen von Säugetieren, benötigt für die Larvenentwicklung aber terrestrische Schnecken und Ameisen. Insbesondere die Entwicklung in den Ameisen hat schon immer Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da die in den Ameisen angesiedelten Larven deren Nervensystem beeinflussen und auffällige Verhaltensänderungen hervorrufen: Die Ameisen klettern auf Grashalme und verbeißen sich krampfhaft in die oberen Pflanzenteile. Die infizierten Ameisen, wie Christbaumschmuck auf den Pflanzen hängend, werden anschließend von pflanzenfressenden Wirten gefressen und die Parasiten sind gerettet. Anders hat sich der Saugwurm Leucochloridium paradoxum eingerichtet, der in seinem Lebenszyklus zwischen Landschnecken (Zwischenwirt) und Singvögeln (Endwirt) wechselt. Um einfacher in die Vögel zu gelangen, entwickelt er in den Schnecken auffällig gefärbte Larven (b), die in die Fühler der Schnecken (Bernsteinschnecken) eindringen und in Bewegung und Farbe Schmetterlingsraupen nachahmen. Vögel können einer solchen Verlockung nur schwer widerstehen und picken die Larven in den Fühlern auf, wodurch sie sich infizieren. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Helena Kulíková)

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Rindern und anderen Pflanzenfressern, wo sie Eier produzieren, die durch den Kot ihrer Wirte verbreitet werden. Falls das Ei mit der Vegetation zusammen versehentlich von einer Märzenschnecke (Zebrina detrita) gefressen wird, siedeln sich die geschlüpften Egellarven in deren Verdauungsdrüse an und produzieren asexuell die nächste Generation von Larven, die von der Schnecke in einer Schleimkugel ausgeschieden werden. Die Kugel lockt mit ihrem Geschmack und Geruch Ameisen an, die sie mitsamt den darin versteckten Dutzenden Egellarven auffressen. Die meisten von ihnen bilden im Körper der Ameise resistente Zysten, die darauf warten, zusammen mit der Ameise in ihren Endwirt, den Pflanzenfresser, zu gelangen. Pflanzenfresser fressen jedoch keine Ameisen und suchen sie auch nicht auf. Aus diesem Grund muss es zur Manipulation des Zwischenwirts, der Ameise, durch den Parasiten kommen. Einige der Egellarven aus der Schleimkugel siedeln sich im Kopf der Ameise an und übernehmen die Herrschaft über ihr Verhalten. Morgens verlässt die infizierte Ameise zusammen mit anderen den Ameisenhaufen, trennt sich aber bald vom Rest, klettert auf die Spitze des Grashalms, beißt sich fest und wartet dank des parasitär verursachten, krampfartigen Zubeißens der Kiefer darauf, dass ein vorbeikommender Pflanzenfresser sie zufälligerweise frisst. Wenn sie nicht abgegrast wird, erlaubt der Leberegel der Ameise an sonnigen Tagen, ihren Biss zu lockern und sich vor der Sonne im Ameisenhaufen zu verstecken, da die Ameise sonst mitsamt dem Parasiten austrocknen und sterben würde. Am Abend wiederholt sich das Spiel. Und zwar so lange, bis der Egel seinen Endwirt erreicht hat oder die Ameise an Erschöpfung stirbt. Auch andere Arten sind als Manipulatoren ihrer Zwischenwirte bekannt, deren Verhalten sie auf verschiedene Weise beeinflusst wird, um sie zu leichter Beute für ihre Endwirte zu machen. Ein bekanntes und visuell sehr eindrucksvolles Beispiel ist der Saugwurm Leucochloridium paradoxum. Dieser wandert in die Fühler seines Zwischenwirts, einer Bernsteinschnecke der Gattung Succinea, die sich deutlich verdicken. Die anschließenden Bewegungen des grün-weiß gebänderten, raupenartigen Saugwurms locken kleine Singvögel, die Endwirte, an. Andere Arten sind in ihrer Übertragung an Wasser gebunden und so können in Teichen beispielsweise Saugwürmer der Gattung Diplostomum Fische erblinden lassen, in deren Augen sich die Würmer festsetzen. Fische sind infolge ihres schlechten Sehvermögens nicht mehr in der Lage, Angriffen von fischfressenden Vögeln, den Endwirten des Saugwurms, auszuweichen. Sogar noch weiter in seiner Manipulation der Wirte geht der amerikanische Saugwurm der Gattung Ribeiroia. Er verwandelt Frösche (Zwischenwirte) in sechsbeinige Monster, die den froschfressenden Vögeln (Endwirte) nicht entkommen können.

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Viele ähnliche Beispiele könnten wir auch unter einzelligen Parasiten finden. So verändert der Malariaerreger, der Einzeller Plasmodium, der durch den Stich einer Anopheles-Mücke auf den Menschen übertragen wird, die Zusammensetzung des Mückenspeichels. Der veränderte Speichel, der zum Zeitpunkt des Stichs in unseren Körper injiziert wird, verursacht stärkeren Juckreiz, der sofort auf die saugende Mücke aufmerksam macht. Die Mücke wird vertrieben und muss anderswo Nahrung suchen. Um sich vollzusaugen, muss eine infizierte Stechmücke daher mehrere Menschen stechen. Und genau das ist das Ziel des Parasiten, denn so kann er auf viel mehr Wirte übertragen werden. Parasitäre Manipulationen haben viele Formen und sind oft so versteckt oder kompliziert, dass Wissenschaftler sie noch nicht entdecken konnten. Gleichzeitig ist es ein sehr interessantes und attraktives Thema, sodass es nicht überrascht, dass viele, auf der ganzen Welt verteilte Teams daran forschen. Und es verwundert nicht, dass Manipulation auch bei dem Einzeller T. gondii nachgewiesen wurde. Nagetiere, insbesondere mit Toxoplasma infizierte Ratten, ändern ihr Verhalten erheblich und laufen Gefahr, von der Katze, dem Endwirt des Parasiten, erbeutet zu werden. Während Katzengeruch für normale Nagetiere das ultimative Gefahrensignal ist, scheinen infizierte Tiere diesen Geruch regelrecht aufzusuchen. Toxoplasma-infizierte Nagetiere zeigen noch weitere Verhaltensänderungen, von denen die meisten im Sinne der Manipulationshypothese gedeutet werden können, das heißt, dass sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, vom Endwirt erbeutet zu werden. Von dieser Erkenntnis ist es nur ein kleiner Schritt zu der Hypothese, dass auch mit Toxoplasma infizierte Menschen ihr Verhalten ändern. Der Parasit weiß nicht, in welchen Zwischenwirt er gelangt ist, und sein Hauptziel, den Entwicklungszyklus in der Katze abzuschließen, bleibt unverändert. Die Verhaltensänderungen des Menschen, die sich natürlich von denen der Nagetiere unterscheiden, können letztlich nicht dazu führen, dass wir erbeutet werden – weder von einer zu kleinen Katze noch von einem Tiger oder Löwen, die nicht zur Stelle sind. Aber das weiß Toxoplasma nicht und versucht weiterhin, uns auszutricksen. Nach den Forschungen von Prof. Flegr führen Toxoplasma-Infektionen beim Menschen unter anderem zu verlangsamter Reaktionsfähigkeit und in der Folge zu einem erhöhten Risiko von Verkehrsunfällen. Anderen Studien zufolge führt die Infektion zu verstärkter sexueller Aktivität bei infizierten Männern, die so die Infektion durch sexuellen Kontakt auf mehr Frauen übertragen (dieser Übertragungsweg ist noch nicht bewiesen!). Solche Hypothesen darüber, wie Toxoplasma uns manipuliert und verändert, sind ein verlockendes Diskussionsthema sowohl auf den Seiten wissenschaftlicher Zeitschriften und Bühnen der Hörsäle als auch in Salons, Cafés und Restaurants.

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Exkurs: In unserer Küche Jan Votýpka Betrachten wir die Übertragungswege klassischer Parasiten zwischen ihren Wirten, so sehen wir im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Die einfachste beruht auf körperlichem Kontakt zwischen den Wirten, über den viele äußere Parasiten, darunter auch Läuse, übertragen werden; zu dieser Gruppe gehören auch sexuell übertragbare Parasiten. Die zweite große Parasitengruppe verlässt sich bei der Übertragung auf das Durchdringen der Oberfläche des Wirts. Dies kann entweder aktiv (Schistosomen, Hakenwürmer, Zwergfadenwürmer usw.) oder passiv über blutsaugende Gliederfüßer geschehen, die sich bei einem Wirt infizieren und während des Blutsaugens an einem weiteren Wirt auch die Übertragung des Parasiten4 vermitteln. Die weitaus meisten Parasiten vertrauen jedoch auf eine alimentäre Übertragung, das heißt auf den Verzehr infektiöser Stadien durch den Wirt. Dieses Prinzip nutzen insbesondere einwirtige Erreger, die auf die zufällige Aufnahme infektiöser Larven (in Eiern oder frei) oder infektiöser, in Zysten versteckter Stadien zusammen mit kontaminierten Lebensmitteln oder Wasser angewiesen sind. Bei einer Reihe mehrwirtiger Parasiten können sich die ersten Zwischenwirte auf ähnliche Weise infizieren – also durch den versehentlichen Verzehr kontaminierter Lebensmittel, die infektiöse Stadien der Parasiten enthalten. Falls der Mensch als Wirt oder erster Zwischenwirt für die oben genannten Parasiten fungiert, kann er sich natürlich gleichermaßen über verunreinigte Lebensmittel und Wasser infizieren. Beispiele sind Spulwürmer, Hakenwürmer, Madenwürmer, verschiedene Amöben, Lamblien oder Kryptosporidien. Zur Kontamination der Rohstoffe oder fertigen Lebensmittel kann es während verschiedener Schritte des Verarbeitungsprozesses kommen, sodass die Verantwortung für das Vorhandensein infektiöser Stadien bei der Primärerzeugung, Verarbeitung, Lagerung, dem Transport, im Einzelhandel und bei den Konsumenten liegen kann. Wenn wir die Lebensmittel vor dem Verzehr wärmebehandeln, werden sowohl parasitäre infektiöse Stadien als auch viele weitere hitzeempfindliche Pathogene zuverlässig abgetötet. Das Garen von

4 Wie im vorherigen Fall wird dieser Weg nicht nur von klassischen Parasiten, sondern von Krankheitserregern im Allgemeinen gewählt. In Mitteleuropa sind die häufigsten derartig übertragenen Krankheiten zum Beispiel die virale Frühsommer-Meningoenzephalitis und die bakterielle Lyme-Borreliose.

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Lebensmitteln erleichtert also nicht nur die Verdauung und ermöglicht ein schier unendliches Spektrum kulinarischer Verwendungen, sondern senkt auch das Infektionsrisiko mit verschiedenen alimentär übertragenen Pathogenen bedeutend. Auch bei Pathogenen in verunreinigtem Trinkwasser gilt, dass hohe Temperaturen infektiöse Stadien zuverlässig zerstören. Der genannte Infektionsweg, insbesondere bei einwirtigen, an das Verdauungssystem gebundenen Erregern, wird oft als fäkal-oral bezeichnet. Gerade im Hinblick auf derart übertragene Krankheitserreger ist es wichtig, grundlegende Körper- und Toilettenhygiene einzuhalten. Ebenso sollte man verhindern, dass Fliegen und andere „fäkale“ Insekten mit Lebensmitteln und Küchengeräten in Berührung kommen, da Insekten eine Vielzahl von Erregern auf ihren Körpern tragen können, von Viren und Bakterien über Zysten von Einzellern und Pilzorganismen bis hin zu Wurmeiern. Eine etwas andere Gruppe alimentär übertragener Parasiten stellen die meisten mehrwirtigen Schmarotzer dar, deren Übertragung vom ersten Zwischenwirt über weitere Zwischenwirte bis zum Endwirt auf wechselseitigen Nahrungsbeziehungen beruht, der Zwischenwirt also  vom folgenden Wirt gefressen wird. Zusammen mit Muskeln, der Leber und anderen Geweben gelangen auch infektiöse Stadien des Parasiten in den Wirt. Auch hier gilt, dass gründliche Wärmebehandlung alle infektiösen Stadien zuverlässig abtötet und keine Ansteckungsgefahr mehr besteht. Die kulinarischen Gewohnheiten sind jedoch divers und in einigen Fällen werden Fleisch und andere Tierorgane mehr oder weniger roh verarbeitet und gegessen. In rohem Zustand sind die Parasitenstadien natürlich immer noch ansteckend und können uns jederzeit infizieren. Viele Parasiten halten ihre Lebensfähigkeit in Fleisch und in Organen geschlachteter Tiere sehr lange aufrecht und überleben teilweise sogar physikalische und bakterielle Einflüsse bis zu dem Stadium, in dem das Lebensmittel nicht mehr zum Konsum geeignet ist. Die Hoffnung, Parasiten in Fleisch, das im Kühlschrank aufbewahrt wird, würden bald absterben, ist daher naiv. Nur lang anhaltende sehr tiefe Temperaturen von mindestens −20 °C töten die Parasiten zuverlässig ab. Leider ist gefrorenes Fleisch nicht annähernd so schmackhaft wie gekühltes und für einige kulinarische Zwecke sogar völlig ungeeignet. Steak Tartar, Carpaccio, Sushi und andere rohe Fleisch- bzw. Fischdelikatessen sind jedoch bei Weitem nicht die einzige Quelle parasitärer Infektionen. Auf Reisen in exotischen Ländern stehen oft rohe oder halbrohe Gliederfüßer auf dem Speiseplan, seien es Insekten, Süßwasser- oder Meereskrabben oder andere Krustentiere und Meeresfrüchte im Allgemeinen. Als Leckermäuler und Liebhaber exquisiter Spezialitäten müssen

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wir ab und zu bestimmte Risiken eingehen. Und so ist der giftige Kugelfisch zur Zubereitung von Fugu bei Weitem nicht die einzige Delikatesse, mit deren Verzehr wir unsere Gesundheit riskieren. In anderen Fällen wird tierisches Gewebe zwar wärmebehandelt, aber nur einer sehr milden Erhitzung unterzogen, zum Beispiel beim Kalträuchern. Bei anderen gastronomischen Verfahren werden Fleisch und andere Gewebe statt einer Hitzebehandlung nur teilweise getrocknet. Ob die infektiösen Stadien der Parasiten die gewählte Zubereitungsart überleben, hängt von einer Reihe von Faktoren ab – die wichtigsten sind Garzeit, die erreichte Temperatur, der Trocknungsgrad und die verwendete Salzmenge. Generell gilt, je geringer der Wassergehalt und je höher der Salzgehalt, desto geringer stehen die Überlebenschancen – also für die Parasiten, nicht für uns. Der Mensch als steht Allesfresser – fachsprachlich Omnivore – in vielerlei Hinsicht an der Spitze der Nahrungspyramide, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Parasiten an unsere Position angepasst haben. Von diesen sind zwei wirtsspezifische Bandwürmer für den Menschen am typischsten (Abb. 4.5). Für beide gilt der Mensch als Endwirt, was bedeutet, dass sie ausgewachsenen Bandwürmer in unserem Darm leben und eine immense Anzahl an Eiern produzieren, die unseren Körper in Form sich abgliedernder Segmente zusammen mit unserem Stuhl verlassen. Anschließend gelangen die Eier versehentlich zusammen mit kontaminierter Nahrung in den entsprechenden Zwischenwirt, in dessen Verdauungssystem das Ei zu einer winzigen Larve schlüpft, die Darmwand durchdringt und sich mit dem Blut ins Muskelgewebe tragen lässt. Hier bildet die Larve Zysten, auch Finnen genannt, und wartet geduldig, zusammen mit dem Muskel vom Endwirt, also dem Menschen, gegessen zu werden. Für den Rinderbandwurm (Taenia saginata) ist der einzige mögliche Zwischenwirt das Rind und rohes Rindfleisch ist in vielen Ländern als Beef Tartar äußerst beliebt (Abb. 4.6). Obwohl das Fleisch für Tartar aus speziell kontrollierten Haltungen stammen sollte, bleibt immer ein Restrisiko bestehen. Wenn wir uns jedoch ein echtes, auf traditionelle Weise zubereitetes Beef Tartar gönnen, droht kein Infektionsrisiko, selbst wenn das verwendete Rindfleisch infiziert ist. Traditionell wird das Fleisch für Tartar nämlich geschabt. Während dieser Zubereitungsart wir eine potenzielle Finne einfacher gefunden oder mechanisch beschädigt und das Infektionsrisiko sinkt erheblich. Falls Hackfleisch verwendet wird, sollte es einige Tage im Gefrierschrank verbringen, wodurch zwar die Parasiten vernichtet werden, aber auch das Geschmackserlebnis erheblich leidet. Neben der Zubereitungsmethode ist aber auch der Rohstoff selbst wichtig

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Abb. 4.5  Lebenszyklus menschlicher Bandwürmer der Gattung Taenia. Ausgewachsene Schweinebandwürmer (Taenia solium; grüne, ausgefüllte Punkte) sowie Rinderbandwürmer (Taenia saginata; grüne, nicht ausgefüllte Kreise) setzen im Dünndarm des Menschen (ihrem Endwirt) Endsegmente frei, die anschließend mit dem Stuhlgang den Körper verlassen (1). Während die Segmente anhand der Anzahl an Verzweigungen des enthaltenen, mit reifen Eiern besetzten Geschlechtsorgans unterscheidbar sind, können die Eier beider Arten (2) morphologisch nicht unterschieden werden. Beide Bandwürmer unterscheiden sich jedoch in der Wahl ihrer Zwischenwirte. Während es beim Schweinebandwurm das Schwein ist (3), kommen beim Rinderbandwurm nur Rinder infrage (4). Aus den Eiern schlüpfende Larven bilden im Muskelgewebe dieser Tiere Zysten (Finnen) (5). Verzehrt der Mensch rohes Fleisch mit eingelagerten Zysten (6), entwickeln sich im Darm adulte Bandwürmer. Im Fall des Schweinebandwurms kann der Mensch sich jedoch auch mit Eiern infizieren (7). Diese Eier entwickeln sich wie im Zwischenwirt und bilden in verschiedenen Geweben (einschließlich des Gehirns) Zysten, die bei starkem Befall die Gesundheit und manchmal sogar das Leben der Infizierten bedrohen. (Quelle: Jana Bulantová)

– das beste, echte Tartar sollte aus Rinderfilet zubereitet werden. Und eben dieser Muskel wird, aus bisher ungeklärten Gründen, nur selten von Bandwurmlarven aufgesucht. Anderes Fleisch, sei es Hüftsteak oder andere zur Herstellung von Beef Tartar geeignete Stücke, ist viel häufiger von Bandwürmern befallen. Angesichts der Preise für echtes Filet, des aufwendigen

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Abb. 4.6  Einmal Beef Tartar gefällig? Im Rindfleisch können wir den Larven des Rinderbandwurms (Taenia saginata) begegnen. Diese Larven werden als Zysten oder Finnen bezeichnet. Es handelt sich um ein weißliches, kugelförmiges Gebilde (a) von etwa 1 cm Durchmesser, das ein einzelnes Köpfchen eines zukünftigen adulten Bandwurms beinhaltet; in Gewebeschnitten kann man sogar bereits entwickelte Saugnäpfe sehen (b). Wird die Zyste zusammen mit rohem Rindfleisch verzehrt, gelangt sie in den menschlichen Darm, wo sich die Larve allmählich zu einem adulten Bandwurm entwickelt. Dieser produziert Segmente mit Eiern, die eine Infektionsquelle für Rinder darstellen, mit deren Infektion sich der Kreislauf schließt. Nach dem Verzehr seiner Eier können sich im menschlichen Gewebe keine Zysten bilden, was ihn vom deutlich gefährlicheren Schweinebandwurm (T. solium) unterscheidet. (Quelle: Jana Bulantová)

und anstrengenden Schabens und der weiteren Preissteigerung durch eine spezielle tierärztliche Überwachung in bestimmten Betrieben ist klar, warum Rinderbandwürmer weiterhin bei uns vorkommen, obwohl die Fallzahl beim Menschen seit Langem stetig sinkt. Beim zweiten Bandwurm des Menschen, dem Schweinebandwurm (Taenia solium), tritt das Schwein als Zwischenwirt auf. Der Mensch kann sich durch den Verzehr von rohem Schweinefleisch infizieren, wenn wir also in der Rolle des Endwirts sind und im Schweinefleisch enthaltene Finnen zu uns nehmen, können adulte Bandwürmer in unserem Darm entweder ganz ohne Krankheitsanzeichen leben oder mit ihrer Anwesenheit gelegentlich leichten Durchfall verursachen. Dennoch kann die Infektion mit dem Schweinebandwurm eine große Gefahr darstellen, insbesondere für das Umfeld, da die infizierte Person Quelle von Bandwurmeiern ist und sie verbreitet. Obwohl Schweine die gewöhnlichen Zwischenwirte dieses Bandwurms sind, kann die physiologische Ähnlichkeit zwischen Schwein und Mensch uns die wenig beneidenswerte Rolle des Zwischenwirts zuteilwerden lassen. Und ein solcher Fall kann zu ernsten Komplikationen führen. Die im Darm geschlüpfte Bandwurmlarve wandert langsam durch

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unseren Körper, bis sie sich schließlich in eine Zyste verwandelt. Befindet diese sich im Muskel, verursacht sie in der Regel keine Beschwerden, wenn es jedoch zur Infektion des Gehirns kommt, können die Folgen fatal sein, insbesondere bei starken Infektionen. Diese Krankheit, als Neurozystizerkose bezeichnet (Vorhandensein von Bandwurmzysten im menschlichen Gehirn), verursacht jedes Jahr den Tod Zehntausender Menschen und ist auch eine der Hauptursachen für Epilepsie, insbesondere in ärmeren landwirtschaftlichen Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Glücklicherweise ist dieser Bandwurm in Europa recht selten und beschränkt sich hauptsächlich auf die Balkanregion. Ebenso fehlt der Bandwurm in islamischen Ländern (Schweine sind chanzir ) oder in Israel (Schweine sind nicht koscher ). Nun stellt sich natürlich die Frage, warum sich Menschen nicht auch mit Eiern des Rinderbandwurms infizieren können. Die Antwort liegt auf der Hand: Das Ei ist an die Passage des komplexen Rindermagens angepasst, wodurch der Mensch zu einem völlig ungeeigneten Wirt wird. Ein weiterer Bandwurm, der sich in unserem Verdauungssystem ansiedeln kann, ist der Fischbandwurm (Dibothriocephalus latus)5, mit mehr als 10 m Körperlänge. Er zeichnet sich durch einen recht komplexen Lebenszyklus aus. Aus den Eiern schlüpfen im Wasser Larven, die innerhalb weniger Stunden von einem kleinen Krebstier namens Hüpferling verzehrt werden müssen. In diesem gehen sie ins infektiöse Stadium über und warten, bis der Hüpferling von einem Fisch erbeutet wird, in dessen Körper der nächste Teil des Entwicklungszyklus stattfindet. Der junge Bandwurm setzt sich in Form eines winzigen infektiösen Stadiums im Fischfleisch fest und seine weitere Entwicklung und Reifung erfolgt erst, nachdem der zweite Zwischenwirt, der Fisch, vom Endwirt gefressen worden ist. Dabei muss es sich um ein Säugetier wie einen Hund, Wolf, Bären, Luchs, eine Robbe, ein Schwein oder eben den Menschen handeln. Der Verzehr von rohem Fisch ist bei uns eher ungewöhnlich, in anderen Kulturen ist diese Zubereitungsart jedoch üblich. Außerdem muss es sich nicht um ganz rohen Fisch handeln, sondern auch kurzzeitig in salziger oder saurer Lake eingelegter Fisch kann infektiös sein. Fischbandwürmer kommen in verschiedenen Teilen der Welt vor, darunter auch in Nordeuropa und den Alpenländern. Unter den Fadenwürmern ist das Spektrum der Wechselbeziehungen und Übertragungswege viel facettenreicher als unter Bandwürmern. Der bekannteste am Menschen parasitierende Fadenwurm, der durch den Verzehr von Muskelgewebe übertragen wird, ist die Trichine Trichinella spiralis und 5 Einer

der Autoren dieses Buchs beherbergte diesen Bandwurm bereitwillig in seinem Darm.

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Abb. 4.7  Wer hat Angst vor dem Fadenwurm? Trichinella ist ein Fadenwurm, dessen eingekapselte Larven in der quergestreiften Muskulatur zu finden sind (a). Eben diese Larven verursachen die Infektion des nächsten Wirts, der auch der Mensch sein kann: Konsumieren wir unzureichend gegartes Fleisch mit Larven (b), werden diese im Darm freigesetzt und reifen schnell heran. Nach der Paarung und Befruchtung produzieren die Weibchen eine neue Larvengeneration, die den Darm verlässt und durch den Wirtskörper wandert, um sich schließlich im Muskelgewebe einzunisten. Da sich das Muskelgewebe bei Anwesenheit der Larven umfassend verändert, können schwere Infektionen zum Tod führen, beispielsweise aufgrund einer beeinträchtigten Funktion der Atemmuskulatur. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Břetislav Koudela)

andere Trichinenarten (Abb. 4.7). Als Wirte fungieren in der Regel Säugetiere, der Lebenszyklus von Trichinen ist jedoch ziemlich verworren und komplex. Tatsächlich gibt es im Leben der Trichinen keinen Zeitraum, in dem sich ein Entwicklungsstadium des Parasiten außerhalb eines Wirtskörpers aufhält. Ausgewachsene Trichinen leben im Dünndarm ihrer Wirte, wo die Weibchen Larven produzieren. Diese verlassen den Körper jedoch nicht mit dem Stuhlgang, sondern dringen durch die Darmwand in den Blutkreislauf ein, der sie zum Muskelgewebe bringt, vorzugsweise zum Zwerchfell, Rachen, der Zunge, den Kaumuskel oder zum interkostalen und zu anderem stark beanspruchten und daher stark durchbluteten, quergestreiften Muskelgewebe. Dort dringen die Larven in Muskelfasern ein, was sie zu intrazellulären Parasiten macht, und mithilfe ausgeschiedener Sekrete zwingen sie den umliegenden Zellzusammenschluss (Synzytium) dazu, eine Kollagenkapsel (die sog. Ammenzelle) um sie herum zu bilden. Gleichzeitig stimulieren sie die Bildung eines Netzes kapillarer Blutgefäße, das die parasitierte Stelle rund um das infizierte Synzytium mit Nährstoffen versorgt. Anschließend warten die Larven sogar monatelang darauf, dass der Wirt von einem anderen Tier gefressen wird – gewöhnlich einem Fleischfresser (Infektionen mit Trichinen sind jedoch

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auch bei Pferden bekannt). In anverdautem Zustand lösen sich die Larven im Magen des Wirts und gelangen in den Dünndarm, wo sie innerhalb etwa einer Woche geschlechtsreif werden und der Zyklus sich wiederholt. Scheinbar arbeiten sich Trichinen entlang der Nahrungspyramide allmählich hoch, bis sie sich in den Muskeln eines Spitzenprädators wie eines Löwen, Bären oder Adlers einnisten und damit ihre Reise gezwungenermaßen endet, weil ihr Wirt selbst keine Fressfeinde mehr hat. Jedoch stirbt auch der furchterregendste Jäger eines Tages und sein Körper gliedert sich in die Nahrungskette ein, dank kleiner Aasfresser oft auf unterster Ebene. In den Zysten sind die versteckten Larven nicht nur vor Magensäften späterer Endwirte, sondern auch vor Zersetzungsprozessen im Fleisch des gegenwärtigen Wirts gut geschützt. Unter europäischen Bedingungen parasitieren Trichinen meist an Ratten, die von Wild- und Hausschweinen oder anderen Fleischfressern prädiert werden und sich so infizieren. Der Mensch steckt sich am häufigsten über den Verzehr von rohem oder halbrohem Fleisch an, zum Beispiel in Form ungenügend erhitzter Wurstwaren, insbesondere Bratwürste oder Thüringer Mett. Bei einer infizierten Person geht die Darmphase der Infektion mit einer Entzündung der Schleimhäute einher und kann von Durchfall, Bauchschmerzen und anderen Symptomen begleitet werden. Deutlich gefährlicher ist jedoch die anschließende Muskelphase, wenn sich die Larven einnisten und die Funktion betroffener Muskeln beeinträchtigen, was insbesondere im Fall der lebenswichtigen Atemmuskulatur zum Tod führen kann. Diese Phase äußert sich durch Schwellungen und Muskelschmerzen, eingeschränkte Beweglichkeit und Fieber. Natürlich gibt es noch viele weitere parasitäre Krankheiten, mit denen wir uns über rohes Fleisch anstecken können. Meeresfische sind zum Beispiel Quelle mehrwirtiger Spulwürmer der Gattung Anisakis, die in unserem Körper jedoch nicht heranwachsen können (Abb. 4.8). Die bei Weitem häufigste parasitäre Erkrankung, die uns beim Verzehr von rohem oder halbrohem Fleisch droht, ist die Toxoplasmose. Obwohl mehrere Wege einer möglichen Infektion des Menschen mit Toxoplasma gondii bekannt sind, ist die Infektion über unzureichend gegartes Fleisch oder tierische Organe wohl der häufigste Weg. Allerdings kann in unseren Breiten auch die Infektion mit Oozysten aus kontaminierter Umwelt eine wichtige Rolle spielen (s. vorheriges Kapitel).

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Abb. 4.8  Fischfilet mit „Bonus“. Obwohl Meeresfisch häufig als Teil einer gesunden Ernährung empfohlen wird, kann er Parasiten beherbergen, die unserer Gesundheit schaden können. Nach dem Verzehr von rohem Fleisch oder zum Beispiel Dorschleber (a) dringen die freigesetzten Larven der Gattung Anisakis durch die Magenwand des Wirts, was von starken Schmerzen begleitet wird. Im Gegensatz zu anderen Parasitenarten kann sogar der Verzehr von gekochtem Fischfleisch mit bereits abgetöteten Larven zu gesundheitlichen Komplikationen in Form schwerer allergischer Reaktionen führen. Um zu verhindern, dass infiziertes Fleisch auf den Tisch kommt, werden insbesondere Dorschfilets aus der Hochseefischerei oder Lachsfleisch für Sushi per Durchleuchtung auf Nematodenlarven im Inneren des Fischmuskels (b) untersucht. Auf beiden Bildern sind einige der vorhandenen Larven mit Pfeilen gekennzeichnet. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Tomáš Macháček)

5 Parasiten unserer Haustiere David Modrý

Für die meisten Europäer sind innere Parasiten eher ein Mythos als alltägliche Realität und in Alkohol eingelegte weißliche Bandwürmer in staubigen Glaszylindern sind ein typisches Merkmal alter Museumssammlungen und Biologieräume. Kaum einer wird im Sandkasten Fragen wie „Wie sieht es bei eurer Annika mit Spulwürmern aus?“ oder „Habt ihr Denis dieses Jahr schon entwurmt?“ hören. Anders ist es bei unseren nächsten Tierfreunden. Krankheiten und parasitär verursachte Probleme sind ein dankbares und scheinbar immerwährendes Gesprächsthema beim Gassigehen. Deshalb versuchen wir gemeinsam einen Blick hinter den Vorhang der veterinärmedizinischen Parasitologie zu werfen und den Vorhang über Tierparasiten, ihrer Bedeutung und Behandlung zu lüften. Während die Behandlung von Tieren ausschließlich in tierärztlicher Verantwortung liegt, steht das Wissen über Parasiten jedem zur Verfügung. In der Diskussion über Parasiten bei Haustieren müssen wir vorerst zwei grundlegende Fakten abgrenzen, innerhalb derer sich unsere Diskussion entfalten kann. Erstens: Der Hund, die Katze, der sprechende Papagei und auch die stumme Schildkröte sind immer noch Tiere, und als solche haben sie ein Recht auf eigene gesundheitliche Probleme und eigene Parasiten. Und zweitens: Parasiten sind in Tierpopulationen allgegenwärtig und gehören gewissermaßen dazu. Obwohl sich in vielen Sprachen der Begriff „Kampf“ als D. Modrý (*)  Masaryk-Universität Brünn, Brünn, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_5

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Bezeichnung für die Bemühungen zur Reduktion parasitärer Auswirkungen (und der von Schädlingen im Allgemeinen) eingebürgert hat (z. B. Kampf gegen Zecken oder Kampf gegen den Kartoffelkäfer), entspricht der englische Begriff „control“ viel eher der Realität, da der Kampf gegen Parasiten in den meisten Fällen nie vollständig gewonnen werden kann. Wollen wir jedoch nicht ewige Verlierer sein, ist es besser, der Wahrheit ins Auge zu blicken und zu akzeptieren, dass Parasiten ihren Platz in unserer Welt und in der Welt unserer Haustiere haben. Mit diesem Wissen können wir dann negative Auswirkungen parasitärer Organismen dort begrenzen, wo es notwendig und wünschenswert ist, und umgekehrt akzeptieren, dass ihre Anwesenheit uns in vielen Fällen nicht überflüssig ängstigen muss. Darüber hinaus scheint es angesichts jüngster Erkenntnisse nicht mehr lange zu dauern, bis wir Parasiten als Therapiemittel einiger tierischer Beschwerden in Betracht ziehen werden, so wie wir es beim Menschen teilweise bereits tun. Alle Haustiere aufzuzählen, die aus Sympathiegründen vom Menschen gehalten werden, ist äußerst schwierig, denn die Zahl der Tiere und Tierchen, mit denen wir unser Zuhause teilen, ist schier unendlich. Dass wir uns freiwillig mit Lebewesen umgeben, die unsere Vorfahren vor zwei Generationen noch als seltsam oder gar abscheulich empfunden hätten, ist einer der typischen Charakterzüge der entwickelten postindustriellen Gesellschaft. Tiere, die im Englischen als pets bezeichnet werden, ersetzen uns die Natur, die wir so bereitwillig aufgegeben haben. So breit die Palette an zum Vergnügen gehaltenen Tieren ist, so breit gefächert ist auch die Problematik ihrer Krankheiten, einschließlich der parasitären. Zum besseren Verständnis parasitärer Zyklen ist es angebracht, die wichtigsten Unterschiede zwischen den Bedingungen „dort draußen in der Natur“ und „bei uns zuhause“ kurz zusammenzufassen. Natürlich leben Tiere in freier Wildbahn mit einer Vielzahl unterschiedlicher Krankheitserreger zusammen und es wäre idealistisch anzunehmen, dass ihnen Parasiten nicht schaden, denn das tun sie. Darüber hinaus sind Krankheitserreger aus evolutionärer Sicht die wichtigsten Triebkräfte für die Entwicklung von Immunmechanismen und verschiedenen Formen der Resistenz und Verteidigung gegen gefährliche Krankheiten. Auch das individuelle Immunsystem (und das gilt auch für Menschen) entwickelt und verbessert sich nur im direkten Kontakt mit Krankheitserregern. Unter natürlichen Bedingungen entsteht so ein komplexes und oft sehr empfindliches Gleichgewicht zwischen dem Wirt und seinen Pathogenen. Wenn sich dieses Gleichgewicht verschiebt, stirbt das betroffene Individuum. Oft werden auf diese Weise aus Populationen schwache, alte und genetisch beeinträchtigte Tiere entfernt, manchmal sind es aber auch nur diejenigen,

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die einfach „Pech“ hatten. Ein Parasit taucht jedoch nicht aus dem Nichts in seinem Wirt auf, er muss von „woanders“ her in ihn eindringen. Daher sind für die Übertragung von Infektionen Kontakt mit anderen Individuen derselben Art, Kontakt mit Krankheitsüberträgern und ein Nahrungsspektrum, das eine Vielzahl parasitärer Zwischenwirte mit komplizierten Entwicklungszyklen umfasst, sehr wichtig. In Anbetracht der großen Anzahl solcher Kontakte scheint es, dass es in frei lebenden Tieren von Parasiten nur so wimmeln müsste. Doch im Gegenteil. Immunität und die Fähigkeit, eine Infektion zu unterdrücken oder loszuwerden oder sie durch eine geeignete Wahl der Umgebung und Nahrung zu vermeiden, spielen eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Parasiten. Es ist schwierig, allumfassende allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, in der Praxis zeigt sich jedoch oft, dass die meisten Individuen zwar einige Parasiten haben, oft unterschiedliche Arten gleichzeitig, aber für gewöhnlich in Mengen, die keinen wesentlichen Einfluss auf Gesundheit und Überleben haben. Die Situation von Tieren in menschlicher Obhut könnte nicht unterschiedlicher sein. Neben unserer Aufmerksamkeit bieten wir Haustieren eine Umgebung, die sich stark von deren natürlichem Lebensraum unterscheidet. Dies gilt nicht nur für Tiere, die neu in Gefangenschaft leben, sondern auch für Arten, die wir als fast „häuslich“ betrachten. Diese wenigen Jahrtausende (Hund, Katze, Meerschweinchen), Jahrhunderte (Maus, Ratte, Koi-Karpfen, Kanarienvogel) oder Jahrzehnte (exotische Reptilien, exotische Vögel, die meisten Nagetiere), in denen wir Tiere halten, bedeuten jedoch nicht allzu viel. Einerseits bringt der Zwang, in unmittelbarer Nähe des Menschen zu leben, für die Tiere unbestreitbare Vorteile wie ständige Pflege, Nahrungsversorgung und die Abwesenheit von Raubtieren mit sich. Als Folge der Trennung von der Natur verschwinden sehr schnell und unwiderruflich Parasiten und Krankheitserreger, die für ihre Entwicklung geeignete Überträger (verschiedene Insekten und Milben) oder andere (Zwischen-)Wirte benötigen, die in künstlicher Umgebung einfach nicht vorhanden sind. Andererseits sind unsere Haustiere oft einer Vielzahl negativer Einflüsse ausgesetzt. Beispielsweise begünstigt der winzige Lebensraum die Übertragung von Parasiten mit direkter Entwicklung (d. h. eine Entwicklung ohne Zwischenwirt) erheblich oder führt zu wiederholter Autoinfektion (d. h., die Quelle der Neuinfektion ist das infizierte Individuum selbst). Als Folge von Inzucht verlieren die Tiere einen erheblichen Teil ihrer genetischen Vielfalt und gezielte Selektion im Rahmen der Zucht führt häufig zu vererbten Immunitätsschwächen. Die Palette negativer Einflüsse wird durch ungeeignete Umgebung, Stress, falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und Ähnliches abgeschlossen. In Gefangenschaft gehaltene

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Tiere leiden deshalb häufig an parasitären Krankheiten, die unter natürlichen Bedingungen als nahezu harmlos gelten würden. Aber auch unter den künstlichen Bedingungen der Haltung bedeuten vorhandene Parasiten nicht unbedingt eine direkte Bedrohung für die Gesundheit oder das Leben der Tiere. Es kommt immer auf die Gesamtsituation, die Art und das Alter des Tiers, Art und Anzahl des Parasiten sowie die Haltungsweise an. Auch die Meinung der Tierhalter, ihr Wissen und die bereits gesammelten oder weitergegebenen Erfahrungen spielen eine wichtige Rolle. In der Praxis stoßen wir also auf ein breites Spektrum an Ansätzen, die von hysterischer Überempfindlichkeit bis hin zu laxer Ignoranz reichen. Die zarte Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen und selbst die zuverlässigste Diagnose und die beste oder teuerste Therapie garantieren noch keine Lösung. Basis für die Lösung eines Problems ist in der Regel vor allem das gegenseitige Interesse und die Kommunikation zwischen Tierhalter und Tierarzt, der immer die wichtigste fachliche Instanz sein sollte.

Was kann und soll ein Tierhalter tun und wann sollte der Parasitologe des Vertrauens gerufen werden? In den Händen des Züchters liegt nicht nur die Verantwortung für das Tier, sondern auch für alles, was der Tierarzt nicht leisten kann. In erster Linie geht es um die tägliche Beobachtung des Zustands und der Lebenszeichen des Tiers, um die sorgfältige Überwachung jeglicher Veränderungen, das Vorhandensein äußerer Parasiten oder sichtbarer parasitärer Stadien im Kot und Ähnliches. Dagegen sollten die endgültige Diagnose der Infektion und vor allem die anschließende gezielte Therapie immer in den Händen des Veterinärpersonals liegen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um Spezialisten für die betreffende Tiergruppe handeln, da sich die grundlegenden Symptome der meisten Infektionskrankheiten zwischen verschiedenen Tieren nicht so sehr unterscheiden und jeder Tierarzt in der Lage sein sollte, sachkundigen Rat zu geben. Erst nach einer solchen Eingangsberatung und eventueller Untersuchungen sollte eine Diagnose des Speziallabors oder der Besuch einer spezialisierten Praxis in Betracht gezogen werden. Wichtig ist die frühzeitige Erkennung von Gesundheitsproblemen und -signalen. Sich – vor allem bei selteneren Arten – darauf zu verlassen, dass es „von alleine besser wird“, lohnt sich in der Regel nicht …

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Die regelmäßige präventive Verabreichung von Antiparasitika ist sehr umstritten und in den meisten Fällen nicht wünschenswert, vielleicht nur mit Ausnahme von Hunden und Katzen. Viele Haustiere sind oft gar nicht befallen und keines der zur Verfügung stehenden Antiparasitika deckt auch nur annähernd das gesamte mögliche Spektrum gängiger Parasiten ab. In der Praxis führt dies häufig dazu, dass Tieren ohne Parasiten überflüssige Medikamente verabreicht werden, oft ohne die Wirkung durch wiederholte Tests überprüfen zu können.

Kann ich mich nicht anstecken? Diese Frage stellt sich wohl jeder Züchter oder Besitzer eines Tiers, das Parasiten hat oder haben könnte. Und zugegebenermaßen ist diese Frage durchaus berechtigt. Tiere sind eine bedeutende Quelle verschiedener Krankheitserreger und die meisten Infektionskrankheiten des Menschen stehen in irgendeiner Weise mit Tieren in Verbindung oder gehen sogar von ihnen aus. Solche Erkrankungen, mit denen wir uns bei Wildoder Nutztieren anstecken können, nennt man Zoonosen. Das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern von Tier auf Mensch (der umgekehrte Weg, von Mensch auf Tier, ist weniger häufig) ist keineswegs vernachlässigbar. Allerdings stellen Tiere, die als Haustiere unser Heim mit uns teilen, in der Regel keine reale Bedrohung dar. Fast alle übertragenen Krankheiten lassen sich durch ausreichende Aufklärung und angemessene Pflege der Tiere verhindern. Darüber hinaus ist die Situation in Mitteleuropa im Allgemeinen deutlich erfreulicher als in anderen Regionen der Welt, da viele Krankheitserreger oder ihre Überträger gar nicht vorhanden sind. Hingegen stellen beispielsweise Hunde in Südeuropa oder den Tropen und Subtropen eine wichtige Quelle (und ein Reservoir) für Parasiten wie Leishmanien dar.

Hund und Katz und ihre Parasiten Hunde und Katzen sind seit mehreren Jahrtausenden treue Begleiter des Menschen und haben sich während ihrer langen Reise vom wilden Vorfahren bis zur Domestizierung stark verändert. Man braucht eine gute Portion Fantasie, um in den heutigen Chihuahuas, Pudeln und Perserkatzen den Wolf oder die Wildkatze zu sehen. Diese Veränderungen sind aber meist nur äußerlich. Und so wie Hunde und Katzen aufgrund ihres Naturells und ihrer grundlegenden Lebensinstinkte Raubtiere bleiben, so bleiben

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sie auch Fleischfresser. Dem entspricht auch das Spektrum der Parasiten und ihrer Entwicklungszyklen. Wie bei anderen fleischfressenden Wirbeltieren dominieren in der Parasitenfauna von Hund und Katze zweiwirtige Parasitenarten, die in Nahrungsnetzen zwischen Raubtieren (Hunden und Katzen) und deren Beute zirkulieren. Die Einzeller Toxoplasma gondii, Sarcocystis felis oder der Bandwurm Hydatigera taeniaeformis (früher Taenia taeniaeformis ) sind typische Beispiele für Parasiten, die die Räuber-BeuteBeziehung besetzen, die passenderweise durch Tom und Jerry symbolisiert werden, das heißt die Beziehung zwischen Katze und Maus. In ähnlicher Weise hat auch der Hund seine charakteristischen zweiwirtigen Parasiten. Zahlreiche zweiwirtige Parasiten von Fleischfressern weisen unterschiedliche Niveaus der Wirtsspezifität auf, sind in Bezug auf ihre End- und Zwischenwirte also unterschiedlich „wählerisch“. Während der Endwirt in der Regel der Hund oder die Katze ist, umfasst das Spektrum der Zwischenwirte in vielen Fällen eine breite Auswahl an Wirbeltieren. In diesen unterschiedlichsten Zwischenwirten wartet der Parasit geduldig, bis er (zusammen mit dem Zwischenwirt) von einem Fleischfresser (z. B. einer Katze oder einem Hund) verzehrt wird, in dem er seine Entwicklung abschließt, das heißt heranreift und sich sexuell fortpflanzt. Aus praktischer und medizinischer Sicht ist es von Bedeutung, dass viele dieser Parasiten nicht nur verschiedene Haustiere, sondern auch den Menschen als Zwischenwirt nutzen. So wird der Mensch eher versehentlich Teil des Entwicklungszyklus der Parasiten von Hund und Katze (und möglicherweise auch anderer Fleischfresser), und das, obwohl die Zeit der Wölfe und Rotkäppchen längst vorbei ist und der im menschlichen Körper gefangene Parasit seinen Lebenszyklus nie richtig abschließen kann. In vielen Fällen haben wir keine Ahnung von diesen unerwünschten Mitbewohnern unseres Körpers. Es gibt jedoch Situationen, in denen sie schwere Krankheiten verursachen können (s. z. B. Kapitel zur Toxoplasmose). Da die Anzahl domestizierter Fleischfresser die Anzahl wild lebender Raubtiere in unserer Landschaft deutlich übersteigt, sind Hund und Katze aus menschlicher Sicht die wichtigsten Quellen dieser Krankheitserreger und die richtige Diagnose und Strategie zur Prävention sind daher Schlüsselkomponenten bei der Bemühung, zoonotische Infektionen in der menschlichen Bevölkerung zu reduzieren. Das Vorkommen einzelner Parasitenarten in den Populationen von Haushund und -katze ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, vor allem aber auf den allmählichen Ersatz von Frischfleisch durch Trocken- oder Dosenfutter. Da diese Futtermittel in der Regel keine Quelle zweiwirtiger Parasiten sein können, verschwinden diese Schmarotzerarten allmählich aus den Populationen.

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In städtischen und ländlichen Gebieten gibt es jedoch immer noch viele Hunde und Katzen, die weiterhin Zugang zu natürlichem Futter und Fleisch haben. Manche Besitzer füttern ihre Tiere mit rohem Fleisch oder mischen es zumindest bei, Hunde ohne direkte Aufsicht beim Spazierengehen verschmähen keinen Kadaver und keine erlegte Maus, Jagdhunde kommen oft in den Genuss der Organe von erlegtem Wild und die Jagdfähigkeit freilaufender Katzen ist legendär. In dieser Situation können viele Arten zweiwirtiger Parasiten weiterhin überleben, wenn auch in deutlich geringerer Zahl als früher. Zu den in Europa fast verschwundenen mehrwirtigen Parasiten an Hunden und Katzen gehören der parasitäre Wurm Linguatula serrata und der Schafbandwurm (Taenia multiceps, früher Multiceps multiceps ), denen es derzeit an einer ausreichenden Anzahl kleiner Wiederkäuer und deren Prädatoren, nämlich Hunden, mangelt. Dank dessen ist die Drehkrankheit, die von den im Gehirn der Schafe eingenisteten Larvenstadien des Schafbandwurms verursacht wird, aus den Schafzuchten verschwunden. Allerdings verbreiten sich einige neue Parasitenarten in Europa. Häufig diskutierte Beispiele sind Filarien der Gattung Dirofilaria und Thelazia, von Stechmücken und Fliegen übertragen. Ihre Ausbreitung nach Norden wird mit dem globalen Klimawandel in Verbindung gebracht, aber auch mit Veränderungen innerhalb der Stechmückenpopulationen und bestimmter Fliegengruppen, die Filarien als Überträger und Zwischenwirte dienen. Die einzelnen Parasitenarten unserer Hunde und Katzen sind unterschiedlich zahlreich und wirken sich auch unterschiedlich auf die Gesundheit ihrer Haupt- oder Zwischenwirte aus, einschließlich des Menschen. Die wirklich häufigen und bedeutenden Arten sind im Folgenden aufgeführt.

Spulwürmer Es gibt nur sehr wenige Hunde- und Katzenzüchter, die noch nie von Spulwürmern gehört haben. Diese Fadenwürmer sind nicht nur relativ häufig, sondern auch ein Musterbeispiel für den Entwicklungszyklus eines Parasiten, der die Wahrscheinlichkeit der eigenen Übertragung maximiert. Der grundlegende Entwicklungszyklus des Hundespulwurms (Toxocara canis) umfasst eine Reihe von Möglichkeiten, wie sich ein Hund, insbesondere ein Welpe, infizieren kann (Abb. 5.1). Während ausgewachsene Hunde nur selten ausgewachsene Spulwürmer in ihrem Darm beherbergen, ist die Infektion für Welpen ein ernstes Problem. Nach versehentlichem Verzehr von Spulwurmeiern sammeln sich die mikroskopisch kleinen Spulwurmlarven allmählich im Körper der Hündin an und

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Abb. 5.1  Lebenszyklus des Hundespulwurms. Die Eier des Hundespulwurms (Toxocara canis) werden mit dem Kot des hundeartigen Raubtiers (Endwirt) in die Umgebung ausgeschieden (1), wo sie sich nach einigen Wochen zu infektiösen Larven entwickeln (2). Endwirte werden direkt durch den Verzehr infektiöser Eier angesteckt (3), aus denen im Magen Larven schlüpfen. Diese wandern über die Leber in die Lunge und gelangen dann beim Husten über die Atemwege in den Rachen, die Speiseröhre und weiter in den Magen und Dünndarm, wo sie ausreifen (4). Welpen können sich auch während der Entwicklung im Uterus über die Plazenta (5) oder nach der Geburt über die Muttermilch der Hündin infizieren, in deren Körper sich die wandernden Larven befinden. Wird das Ei von anderen (paratenischen) Wirten, einschließlich des Menschen, aufgenommen, entwickeln sich die Larven nur teilweise und kapseln sich anschließend in verschiedenen Geweben des Körpers ab (6). So kann sich der Endwirt indirekt durch den Verzehr eines infizierten Tiers, zum Beispiel eines Nagers, anstecken (7). (Quelle: Jana Bulantová)

überleben versteckt in verschiedenen Geweben in einer Art Ruhestadium. Infolge hormoneller Veränderungen bei der Hündin im Zusammenhang mit ihrer Trächtigkeit und der anschließenden Geburt und Laktation werden diese ruhenden Larven allmählich freigesetzt und können auf die noch ungeborenen Welpen übertragen werden, sodass diese bereits infiziert geboren werden. Nach der Geburt können sich die Welpen dann mit anderen, „reaktivierten“ Larven infizieren, die in der Muttermilch enthalten

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sind. Und natürlich ist die Infektion der Welpen auf gleiche Weise wie bei erwachsenen Hunden möglich – nämlich durch den versehentlichen Verzehr von Spulwurmeiern aus der Umgebung. Tatsächlich kann jede Hündin ihre Welpen mit Spulwürmern infizieren und selbst bei Welpen von Hündinnen, die in sehr sauberer bis steriler Umgebung gehalten werden, können überraschend schwere Infektionen auftreten. Vorbeugende und wiederholte Entwurmung aller Welpen mit geeigneten Anthelminthika1 ist ein sicherer und notwendiger Weg, um klinischen Auswirkungen der Infektion bei Welpen vorzubeugen. Spulwürmer bei Hunden und Katzen sind jedoch nicht nur für Welpen und Katzenjunge eine Gefahr. Obwohl Spulwürmer einwirtige Parasiten sind (d. h., sie haben keine Zwischenwirte), können sie auch die bereits erwähnte Beziehung zwischen Fleischfressern und ihren Beutetieren ausnutzen. Wird ein Spulwurmei von einem anderen Tier als einem Hund oder einer Katze verzehrt, beispielsweise von einem Nagetier, Vogel oder sogar Menschen, versteckt sich die Spulwurmlarve im Gewebe dieses Wirts und wartet unentdeckt, bis der infizierte Wirt (z. B. eine Maus oder ein Vogel) von einem Hund oder einer Katze erbeutet wird. Aufgrund eben dieser Absicherung und der großen Flexibilität ihrer Lebenszyklen werden Spulwürmer auch weiterhin der wichtigste innere Parasit unserer Hunde und Katzen sein. Die Krankheit, die wandernde Spulwurmlarven bei zufällig infizierten Menschen auslösen können, heißt larvale Toxocariasis. Der Großteil der Infektionen beim Menschen äußert sich nur durch das Vorhandensein von Antikörpern, die verraten, dass in einigen Teilen Europas bis zu einem Zehntel der Bevölkerung mit diesem Parasiten in Berührung kam. Glücklicherweise kommt es beim Menschen nur sehr selten zu klinischen Fällen. Gewöhnlich unterscheiden wir zwischen einer Augenund einer Organform, wobei beide sehr selten sind. Allein die Tatsache, dass Eier der an Hunden und Katzen parasitierenden Spulwürmer die Umwelt kontaminieren, sodass sich auch Menschen infizieren können, ist ein starkes Argument für regelmäßige und verantwortungsvolle Entwurmung fleischfressender Haustiere (Abb. 5.2).

1  So

schwerfällig es auch klingen mag, der korrekte Begriff ist wirklich Anthelminthikum, nicht Antihelminthikum.

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Abb. 5.2  Hundespulwürmer unter Menschen. Zu den häufigsten parasitären Würmern, mit denen Menschen in Mitteleuropa in Kontakt kommen, gehört der Hundespulwurm (Toxocara canis). Die weißlich gefärbten, adulten Spulwürmer (a) fallen aufgrund ihrer Größe in frischem Hundekot leicht auf. Unter dem Mikroskop lassen sich im vorderen Teil ihres Körpers die für Spulwürmer typischen drei Lippen um die Mundöffnung (b) erkennen. Auf neue Wirte werden Spulwürmer über Eier (c) übertragen, in denen sich in der äußeren Umgebung infektiöse Larven entwickeln (d). Das ist jedoch nicht der einzige Übertragungsweg. Spulwurmlarven können auch von der Hündin über die Plazenta auf den Fötus übertragen werden oder mit der Muttermilch in die Welpen gelangen. Zweifellos sind diese Parasiten erfolgreich, da einige westeuropäische Länder eine Prävalenz von bis zu 30 % in Hundepopulationen melden. Ähnlich häufig können Antikörper auch beim Menschen vorkommen, da sich der Mensch mit Eiern mitsamt den infektiösen Larven anstecken kann. Obwohl diese Larven im Menschen nicht ausreifen, können sie durch den Körper wandern und Schäden in infiziertem Gewebe verursachen (sog. larvale Toxocariasis). (Quelle: a, David Modrý; b–d, Jana Bulantová)

Bandwürmer Die zweite Gruppe häufiger innerer Parasiten von Hund und Katze sind Bandwürmer, insbesondere Arten der Gattung Taenia. Die häufigsten von ihnen sind Taenia hydatigena, T. pisiformis, Hydatigera taeniaeformis (früher als Taenia taeniaeformis bezeichnet) und weitere. Die Übertragung erfolgt über den Verzehr von Gewebe des Zwischenwirts mitsamt larvalen Stadien der Bandwürmer. Aufgrund eingeschränkter Fütterung mit rohem Fleisch

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und der begrenzten Möglichkeit, die Beutetiere (also Zwischenwirte) zu jagen, werden diese Bandwürmer unter unseren Haustieren jedoch immer seltener. Eine andere Bandwurmart, die sehr gut gedeiht, da sie von keiner Ernährungsumstellung abhängig ist, ist der Hundebandwurm (Dipylidium caninum). Die weißlichen, gurken- oder kürbiskernförmigen Segmente, die mit dem Hunde- oder gelegentlich auch Katzenkot ausgeschieden werden, sind unter Tierhaltern wohlbekannt. Der Grund für das Überleben dieses Bandwurms in Populationen fleischfressender Haustiere ist sein Lebenszyklus, der sich von dem der meisten anderen Bandwürmer deutlich unterscheidet. Als Zwischenwirt treten nämlich nicht, wie bei vielen anderen Bandwürmern, kleine Säugetiere auf, sondern Flöhe. Die Übertragung des Parasiten auf Hunde und Katzen erfolgt jedoch nicht, wie man meinen könnte, während des Blutsaugens, sondern während Hund oder Katze die Flöhe „ausbeißen“ und den Floh zusammen mit dem enthaltenen, winzigen Larvenstadium des Bandwurms verschlucken. Wie aber infiziert sich der Floh? Da der erwachsene Floh stechend-saugende Mundwerkzeuge hat und sich nur von Blut ernährt, muss die Infektion mit dem Bandwurm bereits im Larvenstadium erfolgen. Flohlarven, die hauptsächlich in den Schlafplätzen der Hunde und Katzen leben, nehmen mit der Nahrung versehentlich auch Bandwurmeier auf und die freigesetzte infektiöse Larve entwickelt sich in ihrem Körper anschließend zu einer winzigen Zyste, dem Zystizerkoid. Die Flohlarve verpuppt sich mitsamt dem Bandwurm im Körper und nach einiger Zeit schlüpft ein adulter Floh, der aber weiterhin mit dem Larvenstadium des Bandwurms infiziert ist. Findet der Floh seinen Wirt, der ihn anschließend „ausbeißt“ und frisst, kann der Bandwurm endlich seine Entwicklung im Darm des Endwirts, also des Hunds oder der Katze, abschließen. Ein Schlüsselfaktor der Therapie dieser Bandwürmer bei Tieren ist daher neben der Verabreichung eines Anthelminthikums die Entflohung. In die Liste müssen auch die gefürchteten Bandwürmer der Gattung Echinococcus aufgenommen werden, die bei Hunden und Katzen jedoch nur selten vorkommen. Während der Dreigliedrige Hundebandwurm (E. granulosus), hauptsächlich unter Schafen und Hunden zirkulierend, meist in der Balkanregion vorkommt, ist der Fuchsbandwurm (E. multilocularis) ein weit verbreiteter Darmparasit mitteleuropäischer Füchse, die als Endwirt seiner Verbreitung in freier Wildbahn fungieren (Abb. 5.3). Die Zwischenwirte dieser Bandwurmart sind Nagetiere. Die Hauptgefahr dieser Bandwürmer besteht in der möglichen, wenn auch seltenen Infektion des Menschen. Diese erfolgt beispielsweise durch den Verzehr mit Fuchskot verunreinigter Beeren. Der Mensch erfüllt dann die Rolle des Zwischenwirts,

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Abb. 5.3  Der „Blaubeerbandwurm“. Der Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) kommt vor allem, aber nicht ausschließlich, bei Füchsen vor. Die winzigen adulten Parasiten (a) halten sich mit dem Köpfchen (b) mit vier Saugnäpfen und einem Kranz von Häkchen an der Darmschleimhaut fest. Ein häufiger Zwischenwirt sind kleine Nagetiere, die sich mit dem mikroskopisch kleinen Ei (c) und der enthaltenen infektiösen Larve infiziert. Die Larve wird im Körper des Wirts freigesetzt, wandert zu den inneren Organen (am häufigsten zur Leber) und verwandelt sich dort in einen anderen Larventyp, der im infizierten Organ heranwächst. Eine ähnliche Situation kann in seltenen Fällen bei Menschen auftreten, die versehentlich ein Ei dieses Bandwurms verspeisen, das zum Beispiel an Blaubeeren oder anderen mit Fuchskot verunreinigten Beeren klebt. Die langsam wachsende Larve schädigt anschließend einen erheblichen Teil der Leber und eine unbehandelte Infektion kann zum Tod führen. Das Hauptvorkommen des Fuchsbandwurms wurde früher in der Alpenregion vermutet, inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass infizierte Füchse praktisch in ganz Mitteleuropa vorkommen; glücklicherweise liegt die Zahl der menschlichen Infektionen in den meisten Ländern nur im Bereich einiger Dutzend. (Quelle: Jana Bulantová)

das Larvenstadium des Bandwurms, eine Art Riesenzyste, nimmt allmählich an Größe zu und beherbergt die ungeschlechtliche Vermehrung der unreifen Fuchsbandwürmer. Hauptsächlich während der Sommerpause erregt diese Krankheit die Aufmerksamkeit öffentlicher Medien, sodass Zeitungen und Fernsehschirme mit alarmierenden Berichten über den „Blaubeer-“ oder „Fuchsbandwurm“ überflutet werden. Das Risiko einer Infektion des Menschen durch den Verzehr frischer Beeren im Freien ist zwar sehr gering, aber nicht ausgeschlossen.

Filarien Nur wenige Hundeparasiten haben einen so miserablen Ruf wie der Herzwurm (Dirofilaria immitis, Abb. 5.4). Dieser von Stechmücken übertragene Parasit befällt die Herzkammern und -vorhöfe und verursacht erhebliche Kreislaufprobleme, die in einigen Fällen zum Tod des Hundes führen. Die zweite, weniger gefürchtete Art von Hundefilarien ist Dirofilaria repens, die haupt-

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Abb. 5.4  Herzwürmer und andere Nematoden (Fadenwürmer) bei Hunden. Der Herzwurm (Dirofilaria immitis) befällt die Herzkammern und -vorhöfe von Hunden und verursacht schwerwiegende Erkrankungen. Eine weitere Art der Hundefilarien ist Dirofilaria repens, die im Unterhautgewebe lebt und weit weniger gefährlich ist. In den letzten Jahren breiten sich beide Filarienarten in Europa nach Norden aus und können neben Hunden auch Menschen infizieren, bleiben bei uns jedoch im Unterhautgewebe und befallen nie das Herz. Filarien werden von den blutsaugenden Weibchen der Stechmücke übertragen. Das Foto zeigt eine weibliche Rheinschnake (Aedes vexans) (a) am Arm des Fotografen saugend; der Rüssel ist vollständig in die Haut getaucht und die gewölbte „Scheide“ des Rüssels, das Labium (Unterlippe), ist unter dem Körper zusammengefaltet. Das Weibchen saugt die Larvenstadien der Filarien, die Mikrofilarien (b), ein, die in seinem Körper eine komplexe Entwicklung durchlaufen. Im letzten Entwicklungsstadium in der Mücke wandern die Filarienlarven in das Labium, wo sie darauf warten, dass das infizierte Weibchen den nächsten Wirt (ein Wirbeltier) sticht. Dann kriechen sie durch die Wand des Labiums und siedeln sich in der Haut des Wirts an, wo sie ihre Entwicklung bis zum Erwachsenenstadium fortsetzen. (Quelle: a, David Modrý; b, Jana Bulantová)

sächlich im Unterhautgewebe lebt und ebenfalls durch Mücken übertragen wird. Beide Wurmarten galten bis vor Kurzem als Parasiten von Hunden, die in warmen Gebieten des Mittelmeerraums leben. Während der letzten zwei Dekaden breiteten sie sich jedoch nach Norden aus. Die Welle negativen Ruhms wurde leider von einigen Pharmaunternehmen ausgenutzt, um Hundebesitzer mit Bildern von Hundeherzen voller Filarien unnötig zu verängstigen. Eine bedeutende Begleiterscheinung der Ausbreitung von Filarien sind jedoch Infektionen mit D. repens beim Menschen, die in ganz Europa zunehmen und nun auch in der Bevölkerung nördlicher Länder auftreten.

Weniger häufige Helminthiasen Die Bandbreite der parasitären Würmer, die sporadisch bei Hunden und Katzen vorkommen können, ist viel größer. Zu ihnen gehören der Hundehakenwurm (Ancylostoma caninum), der Fuchshakenwurm (Uncinaria

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stenocephala) und der im Dickdarm parasitierende Peitschenwurm (Trichuris vulpis). Diese Helminthen kommen in der Regel nur in Einrichtungen vor, in denen viele Hunde zusammenleben, und ihr Auftreten zeugt von unzureichender Hygiene und Prävention. Andere Arten von Fadenwürmern dringen in das Atmungssystem ein und können Atemprobleme verursachen. Dazu gehören beispielsweise Fadenwürmer der Gattung Aelurostrongylus und Troglostrongylus bei Katzen und der Fadenwurm Crenosoma vulpis bei Hunden. In der Entwicklung und Übertragung dieser Parasiten spielen terrestrische Quellen, insbesondere Nacktschnecken, eine wichtige Rolle. Eine ähnliche Entwicklung durchläuft auch der Französische Herzwurm (Angiostrongylus vasorum), ein seltener Lungenparasit bei Hunden. Die Bedeutung und Verbreitung dieser weniger häufigen Schmarotzer unserer Hunde und Katzen ist ein viel diskutiertes Thema und womöglich bleiben einige Infektionen aufgrund undeutlicher klinischer Anzeichen unbemerkt. Angesichts der Seltenheit dieser Nematoden bei Hunden spielen wahrscheinlich Füchse und möglicherweise andere Fleischfresser eine wichtige Rolle bei der Persistenz dieser Infektionen.

Toxoplasma gondii bei Katzen und andere Kokzidiosen Der Einzeller Toxoplasma gondii und die Toxoplasmose beim Menschen sind Gegenstand eines großen Teils des vorherigen Kapitels. Dennoch ist es nicht unangebracht, uns einige grundlegende Fakten über Infektionen bei Katzen, den einzigen Endwirten dieses gefürchteten und weit verbreiteten Erregers, in Erinnerung zu rufen. In der Tat sind Katzen und andere Katzenartige die einzigen Wirte, die resistente, in der Umwelt überlebensfähige Stadien des Parasiten, die Oozysten, verbreiten. Dennoch stellt der direkte Kontakt mit einer Katze kein annähernd so großes Risiko für Toxoplasmose beim Menschen dar, wie manchmal dargestellt wird. Infizierte Katzen scheiden in der Regel nur wenige Tage lang Oozysten in ihrem Kot aus, in der Regel bis zum Alter von sechs Monaten. Der absolute Großteil ausgewachsener Katzen ist dann gegen Darminfektionen resistent und spielt bei der Übertragung der Infektion keine wesentliche Rolle mehr. Auch in Haushalten lebende Katzen und Kätzchen, die keine Nagetiere oder Vögel jagen können und keinen Zugang zu rohem Fleisch haben, können sich nicht infizieren und die Infektion daher nicht auf den Menschen übertragen. Toxoplasmose beim Menschen ist für schwangere Frauen eine gefährliche Krankheit, da sie auf den Fötus übertragen werden kann. Daher ist

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während der Schwangerschaft eine gewisse Vorsicht im Umgang mit Katzen angebracht. Da das Risiko einer direkten Übertragung durch eine Katze gering ist, sind keine dramatischen Lösungen wie das Einschläfern der eigenen Katze oder ein Kontaktabbruch zu Familienmitgliedern erforderlich, nur weil diese eine Katze halten. Eine parasitologische Untersuchung des Katzenkots, grundlegende Hygiene im Umgang mit der Katze, sorgfältige Entsorgung des Katzenkots und eine kontrollierte Ernährung, die nur Vollwertkost oder gekochtes Fleisch enthält, reichen vollkommen aus. An Toxoplasmose können auch Hunde erkranken, aber ihr Beitrag zur Verbreitung der Infektion ist gleich null und ein Mensch kann sich auf keinen Fall bei einem Hund anstecken (es sei denn, er verspeist ihn im Rohzustand2). Toxoplasmen sind bei Weitem nicht die einzigen parasitären Einzeller bei Hund und Katze. Ein verwandter Erreger ist die erst vor Kurzem entdeckte Kokzidie Neospora caninum, die in seltenen Fällen das zentrale Nervensystem bei Hunden beeinträchtigen kann. Der Hund als Endwirt (ähnlich wie die Katze im Fall von T. gondii ) ist die Quelle resistenter Oozysten in der Umwelt. Menschen können sich nicht infizieren, aber die Neosporose ist eine wichtige Ursache für Aborte bei europäischen Rindern. In Rinderherden wird die Infektion jedoch auch transplazentar von einer Generation auf die nächste übertragen und es bleibt unklar, welche Rolle der Hund in der Epidemiologie der Rinderinfektionen spielt. Die anderen zweiwirtigen Einzeller bei Hund und Katze (Vertreter der Gattungen Sarcocystis, Besnoitia, Hammondia ) sind nicht von klinischer Bedeutung und treten nur sporadisch auf.

Ein Hundefloh für jedermann! Hunde und Katzen beherbergen auch eine Vielzahl äußerer Parasiten (Ektoparasiten), von denen viele wahrscheinlich keiner besonderen Vorstellung bedürfen. Flöhe, Zecken und Erreger von Räude sind insoweit typische Parasiten, als sie ihren festen Platz im Bewusstsein der Tierhalter und in vielen Sprichwörtern fanden. Lassen wir die Frage beiseite, ob eine Tablette, ein Halsband oder eine Pipette das beste Mittel gegen die Plagegeister unserer Haustiere ist, und sehen wir uns die grundlegenden Fakten und Mythen über die Biologie der wichtigsten äußeren Parasiten an.

2 Nichtsdestotrotz

besteht ein gewisses Restrisiko, nämlich wenn sich der Hund beim „Parfümieren“ in infiziertem Katzenkot wälzt und die darin enthaltenen Oozysten im Fell anschließend seinem Besitzer direkt unter die Nase oder in den Mund bringt.

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Da ist beispielsweise der  Floh.  An unseren Hunden und Katzen parasitieren der Hunde- bzw. der Katzenfloh, wobei Letzterer viel häufiger vorkommt (Abb. 5.5). Für kurze Zeit verschmähen allerdings beide auch den Menschen nicht. Um den Lebenszyklus von Flöhen richtig zu verstehen, muss ein grundlegender Aspekt ihres Lebens hervorgehoben werden, nämlich die Tatsache, dass nur ausgewachsene Flöhe an Hunden und Katzen parasitieren, während sich ihre Larven und Puppen in der Umgebung befinden, in der sich unsere Haustiere am häufigsten aufhalten. Die weißlichen, raupenähnlichen Flohlarven, die Larven von Lebensmittelmotten ähneln, leben in Hunde- und Katzenbetten, Hundea

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Abb. 5.5  Der Flohmarkt und „menschliche“ Flöhe. Der Flohmarkt (flea market) hat seinen Namen wahrscheinlich wirklich von den Flöhen, die ihre neuen Besitzer gleich nach dem Kauf alter Möbel, Kleidung usw. befielen. Am häufigsten sind heutzutage Hundeflöhe und vor allem Katzenflöhe (Ctenocephalides felis) (a, b), die freudig sowohl an Haustieren als auch an Menschen saugen. Beide Arten tragen zwei auffällige Kämme mit dunklen Stacheln auf dem Kopf. Vogelflöhe (Gattung Ceratophyllus ), die nur selten an Menschen saugen, besitzen dagegen nur einen Kamm (c). Der früher weit verbreitete Menschenfloh (Pulex irritans) (d), der sich als einziger Floh in menschlichen Wohnungen (ohne Haustiere) vermehrt, wird immer seltener und ist am Fehlen der dunklen Kämme auf dem Kopf zu erkennen. Flöhe sind typische Vertreter der Insekten mit vollkommener Metamorphose, ihre Entwicklung ähnelt zum Beispiel der von Schmetterlingen. Aus dem Ei schlüpft eine dem adulten Tier vollkommen unähnliche Larve (e) (bei Schmetterlingen bezeichnen wir sie als Raupe), die sich anschließend verpuppt und in einem komplexen Prozess in einen ausgewachsenen Floh verwandelt. Die Larven unterscheiden sich von ausgewachsenen Tieren nicht nur im Aussehen, sondern auch in der Ernährungsweise. Während adulte Flöhe stechende Mundwerkzeuge haben und Blut saugen, haben Larven beißende Mundwerkzeuge und ernähren sich von totem organischem Material. (Quelle: Jana Bulantová)

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hütten, aber auch in Teppichen, in Falten von Kissenbezügen oder zum Beispiel im Schatten unter der Gartentreppe, wo sie sich in unauffälligen Kokons verpuppen. Den Anreiz für das Schlüpfen eines neuen Flohs aus der Puppe geben meist Erschütterungen, verursacht durch die Bewegung des Wirts. So ist es nicht ungewöhnlich, dass die Ankunft im Ferienhaus nach mehrwöchiger Abwesenheit ein massenhaftes Schlüpfen der Flöhe auslöst, welches für schlaflose, aber stichreiche Nächte sorgt. Dieser Dualismus des Flohlebens muss bei der Flohbekämpfung berücksichtigt werden, die immer mit der Vernichtung der Flohlarven in unserer Umgebung einhergehen sollte. Zum Spektrum moderner Flohmittel gehören Präparate, die in das Hormonsystem des Flohs eingreifen (analog zum Juvenilhormon) und die Flohlarven an der Reifung hindern, also die Entwicklung der nächsten Generation blockieren. Natürlich hängt der Grad des negativen Einflusses von Flöhen auf Hunde oder Katzen von ihrer Anzahl ab. Aber selbst ein einziger Floh kann bei einem Hund ernsthafte Gesundheitsprobleme verursachen, zum Beispiel eine Allergie gegen Flohstiche. Sie wird durch die individuelle Überempfindlichkeit einiger Hunde (oder Katzen) gegenüber den im Flohspeichel enthaltenen Allergenen hervorgerufen. So kann ein einziger Flohstich zu einer schweren allergischen Hautreaktion führen, die noch lange anhält, nachdem der Floh den Hund verlassen hat oder beseitigt wurde.

Bis zum Zeckenstich … Ein weiterer „Evergreen“ unter den Hundeparasiten sind Zecken, die ebenfalls teilweise im vorherigen Kapitel behandelt werden. Mit Zecken hat wirklich jeder Hundebesitzer Bekanntschaft gemacht und viele auch die unangenehme Erfahrung mit einer dicken, vollgesaugten Zecke, die zuhause auf dem Teppich oder Fußboden zerquetscht oder unter der warmen Bettdecke gefunden wurde. Die in Mitteleuropa dominante Zecke ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus, Abb. 5.6). Auf Hunden finden wir in der Regel ausgewachsene Zecken, also festgebissene Weibchen, während Männchen kein Blut saugen und auf dem Wirt nichts als ein geeignetes Weibchen zur Paarung suchen. Für Zecken gilt, dass nur ein kleiner Teil der Zeckenpopulation auf Hunden oder Katzen lebt. Die allermeisten Zecken findet man in der Natur auf Wildtieren – von Eidechsen über Vögel, Nagetiere, Igel, Eichhörnchen, Füchse und Schalenwild. Aus diesem Grund kann der Kampf gegen Zecken nie gewonnen werden. Zecken waren schon vor uns hier,

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Abb. 5.6  Aus dem Leben der Zecke. Ausgewachsene Weibchen der häufigsten Zecke, des Gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus), saugen mit Begeisterung an Menschen, Haustieren wie Hunden (a), an Wildtieren, insbesondere Schalenwild, und anderen großen Säugetieren. Larven und Nymphen halten sich jedoch auch auf Vögeln, Nagetieren oder Eidechsen auf (b). Die Zeckenlarve (d) lässt sich wie die Larve jeder anderen Milbe anhand ihrer drei Beinpaare von den achtbeinigen Nymphen und adulten Tieren unterscheiden. Obwohl im Erwachsenenstadium nur die Weibchen saugen, suchen auch die Männchen, die an ihrem den ganzen Körper bedeckenden Schild zu erkennen sind, nach Wirten. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Wirt auf ein Weibchen zu treffen und sich mit ihm paaren zu können (c, das Männchen orange markiert), ist dort um ein Vielfaches höher als in der freien Wildbahn. (Quelle: a, David Modrý; b–d, Jana Bulantová)

leben an unserer Seite und werden auch nach uns bleiben. Der Gemeine Holzbock ist nicht nur ein unangenehmer Nutznießer, sondern auch Überträger gefürchteter menschlicher Krankheiten wie der viralen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), der bakteriellen LymeBorreliose und des ebenfalls bakteriellen Q-Fiebers. Die Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass der Erreger der Lyme-Borreliose auch bei Hunden von Bedeutung ist, dagegen wissen wir über die Bedeutung von FSME bei Hunden erschreckend wenig. Das Spektrum der durch Zecken übertragenen

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Erreger von Hundekrankheiten wird durch Anaplasma phagocytophilum, den Erreger der immer häufiger diagnostizierten Anaplasmose, ergänzt. In den südlichen Regionen Europas findet sich an Hunden häufig die Braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus), deren Assoziation mit Hunden sich schon in ihrem Namen spiegelt. Diese Zecke ist verantwortlich für die Übertragung von Ehrlichiose und insbesondere der gefürchteten Babesiose des Hunds, einer Erkrankung der roten Blutkörperchen, die durch Einzeller der Gattung Babesia verursacht wird. Dieser Parasit wird auch von einer anderen wärmeliebenden, auf Hunden vorkommenden Zeckenart übertragen, der Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus, Abb. 5.7), die sich allmählich nach Norden ausbreitet und inzwischen in Mitteleuropa weit verbreitet ist.

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Abb. 5.7  Zecken müssen nicht immer eklig sein. Die recht große und auffällige Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) gilt als wärmeliebende Zecke, hat sich aber, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, allmählich über den Großteil Europas ausgebreitet und sich an ein Leben im hohen Norden angepasst. Eine Larve oder Nymphe zu finden, ist praktisch unmöglich, da diese Stadien meist an die Höhlen ihrer Wirte gebunden sind, aber die auffälligen lauernden adulten Zecken (a) mit ihrem glänzend verzierten Schild sind nicht zu übersehen und können dank ihrer Färbung sogar Sympathien wecken. Auch bei dieser Zeckenart saugt nur das Weibchen und ist an dem kleineren Schild zu erkennen (a, b). In den betroffenen Gebieten treten Hunde (b) häufig als Wirte auf, während Menschen eher selten von der Auwaldzecke befallen werden. (Quelle: David Modrý)

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Das Vorhandensein von Zecken ist mit einer Reihe „garantierter“ Ratschläge zu ihrer Entfernung verbunden. Zecken beißen sich mit einer Art Rüssel (Hypostom) mit rückwärtig gerichteten Zähnchen in der Haut fest. Es spielt keine Rolle, ob die Zecke im oder gegen den Uhrzeigersinn herausgedreht wird, da die Widerhäkchen in konzentrischen Kreisen und nicht spiralförmig angeordnet sind. Genauso ist es egal, ob eine herkömmliche Pinzette, eine ausgefeilte Kunststoffpinzette oder ein pinzettenähnliches „Instrument“ verwendet werden. Wichtiger ist es, die Zecke als Ganzes einschließlich des „Köpfchens“ (des Hypostoms) zu entfernen, um das Eitern der Wunde zu verhindern. Beim Entfernen der Zecken dürfen Sie nicht vergessen, dass gerade diese Zecke Erreger von FSME oder LymeBorreliose enthalten könnte. Wie man die arme Zecke dann entsorgt, hängt vom Grad des eigenen Einfallsreichtums und der Brutalität ab. Ich selbst entscheide mich für die Alibispülung die Toilettenschüssel hinunter und ein knappes „Lebewohl“.

Krätze und Räude Eine typische, auch für den Laien offensichtliche Erkrankung von Hunden und Katzen ist die Krätze, auch bekannt als Räude. Sie wird durch mikroskopisch kleine, parasitäre Milben verursacht, die in den tieferen Schichten der Haut leben. Während leichte Infektionen mit der Krätzmilbe (Sarcoptes canis) leicht unbemerkt bleiben können, zeigen sich bei fortgeschrittenen Formen der Krankheit deutliche Hautveränderungen, die mit Haarausfall einhergehen. Wirklich schwerwiegende Infektionen führen dann zu einer umfassenden Erkrankung, die zum Tod führen kann. Räude macht auch vor Wildtieren nicht Halt und ihre klinischen Formen treten zum Beispiel bei Füchsen auf. Unter Laien ist es nicht unüblich, den Begriff „Räude“ für alle möglichen Hautkrankheiten bei Hunden zu verwenden. Die Diagnose kann leicht von tierärztlichem Personal durch eine mikroskopische Untersuchung gestellt werden und die Behandlung ist heutzutage problemlos und sehr schnell. Allerdings ist die klassische Räude, die durch Milben verursacht wird, bei Hunden eher selten und die meisten Hautprobleme gehen auf Allergien, unter anderem durch Flohstiche, und verschiedene hormonelle Störungen zurück. Bei Katzen tritt Räude häufiger auf, insbesondere bei den streunenden, und wird durch die Sarkoptesmilbe (Notoedres cati) verursacht. Das Spektrum der wichtigen Hautparasitosen bei Hunden und Katzen wird durch die Ohrräude ergänzt, die durch im äußeren Gehörgang lebende Milben (Otodectes cynotis) hervorgerufen wird.

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Eine weitere durch Milben verursachte Krankheit ist Demodikose, eine Hauterkrankung bei Hunden, die von der Haarbalgmilbe Demodex canis verursacht wird (Abb. 5.8). Haarbalgmilben sind selbst bei klinisch völlig gesunden Hunden recht häufig. Die Hunde leben mit ihnen, ohne Komplikationen zu erleiden. Allerdings ist klinische Demodikose eine komplizierte Krankheit, deren Entstehung von der erblichen Veranlagung und Immunitätsstörungen bei Hunden beeinflusst wird. Der Hauptinfektionsweg liegt in der Übertragung von Hündinnen (womöglich frei

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Abb. 5.8  Die verborgene Vielfalt der Milben. Im Vergleich zu Insekten sind Milben eine optisch weit weniger attraktive Gruppe. Zwar können einige große Zecken aufgrund ihrer metallisch glänzenden Schilde etwas Aufmerksamkeit erregen, die meisten Milben sind in Bezug auf Farbe und Größe aber völlig uninteressant. Daher kann erst der mikroskopische Blick etwas von ihrer Schönheit und Vielfalt enthüllen. Die an Kaninchen parasitierende Milbe Psoroptes cuniculi (a) befällt die äußeren Gehörgänge ihrer Wirte und verursacht die Ohrräude. Das Bild zeigt deutlich den Unterschied zwischen dem kleineren Männchen (die Männchen dieser Milbengruppe haben ein verkümmertes letztes, viertes Beinpaar) und dem größeren Weibchen, in dessen Körper ein auffallend großes Ei zu sehen ist. Die parasitäre Lebensweise und die Ansiedlung des Schmarotzers auf oder im Wirt führen häufig zu einer erheblichen Veränderung der Gesamterscheinung. Haarbalgmilben der Gattung Demodex (b) leben in den Haarfollikeln ihrer Wirte und können in einigen Fällen Haarausfall (Alopezie) und Hautkrankheiten (z. B. Demodex-Räude bei Hunden; allgemein Demodikose genannt) verursachen. An ihren Lebensraum hat sich die Milbe perfekt angepasst: Sie ist länglich, hat verkümmerte Gliedmaßen und besitzt keine Haare oder andere Auswüchse. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, David Modrý)

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von klinischen Symptomen) auf ihre Welpen, bei denen sich die Krankheit erst später entwickeln kann. Aufgrund der problematischen Behandlung ist Demodikose ein häufig diskutiertes Thema und der Grund vieler Streitigkeiten zwischen Züchtern. Für die Besitzer infizierter Tiere und ihr Umfeld ist sehr wichtig zu wissen, dass die überwiegende Mehrheit der durch Milben verursachten parasitären Hautkrankheiten nicht auf den Menschen übertragbar und die Pflege betroffener Tiere daher völlig risikolos ist. Die einzige Ausnahme sind kurzzeitige Infektionen (sog. Pseudokrätze), die durch die jüngsten Stadien der Hundemilben verursacht werden und bei den Besitzern infizierter Tiere zu Dermatitis führen können. Angesichts des seltenen Vorkommens echter Räude bei Hunden sind diese kurzzeitigen Infektionen beim Menschen jedoch eine echte Seltenheit und außerdem völlig unproblematisch behandelbar.

Unangenehme Mitbringsel von Reisen Von Zeit zu Zeit sehnen die meisten sich nach einem Ausflug in Gebiete, wo der Himmel blauer, das Meer wärmer und die Sonne strahlender ist, als zuhause. Und viele Hundebesitzer packen neben Badesachen und Sonnencreme auch ihren Tierfreund ein. Das warme Küstenklima begünstigt jedoch nicht nur den Tourismus. In den Anrainerstaaten des Mittelmeers und, in geringerem Maße, des Schwarzen Meers können sich unsere vierbeinigen Begleiter mit einer Reihe von Parasiteninfektionen anstecken, die in Mitteleuropa selten sind. Insbesondere handelt es sich um Leishmaniose, Babesiose und die Herzwurmkrankheit, und da die Zahl mitreisender Hunde in den letzten Jahrzehnten zunahm, kommen auch Fälle von Einschleppung der oben genannten Infektionen häufiger vor. Obwohl sich importierte Leishmaniosen mangels geeigneter Überträger nicht weiter ausbreiten können und daher keine Ansteckungsgefahr für andere Hunde oder deren Besitzer darstellen, bedeuten sie ein ernsthaftes Risiko für die Gesundheit infizierter Hunde. Die Prävention dieser parasitären Infektionen sollte immer im Voraus mit dem behandelnden tierärztlichen Personal besprochen werden. Außer für Leishmaniose bei Hunden gibt es keine ausreichend wirksame vorbeugende Impfung gegen diese Krankheiten. Das Risiko einer Infektion kann jedoch durch eine angemessene Behandlung der Hunde gegen die Überträger dieser Parasiten – blutsaugende Insekten und Zecken – erheblich verringert werden.

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Nager und anderes Getier Hund und Katze sind lange nicht mehr die einzigen Haustiere. In den letzten Jahrzehnten sind auch zahlreiche Nagetiere und andere kleine Säuger in unsere Häuser eingezogen. Vor allem in städtischen Wohnungen werden Meerschweinchen, Ratten, Hamster, Chinchillas oder Zwergkaninchen wegen ihrer geringen Größe und geringen Ansprüche gehalten. Sie alle haben ihre eigenen Krankheiten und Parasiten und werden von ihren Besitzern in Tierarztpraxen und Kliniken gebracht (Abb. 5.9). Wie ihre wilden Vorfahren sind auch Nagetiere, die in menschlicher Obhut gehalten werden, häufig mit einer Reihe innerer Parasiten und äußeren „Getiers“ infiziert. Ihre möglichen gesundheitlichen Auswirkungen hängen in der Regel von der Herkunft unserer Tiere und den a

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Abb. 5.9  Eingefärbte Einzeller. Die einzellige Lamblie Giardia intestinalis, zu den Flagellaten gehörend, ist der Erreger einer Darminfektion, die beim Menschen als Giardiasis oder Lambliasis bezeichnet wird. Lamblien gehören zu den Diplomonaden, deren Name auf die Verdoppelung der Zellorganellen zurückzuführen ist. Ihre begeißelten Stadien heften sich mit einer Saugscheibe an die Darmzellen des Wirts. Diese Stadien sind durch zwei Kerne und den sogenannten Mediankörper gekennzeichnet, die zusammen wie Augen und ein lächelnder Mund aussehen (der entstehende Eindruck erinnert ein wenig an einen Drachen, den Kinder steigen lassen). Zur Visualisierung zellulärer Strukturen kann eine Reihe verschiedener Methoden eingesetzt werden. Eine der gebräuchlichsten und einfachsten Methoden ist die Färbung nach Giemsa und Romanovsky (a), bei der sich der Zellkern, die Geißeln und einige andere Strukturen dunkelviolett färben, während das Cytoplasma der Zellen schwach rosa erscheint. Wesentlich komplexer ist die Fluoreszenzmarkierung (b), die auf der spezifischen Färbung einzelner Strukturen mit unterschiedlich leuchtenden Fluoreszenzfarben beruht. In diesem Fall sind die Geißeln und das Cytoskelett (eine Art Zellgerüst) grün, der Zellkern blau und die Mitosomen (eine Art vereinfachter Mitochondrien) rot gefärbt. (Quelle: a, Břetislav Koudela; b, Jana Bulantová)

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Haltungsbedingungen selbst ab. Auch hier gilt: je größer die Anzahl der Tiere, desto besser die Bedingungen für Übertragung und Überleben der Parasiten in der Wirtspopulation. Vor allem in großen Zuchtgruppen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Parasit genügend neue Wirte findet. Ebenso ist die individuelle Pflege und Krankheitsdiagnose bei Zuchtgruppen mit Dutzenden von Tieren sehr viel schwieriger. Das andere Extrem sind individuell gehaltene Tiere, die echten Haustiere. Sofern sie keine Parasiten von ihrem Herkunftsort, dem früheren Züchter, mitbringen, haben sie normalerweise keine Chance mehr, sich in der neuen Umgebung zu infizieren. Von den zahlreichen Parasiten, die Nagetiere befallen können, haben nur wenige ihren Weg in die Zuchten gefunden. Typische Vertreter sind Kokzidien, Kryptosporidien wie auch Band- und Fadenwürmer im Verdauungstrakt. Zu den Ektoparasiten gehören Läuse, Kieferläuse und Milben. Der Beschreibung der einzelnen Parasiten widmen sich andere Teile des Buchs. Dieses Kapitel befasst sich damit, was der Besitzer mit dem Tierarzt zusammen tun kann, um die negativen Auswirkungen von Infektionen zu verhindern.

Ratschlag Nr. 1: Auch Mäuse sind Tiere Lassen Sie sich nicht von der Tatsache täuschen, dass kleine Nagetiere in jedem Zoogeschäft zum Preis einer Tafel besserer Schokolade zu erwerben sind. Auch Nagetiere sind lebende Tiere, die eigene Ansprüche an ihre Umgebung, ihre Nahrung und ihren Lebensraum haben. Einige Arten wie Degus und Chinchillas haben zudem hoch spezifische Anforderungen an Teilkomponenten der Nahrung, die Bewegung, das Klima usw. Falsch gewählte Umgebung, schlechte Hygiene und Beeinträchtigung durch unpassende Ernährung tragen alle zur Entwicklung von Infektionskrankheiten bei, einschließlich der parasitären. Falls Sie nicht weiterwissen, fragen Sie nach!

Ratschlag Nr. 2: Seien Sie bei der Wahl des Züchters wählerisch Der Kauf eines Meerschweinchens oder Hamsters ist in gewisser Weise ein besonderes Ereignis und jeder Besitzer erwartet, dass das Tier gesund und glücklich ist. Um dies zu gewährleisten, sollte das neue Familienmitglied aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammen, idealerweise von einem

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erfahrenen Züchter, der sich seinen Tieren widmet. Oft erhalten Sie auch wertvolle Ratschläge, insbesondere wenn Sie Anfänger sind. Kleinsäuger, die massenhaft in Zoohandlungen verkauft werden, stammen oft aus Großzuchten, wo die Tiere wie Handelsware behandelt werden und nicht die beste Pflege erhalten. Aus solchen „Farmen“ bringen Nagetiere häufig verschiedene Infektionen und Parasiten wie Bandwürmer der Gattung Hymenolepis, Kokzidien der Gattung Eimeria, Kryptosporidien und verschiedene Ektoparasiten mit.

Ratschlag Nr. 3: Kontrollieren Sie den Neuankömmling Aus den vorangegangenen Zeilen geht hervor, dass jedes neu erworbene Tier seine eigenen Parasiten und andere Pathogene haben kann. Es ist Aufgabe des neuen Eigentümers, dafür zu sorgen, das Tier zu kontrollieren und Abhilfe zu schaffen. Auch ein absoluter Laie kann das Tierfell sorgfältig nach krabbelndem Ungeziefer durchsuchen. Auf Nagetieren parasitierende Arten gehen in der Regel nicht auf den Menschen über (mit Ausnahme einiger Milben). Für ihren nagenden Wirt sind diese kleinen Plagegeister jedoch sehr lästig und verursachen Juckreiz, Haarausfall und Hautveränderungen. Der zweite Schritt ist eine parasitologische Untersuchung des Kots. Dazu reichten ein paar frische Köttel, die entweder persönlich oder über die Veterinärpraxis an das Labor geliefert werden. Nur durch eine mikroskopische Untersuchung des Kots können mögliche innere Parasiten entdeckt werden. Diese Untersuchung sollte regelmäßig wiederholt werden (mindestens zweimal während der ersten drei Monate). Nur auf der Grundlage eines positiven Befunds kann über eine anschließende gezielte Behandlung entschieden werden.

Ratschlag Nr. 4: Vertrauen Sie Ihrem Tierarzt, auch ein kleines Tier kann ein großes Problem haben Falls Sie Zweifel an der Gesundheit Ihres Haustiers haben, Parasiten vermuten oder einfach wissbegierig sind, ist es wahrscheinlich an der Zeit, eine Tierklinik aufzusuchen. Nicht alle Tierärzte haben die gleiche Erfahrung mit der Behandlung von Nagetieren, aber eine professionelle Grunduntersuchung und Beratung bieten alle. Mangelnde Bereitschaft kann vorkommen, ist aber kein Grund zur Entmutigung – versuchen Sie es woanders. Telefonbücher quellen über vor guten Tierarztpraxen, allerdings müssen Sie damit rechnen, dass die Behandlungskosten Ihres Tiers schon

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beim ersten Besuch den Anschaffungspreis übersteigen. Das sollte aber keinesfalls ein Grund sein, sich keine professionelle Hilfe zu suchen. Häufig gestellte Fragen der Tierhalter beziehen sich auf die Risiken einer möglichen Übertragung der Parasiten von ihren Nagern auf den Menschen. Diese Frage ist vor allem für kleinere Kinder von Bedeutung, deren Hygiene im Umgang mit ihren Haustieren meist nicht sonderlich vorbildlich ist, und kann nicht eindeutig beantwortet werden. Nagetiere können in bestimmten Situationen eine Infektionsquelle des Zwergbandwurms (Hymenolepis nana), von Kryptosporidien oder Lamblien sein. Diese Fälle sind jedoch selten und bedeuten unter normalen Umständen keine lebensbedrohliche Infektion. Ein gewisses Risiko können blutsaugende Milben darstellen, die bei übermäßigem Vorkommen, dem Tod des Nagetiers oder der Manipulation mit der Einstreu auch Menschen befallen und durch ihre Stiche unangenehme allergische Hautreaktionen hervorrufen können. Neben den typischen Parasiten gibt es auch andere Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden (Zoonosen). Dabei handelt es sich häufig um Pilzerkrankungen. Dazu gehört auch eine relativ neu beschriebene Krankheit, die Dermatomykose bei Meerschweinchen. Sie wird durch den Pilz Trichophyton benhamiae verursacht, der kleine Kinder beim Spielen mit ihren Haustieren infizieren kann. Werden die oben genannten Ratschläge befolgt und ein vernünftiges Maß an Hygiene eingehalten („Nimm den Hamster aus dem Mund!“, „Spuck den Köttel augenblicklich wieder aus!“), ist die Haltung von Nagetieren jedoch mehr oder weniger risikolos. Erhöhte Vorsicht ist jedoch geboten, wenn zur Familie eine Person mit schweren Störungen des Immunsystems gehört.

Exkurs: In unserem Hinterhof Ein bedeutender Teil der Menschheitsentwicklung steht in direktem Zusammenhang mit Tieren, insbesondere mit Haustieren. Es besteht kein Zweifel, dass die Domestizierung der ersten Lebewesen einer der Schlüsselmomente für die Entstehung der menschlichen Zivilisation, wie wir sie heute kennen, war. Ansichten über die Reihenfolge der Domestizierung verschiedener Tierarten gehen allerdings auseinander. Sicher ist jedoch, dass die enge Coexistenz prähistorischer Menschen mit domestizierten Säugetieren nicht nur einen Wendepunkt in der Landwirtschaft darstellte und schließlich zu einem Wandel der Gesellschaft, der Entstehung großer Einheiten und späterer Staaten führte, sondern auch zur Entwicklung von Infektionskrankheiten beim Menschen beitrug. Epidemiologen bezeichnen

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diesen Zeitraum als epidemiologischen Übergang. Das Spektrum der Infektionskrankheiten, die der Mensch nach und nach von den ersten domestizierten Tieren übernahm, ist wirklich breit und umfasst neben Viren und Bakterien auch eine Reihe parasitärer Zoonosen. Viele dieser Erreger spezialisierten sich allmählich auf den Menschen und grenzten sich von ihren Vorfahren, die ursprünglich nur auf Tiere spezialisiert waren, ab. Andere Arten erweiterten lediglich ihr Wirtsspektrum, sodass wir sie auch heute noch mit Tieren teilen. Die Situation der heutigen Landwirtschaft, einschließlich der Viehzucht, entfernte sich unabhängig von ihrer Form meilenweit von der jungsteinzeitlichen Situation und es gelang unter anderem, viele Infektionen auszumerzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass unter den Tieren keine Parasiten vorkommen. Diejenigen, die noch immer landwirtschaftliche Nutztiere plagen, sind vielfältig und verursachen oft erhebliche wirtschaftliche Verluste. Auch diejenigen, die auf den Menschen übertragen werden können, sind keine Ausnahme. Für den Augenblick lassen wir die Frage tierärztlicher Versorgung in Massentierhaltungen beiseite und konzentrieren uns auf die Parasiten, die unsere Höfe und Hinterhöfe mit uns und unseren Haustieren teilen. Die meisten Parasiten, die wir bei Nutztieren in Kleinbetrieben antreffen, sind hoch wirtsspezifisch und die Infektion breitet sich in der Regel nicht zwischen Tieren verschiedener Arten aus und wird auch nicht auf den Menschen übertragen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Die folgenden Beispiele wurden im Hinblick auf die verschiedenen Möglichkeiten ausgewählt, die Auswirkungen dieser parasitären Infektionen zu verringern. Obwohl die Zahl der in europäischen Hinterhöfen gehaltenen Schweine rapide abnimmt, ist die Hausschlachtung nach wie vor Teil vieler Kulturen. Und sie wird weiterhin vom Schweinespulwurm (Ascaris suum) begleitet. Die Spulwürmer werden in der Regel gleich zu Beginn der Portionierung des Ferkels gefunden, solang die meisten Teilnehmer bei der Schlachtung noch nüchtern und empfänglich für parasitologische Erfahrungen sind. Einen Hinweis auf eine durchgemachte Spulwurminfektion geben unter anderem sogenannte Milchflecken, die auf der Oberfläche der Schweineleber sichtbar sind (Abb. 5.10). Diese weißlichen Flecken sind das Ergebnis neu gebildeten Bindegewebes in der Leber nach der Migration mikroskopisch kleiner Spulwurmlarven, die nach dem Schlüpfen aus zufällig verzehrten Eiern im Schweinedarm durch den Schweinekörper zur Leber, von dort in die Lunge und dann zurück in den Darm wandern, wo sie zu unübersehbaren Würmern heranwachsen. Die adulten, weißlichen und bis zu 15 cm langen Spulwürmer werden in

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Abb. 5.10  Wandernde Spulwürmer hinterlassen milchige Flecken auf der Leber. Nach der Infektion eines Wirts machen Spulwurmlarven, einschließlich derer von Mensch und Schwein (Ascaris lumbricoides und A. suum  ), eine komplizierte Reise durch den Körper, um durch Lunge, Luftröhre und die oberen Atemwege schließlich das Verdauungssystem zu erreichen, wo sie im Darm heranreifen. Eine der ersten Stationen auf dieser Reise durch den Wirtskörper ist die Leber, die an den Stellen weißliche Flecken aufweist, an denen das beschädigte Gewebe dank Bildung von kollagenhaltigem Bindegewebe verheilt ist. (Quelle: David Modrý)

der Regel dann gefunden, wenn der Schweinedarm für die Zubereitung von Würsten gereinigt wird. Eine Infektion mit Spulwürmern ist nicht tragisch und in geringer Zahl richten diese Parasiten beim Schwein keine großen Schäden an. Treten sie jedoch in größerer Zahl auf, können sie das Wachstum von Ferkeln und Jungschweinen beeinträchtigen. Neben Veränderungen an der Leber verursachen die wandernden Larven bei heranwachsenden Ferkeln Atembeschwerden, die mit Husten einhergehen. Die Vorbeugung ist einfach: Entwurmung der Ferkel, wenn sie in die Mast kommen, und gründliche Reinigung der Buchten und Ställe, wenn die vorherigen Bewohner diese verlassen haben. Das Ansteckungsrisiko für Menschen ist in der Vergangenheit viel diskutiert worden und es scheint, dass eine Übertragung der Spulwürmer möglich ist. Obwohl verschiedene Experimente, Menschen mit Schweinespulwürmern zu infizieren (und umgekehrt), mit wechselndem Erfolg bzw. Misserfolg durchgeführt wurden, zeigen neuere molekulargenetische Studien, dass gelegentliche Infektionen mit Spulwürmern beim Menschen in den entwickelten Ländern der gemäßigten Zone häufig auf den Schweinespulwurm (Ascaris suum) zurückgehen, während die Ascariasis in den Tropen und Subtropen mit etwa einer Milliarde infizierter Menschen durch eine Art verursacht wird, die wir

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heute einfach als Spulwurm (Ascaris lumbricoides) bezeichnen. Unter den vielen analysierten Fällen sei ein italienischer Lehrer genannt, der in seiner Freizeit seine Schweinezucht pflegte – seine Spulwürmer und die seiner Schweine waren genetisch identisch. Aus diesem Grund wird derzeit die These diskutiert, dass es sich bei Schweine- und Menschenspulwürmern um Varianten ein und derselben Spezies handelt, wobei die eine Variante etwas stärker auf Schweine und die andere eher auf Menschen spezialisiert ist. Vielleicht ist die Sicherheit des Personals bei Hausschlachtungen und auf gewerblichen Schlachthöfen auf die neuen Hygienestandards in unseren Haushalten und Schlachthöfen zurückzuführen, auf die lange Reifezeit der Spulwurmeier (außerhalb des Wirtskörpers müssen Spulwurmeier mindestens zwei bis vier Wochen in der äußeren Umgebung verbleiben; niemand steckt sich mit Spulwürmern aus frischem Kot an) und vielleicht spielen noch weitere Faktoren eine Rolle. Wohl jeder Kaninchenzüchter ist schon einmal mit der Kokzidiose konfrontiert worden, einer Krankheit, die in manchen Jahren die Zahl der gezüchteten Kaninchen erheblich reduzieren kann. Die Kokzidiose wird durch mikroskopisch kleine Einzeller, Kokzidien der Gattung Eimeria3, verursacht (Abb. 5.11). Elf hoch wirtsspezifische Arten parasitieren das Kaninchen. Während zehn Arten verschiedene Teile des Darms besiedeln, parasitiert eine elfte Art, Eimeria stiedai, in den Gallengängen. Auf zellulärer Ebene ist die Beeinträchtigung durch die jeweiligen EimeriaArten sehr ähnlich. Die Einzeller vermehren sich in den Zellen der Darmschleimhaut oder in den Gallengängen und zerstören die Wirtszellen durch wiederholte Teilung. Welche Organe betroffen sind, hängt von der Schwere der Infektion ab, die wiederum von der Anzahl der infektiösen Stadien in der Umgebung und vom Alter des infizierten Kaninchens abhängt. Ausgewachsene Zuchtkaninchen sind in der Regel Infektionsträger ohne offensichtliche Symptome. Infektiöse Eimeria-Stadien, die Oozysten, gelangen über den Kot der Kaninchen in den Stall, wo sie

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der Gattung Eimeria sind auch unter Hühnern weit verbreitet. In kleinen Betrieben verursachen sie jedoch in der Regel keine ernsthaften Komplikationen, sodass der Landwirt ihre Anwesenheit nicht einmal bemerken muss. Dagegen stellt die Kokzidiose bei Hühnern in Großbetrieben ein ernstes Problem dar, das vor allem in der Vergangenheit durch die Verabreichung hoher Dosen an Kokzidiostatika bekämpft wurde. Heutzutage setzt sich jedoch eine andere Methode zur Bekämpfung der Kokzidiose immer mehr durch. Dabei handelt es sich um die Impfung von Hühnern mit abgeschwächten (attenuierten) Kokzidienstämmen, die die Hühner infizieren (ohne jedoch eine Krankheit auszulösen) und eine ausreichend starke Immunreaktion hervorrufen, um eine spätere Infektion mit hoch pathogenen Kokzidienstämmen zu verhindern. Einer der ersten und hoch wirksamen Impfstoffe wurde von tschechischen Parasitologen entwickelt.

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Abb. 5.11  Einwirtige Kokzidien. Die meisten Kokzidien sind hochgradig wirtsspezifisch, insbesondere die einwirtigen Vertreter. In Nutztierhaltungen mit Kaninchen, Schafen, Ziegen oder Hühnern kommen fast ausschließlich Kokzidien der Gattung Eimeria vor, während bei verschiedenen Haustieren, einschließlich exotischer Vögel und insbesondere Reptilien, eher Kokzidien der Gattung Isospora zu finden sind. Für beide Gattungen gilt, dass nichtsporulierende (d. h. unreife und nichtinfektiöse) Oozysten den Wirtskörper mit dem Kot verlassen. An der Luft kommt es jedoch zu einer raschen Reifung und in den Oozysten bilden sich durch allmähliche Teilung acht Sporozoiten. Diese können in „Päckchen“ (Sporozysten) verpackt sein, entweder paarweise, zum Beispiel bei der Gattung Eimeria (a; 4 Sporozysten mit 2 Sporozoiten), oder zu viert, zum Beispiel bei den Gattungen Isospora (b; 2 Sporozysten mit 4 Sporozoiten), Sarcocystis und Toxoplasma. Aufgrund der räumlichen Anordnung ist es bei Eimerien jedoch recht schwierig, alle vier Sporozysten gleichzeitig zu fotografieren. (Quelle: a, David Modrý; b, Jana Bulantová)

sich allmählich ansammeln und auf die nächste Kaninchengeneration „lauern“. Die Entwicklung einer Kokzidieninfektion und die gesundheitlichen Folgen der Jungtiere hängen direkt vom Grad der Umweltkontamination mit Oozysten und dem allgemeinen Gesundheitszustand ab. Vor allem junge Kaninchen, die in feuchten und schattigen Kaninchenställen ohne angemessene Hygiene aufgezogen werden, sind ein leichtes Ziel einer Infektion, insbesondere nach dem Abstillen, wenn die jungen Kaninchen nicht weiter durch die in der Muttermilch enthaltenen Antikörper geschützt sind. Die Vorbeugung der Kokzidiose besteht in guter Hygiene und der Verabreichung von Kokzidiostatika an die Elterntiere, und zwar vor der Reproduktion. Erfahrene Züchter wenden weitere

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empirisch erprobte Bekämpfungsmethoden an, zum Beispiel das Ansäuern des Trinkwassers durch Zugabe kleiner Mengen Essig. Eimerien an Kaninchen sind weder auf andere Tierarten noch auf den Menschen übertragbar. Jeder Kaninchenzüchter kann bestätigen, dass der Kampf gegen sie nicht zu gewinnen ist. Im Gegenteil, er ist sehr leicht zu verlieren, wenn Pflege und Prävention vernachlässigt werden. Den Sorgen vor parasitären Infektionen entrinnen auch Taubenzüchter nicht. Eine gefürchtete Geißel der Tauben ist neben einigen Virosen die Trichomoniasis. Diese Krankheit wird durch winzige Flagellaten der Art Trichomonas gallinae verursacht, die mit der berüchtigten menschlichen Trichomonas vaginalis verwandt sind (s. Kapitel „Mit uns im Bett“). Die Einzeller überleben bei Tauben hauptsächlich im Kropf, selbst bei klinisch gesunden, ausgewachsenen Vögeln. Jungtauben infizieren sich von ihren Eltern bei der Aufnahme der Taubenmilch, einer Mischung aus Drüsenprodukten des Kropfs und Futter. Bei der Trichomoniasis handelt es sich in der Regel um eine multifaktorielle Erkrankung, bei der der weitere Infektionsverlauf bei Jungtauben von der Pathogenität des jeweiligen Flagellatenstamms und dem allgemeinen Gesundheitszustand abhängt. Der Schweregrad der Krankheit wird auch durch das Wetter und die Hygiene im Taubenschlag beeinflusst. Unterkühlte Taubenjunge erkranken in feuchten Jahren leichter. Während in einer Brutsaison die Sterblichkeit vernachlässigbar ist, können in anderen Jahren die meisten Jungtauben der Infektion erliegen. Während eine kurzfristige Behandlung der Infektion mit Präparaten auf Metronidazolbasis unproblematisch ist, zeigt sich eine langfristige Ausrottung der Flagellaten praktisch unmöglich, da die Infektion ständig zwischen frei lebenden Tauben und Haustauben verschiedener Schwärme und Zuchten zirkuliert. Dies stellt die Taubenzüchter vor ein schwieriges Dilemma, entweder ihre Zuchtvögel dauerhaft in Käfigen und Volieren einzusperren oder das Vorhandensein der Parasiten zu akzeptieren. Die Tauben selbst würden sicherlich die zweite Möglichkeit wählen. Schließlich ist das anhaltende Vorkommen des Flagellaten T. vaginalis beim Menschen ein Beweis dafür, dass auch wir allzu oft die beflügelte Freiheit vorziehen. Hühner sind neben Truthühnern, Gänsen und Enten nach wie vor das dominante Tier europäischer Bauernhöfe. Diese gefiederten Geschöpfe kompensieren ihre angebliche geistige Schwäche mit schmackhaftem Fleisch und der Produktion von Eiern und behaupten so ihre Position als beliebteste wirtschaftliche Begleiter des Menschen. Veränderungen in der Geflügelzucht und insbesondere der jährliche Zukauf von Hühnern aus Großzuchten sowie die Anwendung von Anthelminthika haben zum allmählichen Ver-

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schwinden vieler Schmarotzer ihres ehemals breiten Spektrums geführt. In vielen Betrieben gibt es oft gar keine gesundheitsgefährdenden Parasiten mehr. Eine Ausnahme bildet der Flagellat Histomonas meleagridis, ein wichtiger Krankheitserreger bei Truthühnern. Jüngste Neuerungen der europäischen Gesetzgebung verbieten die Verwendung von Metronidazol und verwandter Therapeutika bei lebensmittelliefernden Tieren, sodass Putenhalter derzeit de facto kein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Histomoniasis haben. Wir leben in einer Zeit zumindest teilweiser Bemühungen um die Rückkehr zur Natur. Der ökologische Landbau und verschiedene Bioprodukte erarbeiten sich mühsam ihren Platz an der Sonne. Der verringerte Einsatz von Chemotherapeutika und die allmähliche Rückkehr der Haustiere auf Weiden und Wiesen sind sicherlich ein Weg zu besseren Lebensmitteln und besseren Lebensbedingungen für die Tiere selbst. Auf derartige Veränderungen hoffen jedoch auch ehemals verbreitete  Arten parasitärer Helminthen, versprechen sie doch eine Rückkehr aus Lehrbüchern der Parasitologie zurück auf unsere Höfe und Hinterhöfe. Die Suche nach Alternativen für weithin verachtete Antiparasitika ist eine der Voraussetzungen für den nachhaltigen Ökolandbau in allen Formen. Das Spektrum möglicher Alternativen ist weit und umfasst sowohl die Wiederaufnahme traditioneller, oft fast vergessener Prinzipien und Regeln als auch die Anwendung neuer Methoden der biologischen Bekämpfung (entomophage und nematophage Pilze und Bakterien) und den Einsatz natürlicher Pflanzenprodukte und modifizierter Futtermittel. Die kommenden Jahrzehnte zeigen, wie erfolgreich wir diesen Kampf bestreiten werden.

6 Krankheiten, Kriege und Geschichte Josef Chalupský

In der Schule hörten wir von Kriegen und welche Könige oder Kaiser, später Generäle und Admiräle, sie gewannen. In die Entwicklung und den Ausgang dieser Kriege griffen allerdings oft noch andere wichtige Umstände ein: Krankheiten. Darüber wird jedoch viel weniger gesprochen, obwohl die Einflüsse von Krankheiten auf das Schicksal von Nationen und Völkern beträchtlich und wohlbekannt sind und die Aufzählung ein Buch füllen würde. Die Beispiele sind zahlreich, wir wählen jedoch nur einige wenige aus. In unserer Auswahl wollen wir nicht nur an die Krankheiten erinnern, die durch klassische Parasiten verursacht werden, sondern auch an solche, deren Auslöser Bakterien oder Viren sind, welche von blutsaugenden, schmarotzenden Insekten übertragen werden. Und wir blicken auch auf eine mysteriöse Infektionskrankheit zurück, als Warnung davor, was passieren kann. Die Feldzüge und Erfolge Alexanders des Großen (ca. 356–323 v. Chr.) sind wohl bekannt. Er eroberte Anatolien, Syrien, Phönizien, Judäa, Ägypten, Mesopotamien, Iran und Zentralasien. Nur in Indien ist er gescheitert. Er war im Begriff, weitere Vorstöße auf der arabischen Halbinsel zu unternehmen, und wollte weiter nach Westen vordringen, um Karthago und Italien zu erobern. Doch dann starb er plötzlich im Alter von Prof. J. Chalupsky ist verstorben.

J. Chalupský (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_6

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nur 33 Jahren, und seine Pläne mit ihm. Historiker können nur spekulieren, was damals in Babylon mit ihm geschah. Abgesehen von vergiftetem Wein, wird als häufigste Ursache ein Wiederauftreten von Malaria, möglicherweise Typhus oder West-Nil-Fieber aufgeführt. Die Erreger all dieser Krankheiten werden von blutsaugenden Insekten übertragen: der Parasit Plasmodium von Stechmücken der Gattung Anopheles, das Bakterium Rickettsia von Läusen und das West-Nil-Virus von Stechmücken der Gattung Culex. Eine der ältesten und am längsten bekannten Krankheiten ist seit jeher der Schwarze Tod, die Pest (Abb. 6.1). Der Täter wurde 1894 von dem Franzosen Alexandre Yersin entdeckt. Das Bakterium, das die Pest verursacht, heißt heute Yersinia pestis (früher Pasteurella pestis ) und sein Überträger ist hauptsächlich der Rattenfloh Xenopsylla cheopis. Die verheerenden Auswirkungen dieser Krankheit auf die Bevölkerung sind hinlänglich bekannt und beschrieben. Allein die Aufzählung der Orte, an denen die Pest ihr Unwesen trieb, ergäbe ein umfangreiches Kapitel. Daher beschränken wir uns auf einige Beispiele aus der Zeit, aus der Fälle überliefert sind. So musste der Perser Xerxes I. (519–465 v. Chr.) im Kampf gegen die Griechen wohl gerade wegen der Pest erfolglos mit seinen Truppen abziehen. Die „Pest von Athen“ soll die Kampfkraft der Athener in den Peloponnesischen Kriegen um 430 v. Chr. geschwächt haben. Perikles (500–429 v. Chr.), der einflussreichste griechische Politiker jener Zeit, erlag ihr, wodurch sich die politische Situation völlig veränderte1. Die Pest sollte auch in die Kämpfe zwischen den Karthagern und Syrakusanern (414 und 397 v. Chr.) eingegriffen haben. Allerdings werden Krankheiten in den alten Berichten nicht ausreichend beschrieben, sodass die Pest nur als eine mögliche Ursache betrachtet wird. Ein ewiger Feind schon frühzeitiger Völker war auch der Flecktyphus (Abb. 6.2), gebräuchlich als Fleckfieber bezeichnet. Die Erkrankung war schon lange bekannt, es bleibt jedoch unsicher, ob die damaligen Epidemien durch dieses oder ein anderes Pathogen verursacht wurden. Der Erreger ist ein Bakterium, das in den alten Lichtmikroskopen am Rande der Sichtbarkeit lag. Benannt wurde Rickettsia prowazekii zu Ehren zweier Forscher, die sich bei der Erforschung des Erregers infizierten und daran starben. Es handelte sich um den Amerikaner Howard Ricketts (1910) und den Tschechen Stanislav Provázek (1915). Fleckfieber ist eine fiebrige Erkrankung, bei der sich dunkle bis bräunliche Hautflecken auf dem Körper bilden. Überträger ist die Kleiderlaus (Pediculus humanus). Die 1 Jüngste genetische Analysen legen jedoch nahe, dass eher Typhus und nicht die Pest die Todesursache gewesen sein könnte.

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Abb. 6.1  Der Schwarze Tod, die Geißel des mittelalterlichen Europas. Unter Pest im übertragenen und historischen Sinne versteht man jede schwere Infektionskrankheit bei Mensch und Tier mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Daher ist es beim Studium historischer Quellen sehr schwierig zu unterscheiden, um welche konkrete Krankheit es sich bei der jeweiligen Epidemie handelte und wer der Erreger war. Darüber hinaus wird der Oberbegriff „Pest“ immer noch für eine Reihe verheerender Epidemien und insbesondere Epizootien (Tierseuchen) verwendet, zum Beispiel die Kaninchenpest, eine virale hämorrhagische Krankheit bei Kaninchen (ausgelöst durch das Calicivirus) oder die Faulbrut bei Bienen (verursacht durch das Bakterium Paenibacillus larvae ). Als Schwarzer Tod wurde eine Epidemie bezeichnet, die Mitte des 14. Jahrhunderts Eurasien heimsuchte und durch das Bakterium Yersinia pestis (a) verursacht wurde, in der Abbildung orangefarben. Das lähmende Grauen der Pestepidemien ist auf vielen mittelalterlichen Gemälden dargestellt und viele Kunstwerke zeigen seltsame Gestalten mit Masken (b), mittelalterliche Ärzte, die den Schnabel der Maske mit aromatischen Kräutern füllten, um sich vor der Ansteckung zu schützen. Im engeren Sinne und im heutigen Sprachgebrauch verstehen wir also unter der Pest (oder der echten Pest) diese eine menschliche Erkrankung. Pestepidemien beginnen oft unter wilden oder synanthropen Nagetieren wie Ratten. Von ihnen wird der Krankheitserreger durch Flöhe übertragen, die bereitwillig an Nagetieren und Menschen saugen, wie der Rattenfloh (Xenopsylla cheopis) (c). (Quelle: a CDC – nachgezeichnete Mikrofotografie des Pestbakteriums Yersinia pestis; b Wikipedia – Darstellung des „Pestarztes“ aus Die Karikatur und Satire in der Medizin des deutschen Kunsthistorikers und Arztes Eugen Holländer; c Jana Bulantová)

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Abb. 6.2  Die Kriegskrankheit Fleckfieber tötete auch nach dem Krieg noch. Obwohl die Kleiderlaus (Pediculus humanus) (a) nur eine biologische Form der Kopflaus ist, unterscheidet sie sich in vielerlei Hinsicht von ihr. Sie bewohnt einen anderen Teil unseres Körpers, kann länger ohne Kontakt zu ihrem Wirt überleben und ist vor allem in der Lage, verschiedene Krankheiten zu übertragen. Am schwerwiegendsten und gefährlichsten ist das Fleckfieber (auch epidemischer Typhus genannt), das durch das intrazelluläre parasitäre Bakterium Rickettsia prowazekii (c) verursacht wird. Heute handelt es sich um eine seltene Krankheit, die den Menschen nur in wenigen Teilen der Welt bedroht, in der Vergangenheit war das Fleckfieber jedoch die Geißel der Menschheit, insbesondere zu Kriegszeiten. So kam es 1945 in Theresienstadt (Tschechien, b)  zur letzten großen Epidemie, als  das Fleckfieber anstatt der Nationalsozialisten tötete; noch nach der Befreiung starben 1500 Menschen an der Krankheit. (Quelle: a Jana Bulantová; b Iva Kolářová; c Hans Newman – 3D-Rekonstruktion von Bakterien)

Sterblichkeitsrate bei dieser Krankheit ist ausgesprochen hoch. Mit Sicherheit griff sie in die Schlachten ein, die Ferdinand II. von Aragon und seine Ehefrau Isabella von Kastilien gegen die Mauren im Zuge der Einigung Spaniens schlugen. Fleckfieber breitete sich in Granada zwischen 1489 und 1490 aus und soll von Soldaten aus Zypern eingeschleppt worden sein. Als Ferdinand II. von Aragon 1490 nach dem Krieg eine Truppenparade abhielt, fehlten 20.000 Mann – 3000 wurden von den Mauren getötet, 17.000 vom Fleckfieber!

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Schicksalhafte Auswirkungen auf die politischen Entwicklungen in Europa hatte das Fleckfieber auch im Kampf um die römische Kaiserkrone. König Franz I. von Frankreich (1494–1547) war sehr bestrebt, römischer Kaiser zu werden. Ihm stand Karl V. von Habsburg (1500–1558) mit dem gleichen Wunsch gegenüber. Natürlich mischte sich auch Papst Clemens VII. ein, der zeitweise gefangen gehalten wurde. Die französische Armee belagerte 1528 Neapel und ihr Sieg war nur eine Frage der Zeit. Es war der letzte Teil der sogenannten italienischen Kriege (1495–1559), die zwischen den Habsburgern und den Franzosen ausgetragen wurden. Letztere wurden jedoch plötzlich vom Fleckfieber dezimiert und unerwartet geschlagen. So wurde im Jahr 1530 Karl V. zum Kaiser gekrönt. Die schicksalsschwere Wende für Europa wurde also vom Fleckfieber herbeigeführt! Das Fleckfieber, eine typische Kriegskrankheit, begleitete Soldaten in allen Kriegen, wenn auch vielleicht mit geringeren Auswirkungen. Die Erkrankung sollte auch János Hunyadi (1387–1456) gegen die Türken helfen, die unter der Führung von Mohammed II. bis Belgrad vorgedrungen waren und es belagerten. Eine Fleckfieberepidemie in der türkischen Armee veranlasste die Armee jedoch, die Belagerung aufzugeben und abzuziehen. Auch während des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) wütete das Fleckfieber, sowohl in der Armee des schwedischen Königs Gustav Adolf als auch unter seinen Gegnern. Nicht zu vergessen, wie sich die Krankheit auch auf das Schicksal der besiegten Truppen Napoleons nach ihrer Rückkehr aus Russland auswirkte. Sie wurden durch die Krankheit, zusammen mit der bitteren Kälte, dem Hunger und der Erschöpfung, zuverlässig dezimiert. Die von den Truppen begangenen Gräueltaten in den eroberten Gebieten führten zu der allgemeinen Meinung, dass der massenhafte Tod der Soldaten durch das Fleckfieber eine gerechte Strafe Gottes sei. Und nun wollen wir eine Krankheit erwähnen, die nicht hierher zu gehören scheint, deren plötzliches Auftreten und Eingreifen in die Geschichte des Kriegs jedoch warnt und die Lehren aus dieser Geschichte sollten nicht vergessen werden. Die Krankheit tauchte während der englischen Rosenkriege (1455–1485) zwischen den Familien Lancaster (mit roter Rose im Wappen) und York (mit weißer Rose) auf. Es war ein langer Kampf um den Königsthron, der seinen Ursprung im vorherigen Jahrhundert hatte. Er endete mit der Schlacht von Bosworth im Jahr 1485, als Heinrich VII. Tudor den englischen Thron gewann und seine siegreiche Armee im Begriff war, mit seinen Feinden endgültig fertig zu werden. Das passierte aber nicht. Eine unbekannte Krankheit, später „Schwitzfieber“ genannt, breitete sich unter den Soldaten aus. Die Schweißausbrüche waren nur ein Symptom, der eigentliche Krankheitsverlauf war viel schlimmer.

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Gewöhnlich begannen in der Nacht oder am Morgen Schüttelfrost und Frösteln, Fieber, Niedergeschlagenheit und es folgte ein schneller Tod innerhalb eines Tages oder weniger Stunden! Die Krankheit trat in Wellen auf und angeblich starben 80–90 % der Infizierten. Eine ähnliche Krankheit wird auch in den Aufzeichnungen über die Belagerung Wiens durch die Türken im Jahr 1529 erwähnt. Die Krankheit verbreitete sich unter den Soldaten Süleimans I. wie eine Lawine, sodass die Türken gezwungen waren, sich aus Wien zurückzuziehen. Die Ursachen dieser unbekannten Krankheit sind bis heute ein Geheimnis. Sie verlief in Wellen, und so wie die Epidemie auftauchte, verschwand sie auch bald wieder. In weniger als einem Jahrhundert war sie vollständig von der Bildfläche verschwunden. Nicht nur im guten, alten Europa, sondern auch in Übersee litten Menschen unter Epidemien. Dort grassierte zum Beispiel das Gelbfieber, eine durch Mücken der Gattungen Aedes und Haemagogus übertragene Viruserkrankung. Ihre verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung waren enorm und eskalierten besonders in Kriegssituationen. So wird sie beispielsweise im Spanisch-Amerikanischen Krieg auf Kuba (1898) erwähnt, wo die Sterblichkeitsrate bei 85 % lag und etwa 5000 Soldaten das Leben kostete. Den Ausgang des Kriegs beeinflusste das Gelbfieber jedoch nicht. Die Vereinigten Staaten nahmen damals unter anderem Kuba und Puerto Rico in Besitz. Und eben auf Kuba wies der Amerikaner James Caroll ein Jahr später nach, wie das Gelbfieber übertragen wird. Infektionskrankheiten sollten auch den Verlauf des Krimkriegs (1853– 1856) beeinflussen, in dem die Kontrolle des Schwarzen Meers ausgefochten wurde. Engländer und Franzosen griffen später auf der Seite der Türken in die Kämpfe zwischen Russland und dem Osmanischen Reich ein. Die Infektionen schlugen vor allem während der abschließenden, langwierigen Belagerung von Sewastopol zu, die die hartnäckig verteidigenden Russen schließlich aufgeben mussten. All das hatte jedoch ein Vorspiel. Die Russen verfügten damals über eine mächtige Armee von über einer halben Million Soldaten, die ebenfalls in Europa kämpften. Später mussten sie sich jedoch zurückziehen und steckten sich auf dem Weg durch sumpfige Gebiete mit Malaria und anderen Krankheiten an, sodass die russische Armee im späteren Krimkrieg deutlich geschwächt in die Kämpfe eintrat. Im historischen Überblick der Kriegskrankheiten darf die Geschlechtskrankheit, die als Syphilis oder Lues bekannt ist, nicht fehlen. Den Erreger, das zu den Spirochäten zählende Bakterium Treponema pallidum, entdeckte 1905 der Protozoologe Fritz Schaudinn. Das erste Auftreten der Krankheit wird seit vielen Jahrzehnten von Experten leidenschaftlich diskutiert. Meist

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wird der Ursprung der Krankheit in Südamerika verortet, wo sich angeblich Seeleute von indianischen Frauen ansteckten und die Erkrankung dann nach Europa brachten. Andere sagen, die Krankheit sei bereits vor Kolumbus, und vielleicht sogar schon zu biblischen Zeiten, in Europa verbreitet gewesen, wenn auch in milder Form. Die Ansicht, die Syphilis hätte ihren Ursprung in Afrika und sei lediglich ein mutiertes, eng verwandtes Bakterium von Treponema pertenue (manchmal auch Treponema pallidum pertenue genannt), dem Erreger der Framesiose, einer übertragbaren, vor allem Kinder befallenden Hautkrankheit, ist heutzutage nicht mehr aktuell. Das wichtigste Aufflammen der Syphilis wird auf das Jahr 1495 datiert, als die Franzosen unter Karl VIII. Neapel eroberten. Der Sieg wurde jedoch von der Syphilis mit drastischem Verlauf begleitet. Die Soldaten hatten am ganzen Körper Geschwüre und die Infektion führte oft zum Tod. Dass diese „französische“ oder „neapolitanische“ Krankheit, wie sie auch genannt wird, eine völlige Änderung der französischen Kriegspläne bedeutete, versteht sich von selbst. Syphilis kann in drei Phasen verlaufen, vom klassischen harten Geschwür an den Genitalien bis hin zum schweren Angriff auf das Nervensystem. Und natürlich fielen ihr nicht nur Soldaten zum Opfer. Allmählich breitete sie sich in ganz Europa aus und ereilte auch viele berühmte Persönlichkeiten. Dass Vincent van Gogh, Friedrich Nietzsche und viele andere infiziert waren, ist wohl bekannt, und unter den führenden politischen Persönlichkeiten litten Mussolini, Lenin und viele andere darunter. Unter den historischen Persönlichkeiten, die uns nahe stehen, litt Albrecht von Wallenstein (1583–1634), einer der einflussreichsten Männer seiner Zeit, an der Syphilis. In seiner Jugend nahm er am Feldzug Rudolfs II. (der laut Skelettfunden ebenfalls infiziert war) gegen die Türken teil und brachte die „ungarische Krankheit“ mit – was nur ein weiterer Name für Syphilis ist. In den böhmischen Schlachten kämpfte er auf der Seite des Kaisers und stieg bis zum Generalissimus und Feldmarschall auf. Zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs soll er vom schwedischen König das Angebot erhalten haben, König von Böhmen zu werden. Er lehnte jedoch überraschenderweise ab. Wahrscheinlich beeinflusste nicht das ungünstige Horoskop Keplers seine Entscheidung, sondern die Syphilis im fortgeschrittenen Stadium, das mit Demenz und progressiver Paralyse einhergeht. Wie die Untersuchung von Wallensteins Knochenresten zeigte, litt er an einer schweren syphilitischen Periostitis, das heißt einer Entzündung der Knochenhaut. Die wurde von so starken Schmerzen begleitet, dass er das Angebot kaum annehmen konnte und Böhmen seinen König verlor.

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Und schließlich etwas aus der neueren Geschichte, insbesondere aus den beiden Weltkriegen. Im Ersten Weltkrieg (1914–1918), früher auch Großer Krieg  genannt, interessierten sich Parasitologen vor allem für das massive Auftreten von Kleiderläusen, die unter den Soldaten, die monatelang in den Schützengräben auf beiden Seiten der Front kämpften, weit verbreitet waren. Heute ist es ergreifend zu hören, wie sie sich Nacht für Nacht bei Kerzenlicht gegenseitig lausen mussten. Glücklicherweise war das Auftreten von Läusen nicht so häufig mit Fleckfieber verbunden wie im folgenden Krieg. Neben Granatsplittern waren Soldaten jedoch auch von anderen „Grabenkrankheiten“ bedroht, wie dem von Läusen übertragenen „Grabenfieber“, genannt „Grabenfuß“, mit anschließendem Wundbrand, der durch den längeren Aufenthalt in mit Schlammwasser vollgelaufenen Schützengräben entstand. Im Zweiten Weltkrieg (1939–1945) waren das bereits erwähnte Fleckfieber (verursacht durch das Bakterium Rickettsia prowazekii ), das von der Kleiderlaus übertragen wird, und andere Rickettsiosen häufige Infektionen. Unter deutschen Soldaten an der Ostfront handelte es sich häufig um das Schützengrabenfieber oder Wolhynische Fieber, das durch das verwandte Bakterium Bartonella quintana verursacht wird. Diese Krankheit verläuft zwar milder als das klassische Fleckfieber, beeinträchtigte die Kampfkraft der Soldaten trotzdem. Als interessanter Punkt ist zu erwähnen, dass die Schweizer 1939 das Breitbandinsektizid DDT entdeckten und es Hitler anboten. Er lehnte das Angebot jedoch ab. Den Deutschen im Osten hätten die Insektenplage und ihre Folgen erspart bleiben können. Fleckfieber trieb sein Übel auch in einigen deutschen Konzentrationslagern, wie der Festung Theresienstadt und Belsen-Bergen. Und mit DDT kommen wir zur Malaria. Sie wird vom Einzeller der Gattung Plasmodium verursacht, der von Stechmücken der Gattung Anopheles übertragen wird. In Gebieten, in denen Malaria auftritt, stellt sie eine ungemeine Belastung für die Bevölkerung dar. Weltweit sind schätzungsweise 300 Mio. Menschen infiziert. Noch vor wenigen Jahren starben in Afrika jährlich bis zu zwei Millionen Menschen an dieser Krankheit. Während des Zweiten Weltkriegs war Malaria ein ernstes Problem für die Amerikaner, die im Pazifik kämpften. In den ersten Kriegsjahren verloren sie die Schlacht um die Philippinen (1941–1942), was unter anderem mit der Massenerkrankung der Soldaten an Malaria begründet wird. Von den 72.000 Männern sollen 24.000 erkrankt gewesen sein und die Lage sei so verzweifelt gewesen, dass Militärärzte sogar Erkrankte mit malarischen Anfällen in die Schlacht schicken mussten. Es wird all-

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gemein berichtet, dass Malaria doppelt so viele Soldaten außer Gefecht setzte wie feindliche Angriffe. Mit der Zeit gewannen die Amerikaner jedoch an Erfahrung und begannen, Malaria erfolgreich zu bekämpfen. Die Wirkstoffe Mepacrine und Chinin halfen ebenso wie konsequenter Schutz vor Mücken. Wo es ihnen möglich war, schützten sie sich mit Netzen, andernorts bedeckten sie die Oberfläche stehender Gewässer mit öligen Substanzen, um die Mückenlarven am Atmen zu hindern. Und schon fliegende Mücken töteten sie mit dem kurz zuvor entdeckten DDT, das sie aus Flugzeugen versprühten. Mithilfe dieses neuen Insektizids (dessen verheerende Auswirkung auf die Natur noch nicht bekannt war) konnte die Krankheitsrate beispielsweise auf dem Archipel von PapuaNeuguinea auf ein Zehntel gesenkt werden. In Europa waren die Amerikaner bei der Malariabekämpfung nicht mehr so erfolgreich. Nach der Landung auf Sizilien im Sommer 1943 wurden 17.535 Gefechtsopfer gezählt, aber 21.482 Soldaten fielen der Malaria zum Opfer. In neuerer Zeit spielte Malaria eine wichtige Rolle im Vietnamkrieg. Die Nordvietnamesen erbauten den Ho-Chi-Minh-Pfad (1959–1965), der teilweise durch die Nachbarländer Laos und Kambodscha führte. Er erstreckte sich über mehr als 1000 Kilometer. Genutzt wurde der Pfad, um Vorräte und Menschen in den Süden zu transportieren. Trotz ständiger Bombardierung durch die Amerikaner und des späteren Einsatzes von Agent Orange, einer aus zwei Herbiziden bestehenden Chemikalie, um das Gebiet vollständig von Blättern zu befreien und das Terrain freizulegen, litten die Vietnamesen auch unter Malaria. Das brach sie zwar nicht, hat die Ereignisse aber auf andere Weise beeinflusst. In diesem Krieg unterstützte China die Vietnamesen und der damalige chinesische Machthaber Mao Tse-tung (1893–1976) soll geheime Forschungen an pflanzlichen Volksheilmitteln gegen Malaria angeordnet haben, damit den Vietnamesen auf diese Weise geholfen werden konnte. Dem verdanken wir also die „Entdeckung“ von Artemisinin, einer Substanz, die aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua)2 gewonnen wird und heute vor allem dort eingesetzt wird, wo herkömmliche Malariamittel versagen. Die Entdeckung dieses Wirkstoffs, die schon während des Vietnamkriegs begann, führte 2015 zur Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin an die Chinesin Tu You-you (Abb. 6.3).

2 Siehe

auch das Kapitel über alternative Medizin.

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a

b

c

d

Abb. 6.3  „Parasitologische“ Nobelpreise. Der Nobelpreis! Das höchste Ziel in der Forschung. Parasitologen erhalten diese Auszeichnung am häufigsten in der Kategorie „Physiologie oder Medizin“. Für Parasitologen war das Jahr 2015 von großer Bedeutung, als der Nobelpreis an William C. Campbell (a) und Satoshi Omura (b) für ein Mittel gegen parasitäre Fadenwürmer und Tu You-you (c) für ihren Beitrag zur Behandlung von Malaria verliehen wurde. Es war jedoch bei Weitem nicht das erste Mal, dass Parasitologen auf diese Weise „punkteten“. Nobelpreise (d) werden seit 1901 vergeben und bereits 1902 wurde einer an Sir Ronald Ross für den Nachweis verliehen, dass Malaria, durch den Einzeller Plasmodium verursacht, von Stechmücken der Gattung Anopheles übertragen wird. Nur fünf Jahre später, im Jahr 1907, erhielt ein anderer Forscher, Charles Louis Alphonse Laveran, den Preis für seinen Nachweis, dass parasitäre Einzeller die Ursache vieler schwerer menschlicher Krankheiten wie die Schlafkrankheit sind. Einen dritten Preis erhielt die Parasitologie im Jahr 1926, als Johannes Andreas Grib Fibiger nachweisen konnte, dass der parasitäre Fadenwurm Spiroptera carcinoma (heute als Gongylonema neoplasticum bekannt) ein Erreger von Krebs ist und somit Krebs durch Infektion bedingt werden kann. Nur ein Jahr später, im Jahr 1927, wurde Julius Wagner-Jauregg für die Entdeckung der therapeutischen Wirkung von Malaria (die sogenannte Wagner-JaureggMalariotherapie) bei der Behandlung progressiver Paralyse, einer meist tödlich verlaufenden Krankheit im Spätstadium der Syphilis, ausgezeichnet. Als teilweise

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t

parasitologische Nobelpreise können diejenigen angesehen werden, die Charles Jules Henri Nicolle (1928) für seine Forschungen an Fleckfieber, Paul Hermann Müller (1948) für seinen Beitrag zur Entwicklung von DDT und Max Theiler (1951) für seine Forschungen an Gelbfieber verliehen wurden. (Quelle: a–c Nobel Media AB 2015/ Alexander Mahmoud; d Heritage Auctions, © ® The Nobel Foundation)

Exkurs: Die Geschichte einer Entdeckung Es heißt, dass viele Entdeckungen „zufällig“ gemacht werden. Das mag sein, aber es stimmt eben nur manchmal. Erinnern wir uns an einen gegenteiligen, fast vergessenen Fall, bei dem eine Entdeckung das Ergebnis genauer Beobachtung, Überlegung und Beharrlichkeit war. Junge britische Ärzte gingen einst nach ihrem Medizinstudium in die Kolonien. Ziel war, sich die „Sporen“ zu verdienen, also die Erfahrung zu gewinnen, ohne die sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat kaum selbständig eine Praxis eröffnen konnten, da man ihnen nicht genügend Vertrauen entgegengebracht hätte. Der 22-jährige Schotte Patrick Manson (Abb. 6.4) reiste daher 1866 nach Formosa in China, dem heutigen Taiwan, um dort Erfahrungen zu sammeln. Nach fünf Jahren zog er auf das chinesische Festland, wo er die nächsten 13 Jahre in verschiedenen Küstenstädten, darunter Hongkong, arbeitete. Er kam in einen Landstrich, wo die sogenannte Elefantenmannkrankheit, wissenschaftlich Elephantiasis, umging. Die Betroffenen hatten enorm vergrößerte Gliedmaßen, bei Frauen waren zusätzlich die Brüste betroffen, bei Männern die Hodensäcke. Die Gliedmaßen ähnelten denen von Elefanten. Die Erscheinungen der Krankheit konnten nur chirurgisch behandelt werden, und das auch nur bei manchen Patienten. Manson traf die Patienten täglich und fragte sich, was die Ursache dieser schrecklichen Krankheit sein könnte. Als er für einen kurzen Urlaub nach England zurückkehrte, durchsuchte er die dortigen Bibliotheken, um etwas über diese Filariose, wie die Krankheit später auch genannt wurde, zu finden. Und er hatte Glück. In der Bibliothek des Britischen Museums fand er die Schriften von Timothy Lewis über das Vorhandensein irgendwelcher mikroskopisch kleiner Würmer im Blut der Patienten. Manson schaffte es dann noch, während des kurzen Besuchs seiner englischen Heimat zu heiraten und – viel wichtiger – ein Mikroskop zu kaufen. Nach seiner Rückkehr nach China machte sich Manson an die Arbeit. Und tatsächlich fand er im Blut der Patienten mikroskopisch kleine Larven, „Filaria sanguinis hominis“ genannt. Er untersuchte sie sowohl lebend als

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a

b

Abb. 6.4  Sir Patrick Manson (a) war ein schottischer Arzt, der am 3. Oktober 1844 in der Nähe von Aberdeen geboren wurde und am 9. April 1922 im Alter von 77 Jahren in London starb. Er gilt als der Begründer der Tropenmedizin, war der erste Präsident der Royal Society of Tropical Medicine and Hygiene und maßgeblich an der Gründung der London School of Hygiene and Tropical Medicine beteiligt. Er entdeckte die Übertragung parasitärer Filarien durch Stechmücken und gab auch den Anstoß zur Entdeckung der Übertragung von Malaria durch Stechmücken der Gattung Anopheles, hier auf Briefmarken abgebildet (b). (Quelle: a Wikipedia; b Jan Votýpka Archiv)

auch eingefärbt und stellte fest, dass sie von einer Art Hülle umgeben sind und nicht gleichmäßig über den ganzen Tag vorhanden waren, sondern erst am Abend und in der Nacht. Als er einmal ein Stück Eis unter den Glasträger mit den Larven legte, zersprangen die Eihüllen und die losen Larven begannen, sich lebhaft zu kringeln, als ob sie nach etwas suchten und versuchten, in eine andere Umgebung zu gelangen. Und so fügte er alle seine Beobachtungen auf geniale Weise zusammen. Die Larven müssen anscheinend aus dem Blut in eine kühlere Umgebung gelangen. Die könnten ihnen die Körper von Insekten bieten, die an Menschen Blut saugen. Und da die Larven nur nachts im Blut auftauchen, muss es sich um ein (natürlich „kaltblütiges“) Insekt handeln, das nachts Menschen anfliegt. Er schloss also sofort Läuse, Flöhe und Bettwanzen aus und hatte nur noch einen Verdächtigen – Mücken! Manson hatte einen an Elephantiasis leidenden Diener. Er baute also eine Hütte im Garten und ließ ihn dort Nacht für Nacht bei geöffneten Fenstern und eingeschalteter Lampe, um möglichst viele Mücken anzu-

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locken, schlafen. Morgens sammelte er dann schleunigst die vollgesaugten Mücken ein, um ihre Eingeweide unter dem Mikroskop zu untersuchen. Er hatte Recht. Ihr Nahrungskanal wimmelte von eingesaugten lebenden Larven. Mansons Idee war richtig, bis auf einen Punkt. Manson ging davon aus, dass die Elephantiasis durch Larven übertragen wird, die von den weiblichen Stechmücken während der Eiablage ins Wasser abgegeben werden, das dann von Menschen getrunken wird3. Manson wusste auch, dass nicht alle Stechmücken die Krankheit übertragen können, da nur die „braunen“ Stechmücken Wurmlarven enthalten. Näher konnte er sie jedoch nicht identifizieren. Mit dem heutigen Wissen scheint es unglaublich, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wusste man noch nicht viel über Mücken. Als Manson in London den Biologen Spenser Cobbold, von dem später die Rede sein wird, bat, ihm Literatur über Mücken zu schicken, wollte Cobbold ihn nicht enttäuschen und schickte ihm wenigstens ein Buch – über Kakerlaken! Zu Mansons Unglück erschienen echte Mückenkompendien erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Manson übermittelte die Ergebnisse seiner Nachforschungen an ebendiesen Herrn Cobbold in London. Im Jahr 1879 wurde dann auf einer Tagung der Linnean Society in London ein Vortrag gehalten, bei dem Cobbold Mansons Bericht verlas. An dieser Stelle sollte jedoch erwähnt werden, dass zu jener Zeit jeder, der behauptete, Mücken bzw. Insekten überhaupt würden Krankheiten übertragen, als nicht normal galt. Insekten sollen wirklich Krankheiten übertragen? So ein Unsinn! Der Vortrag fand zu einer Zeit statt, als bereits schriftliche Aufzeichnungen über gelehrte Dispute angefertigt wurden, daher lohnt es sich, einige der Reaktionen hervorzuheben. Ein Teilnehmer vermutete, Manson ginge wohl davon aus, man würde ihm glauben, dass die Larven Uhren hätten, nach denen sie sich zum nächtlichen Blutsaugen richten würden. Am besten fasste es einer der Teilnehmer zusammen, indem er verlauten ließ, es sei doch allgemein bekannt, dass junge Ärzte im Ausland übermäßig Alkohol konsumierten. Und so sei das gerade Rezitierte wahrscheinlich Schöpfung eines solchen, ähnlich beeinflussten Gehirns. Manson kehrte nach London zurück, wo er eine Praxis eröffnete. Der Gedanke an die Schlüsselrolle der Stechmücken bei der Krankheitsübertragung ließ ihn jedoch nicht los. Im Gegenteil. Er war wie besessen

3 Tatsächlich

erfolgt die Übertragung beim Saugen der Mücke, wenn die Filarienlarven aktiv die Mundwerkzeuge der Mücke verlassen und in die Haut des Menschen oder eines anderen Endwirts eindringen.

140     J. Chalupský

davon. Jedem, den er traf, erzählte er von Mücken. Wenn eine Begegnung mit Manson drohte, wechselten die Leute lieber die Straßenseite und klopften sich hinter seinem Rücken mit einem Finger an die Schläfe, während Manson im Gegenzug die Zunge rausstreckte. Er erhielt den Spitznamen „Mosquito Manson“ und schlimmere, zum Beispiel „der pathologische Jules Verne“. Aber ein Mann hörte ihm zu. Es war der junge Arzt namens Ronald Ross. Ein Mann der Extravaganz und Unseriosität. Er schrieb Gedichte, malte und beschäftigte sich mit Mathematik. Als Manson ihm sagte: „Ross, Mücken sind besondere Geschöpfe Gottes, die eine außergewöhnliche Rolle im menschlichen Leben spielen“, lachte er nicht. Und als auch er nach Indien ging, um dort Erfahrungen zu sammeln, begann er ebenfalls, mit Mücken und Malaria zu experimentieren. Schließlich konnte er die Übertragung durch Stechmücken bei der Vogelmalaria tatsächlich nachweisen. Dafür gibt es reichlich Beweise, denn er und Manson korrespondierten miteinander, während Ross abwechselnd den Mut verlor und Freudensprünge machte. Bei der menschlichen Malaria wurde die Übertragung durch Stechmücken später von dem Italiener Battista Grassi nachgewiesen. Ross erhielt für seine Entdeckung 1902 den Nobelpreis, Manson hingegen nicht. Trotz dieser Widrigkeiten des Schicksals ist klar, dass er ein außergewöhnlicher Mann war, der den Weg für eine Entdeckung von großer Bedeutung für die Menschheit ebnete.

7 Parasitophobie – der Schrecken aller Schrecken Karel Fajfrlík

Phobie, auch als krankhafte Angst bezeichnet, kommt vom griechischen Wort phobos (Φόβος) für „Furcht“, „Sorge“, „Angst“. Eine Phobie ist eine krankhafte und vor allem unbegründete Angst vor Dingen, Situationen oder Menschen. Bis heute wurden mehrere Hundert verschiedene Arten von Phobien beschrieben, von denen einige das tägliche Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Jede Phobie hat ein Objekt, an das sie gebunden ist und nach dem sie benannt wurde; die wohl bekannteste ist die Arachnophobie, die Angst vor Spinnen (vom griechischen arachne, „Spinne“). Die Symptome von Phobien, die sehr vielfältig sind und sowohl psychische als auch körperliche Aspekte umfassen, treten in der Regel erst dann deutlich in Erscheinung, wenn der Betroffene mit einem Auslöser konfrontiert wird. Diese Begegnung muss jedoch nicht unbedingt persönlich sein. Symptome können sich schon bei dem bloßen Gedanken an einen Auslöser äußern und die Vorstellung einer phobischen Situation kann deshalb erhebliche Ängste hervorrufen. Zu den wichtigsten Anzeichen einer Phobie gehören Herzklopfen, Ohnmachtsanfälle und ein Gefühl der Bedrohung. Phobien treten oft auch ohne diese Begleitphänomene auf. Oft ist sich die betroffene Person der Grundlosigkeit ihrer Angst vollkommen bewusst, ist aber nicht in der Lage, sie mit Willenskraft zu unterdrücken (Abb. 7.1). K. Fajfrlík (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_7

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Abb. 7.1  Künstlerische Konzeption der Parasitophobie. Mgr. Lucie Jedličková studiert Parasitologie an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität in Prag und beschäftigt sich in ihrem Promotionsprojekt mit ektoparasitischen Würmern an Fischen. Ihr künstlerisches Talent bekam so neue Inspiration durch verschiedene Parasiten und Probleme, die sie verursachen können. (Zeichnung: Lucie Jedličková)

Für einen Phobiepatienten ist die Kontrolle seiner Ängste schwierig, obwohl sie sein tägliches Leben und seine körperliche Gesundheit erheblich beeinträchtigen. Phobien machen das Leben der Betroffenen sehr unangenehm und hindern sie daran, Dinge zu tun, die für andere ganz normal sind, oder zwingen sie im Gegenteil zu Aktivitäten, die sie sonst nicht ausüben würden. Die Häufigkeit einiger Arten von Phobien wird auf bis zu 10 % der menschlichen Bevölkerung geschätzt, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer. Phobien sind in der Regel auf eine psychische Störung zurückzuführen und werden in der Regel durch angeborene Ängstlichkeit oder ein traumatisches Erlebnis ausgelöst. Einige Phobien treten in der Kindheit auf und können im Erwachsenenalter spontan abklingen. Dies gilt jedoch nicht für die Parasitophobie, die krankhafte Angst vor Parasiten. Fälle von Kindern mit Angst vor Parasiten sind sehr selten, Para-

7  Parasitophobie – der Schrecken aller Schrecken     143

sitophobie tritt beim Menschen erst im Erwachsenenalter auf. Schon der Begriff „Parasitophobie“ klingt nicht sehr freundlich und außerdem stellen sich Menschen ganz unterschiedliche Dinge unter dem Wort „Parasit“ vor. Sehr oft personifizieren wir Parasiten und manche denken in erster Reihe an die parasitäre Lebensweise einiger Individuen in der menschlichen Gesellschaft. Mit ihnen werden wir uns jedoch nicht befassen. Wir konzentrieren uns auf die Ängste vor Organismen mit einer eindeutigen und von Experten definierten parasitären Lebensweise im oder auf dem menschlichen Körper, die unsere Gesundheit auf negative Weise beeinträchtigen können. Wir erwähnen aber auch die Angst vor Parasiten an Tieren, die mit uns einen gemeinsamen Haushalt teilen oder in unserer Nähe leben. Die Lehre von Parasiten oder Schmarotzern ist an verschiedenen Universitäten und wissenschaftlichen Instituten im Fachbereich Parasitologie angesiedelt. Die Auswirkungen von Parasiten auf die menschliche Gesundheit und die Labordiagnose menschlicher Schmarotzer behandelt die medizinische Parasitologie, die in der Regel zu den Abteilungen der medizinischen Mikrobiologie gehört. Mit den parasitär verursachten Gesundheitsproblemen befasst sich schlussendlich die Infektionsmedizin (Infektiologie). All dies natürlich nur, falls es sich nicht um Parasitophobie, sondern um eine tatsächlich diagnostizierte (bestätigte) parasitäre Erkrankung handelt. Parasiten sind für die menschliche Gesundheit mehr oder weniger wirklich schädlich, aber die verursachten Probleme sind in den meisten Fällen lösbar, insbesondere bei Krankheiten, die durch unsere heimischen Parasiten verursacht werden. Größere Besorgnis vor parasitären Erkrankungen ist bei Reisen in exotische tropische und subtropische Länder angebracht, bei Aufenthalten in Gebieten mit erhöhtem Parasitenvorkommen, bei Aufenthalten in einer Umgebung mit eingeschränkter Hygiene usw. Wollen wir diese Angst vermeiden, ist die Lösung simpel und leicht umsetzbar: sich über Präventivmaßnahmen informieren und, falls vorhanden, sie umsetzen. Und dieses Vorgehen muss nicht einmal auf eine Phobie zurückgehen, sondern um einen gängigen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Gesundheit und der Gesundheit unserer Liebsten. Ist die Angst unüberwindbar, bleibt keine andere Wahl, als diese Umgebungen und Situationen zu meiden. Angst und Sorgen verschwinden. Menschen, die sich so verhalten, gehören sicher nicht zu den Parasitophobikern, sondern eher zu den Gesundheitsbewussten. Anders verhält es sich bei unbegründeten Ängsten. Dies ist der Fall, wenn eine irrationale Angst vor Parasiten oder parasitären Krankheiten besteht, die weder klinisch noch im Labor diagnostiziert wurden oder

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werden können, und wenn es keinen sachlichen Grund zur Besorgnis gibt. Ein ähnliches Problem kann bei vielen Krankheiten oder deren Erregern auftreten, aber bei parasitären Krankheiten handelt es sich tatsächlich um ein häufigeres Problem und es hat daher einen eigenen Namen innerhalb der großen Familie der Phobien verdient. Der Ursprung einer Parasitophobie selbst ist schwer zu erklären. Phobien entwickeln sich oft nach einem traumatischen Erlebnis oder einer persönlichen, schlechten Erfahrung, das kann bei Parasiten aber keine große Rolle spielen. Schließlich haben die meisten Menschen in unserer Bevölkerung noch nie einen inneren Parasiten gesehen, weder tot noch lebendig, außer vielleicht einen weißlichen Bandwurm in Schulsammlungen, über einen Glasstreifen gewickelt und in Formalin eingelegt, oder einen regenwurmartigen Spulwurm in einem Glaszylinder (Abb. 7.2). Schulwissen hat jedoch die Eigenschaft, schnell vergessen zu werden. Also handelt es sich eigentlich um eine Angst vor etwas, das wir nicht kennen und uns oft nicht einmal vorstellen können. Dies ist der große Unterschied zu anderen Phobien wie der bereits erwähnten Spinnenphobie. Jeder erkennt eine Spinne und hat schon einmal eine gesehen. Sicherlich können wir uns gut eine vorstellen, im Gegensatz zu den meisten Parasiten. Wenn wir uns etwas vorstellen, ist natürlich in erster Linie die Fantasie am Werke. Im Vergleich zur Vergangenheit ist die Situation heute in vielerlei Hinsicht anders, da die Fantasie dank unbegrenzter Möglichkeiten des Suchens und Findens in verschiedenen Medien oder Kommunikationssystemen inspiriert werden kann. Im Internet kann man buchstäblich alles finden, sogar mit entsprechenden Kommentaren. Leider finden wir dort auch Dinge, die mit der Realität nichts zu tun haben oder die zwar auf der Realität beruhen, vom Autor der Information aber falsch oder sogar lügenhaft dargestellt werden. Unsere Fantasie kann so durch alle möglichen Bilder und Darstellungen verschiedener pseudoparasitärer, also parasitenähnlicher Gebilde genährt werden, denen oft fast übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Nichtsdestotrotz kann eine krankhafte Angst vor Parasiten durchaus aufgrund persönlicher Erfahrungen mit Parasiten oder aufgrund von Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis entstehen. Menschen mit einem solchen Ursprung der Phobie sind jedoch in der klaren Minderheit unter den Parasitophobikern. Eine interessante Frage ist, warum gerade Parasiten so häufig Gegenstand von Phobien sind und warum unter allen Infektionserregern gerade die Parasitophobie am häufigsten ist. Es gibt viele Krankheitserreger, die unsere Gesundheit angreifen und die uns viel mehr Sorgen bereiten sollten.

7  Parasitophobie – der Schrecken aller Schrecken     145

Abb. 7.2  Parasiten im Museum. Die meisten Parasiten sind mikroskopisch klein, sodass zur Aufbewahrung ein Objektträgerkasten ausreicht. Bei einigen Helminthen, insbesondere bei Bandwürmern, kann es sich jedoch um recht große Exemplare handeln. Menschliche Bandwürmer wie der Rinderbandwurm und der Schweinebandwurm können im Erwachsenenalter mehrere Meter Länge erreichen und ihre langen Körper werden meist über eine Unterlage gewickelt in Glaszylindern aufbewahrt. Aufgrund der Seltenheit dieser Parasiten haben die meisten Menschen einen echten Bandwurm meist nur in dieser Form in Museen oder Schulsammlungen gesehen. (Quelle: Jana Bulantová)

Pathogene Bakterien und Viren sind viel häufiger und zahlreicher als klassische Nutznießer, sie verursachen schwerwiegendere Gesundheitsprobleme und führen unter unseren Bedingungen im Gegensatz zu Parasiten viel häufiger zum Tod von Menschen. Auch die Erfahrungen aus weiter und naher Vergangenheit bestätigen die Befürchtungen hinsichtlich viraler und bakterieller Krankheiten: Pest- und Fleckfieberepidemien haben ganze Städte fast entvölkert und zahlreiche Armeen und Staaten dezimiert. Gegenwärtig beschäftigen wir uns seit mehreren Jahrzehnten mit dem Thema AIDS und während die Welt noch immer eine mögliche Grippepandemie fürchtet, ist

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die Covidpandemie über uns hereingebrochen und neu auftretende Krankheiten wie SARS, Ebola- und Zikafieber und Covid-19 lösen selbst in Gebieten, die Tausende von Kilometern vom Ursprungsort entfernt sind, Panik aus. Es ist unbestreitbar, dass wir weiterhin von viralen, bakteriellen und pilzlichen Infektionen bedroht werden. Von Virophobie, Bakteriophobie oder Mykophobie hört man jedoch selten. Dieses Paradox ist nicht leicht zu erklären. Es stimmt, dass viele Parasiten mikroskopisch klein sind und ihr Körper aus einer einzigen Zelle besteht (z. B. Darmamöben, Toxoplasmen, Malariaplasmodien). Hefen, Bakterien oder Viren sind ebenso klein oder noch kleiner. Phobien vor diesen Kleinstlebewesen sind eher selten und sie werden nur selten als Ursache für Ängste oder Probleme angegeben. Neben den mikroskopisch kleinen Schmarotzern gibt es jedoch eine große Gruppe parasitärer Würmer und Gliederfüßer, die relativ groß und mit dem bloßen Auge sichtbar sind (Madenwurm, Spulwurm, Bandwurm, Laus, Krätzmilbe usw.). Und der Schrecken vor Parasiten wird natürlich von verschiedenen Makrofotografien verstärkt, die leicht im Internet zu finden sind und unterschiedliche Körperteile der Parasiten vergrößert darstellen, darunter fürchterlich aussehende Zähne, Haken oder riesige Saugnäpfe. Der erklärende Zusammenhang für Parasitophobie könnte folgendermaßen aussehen. Wenn wir, genauso wie Tausende unserer Mitbürger, an einer epidemischen Grippe erkranken, nehmen wir das als selbstverständlich hin. Im Fall von Schulkindern werden die von der Schulleitung oder dem Gesundheitsamt ausgerufenen Grippetage als Bonus angesehen. Bei einer bakteriellen Mandelentzündung verhält es sich ähnlich. Freuen tun wir uns nicht, aber wir akzeptieren den Krankheitszustand als eine Tatsache des Lebens, betrachten ihn als völlig normal. Aber wenn ein 30 cm langer Spulwurm unseren Körper verlässt, ist das für die meisten Menschen wirklich ein Schock. Im Gegensatz zu einem Virus oder Bakterium ist der Spulwurm sichtbar und sieht nicht gerade sympathisch aus. Die Betroffenen suchen dann unsere Labors auf und verlangen eine Erklärung dafür, wie das passieren konnte und warum gerade sie eine solche Abscheulichkeit in ihrem Verdauungstrakt haben. In einem bakteriologischen und virologischen Labor sind solche Besuche mit diesen Forderungen sehr selten. Eine weitere mögliche Erklärung für den Ursprung von Parasitophobie hängt mit einer möglichen Verbindung zu einer der häufigsten Ängste, der Spinnenphobie, zusammen. Fast jeder kennt aus seinem Umfeld zumindest eine Person, die Angst vor Spinnen hat. Während unserer langjährigen Praxis wurden wir oft um Rat wegen Parasiten gebeten, die die Betroffenen angeblich umgeben, ihnen schaden und ihre Gesundheit beeinträchtigen. Bei der

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Beschreibung des Parasiten, wenn sie denn stimmt, stellen wir gemeinsam oft ein eher spinnenartiges Tier zusammen. Aber auch die Entstehung der Arachnophobie als Reaktion auf echte Spinnen ist nicht einfach zu erklären. Sind es Überbleibsel von Legenden oder Volksmärchen? Sind es Nachwirkungen von Kinderstreichen und der Angst vor beißenden giftigen und ungiftigen Spinnen? Oder tragen einige von uns ein Trauma aus der Kindheit mit sich, das mit dem elterlichen Druck zur perfekten Reinlichheit und der daraus resultierenden Ansicht zusammenhängt, dass Spinnen vernichtet und vertrieben werden sollten, weil Spinnennetze nicht eben auf die Sauberkeitsliebe der Haus- oder Wohnungsbewohner schließen lassen? Schwer nachzuvollziehen, warum wir eine solche Beziehung gerade zu Spinnen entwickelt haben, wo es doch sicherlich eine Reihe schädlicherer und gefährlicherer Tiere gibt. Der Grund dafür könnte die Existenz wirklich großer oder giftiger exotischer Spinnen sein und umspinnen wir diese noch mit Gruselgeschichten, ist es zur Angst nicht mehr weit.

Geschichten aus der Praxis Interessanterweise gibt es unter den Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen und sich wegen parasitärer Erkrankungen Sorgen machen, niemanden, der in der Vergangenheit tatsächlich an einer parasitären Erkrankung gelitten hätte, das heißt  eine parasitäre Krankheit, die diagnostiziert, behandelt und geheilt wurde. In unserem Labor hat sich noch nie eine Person mit Parasitophobie auf eine frühere Erfahrung mit Parasiten berufen. Die Beschwerden, mit denen Betroffene zu uns kommen, plagen sie zwar schon lange, davor haben sie etwas Ähnliches aber noch nie erlebt. Im Gegensatz dazu machen Menschen mit einer im Labor und klinisch bestätigten Krankheit in der Regel die positive Erfahrung, dass das konkrete parasitäre Problem therapeutisch behandelt werden kann. Diese Patienten wissen, dass die Krankheit diagnostiziert und therapiert werden und man die Parasiten bei Einhaltung der richtigen Hygiene loswerden kann. So treffen wir in unserer Praxis fast ausschließlich auf Parasitophobiker, die nicht in der Lage sind, eine bestimmte Parasitenerkrankung aus der Vergangenheit zu dokumentieren. Daher haben diese Menschen in der Regel keine persönlichen Erfahrungen mit Parasiten. Parasiten lassen sich nach ihrer Lebensweise in äußere (Ektoparasiten), auf der Körperoberfläche lebend, und innere (Endoparasiten), die sich im Inneren des Wirtskörpers befinden, einteilen. In der Vergangenheit beschrieben die meisten Menschen, die unter einer gewissen Sorge

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vor Parasiten litten, meist Symptome einer Krankheit ektoparasitischen Ursprungs. Am häufigsten werden Juckreiz oder Kribbeln an verschiedenen Körperstellen, die Bildung von Schorf, Blasen, Knötchen, das Auftreten größerer oder kleinerer Blutergüsse auf der Haut oder das Gefühl, die Haut würde dünner werden, sowie Entzündungen der Haut genannt. Manchmal werden verschiedene an Kratzer erinnernde Striemen, vergilbte Finger- und Fußnägel usw. beschrieben. In einigen Fällen hören wir von Patienten auch vom Gefühl, dass sich „etwas in meine Haut gräbt an verschiedenen Stellen des Körpers“. Aufgrund dieser Symptome suchen diese Menschen zuerst einen Dermatologen auf. Die meisten haben dann oft eine Behandlung gegen Krätze hinter sich, die in diesen Fällen aber völlig wirkungslos ist. Da es sich um ein psychologisches Problem handelt, bleiben die oben erwähnten Empfindungen natürlich bestehen. Leider kommt es manchmal vor, dass der Dermatologe das psychologische und phobische Problem erkennt, aber dennoch einen Besuch der Parasitologie empfiehlt. Daher kommen diese Patienten erst zu den Parasitologen, wenn die dermatologische Behandlung versagt hat. Meist sind diese Menschen in der Lage, die verschiedenen Gebilde sehr glaubhaft zu beschreiben, die sie für die Ursache ihrer Probleme halten und von denen sie überzeugt sind, es handle sich um Parasiten. Oft sammeln sie auf Anraten eines Dermatologen bereits dieses Material von der Körperoberfläche und bringen es zur Identifizierung. Wenn sie den „Parasiten“ bei der ersten Sitzung nicht mitbringen, werden sie darum gebeten, da es dann viel einfacher ist, ihre falsche Überzeugung zu erklären und zu widerlegen. Parasitophobiker bringen am häufigsten verschiedene Haare, Stofffasern, Schorfstückchen, Krümel aus der Körperumgebung und eine Vielzahl anderer, manchmal recht schwer identifizierbarer Dinge mit. Das mitgebrachte Material enthält oft ganze Körper oder Körperteile verschiedener Lagerschädlinge oder anderer Milben und Insekten, die in unserer Umgebung leben und häufig in Wohnungen vorkommen oder in diese einfliegen, vor allem in den Sommermonaten. Obwohl diese Mitbewohner dem Menschen keineswegs direkt schaden können, führen viele Menschen die oben genannten Hautprobleme auf sie zurück. Wenn das mitgebrachte Material nicht zu sehr beschädigt ist, ist die Identifizierung einfach, ebenso wie die Beschreibung der Möglichkeiten, diese Mitbewohner bei Bedarf wieder loszuwerden. Natürlich gibt es Ektoparasiten wie Läuse, Bettwanzen, Milben usw., die für uns schädlich sein können, aber für einen erfahrenen Parasitologen ist es kein Problem, sie zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Leider wird auch die Parasitophobie durch die Verfügbarkeit oft völlig unbegründeter, irreführender oder sogar lügenhafter Informationen

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negativ beeinflusst. Vor allem die ältere Generation, die an die „Wahrheit“ gewöhnt ist, obwohl manchmal ideologisch verzerrt und vom Fernsehen oder Zeitungen geliefert, kann nur schwer begreifen, dass im Internet absolut alles veröffentlicht werden kann, was auch nur den Anschein der Wahrheit hat. So findet man ganz einfach Internetseiten gefüllt mit Fotos pseudoparasitärer, das heißt Parasiten nur ähnelnder Gebilde, die unsere Gesundheit aber nicht gefährden können. Leider werden diese Objekte auf den Seiten als Parasiten mitsamt genauen Bezeichnungen beschrieben, sodass Laien die Orientierung in diesem Thema nicht leicht fällt. Wenn Parasitophobiker kein Material zur Identifizierung mitbringen, hören wir oft, im Internet gäbe es Fotos und „genau das, Herr Doktor, habe ich dort gesehen“. Für Parasitologen ist die Situation dann viel schwieriger, da Behauptung gegen Behauptung steht. Hat der Patient schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem gemacht, glaubt er lieber Bildern im Internet. In die Praxis kommt er dann von seiner Wahrheit überzeugt und verlangt eine Lösung. In den letzten Jahren veränderte sich die Problematik der Parasitophobie jedoch erheblich und insbesondere die Zahl der Patienten mit ganzheitlichen Symptomen einer eingebildeten parasitären Erkrankung nahm stark zu. Bei der Beschreibung ihrer Beschwerden sprechen sie von allgemeiner Müdigkeit, Atembeschwerden, Husten, Rücken- und Gelenkschmerzen, Depressionen, Schmerzen im Mundbereich, geschwollenen Gliedmaßen, Verschlechterung des Seh- und Hörvermögens, Schmerzen der inneren Organe usw. Die Liste der beschriebenen Beschwerden ist sehr lang. Es ist schwer zu erklären, warum viele Patienten begonnen haben, ihre oft objektiven Probleme mit Parasiten in Verbindung zu bringen. Es könnte an der Erfahrung mit einer alternativen Untersuchungsmethode liegen (s. folgendes Kapitel), die die Patienten in ihrer Befürchtung bestärkt, ein Parasit sei Ursache aller Beschwerden. Eine solche nicht standardmäßige Diagnostik kann jedoch sehr gefährlich und irreführend sein und von der eigentlichen Ursache des Problems ablenken. Betroffene sprechen oft offen über das Gefühl, Parasiten würden sich in ihrem Körper bewegen, sich in den Körper eingraben und dort ausbreiten. Sie beschreiben absolut glaubwürdig die Wahrnehmung in verschiedenen Organen, das zentrale Nervensystem nicht ausgenommen. Wir kennen zwar Parasiten, deren Entwicklungsstadien durch den Wirtskörper wandern können, sie sind aber zu klein, um physisch wahrnehmbar zu sein. Dennoch werden die Betroffene in diesen Gefühlen und Überzeugungen häufig von Personen außerhalb des medizinischen Systems bestärkt.

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Im Internet und in gedruckter Form sind Texte mit langen Listen verschiedener Symptome und Erscheinungen, die durch Parasiten „verursacht“ werden, leicht erhältlich. Die meisten davon sind erfunden, oft aus dem Kontext wissenschaftlicher Artikel gerissen, die von angesehenen Experten veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich oft um stark vereinfachte Theorien, die nicht ausreichend erklärt werden und die Realität verzerren. So stoßen wir auf Behauptungen, dass Anfälle verschiedener Art durch Darmparasiten, Allergien auf Fadenwürmer und Einzeller zurückgehen, die Parkinson-Krankheit wiederum auf Trichomonas vaginalis (ein menschlicher Flagellat) im Gehirn verursacht werden, dass Schizophrenie Larvenstadien von Bandwürmern zuzurechnen ist, und auf viele weitere Unsinnigkeiten. Es gibt praktisch kein Gesundheitsproblem, für das nicht ein Parasit als Verursacher infrage käme. In vielen gedruckten und Internetquellen werden Parasiten oft übernatürliche Kräfte zugeschrieben, zum einen in ihren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (s. Fälle oben), zum anderen auch in ihrer Lebensweise, von der sich klinische Symptome ableiten lassen. Einige Pseudoexperten verleugnen das Grundwissen über parasitäres Leben und überzeugen ihre Leser vom Unmöglichen. Wenn Fachleute dann versuchen, diese Diskrepanzen zu erklären, werden sie in die Position der Unglaubwürdigen versetzt und der Patient wendet sich  oft mit der Frage „Warum haben Sie so lange studiert, wenn Sie nicht einmal die Grundlagen kennen?“ ab. Menschen mit der festen Überzeugung vom Vorhandensein innerer Parasiten in ihrem Körper liefern in der Regel nicht viel Material für Labortests, außer vielleicht Objekte, die sie in ihrem Stuhlgang gefunden haben. Darin kann eine Menge unverdauter Speisereste enthalten sein, die manchmal Parasiten ähneln können, und manchmal sind Reste abgelöster Schleimhaut dem Stuhlgang beigemischt. Parasitologen müssen den Betroffenen vor allem Erklärungen und Argumente vorbringen, die im Fall von Parasitophobie dazu beitragen, ihre Gefühle und Annahmen zu widerlegen. Es ist sicherlich nicht die primäre Aufgabe und Tätigkeit von Parasitologen und diagnostischen Labors, das Ausmaß einer Parasitophobie zu erkennen und zu bestimmen, und falls ein Parasit als Verursacher der angegebenen Beschwerden ausgeschlossen wurde, können sie keine Empfehlungen für Behandlungen durch andere Spezialisten aussprechen. Menschen, die unter einem gewissen Grad an Parasitophobie leiden, gab es immer und wird es immer geben. In der Vergangenheit waren es jedoch weitaus weniger – zum Teil, weil sie keine anderen Informationen als die von fachkundigen Parasitologen und einigen Infektiologen erhalten konnten. Die Parasitologie wurde wenig beachtet und es gab viel weniger leicht

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zugängliche Informationen. Heutzutage sieht die Situation ganz anders aus und der Laie hat keine Möglichkeit, sich in der Fülle der leicht verfügbaren Informationen zurechtzufinden. Anders als in der Vergangenheit kommen die Patienten zwar aufgeklärt zu uns, aber aus falschen oder verwirrenden Quellen. Darüber hinaus haben sie oft negative Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem gemacht, bevor sie einen Parasitologen aufsuchen. Außerdem haben sie in der Regel bereits ihren Hausarzt konsultiert und beklagen sich häufig darüber, dass sie Informationen über die technische oder finanzielle Unmöglichkeit einer parasitologischen Untersuchung erhalten haben. Dies ist eine irreführende Information und deutet entweder auf Unwissenheit hin oder auf den Versuch, den Patienten auf irgendeine Weise loszuwerden. Diese Menschen kommen auch oft mit der Information, es sei ihnen eine Psychotherapie empfohlen worden. Manchmal ist das Vorgehen des Hausarztes sogar verständlich. Er hat ein überfülltes Wartezimmer, versteht nicht viel von Parasitologie und hört von seinen Patienten, seiner im Allgemeinen richtigen Meinung nach, völligen Unsinn. Damit kommen wir zu einem der drängendsten Probleme unserer Zeit, nämlich, dass das medizinische Personal keine Zeit hat, mit seinen Patienten zu sprechen.

Diagnostik Das korrekte Verfahren (sog. Grundsatz lege artis ) zur Bestätigung oder dem Ausschluss einer parasitären Infektion sieht wie folgt aus. Der Patient sucht seinen Hausarzt oder einen anderen Facharzt auf, der je nach klinischen Anzeichen die Entnahme einer Probe empfiehlt (oder nicht empfiehlt). Die Probe wird dann an ein spezialisiertes parasitologisches oder mikrobiologisches Labor geschickt. Das Spektrum der Nachweismöglichkeiten ist recht breit und es gibt praktisch keinen Parasiten oder kein Entwicklungsstadium, das nicht mit einer der Labormethoden nachgewiesen werden könnte. Manchmal ist es notwendig, die Untersuchung zu wiederholen, um möglichst genaue Ergebnisse zu erhalten. So muss beispielsweise eine Stuhluntersuchung auf Darmparasiten insgesamt dreimal durchgeführt werden. Natürlich ist das manchmal einfacher, manchmal schwieriger. Die Schlussfolgerung der Untersuchung wird auf der Grundlage aller erzielten Ergebnisse gemacht. Im Fall von Parasitophobie sind die Ergebnisse der parasitologischen Untersuchung natürlich negativ. Der Patient ist in der Regel unzufrieden, weil sich sein Verdacht nicht bestätigt hat und darüber hinaus die Ursache seiner subjektiven oder objektiven Beschwerden, die

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er loswerden möchte, nicht aufgedeckt, respektive bestätigt wurde. Er kann dann weitere Hilfe in anderen Abteilungen und bei anderen Fachleuten wie Infektiologen und Immunologen oder außerhalb des klassischen medizinischen Systems suchen, wo er jedoch in die Hände von unverantwortlichen Heilern oder Betrügern geraten kann. Die Lage von Menschen mit Parasitophobie ist sehr problematisch. Diese Menschen sind krank, aber auf eine andere Art, als sie glauben. Sie glauben uneingeschränkt an ihre Überzeugungen und Gefühle, die sich aus der Phobie ergeben. Wenn sie Hilfe bei Parasitologen suchen, erfahren sie, dass sie keine Parasiten haben. Die Empfehlung des Parasitologen, einen anderen Facharzt aufzusuchen, ist nicht sehr effektiv und in der Regel nicht einmal angemessen, da die Patienten diese, meist negativen, Erfahrungen bereits gemacht haben und der Parasitologe für sie die letzte Institution darstellt, die ihnen noch helfen könnte. Die meisten Patienten kommen mit der Erklärung „die wollen nicht mehr mit mir reden und halten mich für verrückt“. Leider können sie negative Erfahrungen auch mit Parasitologen machen, da die meisten Parasitologiekliniken keinen ambulanten Betrieb führen und es nicht in ihren Möglichkeiten (und auch nicht in ihrer Verantwortung) liegt, sich mit Menschen mit Parasitophobie zu beschäftigen. Wenn Patienten nicht von einem Parasitologen oder anderen kompetenten Fachpersonal angehört werden, suchen sie logischerweise Hilfe außerhalb von Gesundheitseinrichtungen, wo sie oft in ihrem Glauben bestärkt werden und ihnen gegebenenfalls therapeutische Verfahren empfohlen werden. Manchmal ist das Gegenteil der Fall – zunächst ein Besuch bei unverantwortlichen Heilern oder sogar Betrügern, die parasitologische Untersuchungen empfehlen. Leider werden dadurch die psychischen Probleme nicht gelöst. Parasitologen können mit modernen und bewährten Methoden das Vorhandensein oder Fehlen von Parasiten oder pseudoparasitären Gebilden zuverlässig feststellen. Sie können auch das Problem im Detail erklären und den Patienten fachkundige Informationen über Parasiten geben. Was der Patient mit diesen Informationen macht, liegt allein in seiner Verantwortung. Schwieriger ist die Argumentation in Fällen, in denen der Patient kein Untersuchungsmaterial zur Verfügung stellt. Parasitophobiker beschreiben oft nur etwas, behaupten, etwas zu sehen, aber bevor sie es fangen können „ist der Parasit verschwunden“, sie nehmen oft an, es würde sich um einen neuen, unbekannten Organismus handelt usw. Die lebende Natur hat jedoch ihre eigenen Gesetze und jeder Organismus, auch Parasiten, muss sie befolgen. Bei Parasiten treffen wir häufig auf komplexe Lebenszyklen, die von Art zu Art unveränderlich sind und die verschiedenen Stadien und

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Übertragungswege können nicht einfach verwechselt oder übersprungen werden. Viele Parasiten sind auch durch ihre Wirtsspezifität eingeschränkt und so können sie zwar problemlos zum Beispiel ein Huhn im Hinterhof infizieren, aber niemals einen Menschen, selbst wenn wir sie in rauen Mengen verschlucken würden. Weiterhin sind Parasiten oft durch ihr geografisches Verbreitungsgebiet begrenzt und während sie im tropischen Afrika oder in Südostasien relativ häufig vorkommen, sind sie in Europa überhaupt nicht zu finden. Natürlich verfügen Laien nur über begrenzte Informationen und ihr Wissen über die Mechanismen der parasitären Übertragung ist daher stark vereinfacht. Es fällt ihnen leicht, etwas zu beschreiben, das nicht nur nicht existiert, sondern prinzipiell gar nicht möglich ist, zum Beispiel dass sie spüren, wie sich etwas in ihr Herz, ihren Magen, ihr Gehirn usw. bohrt. Eine der wenigen Möglichkeiten, unter Parasitophobie leidenden Menschen zu helfen, besteht in der Aufklärung über die negativen parasitologischen Befunde. Sich Zeit zu nehmen für einen gemeinsamen und möglichst rationalen Dialog mit den Betroffenen ist der wichtigste Beitrag. Menschen, die nur eine gesteigerte Angst vor Parasiten haben oder dem Irrglauben erlegen sind, Parasiten seien an allem schuld, wird der Dialog mit einem Parasitologen oft helfen zu verstehen, dass sie die Ursachen ihrer Probleme woanders suchen müssen. Bei unzähmbaren pathologischen Ängsten vor Parasiten ist eine solche Erklärung jedoch in der Regel unzureichend, sodass eine Behandlung, die auf den allgemeinen Grundsätzen der Bekämpfung und Unterdrückung von Phobien beruht, vorzuziehen ist. Denn Parasitophobie ist eine Krankheit und muss als solche in einer spezialisierten psychiatrischen Einrichtung behandelt werden.

8 Parasiten in der Alternativmedizin Iva Kolářová und Martin Kolář

Keine Gruppe von Erregern von Infektionskrankheiten erregt so viele Emotionen wie Parasiten. Allein die Art und Weise, wie Parasiten von ihren Wirten leben, ihnen wertvolle Nährstoffe entziehen und Krankheit und Tod verursachen, erregt Abscheu, ganz zu schweigen von den Schreckensbildern eines Haufens von Spulwürmern, die unfreiwillig einen menschlichen Körper verlassen. Schließlich lässt die Vorstellung von Parasiten, die sich in verschiedenen Teilen unseres Körpers, einschließlich des Auges oder des Gehirns, tummeln, wohl niemanden von uns kalt. Kurz gesagt, Parasiten haben einen wirklich schlechten Ruf, und nur Wissenschaftler, die sich mit ihnen beschäftigen, darunter auch die Autoren dieses Buchs, können ihnen etwas Gutes abgewinnen. Kein Wunder, dass sich Parasiten in der Alternativmedizin, die zu einem großen Teil mit Emotionen arbeitet, so gut fühlen. Die Alternativmedizin, oder vielmehr die Meinung über ihre Methoden, spaltet die Gesellschaft. Auf beiden Seiten des Meinungsspektrums gibt es Menschen, die jegliche Gegenargumente der anderen Seite aus Prinzip ablehnen, sodass sich die Diskussion oft auf einer persönlichen und emotionalen Ebene ohne ausreichenden Abstand bewegt. Ziel dieses Kapitels ist es in erster Linie, Ihnen die Sichtweise von Wissenschaftlern und I. Kolářová (*) · M. Kolář  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] M. Kolář E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_8

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Ärzten zu den in der Alternativmedizin angewandten Praktiken speziell im Zusammenhang mit parasitären Infektionen zu vermitteln. Lassen Sie uns zunächst einige grundlegende Begriffe definieren, um Missverständnisse von vornherein auszuschließen. Als klassische Medizin betrachten wir die evidenzbasierte, also die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Medizin, mit anderen Worten die Medizin, die Sie von einem Arzt mit abgeschlossenem Medizinstudium erwarten. Unter alternativer Medizin werden wir solche Ansätze verstehen, die wissenschaftlich unbewiesen1 oder unsinnig sind. Was bedeutet es eigentlich, dass eine Methode wissenschaftlich bewiesen ist? Es bedeutet, dass sie einer geregelten wissenschaftlichen Prüfung unterlag. Im Allgemeinen ist der angemessene Einsatz einer Kontrollgruppe ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlicher Tests. Lassen Sie uns anhand eines sehr alten Beispiels veranschaulichen, was eine Kontrollgruppe ist. Im 17. Jahrhundert beschloss der italienische Arzt Francesco Redi, die damals populäre Theorie der Urzeugung von Organismen zu überprüfen, welche besagte, dass Organismen einfach von selbst entstehen – Fische aus dem Wasser, Regenwürmer aus der Erde, Fliegenlarven aus gammelndem Fleisch. Er machte sich daran, dies auf einfache und leicht verständliche Weise zu testen: Er füllte Gläser mit Fleisch, ließ die Hälfte davon offen und verschloss den Rest luftdicht. In die offenen Gläser legten Fliegen ihre Eier ab und nach einigen Tagen schlüpften Larven, in den geschlossenen Gläsern erschienen keine Larven. Damit war die Theorie der Urzeugung in ihrer ursprünglichen Form erfolgreich widerlegt worden. Im obigen Beispiel stellten die offenen Gläser die Kontrollgruppe dar. Hätte Francesco Redi nur geschlossene Gläser verwendet und gezeigt, dass sich darin keine Larven spontan entwickelten, wäre er leicht zur Zielscheibe von Kritikern geworden, die hätten behaupten können, dass die Mondphase oder die Windrichtung für die Selbstbefruchtung von Larven aus dem Fleisch gerade nicht geeignet war. Da er jedoch eine Kontrollgruppe verwendete, waren seine Beweise kugelsicher. Alle Versuchsbedingungen waren für beide Gruppen identisch, den einzigen Unterschied machte der Deckel. Auf ähnliche Weise werden wissenschaftliche Tests auch heute noch durchgeführt, darunter auch Studien, die die Wirksamkeit von Diagnoseund Behandlungsverfahren untersuchen. Solange wir bei der Erprobung eines neuen Medikaments oder Verfahrens nicht über eine ordnungsgemäß konzipierte Kontrollgruppe verfügen, ist es unmöglich, verantwortungs-

1 Lassen wir noch nicht klinisch bestätigte Methoden beiseite, die zwar auf wissenschaftlicher Grundlage basieren, aber noch in der Entwicklung sind, zum Beispiel die Stammzelltherapie.

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bewusste Aussagen darüber zu machen, wie sich der Gesundheitszustand der Patienten entwickelt hätte, wenn sie gar nicht oder auf andere Weise behandelt worden wären. In klinischen Studien ist es die Kontrollgruppe, die anstelle des zu untersuchenden Medikaments ein unwirksames Mittel (Placebo) erhält oder ein anderes Medikament gegen die Krankheit, das bereits erfolgreich eingesetzt wird und dessen Wirksamkeit mit der des neuen Medikaments verglichen werden soll. Wissenschaftliche Untersuchungen und Überprüfungen erfordern auch eine ausreichende Anzahl an Wiederholungen. Was einer Person hilft, heilt eine andere vielleicht nicht. Es wäre unklug, die eigene Gesundheit in die Hände von jemandem zu legen, der Heilmethoden von einem einzigen Fall ableitet. Daher gilt, je größer die Testgruppe, desto aussagekräftiger und zuverlässiger sind die Ergebnisse. Grundlegende klinische Tests finden in der Regel an Hunderten oder Tausenden von Freiwilligen statt. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse werden für gewöhnlich veröffentlicht und auch für das Verfassen und Veröffentlichen eines wissenschaftlichen Texts gibt es klare Regeln. Mit etwas Übertreibung kann man sagen, dass nicht die Ergebnisse gute Wissenschaft ausmachen, sondern die richtig gewählte und detaillierte beschriebene Testmethode. Die angewandte Methodik sollte so beschrieben und erläutert werden, dass die Studie jederzeit von unabhängigen Experten wiederholt werden kann. Wenn dieselbe Methodik angewandt wird, können die Ergebnisse beider Studien untereinander verglichen werden, um eine bessere Vorstellung von der Funktionsfähigkeit der untersuchten Methode oder des Präparats zu erhalten. Natürlich werden auch zuvor definierte Begriffe und physikalische Größen für die Beschreibung verwendet. Falls die Beschreibung der Methodik unvollständig, nicht nachvollziehbar oder sogar völlig fehlend ist, dann haben wir es nicht mit Wissenschaft zu tun. Wenn man Methoden anwendet, von denen jemand lediglich behauptet hat, sie würden „funktionieren“, ohne dass die Methode angemessen beschrieben oder mit geeigneten Kontrollen getestet wurde, oder wenn neu geschaffene und nicht definierte Begriffe verwendet werden, dann ist das genau das, was die Wissenschaft zur Quacksalberei macht. In die gleiche Kategorie fallen Methoden, die „so bahnbrechend sind, dass sie von der zeitgenössischen Wissenschaft noch nicht gewürdigt wurden“. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es sich in der Regel um eine Methodik handelt, die unter den oben genannten Mängeln leidet. Das Hauptproblem ist nicht das Fehlen einer Erklärung des Prinzips, nach dem die Methode funktioniert, denn es ist durchaus möglich, dass wir das Prinzip noch nicht ganz verstehen. Das eigentliche Problem besteht darin,

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dass es keine Beschreibung der Methodik gibt, die wiederholtes Testen ermöglicht, und dass eine angemessen gewählte Kontrollgruppe fehlt. Grundlage eines wissenschaftlichen Texts ist auch eine kritische Bewertung der Ergebnisse und ihr Vergleich mit der verfügbaren Literatur. Außerdem werden wissenschaftliche Texte vor ihrer Veröffentlichung einer strengen Analyse und einem anspruchsvollen Peer-Review-Verfahren unterzogen, bei dem die Autoren ihre Ergebnisse vor unabhängigen Sachverständigen verteidigen müssen, die beurteilen, ob sie mit dem richtigen Verfahren und den richtigen Methoden zustande gekommen sind und ob die beschriebenen Schlussfolgerungen tatsächlich gezogen werden können. Mit der Veröffentlichung ihrer wissenschaftlichen Texte gehen die Autoren dann das Risiko ein, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit diskutiert, infrage gestellt und schließlich vielleicht widerlegt und durch Erkenntnisse ersetzt werden, die der Realität besser entsprechen. Dank dieses im Grunde einfachen, aber sehr anspruchsvollen und strengen Systems nähern wir uns im Laufe der Zeit der Realität, man könnte auch sagen der Wahrheit, und einer echten Kenntnis der Welt. Die klassische Medizin stützt sich also auf wissenschaftliche Untersuchungen, deren Ergebnisse in begutachteter Fachliteratur (Artikel, Bücher) veröffentlicht wurden. In der alternativen Medizin angewandte Verfahren durchlaufen diesen strengen Prüfungs- und Veröffentlichungsprozess nicht. Lassen Sie uns nun einige davon näher betrachten. Im Rahmen der Alternativmedizin und im Zusammenhang mit der Diagnose und Behandlung parasitärer Infektionen können wir auf eine Vielzahl von Denkschulen, Geräten und Verfahren stoßen. Für die Zwecke dieses Kapitels haben wir aus der langen Liste alternativer Ansätze diejenigen ausgewählt, die unserer Meinung nach derzeit bei der Bekämpfung parasitärer Einzeller und Helminthen am weitesten verbreitet sind. Wir werden uns daher insbesondere mit der Bioresonanz, den MMS-Tropfen und dem Phänomen der Entgiftungsberater befassen. Daneben widmen wir uns jedoch auch einigen natürlichen Mitteln gegen Parasiten wie Knoblauch oder Beifuß. Für einen umfassenden Überblick über die in der Alternativmedizin verwendeten Geräte und Methoden verweisen wir auf die Bücher von Edzard Ernst und Otto Gerhard Prokop.

Bioresonanz Das Phänomen der Bioresonanz und ihre Verwendung für die Diagnose und Behandlung von Parasitenerkrankungen im Bereich der Alternativmedizin beschreibt Dr. Hulda Regehr Clark in ihren Büchern.

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Dr. Clark (1928–2009) war Kanadierin, die einen Doktortitel in Zoologie erwarb. Sie verließ jedoch bald die akademische Welt, um sich der Alternativmedizin zu widmen. Allerdings studierte sie nie die an medizinischen Fakultäten gelehrte Schulmedizin. In ihren Büchern behauptet Dr. Clark, dass nur zwei Faktoren alle Krankheiten verursachen: Krankheitserreger2 und Schadstoffe oder eine Kombination aus beiden. Ihrer Theorie zufolge sendet jeder Organismus Radiowellen in einem bestimmten Frequenzbereich aus; dieses Phänomen bezeichnet sie als biologische Strahlung oder Bioradiation. Die Frequenzbereiche können sich zwischen Organismen überschneiden, aber „pathogene“ Frequenzen überschneiden sich angeblich nie mit denen des Menschen. Dr. Clark hat selbst ein Gerät entwickelt – das Syncrometer –, um die Frequenz eines im menschlichen Körper vorkommenden Pathogens zu messen (Abb. 8.1). Es kann angeblich nicht nur Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten nachweisen, sondern auch Lösungsmittel und Toxine. Indem sie die gleiche Frequenz in die entgegengesetzte Richtung (d. h. in unseren Körper) sendet, das zapping, ist Dr. Clark angeblich im Stande, den betreffenden Krankheitserreger zu beseitigen. Es sei darauf hingewiesen, dass Dr. Clark trotz ihrer akademischen Ausbildung und Erfahrung nie einen wissenschaftlichen Beweis für diese Behauptungen vorgelegt hat (Abb. 8.2). Beide von Dr. Clark entwickelten Geräte – das Syncrometer und der Zapper – werden in verschiedenen Formen weltweit verkauft. In der Fachliteratur sind keine Studien zu finden, die das diagnostische Potenzial oder die therapeutische Wirkung dieser Geräte belegen (Abb. 8.3). Dennoch kaufen Leute Zapper-Geräte gerade wegen ihrer angeblichen therapeutischen Wirkung und werden so freiwillig zu Versuchskaninchen. Das zapping scheint nicht unmittelbar gefährlich für einen erwachsenen Menschen zu sein, aber die mögliche Verzögerung oder vollständige Ablehnung einer konventionellen Behandlung kann ein erhebliches Risiko darstellen. Dr. Clark selbst warnt vor der Verwendung von Zappern bei Menschen mit Herzschrittmachern und Schwangeren. Diese Warnung muss sehr ernst genommen werden, da in der Literatur mindestens ein Fall eines Mannes mit Herzschrittmacher beschrieben wurde, der nach Anwendung des Zappers fast gestorben wäre. Was die klassischen Parasiten betrifft, so nennt Dr. Clark vor allem parasitäre Würmer und fügt hinzu, dass eine mögliche ungewöhnliche Lokalisation des Parasiten im menschlichen Körper auf eine Kontamination 2 Hier

sind im weitesten Sinne Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten gemeint.

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Abb. 8.1  Alternativmedizinische „Diagnostik“ und „Therapie“ mit der Hochfrequenz. Im Bereich der Alternativmedizin ist die Hochfrequenzdiagnostik und -therapie die wohl am weitesten verbreitete Methode im Kampf gegen Parasiten. Eine prominente Verfechterin dieser wissenschaftlich unbewiesenen Methoden war zum Beispiel Dr. Hulda Regehr Clark, Autorin der Theorie, jeder Organismus sende elektrische Signale in einem bestimmten Frequenzbereich aus. Diese Theorie besagt, dass ein Parasit im menschlichen Körper mit Geräten vom Typ F-SCAN (a) nachgewiesen werden kann. Der Eindringling könne dann angeblich eliminiert werden, indem seine spezifische Frequenz in die entgegengesetzte Richtung, in den Wirtskörper, zurückgesendet wird. Zu diesem Zweck werden Geräte wie der Plasma Generator (b) oder der Super Ravo Zapper (c) eingesetzt, die die Einstellung verschiedener Frequenzen mit angeblich präziser Zielgenauigkeit ermöglichen. Auf dem ähnlichen Prinzip wie der F-SCAN und der Zapper basieren auch andere in Europa erhältliche Geräte. Als Beispiel seien hier Salvia, Sensitiv Imago oder Oberon (d) genannt, dessen Erfinder Prof. Nesterov vom Institut für praktische Psychophysik im russischen Omsk ist. Das Gerät führt eine sogenannte nichtlineare Spektralanalyse der wirbelnden Magnetfelder eines biologischen Organismus durch und soll in der Lage sein, Veränderungen bis auf DNA-Ebene zu erkennen. All diese Geräte werden offiziell nur zu Versuchszwecken verkauft und keines von ihnen ist ein klinisch nachgewiesen sicheres und wirksames Medizinprodukt. (Quelle: a www.prozdravi-zlin.cz; b–c www.zapper-centrum.cz; d www.centrumzdraviblansko.cz)

des Körpers durch Lösungsmittel zurückzuführen sei. So gelangten laut Dr. Clark allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz Spulwürmer ins Gehirn oder Saugwürmer in die Gebärmutter.

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Abb. 8.2  In der Entgiftungspraxis. Der Besuch einer Entgiftungspraxis, wo mit alternativmedizinischen Geräten (Abb. 8.1) der Zustand des gesamten Körpers von den einzelnen Organen bis zur intrazellulären Ebene überprüft wird, ist in Mode gekommen. Die Besprechung der erhaltenen Ergebnisse und die gemeinsame Suche nach Lösungen für die aufgedeckten Gesundheitsprobleme gehören zur Selbstverständlichkeit. Selbst bei einem völlig gesunden Menschen sind diese Geräte in der Lage, mehrere Dutzend verschiedener Krankheitserreger nachzuweisen (rote Zahlen in den Abbildungen entsprechen den Nummern der Parasiten in der Liste; die roten Pfeile zeigen ihre Lokalisation), darunter zum Beispiel die parasitäre Amöbe Naegleria fowleri (violett hervorgehoben), die eine sehr rasch verlaufende und tödliche Krankheit namens primäre Amöben-Meningoenzephalitis verursacht. Die Tschechische Republik hat die traurige Ehre, die weltweit größte Epidemie dieser Krankheit erlebt zu haben, als in den 1960er-Jahren in Aussig (Ústí nad Labem) 16 junge Menschen an dieser Krankheit starben. Der letzte Fall in der Tschechischen Republik wurde in den 1980er-Jahren gemeldet. Die Schulmedizin behandelt diese Erkrankung mit Antimykotika, die Alternativmedizin mit Bioresonanz. Der Berater, der diese alternative Diagnose und Behandlung anbietet, erklärt jedoch gleichzeitig, dass die von ihm angewandten Methoden nur experimentell sind und seine Dienste keinen Ersatz für eine ärztliche Untersuchung und Behandlung darstellen (s. Stempel auf der Liste der diagnostizierten Parasiten). Er entbindet sich damit von jeglicher Verantwortung, die damit auf die Versuchsperson, also den Kunden, übergeht. (Quelle: Collage, Oleg Ditrich; Untersuchungsprotokoll, Iva Kolářová)

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Abb. 8.3  Wie sich Leishmania nicht töten ließ. Parasitäre Erkrankungen sind seit einiger Zeit ins Visier der Alternativmedizin geraten, die ihren Anhängern mehrere wissenschaftlich nicht bewiesene therapeutische Verfahren zur Beseitigung der Parasiten anbietet. Die von uns getestete Methode basiert auf der Theorie von Dr. Hulda Regehr Clark, die besagt, dass jeder Organismus elektrische Signale in einem bestimmten Frequenzbereich ausstrahlt. Indem man eine bestimmte Frequenz in die entgegengesetzte Richtung (d. h. zum Kunden) sendet, kann man den Erreger beschädigen und sein Absterben erreichen. Auf einen Glasträger mit Kupferelektroden trugen wir Zellen der parasitären einzelligen Leishmania auf, schlossen ihn über die Elektroden an ein frequenzerzeugendes Gerät an und legten den Träger unter ein Mikroskop (a). Aus der Tabelle von Dr. Clark wählten wir die entsprechende tödliche Frequenz aus und beobachteten ihre Auswirkungen auf die Parasiten unter dem Mikroskop. Die Apokalypse blieb jedoch aus. Obwohl aufgrund des fließenden Stroms eine Elektrolyse der Lösung (b) stattfand, was die Bewegungsaktivität der Zellen in unmittelbarer Nähe der beiden Elektroden beeinflusste, hatte die übertragene Frequenz keine sichtbaren Auswirkungen auf die weiter entfernten Zellen. (Quelle: Helena Kulíková)

Als schlimmsten Parasiten bezeichnet Dr. Clark den Riesendarmegel (Fasciolopsis buski, Gruppe der Saugwürmer). In Verbindung mit einer Kontamination des Körpers durch Lösungsmittel könne der Mensch zum Zwischenwirt für diesen Saugwurm werden, der sich in einem bestimmten Organ des menschlichen Körpers ansiedelt und schwerste Krankheiten wie Krebs, AIDS, Diabetes mellitus Typ 2, Alzheimer, Morbus Crohn, KaposiSarkom und Endometriose verursachen kann. Aus Sicht eines Parasitologen ist die obige Aussage unsinnig. Abgesehen vom Fakt, dass bei einigen dieser Krankheiten Erreger und Infektionsweg bekannt sind (z. B. sexuell übertragbares HI-Virus) und bei anderen die möglichen Ursachen so variabel sind, dass ein gemeinsamer Erreger sehr unwahrscheinlich ist (z. B. Krebs), dann müssen wir die Hypothese aus zwei parasitenbiologischen Gründen ablehnen. Erstens kommt der bereits erwähnte Riesendarmegel F. buski nur in Ost- und Südostasien vor. Und zweitens erlaubt der Lebenszyklus dieses Saugwurms keinen anderen Zwischenwirt als eine oder einige wenige verwandte Arten einer aquatischen

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Schnecke. In jedem anderen Zwischenwirt stirbt der Saugwurm. Zusätzlich hat er weder nötige Mittel, um die menschliche Haut zu durchdringen, noch verfügt er über Abwehrmechanismen, die ihn im Fall eines versehentlichen Verzehrs schützen würden. Ähnlich lautet auch die Stellungnahme der schweizerischen Studiengruppe für komplementäre und alternative Methoden bei Krebs3. Die Behauptungen von Dr. Clark bezweifeln auch einige der bekannteren Befürworter der alternativen Medizin, darunter der in den Vereinigten Staaten bekannte Unterstützer der ganzheitlichen Medizin und Arzt Andrew Thomas Weil und der Naturheilkundler Joseph Pizzorno, Präsident Clintons ehemaliger Berater für alternative Medizin. So ist nicht uninteressant, dass Dr. Clark an Krebs starb, der Krankheit, die sie nach eigenen Worten so erfolgreich diagnostizieren und behandeln konnte. Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff „Bioresonanz“ mit dem Duo Franz Morell und Erich Rasche in Verbindung gebracht. In den 1970er-Jahren konstruierten sie ein Gerät namens MORA, das angeblich nicht näher spezifizierte Disharmonien des menschlichen Körpers heilen sollte. Die Befürworter dieser alternativen Therapie setzen sie jedoch nicht bei parasitären Erkrankungen ein, weshalb sie hier nur am Rande erwähnt wird.

MMS Im Parasitologielabor läuft gerade ein Experiment. Labormäuse wuseln eifrig in Käfigen umher, aber in ihrem Blut vermehren sich langsam Plasmodien, die Erreger der Malaria. Die Krankheit verläuft in der Regel tödlich, aber die Hälfte der Mäuse hat das Privileg, mit einem der beliebtesten Mittel der Alternativmedizin behandelt zu werden, das bereits Zehntausende von Leben gerettet haben soll – MMS-Tropfen. Wird es dieser Lösung gelingen, auch das Leben der infizierten Mäuse zu retten? Wir werden sehen. MMS ist im Bereich der Parasitologie ein interessantes Phänomen, da es im Zusammenhang mit der Malariabehandlung entdeckt wurde. Das Akronym MMS wird heute offiziell als master mineral solution interpretiert („meisterliche mineralische Lösung“), in ihrer ursprünglichen Bedeutung aber als miracle mineral supplement („wundertätiges mineralisches

3 https://www.liguecancer.ch/acces-specialistes/medecine-complementaire/publications/documentationdestinee-aux-professionnels/-dl-/fileadmin/downloads/sheets/cure-for-all-cancers-by-hulda-clark.pdf

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Ergänzungsmittel“). MMS ist eigentlich eine wässrige Lösung, die Chlordioxidgas enthält, das durch die Reaktion von Natriumchlorit und einer Säure (meist Zitronen- oder Salzsäure) entsteht. Das Präparat ist in mehreren Varianten erhältlich, die sich in ihrer Zubereitungsart unterscheiden (CDS, CDH, MMS2 u. Ä.). Der Entdecker und Förderer von MMS als Allheilmittel ist der Amerikaner James Vern Humble. Nach eigenen Angaben entdeckte er die therapeutische Wirkung von Chlordioxid 1997 im mittelamerikanischen Guyana, wohin er als Experte für Goldsuche und -abbau eingeladen war. Zwei der Männer seiner Expedition erkrankten mitten im Regenwald an Malaria und da sie keine Malariamittel bei sich hatten, bot James Humble ihnen ein handelsübliches Desinfektionsmittel zur Trinkwasseraufbereitung an. James Humble beschreibt das Geschehen wie folgt: „Also gab ich ihnen eine großzügige Portion stabilisierten Sauerstoffs in etwas Wasser, und beide kippten das Gemisch hinunter. (…) Vier Stunden später richteten sich beide auf und machten Scherze darüber, wie miserabel sie sich eben noch gefühlt hätten. (…) Wir staunten alle nicht schlecht.“4,5 James Humble zählt anschließend Zehntausende von Menschen auf, die er mit MMS von Malaria geheilt hat. Leider ist in den fast 20 Jahren, die seit dieser „Entdeckung“ vergangen sind, kein einziger ordnungsgemäß dokumentierter Fall einer Heilung durch MMS aufgetreten. Es gibt auch keine wissenschaftliche Veröffentlichung, die zumindest eine Phase der MMS-Forschung beschreiben würde. Die Ergebnisse der Forschung zu MMS sind nie veröffentlicht worden, außer in Büchern oder auf den Internetseiten von James Humble und seinen Anhängern. Im deutschsprachigen Raum sind dies beispielsweise Andreas Ludwig Kalcker, Leo Koehof und Bernd Klein alias Leonard Coldwell. Nach Ansicht seiner Befürworter sind gleich mehrere Dinge an MMS wundertätig: Es ist relativ leicht zugänglich und günstig (und daher nicht patentierbar, also für Pharmaunternehmen uninteressant), Krankheitserreger können keine Resistenz dagegen entwickeln (im Gegensatz zu einigen Medikamenten und Antibiotika) und es wirkt bei einer Vielzahl von Krankheiten, von gewöhnlicher Erkältung bis hin zu Malaria, Krebs, Autismus und AIDS. Eine der wichtigsten wundersamen Eigenschaften von MMS ist angeblich die selektive Fähigkeit seines Wirkstoffs – Chlordioxid – nur Krankheitserreger zu zerstören und gesunde Zellen und „gute“ Bakterien in Ruhe zu lassen. 4 Alle

Zitate stammen aus dem Buch von Jim Humble, MMS: Der Durchbruch, 2007, Mobiwell, Potsdam. 5 Quelle: Humble, James V. a kol. 2013: MMS - Master Mineral Solution - Převrat v léčení nemocí. New Technologies deutsch: Humble, Jim V. 2007: MMS: Der Durchbruch. Potsdam, Mobiwell

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Im Buch finden wir verschiedene Erklärungen für die Wirkung von Chlordioxid. So kann man zum Beispiel lesen, dass „nur wenige Mechanismen im menschlichen Körper zwischen Sauerstoff und Chlordioxid unterscheiden [können]. Da rote Blutkörperchen den Unterschied nicht ausmachen können, deutet alles darauf hin, dass der Stoff von den roten Blutkörperchen überall dorthin transportiert wird, wohin normalerweise nur SauerstoffIonen gelangen.“ Diese Erklärung kann den heutigen Erkenntnissen über biologische Prinzipien nicht standhalten. Hämoglobin, das Transportprotein der roten Blutkörperchen, ist hoch spezialisiert für den Transport von Sauerstoff. Seine Fähigkeit, Sauerstoff zu transportieren, wird durch die Stärke der Bindung zwischen Hämoglobin und dem Sauerstoffmolekül bestimmt – eine Bindung, die einerseits stark genug ist, um Sauerstoff zu transportieren, aber andererseits schwach genug, um den Sauerstoff leicht an benötigter Stelle im Gewebe freizusetzen. Wenn Hämoglobin anderen Verbindungen ausgesetzt ist, kann seine Fähigkeit zum Sauerstofftransport vorübergehend oder dauerhaft beeinträchtigt werden – zum Beispiel werden die Hämoglobinmoleküle bei einer Vergiftung mit Kohlenmonoxid (CO) dauerhaft von CO-Molekülen besetzt. Außerdem würde Chlordioxid das Eisen-Ion im Hämoglobin oxidieren und damit die roten Blutkörperchen irreversibel am Sauerstofftransport hindern, wie es zum Beispiel bei einer Nitratvergiftung der Fall ist. Es stellt sich auch die Frage, wie Chlordioxid sich an das Hämoglobin im Inneren der roten Blutkörperchen binden kann, wenn, so Humble, „das Immunsystem das Chlordioxid kontrolliert.“6 Bedeutet dies also, dass Chlordioxid die Krankheitserreger nicht erreichen kann? Dass es ihnen nicht schadet? Auf keinen Fall. Chlordioxid ist eine bewährte Desinfektionslösung, die zur Sterilisation von Oberflächen, zur Aufbereitung von Trinkwasser oder zur Zahnhygiene verwendet und auch experimentell als Antiseptikum zur Desinfektion von oberflächlichen Wunden eingesetzt wird. In all diesen Fällen wirkt das Chlordioxid direkt auf die Krankheitserreger ein. Was ist also der Wirkmechanismus? Chlordioxid reagiert hauptsächlich mit anorganischen Ionen (Fe2+ und Mn2+) und einigen Aminosäuren. Diese Moleküle sind in allen lebenden Zellen vorhanden und für ihr reibungsloses Funktionieren unerlässlich. Das bedeutet zweierlei: Bakterien können wirklich keine Resistenz dagegen entwickeln, aber gleichzeitig unterscheidet Chlordioxid nicht, ob diese Ionen und Aminosäuren in einer gesunden oder einer kranken Zelle vorhanden sind. Der von James Humble beschriebene 6 Quelle:

Siehe Fußnote 5.

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Mechanismus, wonach MMS die gesunden Zellen in Ruhe lässt, entbehrt daher in der Realität jeder Grundlage. Was ermöglicht dann die therapeutische Verwendung von Chlordioxid, wenn es so reaktiv ist? Es ist seine hohe Volatilität. Wird es in der richtigen Konzentration verwendet, tötet es Bakterien auf der Hautoberfläche oder der Mundschleimhaut ab und verdunstet, bevor es gesunde Zellen beschädigen kann. Entweder erreicht es unsere Zellen überhaupt nicht (durch eine dicke Keratinschicht und abgestorbene Hautzellen) oder es beschädigt sie zwar (z. B. Zellen der Mundschleimhaut), aber der menschliche Körper ist in der Lage, diese Schäden schnell genug zu reparieren, wenn die verwendete Konzentration niedrig genug ist und der Schaden eine kritische Schwelle nicht überschreitet. Chlordioxid wird bei der Desinfektion von Trinkwasser verwendet, womit die Befürworter von MMS seine Unbedenklichkeit für den menschlichen Körper begründen. In der Tat gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Studien über die Sicherheit von mit Chlordioxid behandeltem Trinkwasser, in denen der zulässige Höchstgehalt an Chlordioxid im Trinkwasser auf 0,8 ppm festgelegt wurde7. Eine Konzentration von 5 ppm wird als gesundheitsgefährdend eingestuft. Es ist bekannt, dass jede Substanz – auch gewöhnliches Speisesalz – für den Menschen gefährlich ist, wenn sie im Übermaß verwendet wird. Wie hoch ist also die Chlordioxidkonzentration in einer Einzeldosis MMS im Vergleich zu den Normen für die Trinkwasseraufbereitung? Humbles grundlegendes Protokoll sieht die Zugabe von drei Tropfen MMS auf 1,5 dl Wasser vor. Das entspricht einer Chlordioxidkonzentration von etwa 150 ppm, während der zulässige Höchstwert für Chlordioxid im Trinkwasser bei 0,8 ppm liegt! In der wissenschaftlichen Studie, auf die sich MMS-Befürworter wegen der Behauptung berufen, das Trinken von Wasser mit Chlordioxid sei für den menschlichen Körper unschädlich, wurde den Probanden eine Höchstdosis von 24 ppm einmalig oder 5 ppm langfristig verabreicht, was wiederum eine deutlich niedrigere Konzentration als die MMS-Dosis darstellt. In der Fachliteratur wird der Fall von Personen beschrieben, die eine Dosis von 40 ppm Chlordioxid tranken und anschließend von plötzlichen Kopfschmerzen, Übelkeit und Bauchschmerzen berichteten. James Humble geht von einer ähnlichen Reaktion im menschlichen Körper aus, nur dass er sie nicht auf eine Chlordioxidvergiftung, sondern auf dessen „therapeutische“ Wirkung zurückgeht.

7 ppm = parts per million; 1 Millionstel. Die Konzentration von 1 ppm bedeutet, dass auf einen Teil des gelösten Stoffs 999.999 Teile des Lösungsmittels kommen.

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Eine besonders gefährdete Gruppe von MMS-Anwendern sind Schwangere, respektive ihr sich entwickelnder Fötus. Trotz der üblichen Vorsicht bei der Behandlung von Schwangeren empfiehlt James Humble ohne zu zögern, auch Frauen in der Schwangerschaft sollten MMS einnehmen. Was sagen wissenschaftliche Studien dazu? Bei der Aufnahme von mit Chlordioxid versetztem Wasser besteht für schwangere Frauen ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten, die geborenen Kinder können an Neugeborenengelbsucht leiden und es besteht die Gefahr einer verzögerten neurologischen Entwicklung. Und das sind die Folgen des Konsums von 100-mal niedrigeren Konzentrationen als in MMS! Ohne angemessene wissenschaftliche Beweise und klinische Studien wagt James Humble sogar zu behaupten, dass „auch Kinder und selbst Säuglinge MMS risikolos einnehmen [können]. Natürlich sollten sie eine geringere Dosis als ein Erwachsener erhalten.“8 Das verstößt wirklich gegen jeden Menschenverstand. Neben den grundlegenden Protokollen, wann MMS getrunken wird, werden im Buch auch andere Anwendungsmethoden beschrieben, zum Beispiel die Inhalation. Das Einatmen von MMS kann jedoch sehr gefährlich sein. In einigen Studien wurde nachgewiesen, dass eine längere Exposition gegenüber selbst geringen Konzentrationen von Chlordioxid in der Luft zu einer Reizung der Atemwege und unter anderem zur Entwicklung einer Bronchitis führen kann. Deshalb wurde für die Luft ein Sicherheitsgrenzwert von 0,1 ppm Chlordioxid festgelegt! Regierungsbehörden in aller Welt warnen vor der Verwendung von MMS und seinen Alternativen (MMS2, CDS, CDH usw.). Die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) weist auf ihrer Website fda.gov darauf hin, dass „das Trinken eines dieser Chlordioxidprodukte (…) Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Symptome einer schweren Dehydrierung verursachen [kann]. Einige Produktetiketten behaupten, dass Erbrechen und Durchfall nach der Einnahme des Produkts häufig sind. Sie behaupten sogar, dass solche Reaktionen ein Beweis dafür sind, dass das Produkt wirkt. Diese Behauptung ist falsch. (…) Wenn Sie auf eines davon negativ reagiert haben, wenden Sie sich so schnell wie möglich an einen Arzt. Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten werden ermutigt, unerwünschte Ereignisse oder Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Verwendung dieser Produkte (…) zu melden.“9 Derzeit hat die FDA MMS 8 Quelle:

Siehe Fußnote 5. Food and Drug Administration 2019: Danger: Don’t Drink Miracle Mineral Solution or Similar Products.https://www.fda.gov/consumers/consumer-updates/danger-dont-drink-miracle-mineralsolution-or-similar-products. abgerufen am 17.04.2023. 9 Quelle:

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auch auf die Liste der betrügerischen Covid-19-Therapien gesetzt10. Ähnlich äußern sich auch Behörden und Verbraucherberatungsstellen in Europa, wie das tschechische Staatliche Institut für Arzneikontrolle (sukl.cz11), das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (bfarm.de12), die deutsche Verbraucherzentrale (verbraucherzentrale.de13), das Schweizerische Heilmittelinstitut (swissmedic.ch14) und die englische Food Standards Agency (food.gov.uk15). James Humble hat zu all der Kritik eine klare Meinung: „Sehen Sie, was hier läuft? Die Pharmaindustrie hat kein Gewissen. Sie tut alles, um Geld zu machen oder zu verhindern, dass andere ihr Geld bekommen. Dabei geht sie über Leichen.“16 Erlauben Sie uns, den Autoren dieses Texts, zu sagen, dass wir nicht von Pharmakonzernen bezahlt werden (obwohl dies unsere finanzielle Situation sicherlich verbessern würde) und dass wir die selbstlose Hilfe für Arme und Kranke unterstützen, wenn sie wirklich zu deren Genesung führt. Und was geschah mit den infizierten Labormäuschen? Sie starben alle an Malaria, auch diejenigen, die eine hoch konzentrierte Dosis MMS erhielten.

Heiler und Entgiftungsberater Die Theorie, Parasiten seien die Ursache fast aller Krankheiten, hat sich auch in den „Praxen“ einiger Heiler festgesetzt. In ihren Artikeln, Büchern, Vorträgen und Interviews vermischen sie wahre Informationen mit Unwahrheiten und stellen sie in einen wissenschaftlich nicht belegten (man möchte sagen absurden) Kontext, der unter Verwendung von Fachterminologie dargestellt wird und dadurch auf den ersten Blick sehr glaubhaft erscheint. Entgiftungsberater und Heiler haben in der Regel keine ausreichende parasitologische Ausbildung. Ihr Wissen über die Parasiten verdanken sie ausschließlich ihrer Entgiftungspraxis und ihrem Selbststudium. Nichts gegen ein Selbststudium – manche Laien können einen viel tieferen Einblick in das Thema gewinnen als viele Experten. Dies ist jedoch bei den meisten 10 https://www.fda.gov/consumers/consumer-updates/danger-dont-drink-miracle-mineral-solution-or-

similarproducts

11 https://www.sukl.cz/farmaceuticky-prumysl/informace-O-vyskytu-nelegalniho-pripravku-4 12 https://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/pm08-2014.html 13 https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/miracle-mineralsupplement-mms-erhebliche-gesundheitsgefahr-11044 1 4  h t t p s : / / w e b . a r c h i v e . o r g / w e b / 2 0 1 4 0 5 1 9 1 5 2 4 3 9 / h t t p s : / / w w w. s w i s s m e d i c . c h / aktuell/00673/00688/01540/index.html?lang=de 15 https://www.food.gov.uk/business-guidance/miracle-mineral-solution-and-sodium-chlorite-solutions 16 Quelle: Siehe Fußnote 5

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Entgiftungsberatern nicht der Fall. Als Beispiel sei der Ratschlag genannt, den eine Klientin von einem Entgiftungsberater als Antwort auf die Nachfrage nach einer Behandlung von Unfruchtbarkeit erhielt, mit dem Hintergrund, sie hätte bei sich mit dem alternativen Diagnosegerät F-SCAN unter anderem Toxoplasmose gemessen (d. h. diagnostiziert). „Oft erlebe ich, dass ein Mädchen eine Katze hat und nicht schwanger werden kann und nicht versteht, warum. Katzen tragen Parasiten in sich, die eine Schwangerschaft verhindern und einen Schwangerschaftsabbruch verursachen. So wird das Mädchen zu einer kinderlosen Dame mit vielen Katzen. So ist es nun einmal, und ich beschreibe nichts Neues unter der Sonne. Selbst eine Katze, die nur ein Haustier ist und noch nie draußen war, kann in Zukunft eine große Gefahr für kleine Mädchen darstellen, die mit ihnen schmusen.“17 Wie Toxoplasmose wirklich abläuft, können Sie in den Kapiteln „Parasiten der Mitteleuropäer – Toxoplasma“ und „Parasiten unserer Haustiere“ nachlesen. Trotz des Mangels an wissenschaftlichen Beweisen für die Eignung und Wirksamkeit diagnostischer und therapeutischer Methoden der Alternativmedizin sind die Entgiftungsberater gleichzeitig große Kritiker der derzeitigen offiziellen Diagnostik parasitärer Infektionen. Einige dieser Labormethoden sind sehr empfindlich, andere haben ihre Grenzen, aber bei der Interpretation der Testergebnisse werden diese Grenzen berücksichtigt. Die klassischen labordiagnostischen Verfahren lassen sich im Allgemeinen in direkte und indirekte Methoden unterteilen. Mithilfe der direkten Methoden weisen wir den Parasiten oder einen Teil des Parasiten direkt nach, beispielsweise Eier oder Zysten im Stuhlgang, Entwicklungsstadien im Blut oder in einer Gewebeprobe. Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, die von mikroskopischen bis hin zu molekularbiologischen Verfahren reichen, wobei mit Letzteren das genetische Material des Parasiten nachgewiesen wird (sog. Polymerase-Kettenreaktion, abgekürzt PCR, Abb. 8.4). Indirekte Methoden werden eingesetzt, wenn es schwierig ist, eine Probe mitsamt den Parasiten zu erhalten, zum Beispiel wenn sich der Parasit im Gehirn, in der Leber oder im Muskel befindet. In solchen Fällen wird in der Regel die Immunreaktion des Wirts festgestellt – also die Produktion der gegen den Parasiten gerichteten Antikörper oder die Menge oder Reaktion weißer Blutkörperchen. Bei indirekten Methoden kommt es immer auf die Empfindlichkeit und Spezifität des Tests an. Hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Ergebnisse spielt in beiden Fällen sicherlich auch der menschliche Faktor eine Rolle; deshalb werden die Diagnoselabors regelmäßig getestet, ihnen werden blinde (d. h. unbekannte) Proben zugesandt und die Ergebnisse 17 Quelle: Turková,

Eleni 2015: Paraziti v nás. vlastním nákladem.

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Abb. 8.4  Professionelle parasitäre Diagnostik. Parasitäre Infektionen beim Menschen oder auch bei Tieren werden in Labors mithilfe verschiedener Methoden nachgewiesen. Diese unterscheiden sich durch die Art der untersuchten Proben (Kot, Blut usw.), den Zeitaufwand für das untersuchende Personal oder die Notwendigkeit, hoch spezialisierte Untersuchungsgeräte oder spezielle Chemikalien zu verwenden. Für die Diagnose zum Beispiel von Darmhelminthen und Einzellern eignet sich die sogenannte koprologische Untersuchung, in der Abbildung repräsentiert vom kombinierten Sedimentations-Flotations-Verfahren (a). Bei dieser Methode steigen die parasitären Eier und Zysten nach gründlichem Durchmischen in einer Flotationslösung mit definierter Dichte allmählich an die Oberfläche, wo sie mit einer bakteriologischen Pinzette abgelesen werden oder an einem aufgelegten Deckglas haften bleiben. Anschließend erfolgt die mikroskopische Untersuchung. Das Vorhandensein von Blutparasiten (z. B. Mikrofilarien, Trypanosomen, Plasmodien) wird am häufigsten in einem gefärbten Blutausstrich (b) aus einem entnommenen Blutstropfen des Patienten nachgewiesen. Andere Methoden (z. B. ELISA, enzymelinked immunosorbent assay ) machen sich die Tatsache zunutze, dass spezifische Antikörper nach Kontakt mit dem Erreger im Blutserum des Patienten verbleiben, die aufgrund der Immunreaktion des Wirts auf eine bestimmte Parasitenart gebildet werden; diese können auf speziellen ELISA-Platten (c) nachgewiesen werden. In bestimmten Fällen werden zur Prüfung der Anwesenheit eines Parasiten und dessen Artbestimmung molekularbiologische Methoden angewandt. Dazu wird aus Proben unterschiedlicher Herkunft (Blut, Kot usw.) die gesamte DNA isoliert und mithilfe der PCR-Methode (PCR für polymerase chain reaction,  Polymerase-Kettenreaktion) in Thermocyclern (d) spezifisch die DNA des Parasiten vervielfältigt, die nun für eine weitere und genauere Identifizierung verwendbar ist. (Quelle: Jana Bulantová)

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dieser Tests veröffentlicht. Im Gegensatz dazu gibt es keine Beweise für das tatsächliche Funktionieren alternativer Diagnosemethoden und es gibt kein System zur Überprüfung ihrer korrekten Anwendung. Alles basiert auf der Überzeugung, dass die Methode wirklich funktioniert und der betreffende Berater sich niemals irrt. Glaube und evidenzbasierte Diagnostik sind jedoch zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze. Im Zusammenhang mit parasitärer Diagnostik ist auch die Selbstuntersuchung des Stuhlgangs zu erwähnen. Farbe, Form, Aussehen, Geruch, Konsistenz, Menge und Häufigkeit sind sicherlich wichtige Indikatoren für die Gesundheit. In der Literatur gibt es sogar eine Tabelle mit sieben Stuhltypen je nach Konsistenz, die Bristol-Stuhlformen-Skala (Bristol stool chart). Einige Parasiten oder ihre Entwicklungsstadien kann man sogar mit bloßem Auge im Stuhlgang erkennen. Aber so wie nicht alles Gold ist, was glänzt, ist nicht alles ein Parasit, was fadenförmig ist. Sie können einen einfachen Test machen: Essen Sie Spargel oder Stangensellerie und untersuchen Sie nach gewisser Zeit Ihren Stuhlgang auf faserige Gebilde. Für das ungeschulte Auge kann es schwierig sein, unverdaute Nahrungsreste oder Teile der abgelösten Darmschleimhaut von einem erwachsenen parasitären Wurm zu unterscheiden (Abb. 8.5). Die Eier parasitärer Würmer und die Zysten einzelliger Parasiten sind dagegen ohne Mikroskop gar nicht zu erkennen; die größten von ihnen sind etwa 100–200 μm groß und einige Parasiten oder ihre Stadien sind nur nach spezieller Einfärbung sichtbar. Was die von Entgiftungsberatern vorgeschlagenen Therapien angeht, so ist besonders alarmierend, dass sie trotz fehlender medizinischer oder pharmakologischer Ausbildung ihren Klienten eine Behandlung mit herkömmlichen Medikamenten empfehlen. Das ist regelrechtes Lottospiel mit der menschlichen Gesundheit. Der Modellfall beschreibt die antiparasitäre Behandlung einer 50-jährigen Frau mit „durchschnittlicher Verwurmung, mit allen Arten von Parasiten“18, die über 42 Tage Metronidazol, Albendazol, Praziquantel und Ivermectin in verschiedenen Dosen und Kombinationen einnehmen soll. Um welche medizinischen Substanzen handelt es sich? Metronidazol wirkt gegen parasitäre Einzeller und bestimmte Bakterien. Die anderen Medikamente sind Anthelminthika, die gegen parasitäre Würmer wirken: Albendazol gegen Würmer im Darmund Gewebe und einige parasitäre Einzeller, Praziquantel gegen Bandwürmer und Saugwürmer und Ivermectin gegen parasitäre Fadenwürmer. Mebendazol, das gegen Darmnematoden und Bandwürmer wirksam ist, 18 Quelle:

Bláhová, Hana 2011: Deník poradce. vlastním nákladem.

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Abb. 8.5  Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe. Die mikroskopische Untersuchung von menschlichem oder tierischem Kot erfordert ausreichende Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit dem Mikroskop und den Parasiten selbst. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die vorhandenen parasitären Stadien übersehen oder Objekte für Parasiten gehalten werden, die eigentlich Nahrungsreste, verschiedene Verunreinigungen der Proben oder Artefakte aus der Vorbereitung des Materials

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zur Untersuchung sind. So kann das ungeübte Auge Haare (Trichome) (a) und pflanzliche Fasern aus Lebensmitteln oder die allgegenwärtigen Kunstfasern leicht mit Nematodenlarven (b) verwechseln, aufgebrochene Zellwände von Pflanzenresten (c) mit Oozysten von Kokzidien (d) und Pollenkörner (e) oder winzige Luftblasen (g) für Bandwurmeier (f) oder Spulwurmeier (h) halten. In Büchern und auf Internetseiten vieler Heiler wimmelt es leider nur so von mikroskopischen Fotos falsch identifizierter Objekte, die mit Parasiten nichts zu tun haben. Die fälschliche Bestimmung verschiedener nichtparasitärer Objekte und deren anschließende Ausweisung als Parasiten führt dann bei vielen Laien zu der Annahme, dass ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung mit verschiedenen, oft exotischen Parasitenarten infiziert ist, wozu die meisten in unseren Breitengraden womöglich noch gar keine Gelegenheit hatten. (Quelle: Jana Bulantová)

und Diethylcarbamazin, das zur Behandlung von Filariose und larvaler Toxocariasis eingesetzt wird, sind ebenfalls in einigen Leitfäden aufgeführt. All diese Medikamente werden nur dann verabreicht, wenn eine Infektion mit den entsprechenden Parasiten durch ein diagnostisches Labor nachgewiesen wurde. Sie sollten auf keinen Fall als vorbeugende Maßnahme oder in Fällen, in denen Parasiten nur mit alternativmedizinischen Methoden diagnostiziert wurden, eingenommen werden. Außerdem sind diese Medikamente in der Regel verschreibungspflichtig. Es stellt sich also die Frage, woher die Berater oder ihre Klienten diese Arzneien bekommen. Illegale Käufe im Internet oder der Kauf von tierärztlichen Alternativpräparaten können der Weg sein. Bei Käufen im Internet stammt das Medikament aus ungeprüfter Quelle, sodass der Käufer nicht weiß, was es tatsächlich enthält. Ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt besteht außerdem die Gefahr einer Überdosierung oder unerwünschter Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen, gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln. Praziquantel erhöht beispielsweise die Wirksamkeit von Albendazol, während die gleichzeitige Verabreichung von Metronidazol mit Mebendazol nicht empfohlen wird. Metronidazol verstärkt weiter die Wirkung von blutgerinnungshemmenden Medikamenten und die gleichzeitige Einnahme von Allergiemedikamenten kann zu Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen) führen. Die meisten dieser Arzneimittel sollten während der Schwangerschaft, in der Stillzeit und bei Leberschäden nicht verabreicht werden. Herzpatienten sollten Vorsicht walten lassen und Alkoholabstinenz während der Behandlung ist selbstverständlich. Ihr Arzt sollte daher über alle Medikamente informiert werden, die Sie derzeit einnehmen oder demnächst einnehmen wollen, sowohl verschreibungspflichtige als auch frei verkäufliche. Kinder sollten IMMER und AUSSCHLIESSLICH von einem Arzt behandelt werden.

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Natürliche Antiparasitika Es macht den Anschein, als stünde eine unüberwindbare Kluft zwischen den Befürwortern der konventionellen, evidenzbasierten Medizin und den Anhängern der Alternativmedizin. Während die klassische Medizin mit teuer produzierter „Chemie“ der „Pharmamafia“ heilt, nutzt die alternative Medizin kostenlose Kräuter aus dem Schoße der gütigen Natur. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein beträchtlicher Teil der derzeit verwendeten Arzneimittel hat seinen Ursprung in der Natur. Aspirin (Acetylsalicylsäure), ein fast schon volkstümliches Mittel gegen Fieber, wird von der Salicylsäure abgeleitet, die erstmals in der Rinde des Weidenbaums entdeckt wurde. Opiate (Schmerzmittel) stammen aus dem Saft von unreifem Mohn, Penicillinantibiotika haben ihren Ursprung im Pilz der Gattung Penicillium und einige im Johanniskraut enthaltene Substanzen werden zur Behandlung von Depressionen eingesetzt. Die Erforschung der Natur als Quelle von Arzneimitteln geht heutzutage weiter und – für manche vielleicht überraschenderweise – lassen sich Wissenschaftler auch von der traditionellen und volkstümlichen Medizin inspirieren. Zu den Pflanzen, die traditionell vor Parasiten schützen oder sie aus dem Körper vertreiben sollen, gehören Kürbiskerne, Knoblauch, Nelken, Granatapfel, Gänsefuß, Niembaum, Papaya, Beifuß, Pfeffer, Rizinusöl, Zimt und schwarze Walnuss. Die Wirksamkeit dieser und anderer Pflanzen und ihrer Extrakte wird von vielen Faktoren stark beeinflusst und die Herstellung des besten Extrakts erfordert oft eine lange Suche. Beispielsweise sind die Wirkstoffe nur in einer bestimmten Pflanzenart (nicht alle Arten derselben Gattung enthalten notwendigerweise die gleichen Stoffe) oder nur in einem bestimmten Teil der Pflanze vorhanden. Sie können vielleicht in den Blättern enthalten sein, nicht aber in den Früchten oder Wurzeln. Weitere Faktoren, die die Wirkstoffmenge erheblich beeinflussen, können Genotyp, Sorte, Alter der Pflanze, Boden-, Wasser- und Luftqualität sein. Auch die Zubereitungsmethode selbst ist ein wichtiger Faktor: Einige Stoffe sind besser in Wasser löslich, andere in Alkohol, einige lösen sich besser kalt, andere müssen gekocht werden. Daher konzentriert sich die moderne Wissenschaft eher auf das Testen spezifischer Substanzen (z. B. Artemisinin aus Beifuß oder Allicin aus Knoblauch), deren Zubereitungsmethode und Mengen besser kontrolliert und geprüft werden können, sodass die einzelnen wissenschaftlichen Studien untereinander besser vergleichbar sind. Es ist nicht Ziel dieses Kapitels, die Wirksamkeit aller Naturheilmittel zur

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Parasitenbekämpfung zu überprüfen, wir wollen aber zumindest einige von ihnen näher betrachten. Die Behandlung von Malaria ist wohl das bekannteste Beispiel für den Einsatz von Naturheilmitteln zur Vorbeugung und Behandlung parasitärer Krankheiten. Sogar einige der heutigen Malariamedikamente basieren immer noch auf Artemisinin, auf Chinesisch qinghaos, eine Substanz, die ursprünglich aus den Blättern des Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnen wurde. Es waren chinesische Wissenschaftler, die diese Substanz für die moderne Wissenschaft entdeckten, als sie in den 1970er-Jahren unter den in der traditionellen chinesischen Medizin verwendeten Pflanzen nach einem neuen Mittel gegen Malaria suchten. Im Jahr 2015 erhielt die chinesische Pharmakologin Tu You-you den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckung und Anwendung von Artemisinin zur Behandlung von Malaria. Derzeit erweist sich Artemisinin auch als wirksam bei der Behandlung von Krankheiten, deren Verursacher verschiedene Saugwürmer sind, wie Fasciola hepatica, Schistosoma japonicum, S. mansoni, S. haematobium, Clonorchis sinensis und Opisthorchis viverrini. Einjähriger Beifuß enthält auch Stoffe mit nachgewiesener therapeutischer Wirkung bei Krankheiten, die durch parasitäre Einzeller der Arten Leishmania donovani und Toxoplasma gondii hervorgerufen werden. Die Extraktion des Wirkstoffs ist jedoch nicht ganz einfach und der Artemisiningehalt eines selbst hergestellten Suds liegt in der Regel unter der Schwelle für die gewünschte t herapeutische Wirkung. Dies ist einer der Gründe, warum die Weltgesundheitsorganisation nicht empfiehlt, sich auf Artemisinin in seiner natürlichen Form als Behandlung von Malaria zu verlassen. Ein ebenso wichtiger Grund ist das Risiko, dass sich bei Patienten, die eine geringere als die wirksame Dosis einnehmen, gegen Artemisinin resistente Plasmodien (die Malariaerreger) entwickeln und anschließend ausbreiten. Eine weitere aus der traditionellen Medizin bekannte und für die Behandlung parasitärer Infektionen empfohlene Pflanze ist der Niembaum (Azadirachta indica), auch bekannt als Neem. Es handelt sich um einen in Indien beheimateten immergrünen Baum, dessen Teile in der dortigen traditionellen Medizin, Ayurveda genannt, verwendet werden. Vor allem die Blätter, aber auch Samen, Rinde, Blüten und Früchte werden zur Behandlung von Entzündungen, Infektionen, Fieber und Hautkrankheiten eingesetzt. Niembaumzweige dienen auch als preiswerter Ersatz für Zahnbürste und Zahnpasta mit antibakteriellen Eigenschaften. Ein aus verschiedenen Teilen dieses Baums hergestelltes Extrakt wirkt nachweislich gegen Malaria und verhindert auch die Übertragung der Plasmodien auf weitere Wirte. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass der Parasit bei

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Mücken, die an infizierten, mit Niembaumextrakt behandelten Mäusen saugten, nicht in der Lage war, seinen Zyklus abzuschließen und infektiöse Formen zu produzieren, um den nächsten Wirt zu infizieren. Bei parasitären Würmern war jedoch kein signifikanter Effekt festzustellen: Schafe, denen gemahlene Niembaumsamen oder -blätter verabreicht wurden, wiesen immer noch mehr oder weniger die gleiche Menge an Fadenwürmern im Darm auf wie die Kontrollgruppe. Ähnlich erging es Mäusen, die mit dem Saugwurm Schistosoma haematobium infiziert waren, und obwohl das Niembaumextrakt ihren Gesundheitszustand verbesserte, konnte es die Infektion nicht beseitigen. In unseren Breiten ist Knoblauch (Allium sativum) ein beliebtes und traditionelles Desinfektionsmittel. Wer kennt nicht den wunderbaren Geschmack von frischem Knoblauchbrot, Knoblauchsuppe oder Knoblauchaufstrich? Die Volksmedizin empfiehlt ihn als Mittel gegen fast alles, auch gegen Darmparasiten. Was sagt die moderne Wissenschaft dazu? Wenn Sie Allium sativum oder Allicin (der bekannteste Wirkstoff in Knoblauch) in eine Literatursuchmaschine (z. B. PubMed) eingeben, erhalten Sie eine lange Liste wissenschaftlicher Studien, in denen die verschiedenen Wirkungen von Knoblauch und Allicin beschrieben werden. Knoblauch wurde unter anderem in Bezug auf parasitäre Darmwürmer untersucht, die Ergebnisse sind jedoch nicht sehr ermutigend. Bei der Entwurmung von Schafen und Ziegen hatte Knoblauch nicht die erwartete Wirkung, und Hühnern, die mit dem Spulwurm Ascaridia galli infiziert waren, erging es ähnlich. In einer anderen Studie untersuchten Forscher die Wirkung von Extrakten aus verschiedenen Pflanzen, darunter Knoblauch, gegen Darminfektionen durch die parasitären Würmer Trichuris muris, Angiostrongylus cantonensis und Toxocara cati. Ananas-, Kokosnuss- und Zwiebelextrakte erwiesen sich jedoch als wirksamer. Im Zusammenhang mit der Alternativmedizin und insbesondere mit dem Namen Dr. Clark wird ein Präparat verkauft, das Extrakte aus drei Pflanzen enthält: Nelke, Beifuß und Walnuss. Ein alkoholisches Extrakt aus den grünen Schalen der Schwarznuss (Juglans nigra) wird auch einzeln vertrieben. Wissenschaftler testeten die Wirkung des Alkoholextrakts aus unreifen Schwarznussschalen gegen die einzelligen Parasiten Trypanosoma brucei rhodesiense, Trypanosoma cruzi und Leishmania donovani. Nur beim erstgenannten beobachteten sie eine stärkere Wirkung, bei der die Trypanosomen vollständig aufhörten zu wachsen und sich zu vermehren. Das alkoholische Extrakt aus grünen Schalen hatte im Allgemeinen eine stärkere Wirkung als das aus reifen Schalen. Dieses Experiment wurde jedoch nur an Zellkulturen durchgeführt, sodass die Frage offen bleibt, wie das Extrakt

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den Parasiten im menschlichen Körper beeinflussen würde. Was die Auswirkungen auf Darmwürmer betrifft, so haben russische Wissenschaftler 2011 eine Studie veröffentlicht, in der sie ein Extrakt aus dem Walnussbaum (Juglans regia) mit einigem Erfolg getestet haben. In der traditionellen Medizin werden auch verschiedene Öle verwendet. Eine antiparasitäre Wirkung wird unter anderem dem Rizinusöl zugeschrieben, das durch Pressen von Samen der Rizinuspflanze (Ricinus communis), auch Wunderbaum genannt, gewonnen wird. Unter den in Europa herrschenden Bedingungen ist sie eine beliebte einjährige Zierpflanze, sie ist jedoch giftig. Die Samen enthalten nämlich das giftige Protein Ricin. Je nach Dosis kann eine Ricinvergiftung tödliche Folgen haben – Darmkoliken, innere Blutungen, schwere Leber- und Nierenschäden, Tod. Die tödliche Dosis wird mit 15–20 Samen für einen Erwachsenen und 3–5 Samen für ein Kind angegeben. Rizinusöl hingegen, das reich an Ricinolsäure ist, galt lange Zeit als Allheilmittel. Heutzutage wird es hauptsächlich als Abführmittel verwendet, das vor allem im Dünndarm wirkt, wo es anschließend abgebaut wird. Wissenschaftlich wird Rizinusöl vor allem als wehenförderndes Mittel bei schwangeren Frauen untersucht. Antiparasitäre Wirkungen von Rizinusöl sind in der Fachliteratur jedoch nirgends beschrieben. Von ganz anderer Herkunft ist die sogenannte Kieselgur (oder auch Kieselerde oder Diatomeenerde), die auch in den alternativmedizinischen Protokollen zur Entwurmung auftaucht. Es handelt sich um ein Gestein aus den siliciumhaltigen Hüllen fossiler Kieselalgen (einzellige Wasseralgen). Jede Kieselalgenart hat eine etwas andere Hüllenstruktur. Die Artenzusammensetzung der Kieselalgen in der Kieselgur kann daher die Form und Größe der einzelnen Partikel beeinflussen. Für uns ist interessant, dass Kieselgur als mechanisches Insektizid eingesetzt werden kann, das die äußere Hülle der Insekten beschädigt, sodass sie austrocknen. Sie wird häufig zum Schutz vor Lagerschädlingen, aber auch als zusätzliches Insektizid gegen blutsaugende Insekten wie Bettwanzen und Flöhe eingesetzt. In der Praxis wird sie zum Beispiel in Hühnerfarmen verwendet, wo ein Staubbad im Sand mit beigefügter Kieselgur nachweislich die Zahl der äußeren Parasiten reduziert, namentlich der Milben Ornithonyssus sylviarum und Kieferläuse Menacanthus stramineus. Die Kieselgur, versuchsweise dem Hühnerfutter zugesetzt, reduzierte auch die Anzahl der Darmparasiten, darunter die Einzeller der Gattung Eimeria und Würmer der Gattungen Capillaria und Heterakis. Die therapeutische Wirkung von Kieselgur auf parasitäre Würmer wurde auch bei Schafen beobachtet. Bei Kühen sind die Ergebnisse verschiedener Studien widersprüchlich und hängen wahrscheinlich von der getesteten Rasse, den

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Haltungsbedingungen und der verabreichten Menge an Kieselgur ab. Kieselgur bleibt jedoch weit hinter den herkömmlichen Entwurmungsmitteln zurück und wird daher nur als Futterzusatz empfohlen, und zwar in nichtkristalliner Form, um eine Reizung der Atemwege durch scharfe Kristalle zu vermeiden. Klinische Studien der Wirkung von Kieselgur auf Darmparasiten beim Menschen liegen bislang nicht vor.

Fazit Die Befürworter alternativer Richtungen in der Medizin argumentieren gerne damit, die klassische Medizin würde alternative Heilmethoden komplett ablehnen. Das stimmt aber nicht. Ärzte und Wissenschaftler sind offen für neue Verfahren, um Patienten zu helfen. Ein Beweis dafür sind die umfangreichen Studien der Cochrane Collaboration zu diesem Thema. Dabei handelt es sich um einen unabhängigen und gemeinnützigen Verein von Fachleuten aus aller Welt, die bei der Auswertung von Fachliteratur auch vor dem Thema der alternativen Behandlungen nicht zurückschrecken. Die Ergebnisse dieser Analysen (im Fachjargon als Metaanalysen bezeichnet) sind der Goldstandard für die Suche nach wirksamen Therapien. Bevor Ärzte Patienten mit einer neuen Methode behandeln, fordern sie Nachweise, dass die Methode tatsächlich wirksam ist und dem Patienten nicht schadet. Die größte Schwachstelle der alternativen Medizin ist die mangelnde Bereitschaft, solche Beweise zu erbringen. Befürworter alternativer Methoden zur Diagnose und Behandlung parasitärer Infektionen lehnen Angebote von Wissenschaftlern, ihre Methoden experimentell zu testen, ab. Sie argumentieren in der Regel, dass die Maus keine Elektrode im Pfötchen halten kann oder dass die Geräte nicht auf Tiere geeicht sind. Es gibt nichts Einfacheres, um die Funktionalität alternativmedizinischer Diagnosegeräte zu testen, als ein Versuchstier mit einem bekannten Parasiten zu infizieren und ihn dann an diesem Gerät zu testen. Im Fall des Zappers oder der MMS ließe sich mit klassischen Diagnosemethoden prüfen, ob das infizierte Tier tatsächlich geheilt wurde. Eine ähnliche Zurückhaltung bei der Prüfung alternativer Medizingeräte besteht auch bei Unternehmen, die diese Geräte in großen Mengen verkaufen. Warum finanzieren sie nicht zumindest die Grundlagenforschung, wenn nicht sogar eine direkte klinische Studie, um die diagnostische oder therapeutische Wirkung dieser Maschinen zu beweisen? Mit den entsprechenden Zertifikaten würden sich ihre Produkte sicherlich besser

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verkaufen und in die Arztpraxen gelangen (derzeit angeblich von den Pharmaunternehmen korrumpiert). Was soll man zum Schluss sagen? Als Anhänger des wissenschaftlichen Denkens und der evidenzbasierten Medizin stehen wir alternativen Diagnose- und Behandlungsmethoden natürlich kritisch gegenüber. Viele dieser Methoden beruhen eher auf dem Glauben und der wissenschaftliche Nachweis ihrer Funktionalität fehlt. Dennoch können einige von ihnen helfen, den Ausweg aus einer schwierigen gesundheitlichen Situation zu finden, sei es dank ihrer nachgewiesenen Wirkung (wie es bei bestimmten Pflanzen oder Pflanzenteilen der Fall ist) oder der Wirkung als Placebo. Unabhängig davon, ob die Therapie wissenschaftlich fundiert ist oder nicht, sollte die Kardinalregel lauten, keinen Schaden anzurichten, was zum Beispiel bei der ärztlich unkontrollierten Verwendung von Anthelminthika und anderen Antiparasitika droht. Im Allgemeinen besteht ein großes Risiko der alternativen Behandlung in der Verzögerung oder im völligen Ausbleiben der konventionellen Behandlung.

Exkurs: Vom Förster Robátko und den Naturfreunden Oleg Ditrich Am Rande des großen Walds wohnt der Förster Robátko19. Nicht der, der auf einem Hirsch reitet, sondern Herr Ing. Kryštof Robátko, Ph.D., Absolvent der forstwirtschaftlichen Fakultät. Er hat ein Auto, ist im Wald aber lieber zu Fuß unterwegs. Er mag Hirsche und alle anderen Tiere, die im Wald und seiner Umgebung leben. Ihnen widmet er sich hauptsächlich im Rahmen seines Hobbys, der Fotografie, während bei der Arbeit leider hauptsächlich Formulare über den Holzbestand auszufüllen sind. Nachdem er mehrere Artikel über die Beziehungen zwischen Tieren im Biotop der Mischwälder verfasst hatte, ließ er sich zum weiteren Studium überreden und erlangte den Doktortitel an der naturwissenschaftlichen Fakultät. Robátko ist fast immer im Wald unterwegs, bewaffnet mit Fernglas, Kamera und Lupe. Dass er Förster ist, erkennt man an seinem grünen

19  Es handelt sich um eine Anspielung auf das alte klassische tschechische Märchen vom Förster Robátko, der sich gewissenhaft um seinen Wald kümmert, die Tiere des Walds liebt und statt auf einem Pferd, auf einem Hirschen reitet.

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Hemd und dem Hut mit Feder. Er erfreut sich an den vielen Tierarten, die in seinem Wald leben, und nimmt gerne Schulklassen und andere Exkursionsgruppen in den Wald und zum Unkenteich mit, wo er die interessantesten Tiere zeigt und spannend von ihnen erzählt. Das nahe gelegene Schlösschen stand schon lange leer. Nach langem Streit um die Rückgabe des Geländes haben sich dort schließlich die Naturfreunde niedergelassen. Es war so eine bunt gemischte Gruppe von Menschen unterschiedlichen Alters, die sich dem Vegetarismus und einer natürlichen Lebensweise verschrieben haben. Sie pflegten den vernachlässigten Garten, bauten Gemüse an, hielten Hunde, Pferde, Ziegen und Bienen. Sie gingen oft im Unkenteich baden und Badeanzüge trugen die wenigsten. Sie waren nicht nur strikte Vegetarier, sondern auch Nichtraucher und zumeist abstinent; nur einige tranken gelegentlich vor dem abendlichen Treffen ein Bier in der örtlichen Kneipe. Die Männer trugen dichte Bärte und die Frauen langes, wallendes Haar. Robátko schloss Freundschaft mit den Naturfreunden. Stolz zeigte er ihnen die interessantesten Orte im Revier und sie luden ihn ihrerseits zu ihren abendlichen Zusammenkünften ein, wo sie ihm oft Lebkuchen und andere köstliche Gerichte aus ihrer Hausküche anboten. Mit der Zeit fing er jedoch an sich zu wundern, dass sie sich zwar für die Natur interessierten, aber kaum etwas darüber lasen. Tatsächlich lasen sie fast gar nichts, abgesehen von den Tafeln, die sie vor ihrem Schlösschen platzierten und auf denen sie berichteten, was sie auf den Wegen gehört hatten und ähnliches. Jeder ist anders, sagte sich Robátko, und versprach abends in der Kneipe einigen Naturfreunden, Fotos und eine Liste der Waldtiere für ihre Tafeln zu besorgen. Sie wiederum wollten auch Ausflüge in den Wald begleiten, und da sie den Ort schon kannten stimmte Robátko zu, denn die Zahl der Interessierten stieg und er konnte die Anfragen nicht alleine bewältigen. Als er nach einiger Zeit wieder einmal zum Schlösschen ging, hielt er auf dem Weg an der Tafel an. Er erkannte seine Fotos, aber die Liste enthielt neben seinen alten Bekannten auch Namen von Tieren, die er im Wald noch nie gesehen hatte. Zuerst bemerkte er den australischen Kakadu und dachte, er wäre einem Züchter entflogen und die Naturfreunde hätten ihn im Wald gesehen. Als er jedoch einen Eselspinguin und ein südamerikanisches Capybara auf der Liste entdeckte, lachte er und hielt es für einen urkomischen Scherz. Doch dann kam ihm der Verdacht, das alles sei doch irgendwie ernst gemeint. Von einigen anderen exotischen Tieren gab es auch Fotos, zugegebenermaßen etwas unscharf und undeutlich. Robátko überlegte, dass das Eichhörnchen mit unscharfem Schwanz und Kopf für manche wirklich wie ein Äffchen aussehen könnte und der Kopf des Gras-

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froschs, der aus dem Teich guckt, könnte mit sehr viel Fantasie entfernt an einen Alligator erinnern. Bei den anderen nicht sehr gelungenen Fotos (Stinktier, Flamingo und Komodowaran) war Robátko sich sicher, dass es sich um Krummholz handelte. Er selbst suchte ähnlich geformte Äste und natürliche Kunstobjekte und schoss manchmal Fotos, aber könnte sie jemand mit echten Tieren verwechseln? Und außerdem, wissen sie denn nicht, was hier leben kann und was nicht? Robátko klopfte an die Tür, um ihre Irrtümer aufzuklären. Und er begann den Naturfreunden zu erzählen, wie Tiergemeinschaften an Pflanzengemeinschaften gebunden sind und die wiederum an klimatische Bedingungen, sodass es nicht passieren kann, dass plötzlich Pinguine an den Ufern des Unkenteichs watscheln und Papageien über ihnen herumfliegen. Doch die Naturfreunde unterbrachen ihn: „Weißt du denn nicht, dass sich alles verändert? Der globale Wandel führt zu Veränderungen in der Ausbreitung der Tiere und ihrem Verhalten, hat man euch das an der Universität nicht beigebracht?“ Dann ergriff Frau Čelíková das Wort, die erst eine Woche zuvor von ihrer Reise durch amerikanische Nationalparks zurückgekehrt war, und zeigte ihr Mitbringsel. Ein silbernes Kästchen mit ein paar Knöpfen und einem Display, an dem eine Richtantenne befestigt werden konnte. Robátko fand, dass es ein bisschen wie eines seiner eigenen Geräte aussah – der Fledermausdetektor Heterodyning (HET), ein Schmalbandsystem, mit dem sich im Feld verschiedene Fledermausarten anhand ihrer Ultraschallsignale unterscheiden lassen. Als er vorsichtig Frau Čelíková davon erzählte, warf sie ihm einen bösen Blick zu und rümpfte die Nase. „Das ist kein HET, sondern ein UAD (Universal Animal Detector), die Erfindung der berühmten Dr. J. A. Arroowood von der University of Southwest Texas.“ Sie habe entdeckt, dass alle Tiere unverwechselbare Ultraschallwellen aussenden, anhand derer man sie bestimmen könne. Es werde bereits in den Besucherzentren verkauft und die amerikanischen Touristen seien zufrieden, weil sie ungern aus ihren klimatisierten Autos ausstiegen. Auf dem Parkplatz öffneten sie einfach das Fenster, richteten die Antenne aus und wüssten sofort, was in der Umgebung lebe. Um ihre Darstellung zu untermauern, richtete Frau Čelíková die Antenne des Geräts durch das offene Fenster auf die Oberfläche des nahe gelegenen Unkenteichs. Sie drückte einen Knopf und das Display zeigte sofort Esox lucius, Latimeria chalumnae und Tursiops truncatus. „Hechte sind schon da, aber was ist mit den Quastenflossern und Delfinen? Und warum werden die Karpfen und Brachsen nicht angezeigt, die im Unkenteich doch am häufigsten vorkommen! Vielleicht ist es falsch eingestellt“, wagte sich Robátko zu sagen und griff nach dem UAD. Mit der Kalibrierung des Fledermausdetektors hatte er genug Erfahrung. Frau Čelíková zog jedoch

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schnell die Antenne, drückte den Aus-Knopf und schloss das Kästchen. „Da sehen sie, was sie alles nicht wissen, und alles dank der Entdeckung von J. A. Arroowood!“ Robátko hatte noch nie etwas von der Southwest Texas University oder von Dr. Arroowood gehört und außerdem fragte er sich, warum auch Tiere, die keine Orientierung im Dunkeln brauchten, Ultraschall aussendeten. Aber er fragte lieber nicht weiter nach. Bei seinem nächsten Weg am Schloss vorbei bemerkte Robátko, dass die Naturfreunde tatsächlich zoologische Exkursionen organisierten. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sie sich dafür bezahlen ließen. Sie erklärten ihm, sie würden es kostenlos machen, aber Frau Čelíkovás beträchtliche Investition in den UAD müsse bezahlt werden, das sei doch klar. Der Bus mit der Schulklasse war gerade angekommen und die Ausflugsleiterin fragte die Kinder, ob sie in den Wald gehen oder auf der Terrasse bleiben wollen. Natürlich gewann bei den Kindern, die vom ewigen Computerspielen träge waren, die Terrasse und so wurde die Antenne auf den dichtesten Teil des Walds gerichtet. Die Kinder kreuzten in der vorgedruckten Liste begeistert Giraffe, Nilpferd, Rentier und Walross an. Robátko hatte das Schlösschen schon seit einiger Zeit gemieden, und als er endlich zur angekündigten Vorlesung eintraf, nahm seine Verwunderung kein Ende. Das Gestüt, der Ziegenstall und die Bienenstöcke waren verschwunden und im Bereich des ehemaligen Stalls standen reihenweise neue Tafeln, meist mit immer länger werdenden Listen gefüllt. Viele Tiernamen waren rot unterstrichen. Robátko betrat die Schlossbibliothek. Überall herrschte ein seltsamer Geruch. Am Pult informierte Herr Ing. Novotný die wenigen verbliebenen Unwissenden (die anderen waren längst aufgeklärt) über die neueste Entdeckung. Dr. Coocke von der Southeast Texas University hat die Ergebnisse seiner jahrelangen Forschung veröffentlicht: Tiere sind gefährlich und schädlich! „Igel tragen ihre Stacheln nicht, um sich zu verteidigen, sondern um Kinder zu pieksen. Über Wespenstachel noch über Schlangen und Skorpione brauchen wir gar nicht zu diskutieren“, zitierte Herr Novotný. „Dr. Coocke stellte fest, dass alle Tiere gefährlich sind. Bei einigen weiß man zwar noch immer nicht wie, aber daran sind Zoologen schuld, die das schon längst hätten herausfinden sollen. Tiere müssen wir deshalb bekämpfen. Und diesen Kampf solltet ihr Förster anführen“, donnerte er. Robátko fragte zaghaft, ob sie keine Naturfreunde mehr seien. „Sind wir sehr wohl“, erklang im Chor, „aber gleichzeitig sind wir Feinde der Tiere! – Tod den Tieren!“ „Aber Naturfreunde“, versuchte Robátko, sich an den ursprünglichen Namen ihres Vereins zu halten, „dann könntet ihr gar nicht mehr in die Natur gehen, da sind doch so viele Tiere!“

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„Wir werden aber rausgehen, das kann uns kein Förster verbieten!“ „Um Gottes Willen, ich verbiete es ja nicht“, verteidigte sich Robátko, „aber dann müsstet ihr doch draußen Angst haben, oder?“ Er hoffte, die konsequente Logik würde sie wieder zur Vernunft bringen. „Wir haben keine Angst! Und du wirst uns keine Angst machen!“ rief der Chor. Robátko blieb nur noch ein überraschter, fragender Blick. Gleich darauf erfuhr er von allen Seiten, dass Dr. Coockes größte Entdeckung das DAR (Dangerous Animal Repellent) war, ein Schutzmittel gegen gefährliche Tiere. „Es wird aus mehrmals benutztem Frittierfett hergestellt und auf Gesicht, Arme und Fußflächen aufgetragen. Du schmierst dich einmal täglich ein und bist auf der sicheren Seite. Keines dieser schrecklichen Tiere wird dir danach etwas antun.“ Robátko verstand endlich, was hier so stank. Aber es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Er hat doch eine Waffe, also soll er die Tiere endlich ausmerzen und mit den gefährlichsten anfangen. Die Naturfreunde führten ihn zu den Tafeln. Sie erklärten, die rot unterstrichenen Tiere seien diejenigen, die ihnen bereits Schaden zugefügt hätten. „Octopus vulgaris“, las der Förster, „das ist ein Oktopus“. – „Ja genau, der hat versucht mich unter das Wasser zu ziehen, als ich im Herbst im Teich schwimmen war“, klagte Frau Kneslová. „Passer domesticus – der Haussperling“, übersetzte Robátko. „Oh ja, es war ein schönes Kleid, bevor er mich vollgekotet hat“, rief eine andere Dame. Nach einiger Zeit wurde Robátko zur Versammlung aller tschechischen Förster nach Prag eingeladen. Von seinen Försterfreunden erfuhr er, dass auch bei ihnen Gruppen der Naturfreunde und Tierfeinde (NFTF) unterwegs seien, die alle mit UAD bewaffnet seien und DAR verwendeten. Nach seiner Rückkehr aus Prag traf Robátko in der Kneipe die bärtigen Männer. „Na, haben die grünen Hemden sich also abgesprochen, wie sie uns verbieten und verfolgen wollen?“ riefen sie ihm zu. Robátko versuchte zu erklären, dass sie nichts verbieten wollen oder können und verfolgen wollten sie sowieso niemanden. Die Männer tauschten Blicke aus. „Es hat sich viel verändert, du wirst große Augen machen!“, luden sie den Förster zu einem Treffen am folgenden Abend ein. Robátko machte sich wirklich auf den Weg zum Schlösschen, denn er war neugierig auf die Veränderungen. Auf den Listen waren ein paar neue Tiere ergänzt, aber vor allem kam ein Schild dazu, das der Verfolgung der Naturfreunde und Tierfeinde gewidmet war. Es hing auch eine Liste von Gesetzen und internationalen Verträgen aus, die als diskriminierend angesehen werden müssen: das Tierschutzgesetz, das Naturschutzgesetz, Jagd- und

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Fischereigesetze, das CITES-Abkommen usw. Auch die Sitzordnung im Saal hatte sich geändert: Die Stühle standen im Kreis um eine Art Altar in der Mitte herum, aber anstelle eines Kreuzes prangte eine vergoldete Harpune darauf – das Symbol der Tierfeinde. Während Robátko in Prag war, hatte in dem Schlösschen ein Treffen der Anhänger von Dr. Arroowood und Dr. Coocke stattgefunden und edie Weltweite Kirche der Naturfreunde und Tierfeinde (WKNFTF) war gegründet worden, um ihre Mitglieder vor der Verfolgung durch Tiere und Behörden zu schützen. Außerdem hatte Frau Čelíková ihre neue Trophäe vorgeführt – Prof. Kubiczek von der Arizona State University hat den UAD perfektioniert und den SUAD (Super Universal Animal Defender) patentieren lassen. Das Gerät sei zwar fünfmal teurer als der UAD, aber jeden Cent wert! Der SUAD könne Tiere nicht nur aufspüren, sondern sie dank des erzeugten Ultraschalls mit Kontraamplitude aus dem Wald oder Teich vertreiben oder vielleicht sogar töten. Darüber seien sich Kubiczeks Anhänger uneinig und er selbst sage ihnen dazu nichts mehr, weil er nach der Erteilung des Patents vor lauter Freude an einem Herzinfarkt gestorben sei. Die Teilnehmer machten es sich auf Stühlen bequem und sahen zu, wie schön das Gerät in den Händen von Frau Čelíková funktioniert: Ein Nashorn! Eine schwarze Mamba! Elefanten! Ein Stinktier! … Alle vernichtet. Sie werden nie wieder jemanden im Wald bedrohen. Robátko schlich sich leise davon, griff beim Gehen aber in seine Tasche, zog den Fledermausdetektor hervor und richtete ihn aus Neugierde auf das Schlösschen. „Kein Ultraschall, wusste ich doch“, murmelte er. Doch das Schlimmste sollte noch kommen. Die Lage in der WKNFTF begann sich rasch zu verschlechtern. Ein Streit über das Dogma, ob die Kontraamplitude Tiere tötet oder nur vertreibt, spaltete die Mitglieder in „Killer“ und „Vertreiber“ und gleichzeitig flammte ein Streit zwischen den Anhängern des DAR und des verbesserten DAR2 auf. In der WKNFTF bildeten sich vier feindliche Sekten und eine fünfte, die von Frau Kneslová angeführt wurde, lehnte den SUAD völlig ab, suchte gefährliche Tiere nur mit dem UAD und benutzte zum Schutz eine Mischung aus DAR und DAR2. Der kirchliche Streit griff auf die umliegenden Gebiete über, wobei die Förster am meisten darunter litten. Die Killer zwangen sie zum Beispiel, im Wald nach den mithilfe des SUAD getöteten Tigern zu suchen, während die Vertreiber von den Förstern verlangten, aus benachbarten Wäldern durch Kontraamplituden vertriebene Elefanten am Eindringen in den hiesigen Wald zu hindern. Als die Situation völlig unüberschaubar schien und die verzweifelten Förster alle Hoffnung verloren hatten, tauchte plötzlich eine unerwartete Lösung auf. Der bis dahin fast unbekannte Herr Zajcev hatte entdeckt, dass

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die Quelle allen Übels nicht Tiere, sondern Mineralien und Gesteine sind, die negative Energie ausstrahlen. Die schade Menschen und Tieren, verursache alle Krankheiten, Aggressionen und auch alle anderen schlechten Eigenschaften. Glücklicherweise hatte Zajcev auch bereits Schutzfolien für Fußböden entwickelt und ein spezielles Schutzspray für Schuhsohlen erfunden. Innerhalb weniger Tage nach der Bekanntgabe dieser Entdeckungen konvertierten die meisten Bewohner des Schlösschens zu seinen Lehren und die goldene Harpune auf dem Altar wurde durch einen geologischen Hammer ersetzt. Ein Glück, die Tiere schienen gerettet zu sein. Vor Kurzem besuchte jedoch ein neuer Forscher das Schlösschen und offenbarte, dass sich Malaria von Afrika aus nach Böhmen ausgebreitet hat. „Parasiten strömen auf uns zu und wir müssen nun den neuen Feind bekämpfen“, erklärte er in seiner Rede im Schlösschen. Robátko schüttelte nur den Kopf und bedauerte im Geiste die Parasitologen.

9 Parasiten – unsere Verbündeten? Jan Votýpka, Julius Lukeš und Petr Horák

Es ist eine recht seltsame Vorstellung, dass Parasiten, wenn auch nur in einigen Fällen, unsere Verbündeten werden könnten. Aber so ist es, sowohl in der Medizin als auch in der Landwirtschaft. Der positive Einfluss von Parasiten ist jedoch viel allgemeiner und kann in drei Kategorien unterteilt werden: medizinisch-ökonomisch, ökologisch und evolutionär. Der erste Punkt, der mit unserer Gesundheit zusammenhängt, wird uns natürlich am meisten interessieren, aber es wäre schade, die anderen nicht zumindest am Rande zu erwähnen.

J. Votýpka (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] J. Lukeš  Südböhmische Universität Budweis, Budweis, Tschechien E-Mail: [email protected] P. Horák  Nationales Referenzlabor für Toxoplasmose, Staatliches Gesundheitsinstitut Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_9

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Sex, Drugs and Rock’n’ Roll In Anlehnung an die ewige Frage, ob zuerst das Huhn oder das Ei da war, können wir fragen, ob zuerst der Wirt oder sein Parasit da war. Man könnte zwar einwenden, dass der Parasit ohne Wirt nicht überleben kann, aber der Parasitismus war ursprünglich vielleicht nicht so ausgeprägt, wie wir ihn heute kennen, und die Ur-Parasiten könnten mehr oder weniger frei lebende Organismen gewesen sein, die sich nur gelegentlich von zukünftigen Wirten ernährten. Diese parallele Evolution und Anpassung an eine parasitäre Lebensweise, sowohl aufseiten der Wirte als auch der Parasiten, begann wahrscheinlich schon sehr früh. Angesichts des unwiderstehlichen Angebots eines reich gedeckten Tischs in Form des Wirtskörpers können wir davon ausgehen, dass die ersten Parasiten in irgendeiner Form schon kurz nach der Entstehung des Lebens auftraten. Es ist mehr als offensichtlich, dass die Coexistenz von Parasiten und ihrer Wirte einer der stärksten Faktoren war, die die Evolution der Organismen auf diesem Planeten seit Beginn des Lebens geprägt haben. Daher ist es nicht überraschend, dass Parasiten oder vielmehr ihr ständiger Druck auf die Wirte in gewisser Weise für viele der „Errungenschaften“ moderner Organismen, einschließlich uns selbst, verantwortlich sind. Es ist weder möglich noch notwendig, auf die recht komplexen evolutionären Theorien einzugehen, die das allmähliche Auftauchen jeder Neuigkeit in der Entwicklung erklären. Für unsere Zwecke werden wir uns mit einem etwas vereinfachten Schema begnügen, welches vier wichtige Meilensteine in der Evolution des Lebens erklärt. Die Anfänge des Lebens sind, wie so oft bei Anfängen, geheimnisumwoben. Auf den Moment der Entstehung des Lebens zu schauen, blieb bisher erfolglos, aber spätere evolutionäre Ereignisse können wir uns schon besser vorstellen. Da Parasitismus auf der Erde sozusagen seit Anbeginn der Zeit vorkommt, liegt es auf der Hand, dass schon die ersten Ur-Organismen damit konfrontiert wurden. Alle Erdbewohner lassen sich vereinfacht in zwei sehr unterschiedliche Gruppen einteilen. Die erste Gruppe sind die kleinen Prokaryoten, oder einfacher ausgedrückt Bakterien, die sich als erste entwickelt haben. Die zweite Gruppe, die erst viel später entstanden ist, sind die viel größeren Eukaryoten, zu denen alles andere gehört, von einzelligen Protozoen und Algen über Pflanzen und Pilze bis hin zu Tieren. Interessanterweise besitzen jedoch alle modernen Eukaryoten innerhalb ihrer relativ großen Zellen vereinfachte kleine prokaryotische Zellen, die zu zwei Arten von Zellorganellen gehören – Plastiden und Mitochondrien. Und warum ent-

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halten höher entwickelte eukaryotische Organismen überhaupt kleine und primitive Prokaryoten in ihren Zellen? Die Antwort ist, dass sie ohne die Prokaryoten nicht überleben würden oder zumindest kein einfaches Leben hätten. Plastiden, die die Pflanze grün machen, sorgen nämlich für Photosynthese. Mitochondrien hingegen sorgen für die Zellatmung, weshalb wir sie in fast jedem Organismus der Erde finden. Alle modernen Eukaryoten sind also vor langer Zeit entstanden, indem sie kleine Prokaryoten zähmten. Vorfahren der Plastiden, bakterielle Cyanobakterien, wurden wahrscheinlich von den Vorfahren der Algen und schließlich den grünen Pflanzen „gewaltsam“ gefangen und versklavt. Bei den Mitochondrien war der Weg der heutigen Coexistenz wohl eher umgekehrt. Es ist anzunehmen, dass die sogenannten Alphaproteobakterien, aus denen sich die heutigen Mitochondrien entwickelt haben, gegen den Willen der Wirtszellen als Parasiten in die frühen Eukaryoten eingedrungen sind. Im Laufe der Evolution haben sich die bösen Parasiten jedoch in wertvolle und sehr nützliche Mitochondrien verwandelt, ohne die das Leben der Eukaryoten unendlich viel komplizierter wäre. In der knappen Geschichte des Lebens war die Entstehung der Eukaryoten ein wichtiger Meilenstein, aber auch diesem bahnbrechenden Geschehnis folgte noch eine lange Periode der Evolution, in der alle irdischen Organismen einzellig waren. Es gibt viele Theorien über den Ursprung der Vielzelligkeit. Einige von ihnen betonen den ständigen evolutionären Druck durch Parasiten. Dies könnte die Komplexität und Raffinesse der Wirtszellen erhöht haben, was zur Bildung von mehrzelligen Organismen führte, die einen weiteren wichtigen Schritt in der Evolution des Lebens darstellen. Der parasitäre Druck und das niemals endende Wettrüsten (wie in mehreren anderen Kapiteln dieses Buchs erläutert) sind auch für eine weitere  sehr wichtige evolutionäre Innovation verantwortlich, nämlich Sex, oder besser gesagt die sexuelle Fortpflanzung. Die Erklärung dieses Phänomens muss jedoch etwas ausführlicher ausfallen. Das Zusammenleben von Parasiten und Wirt kann man sich vereinfacht wie ein endloses Schachspiel vorstellen. Für jeden Zug des Parasiten erfindet der Wirt einen Gegenzug, für den wiederum der Parasit einen Gegenzug erfindet. Aber anders als beim Schach haben die Spieler bei Weitem nicht die gleichen Voraussetzungen. Der Parasit hat mindestens drei große evolutionäre Vorteile: Der erste und sehr bedeutende Vorteil ist, dass die meisten Parasiten deutlich kleiner als der Wirt und oft in großer Zahl in seinem Körper vorhanden sind. Dabei kann jeder einzelne Parasit für sich selbst spielen, während der Wirt alleine ist. Der zweite Vorteil ist die Generationszeit (d. h. die Zeit, die

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ein Organismus braucht, um eine neue Generation hervorzubringen – bei Bakterien z. B. die Zeit, die sie zur Teilung benötigen). Die Generationszeit von Bakterien wird im zweistelligen Minutenbereich berechnet, sodass sie pro Zug des Wirts bis zu Zehntausende eigene Züge machen können. Der dritte Vorteil von Parasiten ist ihre stärkere evolutionäre Motivation. Wenn es einem Parasiten nicht gelingt, in einen Wirt einzudringen und sich dort zu vermehren, stirbt er und hinterlässt keine Nachkommen. Wenn dagegen der Wirt eine parasitäre Invasion nicht abwehren kann, stirbt er normalerweise nicht und hinterlässt zumindest einige Nachkommen. Der Parasit muss also hoch pokern und nur wer erfolgreich ist, überlebt. Im Gegensatz überlebt der Wirt, selbst wenn er vom Parasiten teilweise beschädigt wird, und gibt seine Gene in die nächsten Generationen weiter, die dem Parasiten allerdings ebenso schutzlos ausgeliefert sein werden wie der Elternorganismus. Wir sehen also, dass das Schachspiel höchst unausgewogen ist. Um die drei oben genannten evolutionären Vorteile des Parasiten auszugleichen, hat der Wirt eine ausgeklügelte Abwehr entwickelt. Und das ist Sex! Alle Bemühungen des Parasiten sind nämlich mehr oder weniger darauf ausgerichtet, die Abwehrmechanismen des Wirts zu überwinden. Wenn die Nachkommen des Wirts und ihre Eltern identisch sind, wie es bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung der Fall ist, dann funktioniert die Anpassung des Parasiten an die elterlichen Wirte auch bei deren Nachkommen perfekt. Kommt jedoch die sexuelle Fortpflanzung des Wirts ins Spiel, unterscheiden sich die Nachkommen von ihren Eltern, insbesondere in Bezug auf ihr Immunsystem und ihre Abwehrmechanismen. Die meisten der oben genannten evolutionären Vorteile des Parasiten werden durch eine solche Änderung der Spielregeln stark abgeschwächt. Und genau deshalb gibt es Sex. Ein letzter, wenn auch höchst umstrittener Beitrag der Parasiten zu den außergewöhnlichen Fähigkeiten einiger Tiere, einschließlich uns Menschen, ist die Wahrnehmung von Schönheit. Die Erklärung ist wieder etwas komplizierter, aber es ist sicher interessant, mehr darüber zu erfahren. Die Männchen vieler Tierarten entwickelten auffällige Strukturen, die in der Regel von den Weibchen zur sexuellen Selektion genutzt werden (Abb. 9.1). Das bedeutet natürlich, dass die Weibchen in der Lage sein müssen, diese Strukturen zu bewerten und die besten auszuwählen. Und eben diese Fähigkeit, eine Auswahl zu treffen, ist der Ursprung einer Eigenschaft, die beim Menschen als Fähigkeit zur Wahrnehmung von Schönheit bekannt ist. Schließlich suchen sich auch Menschen schöne Partner aus, und jeder will einen gut aussehenden Mann oder eine schöne Frau haben. Stellen

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Abb. 9.1  Parasiten und sexuelle Selektion. Der parasitäre Einfluss auf die Evolution des Wirts ist unbestritten. Im Laufe der Zeit führte der Druck, den parasitäre Organismen auf ihre Wirte ausüben, zu einem breiten Spektrum neuartiger Verteidigungsmerkmale und -phänomene. Zu den wichtigsten gehört zweifellos die „Erfindung“ der sexuellen Fortpflanzung, die zu vielfältigen Nachkommen führt, an die sich pathogene Organismen schlechter anpassen können. Genauso wichtig ist die Fähigkeit, Schönheit wahrzunehmen, die es den Weibchen ermöglicht, sich für das beste Männchen zu entscheiden und so ihre Nachkommen mit optimalen Genen auszustatten, die besseren Schutz vor verschiedenen Krankheitserregern garantieren. Beides verkörpert der Pfau mit seinem weit geöffneten Schwanzfächer, der Weibchen anlocken soll. (Quelle: Iva Kolářová)

wir uns jedoch eine scheinbar simple Frage: Warum sollten wir auffälligere und schönere Partner wählen? Die Antwort, sie würden uns gefallen, reicht nicht. Die Tatsache, dass uns etwas gefällt, bedeutet nur, dass es evolutionär wichtig ist. Aber warum ist es so wichtig – sind schöne Menschen etwa die besseren Väter oder Mütter? Eine Erklärung für dieses Paradox ist bisher nicht eindeutig gefunden. Es gibt eine Reihe von Hypothesen und eine der bekanntesten schreibt Parasiten eine entscheidende Rolle zu. Wieder stark vereinfacht kann man sagen, dass das Ziel des Weibchens nicht nur die Fürsorge des Vaters für ihre Nachkommen ist (die allerdings bei einigen Arten völlig fehlt), sondern vor allem die besten Gene. Aber wie erkennt man Männchen mit hochwertigen Genen? Eine Möglichkeit besteht darin, den

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künftigen Vater anhand von Merkmalen zu testen, die sich nicht so einfach fälschen lassen. Schönheit, Färbung, Symmetrie oder auffällige Strukturen sind für das Leben an sich nicht wirklich wichtig. Die Bildung und anschließende Pflege ist jedoch recht komplex und kostet viel Zeit, Energie, Nährstoffe und andere Formen von Investitionen. Daher kann sie sich nur ein hochwertiges Individuum leisten, das nicht mit Parasiten und anderen widrigen Umständen zu kämpfen hat. Und da die Resistenz gegen Parasiten hauptsächlich genetisch bedingt ist, ist das äußere Erscheinungsbild in gewisser Weise ein Zeugnis für die Qualität der Gene. Natürlich ist nicht alles so geradlinig und einfach, wie wir es gerade darstellen, aber stark vereinfacht gilt dieses Szenario auch für die menschliche Gesellschaft. Deshalb wirken gut aussehende Männer mit symmetrischen Gesichtern und dichtem Haar auf Frauen attraktiver, und wenn man zum äußeren Erscheinungsbild noch ein weiteres nicht fälschbares Merkmal wie einen Sportwagen und eine goldene Kreditkarte hinzufügt, ist der Erfolg garantiert. Auch beim Menschen geht es doch um die Präsentation hochwertiger männlicher Gene, die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen Parasiten (Aussehen) und gesellschaftlichen Erfolg (Reichtum) garantieren und an die Nachkommen der Frau, die sich für einen solchen Mann entscheidet, weitergegeben werden. Parasiten sind also evolutionär für viele Innovationen verantwortlich, ohne die wir uns unser Leben nicht vorstellen können. Nur dank ihnen sind wir das, was wir sind. Ohne Parasiten würden dieses Buch kurzatmige einzellige ungeschlechtliche Wesen ohne einen Funken ästhetischen Sinns lesen.

Der Einsatz von Parasiten in der biologischen Schädlingsbekämpfung Wenn wir Schädlinge oder ungebetene Gäste vernichten oder zumindest in der Zahl reduzieren wollen, haben wir gleich mehrere Möglichkeiten. Die gängigste Bekämpfungsmethode ist die chemische, bei der wir eine giftige Substanz ausbringen, die die ungebetenen Gäste tötet oder zumindest schwer beschädigt. Die Menschheit produziert und verwendet eine immense Anzahl von Herbiziden (töten Pflanzen), Fungiziden (töten Pilze), Insektiziden (töten Insekten), Rodentiziden (töten Nagetiere) und viele andere Organozide zur Abtötung aller möglichen anderen Organismen. Die Chemikalien selbst sind jedoch recht teuer und ihre Anwendung, die häufig wiederholt werden muss, trägt ebenfalls zu finanziellen Kosten bei. Darüber

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hinaus sind die meisten dieser Stoffe teilweise auch für uns oder Nutztiere giftig, ganz zu schweigen von der negativen Umweltwirkung. Wir haben aber noch eine andere Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung, nämlich den Einsatz verschiedener Pathogene, also Parasiten und Parasitoide1. Im Idealfall führen wir einen pathogenen Organismus in das System ein und der Parasit findet seinen Wirt (in unserem Fall den unerwünschten Schädling) von selbst. Er befällt und tötet ihn oder senkt zumindest seine Aktivität und sein Fortpflanzungspotenzial. Die Idee, Parasiten in der biologischen Bekämpfung einzusetzen, wurde Ende des 19. Jahrhunderts geboren und war einfach: Ein Parasit ist ein billiger und unermüdlicher Killer. Er ist in der Lage, seinen Wirt (den Schädling) zu finden, in seinen Körper einzudringen, sein Immunsystem zu überwinden und ihn in vielen Fällen zu töten (Abb. 9.2). In der biologischen Schädlingsbekämpfung gelingt es uns fast nie, einen Schädling vollständig auszurotten. Wichtiger ist jedoch, dass es in der Regel gelingt, seine Häufigkeit zu verringern und seine negativen Auswirkungen auf ein erträgliches Maß zu beschränken, den Schädling also unter Kontrolle zu halten. Aber auch diese Methode der Schädlingsbekämpfung birgt ihre Risiken. Insbesondere besteht die berechtigte Sorge, dass der Parasit neben dem Schädling auch andere Organismen befallen könnte. Es ist daher notwendig, nach Erregern zu suchen, die eine möglichst hohe Wirtsspezifität aufweisen. Unter den Pflanzenschädlingen gibt es viele, die mit ihren Wirtspflanzen in eine neue Umgebung gelangten und dabei oft ihren spezialisierten Parasiten entkamen, die sie in ihrer ursprünglichen Heimat zurückließen. Die Einschleppung und Freisetzung dieser Parasiten in von Schädlingen geplagten Gebieten kann daher als Wiederherstellung natürlicher Beziehungen betrachtet werden. So können beispielsweise parasitische Wespen und Fliegen gezielt Blattläuse, Schildläuse, verschiedene Käfer und viele andere Schädlinge töten. Ein klassisches Beispiel für biologische Schädlingsbekämpfung ist Maniok, eine der wichtigsten Lebensmittelpflanzen im tropischen Afrika. In den 1970er-Jahren begann jedoch ein Pflanzenparasit, die ManiokSchmierlaus, die afrikanischen Maniokfelder zu zerstören. Die Schäden auf den Feldern waren so groß, dass es nach einer absoluten Katastrophe

1 Ein

Parasitoid ist eine parasitische Art, die ihren Wirt jedoch immer tötet. Meistens handelt es sich dabei um parasitische Wespen, deren Nachkommen sich in den Larvenstadien (z. B. Raupen) von Insekten entwickeln.

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Abb. 9.2  Parasiten in der biologischen Schädlingsbekämpfung. Ein Parasit bleibt ein Parasit. Wenn jedoch ein Parasit (Parasitoid, Krankheitserreger) einen Organismus befällt, der uns schadet, wird er zu unserem Verbündeten. Beispielsweise parasitiert der Pilz Entomophthora muscae an Stubenfliegen (Musca domestica) (a), die er schließlich tötet. Die toten Fliegen haften dann oft mit Pilzfäden an erhöhten Stellen, wo ihre Körper Sporen freisetzen, die für weitere Fliegen in der Nähe ansteckend sind. Während dieser Pilz nicht direkt in der biologischen Bekämpfung eingesetzt wird, werden viele andere, darunter der entomopathogene Pilz Beauveria oder verschiedene Arten von Mikrosporidien, genutzt, um beispielsweise Heuschrecken oder Borkenkäfer zu töten. Gärtnern, die mit Nacktschnecken kämpfen, sind wohl eher parasitische Nematoden wie Phasmarhabditis hermaphrodita (b) bekannt, die auch gegen eingeschleppte Spanische Wegschnecken wirksam sind. Sie suchen aktiv nach ihren Wirten und setzen dann das symbiotische Bakterium Moraxella osloensis in ihnen frei, das sich in der Schnecke vermehrt, sie abtötet und so „ihrem“ Fadenwurm und seinen Nachkommen eine reiche Nahrungsquelle bietet. (Quelle: a, Jan Votýpka; b, Biocont Labor)

und anschließender Hungersnot aussah. Da sowohl Maniok als auch sein Schädling ihren Ursprung in Mittelamerika haben, wurde versucht, dort die ursprünglichen Parasiten der Schmierlaus zu finden. Nach redlicher Bemühung wurde schließlich eine parasitäre Wespe entdeckt, die sich ausschließlich auf Maniok-Schmierläuse spezialisiert hatte. Innerhalb von zwei Jahren gelang es, die Wespen zu vermehren und erfolgreich in den betroffenen Gebieten auszusetzen. Der Erfolg war phänomenal. Heutzutage ist die Maniok-Schmierlaus in Afrika kein ernstes Problem mehr. Ebenso werden weltweit parasitische Schlupfwespen eingesetzt, die Eier des Maiszünslers und vieler anderer Schädlinge, darunter auch die Raupen der Blattwespen, befallen. Andere Arten von Schlupfwespen töten Mottenschildläuse, Blattläuse und andere Schädlinge auf Feldern, in Obstgärten und Gewächshäusern. Zur Abtötung von Schädlingen, darunter den gefürchteten Nacktschnecken, dienen auch viele andere Parasiten-

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arten, einschließlich der Fadenwürmer. Zur Bekämpfung von Wanderheuschrecken werden Mikrosporidien (einzellige parasitäre Pilze) eingesetzt, Bacillus thuringiensis wird zur Abtötung von Mückenlarven verwendet und gegen Lagerschädlinge oder Blütenthripse kann man räuberische Milben kaufen. Krankheitserreger können jedoch auch zur Bekämpfung weitaus größerer Tiere eingesetzt werden. Ein erfolgreiches und zugleich warnendes Beispiel ist Australien, wo ein hoch  virulenter Stamm des Myxomatosevirus gegen die dortige Kaninchenplage eingesetzt wurde und zur bedeutenden Reduktion des Bestands beigetragen hat2. Leider war die Wirkung nur kurzzeitig, da das Programm aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgt wurde oder das Virus sogar teilweise vorzeitig aus den Testflächen entkam. Unerwartet erscheint der Einsatz halbparasitärer3 Pflanzen wie dem Kleinen Klappertopf, um die Artenvielfalt von Wiesengemeinschaften zu steigern. Ein solcher Halbparasit ist so etwas wie der Robin Hood des Pflanzenreichs, der von den Reichen nimmt und den Armen gibt. Der Klappertopf ist nämlich auf die häufigsten Arten des Ökosystem, in der Regel Gräser, spezialisiert, deren Dominanz er einschränkt und so den weniger konkurrenzfähigen Pflanzenarten Chancen eröffnet. Diese knappe Aufzählung von Beispielen zeigt deutlich die Nützlichkeit von Parasiten, und zwar nicht nur unter ihren natürlichen Bedingungen. Sie weist auch auf die Möglichkeit ihrer direkten wirtschaftlichen Nutzung hin, insbesondere in der Landwirtschaft. Parasiten können also keineswegs nur als schädliche und nutzlose Bewohner der Erde verurteilt werden.

Was der Arzt nicht kann, kann ein Parasit Parasiten als Ärzte? Das klingt nach Mittelalter, aber nur scheinbar. Parasiten können in der Human- und Veterinärmedizin in vielerlei Hinsicht äußerst nützlich sein. Dieses Wissen erlangten nicht nur Wissenschaftler in ihren experimentellen Studien, sondern auch Heiler unterschiedlichster Nationen in ihren über Jahrhunderte überlieferten Erfahrungen. Einige Therapien mit

2 Heute

ist dieser Fall von biologischer Bekämpfung als Kaninchenkrieg bekannt. (Anm. d. Übers.) Pflanzenarten (z. B. die Mistel) sind im Gegensatz zu parasitären Arten (z. B. die Sommerwurz) grün und können daher Photosynthese betreiben. Warum also parasitieren sie? Sie entnehmen der Wirtspflanze Wasser und Mineralstoffe und müssen daher kein eigenes Wurzelsystem aufbauen.

3  Halbparasitäre

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Parasiten werden auch von der modernen Medizin mittlerweile allgemein anerkannt und sogar von den Krankenkassen übernommen. Der breitere Einsatz von Parasiten befindet sich jedoch noch in der Testphase und setzt sich nur schwer im traditionellen Medizinsystem durch, oft gegen erheblichen Widerstand bestehender medizinischer Gruppen. Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Darmparasiten im Kampf gegen Autoimmunkrankheiten. Dieser Problematik widmet sich der letzte Teil dieses Kapitels. Beginnen wir jedoch mit Parasiten, die auch in europäischen Krankenhäusern bereits offiziell zur Behandlung von Menschen eingesetzt werden – nämlich Blutegel und Fliegenlarven.

Der Aderlass – unsterblicher Ruhm der Blutegel Die Verwendung von Blutegeln zum Aderlass verbinden womöglich viele mit antiken oder mittelalterlichen medizinischen Praktiken. Immerhin reichen die Aufzeichnungen über die Verwendung von Blutegeln bis 3500 v. Chr. (Darstellungen in Pharaonengräbern) bzw. 200 v. Chr. (erste schriftliche Aufzeichnungen) zurück. In Europa erreichte die Verwendung von Blutegeln um 1850 ihren Höhepunkt. 1851 wurden beispielsweise über 13 Mio. Blutegel für medizinische Zwecke nach Frankreich importiert. Da allmählich andere Methoden für den Aderlass gewählt wurden, mag so etwas heutzutage nicht mehr in die moderne Medizin zu gehören. Tatsächlich erlebt die sogenannte Hirudotherapie (d. h. die Behandlung mit Blutegeln) jedoch eine Renaissance. Was steckt also hinter dem Erfolg der Blutegel? Historisch am bekanntesten ist der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis). Heutzutage ist dieser Blutegel in Mitteleuropa relativ selten, obwohl er dank verstärktem Schutz und Umweltkontrollen an einigen seiner historisch bekannten Standorte wieder vorkommt. Er bevorzugt klare, stehende oder langsam fließende Gewässer, in denen er seine Wirte sucht. Er erreicht eine Länge von bis zu 15 cm und ist zum Blutsaugen mit drei gezähnten Kiefern und einem segmentierten Darm ausgestattet, der die Konservierung und Verdauung großer Blutmengen ermöglicht, sodass der Blutegel mehrere Monate ohne weitere Nahrung auskommt. Heutzutage wird für die Hirudotherapie jedoch eher der eng verwandte Mediterrane Blutegel (Hirudo verbana) verwendet, dessen Hauptverbreitungsgebiet in Südosteuropa und der Türkei liegt (Abb. 9.3). Das Interessanteste an Blutegeln ist die Zusammensetzung ihres Speichels, den sie in die Bisswunde absondern. Der Speichel enthält einen Stoff namens Hirudin, der sehr wirksam die Blutgerinnung hemmt, indem er

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Abb. 9.3  Blutrünstige Blutegel. Der Blutegel Hirudo verbana (a, b) und verwandte Arten derselben Gattung, einschließlich des Medizinischen Blutegels (Hirudo medicinalis), gehören zu den größeren Vertretern der Blutegel (10–15 cm), die in der Lage sind, an verschiedenen Gruppen von Wirbeltieren, einschließlich des Menschen, Blut zu saugen. Das erfolgreiche Saugen wird durch mechanische und chemische Werkzeuge gewährleistet. Diese Egel tragen in der Mundhöhle drei zahnähnliche Gebilde mit gezackten Rändern, mit denen sie die Haut des Opfers durchdringen und eine Wunde in Form eines dreizackigen Sterns (c) hinterlassen. Zu den wirksamen chemischen Hilfsmitteln gehören Produkte der Speicheldrüsen, die in die blutende Wunde gelangen und dort zum Beispiel eine erhöhte Gefäßdurchlässigkeit bewirken, lokale Abwehrreaktionen blockieren, die Auflösung eines schon bestehenden Blutgerinnsels erleichtern oder die Bildung eines neuen Gerinnsels verhindern. Die bekannteste Substanz im Speichel der Blutegel ist Hirudin, ein Protein, das heute auch industriell hergestellt wird und zu den stärksten Gerinnungshemmern gehört. Eben diese vielfältigen positiven Wirkungen des Speichels auf den lokalen Blutkreislauf wurden schon in der Vergangenheit medizinisch genutzt und auch heute verzichtet die moderne Medizin in einigen Fällen nicht auf ähnliche Verfahren. (Quelle: a–b, David Modrý; c, Jana Bulantová)

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das Protein Thrombin blockiert, eines der Schlüsselmoleküle für erfolgreiche Blutgerinnung. Daher ist Hirudin eine hoch wirksame Substanz, wenn es darum geht, einen besseren Blutfluss oder -abfluss zu gewährleisten oder sogar Blutgerinnsel zu beseitigen (Hirudin bindet auch an Thrombin in Blutgerinnseln). Es wird sogar behauptet, Hirudin sei die wirksamste bekannte natürliche Substanz, die Thrombin direkt blockieren kann. Eben deshalb bluten Menschen, an denen ein Blutegel saugte, auch nach dem Abfallen des Egels noch lange Zeit nach. Selbst sich wenn der Blutegel nur wenige Dutzend Minuten an einer Person festgebissen hat und nur 5–15 ml Blut aufsaugt, kann die Nachblutung viele Stunden dauern und zum Verlust von bis zu 100 ml Blut führen. Die positive Wirkung der Blutegelbehandlung kann sich bei ausgewählten Patienten nach plastischen und anderen chirurgischen Eingriffen zeigen, wenn es darum geht, Blutgerinnsel aufzulösen, Embolien zu beseitigen, verschiedene Schwellungen zu eliminieren, bei der Wundheilung zu helfen usw. Hirudin ist somit zu einer Substanz im Interessenbereich der modernen Wissenschaft und Medizin geworden. Dank der Kenntnis seiner Struktur und biotechnologischer Verfahren können wir jedoch auf Blutegel verzichten. Hirudin wird derzeit in großen Mengen (rekombinant oder synthetisch) von einigen pharmazeutischen Unternehmen hergestellt und für verschiedene biomedizinische Anwendungen vermarktet, bei denen es zur Hemmung der Blutgerinnung, zur Zerstörung von Blutgerinnseln oder als Ersatz für frühere Behandlungen benötigt wird (beispielsweise kann das bekannte gerinnungshemmende Medikament Heparin bei einigen Patienten den Rückgang der Blutplättchen verursachen). Trotz der Fortschritte bei den biotechnologischen Verfahren, die es uns ermöglichen, Hirudin herzustellen und gegebenenfalls in der (Bio-) Medizin einzusetzen, können wir in manchen Fällen nicht auf lebende Blutegel verzichten. Ihr Speichel ist ein Cocktail aus verschiedenen biologisch aktiven Substanzen, die zusammen mit Hirudin auf den Wirt einwirken (z. B. erhöht Histamin die Durchlässigkeit der Blutgefäße, das Enzym Hyaluronidase baut interzelluläres Material ab, die Apyrase blockiert die Aktivierung von Blutplättchen, die Destabilase hilft bereits gebildete Blutgerinnsel aufzulösen). Wahrscheinlich auch deshalb gibt es heutzutage Praxen, wo lebende Blutegel an problematischen Stellen des menschlichen Körpers eingesetzt werden. Aber Achtung, die verwendeten Egel sollten zertifiziert sein, das heißt, sie sollten aus reinen Zuchten und dafür ausgewiesenen Betrieben stammen und aus Sicherheitsgründen nur einmal an einer Person angewendet werden. Blutegel können auch nicht jedem angesetzt werden – die Patienten dürfen nicht an Hämophilie oder Anämie

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leiden, keine gerinnungshemmenden Medikamente einnehmen usw. Darüber hinaus kann der Umgang mit Blutegeln auch dazu führen, dass symbiotische Bakterien (z. B. der Gattung Aeromonas ) aus dem Verdauungssystem der Blutegel in die Wunde gelangen, die Wunde kontaminieren und zum potenziellen Krankheitserreger werden. Auch deshalb wird bei der medizinischen Anwendung von Blutegeln die gleichzeitige Einnahme von Antibiotika zur Vorbeugung gegen kontaminierende Bakterien empfohlen.

Doch keine Würmer! Die Larventherapie Wollen Filmemacher beim Publikum Ekel, Angst und Schrecken hervorrufen, gibt es nichts Einfacheres als eine Nahaufnahme von weißlichen Würmern, die auf verrottendem Fleisch wimmeln. Diese abstoßenden Würmer, die in Wirklichkeit Fliegenlarven sind, können jedoch in vielerlei Hinsicht nützlich sein, und zwar nicht nur als Fischköder. Der zufällige Befall von Kriegswunden mit Fliegenlarven, die sich von abgestorbenem Gewebe ernähren, ist schon seit der Antike bekannt und wird sowohl in der Filmindustrie (z. B. im Film Gladiator ) als auch im Alten Testament mehrfach erwähnt, wo Hiob beklagt „Mein Fleisch ist um und um eine Beute des Gewürms und faulig […].“ Anthropologische Forschungen belegen den gezielten Einsatz von Fliegenlarven zur Behandlung eiternder Wunden und zur Entfernung abgestorbenen Gewebes nicht nur im europäischen Altertum, sondern beispielsweise auch bei den alten Maya in Mittelamerika. Die erste moderne Verwendung von Larven geht auf den Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten zurück. Den Eingriff führte ein Arzt der Konföderierten, John Zacharias, durch. In Europa behandelte Napoleons Kriegschirurg, Baron Dominique Jean Larrey, die eiternden Wunden der Soldaten wahrscheinlich mit Fliegenlarven. William S. Baer (1872–1931), einem Chirurgen aus Maryland, der als Arzt im Ersten Weltkrieg diente, ist zweifellos für die Wiedereinführung der Larventherapie (maggot therapy) in die moderne medizinische Praxis zu danken. Als er Soldaten pflegte, die manchmal tagelang verwundet auf dem Schlachtfeld lagen, stellte er fest, dass ihre Wunden trotz wimmelnder Fliegenlarven sehr gut heilten und nach Entfernung der Larven gesundes heilendes Gewebe zu sehen war. Baer begann, mit den Larven zu experimentieren, und führte auch ihre Aufzucht unter Laborbedingungen ein, mitsamt Sterilisation der Eier vor dem Schlüpfen und Einsetzen der Larven in Wunden. Die Behandlung traumatischer Verletzungen

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mit Fliegenlarven wurde unter den Ärzten bald bekannt und auch in der Zwischenkriegszeit relativ häufig angewandt. So wurden beispielsweise allein in Nordamerika, der Heimat dieser wiederentdeckten Behandlungsmethode, in Hunderten von Krankenhäusern Larven eingesetzt. Mit dem Aufkommen der Sulfonamide in den 1930er-Jahren und der Entdeckung von Penicillin und anderen Antibiotika in den 1940er-Jahren ging das Interesse an der Larventherapie zurück und sie wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr eingesetzt. Auch der Zweite Weltkrieg hat das Interesse nicht wiederhergestellt. Und so fand sich die Larventherapie unter den historischen Methoden wieder und war lange Zeit mehr wegen ihrer Skurrilität als wegen ihrer therapeutischen Wirkung interessant. Heute erlangt die therapeutische Wirkung von Fliegenlarven zum wiederholten Mal Anerkennung. Die Fähigkeit der Larven, sich nur von totem Gewebe zu ernähren, wird zur Reinigung nicht heilender Wunden genutzt. Die Larven entfernen nekrotisches Gewebe feinfühliger und präziser als jeder Chirurg und grenzen das lebende und tote Gewebe perfekt ab. Aufgrund dieser Eigenschaft werden die in der Therapie eingesetzten Larven manchmal als „biologisches Messer“ oder „Biochirurgen“ bezeichnet und einige Arbeitsgruppen dieser Fachrichtung wählten auch den Namen bioknife. Darüber hinaus können die Bewegungen der Larven das Wachstum des heilenden Gewebes anregen. Die mechanische Wirkung der Larvenbewegung regt die Produktion von Wundsekreten, die Bakterien wegspülen, und die Blutzufuhr zum heilenden Gewebe an. Das Vorhandensein der Fliegenlarven geht auch mit einer Alkalisierung der Wunde einher, was die therapeutische Wirkung der Behandlung allgemein verbessert. Zusätzlich vernichten die Larven die meisten Bakterien in der Wunde, unabhängig von ihrer möglichen Resistenz gegen Antibiotika – gegen Larven hilft auch keine Resistenz. Sie scheiden an ihrem Wirkungsort auch eine Reihe antimikrobieller Substanzen aus, die entweder bakteriellen Ursprungs (z. B. von der symbiotischen Gattung Proteus ) oder körpereigen sind, wie das erst kürzlich entdeckte Lucifensin, ein Defensin benannt nach der zur Larventherapie am häufigsten verwendeten Fliege, der Goldfliege (Lucilia sericata, Abb. 9.4). Damit kommen wir zur Auswahl der „richtigen“ Fliege für die Larventherapie. Viele Fliegenarten können sich im Gewebe lebender Wirte entwickeln. Wir bezeichnen diese Fliegen als Myiasiserreger und verwenden den Begriff „Myiasis“ für eine Krankheit, bei der Fliegenlarven am Körper von Wirbeltieren, einschließlich des Menschen, parasitieren. Das Wort stammt vom griechischen myia, was „Fliege“ bedeutet, und das Suffix -iasis bezeichnet eine Krankheit.

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Abb. 9.4  Fliegen in unseren Diensten. Fliegen, insbesondere myiasiserregende Arten, die das lebende Gewebe des Wirts angreifen, gelten als Schädlinge. Einige Arten können jedoch zu unserem Vorteil genutzt werden. Die Larven der Blauen Schmeißfliege der Gattung Calliphora werden beispielsweise beim Angeln häufig als Köder verwendet, als Fleischmaden (a). Es gibt jedoch auch eine Schmeißfliegenart (die Goldfliege, Lucilia sericata  ), deren Larven sich ausschließlich von totem Gewebe ernähren und daher in der Medizin hervorragend zur Entfernung von abgestorbenem Gewebe eingesetzt werden können, während gesundes Gewebe vollständig intakt bleibt. Die Larven der Goldfliege sind wie die anderer Fliegenarten bein- und eigentlich auch kopflos: Vom vorderen Teil des Körpers ist nur das Mundskelett mit zwei auffälligen sklerotisierten Zähnen (b) erhalten. Im Erwachsenenalter sind Goldfliegen meist auffallend grünlich-gelb und metallisch glänzend. Ihre Larven entwickeln sich in der Natur in frisch verrottenden organischen Stoffen wie Wirbeltierkadavern, Kot oder überreifen Früchten. Neben der in der Medizin genutzten Goldfliege leben in Mitteleuropa noch mehrere andere Schmeißfliegenarten (c), die jedoch nicht leicht voneinander zu unterscheiden sind. (Quelle: Jana Bulantová)

Myiasisfliegen unterteilen wir biologisch in obligate Parasiten, die sich ausschließlich im Gewebe eines lebenden Wirts entwickeln, und fakultative Parasiten, die sich hauptsächlich in totem Gewebe entwickeln und lebendes Gewebe nur gelegentlich (fakultativ) nutzen. Die Myiasis kann auch nach dem Ort des Auftretens am Wirtskörper klassifiziert werden. In der medizinischen Praxis unterscheiden wir unter anderem zwischen traumatischer (Larven in Wunden verschiedener Herkunft), dermaler oder furunkulärer (im subkutanen Gewebe), urogenitaler (im Harn- und Genitaltrakt), nasopharyngealer (in den Nasenhöhlen und dem Nasenrachenraum), ophthalmischer (in den Augen), oraler (in der Mundhöhle) Myiasis. Der wichtigste Aspekt bei der Auswahl eines für den therapeutischen Einsatz geeigneten Fliegenkandidaten ist die Erfüllung der Bedingung, dass die Larven niemals gesundes Gewebe angreifen und sich ausschließlich von nekrotischem Gewebe ernähren. Die meisten parasitären Myiasisfliegen erfüllen diese Bedingung natürlich nicht. Die Goldfliege stellt eine Ausnahme dar. Sie ist ein Grenzfall – zwar ist sie ein Myiasiserreger, entspricht aber nicht ganz der Definition eines Parasiten. Das muss uns aber überhaupt nicht stören, im Gegenteil. Dank dieser Eigenschaften können wir die Art in der Larventherapie einsetzen.

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Die Larventherapie ist eine alternative Behandlungsmethode, insbesondere wenn chirurgische und enzymatische Behandlungen versagt haben. Am häufigsten wird die Therapie mit Fliegenlarven beim „offenen Bein“, Defekten im Zusammenhang mit diabetischem Fußsyndrom, Wundliegen und Verbrennungen eingesetzt. Fliegenlarven können auch zur Reinigung von Wunden vor Hauttransplantationen verwendet werden. Die Larventherapie wird manchmal auch zur Behandlung schlecht heilender, traumatischer Verletzungen eingesetzt. Neuerdings wird auch in der Veterinärmedizin mit dem Einsatz von Larven der Goldfliege experimentiert, insbesondere bei der Behandlung traumatischer Verletzungen und chronischer Entzündungen. Die Larventherapie kann nicht ohne eine zuverlässige Quelle keimfreier Fliegenlarven durchgeführt werden, die von einer Reihe spezialisierter Unternehmen angeboten werden. Sie erfreut sich zunehmender Beliebtheit und wird in immer mehr medizinischen Einrichtungen eingesetzt. Die Vorteile dieser Behandlung sind vielfältig, Patienten fürchten sie aber häufig. Und so muss der Arzt nicht nur die Therapie selbst, sondern auch die Vorurteile und psychologischen Hemmungen des Patienten überwinden. Die fürchterliche Vorstellung von Würmern im eigenen Körper ist oft hartnäckiger als eine nicht heilende Wunde am Bein.

Parasiten – schlechte Meister, aber gute Diener Bei Parasiten nimmt man an, dass sie auf Kosten ihres Wirts leben, ihm Ressourcen entziehen, ihm auf verschiedenste Weise schaden und überhaupt sein Leben verkürzen. Daraus folgt, dass das Vorhandensein eines jeden Organismus dieser Art im menschlichen Körper unerwünscht ist und daher die Notwendigkeit entsteht, jeden Parasiten mit allen verfügbaren Mitteln zu vernichten. Wenn Parasiten für den Menschen pathogen sind, das heißt, ihn krank machen und seine Gesundheit ernsthaft beeinträchtigen, ist es in der Tat notwendig, sie so schnell wie möglich loszuwerden. In einigen Fällen können Parasiten jedoch eine wohltuende Wirkung auf unsere Gesundheit haben. In den 1990er-Jahren stellten einige Wissenschaftler einen indirekten Zusammenhang zwischen allergischen Erkrankungen und der Verbreitung von Darmwürmern fest, mit anderen Worten: Je höher der Prozentsatz der mit parasitären Hakenwürmern (Gattungen Ancylostoma und Necator ) infizierten Menschen war, desto weniger Allergien traten in dieser Population auf. Viele spätere wissenschaftliche Analysen, die Informationen

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aus einer Reihe europäischer und außereuropäischer Länder einschlossen, bestätigten diesen Zusammenhang. In einigen afrikanischen Ländern, in denen die Mehrheit der Bevölkerung mit verschiedenen Darmwürmern infiziert ist, kommen so gut wie keine Allergien vor. Dagegen sind in einigen westeuropäischen Ländern, wo menschliche Darmwürmer praktisch ausgestorben sind, bis zu 30 % der Bevölkerung von Allergien verschiedener Art betroffen. Als Reaktion auf diese überraschenden Ergebnisse zahlreicher Studien wurde Ende des 20. Jahrhunderts die Hygienetheorie formuliert. Im Kern besagt sie, dass die Exposition gegenüber praktisch jeder Art von Antigen die Entwicklung und Stärkung des Immunsystems fördert, während der fehlende Kontakt mit Antigenen Voraussetzungen für die Entwicklung von Autoimmunkrankheiten, einschließlich Allergien, schafft. Um diese Theorie zu verstehen, muss die Funktionsweise unseres Immunsystems zumindest in groben Zügen und vereinfacht erklärt werden. Das menschliche Immunsystem besteht aus zwei unabhängigen Komponenten. Die erste ist die angeborene Immunität, die evolutionär älter ist und in verschiedenen Formen bei allen Tieren vorkommt. Vereinfacht kann man sie sich als eine Armee von Zellen vorstellen, die in der Lage ist, fremde Substanzen, einschließlich Bakterien und anderer Krankheitserreger, zu vertilgen. Die zweite Verteidigungslinie unseres Körpers bildet die erworbene oder spezifische Immunität, die sich nur bei Wirbeltieren entwickelt hat und nicht nur auf bestimmten Zelltypen, sondern auch auf Antikörpern beruht. Das Immunsystem verfügt über eine Fülle von verschiedenen, jeweils unterschiedlichen Antikörpern. Jeder von ihnen bindet an „sein“ spezifisches Antigen, und zwar in Form einer einzigartigen Bindung nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Als Antigen bezeichnen wir daher jede Substanz (in der Regel aus der Umwelt), die den Körper zur Bildung von spezifisch bindenden Antikörpern veranlasst (so funktioniert die Impfung, bei der ein Antigen in den Körper eingebracht wird – zum Beispiel ein Teil der Oberfläche eines Bakteriums oder eines Virus – und das Immunsystem die notwendigen Antikörper bildet). Wenn das Immunsystem richtig funktioniert und alles gut eingestellt ist, kann es mit den meisten Gefahren problemlos umgehen. Das Immunsystem kann sowohl erkennen, was körpereigen und was fremd ist, als auch, was gefährlich ist und was nicht. Vereinfacht gesagt: Gelangt ein gefährliches Bakterium auf die Nasenschleimhaut, wird das Immunsystem mobilisiert und das Bakterium mithilfe verschiedener Mechanismen schnell vernichtet. Wenn jedoch ein harmloses Pollenkorn auf der Nasenschleimhaut landet, wird es vom Immunsystem ignoriert und in Ruhe gelassen, ohne einen Fehl-

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alarm auszulösen. Ist das Immunsystem jedoch schlecht eingestellt, reagiert es selbst auf harmlose Reize über, ist hyperaktiv und kann sogar den eigenen Körper beschädigen. Diese Störungen werden zusammenfassend als Autoimmunerkrankungen bezeichnet. Die Hygienetheorie gehört zu den wissenschaftlichen Theorien, die sich nicht einfach durchsetzten und daher lange Zeit vernachlässigt wurden. Erst die allmähliche Zunahme von Belegen hat dazu geführt, dass selbst renommierte wissenschaftliche Zeitschriften Artikel zu diesem Thema veröffentlichen. Die Autoren fassten neue und alte Erkenntnisse über die positive Beziehung zwischen parasitären Darmwürmern und der Unterdrückung von Allergien zusammen und dehnten diese Wirkung der Würmer sogar auf chronische Entzündungskrankheiten, atopische Allergien, Asthma und viele andere (Auto-)Immunerkrankungen aus. Die Forschung in diesem Bereich wird fortgesetzt und jüngste Studien stellten sogar einen nachweisbar positiven Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von Darmwürmern und einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sogar einem niedrigeren Cholesterinspiegel fest. Heutzutage gilt es daher als belegt, dass Darmwürmer eben die Antigene darstellen, die eine wichtige Schutzfunktion haben und dem Immunsystem helfen, richtig zu funktionieren. Seit Beginn unserer Existenz waren Menschen ständig von verschiedenen Würmern und anderen Parasiten befallen. Um mit diesen Schmarotzern im Körper fertig zu werden, entwickelten wir eine sehr starke Immunität, die sie vernichten oder zumindest unter Kontrolle halten sollte. Obwohl insbesondere die moderne westliche Gesellschaft kaum noch mit klassischen Parasiten konfrontiert wird, ist das Immunsystem weiterhin auf sie vorbereitet. Sehr vereinfacht könnte man sagen, dass die „Armee“ des Immunsystems, die im Laufe der menschlichen Evolution zur Bekämpfung großer Parasiten geschaffen wurde, niemanden hat, an dem sie sich ausbilden könnte, und daher nicht optimal trainiert ist und in das Abwehrsystem unseres Körpers integriert werden kann. Natürlich ist dies eine sehr vereinfachte Erklärung, aber man könnte sagen, dass die Folge des Fehlens von Parasiten genau die oben erwähnte Fehleinstellung des Immunsystems mit anschließender Entwicklung von Autoimmunerkrankungen ist. Wenn sich jedoch schon Kleinkinder mit verschiedenen Darmwürmern infizieren, können wir davon ausgehen, dass ihr sich entwickelndes Immunsystem durch die Anwesenheit dieser Parasiten auf die richtigen Ziele eingestellt wird und bei späteren Begegnungen mit anderen, mehr oder weniger harmlosen Antigenen entsprechend ihrer geringen Gefahr reagiert, keinen Fehlalarm schlägt und keine Folgeschäden am eigenen Körper verursacht.

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In einigen Fällen entschieden sich Menschen, die an bestimmten Immunstörungen leiden, sogar freiwillig, sich mit Parasiten zu infizieren. Obwohl einige dieser Experimente erstaunlich viel Aufmerksamkeit erregen, sind sie nichts Neues. Gezielte Infektionen seiner selbst oder informierter Kollegen spielen in der Geschichte der Parasitologie eine jahrelange und wichtige Rolle. Dank solcher Experimente konnten die Lebenszyklen vieler menschlicher Parasiten aufgeklärt werden. Leider wurden diese Versuche in den letzten Jahrzehnten aufgegeben, vor allem aus ethischen und rechtlichen Gründen, die sie in den meisten Ländern de facto unmöglich machen. Bevor wir auf die positiven Auswirkungen einiger Darmparasiten auf die menschliche Gesundheit näher eingehen, sind einige interessante historische Fälle von Selbstinfektionen zu erwähnen, die im Lichte der neuen Erkenntnisse über positive parasitäre Auswirkungen auf unsere Immunabwehr an Bedeutung gewinnen.

Freiwillige Infektionen mit Darmwürmern Wir beginnen die Liste mit Fällen, in denen sich der Forscher mit Entwicklungsstadien parasitärer Würmer, Helminthen genannt, infizierte. Mitte des 19. Jahrhunderts beschloss der deutsche Arzt Friedrich Küchenmeister, einen Sträfling wenige Tage vor seiner Hinrichtung zu infizieren. Er versteckte die Larven des Schweinebandwurms (Taenia solium), frisch aus dem Fleisch eines infizierten Schweins gewonnen, so raffiniert in der Wurst, dass sogar das Lob der gelungenen Henkersmahlzeit erhalten blieb. Bei der Autopsie, die einige Stunden nach der Hinrichtung durchgeführt wurde, konnten im Darm des Verurteilten frühe Stadien adulter Bandwürmer gefunden werden, die mit bereits bekannten Beschreibungen dieses Parasiten übereinstimmten. So konnte die Zugehörigkeit der Larven im Schweinefleisch zum Lebenszyklus des Schweinebandwurms nachgewiesen werden. Großen Mut bewies der amerikanische Wissenschaftler Barlow, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in China und Ägypten arbeitete. Seine Selbstinfektionsversuche mit dem Riesendarmegel (Fasciolopsis buski) aus der Gruppe der Saugwürmer (Abb. 9.5) führten zu zwei wesentlichen Ergebnissen. Nach wiederholtem Verzehr von insgesamt fast 40 adulten, mehrere Zentimeter langen Saugwürmern, gewonnen aus dem flüssigen Stuhlgang eines infizierten Chinesen (wie Barlow selbst zugab, hat er sich dazu erst in der Dunkelkammer überwinden können), fand er schließlich Eier in seinem eigenen Stuhlgang und wies damit als Erster die (sehr seltene) Möglichkeit einer Übertragung von adulten Saugwürmen unter Menschen nach.

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Abb. 9.5  Von Wasserpflanzen zu Saugwürmern. Die Saugwürmer der Gattung Fasciolopsis haben einen zweiwirtigen Lebenszyklus, der Larvenstadien, die sich in Süßwasserschnecken entwickeln, und ausgewachsene Saugwürmer (a) einschließt, die bis zu 7 cm lang werden und sich im Darm eines Wirbeltierwirts (z. B. des Menschen) aufhalten. Die Übertragung auf den Menschen findet jedoch nicht direkt durch Schnecken statt. Die von der Schnecke freigesetzten Larven bleiben an den Wasserpflanzen hängen und bilden eingekapselte Gebilde (Metazerkarien). Diese gelangen dann durch den Verzehr verschiedener Salate und Mischungen ungekochter Pflanzen wie Lotus (b) oder Wassernüsse (c) in den Wirt. Auf ähnliche Weise wird auch der Große Leberegel übertragen, ein früher auch hierzulande weit verbreiteter Parasit des Menschen. (Quelle: a, c, Jana Bulantová; b, Iva Kolářová)

Einige Jahre später verschluckte der Experimentator in einem weiteren Versuch Hunderte von Larvenstadien dieses Saugwurms, freigesetzt von im Labor gezüchteten Schnecken, und fand nach einiger Zeit wieder Eier in seinem eigenen Stuhlgang, womit er die Übertragung von Saugwürmern auf Menschen über ihre Larvenstadien (Metazerkarien) nachweisen konnte, die unter natürlichen Bedingungen an Wasser- oder Küstenvegetation festsitzen. Barlow fand offenbar Gefallen an dieser Art von Experimenten, denn während des Zweiten Weltkriegs infizierte er sich, bereits als alternder Mann, absichtlich mit Hunderten von Larven (Zerkarien) des hoch pathogenen Saugwurms Schistosoma haematobium (Gattung der Pärchenegel), die er dann in seinem Körper von Ägypten in die USA transportierte. Dort versuchte er (glücklicherweise erfolglos) amerikanische Schnecken anzustecken, um den Lebenszyklus der Würmer zu vervollständigen, und beschrieb darüber hinaus über mehrere Jahre hinweg die aufkommenden

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Symptome der Krankheit, Bilharziose genannt, einschließlich der ersten dokumentierten Funde von Saugwurmeiern im Sperma. Aus der Literatur sind eine Reihe weiterer Fälle freiwilliger Infektionen mit verschiedenen parasitären Würmern bekannt, die häufig aus dem Kot infizierter Zooaffen stammen. Ähnliche Versuche haben es unter anderem ermöglicht, das Wirtsspektrum dieser Parasiten zu bestimmen. Erwähnenswert ist die wunderliche Entscheidung des Experimen­ tators Wang, der sich selbst, seine Frau und seinen Sohn mit einem Fadenwurm aus der Gruppe der Filarien (Brugia malayi) infizierte und nicht zögerte, die Infektion seiner Familie über Jahrzehnte hinweg zu dokumentieren. In Tschechien schreckte der Parasitologe Dr. Štěrba nicht vor einer Infektion mit dem Rinderbandwurm (Taenia saginata) zurück und hinterließ einen detaillierten Bericht über die zweijährige Infektion, einschließlich einer so ungewöhnlichen Beobachtung wie der Freisetzung eines mehrere Meter langen Individuums und dessen Ausscheidung während des Stuhlgangs unmittelbar nach starkem Alkoholkonsum. Ein beliebtes Objekt zur Selbstinfektion ist der meterlange Fischbandwurm (Dibothriocephalus latus; früher Diphyllobothrium latum, Abb. 9.6). Derzeit sind mehrere Forscher bekannt, die diesen Bandwurm beherbergen (darunter einer der Autoren dieses Texts). Sie bestätigen einhellig das a

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Abb. 9.6  Ein Monster von 20 m. Bandwürmer der Gattung Dibothriocephalus leben als ausgewachsene Tiere (a) im Darm verschiedener Säugetiere und Vögel, beim Menschen gehört der Fischbandwurm zu den längsten überhaupt (manchen Schätzungen nach ist er bis zu 20 m lang). Es handelt sich um Parasiten, die einen Lebenszyklus mit drei Wirten durchlaufen, wobei der erste Zwischenwirt ein Wasserkrebs ist, der zweite Zwischenwirt ein Fisch und der dritte (endgültige) Wirt ein Vogel oder Säugetier, das rohen Fisch isst. In Fischen (meist im Muskel) befinden sich weißliche, infektiöse Larven (b), die recht unauffällig sind (in der Abbildung mit einem Pfeil markiert). Infektionen des Menschen werden aus verschiedenen Ländern der Welt gemeldet, in denen traditionell rohes oder nicht ausreichend gegartes Fischfleisch als Delikatesse angeboten wird, darunter auch aus europäischen Ländern (Baltikum und Skandinavien, Schweiz, Deutschland, Italien usw.). (Quelle: Roman Kuchta)

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Fehlen jeglicher negativer Symptome, einschließlich der Avitaminose, eines Syndroms, das stereotypisch von einem Lehrbuch ins andere übertragen wird, obwohl es vor vielen Jahrzehnten nur bei einem verschwindend geringen Prozentsatz der Infektionen beschrieben wurde. Nur bei einer massiven Infektion mit diesem Bandwurm können gesundheitliche Beschwerden auftreten. Zu diesen Fällen gehört der gleichzeitige Verzehr von sieben Larvenstadien dieses Bandwurms durch den Russen Tarasov, der nach einer mehrmonatigen Infektion Bauchschmerzen, Gewichtsverlust und allgemeine Schwäche verspürte, was ihn dazu veranlasste, alle Bandwürmer mit einer Gesamtlänge von 38 m in einem Zug zu entfernen. Etwa eine Milliarde Menschen sind mit dem Spulwurm  (Ascaris lumbricoides) infiziert, was russische Wissenschaftler veranlasste, die Infektiosität seiner Eier zu testen. Mitglieder des Teams von Prof. Brudastov zeigten durch Experimente an sich selbst, dass selbst zehn Jahre alte Eier aus Bodenproben weiterhin infektiös sind. Eine recht absurde Geschichte mit diesem Fadenwurm spielte sich an einer amerikanischen Universität ab, wo ein Parasitologiestudent seine unbeliebten Mitbewohner absichtlich mit Spulwürmern infizierte. Aufgrund einer extremen allergischen Reaktion (die bei diesem Parasiten nicht ganz unüblich ist) erkrankten drei Studenten schwer, sodass die Behörden den Verursacher wegen versuchten Mordes anklagten. Vor Gericht wurde die Anklage letztendlich revidiert, da bei den kranken Studenten keine ausgewachsenen Spulwürmer gefunden wurden, de facto die Mordwaffe, und der Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe und der Exmatrikulation davon kam.

Freiwillige Infektionen mit Einzellern Der Mut (und aus heutiger Sicht das unethische Verhalten) klassischer Parasitologen kannte keine Grenzen, wie am Beispiel zweier Deutscher offensichtlich ist, die an der Erforschung der Schlafkrankheit arbeiteten. Taute und Huber infizierten sich und 131 Eingeborene mit Trypanosomen, den mutmaßlichen Erregern der Erkrankung, die aus dem Blut von Eseln, Pferden und Hunden gewonnen wurden. Die Engländer Corson und Lester verfolgten einen ähnlichen Ansatz und gaben sogar eine Menge von zehn Millionen Flagellaten pro Infektion an. Glücklicherweise traten zur Überraschung der Forscher keine Infektionen auf, was sie zu dem Schluss brachte, dass es morphologisch nicht unterscheidbare Unterarten von Trypanosomen gibt, von denen die einen Tiere und die anderen Menschen infizieren. Interessanterweise wurden die Ergebnisse dieser Feldstudien,

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die vor und während des Ersten Weltkriegs in Zentralafrika durchgeführt wurden, während einer Sitzung der Englischen Gesellschaft für Epidemiologie intensiv diskutiert, von der ein ausführliches Protokoll erhalten blieb. Die Londoner Wissenschaftler stellten nicht die Infektionen der uninformierten Einheimischen infrage, wohl aber die Methode zum Nachweis der Infektionen und andere Aspekte. Im Nachhinein ist eines klar: Obwohl es sich um ethisch inakzeptable Experimente handelte, waren die erzielten Ergebnisse von grundlegender Bedeutung für unser heutiges Verständnis der Schlafkrankheit beim Menschen und der Nagana bei Rindern und konnten damals mit keiner anderen Methode erreicht werden. Mindestens ebenso wichtig waren die Versuche zur Entdeckung der Malariaüberträger. Ihr Held war der schottischer Arzt Patrick Manson und seine Kollegen, die sich mit Plasmodien infizierten, die zur sogenannten Malaria tertiana führen. Zu diesem Zweck ließ Manson Stechmücken der Gattung Anopheles, die zuvor in Rom an einem Malariapatienten gesaugt hatten, nach London transportieren. Bis zum Zweiten Weltkrieg erkrankten jährlich Hunderttausende von Italienern an Malaria, sodass der Nachweis der Übertragung auf Manson von historischer Bedeutung war. Der Deutsche Wilhelm Schüffner führte ähnliche Experimente durch, nur mit einer anderen Malariaart, und weitere Forscher infizierten sich selbst sogar erfolgreich mit Malaria von Makaken. Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts war den Parasitologen klar, dass einige Amöben schwere Krankheiten verursachen, während andere, von ihnen morphologisch nicht unterscheidbare Amöben, völlig harmlos sind. Im Selbstversuch wollte der junge deutsche Biologe Fritz Schaudinn den Unterschied zwischen der krankheitserregenden Entamoeba histolytica und der harmlosen Entamoeba dispar nachweisen. Leider nahm dieses Experiment ein tragisches Ende, denn Schaudinn erlag im Alter von 35 Jahren einer weitreichenden Infektion durch E. histolytica. Es ist bemerkenswert, dass selbst das Schicksal seines unglücklichen Kollegen den Mitarbeiter Albert Westphal nicht von einer Selbstinfektion abhielt, bei der er den Grad der Pathogenität verschiedener Isolate von E. histolytica erforschte, was in seinem Fall glücklicherweise nur zu schweren Durchfällen führte. Die meisten Selbstinfektionen fanden in relativ ferner Vergangenheit statt, dagegen bringt die Gegenwart vollkommen neue Forschungsmethoden mit sich. Das Ablesen der genetischen Information von Organismen, einschließlich der im menschlichen Körper lebenden Mikroben, ist in den letzten Jahren immer schneller, billiger und leichter zugänglich geworden. Die meisten Mikroorganismen konnten jedoch bisher nicht kultiviert werden, weshalb sie für die traditionelle bakterio-

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logische Forschung völlig unzugänglich geblieben sind. Die methodischen Fortschritte in der Molekularbiologie haben diese große Einschränkung beseitigt und nun es ist möglich, alle Organismen zu identifizieren, die sich in unserem Verdauungstrakt, auf der Haut oder in Körperhöhlen befinden. Die derzeitige dynamische Forschung trägt somit dazu bei, das menschliche Mikrobiom zu definieren, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, insbesondere der Bakterien, die in unserem Körper leben. Aufgrund grundlegender und oft sehr überraschender Ergebnisse zögern viele Wissenschaftler und Ärzte nicht, es als „neues Organ“ zu bezeichnen.

Das Mikrobiom Die Erforschung der Anwesenheit aller Arten von Mikroben im menschlichen Körper hat zur Entdeckung enger und vielfältiger Beziehungen zwischen unserer Gesundheit und diesen Mitbewohnern geführt. Es gilt inzwischen als erwiesen, dass Atherosklerose, Diabetes mellitus Typ 1, Autismus, Nahrungsmittelallergien, Asthma, Zöliakie, das metabolische Syndrom und entzündliche Darmerkrankungen aller Art auf die eine oder andere Weise mit dem Zustand des Mikrobioms zusammenhängen. Erst in den letzten Jahren gewonnene Ergebnisse zeigen beispielsweise einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Art der mikrobiellen Darmflora (die während der Geburt erworben wir und, wie auch mitochondriale DNA, fast ausschließlich von der Mutter stammt) und der Neigung zur Fettleibigkeit. Im menschlichen Mikrobiom wurden nämlich Bakterienarten entdeckt, die in engem Zusammenhang mit der Schlankheit bzw. Fettleibigkeit ihrer Träger stehen. Als beispielsweise bisher völlig unbekannte Bakterien aus der Gruppe Christensenellaceae experimentell in Mäuse eingebracht wurden, zeigten diese bei unveränderter Nahrung eine signifikante Gewichtsabnahme, was die genannten Mikroben zu erstklassigen Kandidaten für „schlankmachende“ Probiotika macht. Obwohl zu gelten scheint, je vielfältiger das Mikrobiom, desto besser, ist die Rolle einiger seiner Bestandteile nach wie vor höchst umstritten. Am besten ist der Fall des heimtückischen und weit verbreiteten Magenbakteriums Helicobacter pylori untersucht, das unter anderem nachweislich an der Entstehung von Magenkrebs beteiligt ist. Es hat daher den Status eines krebserregenden Stoffs oder Karzinogens und für diese Entdeckung wurde der Nobelpreis verliehen. Seine vollständige Ausrottung und Ausmerzung, sofern möglich, wurden damals als logisches Ziel angesehen. In letzter Zeit zeigt sich jedoch, dass die Rolle von H. pylori nicht eindeutig

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negativ ist. Eine Reihe von Studien bewies nämlich, dass dieses Bakterium vor einer Infektion mit einem anderen sehr gefährlichen Bakterium schützt, dem Erreger der Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis). Einfach ausgedrückt: Menschen, die mit H. pylori infiziert sind, haben eine stärkere Immunreaktion auf andere Bakterien und daher ein geringeres Risiko, an Tuberkulose oder schwerem Durchfall zu erkranken. H. pylori ist ein typisches Beispiel für Dr. Jekyll und Mr. Hyde und zeigt die sehr verschiedenen Rollen, die einzelne Mikroorganismen in dem komplexen Ökosystem unseres Mikrobioms spielen können. Die Situation ist jedoch wahrscheinlich noch viel komplizierter und die guten oder schlechten Eigenschaften des Mikrobioms hängen wahrscheinlich auch von der genetischen Ausstattung des Wirts ab, wie in jüngsten Studien festgestellt wurde.

Das Eukaryom So wie der Begriff „Mikrobiom“ die evolutionär primitiveren Prokaryoten, also Bakterien, bezeichnet, so ist der exotische Begriff Eukaryom die Bezeichnung für die Gesamtheit aller evolutionär höher entwickelten Bewohner unseres Körpers. Obwohl sich die meisten Studien der im menschlichen Verdauungssystem lebenden Organismen bisher auf ihre mikrobielle, das heißt bakterielle Komponente konzentrierten, beginnen sich die Wissenschaftler in jüngster Zeit auch mit den evolutionär fortgeschritteneren eukaryotischen Vertretern zu befassen. Für ihre gemeinsame Bezeichnung wurde der Begriff Eukaryom eingeführt, der vor allem Pilze, Protozoen und parasitische Würmer, genannt Helminthen, umfasst. Ganz allgemein kann man sagen, dass in den Körpern der Bevölkerung wirtschaftlich entwickelter Länder immer weniger Eukaryoten leben. Die einzige Ausnahme bilden vielleicht Pilze, deren Anzahl zwar nicht abnimmt, deren  Artenreichtum und damit Vielfalt aber  deutlich zurückgehen. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass der Rückgang von Einzellern und Helminthen durch eine Zunahme von Pilzen ausgeglichen wird, die anscheinend die frei gewordenen Plätze einnehmen. Die weitreichenden Veränderungen unseres Mikrobioms und Eukaryoms sind höchstwahrscheinlich das Ergebnis eines hohen Hygienestandards, der Prävalenz von Chemikalien in der Umwelt und einer Gesundheitskampagne, die auf die Ausrottung aller Organismen drängt, die als Parasiten des Menschen gelten, darunter der Pilz Blastocystis, der Darmeinzeller Giardia intestinalis und jegliche Arten von Darmwürmern. So ist der Prozentsatz

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infizierter Menschen in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen und Parasiten sind aus der städtischen Bevölkerung praktisch verschwunden. Infolge dieser Entwicklung verändert sich auch die Zusammensetzung des Darmmikrobioms, das durch eine allmähliche Verringerung der mitgestaltenden Artenzahl gekennzeichnet ist. Verschiedene Studien zeigten, dass die Zusammensetzung des menschlichen Mikrobioms zum Beispiel zwischen geografisch weit voneinander  entfernt lebenden  Bewohnern des Amazonasregenwalds und Dorfbewohnern im afrikanischen Malawi vergleichbar ist, während sich das Mikrobiom der städtischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten von beiden Populationen in Bezug auf die Zusammensetzung der dominanten Arten und insbesondere die geringere Artenvielfalt unterscheidet. Laufende globale Veränderungen im menschlichen Mikrobiom werden heutzutage mit dem Auftreten bisher seltener (meist Autoimmun-)Krankheiten in Verbindung gebracht. Beispiele für Erkrankungen, die in den westlichen Ländern auf dem Vormarsch sind, sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, deren Prävalenz im letzten halben Jahrhundert um das 40-Fache zugenommen hat. Es handelt sich dabei um chronisch entzündliche Darmerkrankungen, deren Ursache unklar ist. Der ursprünglich angenommene genetische Hintergrund konnte nicht nachgewiesen werden und inzwischen gilt eine Autoimmunerkrankung als sehr wahrscheinlich. Und Wissenschaftler stellten tatsächlich einen kausalen Zusammenhang fest: Erwachsene, die im Kindesalter übertrieben säuberlich waren, litten häufiger an dieser Krankheit. In Ländern, in denen Großteile der Bevölkerung von Darmwürmern befallen sind, kennt man diese chronischen Entzündungen nicht, während die reichen nordischen Länder mit einem hohen Hygienestandard und einer fast vollständigen Ausrottung von Darmparasiten die höchste Inzidenz dieser Krankheiten aufweisen. Wir können daher davon ausgehen, dass die Prävalenz von Morbus Crohn und anderen Autoimmunerkrankungen eng mit dem Fehlen von Darmhelminthen zusammenhängt. Um die Ursachen zu verstehen, müssen wir, zumindest in der einfachsten Form, die wahrscheinlichen Immunprozesse beschreiben, die mit dem oben genannten Zustand verbunden sind. Die Immunreaktion auf anwesende Parasiten lässt sich vereinfacht in zwei Typen unterteilen, TH1 und TH2. Diese beiden Arten hemmen sich in ihrer Wirkung gegenseitig; am besten stellt man sie sich als Wippe vor – wenn der eine oben ist, muss der andere unten sein. Die Anwesenheit von Helminthen im Darm löst immer eine TH2Reaktion aus, wodurch die TH1-Zellen unterdrückt werden. Und eben die übermäßige Wirkung von TH1 verursacht eine Autoimmunentzündung des

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Darms. Dank der Forschung an Mäusen und Ratten, die mit bestimmten Darmwürmern infiziert waren, gilt dieser Zusammenhang mittlerweile als erwiesen. Das belegen auch Fälle von Morbus-Crohn-Patienten, bei denen die konventionelle Behandlung bereits völlig unwirksam war. Diese Patienten wurden experimentell mit Eiern des Peitschenwurms infiziert. Es handelt sich um einen weißlichen und sehr typisch geformten Fadenwurm. Der vordere, schmalere und längere Teil des Körpers, der nur etwa 0,1 mm breit ist, liegt in die Darmschleimhaut des Wirts eingetaucht, von wo aus er Nährstoffe aufnimmt. Bei der Auswahl eines geeigneten therapeutischen Helminthen stützten sich die ersten Forscher (Elliott, Summers und Weinstock) auf die Erfahrungen von Schweinehaltern und die Ähnlichkeiten zwischen Schweine- und Menschenparasiten. So fiel die Wahl auf den Schweinepeitschenwurm (Trichuris suis), dessen natürliche Wirte Schweine sind und der eng mit dem menschlichen Peitschenwurm (Trichuris trichiura, Abb. 9.7) verwandt ist, einem früher häufigen Parasiten der menschlichen Bevölkerung in Industrieländern. Aus epidemiologischer und medizinischer Sicht ist es wichtig, dass der Schweinepeitschenwurm im menschlichen Körper nicht in der Lage ist, seine Entwicklung abzuschließen, und somit keine Gefahr der Ausbreitung und Ansteckung anderer Menschen besteht. Gleichzeitig ist der Wurm jedoch sehr erfolgreich darin, eine Immunreaktion im menschlichen Darm anzuregen, sodass die Zahl der TH2-Zellen steigt. Es folgt die Verringerung der TH1-Komponente, die für Morbus Crohn verantwortlich ist. Heutzutage sind Eier dieses Parasiten schon im Handel erhältlich und können in Europa von spezialisierten Unternehmen erworben werden. Es handelt sich jedoch um eine relativ seltene (und teure) Behandlung. Die Gründe dafür sind vielfältig: hohe Kosten der Eizellen, die Notwendigkeit wiederholter Infektionen im Abstand von mehreren Wochen und die eher skeptische Meinung der medizinischen Fachgemeinschaft. Obwohl die oben genannte Behandlung auf dem US-amerikanischen Markt nicht offiziell zugelassen ist, sind hier mindestens drei Arten von menschlichen Darmwürmern erhältlich, nämlich der Bandwurm Hymenolepis diminuta und zwei Arten von Fadenwürmern, Necator americanus und Ancylostoma duodenale. Während Bandwürmer bereits offiziell erhältlich sind, gilt die Verbreitung dieser Fadenwürmer als illegal, und so lassen sich amerikanische Patienten in Kliniken in Mexiko infizieren. Das Internet quillt über vor Beschreibungen klinischer Erfahrungen dieser Patienten, die angeben, Necator hätte ihre Allergien oder ihr Asthma stark gelindert, obwohl sie auch die unangenehmen Symptome erwähnen, die mit einer absichtlichen Infektion mit diesem Parasiten verbunden sind.

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Abb. 9.7  Peitschenwürmer: gut oder böse? Peitschenwürmer (Gattung mit wissenschaftlichem Namen Trichuris oder manchmal Trichocephalus ) sind Fadenwürmer im Darm von Säugetieren, deren Körper durch einen eingerollten Schwanz der Männchen gekennzeichnet ist (a). Der Körper der Peitschenwürmer gliedert sich in einen dünnen vorderen und einen dicken hinteren Teil. Der Vorderteil ist in die Darmschleimhaut (Epithel) getaucht, während der Hinterteil frei in die Darmhöhle ragt. Die Weibchen (b) können so problemlos Eier (c) produzieren, die mit dem Kot in die Umwelt gelangen. Wenn sich im Ei eine infektiöse Larve entwickelt, wird das Ei zu einer Infektionsquelle für weitere Wirte, die es versehentlich zusammen mit kontaminierter Nahrung aufnehmen. Der Lebenszyklus ist also direkt. Der Peitschenwurm (T. trichiura) ist einer der häufigsten Parasiten des Menschen, da Schätzungen von mindestens 600 Mio. Infektionen weltweit ausgehen, vor allem in den Tropen und Subtropen. Die an Schweinen parasitierende Art T. suis wird derzeit als experimentelles Mittel zur Behandlung chronischer Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen (z. B. Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn) getestet. (Quelle: Jana Bulantová)

Während der potenzielle Einsatz von Helminthen bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen des Darms nur eine relativ kleine Anzahl von Menschen betreffen würde, würden andere therapeutische Anwendungen, die den Einsatz lebender Fadenwürmer (oder anderer Helminthen) zur Krebsbekämpfung in Betracht ziehen, bei Patienten und Ärzten sicherlich auf viel größeres Interesse stoßen. Der russische Veterinärparasitologe V. Britov widmete den Großteil seines Berufslebens Trichinen und zu seinen Ehren wurde eine Art dieser Fadenwürmer auch nach ihm benannt – Trichinella britovi. Trichinen sind parasitische Fadenwürmer mit

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einem sehr eigenartigen Lebenszyklus. Die adulten Tiere leben im Darm ihrer Wirte, wo sie sich auch vermehren und lebende Larven ablegen. Die dringen durch die Darmwand und lassen sich mit dem Blut in die Muskulatur transportieren, wo sie sich festsetzen und darauf warten, vom nächsten Wirt zusammen mit dem Muskelgewebe gefressen zu werden. Trichinen können daher bei ihrem Wirt zunächst eine Darm- und dann eine Muskelerkrankung namens Trichinellose hervorrufen. Der Verzehr einer großen Anzahl von Larven kann unbehandelt zum Tod der infizierten Person führen. Während seiner Arbeit stellte Britov fest, dass keines der an Trichinellose erkrankten Tiere Tumoren entwickelte. Er begann daher, dieses Phänomen experimentell zu testen und zu verifizieren; zunächst an Tieren, aber 1998 führte er den ersten Versuch an einem Patienten mit Hauttumor durch. Es folgte eine Reihe weiterer Experimente und Britov kam schließlich zu dem Schluss, dass Trichinen antitumorale Wirkungen haben und Tumoren wahrscheinlich unterdrücken, indem sie die richtigen Abwehrzellen des Immunsystems im Wirtskörper stimulieren. Der sogenannte Britov-Impfstoff, der darauf beruht, lebende TrichinellaLarven zu verabreichen, wurde nach und nach in den USA, Asien und Europa patentiert. Er wurde jedoch nie im Labor, präklinisch oder klinisch getestet, sodass leider noch nicht endgültig feststellbar ist, ob er wirklich therapeutisch wirkt. In letzter Zeit bestätigen jedoch immer mehr Studien die Wirkung von Helmintheninfektionen auf die Unterdrückung verschiedener sich entwickelnder Tumoren, sodass diese Art der Nutzung von Parasiten in der Medizin zukünftig sehr vielversprechend erscheint. Die obige Beschreibung einer „Behandlung mit Parasiten“ ist jedoch nichts Neues. Schon in der Vergangenheit hat man versucht, das Prinzip „den Teufel durch den Beelzebub austreiben“ anzuwenden. So erhielt beispielsweise der österreichische Neurologe und Psychiater Julius WagnerJauregg Anfang des 20. Jahrhunderts den Nobelpreis für die Behandlung von Syphilispatienten mit progressiver Paralyse durch den Einzeller Plasmodium, der bei den Patienten Malaria verursachte. Das Fieber, das die fortschreitende Malaria begleitet, zerstört das Bakteriun Treponema pallidum, den Verursacher von Syphilis. Diese recht bizarre Therapie wurde bis zur Entdeckung von Antibiotika angewandt. Interessante Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hatte auch die Ausrottung von Malaria in Ländern, in denen sie ursprünglich vorkam. Im Laufe der Zeit nahm die Häufigkeit von multipler Sklerose in einigen Gebieten nachweislich zu. Es scheint recht paradox, aber der Grund dafür liegt zum Teil in der genetisch bedingten erhöhten Produktion eines immunologischen Signalmoleküls namens TNF (tumor necrosis factor,

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Tumornekrosefaktor), mit dessen Hilfe unser Körper erfolgreich Malaria bekämpft, das in größeren Mengen aber auch multiple Sklerose und andere schwere Autoimmunerkrankungen auslösen kann. Die Verwendung des Malariaparasiten wird auch zur Behandlung von Psoriasis oder rheumatoider Arthritis erwogen. Zudem laufen auch sehr ermutigende Versuche mit einer kleinen Zahl von Multiple-SklerosePatienten, die mit dem BCG-Impfstoff (BCG für Bacillus Calmette-Guérin) geimpft wurden, dem abgeschwächten Bakterium Mycobacterium bovis, das bisher nur zur immunologischen Vorbeugung von Tuberkulose verwendet wurde. Die genannten Beispiele zeigen, dass die gezielte Infektion von Patienten mit verschiedenen Parasiten – von Bakterien bis hin zu Darmwürmern – eine hoch wirksame Behandlung vieler Immunerkrankungen sein kann, die auf dramatische Veränderungen des menschlichen Mikrobioms und Eukaryoms zurückzuführen sind. Frühere Generationen von Ärzten und Parasitologen eliminierten erfolgreich die meisten menschlichen Parasiten, die nachweislich der Gesundheit schaden. Die aktuelle Forschung zeigt jedoch eine sehr viel komplexere Bedeutung von Parasiten für die menschliche Gesundheit. Die Pathogenität und schädliche Auswirkungen von Einzellern und Helminthen im Darm sind wahrscheinlich geringer als bisher angenommen. In vielen Fällen handelt es sich vielmehr um nahezu harmlose Mitbewohner, die natürlicher Bestandteil des Verdauungssystems sind und den Menschen seit Millionen von Jahren begleiten. Außerdem stimulieren sie das menschliche Immunsystem, das in ihrer Abwesenheit dazu neigt, andere Ziele zu suchen, zu denen leider auch die eigenen Zellen zählen können. Diese unglückliche Eigenschaft unseres Immunsystems ist für die starke Zunahme vieler oft schwerer Autoimmunkrankheiten verantwortlich, Krankheiten, die in Ländern mit einer hohen Prävalenz von Würmern und anderen Darmparasiten in der menschlichen Bevölkerung fast unbekannt sind. Es ist daher zu erwarten, dass ausgewählte, fast ausgestorbene parasitäre Arten in naher Zukunft dem Menschen als „Medikament“ wieder verabreicht werden. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Rolle von Parasiten in der belebten Natur ambivalent ist. Einerseits schaden sie ihren Wirten in vielerlei Hinsicht, andererseits bedingt ihr Wirken auch viele positive Phänomene in der evolutionären Entwicklung und in vielen spezifischen Fällen, die derzeit von der menschlichen Gesellschaft genutzt werden. Nur dank ihnen entstanden in der Evolutionsgeschichte des Lebens Endosymbionten in Form von Mitochondrien, ohne die keine eukaryotische Zelle auskommen könnte. Dank der Parasiten folgten Mehrzelligkeit,

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sexuelle Fortpflanzung und die Fähigkeit, Schönheit wahrzunehmen. Ohne diese Phänomene können wir uns unser Leben gar nicht vorstellen. Parasiten spielen auch eine Schlüsselrolle im Funktionieren aller Ökosysteme und natürlicher Gemeinschaften. Ohne sie wäre die Welt kein so interessanter und vielfältiger Ort zum Leben. Wir setzen Parasiten auch in der biologischen Schädlingsbekämpfung ein und ihre Dienste bringen uns unschätzbaren ökonomischen Gewinn. Nicht zuletzt lassen sich Parasiten auch in bestimmten medizinischen Verfahren einsetzen und ihre Zukunft ist in dieser Hinsicht sehr optimistisch.

Exkurs: Parasiten in der „Kunst“ Josef Chalupský Das Wort „Kunst“ steht absichtlich in Anführungszeichen, weil dieses Wort zur Beschreibung großer Kunst verwendet wird. In den folgenden Abschnitten werden wir uns auf die visuelle oder verbale Kunst beziehen, aber auch weniger „große“ Kunst in Form von Briefmarken, Witzen usw., also angewandter Kunst, vorstellen (Abb. 9.8 und 9.9). Beginnen wir mit der bildenden Kunst. Läuse plagen die Menschen seit jeher. Neben den Filz- oder Schamläusen gibt es zwei weitere, kaum zu unterscheidende Arten von Läusen auf unserem Körper, nämlich die von Carl von Linné treffend als Kopflaus benannte Laus (Pediculus capitis) und die Kleiderlaus, die dem älteren lateinischen Namen Pediculus vestimenti entspricht, obwohl wir heute eher den Namen Pediculus humanus verwenden. Die Kleiderlaus ist viel weniger verbreitet, obwohl sie als Überträger des Fleckfiebers viel gefährlicher und daher aus gesundheitlicher Sicht wichtiger ist. Meistens haben wir jedoch mit Kopfläusen zu tun und haben immer versucht, sie auf jede Weise loszuwerden. Das „Lausen“ oder „Entlausen“ haben gleich mehrere bildende Künstler dargestellt. Es ist sogar eine wissenschaftliche Studie über das „Entlausen“ in Gemälden holländischer Meister aus dem 17. Jahrhundert erschienen. Zwei der schönsten Gemälde sind erwähnenswert – von dem flämischen Maler Jan Siberechts (1662, Abb. 9.10) und von dem Italiener Bartolomeo Pinelli (1816). Und als Ergänzung sei noch eine sehr originelle Darstellung erwähnt, ein Holzschnitt (fälschlicherweise als Holzstich bezeichnet) aus dem Hortus sanitatis (1491), einer lateinischen Übersetzung eines Teils ursprünglich deutschsprachigen Enzyklopädie, die einige Jahre zuvor in Mainz gedruckt worden war (Abb. 9.11). Auf sie wird im folgenden Text Bezug genommen.

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Abb. 9.8  Parasiten auf Fahnen und Flaggen. Seit der Antike ist die Darstellung verschiedener naturalistischer Motive auf Wetterfahnen und Flaggen üblich. Die gängigsten und häufigsten Motive waren Raubvögel und -tiere, wie die Staatswappen der Tschechischen Republik, Österreichs, Deutschlands und vieler anderer Länder zeigen. Später wurden diese Embleme in die Gemeindesymbole und -wappen aufgenommen und so findet sich im aktuellen tschechischen Register unter den 4500 Gemeindewappen eine Reihe von Darstellungen verschiedener Pflanzen und Tiere. Aufgrund ihrer geringen Popularität und der allgemeinen Ablehnung werden Parasiten jedoch nur sehr selten auf ihnen gefunden. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Die Symbolik der Stechmücke (a) wird von der Gemeinde Komárov-Opava verwendet (Gemeindewappen verliehen am 8. Oktober 2001). Die Gemeinde Milenov (Kreis Přerov) führt in ihrem Wappen (verliehen am 22. November 2001) und auf ihrer Flagge eine weiße Mistel (c). Bei Bayreuth gibt es den Ort Mistelgau, der nicht nur im Namen, sondern auch auf dem Stadtwappen eine Mistel führt. Andernorts ist nicht der Parasit selbst abgebildet, wie im Wappen der Gemeinde Bítovany (Region Pardubice; verliehen am 29. April 2010), welches das Symbol der Wasserpflanze Wassernuss (b) zeigt, auf deren Früchten und Blättern sich häufig infektiöse Stadien von Saugwürmern ansiedeln, die dann von Menschen und anderen Wirten verzehrt werden. (Quelle: Wikimedia)

Ebenso unangenehme Weggefährten des Menschen waren Flöhe. Wie Läuse waren auch Flöhe auf den Gemälden nicht direkt zu sehen, stattdessen suchten sie charmante Damen an sich selbst, zum Beispiel auf den Gemälden „Zwischen Elf und Zwölf“ (Lefmann 1880) oder „Auf der Suche nach dem Unsichtbaren“ (Mitte des 19. Jahrhunderts). Aber es gibt noch mehr ähnliche, noch verlockendere, halb entblößte Damen, die dieser Tätigkeit nachgehen. Im Hortus sanitatis sind Flöhe direkt abgebildet! Und zwar sehr schön! Der schöne Eindruck von Flohbildern wird vielleicht nur durch das „blutige“ Bild mit einem schrecklichen Floh des Portugiesen Amandio Silva (1949) gestört, mit dem Untertitel „Der Teufelsfloh saugt die Seelen der Ungläubigen aus“. Modern ist auch der Holzschnitt von Raoul Dufy (Abb. 9.16) zu einem Gedicht von Guillaume Apollinaire. Dieses Kapitel

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Abb. 9.9  Parasiten in Symbolik und Wahrzeichen. Das vielleicht berühmteste Symbol der Medizin und Pharmazie ist der Äskulapstab (a), um den sich eine Schlange windet. Äskulap (griech. Asklépius, Ἀσκληπιός ) war der antike römische Gott der Medizin, der die Gabe besaß, alle Krankheiten zu heilen und die Toten auferstehen zu lassen. Einer Theorie zufolge ist es jedoch keine Schlange, die sich um den Stab windet, sondern ein parasitärer Wurm, der Medinawurm, der traditionell aus dem Unterhautgewebe der Patienten entfernt wird, indem man ihn vorsichtig auf ein Holzstück aufwickelt. Bei anderen, moderneren Symbolen haben sich die Schöpfer bereits direkt von der reichen Welt der Parasiten inspirieren lassen. So wurden das ektoparasitäre Wimperntierchen Trichodina (b) und der endoparasitäre Große Leberegel (c) in das Emblem des Instituts für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und des Instituts für Parasitologie der Akademie der Wissenschaften der Slowakischen Republik aufgenommen. Im Logo der Protozoologischen Sektion der tschechischen Parasitologischen Gesellschaft finden wir das Protozoon Trypanoplasma (d), während die Helminthologische Sektion das Köpfchen des Finnenstadiums eines Bandwurms, eingeschlossen in eine Zyste (e), gewählt hat. Das Brünner Institut für Parasitologie der Veterinärmedizinischen Fakultät der VFU verfügt über eine interessante grafische Darstellung der Kokzidien (f). (Quelle: Archiv der Autoren)

kann mit den ziemlich ansprechenden Stechmücken aus dem Hortus sanitatis abgeschlossen werden. Einige Darstellungen bereits rein enzyklopädischer Natur können nicht anders als Kunst bezeichnet werden. Jeder kennt den Niederländer Antoni van Leeuwenhoek als den Erfinder des Mikroskops. Die Linsen, die er selbst bis zur Perfektion geschliffen hatte, erlaubten ihm, ungeahnte, mikro-

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Abb. 9.10  Läuse und Flöhe in der bildenden Kunst. Viele der Bilder, die aus vergangenen Zeiten überliefert sind, zeigen nicht unbedingt die Parasiten selbst, sondern vielmehr die Verfahren und Praktiken, mit denen sich die Menschen dieser lästigen Gesellen entledigten. Jan Siberechts (1627–1703) war ein flämischer Landschaftsmaler. Er behandelte das Thema des Entlausens mehrfach in seinen Gemälden. Diese Szene ist Teil des Gemäldes „Der Hof“ und stammt aus dem Jahr 1662 (a). Das Original ist im Museum der Schönen Künste in Brüssel zu sehen.

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Abb. 9.11  Garten der Gesundheit. Jacob Meydenbach veröffentlichte 1485 in Mainz die erste naturkundliche Enzyklopädie Hortus sanitatis, zu Deutsch Garten der Gesundheit. Darin beschreibt er die Welt der Pflanzen, Tiere und Steine und ihre Verwendung bei der Behandlung verschiedener Krankheiten. Das Buch ist reich illustriert mit stilisierten Bildern, von denen viele farbig angelegt sind. Zu den abgebildeten Parasiten gehören Läuse (oben links), Flöhe (oben rechts), Bremsen (unten links) und Stechmücken (unten rechts). Das Buch erlebte mehrfache Ausgaben und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. (Quelle: Wikimedia)

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 Der

spanische Barockmaler Bartolomé Esteban Perez Murillo (1617–1682) stellte neben seinen religiösen Themen auch das Alltagsleben dar. Das Gemälde „Toilette“, datiert zwischen 1670 und 1675, zeigt eine Szene der Entlausung des Enkels durch die Großmutter (b). Das Original ist in der Alten Pinakothek in München zu sehen. Ein typisches Element im Werk des niederländischen Malers Gerrit van Honthorst (1592–1656), der stark vom italienischen Maler Caravaggio beeinflusst war, war die künstliche Beleuchtung in Nachtszenen. Dies erscheint auch auf dem Gemälde „Die Flohjagd“ (c). Das Gemälde ist derzeit im Dayton Art Institute in den Vereinigten Staaten zu sehen. (Quelle: Wikimedia)

skopisch kleine Lebewesen zu sehen. Aber es war der Engländer Robert Hook, der das heute noch verwendete Mikroskop konstruierte, das aus zwei optischen Systemen besteht. In seinem Buch Micrographia (1665) zeichnete er einen Floh so perfekt, dass dies vielleicht bis heute unerreicht ist. Deshalb wird auch diese Darstellung des Flohs immer wieder gezeigt. Ebenso erstaunlich und künstlerisch wertvoll sind die Wandtafeln des deutschen Zoologen Rudolf Leuckart, die wirbellose Tiere, darunter Saugwürmer und vor allem Bandwürmer, zeigen. Wie es das Schicksal so will, wurden die Gemälde trotz aller Kriegswirren, die Deutschland durchlebte, irgendwo in einem Versteck aufbewahrt und sind nun in digitaler Form verfügbar (Abb. 9.12). Auch die Grafik ist ein Teil der bildenden Kunst. Die Bilder im Hortus sanitatis wurden mit grafischen Techniken erstellt. Darstellungen von Schmarotzern auf großen Formaten (A4 usw.) gibt es wohl gar nicht. Bei Grafiken, die als „klein“ bezeichnet werden, können wir jedoch auf Parasiten stoßen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Menschen umfangreiche Bibliotheken aufbauten und ihre Bände mit ihrem Namen versehen haben wollten. Früher klebten sie kleine Zettel ein, die Exlibris genannt wurden, nach dem lateinischen ex librīs, „aus Büchern“. Exlibris wurden oft von Künstlern angefertigt, eine Praxis, die bis heute anhält, auch wenn Exlibris ihren ursprünglichen Zweck heute völlig verfehlen und meist zu Sammlerobjekten geworden sind. Und da der tschechische Parasitologe und Akarologe Karel Samšiňák ein Sammler von Exlibris und langjähriger Vorsitzender der Gesellschaft der Sammler und Freunde von Exlibris war, können wir hier seine parasitologischen Exlibris vorstellen (Abb. 9.13). Diejenigen mit den etwas unsittlich aufgefassten Krätzmilben wurden für ihn als Kupferstich vom Schöpfer der heutigen tschechischen Banknoten, Oldřich Kulhánek, entworfen. Vom Exlibris bis zu den auf Briefmarken abgebildeten Schmarotzern ist es nur ein kleiner Schritt. Viele dieser Bilder sind auch kleine Grafiken, die durch eine der edelsten und anspruchsvollsten Kunsttechniken, näm-

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Abb. 9.12  Unterrichtstafeln des Prof. Leuckart. Prof. Karl Georg Friedrich Rudolf Leuckart (1822–1898) war ein deutscher Zoologe, der als Begründer der deutschen Parasitologie wissenschaftlichen Ruhm erlangte, weshalb die Deutsche Parasitologische Gesellschaft ihre Jahresmedaille (Rudolf-Leuckart-Medaille) nach ihm benannte. Er widmete sich hauptsächlich der Erforschung von Fadenwürmern, Trichinen und menschlichen Bandwürmern. Zwischen 1877 und 1892 fertigten Leuckart und seine Mitarbeiter eine Reihe von Unterrichtstafeln von verschiedenen wirbellosen Tieren, darunter auch parasitäre Tiere, an. (Quelle: hpsrepository.asu.edu)

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Abb. 9.13  Exlibris des Dr. Samšiňák und anderen. Dr. Karel Samšiňák (1923– 2008) war Wissenschaftler am Institut für Parasitologie der damaligen Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenbürger der tschechischen Stadt Sobotka. Er war auch ein bewundernswerter Kenner der Geschichte und der Kunst und gründete eine Kunstgalerie auf dem Šolc-Hof in Sobotka. Für seine Büchersammlung ließ er eine Reihe von Exlibris anfertigen, einige mit parasitologischen Themen. Er war jedoch bei Weitem nicht der Einzige mit diesem Hobby und so können wir das Motiv der Parasiten auf Exlibris, die aus vielerlei Ländern stammen, bewundern. (Quelle: Archiv der Autoren)

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lich den Stahlstich, in die notwendige Form gebracht wurden (Abb. 9.14 und 9.15)! Eines der frühesten Stücke dieser Art ist eine Briefmarke aus Kamerun (herausgegeben 1954), die den Franzosen Eugène Yamot zeigt, der die Schlafkrankheit in Afrika bekämpfte. Die andere ist eine italienische Briefmarke aus dem Jahr 1955 mit Giovanni Battista Grassi, der als erster den Nachweis erbrachte, dass Stechmücken Malaria auf den Menschen übertragen. Das Porträt von Yamot wird von schönen, in Stahl gravierten Tsetsefliegen flankiert. Die italienische Briefmarke zeigt dann eine zarte Mücke über einem Mikroskop. Die schwedische Briefmarke von 1962 zeigt den britischen Arzt, Parasitologen und Schriftsteller Ronald Ross, der ent-

Abb. 9.14  Parasiten auf Banknoten. Carlos Justiniano Ribeiro Chagas (1879–1934) war ein brasilianischer Arzt und Wissenschaftler, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine historisch einzigartige Entdeckung machte. Er beschrieb vollständig eine bis dahin unbekannte Infektionskrankheit, die später nach ihm benannt wurde: Er entdeckte die Erreger, fand die Überträger und beschrieb die klinischen Erscheinungsformen. Diese wichtige Figur der brasilianischen Geschichte wurde 1989 auch auf der nationalen Banknote mit dem Wert von 10.000 Cruzados abgebildet. Auf der Banknote sind neben dem Entdecker auch der Erreger der Krankheit, der einzellige Parasit Trypanosoma cruzi, und sein Überträger, die blutsaugende Raubwanze, in einem anschaulichen Zyklus dargestellt. Die Erreger und Überträger der Chagas-Krankheit sind somit die einzigen Parasiten, die es jemals auf Banknoten geschafft haben. Diese werden nun leider aus dem Verkehr gezogen. (Quelle: Iva Kolářová)

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Abb. 9.15  Fräulein, möchten Sie meine Briefmarkensammlung sehen? „Nun, verzeihen Sie meine Dreistigkeit, welche Briefmarkenmotive sammeln Sie?“ „Verehrtes Fräulein, ich habe mich spezialisiert. Ich sammle Wissenschaftler! Sie sind der Meinung, das sind alles alte Onkels – aber was sie für die Menschheit getan haben! Hier ist der Franzose Eugène Yamot (1879–1937), er entdeckte den Überträger der Schlafkrankheit, der Italiener Giovanni Battista Grassi (1854–1925) beschrieb den Lebenszyklus des menschlichen Plasmodiums. Und Sie glauben gar nicht, wie viele Briefmarken speziell der Anopheles-Mücke oder dem Kampf gegen die Malaria gewidmet sind, deren Erreger durch diese stechenden Insekten übertragen wird. Eine davon kommt sogar direkt aus der Tschechischen Republik. Ich habe auch ein paar polnische Briefmarken aus dem Jahr 1978, erschienen zum Anlass des Vierten Internationalen Kongresses der Parasitologen mit dem Motiv der Anopheles- und der Tsetsefliege. Anopheles erschien auch auf einer Reihe kubanischer Briefmarken, die der Malaria gewidmet waren, zusammen mit Plasmodium und dem Chinarindenbaum. Und sehen Sie die wunderschönen Zecken auf den mosambikanischen Briefmarken aus den 1980er-Jahren?“ (Quelle: Archiv der Autoren)

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deckte, dass die Vogelmalaria durch Stechmücken übertragen wird. Und auf brasilianischen Banknoten aus den 1980er-Jahren ist nicht nur der brasilianische Arzt Oswaldo Cruz abgebildet, nach dem Trypanosoma cruzi benannt wurde, sondern auch der schematisierte Lebenszyklus des Parasiten, der die Chagas-Krankheit verursacht. Mit der Zeit tauchten die Parasiten immer häufiger auf den Briefmarken auf. Dies wurde hauptsächlich durch zwei Umstände beeinflusst. Der erste war die Kriegserklärung gegen Malaria im Jahr 1962 durch die Weltgesundheitsorganisation unter dem Motto „World united in the fight against malaria“. Dafür wurde ein wirklich schönes Emblem geschaffen – eine Stechmücke, die mit ihren Vorderbeinen eine Weltkugel über sich hält, auf der die berühmte Äskulapschlange zu sehen ist. Postämter in mehr als 100 Ländern haben Briefmarken zu diesem Anlass herausgegeben. Aus dieser Flut können hier nur zwei Beispiele dargestellt werden. Beide wurden im Stahlstichverfahren produziert. Es handelt sich um eine französische Zweifarbenmarke, die von R. Cottet entworfen und graviert wurde, und eine jugoslawische Marke, die von B. Jakač entworfen und von V. Cvetkovic gestochen wurde. Die Erschaffer verdienen es, genannt zu werden, weil sie wahre Kunstfertigkeit bewiesen haben. Eine so perfekt dargestellte Mücke in einer typischen Saugposition ist nirgendwo sonst zu sehen. Erwähnenswert sind auch die Briefmarkenserien der ehemaligen portugiesischen Kolonien. Ihre Schöpfer haben verschiedene Mückenarten darauf abgebildet, mit sorgfältig wiedergegebenen Merkmalen, als ob sie für eine Enzyklopädie oder einen Bestimmungsschlüssel gedacht gewesen wären. Die zweite Welle der Herausgabe von Briefmarken mit Parasiten wurde durch Sammlerinteresse ausgelöst, und zwar das sogenannte thematische Sammeln. Es kann jedoch nicht behauptet werden, dass man auf Ausstellungen eine rein parasitologische Briefmarkensammlung sehen kann. Doch das ausgiebige Sammeln von Pflanzen, Insekten, Tieren usw. muss auch auf dem Gebiet der Parasitologie Spuren hinterlassen haben. In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir auch die Literatur erwähnt. Dazu gehören im weitesten Sinne des Wortes schöne Literatur, Gedichte, Opernmanuskripte, Lieder, Volksweisheiten  usw. Jean Paul Doby, Professor für Parasitologie in Rennes, war einst damit beschäftigt, alle Erwähnungen von Parasiten zu sammeln. Er sammelte so viele, dass sie zusammen mit der bildenden Kunst ein umfangreiches Buch ergaben, das in vier Teile unterteilt ist. Aber die literarischen Produkte sind selten bemerkenswert oder schön, sodass wir uns auf einige wenige Proben beschränken wollen. Zu Ehren des Bandwurms wurde ein wunderschönes Gedicht in englischer Sprache veröffentlicht, in dem der Bandwurm als

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„die Herrscherin, die Monarchin der Dunkelheit, umflossen von Nährstoffen und träumend ihren Traum“ gefeiert wird. Das Gedicht hat etwa 20 Strophen. Inzwischen hat es sich jedoch durch den Strudel der Zeit unserem Zugriff entzogen und wir müssen uns mit dieser verkürzten Einführung begnügen. Es gibt auch wenig Schönes über unsere Störenfriede, die Flöhe und Läuse, zu schreiben. Weiter oben im Text haben wir Dufys Illustration (Abb. 9.16) zu einem kurzen Gedicht von Guillaume Apollinaire erwähnt: „Flöhe, Freunde, selbst Geliebte noch, Die uns wert sind: sie sind grausam doch, Denn für sie fließt unser Blut allein. Welch ein Unglück: so geliebt zu sein.“4

Jean Arthur Rimbaud schrieb ein wunderschönes Gedicht über das Entlausen. „Die Läusesucherinnen“ lautet in der Übersetzung von K. L. Ammer wie folgt:

Abb. 9.16  Apollinaire und Dufy, 1911: Das Bestiarium oder Orpheus’ Prozession. Im Jahr 1911 veröffentlichte der französische surrealistische Dichter Guillaume Apollinaire (1880–1918) eine Sammlung von 30 kurzen Gedichten mit dem Titel Bestiarium oder Das Gefolge des Orpheus. Die Sammlung sollte ursprünglich mit Holzstichen von Pablo Picasso illustriert werden, der mit Apollinaire bereits an einer früheren Gedichtsammlung zum Thema Fabelwesen zusammengearbeitet hatte. Doch letztendlich arbeitete der französische Maler Raoul Dufy (1877–1953), ein Vertreter des Fauvismus, mit dem Dichter an dem Bestiarium, aus dem der abgebildete Floh stammt. (Quelle: Wikipedia)

4  Tschechisch:

Apollinaire, Guillome 2011. Bestiář aneb průvod Orfeův. Tišnov: Sursum. Překlad Jaroslav Bránský. Deutsch: Apollinaire, Guillome 2006. Bestiarium oder das Gefolge des Orpheus. Leipzig: Leipziger Literaturverlag. Übersetzung Thomas Eichhorn.

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„Wenn des Knaben rote Stirn aus seiner jungen Fieber Nestern Bitterlich beschwört der weißen Träume haltlos Schlingern, Treten an sein Bett zwei große feine Schwestern, Silbernägel an den reizend überzarten Fingern. Und sie setzen ihn ans offne Fenster, wo wie Tränen Blaue Lüfte auf ein Dickicht Blumen niedertauen, Und durch seine schweren, seine feuchten Strähnen Fahren ihre Hände, spendend Zärtlichkeit und Grauen. Er verspürt der langen Atemzüge warmes Streicheln, Die wie rosige Honigpflanzen sein Gefühl versüßen, Und mit pfeifenden Seufzern manchmal perlt ein Speicheln Scheu auf ihre Lippen, oder Durst, zu küssen. Ihre Wimpern hört er schlagen, dunkel lüstern, In des Schweigens unempfindlichem Gehäuse, Und, zerdrückt von den elektrischen Fingern, knistern Unter ihren königlichen Nägeln seine kleinen Läuse. Da durchläuft der Wein der Lässigkeit den Jungen, Und wie Falten der Harmonika zu fiebern scheinen, Fühlt er unter ihren langsam wachsenden Liebkosungen Quellen, sinken, quellen eine Lust, zu weinen.“5

Nach der Lektüre dieses Gedichts werden viele Menschen bedauern, dass sie keine Läuse haben und kein kleiner Junge sind, der von fürsorglichen jungen Damen, seinen Schwestern, davon befreit wird.

Flohtheater und Flohzirkus Ein Floh hat drei Beinpaare. Im ersten Teil wird zwischen dem ersten und zweiten Paar unter der Brust ein Draht eingefädelt. Wenn es gelingt, ihn dem Floh in Form einer Schlaufe anzulegen und dann über seinem Rücken zusammenzudrehen, „spannen wir ihn ins Geschirr“. Die Drahtenden müssen lang sein, sehr lang, sie sind die zukünftigen „Zügel“. Wenn sie richtig gebogen sind, wird der Floh gegen die Unterlage gedrückt und kann nicht springen. Und jetzt kommt der zweite Teil. Jemand, der besonders 5  Tschechisch:

Rimbaud, Arthur 1914. Hledačky vší, v Lidové noviny. Brno:Nakladatelství Adolf Stránský. Překlad S. K. Neumann. Original: Rimbaud, Arthur 1906. Die Läusesucherinnen, in Der Amethyst. Berlin: Willy Schindler Verlag. Übersetzung K. L. Ammer

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geschickt ist, stellt Miniaturkarren und Wägen, Feuerwehrautos, winzig kleine Kanonen usw. her. Und weil sie eine lange Deichsel haben, kann der versklavte Floh angespannt werden wie bei einem Pferdegespann. Wie muss man sich solch ein Flohtheater und seine Aufführungen vorstellen? In der Mitte des Raums oder der Jahrmarktbude steht ein kleiner runder Tisch, der mit grünem Stoff bedeckt ist und über dem eine starke Lampe hängt. Eine begrenzte Anzahl von Zuschauern versammelt sich um den Tisch. So kann jeder die Miniaturdarsteller gut sehen. Der Prinzipal oder die Prinzipalin setzt sich hin und beginnt, mit einer Pinzette die Flohgespanne mit Anhängern aus länglichen Schachteln und Kisten zu ziehen, legt sie auf den Tisch und die Flöhe, in der momentanen törichten Hoffnung, sie seien frei, ziehen einige Sekunden lang die Anhänger. Stellt man kleine Ständer auf den Tisch, in denen der Draht mit dem unterjochten Floh so befestigt ist, dass die Beine des Flohs schräg nach oben zeigen, braucht man nur ein kleines rotes Papier zwischen seine Beine zu legen. Der Floh schnappt sich das Papier, lässt es nicht mehr los und wirbelt es herum. Im Theater ist es der „tanzende Floh“. Wenn wir das Gleiche mit einem winzigen Fußball machen, haben wir einen „Flohsportler“. Wenn wir Flöhe in zwei Ständern nahe beieinander installieren, fuchteln sie mit ihren Beinen gegeneinander und wir sehen einen „Flohkampf“. Ein anderer Floh mit einem leichten Geschirr kann sich auf einem gespannten Seil entlang bewegen. Es ist also ein „seiltanzender Floh“. Und so weiter. Der Eintritt ist erschwinglich, aber vor dem Weggehen wird man aufgefordert, einen Zuschlag zu zahlen, weil die Zirkusbesitzer die Flöhe von ihrem eigenen Blut ernähren müssen. Allerdings ist es aber von ihnen auch kein großes Opfer, denn bei wiederholtem Saugen nimmt der Körper es nicht mehr wahr und es juckt auch nicht mehr. Die obige Beschreibung beruht größtenteils auf den eigenen Erfahrungen des Autors. Nach dem Krieg kamen aus Großbritannien zwei Filme mit George Formby heraus. In einem davon spielte die Aufführung „Der Krieg der Flöhe“ eine wichtige Rolle. Der Krieg sollte sich unter gläsernen Glocken auf einem größeren Tisch abspielen. Und da es sich um Komödien handelte, gelang es jemandem, das Glas zu zerbrechen, und die Flöhe schwärmten im Publikum aus. Das war natürlich völliger Unsinn, aber seitdem hat sich der Autor dieses Kapitels danach gesehnt, ein Flohtheater mit eigenen Augen zu sehen. Nur ein einziges Mal trat ein Flohzirkus in Prag auf einem großen Jahrmarkt auf. Irgendwo steht geschrieben, dass die Geschichte des Flohtheaters Jahrhunderte alt ist, anderswo, dass das erste Theater 1830 in Großbritannien auftauchte. In der Zwischenkriegszeit soll die Popularität noch etwas zugenommen haben. Es ist auch zu lesen, dass der Gründer des Theaters die Flöhe in springende und nicht springende aufteilen und dann die nicht springenden auswählen musste. Netter Unsinn,

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genau wie die irreführenden Plakate darüber, was die Flöhe im Zirkus alles vorführen werden (Abb. 9.17). Im Internet kann man einige Beispiele sehen. Es sind kleine Theaterchen, mit kleinem Publikum, mit Kulissen wie in einer Art Puppentheater. In der Manege läuft irgendetwas im Kreis herum, angetrieben von einem rotierenden Magneten. Der Chefin entkommt ein Darsteller ins Publikum, muss gesucht werden usw. Es ist immer noch Unterhaltung, vorgeblich mit Flöhen, aber in Wirklichkeit ohne sie.

Abb. 9.17  Der Flohzirkus ist in die Stadt gekommen! „Verehrtes Publikum, meine Damen und Herren, Jung und Alt, kommen Sie näher! Sie werden sehen, was Sie noch nie zuvor gesehen haben! Schauen Sie genau hin, denn der Flohzirkus ist gerade zu Ihnen gekommen. Der Eintritt ist moderat, Kinder und Soldaten zahlen die Hälfte.“ (Quelle: Archiv der Autoren)

10 Viren sind auch Schmarotzer, sogar die allerschmarotzerhaftesten Jan Konvalinka und Ladislav Machala

Falls der Leser die Lektüre bis hierher durchgehalten hat, kann er sich die logische Frage stellen, was genau die Viren in diesem Buch zu suchen haben, das sich mit wahren Schmarotzern befasst – das heißt mit eukaryotischen Parasiten, die in der Human- und Veterinärparasitologie behandelt werden. Die Antwort ist, dass die Viren ihre parasitäre Lebensweise wirklich perfektioniert haben. Sie können nicht ohne ihren Wirt existieren, genauer gesagt ohne die Zellen, in denen sie sich replizieren. Alle Viren sind also buchstäblich dazu verdammt, mit ihrem Wirt zu coexistieren, das heißt, in einer Art symbiotischer Beziehung zu leben. Und es muss gesagt werden, dass sie dies in unvergleichlicher Weise gemeistert haben. Viren entsprechen voll und ganz der Definition eines Parasiten, da sie häufig eine antagonistische Symbiose mit ihrem Wirt eingehen, also eine Coexistenz, die für den Parasiten (das Virus) vorteilhaft, für den Wirt jedoch nachteilig ist. Im Laufe der Zeit haben Viren jedoch jede erdenkliche Form der Symbiose mit ihren Wirten entwickelt und sind sogar weit darüber hinausgegangen, da einige von ihnen im Laufe der Evolution zu einem festen J. Konvalinka (*)  Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] L. Machala  Karls-Universität Prag, Prag, Tschechien E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_10

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Bestandteil unserer Gene geworden sind, ohne die wir nicht das wären, was wir heute sind. Buchstäblich jeder Organismus, einschließlich Bakterien, kann ein Wirt für Viren werden. Auch Viren selbst können von einem anderen Virus infiziert werden. Viren sind also zweifellos die zahlreichste und vielfältigste Gruppe von Organismen auf der Welt. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Anzahl der Arten, die Wissenschaftler kaum zu schätzen wagen, als auch in Bezug auf die Anzahl der Individuen, von denen es mehr gibt als die Anzahl von Sternen im Universum, und wenn man sie in einer Schlange aufreihte, würde diese unsere gesamte Galaxie etwa 200-mal umspannen. Es ist daher klar, dass Viren eine äußerst wichtige und oft entscheidende Rolle in der Natur spielen und das Leben ihrer Wirte –Menschen, Tiere und Pflanzen – erheblich beeinflussen. Ein weiterer Grund, warum es angebracht ist, in diesem Buch über Parasiten auch über Viren zu sprechen, ist, dass es in der Vergangenheit Parasitologen waren, die zu den Pionieren der Virologie gehörten. Bei der Erforschung gefährlicher Virusinfektionen, die durch Arthropoden wie Mücken und Zecken übertragen werden, war eine sehr enge Verbindung zwischen Virologie und Parasitologie unerlässlich. So wurden virologische Laboratorien in parasitologischen Instituten eingerichtet und Parasitologen wurden zu erfolgreichen Virologen und vice versa. Eine solche breit angelegte multidisziplinäre Forschung über die durch Zecken übertragene europäische Meningoenzephalitis wurde beispielsweise in der ehemaligen Sowjetunion unter der Leitung von Prof. J. N. Pavlovski am Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie der sowjetischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und auch beispielsweise in Prag am Institut für Parasitologie der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt. Es ist auch kein Zufall, dass das erste beim Menschen identifizierte Virus der Erreger des Gelbfiebers war, das Ende des 19. Jahrhunderts bei der Erforschung der Ursache dieser Erkrankung aus Mücken in Kuba isoliert wurde. Der Kubaner C. Finlay und der Amerikaner W. Reed waren die Hauptakteure. Der 1937 von dem Südafrikaner M. Theriler (Nobelpreis 1951) entwickelte Impfstoff gegen Gelbfieber ist immer noch einer der erfolgreichsten Impfstoffe, die jemals eingesetzt wurden. Die Erforschung von Viren, die von parasitären, blutsaugenden Arthropoden übertragen werden, kann somit als die Wiege der Virologie bezeichnet werden. Obwohl dieser Text während der Pandemie Covid-19 verfasst wurde, haben sich die Autoren dafür entschieden, über den Erreger – SARS-CoV-2 – nichts zu schreiben, da sie zwangsläufig eine ganze Reihe trivialer oder realitätsfremder Vorhersagen hätten treffen müssen.

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Viren sind wirklich klein Parasitologen haben das Glück, dass viele der Objekte ihres Interesses (z. B. Darmwürmer, parasitische Insekten und Milben) so groß sind, dass sie sie oft mit bloßem Auge sehen können, und eine gewöhnliche Lupe oder ein Lichtmikroskop reicht in der Regel aus, um die Details ihrer Körper zu untersuchen. Viren sind jedoch im Vergleich zu allen anderen Organismen extrem klein, selbst im Vergleich zu Protozoen und sogar Bakterien (Abb. 10.1). Das klassische Lichtmikroskop, das nur eine etwa 2000-fache Vergrößerung bietet, reicht nicht aus, um Viren zu beobachten. Deshalb haben wir sie zum ersten Mal in einem Elektronenmikroskop gesehen, dessen Vergrößerung wesentlich höher ist als die eines Lichtmikroskops. Die erste, älteste Definition von Viren lautet übrigens, dass sie „filtrierbare Infektionserreger“ sind: Schon bevor wir sie mit dem Elektronen-

Abb. 10.1  Wahre Winzlinge. Größenvergleich einer eukaryotischen und einer prokaryotischen Zelle mit der Größe eines Viruspartikels. Die Zelle des durchschnittlich großen Protozoons Entamoeba histolytica, das die Amöbenruhr verursacht, ist etwa 20–30 µm groß und im Mikroskop bereits bei 300- bis 400-facher Vergrößerung sichtbar. Die Zelle des häufigen Darmbakteriums Escherichia coli misst 2–3 µm; um sie unter dem Mikroskop zu sehen, ist mindestens eine 1000-fache Vergrößerung erforderlich, was bereits an der Grenze der Lichtmikroskopie liegt. Das virale Partikel des Poliovirus, des Erregers der Poliomyelitis, ist mit einer Größe von nur einem Bruchteil eines Mikrometers bereits so klein, dass ein Elektronenmikroskop mit einer Vergrößerung im Bereich von 10.000 benötigt wird, um es sichtbar zu machen. (Quelle: Archiv der Autoren)

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mikroskop sahen, wussten wir, dass sie kleiner sind als die Poren herkömmlicher antimikrobieller Filter, die alle Bakterien abfangen, denn selbst die am sorgfältigsten gefilterte Lösung einer Viruskultur war noch infektiös und konnte andere Zellen infizieren. Das kleinste bekannte Virus ist wahrscheinlich das porcine Circovirus 1, dessen DNA nur 1700 Basenpaare hat. Im Vergleich dazu hat die DNA unseres gewöhnlichen Darmbakteriums Escherichia coli fast fünf Millionen davon, und der Mensch hat fast drei Milliarden. Der Rekordhalter ist jedoch ein Fisch namens Australischer Lungenfisch (Neoceratodus forsteri ), dessen Genom 130 Mrd. Basenpaare umfasst. Zum Glück spielt die Größe keine Rolle, wie wir alle wissen. Das Poliovirus hat mehr als 7000 Basenpaare, HIV etwa 10.000 und das derzeit so populäre Coronavirus fast 30.000, was es zu einem Giganten unter den RNA-Viren macht. Vor allem in den letzten Jahren wurden jedoch auch zahlreiche Riesenviren entdeckt, die sich in ihren Parametern – Größe und Umfang des Genoms – nicht wesentlich von einigen sehr kleinen Bakterien unterscheiden. So stehen beispielsweise die Mitglieder der Gattung Mimivirus mit ihren 1,3 Mio. Basenpaaren den Rickettsien, den intrazellulären Bakterien, die für viele menschliche Krankheiten wie Fleckfieber verantwortlich sind, bereits nahe. Die sehr geringe Größe von Viren hängt auch mit ihrer Einfachheit zusammen, die der Nobelpreisträger P. B. Medawar in seiner Definition eines Virus perfekt auf den Punkt gebracht hat: „Virus is simply a piece of bad news wrapped in a protein coat.“1 Viren sind so einfach, dass sie keinen eigenen Stoffwechsel haben und nur aus einer in Nucleinsäure (RNA oder DNA) geschriebenen, genetischen Information und einer Proteinhülle bestehen, die sie vor schädlichen Umwelteinflüssen schützt. Zu dieser 55 Jahre alten Definition von Medawar können heute zwei Bemerkungen gemacht werden. Es gibt auch Viren, genauer gesagt Viroide, denen sogar die Proteinhülle fehlt und die nur aus nackter Nucleinsäure bestehen (z. B. das Hepatitis-D-Virus oder das Scharkavirus, das seit Jahrzehnten die Zahl unserer Pflaumenbäume dezimiert). Die zweite Anmerkung ist, dass es sich bei Viren nicht immer unbedingt um eine schlechte Nachricht handeln muss, aber darüber werden wir später im Zusammenhang mit endogenen Retroviren sprechen.

1 Quelle:

Medawar, P.B. 1977. Unnatural science. New York, The New York Review of Books.

10  Viren sind auch Schmarotzer, sogar die allerschmarotzerhaftesten     237

Viren und das Leben Viele ältere Biologen beschäftigen sich in „Ermangelung wichtigerer Aufgaben“ mit der Frage, ob Viren überhaupt lebendig sind. Dies erinnert ein bisschen an die scholastischen Disputationen darüber, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, aber sei’s drum. Viren sind nichtzelluläre Organismen, die einige Eigenschaften von Lebewesen haben. Viren replizieren oder „vermehren“ sich, aber sie sind dazu, wie wir bereits erörtert haben, nur innerhalb der Wirtszelle in der Lage; außerhalb der Wirtszelle ist das Viruspartikel nur ein mehr oder weniger organisierter (weshalb wir Viren als Organismen betrachten) Molekülklumpen ohne Lebenszeichen, außer der Fähigkeit, die Wirtszelle zu identifizieren und in sie einzudringen. Formal gesehen können wir also ein Virus nicht „abtöten“, was übrigens ein Teil des Problems bei der Entwicklung von Virostatika ist: Wie tötet man etwas, das nicht lebt? Viren mögen zwar nicht lebendig sein, aber sie sind mit Sicherheit Chemikalien: Sie können kristallisiert werden, bei vielen von ihnen kennen wir die genaue Position der einzelnen Atome und wir können sogar ihre gesamte chemische Summenformel  bestimmen. Diese ist zwar etwas komplizierter als zum Beispiel die von Wasser oder Kaliumpermanganat, aber sie ist eine chemische Formel (Abb. 10.2). Die Laborsynthese von Viren ist bereits seit mehreren Jahrzehnten in der synthetischen Chemie möglich. Das erste synthetische Poliovirus wurde 2003 im Labor von Eckard Wimmer und seinen Mitarbeitern in New York hergestellt und die Veröffentlichung seiner Arbeit in der Zeitschrift Science löste eine große Kontroverse über die Frage aus, was wir erforschen und vor allem veröffentlichen dürfen, damit wir nicht jemandem eine Anleitung zur Herstellung von etwas geben, was der Menschheit gefährlich sein kann. Die Debatte über dieses Thema ist übrigens seither nicht abgerissen.

Woher kommen Viren? Auf die oft gestellte Frage nach dem Ursprung der Viren gibt es noch keine verlässliche Antwort, aber es lässt sich eindeutig sagen, dass Viren im Laufe der Zeit wiederholt entstanden sind und somit nicht einen einzigen gemeinsamen Vorfahren haben, eine Art Protovirus, von dem sie alle abstammen würden. Es ist also nicht einmal den Versuch wert, eine Art natürlichen Stammbaum des Lebens für alle bekannten Viren zu

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Machala C2 TTAAAACAGCTCTGGGGTTGTACCCACCCCAGAGGCCCACGTGGCGGCTAGTACTCCGGTATTGCGGTACCCTTGTACGCCTGTTTTATACTCCCTTCCCGTAACTTAGAC GCACAAAACCAAGTTCATAGAAGGGGGTACAAACCAGTACCACCACGAACAAGCACTTCTGTTTCCCCGGTGATGTCGTATAGACTGCTTGCGTGGTTGAAAGCGACGGA TCCGTTATCCGCTTATGTACTTCGAGAAGCCCAGTACCACCTCGAATCTTCGATGCGTTGCGCTCAGCACTCAACCCCAGAGTGTAGCTTAGGCTGATGAGTCTGGACATC CCTCACCGGTGACGGTGGTCCAGGCTGCGTTGGCGGCCTACCTATGGCTAACGCCATGGGACGCTAGTTGTAACAAGGTGTGAAGAGCCTATTGAGCTACATAAGAATCC TCCGGCCCCTGAATGCGGCTAATCCCAACCTCGGAGCAGGTGGTCACAAACCAGTGATTGGCCTGTCGTAACGCGCAAGTCCGTGGCGGAACCGACTACTTGGGTGTCCG TGTTTCCTTTTATTTTATTGTGGCTGCTTATGGTGACAATCACAGATTGTTATCATAAAGCGAATTGGATTGGCCATCCGGTGAAAGTGAGACTCATTATCTATCTGTTTGC TGGATCCGCTCCATTAGTGTGTTTACTCTAAGTACAATTTCAACAGTTATTTCAATCAGACAATTGTATCATAATGGGTGCTCAGGTTTCATCACAGAAAGTGGGCGCACA TGAAAACTCAAATAGAGCGTATGGTGGTTCTACCATTAATTAACCACCATTAATTATTATAGAGATTCAGCTAGTAACGCGGCTTCGAAACAGGACTTCTCTCAAGACCCT 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Abb. 10.2  Ein Virus in Zahlen und Buchstaben. Viren sind letzten Endes (unter anderem) auch Chemikalien. Sie haben eine spezifische chemische Summenformel und ihre Struktur kann genau bestimmt werden. Die chemische Summenformel des Poliovirus lautet C332652H492388N98245O131196P7501S2340 und hier ist die vollständige Sequenz aller seiner 7435 Nucleobasen angegeben2

konstruieren, der die Zusammenhänge zwischen den Viren aufzeigen würde, wie es bei allen anderen Organismen der Fall ist. So stehen uns nur mehr oder weniger künstlich zusammengestellte Listen von Viren zur Verfügung, die in gewisser Weise zum Beispiel dem „vorlinnéischen“ System der Tiere ähneln, wie es Aristoteles zu seiner Zeit zusammengestellt hat. Gegen2 Quelle: Hughes, P. J., Evans, D. M., Minor, P. D., Schild, G. C., Almond, J. W., & Stanway, G. 1986: The nucleotide sequence of a type 3 poliovirus isolated during a recent outbreak of poliomyelitis in Finland. Journal of General Virology 67, 2093–2102

10  Viren sind auch Schmarotzer, sogar die allerschmarotzerhaftesten     239

wärtig ist das Baltimore-System am weitesten verbreitet. Dieses basiert auf dem Typ der viralen Nucleinsäure, dem Vergleich der äußeren Morphologie und der Art der Replikation. Anhand dieser Kriterien werden die Viren in sieben Gruppen eingeteilt, und innerhalb einiger dieser Gruppen gibt es eindeutige Verwandtschaftsverhältnisse, sodass die betreffenden Virusvertreter in Familien zusammengefasst werden können. Einzelne Virusfamilien und höhere taxonomische Gruppen sind jedoch offenbar nicht miteinander verwandt oder zumindest können wir ihre Beziehungen noch nicht erkennen. Der Ursprung der Viren hängt natürlich mit dem Ursprung und der Existenz des Lebens auf der Erde zusammen, denn ohne eine funktionierende Wirtszelle können Viren nicht existieren. Es gibt mehrere Hypothesen über den Ursprung von Viren. Die sogenannteregressive Evolutionshypothese sieht die Vorfahren der Viren in einzelligen Organismen wie Bakterien. Durch die allmähliche Anpassung an die intrazelluläre parasitische Lebensweise sollten sie den größten Teil ihrer „nutzlosen“ Stoffwechselfunktionen abwerfen und sich nur noch auf das Eindringen in die Wirtszelle und die Replikation ihrer genetischen Informationen konzentrieren. Theoretisch kann man sich eine solche Evolution als hypothetische Entwicklungsreihe von frei lebenden, nur gelegentlich parasitären Bakterien, zum Beispiel dem Erreger der Legionärskrankheit Legionella pneumophila, bis hin zu obligat parasitären Bakterien, zum Beispiel dem Erreger der Tularämie Francisella tularensis, vorstellen. Die nächste Stufe dieser regressiven Evolution könnten die sogenannten L-Formen von Bakterien sein, die die Fähigkeit zur Bildung ihrer Zellwand verlieren. Die nächste Stufe dieser hypothetischen Entwicklungsreihe könnten die obligaten intrazellulären bakteriellen Parasiten sein, die bereits einige Stoffwechselfunktionen verloren haben, wie Bakterien aus der Familie der Rickettsiaceae (Erreger z. B. von Fleckfieber oder RockyMountain-Fieber) oder Chlamydiaceae (Erreger von Lungenentzündungen und sexuell übertragbaren Infektionen). Der letzte Schritt könnten die großen Viren sein, die in Größe, Umfang des Genoms und manchmal sogar im Vorhandensein von eigenen Enzymen Bakterien ähneln. Oberflächlich betrachtet erscheint diese Idee recht logisch und darüber hinaus könnten Viren irgendwie in das System der bestehenden Reiche der lebenden Organismen eingegliedert werden. Leider gibt es keine stichhaltigen Beweise für die oben beschriebene hypothetische regressive Entstehungsweise von Viren. Eine andere Hypothese geht von der Möglichkeit aus, dass Viren ihren Ursprung in einer uralten präzellulären Lebensform haben, die nach der Entstehung der ersten zellulären Organismen zu einer parasitären Lebens-

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weise überging und nicht mehr in der Form selbstständiger Existenz erhalten ist. Diese Sichtweise über den Ursprung von Viren wird als virus first bezeichnet. Obwohl wir auch für diese Hypothese keine stichhaltigen Beweise haben, ist es theoretisch möglich, dass insbesondere einige einzelsträngige RNA-Viren eine Art „lebendes Fossil“ aus der Frühzeit der sogenannten RNA-Welt sein könnten. Die wahrscheinlichste Möglichkeit der Entstehung von Viren ist die progressive Hypothese. Diese postuliert, dass Viren durch die Isolierung bestimmter Gruppen von Genen – bezeichnet als mobile genetische Elemente – entstanden sind, die aus den Genomen verschiedener Zelltypen freigesetzt wurden und sich selbstständig gemacht haben und in gewissem Sinne verwildert sind. Dieser Prozess kann auch so verstanden werden, dass sich diese Gruppen von Genen von der Vorherrschaft des restlichen Genoms lösen. In Anbetracht der Vielfalt und Vielfältigkeit der Welt der Viren ist es fast sicher, dass verschiedene Gruppen durch unterschiedliche Mechanismen und zu unterschiedlichen Zeiten unabhängig voneinander entstanden sind. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass es auch Spekulationen über den extraterrestrischen Ursprung von Viren gibt, die jedoch unbegründet sind.

Wie sehen Viren aus und wie vermehren sie sich? Die Formenvielfalt von Viren ist unglaublich. Abb. 10.3 zeigt Beispiele für die enorme Vielfalt an Formen, die Viren annehmen können. Der Replikationszyklus von Viren ist in der Regel einfach und hängt, wie es sich für einen ordentlichen Parasiten gehört, immer vollständig vom Stoffwechsel der Wirtszelle ab. Der Zyklus besteht im Wesentlichen aus der Anheftung des Virus an die Oberfläche der Wirtszelle, dem Eindringen in das Innere der Wirtszelle, der Transkription und Vervielfältigung des genetischen Materials (DNA oder RNA), der Bildung von viralen Proteinen, dem Transport der Komponenten zum Ort des Zusammenbaus des neuen Partikels und seinem anschließenden Zusammenbau und dem Ausschleusen des Partikels aus der Zelle. Die Einzelheiten des gesamten Prozesses hängen von der Organisation der genetischen Information des Virus ab. Nach der oben erwähnten Baltimore-Nomenklatur werden die Viren schematisch in die folgenden sieben Gruppen eingeteilt:

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a

d

b

c

e

f

Abb. 10.3  Diversität unterschiedlicher Viruspartikel. Die Formenvielfalt in der Welt der Viren können wir erst seit der Erfindung des Elektronenmikroskops beobachten, das Vergrößerungen im Bereich der Zehntausende ermöglicht. HSV-1 (a), mit dem die meisten von uns in einer lebenslangen intimen Beziehung leben, ist von ovaler Form mit einem Durchmesser von ca. 150–200 nm und im Inneren dieses Partikels befindet sich ein Capsid mit ikosaedrischer Symmetrie, in dem sich die DNA befindet. Coronaviren (b) haben eine kugelförmige bis ovale Form und eine Größe von 120 nm. Diese kugelförmigen Viren fallen im Elektronenmikroskop durch einen Kranz von blütenblattartigen Fortsätzen auf, die an eine Sonnenkorona erinnern, was die Entdeckerin dieser Virengruppe, J. Almeida, zur Namensgebung inspirierte. HIV (c) ist ein kugelförmiges Viruspartikel mit einem Durchmesser von ca. 100–120 nm und enthält im Inneren ein konisches Capsid mit zwei RNA-Molekülen. Das Ebolavirus (d) ist von fadenförmiger Gestalt, weshalb die Familie dieser Viren Filoviridae genannt wurde. Viren dieser Familie verursachen beim Menschen äußerst schwere Krankheiten wie hämorrhagisches Fieber (Ebola- und Marburgfieber). Rhabdoviren (e) haben eine typische Projektilform und sind etwa 75 nm breit und 180 nm lang. Zu dieser Gruppe gehört ebenfalls das Rabiesvirus, das die gefürchtete Tollwut verursacht. Pockenviren (f) sind meist von rechteckiger Form und gehören mit ihrer Größe von bis zu 400 nm zu den größten Viren überhaupt. Zu dieser Gruppe gehört unter anderem der Erreger der echten Pocken, der wohl gefährlichsten Infektionskrankheit überhaupt. Heute ist diese Erkrankung dank konsequenter Impfung vollständig eliminiert worden. (Quelle a–c und e–f: Dr. Daniel Krsek, National Reference Laboratory for Electron Microscopy Detection of Infectious Agents, National Institute of Public Health, Prague, Czech Republic; d: Robert-Koch Institut)

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Die erste Gruppe sind die doppelsträngigen DNA-Viren. Ein Beispiel ist das Herpesvirus, das Fieberbläschen verursacht. Die zweite Gruppe hat eine einzelsträngige DNA. Beispiel sind die Parvoviren, die die Kinderkrankheit Ringelröteln (oder auch fünfte Krankheit) verursachen. Die dritte Gruppe hat eine doppelsträngige RNA. Zur ihr zählen beispielsweise Rotaviren, die unangenehmen Durchfall verursachen. Die vierte Gruppe sind Viren mit einem einzelsträngigen RNA-Genom mit positiver Polarität (+)RNA, das heißt, die RNA kann direkt in Proteine transkribiert werden). Dazu gehören die heute weit verbreiteten Coronaviren wie SARS-CoV-1, MERS-CoV und SARS-CoV-2. Die fünfte Gruppe sind Viren mit einem einzelsträngigen RNA-Genom mit negativer Polarität (−)RNA, das heißt, die RNA muss, bevor sie in Proteine „übersetzt“ werden kann, zunächst in die komplementäre (+) RNA transkribiert werden. Zu diesen Viren gehören zum Beispiel die Erreger der Tollwut, des gefürchteten Ebolafiebers oder der uns allen bekannten Grippe. Die letzten zwei Virengruppen unterscheiden sich etwas von den vorhergehenden. Die sechste Gruppe sind die Retroviren, deren Genom ebenfalls aus RNA besteht, die aber nicht direkt in Proteine umgeschrieben werden kann. Die retrovirale RNA wird zunächst in DNA revers transkribiert. Diese wird dann in das Wirtsgenom integriert, bevor sie wieder in RNA umgeschrieben wird. Diese dient dann der Proteinsynthese. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist HIV (Humanes Immundefizienzvirus), der Erreger von AIDS. Die siebte Gruppe ist noch komplizierter. Diese doppelsträngigen DNAViren müssen in RNA umgeschrieben werden und dann wieder zurück in DNA. Die meisten Viren dieser Gruppe infizieren Pflanzen, aber auch der Erreger der viralen Hepatitis B gehört dazu. Aus diesem bunten Mosaik der oben genannten Virusformen und -typen wollen wir zwei Vertreter näher betrachten: das Herpes-simplex-Virus, das ein typischer Vertreter der doppelsträngigen DNA-Viren ist, und HIV, das wichtigste humane Retrovirus. Aus der Familie Herpesviridae sind beim Menschen bisher acht Virusarten beschrieben worden. Dazu gehören das Herpes-simplex-Virus Typ 1 und 2 (HSV-1 und HSV-2), das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das Cytomegalievirus (CMV), das Epstein-Barr-Virus (EBV), das Humane Herpesvirus 6 (HHV-6) und das Humane Herpesvirus 7 (HHV-7) sowie das

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Kaposi-Sarkom-assoziierte Herpesvirus (KSHV bzw. HHV-8). Diese Viren verursachen eine Vielzahl von Krankheiten, von den eher harmlosen, aber unangenehmen Herpesbläschen oder Windpocken über die infektiöse Mononukleose (EBV) und das Drei-Tage-Fieber (HHV-6) bis hin zu schweren Erkrankungen bei AIDS-Patienten – Beispiele sind die durch CMV verursachte Retinitis, die manchmal zur Erblindung führen kann, oder sogar einige Tumoren wie das Kaposi-Sarkom. Zu unserem Leidwesen können sich all diese DNA-Viren lebenslang im menschlichen Körper einnisten. Wie machen sie das? Nach der Erstinfektion wird das Virus nicht durch das Immunsystem aus dem Körper eliminiert, sondern bleibt als latente Infektion in unserem Körper verborgen (sie persistiert). Wenn unser Immunsystem jedoch geschwächt ist, kann diese latente Infektion reaktiviert werden und das Virus beginnt, sich wieder zu replizieren, was im Fall von HSV-1 zum Beispiel zu Lippenherpes führt. Wenn Sie jedoch Pech haben, kann dies zu einer schweren Gehirnentzündung führen, die Sie ohne rasche virostatische Behandlung möglicherweise nicht überleben werden (Abb. 10.4). Der Replikationszyklus von HSV-1 ist in der Abb. 10.5a schematisch dargestellt. Das Virus muss sich zunächst an die Membran der Wirtszelle binden, in das Cytoplasma eindringen und dann in den Zellkern gelangen. Anschließend muss es seine eigene DNA kopieren und in mRNA umschreiben (die später zur Herstellung von Proteinen verwendet wird). All dies geschieht mithilfe der Mechanismen der Wirtszelle. Die neu gebildete mRNA wird dann zurück ins Cytoplasma transportiert und im endoplasmatischen Retikulum in virale Proteine umgeschrieben, die sich dann zu neuen Viruspartikeln zusammensetzen müssen, welche die neu kopierte DNA einkapseln werden. Das neu inkorporierte und vollständig aufgebaute Virus muss dann die Wirtszelle verlassen. Uff! Der Replikationszyklus von HIV ist ein wenig komplizierter. Dies wird in Abb. 10.5b veranschaulicht, die einen Versuch in der Art von Don Quijote darstellt, das Ergebnis der langen Arbeit von Hunderten von Wissenschaftlern in Dutzenden von Labors auf der ganzen Welt zusammenzufassen. Versteckt in unseren Chromosomen kann HIV viele Jahre lang schlummern, aber normalerweise wird nach einiger Zeit die Produktion neuer Viruspartikel ausgelöst, die dann andere Zielzellen angreifen. Zellen, die den CD4-Rezeptor auf ihrer Oberfläche tragen, insbesondere CD4+T-Lymphozyten, die eine Schlüsselrolle in unserer Immunität spielen, sind anfällig für eine HIV-Infektion. Zu Beginn der Infektion kann eine Person den Verlust an CD4+-T-Lymphozyten kompensieren, aber mit dem Fortschreiten der Krankheit nimmt ihre Zahl ab, was zu einem Rückgang der

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a

b

c

Abb. 10.4  Herpes – nur eine Kleinigkeit? Lippenherpes (a) und beginnende Gürtelrose (b) sind relativ häufige Erscheinungsformen der Reaktivierung einer latenten Infektion mit HSV-1 und VZV. Die Primärinfektion mit diesen Viren verläuft im Fall von HSV-1 in der Regel asymptomatisch, während sich die meisten Fälle von VZVInfektionen wie Windpocken äußern. Beide Virentypen nisten sich anschließend in Form einer latenten Infektion dauerhaft in den Ganglien bestimmter Nerven ein. Ist das Immunsystem geschwächt, und sei es auch nur für kurze Zeit, kann das Virus „aufwachen“ und entlang des Nervs in die Haut wandern und den typischen Ausschlag hervorrufen, der bei Gürtelrose gewöhnlich von starken Schmerzen begleitet wird. Sind Lippenherpes oder Gürtelrose unangenehme Krankheiten, so geht es bei der herpetischen nekrotisierenden Enzephalitis (c) buchstäblich ums Leben. HSV-1 beginnt, sich im Hirngewebe intensiv zu replizieren, was zum Zerfall (Nekrose) des Hirngewebes führt – eine solche Läsion in der linken Hemisphäre ist mit dem Pfeil markiert. Um das Leben eines Patienten mit herpetischer Enzephalitis zu retten, ist eine akute Behandlung auf der Intensivstation, einschließlich der intravenösen Verabreichung von Aciclovir, entscheidend. (Quelle: Archiv der Autoren)

Leistungsfähigkeit des Immunsystems führt. Der Körper eines Patienten mit einer fortgeschrittenen HIV-Infektion ist daher wehrlos gegenüber einer Reihe von Krankheitserregern, gegen die er sich normalerweise leicht wehren könnte. Auch die Kontrolle über die Entwicklung bestimmter Krebsarten funktioniert nicht mehr. Das Vorhandensein einer schweren Infektionskrankheit oder eines Tumors ist das Kriterium für das Entstehen von AIDS bei einem HIV-positiven Patienten. In den frühen 1980er-Jahren, als die

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a

Bindung des Herpesvirus an den Rezeptor und Eintritt ins Cytosol

Cytosol

Synthese später Proteine Synthese früher Proteine

Komplementierung des viralen Partikels aus späten Proteinen

Synthese früher mRNA Synthese später mRNA

er nd ore ibit Ah n I RN rase e ym Pol

Zellkern Replikation viraler DNA mithilfe früher Proteine

b Spaltung viraler Polyproteine

infektiöses HIV-Virion

Inhibitoren der Protease

Inhibitoren des Zelleintritts Zusammensetzen und Austritt aus der Zelle Inhibitoren des Zusammensetzens viraler Partikel

CD4

Cytosol

RNA-Genom des HI-Virus

Inhibitoren der reversen Transkriptase Integration in Wirtsgenom

reverse Transkription (von RNA zu DNA)

Transkription

Inhibitoren der Integration Zellkern

Abb. 10.5  Replikationsmechanismen von HSV-1 und HIV. Schematisch sind die Replikationszyklen zweier verschiedener Virustypen dargestellt – von HSV-1, einem typischen DNA-Virus (a), und von HIV, einem Retrovirus (b). Obwohl sich diese Viren in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden, haben sie eine Reihe von Schritten in ihrem Replikationszyklus gemeinsam (s. Text für weitere Einzelheiten). (Quelle: Pavel Novotný)

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Krankheit zum ersten Mal auftrat, überlebten AIDS-Patienten in der Regel nicht länger als sechs Monate; heute haben sie durch das frühzeitige Einleiten einer antiretroviralen Therapie eine gute Lebenschance, wie wir weiter unten erläutern. Wer kann also Viren beherbergen? Jeder und alles. Wir kennen Bakteriophagen oder Bakterienviren, dann Cyanophagen, die Cyanobakterien infizieren. Pflanzenviren werden Phytoviren genannt, während Mykoviren Pilze infizieren. Dann gibt es Tierviren oder Zooviren, sie können noch in Viren von Wirbellosen und Viren von Wirbeltieren unterteilt werden. Aber auch Viren selbst sind nicht vor der Infektion durch andere Viren sicher – es gibt auch Parasiten von Viren, die Virophagen.

Haben Viren auch Feinde und Krankheiten? Ja, das haben sie. Ein Virus ist eine Chemikalie, die durch Hitze, Licht, pH-Wert oder Feuchtigkeit abgebaut werden kann. Viren, genauso wie alle anderen Organismen, mutieren (d. h., sie machen Fehler bei der Transkription ihrer genetischen Information), was sie vollständig schädigen oder zerstören kann. In Ausnahmefällen können die Mutationen aber auch (ganz zufällig) eine neue Eigenschaft hinzufügen, die unter bestimmten Umständen von Vorteil ist (z. B. die Fähigkeit, sich enger an einen Zellrezeptor zu binden und so die Zellen ihres Wirts leichter zu infizieren). So wie Viren ihre Fähigkeit zur Parasitierung verfeinern, haben auch ihre Wirte, Bakterien und eukaryotische Zellen seit jeher verschiedene Abwehrmechanismen entwickelt, um sich vor Virusinfektionen zu schützen. Höhere Organismen haben sogar einen äußerst effizienten und komplexen Abwehrapparat, das Immunsystem, entwickelt. Aber selbst aus unserer Sicht primitive Bakterien haben es geschafft, ein einfaches, aber sehr effektives System zu entwickeln, um entweder die fremde DNA (einschließlich der viralen) direkt zu zerstören oder sich zumindest an die Bakteriophageninfektion zu „erinnern“. Wenn sie das nächste Mal auf die gleiche Nucleotidsequenz eines Phagen treffen, haben sie eine wirksame Abwehr parat und können den Phagen zerstören. Ein solcher Abwehrmechanismus der Bakterien sind die Restriktionsenzyme, also eine Art sehr spezifischer molekularer Scheren, die jede DNA, die im Bakterium nichts zu suchen hat, präzise erkennen und zerschneiden. Ein weiteres Abwehrsystem

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namens Crispr wurde in halophilen (d. h. salzliebenden) Bakterien von einem gewissen Francisco Mojica entdeckt, der nach seiner Rückkehr aus Oxford kein Labor in Spanien bekam und sich mangels besserer Möglichkeiten mit der Bioinformatik von Bakterien beschäftigen musste. Zwanzig Jahre später führten seine faszinierenden, aber damals scheinbar sinnlosen Beobachtungen zu der revolutionären Crispr-Cas-Methode, die 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Mit diesem Instrument können wir heute sehr präzise Eingriffe in das Genom von Tieren und Menschen vornehmen, mit faszinierenden und zugleich ein wenig beängstigenden Anwendungen in allen Bereichen der modernen Biomedizin. Aber die Sache ist noch viel komplizierter. Neben den Bakteriophagen, die Bakterien angreifen, gibt es, wie bereits erwähnt, Virophagen, die andere Viren (z. B. Riesenmimiviren) parasitieren, deren Genprodukte ausnutzen und die virale Replikation verhindern. Mimiviren können sich aber auch wirksam gegen Virophagen verteidigen, sogar ähnlich wie Bakterien gegen Bakteriophagen. Der Virophage Zamilon, der kürzlich in Tunesien isoliert wurde, infiziert die Amöbe Acanthamoeba polyphaga und parasitiert an ihren Mimiviren. Es hat sich herausgestellt, dass einige Mimiviren wirksame Abwehrmechanismen gegen den Virophagen entwickelt haben, die an das bakterielle Anti-Phagen-System Crispr erinnern und Enzyme einsetzen, die unerwünschte DNA entfernen. So haben auch Viren ihre eigenen Parasiten und entwickeln ihre eigenen spezifischen Abwehrkräfte gegen diese, ähnlich wie das Immunsystem. Es ist ein bisschen wie bei der russischen Matrjoschka: Sobald man eine Puppe öffnet, kommt eine andere zum Vorschein. Mal sehen, ob wir eines Tages etwas über Organismen erfahren, die Virophagen parasitieren …

Viren als Krankheitserreger Die Parasitierung durch pathogene Viren äußert sich in einer Erkrankung des Wirtsorganismus. Viren, deren genetische Information in der RNA eingeschrieben ist, verursachen in der Regel akute Erkrankungen und werden, von einigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Hepatitis C und D), nach erfolgreicher Überwindung der Krankheit vollständig aus dem Organismus eliminiert. Solche akuten Virusinfektionen, die durch RNA-Viren verursacht werden, sind zahlreich und können je nach dem Grad der Pathogenität (Virulenz) und Zustand der Wirtsimmunität einen unterschiedlichen Schweregrad aufweisen, der von leichten, manchmal sogar

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asymptomatischen, bis hin zu schweren und möglicherweise tödlichen Fällen reicht. Ein typisches Beispiel für eine leichte Viruserkrankung ist der Schnupfen, der eine akute Infektion mit verschiedenen Serotypen von Rhinoviren ist. Diese Viren replizieren sich für kurze Zeit fast ausschließlich in den Schleimhautzellen des Nasenrachenraums, die sie schädigen, was zu einer Entzündung führt, die durch Schleimproduktion gekennzeichnet ist und mit Niesen und laufender Nase einhergeht. Es ist nicht angenehm und am liebsten würden wir gar keine Nase besitzen, wir haben Kopfschmerzen und vielleicht sogar leicht erhöhte Körpertemperatur, aber nach ein paar Tagen ist alles vorbei. Und das liegt buchstäblich daran, dass sich kein einziges Rhinovirus mehr in unserem Körper befindet. Wir können irgendwelche Nasentropfen oder vielleicht Paracetamol einnehmen, um die Beschwerden zu lindern, aber eine Rückkehr zum Normalzustand wird das nicht deutlich beschleunigen – nicht umsonst wird gesagt, ein behandelter Schnupfen dauere sieben Tage und ein unbehandelter eine Woche. Ein Beispiel für eine ziemlich schwere akute Virusinfektion sind die Masern, eine hoch ansteckende Krankheit, die durch ein RNA-Virus aus der Familie der Paramyxoviridae verursacht wird. Die Infektion wird über die Luft übertragen und das Virus gelangt über das Epithel der Atemwege in den Körper. An der Eintrittsstelle vermehrt sich das Virus zunächst lokal und breitet sich dann allmählich über das Blut und die Lymphe auf das lymphatische Gewebe und schließlich auf die Haut und viele innere Organe aus. Hier vermehrt es sich weiter und verursacht Entzündungen in den betroffenen Organen, die sich in hohem Fieber und einem charakteristischen Hautausschlag, in schweren Fällen auch in Lungen- und Gehirnentzündungen (Enzephalitis) äußern. Die überwiegende Mehrheit der Infizierten erholt sich, aber etwa 1 % aller Patienten stirbt, hauptsächlich an Komplikationen wie Lungenentzündung und Enzephalitis. Die Masernsterblichkeit bei Kindern ist eng mit dem Niveau der Gesundheitsversorgung verknüpft und daher in Entwicklungsländern deutlich höher. Da es noch keine wirksamen Medikamente gegen das Virus gibt, erfolgt die Behandlung der Masern bisher nur symptomatisch, das heißt, die verabreichten Medikamente lindern nur die Symptome der Krankheit, wirken aber nicht gegen das Virus selbst. Der Patient ist nur für kurze Zeit infektiös (d. h. er scheidet das Virus aus) und sobald die Krankheit vorüber ist wird eine starke, meist lebenslange Immunität aufgebaut, die sicherstellt, dass er oder sie sich nicht erneut ansteckt. Es gibt zwar kein spezifisches Heilmittel für Masern, aber seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt es eine wirksame Impfung, sodass die Krankheit in den Ländern, in denen

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sie konsequent verabreicht wird, praktisch verschwunden ist. Leider haben sich in den letzten Jahren immer mehr Menschen in der westlichen Welt geweigert, sich impfen zu lassen, was dazu geführt hat, dass die Masern in Regionen zurückgekehrt sind, in denen sie in früheren Jahrzehnten nicht mehr vorkamen. Am Ende des imaginären Rankings der akuten Virusinfektionen steht die Tollwut, die, wenn sie einmal ausgebrochen ist, fast immer tödlich verläuft. Das Reservoir der Tollwut sind vor allem wild lebende Fleischfresser (Karnivoren), aber auch Haustiere, insbesondere Hunde, können sich infizieren und die Infektion auf den Menschen übertragen. Die Übertragung der Infektion erfolgt hauptsächlich durch den Biss eines infizierten Tiers, welches das Virus mit seinem Speichel ausscheidet. Kranke Tiere zeigen ein deutlich verändertes Verhalten – sie verlieren ihre Scheu und werden aggressiv. Der virale Parasit manipuliert seinen Wirt auf diese Weise, um die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den nächsten Wirt zu erhöhen. Nach dem Eindringen in die Wunde vermehrt sich das Virus zunächst im Muskel und wandert dann entlang der peripheren Nerven zum Gehirn, wo es schwere Störungen verursacht, die zum Tod führen. Die einzige Chance, ein Leben nach einem Biss durch ein tollwütiges Tier zu retten, besteht darin, so schnell wie möglich mit einer prophylaktischen Impfung zu beginnen, die durch die Verabreichung eines Antikörpers ergänzt wird, bevor das Virus in das Nervensystem gelangt. Durch die verpflichtende Impfung von Hunden und die groß angelegte Impfung von Wildtieren (vor allem Füchsen und anderen) mit Ködern, die in freier Wildbahn ausgelegt wurden, konnte die Tollwut in einigen europäischen Ländern praktisch eliminiert werden. Dennoch sterben jedes Jahr Zehntausende von Menschen, oft Kinder, in den Entwicklungsländern an dieser Krankheit.

Viren und Autoimmunerkrankungen Auch Virusinfektionen scheinen eine wichtige Rolle bei der Entstehung einiger Autoimmunkrankheiten zu spielen. Die Häufigkeit dieser Krankheiten nimmt weltweit zu, und in den Industrieländern sind sie nach Gefäßerkrankungen und Krebs die dritthäufigste Ursache für Morbidität und Mortalität. Die meisten Autoimmunkrankheiten sind chronisch und erfordern daher eine langfristige, meist lebenslange Betreuung. Autoimmunkrankheiten stellen daher eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar und verursachen hohe finanzielle Kosten.

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Das Wesen dieser Krankheiten ist eine pathologische Immunreaktion gegen den eigenen Körper. Bislang sind mehrere Dutzend Arten dieser Krankheiten beschrieben worden. Dabei kann es sich entweder um eine Schädigung einzelner Organe oder um eine systemische Störung handeln, die den gesamten Organismus betrifft. Ein typisches Beispiel für die Verbindung von Autoimmunerkrankungen mit Virusinfektionen ist die Entwicklung von Diabetes mellitus Typ 1 bei einer Infektion mit dem Coxsackie-B-Virus. Diese RNA-Viren sind in der menschlichen Bevölkerung relativ häufig anzutreffen und verursachen häufig eine Reihe von akuten Erkrankungen, von Katarrhen der Atemwege über Myokarditis bis hin zu nichteitriger Hirnhautentzündung (Meningitis). In den meisten Fällen folgt auf die akute Erkrankung jedoch eine vollständige Genesung ohne Folgeerscheinungen. Bei einigen Patienten kann es jedoch zu einer gewissen Verwirrung des Immunsystems kommen. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen körpereigenen Antigenstrukturen und einigen Virusepitopen kommt es zu einer Kreuzimmunantwort, sodass das Immunsystem neben den Viren fälschlicherweise auch körpereigene Zellen zu zerstören beginnt. Diese Art von Mechanismus wird als molekulare Mimikry bezeichnet. Bei Diabetes mellitus Typ 1 scheint es sich um eine Ähnlichkeit zwischen einem viralen Protein (P2-C) und einem menschlichen Enzym (Glutamat-Decarboxylase) zu handeln, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird und für die Insulinproduktion zuständig ist, die dadurch gestört wird. Andere Autoimmunmechanismen verändern den Verlauf der viralen Hepatitis B erheblich. Der Erreger dieser Infektion ist ein DNA-Virus aus der Familie der Hepadnaviridae, das durch Blut und sexuell übertragen wird. Obwohl das Hepatitis-B-Virus (HBV) die Leber angreift, schädigt es die Leberzellen nicht direkt. Dies wird wiederum durch die körpereigene Immunreaktion verursacht, die im Kampf gegen das Virus auch die infizierten Leberzellen vernichtet. Wenn der Patient Glück hat und sein Immunsystem optimal – weder zu stark noch zu schwach –funktioniert, wird das Virus aufhören, sich zu replizieren, und der Patient wird wieder gesund. HBV wird in der Regel nicht vollständig eliminiert, aber eine gut funktionierende Immunität kann die Infektion in der Regel unter Kontrolle halten. Wenn jedoch das Immunsystem nicht richtig funktioniert und nicht im Gleichgewicht ist, können zwei Szenarien auftreten, die beide schwerwiegende Folgen für die Gesundheit des Patienten haben. Wenn die Immunität der infizierten Person geschwächt ist (z. B. bei Menschen mit einer HIV-Infektion, nach einer Transplantation, unter einer immunsuppressiven Behandlung usw.), kann sie die Vermehrung des Virus nicht

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wirksam stoppen und eine jahrelange chronische Leberentzündung führt zum Abbau von Leberzellen, was zu einer Leberzirrhose und zum Tod des Patienten führen kann. Dieses Schicksal ereilte früher einen großen Teil der Patienten mit chronischer Hepatitis B, doch mit der Einführung von Inhibitoren (Hemmstoffen) der viralen Polymerase wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Therapie wesentliche Fortschritte erzielt. Paradoxerweise kann eine Infektion mit dem HBV bei einem jungen, gesunden Menschen, der über eine sehr starke Immunität verfügt, eine viel schlimmere Situation als bei immungeschwächten Personen hervorrufen. In einem solchen Fall, der zum Glück selten ist, greift das Immunsystem so stark an, dass es alle infizierten Leberzellen des Patienten zerstört (fulminante Hepatitis), und es kommt rasch zu einem lebensbedrohlichen Leberversagen. Obwohl die oben beschriebene spezifische Behandlung mit Polymeraseinhibitoren auch hier zur Verfügung steht, ist sie in diesen Fällen nicht immer zu 100 % wirksam. Glücklicherweise verfügen wir seit Jahrzehnten über einen sehr wirksamen präventiven Schutz gegen HBV-infektionen in Form von Impfungen, die, wenn sie weltweit in ausreichendem Maße praktiziert werden, das Potenzial haben, die Krankheit endgültig zu beseitigen.

Viren und Tumoren Krebs ist weltweit eine der häufigsten Todesursachen und die Entstehung vieler Krebsarten ist eng mit bestimmten Infektionskrankheiten verbunden. Es wäre daher verwunderlich, wenn nicht auch Viren beteiligt wären. Die WHO schätzt, dass Viren für etwa 10 % aller Krebserkrankungen verantwortlich sind – wir nennen sie onkogene Viren. Bereits 1911 wies der amerikanische Virologe Peyton Rous den viralen Ursprung des Hühnersarkoms nach und in den folgenden Jahrzehnten wurde nach und nach der virale Ursprung verschiedener Tumoren auch bei Säugetieren entdeckt. Es wurde klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch der virale Ursprung menschlicher Tumoren nachgewiesen werden würde. Der erste, der die richtige Spur verfolgte, war der britische Virologe Anthony Epstein in den 1960er-Jahren, der Viruspartikel in BurkittLymphom-Zellen fand. Dieser sehr gefährliche Tumor tritt typischerweise bei Kleinkindern in Afrika und Südostasien auf und sein Auftreten fällt weitgehend mit dem der tropischen Malaria zusammen. Aus diesem Grund gehörten sowohl die Malaria als auch ihr Überträger, die Anopheles-Mücke,

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zunächst zu den Hauptverdächtigen. Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch. Weitere Forschungen ergaben, dass das von Epstein beobachtete Virus tatsächlich eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des BurkittLymphoms (und einiger anderer Tumoren) spielt und nach seinem Entdecker und dessen Mitarbeiterin Epstein-Barr-Virus (EBV) genannt wurde. EBV gehört zu Herpesviren, die ihre genetische Information in Form von DNA gespeichert haben, welche nach der Infektion ihres Wirts dauerhaft in das Genom der weißen Blutkörperchen des Wirts eingebaut wird und eine lebenslange, meist latente Infektion verursacht. Man schätzt, dass EBV etwa 95 % der Menschen im Laufe ihres Lebens infiziert. Die Infektion erfolgt in der Kindheit meist symptomfrei oder als infektiöse Mononukleose – eine fieberhafte Erkrankung mit Angina, geschwollenen Lymphknoten und vorübergehend erhöhten Leberwerten. Danach passiert bei der großen Mehrheit der latent infizierten Patienten bis zum Lebensende gar nichts mehr. Bei manchen Menschen, zum Beispiel bei HIV-Patienten, kann es jedoch zu einer EBV-Reaktivierung kommen, die mit einer Störung des Zellzyklus der infizierten Zellen einhergeht und zur a

b

Abb. 10.6  Folgen einer EBV-Infektion. Das Epstein-Barr-Virus ist der Erreger einer häufigen fiebrigen Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen – der infektiösen Mononukleose. Nach dem Abklingen der akuten Infektion werden wir die Infektion mit diesem Virus nie wieder los. EBV versteckt sich in den B-Lymphozyten, wo es bei den meisten Menschen lebenslang in latentem Zustand verbleibt. Wird das Immunsystem jedoch stark geschwächt, kann das Virus reaktiviert werden und zur Entwicklung bestimmter Krebsarten führen. Die CT-Aufnahme (a) zeigt ein großes Hirnlymphom in der linken Hemisphäre eines AIDS-Patienten. Die Prognose für diese Art von Tumor ist trotz aller Fortschritte in der Krebsbehandlung immer noch sehr schlecht und die meisten Patienten mit dieser Krankheit sterben innerhalb weniger Monate nach der Diagnose. Dies war auch bei unserem Patienten der Fall, der einen Monat nach der CT-Untersuchung starb. Die Autopsie offenbarte einen großen Tumor (b). (Quelle: Archiv der Autoren)

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Entwicklung eines Lymphoms führt, ein Tumor, der aus einer bestimmten Gruppe weißer Blutkörperchen, den Lymphozyten, entsteht (Abb. 10.6). Und schon haben wir das Problem. Bei Kindern mit dem bereits erwähnten Burkitt-Lymphom ist die Ursache für die Immunschwäche Malaria, oft in Kombination mit Unterernährung, die in vielen Entwicklungsländern leider immer noch ein häufiges Problem ist. Ein Schutz vor EBV-induzierten Tumoren ist aufgrund der extrem hohen Prävalenz von EBV in der menschlichen Bevölkerung praktisch unmöglich, eine Impfung gegen dieses Virus ist noch nicht in Sicht und wirksame Virostatika sind noch nicht verfügbar. Eine weitere sehr wichtige Tumorart, bei der der virale Ursprung eindeutig identifiziert wurde, ist der Gebärmutterhalskrebs. Gebärmutterhalskrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen und die Entdeckung seiner Ursache hat dazu beigetragen, dass die Inzidenz dieser Krankheit in den Industrieländern deutlich zurückgegangen ist. Anfang der 1980er-Jahre wiesen der deutsche Virologe Harald zur Hausen und seine Kollegen nach, dass Gebärmutterhalskrebs durch bestimmte Hochrisikotypen von humanen Papillomaviren (HPV) verursacht wird. Papillomaviren sind DNA-Viren und seit Langem dafür bekannt, gutartige Haut- und Genitalwarzen zu verursachen. Inzwischen sind rund 200 Typen des humanen Papillomavirus (HPV) bekannt, die durch engen Körperkontakt übertragen werden. Die Hochrisiko-Papillomaviren, von denen es etwa 40 Typen gibt (HPV16 und HPV18 sind die wichtigsten), werden hauptsächlich sexuell übertragen und man schätzt, dass etwa 80 % der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens mit ihnen infiziert werden. Bei der überwiegenden Mehrheit der Menschen verläuft die Infektion symptomlos oder es entwickeln sich Genitalwarzen, aber die Infektion verschwindet normalerweise mit der Zeit. Bei manchen Menschen ist das Immunsystem jedoch nicht in der Lage, die Infektion zu beseitigen, und nach und nach entwickeln sich einige normale Zellen zu Krebs. Zwischen der Infektion und der Entwicklung eines Gebärmutterhalstumors liegen in der Regel viele Jahre und die Viren können bei einer gynäkologischen Routineuntersuchung zunächst nicht entdeckt werden. Daher wird das regelmäßige gynäkologische Screening jetzt durch molekularbiologische Tests auf das Vorhandensein von vermuteten Papillomaviren ergänzt. Die Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Papillomaviren ausgelöst wird, machte jedoch den Weg frei für die Entwicklung von präventiven Impfstoffen. Ursprünglich war die Impfung nur für Frauen bestimmt, heutzutage wird sie auch Männern empfohlen, da dies praktisch

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zur Ausrottung dieser onkogenen Viren führen könnte. Harald zur Hausen wurde daher 2008 zu Recht mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet (zusammen mit Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung von HIV, wodurch der Nobelpreis für Medizin in diesem Jahr zu einem deutsch-französischen, rein virologischen und rein europäischen Ereignis wurde, Abb. 10.7). Neben den oben genannten Viren sind derzeit fünf weitere menschliche Viren bekannt, die Tumoren verursachen oder zumindest eine wichtige Rolle bei deren Entstehung spielen (Tab. 10.1). Diese Zahl ist jedoch zweifellos nicht endgültig und es ist mehr als wahrscheinlich, dass einige der bereits bekannten Viren letztendlich als Auslöser von Tumoren überführt werden. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass völlig neue Arten von onkogenen Viren entdeckt werden. Es liegt auf der Hand, dass es für künftige Forscher,

Abb. 10.7  Virologischer Nobelpreis. Im Jahr 2008 wurde der Nobelpreis für Medizin an drei europäische Virologen verliehen. Die Französin François Barré-Sinoussi (geb. 1947, Mitte) und ihr Kollege Luc Montagnier (1932–2022, links) vom Institut Pasteur in Paris bekamen den Preis für ihre Entdeckung des HI-Virus, die es ermöglichte, schnell eine genaue Diagnosemethode dieser Krankheit in die Praxis umzusetzen und mit der Entwicklung wirksamer Medikamente zu beginnen. Der deutsche Wissenschaftler Harald zur Hausen (geb. 1936, rechts) vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg wurde für die Entdeckung von Papillomaviren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen, ausgezeichnet. Seine Entdeckung ermöglichte es, sowohl die Diagnose der frühen Entwicklungsstadien dieser Krebsart zu präzisieren als auch Impfstoffe zu entwickeln, die dem Gebärmutterhalskrebs sehr effizient vorbeugen. (Quelle: Wikimedia, GFDL 1.2)

Familie

Herpesviridae

Herpesviridae

Hepadnaviridae

Papillomaviridae

Name des Virus

EBV (Epstein-Barr-Virus)

KSHV/HHV-8 (Kaposi-Sarkomassoziiertes Virus/ Humanes Herpesvirus 8)

HBV (Hepatitis-B-Virus)

HPV (humanes Papillomavirus) DNA

DNA

DNA

DNA

Art der Nucleinsäure

Tab. 10.1  Bisher bekannte humane onkogene Viren

Gebärmutterhalskrebs, Enddarmkrebs, Mund-, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs

Leberkrebs

Kaposi-Sarkom

Burkitt-Lymphom, Hodgkin-Lymphom und B-Zell-Lymphom (s. Abb. 10.6)

Tumor

Derzeitige Möglichkeiten aktiver Prävention

(Fortsetzung)

Frühzeitige Integration in die zelluläre DNA und Behandlung mit antiExpression viraler retroviralen Onkogene Medikamenten bei HIVPatienten Frühzeitige Integration in die zelluläre DNA und Behandlung mit antiExpression viraler retroviralen Onkogene Medikamenten bei HIVPatienten Impfung, Chronische frühzeitige entzündliche Behandlung Stimulierung der Hepatitis B mit Virostatika Impfung, Integration in die zelluläre DNA und gynäkologisches Expression viraler Screening Onkogene

Mechanismus der Tumorbildung

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Polyomaviridae

Retroviridae

Flaviviridae

MCPyV (MerkelzellPolyomavirus*)

HTLV-1 (humanes T-lymphotropes Virus)

HCV (Hepatitis-C-Virus) RNA

RNA/DNA

DNA

Art der Nucleinsäure

Leberkrebs

Leukämie bei Erwachsenen

Merkelzellkarzinom der Haut

Tumor

Derzeitige Möglichkeiten aktiver Prävention

Schutz vor Integration in die zelluläre DNA und übermäßiger UVExpression viraler Exposition Onkogene Integration in die zelluläre DNA und Expression viraler Onkogene Frühzeitige Chronische Behandlung entzündliche von Hepatitis Stimulierung C mit Virostatika

Mechanismus der Tumorbildung

Name bezieht sich in keiner Weise auf die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin, sondern auf den deutschen Arzt F. S. Merkel, der diesen Zelltyp 1875 beschrieb

* Der

Familie

Name des Virus

Tab. 10.1  (Fortsetzung)

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die in die Fußstapfen von Peyton Rous, Anthony Epstein und Harald zur Hausen treten, noch viel zu entdecken gibt.

Parasiten, übertragen von anderen Parasiten – Infektionen durch Arboviren Es gibt eine Gruppe von Viren, bei deren Erforschung sich die klassische Parasitologie eng mit der Virologie vermischt und bei der Parasitologen zu Virologen werden und umgekehrt. Dabei handelt es sich um Viren, die von Arthropoden, vor allem Stechmücken oder Zecken, übertragen werden. Diese Viren werden auch als Arboviren bezeichnet, abgeleitet von den englischen arthropod-borne viruses, was so viel bedeutet wie „von Arthropoden übertragene Viren“. Die aus humanmedizinischer Sicht wichtigste Gruppe der Arboviren sind Mitglieder der Familie Flaviviridae. Es handelt sich um umhüllte RNA-Viren mit einem einzelsträngigen RNA-Genom mit positiver Polarität, die üblicherweise Ansteckungen verursachen, zu denen es an Lokalitäten natürlichen Vorkommens kommt, die natural foci genannt werden. In diesen Lokalitäten zirkulieren die Viren zwischen als Reservoir fungierenden tierischen Wirten (meistens verschiedenen Säugetieren oder Vögeln) und Insekten- oder Zeckenüberträgern, den Vektoren. Der Verbreitungszyklus der Flaviviren funktioniert so, dass sich ein wirbelloser Vektor durch Blutsaugen an einem Wirbeltier infiziert, das Virus sich in ihm vermehrt und beim nächsten Blutsaugen auf einen neuen Wirbeltierwirt übertragen wird, bei dem es sich auch um einen Menschen handeln kann. Der Lebenszyklus ähnelt also stark dem anderer Parasiten, die auch von blutsaugenden Insekten oder Zecken übertragen werden, wie Malaria und viele andere. Einige Flaviviren können in der Natur für einige Zeit sogar ohne die Anwesenheit eines Wirbeltierwirts überdauern, und zwar durch die transovarielle Übertragung, bei der die Infektion vom infizierten Weibchen direkt auf ihre Nachkommen übertragen wird, die somit schon vor dem ersten Saugen an einem Wirbeltierwirt infiziert werden. Dies ist gerade für Viren typisch, während andere Parasiten (von Bakterien über Protozoen bis hin zu Fadenwürmern) zu groß für diese Art der Übertragung sind. Flavivirusinfektionen, die von Stechmücken übertragen werden, kommen hauptsächlich in tropischen und subtropischen Regionen der Welt vor, und ihre Namen klingen wirklich exotisch – Gelbfieber, Denguefieber, West-Nil-

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Fieber, Murray-Valley-Enzephalitis, Saint-Louis-Enzephalitis, Japanische Enzephalitis oder das in den letzten zehn Jahren aufgetretene Zikafieber. Das Denguefieber ist eine der am weitesten verbreiteten Infektionen überhaupt – etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in seinem Verbreitungsgebiet, das praktisch die gesamten Tropen und Subtropen umfasst. Obwohl es sich um eine bekannte Krankheit handelt, ist der Ursprung des Namens unklar. Möglicherweise leitet sich der Begriff von Suaheli ka dinga pepo ab, was so viel bedeutet wie „eine Krankheit, die durch einen bösen Geist verursacht wird“. Auf einen anderen Ursprung des Namens verweist eine alternative Bezeichnung für die Infektion, nämlich Dandyfieber – die steifen Bewegungen der Patienten, die ihre Gliedmaßen aufgrund von Gelenkschmerzen nicht beugen können, ähneln dem etwas steifen Gang von Dandys, eine Bezeichnung, die die Einheimischen zu Dengue entstellt haben sollen. Jedes Jahr infizieren sich Dutzende Millionen Menschen mit Denguefieber, und Zehntausende von ihnen sterben sogar. Denguefieber ist auch die häufigste arbovirale Infektion, die Touristen von beliebten exotischen Reisezielen, insbesondere aus Südostasien, mitbringen. Während der Verlauf der Infektion in der einheimischen Bevölkerung in der Regel mild oder asymptomatisch ist, nimmt die Infektion bei den „Weißgesichtern“ oft einen schweren Verlauf mit hohem Fieber und sehr starken Gelenkschmerzen. Die Behandlung des Denguefiebers erfolgt bisher nur symptomatisch, da ein zuverlässiges Virostatikum noch nicht zur Verfügung steht. Mehrere Impfstofftypen sind in der Entwicklung, aber noch ist keiner im Handel erhältlich. Der Schutz vor einer Infektion besteht bisher hauptsächlich in der Bekämpfung der Vektoren – der Mücken Aedes aegypti und A. albopictus – und die Touristen müssen sich hauptsächlich auf den individuellen Schutz mit Repellents verlassen. Anders als das seit Langem bekannte Denguefieber ist das Zikafieber ein Beispiel für eine Infektion, die erst vor Kurzem in größerem Umfang aufgetreten ist und schnell viel Aufmerksamkeit erregt und sogar eine weltweite Panik ausgelöst hat. Der Erreger der Krankheit – ebenfalls ein Flavivirus – wurde 1947 zufällig bei Affen entdeckt, die im Zika-Wald in Uganda leben. Später wurden seltene Fälle von fieberhaften Infektionen beim Menschen beobachtet, die einem leichten Fall von Denguefieber ähnelten. Das erste Auftreten dieser Infektion außerhalb Afrikas wurde 2007 in Mikronesien und 2013 in Französisch-Polynesien beobachtet, aber nicht einmal dann erregte die Erkrankung viel Aufmerksamkeit. Ironischerweise wurde noch 2014 eine Publikation über die Evolution des Zikavirus in der

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Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases (auf Deutsch „PLOS vernachlässigte Tropenkrankheiten“) veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt begann sich jedoch das Zikavirus offenbar rasch in Mittel- und Südamerika auszubreiten, wo im Jahr 2015 plötzlich die ersten Fälle beim Menschen auftraten. Der eigentliche Alarm wurde Anfang 2016 ausgelöst, als bei Neugeborenen in Brasilien eine ungewöhnlich hohe Zahl von Fällen einer schweren angeborenen Störung, der Mikrozephalie, auftrat. Bald wurde klar, dass die Mikrozephalie in Fällen auftrat, in denen sich die Mutter während der Schwangerschaft mit Zikafieber infiziert hatte. Die Weltgesundheitsorganisation stufte die Situation daraufhin als sehr ernste Bedrohung ein und rief Anfang Februar 2016 den globalen Notstand aus – übrigens viel zügiger als vier Jahre später, als die neue Infektionskrankheit Covid-19 auftauchte. Dieser globale Notstand dauerte zwar nur einige Monate, aber er verhalf zu einer schnellen Entwicklung von diagnostischen Methoden und Impfstoffen. Leider werden Tausende von Familien mit betroffenen Kindern für den Rest ihres Lebens mit den Folgen konfrontiert sein. Wir wissen zwar noch nicht, wie das Zikavirus von Afrika in den Pazifik gelangt ist, aber was seine Einschleppung auf den amerikanischen Kontinent betrifft, so haben wir schon einen begründeten Verdacht. Die polynesische Kanu-Mannschaft, die im Jahr 2014 an der Auslegerkanu-Weltmeisterschaft teilnahm, hat das Virus höchst wahrscheinlich nach Brasilien eingetragen. Die Verbreitung des Virus in Südamerika wurde zweifellos durch ein weiteres großes Sportereignis begünstigt – die Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Diese Meisterschaft brachte nicht nur eine katastrophale 1:7 Niederlage im Halbfinale gegen Deutschland (das schlechteste Ergebnis in der brasilianischen Fußballgeschichte überhaupt) und anschließend einen schweren wirtschaftlichen Einbruch mit sich, sondern auch eine wahrhaft tragische Katastrophe in Form von Tausenden schwer behinderten Kinder. Leider müssen wir auch in Zukunft mit einer möglichen Ausbreitung von Arboviren von Kontinent zu Kontinent rechnen. Bei respiratorischen Infektionen wie Influenza oder seit 2020 bei Covid-19 ist die globale Verbreitung vollkommen normal, aber bei Viren, die nicht durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden, haben wir diese Gefahr bisher nicht allzu ernst genommen. Das West-Nil-Virus (WNV) hat zum Beispiel Ende der 1990er-Jahre erfolgreich den Atlantischen Ozean überquert, dieses Mal von Afrika nach Westen auf den amerikanischen Kontinent. Wie der Name schon sagt, liegt das ursprüngliche Verbreitungsgebiet in Nordafrika (und den angrenzenden Gebieten des Nahen Ostens und Europas). Als 1999 in New York eine

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Meningitisepidemie ausbrach, war es eine große Überraschung, dass es sich bei dem Erreger um das WNV handelte, an das ursprünglich niemand gedacht hatte. Außer bei erkrankten Menschen wurde das Virus zur gleichen Zeit auch bei Krähen gefunden, die in der Umgebung des Zoos in der Bronx verendeten, sodass der erste Verdacht auf die Quelle der Infektion logischerweise auf die im Zoo gehaltenen exotischen Vögel fiel. Weitere Nachforschungen konnten diese Quelle jedoch nicht bestätigen. Es gab auch Spekulationen über die Möglichkeit eines bioterroristischen Anschlags, da eine dem irakischen Diktator Saddam Hussein nahestehende Person erwähnt haben soll, dass Saddam diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung ziehen würde. Gegenwärtig gilt jedoch die natürliche Einschleppung durch Zugvögel als wahrscheinlichste Option, da diese ihre Flugrouten im Zuge des Klimawandels ändern und nachweislich über den Atlantik nach Amerika fliegen. Das WNV hat sich inzwischen in Nordamerika fest etabliert und breitet sich weiter nach Westen, Norden und Süden aus. Die Einschleppung des Zikavirus und des WN-Virus auf den amerikanischen Kontinent sind typische Beispiele für vom Menschen verursachte Krankheiten (man-made diseases), bei denen die Aktivitäten des Menschen entweder direkt (z. B. hohe Mobilität) oder indirekt (Klimawandel) Bedingungen für die Ausbreitung bereits vorhandener Krankheitserreger schaffen. Übrigens ist die Einschleppung des Gelbfiebers mit den aus Afrika nach Amerika verschleppten Sklaven ein historisches Beispiel für dieses Phänomen. Eine weitere medizinisch wichtige Gruppe dieser Virusfamilie sind die durch Zecken übertragenen Flaviviren, insbesondere das FSME-Virus, das die Frühsommer-Meningoenzephalitis hervorruft (s. Exkurs: FrühsommerMeningoenzephalitis in Mitteleuropa).

Die Entwicklung der Virostatika – von Aciclovir bis Sofosbuvir Die Entdeckung von Viren als Erreger einer Reihe von schweren Krankheiten hat natürlich zu Bemühungen geführt, Medikamente zu entwickeln, die ihre Vermehrung (d. h. ihre Replikation) in den Wirtszellen stoppen. Solche Arzneimittel werden als Virostatika bezeichnet. Die ersten Virostatika wurden erst etwa 50 Jahre nach der Entwicklung von Antibiotika, den Medikamenten gegen bakterielle Krankheiten, in die Praxis eingeführt. Dafür gibt es viele Gründe, aber der wichtigste hat mit der Natur von Viren

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als intrazelluläre Parasiten zu tun. Wie tötet man etwas, das eigentlich nicht lebt und zudem in unseren Zellen verborgen ist? Und wie tötet man es, ohne gleichzeitig den Wirt selbst zu schädigen? Um 1900 definierte der berühmte deutsche Chemiker Paul Ehrlich das ideale Medikament als „Zauberkugel“, ein Projektil, das einen Krankheitserreger vernichtet, ohne die Zellen des kranken Organismus zu schädigen. Dies ist für einen intrazellulären Parasiten, der nur ein Minimum an eigenen Enzymen und Proteinen besitzt und für alles andere auf die zellulären Mechanismen des Wirts angewiesen ist, in der Tat sehr schwierig. Und es versteckt sich während des größten Teils seines Lebenszyklus feige in den Wirtszellen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das erste Virostatikum, das wirklich als Ergebnis einer rationalen Arzneimittelentwicklung gelten kann, Aciclovir war, das erst 1981 für den klinischen Einsatz zugelassen wurde, fast 50 Jahre nach den ersten Antibiotika. Es wurde von Gertrude Belle Elion und ihren Kollegen entdeckt. Diese außerordentlich begabte Frau, die ihr Ph.D.-Studium nie abgeschlossen hat, war am Ende ihrer Karriere mit über 25 Ehrendoktorwürden und dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Sie verbrachte ihr Leben damit, ein Heilmittel für die Leukämie zu finden, an der ihr Großvater gestorben war. In den Burroughs Wellcome Laboratories begann sie in den 1930er-Jahren, sich mit der Chemie der Purine, einem der Grundbausteine der Nucleinsäuren, zu beschäftigen. Die Idee war genial einfach: Wenn man Bakterien oder Krebszellen veränderte Nucleinsäurebausteine vorsetzt, bauen sie diese in den bei ihrer Vermehrung entstehenden DNA-Strang ein und blockieren so das weitere Wachstum. Einer der ersten dieser „Kettenabbrecher“ (chain terminators) war die Substanz Aciclovir (chemisch 9-[2-Hydroxyethoxymethyl]guanin), die die DNA-Synthese von Viren, insbesondere von Herpesviren, sehr wirksam blockiert. Aciclovir fehlt eine wichtige Hydroxylgruppe, das heißt eine Art Ausbuchtung, über die ein weiterer Baustein (Nucleotid) des wachsenden DNA-Strangs angehängt wird. Da diese Ausbuchtung fehlt, wird die Reaktion gestoppt und der DNA-Strang hört auf zu wachsen (Abb. 10.8). Aber wie kann man eine solche künstlich hergestellte Substanz dazu bringen, nur die Synthese der viralen Nucleinsäure zu blockieren und nicht auch alle anderen DNA-Moleküle, die die Wirtszellen für ihr Wachstum benötigen? Elion und ihr Team haben einen Trick entdeckt, der Aciclovir zu einer antiviralen „Zauberkugel“ macht. Bevor ein Nucleosid in einen DNA-Strang eingebaut werden kann, müssen Enzyme, sogenannte Kinasen, drei Phosphatgruppen an das Nucleosid anhängen. Und da Herpesviren eine Menge DNA herstellen, bringen sie zur Sicherheit ihre eigene Thymidinkinase in die infizierte

262     J. Konvalinka und L. Machala 5’Hydroxyl

O N

HO O

Desoxyribose

N

Guanin NH

N

Desoxyribose -Rest HO

O

N

O N

NH2

Guanin

NH N

NH

2

FEHLEND HO

OH

3’Hydroxyl Natürliches Substrat

Aciclovir

Abb. 10.8  Aciclovir als viraler Polymeraseinhibitor. Gertrude Belle Elion tauschte auf geniale Weise den Zuckerrest (Desoxyribose) von Guanosin gegen einen azyklischen Ersatz. Der Stoff bindet weiterhin an die DNA-Polymerase, aber die Verlängerung des DNA-Strangs wird abgebrochen, da Aciclovir die notwendige Hydroxylgruppe am 3’-Ende fehlt (in rot). (Quelle: Pavel Novotný)

Zelle mit. Die ist viel schneller und effizienter weist und eine höhere Affinität zu Acilovir als die Kinase der Wirtszelle auf. Aciclovir wird daher vom Virus bevorzugt zur Selbstzerstörung eingesetzt. Paul Ehrlich hätte sich darüber sehr gefreut. Nach dem Auftauchen von AIDS und der Identifizierung des Erregers HIV war der Weg bis zu den ersten antiretroviralen Arzneimitteln dank der Erfahrungen bei der Entwicklung von Aciclovir ziemlich klar. Die erste Gruppe von Virostatika, die für den klinischen Einsatz zur Behandlung von AIDS zugelassen wurden, waren die nucleosidischen Reverse-TranskriptaseInhibitoren. Sie beruhen auf demselben Prinzip, nämlich der Blockierung des Wachstums des DNA- oder RNA-Strangs. Zu dieser Gruppe von Arzneien gehört auch das bisher erfolgreichste Virostatikum zur Behandlung der HIVInfektion, Tenofovir (s. Exkurs: Die Entwicklungsgeschichte von Tenofovir). Später wurde eine weitere Gruppe von Inhibitoren dieser reversen Transkriptase, die nichtnucleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, entdeckt. Diese ähneln den Nucleosiden überhaupt nicht. Sie binden nämlich direkt an das Enzym und verändern dessen Struktur, sodass es nicht mehr richtig funktionieren kann. Die Kombination von nucleosidischen  und nichtnucleosidischen  Inhibitoren ist sehr wirksam, da es für ein Virus sehr schwierig ist, Mutationen zu entwickeln, die Resistenzen gegen beide unterschiedlichen Prinzipien gleichzeitig vermitteln.

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Aber es reicht nicht aus, dass Viren ihre genetische Information kopieren, sie müssen auch irgendwie in die Wirtszelle gelangen, virale Proteine herstellen, sie zu Viruspartikeln anordnen und die Zelle wieder verlassen. All diese Schritte können Ziele einer erfolgreichen antiviralen Therapie sein (und sind es auch). Der nächste Schritt im Replikationszyklus von HIV ist die DNA-Integration in das Wirtsgenom. Diesen Prozess vermittelt ein Enzym namens virale Integrase. Trotz einer Reihe von Schwierigkeiten wurden schließlich auch mehrere Integraseinhibitoren hergestellt, die zu den aktivsten antiretroviralen Medikamenten überhaupt gehören und einen wichtigen Teil unseres antiviralen Arsenals bilden. Der nächste Schritt im viralen Replikationszyklus, der durch Virostatika blockiert werden kann, ist die endgültige Reifung des Viruspartikels, nachdem es die Wirtszelle verlassen hat. Dieser Schritt wird von dem Enzym HIV-Protease kontrolliert, das wie eine präzise molekulare Schere funktioniert und das Viruspartikel in seine voll funktionsfähige Form bringt. Es gibt mehr als 500 Proteasen im menschlichen Körper und es ist daher zwingend erforderlich, dass die Inhibitoren spezifisch nur gegen virale Proteasen wirken. Auch das gelang und die Proteaseinhibitoren gehören zu den wirksamsten antiviralen Medikamenten in der modernen AIDSBehandlung. An Proteaseinhibitoren gegen den Erreger von Covid-19 wird fieberhaft gearbeitet und einige davon werden verfügbar sein, bevor dieses Buch in die Hände der Leser gelangt. Eine weitere Virusinfektion, die sich den Bemühungen um die Entwicklung einer wirksamen und sicheren virostatischen Behandlung lange widersetzt hat, ist Hepatitis C. Das Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert etwa 3 % der Weltbevölkerung und ist eine der häufigsten Ursachen für Leberzirrhose und Leberkrebs. Hepatitis C ist eine sehr tückische Krankheit, da bis zu drei Viertel der akuten HCV-Infektionen asymptomatisch verlaufen und die Betroffenen daher gar nicht wissen, dass sie infiziert sind. In mehr als der Hälfte der Fälle geht die Infektion jedoch unerkannt in die chronische Phase über und es kann passieren, dass schwere, oft irreversible Leberschäden erst nach langer Zeit (sogar oft Jahrzehnten) nur per Zufall entdeckt werden. Das Virus wird hauptsächlich durch Blut übertragen – vor seiner Entdeckung im Jahr 1989 geschah dies vor allem durch Bluttransfusionen, heutzutage vor allem durch eine gemeinsame Benutzung von Nadeln und Spritzen durch Süchtige. Aber auch durch unprofessionelles Piercing oder Tätowieren und durch sexuellen Kontakt ist eine Übertragung möglich. Es gibt noch immer keine zuverlässige Impfung gegen HCV-Infektionen. Wie bei HIV ist dies auf die hohe genetische Variabilität zurückzuführen, die die

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Entwicklung wirksamer Impfstoffe behindert hat. Hepatitis C kann heute jedoch sehr gut behandelt werden. In den letzten zehn Jahren wurden neue Virostatika eingeführt, die Infektionen endgültig heilen können, doch muss die Behandlung frühzeitig beginnen, bevor irreversible Leberschäden auftreten. Die Geschichte der Entwicklung von Virostatika gegen HCV illustriert anschaulich die Funktionsweise der modernen Pharmazie. Nach der Einführung einer wirksamen Therapie gegen HIV Mitte der 1990er-Jahre richtete sich die Aufmerksamkeit der Pharmaunternehmen auf die Entwicklung von HCV-Virostatika. Man sprach von der letzten Goldgrube im Bereich der Virostatika und alle großen Pharmaunternehmen mit Erfahrung in der Virostatikaentwicklung stürzten sich auf den Wettlauf um ihre Ausbeutung. Es war klar, dass die Achillesfersen des Virus Enzyme wie die RNA-Polymerase und Protease sein würden. Klingt vertraut, nicht wahr? Pharmafirmen mit Erfahrung in der Entwicklung von HIV-Medikamenten kam dies durchaus bekannt vor und sie machten sich mit großem Elan an die Arbeit. Am weitesten fortgeschritten war die Firma Pharmasset, die von Wissenschaftlern der berühmten Emory University gegründet wurde, denen es bereits gelungen war, wirksame Inhibitoren der reversen Transkriptase von HIV  zu entwickeln. Ihr RNA-Polymerase-Inhibitor, später Sofosbuvir genannt, wurde im Dezember 2013 für den klinischen Einsatz zugelassen. Zuvor wurde jedoch das gesamte Unternehmen Pharmasset von seinem Konkurrenten Gilead, der für seine erfolgreiche Entwicklung von Tenofovir bekannt ist, für satte elf Milliarden US-Dollar gekauft, nur um das eine Molekül Sofosbuvir zu gewinnen. Die Firma Gilead riskierte diesen enormen finanziellen Einsatz, obwohl sie eine Reihe eigener vielversprechender Moleküle in der Entwicklung hatte. Man erkannte nämlich, dass sich HCV zumindest in ökonomischer Hinsicht grundlegend von HIV unterscheidet. Während HIV-Infizierte ihre Medikamente langfristig einnehmen müssen und sich daher mehrere Firmen am Markt halten können, heilt Sofosbuvir die HCV-Infektion so schnell und komplett, dass ein solcher Patient die Arzneimittelhersteller kein weiteres Geld verdienen lässt. Daher gilt auch in der Pharmaindustrie – wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wie sich herausstellte, lag man mit der Annahme richtig. Die Einführung von Sofosbuvir ist die erfolgreichste Markteinführung in der Geschichte der pharmazeutischen Industrie: Im ersten Jahr auf dem Markt hat es 14 Mrd. US$ eingebracht und Zehntausende von Patienten von einer tödlichen Krankheit geheilt. Die Beantwortung ethischer Fragen wie der Frage, wie viel lebensrettende

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Medikamente kosten dürfen und ob es moralisch vertretbar ist, mit ihnen Gewinn zu machen, gegebenenfalls auch die Frage, wer die Medikamente entwickeln wird, wenn niemand mit ihnen Gewinn macht, bleibt dem geneigten Leser überlassen. Die Lage könnte sich also einfach und problemlos darstellen, wenn wir hoch wirksame und sichere Virostatika haben, und es könnte scheinen, dass die Viren ausgespielt haben. Leider ist das nicht der Fall. Tatsächlich haben Viren (wie auch andere Krankheitserreger) eine sehr mächtige Waffe in Reserve. Sie verändern sich, und sie verändern sich sehr schnell, sie mutieren. Bei einem einzigen HIV-Infizierten gibt es bis zu 109 Viruspartikel mit mindestens einer Mutation. Die meisten davon haben keinen Einfluss auf das „Leben“ des Virus oder wirken sich sogar negativ darauf aus, aber unter dem Selektionsdruck der Virostatika setzen sich schnell jene Mutationen durch, die dem Virus die Existenz in Gegenwart der verabreichten Medikamente ermöglichen. Gegen Virostatika resistente Mutanten können während einiger weniger Wochen entstehen und sich anschließend in der Wirtspopulation ausbreiten. Die Entwicklung von Virostatika ist daher ein nie endender Wettlauf zwischen der Mutationsfähigkeit der Viren und der Fähigkeit der Wissenschaftler, neue, wirksamere Moleküle herzustellen. Bisher sind wir diejenigen, die gewinnen.

Viren als Freunde – eine mutualistische Symbiose Die Beziehungen zwischen Menschen und Viren müssen nicht zwangsläufig negativ sein. Manchmal handelt es sich sogar um ein beidseitig vorteilhaftes Zusammenleben, eine mutualistische Symbiose, wobei diese Beziehung noch viel enger sein kann als es beispielsweise bei den bekannten Flechten, einer Symbiose zwischen Pilzen und Algen, der Fall ist. Solche symbiotischen Viren, die mit uns zu einer gemeinsamen evolutionären Reise aufgebrochen sind, sind die endogenen Retroviren (ERV, endogenous retroviruses, bzw. HERV, human endogenous retroviruses ). Sie sind wahrlich zahlreich und ihre Sequenzen machen etwa 10 % unseres Genoms aus (im Vergleich dazu machen Gene, die unsere eigenen Proteine codieren, nur 2 % unseres Genoms aus). Bei den meisten ERV ahnen wir noch nicht einmal, ob sie für uns zu etwas gut sind (wahrscheinlich nicht und es handelt sich nur um eine Art Relikt weit vergangener Begegnungen),

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bei einigen wissen wir es jedoch bereits. Und es sind keine Kleinigkeiten – ERV standen sowohl am Ursprung der Entstehung der Säugetiere, zu denen auch wir Menschen gehören, als auch ganz am Ende unserer biologischen Evolution, als sie dazu beitrugen, uns Menschen von den Schimpansen, unseren nächsten Verwandten, zu unterscheiden. Das menschliche Genom enthält nämlich mehrere miteinander nicht verwandte Gruppen endogener Retroviren. Mit einigen von ihnen leben wir seit wirklich langer Zeit zusammen und teilen sie daher nicht nur mit Primaten, sondern auch mit Fledertieren, Insektenfressern und Nagetieren. Die „Ansteckung“ unserer Urahnen mit diesen Viren liegt in der Tat sehr lange zurück – sie fand bereits im Mesozoikum, zur Zeit der Entstehung plazentarer Säugetiere, statt. Die von diesen Retroviren stammenden Gene ERV-3, HERV-W und HERV-FRD codieren nämlich zur Bildung der Plazenta unerlässliche Proteine, und die Plazenta gewährleistet wiederum die Entwicklung von Säugetierjungen innerhalb der Gebärmutter. Im Gegensatz dazu ist die Symbiose mit einer Gruppe endogener Retroviren namens HERV-K, die es nur beim Menschen gibt, deutlich jünger. Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, tragen diese HERV-K-Gene in ihrem Genom nicht, und so scheint es, dass eben diese Gruppe von Genen einer der Gründe für die unterschiedliche Entwicklung von Menschen und Schimpansen während der letzten sieben Millionen Jahre ist. So haben diese spezifischen endogenen Retroviren als gute Diener zweifellos wesentlich zur Entstehung des Menschen beigetragen. Aber auch hier gilt das Sprichwort, dass keine Rose ohne Dornen ist – und leider können dieselben Retroviren gleichzeitig auch böse Meister sein, denn unter bestimmten Umständen können die von ihnen codierten Proteine zur Entstehung von so schweren Krankheiten wie Schizophrenie oder multiple Sklerose beitragen.

Der Mensch und die Pflanzenviren Es mag überraschend sein, doch auch Pflanzenviren, Phytoviren genannt, sind für den Menschen von großer Bedeutung. Nicht, dass wir uns von Pflanzen mit ihrem Virus anstecken könnten, das ist nun wirklich nicht möglich. Die Auswirkungen von Phytoviren auf den Menschen sind also indirekt, aber dennoch beträchtlich, denn Phytoviren können die landwirtschaftliche Produktion stark negativ beeinflussen. Phytoviren spielten auch eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Virologie als Wissenschaft – denn es war ein Pflanzenvirus und nicht der Erreger

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irgendeiner menschlichen Infektion, der dabei war, als die Virologie in der Wiege lag. Im Jahr 1892 wies der russische Botaniker Dmitri Iwanowski nämlich experimentell nach, dass es Infektionserreger von deutlich kleinerer Größe als die damals schon wohlbekannten Bakterien gibt. Iwanowski gelang es, die Mosaikkrankheit des Tabaks von einer kranken auf eine gesunde Pflanze zu übertragen, indem er den Saft der angesteckten Pflanze durch einen Porzellanfilter mit so kleinen Poren filtrierte, dass Bakterien den Filter nicht passieren konnten. Dennoch gelang die Infektion. Wie ein solches Tabakmosaikvirus tatsächlich aussieht, erlebte Iwanowski nicht mehr mit, denn die ersten Viren konnten wir erst nach der Erfindung des Elektronenmikroskops betrachten. Wie schon im Namen angedeutet, verursacht dieses Virus in erster Linie Verluste bei Tabakanbauern, es befällt jedoch auch ein breites Spektrum anderer Pflanzen. So bedrohte es Mitte des 20. Jahrhunderts beispielsweise die weltweite Produktion der TabascoPaprika (Capsicum frutescens). Die Errettung der Geschmacksknospen etwas „masochistischer“ Feinschmecker brachte somit erst die Züchtung resistenter Paprikasorten, wie der Greenleaf Tabasco. Es gibt jedoch weitaus schwerwiegendere Virusinfektionen, die die landwirtschaftlichen Erträge langfristig verringern und sogar das Potenzial haben, katastrophale Ernteausfälle mit folgenden Hungersnöten zu verursachen. Zu den wichtigsten phytoviralen Infektionen tropischer Nutzpflanzen gehört beispielsweise das afrikanische Maniokmosaikvirus, das für schwere Ertragseinbußen im Anbau von Maniok verantwortlich ist, einer Kulturpflanze, von der das Leben einer halben Milliarde Menschen abhängt, vor allem im tropischen Afrika. Viralen Ursprungs ist zum Beispiel auch die Cadang-Cadang-Krankheit, die erhebliche Schäden in der Kokosnussproduktion verursacht. In gemäßigten Klimazonen sind vor allem Virosen des Getreides von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, wie das Weizenverzwergungsvirus (WDV, wheat dwarf virus  ) und das Gelbverzwergungsvirus der Gerste (BYDV, barley yellow dwarf virus ). Bedeutend sind auch Phytoviren der Kartoffel, wie das Blattrollvirus (PLRV, potato leafroll virus ), oder die Rübengelbsucht, begleitet von vermindertem Zuckergehalt und verursacht von BYV (beet yellow virus). Es muss jedoch nicht immer um Nutzpflanzen zur Produktion von Grundnahrungsmitteln gehen, damit ein wahres Elend zustande kommt. Eine vergleichbare Katastrophe wie die Zerstörung der europäischen Weinberge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das eingeschleppte amerikanische Schadinsekt, die Reblaus (Daktulosphaira vitifoliae), war die

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Ausbreitung der viralen Scharkakrankheit des Steinobsts. Diese zwetschgenbefallende Krankheit trat kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Bulgarien auf, woher auch ihr Name stammt. Das bulgarische Wort šarka bedeutet „Pocken“ und die typischen Symptome dieser Infektion sind oberflächliche Verformungen der Frucht, die den Hauterscheinungen einer Pockeninfektion ähneln. Wie andere landwirtschaftlich bedeutsame phytovirale Infektionen wird auch die Scharkakrankheit von Blattläusen verbreitet, zur Übertragung der Infektion kann es aber auch beim Pfropfen oder sogar durch kontaminierte Werkzeuge wie Veredelungsmesser oder Sägen kommen. Neben Zwetschgen hat sich das Virus auch an weiteres Steinobst wie Pflaumen, Aprikosen und Pfirsiche angepasst und konnte sich in den letzten Jahrzehnten in Anbaugebieten für Steinobst auf allen Kontinenten mit Ausnahme von Australien und Neuseeland ausbreiten. So kann man heute im wahrsten Sinne des Wortes von einer Pandemie sprechen, oder, wie die Pflanzenärzte es fachlich korrekt nennen, einer Panphytozie der Scharkakrankheit. Abgesehen vom unattraktiven Äußeren der Frucht ist auch das Fruchtfleisch von schlechter Qualität und die Zwetschgen sind weder für den direkten Verzehr noch für die Herstellung von Marmelade oder Obstbrand geeignet. Und genau darin liegt die Krux der Scharkakatastrophe. Denn für die slawischen Völker Mittel- und Südosteuropas ist die Herstellung und der Verzehr einer besonderen Art von Zwetschgenmus, des Powidl, und vor allem des Zwetschgenobstbrands, genannt Sliwowitz, ein traditioneller Teil ihrer kulturellen Identität. Und all das nahm ihnen das Scharkavirus, es hat die traditionellen Zwetschgenhaine, die seit Jahrhunderten in dieser Region gepflegt und gehegt wurden, praktisch vernichtet. Im Laufe der Zeit ist es zwar gelungen tolerante und inzwischen sogar resistente Sorten zu züchten, aber Zeugen der guten alten Zeit behaupten, der Geschmack der neuen Sorten und vor allem des daraus hergestellten Sliwowitz sei mit dem der alten Sorten bei Weitem nicht zu vergleichen. Aber nichts muss für immer verloren sein! Man könnte also hoffen, dass die moderne Wissenschaft mithilfe neuer genetischer Werkzeuge wie dem bereits erwähnten Crispr eines Tages nicht nur das Mammut, sondern auch die guten alten Zwetschen wieder auferstehen lassen. Und ein praktischer Rat zum Schluss: Taucht in Ihrem Beet einfarbiger Tulpen wie aus dem Nichts eine Pflanze mit einer besonderen, farbenfroh geflammten Blüte auf, sollten Sie sich nicht der Illusion hingeben, Sie hätten zufällig eine neue Sorte entdeckt, die Sie teuer nach Holland verkaufen können. Die Ursache dafür ist eine Infektion mit dem Tulpenmosaikvirus (TBV, tulip breaking virus ). Neben den Veränderungen an der Blüte ver-

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ursacht das Virus auch eine allgemeine Schwächung der Pflanze, sodass sie in der Regel bald abstirbt. Um andere Tulpen zu retten, müssen die befallenen Pflanzen und ihre Zwiebeln sofort vernichtet werden. Die Krankheit wird von Blattläusen verbreitet, sie kann aber auch durch Messer oder Scheren übertragen werden, wenn Schnittblumen für die Vase gesammelt werden.

Viren als Werkzeuge in den Händen des Menschen Ob Viren die Rolle des bösen Meisters oder des guten Dieners spielen, hängt weitgehend von uns ab. Schon seit Edward Jenner, der am Ende des 18. Jahrhunderts lebte, lernten Ärzte mittels Impfungen bestimmte Viren (zum ersten Mal das Kuhpockenvirus) zur Herstellung von Impfstoffen zu verwenden, um sich gegen andere, viel gefährlichere Viren (damals der Erreger der echten Pocken) zu schützen. Ein weiterer Bereich, in dem Viren eine medizinische Anwendung finden könnten, ist im Kampf gegen bestimmte Bakterien. Derzeit gibt die zunehmende Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika Anlass zu großer Sorge. Dabei handelt es sich um äußerst gefährliche Bakterien wie MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus  ) oder den multiresistenten Erreger der Tuberkulose Mycobacterium tuberculosis sowie viele weitere. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden zwar mehrere Dutzend Antibiotika erfunden, die Verwendung vieler musste später aufgrund der Entwicklung von Resistenzen jedoch aufgegeben werden. Wir geben uns heutzutage daher nicht mehr der Illusion hin, ein neu entdecktes Antibiotikum könnte der bakteriellen Fähigkeit zur Resistenzentwicklung langfristig standhalten. Vielleicht ist es nicht mehr lange hin, bis wir uns eingestehen müssen, dass uns im „Antibiotikawettlauf“ gegen einige Bakterien langsam die Puste ausgeht und wir uns nach einer anderen Waffe umschauen müssen. Und hier könnten die natürlichen Feinde der Bakterien – Bakteriophagen oder kurz Phagen genannt – zu unseren Verbündeten werden. Viele Ärzte haben vielleicht noch nie von dieser Möglichkeit gehört und doch ist die Idee des therapeutischen Einsatzes von Phagen keineswegs neu. Bereits 1923 gründete der kanadische Mikrobiologe Félix d’Hérelle, der Entdecker der Bakteriophagen, zusammen mit seinem georgischen Kollegen G. Eliava in Tiflis ein Institut, dessen Schwerpunkt auf der Erforschung und praktischen Anwendung der Behandlung

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mittels Phagen lag, der Phagentherapie. Während der 1930er-Jahre wurde die Phagentherapie in vielen europäischen Ländern und den USA bei der Behandlung einer Reihe von Infektionskrankheiten eingesetzt, doch später ließ das Interesse daran nach. Der größte Schlag für die sich entwickelnde Phagentherapie war logischerweise das massive Aufkommen von Antibiotika, die ab Mitte des letzten Jahrhunderts den Bereich der Bekämpfung bakterieller Infektionen vollständig beherrschten. In jüngster Zeit jedoch, mit dem starken Anstieg der bakteriellen Resistenz, rückt die Phagentherapie wieder in den Fokus und es ist möglich, dass Phagen wieder zu einem wichtigen Bestandteil des Arsenals antibakterieller Wirkstoffe werden. Erst kürzlich lernten wir, Viren als Kapseln für den Transport geeigneter Gene in das Zellinnere zu nutzen, was es in den 1990er-Jahren möglich machte, ein neues Kapitel in der Geschichte der molekularen Medizin zu beginnen – die Gentherapie. Verschiedene Arten von Viren sind in der Lage, reparierte Gene in die Zellen eines Patienten einzuschleusen. Als Vektor für diese reparierten Gene eignen sich hauptsächlich Adenoviren und Retroviren. Die erste Patientin, die im Jahr 1990 mittels Gentherapie behandelt wurde, war das vierjährige Mädchen Ashanthi de Silva, das an einer angeborenen Immunschwäche litt, verursacht durch einen Defekt im Gen für Adenosin-Desaminase. Ashanthis Gendefekt führte dazu, dass sie aufgrund der schwachen Immunreaktion für die trivialsten Infektionskrankheiten anfällig war. Das durch ein modifiziertes Adenovirus eingeschleuste, reparierte Gen rettete das Mädchen und ermöglichte ihm ein normales Leben. Seitdem weitete sich die Gentherapie mittels viraler Träger auf mehr als 500 verschiedene Indikationen aus und rettet (weiterhin im Stadium experimenteller Therapie) Tausenden von Patienten das Leben. Doch leider hat die moderne Wissenschaft neben dem freundlichen Dr. Jekyll auch das Gesicht des bösen und abscheulichen Mr. Hyde. Die tödlichen Eigenschaften der Viren inspirierten Generäle zu dem Versuch, eine biologische Waffe zu entwickeln, die den Feind lautlos und zuverlässig vernichten würde. Im berühmten sowjetischen virologischen Institut Biopreparat wurde beispielsweise die Virulenz des Marburgvirus, das hämorrhagisches Fieber verursacht, so erfolgreich gesteigert, dass der daraus resultierende, extrem virulente Stamm in einem unglücklichen Zufall seinen eigenen Schöpfer, den Virologen N. Ustinov, tötete. Und es war wohl nur ein schwacher Trost für Ustinovs Hinterbliebene, dass dieser tödliche Virusstamm zu seinem Gedenken „Variante U“ genannt wurde. In den letzten zwei Jahren sind wegen der Coronaviruspandemie einem Großteil der Weltbevölkerung virale Vektoren begegnet. Adenovirale Hüllen, ursprünglich als Mittel zur Impfung gegen Ebola entwickelt, werden

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inzwischen massenhaft und mit großem Erfolg in groß angelegten Impfkampagnen gegen die Viruserkrankung Covid-19 eingesetzt. Zusammen mit mRNA-Impfstoffen, die mithilfe unterschiedlich gestalteter Nanopartikel in die Zellen transportiert werden, retten (Adeno-)Viren so Millionen von Menschenleben. Es scheint so, als würde der gute Dr. Jekyll bisher gewinnen.

Exkurs: Frühsommer-Meningoenzephalitis in Mitteleuropa Von Zecken übertragene Viren der Familie Flaviviridae sind uns Europäern geografisch recht nahe – das FSME-Virus, der Erreger der FrühsommerMeningoenzephalitis (FSME), ist in vielen europäischen Ländern verbreitet, insbesondere in Ländern Mitteleuropas wie Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen und Litauen. Aber trotz seiner einheimischen Herkunft ist das FSME-Virus keineswegs ein Langweiler, im Gegenteil. Es gehört zu einer ziemlich exotischen Sippschaft, denn tatsächlich kann sich kaum einer rühmen, dass er zwar Mitteleuropäer ist, seine nächsten Verwandten aber im Kyasanura-Wald in Indien, rund um die Stadt Powassan in der kanadischen Provinz Ontario und in der sibirischen Taiga bei Omsk leben! Nach all diesen Orten sind nämlich schwere virale Infektionen benannt. Jährlich werden in den EU-Ländern mehrere Tausend FSME-Fälle gemeldet, aber das ist zweifellos nur die Spitze des Eisbergs, denn nur etwa ein Drittel der Infektionen verläuft mit Symptomen. Die typische Form der Krankheit ist eine Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute, die Meningoenzephalitis. Ein Teil der Patienten entwickelt dann eine schwere, oft dauerhafte neurologische Behinderung (insbesondere eine Lähmung der oberen Gliedmaßen). Und für 2 % der Infizierten, hauptsächlich Menschen höheren Alters, bedeutet FSME sogar eine Lebensgefahr. In Europa wird das FSME-Virus vom Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus) übertragen, der Vektor der sibirischen und ostasiatischen Subtypen des Virus ist die Zecke Ixodes persulcatus und die nordamerikanischen Subtypen (Erreger der Powassan-Enzephalitis) werden von mehreren Zeckenarten der Gattung Ixodes und auch von der Buntzecke Dermacentor andersoni übertragen. Diese und andere Zeckenarten übertragen auch eine Reihe von Bakterien-, Rickettsien- und Protozoeninfektionen. In Europa handelt es sich vor allem um die Lyme-Borreliose, aber auch Anaplasmose,

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Tularämie und Babesiose sowie in Nordamerika das Rocky-Mountain-Fleckfieber. Wie schon gesagt, auf unserem Kontinent kommt FSME traditionell vor allem in Mitteleuropa vor, doch infolge des Klimawandels breitet sich die Krankheit in nördliche Gebiete sowie in höhere Gebirgslagen aus, wo sie früher nicht vorkam. Das FSME-Virus wird hauptsächlich beim Blutsaugen infizierter Zecken übertragen (Abb. 10.9), in seltenen Fällen sind jedoch auch andere Übertragungswege möglich – zum Beispiel das Trinken von Rohmilch angesteckter Tieren, die auf der Weide von Zecken infiziert wurden. Obwohl es derzeit keine virostatische Behandlung für FSME gibt, stehen hoch wirksame und sichere Impfstoffe zum Schutz vor einer Infektion zur Verfügung. Ungeimpften Personen wird empfohlen, konsequent Repellents zu verwenden und nach einem Aufenthalt in einem Zeckengebiet ihren Körper sorgfältig abzusuchen. Die rechtzeitige Entfernung der Zecken ist besonders für die Prävention von Lyme-Borreliose wichtig, da die Übertragung der Bakterien erst nach vielen Stunden des Saugens erfolgt, während es gegen die Übertragung von FSME nicht hilft, da das Virus fast unmittelbar nach dem Zeckenbiss in den Körper eindringt.

Exkurs: Die Entwicklungsgeschichte von Tenofovir Die Geschichte des heute am häufigsten verwendeten AIDS-Medikaments begann 1976 in Göttingen, wo der damals 41 Jahre alte tschechische Chemiker Antonín Holý (Abb. 10.10) zum ersten Mal den belgischen Virologen Erik De Clercq traf und sie eine Zusammenarbeit beschlossen. Und so traf im belgischen Löwen bald ein Paket aus Prag ein, das drei Substanzen enthielt. Eine davon war außerordentlich funktionell – es war das zukünftige Tenofovir. In Prag stellte Holý Analoga von Nucleosiden und Nucleotiden her, den Bausteinen von Nucleinsäuren, die als Inhibitoren der DNA-Synthese wirken können. Der Stoff wurde bald patentiert und von einem großen Pharmaunternehmen lizenziert. Doch dann kam der Schock: Das Unternehmen fusionierte mit einem anderen multinationalen Konzern und (wie bei Unternehmensfusionen üblich) die Forschung wurde zurückgefahren und das Entwicklungsprogramm für Virostatika eingestellt. Unter normalen Umständen hätte das das Ende bedeutet. Doch dann geschah etwas

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Häutung Nymphe

Larve

Unbeabsichtigter Wirt

Schlupf Häutung Wirt

Eier

Eiablage Adulte Zecke

Wege der FSME-Virus-Übertragung Horizontal Vertikal (gemeinsames) Parasitieren Alimentär

Abb. 10.9  Übertragungszyklus des FSME-Virus. In der Vektorzecke Ixodes ricinus oder I. persulcatus überdauert das FSME-Virus den Lebenszyklus des Vektors entweder durch horizontale Übertragung, also die Mitnahme der Infektion in folgende Lebensphasen (blaue Pfeile), oder durch vertikale Übertragung, wenn die folgende Zeckengeneration infiziert wird (brauner Pfeil). Unterschiedliche Lebensphasen der Zecke – Larven, Nymphen und adulte Weibchen – ernähren sich vorzugsweise von unterschiedlichen Wirtsarten, wobei weniger reife Stadien kleinere Wirte bevorzugen. Auf neue Vektoren wird das FSME-Virus meist beim gemeinsamen Parasitieren infizierter und nichtinfizierter Zecken oder beim Parasitieren an Wirten, die eine akute FSME-Infektion durchmachen (gestrichelte Pfeile), übertragen. Die Infektion des Menschen, ein unbeabsichtigter Wirt, erfolgt meist durch den Befall mit infizierten Nymphen oder adulten Weibchen oder seltener alimentär, wenn nichtpasteurisierte Milch oder Milchprodukte verzehrt werden (gepunktete Pfeile). (Quelle: Dr. Hana Tykalová, PhD, Institute of Parasitology, Centre of the Academy of Sciences of the Czech Republic and Faculty of Science & Biology, University of South Bohemia, České Budějovice; erstellt mit BioRender.com)

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Abb. 10.10  Antonín Holý. (Foto: Stanislava Kyselová)

Außergewöhnliches, wenn wir nicht gleich das Wort Wunder verwenden wollen. Ein brillanter Chemiker und Entwicklungsmitarbeiter dieses Unternehmens, John Martin, beschloss, seinen mehr als gut bezahlten Job aufzugeben, einen wirklich hohen Kredit aufzunehmen und sein persönliches Vermögen zu riskieren, um zu versuchen, Holýs Moleküle in einem kleinen kalifornischen Unternehmen namens Gilead Sciences bis zur klinischen Anwendung zu bringen. Und es gelang! Bereits 1990 wurden die Patentrechte an Gilead übertragen und nur sechs Jahre später genehmigte die US-Behörde für Lebensund Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) Holýs erstes azyklisches Nucleotid (Cidofovir), das gegen Infektionen mit dem Cytomegalievirus wirksam ist. Aber das war erst der Anfang. Im Jahr 2001 wurde für den klinischen Einsatz ein weiteres, gegen HIV wirksames, azyklisches Nucleotid aus Holýs Labor, genannt Tenofovir, zugelassen. Dieses Medikament verzeichnete einen sofortigen und überwältigenden Erfolg. Im Jahr 2004 wurde Tenofovir dann mit einem anderen nucleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor namens Emtricitabin und 2006 dann zusammen mit dem nichtnucleosidischen Inhibitor Efavirenz zu einer fixen Kombination vereint. Seitdem müssen Patienten nur noch eine einzige Pille pro Tag einnehmen, um die Replikation des Virus ausreichend zu unterdrücken. Schätzungen zufolge werden derzeit bis zu 90 % aller HIVPatienten mit einem der tenofovirhaltigen Präparate behandelt.

11 Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel Jan Votýpka, David Modrý und Petr Horák

Wir nehmen Parasiten meist als etwas Schädliches und Schlechtes wahr, was sich negativ auf unsere Gesundheit oder die unserer Haus- oder Nutztiere auswirkt. Aus biologischer Sicht erfüllen Parasiten jedoch auch eine sehr wichtige positive Funktion: Sie halten, ebenso wie Raubtiere und Prädatoren, das biologische Gleichgewicht aufrecht. Unter natürlichen Bedingungen findet ein ständiger Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen biologischen Arten statt, die versuchen, Dominanz zu erlangen und andere Arten zu verdrängen. Um das zu vermeiden, werden das bestehende biologische Gleichgewicht und die biologische Vielfalt im Laufe der Zeit durch zahlreiche Wechselwirkungen erhalten. Ohne Rückkopplung könnte es leicht passieren, dass eine Art auf Kosten der anderen zu dominant wird und deshalb beginnt, das bestehende Gleichgewicht und die Stabilität des Ökosystems zu beeinträchtigen und zu verändern. Im Extremfall kann dies zum völligen Zusammenbruch der Gemeinschaft oder J. Votýpka (*) · P. Horák  Karls-Universität Prag, Prag, Czech Republic E-Mail: [email protected] P. Horák E-Mail: [email protected] D. Modrý  Masaryk-Universität Brünn, Brünn, Czech Republic E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_11

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zum lokalen, und in einigen Fällen auch globalen Aussterben einiger Arten führen. Allerdings zieht jede überbevölkerte Population nicht nur die Aufmerksamkeit von Raubtieren auf sich, sondern vor allem von verschiedenen Parasiten und Krankheitserregern, die sich auf sie spezialisiert haben und die unverhältnismäßig große Anzahl allmählich auf ihren ursprünglichen Zustand zurückführen. Diese Rückkopplungen sind einer der grundlegenden Mechanismen für das Funktionieren der Natur. Derzeit stehen wir vor einem der schnellsten und größten Artensterben in der Erdgeschichte. Schuld daran sind leider wir Menschen. Einer der Gründe dafür ist unsere massenhafte Überbevölkerung, die auch mit der Unterdrückung und Zerstörung anderer auf der Erde lebender Arten verbunden ist. Die Folge ist eine schwerwiegende Störung der meisten natürlichen Lebensgemeinschaften und eine Schädigung der natürlichen Stabilität auf globaler Ebene. In Übereinstimmung mit den genannten Funktionsprinzipien in der Natur entstehen und verstärken sich auch die Rückkopplungsmechanismen, die dazu dienen, die überbevölkerte Spezies Homo sapiens zahlenmäßig zu reduzieren. Da wir an der Spitze der Nahrungspyramide stehen und keine andere Spezies uns jagt, wird diese regulatorische Rückkopplung hauptsächlich von verschiedenen pathogenen Organismen übernommen. Der ständige Druck der Krankheitserreger auf die menschliche Bevölkerung, gelegentlich mit großen Epidemien bis kontinentübergreifenden Pandemien, führte lange Zeit zu einer relativ geringen globalen Bevölkerungszahl, die zusätzlich im Gleichgewicht mit Natur und Umwelt stand. Der Mensch entzieht sich jedoch in vielerlei Hinsicht anderen Organismen und so gelingt es ihm dank seines Verstands, seines Wissens und seiner Fähigkeiten langsam, dem negativen Druck der Parasiten und Krankheitserreger zu entkommen. Ein großer Durchbruch gelang vor etwa 100 Jahren, als das goldene Zeitalter der Medizin begann. Dank der Fortschritte in der Chemie und Biotechnologie waren wir im Stande, nicht nur eine Reihe von Medikamenten zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten zu entdecken und herzustellen (für die sog. Chemotherapie), sondern hauptsächlich das Wesen von Infektionskrankheiten zu verstehen, die bis dahin die Hauptursache für den Verlust von Menschenleben darstellten. Seit diesem grundlegenden Durchbruch in der Medizin ist ein exponentielles Wachstum der menschlichen Bevölkerung zu beobachten und es ist noch nicht mit Sicherheit abzuschätzen, wann und bei welcher Zahl es zum Stillstand kommt. Wir können behaupten, dass dies einer der größten Triumphe der Menschheit über die funktionellen Grundprinzipien der Natur ist, der jedoch auch tragische Folgen für die Menschheit nach sich ziehen kann.

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Die weltweite Globalisierung mit unvorstellbar schnellen und umfangreichen Bewegungen von Menschen, Gütern und unterschiedlichsten Organismen zusammen mit einer hohen Bevölkerungsdichte, insbesondere in städtischen Gebieten, birgt eine Reihe von Risiken. Eines davon ist das epidemiologische Risiko, wie wir es kürzlich im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie am eigenen Leib erfahren haben. In überbevölkerten Gebieten und insbesondere in der Nähe von Großzuchtbetrieben können leicht neue pathogene Varianten und Stämme entstehen, gegen die die menschliche Bevölkerung nicht ausreichend immun ist. Aufgrund der globalen Vernetzung der Welt können sich diese neu auftretenden Erregerstämme dann schnell über den gesamten Globus verbreiten. Jährliche Grippeepidemien, die in Wellen über die Welt fegen und mehrere Tausend Todesopfer fordern, beginnen in der Regel in Südostasien und verbreiten sich nach dem oben beschriebenen Mechanismus. Dank sorgfältiger Gesundheitsüberwachung, der Entwicklung neuer Impfstoffe und gegenseitiger Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene sind wir jedoch in der Lage, der Bedrohung durch ähnliche Epidemien und Pandemien relativ gut standzuhalten. Die wachsende menschliche Bevölkerung erfordert jedoch ständige Wachsamkeit, sorgfältige Abwägung der Risiken und die kontinuierliche Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Therapieverfahren.

Ungebetene Eindringlinge Die derzeitige Überbevölkerung der Erde zieht natürlich eine Reihe weiterer negativer Folgen nach sich. Eine davon ist die Einschleppung gebietsfremder Organismen an neue Orte. Dieses unerwünschte Phänomen wird als biologische Invasion bezeichnet und bedroht sowohl die globale Biodiversität als auch die Stabilität natürlicher Gemeinschaften. Und in einigen Fällen wirkt sie auch auf die menschliche Gesundheit. Die Einführung gebietsfremder Arten findet stetig statt, aber nur einige Arten werden invasiv. Das bedeutet, sie vermehren sich explosionsartig, verdrängen einheimische Arten und zerstören dadurch oft ganze Gemeinschaften. Auch in Mitteleuropa sind uns Fälle von eingeschleppten gebietsfremden Pflanzen bestens bekannt, zum Beispiel  Staudenknöteriche, Springkräuter oder Akazien, die einheimische Pflanzengemeinschaften zerstören und unsere heimischen Arten verdrängen. Manche der eingeschleppten Pflanzen können sogar unserer Gesundheit gefährlich werden – der Saft des Riesen-Bärenklaus verursacht Blasen und Verbrennungen auf

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der Haut, Pollen der eingeschleppten Beifuß-Ambrosie rufen wiederum schwere allergische Reaktionen hervor, von denen Zehn- bis Hunderttausende Europäer betroffen sind. Unter den vielen invasiven Arten finden sich auch reihenweise tierische und pflanzliche Krankheitserreger. In wirtschaftlicher Hinsicht betrifft uns am stärksten die Einschleppung verschiedener Schädlinge (d. h. Parasiten im weiteren Sinne) von Kulturpflanzen und Nutztieren. Historisch ist der Kartoffelkäfer wohl am berühmtesten. Vor Kurzem wiederholte sich ein ähnliches Szenario mit dem Westlichen Maiswurzelbohrer. Auf ähnliche Weise eingeschleppte Schadinsekten landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und Wildpflanzen gibt es in Hülle und Fülle. Typische Beispiele sind die vorzeitige Verbräunung und der Laubfall von Kastanienbäumen durch die winzige Kastanienminiermotte (Abb. 11.1) oder schwere Schäden an Buchsbäumen durch den Buchsbaumzünsler, die wohl in fast allen Städten zu beobachten sind. Neben Insekten können für Schäden an Nutz- und Gartenpflanzen auch andere invasive Organismen verantwortlich sein. Gegenwärtig sind das die jährlichen Kalamitäten der Spanischen Wegschnecke. Zu häufig eingeschleppten Pflanzenpathogenen gehören verschiedene Pilzkrankheiten. Ihretwegen sind Ulmen beinahe aus unseren Wäldern verschwunden, eine andere Pilzkrankheit vernichtet Erlen entlang von Wasserläufen und ein Pilz der Gattung Lophodermium ist derzeit für den massenhaften Nadelabwurf und das Absterben von Stech-Fichten verantwortlich. Die eindeutig größte Gefahr besteht jedoch in der Einschleppung gebietsfremder Parasiten und Krankheitserreger, die Tiere und Menschen befallen. Ein abschreckendes Beispiel aus der Vergangenheit ist die Einführung der Rinderpest auf den afrikanischen Kontinent. Die durch das Paramyxovirus verursachte Erkrankung gelangte 1887 von Asien bis zum Horn von Afrika und die darauf folgende Epizootie breitete sich in den nächsten Jahren über den afrikanischen Kontinent aus, bis sie ein Jahrzehnt später das Kap der Guten Hoffnung erreichte. Sie hinterließ eine katastrophale Verwüstung in Form von vielen Millionen toter Haustiere, aber auch unter wild lebenden Huftieren forderte sie ihren Tribut. Der drastische Rückgang des Viehbestands führte zu einer Hungersnot und dem Tod Zehntausender Menschen  der afrikanischen Bevölkerung. Dieser Notstand führte schließlich zu einer Reihe örtlich begrenzter Kämpfe und Kriege um Nahrungsressourcen und veränderte nachhaltig das sozioökonomische Gleichgewicht zwischen afrikanischen Stämmen. Ein weiterer Erreger aus derselben Gruppe von Viren verursacht eine Krankheit namens Hundestaupe, die Hunden, aber auch vielen anderen

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Abb. 11.1  Der eingeschleppten Kastanie folgte die eingeschleppte Miniermotte. Die Kastanie oder Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) ist in unseren Städten und auf dem Land weit verbreitet. Sie stammt jedoch ursprünglich aus Südosteuropa, von wo aus sie sich in fast ganz Europa verbreitete. Heute wird sie nicht mal mehr als Fremdelement betrachtet, das in unseren Breiten nichts zu suchen hat. In den 1990er-Jahren begann sich jedoch lawinenartig eine Kastanienkrankheit von der Balkanregion aus in Europa auszubreiten, die sich in einer vorzeitigen Vergilbung bzw. Verbräunung der Blätter und deren anschließendem Abfallen äußert. Als Ursache wurde eine kleine Motte identifiziert, die Kastanienminiermotte (Cameraria ohridella) (A), die als Larve (B) in Kastanienblättern lebt und sich dort auch verpuppt (C). Dieses Verhalten eines herbivoren Insekts, bei dem das Blatt (und möglicherweise andere Pflanzenteile) von innen durchbohrt wird, nennt man Minieren. Miniergänge in verschiedenen Pflanzenblättern zu finden ist relativ einfach. Neben der bereits erwähnten Rosskastanie (D) leidet auch eine weitere typische Pflanze städtischer Parklandschaften unter minierenden Parasiten, das aus Asien stammende Kleine Springkraut. Wie im Fall der Kastanie folgte auch dem Springkraut mit etwas Zeitabstand sein minierender Parasit, in diesem Fall die Larve der Minierfliege (Gattung Agromyzidae ). Schließlich wird auch die Robinie, ein Baum nordamerikanischer Herkunft, von der sich später ausbreitenden Robinienminiermotte befallen, deren Wirkung und negative Auswirkungen auf die Blätter jedoch nicht annähernd so ausgeprägt sind wie im Falle der Kastanie. (Quelle: A–C, Jiří Švábík; D, Jana Bulantová)

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Raubtieren gefährlich werden kann. In der Vergangenheit dezimierte dieses Virus beispielsweise die letzten Bestände des nordamerikanischen Schwarzfußiltis und auf dem afrikanischen Kontinent stellt die Hundestaupe zusammen mit der Tollwut eine tödliche Bedrohung für die vom Aussterben bedrohten Afrikanischen Wildhunde und den Äthiopischen Wolf dar. In einigen Gebieten hat die Staupeepizootie auch Löwenpopulationen in Mitleidenschaft gezogen und das Virus verursacht sogar Massensterben unter Robben und vielen anderen Wildtieren. Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier, die von Pathogenen verursacht werden und deren Verbreitungsgebiet rasch zunimmt, werden als EID (emerging infectious diseases) bezeichnet, zu Deutsch „neu auftretende Infektionskrankheiten“  oder manchmal „vermehrt auftretende Krankheiten“. Von den mehr als 1400 Erregern, die dafür bekannt sind, beim Menschen Krankheiten zu verursachen, wird mehr als ein Zehntel als „vermehrt auftretende Pathogene“ bezeichnet. In einigen Fällen kann es sich um völlig neue Krankheitserreger handeln, denen die Menschheit noch nie begegnet ist. Zu den derzeit bekanntesten gehören HIV, Lassa-, Ebola-, Zikavirus oder SARS-CoV-2, die erst relativ kürzlich „aus den Tiefen des Dschungels“ aufgetaucht sind, und mit „Dschungel“ seien verschiedenste Orte gemeint. Diese ursprünglich unter Wildtieren zirkulierenden Erreger sind erst relativ unlängst versehentlich in die menschliche Bevölkerung gelangt. Einige von ihnen, darunter HIV (und wahrscheinlich auch SARSCoV-2), haben sich dauerhaft an den menschlichen Körper angepasst, während andere nur vorübergehende Epidemien auslösen und sich dann in ihren natürlichen Lebensraum zurückziehen (z. B. das Ebolavirus). Eine weitere Gruppe bilden neu auftretende und hoch virulente Stämme bereits bekannter Krankheitserreger. Dazu gehören zum Beispiel die Erreger der berühmt-berüchtigten Vogel- und Schweinegrippe. Ein solcher neu aufkommender und äußerst gefährlicher Stamm, der Verursacher der Spanisches Grippe, fegte nach dem Ersten Weltkrieg über den Erdball und forderte mehr Opfer als der Krieg selbst. Zu den vermehrt auftretenden Erregern zählen aber auch „altbekannte“ Parasiten, die auf bereits geräumte Plätze zurückkehren. Dies kann auf eine Resistenz gegen verwendete Medikamente (z. B. Tuberkulose) oder auf das Auftreten von Multiresistenzen gegen verschiedene Antibiotika zurückzuführen sein, wie es bei Bakterien der Fall ist, die in Krankenhäusern gefürchtete nosokomiale Infektionen verursachen (z. B. MRSA). Der Grund für die Wiederbesetzung ursprünglicher Plätze könnte auch unsere Inkonsequenz im nie endenden Kampf gegen Infektionskrankheiten sein. Diese kann wiederum wirtschaftliche (hauptsächlich fehlende Finanzmittel oder eine geänderte Organisation

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der Krankheitsbekämpfung) oder politische Gründe haben (Bürgerkriege und andere Konflikte, Zusammenbruch des Gesundheitssystems, Funktionsunfähigkeit zentraler oder lokaler Regierungen usw.), wie es in der Vergangenheit beispielsweise bei Malaria oder der Schlafkrankheit der Fall war. Großes Interesse unter Laien und Fachleuten wecken jedoch gerade die Infektionskrankheiten, die durch altbekannte, aber in neue Gebiete eindringende Erreger verursacht werden. Ein Beispiel aus den letzten Jahren ist das Auftauchen Pärchenegel (Gattung Schistosoma ) des Menschen in Europa. Die letzten dokumentierten Epidemien in Europa standen im Zusammenhang mit dem Pärchenegel S. haematobium, der in Portugal Menschen infizierte. Im Jahr 1967 wurde der letzte Patient geheilt, die Krankheit so auf unserem Kontinent ausgerottet und Europa war für die folgenden Jahrzehnte frei von menschlichen Schistosomen, jedenfalls bis zum Jahr 2013, als erstmals neue Fälle von Pärchenegelbefall gemeldet wurden, diesmal auf Korsika. Die französische Mittelmeerinsel beherbergt nämlich Schnecken der Gattung Bulinus, die als geeignete Zwischenwirte für die Entwicklung der Schistosomen dienen. Es bedurfte also nur der versehentlichen Einschleppung der Parasiten, um den Infektionszyklus wieder in Gang zu setzen. Die Pärchenegel schleppten wahrscheinlich Rückkehrer aus Westafrika, wahrscheinlich dem Senegal, ein. Heute wissen wir von infizierten Personen aus Deutschland und Frankreich, die Europa nicht verlassen haben, sich aber dennoch während ihres Aufenthalts in Touristengebieten im Südosten Korsikas mit dem Pärchenegel S. haematobium angesteckt haben. Die Besiedlung neuer Gebiete durch Krankheitserreger und ihre Überträger kann daher sowohl auf das zufällige, unbeabsichtigte Einschleppen als auch auf globale Ökosystemveränderungen zurückgeführt werden. Damit sind beispielsweise der Zuwachs landwirtschaftlicher Flächen oder der Klimawandel gemeint. Solche neuen und sich schnell verbreitenden Erkrankungen bei Mensch und Tier sind überraschend häufig, doch nur wenige gelangen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Einige mitteleuropäische Beispiele werden wir jedoch in den folgenden Abschnitten etwas ausführlicher beleuchten.

Heimische Fremdlinge Die Vorstellung vom Urlaub am Meer mit Strand und üppiger tropischer Vegetation wird meist mit angenehmen Erfahrungen verbunden. Der Aufenthalt in exotischen Ländern geht manchmal jedoch mit unangenehmen gesundheitlichen Komplikationen einher, die nicht zu unterschätzen sind.

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Und da sich die Zeiten ändern, müssen wir den exotischen Krankheitserregern nicht mehr ins Ausland nachreisen. Es reicht, sie zuhause im Stübchen zu erwarten1. Da Menschen aus verschiedenen Kontinenten und geografisch getrennten Gebieten schon seit geraumer Zeit miteinander in Kontakt stehen und die Globalisierung selbst die entlegensten Winkel unserer Welt miteinander verbunden hat, können wir sagen, dass uns fast alle primär menschlichen Krankheitserreger und Krankheiten weltweit gemeinsam sind. Der Austausch ausschließlich menschlicher Krankheitserreger fand vor allem in der Vergangenheit statt und oft mit tragischen Folgen. Als Beispiel sei die Einschleppung der Pocken durch europäische Eroberer in die amerikanische Urbevölkerung zu nennen. Tiere spielen eine wichtige Rolle bei Zoonosen, bei denen ein potenzieller Krankheitserreger des Menschen langfristig unter Wild- oder Nutztieren zirkuliert. Diese bezeichnen wir daher als Reservoirwirte, da sie die Quelle, das Reservoir, der menschlichen Infektionskrankheit innerhalb des Erregerzyklus sind. Bei zoonotischen Erkrankungen gelangt der Erreger nur versehentlich in den Menschen – der Mensch stellt gewöhnlich eine Sackgasse für ihn dar, die ihn an der Ausbreitung hindert. Man kann also oft behaupten, dass sich im Fall einer Infektion des Menschen weder der Mensch noch der Erreger darüber freuen. Die hierzulande wohl bekanntesten zoonotisch übertragenen Krankheiten sind die durch Zecken übertragene FSME und die Lyme-Borreliose. Die Erreger beider Krankheiten sind jedoch in Mitteleuropa heimisch und zirkulieren seit langem unter Wildtieren, insbesondere den Waldbewohnern. Andere Zoonosen haben sich jedoch erst unlängst verbreitet. Eine recht neue menschliche Krankheit im mitteleuropäischen Raum ist das West-Nil-Fieber (WNF). Bei dieser Viruserkrankung handelt es sich ebenfalls um eine Zoonose, wobei Vögel die wichtigsten Reservoirwirte sind. Der Krankheitsverlauf bei den meisten Vögeln ist völlig asymptomatisch, beispielsweise bei Rabenvögeln kann die Infektion jedoch einen dramatischen Verlauf nehmen, der oft zum Aussterben ganzer Schwärme führt. Das Virus wird unter Vögeln von Mückenarten übertragen, die in der Regel auf ihre Vogelwirte spezialisiert sind. Nichtsdestotrotz sind einige Mückenarten jedoch fähig und willig, nicht nur an Vögeln, sondern auch an Säugetieren zu saugen. Und gerade

1  Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Einschleppung von Parasiten im Zusammenhang mit der Bewegung von Menschen, Tieren oder Gütern ein eher seltenes Ereignis ist, das gerade aufgrund seiner Einzigartigkeit häufig die Schlagzeilen füllt und im Rampenlicht der Medien steht. Exotische Infektionskrankheiten treten überwiegend in ihren ursprünglichen Ausbreitungsgebieten auf; ihr Import nach Mitteleuropa ist zwar möglich, aber nicht üblich.

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diese Mückenarten stellen eine große Gefahr dar. Sie spielen die Rolle von Brücken, die die Übertragung des West-Nil-Virus von Vögeln auf Säugetiere, einschließlich des Menschen, ermöglichen. Wie die meisten Vogelarten leiden auch die meisten Säugetierarten während der Krankheit unter keinerlei klinischen Symptomen – mit Ausnahme von Pferden und leider auch Menschen. Wie der Name der Krankheit vermuten lässt, stammt ihre Erstbeschreibung aus Afrika. Das West-Nil-Fieber ist jedoch seit Langem schon in Südeuropa verbreitet, vor allem in Deltas großer Flüsse, von wo aus es gelegentlich nach Mitteleuropa vordringt, wo kleinere Epidemien mit Massenvorkommen von Stechmücken einhergehen, insbesondere nach Überschwemmungen. Die Krankheit an sich stellt jedoch für gewöhnlich keine ernsthafte Bedrohung dar, kommt selten vor und verläuft zusätzlich milder als in anderen Regionen. So ein Glück haben die USA nicht, in die das Virus (noch dazu eine hoch virulente Form) vor Kurzem eingeschleppt wurde. Die Seuche löste eine landesweite Panik aus, forderte Dutzende menschlicher Opfer und verursachte große Verluste in der Pferdezucht und den Tod Tausender Vögel. Neben neu eingeschleppten Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, gelangen auch reine Tierseuchen nach Mitteleuropa. Während in diesen Fällen zwar keine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht, verursachen neu eingeschleppte Krankheitserreger domestizierter Tiere erhebliche wirtschaftliche Verluste. Eine dieser Krankheiten, die sich in jüngster Vergangenheit in Europa ausgebreitete, ist die Blauzungenkrankheit (BTD, bluetongue disease  ), eine Viruserkrankung, die Schafe und andere domestizierte und wild lebende Wiederkäuer befällt. Der Erreger der Krankheit, das Blauzungenvirus (BTV, bluetongue virus ), wird von blutsaugenden Insekten, insbesondere von Gnitzen der Gattung Culicoides übertragen. Die Krankheit kam ursprünglich in Afrika vor, von wo aus sie sich allmählich in den Mittelmeerraum ausbreitete. Erst schien die Übertragung auf wärmeliebende Gnitzenarten beschränkt zu sein, doch im Jahr 2006 tauchte BTV plötzlich in Westeuropa auf. Das Virus passte sich an lokale, kälteliebende Gnitzenarten an und die Krankheit breitete sich lawinenartig in ganz Europa aus. Dank konsequenter Impfungen ist die Blauzungenkrankheit für Schafzuchten heute jedoch keine so ernste Bedrohung mehr wie zu Beginn der europäischen Epizootie vor mehr als einem Jahrzehnt. Im Jahr 2011 wurde in Deutschland eine neue Viruserkrankung (das Schmallenbergvirus) bei Rindern, Schafen und Ziegen beschrieben, die beim Wirt hohes Fieber, verminderte Produktivität, höhere Sterblichkeit und Totgeburten verursacht. Auch hier wird der

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Erreger, das Virus, von Gnitzen übertragen und wie BTD breitete sich auch diese Krankheit innerhalb weniger Jahre in fast ganz Europa aus. Es sind jedoch bei Weitem nicht nur Wirbeltiere, die unter neu eingeschleppten Pathogenen leiden. Auch gezüchtete Insekten sind betroffen. In der Vergangenheit wurden Zuchten des Seidenspinners durch eingeschleppte parasitische Pilze – das Mikrosporidium Nosema bombycis – stark dezimiert. Die europäische Seidenindustrie konnte damals in letzter Minute durch das Eingreifen der französischen Koryphäe Louis Pasteur gerettet werden. Ein ähnlicher parasitärer Pilz (Nosema apis, der inzwischen jedoch von einem ähnlichen asiatischen Pilz, Nosema ceranae, verdrängt wurde) verursacht weltweite Erkrankungen in Völkern der Westlichen Honigbiene (Apis mellifera). Es handelt sich um die Nosemose (Frühjahrsschwindsucht) bei Bienen. Für die weitaus schlimmere Plage der Honigbienenvölker ist jedoch ein ganz anderer Parasit verantwortlich – die gefürchtete Varroamilbe (Varroa destructor), der Erreger der Varroatose. Ursprünglich parasitierte die Milbe an der Östlichen Honigbiene (Apis cerana), für die sie jedoch nicht annähernd so gefährlich ist wie für unsere Westlichen Honigbiene (Abb. 11.2). Wir wissen ziemlich genau, dass die Varroamilbe in den frühen 1950erJahren zum ersten Mal in Zuchten der Honigbiene eindrang, nämlich irgendwo an der Ostküste Russlands. Von dort aus erreichte sie allmählich ganz Europa, Afrika und schließlich Amerika. Trotz aller Bemühungen und teilweise international koordinierter Anstrengungen zur Bekämpfung der gefährlichen Krankheit breitete sich die Bienenplage unaufhaltsam von Osten nach Westen aus. Im Jahr 1977 wurde die Milbe erstmals in der Ostslowakei und in Deutschland beobachtet. Der Bienenparasit erreichte 1981 die Tschechische Republik und Österreich und 1984 die Schweiz. Die Vereinigten Staaten waren bereits 1987 betroffen, während der Inselstaat Großbritannien bis 1992 Widerstand leistete. Nachdem selbst das ausdauernd widerstandsfähige Neuseeland 2003 dem Ansturm des gefährlichen Gegners erlag, wurde Australien zur letzten Insel der „Bienenfreiheit“. Die Kosten für die größtenteils chemische Bekämpfung der Varroatose erreichen weltweit astronomische Summen, zur größeren Komplikation könnte jedoch die Kontamination der Bienenprodukte mit erheblichen Mengen potenziell gefährlicher und giftiger Stoffe werden. Das massenhafte Bienensterben hat weltweit schwerwiegende Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Die Honigbiene ist ein ökologisch und wirtschaftlich unersetzbarer Bestäuber und unverzichtbar für die Sicherung ausreichender Erträge vieler landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Etwa 80 % aller Pflanzen in der Landwirtschaft und in der freien Natur werden von Insekten, insbesondere von Bienen,

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Abb. 11.2  Parasiten der Bienen. Im Gegensatz zu vielen anderen Regionen ist die Imkerei in einigen Ländern Mitteleuropas nicht nur eine gewerbliche Tätigkeit, sondern ein weit verbreitetes Hobby und eine lebenslange Liebe vieler begeisterter Imker, weshalb verhältnismäßig mehr Menschen als anderswo auf der Welt betroffen von Bienenkrankheiten sind. Zu den parasitär verursachten Bienenkrankheiten gehören die Nosemose und die Varroatose. Die Nosemose wird durch das Mikrosporidium Nosema apis (auch Nosema ceranae ) verursacht (A, Pfeile), einen intrazellulären, parasitären Pilz. Früher galten Mikrosporidien als Protozoen, aufgrund neuerer Studien, insbesondere der Analyse ihrer DNA, werden sie jetzt jedoch als Pilze eingestuft. Leichte Infektionen der Bienenvölker sind in der Regel nicht gefährlich, bei einem schweren Befall kann das Bienenvolk aber sterben. Die Mikrosporidien leben im Cytoplasma der Wirtszellen, insbesondere der Zellen der Darmschleimhaut, und verursachen bei ihren Wirten Durchfallerkrankungen. Deshalb wird die Krankheit auch als Darmseuche oder Frühjahrsschwindsucht bezeichnet.Ein weiterer und weitaus gefährlicherer Bienenparasit ist die Varroamilbe (Varroa destructor) (B). Ursprüngliche diente die Östliche Honigbiene (Apis cerana) als Wirt und die Übertragung auf unsere Westliche Honigbiene (A. mellifera) erfolgte wahrscheinlich Anfang des 20. Jahrhunderts im Fernen Osten Russlands. In der Folge breitete sich die Milbe lawinenartig zunächst in asiatischen und europäischen Ländern und später auch in Süd- und Nordamerika aus. Varroamilben vermehren sich recht langsam, weshalb klinische Anzeichen eines Befalls erst ein Jahr oder später nach der Erstinfektion auftreten können. Erreicht die Zahl der Milben in einem Bienenstock jedoch 1000 oder mehr, ist das Bienenvolk durch diesen Parasiten bereits schwer beeinträchtigt und überlebt den Winter möglicherweise nicht. Der Einsatz von Akariziden ist als Teil der obligatorischen Behandlung vorgeschrieben, obwohl einige Studien darauf hindeuten, dass teilweise nur physikalische Behandlungen ausreichend sein können (regulierte vorübergehende Temperaturerhöhung im Bienenstock usw.). (Quelle: Jana Bulantová)

bestäubt. Unter ihnen dominiert insbesondere in Europa und Nordamerika die Honigbiene, obwohl der Beitrag der Solitärbienen und Hummeln in vielerlei Hinsicht ebenfalls unersetzlich ist. Der weltweite wirtschaftliche Beitrag, den Bienen einschließlich ihrer Auswirkungen auf den Erhalt der biologischen Vielfalt leisten, wird auf mehr als 150 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt. Das Bienensterben als Folge der Varroatose und einer Infektion

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mit dem durch die Milbe verbreiteten Flügeldeformationsvirus verursachen somit wirtschaftliche Schäden, die mit den Staatshaushalten einiger kleinerer Länder vergleichbar sind. Die letzte Gruppe neu eingeschleppter Infektionen, die nicht nur Mitteleuropa betreffen, sind Krankheiten von Wildtieren. Obwohl es sich nicht um medizinisch oder veterinärmedizinisch bedeutende Krankheiten handelt, sollten wir ihre Bedrohung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eingeschleppte und neu auftretende Wildtierkrankheiten können zum lokalen und manchmal auch globalen Aussterben einiger Arten führen. Das Aussterben einer Art bedeutet immer einen Verlust für die gesamte biologische Vielfalt, aber manchmal kann dieser Verlust auch das Gleichgewicht natürlicher Gemeinschaften erheblich beeinträchtigen und zu einer Veränderung der ursprünglichen natürlichen Bedingungen führen. Eine der weltweit gefährlichsten und sich rasch ausbreitenden Infektionskrankheiten unter Wildtieren ist die Chytridiomykose bei Fröschen und neuerdings auch bei Molchen. Obwohl die Notwendigkeit, Frösche, Molche und Lurche zu schützen, bereits ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt ist, wissen nur wenige, dass Amphibien die am stärksten gefährdete Gruppe der Wirbeltiere sind. Ganz allgemein sind Amphibien die am wenigsten anpassungsfähige Tiergruppe und immer vom Aussterben bedroht. Gegenwärtig sind sie am stärksten gerade von dem sich schnell ausbreitenden, mikroskopisch kleinen Pilz namens Batrachochytrium dendrobatidis bedroht, der die oben erwähnte Hautkrankheit Chytridiomykose verursacht. Der Erreger wurde erst im Jahr 1999 beschrieben, aber seitdem hat dieser Hautpilz bereits über 100 Froscharten, vor allem tropischer Gebiete, ausgerottet und etwa 400 weitere sind ernsthaft gefährdet, einige von ihnen stehen bereits am Rande des Aussterbens. Weder der Mechanismus der Pathogenese und Ausbreitung des Pilzes noch die Anfälligkeit einzelner Froscharten für eine Infektion sind bisher vollständig geklärt. Genauso unbekannt bleibt auch der Ursprung der Infektion selbst, obwohl viele Studien auf Südostasien und den Handel mit Krallenfröschen und eine anschließende weltweite Verbreitung hinweisen. Obwohl die Chytridiomykose besonders für Frösche in tropischen und subtropischen Regionen verheerend zu sein scheint, zeigen gehäufte Funde in Europa deutlich, dass sich diese exotische Infektion auch auf unserem Kontinent ausbreitet. Leider ist in letzter Zeit eine sehr ähnliche Krankheit bei Molchen aufgetreten, die der Pilz Batrachochytrium salamandrivorans auslöst, die in mehreren westeuropäischen Ländern fast zum Aussterben der Molche führte und sich weiter nach Osten ausbreitet. Die weitere Entwicklung ist schwer vorherzusagen, aber es besteht nicht viel Hoffnung. In

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Abb. 11.3  Nordamerika vs. Europa 1:0. Eine große Anzahl neuer Organismenarten dringt in die europäische Natur ein, wovon viele invasiv werden, das heißt einheimische Arten verdrängen. Einer davon ist der nordamerikanische Kamberkrebs (Orconectes limosus) (A). Er verdrängt die heimischen europäischen Flusskrebse, den Edelkrebs, den Steinkrebs und den Dohlenkrebs, in unfairem Spiel aus ihren Heimatgebieten. Er brachte den parasitären Pilz Aphanomyces astaci mit, der zwar amerikanischen Flusskrebsen keinen sichtbaren Schaden zufügt, aber unter den nicht angepassten europäischen Flusskrebsen eine tödliche Krankheit namens Krebspest verursacht (B). (Quelle: Adam Petrusek)

Anbetracht der geringen Anpassungsfähigkeit von Amphibien ist das Auftreten von Linien, die gegen Chytridiomykose resistent sind, nicht zu erwarten, insbesondere bei zahlenmäßig kleinen oder geografisch begrenzten Frosch- und Molcharten. Auch Therapien, an denen noch nicht einmal experimentell gearbeitet wird, sind in Wildtierpopulationen meist nicht durchführbar. Neu eingeschleppte Pilzkrankheiten sind eine sehr häufige Ursache für das Aussterben lokaler Wildtierpopulationen. Äußerst lehrreich ist der Fall der Krebspest. Von den sieben in mitteleuropäischen Gewässern vorkommenden Flusskrebsarten sind nur drei heimisch, nämlich der Edelkrebs, der Steinkrebs und der Dohlenkrebs, während der Galizische Sumpfkrebs schon vor langer Zeit aus Osteuropa eingeführt wurde. Zwei weitere Arten, der Kamberkrebs (Orconectes limosus) und der Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus), stammen aus Nordamerika, wurden schon vor mehr als einem halben Jahrhundert in Europa eingeführt und haben in unserer Natur nichts zu suchen (Abb. 11.3). Dabei ist die größte Gefahr für unsere heimischen Flusskrebse nicht die direkte Begegnung mit den amerikanischen Fremdlingen; die größte Bedrohung stellt eine tödliche Krankheit dar, Krebspest genannt, die mit den amerikanischen Flusskrebsen mitreiste. Die Krebspest verursacht der pilzartige Organismus Aphanomyces astaci. Die langfristige Coevolution der amerikanischen Flusskrebse und ihrer Pilzkrankheit führte

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zu einer verringerten Virulenz dieses Erregers für seine amerikanischen Wirte. Aufgrund dessen sind amerikanische Flusskrebse nur symptomlose Überträger des Pilzes und weisen keine Krankheitssymptome auf. Leider stellt die Krebspest für europäische Flusskrebse eine tödliche Krankheit dar, gegen die sie wehrlos sind. Die Einschleppung der amerikanischen Flusskrebse und ihrer Krankheit führt dazu, dass alle europäischen Flusskrebse im betroffenen Gebiet innerhalb weniger Monate oder Jahre aussterben. Die frei gewordenen Nischen werden dann entweder von amerikanischen Flusskrebsen besetzt oder sie bleiben öfters leer. Die Krebspest ist der Grund dafür, dass einheimische Krebse aus den meisten unserer Gewässer verschwunden sind und auch weiterhin verschwinden. Einen europäischen Flusskrebs in freier Wildbahn zu sehen, wird daher immer seltener. Einer weiteren, relativ neuen Pilzerkrankung können wir zum Beispiel bei Fledermäusen begegnen. Der erst 2009 beschriebene Pilz Pseudogymnoascus (früher Geomyces ) destructans verursacht bei infizierten Fledermäusen die Weißnasenkrankheit (WNS, white nose syndrom ). Obwohl der Mechanismus der pathogenen Wirkung noch unklar ist, hat die Krankheit bereits das Leben mehrerer zig Millionen Fledermäuse im Osten der Vereinigten Staaten auf dem Gewissen. In einigen Gebieten sind die Fledermauspopulationen sogar um mehr als 90 % zurückgegangen. Auch in Mitteleuropa wurde der Erreger dieser Krankheit schon zu Beginn des neuen Jahrtausends nachgewiesen, doch entgegen anfänglichen Befürchtungen ist es in europäischen Ländern glücklicherweise nicht zum Massensterben von Fledermäusen gekommen. Warum das so ist, ist noch nicht endgültig geklärt, aber wahrscheinlich war Europa in diesem Fall die Infektionsquelle für Nordamerika. Während unsere Fledermäuse durch ein langes Zusammenleben eine ausreichende Immunität gegen diesen parasitären Pilz entwickelt haben, mussten die Fledermäuse der Neuen Welt für ihre Begegnung mit dem neuen Erreger teuer bezahlen. Hier zeigen sich einmal mehr die komplexen epidemiologischen Zusammenhänge, wo ein und derselbe Erreger an einem Ort ein katastrophales Wirtssterben verursachen kann, während er andernorts ein mehr oder weniger harmloser Parasit ist. Als letztes Beispiel dient das Grünfinkensterben. Erreger dieser Vogeltrichomonadose ist der einzellige Flagellat Trichomonas gallinae. Er ist mit dem menschlichen, sexuell übertragbaren Einzeller T. vaginalis eng verwandt. Der Vogelparasit ist seit Langem als mäßig gefährlicher Erreger bekannt, befällt vor allem Hausvögel, insbesondere Tauben und kommt fast in ganz Europa vor. Vor Kurzem ist allerdings wahrscheinlich ein neuer Stamm dieses Parasiten aufgetaucht, der für wild lebende Singvögel, insbesondere Finkenartige, hoch pathogen ist. Die Krankheitserscheinungen

11  Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel     289

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Abb. 11.4  Das traurige Schicksal der Grünfinken. Die Vogeltrichomonadose, im Volksmund auch Finkensterben genannt, ist eine durch den einzelligen parasitären Flagellaten (Trichomonas gallinae) (A) verursachte Krankheit. Obwohl dieser Parasit schon seit Langem bekannt ist, tauchte erst kürzlich ein pathogener Stamm auf, der für Finkenartige hoch virulent ist, insbesondere für Grünfinken (B). Die Vögel sind am Schlucken gehindert, leiden unter Hunger und Speichelfluss mitsamt unverdauter Nahrung. Vor etwa 15 Jahren breitete sich die Krankheit von England in fast ganz Europa aus, scheint aber inzwischen wieder zurückgegangen zu sein. (Quelle: A, Jana Bulantová; B, Luděk Petrilák)

häufen sich vor allem im Herbst und zu Beginn des Winters, wenn sich die Parasiten in der Mundhöhle der infizierten Vögel vermehren und zu Entzündungen und Schluckstörungen führen. Zur Übertragung kommt es am häufigsten an Futterstellen, wo sich gesunde Vögel mit Samen infizieren, die die kranken Vögel nicht mehr schlucken konnten, sie aber dennoch mit den Flagellaten in ihrer Mundhöhle versehen. Das verstärkte Vorkommen der Trichomonadose bei Finken, insbesondere bei Grün- und Buchfinken, und die daraus resultierenden Gesundheitsbeschwerden wurden erstmals 2005 in Großbritannien gemeldet. In den Folgejahren war in den betroffenen Gebieten ein deutlicher Rückgang der Finkenvögel zu beobachten – um ein Fünftel bis ein Drittel. Die Seuche breitete sich von den Britischen Inseln nach Europa aus und seit 2010 wurde auch in Mitteleuropa häufiges Vogelsterben beobachtet (Abb. 11.4). Ziel dieses Kapitels über neu auftretende Krankheitserreger und in neue Gebiete eingeschleppte Infektionskrankheiten ist es nicht, beim Leser eine Welle von Angst und unbegründeter Besorgnis auszulösen. Die Fortschritte in der Medizin haben Infektionskrankheiten in unseren Breiten längst in den Hintergrund gedrängt und wir sind heute viel häufiger mit den Zivilisationskrankheiten, Krebs und Autoimmunerkrankungen konfrontiert. Dennoch dürfen Infektionskrankheiten nicht in völlige Vergessenheit

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geraten. Im Gegenteil! Die letzte weltweite Covid-19-Pandemie haben wir sicherlich alle noch in lebhafter Erinnerung. Trotz beachtlicher Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten spielen die derzeitige Globalisierung und die Überbevölkerung der Welt eher den Krankheitserregern in die Karten als uns. Wir müssen auch bedenken, dass Erreger von Infektionskrankheiten lebende Organismen sind, die wie wir leben wollen und versuchen, ihren Platz an der Sonne zu finden. Deshalb entwickeln und verändern sie sich und passen sich neuen Bedingungen an. Das liegt in ihrer Natur und wenn wir mit ihnen mithalten wollen, müssen auch wir ständig neue Medikamente, Impfstoffe und Techniken für ihre Bekämpfung entwickeln. Der derzeitige Stand der Human- und Veterinärmedizin und der biomedizinischen Disziplinen bietet ein breites Spektrum präventiver und therapeutischer Maßnahmen, die nicht nur zum Schutz und zur Behandlung von Menschen und Haustieren beitragen können, sondern auch zur Rettung von Wildtierpopulationen, die von Infektionen bedroht sind. Der Kampf ist noch lange nicht verloren, obwohl in Bezug auf die Auswirkungen von Infektionen auf wild lebende Tiere in einigen Fällen Pessimismus durchaus angebracht ist.

Exkurs: In unserem Teich Jan Votýpka und Petr Horák In den meisten Märchen versteckt sich im Teich, See oder Fluss ein Wassermann. Manchmal ist er gut, manchmal böse. Verstecken sich hier aber auch Parasiten? Und wenn ja, könnten sie uns Menschen gefährlich werden? Aquatische Ökosysteme sind in vielerlei Hinsicht hoch spezifisch und werden auch von spezifischen Tieren bewohnt – Fischen und Amphibien. Und die haben wiederum hoch spezifische Parasiten. In den meisten Fällen sind Parasiten der Fische und Amphibien nicht auf den Menschen übertragbar, da wir uns von den aquatischen Wirten doch ziemlich deutlich unterscheiden, mitunter in der höheren Körpertemperatur, die für Parasiten wechselwarmer Wirbeltiere ungeeignet ist. Das gilt jedoch nicht für einige Würmer, die Fische und Amphibien als Zwischen- oder Transportwirte nutzen und deren weitere Entwicklung eine Infektion gleichwarmer Wirbeltiere, einschließlich des Menschen, erfordert. Falls uns Parasiten zumindest ein wenig, im positiven oder negativen Sinne, in ihren Bann gezogen haben, bietet die parasitologische Untersuchung eines Karpfens und anderer Süßwasserfische eine einzigartige

11  Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel     291

Gelegenheit, einigen von ihnen persönlich zu begegnen. Für die überwiegende Mehrheit hauptsächlich städtischer Haushalte sind nämlich Süßwasserfische, unter anderem der Karpfen, die in einigen europäischen Ländern traditionell als Weihnachtsessen serviert werden, die einzigen Wildtiere, die wir ausnehmen und eingehend untersuchen können. Außerdem besteht absolut keine Infektionsgefahr und das Vorhandensein von Parasiten beeinträchtigt auch die Qualität und den Geschmack des Fleischs nicht. Natürlich, kein Fisch wird wie ein Weihnachtsbäumchen mit allen folgend aufgeführten Parasiten „geschmückt“ sein. Im Glücksfall können wir zumindest einige von ihnen finden, auch ohne Mikroskop oder andere spezielle Ausrüstung. Während der Karpfen oder ein anderer Fisch noch in der Badewanne schwimmt, sind an Körper und Flossen manchmal die grünlichen, quer gestreiften Gemeinen Fischegel (Piscicola geometra) zu sehen, die sich durch einen auffälligen hinteren Saugnapf auszeichnen und bis zu 4 cm lang werden. An den gleichen Stellen können wir einen weiteren weit verbreiteten Ektoparasiten finden, die Karpfenlaus (Argulus). Es handelt sich um ein von der parasitischen Lebensweise stark verändertes Krebstier. Ihr flacher Körper ist mit kräftigen Saugnäpfen ausgestattet, um sich perfekt an ihren Wirt anzuheften, und ihr kräftiger Stachel perforiert die Haut des Wirts, sodass die Karpfenlaus das austretende Blut absaugen kann (Abb. 11.5). Bei einem bereits toten Fisch beginnen wir mit der Untersuchung der Kiemen, die weitere parasitische Krebstiere beherbergen können, nämlich Ruderfußkrebse, genauer Kiemenkrebse (Ergasilus), deren Antennen zu Befestigungshaken umgewandelt sind. Kiemen werden häufig von verschiedenen Arten von  Hakensaugwürmern (Monogenea) besiedelt, egelartige Würmer, deren Saugnapf am hinteren Ende des Körpers sitzt. Der bekannteste und auffälligste Vertreter ist das Doppeltier (Diplozoon paradoxum), bei dem zwei Individuen dauerhaft miteinander verwachsen, sodass ihr gemeinsamer Körper die Form eines X annimmt (Abb. 11.6). Nach dem Ausnehmen können wir noch in die Eingeweide des Fischs schauen. Diese bieten zahlreichen Bandwürmern Unterschlupf, von denen die weißlichen, mehrere Millimeter bis Zentimeter langen Bandwürmer der Gattungen Khawia und Atractolytocestus aus der Gruppe der Nelkenwürmer (Caryophyllidea) die häufigsten sind. Nelkenwürmer heißen sie wegen ihrer blütenähnlichen Kopfform; wie auch bei Pflanzen der Ordnung Caryophyllales leitet sich ihr Name vom lateinischen Wort caryophyllum ab, was „Nelke“ bedeutet und sich sowohl auf die Pflanze als auch das Gewürz bezieht. Da die Karpfen aus den Zuchtbecken ausgehungert sind,

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Abb. 11.5  Ektoparasiten an Fischen. Der häufige Gemeine Fischegel (Piscicola geometra) (A) kann bestimmte Blutparasiten zwischen Wirten übertragen und hat im Gegensatz zu den meisten unserer anderen Egelarten Saugnäpfe, die den Durchmesser des restlichen Körpers deutlich übersteigen. An lebenden Fischen sind die grünlich gefärbten Karpfenläuse (Argulus foliaceus) (B) manchmal nur schwer zu finden. Allerdings sind diese Krebstiere oft an ihren auffälligen dunklen Augenflecken erkennbar. Von oben (B) ist ihr Körper von einem robusten Schild bedeckt, der sie vor Beschädigungen schützt. An der Unterseite (C) tragen sie auffallend starke Saugnäpfe, mithilfe derer sie sich an den sonst rutschigen Oberflächen (Schuppen, Flossen) ihrer Wirte festhalten. Mit ihrem langen Stachel injizieren Karpfenläuse Enzyme und andere chemische Stoffe in den Wirt, um sich das anschließende Blutsaugen zu erleichtern. Bei dem parasitären Kiemenkrebs (Ergasilus sieboldi) (D) parasitieren nur Weibchen an Fischen, indem sie sich mit modifizierten Antennen an den Kiemendeckeln festhalten. Dank der vom Wirt aufgenommenen Nahrung bilden sich am Körperende des Weibchens Eier in Form zweier traubenförmiger Anhängsel. (Quelle: Jana Bulantová)

11  Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel     293

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Abb. 11.6  Endoparasiten in Fischen: Was findet man im Weihnachtskarpfen? An den Kiemen unserer Karpfen können wir blutsaugende Hakensaugwürmer namens Eudiplozoon nipponicum (A) finden. Im Allgemeinen gilt, dass Hakensaugwürmer eine Art Übergang zwischen ekto- und endoparasitischem Leben darstellen. Die Entwicklung von Eudiplozoon nipponicum erfolgt direkt und Fische infizieren sich durch den Kontakt mit frei schwimmenden, infektiösen Larven. Die Körperform ausgewachsener Würmer ähnelt dem Buchstaben X, da sie durch Verschmelzung zweier ursprünglich unabhängiger Individuen entsteht. Im Darm von Karpfen sind ausgewachsene Bandwürmer der Gruppe Caryophyllidea (B) zu finden. Diese Bandwürmer benötigen für ihre larvale Entwicklung Bachröhrenwürmer, die dann die Infektionsquelle für Fische darstellen. Ausgewachsene Bandwürmer haben einen einzigartigen Körperbau – sie sind nicht gegliedert und am relativ simplen Kopf befinden sich keine Saugnäpfe oder Saugschlitze (bei einigen Arten kann der Kopfrand auffällig zerfranst sein) (B). In den Augenlinsen vieler unserer Fischarten können sich Larven von Saugwürmern der Gattung Diplostomum ansammeln. Unter der Lupe erscheinen sie als weißliche Gebilde (C, Pfeil). Werden sie entfernt, gefärbt und unter dem Mikroskop betrachtet (D), ähneln sie bereits weitgehend erwachsenen Saugwürmern, die im Darm fischfressender Vögel parasitieren. Diese Saugwürmer haben dreiwirtige Lebenszyklen: Als erster Zwischenwirt dienen Wasserschnecken, die Larven freisetzen, welche aktiv in die Fischkörper eindringen und zu den Augen wandern. Die Infektion beeinträchtigt das Sehvermögen der Fische, die deshalb leichtere Beute für fischfressende Vögel (die Endwirte) darstellen können. (Quelle: Jana Bulantová)

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ist es relativ einfach, Bandwürmer und möglicherweise andere Helminthen im leeren Darm zu finden. Mutigere Entdecker können auch noch in die aus dem Kopf entfernte Augenlinse schauen und dort mit bloßem Auge oder einer Lupe möglicherweise kleine, weißliche Objekte ausmachen. Dabei handelt es sich um Larvenstadien von Saugwürmern, die das Sichtvermögen des Fischs beeinträchtigen und damit seine Fähigkeit einschränken, Raubvögel zu sehen, die ihn erbeuten und verspeisen könnten (vielleicht verringern sie auch die Orientierungsfähigkeit und Beweglichkeit des befallenen Fischs). Mit der teilweisen Blendung des Fischs erhöhen die Parasiten die Wahrscheinlichkeit, dass gerade der befallene Fisch zur bevorzugten Beute des fischfressenden Vogels wird und der Parasit seinen endgültigen Wirt erreicht. Stehende und langsam fließende Gewässer stellen aus parasitologischer Sicht doch ein gewisses Risiko für den Menschen dar. Nämlich in Form Medizinischer Blutegel, die mittlerweile jedoch sehr selten sind und nur an wenigen Orten vorkommen. Blutegel werden im Kapitel über den positiven Beitrag von Parasiten behandelt. Eine wesentlich weniger angenehme und vor allem häufigere Gefahr sind Saugwürmer aus der Gruppe der Pärchenegel (Schistosomen). Pärchenegel sind in der Öffentlichkeit als Erreger einer schweren Tropenkrankheit bekannt, der Bilharziose oder auch Schistosomiasis. Diese Krankheit, die weltweit 200–250 Mio. Menschen betrifft, wird von Arten verursacht, die den Menschen als natürlichen Endwirt nutzen. Diese Würmer kommen in Europa (mit Ausnahme von Korsika) nicht vor, wohl aber ihre an Vögeln parasitierenden Verwandten, denen Wasservögel als Endwirte dienen. Der Zyklus der Schistosomen in der Natur ist recht universell: Ein Säugetier (für einige Arten der Mensch) oder ein Vogel dient als Endwirt, während eine Wasserschnecke Zwischenwirt ist. Es handelt sich also um einen zweiwirtigen Zyklus. Worin besteht also das Problem mit Vogelschistosomen und warum sollten sie uns interessieren? Die Entwicklung dieser Parasiten in Wasserschnecken führt zur Bildung vieler Tausend Larven, den Zerkarien, die vor allem an warmen, sonnigen Tagen von den Schnecken freigesetzt werden und sich frei im Wasser bewegen. Treffen sie auf ihren endgültigen Wirt, einen Vogel, dringen sie durch seine Haut in den Körper ein, wo sie dann auf komplizierte Weise zu ihrem Zielgewebe wandern und dort ausreifen. Nicht selten trifft jedoch der Mensch beim Schwimmen in Teichen und Seen auf diese Larven, insbesondere in den Sommermonaten. Die Zerkarien dringen dann in die menschliche Haut ein, wo sie Immunreaktionen auslösen, die die Larven zwar abtöten, aber auch zu einem unangenehmen,

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Abb. 11.7  Pärchenegel bei Vögeln und Zerkariendermatitis. Aquatische Weichtiere und insbesondere Schnecken, unter mitteleuropäischen Bedingungen zum Beispiel die Spitzschlammschnecke (Lymnaea stagnalis) (A), sind häufig die ersten Zwischenwirte im Lebenszyklus von Saugwürmern. In ihren Körpern vermehren sich mehrere Larvengenerationen, wobei die letzte Generation mit einer beträchtlichen Anzahl an Individuen (Zerkarien) (B; in der Wassersäule) die Schnecke verlässt und sich nach vorgeschriebenem Ablauf weiterentwickelt: Die Larven kapseln sich an verschiedenen Gegenständen, in der Vegetation oder im Körpergewebe des nächsten Zwischenwirts ab. Zerkarien einiger Saugwürmer dringen jedoch direkt in ihren Endwirt ein, wie es bei menschenpathogenen Pärchenegeln der tropischen Gattung Schistosoma der Fall ist. Auch bei uns kommen Pärchenegel vor, die jedoch an Vögeln parasitieren. Ihre Larven (C; unter dem Mikroskop) sind jedoch nicht sehr wählerisch und können während ihrer Suche nach einem Endwirt auch Menschen befallen. Infolge des Eindringens der Larven in unsere Haut und der anschließenden Immunreaktion entwickeln wir einen juckenden Ausschlag, der als Zerkariendermatitis (D) bezeichnet wird. (Quelle: A–C, Jana Bulantová; D, Jana Bulantová und Libor Mikeš)

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juckenden Ausschlag führen, der Zerkariendermatitis oder Badedermatitis genannt wird (Abb. 11.7). Aus evolutionärer Sicht ist dieses Verhalten recht paradox: Warum dringen Schistosomenlarven massiv in Säugetiere wie den Menschen ein, wenn sie in einem solchen Wirt nicht überleben können und dieser Wirt eine Sackgasse im Entwicklungszyklus darstellt? Untersuchungen zeigten, dass das einfache Eindringen der Larven in die Wirtshaut durch ungesättigte Fettsäuren eingeleitet wird. Und überraschenderweise sind Menge und Zusammensetzung der Fettsäuren in der menschlichen Haut für vogelpathogene Schistosomenlarven attraktiver als in der Haut ihrer natürlichen Wirte, der Vögel. Wir sind also ein starkes Lockmittel für diese Parasiten, obwohl wir ihnen keine weiteren Entwicklungsbedingungen bieten und die getäuschten Vogelschistosomen in uns sterben, ohne die Geschlechtsreife und die damit verbundene Eierproduktion zu erreichen. Wenn sich die Larven nicht irren und ihren Vogelwirt finden, durchdringen sie dessen Haut und wandern zu ihren Zielorten, zum Beispiel Blutgefäße um die Organe der Bauchhöhle oder die Nasenschleimhaut. Die Migration zu diesen Orten ist oft kompliziert und kann entweder über den Blutkreislauf oder sogar das Nervensystem erfolgen. Dies kann bei Vögeln, die massiv von diesen Parasiten befallen sind, zu Schäden an Lunge, Leber oder Nervengewebe führen, die sich beispielsweise in Atemproblemen, Desorientierung oder Lähmungen äußern können. Werden experimentell kleine Säugetiere infiziert, können einige der Würmer aus der Haut fliehen und auf ähnliche Weise durch den Körper dieser Säugetiere wandern, obwohl sie ihre Entwicklung nicht fortsetzen und nicht reifen können. In jedem Fall stellt die erste Begegnung mit Vogelschistosomen für Säugetiere, einschließlich des Menschen, ein potenzielles Risiko der parasitären Migration aus der Haut in andere Gewebe dar. Wiederholter Kontakt mit Zerkarien im Wasser führt zu einer schnelleren Stimulierung des Immunsystems, das den Parasiten bereits in der Haut abtötet. Es scheint also, dass der juckende Ausschlag zwar eine unangenehme Folge wiederholter Begegnungen mit Vogelschistosomen ist, aber auch Ausdruck eines funktionierenden Immunsystems, das uns vor diesen Saugwürmern schützt und sie bereits in der Haut abtötet, kurz nachdem sie eingedrungen sind. Zerkariendermatitis wird jährlich aus einer Reihe europäischer Länder gemeldet. Obwohl vogelpathogene Schistosomen keine für den Menschen gefährliche Krankheitserreger sind, verursachen ihre Angriffe auf Badeurlauber und der anschließende juckende Hautausschlag große wirtschaftliche Verluste in der Tourismusbranche, da die Zahl der Urlauber rückläufig ist und Badeorte mit vorkommenden Vogelschistosomen häufig geschlossen werden.

11  Parasiten auf dem Vormarsch in einer Welt im Wandel     297

Die Vorbeugung zielt meist auf die Ausrottung der als Zwischenwirte dienenden Schnecken ab, die die Larven (Zerkarien) der Vogelschistosomen freisetzen. Heutzutage sind flächige chemische Eingriffe nicht wirklich akzeptabel, da sie oft auch andere Tiere in Mitleidenschaft ziehen. Daher werden mechanische Ausrottungsmethoden, der Einsatz biologischer Bekämpfung oder verschiedene technologische Ansätze bevorzugt. Die Schneckenpopulationen werden durch Absammeln oder mechanische Vernichtung mithilfe von Mähbooten reduziert, wie es beispielsweise in Frankreich praktiziert wird. Die Wasser- und Ufervegetation, die einigen Schneckenarten als Hauptnahrungsquelle dient, wird ebenfalls beseitigt, natürliche Fressfeinde der Schnecken werden ausgesetzt oder die Teiche werden im Sommer oder Winter abgelassen, was wiederum die Schneckenpopulationen reduziert. Keiner dieser Eingriffe ist jedoch von anhaltender Wirkung, da ziehende Wasservögel die Schnecken an neue Standorte bringen und der Parasit so erneut eingeschleppt werden kann. Was den Schutz einer Einzelperson angeht, so bohren sich Schistosomenlarven nicht in Haut ein, die von Kleidung oder Schuhen bedeckt ist. Es ist auch bekannt, dass die höchste Larvenkonzentration im Wasser an der Stelle auftritt, an der sie von den Schnecken freigesetzt werden, in der Regel im Flachwasser mit angrenzender Vegetation, das daher nicht zum Schwimmen empfohlen wird. Als minimale Vorsichtsmaßnahme kann daher empfohlen werden, in tiefem Wasser zu schwimmen und sich sofort nach dem Verlassen des Wassers mit einem Handtuch abzutrocknen. Vor einigen Jahren entwickelten deutsche Wissenschaftler eine Schutzcreme gegen Zerkarien, leider wurde dieses Produkt aber nie kommerziell hergestellt – dieser Schutz ist also nicht im Handel erhältlich. Bei Zerkarienbefall steht keine Behandlung der Ursache zur Verfügung (es gibt keine kausale Behandlung), sodass die symptomatische Behandlung der unangenehm juckenden Dermatitis und anderer Anzeichen der Infektion (erhöhte Temperatur, lokale Schwellungen usw.) mit Pulvern und anderen Präparaten übrig bleibt. Die Symptome klingen nach einigen Tagen ab, während die abgetöteten Parasiten zersetzt und im Körper verarbeitet werden.

12 Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer Infektionen bei Auslandsreisen František Stejskal

Parasitär verursachte Krankheiten betreffen Hunderte Millionen Menschen auf unserem Planeten und viele gehören zu den schwersten Infektionen überhaupt. So ist auch eine beträchtliche Anzahl von Mitteleuropäern irgendwann in ihrem Leben mit Parasiten konfrontiert worden. Toxoplasmose, larvale Toxocariasis oder manche intestinale Wurmerkrankungen (Helminthiasis), zum Beispiel die durch Madenwürmer verursachte Enterobiasis, sind selbst in Europa noch weit verbreitete parasitäre Erkrankungen, ganz zu schweigen vom Lausbefall (fachsprachlich Pedikulose). Die tatsächliche Gesamtauswirkung der unterschiedlichen Parasiteninfektionen auf die menschliche Gesundheit ist jedoch mehr oder weniger spekulativ und die wissenschaftlichen Belege für ihre negativen oder positiven Auswirkungen auf die Bevölkerung widersprechen sich teilweise. Unabhängig davon, wie wir ganz allgemein das Vorkommen und die Auswirkungen parasitärer Erkrankungen in Mitteleuropa einschätzen, bleibt unbestreitbar, dass parasitäre Infektionen in den Tropen und Subtropen viel häufiger vorkommen (Tab. 12.1) und viele von ihnen nicht nur die Gesundheit, sondern sogar das Leben der infizierten Menschen bedrohen. Zu den gefährlichsten, häufigsten und geografisch am weitesten verbreiteten parasitären Infektionen gehören Malaria, Amöbiasis, Schistosomiasis und Leishmaniose. Andere Krankheiten sind regionalspezifisch, wie die Chagas-Krankheit in Lateinamerika. F. Stejskal (*)  Karls-Universität Prag, Prag, Czech Republic E-Mail: [email protected] © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9_12

299

ca. 10.000 12.000

40–50 Mio. 50–90 Tsd. ca. 1 Mio.

Hunderttausende (diagnostiziert)

250 Mio.

50 Mio.

20 Mio.

3,5 Milliarden

Amöbiasis Viszerale Leishmaniose Kutane Leishmaniose

ChagasKrankheit Schistosomiasis

Lymphatische Filariose

Onchozerkose

Intestinale Helminthiasis

20.000

40.000–110.000 40.000–60.000

ca. 0,6 Mio.

ca. 250 Mio.

Malaria

Anzahl der Todesfälle pro Jahr

Anzahl der Fälle pro Jahr

Erkrankung

Weltweit

99 % Afrika, Lateinamerika

Tropen

Tropen

Lateinamerika

Weltweit Tropen und Subtropen Tropen und Subtropen

Tropen und Subtropen

Ausbreitung

1 Milliarde Menschen ansteckungsgefährdet 6–7 Mio. Infizierte etwa 700 Mio. Menschen ansteckungsgefährdet  863 Mio. Menschen ansteckungsgefährdet, 36 Mio. Behinderte 220 Mio. Menschen ansteckungsgefährdet

3,2 Milliarden Menschen ansteckungsgefährdet

Hinweis

Tab. 12.1  Die häufigsten parasitären Infektionen. (Quelle: World Health Organization 2023: Fact Sheets. https://www.who.int/newsroom/fact-sheets. abgerufen am 16.04.2023)

300     F. Stejskal

12  Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer …     301

Das häufige Auftreten gefährlicher Parasiten des Menschen in den Tropen und Subtropen wird vor allem durch das Vorhandensein spezifischer Überträger (z. B. Sandmücken für Leishmaniose, für Trypanosomiasis sind es Tsetsefliegen im Äquatorialgürtel Afrikas oder Raubwanzen in Süd- und Mittelamerika) und Zwischenwirte (bestimmte Arten von Wasserschnecken im Fall von Schistosomiasis) ermöglicht, die in gemäßigten Klimazonen nicht überleben können. Eine Reihe anderer Infektionen kann zwar in kälteren Regionen auftreten (z. B. Amöbiasis und andere durch Protozoen und Helminthen verursachte Darminfektionen), doch haben die erheblich höheren Hygienestandards in den entwickelten Ländern Europas, Nordamerikas und vieler Teile Asiens dazu geführt, dass diese parasitären Krankheiten weitgehend unterdrückt und mancherorts sogar ausgerottet wurden. Die wichtigste Erkrankung in der Gruppe der Infektionskrankheiten, die von klassischen Parasiten tropischer Gebiete ausgelöst werden, ist Malaria. Früher war sie auch in den Subtropen und der gemäßigten Zone weit verbreitet, wurde aber durch eine nachhaltige, langfristige und sehr gründliche Kampagne allmählich aus diesen Gebieten verdrängt und die autochthone (d. h. lokal übertragene) Malaria ist in entwickelten Ländern mit einer funktionierenden Gesundheitsversorgung nicht mehr anzutreffen. Gegenwärtig können gefährliche Parasiteninfektionen der Tropen und Subtropen also vor allem Touristen, Arbeitskräfte und Geschäftsreisende bedrohen, die Risikogebiete besuchen oder sich länger dort aufhalten. Das Infektionsrisiko zu unterschätzen lohnt sich auf keinen Fall, denn die Folgekomplikationen und oft schwerwiegende gesundheitliche Schäden sind ein zu hoher Preis. Die größte Gefahr besteht daher in der Ansteckung bei Auslandsreisen. Umgekehrt ist das Risiko der Einschleppung parasitärer Krankheiten nach Mitteleuropa durch ausländische Arbeitskräfte oder aktuell beispielsweise durch Flüchtlinge relativ gering, da die meisten Ankommenden aus Gebieten stammen, in denen die oben genannten schwerwiegenden parasitären Infektionen nicht vorkommen (mit Ausnahme von Darmparasiten). Gerade deshalb ist es wichtig und unbedingt erforderlich, dass Touristen und Arbeitskräfte im Ausland ausreichend über diese parasitär verursachten Infektionen informiert sind und sich wirksam dagegen schützen können. Dazu soll auch dieses Kapitel beitragen, das wir an den Schluss setzten und nach jeweiligen parasitären Erkrankungen untergliedert haben. Einige Abschnitte, die sich hauptsächlich mit den klinischen Erscheinungen der Krankheit, der Diagnose und der anschließenden Behandlung befassen, behandeln die medizinischen Aspekte parasitärer Erkrankungen und sind für das laienhafte Leserpublikum vielleicht in einigen Passagen weniger gut ver-

302     F. Stejskal

ständlich. Der Umfang dieses Kapitels erlaubt es uns jedoch nicht, die einzelnen Konzepte und Aspekte im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, unserer Immunantwort oder der Wirkung einzelner Medikamente im Detail zu erörtern und zu erklären. Deshalb verweisen wir für eine ausführlichere Informationen auf andere Quellen.

Malaria Ausbreitung Malaria ist eindeutig die schwerwiegendste parasitäre Infektion weltweit. Nach jüngsten Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war Malaria im Jahr 2020 in 85 Ländern endemisch (d. h. lokal übertragen) (World Malaria Report, 2021).1 Etwa 3 Milliarden Menschen, das heißt rund 40 % der Weltbevölkerung, leben in Gebieten mit Malariarisiko. Schätzungen der WHO nach sind im Jahr 2020 weltweit 241 Mio. neue Malariafälle aufgetreten – die meisten davon in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, nämlich 95 % aller Fälle. Schätzungen zufolge starben im Jahr 2020 mehr als 600.000 Menschen an Malaria, die meisten Todesfälle (95 %) wieder in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, wobei Kleinkinder die am stärksten gefährdete Gruppe bilden. Obwohl diese Statistiken immer noch erschreckend sind, darf man nicht vergessen, dass seit dem Jahr 2000 ein allmählicher, aber deutlicher Rückgang der Gesamtzahl neuer Malariafälle und Todesfälle zu verzeichnen ist, und zwar nicht nur weltweit, sondern auch im am stärksten betroffenen Subsahara-Afrika. Der weltweite Kampf gegen Malaria, der von internationalen Gesundheitsinstitutionen wie der WHO und Ärzte ohne Grenzen sowie von privaten Stiftungen wie der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) geführt wird, feiert echte Erfolge, obwohl bis zum endgültigen Sieg noch ein weiter, von vielen Menschenleben gesäumter Weg führt. Malaria tritt derzeit in tropischen und subtropischen Regionen Afrikas, Asiens und Amerikas in einem breiten Gürtel zwischen 45° nördlicher Breite und 30° südlicher Breite und in Höhenlagen bis zu etwa 2500 m über dem Meeresspiegel auf. Malaria kommt auf den meisten tropischen Inseln und in vielen touristischen Zielen der Tropen nicht vor.

1 WHO

2021. World Malaria Report. Geneva: World Health Organisation.

12  Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer …     303

Erreger Malaria wird durch vier Arten menschlicher Plasmodien verursacht. Am gefährlichsten ist das Protozoon Plasmodium falciparum (es verursacht die Malaria tropica), gefolgt von P. vivax und P. ovale (sie verursachen die Malaria tertiana) und P. malariae (es verursacht die Malaria quartana) (Tab. 12.2). Die Bezifferung der Erkrankungen bezieht sich auf die Häufigkeit der Malariaanfälle während des Krankheitsverlaufs. Bei der Malaria tertiana kommt es durchschnittlich jeden dritten Tag zum Anfall, während Menschen mit Malaria quartana etwa jeden vierten Tag einen Anfall erleiden. Bei der Malaria tropica kommt es fast täglich zu Anfällen, was diese mitunter zur gefährlichsten Form macht, da sie dem Körper des Infizierten keine Erholungszeit gewährt. In Südostasien gibt es neben diesen vier typischerweise den Menschen befallenden Plasmodien auch den Erreger der Affenmalaria (Malaria quotidiana), Plasmodium knowlesi, der zwar auch Menschen infizieren kann, Importe dieser Infektion nach Europa sind aber sehr selten.

Lebenszyklus Erreger der Malaria werden von weiblichen Mücken der Gattung Anopheles übertragen, wenn diese Blut saugen. Männliche Mücken saugen kein Blut und können daher keine Überträger sein. Anopheles-Mücken entwickeln sich in stehenden Gewässern und auf die Verbindung zwischen Gewässern und dem Auftreten der Erkrankung verweist selbst der Namen der Krankheit, Malaria. Er leitet sich vom italienischen mala für „schlecht“ (siehe auch lateinisch malus für „schlecht“, „böse“) und aria für „Luft“ ab und bezieht sich auf das Auftreten von Malaria an Orten mit schlechter Luft, insbesondere im Zusammenhang mit Sümpfen. Auf den Zusammenhang zwischen Malaria und Feuchtigkeit weist auch ein anderer, heute weniger gebräuchlicher französischer Name der Krankheit hin, paludisme (vom lateinischen palus, was „Sumpf“ bedeutet), dem auch der ältere Name „Sumpffieber“ entspricht. Die infektiösen Stadien der Plasmodien, die Sporozoiten, gelangen beim Blutsaugen aus den Speicheldrüsen der Mücke in das menschliche Blut, von wo sie in 30 Minuten bis 3 Stunden die Leber erreichen und sich dort in den Leberzellen (Hepatozyten) innerhalb eines Zyklus auf Hunderte bis Tausende vermehren (Abb. 12.1). Diese hepatische (präerythrozytäre) Phase der Infektion dauert mehrere Tage bis Wochen, wird nicht von klinischen

P. malariae P. knowlesi

P. ovale

P. vivax

Malaria tropica oder maligna

P. falciparum

Ausbreitung

Tropen, besonders Afrika Malaria tertiana Tropen, Subtropen Malaria tertiana West- und Zentralafrika Malaria quartana Tropen, inselhaft Malaria Südostasien quotidiana

Name

Erreger

72 h 24 h

48 h

48 h

48 h

Entwicklung in Erythrozyten

18–40 12

15–18

12–17

7–14

Inkubationszeit (Tage)

Nein Nein

Ja

Ja

Nein

Rückfälle

Glomerulonephritis Schwere Malaria

Anämie

Malaria maligna

Komplikationen

Tab. 12.2  Überblick der Malariaerreger (Gattung Plasmodium ). (Quelle: Miller, L., Baruch, D., Marsh, K. et al 2002: The pathogenic basis of malaria. Nature 415, 673–679)

304     F. Stejskal

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Abb. 12.1  Lebenszyklus der Malariaerreger (Protozoen der Gattung Plasmodium). Eine infizierte Anopheles-Mücke trägt während des Blutsaugens mikroskopisch kleine Stadien von Plasmodium (Sporozoiten) in den menschlichen Körper (1) ein. In der Leber entwickelt sich anschließend die nächste Parasitengeneration (nicht abgebildet) und infiziert, sobald sie aus den Hepatozyten (Leberzellen) freigesetzt wird, rote Blutkörperchen (Erythrozyten, rosa). In den Blutkörperchen entwickelt sich zunächst das Ringstadium des Parasiten (2), aus dessen Vermehrung die nächste Generation von Plasmodien hervorgeht (3). Die entkommen aus den geplatzten Wirtszellen (4) und infizieren bisher nicht angesteckte rote Blutkörperchen (5). Der gesamte Zyklus (2–5) wiederholt sich dann unzählige Male. Ein Teil der Parasiten vermehrt sich nach dem Befall eines Blutkörperchens jedoch nicht weiter, sondern verwandelt sich in sog. Gametozyten (6), die im menschlichen Blut darauf warten, von deiner Anopheles-Mücke eingesaugt zu werden. Im Darm der Mücke verwandeln sich die Gametozyten in Geschlechtszellen, nämlich in männliche Mikrogamonten (7) und weibliche Makrogamonten (8), die zur Ookinete (9) verschmelzen und sich anschließend in eine Oozyste (10) verwandeln. Darin reifen allmählich Sporozoiten heran und wandern zu den Speicheldrüsen der Mücke, von wo aus sie beim nächsten Blutsaugen einen neuen menschlichen Wirt infizieren können (1). Markierungen im Abschnitt des Zyklus, der im Menschen (dem Zwischenwirt) stattfindet, sind weiß unterlegt, Markierungen im Abschnitt des Zyklus, der mit der übertragenden Mücke, dem Endwirt, verbunden ist, sind grün hervorgehoben. (Quelle: Jana Bulantová)

Symptomen begleitet und kann mit keiner verfügbaren Diagnosemethode nachgewiesen werden. Sporozoiten der Malaria-tertiana-Erreger, P. vivax und P. ovale, beginnen sich jedoch nicht immer zu teilen, sobald sie in die Leber eindringen, sondern verwandeln sich in ruhende Stadien (Hypnozoiten), die

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später aktiviert werden können und sich erst mit Abstand vieler Monate oder Jahre zu teilen beginnen. Eben diese Stadien (man könnte sie auch heimliche ruhende Agenten nennen) sind für wiederholte Ausbrüche (Rückfälle) der Malaria tertiana bei Patienten nach ansonsten erfolgreicher Behandlung verantwortlich. Die von der Leber freigesetzten Stadien greifen sofort rote Blutkörperchen (Erythrozyten) an, in denen sie sich wiederholt vermehren. Diese erythrozytäre Phase der Infektion synchronisiert sich allmählich und ein Zyklus dauert je nach Plasmodium-Art 48–72 h (Tab. 12.2). Die synchrone Vermehrung in den roten Blutkörperchen besteht darin, dass alle Erythrozyten mit reifen Stadien gleichzeitig platzen, wodurch große Mengen parasitärer Antigene freigesetzt werden (d. h. Stoffe, die eine starke Immunantwort des infizierten Wirts hervorrufen). Dies löst einen Malariaanfall aus, der von Schüttelfrost, Fieber und starken Schweißausbrüchen begleitet wird. P. vivax und P. ovale infizieren nur junge Formen roter Blutkörperchen (Retikulozyten), die nur 1–2 % der zirkulierenden Blutkörperchen ausmachen. Diese beiden Arten verursachen daher zusammen mit P. malariae nur mildere Formen der Malaria, bei denen die Parasitämie (d. h. die Zahl infizierter Blutkörperchen) in der Regel weniger als 1 % beträgt. P. falciparum ruft dagegen die schwersten, ohne Behandlung oft tödlichen Infektionen hervor, während derer die Parasitämie mehr als 50 % Prozent erreichen kann, das sind jedoch nur die allerseltendsten Fälle. Diese Art verändert die Oberfläche der infizierten Erythrozyten, die sich leicht am Epithel (der Auskleidung) feiner Blutgefäße festsetzen und diese Gefäße verstopfen können. Dies beeinträchtigt die Blutzufuhr zu den betroffenen Organen und ermöglicht es den Parasiten, der Immunität des Wirts zu entkommen. Bei allen Plasmodium-Arten kommt es neben der gewöhnlichen parasitären Vermehrung in den Blutkörperchen auch zur Bildung weiblicher und männlicher Geschlechtsstadien, die, wenn sie von Anopheles-Mücken (Abb. 12.2) aufgenommen werden, dem Parasiten die Fortsetzung seines Lebenszyklus in seinem Überträger, dem Insekt, ermöglichen.

Pathogenese und klinische Anzeichen Die Pathogenese der Malaria ist ein komplexes Geschehen, das durch die Produktion großer Mengen parasitärer Antigene, und im Fall von P. falciparum durch das Abfangen (die Sequestrierung) befallener Erythrozyten in inneren Organen, ausgelöst wird. Darauf reagiert unser Organismus mit der Aktivierung der zellulären und humoralen Immunantwort, was anschließend Durchblutungsstörungen in Organen wie dem Gehirn, den

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b

Abb. 12.2   Der gefährlichste aller Menschenmörder … Welches Tier ist für den Menschen am gefährlichsten? Nur wenige beantworten diese Frage richtig. Es ist die Anopheles-Mücke (a), die trotz ihrer medizinischen Bedeutung in den meisten europäischen Sprachen keinen spezifischen Namen hat. Allerdings ist nicht die Mücke selbst der Killer, sondern die Erkrankung, die sie überträgt. Die blutsaugenden Mückenweiblichen der Gattung Anopheles übertragen in tropischen und subtropischen Regionen der ganzen Welt Malaria, deren Erreger ein einzelliger Parasit, das Protozoon Plasmodium (b), ist. Die unterschiedlichen Stadien des Parasiten sind in der Abbildung als satt violette Formationen innerhalb der runden Erythrozyten zu sehen. Malaria tötet jährlich mehr als eine halbe Million Menschen, während es Ende des letzten Jahrhunderts noch mehr als zwei Millionen Menschen jährlich waren. Vor weniger als hundert Jahren war Malaria auch in Mitteleuropa noch weit verbreitet und an der Übertragung beteiligten sich hiesige Mückenarten der Gattung Anopheles, z. B. die hier gezeigte A. plumbeus (a). (Quelle: a, David Modrý; b, Jana Bulantová)

Nieren oder der Lunge verursachen kann, deren unzureichende Sauerstoffversorgung bis zu ihrem Versagen führen kann. Die Inkubationszeit beträgt bei Malaria eine bis vier Wochen, bei der Malaria tertiana können jedoch späte Rückfälle Monate bis Jahre nach Verlassen des endemischen Gebiets auftreten. Die anfänglichen Malariasymptome ähneln denen einer Grippe. Infizierte entwickeln ein allmählich ansteigendes Fieber mit Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und manchmal Erbrechen. Typische periodische, fiebrige Malariaanfälle mit Schüttelfrost treten bei Malaria tertiana und quartana auf. Bei der Malaria tropica verschlimmert sich der Zustand zunehmend, das Fieber steigt und ist oft anhaltend, und ohne Behandlung mit Malariamitteln kann der Betroffene sterben. Tödliche Komplikationen der tropischen Malaria können innerhalb weniger Tage nach Auftreten der ersten Krankheitssymptome auftreten. Und ein wichtiger Hinweis: Nach einer Malariaerkrankung sind Betroffene nicht immun gegen weitere Infektionen, eine Person kann sich also erneut infizieren.

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Diagnostik Die Labordiagnostik von Malaria beruht auf dem direkten mikroskopischen Nachweis der Plasmodien in Blutausstrichen („dicker Tropfen“ und dünner Ausstrich), die mit hämatologischen Färbemitteln (z. B. Giemsa) angefärbt wurden. Es kann peripheres Blut aus der Fingerkuppe oder nicht gerinnendes venöses Blut untersucht werden. Bei Verdacht auf Malaria werden sofort Ausstriche gemacht, auch wenn der Patient während der Untersuchung kein Fieber hat. Die Diagnostik per Blutausstrich ist sehr empfindlich, kostengünstig und dauert nach dem Transport ins Diagnoselabor weniger als 60 min. Sobald die Diagnose und die PlasmodiumArt feststehen, wird sofort eine gezielte Behandlung eingeleitet. Anhand von Blutausstrichen wird täglich überprüft, ob die Parasitämie abnimmt und die Plasmodien aus dem Blut verschwinden. Andere diagnostische Methoden wie (immunchromatografische) Schnelldiagnosetests (oder Schnelltest) zum Antigennachweis (RDT, rapid diagnostic test; Abb. 12.3) oder molekulare Methoden (PCR, Real-Time-PCR) haben nur ergänzenden Charakter.

Behandlung Die Malariabehandlung sollte so bald wie möglich nach der Diagnose eingeleitet werden. Die Wahl des geeigneten Malariamittels richtet sich in erster Linie nach der Art des Plasmodiums, das die Infektion verursacht hat, nach dem Ausmaß der Parasitämie (d. h. der Anzahl infizierter Blutkörperchen), der geografischen Region der Infektion (in vielen Regionen bestehen Resistenzen gegen einige der verwendeten Malariamittel) und dem klinischen Zustand des Patienten. Gleichermaßen wichtig ist, ob der Patient eine Chemoprophylaxe gegen Malaria erhalten hat oder bereits mit Malariamitteln behandelt worden ist. Patienten mit Malaria tropica sollten immer stationär behandelt werden, idealerweise auf Stationen für Infektionskrankheiten. Bei hoher Parasitämie (mehr als 2–5 %) oder bei klinischen und labortechnischen Anzeichen für einen komplizierten Verlauf werden die Patienten in die Intensivstation eingewiesen, wo ihre Lebenszeichen

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b

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Abb. 12.3  Malariaforschung. Die Malariabekämpfung und die Erforschung der Krankheit erfolgt häufig mittels eines Screenings, bei denen mithilfe verschiedener Diagnosemethoden und Tests in ansteckungsgefährdeten Populationen (dem endemischen Gebiet) infizierte Personen aufgesucht werden, die jedoch keine Krankheitssymptome aufweisen. Die Forschung findet oft unter Feldbedingungen statt (a); in diesem Fall bei Rangern und Reiseführern im Dzanga-Sangha-Nationalpark in der Zentralafrikanischen Republik. Ein aus der Fingerkuppe entnommener Blutstropfen wird auf einen Objektträger (b) aufgetragen und kann nach Anfärben für mikroskopische Untersuchungen verwendet werden (in der Abbildung befinden sich die Objektträger in den beiden oberen Reihen, jeweils mit einem „dicken Tropfen“ auf der Oberseite der Objektträger und der dazugehörigen Bezeichnung und einem Ausstrich am unteren Ende). Gleichzeitig kann das Blut auch mit einem Schnelltest untersucht werden (b; weiße Plastikkassetten mit innenliegendem Teststreifen), der innerhalb weniger Minuten nach der Entnahme Auskunft über das Vorhandensein der Parasiten im Blut gibt. Die meisten der derzeit verwendeten Schnelltests können sogar zwischen den verschiedenen Erregern der humanen Malaria unterscheiden, respektive den gefährlichsten Erreger (Plasmodium falciparum, Malaria tropica) von den anderen drei Erregerarten (P. vivax, P. ovale, P. malariae) unterscheiden. Die Abbildung (c) zeigt das Testergebnis eines Patienten mit gemischter (multipler) Infektion. (Quelle: Jan Votýpka)

überwacht werden. Zur Behandlung von Malaria werden Malariamittel eingesetzt, die gegen Blutstadien des Parasiten wirksam sind (Chloroquin, Chinin, Mefloquin, Atovaquon, Artemisinine usw.). Primaquin wird zur Vorbeugung von Rückfällen der Malaria tertiana eingesetzt, da es als einziges Mittel auf die in den Leberzellen verborgenen Stadien (Hypnozoiten) von P. vivax wirkt. Leider ist weltweit eine zunehmende Resistenz der Plasmodien gegen verwendete Malariamittel zu beobachten. Derzeit ist P. falciparum in praktisch

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allen Regionen der Welt gegen Chloroquin und Antifolat resistent. In Südostasien und Indien nimmt die Resistenz gegen Chloroquin auch bei P. vivax zu. In den meisten endemischen Gebieten reagiert P. falciparum weiterhin empfindlich auf Chinin, Mefloquin und Artemisininderivate, die am häufigsten zur Behandlung von Malaria eingesetzt werden. Artemisinine sind natürliche Substanzen (Alkaloide) aus dem Beifuß Artemisia annua, der in der traditionellen chinesischen Medizin als Mittel gegen Malariafieber verwendet wurde.

Vorbeugung Gegen Malaria, wie auch gegen alle anderen parasitären Krankheiten des Menschen, gibt es leider keine wirksame Impfung2, sodass eine Vakzination, wie es bei viralen oder bakteriellen Infektionen üblich ist, nicht möglich ist. Bei Reisen in Malariagebiete gibt es mehrere Möglichkeiten der Vorbeugung und des Schutzes gegen eine Infektion. In erster Linie ist es ratsam, Mückenstiche zu vermeiden, da sie zur Übertragung der Infektion führen könnten. Es wird daher empfohlen, geeignete Kleidung mit langen Ärmeln und Hosenbeinen zu tragen sowie ausreichend starke und wirksame Repellents (idealerweise mit 50 % DEET) und Moskitonetze zu verwenden, die uns während des Schlafs schützen (Abb. 12.4). Bei hohem Infektionsrisiko wird eine vorbeugende Einnahme von Malariamitteln (Malariachemoprophylaxe) empfohlen. Eine Chemoprophylaxe gegen Malaria sollte vor der Reise immer in tropenmedizinischen Spezialzentren besprochen werden, die leicht im Internet zu finden sind. Am häufigsten werden Kombinationen von Atovaquon und Proguanil, Mefloquin oder das Antibiotikum Doxycyclin eingesetzt. Eine Chemoprophylaxe gegen Malaria wird insbesondere für Reisen nach Afrika südlich der Sahara, in einige Gebiete des indischen Subkontinents, nach Südostasien, auf die pazifischen Inseln und in den Amazonas empfohlen.

2 Zwar gibt es inzwischen einen Impfstoff, der zum Schutz einheimischer Kinder im Subsahara-Afrika in großem Umfang eingesetzt wird, doch ist dieser Impfstoff noch nicht für Reisende in endemische Gebiete zugelassen. Diese Situation wird sich jedoch im Lauf der Zeit wahrscheinlich ändern.

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Abb. 12.4  Ruhe unter dem Netz. Zum Schutz vor Malaria, dem Denguefieber und anderen durch Mücken übertragenen Infektionskrankheiten gibt es viele Methoden. Die Verwendung von Moskitonetzen ist eine der einfachsten und schützt die schlafende Person vor dem Eindringen blutsaugender Insekten und damit auch vor der Übertragung der Krankheitserreger. Um die Wirkung zu verstärken, werden die Netze manchmal mit Repellents oder insektiziden Mitteln imprägniert. Das Bild (a) stammt aus der Osttürkei, wo Malaria vor allem in ländlichen Gebieten noch gelegentlich auftritt. Als wichtiger Bestandteil der Bekämpfung von Infektionskrankheiten gilt die Aufklärung in Dörfern und Städten mit endemischem Vorkommen der Krankheit. Ein Schild (b) aus dem Osten Ecuadors informiert die Einheimischen beispielsweise nicht nur darüber, wie sie sich vor Mückenstichen schützen können, sondern auch darüber, wie sie potenzielle Brutstätten der Mücken, insbesondere der gefährlichen Überträger viraler Krankheiten (Dengue-, Zika-, Gelbfieber usw.) wie Aedes aegypti und A. albopictus, reduzieren können. (Quelle: Jan Votýpka)

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Abb. 12.5  Wechselhafte Wechseltierchen. Die gebräuchlichen Namen „Amöbe“ und „Wechseltierchen“ bezeichnen einen einzelligen Organismus (ein Protozoon), der sich mithilfe von Scheinfüßchen fortbewegt, wobei sich der Name „Wechseltierchen“ auf ihre Fähigkeit bezieht, während der Bewegung ihre Gestalt zu verändern, indem das Cytoplasma in die neu entstehenden Scheinfüßchen strömt, die die Amöbe ausstülpt und den Rest des Körpers nachzieht. Die Scheinfüßchen dienen jedoch nicht nur der Fortbewegung, sondern auch der Nahrungsaufnahme, genannt Phagozytose, bei der die Nahrung, beispielsweise Bakterien, zunächst von den Scheinfüßchen umschlossen und dann in den Körper der Amöbe aufgenommen wird. Die Form und Art, wie die Scheinfüßchen ausgestülpt werden, sind weitgehend charakteristisch und können zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Amöbengruppen verwendet werden. Im menschlichen Darm finden sich am häufigsten parasitäre Amöben der Gattung Entamoeba (b), darunter auch die gefährlichste unter den menschlichen Amöben, die Art Entamoeba histolytica. Die Scheinfüßchen dieser Art sind relativ breit und stellen den morphologischen Grundtyp dar. Amöben der Gattung Acanthamoeba (a) sind hingegen meist frei lebend. Sie gehen nur in bestimmten Fällen zu einer parasitären Lebensweise über und befallen zum Beispiel die Hornhaut des Auges. Der Name dieser Amöben leitet sich von der typischen Form ihrer Scheinfüßchen ab, die winzigen Stacheln oder Dornen ähneln (abgeleitet vom griechischen Wort acanth für „Stachel“ oder „Dorn“). (Quelle: Jana Bulantová)

Amöbiasis Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Die Amöbiasis ist nach der Malaria die zweitschwerste protozoische (d. h. von Protozoen verursachte) Infektion weltweit. Im menschlichen Darm kommen etwa neun Arten von Amöben, auch Wechseltierchen genannt, vor, aber nur Entamoeba histolytica verursacht schwere Erkrankungen. Dieser Einzeller sieht harmlosen Amöben sehr ähnlich (Abb. 12.5) und kann nur durch molekulare oder teure biochemische Methoden unterschieden werden. Diese Amöben vermehren sich ungeschlechtlich im Dickdarm, wo sie gelegentlich resistente Stadien (Zysten) bilden, die mit dem Stuhlgang ausgeschieden werden. Eben diese resistenten Stadien, die viele Wochen in

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der äußeren Umgebung überleben, sind die Infektionsquelle und können nach Aufnahme kontaminierter Lebensmittel oder Wasser weitere Wirte infizieren. Die meisten Infektionen mit E. histolytica verlaufen völlig asymptomatisch, was bedeutet, dass die infizierte Person keine Krankheit durchmacht, aber dennoch eine Quelle infektiöser Zysten für ihre Umgebung darstellen kann. Bei einigen Infizierten können die Amöben jedoch in die Darmwand dringen und die Amöbenruhr (oder Amöbendysenterie) verursachen, die von schwerem Durchfall begleitet wird. Eine noch gefährlichere Form der Infektion liegt vor, wenn die Amöben durch die Portalvene in die Leber verschleppt werden, wo sie Ablagerungen, sogenannte Amöbenleberabszesse, bilden. Der Befall anderer Organe (z. B. Gehirn, Nieren, Milz, Haut) ist sehr selten, dafür aber umso gefährlicher. Die Fähigkeit nicht invasiver, „guter“ Formen der Amöbe (die MinutaForm), sich in „böse“, invasive Formen (Magna- oder sogenannte dysentericaForm) umzuwandeln, wird von einer Reihe bisher unvollständig geklärter Faktoren beeinflusst (z. B. Ernährung des Wirts, Menge und Zusammensetzung der Darmflora, Wärmestress, Geschlechtshormone). Aus diesem Grund ist es ratsam, auch asymptomatische Personen zu behandeln, nicht nur, weil sie Träger für die Umwelt gefährlicher Amöben sind, sondern auch, weil man nicht ganz sicher sein kann, ob sich die bisher gutartigen Amöben nicht durch äußere oder sogar innere Bedingungen im Wirt in die gefährliche invasive Form umwandeln, die klinische Erscheinungen der Krankheit verursacht. Der Mensch ist der einzige signifikante Wirt für E. histolytica und Tiere spielen in der Epidemiologie und Übertragung der Amöbiasis keine bedeutende Rolle. Die Infektion ist weltweit verbreitet, tritt aber vor allem in den Tropen, Subtropen und Gebieten mit niedrigen Hygienestandards auf. Aktuellen Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr 40.000– 110.000 Menschen an Amöbiasis, wobei Männer wesentlich häufiger betroffen sind als Frauen.

Klinische Anzeichen und Diagnostik Amöbenruhr äußert sich durch blutig-schleimigen Durchfall, Stuhldrang und krampfartige Schmerzen im Unterleib. Fieber ist in der Regel nicht vorhanden und die Laborwerte sind normal. Bei einem schweren Verlauf der Amöbenruhr, der häufiger bei unterernährten und geschwächten Personen oder bei Schwangeren vorkommt, kann es zur Darmperforation mit

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anschließender bakterieller Bauchfellentzündung kommen. Die Infektion kann in ein chronisches Stadium übergehen, das durch gelegentliche blutige Durchfälle mit Bauchschmerzen gekennzeichnet ist. Amöbenleberabszesse äußern sich durch hohes Fieber, begleitet von Schüttelfrost und Frösteln. Der Laborbefund liefert eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und andere Entzündungsindikatoren (C-reaktives Protein, CRP), im Blutbild ist die Leukozytenzahl erhöht. Die Labordiagnostik der Amöbenruhr beruht auf dem Nachweis beweglicher Stadien der Magna-Form bei der parasitologischen Untersuchung von frischem Stuhl (große bewegliche Amöben mit phagozytierten Erythrozyten im Cytoplasma). Bei der Entdeckung morphologisch nicht unterscheidbarer Zysten des Typs E. histolytica/E. dispar, werden zur Unterscheidung heutzutage meist molekulargenetische Methoden auf der Grundlage der PCR angewandt. Die Diagnose der extraintestinalen (d. h. hauptsächlich hepatischen) Amöbiasis beruht auf dem Nachweis von Leberabszessen durch Ultraschall oder CT und dem Vorhandensein spezifischer Antikörper. Chronische Amöbeninfektionen des Darms können nichtinfektiösen Darmentzündungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn ähneln. Daher sollte vor der Verabreichung einer immunsuppressiven Therapie bei diesen Erkrankungen eine parasitologische Untersuchung des Stuhls durchgeführt werden, um eine Infektion mit E. histolytica auszuschließen.

Behandlung Je nach Wirkungsort unterscheidet man zwischen Amöbiziden, die auf die nichtinvasiven Stadien der Minuta-Form im Darmlumen und auf die invasiven Magna-Formen im Gewebe wirken. Bei uns wird Metronidazol verwendet, das auch gegen andere anaerobe Protozoen (Lamblien [Giardien] und Trichomonaden/Flagellaten) wirksam ist. Die Resistenz von E. histolytica gegen Metronidazol ist kein bedeutendes großes Problem.

Vorbeugung Gegen die Amöbiasis gibt es keinen wirksamen Impfstoff und bei Reisen in endemische Gebiete wird auch keine Chemoprophylaxe durchgeführt. Wie bei anderen alimentären Infektionen (Infektionen, die über den Verdauungstrakt in den Körper gelangen, meist durch infizierte Lebensmittel oder Wasser) besteht der einzige Schutz vor einer Infektion in der strikten Einhaltung der Ernährungshygiene, das heißt im Verzehr

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unproblematischer Lebensmittel und Wasser, wie das Trinken originalverpackter Getränke, Abkochen oder Filtern von Wasser, Verzicht auf Eis, rohes Gemüse, Eiscreme oder andere ungekochte Lebensmittel, Verzicht auf den Kauf ungekochter Lebensmittel von Straßenhändlern und dem ausschließlichen Verzehr von Obst, das geschält oder gründlich mit sauberem Wasser gewaschen werden kann, usw.

Leishmaniose und Trypanosomiasis Leishmaniose ist eine Krankheit, die durch einzellige parasitäre Flagellaten der Gattungen Leishmania und Trypanosoma aus der Ordnung der Kinetoplastida verursacht wird.

Leishmaniose Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Leishmanien sind einzellige Parasiten, die in den Zellen von Menschen und anderen Säugetieren leben. Mehrere Leishmanienarten verursachen Infektionen beim Menschen. Am häufigsten sind sie in Makrophagen (bestimmte Zellen des Immunsystems), in der Haut (kutane Leishmaniose) oder in den Lymphknoten, der Milz oder der Leber (viszerale/innere Form der Leishmaniose) zu finden. Leishmaniosen werden von winzigen Sandmücken der Gattung Phlebotomus übertragen, die vor allem in trockenen Regionen der Tropen und Subtropen leben (Abb. 12.6). Laut der WHO ist Leishmaniose in 82 Ländern der Welt endemisch, wobei über 350 Mio. Menschen dem Risiko einer Infektion ausgesetzt sind. Insgesamt sind etwa 12  Mio.  Menschen infiziert und schätzungsweise 1,7  Mio. Menschen infizieren sich jährlich neu. An viszeraler Leishmaniose sterben jedes Jahr etwa 50.000 Menschen, vor allem in Indien, Bangladesch, dem Sudan und Brasilien. Die meisten Fälle von kutaner Leishmaniose werden aus dem Iran, Afghanistan, Saudi-Arabien, Syrien, Brasilien und Peru gemeldet. Obwohl Sandmücken in einigen Gebieten Mitteleuropas sehr sporadisch vorkommen, sind sie nicht an der Übertragung von Leishmaniosen beteiligt, sodass nur importierte Fälle von Leishmaniose verzeichnet werden. Geeignete Überträger und die Krankheit selbst sind buchstäblich „um die Ecke“ zu finden, und so kann man sich bei Reisen in relativ

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Abb. 12.6  Leishmanien – Lebenszyklus und morphologische Formen. Leishmanien sind einzellige Parasiten, die bei ihren Wirten, einschließlich des Menschen, eine Vielzahl von Krankheitserscheinungen hervorrufen, die von weniger gefährlichen kutanen Formen über gefährlichere mukokutane bis hin zu lebensbedrohlichen viszeralen Formen der Krankheit reichen. Etwa 20 verschiedene Arten von Leishmanien können den Menschen infizieren. Übertragen werden diese Parasiten von blutsaugenden Weibchen der winzigen Sandmücken der Gattung Phlebotomus (a), die in Mitteleuropa so gut wie nicht vorkommt, in den Mittelmeeranrainerstaaten jedoch reichlich vorhanden sind. Nach der Aufnahme durch ein Weibchen der Sandmücke vermehren sich die Leishmanien in ihrem Verdauungstrakt in Form von schlanken, gegeißelten Formen, den Promastigoten (b), die allmählich ihren gesamten Darm besiedeln, bis sie schließlich sogar den Eingang des Verdauungssystems teilweise blockieren. Das erschwert dem Weibchen zwar das Blutsaugen, erleichtert dem Parasiten jedoch die Übertragung auf den nächsten Wirbeltierwirt, da ein Teil des eingesaugten Bluts mit den Parasiten in die Einstichstelle zurückkehrt. Im Wirbeltierwirt dringen die Leishmanien in phagozytierende Zellen ein, wo sie rundlich werden, ihre Geißel verlieren und sich in Form von Amastigoten (c) vermehren, die in der infizierten Zelle (Pfeil) als winzige, satt violette Gebilde sichtbar sind. (Quelle: a, David Modrý; a–c, Jana Bulantová)

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nahe gelegene Länder des Mittelmeerraums wie Frankreich, Spanien, Italien oder die Balkanländer infizieren. Von den Erregern der kutanen Leishmaniosen werden am häufigsten die Arten Leishmania tropica und L. major importiert, die im östlichen Mittelmeerraum, in Nordafrika und im Nahen Osten vorkommen. Dermatotrope (d. h. hautkrankheitenverursachende) Stämme des ansonsten viszerotropen L. infantum werden häufig aus der Balkanregion (z. B. Kroatien), aber auch aus anderen Mittelmeerländern mitgebracht. In den letzten Jahren stieg die Zahl der importierten Fälle von kutaner Leishmaniose aus Mittel- und Südamerika, aber in einigen Fällen kann diese Form auch als gefährlichere Haut und Milz befallende Form auftreten. Die viel gefährlichere viszerale Form der Leishmaniose, die am häufigsten aus dem Mittelmeerraum eingeschleppt wird, wird durch die Art L. infantum verursacht. Wie der wissenschaftliche Artname des Erregers, infantum (infans, „Kind“), vermuten lässt, erkranken mit größerer Wahrscheinlichkeit Kinder und gegebenenfalls immungeschwächte Personen. Das liegt daran, dass Hunde die Hauptwirte dieses Parasiten sind und der Mensch eher zufällig befallen wird, sodass eine Infektion bei gesunden Erwachsenen selten ist. Ist unser Immunsystem jedoch geschwächt (was auch bei Kleinkindern der Fall ist, deren Immunsystem noch nicht voll entwickelt ist), können wir nach einer Übertragung des Parasiten in unseren Körper erkranken. Da Hunde die natürlichen Wirte dieser Art sind, können sich Hunde, die mit ihren Besitzern nach Südeuropa reisen, leicht infizieren und ein ungewolltes Mitbringsel in Form der schwer zu behandelnden Leishmaniose3 mit nach Hause bringen. Schätzungen nach reisen jährlich bis zu mehrere Hundert infizierte Hunde nach Mitteleuropa ein.

Klinische Anzeichen Leishmaniosen zeichnen sich durch ein sehr breites Spektrum klinischer Erscheinungsformen aus, die von der Spezies und dem Genotyp der Parasiten, den genetisch bedingten Abwehrmechanismen des Wirts sowie von der chemischen Zusammensetzung des Speichels abhängen, den die Sandmücken beim Blutsaugen injizieren. Interessanterweise verläuft eine Infektion mit Leishmanien in vielen Fällen ohne klinische Anzeichen, das heißt völlig asymptomatisch. Nichtsdestotrotz kann es auch in diesen Fällen zu einer Reaktivierung der Parasiten kommen, wenn die zelluläre Immun3 Leishmaniose

bei Hunden wird wegen ihrer häufigen Einschleppung aus dem Mittelmeerraum auch als Mittelmeerkrankheit bezeichnet. (Anm. d. Übers.)

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antwort deutlich nachlässt, wie es beispielsweise bei AIDS-Patienten der Fall ist. Leishmaniosen werden traditionell nach ihren klinischen Erscheinungen in drei Formen unterteilt: die kutane (in der Haut), mukokutane (in Haut und Milz) und viszerale (innere). Allerdings gibt es viele Zwischenformen zwischen diesen Formen und auch die Abhängigkeit der verschiedenen klinischen Formen von bestimmten Spezies der Leishmanien ist nicht absolut. So können beispielsweise selbst typisch viszerale Arten wie L. infantum oder L. donovani (sog. dermatotrope Stämme) in einigen Fällen bei Patienten nur Hauterscheinungen hervorrufen. Leishmaniosen zeigen daher ein breites Spektrum an Symptomen, von relativ harmlosen kleinen Hautläsionen bis hin zu lebensbedrohlichen und in unbehandelten Fällen tödlichen viszeralen Formen.

Kutane Leishmaniose Die häufigsten Erreger kutaner Leishmaniose in der Alten Welt sind die beiden folgenden Arten. Leishmania tropica, der Erreger trockener Geschwüre, kommt vor allem in städtischen und vorstädtischen Gebieten vor und sein Reservoir ist der Mensch. Das bedeutet, dass infizierte Menschen die Infektionsquelle für die übertragenden Sandmücken sind. Der zweite Erreger der kutanen Leishmaniose, des feuchten Geschwürs, ist L. major, der in ländlichen Halbwüstengebieten mit spärlicher Vegetation vorkommt. Als Reservoir dienen grabende Nagetiere (Wüstenrennmäuse u. Ä.), sodass es sich um eine typische Zoonose handelt, die unter natürlichen Bedingungen unter Wildtieren zirkuliert; der Mensch gelangt mehr oder weniger zufällig in den Kreislauf des Erregers. In der Neuen Welt verursacht hauptsächlich die Art L. mexicana kutane Formen. Innerhalb von ein bis drei Monaten entsteht an der Einstichstelle der Sandmücke eine kleine gerötete Pustel, die sich allmählich vergrößert und oberflächlich verkrustet. Die Kruste löst sich ab und darunter bildet sich ein schmerzloses, aber nicht heilendes Geschwür, das sich allmählich vergrößert, bis es seine endgültige Größe von 0,5–10 cm erreicht. Die Anzahl der Läsionen auf dem Körper des Patienten schwankt in der Regel zwischen einer und zehn, je nachdem, wie oft die infizierte Sandmücke an der betroffenen Person gesaugt hat. Die Infektion kann sich weiter im Körper ausbreiten, was sich unter anderem durch eine Vergrößerung der darunterliegenden Lymphknoten äußert. Kutane Leishmaniose verläuft ohne Allgemeinsymptome, die Laborergebnisse liegen im Normalbereich

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und es werden keine spezifischen Antikörper im Blut gebildet, was teilweise die Verfügbarkeit mancher diagnostischer Tests einschränkt.

Mukokutane Leishmaniose Mukokutane Leishmaniosen (auch als Espundia bezeichnet) treten hauptsächlich in Lateinamerika auf, wo sie durch den Artkomplex um L. braziliensis verursacht werden. Zunächst bilden sich wie bei der kutanen Leishmaniose Geschwüre an den Gliedmaßen, im Gesicht oder am Oberkörper, doch im Laufe von Monaten oder Jahren können sich die Parasiten vom Ort der Inokulation über Lymphe oder Blut zu den Schleimhäuten der Mundhöhle und der oberen Atemwege ausbreiten. Gefährlich ist die allmähliche Zerstörung von weichem Gewebe, Knorpel und Gesichtsknochen. Das Reservoir dieser Leishmanien sind kleine Nagetiere, sodass es sich auch hier um eine typische zoonotische Krankheit handelt. Die Behandlung ist in der Regel recht kompliziert und es werden wie bei der viszeralen Leishmaniose systemisch wirkende Präparate verabreicht.

Viszerale Leishmaniose Zwei Leishmania-Arten verursachen viszerale Leishmaniose. Auf dem indischen Subkontinent und in Afrika südlich der Sahara ist es die Art L. donovani, die hauptsächlich unter Menschen zirkuliert und normalerweise keine tierischen Reservoirwirte nutzt. Es handelt sich also um eine Anthroponose (eine rein menschliche Infektion), ähnlich wie bei menschlicher Malaria. Die zweite Spezies, die zur viszeralen Form von Leishmaniose führt, ist L. infantum, deren Hauptwirte Hunde und Hundeartige sind, die in Bezug auf den Menschen als Reservoirwirte dienen. Dieser Parasit – und die damit verbundene Leishmaniose – ist im Mittelmeerraum und im Nahen Osten verbreitet. Wir können L. infantum jedoch auch in Lateinamerika begegnen, wo die Art während der Eroberung durch spanische Soldaten und ihre infizierten Hunde eingeschleppt wurde. In der Neuen Welt wird für diesen Parasiten der Name Leishmania chagasi verwendet, was zu einigen Missverständnissen führt. Die Inkubationszeit der viszeralen Leishmaniose ist relativ lang, gewöhnlich mehrere Monate, kann aber auch mehrere Jahre betragen. Der Krankheitsbeginn erfolgt in der Regel schleichend, gelegentlich tritt Fieber auf, das aber nur langsam steigt. Der Patient leidet an Gewichtsverlust, Schwäche und Appetitlosigkeit. Ein typisches Symptom ist eine deut-

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liche Vergrößerung der Milz (Splenomegalie). Die Leber ist nicht so stark vergrößert (Hepatomegalie), die Leberwerte sind jedoch leicht erhöht. Es kommt zu einer Vergrößerung des Bauchraums (wegen ausgeprägtem Aszites), zur Schwächung der Muskulatur an Gliedmaßen und zu Unterernährung. Viszerale Leishmaniose verläuft unbehandelt tödlich, allerdings sterben die Patienten oft an anderen, begleitenden Infektionen wie Lungenentzündung, chronischem Durchfall oder Tuberkulose.

Diagnostik Grundlage für die Diagnostik kutaner als auch viszeraler Leishmaniose ist der direkte mikroskopische Nachweis von Parasiten – den Amastigoten (Leishman-Donovan-Körperchen) – auf einem giemsagefärbten Abdruck oder Ausstrich, gegebenenfalls auf histologischen Präparaten. Die Chance, den Parasiten im Punktat- oder Biopsiematerial zu finden (die Nachweisrate), ist je nach untersuchtem Organ unterschiedlich. Bei uns wird bei Verdacht auf viszerale Leishmaniose am häufigsten das Knochenmark untersucht (54–86 % Nachweisrate). Die höchste Wahrscheinlichkeit, den Parasiten zu finden (bis zu 98 %), besteht in der Milz, weniger in der Leber und den Lymphknoten. Weiter ist die Anzucht des Parasiten aus Hautläsionen oder Organbiopsien (Knochenmark, Leber, Lymphknoten oder Milzpunktat) auf speziellen Nährböden möglich. Von Nachteil sind jedoch die lange Kultivierungszeit (sieben bis zehn Tage) und das Risiko einer Kontamination der Probe mit Bakterien oder Pilzen. Bei der kutanen Leishmaniose befinden sich die meisten Parasiten am Rand der Läsion (nicht in der Mitte). Leishmanien sind morphologisch nicht voneinander unterscheidbar und werden daher mit molekularbiologischen Methoden (PCR und Sequenzierung, RFLP-PCR, DNA-Sonden usw.) identifiziert. Darüber hinaus können serologische Methoden zum Nachweis einer Infektion bei viszeraler Leishmaniose eingesetzt werden.

Behandlung Die Behandlungsmethode richtet sich nach dem Erreger, Ausmaß und der Lage der Läsionen. Die Therapie gehört immer in die Hände von Spezialisten, die ausreichend Erfahrung mit diesen Krankheiten haben. Viszerale Leishmaniose ist eine tödliche Infektion, weshalb eine früh-

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zeitige Diagnose und systemische Behandlung mit intravenösen oder intramuskulären Präparaten erforderlich ist. In den Industrieländern ist derzeit das Polyenantimykotikum Amphotericin B auf einem Lipidträger das Mittel der Wahl4 . Seine Vorteile sind die starke Anreicherung in Phagozyten und die geringe Toxizität. Ebenfalls werden pentavalente Antimonpräparate verwendet und stellen eine günstige, wirksame, wenn auch toxischere Alternative zu Amphotericinpräparaten dar. Das einzige orale Präparat gegen viszerale Leishmaniose ist Miltefosin, ein alkyliertes Phospholipidderivat, das ursprünglich für die Behandlung von Tumorerkrankungen entwickelt wurde. Die Behandlung der kutanen Leishmaniose hängt von der verursachenden Spezies sowie von der Lage und Größe der Läsionen ab. Infektionen mit L. major und dem L. mexicana-Komplex heilen spontan ab und die Verabreichung systemischer Mittel ist nicht erforderlich. Auf die Geschwüre können Salben mit 15 % Paromomycin aufgetragen werden und es werden auch physikalische Therapiemethoden wie Kryo- und Thermotherapie angewandt. Die Azolantimykotika Fluconazol, Itraconazol oder Terbinafin sind ebenfalls wirksam. Im Fall von Infektionen mit L. tropica und L. braziliensis sollten liposomales Amphotericin B, pentavalentes Antimon oder Miltefosin systemisch verabreicht werden. Antimonpräparate können auch lokal verwendet werden, indem sie in den Bereich um die Läsionen injiziert werden.

Vorbeugung Die einzige Möglichkeit, sich zu schützen, besteht darin, den Kontakt mit Sandmücken zu vermeiden. Dabei handelt es sich um winzige, blutsaugende Insekten, die fähig sind, die Maschen herkömmlicher Moskitonetze zu durchdringen. Daher müssen entweder Moskitonetze mit einer höheren Maschendichte (die aufgrund der eingeschränkten Luftbewegung jedoch die Schlafqualität beeinträchtigen können) oder gewöhnliche Moskitonetze verwendet werden, die mit Repellents oder Insektiziden behandelt wurden. Das Aktivitätsmaximum der Sandmücken liegt am frühen Abend und in der Nacht, tagsüber sind sie nur selten anzutreffen. Sandmücken halten sich in der Regel in Bodennähe auf, sodass die Bettruhe auf erhöhten Stellen das Risiko eines Stichs und somit einer Infektion weiter verringert. 4  Das

Medikament der Wahl ist das vorrangig verwendete Medikament, weil es nach bisherigem Wissensstand am wirksamsten ist; daher wird in der Regel mit diesem Medikament begonnen.

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a

b

Abb. 12.7  Afrikanische Trypanosomen und ihre Überträger, die Tsetsefliegen. Die Schlafkrankheit ist neben der Malaria die wohl bekannteste parasitäre Tropenkrankheit des Menschen. Erreger der Krankheit ist der Einzeller Trypanosoma brucei (b), der sich im menschlichen Blut vermehrt (die Kreise im Bild sind entfärbte rote Blutkörperchen). Im Gegensatz zu Malaria ist diese Krankheit heute jedoch recht selten. Andere Unterarten dieser Trypanosomen (Vertreter des Trypanosoma bruceiKomplexes) sind jedoch Erreger einer schweren Tierseuche bei Rindern, der Nagana, die die Rinderhaltung in Verbreitungsgebieten des Überträgers, der Tsetsefliege (a) (Gattung Glossina ), erschwert und manchmal völlig unmöglich macht. Da Tsetsefliegen nur in Afrika südlich der Sahara, im Tsetsegürtel, vorkommen, ist auch die Schlafkrankheit auf dieses geografische Gebiet beschränkt. (Quelle a, David Modrý; b, Jan Votýpka)

Trypanosomiasen Verbreitung Humane Trypanosomiasen werden nach dem Ort des Vorkommens und den Erregern (Protozoen der Gattung Trypanosoma ) in zwei völlig unterschiedliche Gruppen unterteilt. Die Afrikanische Trypanosomiasis, auch Afrikanische Schlafkrankheit oder einfach Schlafkrankheit genannt, kommt derzeit in mehreren Dutzend Ländern Afrikas südlich der Sahara zwischen 14° südlicher Breite und 15° nördlicher Breite vor, wo ihr Überträger, die blutsaugende Tsetsefliege (Gattung Glossina ), präsent ist (Abb. 12.7). In der Vergangenheit gehörte diese Infektion zusammen mit Malaria zu den am weitesten verbreiteten und schwersten Infektionskrankheiten im SubsaharaAfrika und verursachte großflächige Epidemien. In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Fälle deutlich zurückgegangen, was vor allem auf wirksame Präventivmaßnahmen und insbesondere auf das Aufsuchen und die Behandlung infizierter Personen zurückzuführen ist. Nach Schätzungen der WHO sind immer noch etwa 65 Mio. Menschen einem Infektionsrisiko ausgesetzt und einige Tausend davon infiziert (die meisten in der Demokratischen Republik Kongo), ein Bruchteil im Vergleich mit Infektionszahlen in früheren Jahrzehnten. Internationale Gesundheitsorganisationen

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setzten sich das ehrgeizige Ziel, die Afrikanische Trypanosomiasis bis 2020 als Gesundheitsproblem zu beseitigen, was auch fast gelang. Die Amerikanische Trypanosomiasis oder Chagas-Krankheit ist in etwa 20 Ländern Lateinamerikas weit verbreitet, in denen ihr Überträger, eine blutsaugende Raubwanze, vorkommt. Schätzungsweise sechs bis sieben Millionen  Menschen sind infiziert, wovon jährlich Zehntausende an chronischen Herz- oder Magen-Darm-Beschwerden sterben. Die ChagasKrankheit wurde zum Beispiel in Paraguay ausgerottet, taucht neuerdings aber sporadisch in südlichen Regionen der USA auf, wo geeignete Träger vorkommen. Einwanderer aus Lateinamerika können jedoch durch Blutoder Organspenden auch in Gebieten, in denen der Überträger fehlt, eine Infektionsquelle darstellen. Die Chagas-Krankheit zu diagnostizieren ist sehr schwierig, weshalb in einigen Gebieten außerhalb Lateinamerikas bei Transfusionen und Transplantationen ein erhebliches Infektionsrisiko besteht. Es wird geschätzt, dass in Westeuropa (Spanien, Portugal, Niederlande, Frankreich usw.) Zehntausende infizierter Einwanderer aus Lateinamerika (hauptsächlich Bolivien) leben.

Afrikanische Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit Verbreitung und Erreger Der Parasit Trypanosoma brucei gambiense verursacht die Westafrikanische Trypanosomiasis (Westafrikanische Schlafkrankheit), die inselhaft in der Nähe von Wasserläufen in bewaldeten Gebieten West- und Zentralafrikas vorkommt und für 98 % aller menschlichen Infektionen verantwortlich ist. Es handelt sich um eine Anthroponose, das Infektionsreservoir sind also in erster Linie erkrankte Menschen. An der Übertragung zwischen Menschen beteiligen sich die flussnahen Tsetsefliegen. Die Westafrikanische Trypanosomiasis ist eine chronische Krankheit, die ohne spezifische Behandlung innerhalb weniger Jahre zum Tod führt. Die Ostafrikanische Trypanosomiasis hingegen wird von der Unterart Trypanosoma brucei rhodesiense ausgelöst und ist eine akute, schnell fortschreitende Infektion. Sie kommt im östlichen und südlichen Afrika vor. Das Reservoir dieser Trypanosomen sind Haus- und Wildtiere, vor allem Rinder und Antilopen, und an der Übertragung zwischen Tieren und auch zwischen Tieren und Menschen sind die Savannen-Tsetsefliegen beteiligt. Menschen infizieren sich mehr oder

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weniger zufällig; meist handelt es sich um lokale Hirten, viel seltener um Touristen.

Lebenszyklus, Pathogenese und klinische Anzeichen An der Stichstelle der Tsetsefliege entsteht innerhalb von 5–15 Tagen ein schmerzhafter, warmer, geröteter Abszess, der Trypanosomenschanker genannt wird. Allmählich breiten sich die Parasiten auf die Lymphknoten aus und dringen nach etwa zwei bis vier Wochen in das Blut ein. Trypanosomen vermehren sich ungeschlechtlich außerhalb der Wirtszellen in der Haut, den Lymphknoten und vor allem im Blut. Die Infektion äußert sich durch wiederkehrendes Fieber, Kopfschmerzen, Schwellungen im Gesicht und Vergrößerung der Lymphknoten und der Leber. Trypanosomen verfügen über eine einzigartige Fähigkeit der Verteidigung gegen das Immunsystem des Wirts, da sie während der Infektion regelmäßig ihre Oberflächenmoleküle verändern (eine Art Kleiderwechsel). Die „umgezogenen“ Trypanosomen erscheinen als völlig neuer Parasit und es dauert eine Weile, bis das Immunsystem sie beseitigt hat. In der Zwischenzeit bildet sich jedoch auf einem Teil der Trypanosomen ein „neues Kleid“, das sie wieder für eine gewisse Zeit vor der vollständigen Vernichtung schützt. Der Wechsel zwischen Bewaffnung und Umkleiden wiederholt sich in regelmäßigen Abständen und erschöpft allmählich die Abwehrkräfte des Wirts. Bei der westafrikanischen Variante dringen die Trypanosomen innerhalb von 6–24 Monaten in das Gehirn ein, was sich in Kopfschmerzen, Zittern, Gleichgewichtsstörungen, Krämpfen und psychischen Symptomen wie Schlafstörungen äußert; wobei Letztere der Krankheit ihren Namen gegeben haben. Diese Patienten zeigen häufig starke Verhaltensänderungen und werden in psychiatrische Abteilungen eingewiesen.

Diagnostik Die Labordiagnostik der Afrikanischen Trypanosomiasis beruht auf dem direkten Nachweis der Parasiten hauptsächlich im Blut oder in der Zerebrospinalflüssigkeit (bei Spätformen). Die Parasiten können auch auf speziellen Nährmedien gezüchtet werden, da serologische Methoden nicht sehr zuverlässig sind.

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a

b

Abb. 12.8  „Küssende“ Wanzen. Die meisten Wanzen ernähren sich entweder räuberisch oder herbivor von Pflanzensäften. Eine Ausnahme bilden zwei Gruppen von Wanzen, die sich im Laufe der Evolution an das Blutsaugen gleichwarmer Wirbeltiere, einschließlich des Menschen, angepasst haben. Neben den bekannten Bettwanzen sind dies auch Wanzen der Unterfamilie Triatominae, im Englischen als kissing bugs bezeichnet. Diese küssenden Wanzen leben vor allem in Lateinamerika, wo sie unter anderem Trypanosoma cruzi, den Erreger der gefährlichen Chagas-Krankheit, übertragen, sodass ihr Kuss wahrlich tödlich sein kann. Der lange, schlanke Rüssel (b), in der Abbildung rot hervorgehoben, liegt im Ruhezustand eingefaltet unter dem länglichen Kopf und dem Körper der Wanze und stellt sich erst kurz vor dem eigentlichen Saugen auf, das fast schmerzlos verläuft. Nach dem Blutsaugen, das vor allem an schlafenden Opfern stattfindet, wächst der Hinterleib der Wanze beträchtlich an, wie beim unreifen Stadium, der Nymphe der Art Dipetalogaster maximus (a), zu sehen ist. (Quelle: a, David Modrý; b, Jana Bulantová)

Amerikanische Trypanosomiasis oder ChagasKrankheit Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Der Erreger der Amerikanischen Trypanosomiasis ist Trypanosoma cruzi, und als Überträger dienen blutsaugende Raubwanzen der Familie Reduviidae (insbesondere die Gattungen Triatoma, Rhodnius und Panstrongylus, Abb. 12.8). Im Gegensatz zur Malaria, Leishmaniose oder Schlafkrankheit, bei denen die Krankheitserreger inokulativ in die Wirbeltierwirte gelangen,

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also über den Rüssel beim Saugen, erfolgt die Übertragung der ChagasKrankheit kontaminativ. Infektiöse Trypanosomenstadien, die im Kot der Raubwanzen enthalten sind, gelangen über Schürfwunden, die Bindehaut des Auges oder sogar die Mundschleimhaut, wenn mit Raubwanzenkot kontaminierte Getränke getrunken werden (typischerweise frischer Zuckerrohrsaft usw.) in den Wirt. Früher war auch eine Übertragung durch Bluttransfusionen oder Organtransplantationen üblich, dieser Infektionsweg ist heute aber relativ selten. Nach der Infektion dringen die Parasiten in Muskel- und Nervenzellen ein, wo es zu einer starken intrazellulären Vermehrung kommt. Über Jahre hinweg entwickelt sich ein immunpathologischer Prozess, der die betroffenen Gewebe zerstört und zu deren Ersatz durch Bindegewebe führt. Es kommt zu einer Beschädigung des Herzmuskels (Kardiomyopathie) und des Verdauungstrakts, wobei sich der Dickdarm und die Speiseröhre vergrößern (Megaorgane), was zu Funktionsstörungen führt.

Klinische Anzeichen und Diagnostik An der Infektionsstelle kann sich eine rötliche Pustel von 1–3 cm Größe bilden. Dringen die Trypanosomen in die Bindehaut ein, kommt es zur Schwellung der Augenlider mit Bindehautentzündung (Romaña-Zeichen). Nach einer Inkubationszeit von zwei bis drei Wochen kann sich die akute Phase der Infektion entwickeln, die von grippeähnlichem Fieber um 38 °C, vergrößerten Lymphknoten, vergrößerter Leber und auch Milz begleitet wird. In diesem Stadium ist es möglich, Trypanosomen im Blut auf giemsagefärbten Abstrichen nachzuweisen. Oft verläuft diese akute Phase jedoch völlig asymptomatisch. Bei 30 % der Infizierten entwickelt sich im Laufe der Zeit eine kardiale Form der Erkrankung (Kurzatmigkeit, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen usw.) und etwa 10 % der Infizierten leiden unter einem Befall des Verdauungstrakts: der Speiseröhre (Megaösophagus) oder des Dickdarms (Megakolon). Die Diagnostik chronischer Infektionsphasen ist schwierig. Bei Personen, die nicht in dem endemischen Gebiet gelebt haben (z. B. Touristen), können mithilfe serologischer Methoden spezifische Antikörper nachgewiesen werden. Zur Untersuchung von Blutspenden und Organtransplantaten werden molekulare Methoden (PCR) eingesetzt.

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Behandlung Die Behandlung von Trypanosomiasen – sei es die Schlafkrankheit oder die Chagas-Krankheit – ist äußerst kompliziert und basiert weiterhin auf dem Einsatz veralteter toxischer Medikamente (Suramin und trivalente Arsenderivate bei Afrikanischer Trypanosomiasis, Nifurtimox und Benznidazol bei Amerikanischer Trypanosomiasis).

Vorbeugung Der Afrikanischen Trypanosomiasis vorzubeugen ist schwierig, da es keine Impfungen oder Chemoprophylaxe gibt. Die einzige Möglichkeit ist daher der Schutz vor Tsetsefliegen, die jedoch hauptsächlich tagsüber saugen und durch Repellents nur geringfügig ferngehalten werden. In endemischen Gebieten der Westafrikanischen Trypanosomiasis werden spezielle Fallen für Tsetsefliegen eingesetzt, die jedoch für den individuellen Schutz nicht geeignet sind. Die Vorbeugung der Chagas-Krankheit besteht in erster Linie darin, den Lebensstandard der Bewohner endemischer Gebiete zu verbessern, zum Beispiel durch die Beseitigung der traditionellen Lehmhütten mit Palmblättern, die den nachts saugenden Raubwanzen einen hervorragenden Unterschlupf bieten. Moderne Ziegelbauten sind dagegen kein guter Rückzugsort für Raubwanzen.

Helminthiasen – mit parasitären Würmern infiziert Helminthiasen sind mitunter die am weitesten verbreiteten parasitären Erkrankungen und Infektionskrankheiten des Menschen überhaupt. In den Tropen und in Gebieten mit niedrigem Hygienestandard sind etwa drei Milliarden Menschen, also fast die Hälfte der Weltbevölkerung, mit Darmhelminthen (Maden-, Spul-, Peitschen-, Haken-, Bandwurm) infiziert. Gefährlicher als intestinale Helminthiasen sind jedoch Infektionen des Gewebes, die in verschiedenen Organen und Geweben des Wirts auftreten. Dazu gehören auch Schistosomiasen und Filariosen, die zu den schwersten Tropeninfektionen zählen. Rund 700 Mio. Menschen leben in endemischen Gebieten der Schistosomiasen und mehr als eine Milliarde Menschen sind dem Risiko einer Filarieninfektion  ausgesetzt. Etwa 250  Mio.

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Menschen sind mit Schistosomiasis infiziert, und rund 130 Mio. leiden an lymphatischen Filariosen und Onchozerkose (s. Tab. 12.1, 12.2 und 12.3). Diese Helminthiasen verursachen chronische Infektionen mit geringer Sterblichkeitsrate in der akuten Phase, aber schweren chronischen Folgeerscheinungen. Die intestinale Schistosomiasis kann zu Leber- und Lungenfibrose führen, die urogenitale Schistosomiasis zu Nierenschäden und Blasenkrebs. Patienten, die mit lymphatischer Filariose infiziert sind, entwickeln viele Jahre später ein chronisches Lymphödem (Elephantiasis oder Elefantenmannkrankheit), das ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Eine Onchozerkose kann wiederum dauerhaft das Sehvermögen schädigen. Diese Erkrankungen verlaufen bei Reisenden in der Regel mild oder sogar völlig asymptomatisch. Oft ist ein Anstieg der eosinophilen5 Leukozyten im Blutbild einer ansonsten völlig gesunden Person der einzige Hinweis auf eine systemische Helminthiasen. Der Normalwert der Eosinophilen im peripheren Blut liegt bei 0–350/mm3 (μl); Eosinophilie bedeutet dann, dass die Zahl 500/mm3 übersteigt. Übersteigt die Eosinophilenzahl über mehr als sechs Monate einen Wert von 1500/mm3, spricht man vom hypereosinophilen Syndrom. Eosinophilie wird durch die Wanderung adulter oder larvaler Stadien parasitärer Würmer durch die inneren Organe und Gewebe des Wirts verursacht. Diese Migration löst eine systemische Immunantwort aus, die sich in der akuten Phase als Fieber mit Schüttelfrost, Übelkeit, Atembeschwerden (Husten, Atemnot und Brustschmerzen), Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen oder Ausschlag äußern kann. Eine schwerwiegende Komplikation der Gewebehelminthiasis ist eine atypische Lokalisation der wandernden Würmer oder ihrer Larvenstadien im Gehirn oder in den Augen. Im Gegensatz dazu verursachen im Darm lebende Helminthen (Madenwurm – Enterobiose, Spulwurm – Ascariasis, Peitschenwurm – Trichuriasis, Hakenwurm – Ankylostomiasis, Bandwurm – Taeniasis) normalerweise keine Eosinophilie. Auch eine Infektion mit Protozoen ruft keine signifikante Eosinophilie hervor. Während der akuten Infektionsphase ist die Eosinophilie in der Regel höher, kann aber im Laufe der Jahre bei chronischer Helminthiasis abnehmen.

5 Ein Zunahme der Eosinophilie kann auf das Wirken verschiedener Faktoren zurückgeführt werden, wie Infektionskrankheiten (z. B. Helminthiasen mit Gewebeinvasion, Migrationsphase intestinaler Helminthiasen, systemische Mykosen [z. B. Kokzidiomykose, Aspergillose]), Allergien (Asthma bronchiale, atopisches Ekzem usw.), Reaktionen auf  Arzneimittel  (Sulfonamide), Kollagenosen (systemischer Lupus erythematodes) und andere Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis) oder Krebserkrankungen (insbesondere Blut- und Lymphknotentumoren).

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Schistosomiasis (Bilharziose) Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Schistosomiasis (auch Bilharziose genannt) ist die schwerste humane Helminthiase. Etwa 700 Mio. Menschen weltweit sind ansteckungsgefährdet und etwa ein Viertel davon ist infiziert. Die Krankheit kann durch insgesamt fünf verschiedene Arten humanpathogener6 Schistosomen (Saugwürmer der Gattung Schistosoma, Pärchenegel) verursacht werden, die sich als ausgewachsene Würmer in den Blutgefäßen des Wirts ansiedeln (Tab. 12.3, Abb. 12.9). Adulte Pärchenegel, die recht langlebig sind, verursachen in der Regel selbst keine Komplikationen. Was bei infizierten Personen Krankheitssymptome hervorruft und somit der eigentliche Erreger ist, sind die Eier des Wurms. Bei Protozoen und Filarien (s. unten), die im Blut leben und deshalb unser Gefäßsystem bewohnen, wird die Übertragung zwischen Wirten durch blutsaugende Insekten gewährleistet. Bei Pärchenegeln ist der Lebenszyklus, und somit auch die Art ihrer Übertragung, jedoch vollkommen anders. Ausgewachsene Parasiten, die in unseren Venen in der Nähe des Darms oder der Blase leben, setzen Eier frei, die aktiv (durch Entzündungsprozesse) in den Kot oder Urin (je nach Parasitenart) gelangen und anschließend den Wirtskörper verlassen müssen, um in ihrer Entwicklung fortfahren zu können. Intestinale Formen der Schistosomiasis werden verursacht von Schistosoma mansoni, einer in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Süd- und Mittelamerika vorkommende Art, S. mekongi aus dem Mekong-Becken in Südostasien, S. intercalatum, die in Zentralafrika vorkommt, und S. japonicum, die in Südostasien und im pazifischen Raum verbreitet ist. Entgegen ihrem Namen ist S. japonicum in Japan nicht mehr anzutreffen, da sie dort vollständig ausgerottet wurde. Die urogenitale Schistosomiasis wird von S. haematobium ausgelöst, die in Afrika, auf der arabischen Halbinsel und im Nahen und Mittleren Osten vorkommt. Einige Arten sind typisch für humane Infektionen, wo das Hauptreservoir infizierte Menschen darstellen, die die Wurmeier mit dem Kot oder Urin ausscheiden; wir begegnen jedoch auch Arten mit breiter Wirtsspezifität und zoonotischem Charakter der Infektionen (z. B. S. japonicum ), für die verschiedene Nutz- und Wildtiere als Säugetierreservoir dienen. Im Wasser schlüpft dann aus dem Ei

6 Die anderen drei Arten zoonotischer Schistosomen (d. h. tierischer Schistosomen, die nur ausnahmsweise den Menschen infizieren können) sind nur von geringer Bedeutung.

330     F. Stejskal Tab. 12.3  Die bekanntesten Erreger (Gattung Schistosoma ) humaner Schistosomiasen

Erreger

Verbreitung

Lokalisation erwachsener Weibchen

Wichtigste Reservoirwirte*

Zwischenwirt (Gattung)

S. Afrika, Naher haematobium und Mittlerer Osten Intestinale Schistosomiasis

Blutgefäße der Blase

Menschen

Bulinus

S. mansoni

Vena mesenterica inferior

Menschen (Paviane, Ratten)

Biomphalaria

Menschen, Menschenaffen Menschen, Rinder, Hunde, Schweine, Ratten und weitere Menschen, Hunde

Bulinus

Urogenitale Schistosomiasis

Afrika, Arabische Halbinsel, Südamerika, Karibik S. intercalatum Zentral- und Westafrika S. japonicum

S. mekongi

Vena mesenterica inferior Vena Ferner Osten, China, Südost- mesenterica superior et asien inferior

Laos, Kambodscha

Vena mesenterica superior et inferior

Oncomelania

Tricula

* Dies

ist nur eine illustrative Liste der Reservoirwirte (im Hinblick auf alle natürlichen Wirte ist die Liste unvollständig), da weiterhin Zweifel an der eindeutigen Definition wichtiger Reservoire für die Übertragung auf den Menschen bestehen (also inwieweit andere natürliche Wirte auch Reservoire für die Infektion des Menschen sind)

ein Miracidium, das die als Zwischenwirt geeignete Süßwasserschnecke findet. Diese Gastropoden sind wärmeliebend und kommen daher in der gemäßigten Zone Mitteleuropas nicht vor. Im Körper des Zwischenwirts vermehren sich die Pärchenegel ungeschlechtlich und bilden infektiöse Larvenstadien, die Zerkarien. Die Menschen infizieren sich beim Baden, Waschen oder Arbeiten in verunreinigten Stauseen und langsam fließenden Flüssen oder Kanälen durch Kontakt mit kontaminiertem Süßwasser. Die Zerkarien bohren sich in die Haut des Wirts, wo sie einen spezifischen Ausschlag, die Zerkariendermatitis, verursachen können. Nachdem sie die Haut durchdrungen haben, verwandeln sich die Zerkarien in das nächste Larvenstadium (Schistosomulum genannt) und wandern durch Herz und Lunge in die Portalvenen. Hier reifen die Würmer heran und die befruchteten Weibchen dringen in die Blutgefäße um Blase und Harnleiter (S. haematobium)

12  Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer …     331

a

b

c

d

Abb. 12.9  Romantische Killer. Schistosomiasis ist eine der weltweit bedeutendsten parasitären Erkrankungen, mit schätzungsweise 200 Mio. Infizierten in den Tropen und Subtropen und Zehntausenden von Todesfällen jährlich. Die bekannteste und am weitesten verbreitete Schistosomenart des Menschen aus der Gattung der Pärchenegel ist Schistosoma mansoni. Sein Lebenszyklus ist zweiwirtig. Ausgewachsene Saugwürmer (a) befinden sich in den Blutgefäßen infizierter Menschen in einer „romantischen“ Umarmung, bei der das größere und kräftigere Männchen in einer speziell dafür geschaffenen Furche das haardünne Weibchen hält, mit dem es langfristig verbunden bleibt. Für die Entwicklung der Larven dieser Saugwürmer ist eine Süßwasserschnecke als Zwischenwirt unerlässlich, in diesem Fall eine Tellerschnecke der Gattung Biomphalaria (b). Die Larven (Zerkarien), die nach einer komplexen Entwicklung aus der Schnecke freigesetzt werden, bewegen sich aktiv im Wasser und dringen beim Kontakt mit menschlicher Haut in unseren Körper ein. Nach einer komplizierten Reise durch den Blutkreislauf siedeln sich diese Würmer schließlich an Stellen der Blutversorgung des Verdauungssystems (des Darms und der Leber) an. Und eben hier beginnen für den Wirt die ernsthaften Probleme: Die adulten weiblichen Pärchenegel legen typisch geformte, stachelige Eier (c), die im Idealfall in den Darm gelangen und mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Etwa die Hälfte der Eier setzt sich jedoch in Geweben (Leber, Darmwand, Lunge usw.) fest, wo sie langfristige lokale Entzündungsprozesse in Form von Granulomen (d) verursachen. Dort sammeln sich um die Eier herum (Pfeile) allmählich Immunzellen des Wirts und es kommt zur verstärkten Bildung großer Mengen an Bindegewebe (auf histologischem Präparat türkis gefärbt), das die ursprüngliche Funktion des betroffenen Organs nicht mehr erfüllt. So können bei langfristigen massiven Infektionen lebenswichtige Funktionen beeinträchtigt werden und unbehandelte Formen der Krankheit können zum Tod führen. (Quelle: Jana Bulantová)

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oder den Darm (S. mansoni, S. mekongi, S. japonicum) ein, wo sie bis zu 30 Jahre lang leben können. Befruchtete Weibchen legen eine große Anzahl von Eiern (Hunderte bis 2000 pro Tag); einige davon werden mit dem Kot oder Urin in die Außenwelt ausgeschieden, wo die geschlüpften Larven (Miracidien) Süßwasserschnecken infizieren können und der Kreislauf sich schließt. Unglücklicherweise verbleibt ein erheblicher Teil der Eier in den betroffenen Organen (im Darm, der Leber oder der Blasengegend), wo sie eine Entzündungsreaktion hervorrufen und die Ursache für pathologische Veränderungen und anschließende gesundheitliche Beschwerden sind. Bei der intestinalen Schistosomiasis können einige Eier über den Kreislauf der Portalvene in die Leber gelangen, wo sie zur Leberfibrose führen, der allmählich weitere Komplikationen folgen können, wie portale Hypertonie, Vergrößerung der Milz (Splenomegalie), Verlust weißer und roter Blutkörperchen und Blutplättchen (Panzytopenie), Aszites und Ösophagusvarizen. Es bildet sich ein kollateraler Venengang, der die Leber umgeht (portokavale Anastomose) und die Eier können in weitere Organe gelangen: in die Lunge, Genitalien (was bis zur Sterilität führen kann), Haut, das Gehirn (Ursache von Meningoenzephalitis, Epilepsie, Querschnittslähmung) oder die Augen.

Klinische Anzeichen und Diagnose Die Zerkariendermatitis kann sich als juckender, makulopapulöser Ausschlag mit Rötungen und leichtem Ödem an der Eintrittsstelle der Zerkarien äußern. Sie erscheint etwa einen Tag nach der Infektion, kann bis zu zehn Tage andauern und klingt dann spontan ab. Zerkariendermatitis tritt ebenfalls in der gemäßigten Zone auf, wird dort jedoch durch Pärchenegel der Vögel oder sogar Säugetiere (allgemein also tierpathogene Arten) verursacht, die in der menschlichen Haut absterben und daher eine stärkere Hautreaktion hervorrufen. Nach ein bis drei Monaten ab der Ansteckung können Symptome einer akuten Infektion (akute Schistosomiasis, Katayama-Fieber) auftreten. Dabei handelt es sich um eine fiebrige, selten tödlich verlaufende, immunvermittelte Krankheit, hervorgerufen durch Überempfindlichkeit (hypersensitive Reaktion) auf die sich entwickelnden Würmer und neu gelegten Eier. Hohes Fieber mit Schüttelfrost und Schweißausbrüchen wird von Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, manchmal Durchfall, Bauchschmerzen und Husten begleitet. Die Leber und Lymphknoten des

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Patienten vergrößern sich, manchmal erscheinen Hautausschlag und hohe Eosinophilie im Blutbild. Eine akute Schistosomiasis klingt innerhalb weniger Wochen ab, bei massiveren oder wiederholten Infektionen kann die Krankheit jedoch fortbestehen und nach Monaten oder Jahren zu organspezifischen Erscheinungsformen führen. Zu den ersten Symptomen einer urogenitalen Schistosomiasis gehören dumpfe Schmerzen im Unterleib, Brennen beim Wasserlassen oder häufiger Harndrang. Anfangs befindet sich nur eine geringe Menge Blut im Urin (mikroskopische Hämaturie), später ist das Blut im Urin mit bloßem Auge sichtbar (makroskopische Hämaturie). Blut und parasitäre Eier befinden sich hauptsächlich in den letzten Portionen des Urins. Im Spätstadium bilden sich in der Blase Granulome, Knötchen, Polypen und Ulzerationen, die Blutungen verursachen. In der Blase bilden sich Konkremente („Blasensteine“) und bakterielle Harnwegsinfektionen, insbesondere durch Salmonellen, treten häufiger auf. Die chronische Reizung führt zur Metaplasie des Epithels, die in ein Plattenepithelkarzinom der Blase übergehen kann. Bei längerer Exposition gegenüber Schistosomeneiern kommt es zu einer Vernarbung der Blasenwand und der Harnleiter, was zu Hydroureter, Hydronephrose und Nierenversagen führt. Die intestinale Schistosomiasis äußert sich im Frühstadium durch Bauchschmerzen, Schwäche und Appetitlosigkeit, manchmal auch durch erhöhte Temperatur. Schwerere Infektionen können der Ruhr (Dysenterie) ähneln, mit Symptomen wie blutig-schleimigem Durchfall, begleitet von Bauchkrämpfen und Tenesmus. Im Spätstadium bilden sich im Dickdarm Polypen oder tumorähnliche Gebilde und Durchfall kann sich mit Verstopfung abwechseln. Die Schistosomiasisdiagnose wird anhand nachgewiesener Eier im Urin oder Stuhl gestellt. Auch Quetsch- oder histologische Präparate nach einer Biopsie der Blasenschleimhaut, des Dickdarms oder der Leber können untersucht werden. Eine serologische Untersuchung ist für Reisende und Personen nützlich, die nicht für längere Zeit in endemischen Gebieten gelebt haben.

Behandlung Das Mittel der Wahl bei Schistosomiasis ist Praziquantel, wie auch bei den meisten anderen durch parasitäre Saugwürmer verursachten Infektionen (Trematodosen). Praziquantel wirkt nicht auf die Larvenstadien – die Schistosomula – und ist daher erst ab dem 21. Tag der Infektion wirksam. Die Zerkariendermatitis wird lokal mit antihistaminhaltigen Salben

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behandelt. Bei systemischen Symptomen (Fieber, Atemnot), die selten auftreten, werden Kortikosteroide eingesetzt. Bei akuter leicht verlaufender Schistosomiasis werden entzündungshemmende Medikamente (Ibuprofen, Paracetamol) eingesetzt, bei schweren Verläufen Kortikosteroide (Prednison). Praziquantel wird je nach Art des Erregers einmalig zur Behandlung urogenitaler und intestinaler Schistosomiasis verabreicht. Die Wirksamkeit der Behandlung liegt zwischen 70 und 90 %. Da Praziquantel nicht auf Larven und unreife Eier wirkt, ist es ratsam, die Behandlung mit diesem Präparat nach einem oder zwei Monaten zu wiederholen. Der Erfolg der Behandlung wird daran gemessen, dass keine lebenden Eier mehr mit dem Kot oder Urin ausgeschieden werden (tote, nicht entwicklungsfähige Eier können nach erfolgreicher Behandlung noch mehrere Monate lang ausgeschieden werden). Stuhl- und Urinkontrollen auf das Vorhandensein von Eiern werden drei, sechs und zwölf Monate nach der Behandlung durchgeführt.

Vorbeugung Es gibt weder eine Chemoprophylaxe noch einen Impfstoff gegen Schistosomiasis. Cremes mit Substanzen, die Zerkarien abtöten oder ihr Eindringen in die Haut verhindern, sind zwar vorhanden, aber nicht im Handel erhältlich. Der einzige wirksame Schutz besteht daher darin, selbst den kurzzeitigen Kontakt von Haut und Schleimhäuten mit kontaminiertem Süßwasser (einschließlich fließendem und tiefem Wasser) zu vermeiden. Auch das Duschen und Waschen mit kontaminiertem Wasser ist riskant. In endemischen Gebieten umfassen die Programme zur Bekämpfung der Schistosomiasis bei einer Prävalenz von mehr als 30 % eine flächendeckende Verabreichung von Praziquantel an alle Einwohner oder es werden nur Personen mit Hämaturie und Proteinurie behandelt. Zur Kontrolle und Reduktion der Zwischenwirte (Süßwasserschnecken) dient die chemische Bekämpfung mit Molluskiziden (auch Blaustein wird eingesetzt, da Schnecken sehr empfindlich auf zweiwertige Kupferkationen reagieren). Zusätzlich wird auch auf verschiedene Formen der biologischen Bekämpfung gesetzt, aber aufgrund von Umweltveränderungen und des Baus neuer Wasserkörper breitete sich die Schistosomiasis in der letzten Dekade eher weiter aus, als zurückzuweichen. Wichtig ist die Aufklärung der Bewohner des betroffenen Gebiets über richtige Hygiene, die Benutzung von Latrinen und die Bereitstellung von „sicherem“ Wasser.

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Filariosen Filariosen sind hauptsächlich tropische Infektionen, die durch Würmer der Gruppe der Filarioidea verursacht werden, die zu den parasitären Fadenwürmern (Nematoda) gehören. Ausgewachsene Würmer leben im Gewebe oder in den Lymphgefäßen von Wirbeltieren. Die Weibchen produzieren lebende, mikroskopisch kleine Larven, die Mikrofilarien, die entweder periodisch in das periphere Blut gespült werden (lymphatische Filariose, Dirofilariose, Loiasis) oder sich dauerhaft in der Haut befinden (Onchozerkose). Nach der Aufnahme durch Überträger, das heißt Stechmücken, Kriebelmücken, Bremsen und andere Zweiflügler, findet in deren Körper die Weiterentwicklung zu infektiösen Larven des dritten Stadiums statt, fähig der Übertragung auf einen neuen Wirt. Die wichtigsten tropischen Filariosen des Menschen sind in Tab. 12.4 aufgeführt. In den letzten Jahren haben sich in Europa tierische Dirofilariosen verbreitet, die durch an Hunden parasitierende Würmer verursacht werden und gelegentlich auch Menschen infizieren können. Dabei handelt es sich um zwei Arten, Dirofilaria repens und Dirofilaria immitis, die im Volksmund auch als Herzwurm bezeichnet wird (s. Kapitel über Parasiten bei Haustieren). Obwohl Dirofilaria-Larven im Menschen nicht heranreifen und so ihre natürliche Entwicklung vollenden können, können sie vor ihrem Tod durch das Unterhautgewebe wandern und Schwellungen und Rötungen an verschiedenen Körperteilen infizierter Menschen verursachen. Eine seltene Komplikation bei Dirofilariosen kann die Migration der Herzwürmer in das Auge oder das Gehirn sein.

Lymphatische Filariosen Die lymphatische Filariose (Wuchereriose, Brugiose) wird durch mehrere Filarienarten der Gattung Wuchereria und Brugia verursacht (Tab. 12.4). Die Übertragung erfolgt beim Blutsaugen der Weibchen einer Reihe von Mückenarten. Diese Parasiten kommen in tropischen und subtropischen Regionen Afrikas, Asiens, des Pazifiks und Lateinamerikas vor. Adulte Würmer leben in den Lymphgefäßen, wo die Weibchen lebende, mikroskopisch kleine Larven, Mikrofilarien, produzieren, die während der Nachtstunden periodisch ins periphere Blut gespült werden (Microfilaria nocturna genannt) – gerade nachts bestehen bessere Chancen, zusammen mit dem Blut von einem geeigneten Überträger, der Stechmücke, aufgesaugt

Verbreitung

Dermatitis, allergische Reaktionen

Dermatitis, Erblindung Loiasis

Lymphatische Filariosen Lymphatische Filariosen

Erkrankung

Haut Blut, diurna Blut, Haut

20–30 Mio. -

Blut, nocturna 

13 Mio.

18 Mio.

Blut, nocturna

Mikrofilarien

115 Mio.

Anzahl der Infizierten

Kriebelmücken (Simulium) Bremsen (Chrysops) Gnitzen der Gattung Culicoides, Stechmücken

Stechmücken

Stechmücken

Überträger

Verschiedene Tiere

Menschen

Menschen, Affen, Hunde Menschen

Menschen

Reservoir*

ist nur eine illustrative Liste der Reservoirwirte (im Hinblick auf alle natürlichen Wirte ist die Liste unvollständig), da weiterhin Zweifel an der eindeutigen Definition wichtiger Reservoire für die Übertragung auf den Menschen bestehen (also inwieweit andere natürliche Wirte auch Reservoire für die Infektion des Menschen sind)

* Dies

Tropen und Subtropen Südostasien, Pazifik, Indonesien Onchocerca volvulus Afrika, Mittel- und Südamerika Loa loa West- und Zentralafrika Mansonella Afrika, Südperstans, amerika, M. streptocerca, Zentralafrika, M. ozzardi Lateinamerika

Wuchereria bancrofti Brugia malayi, B. timori

Art

Tab. 12.4  Überblick der klinisch bedeutsamen Filariosen. (Quelle: Walther, M., Muller, R. 2003: Diagnosis of human filariases (except onchocerciasis). Advances in Parasitology 53, 149–193)

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zu werden. Die Krankheitssymptome entstehen als Folge einer Immunantwort oder einer allergischen Reaktion des Körpers auf das Vorhandensein der Parasiten im Gewebe. Bei lymphatischer Filariose führt die Infektion zu einer Verstopfung des Lymphabflusses aus den oberen oder unteren Gliedmaßen, der Brust oder den Genitalien, wodurch sich die Lymphe staut und die betroffenen Körperteile vergrößert, die zu bizarren Formen heranwachsen können. Eben die vergrößerten und geschwollenen Gliedmaßen und anderen Organe gaben der Krankheit ihren Namen – Elephantiasis oder Elefantenmannkrankheit. Es kommt zur Hypertrophie und Fibrosierung des Unterhautgewebes wie auch papillomatösen Hautveränderungen mit Verhornung und Ulzeration. Die schwerwiegendste der systemischen Reaktionen ist das pulmonale Hypereosinophiliesyndrom, das durch das Vorhandensein der Mikrofilarien in der Lunge verursacht wird und sich als Fieber mit Husten äußert. Bei etwa zwei Dritteln der Infizierten verläuft die Infektion jedoch völlig asymptomatisch und wird lediglich von einer Mikrofilarämie (nächtliche Anwesenheit der Mikrofilarien im peripheren Blut) begleitet. Diese Menschen sind zwar selbst völlig symptomfrei, stellen aber ein wichtiges Infektionsreservoir für die übrige Bevölkerung dar. Das akute Fieber dauert drei bis sieben Tage an und geht mit Schüttelfrost, Schweißausbrüchen, Kopf-, Knochen- und Gelenkschmerzen, Übelkeit und manchmal Husten und Atemnot einher. Das Fieber ähnelt einem Malariaanfall und kann sich während des Jahres mehrmals wiederholen, auch noch Jahre nach der Rückkehr aus dem endemischen Gebiet. Es kommt dabei zur Entzündung, Vergrößerung, Rötung und zu Schmerzen der Lymphgefäße und -knoten sowie zu einer Vergrößerung von Leber und Milz. Es liegen eine starke Eosinophilie und erhöhte Werte der IgE-Antikörper vor. In der akuten Phase können geschwollene Lymphknoten und Schwellungen der Extremitäten wochenlang bestehen bleiben. Bei Männern ist eine Schwellung des Hodensacks typisch. Bei chronischen Infektionen kommt es zur Elephantiasis der betroffenen Gliedmaßen, des Hodensacks, bei Frauen der äußeren Geschlechtsorgane usw. Weitere Komplikationen der Elephantiasis sind bakterielle Superinfektionen und Gelenkentzündungen. Die Diagnostik lymphatischen Filariosen beruht auf dem Nachweis der Mikrofilarien im peripheren Blut, vor allem nachts, mithilfe des sogenannten dicken Tropfens, der mit Giemsa gefärbt wird. Es können auch andere Konzentrationsmethoden verwendet werden, die eine höhere Ausbeute haben. Bei manchen Patienten müssen Mikrofilarien im peripheren Blut nicht vorhanden sein, weshalb moderne Methoden zum Nachweis der filarieneigenen Antigene oder DNA (mittels PCR) im Blut eingeführt

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werden. Serologische Untersuchungen sind nur bei Touristen sinnvoll, die sich nicht lange in endemischen Gebieten aufgehalten haben. Zur Behandlung lymphatischer Filariosen werden Diethylcarbamazin (DEC) oder Ivermectin7 eingesetzt. Sowohl DEC als auch Ivermectin töten Mikrofilarien ab, aber nicht zuverlässig die adulten Würmer; die Wirksamkeit beider Medikamente wird durch die gleichzeitige Verabreichung von Albendazol verstärkt. Die Behandlung kann von allergischen Reaktionen begleitet sein. Bei Patienten mit Elephantiasis ist eine unterstützende Behandlung wichtig (z. B. Schlaf mit hochgelegten Füßen und Tragen von Kompressionsstrümpfen).

Onchozerkose (Flussblindheit) Die Onchozerkose wird beim Menschen durch Filarien der Art Onchocerca volvulus verursacht, die sich im Unterhautgewebe ansiedeln. Die Krankheit ist in 30 Ländern endemisch, hauptsächlich in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Mittel- und Südamerika. Die höchste Inzidenz wird in einem Gürtel verzeichnet, der sich vom Senegal im Westen bis nach Äthiopien im Osten erstreckt. Weit weniger Fälle wurden aus dem Jemen, Saudi-Arabien und Lateinamerika (Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Mexiko, Guatemala, El Salvador, Honduras) gemeldet. In endemischen Gebieten leben 85 Mio. Menschen und etwa 18 Mio. von ihnen sind infiziert. Vier Millionen Infizierte entwickeln Hauterscheinungen und zwei Millionen sind stark sehbehindert oder blind. Schätzungsweise 270.000 Menschen erblinden jedes Jahr infolge der Onchozerkose. Die Gefahr der Erblindung ist der Grund dafür, dass die Onchozerkose als „Flussblindheit“ bezeichnet wird. Onchozerkose wird durch blutsaugende Weibchen der Kriebelmücken (Gattung Simulium ) übertragen, und da sich die Fliegen nur in schnell fließenden Gewässern entwickeln, spiegelt sich die Flussnähe auch im Namen der Krankheit (Flussblindheit) wider. Die Menschen der betroffenen Gebiete wussten seit jeher von dem Zusammenhang zwischen schnell fließendem Wasser und der Blindheit als Symptom der Onchozerkose. Eben deshalb kommen in vielen regionalen Legenden und Mythen böse Dämonen vor, die die in der Nähe von Stromschnellen und Wasserfällen

7 Im Jahr 2015 wurde der Nobelpreis an zwei Wissenschaftler, W. C. Campbell und S. Omura, für die Entdeckung dieses Medikaments gegen parasitäre Fadenwürmer verliehen.

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lebenden Dorfbewohner blenden, denn dort verweilen die Geister angeblich. Das Reservoir der Ansteckung sind in erster Linie die Menschen selbst. Die infektiösen Larven entwickeln sich nach der Übertragung von der Kriebelmücke auf den Menschen in etwa acht Monaten zu ausgewachsenen Würmern, die bis zu 20 Jahre lang in etwa 2 cm langen, subkutanen Knötchen (Onchozerkomen) leben, welche sich vor allem über den Knochen von Kopf, Gliedmaßen und Rumpf bilden. Onchozerkome enthalten Dutzende bis Hunderte von Weibchen in einer Bindegewebshülle, von denen jedes im Laufe seines Lebens Millionen von Mikrofilarien produziert. Die Mikrofilarien wandern in die Haut und das Unterhautgewebe, wo sie eine chronische Entzündung (Dermatitis) hervorrufen, die sich zunächst als Rötung, kleine juckende Pusteln und Bläschen am Rumpf und an den oberen Gliedmaßen äußert. Später kommt es zum Elastizitätsverlust und einer Verhornung der Haut. Ähnliche Hauterscheinungen, jedoch wesentlich milder, können durch eine Infektion mit zoonotischen Filarien der Gattung Mansonella verursacht werden, die jedoch keine natürlichen Parasiten des Menschen sind (s. Tab. 12.4). Die Onchocerca-Mikrofilarien können auch in das Auge der infizierten Personen wandern, was zur Entzündung der Horn- und Aderhaut führt, und etwa 0,5 % der Infizierten erblinden innerhalb von zehn Jahren nach der Infektion teilweise oder vollständig. Die Diagnostik der Onchozerkose basiert auf dem mikroskopischen Nachweis ausgewachsener Würmer in entfernten subkutanen Knötchen oder Mikrofilarien in der Haut. Es wird eine Stanzbiopsie der Haut durchgeführt oder eine 1–3 mm große Hautprobe per Skalpell entnommen und in physiologische Kochsalzlösung überführt. Darin werden die sich bewegenden Larven unter einem Mikroskop beobachtet. Serologische Untersuchungen sind wichtig für Reisende, die nicht in endemischen Gebieten leben. Bei allen Filariosen kommen Antikörper mit Kreuzreaktivität vor. In der akuten Krankheitsphase ist eine Eosinophilie im Blut festzustellen, weitere Labortests liegen gewöhnlich im Normalbereich. Bei der Onchozerkose ist das Mittel der Wahl eine einmalige Dosis Ivermectin, die jedoch nicht auf adulte Würmer wirkt, sodass die Behandlung alle sechs bis zwölf Monate während der Lebensdauer der adulten Würmer (15–20 Jahre) wiederholt werden muss. Ein alternatives, aber weniger wirksames Medikament ist Diethylcarbamazin (DEC). Weiter wird empfohlen, subkutane Knötchen mit ausgewachsenen Würmern am Kopf chirurgisch zu entfernen, da dies das Risiko einer Sehbehinderung verringert. Programme zur Kontrolle und Bekämpfung der Onchozerkose in

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Westafrika wurden 1974 eingeleitet. Sie beruhen auf der flächendeckenden Verteilung von Ivermectin an die örtliche Bevölkerung ein- oder zweimal jährlich und der Bekämpfung der Überträger (Kriebelmücken) mit Insektiziden. Vor 30 Jahren entdeckten McLaren und Kozek das Vorhandensein symbiotischer intrazellulärer Alphaproteobakterien der Gattung Wolbachia (Ordnung Rickettsiales) in unterschiedlichen Geweben ausgewachsener Filarien. Wolbachia ist für die Entwicklung der Mikrofilarien unerlässlich, und daher führt die Abtötung dieser symbiotischen Bakterien bei den Filarien zur Einstellung ihrer Reproduktion. Wolbachia ist nachweislich auch an der Entwicklung der Krankheit beteiligt, insbesondere an Augenschäden. Der neue Therapieansatz bei Filariose basiert daher auf der Ausrottung dieser symbiotischen Bakterien mit Antibiotika, was zum Tod oder zumindest zur Sterilisation der adulten Weibchen führt.

Loiasis Eine beim Menschen weniger verbreitete Filariose ist die Loiasis, die von Filarien mit dem poetischen Namen Loa loa (Augenwurm) ausgelöst wird (Abb. 12.10). Überträger sind Bremsen der Gattung Chrysops, die hauptsächlich tagsüber aktiv sind. Aus diesem Grund werden die Mikrofilarien dieses Wurms, Microfilaria diurna genannt, tagsüber in den Blutkreislauf freigesetzt, im Gegensatz zu Microfilaria nocturna, die hauptsächlich nachts im peripheren Blut des Menschen vorkommen. Die Loiasis ist, wie in den vorangegangenen Fällen, in erster Linie eine menschliche Krankheit (Anthroponose), die nur in West- und Zentralafrika auftritt. Die Krankheit äußert sich durch Fieber, Hautausschlag, Schwellungen und wandernde subkutane Schwellungen, die über Stunden bis Tage anhalten. Diese Schwellungen können die Größe eines Hühnereis erreichen und werden Calabar- oder Kamerun-Beule genannt. Sie treten vor allem an den oberen Gliedmaßen und im Gesicht auf. Bei der Wanderung adulter Würmer in das Auge kommt es zur Rötung der Bindehaut, Lichtempfindlichkeit und Schwellungen im Gesicht. Der Wurm ist groß genug, um ihn im Auge zu sehen. Zur Behandlung wird DEC verwendet, ausgewachsene Würmer müssen von einem erfahrenen Augenarzt mit einem Augenskalpell und einer Pinzette aus dem Auge entfernt werden.

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a

b

Abb. 12.10  Die Blindbremse und der Augenwurm. Blutsaugende Insekten übertragen neben Protozoen wie Plasmodien (Erreger der Malaria) und Trypanosomen (Erreger der Schlafkrankheit und der Chagas-Krankheit) auch eine Reihe anderer Parasiten, darunter Würmer der Überfamilie Filarioidea, genannt Filarien. Meist handelt es sich um nachtaktive Insekten. Unter ihnen sind hauptsächlich um Mücken und Gnitzen, auf deren nächtliche Aktivität auch die Ausschüttung der infektiösen Stadien der Filarien, der Mikrofilarien (a), in das periphere Blut der Wirte während der Nacht (Microfilaria nocturna) ausgerichtet ist, um die Übertragungschancen zu erhöhen. Es gibt jedoch auch tagaktive blutsaugende Insekten wie Bremsen (b). An ihre Aktivität sind andere Filarienarten angepasst, deren Mikrofilarien tagsüber ausgeschüttet werden (Microfilaria diurna). Ein Beispiel ist der Augenwurm (Loa loa), der im westlichen Äquatorialafrika vorkommt und durch eine Bremse der Gattung Chrysops übertragen wird. Das Foto zeigt jedoch die bei uns heimische Art dieser Bremse, die Gemeine Blindbremse (Chrysops caecutiens) (b). Eine Übersetzung des lateinischen Namens der Gattung, Chrysops, ist „Goldauge“. Der Name bezieht sich auf die auffällige, metallisch glänzende Augenfarbe, die jedoch auf die physikalischen Eigenschaften des Auges und nicht auf ein Pigment zurückzuführen ist, sodass der Glanz kurz nach dem Tod der Bremse verschwindet. (Quelle: a, Jana Bulantová; b, David Modrý)

Zystische Echinokokkose (zystische Hydatidose) Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Die Echinokokkose (Hydatidose) ist eine Infektion der inneren Organe durch Larvenstadien (Hydatiden) von Bandwurmarten der Gattung Echino-

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coccus. Diese Bandwürmer sind praktisch überall auf der Welt verbreitet. Die bedeutendste Art ist Echinococcus granulosus, der zur zystischen Echinokokkose führt und in Europa im Balkanraum, aber auch in Spanien, Portugal, auf Sardinien und Sizilien noch relativ häufig vorkommt, etwas seltener auch in der Slowakei. In Mittel-, Nord- und Osteuropa, Zentralasien und Nordamerika kommt eine verwandte Art, Echinococcus multilocularis, vor, der Erreger der alveolären Echinokokkose. In Südamerika kommen zwei weitere Bandwurmarten vor, E. vogeli und E. oligarthrus, die beim Menschen die seltene polyzystische Echinokokkose verursachen können. Darüber hinaus gibt es mehrere andere Arten, bei denen die Möglichkeit einer Infektion des Menschen diskutiert wird. In allen Fällen handelt es sich um Zoonosen. In der Natur werden Infektionen in charakteristischen epizootischen8 Zyklen aufrechterhalten, die sich durch eine ausgeprägte Spezifität der Parasitenspezies und manchmal sogar -stämme für bestimmte Zwischen- und Endwirte sowie unterschiedliche Virulenz/Pathogenität für den Menschen auszeichnen. In den inneren Organen der Zwischenwirte entwickeln sich blasenartige Gebilde (Zysten), die Hydatiden. Nach ihrem Verzehr durch den Endwirt, ein Hund9 (oder einige andere Raubtiere), entwickeln sich in dessen Darm winzige, nur wenige Millimeter lange Bandwürmer, die täglich Tausende von Eiern produzieren. E. granulosus zirkuliert zum Beispiel in arktischen Regionen  zwischen Wölfen (Endwirt) und Hirschen oder Rentieren (Zwischenwirt) und in Gebieten mit ausgeprägter Weidehaltung zwischen Hunden/Wölfen und Schafen oder Rindern. Der Mensch kann sich versehentlich infizieren, indem er mit Bandwurmeiern verunreinigte Lebensmittel oder Wasser zu sich nimmt. Aus der Sicht des Entwicklungszyklus werden wir also zu Zwischenwirten, aus der Sicht des Parasiten sind wir jedoch nur eine Sackgasse in seiner Entwicklung. Der Bandwurm wird wohl kaum seinen Lebenszyklus abschließen, denn mit Ausnahme von Rotkäppchen wird man selten Opfer eines Wolfs oder eines Hunds. Die häufigste Infektionsquelle sind Hunde. Infrage kommen sowohl die frei laufenden Hunde, die die Umwelt mit Kot kontaminieren, welcher Parasiteneier enthält, als auch Hütehunde, die mit ihnen spielende Kinder infizieren können. In Mitteleuropa ist die zystische Echinokokkose (ZE) 8  Eine

Epizootie ist eine ansteckende Krankheit, die über einen bestimmten Zeitraum hinweg großflächig große Tiergruppen befällt. Analog dazu ist die Epidemie auf den Menschen bezogen (epi, „an“, und demos, „Menschen“). 9 Hiermit ist die Familie der Hunde als taxonomische Einheit gemeint, die zum Beispiel Wölfe, Füchse, Schakale und andere umfasst. (Anm. d. Übers.)

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sehr selten und wir begegnen ihr hauptsächlich bei Einwanderern aus Südost- und Osteuropa, Zentralasien und Nordafrika. Auch die alveoläre Echinokokkose (AE) ist in Mitteleuropa sehr selten, aber die überwiegende Mehrheit dieser Fälle sind autochthone, das heißt lokale Infektionen.

Klinische Anzeichen und Diagnostik Zysten der Echinokokken bei ZE treten am häufigsten in der Leber auf (50– 70 %), weiter in der Lunge (20–30 %), seltener in den Nieren, im Gehirn, Auge, in den Knochen und anderen Organen. Sie wachsen sehr lange und langsam (nur wenige Millimeter, maximal 1 cm pro Jahr) und können symptomfrei oft eine Größe von 10 cm oder mehr erreichen. Die Krankheit kann sich in allgemeiner Müdigkeit, Übelkeit, erhöhter Temperatur, Druckschmerzen in der rechten Bauchgegend sowie einer sich langsam entwickelnden Vergrößerung der Leber (Hepatomegalie) äußern. Die Laboruntersuchungen liegen meist im Normalbereich oder die Leberwerte können leicht erhöht sein. Im Gegensatz zu anderen Helminthiasen des Gewebes ist das Blutbild nicht eosinophil, aber der Gesamt-IgE-Spiegel kann erhöht sein. Die korrekte Diagnose wird durch Ultraschall oder Computertomografie bestätigt, da in den betroffenen Organen charakteristische Zysten mit deutlichen Wänden und Septen sichtbar sind. Eine serologische Untersuchung bestätigt die Diagnose endgültig, kann jedoch Kreuzreaktionen mit anderen durch Bandwurmlarven verursachten Infektionen, insbesondere AE und Zystizerkose (Larven des Schweinebandwurms), ergeben. Eine seltene Komplikation der ZE ist die Zystenruptur, die mit einer schweren allergischen Reaktion (anaphylaktischer Schock) und einer Ausbreitung des Parasiten auf umliegende Organe einhergehen kann. Auf Zysten in der Lunge können Husten, Atemnot und Brustschmerzen aufmerksam machen. Eine Röntgenaufnahme der Lunge zeigt dann eine ovale Zyste des Parasiten. Die Eosinophilie ist bei der pulmonalen Form der ZE häufiger. Auch der Befall der weiblichen Geschlechtsorgane kann schwerwiegend sein.

Behandlung und Vorbeugung Die wichtigste Behandlungsmethode sowohl der zystischen als auch der alveolären Echinokokkose ist die chirurgische Entfernung der Zysten, immer ergänzt durch Albendazol vor und nach der Operation. Sind die Zysten so flächig verteilt, dass sie chirurgisch nicht entfernt werden können, wird eine kontinuierliche Behandlung mit Albendazol über einen langen Zeitraum,

344     F. Stejskal ursachen im menschlichen Darm keine besonderen Schäden. Sehr gefährlich wird u es hingegen, wenn ein Mensch die Eier des Schweinebandwurms verschluckt und diese (wie beim Schwein) infektiöse Larven freisetzen, die in verschiedene Organe (einschließlich des Gehirns) wandern und sich zu einer etwa 1 cm großen Finne entwickeln. Es handelt sich dabei um schwerwiegende Infektionen, die mit dem Tod enden können. Auch deshalb ist es wichtig zu unterscheiden, mit welcher Bandwurmart man infiziert ist. Neben vielen anderen Methoden kann man sich auf morphologische Merkmale stützen, zum Beispiel ist der Schweinebandwurm am Kopf mit Haken bewehrt (b), der Rinderbandwurm nicht (c). Die Arten lassen sich auch anhand der ausgeschiedenen Segmente unterscheiden, die beim Schweinebandwurm weniger quer verlaufende Verästelungen des Uterus mit Eiern enthalten (d) als die reifen Segmente des Rinderbandwurms (e). (Quelle: Jana Bulantová)

oft über viele Jahre, durchgeführt. Albendazol wird besser nach fettreichen Mahlzeiten aufgenommen, während der Behandlung werden Leberwerte und Blutbild kontrolliert. Das verwandte Anthelminthikum Mebendazol ist aufgrund der schlechten Aufnahme aus dem Darm für die Behandlung weniger geeignet. Zu den Maßnahmen zur Verringerung des Auftretens der Krankheit gehört die regelmäßige präventive Behandlung von Hunden mit praziqu antelhaltigen Präparaten, die gegen adulte Bandwürmer wirksam sind. In endemischen Gebieten dürfen Hunde nicht mit ungekochten Schlachtabfällen gefüttert werden.

Zystizerkose Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Die Zystizerkose ist eine Krankheit, die durch die Larvenstadien (Finnen) des Schweinebandwurms (Taenia solium) verursacht wird (Abb. 12.11). Dieser Bandwurm, dessen Zwischenwirt das Schwein ist, ist global verbreitet, aber das größte Infektionsrisiko besteht in Gebieten mit niedrigem Hygienestandard und intensiver Schweinehaltung, insbesondere in Lateinamerika, China, Südostasien, Indien und einigen Ländern Afrikas südlich der Sahara. In muslimischen Ländern hingegen ist er aufgrund der religiös geprägten Ernährungsweise sehr selten. Als Endwirt dient der Mensch, in dessen Dünndarm der ausgewachsene Bandwurm lebt und Segmente mit einer immensen Anzahl an Eiern (bis zu 50.000 täglich) absondert. Adulte Bandwürmer leben bis zu zehn Jahre im menschlichen Darm. Der natürliche Zwischenwirt ist, wie bereits erwähnt, das Schwein, das sich über mit Eiern kontaminierte Nahrung infiziert. In seinem Muskelgewebe bilden sich

12  Parasiten auf Reisen – oder auch Risiken parasitärer …     345

a

b

d

c

e

Abb. 12.11  Unsere menschlichen Bandwürmer. Menschliche Bandwürmer der Gattung Taenia sind im Erwachsenenalter spezifische Parasiten des Menschen. Sie kommen ausschließlich im menschlichen Darm vor, wo sie dank der Bildung von Segmenten, die nach und nach (vom Körperanfang mit dem Kopf bis zum hinteren Ende) heranreifen und sich mit Eiern füllen, eine Länge von mehreren Metern erreichen können (a). Die ältesten und reifsten Segmente werden allmählich abschnürt und verlassen den Körper spontan oder beim Stuhlgang. Die aus den Segmenten freigesetzten Eier enthalten eine infektiöse Larve und sind somit eine Infektionsquelle für geeignete Zwischenwirte. Wie der Name schon verrät, sind es für den Rinderbandwurm (T. saginata) Rinder und für den Schweinebandwurm (T. solium) Schweine. Im infizierten Zwischenwirt entwickelt sich das Larvenstadium des Bandwurms (Finne, Zystizerkus u. Ä.), das beim Verzehr von rohem Fleisch wiederum die Infektionsquelle für den Menschen darstellt. Ausgewachsene Bandwürmer ver-

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die Finnen (Larvenstadien der Bandwürmer, auch Zystizerken genannt). Der Verzehr von rohem Schweinefleisch führt zu einer Darminfektion des Menschen mit adulten Bandwürmern. Eine Infektion mit adulten Bandwürmern kann zwar ebenfalls Krankheitssymptome hervorrufen, aber viel gefährlicher ist die Ansteckung mit Larvenstadien. Eine Zystizerkose kann sich bei Personen entwickeln, die sich alimentär (über die Nahrung) mit Eiern infizieren, die im Kot einer mit einem adulten Schweinebandwurm infizierten Person ausgeschieden werden. Für Personen, die selbst mit einem adulten Bandwurm infiziert sind, gilt auch die interne Autoinfektion mit Eiern als gefährlich. Das mit Eiern gefüllte Segment des Bandwurms wird nicht mit dem Stuhl ausgeschieden, sondern kann durch die Bewegung des Bandwurms oder die Peristaltik des Darms in den Zwölffingerdarm und den Magen gelangen. Es besteht also die Möglichkeit, dass in einer solchen Umgebung die Eier freigesetzt und aktiviert werden und die geschlüpften Larven dann durch den Körper wandern und eine Zystizerkose verursachen. Anders als bei der Echinokokkose, die hauptsächlich die Leber befällt, wandern die Larven von T. solium in bis zu 70 % der Fälle in das Gehirn und das Rückenmark, seltener in die Muskeln, das Unterhautgewebe, Auge und andere Organe. Hier entwickelt sich innerhalb von zwei bis drei Monaten eine Finne von 5–25 mm (gelegentlich bis zu 60 mm) Größe. Manchmal kann der Parasit infolge eines gefährlich starken Wachstums, insbesondere im Gehirn, eine lappige oder verzweigte Form annehmen.

Klinische Anzeichen Klinische Anzeichen der Zystizerkose treten zwei bis zehn Jahre nach der Infektion mit Eiern auf. Die Symptome hängen von der Lage und Anzahl der Zysten sowie dem Stadium ihrer Entwicklung ab. Sie sind am häufigsten im Unterhautgewebe, in der Skelettmuskulatur, im Gehirn und Auge zu finden. Die muskuläre und subkutane Zystizerkose verursacht in der Regel keine Probleme und stellt nur ein kosmetisches Problem dar. Eine große Anzahl von Muskelzysten kann Muskelschmerzen, erhöhte Temperatur und eine ausgeprägte Eosinophilie verursachen. Der Befall des Herzmuskels, der zu Herzrhythmusstörungen führen kann, ist selten. Schwerwiegend ist die Zystizerkose des zentralen Nervensystems, die Krankheit wird dann Neurozystizerkose genannt. In endemischen Gebieten ist die Neurozystizerkose die häufigste Ursache für epileptische Anfälle. Entwickelt sich die Finne im Auge, äußert sie sich durch Schmerzen, verschwommenes Sehen und Störungen des Sichtfelds.

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Bei der Zystizerkose weisen etwa 25 % der Patienten Eosinophilie im Blutbild und einen erhöhten IgE-Antikörper-Spiegel im Serum auf.

Diagnostik Klinische Anzeichen der Neurozystizerkose sind nicht eindeutig, sodass die Diagnose ohne bildgebende und serologische Verfahren sehr schwierig ist. Serologische Kreuzreaktionen mit der Echinokokkose sind häufig. Wenn nur eine kleine Anzahl von Finnen das Gehirn oder Auge befällt, bleibt die Antikörperreaktion aus und die Serologie kann (falsch)negativ ausfallen. Die Diagnose einer Neurozystizerkose basiert dann auf charakteristischen Befunden in der Bildgebung des Gehirns mittels Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT). Diese können verkalkte Ablagerungen oder kleine, runde Läsionen von bis zu 2 cm Größe zeigen. In etwa der Hälfte der Zysten kann eine kleines, wenige Millimeter großes Gebilde sichtbar sein, der Kopf (Protoscolex) eines zukünftigen Bandwurms.

Behandlung Befällt die Zystizerkose nicht das ZNS oder Auge, muss sie in der Regel nicht behandelt werden. Patienten mit Neurozystizerkose werden auf spezialisierten Stationen unter Mitwirkung von Infektiologen, Neurochirurgen, Neurologen und Radiologen überwacht und behandelt. Als wichtigste Behandlungsmethode gilt die chirurgische Entfernung der Zysten, sofern ein chirurgischer Eingriff möglich ist. Antiparasitika wie Albendazol oder Praziquantel müssen immer gleichzeitig verabreicht werden, ergänzt durch Kortikosteroide und Mannitolinfusionen zur Vermeidung von Hirnödemen. Bei Hirnzysten, die sich in Form von Krampfanfällen äußern, wird eine antiepileptische Behandlung durchgeführt.

Vorbeugung Zur Vorbeugung der Zystizerkose, insbesondere in endemischen Gebieten, ist es wichtig, Hygienegrundsätze zu beachten und den Verzehr von kontaminiertem Wasser und Lebensmitteln zu vermeiden, insbesondere von Gemüse, das mit menschlichen Fäkalien gedüngt sein könnte. Wichtig ist die frühzeitige Behandlung von Personen, die Bandwurmsegmente ausscheiden, da auch frisch ausgeschiedene Eier infektiös sind. Gründliches

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Händewaschen nach dem Stuhlgang und vor dem Essen verringert das Risiko einer Infektion. Bei Familienmitgliedern oder Mitbewohnern des Patienten werden eine parasitologische Untersuchung des Stuhls und eine serologische Untersuchung auf Zystizerkose durchgeführt. Weitere durch Larvenstadien von Bandwürmern verursachte Infektionen des Menschen, zum Beispiel die Coenurose, ausgelöst von Larvenstadien des Quesenbandwurms (Taenia multiceps), oder die Sparganose, ausgelöst von plerozerkoiden Larven von Arten der Gattung Spirometra, sind bei Reisenden sehr selten.

Eingeschleppte Darminfektionen, verursacht durch Protozoen und Helminthen Zu den häufigsten importierten Darminfektionen mit Protozoen gehören Giardiasis, seltener Isosporiasis und Cyclosporiasis. Zu den häufigsten importierten intestinalen Helminthiasen gehören Ascariasis, Ankylostomatose und Trichuriasis. Strongyloidiasis und intestinale Saugwürmer werden nur selten eingeschleppt.

Giardiasis (Lambliasis) Verbreitung, Erreger, Lebenszyklus und Pathogenese Giardiasis (auch als Lambliasis bezeichnet) ist eine Darminfektion, die durch das einzellige Geißeltierchen Giardia intestinalis verursacht wird, für das auch die Synonyme G. lamblia oder G. duodenalis verwendet werden; in den USA und Kanada wird der Name Lamblia intestinalis benutzt. Die Krankheit gehört zu den am weitesten verbreiteten parasitären Darminfektionen, sowohl den autochthonen als auch den importierten, wobei diese die einheimischen übersteigen. Lamblien besiedeln das Duodenum (Zwölffingerdarm) und das Jejunum (vorderer Teil des Dünndarms), wo sie sich an Darmzellen festsetzen und eine Entzündung der Darmschleimhaut verursachen. Das stört die Struktur der Mikrovilli (winzige Ausstülpungen der Darmzellen) und beeinträchtigt so die Aufnahme bestimmter Nährstoffe, was zu wässrigem Durchfall führt. Die infizierte Person sondert Zysten des Parasiten ab, die gegenüber der äußeren Umgebung sehr widerstandsfähig und sofort nach dem Verlassen des Wirts infektiös sind. Nicht einmal gewöhnliche

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Chlorung oder Einfrieren des Wassers tötet die Zysten ab. Die Infektionsquelle stellt in der Regel der infizierte Mensch dar, aber oft handelt es sich auch um zoonotische Infektionen, da Lamblien in einer Vielzahl von Tieren, einschließlich Haustieren, vorkommen. Die Übertragung erfolgt meist über kontaminiertes Wasser und Lebensmittel, in Gruppen kann jedoch auch eine infizierte Person die direkte Infektionsquelle sein, da die Infektionsdosis sehr gering ist (10–100 Zysten). Die Giardiasis kommt weltweit vor, ist aber in den Tropen und in Gebieten mit niedrigem Hygienestandard wesentlich häufiger, dort können bis zu 30 % der Bevölkerung infiziert sein.

Klinische Anzeichen Die Inkubationszeit einer akuten Infektion beträgt in der Regel 5–20 Tage, aber auch asymptomatische Träger sind häufig. Der Durchfall ist wässrig, gelb, mit einer Beimischung von Fett (Steatorrhö), aber ohne Blut und Schleim, oft mit starkem Geruch. Fieber oder erhöhte Temperatur sind ungewöhnlich. Die Infektion äußert sich oft nur in Form von Übelkeit, Blähungen, Sodbrennen und Aufstoßen, ohne dass es zu nennenswertem Durchfall oder Unterleibsschmerzen kommt. Nach durchgemachter Infektion entwickelt sich keine Immunität, aber mit steigendem Alter nimmt die Widerstandsfähigkeit gegen die Infektionen zu, sodass symptomatische Infektionen bei Kindern häufiger vorkommen.

Diagnostik Die Diagnostik basiert auf dem Nachweis von Zysten oder sogar beweglichen Zellen des Parasiten, den Trophozoiten (diese sind vor allem in wässrigem Durchfall zu finden), bei der parasitologischen Untersuchung des Stuhls. Es sollten mindestens drei Stuhlproben im Abstand von mindestens zwei Tagen untersucht werden. Bilden sich nur wenige Zysten, können Trophozoiten im Duodenalsaft nach einer Probenahme per nasoduodenaler Sonde oder einem Gastroskop nachgewiesen werden. Dieses Material sollte innerhalb von zwei Stunden nach der Entnahme untersucht werden. Tests zum Nachweis parasitärer Antigene im Stuhl sind wesentlich teurer und weniger zuverlässig. Serologische Methoden werden zur Diagnose von Giardiasis oder anderen parasitären Darminfektionen nicht eingesetzt. Zur Diagnostik importierter intestinaler Protozoeninfektionen werden zunehmend molekulare Methoden auf der Grundlage der MultiplexPCR eingesetzt, die gleichzeitig mehrere Darmpathogene wie Entamoeba

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histolytica, Giardia intestinalis, Cryptosporidium spp. und Blastocystis hominis nachweisen kann.

Behandlung Das Mittel der Wahl sind Präparate auf Basis von 5-Nitroimidazol, insbesondere Metronidazol. Es besteht eine geringere Empfindlichkeit bis Resistenz von Lamblien gegenüber Metronidazol, insbesondere bei aus Indien importierten Infektionen. Versagt die Behandlung, werden 5-Nitroimidazole (Tinidazol, Ornidazol) mit Albendazol kombiniert. In der Schwangerschaft kann Paromomycin verwendet werden. Zur Kontrolle wird vier bis sechs Wochen nach Ende der Behandlung eine Stuhluntersuchung durchgeführt.

Vorbeugung Zur Vorbeugung von Infektionen mit Lamblien und anderen Darmprotozoen ist der Verzehr von sicherem Wasser und Nahrungsmitteln am wichtigsten. Infizierte Personen sollten die Grundsätze der persönlichen Hygiene einhalten. Bei Familienmitgliedern und Personen, die in engem Kontakt mit den Patienten stehen, sollte eine präventive parasitologische Untersuchung des Stuhls durchgeführt werden.

Durch parasitäre Würmer verursachte Darminfektionen Unter den durch parasitäre Würmer verursachten Darminfektionen ist bei Europäern häufig der Madenwurm (Enterobius vermicularis) anzutreffen (s. vorherige Kapitel). Der Erreger der viel selteneren Ascariasis ist der Spulwurm (Ascaris lumbricoides), der den Dünndarm besiedelt (Abb. 12.12). Ein adultes Weibchen produziert etwa 200.000 Eier pro Tag und die mit dem Kot ausgeschiedenen Eier reifen außerhalb des menschlichen Körpers (z. B. im Boden) etwa zwei bis vier Wochen heran. Danach sind sie vollständig infektiös und können weitere Menschen infizieren. Nach dem Verzehr kontaminierter Lebensmitteln oder Wassers schlüpfen aus den Eiern im Dünndarm des Menschen winzige Larven, die mit dem Blut- oder Lymphkreislauf über die Leber in die Lunge wandern und nach aktiver

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Abb. 12.12  Der Spulwurm auf Reisen. Der Spulwurm (Ascaris lumbricoides) (a) ist der größte menschliche Darmnematode und kann bis zu 25 cm lang werden. Schätzungen zufolge sind mehr als eine Milliarde Menschen infiziert, was den Spulwurm zu einem der häufigsten menschlichen Parasiten macht. Sein Lebenszyklus ist direkt, sodass die Ansteckung des Menschen sehr simpel ist: Die weiblichen Spulwürmer legen im menschlichen Darm Eier (b), die mit dem Stuhl in die Umwelt gelangen. Hier müssen sie mehrere Wochen lang reifen, bis sie infektiöse Larven enthalten. Erst dann kann ein neuer Wirt infiziert werden, in der Regel durch den Verzehr eines Eies, das an der Nahrung haftet oder auf andere Weise über den Mund in unser Verdauungssystem gelangt. Im menschlichen Körper beginnt dann eine seltsame Odyssee: Im Darm werden die infektiösen Larven aus den Eiern freigesetzt und obwohl dies der Zielort ihrer Parasitierung ist, treten sie eine komplizierte Reise durch den menschlichen Körper an. Über die Leber gelangen sie schließlich in die Lunge und wandern anschließende durch die Luftröhre in die oberen Atemwege, in den Mund und wieder in den Verdauungstrakt. Erst dann ist der Spulwurm zufrieden und bereit, sich endgültig im menschlichen Darm niederzulassen und zu reifen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Spulwurmeier in der äußeren Umgebung viele Monate bis Jahre infektiös bleiben. (Quelle: Jana Bulantová)

Migration die Mundhöhle erreichen, wo sie verschluckt werden und sich anschließend im Dünndarm in ausgewachsene geschlechtsgetrennte Würmer verwandeln. Die Krankheit tritt weltweit auf, ist jedoch in Gebieten mit geringer Hygiene und hoher Bevölkerungsdichte wesentlich häufiger, dort beträgt die Prävalenz in der menschlichen Bevölkerung teilweise bis zu 40 %. Schätzungen nach sind weltweit mehr als eine Milliarde Menschen infiziert, was Spulwürmer zu einem der häufigsten und am weitesten verbreiteten humanen Parasiten macht. Die klinischen Symptome hängen von der Anzahl der im Darm vorhandenen Spulwürmer ab, ein Befall mit wenigen Würmern ist in der Regel asymptomatisch. Während der Larvenmigration durch die Lunge kann es zu erhöhter Temperatur, trockenem Husten mit leicht blutigem Auswurf, Infiltraten im Röntgenbild der Lunge und Eosinophilie im Blutbild kommen (Löffler-Syndrom). Diese Beschwerden dauern ein bis zwei Wochen an. Das Vorhandensein vieler Spulwürmer im Darm ver-

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ursacht dann dumpfe Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Blähungen und manchmal Erbrechen und Durchfall. Es kann zur Migration der Spulwürmer in die Gallengänge, zu Erbrechen oder deren spontaner Ausscheidung nach schlecht verträglicher Kost kommen. In Entwicklungsländern sterben jährlich mindestens 20.000 Menschen an den chirurgischen Komplikationen der Ascariasis. Ankylostomiasis und Nekatorose werden von zwei eng verwandten menschlichen Hakenwürmern (Fadenwürmern) verursacht, Ancylostoma duodenale und Necator americanus (Abb. 12.13). Es ist eine der häufigsten Helminthiasen, von der schätzungsweise 800 Mio. Menschen betroffen sind. Die Krankheit tritt vor allem in den Tropen und Subtropen auf, wobei unbedingt feuchtes Klima herrschen muss. In der Vergangenheit kam diese Krankheit auch in der gemäßigten Zone vor, einschließlich Mitteleuropas, an feuchtwarmen Orten wie Bergwerken, Tunneln, Ziegeleien oder a

b

Abb. 12.13  Aus dem Leben des Hakenwurms. Hakenwürmer sind eine bedeutsame Gruppe pathogener Fadenwürmer für Mensch und Tier. Von den menschlichen Arten sind Ancylostoma duodenale und Necator americanus die bekanntesten. Im Erwachsenenalter sind Hakenwürmer Darmparasiten, die Blut aus der beschädigten Darmschleimhaut saugen. Das Vorderteil ihres Körpers ist für diesen Zweck gut angepasst. Ihr Verdauungssystem beginnt mit einer auffälligen kapselförmigen Mundhöhle (a), ausgestattet mit verschiedenartigen, gezähnten Gebilden. Hakenwürmer haben einen direkten Lebenszyklus, das heißt, infektiöse Larven, die sich in der Umwelt befinden, dringen aktiv in den Wirt ein, beim Menschen meist über die Haut nackter Füße. Nach einer komplizierten Wanderung durch den Wirtskörper gelangen die Würmer in den Darm, wo sie heranreifen. Dringt in menschliche Füße versehentlich eine tierische Hakenwurmlarve ein, beginnt die sogenannte Larva migrans verwirrt herumzuwandern (meist in der Haut und im Unterhautgewebe) und bildet Gänge, die aufgrund der anschließenden Immunreaktion des Wirts gerötet und leicht erkennbar sind (b). (Quelle: a, Jana Bulantová; b, Andrej Funk)

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Gewächshäusern. Die Erkrankung wurde daher auch als Grubenkrankheit bezeichnet. Die Infektionsquelle sind Menschen, die Eier ausscheiden, aus denen bewegliche Larven schlüpfen. Diese infizieren dann aktiv weitere Menschen, indem sie hauptsächlich in die Haut der Füße eindringen, und eben in diesem Lebensstadium erfordert der Parasiten eine feuchtwarme Umgebung. Sehr viel seltener kann man sich auf oralem Weg durch mit Larven verunreinigtem Wasser oder Lebensmittel infizieren. Die klinischen Erscheinungen hängen von der Anzahl der Würmer und dem Stadium der Infektion ab. An der Stelle der Larvenpenetration kann ein juckender Ausschlag auftreten, der ein bis zwei Wochen anhält. Infiziert man sich mit tierpathogenen Hakenwürmern (vor allem solchen, die Katzen und Hunde befallen), können die Larven in ihrer Entwicklung nicht fortfahren und bilden in der Haut Gänge, die bis zu drei Monate lang bestehen bleiben. Während der Migration humanpathogener Hakenwurmlarven durch die Lunge können, ähnlich wie bei einer Spulwurminfektion, trockener Husten, Brustschmerzen, erhöhte Temperatur, Infiltrate im Röntgenbild und Eosinophilie im Blutbild auftreten. Das Vorhandensein der Würmer im Duodenum (Zwölffingerdarm) und Jejunum (Leerdarm) kann völlig symptomfrei sein oder von Appetitlosigkeit, Blähungen und Schmerzen im Epigastrium begleitet werden, die einem Zwölffingerdarmgeschwür ähneln. Bei unbehandelten schweren Infektionen mit einer großen Anzahl ausgewachsener Würmer im Darm des Patienten entwickelt sich eine mikrozytäre hypochrome Eisenmangelanämie. Trichuriasis (Trichocephalose) wird durch den Peitschenwurm (Trichuris trichiura, Synonym Trichocephalus trichiuris ) verursacht. Die beiden lateinischen Namen deuten darauf hin, dass der Wurm aus zwei Teilen besteht, einem dünnen und einem dicken. Allerdings blieb lange Zeit unklar, welcher Teil der Kopf und welcher der Schwanz ist, worauf auch die beiden Namen zurückgehen – Trichuris bezieht sich auf den haarförmigen (oder fadenförmigen) Schwanz, während sich Trichocephalus auf den haarförmigen (fadenförmigen) Kopf bezieht. Obwohl der dünne Teil, der in den Zellen der Darmschleimhaut des Wirts verborgen liegt, letztlich der vordere ist, bleibt der gültige wissenschaftliche Name „logischerweise“ das falsche Trichuris, da in der wissenschaftlichen Nomenklatur die ältere (d. h. frühere) Bezeichnung Vorrang hat, unabhängig davon, ob sie wahrheitsgemäß oder grammatikalisch korrekt ist. Dieser menschliche Parasit befindet sich also in unserem Dickdarm und entwickelt sich direkt, also ohne Zwischenwirte (im Gegensatz zu Saug- oder Bandwürmern) und auch ohne Migration, durch das Wirtsgewebe (im Gegensatz zu Spul- oder Hakenwürmern). Auch im Falle des Peitschenwurms handelt es sich um eine der häufigsten Helminthiasen und

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Schätzungen nach sind weltweit 700–900 Mio. Menschen infiziert. Die Infektion äußert sich durch Bauchschmerzen, blutig-schleimigen Durchfall und schmerzhaften Stuhldrang und wird daher auch als TrichurisDysenterie-Syndrom bezeichnet. Eine Infektion mit Spul-, Haken- und Peitschenwürmern lässt sich am einfachsten durch den Nachweis von Eiern bei einer parasitologischen Untersuchung des Stuhls nachweisen. Die Mittel der Wahl sind Benzimidazolpräparate, insbesondere Mebendazol und Albendazol. Vier Wochen nach der Behandlung wird eine parasitologische Nachuntersuchung des Stuhls durchgeführt. Die Vorbeugung gegen alle drei Infektionen beruht in erster Linie auf dem Schutz der äußeren Umgebung, des Bodens und der Wasserquellen vor einer Kontamination mit Eiern, es wird also beispielsweise nicht empfohlen, frische menschliche Fäkalien zur Düngung zu verwenden. In tropischen Gebieten sollte die persönliche Hygiene strikt eingehalten und ungewaschenes rohes Gemüse und Obst nicht verzehrt werden. Das Tragen von geeignetem, wasserdichtem Schuhwerk in gefährdeten Gebieten (Meeresstrände, See- und Flussufer, aber auch Bergwerke, Tunnel, warme Gewächshäuser usw.) gilt als guter Schutz vor einer Infektion mit humanen und tierischen Hakenwürmern (und auch Zwergfadenwürmern). Erreger der Strongyloidiasis ist der Zwergfadenwurm (Strongyloides stercoralis), ein Nematode, der das menschliche Duodenum und Jejunum besiedelt. Das Weibchen legt im Darm Eier ab, aus denen noch im Wirtskörper Larven schlüpfen, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden. In den feuchtwarmen Böden der Tropen und Subtropen kann sich die Art weiter vermehren und eine nichtparasitäre Generation hervorbringen. Dies ist eine unter den menschlichen Parasiten einzigartige Lebensstrategie und deutet darauf hin, wie sich nicht parasitäre Organismen im Laufe der Zeit über fakultativen (gelegentlichen) Parasitismus zu obligaten Parasiten (d. h. solchen, die keine Wahl mehr haben) entwickelt haben könnten. Die invasiven Larven können sogar durch intakte Haut eindringen oder man infiziert sich beim Trinken von verunreinigtem Wasser, wonach sich die Larven durch die Mundschleimhaut bohren. Weltweit sind schätzungsweise 100 Mio. Menschen infiziert. Bei gesunden, immunkompetenten Personen verläuft die Infektion in der Regel asymptomatisch. Bei Immunschwächen, insbesondere wenn Kortikosteroide und Zytostatika verabreicht werden, können die Larven der neuen Generation aus dem Darm in innere Organe eindringen. Es folgt eine disseminierte Strongyloidiasis mit Befall des Darms, der Leber, der Lunge und des Gehirns. Es kommt zu chronischem Durchfall, subkutanen Abszessen oder wiederkehrenden Lungenent-

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Abb. 12.14  Fliegenlarven in unserer Haut. Etwas Schrecklicheres als zappelnde Fliegenlarven in unserer Haut ist nur schwer vorstellbar. Sogar im ältesten erhaltenen Schriftwerk, dem Gilgamesch-Epos, findet sich ein Hinweis auf diesen Schrecken: „… Bis dass der Wurm sein Gesicht befiel.“10 Fliegenlarven entwickeln sich in der Regel in totem, organischem Material, doch es gibt auch Arten, die sich auf die Entwicklung in lebendem Gewebe spezialisiert haben. Diese bezeichnen wir als Myiasisfliegen. Die gefährlichsten unter ihnen leben vor allem im tropischen Afrika und Amerika. In Lateinamerika ist die Amerikanische Dasselfliege (Dermatobia hominis) beheimatet. Sie befällt ein breites Spektrum von Säugetierwirten. Beim Menschen und anderen Wirten entwickeln sich die Larven über einen sehr langen Zeitraum, in Extremfällen bis zu mehrere Monate, im Unterhautgewebe. Die Oberfläche der Larven ist auffällig bedornt (a, b), was ihre Entfernung aus dem subkutanen Furunkel erschwert. In einigen südamerikanischen Gebieten, wo dieser Parasit vorkommt, wird daher empfohlen, die Made vor der Entfernung zu ersticken, indem die Atemöffnung des Furunkels in der Haut verschlossen wird. Das verlängerte Ende der Made mündet in einer Atemöffnung (a), während auf der gegenüberliegenden Kopfseite sklerotisierte Mundhaken (b) sitzen, die dem Abschaben der Nahrung dienen. (Quelle: A, Helena Kulíková; B, Jana Bulantová)

zündungen. Im Blutbild ist die Eosinophilie tendenziell erhöht und im Blut können spezifische Antikörper nachgewiesen werden. Die Diagnostik basiert jedoch hauptsächlich auf dem Nachweis von Larven in frischem Stuhl und ist nicht einfach, da sie einen erfahrenen Parasitologen und die Anwendung verschiedener Konzentrationsmethoden erfordert. Zur Behandlung der Strongyloidiasis werden Thiabendazol, Ivermectin oder Albendazol eingesetzt; ohne Behandlung kann die Infektion tödlich verlaufen. Die Liste exotischer Parasiten und der von ihnen verursachten Krankheiten ist in der Tat sehr umfangreich und dabei bei Weitem nicht allumfassend. Wir haben zum Beispiel eine Reihe von Saugwürmern, Bandwürmern und sogar Fadenwürmern weggelassen, denen wir auf unseren Aus-

10 Quelle:

Schott, Albert 1970. Das Gilgamesch-Epos. Stuttgart: Reclam.

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landsreisen begegnen können. Gleichermaßen haben wir uns auch gar nicht mit Krankheiten befasst, die durch Arthropoden verursacht werden, wie verschiedene Myiasen (Abb. 12.14) oder die durch den Sandfloh verursachte Tungiasis. Dennoch darf man nicht vergessen, dass Vorsicht zwar besser ist als Nachsicht, die Wahrscheinlichkeit, sich mit einem der genannten Parasiten anzustecken, aber nicht annähernd so hoch ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn grundlegende Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden, bringen Sie von Ihren Reisen ausschließlich unvergessliche Erlebnisse und einen Berg Fotos mit.

Schlusswort

Die Autoren dieses Buchs setzten sich zum Ziel, verschiedene Parasiten und die parasitäre Lebensweise in populärer und leserfreundlicher Form vorzustellen, und zwar aus verschiedenen Blickwinkeln – von human- und veterinärmedizinischen über biologische und phänomenologische bis hin zu historischen und künstlerischen. Wir bemühten uns, Parasiten so komplex wie möglich darzustellen, einschließlich ihrer Evolution, und sogar zu zeigen, dass Schmarotzer nicht unbedingt nur „böse“ sein müssen. Die Popularisierung bringt jedoch immer ein gewisses Maß an Vereinfachung mit sich, sodass wir das Lesepublikum bei tieferem Interesse auf detailreichere und zugleich fachlichere Literatur verweisen. Bei der Suche nach weiteren Informationen möchten wir Sie jedoch auf die Gefahren hinweisen, die das Suchen nach Informationsquellen im Internet mit sich bringt. Das Internet, oder besser gesagt die elektronische Welt der Webseiten (www), enthält wahrlich eine Fülle von Informationen. Die überwiegende Mehrheit dieser Informationen, und in einigen Fällen leider auch Desinformationen, unterliegt jedoch keiner Kontrolle hinsichtlich der Echtheit und Richtigkeit der dargestellten Fakten. Die Welt des Internets genießt zwar vollkommene Freiheit, trägt aber gleichzeitig keine Verantwortung für die bereitgestellten Informationen und die Glaubwürdigkeit der dort erhaltenen Informationen unterscheidet sich stark. Selbst die relativ vertrauenswürdige Onlineenzyklopädie Wikipedia ist nicht vor einer Reihe von Fehlern und Fehlinterpretationen gefeit. Darüber hinaus ermöglichen die heutigen Fortschritte in der Technik und die Freiheit der Meinungsäußerung, verschiedene (Des-)Informationen auch in gedruckter Form frei zu verbreiten. Damit wird die Verantwortung für die Bewertung © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Votýpka et al. (Hrsg.), Von Parasiten und Menschen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65696-9

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der Relevanz der dargebotenen Informationen auf den Verbraucher verlagert, also auf die Leser der Bücher, Zeitschriften, Zeitungsartikel, Webseiten usw. Die menschliche Gesundheit ist auf persönlicher Ebene ein äußerst heikles Thema und dies gilt umso mehr für parasitär verursachte Infektionen. Der Verdacht auf Parasiten in unserem Körper ist nicht leicht zu äußern und der Wunsch nach mehr Wissen führt oft dazu, dass unsere Annahmen mit Informationen aus verschiedenen Internetforen konfrontiert werden; viele von ihnen vermitteln dabei den Eindruck, wir alle seien von Parasiten befallen, die Ursache eines immensen Spektrums an Krankheiten sind. Dieses Buch bemüht sich um einen möglichst umfassenden, objektiven und ausgewogenen Überblick über Parasiten und die menschliche Gesundheit. Keiner der Autoren ist von Hintergedanken motiviert, wir werden nicht von Pharmaunternehmen finanziert und unterstützen ausdrücklich jede uneigennützige Hilfe und die Verbreitung neuer Erkenntnisse, wenn sie denn zur Zustandsverbesserung potenzieller Patienten führen. Deshalb wiederholen wir im Geiste des universitären Eides, den wir einst abgelegt haben: „… non sordidi lucri causa nec ad vanam captandam gloriam, sed ut veritas propagetur et lux eius, qua salus generis humani continetur, clarius effulgeat.“1 

1„… nicht um schmutzigen Gewinns Willen, noch um eitlen Ruhm zu erlangen, sondern damit die Wahrheit verbreitet werde und ihr Licht, das die Errettung des Menschengeschlechts enthält, heller scheint.“ Gelöbnis der Studierenden bei ihrer Promotion zum Master an der Karls-Universität in Prag. (Anm. d. Übers.).