Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache [1 ed.] 9783737003285, 9783847103288, 9783847003281

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Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache [1 ed.]
 9783737003285, 9783847103288, 9783847003281

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Gotthold Ephraim Lessing

Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache Herausgegeben von Mark-Georg Dehrmann und Jutta Weber

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0328-8 ISBN 978-3-8470-0328-1 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0328-5 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de T 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, D-96158 Birkach Titelbild: Staatsbibliothek zu Berlin, Nachl. Friedrich August Wolf, Anhang acc. 3038, Bl. 1r Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Edition Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. »Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache« Faksimile und Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang 2. Lessings Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Antike Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Moderne Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Wilhelm Körtes Abschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hinzufügungen in Körtes Manuskript . . . . . . . . . . . . . . . . B. Körtes Auslassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Lessing und die Wahrheit der Wörter. Beschreibung der Handschrift – Lessings Arbeitsweise – Deutungsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung: Lessing, der Gelehrte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Provenienz des Manuskriptes und Beschreibung . . . . . . . . . . II. Lessings Mikrologie: Chronologie und Arbeitsweise . . . . . . . . III. Lessing im Kontext der zeitgenössischen Philologie und Etymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 213 217 225 236 267

Vorbemerkungen

Die einschlägigen Lessing-Editionen berichten von einem Manuskript über die ›Ähnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache‹, das Lessing am 1. Dezember 1759 angefangen haben soll. Mit großen Teilen des Nachlasses schien es seit 1795 verloren zu sein. In der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ist dieses Manuskript nun zum Vorschein gekommen. Der Text wird hier erstmals ediert und erschlossen. Das Manuskript der »Aehnlichkeit« ist weder eine Abhandlung noch ein Entwurf zu einem unvollendeten Werk. Vielmehr handelt es sich um ein Notizbuch, in das Lessing etymologische Beziehungen zwischen griechischen und deutschen Wörtern sowie Exzerpte und bio-bibliographische Angaben zum Thema eintrug. Das Büchlein ist ein gelehrtes Arbeitsinstrument. Als solches aber gewann es seine Funktionen in der Ideenwerkstatt Lessings. Die Notate waren nicht für eine Öffentlichkeit gedacht. Daher scheinen sie zunächst einen spröden Charakter zu besitzen. Lässt man sich aber auf Lessings Sammlungen ein, so werden sie in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Von ihnen aus ergeben sich vielfältige Verbindungen zu den Werken; und das Notizbuch gestattet Einblicke in die Arbeitsweise des Gelehrten Lessing. Die Edition umfasst vier Teile: 1. Die Faksimiles der Notizbuchseiten mit gegenübergestellter Transkription. 2. Ein bibliographisches Verzeichnis der von Lessing bei seiner Arbeit benutzten Quellen. 3. Die Darstellung der relevanten Varianten, die eine Abschrift des Manuskriptes durch Wilhelm Körte von ca. 1840 aufweist. 4. Ein Nachwort, das a) Materialität und Provenienz des Manuskriptes beschreibt; b) an editorischen Befunden die Einträge zu datieren versucht und Lessings Arbeitsweise skizziert; c) Lessings etymologische Interessen in den Kontext der zeitgenössischen Gelehrsamkeit und seines Werkes stellt.

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Vorbemerkungen

Die folgenden Hinweise sollen die Benutzung der Edition erleichtern und es ermöglichen, das editorische Vorgehen nachzuvollziehen. 1. Faksimile und Transkription: Die eigentliche Edition bietet Faksimiles der Notizbuchseiten mit gegenübergestellter Transkription. Faksimiliert werden dabei nur die beschrifteten Seiten des Notizbuches. Hinweise auf ausgelassene Seiten gibt die Transkription in eckigen Klammern; wenn auf Vacat-Seiten Buchstaben des Alphabets notiert sind, wird dies ebenfalls vermerkt (beispielsweise: »[Bl. 21v bis 22 frei, Bl. 22r »A«]« lies: Blatt 21v und das vollständige Blatt 22 sind leer, mit Ausnahme des Buchstabens »A« auf Blatt 22r). Die Position der Manuskriptseite im Original (recto oder verso) wird in der Edition beibehalten. Die Transkription vermerkt die Foliierung des Manuskriptes zwischen zwei Schrägstrichen (etwa: »/18r/«). Alle Hinweise auf und Nachweise aus Lessings Text in anderen Teilen des vorliegenden Bandes (etwa im Nachwort) beziehen sich gleichfalls auf die Foliierung des Originals. Die Transkriptionen sind buchstäblich, aber nicht diplomatisch genau. Lessings Akzentsetzung beim Griechischen und Französischen wird entsprechend dem Original wiedergegeben. In beiden Sprachen lässt er oft die Akzente und Spiritus weg oder setzt sie auf – von heute aus gesehen – unkonventionelle Weise. Zeitgenössisch ist dies nicht unüblich, gleichzeitig unterstreicht es aber auch den Arbeitscharakter der Aufzeichnungen. Im Falle des Akut oder Gravis im Griechischen scheint Lessing nicht immer zu berücksichtigen, ob ein Wort alleine oder in einem Satzzusammenhang steht. Streichungen und Korrekturen Lessings kommen in wenigen Fällen vor. Sie werden in der Transkription nicht dokumentiert, ebensowenig die Zeilenumbrüche des Manuskriptes (die öfter ein Komma ersetzen). In einigen Fällen fügt Lessing seinen Notaten am Rand oder über der Zeile noch etwas hinzu. Die Transkription weist auf diese Ergänzungen hin, indem sie den ergänzten Text in eckigen Klammern transkribiert und in Versalien seine Position beschreibt (etwa: »[MARGINALIE: xlibr. 1]«, wobei »xlibr. 1« Lessings Einschub ist), ohne jedoch diese Position auch im Satz nachzustellen. Lessing schreibt deutsche Wörter in deutscher Kurrentschrift. Lateinische Buchstaben werden dort, wo sie eindeutig als solche identifizierbar sind, in kursiver Type wiedergegeben. Oft sind in Lessings Schrift Groß- oder Kleinschreibung am Wortanfang nicht unterscheidbar ; hier wurde jeweils die Variante gewählt, die vom Schriftduktus und der relativen Buchstabengröße her als ¨ und y¨ in Lessings deutscher Schrift wurden zu Y und y plausibelste erschien. Y - und n- mit Geminationsstrich zu mm bzw. nn aufgelöst, ebenso vereinfacht, m fi unterscheidet die Transkription nicht zwischen Lang-s ( ) und End-s. Anführungszeichen wurden normalisiert zu: » und «. In Lessings griechischen Notaten wurden die Ligaturen aufgelöst: so wird die Omikron-Ypsilon-Ligatur (¯) als ou

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dargestellt, die Sigma-Tau-Ligatur (Stigma: ¬) als st. In die Transkription übernommen wurde es dagegen, wenn Lessing am Wortende das normale Sigma (s) statt des Schlusssigma (r) benutzt. In dem Manuskript finden sich neben Lessings Notizen noch Eintragungen von drei anderen Händen. Das Nachwort geht detailliert darauf ein (vgl. S. 222–225). In der Transkription werden diese drei Schriften kenntlich gemacht. Zwei Apparate sollen den Lesern den Einstieg in Lessings Arbeit erleichtern. Sie folgen jeweils eingerückt und in kleinerer Schrift auf die Transkriptionen der einzelnen Notate. Der erste Apparat bietet einen knappen Quellenkommentar ; der zweite liefert Übersetzungen der fremdsprachigen (griechischen, lateinischen, französischen) Wörter und Zitate. Auf eine sachliche Kommentierung wurde verzichtet. Die Apparate sind folgendermaßen aufgebaut: Der Quellenkommentar (markiert durch jQj) dokumentiert vor allem Lessings Arbeit mit den Quellen. Wo möglich, verweist er auf Stellen, die Lessing nachgeschlagen hat oder nachgeschlagen haben könnte. Das jeweilige Lemma des Kommentars umfasst alle Informationen, auf die sich der Quellennachweis erstreckt. Dies sei durch ein Beispiel erläutert: »st´cy, tego, operio wovon st´cg, g, [sic!] tectum das Dach« beinhaltet drei lateinische Synonyme zu zwei griechischen Wörtern, außerdem eine etymologische Beziehung zwischen ihnen (»wovon«). Der Kommentar bietet dazu das Lemma: »st´cy […] tectum] Sc 1450«. Es meint, dass sich alle genannten Informationen, über die sich das Lemma erstreckt (d. h. vom Wort »st´cy« an bis zum Wort »tectum«), in Spalte 1450 des Lexicon Graecolatinum von Johannes Scapula finden. Die verwendeten Siglen (in diesem Fall »Sc«) löst die Bibliographie von Lessings Quellen (Abschnitt 2 der Edition) auf. Hier werden, soweit möglich, die von ihm benutzten Texte und Ausgaben insgesamt nachgewiesen. Die Lexika Scapulas, Wachters, Frischs und Stephanus’ hat Lessing oft verwendet. Sie wurden für den Kommentar durchgehend ausgewertet. Wird an einer Stelle nicht auf sie verwiesen, so dokumentiert dies einen Negativbefund: Sie enthalten dann keine Entsprechung zu Lessings Notizen. Nur in wenigen Fällen und ausnahmsweise weist der Kommentar explizit auf solche Negativfälle hin. Seitenangaben im Kommentar verstehen sich wie folgt: Steht eine Ziffer alleine, so bezeichnet sie eine Seite bzw. Spalte (»Sc 1450« steht für »Scapula, Sp. 1450«). Zwei Ziffern mit Komma stehen für Band und Seite (»Stephanus 1, 4« steht für »Stephanus, Bd. 1, S. 4«). Der doppelte senkrechte Strich »||« trennt die einzelnen Lemmata des Kommentars voneinander ab. Der Übersetzungsapparat (jÜj) dient als Verständnishilfe, indem er griechische und lateinische Begriffe und Zitate ins Deutsche überträgt. Dabei wurde einer wörtlichen Übersetzung auch bei poetischen Zitaten der Vorzug gegeben, selbst wenn die Formulierungen dadurch teilweise fremd wirken. Es liegt in der

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Vorbemerkungen

Natur von Lessings Manuskript, dass griechische und lateinische Einsprengsel in großer Anzahl vorliegen. Dieser Kommentar-Teil sollte dennoch keine Redundanzen enthalten. Daher wurden Übersetzungen weggelassen, wenn die dominante bzw. jeweils gemeinte Bedeutung der von Lessing verwendeten Wörter aus seinem Eintrag selbst hervorgeht. Auch in diesem Apparat trennt das Zeichen »||« die einzelnen Lemmata voneinander ab. Übersetzungen nach dem Zeichen »||||« beziehen sich auf fremdsprachige Passagen im Quellenkommentar. 2. Lessings Quellen: Hier sind die Quellen verzeichnet, die Lessing im Laufe seiner Sammlungsarbeit nachweislich oder wahrscheinlich verwendet hat. Nicht aufgenommen wurden Nennungen von Titeln Dritter in Exzerpten, die Lessing angefertigt hat. Die Aufstellung umfasst sowohl die Editionen antiker Texte, deren Benutzung sich nachweisen ließ, als auch Arbeiten neuzeitlicher Autoren. Es wurde dabei versucht, jeweils die konkrete Ausgabe zu erschließen und sie in einer bibliographisch ausführlichen Form zu verzeichnen. Wo dies nicht gelang, ist dies in der Liste explizit vermerkt. Das Verzeichnis von Lessings Quellen dient auch als Siglenverzeichnis für den Quellenkommentar und für das Nachwort. 3. Wilhelm Körtes Abschrift: Wilhelm Körte hat eine Abschrift von Lessings Manuskript angefertigt. Ausführlicher erläutert dies das Nachwort (vgl. S. 223f.). Körtes Abschrift dürfte für Leser, die an Lessings Aehnlichkeit interessiert sind, nur in seltenen Fällen interessant sein. Daher wurde auf eine vollständige Wiedergabe und auf eine Faksimilierung verzichtet. Dokumentiert werden lediglich Körtes Hinzufügungen und Auslassungen. Die Edition der Texte von Lessing und Körte wird von Mark-Georg Dehrmann und Jutta Weber gemeinsam verantwortet. Die Transkriptionen des Griechischen und ihre Übersetzung stammen von Jutta Weber, die Quellenkommentare, der Nachweis von Lessings Quellen und das Nachwort von Mark-Georg Dehrmann. Franjo Kovacˇic´ (Radolfzell), Herwig Maehler (Wien), Antje Wessels (Leyden) und Christine Vogl (Osnabrück / München) sind wir für Rat und Hilfe in inhaltlichen Fragen verpflichtet, Anke Moseberg für die Betreuung der Drucklegung. Der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz danken wir für die Anfertigung und Überlassung der Reproduktionen. Das große verlegerische Engagement von Susanne Franzkeit und Martina Kayser schließlich hat die Publikation unserer Edition erst ermöglicht.

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»Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache« Faksimile und Transkription

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/vorderer Spiegel, unfol./ Siehe Joh. Vorstii Observationum in linguam vernaculam specimen. Col. Brandenb. 1668. J. Rivii Loci communes philosophici quibus veterum graec. et lat. linguae scriptorum applicationis ratio et via demonstratur Glauchae 1579. Siehe […] 1579.] Schrift Karl Lessing. jQj Joh. […] 1668] d.i. Joh. Vorstii Observationum in linguam vernaculam specimen. Coloniae Brandenburgicae 1668 || J. Rivii […] 1579] d.i. Locorum communium philosophicorum, quibus veterum graecae latinaeque linguae scriptorum, explicationis ratio et via […] demonstratur : Tomus Primus […] opera laboris & diligentiae: Ioannis Rivii […]. Glauchae 1579.

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/1r/

Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache Zur Erleichterung der erstern, und Verbeßerung der leztern. angef. den 1 Dcmbr 1759.

von Gotthold Ephraim Lessing

von […] Lessing] Schrift Körte? [Bl. 1v frei]

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/2r/ d in z. dal²y, zähme. jQj dal²y, zähme] Lemma kommt mehrfach vor: vgl. Bl. 32r und 35r. Von der Aehnlichkeit der Französisch u. Griechischen Sprache, handelt außer dem Stephanus auch Catherinot, advocat du Roi au Presidial de Bourges; in seinem daselbst 1683 gedruckten Traktate La Gaule Grecque. v. Jour. des Sav. anno 1684. p. 98. jQj v. Jour. des Sav.] vgl. Catherinot 98.

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/2v/ Johann Dunkel zu Berlin hatte ein Büchlein ausgegeben: Beweis daß die alte Griechische Sprache von der alten Celtischen, oder ältesten Deutschen abstamme; er hatte ausführl. Commentare: De Graecae linguae origine celtica, ungefähr 10 Alphabete im Druck, und ein Glossarium harmonicum Graeco-Celticum verfertigt; machte beider Inhalt im Jahre 1759 den Gelehrten bekannt und hoffte Unterstützung; da er deren nicht fand, verlor er allen Muth, warf im Zorn alle seine Handschriften in’s Feuer und nahm sich dann selbst das Leben. In den Deutschen Schriften der Duisburger gelehrten Gesellschaft, im 1sten Thle pag. 245 – 268 findet man Dunkel’s nähere Erklärung über sein Werk; und im 1sten Fascikel »opuscula Societatis litter. Duisburgensis« stehen einige verwandte Abhandlungen von ihm. — Johann […] von ihm.] Schrift Körte. jQj nähere Erklärung] Gemeint ist: Johann Gottlob Wilhelm Dunkels […] Nähere Erklärung über sein lateinisches Werk, von der Abstammung der griechischen Sprache aus der celtischen. In: Der Duisburgischen gelehrten Gesellschaft Deutsche Schriften. Erster Theil. Duisburg, Düsseldorf 1759, 243–268 || opuscula Societatis] Gemeint ist: Opusculorum Societatis Literariae Duisburgensis fasciculus I. Duisburg, Düsseldorf 1760; Beiträge von Dunkel auf 3–64 und 127–188.

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/3r/ # Gesnerus Mithridate cap. ii. p. m. 38. v. »Sermo Germanicus, præcipue Saxonum, litterarum natura et potestate, diphthongorum vi et numero, syllabarum pronunciatione, declamatu, articulis, accentu, ratione loquendi, cæterisque huiusmodi dictionum proprietatibus, maximam habet communitatem, plurimum retinet commercii cum Græcorum lingua, rectiusque litteris Græcis (quam Latinis) scribitur. Infinita sunt vocabula quæ nobis & Græcis idem valent. Io. Aventinus. Deinde enumeratis multis eiusdem significationis in utraque lingua vocabulis demum subiungit: Qui diligentior fuerit et doctior plura conquisiverit. Vir doctissimus Jo. Camerarius a Dalburgio, Vangionum pontifex, aliquot millia dictionum collegit, quæ utraque lingua, græca & teutonica idem significant. Hæc ille. Andreas Althamerus etiam, et alii quidam, vocabula Germanis et Græcis communia quædam annotarunt: sed omnium copiosissime Sigismundus Gelenius noster in Lexico suo Symphono, in quo

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/3v/ in quo ex quatuor linguis, Latina, Græca, Germanica, Illyrica, partim omnium, partim trium, partim duarum vocabula inter se comparat, dextr8 sane & erudite.« jQj »Sermo […] erudite.«] Gesner 38v–39r. Zitat mit leichten Abweichungen in Orthographie und Interpunktion. Die von Lessing exzerpierte Passage aus Gesner bis zum »Hæc ille« zitiert dieser wiederum aus den Annales Boiorum des Johannes Aventinus; bei den unterstrichenen Passagen handelt es sich um Einschübe Gesners; vgl. Conrad Gessner : Mithridate (1555). Hrsg. von Bernard Colombat und Manfred Peters. Genf 2009, S. 182 || Io. Aventinus] d.i. Johannes Aventinus: Annalium Boiorum libri VII […], entstanden 1519–21 || Dalburgio] Die ungedruckten Arbeiten des Johann von Dalberg werden bei Aventinus genannt || Althamerus] d.i. Andreas Althamer : Scholia in Cornelium Tacitum […]. Nürnberg 1529 || Gelenius] d.i. Sigismundus Gelenius: Lexicum symphonum quo quatuor linguarum Europae familiarium, Graecae scilicet, Latinae, Germanicae ac Slavinicae concordia consonantiaque indicatur. Basel 1537. jÜj »Sermo […] erudite.«] Durch die Natur und Kraft ihrer Buchstaben, die Gewalt und Menge ihrer Diphthonge, die Aussprache der Silben, die Deklamation, die Artikel, Akzente, die Art zu sprechen und andere Eigenarten ihrer Rede steht die deutsche Sprache – vor allem der Sachsen – in engster Gemeinschaft mit, bewahrt viele Verbindungen zu der griechischen und wird auch richtiger in griechischen Buchstaben geschrieben (als in lateinischen). Unendlich viele Wörter bedeuten uns und den Griechen dasselbe. Johannes Aventinus. Nachdem er viele Wörter aufgezählt hat, die in beiden Sprachen dasselbe bedeuten, fügt er zuletzt an: Der Aufmerksamere und Gelehrtere wird noch mehr finden können. Der sehr gelehrte Kanzler Johann von Dalberg, Bischof der Vangionen, hat tausende Wörter gesammelt, die in beiden Sprachen, Griechisch und Deutsch, dasselbe bedeuten. Soweit jener. Auch Andreas Althamer und andere haben einige den Deutschen und Griechen gemeinsame Wörter verzeichnet. Aber von allen am reichsten ist unser Landsmann Sigmund Gelenius in seinem Lexicum Symphonum, wo er gelehrt und besonnen Wörter aus den vier Sprachen Latein, Griechisch, Deutsch, Illyrisch miteinander vergleicht, teils aus allen vieren, teils aus dreien, teils aus zweien. [Bl. 4 frei, ohne Alphabet]

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/5r/ A. !le¸dgtor severus. !eij´kior iniqua, tristis. auqg aura vitalis, vita: A. […] vita:] Schrift Fülleborn. jÜj !le¸dgtor] traurig || severus] ernst || !eij´kior] unziemlich || iniqua] unbillig [f. sg.] || tristis] traurig || auqg] Hauch [eigentlich: auqa] || aura vitalis] der Lebenshauch || vita] das Leben.

[Bl. 5v bis 16 frei, ohne Alphabet]

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/17r/ A. %my oR %my toO c´mour sagt Aelianus periphrastisch für Ahnen; & sollte man nicht sagen, daß eben dieses deutsche Wort davon herkäme. Wenigstens würde diese Ableitung weit natürlicher seyn, als alle andern, die bey dem Wachter vorkommen. Die Stelle bey dem Aelian (Var. Hist. Libr. XIV cap. 36) heißt. Cekøm d³ 5nestim 1p· to?r l´ca vqomoOsi di± to»r pat´qar ja· to»r %my toO c´mour. jQj Wachter] Wa, Specimen 77, s.v. Anen, unter mehreren Ableitungen: »Das wort AHNEN ist aus dem Latein gezogen, von dem wörtlein ANUS, welches heisset der hinder an dem Menschen.« Nicht in Wachters Glossarium. jÜj %my] vorher || oR […] c´mour] die vor dem Geschlecht || Cekøm […] c´mour] Es steht frei, über die Hochmütigen zu lachen um ihrer Väter und Ahnen willen. !cjukor obliquus. Daher unser Angel, wegen des krummen Hakensx. [MARGINALIE x desgleichen Anker, vermittelst ancora, u %cjuqa] Hesiodus hat das zusammengesetzte !cjukol¶tgr, welches Beywort er dem Prometheus giebt (Op & D. v. 48) jQj obliquus] Diese Übs. nicht bei Sc (13); nicht bei Stephanus (1, 38) || daher […] Angel] So auch Fr 1, 28 || Hakens] Wa 57: »Alii derivant a Gr. !cj¼kom curvum, vel a Lat. uncus, quia hamus est instrumentum recurvum.« || %cjuqa] Etymologie und Synonym: Sc 13. jÜj !cjukor] gebogen || !cjukol¶tgr] dessen Anschläge krumm sind, verschlagen |||| Alii […] recurvum] Andere leiten es her von Gr. !cj¼kom gebogen, oder vom Lat. uncus [hakig], denn der Haken ist ein eingekrümmtes Werkzeug. !qwgm kalb²meim, wie im Deutschen, den Anfang nehmen. Akejtqu¾mym !c½m pºhem !qwµm 5kabem: woher das Hahnenkämpfen seinen Anfang genommen ist das 28 Kap. des zweyten Buchs der vermischten Geschichten des Aelianus. An einer andern Stelle eben dieses Kapitels setzt er auch den Artikel vor, und sagt tµm !qwµm 5kabem. !²fy exhalo, ist von dem Laute gemacht, so wie von dem nehmlichen Laute unser ächzen.# [MARGINALIE: #Auch Stephanus ist dieser Meinung: Crediderim deductum esse verbum a sono quem inter exhalandum edimus.] jQj exhalo] Sc 2 || Crediderim […] edimus] leicht abgewandelt aus Stephanus 1, 2. jÜj Crediderim […] edimus] Ich würde glauben, das Verbum sei von dem Laut gebildet, den wir beim Ausatmen herausbringen. !cah¹r, man machte das a weg, so hat man unser gut; So sagen auch die Griechen !cahor eQr t± joim± so wie wir, gut zu etwas. jQj !cah¹r] Morhof 114 || !cahor […] joim±] Wendung weder bei Sc noch bei Stephanus.

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/17v/ !c²y, oder welches gewöhnlicher ist !c²olai [MARGINALIE: oder %calai] cum stupore miror. angaffen; denn gaffen, gehnen, gähnen ist alles eins. und vielleicht, daß auch das Griechische !c²y mit wa¸my verwandt ist. j Hipponicus wollte die Bildsäule, die er dem Vaterlande zu Ehren aufrichten wollte, nicht von dem Polyclet machen laßen, weil der Künstler als dann mehr Ehre als der, der sie setzen laßen, davon haben würde: d/kom c±q ¢r oR bq_mter tµm t´wmgm, 5lekkom tom Pok¼jkeitom, !kk’ oqj 1je?mom %cashai. (Ael. var. hist. lib. XIV. c 16) jQj cum […] miror] Sc 6. jÜj wa¸my] ich gähne || d/kom […] %cashai] Es ist nämlich klar, dass diejenigen, die die Kunstfertigkeit sähen, den Polyklet eher bewundern würden und nicht jenen. %ccor, ´or, to, vas quodlibet. Von diesem Worte wollte ich lieber das alte Angster ein Trinkgeschirr, herleiten, als von eng wie Frisch. jQj vas quodlibet] Sc 10 || Angster […] Frisch] Fr 1, 28. jÜj %ccor] Gefäß. %mhqopor, bedeutet eben so wie im deutschen zuweilen eine Frauensperson, nur daß wir so dann es als ein Neutrum, die Griechen aber wie gehörig als ein foemininum nuancieren. Vig. de Id. gr. ling. p. 40. jQj %mhqopor […] p. 40] Vigerus 40: »De dictione %mhqypor observandum, quod aliquando significet fœminam, licet rarius«. jÜj %mhqopor] Mensch |||| De […] rarius] Bei dem Ausdruck %mhqypor [Mensch] ist zu beachten, dass er mitunter eine Frau bezeichnet, wenngleich seltener. !qetµ heißt auch oft wie das deutsche Tugend weiter nichts als die Güte, die gute Eigenschaft eines Dings. Vig. ibid. p. 41. jQj !qetµ […] p. 41] Vigerus 40f.

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/18r/ A. %cjyr, eor, t¹, vallis, convallis: Mit unserm enge verwandt. In Anth. epigr.x [MARGINALIE: xlibr. I.] badu²cjeer dicuntur Alpes die tiefthäligten Alpen. Frisch merkt nicht so gut bey enge das Griechische %cwi prope, juxta an. jQj vallis, convallis] Sc 12 || Anth. […] libr. I.] Anthologie 12, mit einer Anmerkung von Vincentius Opsopoeus zu der Stelle. In der modernen Ausgabe der Anthologia Graeca (hrsg. von Hermann Beckby, 4 Bde., München 1957–58) ist es Gedicht IX, 283 (Bd. 3, 175) || badu²cjeer […] Alpes] Auch bei Sc 12, allerdings ohne die Angabe des Buches, die Lessing nachträgt || Frisch […] an] Fr 1, 227: »Eng kommt mit dem Griechis. %cwi überein.« Das Lat. nach Sc 26. jÜj %cjyr] Tal. !tl¹r, ou, b, flatus, halitus (von %y oder dem gewöhnlichen %gli flo spiro) kömmt offenbar mit unserem Athem überein Dieses %y kann man für ein Hauptstammwort gelten laßen, weil es den Ton ausdrückt, der da entsteht, wenn wir die Luft von uns hauchen. %y und Hauch brauchen also nicht von einander abzustammen; genug daß das eine, wie das andere nach dem Tone gemacht ist. jQj flatus, halitus] Sc 202 || flo spiro] Sc 216 || kömmt […] überein] Fr 1, 39, ähnlich: »Das Griechische atlºr, vapor, halitus; […] kommen mit Atem überein, von %y, %gli, spiro«; ähnlich auch Wa 80; Morhof 146. jÜj %y] ich wehe, ich hauche. !h´svator ist der Zusammensetzung nach unser unsäglich, unbeschreiblich. adverb. !hesvatom. Und wird eben wie unser unsäglich gebraucht, den Superlativum einer Sache auszudrücken. Musæus. v. 115. jQj Musæus. v. 115] Musaios 22. !hqºor, ou, o confertus, densus. hat mit unserem drang, gedränge viel Aehnlichkeit jQj confertus, densus] Sc 58. jÜj !hqºor] zusammengedrängt. [Bl. 18v frei]

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/19r/ A. aqcg, g splendor. Ist unser klares Auge. Die Griechen sagen nicht allein bll²tym !ucai die Strahlen der Augen, wie es bey dem Sophokles (in Ajace v. 70) vorkömmt. Sondern !ucai hießen auch schlechtweg bey ihnen die Augen, so wie der Lateiner ihr lumina. Siehe den Stephanus. jQj splendor] Sc 204 || klares Auge] Morhof 138; Wa 83, s.v. Aug: »Alii alias afferunt origines, sed omnes pene Græcas. JUNIO videtur formatum ab !ucµ lux, splendor«, d.i. Hadrianus Junius || !ucai […] Augen] Sc 204: »aqca·, oculi, ut exp. apud Nic. in Alex.« D.i. Nikander in den Alexipharmaka || Lateiner […] Stephanus] Stephanus 1, 601: »)uca· plur. numero (vt apud Lat. Lumina) oculos quoque significat.« jÜj aqcg] Glanz |||| Alii alias […] splendor] Andere nennen wieder andere Ursprünge, aber fast alle griechische. Dem Junius scheint es aus !ucµ Licht, Glanz gebildet. || )uca· plur. […] significat] )uca· im Plural (wie bei den Lateinern ›Lumina‹) bedeutet auch Augen. !ij²kky blandio, h´kcy. das deutsche häglich, behäglich, das wir von hagen ableiten, hat vielleicht damit Verwandtschaft. jQj blandio] Sc 64 || hagen ableiten] Fr 1, 395 (die deutsche Etymologie). jÜj !ij²kky] ich schmeichle. [Bl. 19v frei]

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/20r/ A. !po mit unserm ab, besonders in der Zusammensetzung mit verschiedenen Zeitwörtern. jQj !po […] ab] Wa Bl. [hv], s.v. ab: »Adverb. latissimæ significationis, quod Gothis effertur af, […] Græcis !p¹ […].« jÜj |||| Adverb. […] !p¹] Adverb mit sehr weiter Bedeutung, das bei den Gothen af ausgesprochen wird, […] bei den Griechen !p¹ […]. %qtior, integer, perfectus, consectaneus, wird besonders von der graden Zahl gebraucht. Es ließe sich mit unserm artig wohl vergleichen; ob ich gleich nicht leugnen will, daß artig vielmehr von Art herkomme. jQj integer, […] consectaneus] Sc 185, dort Verweis auf die Odyssee »Et Od. d, %qtia b²feim, i. consentanea loqui, ut interpr. H. Steph.« || graden Zahl] Sc 185: »propriH dicitur de numero pari« || artig vielmehr […] herkomme] so Fr 1, 36; Wa 75. jÜj %qtior] passend, bereit. |||| Et […] Steph.] Und Odyssee d [4. Gesang] %qtia b²feim, das heißt recht reden, wie es Henricus Stephanus übersetzt. [Bl. 20v frei]

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/21r/ A. -qy, %qmy, !qm¼y, %qmuli und %qmulai, mit unserm alten Arnen, jetzt Erndten; die Arne, jetzt die Erndte; Ahren, Aehren. Erarnen, erarbeiten, sich verschaffen; eben wie %qmulai. Eben so das alte Ahrne, ärne, arare. Erären, lucrum ex agricultura percipere. Davon vielleicht sehr bedeutsam: Ehre, [MARGINALIE: und] erehren. -qy, […] erehren.] Schrift Körte. jQj lucrum […] percipere] So nicht bei Sc, Fr, Wa. Dagegen Stieler 1, 18, s.v. Ahren & ären: »Erären / lucrum ex agricultura percipere.« Im Artikel »Arnen« (ebd.) nennt Stieler alle Formen, die hier verwendet werden. jÜj -qy, […] %qmulai] ich ernte || lucrum […] percipere] Ertrag aus der Landwirtschaft einbringen. [Bl. 21v bis 22 frei, Bl. 22r »A«]

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/23r/ B bqelo fremo, resono, kömmt mit dem Deutschen brummen überein. Das Beywort, welches Hesiodus dem Zeus giebt (Op & Di. v. 8 Fe»r rxibqel´tgr würde ganz wörtlich durch hochdonnernder Zeus zu übersetzen seyn. jQj fremo] Sc 271 || resono] nicht bei Sc || brummen überein] Wa 220 || Op & Di. […] seyn] Sc 272: »zxibqel´tgr, Iupiter ab Hesiodo & Hom. dicitur, q.d. altifremus, altistrepus. exp. & altitonans.« jÜj bqelo] ich brause, ich rausche. |||| zxibqel´tgr, […] altitonans] Hochdonnernd wird Jupiter von Hesiod und Homer genannt, das bedeutet hochbrausend, hochlärmend besonders und hochtönend. B¸a, vis. – Pro persona accipienda in fragm. Moschionis, uti apud Aeschyl. Prom. vinct. princ. Jovi assidens fingitur Callim. Hymn. in Jov. 68. uti cf. interpret. et Arnaldum de diis Paredris p. 117. B¸a, […] p. 117.] Schrift Fülleborn. jQj Arnaldum […] p. 117] Bezieht sich auf Georges d’Arnaud: De diis p²qedqoir [!], sive adsessoribus et coniunctis, commentarius. Den Haag 1732, 116f. jÜj B¸a] Stärke, Gewalt || Pro […] Paredris] Als Person aufgefasst in den Fragmenten des Moschion wie bei Aischylos Der gefesselte Prometheus am Anfang [?] sie [die Person] bei Zeus sitzend dargestellt wird Kallimachos Zeushymnos 68 vgl. die Übersetzung und Arnauld de diis Paredris, S. 117. [Bl. 23v frei]

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/24r/ B. bk´peim eQr tiv² sagen die Griechen in eben dem Verstande in welchem wir auf einen oder etwas sehen sagen; mit Hochachtung und Bewunderung nehmlich. So sagt z. B. Aelianus von den vornehmen Griechen, die sich zwar mit den Töchtern des Aristides, bey seinen Lebzeiten zwar versprochen, als er aber todt war, von ihnen abließen (lib X var. hist. cap 15) 5bkepom d³ %qa oqj eQr t¹m b¸om Aqiste¸dou, oqd³ 1ha¼lafom !utoO tµm dijaios¼mgm pp jÜj 5bkepom […] dijaios¼mgm || Sie sahen nämlich nicht mit Hochachtung auf das Leben des Aristides, noch bewunderten sie seine Gerechtigkeit. [Bl. 24v frei]

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/25r/ B b²qor, onus, wovon baq»r, e?a, u, gravis, ist das deutsche Bürde, von dem alten büren, soviel als tragen. Das Bürde wird auch in verschiedenen Provinzen Büre ausgesprochen. Auch heißt im Deutschen Baare das Instrument, womit eine Last getragen wird, besonders, die Leiche. jQj onus] Sc 243 || gravis] Sc 243 || Büre] Fr 1, 155: »Büre« als »vulg.« jÜj b²qor] die Schwere. [Bl. 25v bis 26 frei, Bl. 26r »B«]

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/27r/ C. cm¾qiloi, (von cim¾sjy) sagen die Griechen, wie wir Bekannte, für diejenigen, mit welchen wir umgehen. »Alcibiades sagte zu seinen Bekannten« 5kece pq¹r tour cmyq¸lour. (Aelian var. hist. lib. II. c. 12.) So hießen auch die Schüler der Philosophen ihre cmyqiloi (idem lib II. cap. 2.) die auch sonst blikita¸ [sic!] hießen (lib. III. cap. 19) so auch 2ta?qoi (ibidem) welches alles bescheidenere Namen waren, als wenn sie sie lahgt²r geheißen hätten. jQj von cim¾sjy] Sc 304 zur Etymologie || lahgt²r] Sc 304: »cm¾qiloi appellabantur oR lahgta·, apud Suid.« jÜj |||| cm¾qiloi […] Suid.] die cm¾qiloi werden bei Suidas oR lahgta· genannt. [Bl. 27v frei]

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/28r/ Comu, to, das Knie. cmun, ad. auf die Knie, cmun 1qeipeim auf die Knie fallen, kömmt öfters in Homer vor. Einen Knicks machen. jQj Knie] Fr 1, 528; hier auch cm¼n; außerdem Morhof 145.

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[Bl. 28v bis 29 frei, Bl. 29r »C.«, ein kurzes Wort oder ein Wortanfang ist unleserlich ausgestrichen]

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/30r/ C. ckiswqos heißt eigentlich lentus, tenax, viscosus; es heißt aber auch lubricus, und in dieser Bedeutung kömmt es mit unserm klischrig überein. jQj lentus, […] lubricus] Sc 211. jÜj ckiswqos] zäh, klebrig. [Bl. 30v bis 31 frei, Bl. 31r »C.«]

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/32r/ D. d¼malir bedeutet vollkommen wie das deutsche Vermögen, auch Reichthum, Güter. Wenn der König von Persien ausreitet, sagt Aelian (hist. var. lib. I. cap. 31) so bringen ihm alle Perser, ein jeder nach seinem Vermögen, ein Geschenk: p²mter aqt` P´qsai jat± tµm 2autoO d¼malim 6jastºr pqosjol¸fei. Dieses Wort macht auch noch einen andern Germanismum, wenn es nehmlich, wie das deutsche Macht für Kriegsheer, Kriegsmacht gesagt wird. Gm¸ja Ak´namdqor b Vik¸ppou 2p· [sic!] t±r H¶bar Gce tµm d¼malim, Aelianus var. hist lib. XII cap. 57. jÜj Gm¸ja […] d¼malim] nachdem Alexander, der Sohn Philipps, seine Kriegsmacht gegen Theben führte. dalay, domo, ich zähme jQj dalay […] zähme] Lemma kommt mehrfach vor: vgl. Bl. 2r und 35r || domo] Sc 340 || zähme] Fr 1, 463: »Zähmen kommt mit zäumen überein, wie man durch den Zaum die wilden Pferde bändiget, kommt dal²y und domare überein.« Wa 1944.

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/32v/ d²jtukor l´car weiq¹r. Die Griechen können das Wort Daumen nicht mit einem Worte ausdrücken, sondern müßen es so umschreiben. (Ael. var. hist. lib. II. cap. 9) (NB. doch sagt Plutarchus (im Lysan.) dafür %mtweiq [sic!]: !poj|pteim t¹m deni¹m !mt_weiqa t_m "kisjol]mym jat± p|kelom.) Auch Aristoteles umschreibt das Wort Daumen (lib. 4. de Part. Animal cap. X) b 1j pkac_ou eXr ja· oxtor bqaw»r ja· paw»r, akk’ oq lajqor ille a latere unicus, isque brevis et crassus, non vero longus. Er giebt dabey die Ursache an, warum er gleichwohl lecar heiße; ja· di± toOto jake?tai lecar, lijq¹r ¥m, fti %wqestoi [sic!] (¢r eQpe?m) %meu to}tou. Es kömmt also darauf an, ob !mt_weiq beym Plutarch nicht die ganze 7 eigentlich so genannte Hand heißt. Welches ich fast glauben wollte, wenn o [nicht] dabey stünde: fpyr d|qu l³m v]qeim lµ d}mymtai, j~pgm d³ 1ka}mysi. Würden sie ohne Hand wohl haben rudern können? Die Lexika haben amt_weiq pollex. jQj !poj|pteim […] p|kelom] Plutarch, Vitae parallelae, Lysander IX, 5, ebenso die Stelle weiter unten || de Part. Animal cap. X] Aristoteles, De partibus animalium IV, 10 || Lexika […] pollex] so Sc 1732; Stephanus 4, 438. jÜj d²jtukor […] weiq¹r] der große Finger der Hand || !poj|pteim […] p|kelom] den rechten Daumen der Gefangenen im Krieg abhacken || b 1j […] lajqor] von der Seite her ist dieser hier kurz und dick und nicht groß || ja· di± […] to}tou] und deswegen wird er groß genannt, obwohl er klein ist, sodass sie ohne ihn (sozusagen) unbrauchbar sind || fpyr […] 1ka}mysi] so dass sie den Speer nicht führen können, den Ruderschlag aber ausführen.

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/33r/ D de?ma, b, B, to, gen. de?mor. Vocabulum est, sagt Stephanus, quo utuntur, præfixo articulo, loco nominis eius, de quo loquuntur. Wie der Franzosen ihres un tel. Wie sehr aber kömmt es mit unserm der und der, den und den, überein. denn die Griechen verdoppeln es auf eben diese Weise. Und ich glaube dieses de?ma von unserm den abzuleiten, ist viel natürlicher, als die Ableitung des Stephanus. Cæterum quæ sit huius vocabuli de?ma origo, nusquam invenire potui; quod autem de ea suspicor, interim afferam. Mihi simile vero est Græcos b de?ma dixisse tamquam vocem fde corrumpentes; et quum fde pronomen sit ostendentis, quia nimium abusi fuissent illo, si huiusmodi quales protuli locis ipsum adhibuissent, ideo ex fde fecisse b de?ma. Videmus certe Latinos, qui dicunt hic et ille pro tel & tel, ibidem pronomine uno quod respondet Græco fde, et altero, quod respondet Græco 1je?mor. Et hactenus a me divinatum sit, Davo tamen alioqui non Oedipo. Wenn Stephanus recht hat, wie es denn seyn kann, so ist doch so viel gewiß, daß die Art zu reden bey uns einerlei ist, und daß wir der und der sagen, so wie die

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/33v/ die Griechen b de?ma jai b de?ma. jQj Vocabulum […] un tel] Stephanus 1, 933: »Vocabulum est quo utuntur (præfixo articulo) loco nominis eius de quo loquuntur. ut quum Gall. dicimus un tel.« || Cæterum quæ […] Oedipo] Stephanus 1, 933, Zitat weicht lediglich leicht in Orthographie und Interpunktion ab. || Davo […] Oedipo] Anpielung auf Terenz, Andria 2, 24: d. h. als einfacher Mensch, nicht als Bezwinger der Sphinx. jÜj de?ma] ein gewisser || Vocabulum […] loquuntur] Es ist ein Wort, das, mit vorangestelltem Artikel, den Namen dessen ersetzt, von dem gesprochen wird. || un tel] ein gewisser || Cæterum quæ […] Oedipo] Den Ursprung des Wortes de?ma konnte ich nirgendwo finden. Einstweilen bringe ich meine Vermutung bei. Es scheint mir, dass die Griechen b de?ma gesagt haben, indem sie das Wort fde entstellten. Da fde ein Demonstrativpronomen ist, haben sie – deshalb, weil sie es zu oft missbraucht hätten, wenn sie es an allen Stellen wie den erwähnten angewendet hätten – einfach aus fde b de?ma gemacht. Wir sehen ja, daß die Lateiner, die hic und ille sagen (für tel et tel), auf dieselbe Weise ein Pronomen benutzen, das dem Griechischen fde, und ein anderes, das dem Griechischen 1je?mor entspricht. Und dies ist es, was ich vermute, als Davus freilich, nicht als Ödipus.

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/34r/ D dipkoOr !mgq. Doppelmann, siehe unser Register über den Logau. Hektor sagt in der Tragödie Rhesus v. 395 vik_ k]ceim Tûakgh³r aQe· joq dipkoOr p]vujû !m^q. studeo loqui Vera semper, nec sum duplex vir. jQj Doppelmann, […] Logau] Logau 32f., s.v. Dupelmann || studeo […] vir] Euripides 120. jÜj vik_ […] !m^q] Ich bemühe mich immer die Wahrheit zu sagen und bin kein Doppelmann.

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/34v/ dgqir, eyr, B. pugna, contentio: scheinet mit unserm Zorn, oder wie es die Niedersachsen aussprechen Torn verwandt. denn aus dem Zorne folgt Streit, Streit ist der in Thätigkeit ausbrechende Zorn. jQj pugna, contentio] nicht bei Sc. jÜj dgqir] Kampf, Streit.

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/35r/ D dal²y, domo ich zähme. jQj dal²y […] zähme] Lemma kommt mehrfach vor: vgl. Bl. 2r und 32r. [Bl. 35v bis 37 frei, recto jeweils »D«]

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/38r/ E 1mweiq¸feim ist fast das deutsche einhändigen, oder in eines Hände, das ist Gewalt, geben. So sagt Aelian (libr. XIV var. hist. cap. 5) daß die Athenienser auch wohl Fremde den Einheimischen vorgezogen ja· t± joim± aqto?r 1mewe·qifom pp Die Griechen haben noch ein ander Wort, welches der Etymologie nach unser einhändigen ist: nehmlich 1ccuak_feim von 1m und to cuakom, manus, cavitas manus. Es kömmt bey dem Homer vor Ik. a. 353. jQj manus, cavitas […] 353] Sc 328, mit Verweis auf Ilias a, aber ohne Versangabe. jÜj ja· […] 1mewe·qifom] und sie übergaben ihnen öffentliche Angelegenheiten || 1ccuak_feim] in die hohle Hand geben. 1qeh¸fy, irrito, lacesso von 1qehy welches eben dieses bedeutet, ist nicht undeutlich unser reitzen. Ik. a. 32 l^ lû 1q]hife »reize mich nicht!« jQj irrito […] bedeutet] Synonyme und Etymologie bei Sc 484 || reitzen] Wa 1280: »Græci eodem sensu dicunt 1q´heim & 1qeh¸feim, unde Latinis irritare« || Ik. […] 1q]hife] Sc 484 zitiert die Stelle aus Ilias a, aber ohne Versangabe. jÜj 1qeh¸fy] ich reize |||| Græci […] irritare] die Griechen sagen in demselben Sinne 1q´heim und 1qeh¸feim, daher bei den Lateinern irritare. 6folai sedeo. sitze. jQj sedeo] Sc 420. [Bl. 38v frei]

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/39r/ E =qir, idor, lis. Hesiodus bringt mich darauf von diesem Worte unser deutsches Ehre abzuleiten. Es giebt, sagt er (Op. & Di. v. 11 et seq.) eine doppelte Eris; die eine ist die schädliche verhaßte Eris, durch welche Krieg und Zwietracht ernähret werden; die andre aber ist der [?] gute nützliche Eris welchen jeder Vernünftige loben muß. Durch sie sagt er fgko? de ce¸toma ce¸tym EQr %vemom spe¼domt’. !cahµ d’ 5qir Fde bqoto?si. Ja· jeqale»r jeqale? jot´ei, Ja· t´jtomi t´jtym, Ja· ptyw¹r ptyw` vhom³ei, ja· !oid¹r !oid`. Und was ist diese löbliche Nacheifrung, dieser nützlich Neid, andres als der Trieb der Ehre? jQj lis] Nicht bei Sc, nicht bei Stephanus. jÜj fgko? […] !oid`] Nachbar beneidet Nachbar, der dem Reichtum zustrebt. Und dieser Neid ist für die Sterblichen gut. Und Töpfer ärgert sich über Töpfer, Baumeister über Baumeister, und Bettler missgönnt dem Bettler und Dichter dem Dichter. 5qula, to. tutamen, murus von 1q}y custodio. Liegt aber nicht deutlich unser ganzes Mauer laueq in diesem Worte? Eine Stelle siehe unter p}qcor. jQj tutamen, murus] Sc 496 || custodio] Sc 495 || Stelle […] p}qcor] siehe Bl. 90v. jÜj 5qula] Schutz, Bollwerk || 1q}y] ich ziehe, bewache. 5qa, ar, B terra. Ist offenbar unsre Erde. jQj terra] Sc 471 || Ist […] Erde] Fr 1, 231; Wa 383. [Bl. 39v frei]

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/40r/ E 5ny toO l´tqou heißt im Deutschen von Wort zu Wort: außer den Maaßen. Aelian sagt von dem Reiche der Bacchiaden zu Corinth, daß es zu Grunde gegangen sey, di± tµm tquvµm tµm 5ny toO l´tqou per immoderatam luxuriam. (var. hist. lib. I. cap. 19) jQj per immoderatam luxuriam] Aelian 32. jÜj di± tµm […] l´tqou] durch maßlose Schwelgerei. [Bl. 40v frei]

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/41r/ E 5mioi, aliqui, nonulli. Klingt wie unser einige. Denn das Griechische scheint mir eben sowohl von 6m unum, mit verändertem Spiritu, gemacht zu seyn, als das Deutsche von eins. jQj 5mioi] doppeltes Lemma, siehe Bl. 43r || aliqui, nonulli] Sc 461 || Denn […] von eins] Etymologie weder bei Sc, Fr noch Wa. [Bl. 41v frei]

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/42r/ E :ql/r, Mercurius, Proserpinae nuntius dictus, cf. Horat. I. 10. 20. Orphei H. in Eql. Whom. 5. 9. quia animas in Orcum deducere credebatur. Hinc Diis inferis adnumeratur ab Aeschylo Pers. 631. :ql/r, […] 631.] Schrift Fülleborn. jÜj Mercurius […] 631] Merkur, Bote der Prosepina genannt, vgl. Horaz I. 10. 20. Orphische Hymne an den Chthonischen Hermes 5. 9., denn man glaubte, dass er die Seelen in den Orkus führe. Daher wird er von Aischylos Perser 631 den Göttern der Unterwelt zugezählt. Eqz¾tgr ab euzor solenni Bachi epitheto ad uvas translato. lætus: uti apud Eurip. Cycl. 191. oUmg euz¾tir. Eqz¾tgr […] 191.] Schrift Fülleborn. jÜj ab euzor […] 191] Von euzor, dem feierlichen Bakchischen Epitheton, auf die Traube übertragen. laetus [fröhlich, heiter, erfreulich]: so bei Euripides, Kyklops 191 || oUmg euz¾tir] der bakchische [fröhliche] Weinstock. [Bl. 42v frei]

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/43r/E 1mioi, aliqui, einige. jQj 1mioi] doppeltes Lemma, siehe Bl. 41r. [Bl. 43v frei]

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/44r/ F FeOcor, eor, to, und fuc¹r, jugum. Unser Wort Zug, wenn es besonders vom Ochsen gebraucht wird, scheint zwar von ziehen herzukommen. Vielleicht aber könnte es auch von diesem fuc¹r herkommen, da dann ein Zug Ochsen eben soviel sagte als ein Joch Ochsen, welches letztere wir ebenfalls im Deutschen für ein Paar angejochter Ochsen sagen. Wollte man einwerfen, daß man auch ein Zug Pferde sage, wo Zug doch schwerlich Joch heißen könne; so könnte man darauf antworten, daß die Griechen ihr feOcor auch überhaupt für ein Paar brauchten, so daß Aristophanes sogar sagt: feOcor 1lb²dym, ein Paar Schuhe. Man kann gar wohl sagen, daß überhaupt ziehen von fucor herkomme. Und wenn man dieses annimt, so wird man erst den rechten Nachdruck der Redensart verstehen: sich einer Sache unterziehen. Wird doch auch wirklich das Griechische rpofe}cmuli in dieser Bedeutung gebraucht. So sagt Ulysses beym Sophokles in Ajace v. 24 JÁc½ hekomtµr t`dû rpef}cgm p|my jQj jugum] Sc 550 || Aristophanes […] 1lb²dym] Sc 550; aus Aristophanes, Ritter, V. 872 || unterziehen] siehe Lessings Übersetzung der Passage B 5/1, S. 327, Z. 29 || JÁc½ […] p|my] Sc 550 nennt den Aias, zitiert jedoch nur die Wendung »rpef}cgm«. jÜj FeOcor […] fuc¹r] Joch || JÁc½ […] p|my] Lessing übersetzt: »auch unterwarf ich mich freiwillig der Mühe«.

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/44v/ Feuckg erklärt Suidas durch t¹ %jqom toO fucoO, jahû d 1mtihgsi toOr tqaw¶kour t± fya. Hat unser Zügel nicht viel Verwandtschaft damit? jQj Suidas […] fya] Suidas 2, 4 || Zügel […] damit] Wa 1980, s.v. »Zug«: »fe¼ckg pars iugi«. jÜj t¹ %jqom […] fya] die Spitze des Jochs, unter die die Tiere ihre Nacken beugen |||| pars iugi] Teil des Jochs. [Bl. 45 und 46 frei, recto jeweils »F«; Bl. 47 bis 49 frei, recto jeweils »G«]

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/50r/ H h}qa, janua. Thür. davon h}qafe foras, zur Thür heraus. (Hes. op. & d. v. 97) jQj janua] Sc 625 || Thür] Morhof 93; Wa 1686, s.v. Thür : »Eadem vox proseminata est in Occidente a Celtis. BOXHORN. in Lex. Ant. Brit. […] Concinit Gr. h¼qa«; d.i.: Marcus Zuerius Boxhorn: Originum Gallicarum liber […] cui accedit antiquae linguae Britannicae lexicon. Amsterdam 1654 || foras] Sc 625, er zitiert Hesiod ohne Angabe von Werk und Vers. jÜj |||| Eadem […] h¼qa] Dieses Wort ist im Okzident von den Kelten verbreitet worden. [Vgl.] BOXHORN im Lexikon der alten britischen Sprachen. […] Das griechische h¼qa stimmt damit überein. h/ku, foemineum, ist das deutsche Thöle bedeutend canem sexus foeminei sagt Morhof in s. Unterrichte v. der deutschen Sprache p. 138. jQj foemineum] Sc 602 || Thöle […] 138] Morhof 138. jÜj h/ku] weibliches || canem sexus foeminei] einen Hund weiblichen Geschlechts. hµq, qor, b fera, bellua. Ein Thier? desgleichen t¹ hgq_om. t± hgq_a sagt Suidas würde insbesondere der Elephante, deßgleichen auch die giftigen Thiere genannt. Daher hgqiaj± vaqlaja. jQj fera, bellua] Sc 603 || bellua […] vaqlaja] Suidas 2, 195 || Thier] Fr 1, 372: »Thier vom Griechischen h¶q.«; Wa 1680 || t± […] Elephante] Sc 603: »Interdum hgq¸a de elephantis dic. Suid. annotat.« jÜj hµq] das wilde Tier || hgqiaj± vaqlaja] tierische Gifte |||| Interdum […] annotat] Suidas vermerkt, dass hgq¸a manchmal von den Elephanten gesagt wird. h·m, him¹r, b, B. acervus, littus, ripa. Daher die Thünen. Ik. a. 34. paq± h?ma pokuvkoisboio hakassgr »an das Ufer des vielrauschenden Meeres.« jQj acervus, littus] Sc 607, mit Verweis auf Ilias, aber ohne Stelle || ripa] nicht bei Sc || Thünen] Fr 1, 211: »Es kommt das Griechische h·m damit überein.« jÜj h·m] Haufen, Sandhügel, Düne. hqey, cum tumultu aliquo clamo aut loqueo. Saxones nostri, sagt Damm, id dicunt dreeschen, laut durch einander reden. Nicht übel. Aber wir haben noch ein Wort, welches mit diesem hqey gewiß auch verwandt ist: nehmlich drönen, welches ein Geschrey, ein Getöse mit Erschütterung bedeutet jQj cum […] loqueo] Damm 1096 || Saxones […] reden] Damm 1096f.: »saxones nostri id dicunt dreeschen, i. e. laut durch einander reden oder schreien«. jÜj cum […] loqueo] ich schreie oder rede mit einigem Getöse || Saxones […] dicunt] unsere Sachsen nennen dies. [Bl. 50v frei]

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/51r/ H hquakke?, dieses Wort steht beym Suidas und er erklärt es, durch kake?. Desgleichen hqukkify durch xidoqify. unser trillern vielleicht. Nach kakei steht bey dem Suidas noch jujø. juj²y aber heißt misceo; was dieses also hier bedeuten könne, weiß ich nicht. Auch kommt da hq}kkor vor, das durch xihuqislor, und blik¸a lµ vameq_r cimolemg erklärt wird. jQj hquakke? […] kake?] Suidas 2, 208: »Hquakke?. kake?, jujø.« || xidoqify] Suidas 2, 208: »xihuq¸fy« || misceo] so in der lat. Übs. in Suidas 2, 208 || Auch kommt […] wird] Suidas 2, 208. jÜj hquakke?] er, sie, es schwatzt || kake?] er, sie, es spricht || xidoqify] ich flüstere || juj²y] ich mische || xihuqislor] Ohrenbläserei || blik¸a […] cimolemg] Rede, die nicht offen wird. [Bl. 51v bis 53 frei, recto jeweils »H«]

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/54r/ I. Wvi valide, fortiter. davon Uvior, nebenbey pinguis. Hat mit unserem fett einige ähnlichkeit. Uviom caq to kipaqom sagt Suidas unter diesem Worte. (kipor, to. pinguedo.) jQj valide, fortiter] Sc 676 || pinguis] Sc 676 || Uviom […] Worte] Suidas 2, 160, s.v. ]via l/ka || pinguedo] Sc 920. jÜj Wvi] kräftig || Uvior] stark, fett || Uviom […] kipaqom] »Uviom« ist nämlich das Fette || kipor] die Fettigkeit |||| ]via l/ka] fette Schafe. [Bl. 54v bis 56 frei, recto jeweils »I«]

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/57r/ I. ]g, vymµ, boµ Hesych. loquela, qua a brutis distinguimur. Conf. Plut. de pl. phil. IV. 21. ]g, […] IV. 21.] Schrift Fülleborn. jQj Hesych.] i. e. Hesychios || Plut. […] phil.] die Pseudo-Plutarchische Schrift De placitis philosophorum (Meinungen der Philosophen). jÜj ]g […] boµ] Stimme, Ruf || loquela, […] distinguimur] Die Sprache, durch die wir uns von den Tieren unterscheiden. [Bl. 57v frei]

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/58r/ J jajºwaqtor, von jajom und waiqy ist das eigentliche deutsche Schadenfroh, ein Wort welches vielleicht sonst keine andere Sprache mit einem einzeln Worte wieder zu geben weis. Es kömmt bey dem Hesiodus vor, der der einen Eris, der bösen Eris nehmlich dieses Beywort giebt. (Op. & D. v 28) j´kador, ou. strepitus ist unser deutsches Gall, gällen, das vor diesem auch kall, kallen ausgesprochen ward. jQj strepitus] Sc 723. jÜj j´kador] Getöse, Lärm. $ Jibytor Beyde Wörter sind im Deutschen. Küste und Kiepe, welches letzte besonders Jistir hier in der Mark üblich ist. Bey dem Suidas werden sie so unterschieden: fti B l³m jistir eQr rpodowµm 1stim edeslatym. B d³ jibyt¹r Rlat¸ym, ja· wqgl²tym. Im Deutschen aber dünken mich die Bedeutungen gleich umgekehrt zu seyn. jQj Kiepe] Fr 1, 514, s.v. Kiepe: »jibytºr« || Suidas […] wqgl²tym] Suidas 2, 312, s.v. jibytºr. jÜj fti […] wqgl²tym] dass j¸stir zur Aufnahme von Speisen bestimmt ist, jibytºr aber zur Aufnahme von Gewändern und Geld. Jk²eim. flere, hat mit unserm klagen viel Verwandtschaft. jQj flere] Sc 755 || hat […] Verwandtschaft] Fr 1, 518: »Klagen kommt mit jka¸eim überein.« Wa 842: »Græcis jk²feim & jkace?m est clamare, & jka¸eim flere«. jÜj |||| Græcis […] flere] Bei den Griechen ist jk²feim und jkace?m schreien und jka¸eim weinen. [Bl. 58v frei]

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/59r/ J jo?kor, cavus. Mit diesem ist unser Kiel verwandt, es mag einen Federkiel, oder den Boden des Schiffes bedeuten, weil es glaublich ist, daß beydes von ihrer Höhlung benannt wurde. Xenophon und Synesius, wie Scapula anmerkt, sagen auch wirklich jo¸kg maOr pro ventre navis seu concava parte. Ich glaube, daß auch unser Kehle davon herkömmt, welches aus verschiednen Zusammensetzungen dieses Worts beynahe gewiß wird; so ist Kehlziegel nichts andres als Hohlziegel. Doch auch selbst unser hohl ist das griechische jo?kor Auch Keller kömmt, vielleicht vermittelst cella, von joikor. jQj cavus] Sc 775 || Xenophon […] parte] Sc 775 || Kehle […] herkömmt] Wa 836, s.v. Kiel: »a Gr. jo?kor, cavus«. Fr 1, 507, dagegen: »Die Alten schrieben chela, chila, giel, gil, s. Giel, es kommt damit überein gula. Gall. geule.« || hohl […] jo?kor] Wa 742, s.v. Hol: »Græcis jo?kor« || Keller […] cella] Wa 825, s.v. Keller : »Unde, nisi a cella?« jÜj jo?kor] hohl || jo¸kg maOr] hohles Schiff || pro […] parte] für den Bauch des Schiffs bzw. seinen gehöhlten Teil |||| Unde […] cella] Woher, wenn nicht von cella? J¼y, in utero gesto, gravida sum. Vielleicht hat unser Kind einige Verwandtschaft damit. In der Bedeutung aber, da j¼y f. jusy so viel heißt als osculor, kömmt es mit unserem küssen überein. jQj J¼y] doppeltes Lemma, vgl. Bl. 60r || in […] sum] Sc 855 || f.] futurum || osculor] Sc 855: »Item osculor«. jÜj J¼y] ich bin schwanger || osculor] ich küsse. [Bl. 59v frei]

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/60r/ J. juy, sy, 1jusa heißt nicht allein in utero gesto, sondern auch osculor: Juousim !kkgkar aR peqisteqai, vgl. Aristoteles De anim. lib. 6. Es ist unser küssen; und die Ableitung des Frisch von Gosche ist sehr lächerlich. jQj juy] doppeltes Lemma, vgl. Bl. 59r || nicht allein […] lib. 6.] Sc 855 mit AristotelesStelle und Angabe des Buches || Aristoteles […] anim.] d.i. Aristoteles, De animalibus historiae 6 || Gosche] Fr 1, 560: »Wie osculum im Lateinischen von os kommt, so scheint küssen kommt von Gosche, os«. jÜj Juousim […] peqisteqai] die Tauben küssen einander. jo?tir, B lijq± j¸stg, !ttijyr beym Suidas. ist das hier gewöhnliche Köte. Er sagt hiezu 5sti de 1m Ø joitafºlemai aR cuma?jer apet¸hemto t± wquse?a; wo sie ihren Schmuck hinlegen, wenn sie zu Bette gehen wollen. denn jo¸tg, welches vorher geht, heißt soviel als lectus, cubile. jQj jo?tir […] wquse?a] Suidas 2, 387 || jo¸tg […] cubile] Suidas 2, 387, Synonyme in der lat. Übersetzung der Ausgabe; so auch bei Sc 778. jÜj jo?tir […] !ttijyr] jo?tir die kleine Kiste, auf Attisch. [Bl. 60v frei]

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/61r/ J. joqe?m ist den Atticis so viel als sa¸qeim verrere, scopis purgare. Und was kann mit unserm kehren näher verwandt seyn. S. Suidas in F²joqor Aedituus. Reqe»r, b t¹m ma¹m saq_m jQj joqe?m […] purgare] Suidas 2, 1, s.v. Koqe?m: »Koqe?m enim apud Atticos est idem, quod sa¸qeim communiter, i. verrere, scopis purgare.«; Wa 828, s.v. »keren«: »Græcis quoque joqe?m est verrere seu scopis purgare«; Sc 1379, s.v. s²iqy: »scopis purgo, verro« || Suidas […] saq_m] Suidas 2, 1, s.v. F²joqor: »meojºqor. […] Reqe»r, b t¹m ma¹m saq_m«. Lat. Übs. ebd.: »F²joqor. Ædituus. […] Vel, Sacerdos, qui templum verrit.« jÜj verrere, scopis purgare] kehren, mit Besen reinigen || F²joqor […] saq_m] Tempelhüter. Priester, der den Tempel kehrt. j¼pty, pronus sum, inclino me. ich keppe, ich kippe. Daher juv¹r incurvus. Frisch leitet es von Kopf her jQj pronus […] me] Stephanus 2, 506 || Frisch […] her] Fr 1, 515, s.v. kippen: »Für kippen findet man auch keppen und köpfen mit dem kopf, oder dem was vornen an Kopfs Statt ist, auf und nieder sich bewegen […]«. jk²fy clango, klinge. Ik. a. 46. Ejkacnam dû %qû azsto· 1pû ¥lym wyol]moio »und die Pfeile erklangen um des Zürnenden Schulter.« daher B jkaccµ der Klang. jQj clango […] a.] Sc 755, mit Verweis auf Ilias a, aber ohne Versangabe. [Bl. 61v frei]

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/62r/ J. japgkeueim, auf lateinisch cauponari, wovon caupo, copo, copa, unter welchem letztern Namen das kleine Gedicht des Virgils bekannt ist. Von diesem wollte ich unser kauffen, kauppeln, lieber ableiten, als mit Frischen von capere. Ich glaube sogar, daß auch kuppeln, Kupplerin davon herkömmt; welcher Vermuthung die alte Redensart, einen Mann ein Weib kauffen, für nehmen, welche Frisch anführt, sehr zu statten kömmt. Vielleicht, daß auch das Gewerbe einer Copa, bey welcher man eben sowohl Mädchen als Wein haben konnte, unser Kupplerin veranlaßt hat. Virgil läßt seine Copa sagen: Est hic munda Ceres, est Amor, est Bromius. Zu Danzig heißt noch izt eine Kupplerin so viel als eine Hökerin. jQj japgkeueim] Begriff auch bei Aelian, Var. hist. III, 14, an der gleichen Stelle, die Lessing s.v. pqoacyce¸a zitiert. Jakob Perizonius kommentiert, die Byzantiner »frequentabant cauponas«: vgl. Aelian 223 || cauponari] Sc 704 || Gedicht des Virgils] Ps.Vergil, Copa, aus der Appendix Vergiliana || mit Frischen von capere] Fr 1, 504: »Kaufen, kommt mit capere überein, die Nordischen Völker haben es alle mit den Lateinern gemein, als welches durch das Kaufen und Verkaufen am meisten zu ihnen gekommen, und von denen sie ihre Waaren genommen, wie man noch nehmen, für kaufen gebraucht: Wo nimmt er seine Waaren? das ist, wo kauft er sie?« || Redensart […] anführt] Fr 1, 504: »Für uxorem ducere, haben die Alten gesagt, ein Weib kaufen, heut zu Tag ein Weib nehmen.« || Est hic […] Bromius] Copa, V. 20. jÜj Est hic […] Bromius] Hier ist die schmucke Ceres, hier Amor, hier Bromius (d. h.: die Schankwirtin bietet Speisen, Liebe und Wein feil; »Bromius« ist ein Attribut des Bacchus) |||| frequentabant cauponas] verkehrten mit den Schankwirtinnen bzw. verkehrten in Schenken. [Bl. 62v frei]

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/63r/ J Jiw]y invenio, offendo. Scheinet viel Aehnlichkeit zu haben mit unserm kriegen, deßen Bedeutung es auch völlig hat. Ik. a. 26. L^ se, c]qom, jo_k,sim 1cy paq± mgus· jiwe_y Frisch leitet dieses kriegen, wenn ich mich recht erinnere, etwas sehr gezwungen von greiffen ab. jQj invenio, offendo] Sc 754 || Frisch […] ab] Fr 1, 549: »Es kommt vielem Schein nach her von greiffen, wofür man vor Alters gesagt greipen, gripen […], daraus haben einige kriepfen gemacht, und haben angefangen das k, für g zu setzen. […] Endlich ist aus gripen, greiffen, und aus diesem kreichen und kriechen worden, denn mit dem ch, sollte es eigentlich geschrieben werden.« Ähnlich Wa 884. jÜj L^ […] jiwe_y] dass ich dich, Greis, nicht hier bei den hohlen Schiffen kriege. j_y, vado, eo, unser gehe jQj vado, eo] Sc 754 || unser gehe] Wa 543. [Bl. 63v frei]

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102 /64r/ J Jyvor surdus – sterilis. Jyvor […] sterilis.] Schrift Fülleborn. jÜj Jyvor] stumpf, taub. [Bl. 64v frei]

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/65r/ K k²nir, eor, B; sortitio. und k²wor, [ÜBER DER ZEILE: t¹] sors von kacw²my, sortior; hat einige Aehnlichkeit mit unserm Loos. Frischens Bestätigung aus dem Pictorius ist dabey zu merken. jQj sortitio] Sc 865 || k²wor […] sortior] Sc 863f. || Frischens […] merken] Fr 2, 623: »k²wor, komme mit diesem Los überein, das wird bestätiget, da Pictorius das Wort Lachsner, sortilegus, bey Losser hat.« Auch Wa 995 nennt »k²wor« s.v. Los || Pictorius] Gemeint ist Josua Maaler : Die teütsch spraach: Alle Wörter, Namen und Arten zu reden in Hochteütscher Spraach, dem ABC nach ordentlich gestellt und mit gutem Latein gantz fleißig und eigentlich vertolmetscht, dergleichen bishär nie gesähen. Zürich 1561. jÜj k²nir] das durchs Los Zugefallene || k²wor] das Los, Schicksal. || kacw²my] ich erlange. ko?shor, b 5swator bey dem Suidas; auch ko¸shior, ko¸shior Bl´qa für 1swatg. hat eine große Verwandtschaft mit unserm letzte, das Frisch von lat, lateste herleitet. jQj ko?shor […] Suidas] Suidas 2, 464, s.v. ko?shor || ko¸shior […] 1swatg] Suidas 2, 464, s.v. ko¸shiom: »Ko¸shior Bl´qa, 1sw²tg« || letzte […] herleitet] Fr 1, 582, s.v. Lat: »Der Superlativus ist der Lateste, daraus ist der Letzte worden, s. letz«. Wa 968, s.v. letzt, nennt auch »ko?shor«. jÜj ko?shor, b 5swator] der Äußerste, Letzte || ko¸shior Bl´qa] der letzte Tag.

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/65v/ kail¹r, ou, b, guttus. gula. davon kail²ssy insatiabili gulæ aviditate deglutio. und kail¾ssy, gulæ ingerere cupio. Sollte unser schlemmen nicht damit einige Verwandtschaft haben? jQj guttus […] cupio] Sc 867 || schlemmen […] Verwandtschaft] Wa 1429. jÜj kail¹r] Kehle, Gurgel || kail²ssy] ich verschlinge gierig || insatiabili […] deglutio] mit unstillbarer Gier des Gaumens verschlinge ich || kail¾ssy […] cupio] ich will es der Kehle zuführen.

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/66r/ K kak´y unser lallen. jQj kak´y […] lallen] Wa 915, s.v. lallen: »Græcis kake?m est loqui simpliciter.« Fr 1, 566 jedoch: »Lallen kommt vom Laut«. jÜj |||| Græcis […] simpliciter] Bei den Griechen ist kake?m schlicht reden. kiaq¹r tepidus. Vid. Athenæus lib. II. p. 41. Ich finde dieses Wort in meinen Lexicis nicht; es kömmt aber mit unserm lau viel überein. Doch finde ich nun, daß es mit wkiaq¹r einerley ist. jQj kiaq¹r […] 41] Athenaios 41c || wkiaq¹r einerley] Sc 1746.

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/66v/ k²lpy. luceo. splendeo. Lampe. jQj luceo. splendeo] Sc 877 || Lampe] Wa 916: »Lampe, lampas, kalp±r, a k²lpy luceo«. jÜj k²lpy] ich leuchte.

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/67r/ K kan. calce, extremo pede. davon kajt¸fy, calce pulso, calcitro. Davon unser altes lecken, wider den Stachel lecken. jQj calce, extremo […] calcitro] Sc 880. jÜj kan] mit der Ferse, mit dem Ende des Fußes [stoßen, treten]. kob¹r heißt es bey dem Suidas, t¹ !jqom tou ¡tiou, jai tou Bpator, jai ta !jqa pamta. !kka juqiyr tym ¡tym to jato. So sagen wir Lappen, Läppchen, Ohrläppchen. jQj t¹ !jqom […] jato] Suidas 2, 453. jÜj t¹ !jqom […] jato] der äußere Teil des Ohres und der Leber und alle beliebigen äußeren Teile. Aber besonders das Untere der Ohrläppchen. kopor, das gleichfalls bey dem Suidas vorkömmt, und das er durch B paqajeilemg 1nyhem tou jqolluou (cepæ) kepir. Jai pam kepor, vkoior, (cortex) deqla keptom jai ngqom (siccum) ist vielleicht mit kobor einerley, und beide mit kepir, oder kepor, cortex. Daher kömmt auch kypor, to, oder kypiom, vestimentum tenue. jQj B paqajeilemg […] (siccum)] Suidas 2, 457; Lessing nutzt hier die lateinische Übersetzung, die die Edition bietet: »Kºpor. Externus cepæ cortex. Item omne tegmen, vel cortex, & pellis tenuis & sicca.« || vestimentum tenue] Sc 909. jÜj kopor] Rinde, Schale || B paqajeilemg […] ngqom] die außen liegende Schale der Zwiebel. Und jede Schale, Rinde, feine und trockene Haut || kobor] Lappen || kepir] Schuppe || kepor] Schale || kypor] die Hülle || kypiom] zartes Gewand.

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/67v/ k²pty, lambendo bibo, more canum. Vielleicht ließe sich unser Löffel davon ableiten. Denn was ist das Löffeln anders als ein leckendes Trinken? Einige Derivata kommen unserm Löffel noch näher, als: kav¼ssy, oder kavutty, avide deglutio. jQj lambendo […] canum] Sc 881 || avide deglutio] Sc 883. jÜj k²pty […] canum] ich trinke schlappend, nach Art der Hunde || kav¼ssy, oder kavutty] ich verschlinge gierig.

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/68r/ K k¶cy, desino, finem facio, ist unser legen. denn was ist legen andres, als in einem Stand der völligen Ruhe seyn? Sich legen; sich zur Ruhe begeben, aufhören zu gehn, zu stehn. ta kgcomta, fines, termini: auch in diesem Verstande brauchen wir gewißermaßen das Wort Lage. jQj desino […] facio] Sc 912 || legen. […] seyn] Wa 947; Morhof 119 || fines, termini] Sc 912. jÜj k¶cy] ich höre auf || ta kgcomta] die Ränder. [Bl. 68v bis 69 frei, Bl. 69r »K«]

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/70r/ M. limu¹r, parvus, davon lim¼hy minuo, kömmt mit dem Deutschen minder, vermindern überein. Ue?a d’ !q¸fgkom lim¼hei, ja· %dgkom !´nei Fe»r rxibqel´tgr, sagt Hesiodus (Op. & D. v. 6) jQj parvus, […] minuo] Etymologie und Synonyme Sc 1003f., auch die Hesiod-Stelle wird (verkürzt) zitiert || Ue?a […] rxibqel´tgr] Lessing lässt einen Vers aus. jÜj Ue?a […] rxibqel´tgr] leicht vermindert den Beneideten und lässt den Unscheinbaren wachsen [Auslassung], der hochdonnernde Zeus. Leq¸lma cura, studium – Pqolgh´yr pro: prudentia humana; tribuitur enim ea Prom. quatenus artium inventor dicitur. Cf. Aeschyl. Prom. vinct. Schütz Excurs. I. Leq¸lma […] Excurs. I.] Schrift Fülleborn. jQj Aeschyl. […] Excurs. I.] D.i. Aeschyli Prometheus vinctus cum scholiis Graecis et lectionis varietate in usum academiarum et scholarum. Hrsg. von Christian Gottfried Schütz. Halle 1781. jÜj Leq¸lma] Sorge, Eifer || Pqolgh´yr […] dicitur] Promethisch für : menschliche Klugheit; denn sie wird Prometheus zugeschrieben, insofern er Erfinder der Künste genannt wird. L²cor Orpheus dictus, infamiæ gratia, an honoris? Credo posterius. De Magia cf. Tiedemanni De ortu et progressu Magiæ & c. L²cor […] Magiæ & c.] Schrift Fülleborn. jQj Tiedemanni […] Magiæ & c.] gemeint ist wohl: Dieterich Tiedemann: Disputatio de quaestione quae fuerit artium magicarum origo quomodo illae ab Asiae populis ad Graecos, atque Romanos, et ab his ad ceteras gentes sint propagatae […]. Marburg 1787. jÜj L²cor […] posterius] Zauberer wird Orpheus genannt, dank übler Nachrede oder ehrenhalber? Ich glaube das Letztere. [Bl. 70v frei]

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/71r/ L lecakovqos¼mg, die Großmüthigkeit, in so fern sie in Ertheilung oder Verachtung großer Geschenke† [MARGINALIE: †und Reichthümer, wie die lecakovqos¼mg des Crates (Libr. III., var. hist. cap. 6)] besteht. Von der lecakovqos¼mg des Alexanders gegen den Phocion und des Phocions gegen den Alexander, siehe Aelianus lib. I. cap. 24 Hist. var. Nach Anleitung dieses griechischen Werks wollte ich Großmüthigkeit von Großmuth so unterscheiden, daß jenes nur die Stärke des Geistes in Verachtung der Reichthümer bedeute; da die Großmuth auch die Verachtung andrer Güter, als des Lebens, der Lust sich zu rächen, unter sich begreift. jQj Libr. III. […] cap. 6] Aelian, Varia historia, Buch III, Kap. 6 || lib. I. cap. 24] recte: Buch I, Kap. 25. [Bl. 71v bis 72 frei, Bl. 72r »L«]

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/73r/ L Lall¸am, )ttijo· tµm lgt´qa. !p¹ toO t± paid¸a lall÷m t¹ vace?m k´ceim. Suidas. Mamma. Und wir können uns daher dieses Wortes eben so wohl bedienen, als die Franzosen. jQj Lall¸am […] k´ceim] Suidas 2, 488. jÜj Lall¸am] essen, zu essen fordern || )ttijo· […] k´ceim] Die Attiker [sagen so] für Mutter. Davon, dass die Kinder zum Essen ›mamman‹ sagen. [Bl. 73v frei]

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/74r/ L le¸kiom, t¹, t± le¸kia. munera besonders aber dotalia dona. Die Wörterbücher leiten es ab von leikissy, demulceo, quod dos maritos demulceat. Unser deutsches Mahl, Mahlschatz hat viel Ähnlichkeit damit. Frischens Ableitung ist dagegen ganz lächerlich. jQj munera […] dona] Sc 966 || leikissy […] demulceat] Sc 966 || Frischens […] lächerlich] Fr 1, 634: »Es scheint, dieses Wort Mahl sey von einem Deminutivo des Verbi machen, nehmlich von macheln, wie lächeln von lachen, s. auch Mäkler.« jÜj le¸kiom] Liebesgabe, Geschenk || dotalia dona] Brautgeschenke || leikissy] ich schmeichle || quod […] demulceat] eine Gabe, die den Gatten schmeicheln soll. [Bl. 75v bis 75 frei, Bl. 75r »L«]

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/76r/ M me?jor, eor, to. contentio, lis. Das deutsche Wort necken einen, für einen plagen, kleine Streitigkeiten mit einem anfangen, glaube ich von diesem griechischen Worte mit beßern Gründen herleiten zu können, als von Nacken. me¸jea ja· d/qim av´koir jt¶las’ 1p’ !kkotq¸oir ist der ironische Rath den Hesiodus seinem Perso giebt. (Op & Di. v. 33) jQj contentio] Sc 1032 || lis] nicht bei Sc || Nacken] Fr 2, 10: »weil es einige von Nacken, cervix, herleiten, schreiben sie es näcken.« jÜj me?jor] der Streit || me¸jea […] !kkotq¸oir] du wirst vermehrt Streit und Kampf um andere Besitztümer beginnen. mev´kg*, [MARGINALIE: von to m´vor. nubes. Von diesem; x´vor, tenebræ, obscuritas; oder vielmehr es ist das nemliche Wort härter ausgesprochen.] nubes, hat mit unserm Nebel eine sehr große Verwandtschaft. Und was ist der Nebel anders als eine niedrige Wolke. mevekgceq´tgr (1ce¸qy excito) ist das Beywort welches Hesiodus dem Zeus giebt (Op & D. v. 99. jQj nubes] Sc 1042 || tenebræ, obscuritas] Sc 1773 s.v. x´vor, aber ohne einen Zusammenhang zu m´vor herzustellen || nubes […] Verwandtschaft] Wa 1129; Fr 2, 10, s.v. Nebel: »Nebel ist vom Lat. nebula, und dieses von mev´kg, nubis« || excito] Sc 417. jÜj mev´kg] Nebel, Wolke || to m´vor] Wolke || x´vor] Dunkel, Dunst || mevekgceq´tgr] Wolkensammler. mºsor, morbus wovon das Verbum mose?m. Sollte man nicht in diesem Worte das verlorene Grundwort unsers deutschen genesen, von einer Krankheit hergestellt werden, vermuthen dürfen? – Bey dem verbo mose?m ist ein schöner Germanismus zu merken mose?m 1p· ham²ty auf den Tod krank seyn. Ael. var. hist. lib. VIII. cap. 14. jQj morbus] Sc 1055 || wovon […] mose?m.] die etymologische Beziehung bei Sc 1055. jÜj mºsor] Krankheit. m/stir, eyr, b & B jejunus und m¶vy sobrius sum, hat mit unserm nüchtern wenigstens eben so viel Verwandtschaft als dieses mit nocturnus, wovon es Frisch herleiten will. jQj jejunus] Sc 1046 || sobrius sum] Sc 1047 || nocturnus […] will] Fr 2, 23: »Nüchtern, kommt vom Lateinischen nocturnus von der Mönchen-Andacht, die zu Nacht und im Winter, da es noch Nacht ist in die Kirche gehen, da sie zuvor nichts gegessen noch getrunken.« So auch Wa 1152. jÜj m/stir] nüchtern || m¶vy] ich bin nüchtern. [Bl. 76v frei]

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128 /77r/ M. Mot·r, idor, B die Nässe. motiny, ich nätze. jQj Mot·r […] nätze] beides bei Wa 1126f. [Bl. 77v bis 80 frei, recto jeweils »M«]

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130 /81r/ N ngq¹r, ou, o, aridus hat einige ähnlichkeit mit unserm dürr. jQj aridus] Sc 1067. jÜj ngq¹r] trocken. [Bl. 81v bis 83 frei, recto jeweils »N«]

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/84r/ O apµ, g, foramen. Von offen oder wie es im Plattdeutschen lautet: open. Die Grammatici leiten es von eptolai ab, weil man durch das Loch sehen kann. Wir haben eine ähnliche Ableitung im Deutschen: nehmlich das Wort Lücke von lucken Eben dieses apg sagten die Griechen auch für vulva, so wie wir Loch, welches aus dem Worte boqb¹qopg (quod in meretricem jactatum est ab Hipponacte. Scapula) zu ersehen ist: quasi boqboq¾dg tµm apµm 5wousa. (bºqboqor, ou, b. coenum, limus) Mit einem Worte Dreckloch jQj foramen] Sc 1113 || Grammatici […] kann] Sc 1113: »Derivatum creditur ab eptolai, ut Poll. lib. 2. testatur, quia ceu per foramen visus exit.« Gemeint ist das Lexikon (Onomastikon) des Iulius Pollux || Lücke […] lucken] Fr 1, 626: »Lücke, wird bey vielen auch nur Lucke ausgesprochen, es kommt von Loch.« || dieses apg […] vulva] so nicht bei Sc || boqb¹qopg […] 5wousa] Sc 1113: »boqboqºpg, in meretricem jactatum est ab Hipponacte, quasi boqboq¾dg tµm apµm 5wousa.« Hipponax von Ephesos, gr. Satiriker des 6. Jhs.; die zitierte Wendung wird von der Suda überliefert (s.v. Mysachne) || bºqboqor […] limus] Sc 262. jÜj apµ] Loch || eptolai] ich sehe || boqb¹qopg […] Hipponacte] ›Dreckloch‹, das von Hipponax der Hure entgegengeschleudert wird || quasi […] 5wousa] gleichsam ›ein schmutziges Loch haben‹ || bºqboqor] Schlamm, Schmutz. elvajer de immatura ætate. Cf. Theocr. Idyll. XI. 21. Sic cruda Senectus Virg. elvajer […] Virg.] Schrift Fülleborn. jQj Virg.] Die Stelle findet sich Aeneis VI, 304. jÜj elvajer] [als Subst.:] unreife Weintrauben; [als Adj. im Pl.:] unreife || de […] Virg.] ›unreifen Alters‹. Vgl. Theokrit, Idyllen XI, 21. So ›rüstiges Greisenalter‹ [bei] Vergil. olpmior opimus, opulendus, quidquid ad fruges pertinet. inde cognomen Cereris, ubi lat. alma ab alo. Jaqpou bykor olpmu. tqovor frumentum. olpmior […] frumentum.] Schrift Fülleborn. jQj Jaqpou […] tqovor] Zitat aus einem Vers Moschions aus der Anthologie des Stobaios (I 8, 38). Die Lesung ist unsicher, die Wendung lautet dort: »jaqpoO b_kor alpm¸ou tqºvor«. jÜj olpmior […] alo] reich, wohlgenährt, zur Nahrung aus Feldfrüchten gehörig. Daher der Beiname der Ceres, wo es im Lateinischen ›alma‹ [nährend] heißt von ›alo‹ [ich nähre]. || Jaqpou […] tqovor] Die Erdscholle [ist] die Amme des Getreides. || frumentum] Getreide. [Bl. 84v frei]

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/85r/ O avhaklor. So wie wir sagen, die Augen auf etwas werffen, so sagt auch der Grieche: t½ avhakl½ paqab²keim [sic!] eQr ti. Aristoph. Equit. v. 173. 9ti mOm t¹m avhakl¹m paq\bakkû 1ir Jaq_am tom deniom, t¹m dû 5teqom [sic!] eQr Jaqwgd|ma. jQj 9ti […] Jaqwgd|ma] Aristophanes 366 (Vers 173 der Ritter), hier richtig »6teqom«; vgl. zu der Stelle im Abschnitt »Lessings Quellen«, s.v. Aristophanes, S. 200 der Edition. jÜj avhaklor] Auge || 9ti […] Jaqwgd|ma] Wirf dein rechtes Auge nach Karien / und dein linkes nach Karthago [d.i. schaue mit dem rechten nach Karien, mit dem linken nach Karthago]. [Bl. 85v bis 89 frei, recto jeweils »O«]

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/90r/ P. p¸hor, ou, b. dolium. das deutsche Butte oder Botte, wovon Böttcher oder Büttner )kk± cumµ weiqessi p¸hou leca p_l’ !vekoOsa Esj´dase sagt Hesiodus von der Pandora. (Op & Di. v. 94) jQj dolium] Sc 1245, mit abweichendem Verweis auf Hesiod || Butte] Wa 236. jÜj p¸hor] das Faß || )kk± […] Esj´dase] aber die Frau, die den großen Deckel des Gefäßes mit den Händen abgehoben hatte, / verstreute. pºmor, ou labor. Unser Pein, welches pºmor auch eigentlich nicht selten bedeutet. Oder vielmehr unser Pein heißt bey den Alten öfters soviel als Mühe und Arbeit, daher es wohl von pºmor beßer abgeleitet wird, als mit Frischen von poena. ®r te heo· d’ 5fyom, !jgd´a hul¹m 5womter, Mºsvim %teq te pºmym ja· aif¼or — — sagt Hesiodus von den Menschen aus dem güldnen Zeitalter (Op & D. v. 112.) jQj labor] Sc 1221 || Pein] Wa 1186: »A Græc. pºmor« || Frischen […] poena] Fr 2, 43: »Pein, f. vom Lat. pœna«. jÜj ®r […] aif¼or] Sie lebten wie Götter, hatten ein sorgloses Gemüt, / ihr Geist war frei von Mühe und Jammer. p´lla, to von p´pty coquo, war eine Art Kuchen, die aus Honig und Käse und andern Ingredienzien gemacht wurden; welches aus einer Stelle des Aelianus zu ersehen (Var. hist. III. 20) Unsre deutschen Bamme, Butterbamme stammet gewiß davon ab, und Frischens Ableitung ist kindisch und lächerlich. Von pepty ist auch unser Pappe, Brey ; welches im Niedersächsischen auch Pimpe ausgesprochen wird. jQj von p´pty coquo] Sc 1225 mit Etymologie und Synonym || Frischens […] lächerlich] Fr 1, 54: »von den kleineren Glöcklein braucht man Bim Bimp, s. Bim. / Es scheint das Wort Butter-Bämmel kommt vom Scherz der Mütter, die den Kindern das Stück Butter-Brod so sie ihnen geben, groß zu machen, es mit einer Glocke vergleichen; wie die Stücke so um das halbe Brod geschnitten sind, vorstellen. Oder, vom Holländischen Boter-Am, welches eben so viel ist, als Butter-Bamme.« jÜj p´lla] der Kuchen || p´pty] ich koche. p_kor, ou, ein Füllen. Warum Plato den Aristoteles so genannt, siehe Aelianus Hist. var. lib. III. cap. 9. Oder Fohlen. jQj Warum […] genannt] Vgl. Aelian, allerdings Buch IV, Kap. 9: weil ein Füllen nach seiner Mutter ausschlägt, sobald es von der Milch entwöhnt ist; Platon wirft Aristoteles Undankbarkeit vor.

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/90v/ pqoacyce¸a lenocinium. Ich hätte Lust von diesem Worte das französische cocu abzuleiten. Aelian sagt von den Byzantinern, daß sie ihre Häuser an Fremde vermietheten, und für ihre Person in die Wirthshäuser zögen; und mit den Häusern auch wohl ihre Weiber den Fremden vermietheten: ¢r 1m taut` to»r Bufamtio¼r dipk/m !it¸am v´qeshai, ja· oQmovkuc¸ar (temulentia / vk¼y, ferveo, bullio, eructo) ja· pqoacyce¸ar. Auch Cicero soll das Wort brauchen Epist. ad Att. lib. I. jQj lenocinium] Stephanus 1, 85; Sc 35 || ¢r […] pqoacyce¸ar] Aelian, Var. Hist. III, 14 || temulentia] Sc 1684: »temulentus« || ferveo, […] eructo] Sc 1683 || Cicero […] lib. I.] Stephanus 1, 85: »Cicero introductiones mulierum atque adolescentulorum nobilium appellauit pqoacyce¸ar, Epist. ad Attic. lib. I.« || Epist. […] lib. I.] Briefe an Atticus, Buch I, 16, 5. jÜj pqoacyce¸a] Kuppelei || ¢r […] pqoacyce¸ar] wie in diesem die Byzantiner eine doppelte Schuld bei sich tragen, sowohl der Trunkenheit als auch der Kuppelei |||| Cicero introductiones […] pqoacyce¸ar] Cicero bezeichnet das Zuführen von Frauen oder jugendlichen Adligen als pqoacyce¸a. p}qcor, ou, b turris. Mit diesem Worte kömmt unser Burg überein. Bergen ist von Burg; nicht aber umgekehrt, wie Frisch meint Sophocles in Ajace. v. 158. oR slijqo· lec\kym wyq·r, Svakeq¹m p}qcou NOla pekomtai. jQj turris] Sc 1342 || Burg überein] Wa 231: »Vox Græca p¼qcor turris, non est mater, sed soror originis, ut patet ex radice bergen«; Morhof 93 || Frisch] Fr 1, 155: »Burg, […] Da man sich bergen kann«; Lessing widerspricht auch Wachters vorher zitierter Auffassung, dieser hält ›bergen‹ ebenfalls für älter als ›Burg‹. jÜj p}qcor] der Turm, die Burg || oR […] pekomtai.] Doch die Schmächtigen, von den Großen getrennt, / Werden für den Turm ein wankender Schutz. |||| Vox […] bergen] Das griechische Wort p¼qcor Turm ist nicht die Mutter, sondern die Schwester des [deutschen] Ursprungswortes, wie aus der Wurzel bergen hervorgeht. p²kg, g. lucta, davon paka¸y, pakaistqa. Ich stehe nicht einen Augenblick an, unser balgen, oder wie wir es demnach beßer schreiben sollten, palgen davon abzuleiten. jQj davon […] pakaistqa] Sc 1178. jÜj p²kg] der Ringkampf || paka¸y, pakaistqa] ich ringe, Ringplatz. pa?r, puer hiervon leitet Stephanus das französische Page, welches wir auch im Deutschen für Edelknabe angenommen haben, ab. jQj puer] Sc 1174 || Stephanus […] Page] Stephanus 3, 6: »Hanc autem nominis pa?r significationem habet Gallicum vocabulum, primas Græci literas retinens, Paie, sed in eo litera i est consonans. idejque vulgus scribit etiam Page.« jÜj pa?r] Knabe |||| Hanc […] Page.] Auch das französische Wort hat die Bedeutung des Begriffes pa?r, die ersten Buchstaben des Griechischen beibehaltend, Paie, aber in ihm ist der Buchstabe i ein Mitlaut. Daher schreibt die Volkssprache auch Page.

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/91r/ P. pqyjtor, b, anus, podex, Frisch sagt: Bruch, Brock, sofern es Beinkleider bedeutet kömmt mit dem Sclavonischen Brucha venter überein. Eben so, und noch eher, wollte ich sagen: Brock kömmt mit dem Griechischen pqyjtor überein. jQj anus, podex] Sc 1327 || Frisch […] überein] Fr 1, 143. jÜj pqyjtor] der Hintern || venter] Bauch. pgcm¼y, compingo, ist mit unserm pichen verwandt: das also Pech jede Materie heißen würde, wodurch zwey Körper mit einander verbunden werden. Doch kömmt dieses pgcmuy, und das davon abstammende pajtay compingo, auch mit unserm packen, zusammenpacken überein. Und so wie pgnir, B, coagmentatio, auch so viel als glacies heißt, so viel als pgcar, ador, B,: so dürfte vielleicht auch unser packen, in dem Verstande des Gefrierens, damit verwandt seyn. denn man sagt in der gemeinen Sprache: es packt rechtschaffen, für, es friert rechtschaffen. jQj pgcm¼y, compingo] Sc 1237 || Doch […] überein] Wa 1178f.: »Vox Saxonica videtur nos ducere ad verbum Græcum pgcm¼y vel Doricum p¶cy stringo, unde Latinis compingo« || pajtay compingo] Sc 1238 || coagmentatio […] glacies] Sc 1238: »Exponitur, & glacies, apud Plut. de primo frig.« Gemeint ist Plutarchs Schrift De primo frigido || pgcar] Sc 1238: »pgc²r, ²dor, B, glacies« || packen […] seyn] Fr 2, 36: »Packen von pango, pucm¼y, compingo, compages.« jÜj pgcm¼y] ich füge zusammen || pajtay] ich verstopfe || pgnir] Befestigung || pgcar] Reif |||| Vox […] compingo] Das sächsische Wort scheint uns zum griechischen Verb pgcm¼y oder auf das dorische p¶cy ›ich ziehe zusammen‹ zu führen, woher bei den Lateinern ›ich füge zusammen‹. || Exponitur […] frig.] Auch Eis wird so bezeichnet, bei Plut. de primo frig. [Bl. 91v frei]

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/92r/ P pme¼lata h. l. fsa pm]ei, seu ut Homerus ait, Il. q. 447. fssa te ca?am 5pi pme_ei te ja· 6qpei. pme¼lata […] 6qpei.] Schrift Fülleborn. jQj Homerus ait, Il. q. 447] d.i. Gesang 17, V. 447 jÜj pme¼lata […] 6qpei] Lebewesen, lies hier [hic legas] das, was atmet, oder wie Homer in Il.[ias] [Kap.] q. [Vers] 447. sagt: was auf Erden atmet und kriecht. pme¼lata bqºteia ipsi bqoto¸, homines. pme¼lata […] homines.] Schrift Fülleborn. jÜj pme¼lata […] homines] sterbliche Lebewesen, eigentlich Sterbliche, Menschen. [Bl. 92v frei]

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/93r/ P. pqop´lpeim ducere, (in Orcum) uti pqoz²pteim apud Hom. Il. a. pqop´lpeim […] Il. a.] Schrift Fülleborn. jQj Hom. Il. a] pqoz²pteim: Ilias, Gesang 1, V. 3.; pqop´lpeim: Ilias, Gesang 1, V. 442. jÜj pqop´lpeim […] Il. a] schicken, (in den Orkus) wie auch voraussenden bei Hom. Il. a. [Bl. 93v bis 96 frei, recto jeweils »P.«]

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/97r/ Q. N¶ssy oder N¶cmuli frango. reissen. Hesiodus hat davon %MNgjtor infractus. (Op. & D. v. 96.) [MARGINALIE: daher to N²jor ein zerrißnes Kleid, N²jg, Lumpen Soph. Phil. v. 39.] jQj frango] Sc 1365 || reissen] Fr 2, 108: »Reissen kommt mit N¶ssy überein, und mit N¼y«. So auch Wa 1273 || daher to N²jor] Sc 1366 die etymologische Beziehung. || Soph. Phil. v. 39] Sophokles, Philoktet, V. 39. jÜj N¶ssy] ich reiße || %MNgjtor] unzerreißbar. Nôstymg, laboris levamentum, & Nôstym]uy, langueo otio, welches von Nøstor, dem vermeintlichen Superlativo von N²dior facilis herkommen soll; ist das eigentliche deutsche rasten, welches Frisch zu einem Contracto aus reisete machen will. Das Verbum kömmt bey dem Aeliano vor (Var. hist. lib. II. cap. 5) jQj laboris […] otio] Sc 1351 || welches […] herkommen soll] so die Einordnung in Sc 1351, s.v. N²dior || ist […] rasten] Wa 1238 || Frisch […] will] Fr 2, 88: »Die Derivation wozu Pict. Anlaß gibt, daß das Wort Rest oder Rast von reisete zusammen gezogen, ist sehr wahrscheinlich.« ›Pict.‹ ist Josua Maaler: Die teütsch spraach: Alle Wörter, Namen und Arten zu reden in Hochteütscher Spraach, dem ABC nach ordentlich gestellt und mit gutem Latein gantz fleißig und eigentlich vertolmetscht, dergleichen bishär nie gesähen. Zürich 1561. jÜj Nôstymg] Erleichterung || Nôstym]uy] ich bin müßig || Nøstor] der leichteste || N²dior] leicht. Na¸my perfundo, aspergo. Ist unser deutsches regnen; wie denn auch der gemeine Mann, wenn er sagt: es regnet, das g wenig hören läßt, sondern mehr sagt es renet. Frisch wie mich dünket führet bey regnen bqewy, madefacio, bey weitem nicht so gut an; Stephanus leitet qa¸my von N´y fluo ab. Von Na¸my kömmt Namtgq, /qor b perfusor, und so heißt der Ort in den Augen, ex quo lacrymæ veniunt. der Thränenwinkel. Und ist es nicht wahrscheinlich, daß selbst unser Thränen mit diesem Na¸my eine Verwandtschaft hat. jQj perfundo, aspergo] Sc 1351 || Ist […] regnen] Wa 1260 zitiert die von einigen vertretene gr. Etymologie || Frisch […] gut an] Fr 2, 101: »Damit kommt das Latein. rigo und Griechische bq´wy, überein.« || madefacio] Sc 272 || Stephanus […] ab] Stephanus 3, 691 || Von […] perfusor] Etymologie und Synonym Sc 1351 || ex […] veniunt] Stephanus 3, 691: »Locus in oculis ex quo lacrymæ manant.« jÜj Na¸my] ich besprenge || bqewy] ich benetze || N´y] ich fließe || Namtgq] Benetzer, vorderer Augenwinkel || ex […] veniunt] aus dem die Tränen kommen. [Fortsetzung der Transkription auf S. 149]

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[Faksimile auf S. 147] N´y, [ÜBER DER ZEILE: wenn es soviel heißt als fluo] ist unser rinnen. davon Na¸my wie von rinnen, renen oder regnen. Von renen, Thräne oder Zäre. jQj wenn […] fluo] Einschub in derselben Tinte wie das folgende Lemma || fluo] Sc 1359 || ist unser rinnen] Fr 2, 122: »Die verwandten Sprachen behalten, vom Gothischen an, das Verb. rinnen. Es kommt mit dem Griechischen q´eim überein« || davon Na¸my] Etymologie bei Stephanus 3, 691. jÜj N´y] ich fließe. qey wenn es soviel geheißen als dico (woraus 1qey geworden) ist unser reden. jQj qey […] geworden] Sc 1359: »M´y, dico, loquor. (Ex quo factum videri queat t¹ 1q´y […]).« || ist unser reden] Fr 2, 99: »Reden kommt vom Griechischen Verbo M´y, dico, und dem Lat. reor, ratus sum, ratio.« jÜj Mey] ich sage || 1qey] ich sage |||| (Ex quo […] 1q´y)] woraus [das Wort] t¹ 1q´y gemacht zu sein scheint. [Bl. 97v frei]

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/98r/ Q Nuss¹r, qussºtgr, rugosus, rugositas, a N¼y traho. Runzlich Nuss± t± lµ tetal´mom 5womta t¹ deqla ja· ke?om. Schol. ineditus in Paulum Silentiarium. jQj Nuss¹r […] traho] Sc 1376 || Nuss± […] Silentiarium] Paulus 158: dort »N¼ssa« statt »Nuss±«. jÜj a N¼y traho] von N¼y ich ziehe || Nuss± […] Silentiarium] Runzelig ist, was eine Haut hat, die nicht gestrafft und glatt ist. Unedierte Scholie zu Paulus Silentiarius.

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/98v/ N¼cwor, sagt das Lexicon wurde eigentlich von Schweinen gesagt; und in diesem Verstande käme es unserm Rüssel nahe. Aber der unged. Scholiast des Paulus Silentiarius sagt, N¼cwor 1p· jum¹r bpeq 1p· t_m aqm´ym Nalvor. jQj N¼cwor, sagt […] gesagt] Sc 1374: »Proprie de porco dici, tradit Athen. I. 3.« Gemeint ist Athenaios, Gastmahl der Gelehrten || Lexicon] gemeint ist Scapula || Scholiast […] Nalvor] Paulus 158; dort »fpeq« und »N²lvor«. jÜj N¼cwor] Schnauze, Rüssel || N¼cwor 1p· […] Nalvor] Schnauze beim Hund wie der gebogene Schnabel bei den Vögeln. [Bl. 99 frei, recto »Q«]

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/100r/ Q N¼pty, a Nupor sordes, purgo. reiben jQj sordes] Sc 1375, s.v. »N¼por« || purgo] Sc 1375, s.v. »N¼pty«. jÜj N¼pty […] purgo] [sinngemäß übersetzt:] N¼pty, das von Nupor Schmutz [herkommt], [bedeutet] ich säubere. [Bl. 100v frei]

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/101r/ S sjoki¹r, tortuosus, obliquus. Dieses Wort hat viel Gleichheit mit dem Deutschen schiel, schielen, und was ist das Schielen anders als visus obliquus. Ueia d³ t’ Qh¼mei sjoki¹m, ja· !c¶moqa j²qvei Feur, sagt Hesiodus (Op. & Di. v. 7) jQj tortuosus, obliquus] Sc 1421. jÜj sjoki¹r] schief || visus obliquus] schiefer Blick || Ueia […] Feur] Leicht richtet auf den Geknickten und demütigt den Übermütigen / Zeus. sjed²y oder sjed²mmuli. dissipo. das deutsche schütten kömmt mit diesem Worte näher überein, als mit w´y welches Frischs Vergleichung ist. Eine Stelle von diesem Worte siehe unter p¸hor. jQj dissipo] Sc 1406 || das […] überein] so auch Wa 1477 || w´y […] ist] Fr 2, 237: »Schütten, fundere, und was Gleichnüß-weise also gebraucht, komt mit dem Griechischen w´y […] überein« || p¸hor] vgl. Bl. 90r. jÜj sjed²y] ich zerstreue, verschütte || w´y] ich gieße. stem¹r, arctus, angustus. wovon st´my oder stemaw¸fy, gemo, unser stehnen oder stönen stemºeir, emtor, gemebundus. oXsim -qgor =qc’ 5leke stomºemta, ja· vbqier sagt Hesiodus von den Menschen des ehernen Zeitalters. (Op. & D. v. 145) Die stönende Arbeit des Mars würde auch im Deutschen nicht übel gesagt seyn. jQj arctus […] gemebundus] Sc 1459f. jÜj stem¹r] eng || stemºeir] stöhnend, seufzerreich || oXsim […] vbqier] am Herzen lagen ihnen nur die stöhnende Arbeit des Ares und Gewalttaten. st´cy, tego, operio wovon st´cg, g, tectum das Dach. Wir haben das Wort Stege, Hünerstege, welches ich lieber von diesem stecg als von steigen ableiten wollte. paqekhe?m eQr st´cgm tim¹r unter eines Dach gehen sagt Aelianus (Var. hist. lib. IV. cap. I) jQj tego […] tectum] Sc 1450 || Stege […] wollte] so aber Fr 2, 326, s.v. Steg: »von steigen, ire, vadere«. jÜj st´cy] ich bedecke. st¶kg, g. columna, cippus. Unser Stiel, welches auch eine Säule, einen Pfahl bedeutet. Auch unser Stiel, manubrium hat im

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/101v/ hat im Griechischen ein Wort, das ihm sehr gleich ist, nemlich jQj columna, cippus] Sc 1465 || Stiel […] bedeutet] Fr 2, 335, s.v. Stiel. jÜj st¶kg] Säule. steikeom, to. securis manubrium. Frisch sagt steikeor j Die griechischen Lexica erklären es, quod nimirum t0 steikeiø immittitur. steikei± aber erklärt Eust. durch bpµ deû Hr st´kketai t¹ 1lbakkºlemom n¼kom. Diese Ableitung aber wird durch unser deutsches Stiel sehr verdächtig. jQj securis manubrium] Sc 1455 || Frisch sagt steikeor] Fr 2, 335: »Stiel, (steikeor)« || steikei± […] n¼kom] alles bei Sc 1455 || Eust.] d.i. Eustathius, Commentarii in Homeri Odysseam. jÜj steikeom] Stiel der Axt || quod […] immittitur] was in t0 steikeiø [das Öhr der Axt] eingeführt wird || bpµ […] n¼kom] die Öffnung, in die das einzufügende Holz eingesetzt wird. sj¼kom, to ist eben das was s¼kom, spolium, præda. Jenes bedeutet auch besonders pellis feræ alicui detracta. Und Scapula sagt hiezu In eadem significatione legitur & sjukor in Epigr. quod et de corio, quo vestitur castaneæ nucis caro, dicitur apud Nic. in Alexiph. In dieser letzten Bedeutung ist es unser Schale. Und es ist mir wahrscheinlich, daß auch Schild von Schale abzuleiten; oder das beyde Worte anfangs eines gewesen. Daher sjuk´uy oder sukeuy oder sukay spolio, spolia detraho. Aelianus erzehlet unter den Lacedemonischen Gesetzen: nti oqj 1n/m !mdq· K²jymi oqd³ sjukeOsai t¹m pok´liom; ihn auszuschälen gleichsam. jQj sj¼kom […] præda] Sc 1487 s.v. sjOkom || Jenes […] Alexiph.] Sc 1487 || Nic. in Alexiph.] Nikanders medizinisches Lehrgedicht [nicht Epigramm] Alexipharmaka, bezieht sich auf V. 270 || spolio, spolia detraho] Sc 1487 || Aelianus] Var. hist. VI, 6. jÜj sj¼kom] Tierhaut, Rüstung, Kriegsbeute || pellis […] detracta] die einem wilden Tier abgezogene Haut || In eadem […] Alexiph.] In der gleichen Bedeutung wird auch sjukor in dem Epigramm bei Nikander in den Alexipharmaka gelesen, in dem auch von der Haut die Rede ist, in die das Fruchtfleisch der Kastaniennuss eingehüllt ist || sjukeuy] den getöteten Feind der Rüstung berauben || nti […] pok´liom] dass es dem Spartaner nicht erlaubt war, den Feind der Rüstung zu berauben. sv²kky, everto, prosterno, ist unser fallen. jQj everto, prosterno] Sc 1495. jÜj sv²kky] ich werfe zu Boden.

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/102r/ S sw´tkior, miser, noxius, klingt mit dem deutschen schädlich sehr überein. J l³m c±q pºkelºm te jaj¹m ja· d/qim avekkei Swetkig. sagt Hesiodus von der bösen Eris (Op. & di. v. 14. 15.) jQj miser] Sc 1502 || noxius] nicht bei Sc; Wa 1366, s.v. schædlich: »noxius« als lat. Synonym || klingt […] überein] Wa 1366: »Græcis miro consensu sw´tkior«. jÜj sw´tkior] grausam, verderblich || J […] Swetkig] diese [Eris] aber mehrt schlimmen Krieg und Kampf, / die Grausame |||| Græcis […] sw´tkior] Bei den Griechen in erstaunlicher Übereinstimmung sw´tkior. speqwy, festinare facio, ich treibe an. Wenn unser Spor, sporen nicht davon herkömmt: so ist es doch leicht dabey zu merken. Das spornen vor Alters überhaupt stoßen bedeutet, wäre dieser Verwandtschaft nicht entgegen jQj spornen […] bedeutet] Fr 2, 305: »Spornen hieß vor Alters stossen. s. Schilters Gloss. Teuton.« Gemeint ist das Glossar in Bd. 3 von Johann Schilter: Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, Ulm 1727–28. [Bl. 102v frei]

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/103r/ S. spe¼dy, festino, ist das platt deutsche sputen. jQj festino] Sc 1442. jÜj spe¼dy] ich treibe an, ich spute mich. st²wur, oor, b spica ist unser Stachel. In den Persern des Aeschylus v. 823. vbqir c±q 1namhousû 1j\qpyse st\wum -tgr Nam contumelia herbescens fert spicam Damni. jQj spica] Sc 1449 || unser Stachel] Wa 1577 || Nam […] Damni] Lat. Übs. aus Aischylos 283. jÜj vbqir […] -tgr] denn blühender Hochmut bringt den Stachel der Verblendung hervor. st´aq, ator, to. sebum, oleosa et pinguis substantia, adipe siccior. vielleicht unser Schmeer. jQj sebum […] siccior] Sc 1450. jÜj st´aq] Talg, Tran || sebum […] siccior] Talg, ölige und fette Substanz, trockener als Schmalz. [Bl. 103v frei]

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/104r/ S. ste¸by calco heißt nicht [?] oft so viel als constipo, desgleichen st¼vy adstringo, welches nicht selten die nehmliche significationem densandi hat, und die vielleicht beyde ein Wort ihrem Ursprunge nach seyn, kommen mit unserm stopfen sehr überein. Doch auch in der Bedeutung calcandi kommt das steiby mit unserm stopfen und dem davon abgeleiteten stampfen überein. jQj ste¸by […] constipo] Sc 1451, aber ohne Bezug auf st¼vy || st¼vy adstringo] Sc 1485, aber ohne Bezug auf ste¸by || welches […] hat] Sc 1450 || steiby […] stopfen] Fr 2, 340: »Stopfen von st¼vy«. jÜj ste¸by] ich trete || constipo] ich dränge fest zusammen || st¼vy] ich ziehe zusammen || significationem densandi] die Bedeutung ›verdichten‹. [Bl. 104v bis 106 frei, recto jeweils »S«]

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/107r/ T. te¼wea, arma; kömmt bey dem Hesiodus öfters vor (als Op & D. v. 149) das Wort hat eine merkliche Ähnlichkeit mit unserm Degen, welches ohne Zweifel die ersten Waffen waren, ehe man noch die Schutzwaffen, als Panzer und dergleichen, welches teuwea bey dem Hesiodus eigentlich bedeutet, erfand.# [MARGINALIE #Von te¼wy fabricor, daher teOwor, eor, to vas als der Singularis, und te¼wea weiter nichts als instrumenta bellica heißen können.] jQj #Von […] können] dieser Zusatz: Sc 1545, s.v. teOwor. jÜj te¼wea] Rüstung, Waffen || te¼wy] ich verfertige || teOwor] Geschirr, Gerät || instrumenta bellica] Kriegsgeräte. tºkla, gr, B audacia. tokl²y, tºklgla ausum. Unser deutsches toll, welches sehr oft mit kühn verbunden wird. So heißt auch, wie der Spate noch anmerkt, ein toller Teufel bey uns weiter nichts als temerarius homo, als toklgtµr, und eine tolle Hummel, inverecunda, procax mulier. jQj audacia […] ausum] Sc 1575 || Unser […] homo] Stieler 2, 2283: »Er ist ein toller Teufel / audax, confidens, temerarius homo est.« || Spate] Gemeint ist [Kaspar Stieler:] Der Teutschen Sprache Stammbaum […], Nürnberg 1691 || tolle […] mulier] Stieler 2, 2283: »Sie ist eine tolle Hummel / inverecunda, temeraria, proterva, & procax est mulier«. jÜj tºkla] die Kühnheit || tokl²y] ich erkühne mich || tºklgla] Wagnis || toklgtµr] Wagehals || inverecunda […] mulier] eine unverschämte, freche Frau |||| audax […] est] er ist ein kühner, dreister, verwegener Mann || inverecunda […] mulier] sie ist eine unverschämte, verwegene, schamlose, freche Frau. tq¸by, tero, contero. Wirft man das t weg, so bleibt unser reiben übrig. das Substantivum davon tq¸lla, to, quod tritum est, ist offenbar unser Trümmer. tq¸by und tq¸lla ist aber eben das was im Griechischen auch hq¼pty frango und hq¼lla fragmentum geschrieben wird. Von diesem hq¼pty leiten auch die Lexica tquvµ, g, deliciæ luxus her, wo das h wieder zum t wird. jQj tero, contero] Sc 1600, aber ohne Verweis auf hq¼pty || reiben] Fr 2, 102: »Tq¸beim, Belg.[isch] ryven, tero, trivi, frio, kommt mit reiben überein.« Wa 1261 || tq¸lla […] tritum est] Sc 1600, aber ohne Verweis auf hq¼lla || im Griechischen […] geschrieben wird] Wa 1723 verweist s.v. trumm: »hq¼lla est frustum, a hq¼pty frango.« || frango] Sc 618 || fragmentum] Sc 618 || Von diesem […] luxus her] Sc 618. jÜj tq¸lla] das Geriebene || hq¼pty] ich zerreibe, ich zerbreche || hq¼lla] das Abgeriebene, das Bruchstück || tquvµ] Schwelgerei |||| »hq¼lla […] frango.«] hq¼lla meint Brocken, von hq¼pty ich zerbreche. tq¸bokor, ein Kraut mit einer stachlichten Frucht, das auch im Lateinischen tribulus heißt. Virg. Georg. I. v. 153. Hernach heißen auch tq¸bokoi Fußangeln. Desgleichen, wie Martin in seinen Anmerkungen über die Georgica sagt: ein Instrument, das man im Kriege braucht die Pferde scheu zu machen. Das Register des Scapula

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/107v/ sagt: in frænis sunt quæ lupatis adduntur ut sua asperitate equos oris durioris coerceant. und citiert Poll lib. I. – Könnte man nun von diesem tq¸bokor nicht unser tribuliren herleiten, welches Frisch von tributum kommen läßt? tq¸bokor weil es tqe?r bok±r, drey Zacken hatte. die erste Sylbe wie alle Composita aus tqe?r ist kurz. Lappæque tribulique – Virg. l. c. Tribulum hingegen oder tribula das Instrument welches die Alten zum Korndreschen brauchten hat die erste Sylbe lang tribulaque, traheæque – Virg. G. I. 164. weil es von tq¸by ich dresche herkömmt. Und von diesem tribula ließe sich gleichfalls unser tribuliren ableiten. jQj Desgleichen […] zu machen] Stelle siehe unten || Das Register […] lib. I.] Sc 240; »Poll.« meint das Lexikon (Onomastikon) des Iulius Pollux || tribuliren […] läßt] Fr 2, 387: »Vom Latein. tributum.« || weil es […] hatte] Vergil 53f. heißt es zur nachfolgend zitierten Wendung aus Georgica I, 153: »Tribulus ist ein Kraut mit einer stachlichten Frucht, die häufig in Italien, und in andern heißen Ländern wächst. Es ist auch der Name eines Instrumentes, das man im Kriege brauchet, die Pferde scheu zu machen. Dieses Instrument hat tqe?r bok±r, drey Stacheln, daher es den griechischen Namen tq¸bokor hat.« || die erste Sylbe […] dresche herkömmt] Vergil 56 zur zweiten der angezogenen Stellen; Kommentar zu tribula: »Tribulum wird von tq¸by, dreschen abgeleitet. Daher können wir sehen, woher die erste Sylbe von Tribulum lang; und die von dem Worte Tribulus kurz ist. Ich habe bey dem 153. Verse bemerket, daß Tribulus, der Name einer Pflanze und eines Instrumentes, welches man im Kriege brauchte, den Namen daher nimmt, weil es tqe?r bok±r, drey Zacken, hat. Nun aber haben die Wörter, die mit tqe?r zusammengesetzet werden, die erste Sylbe kurz; als tq¸pour«. jÜj tq¸bokor] Burzeldorn || in frænis […] coerceant] Es gibt Zügel, denen Stachel hinzugefügt werden, damit sie durch ihre Rauheit die Pferde mit dem härteren Maul [d.i. die widerspenstigen] zügeln || tributum] Abgabe || Lappæque tribulique] Kletten und Burzeldorne || tribulaque, traheæque] Dreschgeräte, Schleifharken |||| tq¸pour] Dreifuß.

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/108r/ T. teimy tendo, ist es nicht offenbar unser dehnen? jQj tendo] Sc 1519. tqucøm decerpere, metaph., quod alias !løm, jk²sai tµm Bkij¸gm dicitur. tqucøm […] dicitur.] Schrift Fülleborn. jÜj tqucøm […] dicitur] ernten, abpflücken, metaphorisch, was anders auch abzumähen, zu brechen das Jugendalter genannt wird. [Bl. 108v bis 110 frei, recto jeweils »T«]

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/111r/ T. tup´y, resono. womit vielleicht unser toben verwandt ist. Hesiodus hat davon baq¼jtupor, gravistrepus, als ein Beywort des Zeus. (Op & D. v. 79) – Di¹r bouk0si baqujt¼pou. jQj tup´y, resono] Hesiod 303: »Baq¼jtupor […] a jtup´y, factum ex tup´y, resono«; gebräuchliche moderne Wörterbücher kennen die Form tup´y nicht, stattdessen: jtup´y || baq¼jtupor, gravistrepus] Hesiod 303 und 16. jÜj tup´y] ich krache [jtup´y] || Di¹r […] baqujt¼pou] nach den Ratschlüssen des starkdonnernden Zeus. |||| Baq¼jtupor […] resono] Baq¼jtupor […] von jtup´y, entstanden aus tup´y, ich krache. [Bl. 111v bis 115 frei, recto jeweils »U«]

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/116r/ V vukµ, /r, natio, gens, hat Aehnlichkeit mit dem deutschen Volk. to vOkom ist eben dasselbe. jQj natio, gens] nicht bei Sc || vOkom […] dasselbe] Sc 1703: »vOkom, t¹, idem quod vuk¶«. jÜj vukµ] Volksstamm || vOkom] Stamm, Geschlecht |||| idem quod] dasselbe wie. Vaesilbqotor, qui lucem mortalibus adfert. Cognomen Apollinis perpetuum. Vaesilbqotor, […] perpetuum.] Schrift Fülleborn. jÜj Vaesilbqotor] den Sterblichen leuchtend || Cognomen […] perpetuum] Der beständige Beiname des Apoll. [Bl. 116v bis 119 frei, recto jeweils »V«]

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/120r/ W. wa¸my, hisco, dehisco, unser gähnen. jQj hisco, dehisco] Sc 1718 || gähnen] Fr 1, 348: »Das Lateinische hiare, und Griechische Wa¸meim kommt mit gienen, oder gähnen überein.« jÜj hisco, dehisco] ich tue mich auf. [Bl. 120v frei]

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178 /121r/ W. wit½m, _mor tunica hat einige Aehnlichkeit mit unserm Jacke. jQj tunica] Sc 1744. jÜj wit½m] Unterkleid. [Bl. 121v frei]

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/122r/ W. wq²y heißt nicht allein commodo, do utendum, sondern auch oraculum edo. Vielleicht ist in der letzten Bedeutung unser krähen des prophetischen Hahnes damit verwandt, wenn es nicht vielmehr von dem Laute gemacht worden. jQj commodo […] edo] Sc 1752. jÜj wq²y] gebrauchen || commodo, do utendum] ich überlasse, ich gebe zum Gebrauch || oraculum edo] ich erteile ein Orakel. [Bl. 122v frei]

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/123r/ W wo?qor, porcus, kömmt mit unserm grunzen welches eigentlich von Schweinen gesagt wird überein, und beyde Wörter scheinen nach der Stimme des Thiers gemacht zu seyn. jQj porcus] Sc 1748 || nach der […] zu seyn] Fr 1, 370: »Gruntzen, kommt vom Laut her«. jÜj wo?qor] Schwein. [Bl. 123v frei]

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/124r/ X xyl¹r, ou, b, frustum rei esculentæ. Dieses Wort bringt mich auf eine vielleicht nicht unwahrscheinliche Ableitung unsers Brosam. Ich glaube nehmlich es ist so viel als Brodtsamm. Und dieses sam, (welches hier nicht die Partikel seyn kann, welche sonst gewißen Adjectivis angehängt wird) wäre dann mit diesem xol¹r [sic!] verwandt. xolor aber und x²llor, ou, B, arena, sabulum sind allem Anschein nach einerley Worte. Und da wir das x in ein S zu verwandeln pflegen, [MARGINALIE: wie] (B xitt²jg. Sittich) so ist von x²llor vielleicht unser Samen. Wenigstens hat unser Sand sehr viel Aehnlichkeit mit x²llor. jQj frustum rei esculentæ] Sc 1779 || arena, sabulum] Sc 1769 || Wenigstens […] mit x²llor] Fr 2, 148: »Kommt mit dem Griech. x²llor überein.« jÜj xyl¹r] der Bissen, Brocken || frustum rei esculentæ] Brocken einer essbaren Sache || x²llor] Sand. [Bl. 124v bis 126 frei, recto jeweils »X«; Bl. 127 bis 134 frei, ohne Alphabet]

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Von der Aehnlichkeit

/135r/ Traict8 de la Conformit8 du language FranÅois avec le Grec Divis8 en trois livres, dont les deux premiers traictent des manieres de parler conformes: le troisieme contient plusieurs mots FranÅois, les uns pris du Grec entierement, les autres en partie: c’est a dire en ayans retenu quelques lettres par lesquelles on peut remarquer leur etymologie. Avec une Preface remonstrant quelque partie du desordre et abus, qui se commet aujourd’huy en l’usage de la langue FranÅoise. En ce Traict8 sont descouverts quelques secrets tant de la langue Grecque que de la FranÅoise: duquel l’auteur et imprimeur est Henri Estienne, fils du Robert Estienne. in 88 In dem ersten Buche geht er nach der Ordnung der Partium Orationis die Redensarten durch, welche beyde Sprachen mit einander gemein haben. 1.

Von dem Nomine.

Obs. I. Die Franzosen sagen manger du pain, manger le pain, manger pain. Welches alles dreyes etwas anders bedeutet, und im lateinischen nicht verschiedenlich ausgedrückt werden kann, wohl aber im Griechischen; da man gleich-

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/135v/mäßig sagen kann vaceim tou !qtou, vaceim tom !qtom, vaceim aqtou. Hier und in allen ähnlichen Fällen zeigt der Genitivus an, daß nur ein Theil deßjenigen zu verstehen sey, von dem die Rede ist. Wie ein Unterschied ist unter : il lui a desrob8 son argent, und il lui a desrob8 de son argent: so ist er auch gleichfalls im Griechischen unter : 1jkexe ta wqglata !utou und 1jkexe tym wqglatym !utou. NB Was Stephanus hier den Genitivus des Articles heißt, daraus haben die neuern Grammatici einen besondern Artikel, nemlich den articulum partitivum gemacht. Observation II. So wie die Griechen vor dem Genitivo eines nominis proprii das Wort rior oder hucatgq auslaßen, so auch die alte französische Sprache. So hießen z.E. die Papiermacher, welche ihm das Papier, worauf eben daßelbe Buch gedruckt ist, gemacht les d’Hanri, anstatt les fils d’Hanri; so wie man im Griechischen sagen würde oR EMNijou oder oR tou EMNijou für oR rio· to [sic!] Eqqijou. Er macht dabey die Anmerkung, die auch von unsrer alten deutschen Sprache gilt. Laquelle facon [sic!] de parler me fait penser (& croy que tout homme de bon jugement me donnera sa voix) que si le vieil FranÅois estoit bien espluch8 on y trouveroit grand nombre de manieres de parler, lesquelles estans descen-

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/136r/ descendues de la langue Grecque, ou de quelque autre bonne race, ont este fort inconsiderement et / grand tort bannies de nostre language; et estans remises en leur entier (ce qui ne seroit impossible) lui feroyent pour le moins autant d’honneur, que lui font deshonneur un tas de mots nouveaux et faÅons de parler nouvelles, qui sans aucun adveu, sont entrees par les fenestres aux bonnes maisons de France. Observat. III So wie im Griechischen oft das Substantivum wqomor od. jaiqor ausgelaßen wird z.E. 1m tout\ sc. wqomy; 1m t\ letanu: so sagen auch die Franzosen ce pendant, und laßen zwischen diesen beyden Wörtern tems aus. Obser. IV. Von einigen andern solchen elliptischen Redensarten, z.E. wo im Gr. ckyssa, und im Franz. language ausgelaßen wird. (Im Deutschen wollte ich nicht sagen, daß die nehmliche Ellipsis statt habe, denn wenn wir sagen: er spricht französisch, so ist französisch hier wohl das adverbium.) Ferner wo dort faÅon oder mode, und hier 5hor ausgelassen wird. / la francoise, / l’antique, pqor to !qwaiom. (Hier möchte das Deutsche eher übereinkommen; denn wir sagen auf Französisch, auf Welsch, auf Englisch z.E. gekleidet. Welches gar wohl ganz heißen mag: auf englische Art oder

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/136v/ Weise; und weil Art oder Weise ausgelaßen werden, so kömmt, zum Zeichen der Ellipsis, das Adjectivum im Neutro zu stehen; in welchem Punkt das Deutsche von dem Französischen und übrigen Sprachen abgeht). Ferner wo dort habillement, und hier Rlatiom, Rlatia ausgelassen wird: als: vestu de verd, für vestu d’habillement verd; poijika 1md¼r für Rlata [sic!] poijika. So sagen auch wir nicht nur: er ist schwarz, weiß, roth gekleidet, welches man für die Adverbia nehmen könnte; sondern auch er ist in Schwarz, in Weiß gekleidet. Ferner, wo dort chemin und hier bdor zu supplicieren. pp NB Die Anmerkung die ich kurz vorher gemacht habe, daß im Deutschen das Adjectivum vor dem ausgelassenen Adjectivo [sic!] im Neutro zu stehen kömmt ist allgemein; z.E. wenn Zeit ausgelaßen wird: in kurzem, für in kurzer Zeit. Observat. V Nun kömmt er auf verschiedn Nomina, die in beyden Sprachen überflüßig eingeschoben werden, als lomor seul; !kkor, autre; t·r quelque. pp Oberservat. VI. die F. u. G. brauchen oft das Neutrum des Adjectivi für das Substantivum, z.E. un different für un debat, une controverse to diavoqom, für B diavoq², un accident, par consequent, to vqomilom, für B vqomgsir pp NB. Auch das hat im Deutschen statt, wie ich über den Logau angemerkt habe. z.E. Mein Frey, für meine Freyheit. jQj /135r/ Traict8 […] Robert Estienne. in 88] Vollständige Abschrift des Titelblattes von Estiennes Schrift, bis auf gelegentliche Abweichungen in Orthographie und Interpunktion. Die Passage »Avec […] FranÅoise« ist im Druck ebenfalls eingerückt. Lediglich die Formatangabe »in 88« ist Lessings Zutat. || /135r/ 1. Von dem Nomine […] /136v/ B vqomgsir pp] übersetzende und teils kommentierende Exzerpte aus den Observations I bis VI in Steph., Traict8, 3–22 || /135v/ oR rio· to Eqqijou] bei Steph., Traict8, eigentlich: oV rio· tou Eqqijou || /136v/ Rlata poijika] bei Steph., Traict8, eigentlich: Rlatia || vor dem ausgelassenen Adjectivo] recte: vor dem ausgelassenen Substantivo || Logau […] Freyheit.] Logau 10. jÜj /135r/ Partium Orationis] Teile der Rede || /135v/ vaceim tou !qtou] vom Brot essen || vaceim tom !qtom] das Brot essen || vaceim aqtou] Brot essen || 1jkexe ta wqglata !utou] er hat sein Geld gestohlen || 1jkexe tym wqglatym !utou] er hat von seinem Geld gestohlen || rior] Sohn || hucatgq] Tochter || oR rio· to [tou] Eqqijou] die Söhne des Errikos || /136r/ wqomor] Zeit || jaiqor] Augenblick || 1m tout\ sc. wqomy] ›in dieser‹ scilicet [das heißt] ›Zeit‹ || 1m t\ letanu] in der Zwischenzeit || ckyssa] Sprache || 5hor] Art || pqor to !qwaiom] auf die alte [Art] || /136v/ Rlatiom, Rlatia] Kleid, Kleider || poijika 1md¼r] bunt gekleidet || Rlata poijika] bunte Kleider || bdor] der Weg || lomor] er allein || !kkor] ein anderer || t·r] ein gewisser || to diavoqom] das Strittige || B diavoq²] der Streit || to vqomilom] das Verständige || B vqomgsir] der Verstand. [Bl. 137 bis 174r frei, ohne Alphabet]

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/174v/ 1pilek´steqom Peq· – eUte wqµ – eUt’ – 2t´qyhi digpºqgtai. T0 d’ rpojeil´m, cqav0 t¹ lmglomeOsai paqadeicl²tym ak¸cym, Usyr #m "qlºseie. 1pilek´steqom […] "qlºseie.] Schrift Fülleborn. jQj 1pilek´steqom] Plutarch, Vitae parallelae, Kamillos 19 || Peq· […] "qlºseie] Ebd., der Text hängt aber nicht unmittelbar mit dem vorhergehenden Wort »1pilek´steqom« zusammen. Gleichzeitig sind längere Passagen aus dem Original ausgelassen worden, markiert durch die Striche. Die Passage lautet im Original vollständig: »peq· d’ Bleq_m !povq²dym, eUte wqµ t¸hesha¸ timar, eUte [lµ] aqh_r Jq²jkeitor 1p´pkgnem Jsiºd\, t±r l³m !cah±r poioul´m\ t±r d³ va¼kar, ¢r !cmooOmti v¼sim Bl´qar "p²sgr l¸am owsam, 2t´qyhi digpºqgtai. t0 d’ rpojeil´m, cqov0 t¹ lmglomeOsai paqadeicl²tym ak¸cym Usyr #m "qlºseie.« (Text nach der Ausgabe: Plutarchus: Vitae parallelae. Bd. 1.1. Hrsg. von Konrat Ziegler und Hans Gärtner. München, Leipzig 2000, S. 216f.). Im Übersetzungskommentar werden die ausgelassenen Passagen in eckigen Klammern ergänzt. jÜj 1pilek´steqom] genaueres || Peq· […] "qlºseie] über – [verbotene Tage:] ob es nötig ist – [einige anzusetzen,] ob – [zu Unrecht Heraklit den Hesiod tadelte, der die einen Tage zu guten, die anderen zu schlechten machte, als ob er nicht wisse, dass alle Tage eine Natur haben] ist an anderer Stelle geforscht worden. In der vorliegenden Schrift kann es vielleicht passend sein, sich an wenige Beispiele zu erinnern. [Bl. 175 bis 183 frei, ohne Alphabet]

Anhang

2.

Lessings Quellen

Die Bibliographie versammelt Quellen, die Lessing für die Arbeit an der Aehn* lichkeit verwendet hat oder haben könnte. Ihr Ziel ist Identifizierbarkeit der Ausgaben, keine diplomatisch genaue Titelaufnahme. So wurden etwa die griechischen Titel durchgehend weggelassen. Auf die hier genannten Ausgaben beziehen sich die Nachweise im Kommentar der Edition. An den Anfang ist jeweils die dort verwendete Sigle gestellt. Ein Asterisk zeigt an, wenn eine Quelle nicht eindeutig identifiziert werden konnte. Als Hilfsmittel wurden herangezogen: die Kommentare der Lessing-Ausgabe von Wilfried Barner (insbes. Bde. 5/1 und 5/2; Sigle: B mit Band und Seite); Uta Korzeniewski: »Sophokles! Die Alten! Philoktet!«. Lessing und die antiken Dramatiker. Konstanz 2003; Franz Ludwig Anton Schweiger : Handbuch der classischen Bibliographie. 1: Griechische Schriftsteller. Leipzig 1830.

A.

Antike Autoren

*Aelian] Cl. Aeliani Sophistae Varia historia, cum notis integris Conradi Gesneri, Johannis Schefferi, Tanaquilli Fabri, Joachimi Kuhnii, Jacobi Perizonii, & Interpretatione Latina Justi Vulteji […]. Curante Abrahamo Gronovio […]. Leiden u. a. 1731. Der Nachweis dieser Ausgabe ist nicht eindeutig. S.v. 5ny toO l´tqou zitiert Lessing die lat. Übersetzung von Justus Vulteius. In den Sophokles-Studien aus dem Jahr 1759 bezieht er sich auf eine Anmerkung von Johannes Scheffer (vgl. B 5/1, S. 336). Beides war aber auch schon vorher gedruckt worden (dasselbe gilt für die Anmerkungen von Joachim Kühn, die Lessing später im Laokoon zitiert, B 5/2, S. 23). Nur die genannte Ausgabe enthält aber die Anmerkungen von Jacob Perizonius. Möglicherweise stammen der Hinweis auf japgke¼eim (Bl. 62r) und dessen lateinische Übersetzung von hier ; erläutert wird der Begriff in einer * Nicht verzeichnet werden Titel, die Lessing lediglich in Exzerpten aus den Arbeiten anderer mit übernimmt, sowie Einträge von anderen Händen.

200

Lessings Quellen

Anmerkung zu der Stelle, die Lessing s.v. pqoacyce¸a (Bl. 90v) notiert (vgl. in der angegebenen Ausg. S. 223). Die Edition von Gronovius ist die neueste und umfassendste, die 1760 verfügbar war.

Aischylos] Aeschyli tragoediae septem cum scholiis graecis omnibus, […] versione & commentario Thomae Stanleii. London 1663. Vgl. Korzeniewski, S. 54–56. S.v. st²wur (Bl. 103r) zitiert Lessing Stanleys Übersetzung.

*Anthologie] Epigrammatum Graecorum annotationibus Jean Brodaei nec non Vincentis Obsopoei et Graecis in pleraque epigrammata scholiis illustratorum libri 7. […] Frankfurt 1600. Standardausgabe der Planudea, die den Text von Stephanus (1566) nachdruckt und um Anmerkungen vermehrt; vgl. zu ihr und zur Editionsgeschichte der Anthologia Graeca: Hermann Beckby : Einführung. In: Anthologia Graeca. Hrsg. von dems. 4 Bde. München 2 1966–68, Bd. 1, S. 68–102, insbes. S. 88f.

Aristophanes] Aristophanis comoediae undecim, Graece et Latine […] Curante Petro Burmanno Secundo […]. 2 Bde. Leiden 1760. Vgl. s.v. avhaklºr (Bl. 85r). Während der Arbeit am Leben des Sophokles (1759/60) verwendet Lessing die Ausgabe von Ludolph Küster (Amsterdam 1710), wie Uta Korzeniewski gezeigt hat (S. 65f. u. 123). Sie vermutet jedoch auch, dass Lessing 1760 noch mit einer zweiten Ausgabe arbeitete, derjenigen von Pieter Burman dem Jüngeren (1713–1778), die in diesem Jahr erst erschien. Anlass dazu gibt neben Lessings Erwähnung der gerade erschienenen Edition die Notiz ›die Augen auf etwas werfen‹ (Bl. 85r) aus der Aehnlichkeit. Sie war vorher bereits in verkürzter Form von Fülleborn in die Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden aufgenommen worden (Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen litterarischen Nachlasse. Bd. 3. Hrsg. von Georg Gustav Fülleborn. Berlin 1795, S. 219; B 10, S. 319). Nur bei Burman erscheint in einem Scholion (S. 366) die Wendung aus den Rittern im Dualis (»t½ avhakl½ paqab²kkeim«); der Text der Ritter selbst jedoch hat den Singular (V. 173). Der ausführlichere Eintrag in der Aehnlichkeit bestätigt Korzeniewskis Vermutung. Lessing notiert das Lemma im Dualis aus dem Scholion, übernimmt aber den (bei Fülleborn nicht mitgedruckten) Dramentext mit dem Singular, wie er ihn in der Ausgabe findet.

*Aristoteles] S.v. d²jtukor l´car weiq¹r (Bl. 32v) zitiert Lessing aus De partibus animalium (IV, 10); er liefert auch eine lateinische Paraphrase. Sie scheint sich anzulehnen an die Version des Theodorus Gaza, die üblicherweise den griechischen Editionen beigegeben wurde, weicht aber doch ab. Gazas Standardversion lautet: »Unus a latere adiunctus est digitus, isque brevis et crassus, sed non longus«. Bei Lessing heißt es: »ille a latere unicus, isque brevis et crassus, non vero longus«. Die Quelle konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise wird die Stelle in den Kommentaren einer Plutarch-Edition zitiert.

Antike Autoren

201

Athenaios] Athenaei Deipnosophistarum libri quindecim. Cum Jacobi Dalechampii Cadomensis Latina versione […] Editio postrema. […] Leiden 1657. Die Seitenangabe Lessings s.v. kiaqºr (Bl. 66r) bezieht sich auf diese Edition.

*Euripides] Euripidis […] tragoediae nempe XX. […] Opera & Studio Josuae Barnes […]. Cambridge 1694. Diese Ausgabe identifiziert Korzeniewski, S. 60–62. Lessing zitiert in der Aehnlichkeit s.v. dipkoOr !m¶q (Bl. 34r) aus der hier gedruckten Übersetzung des Rhesus (von Aemilius Portus), die aber auch sonst oft zu finden war.

*Hesiod] Hesiodi Ascræi quae extant cum notis ex quibusdam auctoribus selectis accedit Pasoris index. […] Hrsg. von Io. Tob. Krebsivs. Leipzig 1746. Dies ist jüngste Ausgabe, die für Lessings Arbeit in Frage kommt. Für seinen Eintrag s.v. tup´y (Bl. 111r) arbeitete er jedenfalls mit einer Ausgabe, die den Index von Georg Pasor enthielt.

*Homer] Die Verweise in der Aehnlichkeit sind zu unspezifisch, um auf eine bestimmte Ausgabe schließen zu lassen. Die deutschen Übersetzungen scheint Lessing selbst angefertigt zu haben. Hinweise zu möglichen Ausgaben gibt etwa das Leben des Sophokles (B 5/1, etwa S. 295f.: Samuel Clarke); für Breslau der Laokoon mit dem Kommentar von Barner in B 5/2.

*Musaios] Musaei Grammatici de Herone et Leandro carmen. Cum scholiis Graecis nunc primum e codice MS. Bibliothecae Bodlejanae editis. Ex Recensione Matthiae Röver […]. Leiden 1737. Vgl. s.v. !h´svator (Bl. 18r); Lessing kannte das Gedicht schon, bevor er sich 1762 von Nicolai eine Ausgabe mit griechischen Scholien erbat (Brief an Nicolai, 22. Okt. 1762; B 11/1, S. 383) – wohl die genannte, denn diese werden hier zum ersten Mal gedruckt; vgl. Barner B 5/1, S. 868; Korzeniewski, S. 88.

Paulus] Paulus Silentiarius auf die Pythischen Bäder. In: Zur Geschichte und Litteratur aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erster Beytrag. Von Gotthold Ephraim Lessing. Braunschweig 1773, S. 135–184. S.v. N¼cwor (Bl. 98v) und N¼pty (Bl. 100r).

*Plutarch] S.v. d²jtukor l´car weiq¹r (Bl. 32v) wird aus dem Leben des Lysander zitiert. Der Verweis ist aber zu unspezifisch, um auf eine bestimmte Ausgabe schließen zu lassen.

202

Lessings Quellen

*Sophokles] Die Verweise in der Aehnlichkeit sind zu unspezifisch, um auf eine bestimmte Edition schließen zu lassen. Lessing verwendete unterschiedliche Ausgaben, vgl. Korzeniewski, S. 56–59, und Barner, B 5/1, S. 683–686.

*Suda = ›Suidas‹] Suidae lexicon, Graece & Latine. […] Versionem Latinam Aemilii Porti innumeris in locis correxit; Indicesque […] adjecit Ludolphus Kusterus. 3 Bde. Cambrigde 1705. Für seine Sophokles-Studien benutzt Lessing diese Ausgabe von Küster ; vgl. B 5/1, S. 285.

Vergil] P. Vergilii Maronis Georgicorum libri IV. Mit critischen und öconomischen Erklärungen Herrn D. Johann Martins […] Nebst einer deutschen Uebersetzung und Anmerkungen. […] Hamburg, Leipzig 1759. Vgl. s.v. tq¸bokor (Bl. 107r); Lessing rezensierte diese Ausgabe der Georgica in den Literaturbriefen (3. und 10. Januar 1760). Er schrieb sie Johann Jakob Dusch zu und verriss sie. Das englische Original von John Martyn erschien zuerst in London 1741.

B.

Moderne Autoren

Catherinot] [Anonym:] [Rez. von:] La Gaule Grecque. Par les [sic!] Sr. Catherinot Advocat du Roy au Presidial de Bourges. A Bourges. 1683. In: Journal des SÅavans, pour l’Ann8e M.DC.LXXXIV. Tome douzieme. Amsterdam 1685, S. 98f. Vgl. Bl. 2r. Als bibliographische Angabe notiert. Die kleine Schrift von Nicolas Catherinot selbst scheint recht selten zu sein.

Damm] Novum lexicon Graecum etymologicum et reale […]. Collegit & digessit Christianus Tobias Damm […]. Berlin 1765. Zitiert s.v. hq´y (Bl. 50r).

Frisch = Fr] Johann Leonhard Frisch Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch, […] Samt angehängter Theils versicherten, theils muthmaßlichen Etymologie und critischen Anmerkungen; Mit allem Fleiß viel Jahr über zusammengetragen, Und jetzt den Gelehrten zur beliebigen Vermehrung und Verbesserung überlassen. […] Berlin 1741. NDr Hildesheim u. a. 1977. Von Lessing sehr oft verwendet. Erste und einzige Ausgabe.

Moderne Autoren

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Gesner] Mithridates Gesneri, exprimens differentias linguarum, tum veterum, tum quae hodie, per totum terrarum orbem, in usu sunt. Caspar VVaservs recensuit & Libello commentario illustravit. Editio altera. Zürich 1610. Lessing benutzt, wie aus der Seitenangabe Bl. 3r hervorgeht, diese editio altera, nicht aber die erste Ausgabe Zürich 1555 (diese liegt im NDr Aalen 1974 vor). Unrichtig ist daher der Kommentar von Körte, S. 1 seiner Abschrift.

Logau] Friedrichs von Logau Sinngedichte. Zwölf Bücher. Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters hrsg. von C.W. Ramler und G.E. Lessing. Leipzig 1759. Vgl. s.v. dipkoOr !m¶q (Bl. 34r). Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich Nachweise in der vorliegenden Edition auf das angehängte Glossar, das eine eigene, zweite arabische Paginierung aufweist.

Morhof] Daniel Georg Morhofen Unterricht Von der Teutschen Sprache und Poesie / deren Uhrsprung / Fortgang und Lehrsätzen. Wobey auch von der reimenden Poeterey der Außländer mit mehren gehandelt wird. Kiel 1682. Die Seitenzahl s.v. h/ku (Bl. 50r) verweist auf die Erstausgabe, die späteren Editionen (1700, 1718) weichen ab. Offensichtlich fehlerhaft ist die Angabe bei LM 16, S. 43, Lessing benutze eine Ausgabe von »1626«.

*Scapula = Sc] Johannis Scapulae Lexicon Graeco-Latinum, quo, ex primitivorum et simplicium fontibus, Derivata atque Composita, ordine non minus naturali, quam alphabetico, breviter ac dilucidH deducuntur. […] Editio novissima et accuratissima. Leiden 1741. Lessing benutzt Scapulas Lexicon durchgehend. Er gewinnt daraus lateinische Synonyme für seine griechischen Lemmata, aber auch etymologische Hinweise und Gebrauchsnachweise von Wörtern in der Literatur. Das Lexicon erschien zuerst 1579 in Basel. Es wurde vielfach nachgedruckt und dabei immer wieder verändert. Welche Ausgabe Lessing benutzte, ist unbekannt. Für den Kommentar wurde die angegebene, möglichst nah an 1759 liegende Ausgabe verwendet. Wo Lessing explizit aus Scapula zitiert (etwa s.v. jo?kor, ap¶ oder sj¼kom) deckt sich sein Wortlaut mit dem Druck von 1741. Allerdings ist dieser seitengleich mit älteren Ausgaben, etwa Basel 1665.

Stephanus] Thesaurus Graecae Linguae, Ab Henrico Stephano constructus. In quo, praeter alia plurima, quae primus praestitit, (paternae in Thesauro Latino diligentiae aemulus) vocabula in certas classes distribuit, multiplici derivatorum serie ad primigenia, tanquam ad radices unde pullulant, revocata. […]. [5 Bde. Genf 1572]. Oft von Lessing neben Scapula verwendet.

204

Lessings Quellen

Steph., Traict8] Traict8 de la Conformit8 du language FranÅois avec le Grec, […] duquel l’auteur & imprimeur est Henri Estiene, fils de feu Robert Estiene. [Genf 1565]. NDr Genf 1972. Vgl. Lessings Exzerpte auf Bl. 135r bis 136v. Eine vollständige Wiedergabe des Titels auf Bl. 135r.

Stieler] Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz Worinnen alle und iede teutsche Wurzeln oder Stammwörter, […] gesamlet von dem Spaten [d.i. Kaspar Stieler]. Nürnberg 1691. NDr 1968. S.v. tºkla (Bl. 107r); öfter im Glossar des Logau verwendet.

Vigerus] Francisci Vigeri de Praecipuis Graecae dictionis iditiotismus libellus. Editio novissima […] cura Joh. Henrici Lederlini […]. Straßburg 1708. Zuerst erschienen Paris 1644. Lessings Seitenangaben s.v. %mhqopor und !qet¶ (Bl. 17v) deuten auf diese Ausgabe.

Wachter = Wa] Glossarium Germanicum, continens origines & antiquitates totius linguae Germanicae, et omnium pene vocabulorum, vigentium et desitorum. Opus […] Johannis Georgii Wachteri. Leipzig 1737. NDr Hildesheim, New York 1975. Lessing schlägt öfter in dieser (einzigen) Ausgabe nach.

Wa, Specimen] Glossarium Germanicum continens origines et antiquitates linguae Germanicae hodiernae. Specimen […] auctore Jo. Georg. Wachtero […]. Leipzig 1727. Vgl. s.v. %my (Bl. 17r). Die von Lessing zitierte Etymologie erscheint nur im Specimen, nicht im späteren Glossarium.

3.

Wilhelm Körtes Abschrift

A.

Hinzufügungen in Körtes Manuskript

Die Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt auch eine Abschrift von Lessings Notizbuch (Signatur : Nachl. Friedrich August Wolf, Anhang, acc. 3039). Angefertigt wurde sie von Wilhelm Körte, dem Schwiegersohn und Nachlassverwalter Friedrich August Wolfs (siehe dazu detaillierter S. 223f.). Entstanden ist sie zwischen 1839 (siehe die Abschrift aus Lachmanns Lessing-Ausgabe unten) und Körtes Tod im Januar 1846. Bei dem Manuskript handelt es sich um vier Bögen, die im Quartformat (21 x 17 cm) zu jeweils zwei Doppelblättern ineinandergelegt sind. Der zweite Teil des vierten Bogens ist nicht aufgeschnitten. Die 32 Blätter sind auf der rechten bzw. linken oberen Ecke paginiert. Die Paginierung beginnt auf dem zweiten Blatt recto mit »1« und endet auf dem vorletzten Blatt recto mit »27«. Das Wasserzeichen der Bögen zeigt die Namen Veckenstedt und Grove sowie ein aus einem Pokal aufsteigendes Gewächs. Die Bögen sind beim Falz (1 cm) und am äußeren Rand (6 cm) geknickt und auf diesen Partien nicht beschrieben. Der Text beginnt auf der Rectoseite des nicht paginierten ersten Blattes mit dem Titel (s. u.). Er endet auf Seite 27. Körte hat die verschiedenen Teile von Lessings Notizbuch in seiner Abschrift mit Ordnungszahlen von 1 bis 6 versehen. Die Ziffern 1 bis 4 bezeichnen die Exzerpte bzw. bibliographischen Nachweise vor der alphabetisch geordneten etymologischen Sammlung. Diese selbst hat Körte mit der Ziffer 5 versehen. Das Exzerpt aus Stephanus am Ende des Notizbuchs trägt die Nummer 6. Die Transkriptionen bieten Körtes originalen Wortlaut. Insbesondere das Griechische wurde so transkribiert, wie es sich im Manuskript findet, beispielsweise wenn Körte am Wortende zuweilen nicht das eigentlich dort zu verwendende Schluss-Sigma (»r«) setzt, sondern »s«. Die Edition verzeichnet in Form eines Apparates lediglich die Hinzufügungen (3.A) und die Auslassungen (3.B). 3.A transkribiert zunächst vollständig den Titel, den Körte dem Manuskript gegeben hat, sowie eine Abschrift aus Lach-

206

Wilhelm Körtes Abschrift

manns Lessing-Edition. Es folgen die Hinzufügungen zu Lessings Manuskript, die in Form eines Apparates dargestellt sind. Am Anfang steht die Ergänzung, die Körte in seiner Abschrift zu Lessings Text hinzufügt. Eingerückt und kleiner gesetzt folgt die editorische Beschreibung. Sie ordnet die Ergänzung zunächst Lessings Text zu, wobei sich die Blattzählung auf die Edition von Lessings Text bezieht (etwa: »Zu 2r bei Lessing.«). Es folgt die Beschreibung der Position, die die jeweilige Ergänzung in Körtes Abschrift hat. Die Lemmata, die Körte in eckigen Klammern hinzufügt, platziert er meist auf dem freigelassenen Rand seiner Abschrift. Er versucht, sie halbwegs alphabetisch in die Folge von Lessings Einträgen einzuordnen. Ein Kommentar wie »S. 3 am Rand, nach ›%mhqopor ‹« meint daher, dass Körtes Eintrag am Rand etwas unterhalb von Lessings Lemma »%mhqopor« zu stehen kommt. Die Seitenzahl bezieht sich hier auf die Paginierung, mit der Körte selbst seine Abschrift versehen hat. Im Kommentar werden auch Einschübe verzeichnet, die Körte wiederum an seinen eigenen Ergänzungen vornimmt. Die eckigen Klammern [] bezeichnen in diesem Teil 3.A der Edition keinen Einschub der Herausgeber ; sie sind vielmehr Teil der Transkription, da Körte sie selbst fast durchgehend verwendet. Der Apparat 3.B dokumentiert, was Körte aus Lessings Manuskript nicht in seine Abschrift übernimmt. Meist handelt es sich dabei um Lemmata in seiner eigenen Handschrift bzw. derjenigen Fülleborns, aber Körte geht nicht konsequent vor. Nicht dokumentiert werden die sonstigen Veränderungen an Lessings Wortlaut, die Körte vornahm (etwa kleinere Auslassungen, Lesefehler, glättende Veränderungen der Satzstellung u. ä.).

/unpag. Titelblatt/ Gotth. Ephr. Leßing (Adversarien:) »Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache.« __________ »Zur Erleichterung der ersteren und Ver= beßerung der letzteren.«. __________ »angefangen den 1st December 1759.« __________ (Eine Handschrift Leßing’s in F. A. Wolf ’s litterar. Nachlasse.) __________

Hinzufügungen in Körtes Manuskript

207

/Rückseite des unpag. Titelblatts/ »Leßing hatte in früheren Zeiten den Plan, nach dem Beispiele einiger Französischer Gelehrten, etwas über die Analogie der Deutschen und Griechischen Sprache zu schreiben. Ein dazu gehöriges Mss ist 1759 angefangen, und hat die Ueberschrift: Ueber die Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache, zur Erleichterung der erstern und Verbeßerung der letztern. Leßing scheint bei dieser Idee von keinem bestimmten Princip ausgegangen zu seyn; denn bald leitet er Griechische Wörter von Deutschen, z. B. deima von den, bald Deutsche von Griechischen, zb. Ehre von 5qir ab. Ueberall aber giebt er zu viel auf die Aehnlichkeit des Klanges der Wörter. In der Folge hat er selbst die Hand von diesem Plane abgezogen, und das Publicum würde durch die Mitteilung dieser wenigen Anmerkungen nicht gewinnen. Fülleborn in Leßings Leben. III. S. XV.« (aus: »Leßing’s sämmtliche Schriften. Neue Ausg. (von Lachmann.) Berlin, Voß. 1839.« 11tr Bd. S. 655.) __________

(siehe 6. pag. 24.) Zu 2r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 1 in seiner Paginierung, am Rand, Lessings Worten »außer dem Stephanus« angefügt; verweist auf seine Exzerpte aus dessen Traict8, S. 24 nach der Paginierung von Körtes Abschrift. Die Ordnungszahl 6. bezieht sich auf Körtes Nummerierung der verschiedenen Teile des Manuskriptes (vgl. oben).

* »Conr. Gesneri Mithridates de differentiis linguarum. Basil. 1555.« 8vo. Zu 3r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 1, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf Lessings Worte »Gesnerus Mithridate«. Körte gibt die Erstausgabe an, Lessing verwendet jedoch die zweite Ausgabe des Werkes, vgl. Lessings Quellen.

(s. Wolf. Nro. 95. p. 41.) Zu 17r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 2, schließt direkt an Lessings Lemma »%my toO c´mour.« an. Körtes Verweis bezieht sich auf ein Manuskript in Wolfs Nachlass (Signatur: Nachlass Friedrich August Wolf, Anhang, acc. 3040). Es trägt den Titel »Zur Deutschen Sprache und Grammatik. Aus F.A. Wolf ’s nachgelassenen Papieren«. Körte hat dort einige Originaldokumente Wolfs gesammelt, meist aber in seiner eigenen Handschrift Stellen aus Wolfs Papieren exzerpiert und diese nummeriert. Auf Bl. 41 in Körtes Foliierung bzw. Nr. 95 in seiner Nummerierung heißt es:«Da Ael. 36 oR %my toO c´mour für Ahnen steht, sollte man dabei nicht denken, daß dies Deutsche Wort davon herkomme? Wenigstens wahrscheinlicher als die anderen, die bei Wachter vorkommen, unter anderem die des Sachsenspiegels, wo Ahnen von anus abgeleitet wird, weil sie hinter uns sind.«

208

Wilhelm Körtes Abschrift

[!stµq; ist unser : Stern.] W. Zu 17v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 3 am Rand, nach »%mhqopor«. »W.« meint vermutlich Wolf; vgl. dazu im Nachwort, S. 224.

alvanomeim. – »Faksen machen. Ob dieses nicht mit dem Griechischen alv. eine Verwandtschaft haben sollte, von welchem Worte nachzusehen Erasmi Adagia p.m. 21.« (Leßing’s Vergleichung Deutscher Wörter mit fremden. Sämmtl. Schriften. Ed. Lachmann. Thl 11. S. 655.) Zu 18r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 4 am Rand, der Eintrag beginnt vor »!h´svator«.

[!n¸mg, securis; unser : Axt, Arxe, Achse.] Zu 20r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 4 am Rand, vor »!po«.

[cqaOr, subst. die alte Frau, Jungfer ; adj. alt, veraltet.] ( Graus.] Unser

Graun. [cqgOr, unser : Greis.] Zu 28r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 6 am Rand, vor »Comu«. Hinter »cqaOr« hat Körte nachträglich über der Zeile eingeschoben: »cqaOm,«.

* Leßings sämmtl. Schriften. Berlin 1792. Theil 8. p. 155. Zu 34r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 7, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf das Wort »Logau« in Lessings Lemma »dipkoOr !mgq«.

(wie wir sagen Doppelzüngler.) Zu 34r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 8, direkt an Lessings Notiz anschließend, nach »duplex vir.«.

[pono] Zu 38r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 8, Einschub hinter Lessings »6folai«, über der Zeile.

[deutlicher in 6fo, 6feim, welches in unserem: setzen sich erhielt, wie in sedeo, durch Verwandtschaft des d und f, wohin denn 6dor, ehor, ghor und bei uns: Sitz und Sitte gehören] W. Zu 38r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 8, schließt unmittelbar an Lessings Wort »sitze.« an. Körte schreibt zunächst in der Zeile weiter, setzt dann ab »welches« auf dem linken Rand fort.

Hinzufügungen in Körtes Manuskript

209

[6n, sex; unser Sechs.] Zu 38r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 8 am Rand, nach »6folai«.

[5qcom, mit dem Aeolischen Hauche ®´qcom; unser : Werk. W.] Zu 40r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 9 am Rand, nach »5ny toO l´tqou«.

[6y, von dieser alten Wurzel reicht eine Spur bis zu unserem: Weste, nach vestis, 1sh¶r wie 6shgm für eVshgm klingt. W.] Zu 42r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 9 am Rand, nach »:ql/r«. Körtes Lemma hat zwei Einschübe: 1. Hinter »6y,« ist nachträglich über der Zeile eingefügt: »das Stammwort von eXlai, (ich bin bekleidet);« 2. Hinter »1sh¶r« nachträglich unter dem Lemma eingefügt: »(®esh¶r, mit dem Aeolischen Hauche, Digamma;)«.

[Huc²tgq, Aeolisch houc²tgq, unser Tochter.] Zu 50r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 10 am Rand, neben »hqey«.

* Da einmal das Trillern da ist, wäre das miscere nicht gar schwer zu deuten, indem ja das Trillern nichts anderes ist, als ein Mischen einiger Töne unter einander? Zu 51r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 10, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf »weiß ich nicht.« in Lessings Lemma »hquakke?«.

[h¼ekka, Sturm, Sturmwind, huekk¶eir, stürmisch, tobend, offenbar verwandt mit unserm Duell.] Zu 51r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 10 am Rand, nach »hquakke?«.

[Vfeim, sedere; unser sitzen.] Zu 57r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 11 am Rand, nach »]g«.

[j²limor, Ofen zum Backen, Brennen, Schmelzen, – ganz unser Kamin.] Zu 58r bei Lessing: In Körtes Abschrift auf S. 11 am Rand, neben »jajºwaqtor«.

[jeil¶kiom, pretiosum, unser : Juweel, indice Reizio.] Zu 58r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 11 am Rand, nach »jajºwaqtor«. Zum Verweis »indice Reizio« vgl. im Nachwort, S. 224.

* besonders mit dem älteren: kla[n, kläen: »Das alles klärt sich.« Zu 58r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 11, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf »viel Verwandtschaft.« in Lessings Lemma »Jk²eim«.

Siehe auch ebendaselbst VII. 4, 3. Zu 60r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 12 am Rand, mit dünnem Verweisstrich zu »De anim.« in Lessings Lemma »juy«.

210

Wilhelm Körtes Abschrift

[k´cy, ich spreche, sage, sammle, lagere mich, liege; unser : legen.] Zu 63r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 13 am Rand, nach »j_y«.

[kimeior und k¸meor; zusammengezogen kimoOr, kim/, kimoOm, aus Flachs gemacht, – ganz unser : Leinen, linnen.] [kim´ai und kima?ai, Stricke, Seile; ganz unser : die Leinen.] Beides zu 68r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 14 am Rand, nach »k¶cy«.

[l¼kg, unsere Mühle.] Zu 74r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 15 am Rand, nach »le¸kiom«.

[ewkor, Haufen, Menge, Pöbel; Aeolisch: ekwor; auf Kretischen Münzen, mit der Adspiration pºkwor; daraus das Lat. volgus; wie unser : Volk.] Zu 84r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 16 am Rand, neben »apµ«. Hinter »volgus« ist unter der Zeile eingeschoben: »(vulgus),«.

[oWmor, vinum; daher unser : Wein.] Zu 84r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 16 am Rand, neben »apµ«, unter Körtes Lemma »ewkor«.

[patµq, pater, Vater.] Zu 90r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 16 am Rand, vor »p¸hor«.

[die Macedonier sprachen es b¼qcor;] Zu 90v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 17 am Rand, neben dem Lemma »p}qcor«. Gekennzeichnet als Einfügung nach dem Wort »p}qcor«.

[poOr, unser : Fuß.] Zu 91r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 18 am Rand, hinter »pgcm¼y«.

[spkµm, die Milz, unser : Spleen. Zu 101r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 19 am Rand, neben »sjed±y«; die schließende Klammer fehlt.

[st´kkeim, stellen.] Zu 101v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 20 am Rand, neben »steikeom«. Hinter »st´kkeim« über der Zeile eingeschoben: »unser«.

[s¸feim, sibilare; unser : Zischen.] Zu 101v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 20 am Rand, neben »steikeom«, unter Körtes Lemma »st´kkeim«.

Hinzufügungen in Körtes Manuskript

211

[s¼qeim, trahere; unser : Zerren.] Zu 101v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 20 am Rand, neben »steikeom«, unter Körtes Lemma »s¸feim«.

[sj¼hgr, der Scythe; ist unser : Schütze. W.] Zu 101v bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 20 am Rand, neben »sj¼kom«.

[st¸feim, pungere; unser : stechen.] Zu 103r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 21 am Rand, neben »st²wur«.

[stelbe?m, stelve?m, erschüttern, schütteln; entspricht unserm: stampfen.] Zu 104r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 21 am Rand, neben »ste¸by«.

* In seinem: »Teutschen Sprachschatz. Nürnberg 1691.« 4to pag. 2283. Zu 107r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 22, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf Lessings Worte »der Spate« im Lemma »tºkla«.

** nach Sprengel: der Burzeldorn. cf. Theophrast’s Naturgeschichte d. Gewächse. übers. u. erläutert. Altona 1822. 2. Thle. Zu 107r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 22, unten auf der Seite, Verweis mit Asterisk auf Lessings Worte »Virg. Georg. I. v. 153« im Lemma »tq¸bokor«.

[t¸cqir, unser : Tiger] Zu 111r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 23 am Rand, hinter »tup´y«.

[VaOkos, vilis, nullis pretii, abiectus, humilis, contemtus. – vaOka vdata im Aristoteles, malae aquae. – va¼kyr, male, facile. – Das griechische Wort begreift also alles in sich, was Wirkung und Folge des Deutschen faul ist. In demselben Wortklange fanden also die beiden fleißigsten Völker den Ausdruck für die ihnen verhaßteste Untugend.] Zu 116r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 23 am Rand, hinter »vukµ«.

[wµm, Dorisch: wam, ganz alt: wamr, anser ; unser : Gans. – das w hieß der Gans=Laut.] Zu 123r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 23 am Rand, hinter »wo?qor«.

NB. ohne alle Accente! Zu 135r bei Lessing. In Körtes Abschrift auf S. 24 am Rand, Hinzufügung zu Lessings Stephanus-Exzerpt.

212

B.

Wilhelm Körtes Abschrift

Körtes Auslassungen

vorderer, unfol. Spiegel: Siehe […] Glauchae 1579.] dieses Lemma in Karl Lessings Handschrift hat Körte in seine Abschrift übernommen! 2r bei Lessing: d […] zähme.] ausgelassen 2v bei Lessing: Johann […] Abhandlungen von ihm.] ausgelassen 5r bei Lessing: !le¸dgtor […] vitalis, vita:] ausgelassen 21r bei Lessing: -qy […] erehren.] ausgelassen 23r bei Lessing: B¸a, […] Paredris p. 117.] ausgelassen 42r bei Lessing: :ql/r […] Pers. 631.] dieses Lemma in Fülleborns Handschrift hat Körte in seine Abschrift übernommen! 42r bei Lessing: Eqz¾tgr […] euz¾tir.] ausgelassen 57r bei Lessing: ]g, […] IV. 21.] dieses Lemma in Fülleborns Handschrift hat Körte in seine Abschrift übernommen! 62r bei Lessing: Virgil läßt seine […] Hökerin.] ausgelassen 64r bei Lessing: Jyvor […] sterilis.] ausgelassen 70r bei Lessing: Leq¸lma […] Excurs. I.] ausgelassen 70r bei Lessing: L²cor […] Magiæ & c.] dieses Lemma in Fülleborns Handschrift hat Körte in seine Abschrift übernommen! 84r bei Lessing: elvajer […] Virg.] ausgelassen 84r bei Lessing: olpmior […] frumentum.] ausgelassen 92r bei Lessing: pme¼lata h.l. […] homines] ausgelassen 93r bei Lessing: pqop´lpeim […] Il. a.] ausgelassen 108r bei Lessing: tqucøm […] dicitur.] ausgelassen 116r bei Lessing: Vaesilbqotor, […] perpetuum.] ausgelassen 174v bei Lessing: 1pilek´steqom […] "qlºseie.] ausgelassen

4.

Lessing und die Wahrheit der Wörter. Beschreibung der Handschrift – Lessings Arbeitsweise – Deutungsaspekte Mark-Georg Dehrmann

Einleitung: Lessing, der Gelehrte Dem Leser von Lessings Schriften ist es vertraut: das Pathos des Philologen, der das Alte neu – und zum ersten Mal richtig verstehen kann: »Ich getraue mich aber zu erweisen, daß alle, die sich dawider erklärt, den Aristoteles nicht verstanden.«1 Lessings wirkungsmächtige Umdeutung der tragischen Affekte gibt sich nicht als das Werk eines Neuerers, sondern eines Erneuerers. Max Kommerell hat hierfür die glückliche Wendung der »revolutionären Philologie« geprägt.2 Das Ingenium wächst mit der philologischen Kompetenz, sein Nährstoff ist die Kenntnis der Tradition. »Ich verdopple meine Aufmerksamkeit, ich überlese die Stelle zehnmal« – erst das genaue Verständnis von Wortlaut und Syntax, der Abgleich mit dem »ganzen Zusammenhange« und nötigenfalls die konjekturale Korrektur einer unsicheren Stelle enthüllen den wahren Sinn des Überlieferten.3 Aristoteles, so der bekannte epochemachende Schluss, spreche in seiner Tragödiendefinition von Furcht, nicht von Schrecken; und diese Furcht decke sich im Kern mit dem zweiten tragischen Affekt, dem Mitleid. Lessings Gestus ist nicht zu denken ohne die Aufmerksamkeit auf das Kleine X

Zur Zitierweise – Die Schreibung und Akzentsetzung (etwa des Griechischen oder Französischen) der Originale werden in Zitaten grundsätzlich übernommen. Nachweise aus der Aehnlichkeit erfolgen fortlaufend im Text nach der Foliierung der Handschrift. Zitate aus der Abschrift des Manuskriptes von Wilhelm Körte (siehe dazu S. 205f. u. 223f.) werden mit seinem Namen als Sigle und seiner eigenen Paginierung nachgewiesen. Quellen, die Lessing benutzt hat, werden hier in Kurzform zitiert, ausführliche Angaben finden sich im Abschnitt 2 dieser Edition: Lessings Quellen (S. 199ff.). Für Lessings Werke gelten folgende Siglen: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. von Wilfried Barner. Frankfurt am Main 1987–2002 (›B‹ mit Band und Seite); Gotthold Ephraim Lessings Sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte auf ’s neue durchgesehene und vermehrte Ausgabe besorgt durch Franz Muncker. 23 Bde. Stuttgart, Leipzig, Berlin 1886–1924 (›LM‹ mit Band und Seite). 1 B 6, S. 569 (Hamb. Dramaturgie). 2 Max Kommerell: Lessing und Aristoteles. Untersuchungen über die Theorie der Tragödie (1940). Frankfurt am Main 51984, S. 14f. 3 B 6, S. 569 (Hamb. Dramaturgie).

214

Lessing und die Wahrheit der Wörter

und Kleinste: »wer in dem allergeringsten Dinge für Wahrheit und Unwahrheit gleichgültig ist, wird mich nimmermehr überreden, daß er die Wahrheit bloß der Wahrheit wegen liebet«4 – so nimmt Lessing kurze Zeit später, in Wie die Alten den Tod gebildet (1769), seine methodischen Überlegungen wieder auf. Die Genauigkeit im Detail ist kein Selbstzweck. Sie eröffnet, recht verstanden, einen Zugang zum Gegenstand im Ganzen, zum »Geist des Altertums«.5 Aber sie zeugt auch von einer moralischen Verpflichtung. An der »glücklichen Mikrologie«6 des Philologen zeigt sich das Ethos dessen, der die »Wahrheit« liebt. Dass Lessing ein Gelehrter sei – darauf haben etwa Wilfried Barner und Paul Raabe nachdrücklich insistiert;7 Monika Fick hat gezeigt, wie auch die Gelehrtenkritik Lessings eigentlich Teil eines sich wandelnden Selbstverständnisses von Gelehrsamkeit ist;8 ein neuerer Band zum Laokoon von Friedrich Vollhardt und Jörg Robert nimmt dezidiert die antiquarische und philologische Gelehrsamkeit in den Blick.9 Lessing ist ein Gelehrter außerhalb der gelehrten Institutionen. Die Gelehrsamkeit ist sein »Fundament«, aber auch sein Kapital.10 Lessings großer Gestus zeugt von der unsicheren Existenz dessen, dem nicht wenige seiner Schriften gleichzeitig als Aushängeschild bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung dienen mussten. Dies reduziert die Gelehrsamkeit aber nicht auf ein bloßes Mittel zur Existenzsicherung. Die philologische Arbeitsweise, die Neuerung aus dem Verständnis des Alten bilden die Grundlage seines gesamten Werkes – so darf man zugespitzt, aber wohl nicht überspitzt sagen. Sie liefern auch Materialien für die Dichtungen und Waffen für die Polemik.11 Der junge Friedrich Schlegel begeisterte sich gerade an dem punktuellen Witz, der aus der philologischen Belesenheit zündet. Er wählte sich Lessing als Vorbild, wollte gleich ihm das Denken der Zeit erneuern: aufgrund einer philologischen Durchdringung der Vergangenheit. Insbesondere hatte es ihm Lessings Begriff der »fermenta cognitionis« angetan.12 Und so fragmentierte er 4 5 6 7

8 9 10 11 12

B 6, S. 718 (Wie die Alten). B 6, S. 757 (Wie die Alten). B 7, S. 509 (Fenstergemälde im Kloster Hirschau [1773]). Vgl. Wilfried Barner : Lessing zwischen Bürgerlichkeit und Gelehrtheit. In: Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung. Hrsg. von Rudolf Vierhaus. Heidelberg 1981, S. 165–204; Paul Raabe: Lessing und die Gelehrsamkeit. Bemerkungen zu einem Forschungsthema. In: Lessing in heutiger Sicht. Hrsg. von Edward P. Harris und Richard E. Schade. Bremen, Wolfenbüttel 1977, S. 65–88. Monika Fick: Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar 22004, S. 9f. Vgl. Jörg Robert und Friedrich Vollhardt (Hrsg.): Unordentliche Collectanea. Gotthold Ephraim Lessings Laokoon zwischen antiquarischer Gelehrsamkeit und ästhetischer Theoriebildung. Berlin, Boston 2013. Vgl. Barner (wie Anm. 7), S. 182 u. ö. Vgl. etwa Jörg Robert: Laokoon oder : Krieg und Frieden im Reich der Künste. In: ders. / Vollhardt (Hrsg.) (wie Anm. 9), S. 9–40, insbes. S. 11–14. B 5, S. 655 (Hamb. Dramaturgie). Bei Schlegel: Fragment 259 (Athenaeum) (1798). In:

Einleitung: Lessing, der Gelehrte

215

in seiner Lessing-Edition 1804 programmatisch auch publizierte Schriften: Aus ihnen gewann er Denksplitter der Vergangenheit zur Anregung der Gegenwart.13 Schlegels Lessing-Bild wird von einer Neuerung im zeitgenössischen Literatursystem gestützt. Die Herausgabe des Nachlasses, all der Fragmente und Schnipsel des Gelehrten Lessing, gehört in die Anfänge der deutschen Klassikerverehrung. Sie ist Teil einer »Werkpolitik«, mittels derer sich lebende Autoren bewusst in den Kanon einschrieben und die Verstorbenen unmittelbar kanonisiert wurden.14 Lessing selbst hatte entschieden dafür plädiert, der eigensprachlichen Überlieferung die gleiche philologische Sorgfalt entgegenzubringen wie der antiken. Sie wollten mit dem »Dichter wie mit einem wirklichen klassischen Schriftsteller« umgehen, als seine »kritischen Erythräi« – so schreibt er 1759 über die Ausgabe von Logaus Sinngedichten, die er mit Ramler veranstaltet hat.15 Karl Lachmann, der die Editionsphilologie revolutionierte, stellte dann mit seiner Ausgabe Lessing neben Wolframs Parzival, das Nibelungenlied und Lukrez. Er und vollends Franz Muncker suchten, kritisierten und publizierten jedes Fragment. Diese Rezeptionsgeschichte hat eine ironische Pointe: Selbst jedes nur erwogene Projekt Lessings wurde akribisch dokumentiert – aber dennoch geriet das gelehrte Fundament seiner Arbeitsweise oft aus dem Blick. Die Germanistik des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts kanonisierte die großen Werke. Deren methodische und sachliche Voraussetzungen aber vergaß man gerne. Der »poeta doctissimus«16 Lessing erschien in der aufsteigenden Linie der literaturgeschichtlichen Sicht wohl als Neuerer – zu selten aber als hochbewusster Erneuerer, der jederzeit seine Stellung in der Tradition reflektiert.17 Wo die

13 14 15 16 17

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken I. Hrsg. von Hans Eichner. München u. a. 1967, S. 209; Lessings Gedanken und Meinungen. 7. Vom kombinatorischen Geist (1804). In: ebd., Bd. 3: Charakteristiken und Kritiken II. Hrsg. von Hans Eichner. München u. a. 1975, S. 80f. Vgl. Lessings Gedanken und Meinungen aus dessen Schriften zusammengestellt und erläutert von Friedrich Schlegel. 3 Teile. Leipzig 1804. Vgl. zum Begriff und zum Kontext des 18. Jahrhunderts: Steffen Martus: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin, New York 2007. B 4, S. 591 (Selbstrezension im 43. Literaturbrief). So Wilfried Barner – auf den diese Kritik freilich nicht zutrifft – zu Lessings frühen SenecaStudien; ders.: Produktive Rezeption. Lessing und die Tragödien Senecas. München 1973, S. 23. Vgl. Barner (wie Anm. 16), S. 96. Weitere aufschlussreiche Arbeiten zu den gelehrten Hintergründen Lessings: Kommerell (wie Anm. 2); Raabe (wie Anm. 7); Robert S. Leventhal: The Disciplines of Interpretation. Lessing, Herder, Schlegel and Hermeneutics in Germany 1750–1800. Berlin, New York 1994, S. 69–139; Arno Schilson, Axel Schmitt, in B 10, S. 1127–1147 (zur Praxis der Kollektaneen); zum Laokoon die Aufsätze in Robert / Vollhardt (Hrsg.) (wie Anm. 9). Monika Fick stellt in den Interpretationen ihres Handbuchs (wie Anm. 8) oft die Arbeit heraus, mit der Lessing alte Texte und Traditionen transformiert; leider widmet das Handbuch jedoch der philologischen, antiquarischen, sprachlichen Ge-

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

gelehrte Seite dennoch thematisiert wurde, spaltete man gerne Lessings Persönlichkeit: An der einen Stelle mochte der ›Philologe‹ Lessing sprechen, an der anderen der ›Antiquar‹, dort wieder ein allgemeiner ›Gelehrter‹ – nicht aber der ›eigentliche‹ Lessing, der Neuerer. An die vorhandenen, aber noch relativ spärlichen Forschungen anzuschließen und den ›ganzen‹ Lessing von seinem gelehrten »Fundament« aus zu deuten – das bleibt immer noch eine Aufgabe der Zukunft. Der folgende Text bietet dreierlei: In Abschnitt I. wird, soweit möglich, die Herkunft des aufgefundenen Manuskriptes rekonstruiert (I.1), und es wird beschrieben (I.2). Abschnitt II. widmet sich der konkreten Arbeit Lessings: Erstens wird versucht, Lessings Eintragungen in ihrer Folge zu datieren, das heißt seine Lektüren zu identifizieren und sie in die Chronologie seines Lebens einzuordnen (II.1). Beispielhaft wird dann rekonstruiert, wie er bei seinen Lemmata vorging, wie er Hilfsmittel benutzte, welche Fragen er stellte (II.2). Abschnitt III. dann versucht, das Manuskript der Aehnlichkeit in Lessings Werk und in die zeitgenössische Gelehrsamkeit einzuordnen. Alle drei Abschnitte lassen sich getrennt voneinander lesen. Wer also beispielsweise lediglich an den ideengeschichtlichen Kontexten und an der Bedeutung der Etymologie für Lessings Werk interessiert ist, kann die mikrologischen Abschnitte I. und II. überschlagen.

lehrsamkeit keinen eigenen Abschnitt. Zur Sprache: Arthur Hübner: Lessings Plan eines Deutschen Wörterbuches. In: ders.: Kleine Schriften zur deutschen Philologie. Berlin 1940, S. 235–245; Eric A. Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700–1750. Stuttgart 1966, S. 249–280; Detlev Droese: Lessing und die Sprache. Zürich 1968; Georg Schuppener : Lessings Beitrag zur Entwicklung des Wortschatzes unter besonderer Berücksichtigung seiner Übersetzungen. In: ›Ihrem Originale nachzudenken‹. Zu Lessings Übersetzungen. Hrsg. von Helmut Berthold. Berlin, New York 2008, S. 1–19. Zu den altdeutschen Studien: Ursula Liebertz-Grün: Lessing als Mediävist. In: Euphorion 77 (1983), S. 326–341; Edith Welliver : Lessing’s Approach to Medieval Literature. In: Lessing Yearbook 17 (1985), S. 121–132; Albrecht Classen: Lessing als Philologe: Seine Kenntnis und Wertung mittelalterlicher Dichtungen und Texte. In: Lessing Yearbook 19 (1987), S. 139–169, S. 156–161 mit einer Aufstellung von Lessings einschlägigen Arbeiten. Zur Antike: Grundlegend erschließt Lessings gelehrte Quellen und Kontexte: Uta Korzeniewski: »Sophokles! Die Alten! Philoktet!«. Lessing und die antiken Dramatiker. Konstanz 2003, hier auch weitere Literatur. Genannt seien darüber hinaus: Eduard Norden: Lessing und die klassische Philologie (1929). In: ders.: Kleine Schriften zum klassischen Altertum. Hrsg. von Bernhard Kytzler. Berlin 1966, S. 620–638; Hellmut Sichtermann: Lessing und die Antike. In: Lessing und die Zeit der Aufklärung. Göttingen 1968, S. 168–193; Volker Riedel: Lessing und die römische Literatur. Weimar 1976; Jochen Dummer : Lessings Stellung in der Wissenschaftsgeschichte. In: Lessing-Konferenz Halle 1979. Teil 1. Hrsg. von Hans-Georg Werner. Halle (Saale) 1980, S. 305–310; ders.: Der Philologe Lessing. In: Berthold (Hrsg.) (wie oben), S. 21–28.

Provenienz des Manuskriptes und Beschreibung

I.

Provenienz des Manuskriptes und Beschreibung

I.1

Breslau – Halle – Halberstadt – Berlin. Der Weg der Aehnlichkeit

217

Ein neuer Manuskriptfund mag nicht nur Aufmerksamkeit verdienen, weil die Philologie des 19. Jahrhunderts jeden Buchstaben Lessings veröffentlicht hat, dessen sie habhaft werden konnte. Er vertieft auch den Einblick in Lessings Arbeitsweise und Selbstverständnis. Das Manuskript mit dem Titel »Von der Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache Zur Erleichterung der erstern, und Verbeßerung der leztern.« in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz blieb bisher unbekannt, weil es in dem umfangreichen Nachlass eines anderen verborgen war, des Philologen Friedrich August Wolf. Die Signatur lautet daher »Nachlass Friedrich August Wolf, Anhang, acc. 3038«. Die Forschung wusste dabei, dass Lessing etwas mit diesem Titel unter der Feder hatte. Lachmann benennt das verschollene Manuskript in seiner editorischen Bemerkung zu den Nachlassnotizen, die unter dem Titel Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden versammelt sind.18 Franz Muncker ordnet den Titel dann in seine Dokumentation von »Entwürfe[n] und unvollendete[n] Schriften« ein.19 Beide vermerken auch, woher sie den Titel kennen: Er stammt von Georg Gustav Fülleborn, der Lessings Bruder Karl bei der Publikation von Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen litterarischen Nachlasse unterstützte.20 Karl Lessing brachte 1793 und 1795 die ersten beiden Bände heraus, Fülleborn besorgte den dritten mit den philologischen, literatur- und kunsthistorischen Papieren. Dieser erschien gleichfalls 1795, zur Michaelismesse.21 In seiner Vorrede geht Fülleborn den Nachlassbestand durch. Als siebten Posten nennt er »Verschiedne Anmerkungen zu einem Dictionnaire compar8, wie wir es nennen könnten.« Darunter befänden sich »mehrere Vergleichungen Deutscher Redensarten mit Griechischen«22 und »dazu gehörig[…]« ein »Manuscript« mit dem Titel »Ueber die Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen 18 Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe [hrsg. von Karl Lachmann]. Eilfter Band. Berlin 1839, S. 655. Die Vergleichung erstreckt sich bis S. 665; LM 16, S. 65–77; B 10, S. 308–320. 19 Vgl. LM 14, S. 245. 20 Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen litterarischen Nachlasse. Herausgegeben von K.G. Lessing. Erster Theil. Berlin 1793; Zweiter Theil. Berlin 1795. 21 Dass. Dritter Theil. Berlin 1795. Auf diesen Haupttitel folgt ein Nebentitel: G.E. Lessings Nachlaß zur Deutschen Sprache, alten Literatur, Gelehrten- und Kunst-Geschichte; geordnet von Georg Gustav Fülleborn. Muncker (LM 22, S. 522) vermutet, dass der Band auch separat, ohne Haupttitel verkauft wurde. 22 Fülleborn (wie Anm. 21), S. XV.

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

Sprache, zur Erleichterung der erstern, und Verbesserung der leztern.« Fülleborn entscheidet sich jedoch, das Manuskript nicht zu edieren – sein wissenschaftlicher Wert sei aufgrund der fragwürdigen Etymologien gering. Fülleborn liegt in seiner Edition die gelehrte Leistung Lessings am Herzen, nicht in erster Linie dessen Individualität.23 Eine Arbeit, deren Wahrheitswert überholt ist, wäre für das Publikum wertlos und für Lessings Ansehen schädlich. Fülleborn beschreibt den Nachlass nur vage. Der falsch transkribierte Titel ist nur ein Detail (im Original steht etwa »Von der« statt »Ueber die«). Unklar bleibt vor allem, welche Form jene »Verschiedne[n] Anmerkungen« gehabt haben mögen; Fülleborn verwendet diesen Begriff auch für die anderen Nachlassposten immer wieder. Er druckt dann eine nicht weiter kommentierte Auswahl aus allem, was er zur Hand hat, und gibt ihr jenen oben schon genannten Titel: Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden. Groß ist der Unmut, den die Lessing-Forschung seither bei Fülleborns Namen verspürt. Denn der Nachlassteil, über den er verfügte, verschwand spurlos. Notgedrungen und ihres Ungenügens schmerzlich gewärtig,24 nahmen alle späteren Editoren die Bearbeitungen jenes ersten Herausgebers in ihre Ausgaben auf. Auch der Titel der Aehnlichkeit spukt seitdem in seiner fehlerhaften Form durch die Forschung.25 Oft vermutete man dahinter einen unvollendeten Aufsatz. Wie gelangte nun die Aehnlichkeit in die Staatsbibliothek zu Berlin? Lückenlos nachvollziehen lässt sich, wie das Manuskript nach Lessings Tod von Wolfenbüttel26 nach Breslau zu seinem Bruder und dann zu Fülleborn kam. Ebenfalls dokumentiert sind die Umstände, unter denen die Königliche Bibliothek zu Berlin, die Vorgängerin der heutigen Staatsbibliothek, den Nachlass Friedrich August Wolfs erwarb. Nach dessen Tod holte sein Schwiegersohn Wilhelm Körte die Papiere nach Halberstadt, wo er privatisierte. Er ordnete alles und ließ ein Verzeichnis drucken, das auch der Suche nach einem würdigen

23 Zur Entwicklung einer ›selektionslosen Aufmerksamkeit‹ um 1800, die nach einem Zeugnis fragt, weil es ›interessant‹ für das Verständnis eines Autors sei, vgl. Martus (wie Anm. 14). 24 Vgl. beispielsweise B 10, S. 1010–1012. 25 Beispiele: Droese (wie Anm. 17), S. 6; Jürgen Schröder : Gotthold Ephraim Lessing. Sprache und Drama. München 1972, S. 56; Lessing: Werke. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. Bd. 5: Hrsg. von Jörg Schönert. München 1973, S. 1001; Hendrik Birus: Poetische Namengebung. Zur Bedeutung der Namen in Lessings Nathan der Weise. Göttingen 1978, S. 57f.; Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 123. 26 J.H. Fricke verzeichnete es nach Lessings Tod im Wolfenbütteler Nachlass-Inventar ; vgl. Otto von Heinemann: Zur Erinnerung an Gotthold Ephraim Lessing. Briefe und Aktenstücke aus den Papieren der Herzoglichen Bibliothek und den Akten des Herzoglichen Landeshauptarchivs zu Wolfenbüttel. Leipzig 1870, S. 207, Pos. 18; die Liste war vorher bereits gedruckt worden von Friedrich Chrysander : Lessingiana. in: Westermanns Jahrbuch der Illustrierten Deutschen Monatshefte 1 (1857), S. 250–258, hier S. 254.

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Käufer diente.27 1838 gewährte er Karl Ferdinand Ranke, dem Direktor des Göttinger Gymnasiums und Bruder Leopold von Rankes, Zugang zum Nachlass.28 Dieser berichtete auf der Versammlung der Philologen und Schulmänner über die Bestände und eine geplante Nachlassausgabe, die aber nicht zustande kam. Erst nach Körtes Tod übergab dessen Witwe Wilhelmine, Wolfs Tochter, die Bestände an die Berliner Bibliothek. Die Hinterlassenschaft des Vaters verschaffte ihr ein finanzielles Auskommen, der Kaufpreis bestand in einer jährlichen Pension. Der Autographenkatalog der Königlichen Bibliothek verzeichnet dies und den Eingang des umfangreichen Konvoluts im Jahr 1846.29 Beigelegt war dem Nachlass ein Separatdruck des Vollständigen Verzeichnisses mit handschriftlichen Zusätzen Körtes.30 Ein Bibliothekar ergänzte es handschriftlich: Unter anderem zog er am Ende des Verzeichnisses, nach den XXXVII Abteilungen des Nachlasses, einen Strich und nahm darunter als Anhang noch sieben weitere Posten mit Akzessionsnummern auf. Als zweiter erscheint hier die Aehnlichkeit, mit ihrem vollständigen Titel und dem Zusatz »(Autograph)«. Gleich danach ist eine Abschrift des Textes verzeichnet, angefertigt von Körte (Signatur: Nachlass Friedrich August Wolf, Anhang, acc. 3039). Ein Glied fehlt in dieser Überlieferungskette: Wie kam das Manuskript von Fülleborn zu Wolf ? Durch eine Hypothese lässt es sich ergänzen. Bevor Fülleborn ab 1791 als Professor für klassische Sprachen am Elisabethanum zu Breslau lehrte, hatte er Wolfs Philologisches Seminar an der Universität Halle absolviert. Er gehörte zu der ersten Kohorte von Studenten, die an dem frisch gegründeten Institut ausgebildet wurden.31 Im ersten Tätigkeitsbericht an den Preußischen König lobte Wolf seinen Schüler entschieden: »Er erweckt alle Hoffnung, daß er in Philosophie und Studium des Alterthums einmal etwas tüchtiges leisten 27 Das Vollständige Verzeichniss von Wolf ’s reservirtem litterarischem Nachlasse ist abgedruckt in: Wilhelm Körte: Leben und Studien Friedr. Aug. Wolf ’s des Philologen. 2 Teile. Essen 1833, Bd. 2, S. 259–308. 28 Vgl. Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Nürnberg 1838. Nürnberg 1838, S. 19f. 29 Vgl. Katalog: Die Autographa der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Bd. »W«, S. 171. Dienstkatalog der Handschriftenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. 30 Der Separatdruck trägt auf dem Titelblatt als Druckvermerk »Halberstadt 1833.« Die SBB – PK besitzt nur noch eine Xerokopie (im Nachlassverzeichnis Wolf, Dienstkatalog der Handschriftenabteilung), das Original befindet sich in der Bereichsbibliothek Altertumswissenschaften der Universitätsbibliothek Heidelberg. Michael Bernays hatte es offenbar im Rahmen seiner Arbeiten zu Wolf und Goethe (bis 1868) ›entliehen‹, aber zurückzugeben vergessen. Nach seinem Tod gelangte es in die Bibliothek des Heidelberger Philologischen Seminares. Franz Martin Scherer und Prof. Dr. Jürgen Paul Schwindt danke ich für die große Hilfsbereitschaft bei der Einsichtnahme. 31 Zum Seminar vgl. Mark-Georg Dehrmann, Carlos Spoerhase: Die Idee der Universität. Friedrich August Wolf und die Praxis des Seminars. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 5 (2011), H. 1, S. 105–117.

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

werde.«32 Fülleborn tat in den folgenden Jahren alles, um Wolfs Empfehlung gerecht zu werden – bis er 1803, mit 33 Jahren, an einem Herzleiden starb.33 Zwar ist kein Briefwechsel mit Wolf überliefert; aber der Schluss liegt nahe, dass Fülleborn Lessings Handschrift an seinen alten Lehrer schickte, vielleicht, damit er den Inhalt prüfe.34 Das kann durchaus in Absprache mit Karl Lessing geschehen sein. Dass dieser Band aus Lessings Nachlass nach Halle ›verstreut‹ wurde, ist ein Glücksfall. Sonst wäre die Aehnlichkeit wohl mit den übrigen Papieren, die Fülleborn überlassen worden waren, verloren gegangen. Gleichzeitig hat der ›Umweg‹ des Manuskriptes über Halle und Halberstadt Spuren in ihm hinterlassen, die schwer zu deuten sind. Beispielsweise gibt es in ihm eine Reihe von Einträgen, die nicht von Lessing stammen. Doch zunächst sei überhaupt ein genaueres Bild vom Manuskript gezeichnet.

I.2

Beschreibung des Manuskripts

»Stöße von Mappen mit Kollektaneen, Entwürfen, Notizen, Fragmenten, Vorarbeiten, Ideen, Titellisten« – so imaginiert Paul Raabe Lessings Schreibtisch, die Werkstätte eines Gelehrten, der »unermüdlich las, sammelte, notierte, skizzierte, formulierte, zur Seite legte, fortführte«.35 Und obwohl Lessing seinen Schreibtisch immer wieder an anderen Orten aufstellte, nahm er seine gelehrten Schätze doch mit, wenn es nur irgendwie ging. Seit Ende 1759 begleitete ihn auch das kleine Kollektaneen-Buch,36 auf dessen fliegenden Vorsatz er als Titel geschrieben hatte: »Von der Aehnlichkeit / der Griechischen und Deutschen Sprache / Zur Erleichterung der erstern, und Ver- / beßerung der leztern.« Darunter ist der Beginn der Sammlung datiert: »angef. den 1 Dcmbr 1759.« (Bl. 1r)37 Eine geschwungene Linie führt zum unteren Rand des Blattes, zu einem 32 Wolf, Brief an König Friedrich Wilhelm II., 11. Nov. 1788. In: Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen. Hrsg. von Siegfried Reiter. 3 Bde. Stuttgart 1935, Bd. 1, S. 70–72, hier S. 71. 33 Zu Fülleborns Leben vgl. den Artikel von Manso in: Nekrolog der Teutschen für das neunzehnte Jahrhundert. Hrsg. von Friedrich Schlichtegroll. Bd. 3. Gotha 1805, S. 101–123; knapp Hermann Palm in der ADB 8 (1878), S. 194–195. 34 Fülleborn verließ die Universität Halle 1789. Sechs Jahre später, im November 1795, empfahl ihn Wolf unvermittelt als möglichen Platon-Übersetzer an Wieland – vielleicht hatte sich sein ehemaliger Schüler gerade durch die Übersendung des Lessing-Manuskriptes in Erinnerung gerufen? Vgl. den Brief von Wolf an K.A. Böttiger, 30. Okt. 1795; Reiter (wie Anm. 32), Bd. 1, S. 183. 35 Raabe (wie Anm. 7), S. 80. 36 Zur gelehrten Technik der Kollektaneen und ihrer Bedeutung für Lessing vgl. Schilson, Schmitt (wie Anm. 17). 37 Die Datierung des Heftes scheint für diese Zeit in Lessings Leben typisch zu sein. Fülleborn beispielsweise transkribiert den Titel der Notizen zum Heldenbuch so: »Ueber das Hel-

Provenienz des Manuskriptes und Beschreibung

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Namenseintrag in lateinischer Schreibschrift: »von / Gotthold Ephraim Lessing«. Linie und Name stammen von einer anderen Hand, möglicherweise derjenigen Wilhelm Körtes. Eigentlich handelt es sich bei dem Kleinoktav-Band um ein recht robustes Exemplar seiner Gattung: Er ist solide in Halbleder gebunden und mit türkisem bzw. blaugrünem Buntpapier geschmückt; der Schnitt ist rot gesprenkelt, die Buchdeckel bestehen aus dünnem Holz. Aber dies kommt freilich nur zum Vorschein, weil der Band sehr strapaziert ist. Das Buntpapier ist an den Kanten ausgerissen, seine Marmorierung auf den Deckeln stark berieben, was auch für den Lederrücken gilt. Ja, sogar das Holz ist an einer Stelle leicht angebrochen. Auf dem vorderen Buchdeckel kleben Fragmente eines Etiketts. Es scheint nicht beschriftet gewesen zu sein, sieht man von Spuren weniger Ziffern oder Buchstaben an seinem unteren Rand ab. Der Rücken trägt gleichfalls ein Etikett aus Papier. »Lessing / Von der Aehn- / lichkeit der / Grie« lässt sich von der alten, stark abgeriebenen Eintragung in Tinte noch entziffern. Auch die Bindung ist nicht mehr so stramm, wie sie einst war. Die Fadenheftung der 22 vollständigen Bögen zu je 8 Blättern hat sich teils gelockert. Teils eingerissen sind der unvollständige Bogen (Spiegel plus 2 Bl.) am Beginn des Bandes und der unvollständige Bogen am Ende (5 Bl. plus Spiegel). Seine vielfältigen Reisen, zu Lessings Lebzeiten und posthum, haben dem Band nicht gutgetan. Insgesamt enthält das Notizbuch 183 Blätter im Format 16,2 x 10,1 cm. Mitgezählt sind die fliegenden Vorsätze, hinzu kommen die beiden Spiegel, von denen der vordere beschriftet ist. Eingebunden wurde Papier von unterschiedlicher Stärke, aber offenbar aus derselben Produktion. Es weist eine einheitliche gelbliche Tönung auf und die gleiche, leicht grobe Struktur mit einheitlicher Rippung. Durchgehend lassen sich am Falz der Bögen Partien eines Wasserzeichens erkennen. Die Seiten wurden im Jahr 2010 oben rechts von der Bibliothek mit Bleistift foliiert. Der vordere fliegende Vorsatz zählt dabei als Blatt 1. Lessing hat das Buch vor der Benutzung offenbar für seine Zwecke eingerichtet; denn ein Großteil der rechten Seiten trägt oben, mittig mit Tinte eingetragen, Buchstaben des griechischen Alphabets. Ein vereinzeltes »A« findet sich bereits auf Blatt 5r, es stammt jedoch wie die Notiz auf dieser Seite nicht von Lessing. Erst auf 17r beginnen eigentlich Lessings Eintragungen in das präparierte Alphabet. Dieses endet auf Bl. 126r mit »X«. »Y« war offenbar nicht vorgesehen. Unter »G« finden sich keine Einträge. Die Buchstaben sind manchmal mit Ordnungspunkt versehen, manchmal auch nicht. Die Seiten sind halbbrüchig geknickt. So entstehen zwei Spalten. In die äußere denbuch. Angefangen den 23sten Februar 1758.« Vgl. LM 14, S. 205–219; das Manuskript ist verschollen.

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

trägt Lessing seine Kollektaneen ein, indem er die gefundenen Wörter unter ihrem jeweiligen Anfangsbuchstaben lemmatisiert. Die freie innere Spalte bietet Platz für (nur sporadisch vorgenommene) Nachträge und Ergänzungen. Lessing beginnt seine Eintragungen meist auf der recto-Seite der Blätter ; verso setzt er sie fort, wenn die Seite gefüllt ist. Aber es gibt auch Fälle, in denen offenbar ohne Raumnot ein Eintrag verso zu stehen kommt.38 Lessings Handschrift variiert mitunter stark, auch die verwendeten Tinten lassen sich oft mehr oder weniger deutlich unterscheiden.39 Er benutzte das Notizbuch eben über lange Zeit hinweg. Tinte und Duktus können wichtige Hinweise zur Datierung einzelner Einträge liefern, zumal, wenn man sie mit der Position der Einträge in dem Band und mit Lessings jeweiligem Arbeitskontext zusammenhält (zu Datierungsfragen siehe weiter unten, Abschnitt II.). Das Meiste in dem Notizbuch stammt von Lessing, aber – es wurde schon angedeutet – doch nicht alles. Der Band enthält Einträge in mindestens drei anderen Handschriften – nicht gezählt die Spuren der bibliothekarischen Bearbeitung von 1846 und 2010.40 Die erste gehört Karl Lessing, der auf dem vorderen Spiegel zwei bibliographische Angaben notiert hat.41 Die zweite Handschrift ist diejenige von Wilhelm Körte. Seine schon erwähnte Abschrift des Manuskriptes bietet reiches Vergleichsmaterial. Möglicherweise hat er Lessings Namen auf das Titelblatt geschrieben. Zweierlei hat er mit Gewissheit eingetragen, erstens eine Kurzbiographie des unglücklichen Gelehrten Johann Dunkel, der, wie man ihr entnehmen kann, 1759 seinen Studien zur griechischen und celtischen Sprache zum Opfer fiel (Bl. 2v);42 zweitens das Lemma »-qy« 38 Bl. 65v, 66v, 67v, 98v . 39 Zu den Beziehungen von Handschrift, Tinte und Feder im Fall der Laokoon-Paralipomena vgl. die aufschlussreichen Einlassungen von Christine Vogl: Lessings Laokoon-Nachlass. Mögliche Antworten auf editorische Fragen. In: Robert / Vollhardt (Hrsg.) (wie Anm. 9), S. 41–98, insbes. S. 55f. Ich danke Christine Vogl (Osnabrück / München) auch dafür, dass ich in ihre Magisterarbeit (München 2014) zu einer zukünftigen Laokoon-Edition Einsicht nehmen durfte. Dort werden die materiellen Befunde zu den Laokoon-Paralipomena noch ausführlicher dargestellt. 40 Von 1846 findet sich der Akzessionsvermerk der Königlichen Bibliothek zu Berlin, mit Tinte, oben links auf dem vorderen Spiegel (»Acc. 3038«). Am hinteren Spiegel ist ein schmaler Papierstreifen befestigt, der einige Zentimeter über den Buchschnitt hinausragt. Er ist in der gleichen Hand beschriftet: »Wolfiana Anhang. Access. 3038.« Der vordere fliegende Vorsatz trägt verso (= Bl. 1v) den Stempel »Ex Biblioth. Regia Berolinensi.« in roter Tinte. Von 2010 stammt neben der beschriebenen Foliierung ein moderner Akzessionsvermerk auf dem vorderen Spiegel, beides mit Bleistift (»Wolfiana Anhang acc. 3038«). 41 Für diesen Hinweis danken wir Christine Vogl (Osnabrück / München). 42 Vgl. zu Dunkel: Christian Gottlieb Jöcher, Johann Christoph Adelung: Allgemeines Gelehrten-Lexicon […]. Nachträge und Ergänzungen. Bd. 2. Leipzig 1787, S. 788–792; Biobibliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jhs. (BBHS) Hrsg. von Herbert E. Brekle, Edeltraud Dobnig-Jülch, Hans Jürgen Höller, Helmut Weiß. 8 Bde. Tübingen 1992–2005, Bd. 2, S. 297–300.

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(ernten, pflügen, Bl. 21r ; recte: !q_). Sollte sich der alte Körte an Lessings etymologischem Interesse angesteckt haben? Das ist wohl möglich, aber nicht wahrscheinlich. Beide Eintragungen stehen in auffälliger Beziehung zu Lessing: Johann Dunkels Nähere Erklärung über sein lateinisches Werk, von der Abstammung der griechischen Sprache aus der celtischen, die der Abschnitt nennt, ist Anfang 1763 von Friedrich Nicolai für die Literaturbriefe rezensiert worden.43 Der alte deutsche Begriff »erarnen«, der zur griechischen Wortfamilie um »%qy« in Beziehung gesetzt wird, fiel auch Lessing 1759 bei Logau auf.44 Vielleicht sind dies zwei Zufälle. Vielleicht aber standen Körte noch zwei weitere Zettel von Lessing zur Verfügung,45 deren Inhalt er in das Buch eintrug und die dann entweder verloren gingen oder noch irgendwo im Wolf-Nachlass verborgen sind. Körtes Handeln birgt noch andere Rätsel. Als er Lessings Notizen sauber auf Schreibpapier kopierte,46 fügte er auf der zweiten Seite (Körte, unpag. Deckblatt, verso) Lachmanns Bemerkungen über die verlorene Handschrift aus dessen Ausgabe von 1839 hinzu.47 Warum setzte er sich nicht mit Lachmann in Verbindung? Auch hier kann man nur spekulieren. Vielleicht wollte er den Wert des Wolf-Nachlasses vor dem Verkauf nicht durch Edition eines attraktiven Bestandteils schmälern. Körte hatte es sich außerdem mit der Lessing-Gemeinde gründlich verdorben, als er 1839 nachweisen wollte, dass der größere Teil der Erziehung des Menschengeschlechtes in Wahrheit von Albrecht Thaer stamme.48 Körtes Abschrift des Manuskriptes ist größtenteils akkurat, hier und da liest er jedoch nicht korrekt, öfter glättet er verwickelte Formulierungen Lessings. Die lateinischen Synonyme und manche Belegstelle lässt er weg. Dafür aber fügt er in Marginalien 36 neue Lemmata bzw. Ergänzungen zu Lessings Überlegun43 Briefe, die neueste Litteratur betreffend. 16. Teil. Beschluss des zwey hundert und sieben und funfzigsten Briefes, 4. Februar 1763, S. 65f. 44 Friedrichs von Logau Sinngedichte. Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters hrsg. von C.W. Ramler und G.E. Lessing. Leipzig 1759; S. 3–103 der zweiten arabischen Seitenzählung, hier S. 35; s.v. »erarnen« notiert Lessing ohne etymologischen Verweis: »so viel als erwerben« und führt neben einem Logau-Vers noch eine Stelle aus dem spätmittelalterlichen Heldenbuch an. 45 Was die Notiz zu Dunkel betrifft: Lessing stellte bekanntlich von früh an Material zusammen, um die neue Auflage des Jöcher (1750/51) zu ergänzen. Auch als er diesen Plan einigermaßen aufgegeben hatte, sammelte er fleißig weiter zur historia literaria; über die Manuskripte vgl. LM 14, S. 172f. 46 Eine genauere Beschreibung des Manuskriptes findet sich im Abschnitt 3 der vorl. Edition: Wilhelm Körtes Abschrift (S. 199f.). 47 Vgl. Lachmann (wie Anm. 18). Dies ist auch der terminus post quem für Körtes Abschrift. 48 Wilhelm Körte: Albrecht Thaer. Sein Leben und Wirken, als Arzt und Landwirth. Leipzig 1839, S. 23–27 u. ö. Siehe die rasante Abfertigung Körtes in Gottschalk Eduard Guhrauer : Lessing’s Erziehung des Menschengeschlechts kritisch und philosophisch erörtert. Eine Beleuchtung der Bekenntnisse in W. Körte’s Albrecht Thaer. Berlin 1841. Die Schrift ist Lachmann gewidmet.

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gen hinzu. Woher diese Texte stammen, erläutert er mit keinem Wort. Hat sich Körte doch als Etymologe versucht? Auch dies erscheint möglich, aber eine andere Erklärung mag vorzuziehen sein. Sie ergibt sich aus folgenden Überlegungen: 33 der neuen Lemmata stehen in eckigen Klammern (mitunter vergisst Körte die abschließende). Zwei etymologische Bemerkungen sind per Asterisk und ohne Klammer an den Rand gesetzt. Sie entsprechen in dieser Behandlung den weiteren erläuternden Kommentaren, die Körte liefert und die auf ihn zurückgehen. Eine letzte Etymologie stammt von Lessing, Körte hat sie aus Lachmanns Ausgabe abgeschrieben und weist dies entsprechend nach. Sie steht auch nicht in Klammern. Körte scheint systematisch vorzugehen: Er trennt die eingeklammerten Lemmata von dem, was von ihm selbst stammen mag. Fünf der eingeklammerten Additamenta sind mit dem Buchstaben »W.« versehen. Das unterstrichene W stand bei Körte für den Schwiegervater »Wolf«. Dies belegen beispielsweise die handschriftlichen Ergänzungen zum gedruckten Nachlassverzeichnis. Wolf selbst zeichnete seine Briefe und Manuskripte gern auf diese Weise. Es liegt nahe, dass Körte Bemerkungen Wolfs zu Lessings Manuskript transkribiert,49 in jenen fünf Fällen zumindest. Das unbezeichnete Lemma »jeil¶kiom, pretiosum, unser : Juwel«, (Körte, S. 11) lässt aber möglich erscheinen, dass auch anderes auf Wolf zurückgeht. »[I]ndice Reizio«, so ist hier hinzugefügt: ›nach Angabe von Reiz‹. Wolf aber war mit dem 1790 verstorbenen Philologen Friedrich Wolfgang Reiz eng befreundet gewesen und hatte dessen Nachlass übernommen.50 Körte überträgt wohl auch hier eine Vorlage, die nicht von ihm stammt. Dass sich Wolf, einer der Begründer des Neuhumanismus, gleichfalls für die ›Ähnlichkeit‹, ja die Verwandtschaft von Deutschen und Griechen interessierte, liegt auf der Hand: Seine bedeutende Darstellung der Alterthums-Wissenschaft widmet er Goethe, denn die »Verwandtschaft eines unserer Urstämme mit dem hellenischen« möge dafür verantwortlich sein, dass »wir Deutschen nach so manchen Verbildungen am willigsten unter den Neuern in die Weisen des griechischen Gesanges und Vortrages« eingestimmt seien.51 Wolf scheint dabei Lessings Beobachtungen nicht so skeptisch gegenübergestanden zu haben wie Fülleborn. In einer handschriftlichen Sammlung von Bemerkungen zur deutschen Sprache zitiert er durchaus zustimmend dessen Bemerkung, die deutschen »Ahnen« könnten von den griechischen »%my« abstammen.52 Wenn Wolf Lessing kommentiert haben 49 Dass diese sich auf die Aehnlichkeit beziehen, erhellt aus »W.«s Bemerkung zu »6folai« (Körte, S. 8), wo Lessings etymologische Bestimmung präzisiert wird. 50 Vgl. Wolfs Brief an J.H.M. Ernesti, 21. April 1790; Reiter (wie Anm. 32), Bd. 1, S. 88; siehe auch die zahlreichen Hinweise auf Reiz im Nachlassverzeichnis (wie Anm. 27). 51 [Wolf:] [Widmung an:] Goethe. In: Museum der Alterthums-Wissenschaft. Hrsg. von Friedrich August Wolf und Philipp Buttmann. Erster Band. Berlin 1807, S. VI. 52 Körte verweist in seiner Abschrift auf diese Bemerkung Wolfs (Körte, S. 2). Das Manuskript

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sollte, dann könnte sein Nachlass die entsprechende Vorlage – womöglich Blätter oder Bögen – noch enthalten, genauso wie die oben konjizierten weiteren Zettel Lessings. Kommen wir zurück zum Manuskript der Aehnlichkeit und zur letzten fremden Handschrift in ihm. Lessing kann sie schon deshalb nicht angehören, weil die auf Bl. 70r zitierten Titel erst 1781 bzw. 1787 erschienen sind. Zumindest zum zweiten Datum lebte er nicht mehr. Wolfs temperamentvolle Handschrift sticht von ihren säuberlichen Zügen so stark ab, wie es nur geht. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass es sich bei dem dritten ›Beiträger‹ um Fülleborn handelt. Ein Brief von ihm aus dem Jahr 1797 an den Theologen Friedrich August Carus aus der Staatsbibliothek zu Berlin (Signatur: Sammlung Darmstaedter, 2a 1795, Fülleborn, Georg Gustav, Bl. 3–4), der gleichfalls lateinische und griechische Passagen enthält, weist einige charakteristische Ähnlichkeiten auf – jedoch durchaus auch Abweichungen. Da die lateinischen und griechischen Passagen im Brief jeweils nur wenige Wörter umfassen, kann die wahrscheinliche Verfasserschaft nicht endgültig bestätigt werden. Fest steht, dass der dritte Beiträger das Manuskript um 17 Lemmata und den rätselhaften Plutarch-Auszug auf Blatt 173v bereichert hat. Anders als die Ergänzungen Körtes betreffen diese Eintragungen keine etymologischen, sondern meist mythologische Fragen. Ein zusammenhängendes Interesse lässt sich aus den Lemmata jedoch nicht ohne weiteres erschließen; auch der Sinn der einzelnen Einträge bleibt mitunter dunkel. Aber weshalb nutzt jemand – und zumal vielleicht der Editor Fülleborn – für eigene Kollektaneen Lessings Notizbuch, eine Zimelie schon für die Zeitgenossen? Diese Frage muss einstweilen offen bleiben.

II.

Lessings Mikrologie: Chronologie und Arbeitsweise

II.1

Wann arbeitete Lessing an was?

Wenden wir uns wieder dem unermüdlich lesenden, sammelnden, notierenden Lessing zu, wie ihn Paul Raabe beschwor.53 Nach und nach trug er in den alphabetisch präparierten Band Fundstellen und Gedanken ein, die sich aus seiner Arbeit ergaben. Er sammelte, wie es in der Vorrede zu den geplanten Hermäa heißt, »was man zufälliger Weise auf dem Wege fand«.54 Hier interessieren ihn »Zur Deutschen Sprache und Grammatik. Aus F.A. Wolf ’s nachgelassenen Papieren« – meist in Handschrift und Zusammenstellung Körtes – trägt die Signatur : Nachlass Friedrich August Wolf, Anhang, acc. 3040. Vgl. dazu den Teil 3.A der vorliegenden Edition: Wilhelm Körtes Abschrift, ad Bl. 17r. 53 Vgl. Raabe (wie Anm. 7); Zitat oben, S. 220, bei Anm. 35. 54 B 5/1, S. 449 (Hermäa. Erster Band. Vorrede). Die Handschrift aus der Breslauer Zeit lässt sich

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die »Entdeckungen« und »Aussichten«,55 die sich aus dem etymologischen Vergleich der deutschen und der griechischen Sprache ergeben konnten. Insgesamt lassen sich 131 Lemmata Lessing zuordnen (hinzukommen die genannten 17 in Füllborns und eines in Körtes Schrift). Ungefähr die Hälfte der Einträge zitiert ihr Wortmaterial explizit aus einer antiken Quelle, viele kommen aber ohne Beleg aus; auch sie sind jedoch oft, so darf man vermuten, aus der Lektüre heraus entstanden. Lessing benutzt intensiv einige moderne Hilfsmittel:56 Das Lexicon Graecolatinum des Johannes Scapula nennt er lediglich an vier Stellen der Aehnlichkeit; aber er schlägt fast durchgehend darin nach. Dies belegen die lateinischen Synonyme, mit denen er die Bedeutungen der griechischen Lemmata angibt.57 Sehr oft übernimmt er sie wortgleich aus Scapula, selektiert aber meistens oder spitzt die Bedeutungsvielfalt eines Wortes stark auf einen bestimmten Sinn zu.58 Oft sekundiert der ›Vorgänger‹ von Scapulas Lexicon: der Thesaurus Graecae Linguae des Henricus Stephanus (5 Verweise).59 Stark frequentiert Lessing das Teutsch-Lateinische Wörter-Buch Johann Leonhard Frischs (19 Nennungen). Hier interessiert ihn nicht zuletzt, welche etymologischen Beziehungen Frisch herstellt. Lessing notiert vor allem seine Kritik.

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auf 1763 datieren; vgl. B 5/1, S. 853f. Dieses Verfahren, Einsichten quasi mäandernd, aber – und das ist zentral – aus den Quellen zu gewinnen, entfaltet Lessing auch in der LaokoonVorrede (vgl. B 5/2, S. 15f.). Auch hier verbirgt sich hinter dem nur scheinbar bescheidenen Ton ein Plädoyer für die Kritik im Sinne einer philologischen Prüfung der Quellen. Dieses Vorgehen im Falle des Laokoon ernst zu nehmen, ist ein Impuls des Bandes von Robert / Vollhardt (Hrsg.) (wie Anm. 9); stellvertretend sei verwiesen auf Robert (wie Anm. 11). B 5/2, S. 15f. (Laokoon). Für bibliographische Nachweise zu allen Lexika vgl. Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen. Lessing benutzt Scapula noch in Wolfenbüttel; vgl. LM 16, S. 124 und 130 (Geschichte der Aesopischen Fabel). Ihn scheint Lessing auch für seine Aias-Übersetzung 1760 zu verwenden, nicht jedoch Hederichs Lexicon Manuale Graecum (3 Teile, Leipzig 1722 u. ö.), wie Korzeniewski (Anm. 17, S. 220) vermutet. Bei Scapula finden sich alle lateinischen Synonyme, die Lessing notiert, einschließlich der lateinischen Paraphrase von !l´qistor, die Korzeniewski nicht nachweisen konnte: Lessing übersetzt: »quod in partes secari non potest«, Scapula (S. 968): »qui in partes dividi seu secari non potest.« Die Überschneidungen zwischen Hederich und Scapula kommen wohl dadurch zustande, dass jener diesen für sein eigenes Wörterbuch benutzt hat. Ein Beispiel wäre »5qula, to. tutamen, murus« (Bl. 39r). Scapula (S. 496) nennt zuerst »tutamen, tutamentum, munimentum« (im allgemeinen Sinne von ›Schutz‹) und fügt dann als weitere Bedeutungen hinzu: »Item munimentum, vallum, murus, praesidium, munitio« (Bollwerk, Schutzwehr, Mauer, Schanze, Befestigung). Lessing zieht das erste Synonym heraus und fügt als zweites die sehr spezifische, gelegentliche Bedeutung »murus« hinzu. Sie führt zu der Etymologie, um die es ihm geht: »Mauer«. ›Vorgänger‹ ist ein Euphemismus. Johannes Scapula war einer von zwei Amanuenses des Pariser Gelehrten und Druckers. Nach Fertigstellung des Thesaurus und nachdem Stephanus das monumentale Werk durchkorrigiert hatte, soll Scapula sich mit den Fahnen ›aus dem Staube‹ gemacht haben, um sie seinem eigenen Lexicon zugrundezulegen. Aufgrund einiger Änderungen (etwa eines Wortindexes) ist es benutzerfreundlicher als der Thesaurus. Dies erklärt seinen außerordentlichen Erfolg bis ins 19. Jahrhundert hinein.

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Unvermerkt bleibt es, wenn sich seine Ableitung mit derjenigen von Frisch deckt. Jeweils einmal nennt Lessing die Wörterbücher von Kaspar Stieler, Johann Georg Wachter und Christian Tobias Damm. Frisch, Wachter und Stieler hatte Lessing schon intensiv für sein Glossar zu Friedrich Logaus Sinngedichten herangezogen, das im Mai 1759 erschienen war.60 Die Lemmata, die antike Quellen zitieren, lassen deutliche Arbeitsschwerpunkte erkennen. Sie erlauben auch Rückschlüsse auf die Datierung der Einträge und auf Lessings Arbeitsweise. Die Varia historia des Claudius Aelianus (ca. 170 – nach 222 n. Chr.) und Hesiods Werke und Tage bilden mit jeweils 17 Einträgen die gewichtigsten griechischsprachigen Quellen.61 Aus der Suda62 notiert Lessing 12 Lemmata, darauf folgen die Ilias (5 Einträge) und Sophokles (4, davon 3 aus dem Aias, 1 aus Philoktet). Aristophanes (Ritter) ist zweimal vertreten,63 ebenso Aristoteles (De animalibus historiae und De partibus animalium),64 Vergil (Georgica65 und die pseudo-Vergilsche Copa aus der sog. Appendix Vergiliana)

60 Logau (wie Anm. 44). Frisch wird hier achtmal zitiert, Wachter und Stieler jeweils viermal; jeweils einmal herangezogen werden Christian Gottlob Haltaus’ Glossarium Germanicum medii aevi (Leipzig 1758) und Johann Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1727–28); die Aehnlichkeit hat keine Hinweise auf sie. 61 Zu Quellen, die hier nicht in Anmerkungen erläutert werden, folgen ausführlichere Angaben weiter unten. 62 Lessing schreibt das byzantinische Lexikon dieses Namens (10. Jh.), wie zeitgenössisch üblich, einem Autor ›Suidas‹ zu. 63 Die Notiz s.v. »avhaklor« (Bl. 85r), ›die Augen auf etwas werfen‹, bezieht sich auf die Ritter ; diese Etymologie wurde bereits von Fülleborn in der Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden abgedruckt. Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 66 u. 123, vermutet aufgrund dieser Stelle, dass Lessing neben der Aristophanes-Edition von Ludolph Küster (Amsterdam 1710) auch diejenige von Burman verwendet habe (siehe dazu den Kommentar im Abschnitt 2 dieser Edition: Lessings Quellen [S. 200]). Die zweite Notiz aus Aristophanes (s.v. »feOcor«, Bl. 44r), die sich auch auf die Ritter bezieht, ist Scapulas Lexicon entnommen. 64 Der Eintrag zu De animalibus historia (s.v. »juy«, Bl. 60r) ist Scapulas Lexicon entnommen. Der Anstoß für das zweite Lemma (Bl. 32r) – die Frage, wie die Griechen den Daumen bezeichnet haben – kommt zunächst von Aelian (damit wohl datierbar auf 1760, siehe unten). In einer nachträglichen Erweiterung fügt Lessing eine Beobachtung zu dieser Frage aus Plutarchs Lysander-Biographie hinzu. Lessing las sie möglicherweise im Kontext seines Entwurfs zu einer Alcibiades-Tragödie, der sich vielleicht auf 1763 datieren lässt; vgl. B 5/1, S. 777–779. Hierauf scheint er – als naheliegende Quelle für solche anatomisch-philologischen Fragen – Aristoteles’ De partibus animalium konsultiert zu haben. 65 Lessings Bemerkung (Bl. 107r) betrifft eine botanisch-kulturwissenschaftliche Realie, die er dem Kommentar von John Martyn entnimmt. Dieser war 1759 ins Deutsche übersetzt worden (vollst. Angabe in Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen). Lessing rezensierte die Ausgabe sofort in den Literaturbriefen (3. und 10. Januar 1760) – und verriss die deutsche Übersetzung der Georgica bitter ; er schrieb sie Johann Jakob Dusch zu, mit dem er sich schon seit dem 2. Brief scharfe Kämpfe lieferte. Die Notiz scheint jedoch erst in oder nach Breslau geschrieben: Das Lemma »tq¸by«, in einer charakteristischen Handschrift aus der Breslauer Zeit geschrieben (siehe dazu weiter unten, S. 232), geht ihr auf der Seite voraus.

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und der Scholiast des Paulus Silentiarius; einmal findet sich Aischylos (Perser),66 einmal die pseudo-Euripideische Tragödie Rhesus, einmal jeweils Plutarch (Lysander),67 Athenaios (Gastmahl der Gelehrten),68 Musaios (Hero und Leander),69 Eustathios von Thessalonike (Commentarii ad Homeri Odysseam)70 und die Anthologia Graeca71 (»Anthologia Epigrammatum«).72 Der Schwerpunkt der Exzerpte liegt in dem Jahr, das sich zwischen dem Beginn des Manuskriptes und der – plötzlichen – Abreise nach Breslau am 7. November 1760 erstreckt.73 Neben seiner Diderot-Übersetzung74 lagen auf Lessings Schreibtisch vor allem die Materialien zu seiner geplanten SophoklesMonographie. Dazu gehörte etwa Aelian. Unter den Anekdoten, kulturgeschichtlichen und biographischen Details von dessen ›bunter Geschichte‹ (Poij¸kg Rstoq¸a) fand Lessing auch solche zu den Berühmtheiten des klassischen Athen.75 Eine Hauptquelle für Sophokles war ihm die Suda.76 Mit ihrem 66 Lessing benutzt offenbar die Ausgabe von Thomas Stanley (1663; vollst. Angabe in Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen); seine Notiz (Bl. 103r) lässt sich nicht genau datieren, nach der Schrift zu urteilen, fällt sie entweder in das Jahr 1760 oder in die Breslauer Zeit; zum Gebrauch der Ausgabe von Stanley vgl. Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 54–56; zu Lessings Kenntnis des Aischylos, ebd., S. 86–93. 67 Vgl. Anm. 64. 68 Lessing brauchte Athenaios für das Leben des Sophokles, vgl. B 5/1, S. 256; freilich nutzt er ihn auch schon früher, etwa B 1, S. 714f. (Von den Pantomimen, ca. 1747–1750). Allerdings scheint der Eintrag »kiaq¹r« (Bl. 66r) in der Aehlichkeit in einer späteren Handschrift geschrieben. Lessing benutzt, wie durch die Seitenzahl belegt, die Ausgabe Leyden 1657 (vgl. Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen). 69 Vgl. Bl. 18r. Lessing beschäftigte sich 1762/63 intensiver mit dem Gedicht. Von Nicolai erbat er sich eine Ausgabe mit griechischen Scholien; vgl. auch Korzeniewski (wie Anm. 17, S. 88). In den von Lessings Herausgebern so genannten Anmerkungen über alte Schriftsteller – datiert werden sie übereinstimmend auf die Breslauer Jahre – kommentiert er Vers 152 (vgl. LM 15, S. 430). In den Zerstreuten Anmerkungen über das Epigramm (publ. 1771) erläutert Lessing den Turm der Hero anhand zweier Gedichte aus der Anthologia Graeca; B 7, S. 285–288. 70 Vgl. dazu weiter unten, S. 235f. 71 Die Stelle aus der Anthologia Graeca findet Lessing zunächst in Scapulas Lexicon. Er trägt jedoch den genauen Ort nach (Bl. 18r), wie es scheint aus der Ausgabe Frankfurt 1600 (vgl. Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen). 72 Nicht in diese Liste aufgenommen sind solche Stellen und Texte, die Lessing eindeutig nur aus einer zweiten Quelle übernimmt; Beispiele wären Pollux s.v. »tq¸bokor« (Bl. 107r) und Cicero s.v. »pqoacyce¸a« (Bl. 90r). 73 Den biographischen Rahmen beschreibt Hugh Barr Nisbet: Lessing. Eine Biographie. München 2008, S. 294–367; außerdem Gunter E. Grimm in B 4, S. 781–788. 74 Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen [hrsg. und übs. von Lessing]. 2 Bde. Berlin 1760. 75 Etwa B 5/1, S. 336 (Paralipomena): Er korrigiert einen Lesefehler in der Bibliotheca Graeca des Fabricius anhand des griechischen Textes von Aelian und einer Anmerkung von Johannes Scheffer zu dieser Stelle; vgl. Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen. 76 Der Eintrag »Jibytor« (Bl. 58r), der auf die Suda rekurriert, verweist dabei unmittelbar auf Berlin: Lessing zitiert einen deutschen Sprachgebrauch »hier in der Mark«.

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biographischen Eintrag zu Sophokles setzt sich Lessing intensiv auseinander.77 Freilich nutzt er die Enzyklopädie auch als sprachliches und kulturgeschichtliches Wörterbuch. Das hatte er schon früher getan;78 und auch später, in Breslau und Wolfenbüttel, wird ›Suidas‹ immer in seiner Nähe sein.79 Gewiss ist es kein Zufall, dass drei der Einträge aus Sophokles dem Aias entstammen.80 Lessing schätzte das Stück seit langem so sehr, dass sein im März 1759 erschienener Philotas auch als eine Auseinandersetzung mit ihm gelesen werden kann.81 Außer einem Übersetzungsfragment aus dem Aias (Verse 1–60) scheint nichts von dem Plan übriggeblieben zu sein, nach der Sophokles-Biographie auch eine kritische Analyse aller Stücke nebst deutschen Übersetzungen zu liefern.82 Am Rand des Entwurfs notierte Lessing lateinische Übersetzungshilfen. Die Kollektaneen in der Aehnlichkeit stammen ebenfalls vom Beginn der Tragödie (Verse 24, 70 und 158); die erste deckt sich mit seiner Übersetzung.83

77 Vgl. etwa B 5/1, S. 238, dann passim: »Von den Quellen.) Diese sind Suidas und ein Unbekannter […]«. (Leben des Sophokles). Lessing benutzt für seine Arbeit eine kommentierte Edition des Sophokles-Artikels durch Johannes Meursius, der auch im Thesaurus von Jacob Gronovius abgedruckt ist (B 5/1, S. 238, Anm. 1). Aber er hat daneben eine vollständige Ausgabe der Suda zu Verfügung, von hier aus erläutert er etwa den Namen ›Nausikaa‹; vgl. B 5/1, S. 352 (Paralipomena). 78 Etwa in der frühen Abhandlung von den Pantomimen der Alten (ca. 1747–1750); B 1, S. 711–721, pass. Als Bodmer ihm vorwirft, die Fabeln (1759) jagten im ›Suidas‹ nach Einfällen, weist Lessing ihn zurecht: Er jage nicht, sondern grabe dort »verborgene Schätze«; B 4, S. 761f. (Literaturbriefe, 18. u. 25. Sept. 1760). 79 Für Wolfenbüttel vgl. etwa die Collectanea s.v. Cotys, s.v. Gliedermann; LM 15, S. 188 und S. 248. 80 Lessing sammelte für seine Sophokles-Schrift eine Fülle von Ausgaben und Materialien. Welche Ausgabe den Notizen der Aehnlichkeit zugrundeliegt, kann nicht entschieden werden. Ausführlich und zum Teil den Kommentar von Barner (B 5/1) korrigierend: Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 56–60, S. 95–106 u. ö. 81 Barner in B 5/1, S. 682; zu Lessings Bekanntschaft mit ihm ebd., S. 680–682; Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 92f. Zum Sophokles-Komplex in seinem Bezug zur Laokoon-Genese vgl. Fick (wie Anm. 8, S. 212–215); Friedrich Vollhardt: Laokoon, Aias, Philoktet. Lessings Sophokles-Studien und seine Kritik an Winckelmann. In: Robert / ders. (Hrsg.) (wie Anm. 9), S. 175–200. Zur Deutung des Philotas vor dem Hintergrund des Aias: Gisbert Ter-Nedden: Philotas und Aias, oder Der Kriegsheld im Gefangenendilemma. In: »Krieg ist mein Lied«. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Medien. Hrsg. von Wolfgang Adam und Holger Dainat. Göttingen 2007, S. 317–378, vor allem S. 343–352. Die Bezüge des Philotas zu Senecas Hercules furens setzt Barner (wie Anm. 16, S. 53–59) auseinander. 82 So Lessings Freund Johann Joachim Eschenburg, der erste Herausgeber der SophoklesMaterialien nach Lessings Tod; hier zitiert nach B 5/1, S. 671. Die Übersetzung ist abgedruckt in B 5/1, S. 350–352, ausführlich analysiert bei Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 220–231; im Licht der Mitleidspoetik wird sie interpretiert bei Vollhardt (wie Anm. 81), S. 184–188. 83 Lessing leitet ›ziehen‹ von »fuc¹r«, Joch, ab (Bl. 44r) und betont den »Nachdruck«, der dementsprechend auf dem Verb »rpofe}cmuli«, ›sich unterziehen‹, liege. Den Vers des Odysseus übersetzt er : »und freiwillig habe ich mich selbst der weitern Nachforschung unterzogen.« B 5/1, S. 350.

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Auch andere Wortfunde Lessings lassen sich zeitlich hier einordnen, etwas das Lemma aus dem pseudo-Euripideischen Rhesus (vgl. Bl. 34r).84 Homer las Lessing mehrfach intensiv. Dass er ihn, wie er im Sophokles formuliert, schon früh »inne« hatte, sieht man an Damis, dem Titelcharakter seiner Komödie Der junge Gelehrte. Wenn dieser pedantisch die Odyssee im griechischen Urtext zitiert, dann demonstriert sein Autor neben der satirischen Distanzierung doch auch gründliche Gelehrsamkeit.85 Im Druckfragment der Sophokles-Schrift – Lessing schrieb, während das Ausformulierte schon bogenweise gesetzt wurde – verbeißt er sich in Verse aus der Nausikaa-Episode der Odyssee.86 Eine grammatisch-kritische Analyse der Sprache und der Sachen, wie Lessing sie liebte, soll Licht auf ein biographisches Detail im Leben des Sophokles werfen.87 Mit einer »kleine[n] Ausschweifung« zu Deutung und Deutungsgeschichte dieser Verse endeten der gedruckte Part des Sophokles und Lessings Berliner Zeit88 – kurz darauf zog er nach Breslau.89 Die Nachlass-Notizen, die dieser Passage zugrunde liegen, zeigen minutiöse grammatisch-kritische Textarbeit. Lessing notiert unter die griechischen Verse die Grundformen einzelner Wendungen mitsamt lateinischen Synonymen.90 Zwar enthält die Aehnlichkeit nichts, was explizit aus der Odyssee stammt; dennoch finden sich Übereinstimmungen mit jenen Papieren: »dalay, domo« und »svakky, svakla«91 könnten jeweils als Lemmata ohne Quellenangabe in die etymologische Sammlung eingegangen sein.92 Lessings Einfälle betreffen hier das 84 Im Leben des Sophokles notiert Lessing daraus einen sprachlichen Beleg; B 5/1, S. 289. Er benutzt hier die Ausgabe von Joshua Barnes (siehe Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen); vgl. Korzeniewski (wie Anm. 17), S. 62f., zum Rhesus S. 112. Das Exzerpt aus der Aehnlichkeit (Bl. 34r) lässt auf Lektüre schließen. Die lateinische Übersetzung Willem Canters, die Lessing hier zitiert, wird bei Barnes abgedruckt, allerdings auch in der Edition von Henricus Stephanus, Genf 1602. 85 B 1, S. 148 (Der junge Gelehrte, I 2). 86 Am 3. April 1760 erbittet er sich brieflich vom Vater »Homeri Opera in 2 Bänden in Duodez«; B 11/1, S. 347. 87 B 5/1, S. 293–296 (Leben des Sophokles). 88 B 5/1, S. 295f. (Leben des Sophokles). 89 Zu Lessings Breslauer Tätigkeiten vgl. Nisbet (wie Anm. 73), S. 399–440; Wilfried Barner in B 5/1, S. 505–534; und noch immer Erich Schmidt: Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften. 2 Bde. Berlin 41923, vor allem Bd. 1, S. 428–436. 90 Auf diese Weise erschließt Lessing oft Texte; neben der genannten Aias-Übersetzung vgl. etwa seine Kommentierung eines Scholions zum Frieden des Aristophanes, B 5/1, S. 362 (Paralip. zum Sophokles). 91 B 5/1, S. 352f. (Paralip. zum Sophokles). 92 »dalay, domo, ich zähme« findet sich unter dem Buchstaben D zweimal im Manuskript. Einmal lässt es sich aufgrund der Schrift auf Berlin datieren (Bl. 32r), ein anderes Mal auf Breslau (Bl. 35r ; zur Schrift vgl. weiter unten). Von dort stammt auch die Notiz »d in z.« auf Bl. 2r vor dem Alphabet, wo »dal²y« als Beleg dient. Auch der Eintrag sv²kky (Bl. 101v) stammt – nach der Schrift zu urteilen – aus Breslau. Denkbar ist es, dass Lessing dal²y einmal in Berlin eintrug. Vielleicht nahm er dann später in Breslau die Homer-Exzerpte aus

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Grundwort, kein selteneres Kompositum, keine spezifische Wendung. Überdies scheinen ihm die Etymologien allein vom Wort her plausibel zu sein; sie bedürfen keiner weiteren Argumentation aufgrund der Semantik. Die Ilias, aus der vier der fünf expliziten Homer-Lemmata stammen, kannte Lessing ebensogut. Dass er sie immer wieder zur Hand nahm – und damit auch Anlass zu etymologischen Notaten hatte –, ist für das letzte Berliner Jahr 1760 wahrscheinlich. Intensiv las er sie dann in Breslau, als er sich den LaokoonProblemen zuwandte.93 Das früheste erhaltene Paralipomenon94 beschäftigt sich mit den Epitheta Homers. Unter den »Beiwörter[n], die er fast immer braucht«, notiert Lessing »die hohlen Schiffe joik,r paqa mgusi«.95 jo?kor (hohl) findet sich auch in der Aehnlichkeit, ohne Verweis auf die Ilias, wohl aber bezogen auf Kiele und Schiffe (Bl. 59r). Diese Eintragung stammt wohl noch aus Berlin (dafür spricht die Schrift), aber sie scheint das Interesse für die Homerischen Epitheta vorzubereiten. Noch ein zweiter quellenloser Eintrag steht mit den ersten Laokoon-Notizen in Verbindung.96 Lessing beobachtet hier, wie Homer den Nebel gebraucht, um die Götter unsichtbar werden und verschwinden zu lassen.97 In der Aehnlichkeit findet sich der Eintrag mev´kg (Bl. 76r), freilich schon aus Hesiod. Aber in einer späteren Marginalie bekräftigt Lessing seine etymologische Rückführung auf m´vor (Wolke) und bringt das Wort mit x´vor (Dunkelheit) zusammen. Diese Etymologie enthält im Kern die Deutung des Nebels, wie sie Lessing im Laokoon entwickeln wird: Homer meine nicht eigentlich Nebel, dieser stehe in der Dichtung vielmehr als Zeichen für das plötzliche Unsichtbarwerden der Götter und entrückten Helden, bedeute also das Gleiche wie die Verfinsterung der menschlichen Augen. Der Nebel gehöre daher als Kunstgriff spezifisch der Dichtung als Sprachkunst zu. In Illustrationen zum Homer dürfe er nicht erscheinen.98 Was sich in der Aehnlichkeit explizit auf die Ilias bezieht, kann einigermaßen

93

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dem Sophokles-Kontext wieder zur Hand und notierte bei dieser Gelegenheit die einschlägigen Wörter in die Aehnlichkeit, übersehend, dass dal²y schon aufgenommen war. Lessing konnte sich in den Breslauer Jahren einen sehr beachtlichen eigenen Buchbestand aufbauen, außerdem hatte er Zugang zur Rhedigerschen Bibliothek; vgl. Nisbet (wie Anm. 73), S. 375; Barner in B 5/1, S. 509–513 und passim. Für Breslau spricht Barner von einer »wiederholte[n] Vornahme des Homer«; B 5/2, S. 636. Barner datiert das sogenannte ›Paralipomenon 1‹ mit der vorhergehenden Forschung auf das Ende des Jahres 1762 (vgl. B 5/2, S. 638). Eine eingehende Analyse des Manuskriptbefundes bietet Vogl (wie Anm. 39), S. 63f., ohne jedoch prinzipiell in der Datierung abzuweichen. B 5/1, S. 211 (Paralipomenon 1). Ein Bezug auf die Ilias ergibt sich darüber hinaus möglicherweise bei »pgcm¼y« (Bl. 91r ; ›ich füge zusammen‹). In Gesang 2, 664, heißt es: »aQ/xa d³ m/ar 5pgne«; Schadewaldt übersetzt: »Und schnell zimmerte er Schiffe«. B 5/1, S. 213 (Paralipomenon 1). Vgl. B 5/2, S. 106–109 (Laokoon).

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zweifelsfrei auf die Breslauer Zeit datiert werden.99 Dies erlaubt der Schriftduktus, in dem es verfasst ist. »Lessings Hand«, so beobachtete schon Fülleborn, »änderte sich sehr oft«;100 und sie tat es auch in den zwei, drei Jahren, die zwischen den Sophokles-Arbeiten und denen am Laokoon lagen. Das Manuskript der Aehnlichkeit, das Lessing über 15 Jahre hinweg benutzte, zeugt eindrucksvoll von der Veränderlichkeit seiner Handschrift. Eine genaue Auswertung der Befunde auf die Datierung einzelner Lemmata hin würde den hiesigen Rahmen sprengen. Aber zumindest eine Handschrift der Breslauer Jahre lässt sich in vielen Fällen identifizieren.101 Lessing führte also die etymologischen Exzerpte auch in Breslau mit einiger Intensität weiter. Einzelne Einträge lassen sich zweifelsfrei in noch spätere Jahre datieren. Damms griechisch-deutsches Wörterbuch, herangezogen bei »hqey« (Bl. 50r ; hq´olai, ›Geräusch machen‹, ›laut reden‹, ›klagen‹), erschien erst 1765.102 Die Scholien zu Paulus Silentiarius fand und edierte Lessing dann erst in Wolfenbüttel.103 Erstaunlich sind die zahlreichen Exzerpte aus Hesiods Werke und Tage (=qca ja· Bl´qai). Sie haben in Lessings Schriften kaum Spuren hinterlassen. Ihre genaue Lektüre ist zweifellos ein ›Nachzügler‹ der Arbeiten zur Fabel, die Lessing 1759 vorantrieb.104 Die Eintragungen in der Aehnlichkeit zeigen, dass Hesiod der 99 Im Fall von 1mweiq¸feim (Bl. 38r) trägt Lessing den zweiten Teil des Lemmas, wo der IliasBezug erscheint, in Breslau nach – die deutlich veränderte Schrift zeigt dies. Die anderen Stellen: Bl. 50r, 61r, 63r ; ein allgemeiner Verweis auf Homer : Bl. 28r. 100 Fülleborn (wie Anm. 21), S. XI. 101 In ihr scheinen geschrieben zu sein: das Exzerpt aus Gesner am Anfang und dasjenige aus Stephanus am Ende des Manuskriptes, außerdem die Lemmata (in Lessings Schreibung) !h´svator (Musaios), !hqºor, de?ma (Stephanus, Thesaurus), dal²y (doppelt genannt, hier Bl. 35r), 1mweiq¸feim (zweiter Teil des Eintrags), 1qeh¸fy (Ilias), 6folai, 5qa, 5mioi (Bl. 41r, doppelt genannt), hµq (Suidas), h·m (Ilias), jk²fy (Ilias), jiw]y (Ilias, Frisch), j_y, kak´y, kiaq¹r (Athenaios), k²lpy, kan, Mot·r, pqyjtor (Frisch), pgcm¼y (Ilias?), N¼pty, sv²kky, ste¸by, tq¸by, wit½m, wq²y. Zu Lessings Handschrift vgl. nochmals die bereits genannten Bemerkungen von Vogl (wie Anm. 39). Von mir wurden zum Vergleich herangezogen: die Handschrift des Briefes an Johann Gotthelf Lindner vom 30. Dez. 1759 (Signatur : SBB – PK, Lessing-Sammlung Nr. 109), die Paralipomena zum Laokoon (datiert von 1762/63 bis 1767; SBB – PK, Lessing-Sammlung Nr. 1–30), das Tagebuch der italienischen Reise von 1775 (SBB – PK, Lessing-Sammlung Nr. 37), schließlich das Faksimile der Handschrift von Emilia Galotti (1772), hrsg. vom Verein der Freunde der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, Berlin 1929. 102 Lessing kaufte das Lexicon wohl bei Erscheinen, nach seiner Rückkehr nach Berlin. Er wurde es aber wieder los, als er 1768 und 1769 seine Bibliothek versteigern musste. Auf dem Sprung nach Wolfenbüttel, beschaffte er es sich 1770 wieder ; vgl. seinen Brief an Christian Friedrich Voß, 5. Januar 1770; B 11/1, S. 658. Die Notiz ist also entweder zwischen 1765 und 1769 in Berlin bzw. Hamburg entstanden oder in Wolfenbüttel nach 1770. 103 Paulus Silentiarius auf die Pythischen Bäder. In: Zur Geschichte und Litteratur aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erster Beytrag. Von Gotthold Ephraim Lessing. Braunschweig 1773, S. 135–184, die beiden Stellen (Bl. 98r und 98v) sind auf S. 158 gedruckt. 104 Die Fabeln mitsamt den Abhandlungen erschienen zur Herbstmesse 1759 (vgl. Muncker in

Lessings Mikrologie: Chronologie und Arbeitsweise

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erste Autor war, den Lessing hier auswertete. Denn zwar ist die Folge der Notizen in dem Band nicht primär chronologisch. Sie fanden ihren Platz in der präparierten alphabetischen Ordnung. Verlässliche Hinweise auf die Zeitfolge ergeben sich jedoch, wenn mehrere Einträge auf derselben Seite stehen: Der untere wurde später angelegt. Eingeschränkt lässt sich dieser Befund auch auf die Abfolge der Seiten innerhalb eines Buchstabens übertragen. Anfangs scheint sich Lessing zwar darum zu bemühen, auch die Einträge unter demselben Buchstaben grob alphabetisch zu ordnen.105 Allerdings kollabiert diese Folge innerhalb der Buchstaben jeweils schon bald. Überblickt man das Manuskript im Ganzen, so ergibt sich folgendes Bild: Die Sammlungen zu den jeweiligen Buchstaben beginnen meistens mit Hesiod oder Aelian, aus denen auch viele Lemmata stammen. Von einer Ausnahme abgesehen,106 steht dabei Hesiod immer vor Aelian, also an frühester Stelle. Die weitere Folge bestätigt die Datierung, wie sie oben anhand der Studiengegenstände versucht worden ist. Auf Hesiod und Aelian scheinen die Einträge aus Sophokles gefolgt zu sein;107 die Suda nutzt Lessing währenddessen als Nachschlagewerk,108 konsultiert sie aber auch später immer wieder. Hierauf scheint Homer zu folgen.109 Artikel, die sich lediglich auf ein Wort ohne Quellenangabe beziehen, eröffnen fast nie die Buchstaben.110 Während die Exzerpte aus konkreten Quellen einander oft geballt auf derselben Seite folgen, sind die lexikalischen Beobachtungen ohne Bezugsstelle oft einzeln auf die folgenden Seiten eines Buchstabens verstreut. Vielleicht ließe sich auch dieser Befund chronologisch wenden, so dass man zusammenfassen könnte: Lessings Blick ist anfangs durch seine Lektüren an die Quellen geheftet. Intensiv begleitet das etymologische Interesse die Studien seines letzten Berliner Jahres, vom 1. Dezember 1759 bis zur Abreise am

105

106 107 108 109 110

der Bibliographie, LM 22, S. 387f.); vorangegangen waren kommentierende Lektüren der antiken Korpora (Aisopos und Phaedrus; abgedruckt B 4, S. 415–432). Ende 1759 überarbeitete Lessing den Band, 1760 erschien ein zweiter, korrigierter Druck (vgl. LM 22, S. 388) – zur Jahreswende war Lessing also noch ›im Thema‹; vgl. auch den Brief an Johann Gotthelf Lindner, 30. Dez. 1759 (B 11/1, S. 338), und das Schreiben an den Vater (3. April 1760, B 11/1, S. 346), wo er eine zweite Auflage in Aussicht stellt, die er »ansehnlich zu vermehren« gedenkt. Die Wolfenbütteler Notizen Zur Geschichte der Aesopischen Fabel verweisen dann auf Hesiod (LM 16, S. 119). Ein einzelnes Zitat aus den =qca bringt Lessing schon Anfang 1759 an (9. Literaturbrief, 18. Januar 1759; B 4, S. 472). Ein Beispiel hierfür liefern die beiden Einträge aus Hesiod unter dem Buchstaben T: Der erste (Bl. 107r) bezieht sich auf das Lemma »te¼wea«. Auf Bl. 111r folgt »tup´y«. Ähnlich verhält es sich bei S: »sjokiºr« aus Hesiod eröffnet den Buchstaben auf Bl. 101r, es folgt eine Reihe von weiteren Einträgen; erst auf Bl. 102r notiert Lessing »sw´tkior«, gleichfalls aus den Werken und Tagen. Gleich auf Bl. 17r, am Beginn von A. Vgl. Bl. 90v, Buchstabe P: Auf derselben Seite folgen Aelian – Sophokles, Aias. Vgl. Bl. 44r, Buchstabe F: Sophokles, Aias – Bl. 44v ›Suidas‹ zu einem verwandten Lemma. Vgl. Bl. 50r, Buchstabe H: Hesiod – Morhof – ›Suidas‹ – Homer – Damm. Ausnahmen bilden die relativ seltenen Anfangsbuchstaben wie v, w und x.

234

Lessing und die Wahrheit der Wörter

7. November 1760. Mehr und mehr wendet sich sein Interesse allgemeinen etymologischen Fragen nach den Beziehungen der Sprachen zu. In Breslau setzt Lessing seine Notizen fort und reflektiert grundsätzliche Aspekte der Verwandtschaft des Deutschen und Griechischen, wie die Exzerpte aus Gesner und Stephanus zeigen. Auch in Wolfenbüttel sammelt Lessing weiter, wenngleich sporadisch. Sein Interesse an der Etymologie bleibt aber bestehen, manche Anmerkung wandert nun in die große Sammlung von Collectanea, die Lessing von 1768 bis 1774/75 führte.111

II.2

Nachschlagen und Nachlesen – Wie Lessing arbeitete

Die Aehlichkeit macht Lessings »stets zum Nachschlagen und Nachlesen bereite […]«112 Arbeitsweise konkret nachvollziehbar. An einem Beispiel sei dies verdeutlicht. Die Lemmata »st¶kg« (›Säule‹, ›Grenzstein‹, ›Grabstein‹) und »steikeom« [sic!] (eigentlich t¹ steikeiºm: ›Stiel der Axt‹) sind verbunden (Bl. 101r und v). Das zweite Wort ergab sich Lessing, als er dem ersten nachforschte, und er nahm es ebenfalls in sein Heft auf: »Auch unser Stiel, manubrium, hat im Griechischen ein Wort, das ihm sehr gleich ist, nehmlich steikeom«. Das Interesse ist deutlich etymologisch. Der Ähnlichkeit der beiden griechischen Wörter korrespondiert eine Homonymie des deutschen Wortes ›Stiel‹. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, wie Lessing auf st¶kg gestoßen war. Der Eintrag bleibt ohne Verweis auf eine Quelle. Indirekt kann man sie jedoch erschließen. Die beiden Lemmata sind gerahmt durch Einträge aus Aelians Varia historia: Voran geht ein Zitat aus Buch IV, Kap. 1 (vgl. Bl. 101r), gleich danach folgt eines aus Buch VI, Kap. 6 (vgl. Bl. 101v). Dazwischen aber spricht Aelian »Über die Säulen des Herkules« (Buch V, Kap. 3: »Peq· t_m Jqajke¸ym stgk_m«). Lessing fand dieses Wort offenbar »auf dem Wege«113 durch seine Lektüre. Es ist ein geläufiges Wort, nichts, was an einer spezifischen Wendung Aelians hinge; also muss er die Quelle nicht notieren. Dass es ihm um die Bedeutungsnuance geht, die er bei Aelian fand, zeigen seine lateinischen Synonyme. Zuerst notiert er »columna« (Säule), dann »cippus« (Grabstein, Grenzstein), obwohl beide bei Scapula in umgekehrter Reihenfolge erscheinen.114 Die 111 Etymologische und sprachtheoretische Interessen erscheinen hier immer wieder, beispielsweise LM 15, S. 127 (s.v. Abraxas), S. 152 (s.v. Babel), S. 156 (s.v. Beryll), S. 161f. (s.v. Blaserohr), S. 163 (s.v. Bönhase) etc. 112 So Barner (wie Anm. 16), S. 85. 113 B 5/1, S. 449 (Hermäa. Erster Band. Vorrede). 114 Vgl. Scapula, S. 1465, s.v. st¶kg: »plerunque [sic!] accipitur pro cippo seu columna«.

Lessings Mikrologie: Chronologie und Arbeitsweise

235

erste etymologische Beziehung zum Deutschen betrifft denn auch die Bedeutung von ›Stiel‹ als »Säule«; den Zeitgenossen war sie durchaus geläufig.115 Wie ging Lessing vor, nachdem ihm im Aelian st¶kg auf- und dabei das deutsche ›Stiel‹ eingefallen war? Die im folgenden Lemma genannten Referenzen werfen ein Licht hierauf. »Frisch« (also dessen Teutsch-Lateinisches Wörterbuch) und die »griechischen Lexica« (hier vor allem Scapula) waren Lessing meistens zur Hand. Aus Scapula schrieb er zunächst die lateinischen Synonyme für st¶kg ab. Dann schlug er das deutsche Wort bei Frisch nach. Während Lessing Scapula meist stillschweigend verwandte, diente ihm Frisch oft als Sparring-Partner für die Etymologie: Gerne tut Lessing dessen Ableitungen als »lächerlich« (Bl. 60r) oder »kindisch« (Bl. 90r) ab – das Teutsch-Lateinische Wörterbuch war eine Konkurrenz, an der er sein eigenes Wissen maß. Die Konsultation bei »Stiel« jedoch erweckte nicht Lessings Widerspruch, sondern gab einen neuen Impuls: Frisch vermerkt ebenfalls st¶kg, nennt aber noch eine zweite Etymologie: »Stiel, (steike¹r)«.116 Hier setzte Lessings sein zweites Lemma an. Ein erneuter Blick auf Scapula zeigte ihm, dass der Begriff üblicherweise im Neutrum verwendet wird. Lessing notierte »steikeom, to« und vermerkte, dass das Teutsch-Lateinische Wörterbuch abweiche: »Frisch sagt steikeor«. Die lateinische Erläuterung schrieb er wiederum aus Scapula ab: »securis manubrium«, ›Stiel der Axt‹.117 Ebenfalls hier fand er die Erklärung, »steikeºm« sei, »quod nimirum t0 steikeiø immittitur«118 : dasjenige also, was in ›B steikei²‹ eingelassen werde. Diesem neuen Begriff (dem weiblichen B steikei²) widmet Scapula weiter unten einen eigenen Eintrag. Er erläutert komplementär, B steikei² sei »foramen securis in quod immittitur lignum« (›die Öffnung der Axt, in die das Holz eingeführt wird‹, also ihr ›Öhr‹). Diese Erläuterung paraphrasiert den Homer-Kommentar des Eustathius zu Odyssee 21, 421f. Zusätzlich zitiert Scapula dessen Ausführung,119 was Lessing

115 Vgl. Frisch, Bd. 2, S. 335, s.v. Stiel: »Stiel des Hauses. […] st¼kor, columna seu fulcrum ædium.« (Säule oder Stütze des Hauses). 116 Frisch, Bd. 2, S. 335. 117 Scapula, S. 1455, s.v. steikeºm. 118 Ebd. 119 Das Lemma »steikeom, to« lässt sich aufgrund des Aelian auf die Berliner Zeit datieren (Ende 1759–Ende 1760; vgl. oben, S. 228). In Breslau nutzte Lessing den Ilias-Kommentar des Eustathios ausführlich für seine Laokoon-Vorarbeiten (vgl. insbes. das Paralipomenon 6; B 5/2, S. 253). Hier verwendete er die Ausgabe von Alexander Politus (3 Bde. Florenz 1730–1735; vgl. den Kommentar B 5/2, S. 879), die jedoch nicht die Odyssee-Kommentare enthält. Für das hier infrage stehende Zitat muss keine Benutzung des Eustathios selbst angenommen werden, es genügt die sekundäre Quelle Scapula. Die Eustathios-Passage ist im Kontext zu finden in: Eustathii Archiepiscopi Thessalonicensis Commentarii ad Homeri Odysseam. [Hrsg. von Gottfried Stallbaum]. 2 Bde. Leipzig 1825–26, Bd. 2, S. 267. Es handelt sich bei der Stelle im 21. Buch der Odyssee um den Pfeilschuss, mit dem der

236

Lessing und die Wahrheit der Wörter

ebenfalls in sein Heft übertrug: »bpµ deû Hr st´kketai t¹ 1lbakkºlemom n¼kom« (»die Öffnung, in die das einzufügende Holz eingesetzt wird«). Die Erklärung des Eustathius war für ihn interessant, weil Scapula in ihr das Stammwort zu identifizieren meint, von dem beide Wörter herkämen,120 to steikeiºm wie B steikei², ›Stiel‹ wie ›Öhr‹: nämlich ›st´kkeim‹ (›ausrüsten‹, ›ausstatten‹). Dieser Etymologie, die das griechische Verb als Urwort des Begriffskomplexes identifiziert, galt dann Lessings Einspruch: »Diese Ableitung aber wird durch unser deutsches Stiel sehr verdächtig.« Er formuliert keine alternative Deutung. Aber nach dem, was er schreibt, wäre das ›Etymon‹ für ihn wohl eher an den (für ihn offenbar gleichermaßen deutschen und griechischen) Stamm ›stel‹, ›stiel‹ gebunden; und es bezeichnete eher einen länglichen Gegenstand als die Tätigkeit des Zusammenfügens.

III.

Lessing im Kontext der zeitgenössischen Philologie und Etymologie

III.1

Die Wahrheit der Wörter

Die Arbeit, die Lessing investiert, ist groß, die Aufmerksamkeit minutiös; sein Interesse wendet sich entschieden ins Detail. Das Ergebnis, mit dem das in Abschnitt II.2 beispielhaft analysierte Lemma B st¶kg schließt, mag gering scheinen – aber sein entschiedener Gestus meldet den vertrauten Zweifel an: den Verdacht, dass eine tradierte Annahme, eine tradierte Auslegung falsch sei. Es wird deutlich, dass Lessing ernst meinte, was eingangs zitiert wurde: »[W]er in dem allergeringsten Dinge für Wahrheit und Unwahrheit gleichgültig ist, wird mich nimmermehr überreden, daß er die Wahrheit bloß der Wahrheit wegen liebet«.121 Das genannte Beispiel aus der Aehnlichkeit illustriert, was Lessing wiederholt als seine »Wortgrübelei«122 bezeichnet hat. Wenn er sie eine »Schwäche«123 nennt, so ist das entschieden ironisch – der Begriff will emphatisch verstanden sein: »[M]ir ist es selten genug, daß ich ein Ding kenne, und weiß, wie dieses Ding heißt; ich möchte sehr oft auch gern wissen, warum dieses Ding so und

120 121 122 123

zurückgekehrte Odysseus durch die Öhre der zwölf Äxte trifft und die Aufgabe der Penelope erfüllt. »[E]tymon exprimens«, ›das Stammwort ausdrückend‹; Scapula, S. 1455, s.v. steikei². B 6, S. 718 (Wie die Alten den Tod gebildet). So in den Antiquarischen Briefen (2. Teil, 1769; B 5/2, S. 530): »Kurz, ich bin einer von den entschlossensten Wortgrüblern«. Ebenso in dem Entwurf Über eine zeitige Aufgabe …; B 8, S. 668. B 5/2, S. 530 (Antiquarische Briefe 2).

Lessing im Kontext der zeitgenössischen Philologie und Etymologie

237

nicht anders heißt«124 – »Wer mit Wortgrübelei sein Nachdenken nicht anfängt, der kommt, wenig gesagt, nie damit zu Ende.«125 Auch hier begegnet das Pathos der Wahrheitsforschung – aber, so mag man fragen: Wie hängt dies nun genau mit Lessings Arbeit und Ethos zusammen? Schließen wir noch einige Fragen an, um den Horizont der Sache sichtbar zu machen: Welchen Stellenwert hat jene »Wortgrübelei«, von der die Aehnlichkeit zeugt, in Lessings Werk? Welche Funktion hat sie für sein Denken? Und, nicht zu vergessen: Welchen Ort hat die Etymologie im zeitgenössischen System des Wissens? Die Aehnlichkeit steht in Lessings Werk nicht alleine. Davon zeugen schon die umfangreicheren Editionen seiner Schriften. Unter dem Titel Vorarbeiten für ein deutsches Wörterbuch drucken sie eine Reihe verwandter Exzerpte und Kollektaneen ab. Hier finden sich Anmerkungen zu Christian Ernst Steinbachs Deutschem Wörter-Buch, eine alphabetische Wortliste mit dem (nicht authentischen) Titel Beiträge zu einem deutschen Glossarium, eine weitere Liste, in der deutsche Wörter und Redensarten mit fremden verglichen werden, eine Reihe von grammatisch-kritischen Anmerkungen, Kommentare zu Adelungs Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (Bd. 1: 1774) und noch manches andere.126 Lessing, so wussten seine Freunde, wollte ein Wörterbuch der deutschen Sprache zusammenstellen. Dies war keine ephemere Idee, sondern ein Plan, der ihn von 1758 bis 1774/75 begleitete, von Berlin nach Breslau und wieder zurück, nach Hamburg und bis nach Wolfenbüttel. Für sein Scheitern kamen wohl zwei Dinge zusammen: Erstens verlor Lessing 1775 Vorarbeiten und Materialien;127 zweitens publizierte Adelung ab 1774 sein großes Wörterbuch – freilich notierte Lessing auch dann noch fleißig Fehler und Fehlendes, meinte weiterhin, es besser machen zu können. Die Lessing-Forschung hat diesen Plan verfolgt und die Belege aus den Schriften gesammelt. Zu der oben, in der Einleitung, beschworenen Vielfalt der ›Lessings‹, zu dem Dichter und Kritiker, dem Antiquar, dem Gelehrten und Philologen, schien sich noch ein weiterer hinzugesellen zu wollen: Lessing der Lexikograph. Aber Arthur Hübner und Detlev Droese, die die – verdienstvolle! – Rekonstruktion geleistet haben, glaubten in der Summe auch einzusehen, dass aus dem Plan gar nichts werden konnte: Der Dichter und 124 Ebd. 125 B 8, S. 668 (Über eine zeitige Aufgabe). 126 LM 16, S. 4–94; B 10, S. 245–338. Die meisten dieser Bemerkungen wurden von Fülleborn zusammengestellt und wohl auch bearbeitet; die Manuskripte sind verschollen; vgl. die editorischen Hinweise bei LM, jeweils am Beginn der Texte, und die Einleitung in B 10, S. 1010–1025. 127 1775, als Lessing sich zur Reise nach Italien rüstete, kam eine Kiste abhanden, die offenbar umfangreiches Material enthielt; im Kommentar B 10, S. 1013f., stellen Schilson und Schmitt die einschlägigen Belege zusammen.

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

der Kritiker mit ihrem unruhigen Naturell standen dem Lexikographen im Wege, denn ein solcher brauche nichts so dringend wie Geduld, und die habe Lessing nicht besessen.128 Diese psychologische Einschätzung mag zutreffen (oder auch nicht) – aber sie setzt voraus, dass sich das Tätigkeitssegment ›Lexikographie‹ aus dem ›eigentlichen‹ Lessing, dem Dichter und Kritiker, heraustrennen lasse. Dagegen spricht schon die Hartnäckigkeit, mit der Lessing diese Interessen verfolgte, vor allem aber, dass Sprachinteresse und ›eigentliches‹ Werk vielfältig verflochten sind – also zusammengehören. Eric A. Blackall konnte in dem Lessing-Kapitel seiner immer noch herausragenden Untersuchung zur Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache gar den ›Wortforscher‹ in den Mittelpunkt stellen.129 Ein Wörterbuch bzw. Glossar hat ja Lessing auch tatsächlich erstellt. Es wurde oben schon zitiert. Hundert Seiten der Logau-Edition dokumentieren und analysieren den Sprachgebrauch des Dichters.130 Wenige Monate nach ihrem Erscheinen im Mai 1759 begann Lessing die Aehnlichkeit. Jenes erste publizierte Produkt der »Wortgrübelei« erlaubt es, Reichweite, Stellenwert und Intention dieses Begriffes zu bestimmen. Gerade auf die »veralteten Wörter«, so heißt es dort, solle das »Augenmerk« des Lesers gerichtet werden.131 Bei ihrer Erläuterung habe man »nicht allein auf den Leser, der sie verstehen muß, sondern auch auf diejenigen von unsern Rednern und Dichtern gesehen, welche Ansehen genug hätten, die besten derselben wieder einzuführen.«132 Die Erklärung der Wörter, die Bemühung um ihr rechtes Verständnis dienen keinem losgelösten antiquarisch-philologischen Interesse, sie sind keine gelehrte ars gratia artis. Vielmehr geht es um die Gegenwart: Die historische Besinnung auf die veralteten Wörter soll sie wieder in Verkehr bringen. Der Sprache wäre mit einer Erneuerung aus ihrer Vergan128 Hübner (wie Anm. 17), S. 243, spricht von »Selbsttäuschung«; in diesem Tenor auch Droese (wie Anm. 17, S. 48–50), dessen Kapitel zu Lessings Wörterbuchplänen sich auch in den Wertungen stark an Hübner orientiert. Lessings Arbeiten als Sprachwissenschaftler beschreibt und stellt zusammen: [Art.] Lessing. In: BBHS (wie Anm. 42), Bd. 5, S. 331–337. 129 Blackall (wie Anm. 17). 130 Logau (wie Anm. 44); das Glossar in LM 8, S. 352–411; in B 8 wurde nur der Vorbericht aufgenommen. Das Wörterbuch geht ganz auf Lessing zurück: B 4, S. 918. Unmittelbare Vorgänger waren die Glossare, die Bodmer und Breitinger ihren ›altdeutschen‹ Editionen anfügten. Während diese jedoch nur knapp moderne Synonyme und Belegstellen bieten, reflektiert Lessing ausführlich über die Wörter. Sein Glossar versteht sich auch als Kritik an den Schweizern; so im Brief von Lessing an Mendelssohn, 2. April 1758; B 11/1, S. 288. Vgl. [Bodmer, Breitinger (Hrsg.):] Proben der alten schwäbischen Poesie des Dreyzehnten Jahrhunderts. Aus der Maneßischen Sammlung. Zürich 1748, S. 273–296; [dies. (Hrsg.):] Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger. Zürich 1757, S. 272–350; [Bodmer (Hrsg.):] Chriemhilden Rache, und die Klage […]. Zürich 1757, Sp. 1–62 der zweiten Zählung. 131 Logau (wie Anm. 44), Vorbericht von der Sprache des Logau, S. 6; B 4, S. 923. 132 Ebd., S. 6f.; B 4, Ebd.

Lessing im Kontext der zeitgenössischen Philologie und Etymologie

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genheit heraus ein »weit größer[er] Dienst« getan als durch die »Prägung ganz neuer Wörter« – sei hier doch immer »ungewiß […], ob ihr Stempel ihnen den rechten Lauf so bald geben möchte.«133 Die ersten Adressaten von Wörterbuch und Edition sind natürlich die Gelehrten, die Redner und Dichter. Angesprochen aber werden sie als Multiplikatoren: Sie sollen das Vergessene wieder in den allgemeinen Sprachgebrauch einführen. Diese Erneuerung eines Wortes wäre die dritte Etappe eines kritischen Dreischrittes, den das Glossar anstoßen soll: Es möchte helfen, das sprachliche Material kennenzulernen, anleiten, es zu prüfen, und ermöglichen, es – gegebenenfalls – wieder anzunehmen.134 Lessings Wörterbuch bringt eng zusammen, was nur für den modernen Literaturwissenschaftler weit auseinanderzuliegen scheint. Einen alten Autor zu edieren, seine Worte zu erläutern, einen vergessenen Sprachgebrauch zu erklären – all dies gehört zu den Kompetenzen der Philologie. Hier werden Grammatik und Kritik betrieben. Unmittelbar schließt ein zweiter Begriff von Kritik an. Denn die Beurteilung der Schönheiten und Fehler in Dichtungen und anderen Schriften nennt das 18. Jahrhundert bekanntlich ebenfalls so. Die lexikographische Praxis Lessings und Ramlers verdeutlicht, dass (philologische) Kritik und (beurteilende) Kritik nicht bloß zufällige Homonyme sind, sondern auf einem gemeinsamen Fundament stehen. Erst die gründliche Kenntnis eines Wortes erlaubt, es zu verstehen und zu prüfen. Nur auf dieser Grundlage aber lässt sich entscheiden, ob ein Wort wieder angenommen werden soll oder nicht. Der richtige Sprachgebrauch – und die kritische Beurteilung eines fremden Werkes – setzt voraus, dass der Kritiker in die Wahrheit der Wörter selber eingedrungen ist. Wer schreibt, muss seine Gegenstände adäquat erkannt haben. Dazu gehört es, diese Erkenntnis klar, deutlich und gut ausdrücken zu können. Die kritische Kultur der Zeitschriften und Rezensionen, der Beurteilungen und Prüfungen ist nicht zuletzt eine philologische Kultur – freilich im zeitgenössischen Begriffsverständnis, das sich vom modernen unterscheidet.135 Sie gehört 133 Ebd., S. 7; B 4, Ebd. 134 Vgl. ebd.; B 4, S. 924: Die alten Wörter verdienten »wo nicht für allgemeine Vortheile der Sprache angenommen, doch wenigstens gekannt und geprüft zu werden.« 135 Vgl. beispielsweise den Zedler (27 [1741], Sp. 1984), der s.v. »Philologi« die Sprachkenntnis und -beherrschung in den Vordergrund rückt: »PHILOLOGI, sind eigentlich diejenigen zu nennen, welche sich in ihrem reden und schreiben einer reinen, zierlichen und wohllautenden Art bedienen, auch nebst der Erkänntniß der Hauptsprachen die Historie wissen.« Es existieren kaum Untersuchungen zur Philologie des 18. Jahrhunderts – und das bedeutet gerade nicht solche, die spätere Begriffe und Institutionen anachronistisch zurückspiegeln, sondern sie innerhalb des gelehrten Systems, der ›Litteratur‹ der Zeit verstehen. Einen Aufriss bietet Matthias Buschmeier : Poesie und Philologie in der Goethe-Zeit. Studien zum Verhältnis der Literatur mit ihrer Wissenschaft. Tübingen 2008, S. 48–75, zum Zedler dort S. 52–54. Zur Frühen Neuzeit mit Ausblick auf das 18. Jahrhundert vgl. Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius. Leiden 1995. Zur frühneuzeitlichen Lexikographie vgl. neuerdings die grund-

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

entschieden zum Bereich der Gelehrsamkeit, anachronistisch bezeichnet: der ›Wissenschaft‹.136 Lessing und Ramler setzen nur fort, was an anderen Orten gleichfalls betrieben wird: erinnert sei pars pro toto nur an Gottsched, Bodmer, Breitinger und die Sprachgesellschaften. Kenntnis, Prüfung und gegebenenfalls Annahme – dieser Dreischritt zeigt aber auch, was Philologie und Kritik nicht sind: Das Verstehen von historischer Alterität als solcher liegt nicht in ihrem Interesse. Zwar impliziert die philologische Operation einen historischen Abstand zum Gegenstand, zu den vergessenen Wörtern und alten Texten. Die Kenntnis, die Lessing einfordert und befördert, setzt die Rekonstruktion der »Historie«137 voraus. Aber das Interesse richtet sich nicht auf diesen Abstand als solchen. Die ›Prüfung‹ setzt einen der Geschichte übergeordneten Maßstab voraus, an dem sie erfolgt.138 Der scheinbar doppelte Kritikbegriff findet seine Einheit, indem er einen selbst nicht historisch veränderlichen Begriff von Wahrheit voraussetzt. »In aliis rebus VERITAS est conformitas cum intellectu, in Verbis vero conformitas cum Rebus« – mit diesem zeitgenössischen Gemeinplatz eröffnet Johann Georg Wachter etwa seine Abhandlung zur Sprache und Etymologie.139 Wahrheit in der Sprache bestehe in der Übereinstimmung der Wörter mit den Sachen, analog zu den übrigen Dingen, wo sie conformitas der Sachen mit dem Verstande sei. Das aptum eines Begriffes oder einer Äußerung reguliert nicht nur deren Wirkung, sondern es bezieht sich gleichzeitig normativ auf die Erkenntnis. Hier aber setzt die kritische Prüfung der Wörter ein. Tradition darf bei diesem Wahrheitsverständnis nicht verstanden werden als Fundus von historischen Möglichkeiten, die es in ihrer Individualität – gleichsam ›historistisch‹ – zu verstehen gälte. Sie ist vielmehr der Schatz des Wissens,

136 137 138

139

legende Untersuchung von John Considine: Dictionaries in Early Modern Europe. Lexicography and the Making of Heritage. Cambridge UP 2008. Zum 18. Jahrhundert vgl. den Forschungsbericht von Marcel Lepper : Deutsche Philologie im 18. Jahrhundert? Ein Forschungsbericht mit Bibliographie. In: Das Achtzehnte Jahrhundert 36 (2012), H. 1, S. 72–106. Ansätze zu einer Neubestimmung des Kritikbegriffs: Verf.: Was ist Kritik? Zum Zusammenhang von ästhetisch-literarischer und philologischer Kritik in der Aufklärung und bei Friedrich Schlegel. In: Der Begriff der Kritik in der Romantik. Hrsg. von Ulrich Breuer und Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann. Paderborn 2015, S. 71–91. Anders beispielsweise Droese (wie Anm. 17, S. 54): »Die Absicht, die hinter der Veröffentlichung eines solchen Wörterbuches stand, war also keine wissenschaftliche, sondern eine pädagogische.« Zedler (wie Anm. 135), Sp. 1984. Vgl. zu diesen Zusammenhängen: Verf.: Das Unbehagen des Universalhistorikers an der Historie. Johann Joachim Eschenburg und die Geschichte der Poesie. In: Johann Joachim Eschenburg und die Künste und Wissenschaften zwischen Aufklärung und Romantik. Hrsg. von Cord-Friedrich Berghahn und Till Kinzel. Heidelberg 2013, S. 75–94. Es handelt sich um die Praefatio ad Germanos und die Prolegomena (beide unpag.) in Wachters Glossarium von 1737 (vgl. Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen), hier Bl. [c2v]. Zu Wachter vgl. BBHS (wie Anm. 42), Bd. 8, S. 316–319.

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den die Menschheit seit ihrer Entstehung – der Schöpfung – angesammelt hat. Wertvoll ist dieser thesaurus (weitergereicht in Schriften, Artefakten, aber auch in Wörtern), weil sich das Erkenntnisstreben des Menschen immer schon auf die im Kern unwandelbare veritas bezogen hat, deren Maßstab ja in der ebenso unwandelbaren Natur der Dinge liegt. Und wertvoll ist er auch deshalb, weil im Wandel der Zeiten immer wieder Erkenntnisse vergessen werden. Dieser – grob skizzierte – Rahmen für die zeitgenössischen Wissenschaften impliziert zwei Bewegungen. Einerseits zielen sie auf den göttlichen Schöpfungsplan. Dieser manifestiert sich ja in der Struktur der Welt, wenn man auch kontrovers einschätzen mag, wie und ob der Mensch ihn adäquat erkennen kann. Das Mittel zur Prüfung der Wörter und Vorstellungen ist, im zitierten Satz von Wachter, der intellectus des Menschen, sein Verstand. Zweitens aber bezieht sich ›Wissenschaft‹ – zumindest zunächst – immer auch historisch zurück: auf das, was die vorzüglichen Gelehrten aller Zeiten von jener Struktur der Welt erkannt und benannt, was sie eben ›gewusst‹ haben. Im Alten mag sich ein ursprünglicheres Wissen über die Dinge erhalten haben, das in der Überlieferung verborgen und geborgen liegt. Im Hintergrund erhebt sich die wirkungsmächtige biblische Erzählung von Babel, von Turmbau und Sprachverwirrung und von der Verteilung der Stämme über den Erdkreis.140 Der Gedanke einer ›ursprünglichen Sprache‹ (»lingua primigenia«), wie Wachter sie nennt,141 beherrscht das 18. Jahrhundert noch mit großer Selbstverständlichkeit. Er weist der Sprachforschung weiterhin die Richtung an: Man hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die ursprungsnahe Sprache – sei sie nun diejenige des Paradieses oder aber die Sprache der Natur, wie sie die ersten Menschen benutzten – diejenigen Wörter enthielt, die mit den Dingen übereinstimmten. Erst später, durch die Zeitläufte, entstehe und befestige sich die Verschiedenheit der Sprachen.142 Veränderung aber wird nicht selten als Verschlechterung der Sprache gewertet, da die ursprünglichen Bezeichnungen der Dinge in Vergessenheit (»oblivio«) geraten seien.143 Wachter bringt ein Bündel von Ursachen bei, die die 140 Zum babylonischen Paradigma vgl. vor allem Arno Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. 4 Bde. Stuttgart 1957–1963; für die Frühe Neuzeit Bd. III/1 und III/2, S. 955–1520. Anregend und pointiert: Jürgen Trabant: Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens. München 2003, pass. Im Kontext der Lexikographie vgl. Considine (wie Anm. 135), pass. Mit weiterer neuerer Literatur: Daniel Droixhe: Les conceptions du changement et de la parent8 des langues europ8ennes aux XVIIe et XVIIIe siHcles. In: History of the Language Sciences. HSK 18. Hrsg. von Sylvain Auroux, E.F.K. Koerner, Hans-Josef Niederehe, Kees Versteegh. Tlbd. 1. Berlin, New York 2000, S. 1057–1071. 141 Wachter (wie Anm. 139), Bl. c3r. 142 Dies ist ein Kernargument von Trabant (wie Anm. 140): Wie selten sprachliche Verschiedenheit in der europäischen Tradition positiv bewertet wurde. 143 So etwa Wachter (wie Anm. 139), Bl. [c4r].

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Veränderung bewirkt hätten: »fluxa & instabilis conditio omnis Linguæ«, wie aller Dinge in der Zeit; »permixtio Linguarum, & migratio vocum in alias Linguas«, »neglectus & oscitantia pronunciantium«.144 Die keineswegs geringste Ursache liegt im Temperament der Menschen: unwissend, verändern sie nach Lust und Laune die Buchstaben, »et sic unusquisque, prout vult & potest, sibilat, hirrit, gingrit & c«.145 Dieser fortschreitenden Mutation wirkt dann aber die Philologie entgegen. Sie wägt die Wörter und prüft sie auf ihre ursprünglichen Bedeutungen hin. Der Dreischritt von Kenntnis, Prüfung und Annahme trägt der doppelten Verpflichtung des Wissens Rechnung: auf die Vernunft und auf die Tradition. Er setzt beide zueinander in Beziehung, um auf die Gegenwart einzuwirken, die gegenwärtige Sprache zu verbessern – und das bedeutet: um sie den Dingen angemessener zu machen. Ihr Wechselspiel birgt aber auch ein Spannungsverhältnis. Im unmittelbaren Umkreis von Lessings lexikographischen Bemühungen wird eine Debatte über ein deutsches Wörterbuch ausgetragen, die dies zeigt. Lessings Freund Friedrich Nicolai verriss 1755 in seinen Briefen über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften ein Wörterbuchprojekt des Jenensers Carl Gotthelf Müller. Dieser warb für ein ›Lexicon‹, in dem Sprachgeschichte und Vernunft in der beschriebenen Weise zusammenwirken sollten. Der Sammlung älterer und veralteter deutscher Wörter wollte er besondere Aufmerksamkeit schenken.146 Pragmatisch fegt Nicolai diesen Vorschlag vom Tisch: »Mich dünkt auch, daß die vornehmste Bemühung eines Wörterbuchs« die 144 Ebd., Bl. dr ; »die flüssige, unstetige Natur aller Sprachen«; »die Vermischung der Sprachen und die Wanderung der Wörter von einer Sprache in die andere«; »die Nachlässigkeit und Schläfrigkeit der Sprecher«. Freilich bezieht auch Wachter eine Fülle anderer Bedingungen ein. Allgemein formuliert er : »Sufficit, in genere nosse & tenere, quod omnes Linguæ totius Universi ex una & primigenia per varias mutationes sint prognatæ, & consequenter cognatæ: quod Linguæ novæ ex veteribus oriantur, sicut gentes a gentibus: quod ex commercio cum vicinis, migratione Gentium, deductione Coloniarum, occupatione alieni soli, victorum in victos imperio, captivitate & expulsione populorum, mutatione Religionis, & pluribus similibus casibus & causis, necessario sequatur Linguarum permixtio«. (»Allgemein genügt es zu wissen: Alle Sprachen der Welt sind durch unterschiedliche Veränderungen aus einer Ursprache hervorgegangen und daher verwandt; neue Sprachen entspringen aus alten gleichwie Völker aus Völkern; eine Vermischung der Sprachen folgt notwendig aus nachbarschaftlichen Beziehungen von Völkern, Wanderungen, Kolonisation, Besetzung fremder Gebiete, Herrschaft über Besiegte, Gefangenschaft und Vertreibung, Religionsveränderungen und vielen anderen Ereignissen und Ursachen«); Wachter (wie Anm. 139), Bl. c3r. 145 Ebd., Bl. dr ; »und jeder zischt, knurrt und schnattert, wie er nur will und kann«. 146 Vgl. Carl Gotthelf Müller : Entwurf eines brauchbaren teutschen WörterBuchs nebst einem Sendschreiben an die gelehrten Gesellschaften Teutschlandes, welche der teutschen Sprache und den schönen Wissenschaften ihre rühmlichen Bemühungen widmen. In: Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den schönen Wissenschaften. Hrsg. von dems. Jena 1754, S. 342–359.

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»allergenaueste Untersuchung aller Haupt- und Nebenbedeutungen eines Wortes« sei. Die aber koppelt er vom Gang durch die Sprachgeschichte ab und schlägt sie ganz der Vernunft zu. Durch »philosophische[…] Gründlichkeit« lässt sich die Geschichte wohl aushebeln, wenn jene allein zur Instanz der Kritik erhoben wird.147 Dies gilt jedoch nicht umgekehrt. Denn auch Müllers historischer Ansatz zielte auf die vernünftige Verbesserung der Gegenwartssprache: Die historische Arbeit sollte nicht nur dazu dienen, die Lektüre alter Schriften zu erleichtern; vor allem würde man der »Mühe« enthoben, »neue teutsche Wörter von Dingen, die sie sonst schon bezeichnet haben«, zu bilden.148 Müller redet keiner unreflektierten Rückkehr zum Alten das Wort. Seine Präferenz dafür gründet vielmehr in der conformitas des Wortes mit den Dingen. Denn wenn ein altes Wort eine Sache trifft, dann deshalb, weil es in sich einen Kern trägt, der der Sache adäquat ist: einen alten »Stamm«, der den Zeiten getrotzt hat und der dem Neologismus vorzuziehen ist.149 Lessing steht dem gescholtenen Müller näher als seinem Freund Nicolai. Auch er will die ›alte Münze‹ prüfen, um sie gegebenenfalls der neuen »Prägung« vorzuziehen.150 Dass aber für ihn beide, die philologisch-historische wie die philosophische Kritik, dasselbe Ziel verfolgen, verdeutlicht seine konkrete lexikographische Arbeit. Lessing arbeitet hier etwa immer wieder heraus, dass Logaus Wörter Bedeutungsnuancen träfen, die die kurrente Sprache nicht erfasse. »Wirthlich« ist ein solches Beispiel. An Logaus Sprachgebrauch beobachtet Lessing, dass das Wort von »wirthschaftlich wohl zu unterscheiden« sei. Denn dieses gehe die »Sache, die Wirthschaft«, an, jenes aber die Person, den Gastgeber : »wirthschaftliche Gebäude, und wirthliche Leute«.151 Auch in der Aehnlichkeit präzisiert und unterscheidet Lessing aufgrund des historischen Sprachgebrauchs: Der griechische Begriff lecakovqos¼mg fordere dazu auf, »Großmüthigkeit« und »Großmuth« zu unterscheiden: Jene beschränke sich auf Reichtümer, diese beziehe andere Güter ein (Bl. 71r). Sei es – nun wieder im Logau – »Arzung«,152 sei es die Unterscheidung von »Bankart«, »Bastart« und »Beyschlag«,153 sei es die »Husche« des Henkers154 – die Kenntnis und Prüfung 147 [Friedrich Nicolai:] Briefe über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland […]. Berlin 1755, S. 140. 148 Müller (wie Anm. 146), S. 351f. 149 Vgl. ebd., S. 350. 150 Logau (wie Anm. 44), S. 7; B 4, S. 923. 151 Ebd., S. 99. 152 Die »Hebung und Vertreibung einer Krankheit […], in so ferne sie das Werk des Arztes ist«; ebd., S. 19. 153 »Bankart« für bürgerliche uneheliche Kinder, »Bastart« für solche, bei denen die Mutter von weit geringerem Stand ist, »Beyschlag« für die ›unächten‹ Sprosse von Fürsten und Königen; ebd., S. 21. 154 Der »letzte[…] Stoß, den der Übeltäter bekommt« – auch Fachbegriffe der unterschiedli-

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der Wörter ergibt hier, dass mit ihrem Vergessen auch die Bedeutungsvielfalt der Sprache geschrumpft sei. Ihre Wiederbelebung könne dem Deutschen diese verlorenen Möglichkeiten zurückerstatten. Die Sprache würde verbessert, weil sie mehr semantische Unterscheidungen treffen könnte und damit größerer Deutlichkeit fähig würde. Nichts anderes wäre das Ziel von Nicolais »philosophische[r] Gründlichkeit« – wenn auch mit anderen Mitteln. In Lessings lexikographischer Kritik geht die historische Besinnung Hand in Hand mit der Forderung der Vernunft, die Dinge in angemessener Differenzierung erkennen und benennen zu können.

III.2

»VERITATEM in lucem collocare« – Grammatik und Etymologie

Das Logau-Wörterbuch richtet sich auf eine ältere Sprachstufe des Deutschen. Die Aehnlichkeit der Griechischen und Deutschen Sprache ergänzt die kritische Tätigkeit von einer anderen Seite her. Zur Erleichterung der erstern, und Verbeßerung der leztern – der vollständige Titel schlägt denselben philologischen Bogen auf die Gegenwart, von dem bisher die Rede war : »Verbeßerung« der eigenen Sprache auch hier, nun vermittels der kritischen Reflektion des Griechischen und seiner alten Wörter. Und noch eine zweite Aufgabe ist angesprochen: Das Erlernen des Griechischen soll erleichtert werden. Die Anleitung des Sprachstudiums gehört ebenfalls in den Bereich der Philologie.155 Dies gilt zumal, wenn es sich um eine der gelehrten Sprachen handelt, deren Studium einen bedeutenden Teil jenes thesaurus der ›Wissenschaft‹ erschließt. Beide Aspekte bezieht der Titel auf den eigentlichen Gegenstand, mit dem sich die Notizen befassen: die Prüfung der »Aehnlichkeit« beider Sprachen. Offensichtlich ist es die Suche nicht nur nach strukturellen, sondern nach etymologischen Beziehungen, der Lessing beides zutraut: das Studium zu erleichtern und das Deutsche zu verbessern. Welchen Beitrag aber kann die Etymologie leisten, um auch nur einen der beiden Zwecke zu erreichen? Die Frage ist anachronistisch gestellt. Denn zwar sind mit jenen »Aehnlichkeiten« auch im damaligen Sprachgebrauch etymologische Beziehungen gemeint. Aber die Etymologie beschränkt sich nicht darauf. Begriff und Funktion haben sich seither gewandelt. Der Forschung, die sich mit den Sprachstudien Lessings beschäftigt hat, fiel es daher leicht, insbesondere seine etymologischen Interessen als bloßen ›Tic‹ aus dem kritisch-literarischen Schaffen herauszutrennen. Denn freilich sind Lessings Ableitungen aus heutiger Sicht meist unchen Metiers bezeichnen dazugehörige Sachen und vergrößern die Unterscheidungsfähigkeit der Sprache; ebd., S. 51. 155 Die »Erkänntniß der Hauptsprachen« zählt der Zedler zu ihren Kernbereichen; vgl. ebd. (wie Anm. 135), Sp. 1984.

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haltbar. Sie erschienen kurios, was man jedoch nicht darauf zurückführte, dass man selbst kaum wusste, welchen Zuschnitt und welche Interessen die zeitgenössische Etymologie, Philologie und Grammatik hatten.156 Man führte den ungünstigen Eindruck nicht auf eine historische Differenz der Wissenschaftskulturen zurück, sondern auf mangelndes Wissen Lessings – sei er doch schließlich ›eigentlich‹ Dichter und Kritiker (beides gleichfalls anachronistischmodern verstanden, weil vom Gelehrten abgetrennt). Detlef Droese kommt in Bezug auf den Etymologen Lessing zu dem Schluss, hier forsche ein Dilettant; da es sich aber um einen anderwärts bedeutenden Dilettanten handelt, lässt er ihm die Freude: »[N]icht als Wissenschaftler, sondern als Künstler« habe Lessing etymologisiert.157 Etymologie aber gehört für die Zeitgenossen Lessings zum Kern der Sprachlehre. Sie ist Grundbestandteil der damaligen (und auch der älteren) Grammatiken, Teil der Philologie. Als Beispiel sei die Grammatik Gottscheds angeführt, der gewiss nicht verdächtig ist, sein Projekt einer gereinigten deutschen Sprache auf den schwankenden Boden einer versponnenen Disziplin stellen zu wollen.158 Die vier Hauptstücke seiner Deutschen Sprachkunst behandeln: erstens die Rechtschreibung (Orthographie), zweitens die Wortforschung (Etymologie), drittens die Wortfügung (Syntax), viertens die Tonmessung (Prosodie).159 Während die Rechtschreibung lehrt, wie man die Laute 156 In seiner grundlegenden Untersuchung zur ›vormodernen‹ Kritik betont Jaumann (wie Anm. 135, S. 25 u. pass.) die Bedeutung der »Erziehungs- und Bildungsdisziplin« Grammatik. Für die hier zentrale Etymologie scheint sich auch die sonst sehr rege Geschichte der Sprachwissenschaft kaum interessiert zu haben. Eine der wenigen fundierten Arbeiten, die sich auf die Eigenlogik der frühneuzeitlichen Etymologie einlässt, ist: George J. Metcalf: The Indo-European Hypothesis in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Studies in the History of Linguistics. Traditions and Paradigms. Hrsg. von Dell Hymes. Bloomington, London 1974, S. 233–257. Knappe Überblicke findet man bei William Jervis Jones: Early dialectology, etymology and language history in German-speaking countries. In: HSK 18 (wie Anm. 140), Tlbd. 2, S. 1105–1115, hier S. 1110–1112; Edgar Papp: Grundlagen etymologischer Forschung im 17. und 18. Jh. In: Grammatik, Semantik, Textlinguistik. Akten des 19. Linguistischen Kolloquiums. Hrsg. von Wilfried Kürschner u. a. Tübingen 1985, Bd. 1, S. 15–22; Rolf Hiersche: Zu Etymologie und Sprachvergleichung vor Bopp. In: Sprachwissenschaftliche Forschungen. FS Johann Knobloch. Hrsg. von Hermann M. Ölberg u. a. Innsbruck 1985, S. 157–165. Der HSK-Band zur Sprachgeschichte behandelt die Vormoderne als Randgebiet: vgl. Alfred Bammesberger : Geschichte der etymologischen Forschung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Sprachgeschichte. HSK 2. Hrsg. von Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger. Berlin, New York, 2 1998–2004, Tlbd. 1, S. 775–786. 157 Droese (wie Anm. 17), S. 46. 158 Einen Überblick über Gottscheds Sprachdenken gibt Gerda Hassler: Sprachwissenschaftliche Konzepte bei Gottsched. In: Johann Christoph Gottsched (1700–1766). Philosophie, Poetik und Wissenschaft. Hrsg. von Eric Achermann. Berlin 2013, S. 251–265. 159 Johann Christoph Gottsched: Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst […] bey dieser dritten Auflage merklich vermehret. Leipzig 1752. Vgl. Zedler 11 (1735), S. 534, s.v.

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richtig in Buchstaben umsetzt (und umgekehrt), sieht die Etymologie auf den »vielfältigen Unterscheid« der Wörter »in Ansehen der Bedeutung, und ihrer äußerlichen Bildung oder Gestalt«.160 Diese beiden Aspekte erläutert Gottsched näher. Die »Bedeutung« betrifft die »Verschiedenheit der Begriffe […], die sich unser Verstand machet«; die »Gestalt« aber gibt durch die Zusammensetzung des Wortes aus »Sylben und Buchstaben« zu erkennen, »daß ein Wort von dem andern herkömmt, oder abstammet.«161 Die Etymologie teilt ihren Gegenstand in die partes orationis ein, d. h. die Wortarten wie Nomen, Pronomen, Verb etc.162 Insgesamt umfasst sie den ganzen Komplex von Semantik, Wortbildung, Flexion, Morphologie und Abstammung der Wörter voneinander. Dies letzte meint dabei freilich nicht nur die Beziehung zwischen Wörtern unterschiedlicher Sprachen, sondern auch innerhalb ein und derselben Sprache (etwa von Verb und Substantiv, ob beispielsweise ›Geruch‹ von ›riechen‹ abstammt oder umgekehrt). Es ist kaum übertrieben, in der Etymologie ein Zentrum der zeitgenössischen Grammatik zu sehen. Da sie auch die Semantik umfasst, fällt in ihr Gebiet, was Wachter oben die conformitas von Wörtern und Dingen nannte. Die Etymologie forscht nach der Wahrheit der Wörter, die die Sprache verwendet; in Wachters Worten: »VERITATEM in lucem collocare, ETYMOLOGIÆ negotium est.«163 Es wird deutlich, wie Lessing der »Aehnlichkeit« der Sprachen ganz selbstverständlich einen ebenfalls normativen Sinn geben kann. Durch die Feststellung von solchen Beziehungen schälen sich Wortkerne heraus, die in Richtung des Sprachursprungs, jener lingua primigenia, weisen. Diese Kerne haben dem Wandel der Sprachen und der Zeiten getrotzt und sind konstant oder zumindest identifizierbar geblieben. Hier sondert sich das Alte vom Neuen, und das bedeutet auch: In den alten Wortkernen tradiert sich ein älteres, ein fester gegründetes Wissen von den Dingen. Lässt sich eine Beziehung zwischen einem griechischen und einem deutschen Wort feststellen, so spricht daraus einerseits das hohe Alter der deutschen Bezeichnung. Zweitens aber öffnet sich der Blick auf die Sprachstufe vor der Entwicklung jener beiden, offensichtlich verschwisterten Sprachen. Solche Wortkerne nennt die frühneuzeitliche Sprachwissenschaft ›Stamm-

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Grammatik: Sie »hat vier Haupt-Theile: Orthographiam, Etymologicam, Prosodiam und Sytaxin.« Die Struktur der Grammatik bis ins 18. Jahrhundert lässt sich auf das spätantike Modell des Aelius Donatus zurückführen; vgl. Trabant (wie Anm. 140), S. 153. Gottsched (wie Anm. 159), S. 22. Ebd. Die acht partes orationis grammaticae müssen von den rhetorischen Redeteilen unterschieden werden; zu den ersten vgl. Zedler 26 (1740), Sp. 1038, s.v. partes orationis grammaticae. Wachter (wie Anm. 139), Bl. [c2v]: »Die Wahrheit ans Licht zu stellen, ist das Geschäft der Etymologie.«

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wörter‹.164 Besitzt eine Sprache viele davon, so belegt das ihr Alter und ihre hohe Würde. Sie verfügt dann über ein höheres Maß an conformitas mit den Sachen. Die deutschen Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts nutzten die Stammworttheorie eifrig, um das in ihrer Sicht unterschätzte Deutsche gegen die anderen europäischen Sprachen aufzuwerten.165 Kaspar Stielers Wörterbuch Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz – Lessing verwendet es für den Logau und die Aehnlichkeit – präpariert 4884 solcher Stammwörter heraus.166 Kämpferisch schließt er, dass »unser hochwehrtes Teutsch« allen anderen neueren und alten Sprachen »die Spitze bieten kan.«167 Nicht weniger streitbar gibt sich Justus Georg Schottel in seiner sehr Ausführlichen Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache: Auch er stellt entschieden das Deutsche mit seinen »uhrsprünglichen natürlichen Stammwörteren« über alle Konkurrenten.168 Die Theorie von den Stammwörtern ist im 18. Jahrhundert alles andere als obsolet. Gottsched gründet darauf die Etymologie seiner Grammatik, und auch Lessings Etymologien bleiben ohne sie unverständlich. In den Notizen zur Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden beispielsweise führt er Hammel auf das »Stammwort Hamm (ein Widder)« zurück, das er wiederum mit dem »Stammwort ram« in Verbindung bringt. Der englische 164 Zur Geschichte der Sprachwissenschaft bis in die frühe Neuzeit vgl. Trabant (wie Anm. 140); Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin, New York 1999, bes. S. 94–229. Zur Stammworttheorie im 17. Jahrhundert: Kathrin Gützlaff: Von der Fügung Teutscher Stammwörter. Die Wortbildung in J.G. Schottelius’ Ausführlicher Arbeit von der Teutschen HaubtSprache. Hildesheim u. a. 1989; Markus Hundt: »Spracharbeit« im 17. Jahrhundert. Studien zu Georg Philipp Harsdörffer, Justus Georg Schottelius und Christian Gueintz. Berlin, New York 1999. Aus der umfangreichen Literatur zu den Sprachgesellschaften sei hier nur verwiesen auf Andreas Gardt: Die Sprachgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts. In: HSK 2 (wie Anm. 155), Tlbd. 1, S. 332–348, mit weiterer Literatur. 165 Zum »Aufwertungsdiskurs« vgl. neuerdings die luziden Ausführungen von Wolf Peter Klein: Die deutsche Sprache in der Gelehrsamkeit der frühen Neuzeit. Von der lingua barbarica zur HaubtSprache. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hrsg. von Herbert Jaumann. Berlin, New York 2011, S. 465–516, insbes. S. 473–498. 166 Die Zahl nach Herbert Ernst Wiegand: Historische Lexikographie. In: HSK 2 (wie Anm. 156), Tlbd. 1, S. 643–715, hier S. 655, zu Stieler vgl. S. 654–656. Einführend außerdem: Ulrike Haß-Zumkehr : Deutsche Wörterbücher – Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin, New York 2001, S. 75–81. 167 Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz Worinnen alle und iede teutsche Wurzeln oder Stammwörter, […] gesamlet von dem Spaten [d.i. Kaspar Stieler]. Nürnberg 1691. NDr München 1968, Vorrede, Bl. [)()()(v]. 168 Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache: Worin enthalten Gemelter dieser HaubtSprache Uhrankunft/ Uhraltertuhm/ Reinlichkeit/ Eigenschaft/ Vermögen/ Unvergleichlichkeit/ Grundrichtigkeit […]. Braunschweig 1663. NDr Tübingen 1967, Bd. 1, S. 50.

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Widder rückt so nah an den »Hammer«. Die sprachliche Ähnlichkeit wird durch ein sachliches Argument abgesichert – ganz nach der Vorstellung einer conformitas von Wörtern und Sachen. Das tertium comparationis enthüllt dann die Grundbedeutung des Stammwortes: »etwas, womit man etwas schlägt oder stößt.«169 Lessing spricht immer wieder selbstverständlich von Stammwörtern, sei es, dass er im Logau »läppisch« »Lappen« (»feiger, weibischer, nichtswürdiger Mensch«), Laffe und Lumpen auf ein gemeinsames »Hauptwort« führt;170 sei es, dass er seine Hypothese Vom Alter der Ölmalerei mit auf eine Ableitung des terminus technicus »Firniß« von dem Begriff »Fornis« stützt, den er bei Theophilus Presbyter findet;171 sei es, dass er angesichts der Ähnlichkeit von »Abend« mit dem hebräischen »ob und uphen« beklagt, »daß hier noch ein ganz andres Stammwort verloren gegangen sein werde«;172 sei es schließlich, dass ihm ein altes Kochbuch die Erkenntnis einträgt, lernen und lehren seien »ursprünglich ein Wort« gewesen.173 Ein Eintrag in der Aehnlichkeit profiliert diesen Gedanken weiter. Lessing notiert hier das Lemma »!tl¹r« (Bl. 18r). Er präzisiert die Bedeutung, um die es ihm geht, mit flatus, halitus (Hauch, Atem, Ausdünstung);174 ›Dampf, Dunst‹ lässt er beiseite. So kann er feststellen, dass das Wort mit dem deutschen »Athem« übereinstimme.175 Es folgt eine Etymologie innerhalb des Griechischen. !tlºr leitet er von »%y« (hauchen, blasen) oder »%gli« ab. »%y« aber drücke den Ton aus, »der da entsteht, wenn wir die Luft von uns hauchen.« Gleichzeitig widerspricht Lessing einer direkten Ableitung von »Hauch« und »%y« aus einander : Beide seien sie »nach dem Tone gemacht.« Aber Lessing nimmt auch nicht an, dass Griechen und Deutsche dieses Wort unabhängig voneinander geprägt hätten, zeige sich doch in dem zugrundeliegenden Laut ein »Hauptstammwort«. Hier wird deutlich, dass Lessing einer Klasse von Wörtern ein besonderes Alter zuschreibt: den onomatopoetischen. Sie verweisen nah an den einheitlichen Ursprung der Sprache, der ja noch vor dem Griechischen und Deutschen liegt. Lessing legt hier eine verbreitete Theorie zugrunde, nach der die ersten und damit ältesten Wörter durch Imitation gebildet worden seien. Wachter etwa meint, »quod in omnibus Linguis quædam sint vocabula, & forte innumera, per 169 170 171 172 173 174 175

Vgl. B 10, S. 313 (Vergleichung, zwischen 1760 und 1774). Logau (wie Anm. 44), S. 57. B 8, S. 52f. (Vom Alter der Ölmalerei, 1774). B 10, S. 326 (Anmerkungen über Adelungs Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 1774). LM 15, S. 282 (Collectanea, s.v. Kochkunst). Nach Scapula, S. 202. Diese Etymologie konnte er etwa auch in Morhofs Unterricht Von der Teutschen Sprache und Poesie (1682, S. 84; vollst. Angabe in Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen) finden; Lessing benutzte ihn 1760, wie der Eintrag zu »h/ku« (Bl. 50r) zeigt.

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Onomatopœiam facta«, und fügt patriotisch hinzu: »præcipue vero in nostra.«176 Der Ursprung der ersten Wörter aus der imitatio naturae aber verleiht ihnen einen besonderen Grad der conformitas von Wort und Ding: »Quid autem est Onomatopœia, nisi VOX REPERCUSSA NATURÆ?«177 Freilich klingt nicht in allen Wörtern die Natur wider, denn an zweiter Stelle in der Sprachbildung tritt die ratio des Menschen auf den Plan (»RATIO habet secundas«).178 Dies bedeutet nicht, dass diese Wörter nun willkürlich gebildet wären, denn die ratio erkennt ja schließlich gleichfalls die Natur der Dinge. Aber onomatopoetische Wörter haben einen besonderen Stellenwert. Sie sind natürliche Zeichen für grundlegende Teile der menschlichen Wirklichkeit. In ihrem Ton spricht sich die Sache selbst aus. Noch drei weitere onomatopoetische Hypothesen zieht Lessing in der Aehnlichkeit in Betracht: für !²fy (›laut atmen‹; Bl. 17r), wq²y (›ein Orakel verkünden‹ – Lessing denkt an das »krähen des prophetischen Hahnes«; Bl. 122r), wo?qor (›Schwein‹; Bl. 123r). Der zugrundeliegende Gedanke wird dann für den Laokoon-Komplex immens wichtig. Denn zu den onomatopoetischen Urwörtern gehören auch die Interjektionen, von denen die Argumentation des publizierten ersten Teils ausgeht. Das Winseln des Sophokleischen Philoktet, das »Geschrei« der Homerischen Helden – sie sind der »natürliche Ausdruck«179 des Schmerzes und damit nichts anderes als Teile jener Sprache der Natur. Ihre ›Worte‹ geben den Ausschlag für die Wirkung des Mitleids, auf das Lessing hier kalkuliert: »Philoktet, seiner Schmerzen Meister, würde den Neoptolem bei seiner Verstellung erhalten haben. Philoktet, den sein Schmerz aller Verstellung unfähig macht, […] der ganz Natur ist, bringt auch den Neoptolem zu seiner Natur wieder zurück.«180 Die Interjektionen sind Zeichen, als Zeichen aber eigentlich Wörter. Alle Menschen verstehen sie, und sie üben eine besondere Kraft auf denjenigen aus, der sie hört. Neoptolemos kehrt durch sie zu seiner Natur zurück, sein »Mitleid« wird rege.181 Vom Dramatiker klug eingesetzt, sind diese Wörter auch ein Schlüssel zur Erregung der tragischen Affekte beim Zuschauer. Sie sind Urworte, bei den Griechen noch selbstverständlich und üppig in Ge176 Wachter (wie Anm. 139), Bl. [a2v]: »dass alle Sprachen etliche, und vielleicht unzählige, Wörter enthalten, die durch Onomatopoesie entstanden sind« – »und vorzüglich die unsrige«. 177 Ebd., Bl. [a2v]; »Was ist die Onomatopoesie anderes als ein Widerklang der Stimme der Natur.« Wachter positioniert sich mit seinen Argumenten in dem alten, aber immer noch glühenden Streit, ob die Worte willkürlich erfunden oder den Dingen notwendig verbunden seien; durch die imitatio naturae ergreift er die zweite Position; vgl. zu diesen Hauptlinien des europäischen Sprachdenkens Trabant (wie Anm. 140), S. 33f. und passim. 178 Ebd., Bl. [a2v]; vgl. zu diesem Gedanken bei Leibniz: Trabant (wie Anm. 140), S. 183. 179 B 5/2, S. 19 (Laokoon, 1766). 180 Ebd., S. 46f. 181 Ebd., S. 47.

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brauch, von späteren, verfeinerten Gesellschaften dann unterdrückt und vergessen. Lessings Interesse an diesen Urwörtern ist groß. Er plant, den dritten Teil des Laokoon ganz dem Problem der natürlichen und künstlichen Zeichen zu widmen.182 »Anfangs«, so notiert er in einem Paralipomenon, »ist es gewiß, daß die ersten Sprachen aus der Onomatopöie entstanden sind, und daß die ersten erfundnen Wörter gewiße Ähnlichkeiten mit den auszudrückenden Sachen gehabt haben. Dergleichen Wörter finden sich auch noch itzt in allen Sprachen, mehr oder weniger, nach dem die Sprache selbst mehr oder weniger von ihrem ersten Ursprunge entfernt ist.«183 Der Zusammenhang mit der Sprachtheorie und Lessings fortgesetztem Studium der Etymologie wird hier deutlich. Auch auf die Satzebene überträgt Lessing den Gedanken. Gibt es nicht, wie natürliche Zeichen für bestimmte Zustände des Menschen, so auch eine natürliche Folge der Wörter? – Nämlich dann, wenn »alle die Worte vollkommen so aufeinander folgen, als die Dinge selbst welche sie ausdrucken«.184 Auch dieser Gedanke gehört zum Arsenal des zeitgenössischen Sprachendenkens,185 wenn er auch freilich umstritten ist: Condillac beispielsweise hatte diese Vorstellung abgelehnt.186 Nicht so Lessing. Für ihn ragt auch hier das Griechische heraus. Beispielhaft für eine solche natürliche Reihung der Dinge in der Sprache analysiert er Homers Gebrauch der Epitheta: »Der Grieche verbindet das Subjekt gleich mit dem ersten Prädicate, und läßt die andern nachfolgen; er sagt: ›runde Räder, eherne, achtspeichigte.‹ So wissen wir mit eins wovon er redet, und werden, der natürlichen Ordnung des Denkens gemäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen Zufälligkeiten bekannt«187 – so geht der Gedanke in den publizierten Laokoon ein. Die Überlegungen sind Teil eines der Grundanliegen des Laokoon: Wie muss Dichtung aussehen, wenn die Zeichen einer jeden Kunst auf spezifische Weise »ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen«?188 Sprachliche Zeichen, so der sprachtheoretische ›Übertrag‹, aus dem die Folgebände des ersten Laokoon-Teils bestückt werden sollten – sprachliche Zeichen ähneln unter gewissen Umständen denen der Malerei. Auch unter ihnen 182 183 184 185 186

Vgl. B 5/2, S. 262 (Laokoon, Paralip. 8). Ebd., S. 309f. (Laokoon, Paralip. 25). Ebd., S. 310. Vgl. Trabant (wie Anm. 140), S. 150 u. ö. Condillac: Essai sur l’origine des connoissances humaines (1746); vgl. Trabant (wie Anm. 140), S. 177; auch ders.: Der gallische Herkules. Über Sprache und Politik in Frankreich und Deutschland. Tübingen, Basel 2002, S. 110f.; Gardt (wie Anm. 164), S. 176–180. Ausführlich zu den französischen Debatten: Ulrich Ricken: Grammaire et philosophie au siHcle des LumiHres. Controverses sur l’ordre naturel et la clart8 du franÅais. Lille 1978. 187 B 5/2, S. 133 (Laokoon). 188 B 5/2, S. 116 (Laokoon).

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gibt es solche, die natürlich sind und in denen die Natur der Dinge unmittelbar zum Ausdruck kommt. Lessing will der Frage weiter nachgehen, an welchen Stellen die Sprache im Laufe der Zeiten nicht »willkürlich[…]« geworden ist, einerseits, um die jeweilige Eigenart von Poesie und Malerei noch besser zu verstehen, andererseits aber auch mit einem kritischen Interesse: Immer soll zugleich die gegenwärtige Dichtung besser und wirkungsvoller werden. Die Poesie »hat nicht nur wirklich auch natürliche Zeichen, sondern auch Mittel, ihre willkürlichen zu der Würde und Kraft der natürlichen zu erhöhen«189 – seien dies die Interjektionen, die onomatopoetischen Wörter, sei es die Folge der Wörter im Satz: Wenn »schon nicht die Wörter natürliche Zeichen sind,« so kann ihnen doch mit Hilfe der Kunst, auf der Basis der Etymologie, die »Kraft eines natürlichen Zeichens« verliehen werden.190 Der kalkulierte Gebrauch der natürlichen Zeichen, die bewusste Überformung der Sprache in Richtung jener lingua primigenia – sie beide erhöhen den Rang und die Wirkung der Dichtung. Solche Zeichen vergrößern das Mitleid, das der Zuschauer mit den tragischen Protagonisten empfindet; und sie bringen hervor, was Lessing hier »den musikalischen Ausdruck in der Poesie«191 nennt. Wenn Etymologie und Sprachtheorie zeigen sollen, auf welchem Weg sich die vergangene Natürlichkeit durch Kunst wieder aneignen lässt, dann liegt ein analoger Gedanke im Kern auch Lessings Schauspieltheorie zugrunde, die er in der anschließenden Zeit am Hamburger Nationaltheater weiterentwickelt. Die Gebärden sind ebenfalls natürliche Zeichen des Körpers, die Sprache einer Dramenfigur ist natürliches Zeichen ihres Charakters. Auch sie sind Gegenstand einer ›Grammatik‹;192 und der Schauspieler muss lernen, den natürlichen Ausdruck künstlich zu nutzen und zu beherrschen.193 An Nicolai schreibt er 1769, den Gedanken der natürlichen Sprach-Zeichen und der natürlichen Zeichen des Dramas zusammenzie-

189 190 191 192

B 5/2, S. 309 (Laokoon, Paralip. 25). Ebd., S. 310. Ebd. Vgl. zur Vorstellung einer ›Grammatik‹ der Gebärden die Hinweise bei Alexander Kosˇenina: Entstehung einer neuen Theaterhermeneutik aus Rollenanalysen und Schauspielerporträts im 18. Jahrhundert. In: Aufführungsdiskurse im 18. Jahrhundert. Bühnenästhetik, Theaterkritik und Öffentlichkeit. Hrsg. von Yoshio Tomishige und Soichiro Itoda. München 2011, S. 41–74, hier S. 42f. Ausführlicher : Wolfgang F. Bender : Vom »tollen Handwerk« zur Kunstübung. Zur »Grammatik« der Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. In: Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. Grundlagen, Praxis, Autoren. Hrsg. von dems. Stuttgart 1992, S. 11–50; den Begriff der »Gramatik [!] der Schauspielkunst« benutzt zuerst Conrad Ekhof im Jahr 1753, vgl. ebd., S. 18. 193 Zu den Zeichen der Schauspielkunst vgl. Alexander Kosˇenina: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur ›eloquentia corporis‹ im 18. Jahrhundert. Tübingen 1995; daneben auch Bender (wie Anm. 192).

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hend: »[D]ie höchste Gattung der Poesie ist die, welche die willkürlichen Zeichen gänzlich zu natürlichen Zeichen macht«.194 Die Aehnlichkeit zeigt, dass Lessing vor allem in Breslau diese Fragen durch das etymologische Sprachstudium vertiefen wollte. Aus dieser Zeit stammen die Exzerpte aus Gesners Mithridates (Bl. 3r und v) und dem Traict8 de la conformit8 du language FranÅois avec le Grec (Bl. 135r bis 136v) von Henricus Stephanus. Der erste behandelt die Vielfalt der Sprachen, aber natürlich auch ihren historischen Zusammenhang. Der zweite beschäftigt sich mit der ›Ähnlichkeit‹ der französischen und griechischen Sprache, indem er die partes orationis durchgeht.195 Eine Reihe anderer Breslauer Eintragungen fügen sich ebenfalls in die Gedankengänge um den Laokoon.

III.3

Crust and Crum – die Dialekte

Ein anderer Aspekt, der Lessings etymologische Vorstellungen profiliert, ist sein Interesse an Dialekten. Auch dieses zielt auf die kritische Bereicherung der Sprache aus Altem; und auch hier setzt die Stammworttheorie den Rahmen. Programmatisch ist die Notiz Ueber Provinzialismen: »Die Provinzialismen, welche der Schriftsteller brauchen kann, müssen nächst ihren andern zu bestimmenden Eigenschaften auch diese haben: daß man ihren Stamm in einer von den Quellen der Sprache zeigen, und sonach gewiß seyn kann, daß sie keine Aftergeburten des Dialects in neuern Zeiten sind.«196 Als positive Beispiele führt Lessing »Krume und Kruste für den äußern harten und innern weichen Theil des Brodtes« an. Deren Alter verbürgt eine parallele Bedeutung im Englischen: »– he that keeps nor crust nor crum.«197 Beide Sprachen haben in diesen Wörtern einen gemeinsamen Stamm. Die alten »Stämme« aber begründen den Vorzug des Alten vor dem Neueren. Sie aufzusuchen, ist die Aufgabe des Kritikers, der seine Sprache bereichern will. Auffällig ist der abwertende Blick, den Lessing hier auf die Dialekte wirft. Denn seine Aufzeichnungen belegen sonst durchgehend ein großes und positives Interesse an ›Provinzialismen‹.198 Auch in der Aehnlichkeit ist ihr Stellenwert hoch. Die Beobachtung etwa, dass »Bürde« »in verschiedenen Provinzen Büre ausgesprochen« werde, stütze dessen Übereinstimmung mit b²qor (Last; 194 Brief Lessings an Nicolai, 26. Mai 1769 (LM 17, S. 289–291). 195 Vgl. zu Stephanus’ Überlegungen zur Parallelität zwischen dem Griechischen und dem Französischen im Kontext seines Thesaurus: Considine (wie Anm. 135), S. 61–63. 196 B 10, S. 327 (Über Provinzialismen); die Herausgeber Schilson und Schmitt datieren vermutungsweise in die Wolfenbütteler Zeit, vgl. B 10, S. 1018. 197 Er zitiert »Shakesp. Lear. Act. 1. sc. 4.«; B 10, S. 327. 198 Beispiele liefert Schuppener (wie Anm. 17), S. 12–15.

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Bl. 25r). hq´y wird mit »dreschen« (sächsisch für laut reden, schwatzen; Bl. 50r) zusammengebracht, d/qir mit »Zorn« in der niedersächsischen Aussprache »Torn« (Bl. 34v), jibytºr mit dem märkischen »Kiepe« (Bl. 58r), joit¸r mit »Köte« (Bl. 60r),199 japgke¼eim mit dem danzigischen »Kupplerin« für »Hökerin« (Bl. 62r), ap¶ mit plattdeutsch »open« (Bl. 84r), p´pty mit niedersächsisch »Pimpe« (›Brei‹; Bl. 90r); verschiedentlich nimmt Lessing seine Beispiele vom »gemeinen Mann« oder aus der »gemeine[n] Sprache«.200 Lessing bezieht entschieden alle deutschen Dialekte in seine Sprachpolitik ein. Das setzt ihn von Gottsched ab und auch vom späteren Adelung, die das Hochdeutsche bekanntlich von der sächsisch-meißnischen »Mundart« aus entwickeln wollten.201 Lessing geht einen anderen Weg. Aber die zitierte Passage ›über Provinzialismen‹ zeigt, dass auch sein Interesse an Dialekten und Umgangssprache einen normativen Maßstab kennt. Die Mundarten sind gleichfalls Zeugnisse der Sprachwanderung und -entwicklung. Wie die anderen Wörter auch, können die ›Provinzialismen‹ Hinweise auf Stammwörter liefern, die in anderen ›Provinzen‹ unkenntlich geworden seien. Die Beispiele aus der Aehnlichkeit versuchen dies: Hier identifiziert Lessing ›alte Stämme‹. Deutlich aber unterscheidet er davon die »Aftergeburten des Dialects in neuern Zeiten«. Dem liegt die allgemein anerkannte Vorstellung zugrunde, dass Dialekte aus einer jeweiligen Grundsprache abgeleitete Sprachformen seien.202 Sprachentwicklung, so die Voraussetzung, sei eine progressive Verschlechterung von reineren For199 Unklar ist, auf welchen Dialekt sich Lessing bezieht. Man verwende »hier« »Köte« für einen kleinen Schrank, schreibt er. Nach Grimm (DWB, Bd. 11, Sp. 1885) handelt es sich um ein ostmitteldeutsches, vor allem sächsisches Wort. Hier wird unsicher angegeben, es sei »wie es scheint auch nicht schles.« Da der Bearbeiter des DWB-Artikels die schlesische Herkunft aber zumindest erwogen zu haben scheint, ließe sich diese Notiz vielleicht doch auf die Breslauer Zeit datieren. 200 S.v. »pgcm¼y« (Bl. 91r) und »Na¸my« (Bl. 97r). 201 »Mundart« ist bei ihnen nicht nur regional, sondern auch sozial bestimmt: Es meint die Sprache der gebildeten Klassen; vgl. zum uneindeutigen Gebrauch des Begriffes bei Gottsched: Gardt (wie Anm. 164), S. 172f.; Haß-Zumkehr (wie Anm. 166), S. 107; zu Adelung hier einführend S. 105–111. Zu Begriff und Beschäftigung mit Dialekten in der Frühen Neuzeit orientiert mit weiterer Literatur: Ulrich Knoop: Das Interesse an den Mundarten und die Grundlegung der Dialektologie. In: Dialektologie. HSK 1. Hrsg. von Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand. 1 Tlbd. Berlin, New York 1982, S. 1–23, hier S. 1–11. Zur Normierung vgl. Jörg Kilian: Entwicklungen in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert außerhalb der Sprachgesellschaften. In: HSK 18 (wie Anm. 140), Tlbd. 1, S. 841–851. 202 Wachter formuliert grundsätzlich: »Itaque ex una & primitiva Lingua […] suscitatæ sunt primo variæ DIALECTI, […] Dialecti paulatim abierunt in LINGUAS. Ex his Linguis postea formatæ sunt novæ Linguæ & Linguarum Dialecti, & Dialectorum Linguæ« (So entstanden aus der einen Ursprache zunächst die verschiedenen Dialekte […] bald wurden aus den Dialekten Sprachen. Aus diesen Sprachen bildeten sich dann neue Sprachen, Dialekte der Sprachen und Sprachen der Dialekte); ders. (wie Anm. 139), Bl. a3r. Analog Morhof (wie Anm. 175), S. 29.

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men hin zu vermischten und verzerrten. Erinnern wir uns, wie Wachter die Sprachveränderung unter anderem aus der Nachlässigkeit (»neglectus«) der Sprecher begründete, von denen jeder nach Lust und Laune zische, knurre und schnattere (»sibilat, hirrit, gingrit & c.«). Und freilich verhalten sich nicht nur Individuen erratisch gegenüber den Grundsprachen, sondern auch Völker und Volksgruppen: Je nach Temperament und Klima können sie beispielsweise »die natürliche Neigung zu einem gewissen Laut« haben.203 Für Lessing haben die Dialekte daher zwei Bedeutungen: Sie sind erstens Wegmarken der Sprachentwicklung, die zu den Stämmen der Sprache hinleiten können, also der historischen Forschung dienen; und als solche bieten sie zweitens belegtes Wortmaterial, das es zu kennen, auf sein Alter zu prüfen und gegebenenfalls für die Gegenwart wieder anzunehmen gilt. Die Sammlung von ›Provinzialismen‹ soll also nicht primär sprachliche Varietät dokumentieren. Die Fülle bietet vielmehr eine Ratio, um das Neue vom Alten sondern, das geprüft Alte aber der gegenwärtigen Sprache wieder zuführen zu können. Als methodischen Zugang erwägt Lessing in den Collectaneen Wachters Vorschlag, wie man mit dem Gothischen, Angelsächischen und Fränkischen als ›Mundarten‹ ihrer zugrundeliegenden, gemeinsamen Sprache umgehen sollte: »Ein Wort das in allen dreyen Mundarten vorkömmt, gehört der allgemeinen Sprache; und nur das, welches blos in einer derselben vorkömmt kann man ein gothisches, angelsächsisches oder fränkisches Wort nennen.«204 Folgt man den Verzweigungen der Dialekte und dem Geäst der Sprachen, so stößt man auf den Stamm. Lessing steht auch mit dieser Position zu Dialekten nicht alleine. Im Grundsatz stimmt er hier beispielsweise wiederum mit Carl Gotthelf Müller überein, jenem Jenenser, dessen historische Sprachinteressen Nicolai so arg verrissen hatte.205

III.4

»d in z« – Lessings Etymologien

Die Etymologie ist Kernbestand der Grammatik. Sie führt zur Wissenschaft der wahren Wörter (»veri nominis scientia«).206 Natürlich besitzt sie auch eine Methode, um zu verlässlichen Schlüssen anzuleiten. Gewiss – nicht alle Philo203 Morhof (wie Anm. 175), S. 29; ebenso Wachter (wie Anm. 139), Bl. dr. 204 Vgl. LM 15, S. 376 (Collectaneen, s.v. Sprache) mit explizitem Bezug auf Wachter. 205 Müller sieht für sein Wörterbuch eine Aufarbeitung aller Dialekte vor, um die Stammwörter zu finden. Erst angesichts einer umfassenden Sammlung könnte man entscheiden, welche Wörter eigentlich deutsche seien. Sein Schlussverfahren für das dialektale Korpus: »welche Worte nicht völlig teutschen Ursprungs sind, dem StammWorte und den übrigen Zusätzen nach, weder teutsch aussehen noch klingen, dahero auch nicht von jedem Teutschen einer jeden Provinz verstanden werden können: alle diese sind größten theils ProvinzialWörter, und gehören nicht zur reinen teutschen Sprache.« Müller (wie Anm. 146), S. 350. 206 Wachter (wie Anm. 139), Bl. [c2v].

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logen betreiben mit gleicher Intensität die Teildisziplin, deutsche Wörter aus alten Sprachen abzuleiten. Die Chancen, zu sicheren Ableitungen zu kommen, werden durchaus unterschiedlich eingeschätzt. Dies liegt aber nicht daran, dass die Grundannahmen als falsch abgelehnt würden. Schuld trügen vielmehr die notorisch lückenhafte Überlieferungslage und die Wandelbarkeit der Sprachen.207 Divers sind auch die Hypothesen der Gelehrten über die Wanderungen der Sprachen und, analog, der Völker (»Linguæ […] sicut gentes«).208 Welche Sprache von welcher abstamme, welchem Volk damit das höhere Alter und der höhere Rang zukomme – diese Fragen markieren hart umkämpftes Terrain. Aber dennoch besteht große Einigkeit über die Regeln, die in der Etymologie zur Anwendung kommen müssen. Dass sie bei methodischem Grundkonsens konkurrierende Ergebnisse zeitigt – darin unterscheidet sich die Etymologie der Frühen Neuzeit nicht von modernen Wissenschaften.209 Im Kern nehmen die Gelehrten wenige Grundregeln an, nach denen sich die Sprache verändere. Sie beziehen sich alle auf die Wörter, nicht auf die Syntax, so wie überhaupt das Augenmerk der vormodernen Sprachwissenschaft auf den Wörtern ruht. Schließlich tragen sie durch ihre conformitas mit den Dingen die Last des Wissens.210 Und natürlich betreffen diese Regeln nicht nur die Wanderung von Wörtern durch unterschiedliche Sprachen, sondern, entsprechend dem Zuschnitt der Etymologie, auch Veränderungen innerhalb einer Sprache, etwa die Bildung von Verben aus Substantiven. Auch für die Methode ist Wachter ein verlässlicher Gewährsmann. Wörter veränderten sich erstens durch den Austausch einzelner Buchstaben; zweitens, indem die Buchstaben ihre Reihenfolge vertauschten; drittens, indem Buchstaben hinzukämen oder wegfielen, entweder am Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Wortes.211 Frisch macht aus der letzten Regel zwei, kommt aber zu dem gleichen Ergebnis: »Die Veränderung. Das Zusetzen. Das Wegwerfen. Das Versetzen der Buchstaben und Sylben«.212 Während Frisch mithilfe weniger Beispiele erläutert, bemüht sich Wachter um systematische Explikation. Die 207 Frisch gibt sich in der Vorrede seines Teutsch-Lateinischen Wörter-Buchs (1741; vollst. Angabe in Abschnitt 2 der vorl. Edition: Lessings Quellen) vorsichtig: »in Ermangelung der Nachrichten in den alten finstern Zeiten« will er in unsicheren Fällen »lieber eine behutsame Unwissenheit bekennen, als ein verwegenes Wissen vorgeben.« Vorbericht, Bl. )(r. 208 Wachter (wie Anm. 139), Bl. c3r. 209 Metcalf (wie Anm. 156) gehört zu den wenigen, die versucht haben, die Logik der etymologischen Forschung in der Frühen Neuzeit zu rekonstruieren. 210 Vgl. Trabant (wie Anm. 140), etwa S. 37f., S. 119, S. 244. 211 »[P]rimo dum literæ permutantur, secundo dum ordo literarum pervertitur, tertio dum numeras literarum augetur aut minitur, vel ab initio, vel in medio, vel in fine vocis.« Wachter (wie Anm. 139), Bl. dr. 212 In seiner Bearbeitung von Johann Bödikers deutscher Grammatik: Johannis Bödikeri […] Grund-Sätze der Teutschen Sprache Meistens mit ganz andern Anmerkungen […] Verbessert und vermehrt von Joh. Leonh. Frisch. Berlin 1729, S. 181.

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vielfältigen Möglichkeiten des Austauschs (permutatio) stellt er mittels einer langen Liste dar, von Buchstaben, wie sie einander ersetzen oder sich aufgrund der natürlichen Affinität ihrer Laute anziehen; zwei Beispiele von vielen möglichen: »H. & K. permutantur«, »M. attrahit P.«213 Die Vokale sind besonders quecksilbrig: Sie können sich in alle anderen Vokale und Diphthonge verwandeln. So wird aus »jo?kor« bei gleichzeitigem Wegfall der griechischen Endung das deutsche »hol« (k > h), aus »tºlor« das deutsche »Stump« (m > mp) und aus »wollen« »Wille« (o > i). Dies war Wachters erste Regel, die permutatio. Die ›Versetzung‹, das ›Zusetzen‹ und ›Wegwerfen‹ gehorchen anderen Gesetzen: Anastrophe (Umkehrung, Bsp.: »c²ka« und frz. »lac«), Aphaeresis (Wegfall von Buchstaben am Wortbeginn, Bsp.: »tq¸beim« und »reiben«), Apocope (Wegfall der Endung, etwa entsprechend der unterschiedlichen Morphologie, bspw. wie oben »jo?kor« und dtsch. »hol«), Epenthesis (Einfügung eines Buchstabens, Bsp.: lat. »halo« von »%y«), Metathesis (Versetzung von Buchstaben, Bsp.: »born« und »brun«), Paragoge (Zusatz am Wortende, Bsp.: »trunkenbold« für »trunkenboll«), Prosthesis (Zusatz am Wortanfang, Bsp.: »sitzen« von »Vfeim«) und Syncope (Wegfall von Buchstaben in der Wortmitte, Bsp.: frz. »rire« von lat. »ridere«).214 Für alle Kategorien führt Wachter eine Fülle von Beispielen an, die er wiederum entsprechend den verschiedenen Sprachen und betroffenen Buchstaben aufgliedert. Zusätzlich zu diesen Regeln schärft Wachter ein, dass immer ein semantischer Grund vorhanden sein müsse, wenn eine Ableitung wahrscheinlich gemacht werden solle. Denn das Wesen der Wörter liege schließlich in ihrem Begriff (»intellectus«) und nicht im Laut.215 Regellos also ist die Etymologie nicht. Und regellos geht auch Lessing nicht vor. Einige der Beispiele, die Wachter liefert, finden sich auch in der Aehnlichkeit wieder, sind also gleichsam gelehrtes Gemeingut (tq¸beim, jo?kor).216 Bei tq¸beim rekapituliert Lessing im Vorbeigehen die Regel der Aphaeresis: »Wirft man das t weg, so bleibt unser reiben übrig.« In der Logau-Edition verweist er einmal auf »die gewöhnliche Prosthesis des S«, um »Sarg« über »Sark« vom »alten Arke« abzuleiten.217 In der Aehnlichkeit richtet er seine Aufmerksamkeit auch auf die Wachter (wie Anm. 139), Bl. [e4r] und fr (»H. & K. werden vertauscht«; »M. zieht P. an«). Alle Beispiele ebd., Bl. g2r bis hr. Vgl. ebd., Bl. [c4v]. Bl. 107r, 59r. »Vfeim«, ebenfalls Gemeingut, ist in Körtes Abschrift noch hinzugefügt (Körte, S. 11). 217 Logau (wie Anm. 44), S. 75. »Arke« meint hier wohl ›Kasten‹. Lessing scheint die WulfilaBibel im Sinn zu haben, wo das Wort in diesem Sinne für die Übersetzung von Johannes 12, 6 verwendet wird. Der Codex Argenteus, in dem der gotische Text überliefert ist, spielt seit seiner Wiederentdeckung im 16. Jahrhundert eine wichtige Rolle für die zeitgenössischen Theorien von der Verwandtschaft und der Wanderung der Sprachen; vgl. etwa Considine (wie Anm. 135), S. 223–249 u. pass.

213 214 215 216

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permutationes der Buchstaben. Die Beziehung von xylºr (Bröckchen) und »sam« in »Brosam« stützt er durch die Beobachtung, dass »wir das x in ein S zu verwandeln pflegen« (Bl. 124r). Offenbar wollte er zu einem späteren Zeitpunkt auf Blatt 2r seines Notizbuches Lautveränderungen sammeln: »d in z.«, so wertet er mit einer Lautbeziehung, die auch Wachter verzeichnet,218 das Lemma »dal²y, zähme« aus. Dass dieses Lautgesetz ein halbes Jahrhundert später eine wichtige Rolle in der Revolutionierung der Etymologie durch Jacob Grimm spielen sollte, konnte Lessing nicht wissen.219 Die frühneuzeitliche Etymologie beobachtet freilich auch Phänomene, die später zu der modernen Theorie der Lautverschiebung führen – aber man sollte sie in ihrer Eigenlogik betrachten und nicht versuchen, in ihr lediglich nach ›Ahnungen‹ späterer ›Entdeckungen‹ zu suchen. Auch in den anderen Fällen sind Lessings Ableitungen, im zeitgenössischen Kontext betrachtet, unverächtlich. Wenn er beispielsweise in 5qula (Schutz, Mauer) »unser ganzes Mauer« findet (»laueq«), so ist das eine Metathesis (Bl. 39r). Ze¼ckg (der Teil des Joches, durch das der Kopf des Tieres geführt wird) permutiert zu »Zügel«, indem sich ein Diphthong »propter affinitatem naturalem«220 in einen anderen wandelt und die Endung sich durch Anastrophe umkehrt (Bl. 44v). =qir wird zu »Ehre«, wenn die Endung wegfällt (Bl. 39r). Während die Bedeutungen der Wörter in den beiden ersten Beispielen nah beieinanderliegen, fügt Lessing bei dem dritten eine semantische Argumentation hinzu, die den intellectus der Begriffe einbezieht. Wie aus Zwietracht und Streit auch semantisch die »Ehre« hervorgehen kann, fällt Lessing angesichts der zweifachen Eris bei Hesiod auf. Der Wettkampf, der die Menschen antreibe, ihr Gut zu mehren und für ihr Haus zu sorgen, dieser »nützliche Neid« – was sei er anderes »als der Trieb der Ehre«. Diese semantische Untermauerung der lautlichen Ähnlichkeit begegnet immer wieder : »kapty« (lecken, gierig trinken) – Löffel: »Denn was ist das Löffeln anderes als ein leckendes Trinken« (Bl. 67v). Sie sichert die Etymologie ab, wie es Wachter eingeschärft hatte. Aber sie spezifiziert auch den Sinn der deutschen Begriffe von ihrer (vermeintlich) eigentlichen, alten Bedeutung her. Die semantische Argumentation erhöht die Deutlichkeit der Vorstellungen. Sie liefert einen kritischen Beitrag zum Unterscheidungsreichtum und zur Angemessenheit des Deutschen. Lessing, so sei resümiert, kennt die Regeln der zeitgenössischen Etymologie gut. Seine »Wortgrübelei« lässt sich nicht von der caprice des Künstlers treiben.

218 Wachter (wie Anm. 139), Bl. e2r. 219 Grimm führt unter seinen Beispielen für »D. T. Z.« auch auf: »daløm, domare, goth. tamjan, alth. zemen«; Deutsche Grammatik von Dr. Jacob Grimm. Erster Theil; Zweite Ausgabe. Göttingen 1822, S. 586. 220 Wachter (wie Anm. 139), Bl. er (»aufgrund natürlicher Verwandtschaft«).

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Lessing und die Wahrheit der Wörter

Sie ist Teil seiner philologischen Gelehrsamkeit und steht unmittelbar in Beziehung zu dem kritischen Interesse, die deutsche Sprache zu verbessern.

III.5

Die »beiden fleißigsten Völker«? – Griechisch und Deutsch

Die Aehnlichkeit zielt dezidiert auf die deutsche und die griechische Sprache. Es fällt schwer, angesichts des Beginns der Aufzeichnungen im Dezember 1759 nicht an die gleichzeitige Emergenz des neuen Interesses an den Griechen im deutschsprachigen Raum zu denken. Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung waren 1756 erschienen;221 und Klopstock arbeitete schon seit Jahren an einer Übertragung antiker Versformen in die deutsche Dichtung. Die weitere Geschichte ist bekannt genug – von Klassik und Neuhumanismus zur bis ins 20. Jahrhundert immer wieder beschworenen Schicksalsgemeinschaft von Deutschen und Griechen. Auch der unbekannte Scholiast (d. h. wahrscheinlich Friedrich August Wolf), dessen Etymologien Körte in seine Abschrift der Aehnlichkeit aufnimmt,222 pocht auf diese Verwandtschaft: Bezeichnend ist ihm, dass »die beiden fleißigsten Völker den Ausdruck für die ihnen verhaßteste Untugend« in demselben Klang fänden: »vaOkor« – »faul«223. Lessings Manuskript selbst liefert aber nur einen verhaltenen Beleg für jenen Umschwung. Seine Beobachtungen passen sich vielmehr in das Bild ein, das seine gleichzeitigen Studien zu Sophokles und Homer bieten. Auch hier ist weniger eine »umstürzende ›Wende‹« zur griechischen Antike zu konstatieren als vielmehr ein »Übergang«.224 Lessing beschwört nicht enthusiastisch die Humanität der Griechen, verficht nicht emphatisch ihre edle Einfalt und stille Größe – obwohl auch diese Aspekte nach und nach eine Rolle spielen, wenn er seine Mitleidspoetik von Aristoteles ableitet und das Leiden des Philoktet zum Ausgangspunkt des Laokoon macht.225 Charakteristisch bleibt aber immer Lessings »Geist der Prüfung«.226 Als Wieland 1757 schwungvoll die Grazie und Humanität des Sokratischen Athen preist, destruiert Lessing diesen Enthusiasmus. Jener malt ›die Griechen‹ und ihre Kalokagath&a (jakoj!cah¸a) in leuchtenden Farben – Lessing weist ihn zurecht: jak¹r j!cahºr meine nicht mehr als 221 Gemeint ist die zweite, öffentliche Ausgabe nach dem raren Druck von 1755, der in 50–60 Exemplaren publiziert worden war ; vgl. den Kommentar von Walter Rehm in: Johann Joachim Winckelmann: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hrsg. von Walter Rehm. Berlin, New York 22002, S. 324f. 222 Vgl. oben, S. 224. 223 Vgl. Körte, S. 23. 224 So Wilfried Barner (wie Anm. 16), S. 90f. 225 Vgl. Barner in B 5/1, S. 698. 226 B 9, S. 221 (Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger, 1778).

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einen »hübschen guten Mann«, der lesen, schreiben, ringen und auf der Zither spielen könne.227 Naive, in die Vergangenheit projizierte Humanität ist Lessings Sache nicht. Seine Intervention ist polemisch, aber sie basiert, wie überall, auf philologischer Genauigkeit. Bei aller Skepsis fällt dennoch auf: Um eine ›Aehnlichkeit‹ der lateinischen Sprache zur deutschen hat sich Lessing trotz seiner fundierten Kenntnis nie sonderlich gekümmert.228 Das Griechische spielt eine besondere Rolle. Und wie Sophokles und Homer in diesen Jahren in seinem Kanon aufsteigen, so soll seine Sammlung ja auch das Studium der griechischen Sprache fördern. Man denke an den Titel: »zur Erleichterung der erstern«. Lessing selbst hatte das Griechische schon in St. Afra gelernt.229 Er arbeitete auch danach weiter an der Beherrschung der Sprache. Als er 1759 Äsop durchgeht und 1760 Sophokles übersetzt, nutzt er intensiv Hilfsmittel.230 Das Nachschlagen und Nachlesen, aus dem die Aehlichkeit hervorgegangen ist, dokumentiert auch Lessings eigenen Lernprozess. Darin, dass man das Griechische lernen müsse, war sich Lessing mit seinen Berliner Freunden einig. Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai nahmen seit 1757 Sprachunterricht bei Christian Tobias Damm.231 Lessing war ihnen voraus, und er förderte ihr Studium232 – durchaus denkbar, dass sich die Aehnlichkeit zunächst an die Freunde richten sollte.233 Warum also gerade das Deutsche und das Griechische? Kehren wir doch noch einmal zu Winckelmann zurück. In seinen Erläuterungen der Gedanken von der Nachahmung (1756) hatte er seine These vom Vorrang der griechischen Kultur vor allen anderen untermauert. Auch die griechische Sprache liefert Argumente, »unstreitig« sei schließlich ihr »Vorzug […] vor allen bekannten Sprachen«. 227 B 4, S. 473–478 (Literaturbriefe, 25. Januar 1759). Vgl. zu diesem Zusammenhang: MarieTheres Federhofer : »Moi simple amateur«. Johann Heinrich Merck und der naturwissenschaftliche Dilettantismus im 18. Jahrhundert. Hannover 2001, S. 155–170. Zu Wielands Griechenbild im Plan einer Akademie vgl. Verf.: Das »Orakel der Deisten«. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Göttingen 2008, S. 295–311. 228 Einige lateinische Sprichwörter sammelt er; vgl. B 10, S. 308 (Vergleichung deutscher Wörter und Redensarten mit fremden). 229 Vgl. Schmidt (wie Anm. 89), Bd. 1, S. 18–33; Nisbet (wie Anm. 73), S. 28–37. 230 Nach Gunter E. Grimm hat er hier mit dem Griechischen noch »größere Schwierigkeiten« als mit dem Lateinischen; B 4, S. 1006f. 231 Hierzu und zu Damm: Martin Vöhler : Pindarrezeptionen. Sechs Studien zum Wandel des Pindarverständnisses von Erasmus bis Herder. Heidelberg 2005, S. 90–97. 232 Vgl. etwa den Brief an Nicolai, 3. März 1758; B 11/1, S. 282–284. 233 Denn an wen richten sich der ausgefeilte Titel und damit die Intention der Schrift? Anderen Heften gab Lessing einen pragmatischen Arbeitstitel, so etwa »Ueber das Heldenbuch. Angefangen den 23sten Februar 1758«; LM 14, S. 205. Der Titel der Aehnlichkeit ist dagegen spezifisch und präzise. Möglicherweise plante Lessing, ausgehend von den GriechischBemühungen der Freunde, anfangs eine Schrift, der die Notizen zugrundeliegen sollten.

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Winckelmann streicht ihren »Wohlklang« heraus, den angenehmen Wechsel von Vokalen und Konsonanten, ihren »sanften Fluß«. Die nordischen Sprachen, »mit Consonanten überladen«, tönten dagegen »unfreundlich[…]« und rau.234 Lessings Suche nach etymologischen Beziehungen des Deutschen zu dieser »Sprache der Götter«235 erhebt hier Einspruch. Denn mit der Frage, ob nicht auch das Deutsche einer Verbesserung fähig sei, steht und fällt das kritische Programm. Die historische Verwandtschaft in den Wörtern selbst nachzuweisen – das würde den Graben zwischen den Kulturen überbrücken, den Winckelmann ausgehoben hat. Eher hält Lessing zu Klopstock, der 1755 die »Ähnlichkeit« »unsrer Sprache« mit dem »Dorischen des Pindar« beschwor und weiter an ihrer rhetorischen und poetischen Geschmeidigkeit arbeiten wollte.236 Und so widerspricht auch Lessing entschieden den Verächtern des Deutschen – und zumal des ›Altdeutschen‹: Die deutsche Sprache schicke sich zu »allen Gattungen von Materie«.237 Dieser Einspruch verweist auf einen alten Disput, der die kritische Kultur des 18. Jahrhunderts noch immer beherrscht. Winckelmann reizt eine Wunde, die schon die deutschen Sprachgesellschaft des 17. Jahrhunderts schmerzte: »Etliche Ausländer halten die Teutschen in ihren Schriften (was ihre Sprache betrift) für grobe brummende Leute / die mit röstigen Worten daher grummen / und mit harten Geleute von sich knarren« – so brummte, grummte und knarrte Schottelius 1663 in seiner ausführlichen Apologie der Teutschen HaubtSprache.238 Und Morhof zeigt gleich zu Anfang seines Unterrichtes die Instrumente, mit deren Hilfe dies widerlegt werden soll: Er will das »Alterthumb« der deutschen Sprache nachweisen und ihre »Geschicklichkeit zur Poeterey«.239 Diese Gesten richteten sich gegen die selbstbewussten Nachbarn in Frankreich, Italien und England, aber sie galten auch den alten Sprachen, ihrem würdigen Altertum, ihrer musterhaften Poesie und Redekunst. Schon seit Beginn der frühen Neuzeit, seitdem sich die italienischen Humanisten als ›neue Alte‹ gaben, rieben sich nicht Wenige am Lateinischen und Griechischen. Die Wiederentdeckung des Tacitus um 1500 lieferte die Waffen, mit denen noch über 234 Winckelmann: Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung. In: ders. (wie Anm. 221), S. 97–144, hier S. 101. Die Schrift ist in der zweiten Ausgabe der Gedancken 1756 enthalten. 235 Ebd. 236 Klopstock: Von der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen (1755). Abgedruckt in: ders.: Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften. Hrsg. von Winfried Menninghaus. Frankfurt am Main 1989, S. 9–21, hier S. 11. 237 Logau (wie Anm. 44), S. 3. 238 Schottel (wie Anm. 168), Bd. 1, praefatio, unpag. 239 Morhof (wie Anm. 175), S. 22. Zum Kontext: das Nachwort von Henning Boetius, S. 401–446; Wolfgang Huber : Kulturpatriotismus und Sprachbewußtsein. Studien zur deutschen Philologie des 17. Jahrhunderts. Frankfurt am Main u. a. 1984; Klein (wie Anm. 165).

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das 18. Jahrhundert hinaus der Kampf um ein eigenes deutsches Altertum geführt werden sollte.240 Neben die historisch-kulturgeschichtlichen Angaben in der Germania und den Annalen trat die sprachgeschichtliche Reflexion. Nicht wenige setzten ihren Ehrgeiz darein, die Entstehung der Sprache im Paradies und die Wanderungen der Völker nach Babel im Interesse der Deutschen neu nachzuzeichnen – und zwar so, dass dieses nicht aus den alten ›Hauptsprachen‹ Hebräisch, Griechisch und Latein erst entstanden wäre, sondern neben oder gar noch zeitlich vor sie rücke. Freilich ist auch dies keine ›deutsche Besonderheit‹. Die Sprachreflexion strotzt allerorten von antagonistischen Gesten.241 Die Rekonstruktionen der sprachlichen Verwandtschaften lassen selbst eine babylonische Vielfalt der Meinungen erschallen.242 Besondere Hoffnungsträger waren hierbei das ›Celtische‹ und das ›Scythische‹. Ihr Altertum schien vielfältig aus antiken Quellen belegt. Schottel steht nicht allein mit seiner These, das Lateinische wie das Griechische verdankten viele ihrer Wörter erst der »uhralten Celtischen« Sprache – und auch nicht, wenn er diese dann schlankweg mit der »Teutischen [sic!]« identifiziert.243 Auf das ›Scythische‹, das erst in diesen Jahren als Hauptakteur aufzutauchen beginnt,244 setzt dann Morhof: »So ist nun dieses meine gäntzliche Meinung […] / daß die alte Scythische die rechte HauptQuelle der Europæischen Sprachen sey / aus welcher die alte Teutsche und Gothische zu erst entsprungen / wo sie nicht fast eben dieselbe gewesen.«245 Aus dieser Quelle hätten nun auch das Griechische und Lateinische »zum Theil ihre StammWörter« geschöpft.246 Die Pointe dieser Argumentation liegt darin, dass sie das Deutsche immer tiefer ins Altertum hinaufrückt und es dann mit den jeweils älteren Sprachen identifiziert: Das Deutsche ist das Celtische; und wenn Morhof an der zitierten Stelle das Deutsche zur Tochter des Scythischen macht, so spricht er kurz vorher von »Scythische[n] / daß ist / Teutsche[n]« Wörtern.247 Die Minderwertigkeitsgefühle liegen hier offen zutage. Aber diese Argu240 Vgl. mit weiterer Literatur : Verf.: Der Dichter als philologischer Priester. Geschichte, Nation und Tacitus-Rezeption in Friedrich Gottlieb Klopstocks Hermann-Trilogie. In: DVjs 86 (2012), H. 2, S. 224–271. 241 Vgl. etwa Considine (wie Anm. 135). 242 Vgl. neben Borst (wie Anm. 140) und Trabant (wie Anm. 140), S. 54–209, die instruktiven Überblicke von William Jervis Jones: »König Deutsch zu Abrahams Zeiten«. Some perceptions of the place of German within the family of languages, from Aventinus to Zedler. In: »Das unsichtbare Band der Sprache«. FS Leslie Seiffert. Hrsg. von John L. Flood u. a. Stuttgart 1993, S. 189–213; ders. (wie Anm. 156); siehe auch Klein (wie Anm. 155), S. 475f. 243 Vgl. Schottel (wie Anm. 168), Bd. 1, S. 140. Dazu: Gardt (wie Anm. 164), S. 120f. 244 Vgl. etwa Jones (wie Anm. 242), S. 199f.; ders. (wie Anm. 156), S. 1007f. 245 Morhof (wie Anm. 175), S. 50. Er identifiziert dabei die »Scythische oder Celtische Sprachen«, vgl. S. 23. 246 Ebd., S. 50. 247 Ebd., S. 31.

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mentation hat dennoch ein zeitgenössisches sprachwissenschaftliches Fundament. Denn wenn eine Sprache sich primär über Wörter bestimmt (und nicht genauso über Syntax, Morphologie etc.); wenn deren Kern in Form von Stämmen durch die Zeiten hindurch ›wächst‹ – dann kann mit diesen Wörtern auch das ›Wesentliche‹ einer Sprache in die nachfolgende übergehen. Die ausgezeichnete Kontinuität einer Sprache zu ihrer Vorgängerin wird daher als Identität gewertet, wenn eine große Anzahl von Wörtern im ›Kern‹ konstant geblieben ist. Konsequenterweise bemühen sich Schottel und Morhof intensiv um den etymologischen Nachweis dieser Wanderungen. Der letzte macht sich anheischig, im Griechischen und Lateinischen »über die Hälfte Teutsche und Gothische Wörter zu zeigen.«248 Immerhin liefert er dann über Seiten hinweg ›Ähnlichkeiten‹ zwischen deutschen und griechischen Wörtern. Vor diesem Hintergrund muss Lessing mehr noch verstanden werden als vor dem der Interpretation, die die folgenden Generationen jener besonderen ›Ähnlichkeit‹ von Deutschen und Griechen geben werden. Sein Interesse an diesen Forschungen ist groß. Er kennt und zitiert Morhof,249 und einige der Lemmata in seinem Manuskript decken sich mit dessen Beispielen. Die bibliographischen Notizen am Beginn des Büchleins versammeln einige einschlägige Schriften. »Unendlich viele Wörter bedeuten uns und den Griechen dasselbe« (»Infinita sunt vocabula quæ nobis & Græcis idem valent«; Bl. 3r), so exzerpiert er aus Konrad Gesners Mithridates,250 der die Verwandtschaft außerdem noch mit der Aussprache, den Diphthongen, der Art zu reden und anderen Merkmalen belegen will – alles Eigenschaften, die Winckelmann am Deutschen übel aufstießen. Aus Gesner und aus anderen Quellen gewinnt Lessing weitere Literaturhinweise. Und in dem langen Exzerpt aus Henricus Stephanus’ Abhandlung über die Conformit8 du language FranÅois avec le Grec251 verfolgt er, mit welchen Argumenten die Nachbarn ihrerseits Sprachenpolitik betreiben.252 Lessing geht diese Fragen ungleich weniger verbissen und ›verbrummt‹ an als Morhof und Schottel. Anders als sie weist er die Ansprüche der französischen Sprache nicht in Bausch und Bogen zurück. Er prüft vielmehr, was Stephanus zu 248 Ebd., S. 32. 249 In der Aehnlichkeit Bl. 50r ; im Logau (wie Anm. 44), S. 28 und S. 45. 250 Zum Mithridates vgl. die Einleitung von Manfred Peters, in: Konrad Gesner : Mithridates […]. NDr der Ausgabe Zürich 1555. Hrsg. von dems. Aalen 1974; Trabant (wie Anm. 140), S. 117–120; und die vorzügliche neue Edition, hrsg. von Bernard Colombat und Manfred Peters, Genf 2009. 251 Vollst. Angabe in Abschnitt 2 der Edition, Lessings Quellen. 252 Einen knappen Aufriss über die frühneuzeitlichen Versuche, die eigene Sprache durch Vergleich mit dem Griechischen aufzuwerten, bietet: J.B. Trapp: The Conformity of Greek and the Vernacular. The History of a Renaissance Theory of Language. In: Classical Influences on European Culture A.D. 500–1500. Hrsg. von R.R. Bolgar. Cambridge UP 1971, S. 239–244.

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Wortbildung und Idiomatik anzubringen weiß. Mal bekräftigt er, dass eine Wendung auch »im Deutschen statt« habe (Bl. 136r), mal merkt er an, dass das Deutsche in einem Punkt mit dem Griechischen »eher übereinkommen« (Bl. 136v) möge als das Französische. Der ›Geist der Prüfung‹ waltet auch hier. Dennoch: Auch die Aehnlichkeit will das Deutsche durch den Nachweis der Verwandtschaft aufwerten, sie will es von den Quellen her neu beleben, ›verbessern‹. Ihr selbstverständlicher Rahmen sind die Stammworttheorie und die Frage der Abstammungen. Wie verläuft diese Genealogie für Lessing? Er sammelt sicher nicht, wie Schottel und Morhof, Material, um dezidiert eine Abstammung der griechischen Sprache von der deutschen zu belegen (und die französische gar viel später erst folgen zu lassen). Lessing scheint sich vielmehr noch nicht entschieden zu haben, wie der Stammbaum eigentlich aussieht. Betrachtet man seine Lemmata aber genau, so leiten nur 18 ein deutsches Wort explizit von einem griechischen ab. In rund einhundert Fällen konstatiert Lessing lediglich deren »Aehnlichkeit«, »Verwandtschaft«, oder Identität (d. h. etwa: »jajºwaqtor […] ist das eigentliche deutsche Schadenfroh«; Bl. 58r, meine Hervorhebung). Solche ›Aehnlichkeiten‹ dürfen aber nicht einfach als Ableitungen gedeutet werden. Dies legt etwa das Lemma »mºsor« nahe, »in« dem Lessing das »verlorene Grundwort unsers Deutschen genesen« vermutet (Bl. 76r). Das »in« bezieht sich aber nicht auf den griechischen Ausdruck als solchen, sondern auf das Stammwort, das »in« ihm liegt, das durch den Vergleich der Wörter hervortritt und das beide Sprachen transportieren. Der Vermerk zielt auf eine ältere Sprachstufe, von der sowohl das übrig gebliebene deutsche Wort als auch sein älterer deutscher Verwandter zeugten. Entsprechend notiert Lessing dann, dass in dem Verb mose?m ein »schöner Germanismus zu merken sei« – nicht aber ein ›Graecismus‹ im deutschen Ausdruck.253 An einer Stelle leitet Lessing dann auch umgekehrt das Griechische vom Deutschen ab: »de?ma von unserm den abzuleiten ist viel natürlicher, als die Ableitung des Stephanus« (Bl. 33r). Die Aehnlichkeit zielt darauf, die Beziehungen zu untermauern, die im Sinne des frühneuzeitlichen Diskurses zwischen dem Deutschen und dem Griechischen bestehen. Lessing hat offenbar keine Einwände dagegen, deutsche Wörter und Wendungen als alte Importe zu identifizieren. Aber die philologische Vorsicht und die zeitgenössischen Theorien der Sprachgenealogien führen ihn dazu, das Verhältnis in den meisten Fällen offen zu formulieren. Im Hintergrund steht eine weitere, ältere Sprache, von der das Griechische wie auch das Deutsche gleichermaßen abstammten. Diesen fernen Horizont des Urfrühen im sprachgeschichtlichen Detail zu erschließen, hat Lessing offensichtlich nicht sehr stark interessiert – anders als 253 Eine analoge Formulierung unter d¼malir (Bl. 32r).

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dessen semiotische Seite im Sinne der natürlichen Zeichen. Dass er aber die einschlägigen Theorien präsent hat und akzeptiert, belegt noch Ernst und Falk. Die Dialoge gehen aus einem Aufsatzentwurf vom Anfang der Wolfenbütteler Zeit hervor. Und womit sollte der Wortgrübler Lessing diesen Entwurf zur geplanten Schrift über die Freimaurer beginnen, wenn nicht mit der Etymologie von »Free Mason«: »Das Wort Massonei heißt, seinem Ursprunge nach, so viel als Tischgesellschaft, und stammt von einem alten Celtischen Worte ab, welches im Angelsächsischen Mase, und im Gothischen ›Masa‹ heißt, und einen Tisch bedeutet. Daß es auch in dem alten deutschen Dialekte nicht fremd gewesen, zeigen, außer dem Worte Massonei selbst, verschiedene andere Wörter, die teils vor nicht so langer Zeit noch üblich waren, oder auch noch üblich sind.«254 Lessing wendet die Regel an, die er sich aus Wachter notiert hatte: Wenn ein Wort in den Schwestersprachen Englisch, Gotisch und Deutsch gleichermaßen vorkommt, so verweist dies auf eine ältere Abkunft. Diese frühere Sprache ist hier, gemäß einer gängigen Auffassung, als das ›Celtische‹ benannt.255 Wichtiger aber ist, dass auch diese Vorstufe von Ernst und Falk die charakteristische Geste aufweist, von der wir den Ausgang genommen haben. Mithilfe der Etymologie bereitet er den Nachweis vor, dass die moderne Freimaurerei auf einem sprachlichen Missverständnis beruhe. Die alte und ehrwürdige Geschichte aber, die sie sich seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert zuschreibt, wäre dann eine Mystifikation. Hier tritt der kritische Sinn zutage, den Etymologie für Lessing auch immer besitzt. Sie stimuliert einen Denkprozess, in dessen Verlauf Irrtümer und Mystifikationen von den Dingen abgeschieden werden. Deren wirkliche Bedeutung, ihre wahre Geschichte erscheint erst mit der wahren Bedeutung der Wörter : »Wer mit Wortgrübelei sein Nachdenken nicht anfängt, der kommt, wenig gesagt, nie damit zu Ende.«256 Die zerstörende Kritik, mit der das prüfende Nachdenken über die Wörter anfängt, dient damit auch dem Aufbau neuer Hypothesen zu den Dingen. Der Dialog Ernst und Falk, der aus jenem Aufsatzentwurf hervorgegangen ist, zeigt dies. Auch hier destruiert Falk vor seinem Gesprächspartner die falsche Etymologie von ›Freimauererei‹ und damit auch ihre falsche Geschichte. Dies ge254 B 10, S. 70 (Paralipomena zu Ernst und Falk). Lessing nimmt seinen Ausgang von Frisch 1, S. 647, s.v. Mas: »vor Alters Mias, Miase, mensa. Kero für Tisch. Anglo-Sax. mase. Gothice mesa. Kommt mit dem Lateinischen mensa überein, oder es ist das alte Mazze, esca, Gimazze, commensalis. Anglo-Sax. mæt, met, cibus. / Kaysersb. Post. fol. 118. b. scheint es noch gebraucht zu haben im Wort [:]/ Maß-Genossen, Jesus sprach zu seinen Tisch-Genossen und Maß-Genossen, wann sie die Armen und nicht die Reichen laden sollten.« etc. Johann Geiler von »Kaysersberg« (Postill, 1522, postum) scheint auch das Wort zu sein, das im überlieferten Entwurf Lessings (B 10, S. 70, Zeile 36) nicht entzifferbar war. 255 Vgl. oben, S. 261. 256 B 8, S. 668 (Über eine zeitige Aufgabe).

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schieht im fünften, im letzten Gespräch. Die Kritik zerreißt ein mythisches Gewirk – und sorgt dadurch für freie Sicht. Denn nicht in der Institution liege das Wesen der Freimaurerei, sondern in ihrer Praxis, in der gleichsam ewigen Aufgabe der Aufklärung und Humanität. Die etymologische Kritik ist der letzte (gedruckte) Part der Initiation in die Geheimnisse eines ›wahren Maurertums‹, die Falk an seinem Dialogpartner und auch am Leser vornimmt. Diese Geste, die in der kritischen Destruktion gleichzeitig Wahrheit aufblitzen lässt und die Wahrhaftigkeit dessen, der Wahrheit sucht, Pathos und Ethos des Philologen – was wäre typischer für Lessing als sie? Aber ohne die philologische »Wortgrübelei« ist sie nicht zu haben. Das Manuskript der Aehnlichkeit hilft, sie und ihre Voraussetzungen besser zu verstehen.

Register Zur Benutzung Das Register verzeichnet Autoren und historische Personen. Bei Autoren der Frühen Neuzeit wurde die jeweils gängige Namensform gewählt, d. h. mitunter der Taufname, mitunter die latinisierte Form. Recte gedruckte Seitenverweise beziehen sich auf den transkribierten Text. Wird auf ein Lemma verwiesen, das nicht von Lessings Hand stammt, so ist dies in Klammern angegeben. Kursive Ziffern beziehen sich auf Textpassagen, die von den Herausgebern stammen (bzw. auf Körtes Transkription). Verweise auf Seiten im Anhang der Edition sind durch einen Strich j abgetrennt. Kursive Ziffern mit Asterisk * beziehen sich auf die Anmerkungen der jeweiligen Seite. Nicht in das Register aufgenommen (bzw. lediglich in der summarischen Form ›13–195 pass.‹) wurden Kommentarnachweise aus den Lexika von Frisch, Scapula, Stephanus und Wachter, da diese fast auf jeder Seite der Edition erscheinen.

Einträge von anderer Hand Fülleborn, Georg Gustav 24, 38, 74, 88, 102, 118, 132, 142, 144, 170, 174, 195

Körte, Wilhelm 14 (?), 19, 36 Lessing, Karl Gotthelf 13

Namenregister Adelung, Johann Christoph j 237, 253 Aelianus, Claudius 26, 29, 40, 44, 52, 55, 66, 70, 98, 120, 126, 136, 139, 146, 156, 159 j 199f., 227, 228, 233, 234f. Aischylos 38 (Fülleb.), 74 (Fülleb.), 118 (Fülleb.), 162 j 200, 228 Aisopos j *233, 259 Alexander der Große 52, 120 Alkibiades 44 »Anthologia Graeca« 30 j 200, 228 Aristeides von Athen 40 Aristophanes 78, 134 j 200, 227, *230 Aristoteles 55, 94, 136 j 200, 209, 211, 213, 227, 258 d’Arnaud, George 38 (Fülleb.) Athenaios 108, 153 j 201, 228, *232

Aventinus, Johannes

20–23

Barnes, Joshua j 201, *230 Bödiker, Johann j *255 Bodmer, Johann Jakob j *229, *238, 240 Boxhorn, Marcus Zuerius 82 Breitinger, Johann Jakob j *238, 240 Brodeau, Jean j 200 Burman, Pieter (junior) j 200, *227 Canter, Willem j *230 Catherinot, Nicolas 16 j 202 Chrysander, Friedrich j *218 Cicero 139 j *228 Clarke, Samuel j 201 Condillac, Ptienne Bonnot, Abb8 de j 250

268 Dalberg, Johann von 20–23 Dal8champs, Jacques j 201 Damm, Christian Tobias 82 j 202, 227, 232, *233, 259 Diderot, Denis j 228 Donatus, Aelius j *246 Dunkel, Johann Gottlob Wilhelm 19 (Körte) j 222f. Dusch, Johann Jakob j 202, *227 Erasmus von Rotterdam j 208 Eschenburg, Johann Joachim j *229 Estienne, Henri 9, 13–195 pass., 16, 26, 34, 56–59, 139, 146, 186–193 j 200, 203, 205, 207, 211, 226, *230, *232, 234, 252, 262f. Euripides 74 (Fülleb.) j 201 Euripides, (Pseudo-) (»Rhesus«) 60 j 201, 228, 230 Eustathios von Thessalonike 159 j 228, 235f. Faber, Tanaquil siehe Le FHvre, Tannegui Fabricius, Johann Albert j *228 Fricke, J.H. j *218 Friedrich Wilhelm II. von Preußen j 219 Frisch, Johann Leonhard 9, 13–195 pass., 29, 94, 96, 100, 104, 124, 126, 136, 139, 140, 146, 156, 159, 169 j 202, 226, *232, 235, 255, *264 Fülleborn, Georg Gustav j 200, 206, 207, 212, 217–220, 225, 226, *227, 232, *237 Gazes, Theodoros j 200 Geiler von Kaysersberg, Johann j *264 Gelenius, Sigismund 20–23 Gesner, Konrad 20–23 j 199, 203, 207, *232, 234, 252, 262 Goethe, Johann Wolfgang von j 224 Gottsched, Johann Christoph j 240, 245f., 247, 253 Grimm, Jacob j 257 Gronovius, Abraham j 199 Gronovius, Jacob j *229 Guhrauer, Gottschalk Eduard j *223

Register

Haltaus, Christian Gottlob j *227 Hederich, Benjamin j *226 »Heldenbuch« j *220 Heraklit 195 Hesiod 26, 38, 68, 82, 90, 118, 126, 136, 146, 156, 160, 166, 172, 195 j 201, 227, 232f., 257 Hesychios von Alexandria 88 (Fülleb.) Hipponax von Ephesos 132 Hipponikos 29 Homer 34, 38, 46, 66, 82, 96, 100, 142 (Fülleb.), 144 (Fülleb.) j 201, 227, 228, 230–232, *232, 233, 235f., 249, 258f. Horaz 74 (Fülleb.) Jöcher, Christian Gottlieb j *223 Jonghe, Adriaen de 32 Junius, Hadrianus siehe Jonghe, Adriaen de Kallimachos von Kyrene 38 (Fülleb.) Klopstock, Friedrich Gottlieb j 258, 260 Körte, Wilhelm 7, 10 j 205–212, 218–220, 221, 222–225, 226 Körte, Wilhelmine j 219 Krates von Theben 120 Krebs, Johann Tobias j 201 Kühn, Joachim j 199 Küster, Ludolph j 200, 202, *227 Lachmann, Karl j 205–207, 215, 217, 223 Lederlin, Johann Heinrich j 204 Le FHvre, Tannegui j 199 Leibniz, Gottfried Wilhelm j *249 Lessing, Johann Gottfried j *230 Lessing, Karl Gotthelf j 212, 217, 218, 220, 222 Logau, Friedrich von 60, 193 j 203, 204, 215, 223, 227, 238, 243 Lukrez j 215 Maaler, Josua 104, 146 Martyn, John 166–169 j 202, *227 Mendelssohn, Moses j 259 Meursius, Johannes j *229

269

Register

Morhof, Daniel Georg 26, 30, 32, 46, 82, 116, 139 j 203, *233, 260–262, 263 Moschion (Tragiker) 38 (Fülleb.), 132 (Fülleb.) Müller, Carl Gotthelf j 242f., 254 Muncker, Franz j 215, 217 Musaios (Grammatiker) 30 j 201, 228 »Nibelungenlied« j 215 Nicolai, Friedrich j 201, 223, *228, 242–244, 254, 259 Nikandros aus Kolophon 32, 159 Opsopoeus, Vincentius 30 j 200 »Orphische Hymnen« 74 (Fülleb.) Pasor, Georg j 201 Paulus Silentiarius (Scholiast zu) 150, 153 j 201, 228, 232 Perizonius, Jacob 98 j 199 Phaedrus j *233 Philipp II. von Makedonien 52 Phokion 120 Pictorius, Josua siehe Maaler, Josua Pindar j 260 Platon 136 j *220 Plutarch 55, 140, 195 (Fülleb.) j 200, 201, 225, 228 Plutarch (Pseudo-) (»De placitis philosophorum«) 88 (Fülleb.) Politus, Alexander j *235 Pollux (Polydeukes), Iulius 132, 169 j *228 Polyclet 29 Portus, Aemilius j 201, 202 Ramler, Karl Wilhelm j 203, 215, 238–240 Ranke, Karl Ferdinand j 219 Reiz, Friedrich Wolfgang j 209, 224 Rivius, Johannes 13 (K. Lessing) Röver, Matthias j 201 Scapula, Johannes 9, 13–195 pass., 92, 132, 153, 159, 166 j 203, 226, *227, *228, 234–236 Scheffer, Johannes j 199, *228

Schilter, Johann 160 j *227 Schlegel, Friedrich j 214f. Schottel, Justus Georg j 247, 260–262, 263 Schütz, Christian Gottfried 118 (Fülleb.) Sophokles 32, 78, 139, 146 j 200, 202, *226, 227, 228f., 230, 233, 249, 258f. Spate, der siehe Stieler, Kaspar Sprengel, Kurt j 211 Stanley, Thomas j 200, *228 Steinbach, Christian Ernst j 237 Stephanus, Henricus siehe Estienne, Henri Stieler, Kaspar 36, 166 j 204, 211, 227, 247 Stobaios, Johannes 132 (Fülleb.) »Suda« (›Suidas‹) 44, 81, 82, 84, 86, 90, 94, 96, 104, 112, 122, 132 j 202, 227, 228f., *232, 233 Synesios von Kyrene 92 Tacitus 23 j 260f. Terenz 59 Thaer, Albrecht Daniel j 223 Theokrit 132 (Fülleb.) Theophilus Presbyter j 248 Theophrast j 211 Tiedemann, Dieterich 118 (Fülleb.) Vergil 132 (Fülleb.), 166–169 j 202, 227 Vergil (Pseudo-) (»Copa«) 98 j 227 Vigerus, Franciscus 29 j 204 Vorstius, Johann 13 (K. Lessing) Vulteius, Justus j 199 Wachter, Johann Georg 9, 13–195 pass., 26 j 204, 207, 227, 240–242, 246, 248f., 253–257, 264 Waser, Kaspar j 203 Wieland, Christoph Martin j *220, 258 Winckelmann, Johann Joachim j 258, 259f., 262 Wolf, Friedrich August j 205–211, 217, 218–220, 224f., 258 Wolf, Wilhelmine siehe Körte, Wilhelmine Wolfram von Eschenbach j 215 Wulfila j *256 Xenophon

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