Vom grünen Strand der Spree. Berliner Skizzenbuch

Table of contents :
Vom grünen Strand der Spree
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preface
contents
I. Berlin aus der Vogelperspektive
II. Berlin im Frühling
III. Berliner Hofmusik
IV. Auf der Jannowitzbrücke
V. Das Berliner "Fräulein"
VI. Berliner Luftkünstler
VII. Berlin auf der Oberspree
VIII. Zeitungsnänien. Ein schmerzlicher Beitrag zur Geschichte der modernen Berliner Dichtkunst
IX. Ein Berliner Wahllokal
X. Hochsommerfreuden
XI. Berlin und seine Hasenhaide
XII. Die Fischerbrücke
XIII. Nur ein Sonnenstrahl
XIV. Im Treptower Park
XV. Mein Sargtischler
XVI. Berliner Hintertreppen-Litteratur
XVII. Herbst im Thiergarten
XVIII. Berliner Sonntagsjäger
XIX. Berlin im Tannengrün
XX. Die Burgstraße in Berlin
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A. Hrinius, Mm griiiie» Stranö örr Spree.

Dom grüne» Strand

Aertmer

Skizzenöuch

A. Trtrrirrs.

Minden i.

I.

C. C.

Wests.

Bruns' 1886 .

B er lag.

/i9^

j

ipie§ Skizzenbuch soll weder einen „Beitrag zur Geschichte Berlins", noch eine „Ehrenrettung" für das oft so lieblos geschmähte Spreeathen bedeuten. Das erste würde ich im Hinblick auf so viele kundige, tveit berufenere Männer für eine Vermessenheit meinerseits erachten, das zweite für überflüssig. Berlin bedarf der „Ehrenret¬ tungen" nicht. Berlin und der Berliner sind weit besser, als ihr Ruf. Was die Natur der Reichshauptstadt vielleicht auch versagte, Was aber

die Kunst hat mehr als doppelt diese Scharte ausgewetzt. den

Berliner anbetrifft,

enfant terrible

mag mail über dieses

so

will,

draußen im lieben deutschen Reiche denken, tvie man Auch versteht es ja keiner

nichts an seinem Werthe. selbst,

die eigenen

gut,

ändert Jute

er

Schwächen mit köstlicher Selbstironie zu geißeln.

Vorlaut und unverfroren,

kritisch und

keck,

das Herz ans dem rechten Fleck gehabt.

Wohlthun!" das

so

es

ist sein

hat er doch immer noch

„Rasch im Urtheil, rasch im

Wahr- und Wahlspruch

stets gewesen.

Es

giebt schwerlich einen zweiten Bürgerstamm, welcher die schöne Religion der Nächstenliebe

Ntir

so

Wenn

ich

so

wird man, hoffe

für Anthropologie und

es

in Berlin geschieht.

Thräne dabei.

einige Kapitel unserem

bürgerthum widmete, schaft

oft und reich übt, wie

verlange man keine sentimentale

wackeren

Das genirt nur. Berliner Phahl-

ich, bei der heutigen Leiden¬

sonstiges Buddelsystem

in Wissenschaft

und Litteratur, dies nur dankbar anerkennen,

Spießbürger wird,

so

Der Pfahl- oder

sehr auch sein Dasein einem

anch

Anachronismus in

jeder Weltstadt gleichkommt, niemals aussterben; er ist unsterblich, lute die Götter, wie der göttliche

Humor.

Sonst aber weht ein frischer, fröhlicher Zug durch die Reichs¬ hauptstadt und das Berliner Leben, der die Herzen weit macht und die Hände nicht müßig

in dein Schooße ruhen läßt und mich mit

Dankbarkeit für ein Schicksal erfüllt, einst zu dem „grünen

dessen

Woge mich Steuerlosen

Strand der Spree" hinübertrug.

Berlin, im Juni 1885.

A. Trinms

0M

Inhalt. I. Berlin

II. III.

Frühling.10 Hofmusik.15 Jannowitzbrücke.21 Vogelperspektive.1

aus der

Berlin im Berliner IV. Auf der V. Das Berliner VI. Berliner VII. Berlin auf der

VIII.

„Fräulein".27 Luftkünstler.33 Oberspree.39 Zeitungsnänien.46 Wahllokal.51 Hochsommerfreuden.65

IX. Ein X.

Berliner

Hasenhaidc.70 Fischerbrücke.80 Sonnenstrahl. Sargtischler.100

XI. Berlin

und seine

XII. Die XIII. Nur einen XIV. Im Treptower

..92 .107

86

..114 Tannengrün.125 Park

.

.

.

XV. Mein XVI. Berliner Hintertreppen -Litteratur XVII. Herbst im Thiergarten

XVIII. XIX.

Sonntagsjäger.119

Berliner Berlin im XX. Die Burgstraße in

Berlin.132

1%

I.

Merlin aus

der Mgekperfpektive.

Seitdem ich oben auf dem Rathhausthurm gestanden habe, ziehe ich im Geiste vor jedem mir begegnenden Berliner Stadtverordneten tief den Hut. Ich will nicht verhehlen, daß es ein laug entivöhntes Empfinden ist, welches mich für die Väter unserer Stadt jetzt wieder ivohlig erfüllt. Aber ich freue mich dieser moralischen Renaissance. Der verzeihliche Stolz, Mitbürger einer solchen Hauptstadt zu fein, hat sich seitdem in der bedenklichsten Weise »och gehoben. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Berlin dafür um so besser. Ich weiß jetzt, was diese Metro¬ pole bedeutet, was sie alles umfaßt in ihrem Bannkreis an Kunst, Fleiß, Reichthum und Pracht, wie sie ausschaut da hoch droben, wo die Bussarde kreisen und der

Sturmwind

rüttelt; von wo der Blick

staunend

lachend an der Fahnenstange hinabstiegt auf ein Meer von

Hütten,^ Häusern, Kirchen und Palästen, durchschnitten und labyrintisch durchkreuzt von einem unabsehbaren, kunstreichen Gewebe von Straßen, Wer hier oben einmal Plätzen, Wasserlänfen und Bahnviadukten. gestanden hat, den faßt es an, just wie den Knab' vom Berge, und er möchte hell und wohlgemuth mit stolzer Seele hinaussingen ein von der „schönen Kaiserstadt am grünen Strand der Spree". Hier weisheitsvoll mitregieren zu können, Theil zu nehmen an dem 1 Tri »ins. Vom grüne» Strand der Spree. Lied

2

Emporblühen dieser Riesin, daß muß — — aber wie gesagt, nieine aufrichtige Reverenz den trefflichen Vätern dieser Stadt. Was uns da auf Markt und Gaffen Berlins, im Gewühl eines fieberhaft erregten Geschäftstreibens entgegentritt, an Großartigkeit öffentlicher Einrichtungen, an rühriger Thatkraft, Streben und Unter¬ nehmungslust bürgerlichen Fleißes, flößt uns Achtung ein, und jeder neue Schritt ruft neue Bewunderung hervor. Doch erst das Gesammtbild, der Totaleindruck dieser Riesenstadt, die nach alleil Richtungen der Windrose hin ihre unersättlichen Fangarme streckt, eine Ortschaft nach der andern an sich ziehend, die immer prächtiger und mächtiger sich entfaltet, — erst das lehrt uns die iinposante Größe, die Schön¬ heit und Weltbedeutung unseres ehemaligen Spreeathens erkennen und begreifen. Nicht Stückwerk mehr, das Ganze spricht hier gewaltig zu uns. Wohl haben wir den Kreuzberg, dieses Gebirge in Duodezformat, vor dessen Denkmalsstufen sich in der Tiefe ein breites, lachendes Panorama der Reichshauptstadt eröffnet, aber dieser märkische Gebirgsstock liegt in der äußerst südlichen Peripherie Berlins und so über¬ raschend auch das Bild der Stadt erscheinen mag, letztere offenbart sich nur von der einen Seite und imponirt hier mehr durch wuchtig hinge¬ lagerte Größe, als durch Schönheit. Wie anders vom Centrum der Stadt! Hier in der ehrwürdigen City, wo hart an der Grenze der uralten Niederlassungen Kölln und Berlin die Gerichtslaube mit den glänzenden

Schöffensitzen sich späterhin erhob und heute der kolossale Thurm des neuen Rathhauses frei und kühn sein rothes

Haupt in die Luft

reckt,

hier ist das Herz der Stadt, wo der Pulsschlag des öffentlicheu Lebens am wärmsten und lautesten schlägt, von wo die Adern dieses Riesen¬ organismus verästelt und kunstreich sich verwebend, nach allen Rich¬ tungen hin aus- und ineinander laufen.

Von hier aus breitet sich diese Riesenstadt gleich großartig nach allen Seiten aus und gewährt dadurch einen unbeschreiblich fesselnden Einblick in ihr Inneres, wie einen malerischen Ausblick in die leise im Duft verschwimmenden Höhenzügen, Wäldern und Ortschaften. Hier oben erst begreift man, warum gerade

umschleierte Ferne mit ihren dieses Stück ehemaligen

Sumpslandes den ersten Anwohnern schon als

wichtiger Handels- und Verkehrspunkt erscheinen mußte, wie dieses schlichte Wendendorf Kölln und das germanische Schifferdorf Berlin,

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späterhin vereint, bereits alle Keime in sich trug, die Hauptstadt des Landes dermaleinst zu werden. Zwischen Spandow und Köpenick gelegen, den ältesten Ort¬ schaften, mußte ganz natürlich jene Stelle als bequemster Flußüber¬ gang erscheinen, wo die Spree, sonst sich durch meilenweites, sumpfiges Wiesenland melancholisch ziehend, ein Hinderniß in einem niedrigen

Sandhügel fand und deshalb zu einer Gabelung ihres Laufes sich gezwungen sah, wodurch eine Insel, Kölln, entstand. Nördlich und südlich derselben wurde die Versumpfung der so gewonnenen Insel abermals durch je einen kleinen Sandhügel verhindert. So kam cs denn, daß die erste Handelsstraße, welche den Teltow mit dem Barnim verband, über diese schmalen Sprcearme wie die Insel führte, Der mittlere Hügel, welcher zugleich die Mitte der Insel bedeutete, ward der heutige Platz der Petrikirche, der südliche lag auf dem Spittel¬ markt, ihm gegenüber im Norden die Nikolaikirche mit dem heutigen Molkenmarkt. Die ältesten Kirchen sind zugleich für den Charakter der ersten Bewohner entscheidend. St. Petri war der Schutzpatron der Fischer, weshalb Kölln als der zuerst gegründete Ort noch heute als Stadttheil Alt-Kölln das geographische Centrum Berlins bedeutet, während Berlin, das sich St. Nikolai zum Schutzpatron seiner Schiffer und Kaufleute gewählt hatte, sich erst späterhin ent¬ wickelt hat. Mit der Verbindung des Teltow und Barnim war zugleich der Verkehr zwischen Elbe und Oder eingeleitet, der nun zwischen den ältesten Kulturstätten dieser Ströme, Magdeburg und Frankfurt, durch Kölln-Berlin seinen Weg nahm. Hamburg und Breslau, Stettin und Leipzig, gleich weit von Berlin entfernt, traten allmählich hinzu und so ist aus den ehemaligen Fischer- und Schifferdörfern eine Kaiser- und Weltstadt geworden, die mit ihren zahlreichen Wasser-, Land- und Eisenbahnstraßen zwischen Elbe und Oder hängt, wie „eine Spinne zwischen zwei Bäumen". Sie nimmt genau die Mitte der Mark ein, ist als Hauptstadt der preußischen Monarchie gleich weit vom Rhein und der Weichsel entfernt und als märkische, preußische, norddeutsche Hauptstadt ist sie in richtiger Konsequenz dann auch die des deutschen Reiches geworden. 1

*

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Aus den armseligen Spreedörfern erblühten Städte, welche, Berlin die Schwesterstadt längst überflügelt hatte, 1307 zu einer Stadt vereinigt wurden. Doch mit der Wohlfahrt wuchs auch das Ansehen und der Stolz. Als dann Burggraf Friedrich von Nürn¬ berg in die Mark einzog und mit seinem Eisenhandschuh an die Thore Berlins klopfte, Einzug in die Mauern und Herzen zu halten, da kostete es den Fürsten manch' hartes Wort und manch' blutigen Schwert¬ streich, ehe er den Trotz und Stolz des hohen Rathes und einer ver¬ blendeten Bürgerschaft bändigte. Ganz freilich sollte er nie Herr werden. Erst seinem Nachfolger, Friedrich II., der „Eiserne" wohl auch seitdem geheißen, gelang es, Ordnung und Unterwerfung herzu¬ stellen, und wie er die Burgen der Raubritter brach, so auch die starre Ueberhebung eines aristokratischen Rathes. Die Nacken der nachdem

Ueberwundenen noch tiefer zu beugen, baute er dann, wo heute das altersgraue Schloß emporsteigt, die erste kurfürstliche Burg. Berlin war nun Residenz. Was aber damals die freie Hansastadt als einen tiefen Schimpf noch ein halbes Jahrhundert durch empfand, das sollte der Ausgangspunkt glänzender, immer mehr wachsender Größe werden.

Seitdem hat

gar manches geändert.

Kein Hohenzoller klopft sie sich ihm aufthuen. Sie stehen alle weit offen. Auch die weisen und biderben Rathmannen von heute haben sich es nicht erst lange überlegt und besprochen, wann die Blüthezeit nnd weltliche Bedeutung Berlins begann. Sie waren anderer Meinung, wie ihre Vorgänger. Als sie daran gingen, ein neues Rathhaus herzurichten, wußten sie ganz genau, wem sie Dank und Huldigung schuldigten. Wenn man heute die Stufen zum Haupteingang hinaufschreitet, da schauen zu beiden Seiten oben aus ihren Nischen ernsten Antlitzes die beiden Hohenzollern herab, zwischen deren Regierungszeiten die ganze gewal¬ sich

heute mehr vergeblich an die Herzen

Berlins, daß

tige Geschichte des Landes sich abspielt: Friedrich I. und Wilhelm I. Ein erster Kurfürst und ein erster Kaiser! Welch' eine reichbewegte Spanne Zeit! Welch' mächtige Gestalten ziehen da im Geiste an uns

vorüber!

Es ist ein hehrer Geisterzug, der uns umweht, und sinnend so die 405 breiten, selbst bis in die obersten Theile schwin¬ delfreien, sauberen Treppenstufen des Thurmes hinan. Auf dem ersten steigen

mir

5

größeren Absatz in Höhe des Rathhausdaches, wo die Steinstufen nun

in breite, bequeme Holztreppen übergehen, empfängt uns ein freund¬ licher, alter Beamter und bittet uns höflich doch nieder zu setzen und abzukühlen.

Wohlthuend berührt uns dieser angenehme Gegensatz zu

der sonstigen preußischen soldatischen Gradheit, welche uns, trotz aller

Versicherungen,

militärfrei

zu sein, so oft

in

den öffentlichen

Bureaus

verblüfft und uns das Blut in die Schläfen jagt. Nichts, was an Ererzierfeld und kosende Unteroffizicrscherze hier erinnerte. Möglich auch, daß die Luftveränderung daran Schuld trägt. Die reinere Höhe über menschlichen Wohnungen und Leidenschaften mag auch moralisch

Einfluß

oft beim Ersteigen von Höhepunkten gemacht. Thürmer und Hotelwirthe zur „Bellevue" haben immer etwas Zuvorkommendes. — Nachdem wir uns abgekühlt haben, öffnet uns der Mann eine Thür, und wir treten erst einen Rundgang über das mächtige Dach des Rathhauses an. Die Großartigkeit der Aussicht, wie von der Thurmspitze, offen¬ bart sich hier nun freilich noch nicht, um so interessanter aber sind die Blicke, welche wir in das intimere Leben der Großstadt gewinnen. Genrebilder, welche der Pflastertreter unten kaum ahnt. Ans wie viel schwebende Gärten fällt hier das Auge, mit Oleander, Geranium und Gnmmibaum geziert, von Kresse, Kürbis, Winde und Bohne malerisch umzogen und durch Lauben, Glaskugeln und Statuetten in der reizendsten Weise die wirkliche Natur vergessen gemacht. Wer sollte hier oben zu stiller Nachtstunde, wenn des Nachbars Wachtel schlägt und der Mond über die Dächer flanirt, wohl noch daran denken, daß sich unter seinem Eden noch fünf menschenangefüllte Stock¬ werke aufbauen? Aber auch sonst, welch' eine Fülle ergötzlicher Bilder! Hier hängt eine Schöne weiße Wäsche auf und schäkert dabei in der verdächtigsten Weise mit einem schwarzen Gesellen, bis derselbe im Scho-rnstein plötzlich versinkt und mit höllischem Gepolter au der Küche der ungnädigen Madame vorübersaust. Dort steht ein Mansardenfensterchen offen. Ein Kanarienvogel hüpft im Bauer, eine rothe Azalie blüht daneben und dahinter sitzt ein blondes, frisches Kind an der Nähmaschine und singt mit dem lustigen Piepmatz um die Wette, dieweil ein kleiner Pinscher mit den Spatzen in der Dachnicht ohne

sein.

Ich

habe diese Betrachtung schon

6

rinne kläffend Zwiesprach hält. Herrscher der Dächer aber bleibt Die Kater Murr's, die Minka's und Hididoch das Katzengeschlecht. geigei's liefern hier oben eine ganze Romanlitteratur. In allen Farben und Größen, mit tausend Capricen und Tollheiten, jagt, schmollt, überrumpelt, gähnt, liebt, stiehlt, schläft und klettert diese europäische Löwenrace ans den Dächern der City.

Der Rnndgang ist

wir treten wieder in

Warteund Abkühlungsraum zurück und steigen nun dem Endziele zu. Kurz vorher passiren wir die Kammer der gewaltigen Uhr, welche des Abends mit ihren erhellten vier großen Augen schon aus weiter Ferne dem Wanderer wie ein Leuchtthurm entgegenschaut. Sie ist eine der 13 größten Enropa's. Das Gewicht allein hat Centner Schwere, jeder Zeiger besitzt die bescheidene Länge von 7 Fuß. Wie von jenem gähnenden Bauernburschen, so erzählt man auch von ihr, daß ein heubeladener Wagen mit sorgloser Bequemlichkeit hindurchfahren könnte. Im ersteren Falle, vermag ich allerdings einen bescheidenen Zweifel beendet,

nicht ganz zu unterdrücken.

In

den

jeder Minute setzt sich eine große,

eiserne Welle schnurrend

in Bewegung, dann rückt der Zeiger vor. Bei jeder Viertelstunde aber geht durch den 88 Meter hohen Thurm ein leises Zittern und wer da droben steht, der tveiß in diesem Augen¬ blick ganz gewiß, wie jeder Berliner, was die Uhr geschlagen hat. Nun noch ein Paar Wendelstufen, ein Vorraum und wir stehen vor der Thür, welche zur Plattform des Thurmes führt. Doch sie ist geschlossen. Ein zweiter Beamter in stattlicher Amtstracht empfängt uns. War jener auf halber Höhe freundlich und zuvorkommend, so ist ihm dieser einfach noch „über". Seine Liebenswürdigkeit hat geradezu etwas Bestrickendes. Nicht nur uns zu setzen und abzukühlen ersucht er uns,

er geleitet uns auch,

nachdem wir seinem Wunsche Folge und bleibt uns immer dicht auf den Fersen. Leider bin ich zu sehr Pessimist, um zu glauben, dqß diese Sorge um unser Wohl allein einem persönlichen Wohlgefallen für

geleistet haben, höflich hinaus

uns entspringen könnte. Vielmehr glaube ich, daß dieses Mitgefühl ihm als drückende Amtspflicht auferlegt worden ist, seitdem ein Welt¬ schmerzgaukler vor einigen Jahren die Dummheit begangen hat, sich von der Plattform herab auf den Hof des Rathhauses zu

stürzen^

7

wo er mit zerschmetterten Gliedern liegen blieb. — Nun treten wir hinaus auf die Plattform, noch eine außen emporsteigende eiserne Treppe, und dann stehen wir hoch oben auf der Gallerte, welche die Fahnenstange umsäumt, und schauen hinunter, hinaus, auf ein Bild von überraschender Schönheit und packender Großartigkeit. Ja, da unten ruht sie, mächtig hingelagert, unübersehbar fast, die Stadt der Kongresse und Weißbiergläser, eine Welt- und Kaiser¬ stadt zugleich, von wo aus die Theilung der Erde, der Frieden Europa's heute diktirt wird. Die Sonne liegt blitzend auf den Zinkdächern, badet sich in den Wassern und löst siegreich mehr und mehr die leisen Schleier, welche uns die Ferne noch verhüllen. Welch' erhabener An¬ blick! Wo ein Herz, das hier oben ungerührt bleiben könnte! Fort¬ schritt und Reaktion müßten sich hier versöhnend die Hände reichen, und für manchen Reichstagsbeschluß wäre es besser, er würde Ange¬ sichts dieser Größe getroffen. Die Einstimmigkeit würde das deutsche Volk nur mit lautem Beifall lohnen. — Welch' eine unermeßliche Fülle von Schöpfungen hehrer Kunst und hoher Pracht! Welch' ein labyrintisches Gewirr von Gassen, Straßen, Märkten und Schmuck¬ plätzen! Wo zuerst und wo zuletzt hinschauen? Wieviel Glück und Sorgen, wieviel fliegende Hoffnungen und herbe Täuschungen weben da unten durcheinander! Ein Meer von Leidenschaften, Lastern und Tugenden wogt zwischen diesen meilen¬ langen Häuserinassen täglich auf und nieder, Diesen zu Ruhm und Glück und Licht emporschnellend, Jenen für immer in den Abgrund der Verzweiflung und des Elends hinabziehend. Wieviel Seufzern lauscht diese Riesenstadt, wieviel Thränen muß sie ungestillt lassen! Haß und Liebe, Blühen und Vernichtung gebiert sie gährend in ihrem Schooß! Was an Macht, Fleiß, Kunst, Wissenschaft und Industrie Deutschland mit Stolz nennt, zu unsern Füßen vollzieht sich dies Wirken im edlen Wettkampf um die höchsten Güter der Nation. Glied an Glied fügt sich, die Kette der Kultur zu schmieden, welche alle Völker dermaleinst noch friedlich umschlingen wird. Doch auch ein herber Kampf um's Dasein ist's, der nicht nur alles Können in die Schranken ruft, sondern auch hohe und unlautere Triebe weckt, aber doch endlich weitaus mehr sittlichend, als verderbend wirkt.

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Wo ist das einstige sumpfige Fischerdorf geblieben? Wohl reckt dicht vor uns sein Thurmbrüderpaar hoch in die blaue Luft und dort leuchtet St. Petra im Sonnenglanze und rund herum, immer weiter im Kreise, Thürme, Kuppeln und Kapellen, umschattet von einem Wald von schlanken, hohen Schornsteinen, die aber heute feiern und das Bild der Stadt wolkenlos und rein erscheinen lassen. Denn es ist Sonntag. Der Lärm des Werkeltages steigt heute nicht herauf. Und nun ist der Schleier ringsum zerstoben. Ueber das Häusermeer mit seinen Palästen, Kunsttempeln, Wasser¬ straßen, Brücken und Bahnhöfen fort, von wo aus strahlenförmig sich ein Stern von Schienenwegen nach allen Windrichtungen hin erstreckt, schweift jetzt das Auge freudig hinaus in die sonnige Ferne, welche ganz am Horizonte von blauen Höhenzügen umzirkt erscheint. Dort die Rüdersdorfer Kalkberge, daran sich schließend die Kranich- und Rauen'schen Berge mit dem Fürstenwalder Kirchthurm dazwischen; die Müggelsberge mit der alten Wendenstadt Köpenick, Potsdam mit seiner Sonnenwarte, der hochragende Pfingstberg mit den prächtigen Doppelthürmen. Die dunkle Linie des Grunewalds verbindet sich mit Spandau, geht nach Charlottenburg über, Tegel folgt, Jungfernhaide, weiter fort Bernau, wo die bösen Hussiten einst mit gefälschtem Bier^ und bürgerlichen Heldenmuth auf's Haupt geschlagen wurden und der unerschrockne Wippchen noch heute im Blute unterjochter Völker bis an die Knöchel watet. Dorf an Dorf, Wälder, Felder und Seen wechseln im heiteren Farbenspiele. Doch immer wieder kehrt der Blick zur Stadt zurück und folgt bald diesem Straßenlauf, bald jenem, wandelt gleichsam die liebgewordenen und vertrauten Gänge und Plätze entlang. Wie das unten kribbelt von den Heroen der Schöpfung, Ameisen nur, von hier gesehen. Dazwischen rollen Wagen aller Art und die noch

St. Nikolai

Pferdebahnen läuten ringsumher. Und mitten durch das unerme߬ liche Häusermeer rankt sich wie ein Kranz der hohe Viadukt der Stadt¬ bahn mit den getvölbten, glasbedeckten Bahnhöfen, deren lebendiges Menschentreiben deutlich von hier oben aus überall sichtbar wird.

In kurzen Zwischenräumen

saust ein

Zug

nach dem andern von Bahn¬

hof zu Bahnhof, Sonntagszügler, Geschäftsleute

mit

sich

führend,

0

oder die Völker zwischen Osten

und Westen verbindend. Und noch weiter darüber hinaus schließt die Ringbahn durch die Vororte Ber¬ lins einen großen Bogen um die Metropole Deutschlands. Dampf¬ wolken fliehen im sausenden Fluge hinaus über die Felder, hinter sich in schlangenförmigen Windungen lange Waggonreihen mit Menschen und Gütern, Hoffnungen und Täuschungen führend; Segelboote schießen über die aufblitzenden Fluthen und hier und dort wiegt sich eine Tanbenschaar hoch in der Luft. Immer neue Bilder, neue Farben und Töne! Dort neben der Museumsstadt auf dem Jnselwerder ragt das alte Schloß grau und gebietend empor, wo einst Friedrick>, der Eiserne, seine kurfürstliche Burg erbaute. Die Spree rauscht an dem ehr¬ würdigen Gemäuer vorbei, in ihre blinkenden Wellen hinab grüßt hoch zu Roß das prächtige Erzstandbild des großen Kurfürsten. Immer weiter rollt sich die Geschichte Preußens vor uns ab. Durch

Straße zu unseren Füßen hielt einst der erste König Preußens, von Königsberg gekrönt heimkehrend, seinen Einzug in das jubelnde Berlin. Dort >vo die Linden beginnen, schaut Friedrich, der Große, mit Krückstock und Dreispitz ernst herüber, wo sie enden, da prangt der Siegeswagen über dem Brandenburger Thor, den einst der alte Blücher mit dem Schwert in der Faust aus Paris uns wiederholte, und dahinter über dem Thiergartengrün schwebt mit goldflatterndem Gewände, den Siegeskranz in der Hand, Viktoria lächelnd in die Lüfte auf. Welch' schöne, hohe Stunde! Von den Thürmen beginnt es jetzt ringsum zu läuten und die Glockengrüße schweben fort über die Stadt, hinaus in das Land: Friede kündend, Friede fordernd. Mit schmetternder Musik zieht durch die Königstraße über die Lange Brücke fort, an dem großen Kurfürsten vorbei, die Schloßwache, hinüber zum altersgrauen Schloß. Er nickt und schaut befriedigt auf die Gre¬ nadiere nieder. — Sonnenschein, Glanz und Duft überall! Tief unten braust das Leben einer Weltstadt ans und nieder. Vom kaiserlichen Palais flattert die Flagge freudig im Winde, Viktoria hebt den Kranz zum Himmel und ein Aar scheint sich emporzuschwingen, immer höher und höher, durch die Wolken hin, siegestrunken der Sonne kühn entgegen. die

II.

Merlin im Krühling. Wenn Liebenswürdigkeit als einer der ersten gesellschaftlichen Vor¬ darf, gegenüber welchem wir gern bisher gehegte Bor¬ urtheile schwinden lassen, um uns ganz dem Zauber der Stunde hin¬ zugeben, so sollte man keine Hauptstadt zu einer anderen Jahreszeit, als allein im Frühling besuchen. Niemals zeigt Berlin eine liebenswürdigere Physiognomie, als züge gelten

wenn der Frühling erst seine Visitenkarte bei uns abgegeben hat. Es ist, als sei von dem hellen Frohsinn des krausköpfigen, übermüthigen Gesellen, der da durch Feld und Wald singend wandert, die Bäume

rüttelt, die Blumen zum Blühen aufküßt, an alle Fenster und Herzen lachend pocht, auch ein Schein auf das sorgenvolle, müde Antlitz der Residenz gefallen. Man schlendere nur einmal die Straßen auf wach

und nieder.

Alles bemüht



-»■

sich

ein frisches, heiteres Gewand anzulegen, alles

möchte sich schmücken, um wohlgemuth kommenden schönen Tagen ent¬ gegen zu sehen. Frühling überall! Die schwindsüchtigen

Akazienund Lindenbäumcheu in den Straßen schimmern bereits lichtgrün; die Polster der Droschken werden ausgeklopft und gebürstet; Conditoreien beginnen vor den Ladenthüren Zeltdach und Epheukästen aufzustellen; die ersten rothen Sprengwagen rasseln

dröhnend und Wassergarben

11

in Schaaren ziehen Kindermädchen und robuste — Spreewäldlerinnen geborne Königinnen, wie sie Tissot einmal ernst¬ speiend auf und ab und

haft nennt — zu den öffentlichen Spielplätzen und Schmuckanlagen. Mit Sang und Klang marfchiren im melancholischen Patriotismus die Rekruten, links, rechts, alle Morgen zu den Exerzierfeldern hin¬ aus; der Dienstmann reckt sich jetzt wieder wohlig im jungen Sonnen¬ schein auf den Stufen eines Palastes, anstatt seine Tage im Dämmer¬ lichte eines Schnapsladens, wie bisher, zu verträumen und die Helm¬ spitze

des Schutzmanns

hoch

zu

am Kreuzungspunkte zweier-

Roß,

belebter Straßen, schleudert Strahlenblitze gleich

Jovis.

Kremser und

andere Lohnfuhrwerke rumpeln neu auflackirt zur Kontrolstelle, denn der nächste Sonntag verspricht

-

heißt Alles.

„Bocks".

Ja,

der

ja Sonne, und Sonne heißt Geld, Frühling ist da! Berlin steht im Zeichen des

Aber auch draußen vor den Thoren der Hauptstadt kündet alles den Lenz an. Nicht die Störche, nicht die Staare sind es allein, aber die lichten Wölkchen, welche so lustig droben in die goldene Ferne segeln, die zahllosen Knospen und schimmernden Keime, die überall wie neugierige Kinderaugen aus Busch und Strauch schalkhaft hervor¬ lachen, sie künden uns alle die holde Mär. Schon beginnt's im Grase zu blühen. Schüchtern blickt sich die Vogelmiere mit ihren weißen Sternenaugen um, als fürchte sie, allein zu sein.

Gundelrebe hat

sie

Aber die gutmüthige, alte

bereits bemerkt und nickt der kleinen Nachbarin

einen Morgengruß hinüber.

Am Feldrain, just neben einer Bocks¬ Kreuzkraut und Bienensaug hart beisammen. Der Raum ist nur schmal und eins möchte das andere verdrängen. Die Debatte muß äußerst erregt sein. Das Kreuzkraut sieht schon ganz gelb vor Neid und Aerger aus, aber auch dem Bienensaug ist sichtlich das Blut in den Kopf gestiegen, und wenn der Wind vorüberstreift, da möchte man wahrhaftig meinen, die beiden geriethen in ein Hand¬ gemenge. Aber da kommt die Sonne um den Busch gegangen und dornhecke,

stehen

sieht beide an.

Sagt aber

kein

Wort.

Da

schämen sich die Hadern¬

den und gucken plötzlich ehrbar und ernsthaft zu Boden.

Wie

sich doch

alles badet in ihrem Lichte!

Wie

sich

Die Sonne! Alles ringsum

12 des seltenen Glanzes

freut und trunken ihre warmen Küsse athmet!

„Da bin ich!" ruft ein übermüthiges Gänseblümchen. „Ich auch!" schallt es daneben mit dünner Stimme aus dem Grase, und noch eins kommt lachend angehüpft. Und nun stehen sie beisammen und kichern und plaudern und werden gar nicht müde, ihre langen Winterträume, eins dem andern, immer wieder mit wichtiger Miene zu erzählen. Nur das Veilchen sagt nichts; es duslet und sinnt und blickt wie verwirrt in die schöne, stille Frühlingswelt. Ja, der Frühling ist schön, ist ein großes, räthselvolles Buch, das aufgeschlagen vor uns liegt und an dem wir uns freuen und erbauen sollen und neues

Hoffen schöpfen. Tiesdeutig und lebenssprühend, voll Uebermuth und stiller Sehnsucht, bald schalkhaft, bald beseligend, aber doch mehr ein Buch zum Sinnen als zum Lachen. So träumerisch uns auch des Waldes Rauschen sommerlang umfängt, den übervollen Herzen wird's im Lenz zu enge dort, und weit lustiger wandert es sich durch Feld und Wiesen hin. Da sieht man besser den weiten freundlichen Himmel, die schimmernden Saatfelder und den blauen Strom, und ob auch hier und da noch in den Ackerfurchen einzelne Schneeflocken vielleicht liegen, es glaubt's doch Keiner mehr, daß der alte Winter noch aus dem Throne sitze und mit dem Kopf wackele und in die Hände puste.

In

den Gärten läuten schon seit Wochen die Schneeglöckchen fröhlich das nahe Fest ein, und wenn sie müde werden, dann heben die Birken am Wege an, und das tönt noch weiter und feierlicher hinaus. Auf dem Flusse, in dessen klaren Wellen sich die schmucken Häuser betrachten,

herrscht

auch

schon wieder buntes Treiben. Die ersten Dampfer läutend herangezogen; Fischer- und Lustboote tummeln sich munter auf dem Wasser, und in der Ferne zieht zuweilen ein weißes Segel an der dunklen Kiefernwand vorbei. Ja, der Frühling ist wirklich vor der Thür! Welch' ein bewegliches Treiben und Schassen

kommen

in

all'

den

Biergärtcn

und

Vergnügungslokalen!

Die Spatzen

haben über den nngewohnten Lärm vollständig den Verstand verloren und sind hinüber auf das Dach einer alten Scheune geflogen.

Da

nun und harren der kommenden Dinge. Die Tafeln und Aushängeschilder an den Zäunen und Thoren werden mit den ver¬ trauenerweckendsten Farben neu angestrichen, Tische und Stühle einer hocken sie

13

unterworfen; Laternen und Pe¬ troleumlampen werden gepntzt und frisch gefüllt, die großen Hallen und Musiktempel mit Soda und Leibeskräften gereinigt und zwischen den emsig schaffenden, starkknochigen Dirnen tänzeln ohne Frack noch mit verbindlichem Lächeln, die Kellner auf und nieder und ordnen und rücken Tische und Stühle, ja der Hansknecht küßt wohl zuweilen auch im Vorübergehen feine Herzallerliebste, wenn kein unberufenes Auge das zarte Empfinden seines überquellenden Herzens bewacht. Der Frühling tvill nun einmal sein Recht haben. Der Wirth aber hockt drinnen auf dem Billard und prüft die letzten Wetterberichte der Seewarte, blickt nach dem Zug der Wolken und schüttelt arg¬ wöhnisch und seufzend das schwere Haupt. Doch wie lange noch, dann wandern draußen die bauchigen Kaffeekannen, dann schwirren die sogenannten geaichten Seidel auf und nieder; die Kegel fallen, gleichen rücksichtsvollen Behandlung

die

Kinder

Musiker blasen mit hochroth Backen und leeren Taschen und auf den, mit bunten Eierschalen bedeckten, frisch geharkten Sandwegen drängt sich eine lustige, buntbewegte Menge. Draußen aber auf Weg und Steg wandelt cs in langen Reihen hinaus in die sonnige, schöne Gottes¬ welt, Alt und Jung, Arm und Reich, es bleibt Keiner daheim. Kein Nachbardorf, kein Gartenlokal, das von der Invasion ozonbedürftiger Hauptstädter verschont bliebe. Omnibus, Droschken, Möbel- und Schlächterwagen, mit quer gelegten Brettern freundlichst ausgepolstert; Pferde-, Stadt- und Ringbahn mit verdoppelter Waggon¬ schreien, der Bock stößt, die

geschwollenen

zahl, sie haben alle unmenschlich zu thun, diese Schwärme Vergnü¬ gungslustiger hinauszuführen. Dazwischen sausen Cabriolets, rollen

Landauer, Staatskarosseu und Kinderwagen der großen und kleinen Vom Lieutenant bis zum Professor hinab, drängt sich alles hinaus, fluchet durch die Avenuen, verliert sich in den trau¬ lichen Gängen des Thiergartens oder eilt zu den Bestien des Zoolo¬

Berliner Welt.

Gartens, die, verdutzt über legenheit nicht wissen, auf tvclches liebender Begier stürzen sollen. Und so rollt und tollt, >vogt Abend zur Rückkehr mahnt und der gischen

den plötzlichen

Menschenkind

Anprall, vor Ver¬ sie sich zuerst in

und treibt es vorüber, bis der schelmische Mond dem munteren

14

Dann hasten die Pferdebahnen, Möbelmit zufriedenen Menschenkindern, vorüber und aus dem mystisch dämmernden Innern unserer nationalen Kremser ertönt von den Lippen der Männlein und Fräulein das unverwüstliche Lied von der „Lurley" klagend in die Nacht, bis auch dies verstummt. Denn mitten zwischen ihnen sitzt Freund Amor mit gefülltem Köcher und zielt und lächelt still. Berlin aber feiert seinen Frühling. Völkchen nach Hause leuchtet.

und Schlächterwagen,

hochbepackt

m.

Berliner Kofmustk. Die Musik ist thatsächlich zum tziituut tsrribls unseres öffent¬ Das geflügelte und schöne wie privaten Lebens geworden. Schlüssel zum Herzen" hat sich in sein voll¬ Wort: „Musik ist der kommenes Gegentheil verkehrt. Die Musik erregt beinahe nur noch den Zorn aller arbeitenden Menschen. Ja, wenn sich die Musik auf jene Konzerte beschränkte, deren pomphafte Ankündigungen während der hohen Saison täglich ganze Seiten unserer Tagesblätter füllen! Beschränkte sie sich nur auf all' lichen

die berühmten und berühmtesten Koryphäen, jene weiblichen und männ¬

mit Tellerbouquetts einerseits, halbfußlangen, weißen Atlasschleifen andererseits, die auf ihrer Durchreise von Paris nach Petersburg plötzlich wie Meteore bei uns auftauchen, knattern, glühen und zischend wieder in ein Nichts vergehen! Aber die Musik ist das

lichen Sterne

verhätschelte Schooßkind unseres Jahrhunderts geworden, dem man alle Launen und Unarten nachsichtig durch die Finger sieht, das man tät¬ schelt und liebkost, dessen Schmollen reizend, dessen Lächeln göttlich erscheint. Wir leben nicht in einem Jahrhundert des Danipfes, der

Elektrizität, unsere Zeit seufzt unter der drückenden Tyrannei der Musik. Kein künftiger Geschichtsschreiber wird achtlos an dieser Er scheinung vorübergehen.

16

Wenn die himmlische Tonkunst nur die melkende Kuh vereinzelter göttlicher Sendboten bliebe! Die Quelle stiller, häuslicher Erbauung! Dies hat längst aufgehört. Die musikalischen Genies wachsen jetzt wie Pilze aus der Erde. Wenn der alte Diogenes in Korinth keinen Menschen fand, würde heute ein moderner keinen Gebildeten finden, der nicht musikalisch wäre.

Es giebt Haus- und Hofmusikanteu, Kammer- und Stubenvir¬ Es giebt Freikonzerte mit schlechtem Bier, die Niemand besucht, und Künstlergottesdienste mit Lorbeerkränzen, die Nieinand bezahlt. Ton-Akademien und Musikschulen erstehen über Nacht. Vom Centrum bis zu den Feldmarken Berlins dehnen sich bereits diese musikalischen Krankenhäuser aus. Zither-Klubs auf der einen, MännerGesangvereine auf der andern Seite. Hier piccicato und süße tuosen.

Gondellieder, dort deutsche Eichen, in deren Rauschen Deutschlands

Kraft und Deutschlands Gerstensaft die merkwürdigsten Triumphe feiern. Kein Jubiläum, wo nicht Morgens, wenn die Hähne krähen, ein ähn¬ liches Liebesqnartett sich auf dem Hofe des Glücklichen aufpflanzt, den „Tag des Herrn" zu loben; kein Stiftungsfest mit Ball, wo nicht zwischen Suppe und Fisch der „Erlkönig" flüstert und droht und auf dem Höhepunkt des Abends Schubert's „Am Meer" durch den

Saal

rauscht.

Auch die frommen Haine sind verschwunden, wohin man sich vor den musikalischen Tönen, diesen Erinnyen unseres Jahrhunderts,

Vor den Thoren sind die Singvögel weggefangen, dafür aber lauern Leierkasten und Harmonika unter den verwaisten Wipfeln auf den arglosen Wanderer. Dian flüchtet sich in Familien flüchten könnte.

oder Freundeskreise. Umsonst. Ein Chopin oder Liszt ist bald bei der Hand. Man vergräbt sich daheim unter Büchern. Noch vergeb¬ licher. Wo gäbe es ein Haus, eine Familie, tvo nicht der Marter kästen eines Klaviers in der guten Stube prangte? Vom Keller bis zum Dachstübchen, durch alle Quer- und Seitengebäude

klettert diese fürchterliche Erfindung, jedem Gesunden Ruhe, Genuß, Schaffensfreude raubend. Sorgenbrecher und Wehmuthsbecher zugleich! Man spielt nicht mehr aus innerem Drange, aus Talent, aus Noth — man spielt hauptsächlich, „weil man's dazu hat". allen Familien

In

17

wüthet diese Krankheit. Die Berliner Hofmusik setzt aber allen Ton¬ bacchanalien die Krone auf. Die Zahl dieser vogtländischen Troubadoure von jenseits der Rehberge, der welschen Bettclbrüder, die in immer dichteren Schaaren über den Brenner und Gotthard zu dem kalten Norden pilgern, scheint sich in den letzten Jahren verdoppelt, ja verdreifacht zu haben. Kameelnnd Bärenführer sind längst ausgewiesen, selten nur taucht noch einmal ein halbverhungertes Aeffchen unter der blauen Jacke eines dunkel¬ äugigen Italieners ans. Die Thiere jagte man fort, die Menschen behielt man. Eine Geschmacklosigkeit, die sich bitter gerächt hat. Die

Mannigfaltigkeit der edlen Tonkunst enthob die Edlen einer einsei¬ tigen Berufshingabe. Wir haben Paganini's, vor deren Martertönen die Milch in allen KüchenHzusammcnrinnt; Flötenspieler, Harmonika¬ virtuosen,

Harfenistinnen und kümmerlich dreinschauende Die Kunst der Hofsänger ist jedoch im Absterben begriffen. Das riesenhafte Anwachsen unserer Stadt läßt allmählich, wie unsere originellen Straßenfiguren, auch diese Sangeshelden ver¬ schwinden. Auch das Jmprovisiren scheint sich vom Hof nach den feinen Konzertsälen verpflanzt zu haben, seitdem wir nicht nur KonzertSpieler, -Maler, -Bildhauer, sondern auch hervorragende Konzertböhmische

Lautenschläger.

Redner besitzen.

Den Vortritt unter allen Vertretern der Berliner Hofmusik seit Jahren die Leierkastenvirtuosen. Welch' prächtige Frohgesellen sind darunter! Vielleicht, daß Mancher der treuen Gattin daheim vergißt, die Flasche Feuerwasser vergißt er gelviß nicht. Künst¬ lerisch am höchsten stehen noch Jtalien's braune Jungen. Da ist Schwungkraft, Feuer, verständnißvolles Anschmiegen und geschmackvolle Vortragsweise im Drehen der Kurbel zu bemerken; und was dem Kasten an Wärme und Jugendfrische verloren ging, ersetzen sie reich¬ lich aus ihren dunklen, sehnsuchtsvollen und schönen Augen. Der ärgste Gegensatz zu ihnen, unschön und roh in jedem Worte, gemein in jeder Bewegung, ist der Berliner Vogtlandstroubadour. Sein In¬ beanspruchen

strument zeichnet

sich

durch gellendes Trompetengeschmctter und ohren

beleidigendes Trommeln und Knarren aus;

charakteristisch:

Trinius,

Morgenschuhe

von

seine Fußbekleidung ist karmoisinrothem Plüsch. Eine

Vom grünen Strand der Spree.

2

18 ausgemusterte Seiden- ober Tuchmütze

schmückt

sein

kurzgeschorenes

Seine Vortragsweise ist frech und gemüthlos; sein Dank sozialistisch gefärbt. Man findet ihn gewöhnlich paarweise. Ein ver¬ bummelter Tagedieb hat sich ihm aus Tod und Leben zugeschworen. Der Eine spielt, der Andere sammelt. Abends theilen sich beide den Raub. Sollte Creft hinken, so darf man sicher sein, daß Pylades den Arm in der Binde trägt. Meist aber treten sie gesund auf. Echte und imitirte Krüppel, mit und ohne Soldatenmütze und Kriegsdcnkmünze, zeigt dagegen die Kategorie pensionirter Invaliden, herunter¬ gefallener und -gekommener Zimmerleute, Professionisteu aller Art. Ihr Vortrag ist ebenso kunst- wie Verständnißlos, aber ihrem Wesen haftet zuweilen Würde und ein schönes Selbstbewußtsein an. Sind jene bartlos, so findet man bei diesen die gediegensten Vollbärte, manchen, der in Ehren, und manchen, der vielleicht im Gefängnisse oder im Zuchthause grau geworden ist. Woher sie kommen, wohin sie gehen, weiß Niemand. Mittags tauchen sie in die Speisekeller unter, während der Marterkasten mit abgedrehtem Kurbelgriffe an der Kellerpforte behaglich ausruht. Häufiger noch sicht man sie in den Destillationen. Ob sie Kongresse abhalten, Vorstandsmitglieder

Haupt.

wählen oder Vereinsschriften ediren, steht dahin. Ein Abkommen untereinander scheint wenigstens stattzufinden. Denn jeder Hofvir¬ tuose hat seinen bestimmten Stadtthcil, seine bestimmten Häuser und Höfe, in denen er genau an demselben Tage, zur selben Stunde, mit unheimlicher Pünktlichkeit, gleich den Aposteln an der Rathhausuhr zu

Prag,

Verbote und Warnungen in den Hausfluren ver¬ Souveränität, wo solche Gesetzestafeln über¬ haupt nicht ausgehängt sind, da fühlt er sich Hahn im Korbe und behauptet siegreich das Schlachtfeld. An solchen Orten fluthet es erscheint.

achtet er

mit

gelassener

dann von Künstlern aus und ein. Mit der Morgenzeitung hält der erste seinen Einzug, und wenn das Abendblatt Börsencourse und Wetterberichte bringt, schließt der letzte die Ronde. Dann wird Kasse gemacht und die letzte Gastrolle bei

ausverkaustcm Hause in einer nahen Distellation gegeben — und heim geht's. Bald gerade, bald schief, letzteres zumeist. Repcrtoirveränderungen bereiten diesen Künst¬ lern wenig Kopfschmerzen. Sic spielen alles, was ihnen unter die

19

Hände kommt. Choräle, Walzer, Wimmerarien aus dem „Troubadour", Pilgerchörc, die am Fuße der Wartburg vorüberziehen; Schnaderhüpf'l schweben lustig und luftig aus ihrem Kasten auf; „Kornblumen" und „letzte Rosen" winden sich zu endlosen Guirlanden. Balladen tönen ernst und schwcrmüthig, dazwischen sauchzt „Carmen" dämonisch und „die lustigen Weiber von Windsor" kichern. Wehe dem Armen, dessen Wohnung so gelegen ist, daß ein Hof frei an den andern grenzt, daß an den Garten ein großes Viereck von Häusern sich anschließt! Wenn erst hier, dann dort, ein Kasten ertönt, ein Konkurrent den andern mundtodt machen will, dann — ist denn kein Dante da, die Höllen¬ qualen eines Berliner Miethers zu schildern? Wenn der erste Künstler drüben anhebt: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?" der Nachbar mit einem Galopp einsetzt; ein Dritter das protestantische Sturm- und Kampf¬ lied mächtig erschallen läßt, während nicht weit davon in einem Garten „Nayon" herüber lacht — schmollt, dann kann man die gott¬ losesten Flüche auf diese Küustlerscheitcl niederflehen, es bleibt sich alles gleich. Der Kerl da unten ist nicht mürbe zu kriegen. Ringsum lärmt und tobt die Konkurrenz und er soll schweigen? Seine Musik wird zum Kampf um's Dasein. Und er kämpft und dreht im Schweiße seines Angesichts. Erlahmt ihm die rechte Hand, wozu hat er die linke? Heroisch lösen beide einander ab. Die Dienstmädchen feiern an den Fenstern und die Frau Vicewirthin protegirt die Hofmusik. Dagegen kämpfen Götter selbst vergebens. Einmal muß doch der Nachbar aufhören, denkt unser Mann im Hofe. Aber der Nachbar

Freudvoll und leidvoll, bald wild einherbrausend und dann wieder wie im Morgenwind ersterbend — „gesegnet sei für alle Zeit, Frau Musika!" Fenster und Herzen stehen dir offen und du hältst siegreich deinen Einzug. Die Wirthin hat soeben den zweiten „Nickel" zu den Füßen ihres Orpheus niedergelegt. Und noch einmal klingen die süßen Töne des Walzers aus „Nanon" über den Hof und denkt ebenso.

huschen an den Wänden empor und schwingen sich lockend und tön delnd, wie singende, lose Frühlingsboten, von Fenster zu Fenster. Auch zu einem Dachfenster, wo Geranium und Reseda duften, hinter

dem ein verblühtes, hageres, blasses Mädchen

sitzt und stichelt. 2*

Sic

20

will

nicht hinhören und muß es doch.

von der Arbeit und

blickt

hinaus.

Und nun hebt sie den Kopf Wie es jetzt in ihren Augen

Als wolle sie die Töne sehnsuchtsvoll trinken. Sinnend verliert sich ihr Blick über die Dächer, die so blank in der Morgen¬ sonne blitzen; weit fort in die Ferne, in ihre Jugend. Wie schön warst du! Müde fällt der Kopf aus die eingesunkene Brust hinab. Der Leierkasten dudelt fort. Die Kinder auf dem Hofe vergessen Ball und Puppe. Sie leuchtet !

haben sich angefaßt und tanzen lachend im Ringelreihen zu dem Takte

der Musik.

Der Schusterjunge im Keller pfeift

die Melodie

und

haut dabei mit kräftigen Hammerschlägen auf das zähe Sohlenleder Und während Madame soeben den dritten „Nickel" sorgfältig einwickelt, trällert die rotharmige Kathrine in der Küche das aller¬ liebste Lied mit. Sie taucht einen Teller nach dem andern in die blecherne Spülwanne hinab und träumt dabei von ihrem herzigen Schatz daheim, mit dem sie am letzten Pfingstfeste im .heimathlichen Dorfe sich überselig um den rauschenden Maibaum im Reigen drehte. nieder.

IV.

Auf

der Jannorvihörücke.

Berlin ist es fürwahr nicht leicht geworden, sich allmählich auch im Auslande jene Achtung und Anerkennung hinsichtlich seiner Schönheit und Großartigkeit zu erringen, wie es andern Haupt- und Weltstädten seit langem beschieden war. Im Einklang mit der Vernachlässigung seitens der Natur ging auch eine unverblümte Zurücksetzung unserer Stadt hinsichtlich der Nachbarstaaten Hand in Hand. Was konnte ein Ort so mitten im kniehohen Sande und trauriger Wüstenei an Schönheit und Genuß wohl bieten? Der Ruf unserer Mark stand ja schon vor Goethe fast immer unter pari. Man untersuchte eben nicht lange, man zuckte geringschätzig die Achseln und die Sache war abgethan. Mau richtete, ohne geprüft zu haben. Es war dies ja so bequem und wohlfeil. Und wenn wirklich eininal ein resoluter, waghalsiger Süddeutscher oder Ausländer sich in das Gebiet zwischen Oder, Elbe und Havel getvagt hatte, bis Berlin gar vorgedrungen war und nun, heimkehrend, staunende Dinge zu erzählen wußte, von landschaftlichen Schönheiten ganz eigener Art, von hehren Kunsttem¬ peln und hochbedcntenden, öffentlichen Anstalten; von dem prickelnden, übermüthigen Berliner Volksleben, das sich immer so vorlaut und absprechend giebt und doch im Grunde genommen, wenn es gilt, das Herz immer noch auf dem rechten Fleck gehabt hat; dann lief sicherlich

I — der Aermste Gefahr,

für

22



einen Phantasten oder Lügner

gehalten zu

werden.

Die Frage, ob Berlin Weltstadt schon ist oder noch wird, wer wollte sie heute uoch ernsthaft auswerfen? Daß aber unsere Stadt im Sturmschritt dahin eilt, ihre älteren Schwestern einzuholen, es ihnen gleich zu thun, ja, sie 311 überflügeln, leugnet wohl Niemand. Sei es nun an Reichthum und äußerlicher Prachtentfaltung, au öffent¬ Institutionen, geistigen oder künstlerischen Wettkämpfen: auf allen Gebieten macht sich ein Streben nach zielbewußter Vollendung bemerkbar. Der Puls unseres reichsstüdtischen Lebens hat geradezu etwas fieberhaft Erregtes. Gewaltige, staunenswerthe Arbeit hat es gekostet,' den Mangel natürlicher Vorzüge nach Möglichkeit zu ver¬ wischen und vergessen zu machen. » Keine schirmenden Höhen kränzen unsere Stadt und leihen ihr Relief, jenes das so manch' andern Hauptstädten einen eigenartigen und bedeutenden Hintergrund giebt und den Totaleindruck plastischer hervortreten läßt; kein breiter, regelmäßiger Strom sendet seine Wellen an unsern Häuserzeilen vorüber und schafft jene prächtigen Perspek¬ tiven über Fluß und Brücken, wie sie der Pariser besitzt und schätzt. lichen

In

launischen Krümmungen schleicht die melancholische Spree durch

Stadt; hier und da noch überbaut, eingeengt, vernachlässigt und mit Torf- und Ziegelsteinkähnen sommerlang in wenig erfreu¬ licher Weise bedeckt. Und nun gar unser Hochgebirge im Süden, der Kreuzberg, an dem jeder echte Berliner mit bezeichnendem Selbstbewußt¬ unsere

sein und

Lokalpatriotismus die Bergspitzen anderer Länder

noch heute

eigensinnig abmißt !

Wgs hier

die gütige

Mutter Natur uns

so

freundlich vor die

das haben zum großen Theil Hacke und Spaten glücklich wieder abgetragen und nur Schinckel's prächtigem Denkmal müssen

Thore

wir

setzte,

nicht auch uoch die letzte unwirthbare Firn Berlin's durch die stillen Straßen mit näselnder Morgens als Scheuersand Stimme ausgeboteu wird. Die weisen Rathmannen von Berlin und Cölln hatten nichts dagegen einzuwenden, als man die Nachbarhöhen dem Erdboden gleich machte; die wankelmüthigen Stammgäste der Berliner Bockbrauerei es danken, daß

23 sicherlich noch weniger,

daß endlich die schwindelnden Abgründe aus¬

gefüllt wurden, Gräben und Böschungen einem geradlinien Straßenpftaster Platz inachten, damit man wenigstens der Gefahr des Berg¬ sturzes während der Bocksaison dort enthoben war. Die sagten nichts, sie blinzelten sich nur innig verständnißvoll zu und huben ein inbrün¬ stiges Tedeum an.



Seitdem Berlin jedoch, eingedenk seiner Stellung als Haupt¬ eines neugegründeten, mächtigen Reiches —- das nun seit Jahren und hoffentlich auch noch lange hinaus bestimint scheint, den Grundton in dein europäischen Konzert anzugeben — immer mehr fadenscheinige Gewand philiströser sich bemüht zeigt, das ärmliche, Engherzigkeit für immer abzustreifen, immer mehr sich zur Centrale stadt

politischer, geschäftlicher, wissenschaftlicher und künstlerischer Beziehungen gestaltet, seitdem hat auch die äußere Physiognomie Spreeathens .ein

völlig verändertes Bild empfangen. Wie unter einer Treibhaustemperatur, so wachsen Umfang und Pracht Berlins in. nie geahnter Größe heran. Der imposante Reichthum inzwischen geschaffener Denk¬ mäler und öffentlicher Bauten, die fesselnde Pracht der unzähligen Paläste und Handelshäuser, die kaum noch übersehbare Anzahl neu erstandener Straßen und Paläste, deren gediegener Luxus und bunte künstlerische Mannigfaltigkeit der Baustile die Monotonie so vieler anderer Städte verbannt, alles dies, im Verein mit dem, was seit¬ dem noch Handel und Verkehr in's Leben riefen, muß heute Jeder¬ mann zu rückhaltsloser Anerkennung zwingen. Nun hat inan auch begonnen, dem zwar oft besungenen, aber doch recht lieblos vernachlässigten, heimathlichen Spreestromc eine würdigere Fassung zu geben, welche in hohem Maße dazu beitragen muß, die Schönheit, wie den charakteristischen Reiz der jungen Welt¬ stadt in ein noch trefflicheres Licht zu setzen. Die ehemaligen, alten Holzbrücken sind zum Theil bereits geschwunden. Breite, monumentale, Prächtige Brücken schwingen sich heute über die Spree, und wenn erst noch der Mühlendamm, dieser konservative Schandfleck der Metropole, endlich einmal einer offenen Brückenanlage gewichen sein wird, dann wird sich ein Flußbild entrollen, dessen Schönheit heute vielleicht nur Wenige ahnen.

24

Eine der neuesten und herrlichsten Brücken, welche die letzte Zeit Vielleicht mit eine der regsten Verkehrsadern unserer Residenz, über welche von Morgens bis tief in die Nacht hinein das Leben fluthet, den Köpnicker Stadttheil mit der City zum Alexanderplatz hin verbindend. Der Doppelschienenstrang der Pferdebahn leitet darüber hin und über die Brücke selbst schwingt sich, am rechten Ufer der Spree entlang, ein mächtiger Viadukt der sich schlangenförmig windenden Stadtbahn, deren Bahnhof dicht an der Brücke mündet. Gegenüber am anderen Ufer ragt tempelförmig der hölzerne Warteranm der Dampfschifffahrts-Gesellschaft ans dem Wasser herauf, das mit Fahrzeugen aller Art bedeckt ist. Nicht allein erstehen sah, ist die Jannowitzbrücke.

den regen Verkehr und die Mannigfaltigkeit der Erschei¬ nungen, welche derselbe hervorruft, sondern auch durch das entzückende Strombild auf und ab, zeichnet sich die Jannowitzbrücke auf das Vor¬

nur durch

theilhafteste aus.

Einer der interessantesten Blicke auf

Alt-Berlin

Gabelförmig theilt sich hinter der nächsten sich von hier aus. Brücke nach Norden zu die Spree, von welcher der eine Lauf sich links durch die Stadt wendet, während der andere geradeaus unter den eröffnet

Pfahlbauten

des

Mühlendammes und den Bastionen der königlichen

Mühlen entschwindet. Baracken an Baracken reihen sich die Ufer entlang, verfallen verräuchert, doch in ihrer Gesammtwirkung von entschieden malerischer Wirkung. Dazwischen schieben sich hier und da neu erstan¬

und

Prachtbauten, himmelstürmende Fabrikschornsteine. Weitschattende Bäuine neigen sich freundlich über das graue Bollwerk; buntgefärbte Wollbündel leuchten zwischen Fischkästen, Flößen und Badehäusern von den Waschbänken der Färbereien und deutlich erkennt man die weißen Schirme der Fischhändlerinnen auf dem Fischmarkte der Fischer¬ Ueber den Häuserinaffen ragen hoch in die Lüfte die Thürme brücke. von St. Petri und St. Nikolai, daneben der gewaltige, rothe Koloß des Rathhauses, mit schwindelnder Gallerte und windumsungener Berlin ist keine allzuthurmreiche Stadt, von den Fahnenstange. dene

Brücken der Sberspree aber aus gesehen, steigt Venedig gleichsam aus km Wasser heraus.

Tort

die

grandiose

Kuppel

der

sie

wie ein nordisches

Schloßkapelle,

die

schönen

25

Doppelthürme des deutschen und französischen Domes am Gensdarmenmarkte; ganz vornan der unfreundliche Rumpf der Waisenkirche; dahinter steigt die Parochialkirche mit ihrem lieblichen Glockenspiele in die Luft, noch weiter fort reckt St. Marien seine schlanke Spitze in das blaue Aethermeer — alles vereint sich zu einem Bilde, wie Sobald der Morgen graut, beginnt es Berlin nicht allzuoft bietet. Die ersten Stadtbahnzüge es hier auf der Brücke lebendig zu werden. entladen bereits Schaaren von Arbeitern; Milch- und Gemüse¬ wagen rumpeln vorüber; Omnibusse, Pferdebahnen, Post- und Last¬ wagen, Karren aller Art tauchen in inuner reicherer Fülle auf; rothe Sprengwagen rasseln auf und ab und in langen Kolonnen ziehen Nähterinnen, Beamte, Handlungsbeflissene und Schulkinder heran.

In

das Klingeln der Pferdebahnen mischt sich das verworrene

Rufen unzähliger Händler. Jede Stunde bietet ein neues Bild. Dampfboote läuten vom Wasser herauf, der schrille Pfiff der Loko¬ motive tönt vom Bahnhof herüber und mit dumpfem Donner saust dampfend und schnaubend von links und rechts in kurzen Pausen ein Stadtbahn-, Vorort- und Extern-Zug über den von eisernen Pfei¬ lern getragenem Viadukt. Mit klingendem Spiele zieht ein Bataillon der Alexander-Grenadiere einher. Inzwischen ist die Sonne höher und höher gestiegen und auf Gondeln auf und nieder zu tanzen. dem terrassenförnng sich aufbauenden Garten des neuen Restaurants am Wasser, hart an der Brücke, füllen sich die Tische mit Mittagsgästen, denn schön ist's hier vor dein bewegten Strombilde zu weilen. Verkäufer von Apfelsinen, Feigen, Blumen, Bretzeln, Zeitungen schwirren rufend und anpreisend die Brücke auf und ab. Der Nachmittag sieht frohe Paare und heitere Gesellschaften hinab zu dem Pavillon der Dampfschiffe steigen, um von hier aus an dem „grünen Strand der Spree" aufwärts zu gleiten. Wenn der Abend kommt, Fabriken, Bureaus, Kaufläden und Werk¬ dem Wasser beginnen zierliche

So rückt der Mittag heran.

In

stätten sich schließen, dann zieht noch einmal wie am Morgen der gewal¬

tige

Strom

der Heimkehrenden vorüber.

Dann beginnt

die Menge sich

allmählich zu verlieren. Hier und dort taucht ein Licht in den Häusern aus, die mächtigen Kandelaber auf der Brücke werfen lange, zuckende

26 Gluthstreifen nieder auf die Wellen und bald zeigen

nur

sich

die langen

in schattenhaften Umrissen, von erleuchteten Fensterreihen markirt. Das bunte, laute Treiben verstummt mehr und mehr. Nur ab und zu saust mit feurigen Gluthaugen und hellen Häusermassen

noch

Waggonfenstern ein Stadtbahnzug über Brücke, Wasser und Häuser¬ meer, um bald zwischen den dunklen, hohen Steinmauern wieder zu verschwinden.

Pferdebahnen verhallt allmählich. Die letzte Gondel hat drüben an der Uferstraße längst angelegt. Still liegt die Brücke, nur am Fuße eines Kandelabers kauert ein graubärtiger Italiener und entlockt dem kleinen, wurm¬ stichigen Leierkasten jedesmal ein paar halbverwehte, dünne Töne, sobald sich der schallende Schritt eines einsamen Fußgängers hören Auch

läßt.

Mit

das

Läuten

der Dampfer

und

Endlich erhebt auch er sich und tappt bedächtig nach Hause. großen Augen schaut die helle Rathhausuhr herüber, als hielte

Wacht über der schlummernden Stadt. Der letzte Stadtbahnzug Schweigen gehüllt liegen Brücke und ist soeben davongerollt. Strom. Nur selten leuchtet ein einsames Licht in den Fenstern noch sie

In

auf. Der Mond ist aufgegangen und wie ein Silberband legt sich nun der volle Glanz über die stille Wasserfluth. Da gleitet lautlos und gewandt ein Boot uin die Ecke. Wenn der Mondstrahl über Und nun die Ruder fliegt, so blitzen zahllose Silberfunken hernieder. naht wieder eins. Mit Netz und Reuse zieht der Fischer hinaus, von dem unterthänigen Wasser seinen Tribut zu fordern. So hat er es ererbt von Vergangenheit seinen Vätern und er wird es üben für alle Zeiten. und Gegenwart reichen sich hier die Hände. An den mit Weiden bestandenen Ufern des sumpfigen, schlichten Fischerdorfes schaukelten einst

seiner Ahnen rohgezimmerte Kähne, und wie sie es gehalten, so fährt auch er jetzt wieder zum Fischfang hinaus, aber durch die Wasser¬ straße einer schlummernden, herrlich emporblühenden Kaiserstadt.

Y.

Das berliner „Kräutern". Als

der liebe

Gott

so

freundlich war, unsere schöne Welt zu

schaffen, hatte er schwerlich bereits die einstige Existenz eines

„Fräuleins" in's Auge gefaßt.

eins der jüngsten Erzeugnisse unserer an Kapricen

Das Berliner „Fräulein" hat

Berliner

Diese Gattung von Erdenkindern ist so

überreichen Neuzeit.

noch keine Geschichte aufzuweisen.

Es

ihm daher wie den amerikanischen Städten, beiden fehlt der historische Zauber, was allerdings bei dein Einzelexemplar eine wech¬ selvolle und pikante Vergangenheit nicht ausschließt. Denn bekanntlich hat jeder Mensch einmal seinen Roman. Selbst der Klügste. Und geht

daß diese letzte geistige Mitgift unter den Berliner „Fräuleins" sich bis zum Ueberdruß wiederfände, wird schwerlich Jemand behaupten.

Dafür

begnügen sie sich denn auch selten nur mit einem Roman. Ver¬ trauen erweckende Männer haben mir mehr wie einmal die verblüffende Herzenselasticität dieser Huldgöttinnen auf's Ernsteste versichert. Ich entsinne mich leider nicht mehr, ob Hackländer schon das Berliner „Fräulein" in seinem „Europäischen Sklavcnleben" als schlagendes Beispiel aufgeführt hat. Möglich, daß diese Berufsklasse damals noch in den Windeln lag, es wäre sonst eine der gröbsten Unterlassungs¬ sünden, welche der geschickte Erzähler begangen hätte. Und was ist nun ein Berliner „Fräulein"?

28

Es ist durchaus nicht so leicht, alles das wiederzugeben, was an Begriffen, Eigenschaften und Eigenthümlichkeiten für ein geschultes Berliner Ohr in diesem kleinen schlichten Worte zusammenklingt. Das „Fräulein" ordnet sich in jene Rubrik höherer Dienstboten ein, die am unteren Ende des herrschaftlichen Tisches, inmitten altklug schnatternder Kinder, speisen dürfen, im Winter Kragen und Muff von Skunks, immer aber ein Barett tragen; häufiger lächeln, als sie verantworten können, süße Speisen und noch mehr Bitterkeiten als Nachtisch genießen müssen; mit den lieben Kleinen baden gehen, spazieren wandeln, Schlittschuhe laufen, Croquet und Pferd spielen, sie Mittags aus der Schule, Abends vom Kinderball abholen; welche alle Launen, Chikanen und Excentricitäten der Herrin hinzunehmen gezwungen sind, wofür dann zuweilen das Herz des Hausherrn in überströmender Zärtlichkeit sich

ihnen in unbewachter Stunde offenbart.

Etwas einfacher wird

es schon, die

Rangordnung dieser Benei-

denswerthen festzustellen.

Wie im Reichstag und Landtag, so zeigt sich auch hier eine Fülle von Fraktionsschattirungen, wobei immer eine Farbe in die andere halb hinüberspielt. Ein Berliner „Fräulein" ist also weder eine Gouvernante, noch eine Lehrerin oder eine „Stütze der Haus¬ frau". Sie ist aber auch nicht mit einer Bonne zu vergleichen, welche bekanntlich wieder eine leise Stufe über dem ^Kindermädchen bedeutet. Fraktion „Fräulein" rangirt zwischen „Stütze der Hausfrau" und Bonne. Die Nichtachtung der hochmüthigen, verwöhnten Rangen theilt sie mit beiden. Ihre zuweilen in das Gebiet der Erzieherin hinübergreifende Thätigkeit ist deshalb auch nicht von Belang und Dauer. Dem Gegendruck einer rationellen Perziehung ist sie nicht gewachsen.

Das Berliner „Fräulein" hat, wie

jedes Menschenkind, Tu¬

genden und Untugenden aufzuweisen, zu welch' letzteren noch nicht

ich

durchaus

einmal ihre leicht aufflackernde Empfänglichkeit eines liebe¬

dürstenden Herzens rechnen möchte. Das „Stillleben", welches ihre Mädchenseele in dem herrschaftlichen, meist am Thiergarten gelegenen Hause führt, mag wohl nur zu oft die Sehnsucht nach weicheren Tönen und freundlicheren Blicken wecken. Daß sie dann zu diesem

29 Zweck betn stärkeren Geschlechte den Vorzug giebt, zeugt ebenso von trefflicher Einsicht, natürlicher Begabung, wie einer gereiften Erfahrung,

Frohndienst bei der „gnädigen" Frau ihr Daß aus dem flimmernden Augenspiel hat. eingebracht allmählich darf also nicht Wunder nehmen. wird, bald ein Spiel mit Herzen Das Leben dieser „Fräuleins" gleicht eben einem ewigen Spiele. welche

ein langjähriger

mit Puppen, jetzt mit — Hampelmännern, denn nicht immer schreitet der Geschmack vor. Kaum daß die Schule bis zur vierten Klasse absolvirt war, verpflanzte man das junge Ding Da galt es nun, weiter zu studiren. Hier nach dem Kindergarten.

Als Kinder spielten

sie

lernte die werdende Kindergärtnerin aus Erbsen, Papierstreifen, Wollüberresten, Holzstäbchen und Tuchlappen die künstlichsten und sonder¬ barsten Luxusgegenstände anfertigen, lernte im Sandhaufen Festungen mit Wasserleitungen anlegen, Ringelreihen tanzen, Häschen machen, Versteck und Plumpsack mit den Kleinen spielen, und als die Lehrzeit abgelaufen war, ward die junge Novize mit dem Zeugniß einer schönen Bildungsreise in die große, böse Welt entlassen. Da ging das Spielen denn auf's Neue an.

Frau Commerzienräthin S. brauchte just

so

ein

„Fräulein".

Sie fand Gefallen an dem frischen Blut, er noch mehr, und dem mündlichen Kontrakt folgte bald der Einzug in das prächtige Haus. Welch' eine neue Welt! Das schlichte Lüstrekleidchen begann sich bald zu schämen. Gepreßter Sammet, Spihenjabot und Excelsiorparfüm waren bald alltägliche Dinge. Bei jedem Einkaufe, den die „gnädige" Frau bei Gerson oder Heese unternahm, fiel immer etwas für die junge, Das gehörte zum guten hübsche, anfangs so scheue Begleiterin ab. Ton, den einzigen, welchen das Fräulein auch sonst vernahm. Und welch' eine Veränderung bereits nach einem Jahre! Wer wollte ihr jetzt noch den empfindlichen Mangel an Bildung, die bescheidene, Welch' eine Fa^on, welch' Chic, welch' entzückende Taille! Welch' ein verbindliches Lächeln, wenn Frau Justizräthin M. zum Besuch eintrifft, welch' eine imponireude Verbeu¬ gung, wenn es Sonntags zum Diner bei dem Fabrikbesitzer W. geht! ehrliche Herkunft wohl

ansehen?

Und dann diese immer zwischen nicken, danken,

Jede Hofdame müßte einfach dabei vor Neid bersten. berückende Conversation,

welche sich

30

„Darf ich bitten? — „O, ich — bitte!" „Erlauben Sie?" — „Sie sind außerordentlich gütig." — „Sehr gut!" — „Ha, ha, ha!" — „Ich danke." — — — Ich auch. Das bescheidene Pflänzchen aus dem Fröbel'schen Kinder¬ garten hat sich merkwürdig entwickelt, Bildung macht frei!. Der Hauptstapelplatz der Berliner „Fräuleins" ist der Thier¬ garten. Im Frühling schlagen dort die Nachtigallen, im Sommer lächeln, anbieten, anmuthig abspielt.

plätschern die Fontainen kühlend, der Herbst stimmt elegisch und im Winter lockt die Eisbahn auf der Rousseau-Insel und dem NeueuSee. Im lieben Thiergarten trifft man auch immer etwas Anregendes.

Heute ein Eichhörnchen, morgen einen Chinesen, immer aber Lieute¬ nants und kecke Musensöhne. Und das thut dem Herzen wohl. Nur wenige „Fräuleins" würden gleich Gretchen mit der beschränkten Ant¬

wort herausplatzen: „Bin Denn das

erste

ist

weder Fräulein, weder schön — — " sie,

das zweite

glaubt

sie.

Zuweilen stimmt

auch beides.

Während der vordere Theil des Thiergartens mehr der Tummel¬ platz

für Kindermädchen, Bretzelweiber, Ammen und

stellungslose Hand¬ lungsgehülfen ist, die noch immer auf einen Massentransport nach Kamerun und Augra Pequena hoffen, bildet der weiter hinten gelegene Theil des schönen Parks die Wirkungsstätte für unsere „Fräuleins" und ihre Schutzbefohlenen. Hier stimmt alles mehr zum Träumen, zum Lieben. Stille webt umher, und der Gesang der Vöglein klingt süßer hier,

Grüße aus.

Duft vom Flieder und Faulbaum haucht innigere Hier, wo der Schwan leise seine Kreise über die von

der

tiefhangenden Bäumen umgürteten Seen zieht, >vo der Selbstmörder, die Aeste prüfend, still im Dickicht verschwindet, hier ist gut weilen.

Hart

neben der Bank, wo das „Fräulein", jeden Bormittag zwei Stunden, jeden Nachmittag vier Stunden, sinnend sitzt, führt der Reitweg vorbei, und die schmucken Gardeoffiziere und verwegenen Börsenjunker fliegen im bunten Wechsel vor den Augen der sehnenden Maid dahin. Aber auch was des andern Weges zu Fuß kommt, heißt sie gern willkommen. Da man sie nur selten einmal allein im Thiergarten sitzen sieht, so könnte man sie mit Recht zu den Gesell-

31

Die Kleinen weiß sie inzwischen trefflich zu Editha füttert Schwäne, Felix thürmt aus Sand Termitenhaufen auf und Else, als die verständigste, muß im Gebüsch krampfhaft Eicheln suchen, trotzdem Pfingsten kaum vorüber ist. Fräulein kann doch auch nicht Alles wissen! Als nun aber Else mit schiefem Mäulchen und leeren Händen endlich zurückkehrt, wird sie nach einer ernsten Strafpredigt — Pestalozzi würde sich im Grabe herumdrehen — noch einmal in das schützende Gebüsch gesandt, worauf das abgebrochene Gespräch mit dem hübschen Menschen neben ihr fort¬ Blicke, Seufzer, ein herabgefallener Handschuh, haben es gesetzt wird. eingeleitet, sobald ein Kind jedoch der Bank sich nähert, wandelt sich die Vertraulichkeit in kühle Vornehmheit. Nicht etwa, daß ein jedes „Fräulein" diesem Sport huldigte, es giebt gewiß Ausnahmen, aber mit dem Wort „Fräulein" sind dem Berliner doch die Begriffe Thiergarten und Verhältniß fast unzer¬ trennlich geworden. Letztere wechseln mit den Jahreszeiten oder mit Auch Eintagsfliegen summen wohl daztvischen. Die den Wochen. meisten dieser Mädchen, denen die Sucht nach Putz, Vergnügungen und Männertreue die Sinne nicht umnebelte, kehren nach einer dornen¬ vollen, wenig freudenreichen Zeit in das elterliche Haus zurück oder Manche aber reichen einem Manne zum Lebensbunde ihre Hand. wollen höher hinaus. Und dann geht es von Stufe zu Stufe abwärts. schaftsvögeln zählen. beschäftigen.

Gewöhnlich an dem wohlhabenden und wohlgesinnten Haus¬ herrn vorbei, dessen Name bei keiner öffentlichen Geldsaimnlung fehlt, der mindestens in einem Kuratorium für Wittwen und Waisen sich befindet, der keinem Begräbniß eines nainhasten Mannes fern bleibt, um mit ordengeschmückter Brust den Todten zu ehren, der Minister, Künstler und Gardeoffiziere in seinem Hause empfängt, und dennoch nur — der Mann seiner Frau bleibt. Da hat unser „Fräulein" leichtes Spiel. Der Ronian ihres Lebens beginnt jetzt sich farbenschillerud zu entrollen.

Olga ist

schön,

-

besitzt einen

vortrefflichen Wuchs und dunkle,

Augen. Ehemals mußte sie mit Gusti, dem Söhnchen des Hauses, Pferd spielen; jetzt spielt sie es mit seinem Vater. Die Liebe des „einzigen" Mannes genügt ihr aber auf die Dauer nicht mehr. sprechende

32

Er

ist ja auch zwanzig Jahre älter und hat fuchsrothes Haar. Kein ihr unerfüllt. Sie aber sehnt sich nach einem größeren

Wunsch bleibt

Wirkungskreise, nach der Bühne. Die von dem Hausherrn geför¬ derten intimen Beziehungen der „gnädigen" Frau zu einem Bühnen¬ leiter, begünstigen das Vorhaben. Olga empfängt Unterricht und wird engagirt. Von Talent hat sich zwar keine Spur eingestellt, aber darauf Von jetzt ab wird ihr Name oft kommt es auch gar nicht an. genannt, allerdings nur auf den Abendzctteln und an den Anschlag¬ säulen. Sie giebt Rollen, in denen ihr zwei bis drei Sätze zufallen, immer aber reiche und blendende Toiletten. „Damen aus der Gesell¬ schaft", mit Reitkleid und Gerte, Ballrobe oder Pagenkostüm, spielt sie mit Vorliebe. Dabei wird Champagner getrunken und man läßt sich's auf den Fauteuils wohl sein. Sie amüsirt sich kostbar, das Publikum kümmert sie herzlich wenig. Ihr Kunstmäcen fehlt bei feinem Auftreten ihrerseits, bis es endlich zwischen beiden einmal selbst zli unerquicklichen Austritten kommt und er schließlich eines Tages ganz wegbleibt. Immerzu! Als aber der zweijährige Kontrakt zu Ende ist, hat auch alle Herrlichkeit ein Ende genommen. Die Pforten des Kunsttempels schließen sich für immer hinter Olga. In Berlin ein neues Engagement zu erlangen, ist aussichtslos, in die Provinz Sie schließt zu gehen, davor schaudert ihr ahnungsvolles Gemüth. also mit einem deutschen Theater in einer russischen Hauptstadt Kon¬ trakt ab. Dort, wo jedem Künstler und jeder Künstlerin noch immer die Wege mit Rubelscheinen und Edelsteinen gepflastert iverden, dort wird auch sie ihr Glück sicherlich machen. Es sollen ja noch unglaublich viele Fürsten dort herumlaufen. An den Juchten- und Wutkigeruch hofft sie sich bald zu gewöhnen. So zieht sie dahin. Man hört nie lvieder etwas von ihr. Vielleicht ist sie eine reiche Bojarin oder Tartarenfürstin geworden. Vielleicht aber auch verdorben — gestorben. Ihre Seele war es längst. ,





VI.

Aerliner Luftkünstker. Weder von Seiltänzern, Dachdeckern und Aeronauten ist hier die Rede, noch von den Komikern, die ja auch ihre Gefühlsevolutionen und Gliederverrenknngcn oft mehr im Lampenäther als auf de» welt¬ bedeutenden Brettern ausführen. Aber von unseren Rafael's, von jenen wettergebräunten, selbstlosen Künstlern, die aus ihren schwan¬

Häuserfronten' unserer Straßen auf- und niedertanzen und mit einer unnachahmlichen Grazie Farbeneimer und Mauerpinsel handhaben, um die tiefsinnigsten Ge¬ bilde ihrer Phantasie, den Quadratfuß zu vierzig Pfennig, mit wahr¬ haft elementarer Gewalt an die Mauerflächen pfeifend zu spritzen. — Nicht unsere rothen Sprengwagen, nicht die Sodalisken in den ösfeutlichen Trinkhallen, nicht die immer leerer werdenden Museen können mich überzeugen, daß der Sommer in Berlin eingezogen ist; erst wenn an jedem dritten Hause ein luftiges Gerüst lvieder schaukelt, wenn unsere Nafaele des Morgens kolonnenweise sich an den niederhängenden Seilen zu ihrer schwindelnden Werkstatt emporziehen — dann ist der Sommer da, und eitel Lust und Freude herrscht überall. Wer könnte jemals diese Künstlerlaufbahnen ergründen? Wo sie beginnen, wo sie enden? Es ist just wie mit den Maikäfern. Wenn die Sonne warm und goldig tagelang durch den Wald spazieren kenden

Hängegerüsten

Triiiins.

sommerlaug

an

Vom grünen Strand der Spree.

den

3

34

wird

drinnen plötzlich lebendig, da surrt und burrt es eines Tages an allen Ecken und Enden. So auch hier. Man reibt sich den Winterschlaf aus den Augen, man schlägt sich auf die Brust und kehrt reumüthig zur alten Kunst zurück. Launisches Schicksal, daß so manchen in das Prokrustesbette verhaßter Thätigkeit zwang! Was haben sie alle inzwischen erlebt, wie oft den stolzen Nacken beugen müssen! Dieser hat den Weihnachtsmarkt mit Puppentheatern, Festungen, Hampelmännern während der saison morte beschickt, und als auch dies nicht mehr ging, da legte er sich philosophisch eine weiße Binde um, scheitelte sich das Haar, und ward ein Friedensbote des christ¬ gegangen ist, da

es

lichen Jünglingsvereins, bis endlich der Frühling aller Demuth und Wehmuth ein Ende machte. Jener, dein die Kunst doch schließlich über Alles ging, malte unverdrossen Vorrath der stimmungsvollsten Budikerstillleben: schäumende Weißen, angeschnittene Schinken, Drehrollen, Kaffeetassen und Kuchenkrümel von geradezu verführerischer Leibhaftigkeit, indessen sein Kollege „von's Gerüste" während des Winters seine beiden schönen, großen Hände auf Akkord als Kritiker in den Dienst einer durch körperliche Vorzüge begabten Hofschauspielerin stellte. Das liegt nun alles hinter ihnen. Nordwind, Kohlenstaub und Regengüsse haben reichlich dafür gesorgt, den Häuserfronten das Bedürfniß nach Reinlichkeit aufzu¬ prägen. Da giebt's wieder alle Hände voll zu thun. Da kommen sie schon herangezogen. Der eine hat beschämt den falschen Scheitel vernichtet und den sanft geschwungenen Haarfall zu kunstreichen Locken gebrannt; der andere die aufgesprungenen, kritischen Hände wohlthuend

mit Glycerin gesalbt.

Man

Das

ist

fürwahr ei» vergnügtes Wiedersehen!

sagt, das Lebe» aller Comtoiristen spielt sich im

Mollton

ab, das Dasei» dieses unverwüstlichen Künstlervölkchens kennt solche Rarrenspossen nicht. Dieselben verschossenen Röcke, dieselben Schulden, dieselben langwalleuden Haarinähnen und zerknillten Klappkragen und

— nach

ach!

dieselben Witze.

So trennte man

langer Wintercampagne wieder.

sich,

so

Rafael würde

findet man

sich

seine Freude an

diesen kecken Frohgesellen haben.

Wieviel Gattungen und Spielarten umfaßt nicht diese Zunft! Stuben-, Schilder-, Häusermaler; Spezialisten für alle Gebiete des



35

kleinbürgerlichen Handels nnd Wandels. Kein Dachstübchen zu hoch, keine Kellerhöhle zu tief, ivo nicht die Farbenpracht ihres Pinsels Lust, Heiterkeit, Freude am Schönen verklärend trüge.

Der Berliner Rafael kennt

keine Standesunterschiede, keine Auf¬

vor welcher sein bahnstürinender Genius beschämt Halt machte. Seine Kunst ist international, ist konfessionslos, adelt auch das Un¬ scheinbarste und Häßlichste. Er greift hinein in's volle Menschen¬ leben, und wo er's packt — da läßt er's nicht wieder los. Dieselbe Hand, welche heute mit genialem Uebermuth ein paar entzückende Un¬ aussprechliche auf einen Laubenpfeiler des Mühlendamms zaubert, schreckt nicht zurück, gilt es morgen den Namen eines neugermanischen Kandidaten, am Vorabend der Wahl, an alle Zäune, aus alle Granit¬ platten des Bezirks schablonenmäßig hinzutuschen. Er malt Anker, Weintrauben, Gambrinusbrustbilder, welche den bereits Strauchelnden wie Leuchtthürme nach langem Umherirren magnetisch heranlocken; er malt Spreewasser- und andere Möbelfuhrwerke, mit Hotohüpferden davor und grollendem, wolkenzerrissenem Himmel darüber. Kohlköpfe und florausgeschlagene Särge, Lackstiefel und Gurkenbottiche; Liebe und Haß, Torf und kleingehacktes Holz, Lust und Leid der großen und kleinen Welt: Alles schillert aus seinen Schöpfungen. Die höchsten gabe,

und

niedrigsten Regungen des Menschenherzens, die kühnsten und nothwendigsten Bedürfnisse weiß er mit keuscher Anmuth zu deuten und mit souveräner Gewalt leiht er allem Form und Farbe und Leben. Aber die schönsten Tage sind doch die, wenn er erst »nieder auf dem Gerüste beineschlenkernd hockt, »venu ihm der Wind uin die Ohren

bläst und die Sonne ihm auf die Finger guckt, als »vollte sie den Wackeren ein »venig kontroliren. Da fühlt er sich frei und stolz, da schaut er so mitleidig auf das Drängen und Hasten der tief unter ihm kribbelnden, kleinen Erdenwelt. Melodisch hebt der eine an zu pfeifen,

füllt ein und bald dröhnt zur Verz»veiflui»g sämmtlicher Hausbewohner der neueste Walzer »vie Sphärenmusik aus lichten Höhen. O, diese Herren kennen ihre» Werth. Das malt und pfeift nnd kalauert, m»d »venu der Abend koinint, dann eilt der junge Rafael zu Buchholz in der Frankfurter Straße, um im großen Saale als Franz Moor die Coulissen bald einzureihen, und unter dein donnernden Beider Nachbar

3*

36

fall

„Palette" und „Veilchenduft", den selbstgekauften Lor¬ beerkran; dankend und gerührt in Empfang zu nehmen. Man lache nicht, man blicke hinauf zum Dachfirste, wo die Edlen vollauf beschäftigt sind. Mit welch' hinreißender Bravour der eine jetzt ein Fensterkrenz der fünften Etage in ein gesättiges Maha¬ gonibraun taucht! Der mit dem Spitzbart jagt förmlich mit grotesker der Vereine

Kühnheit und halbfußbreitem Pinsel über die Zwischenwand. Jener versenkt sich liebevoll in die Details der Stuckeinfassung; ein vierter rührt die Farben im Topfe, ein anderer spuckt in kurzen Intervallen boshaft auf den Kopf eines Hundes, der vor einem Milchkarren wuthbellend unten liegt; trifft aber nicht, während der sechste behaglich eine Weiße entkorkt und nun gluckernd den Inhalt in ein großes Glas rinnen läßt. Und diese buntschillernden Gewänder!

Man wird immer

wieder an die reizende Sage erinnert, nach

welcher der liebe Herrgott den kleinen vergessenen Stieglitz einst schmückte.

Als alle Vögel in ihren

frisch gemalten Kleidern sich zum Fortfliegen

der vergessene Stieglitz

bitterlich zu klagen an: allein nur farblos durch die Welt hüpfen?" Das schnitt Leer tvaren die Farbentöpfe, leer schien dem Herrgott tief in's Herz. Er nahm das Doch der Schöpfer wußte Rath. alle Hoffnung. Thierchen freundlich in die Hand und wo immer sich noch ein schwacher Rest in den Farbentöpfchen zeigte, da tupfte er liebevoll auf das Ge¬ fieder des kleinen Supplikanten, der nun fortan in allen Farben froh erglänzte. — Jedes schaukelnde Gerüst ist solch ein Nest von Stieg¬ litzen. Aber heute ist Montag. Blau ist der Himmel, warum soll Der Nachmittag sieht das Gerüst ver¬ es der Tag nicht auch sein? Nur zwei Luftkünstler malen unverdrossen, trotzdem die Sonne ödet. so verlockend lacht und die Bäume des nahen Schmnckplatzes so lieb¬ anschickten,

„Soll

da hob

ich

lich grün herübergrüßen.

Der jüngere pfeift halblaut „Aennchen von Tharau" und träumt dabei so

süß von seiner ersten kleinen Liebe,

die jetzt fleißig stichelt

und schafft und gewiß auch an ihn denkt. Der Aeltere träumt nicht mehr. Er ist längst verheirathet. Wohl nur um ihn zu schonen, hat er den Ring in die Westentasche behutsam versenkt. Die lebens¬ frohen, begehrlichen Augen laufen wie Feuerräder die Fenster auf und ab.

.

37 Noch eine halbe Stunde, dann ist Feierabend, da muß er herunter, Aber da öffnete sich ein Fenster. schon des Kollegen willen. Charlotte, das Stubenkätzchen, ist's, die auf dem großen Aus¬

ziehtische Wäsche legt und nun,

Athemzug frische Luft schöpfen Ein Gespräch ist unvermeidlich. schaftlichen Anstand.

Jetzt ist

ganz

wie von ungefähr, nur einen Seltsam, gerade sein Fenster.

tvill. Es wäre ja sonst gegen allen gesell¬ Er es in fünf Minuten Feierabend.

daran und — ihre Herrschaft ist ausgegangen. Aber der Kollege schnappt jetzt mitten in der Melodie, welche er seil einer halben Stunde pfiff, ab imb zieht die Uhr. Charlotte fühlt sich sehr tvohl. Sie weiß bereits seinen Namen, daß sic hübsch sei, er unverdenkt nicht mehr

heirathet und „Hundekehle" entschieden der plebejischen „Hasenhaide" vorzuziehen sei.

Da

schlägt es vom Thurme der nahen katholischen Kirche in

gemessenen Schlägen

Er hört

voll.

es nicht, sie noch weniger.

Aber der Kollege.

„Sechs Uhr, Feierabend!" jubelt der Besitzer von

„Aennchen

von Tharau".

Charlotte hat sich gerade „Meinetwegen," schallt es zurück. etwas aus dein Fenster gebeugt, um dem hübschen Manne tiefer in die warmen Augen zu schauen, als von der Straße Plötzlich eine giftige, scharfe

Stimme heranfschrillt.

„Hujo, Hujo! Da bin ich!" — Es ist seine Frau, er hat ihr versprochen, Abends noch nach Stralau mit ihr zum Fischessen zu gehen.

Ihm ist's, als

Wie konnte er das auch Unstern zieht herauf.

„Herr Kollege,

eine Riesengräte ihm

säße plötzlich

ich

vergessen.

im Halse.

Sein neuer Stern verbleicht, sein

glaube, Sie werden gewünscht," raunt ihm

-

der Jüngere, seltsam lächelnd, zu.

„Zum Kukuk!

Also auf morgen, süße Charlotte!"

nochmals verstohlen ihre Hand.

„Nanu,

so

eilig, Herr

Er

drückt

"

„Felice notte, Charlotte!" ruft

er leise.

„Wie meinen Sie, Herr Kolbe?" Doch Herr Kolbe hat schon das Gerüst unter Assistenz seines

38 Kollegen in Bewegung

gesetzt

und huscht jetzt

an dem Fenster der

dritten Etage vorüber, zum furchtbaren Entsetzen der dort sitzenden Gattin des Geheimen Registrators Rettig, welche just die Weiße Weste ihres Gemahls zu der bevorstehenden Wahlversammlung in Stand setzt. „Hujo!" tönt es noch einmal spitz herauf. „Komme schon!" giebt knirschend das Echo wieder. Und wäh¬ rend Charlotte nachdenklich Servietten und Handtücher faltet und aufeinanderpackt, saust Herr Kolbe, seines Ringes am Finger wieder sicher, ein erborgtes Lächeln auf der Lippe, die bleiche Furcht im Herzen, immer tiefer und tiefer, „vom Himmel durch die Welt zur Hölle."

--

VII.

HLertin auf der Höerspree. Berliner einer einseitigen Bevorzugung seines platten Landes anklagen luosste, thäte ihm bitter Unrecht. Die Vorliebe für

Wer

den

das feuchte Element durchdringt bereits alle Gesellschafts- nnd Alters¬ klassen. Es giebt in unserer Hauptstadt, um mit Shylock zu reden, „Landratten und Wasserratten, Wasserdiebe und Landdiebe", der Tage¬ diebe gar nicht zu gedenken.

Ward unserer märkischen Landschaft

auch kein gefälliger Wechsel

von steilen Bergen und quellendurchrauschten Thälern verliehen, so empfing sic doch in ihren blauen, schilfumgürteten Seenketten und den launisch verschlungenen Flußarmen eine Fülle stiller, träumerischer Reize nnd zugleich auch ein weites, prächtiges Gebiet zur Entfaltung maritimer Neigungen, heiterer, sonniger Feste, wie einer eigenartigen

getverblichcn Thätigkeit.

Wer mit offenen Augen

den gewaltigen Wandel,

nur in der äußeren Physiognomie der Hauptstadt, sondern auch in der zielbewußten, kraftvollen Selbstbethätigung des Volkes überall zu Tage tritt, beobachtet hat. wird auch mit Staunen heute welcher nicht

das buntbewegliche, geschäftige Treiben beobachten, welches sich vom Frühling an bis tief in den Herbst hinein, auf der blauen Wasser-

Berlin und Köpenick entfaltet. Leipzig's Ruhm, die erste Seestadt des norddeutschen Binnen-

bahn zwischen

40

Berlin überflügelt. Trotz Reichssanitären Schutzinaßregeln hat sich der Sport¬ bacillus auch in das Blut des Berliner Volkes nun heimlich einge¬ nistet und bereits zahllose Opfer gefordert. Der Sport feiert heute landes zu sein,

ist längst durch

gesnndheitsamt und

unheimliche Triumphe.

wirkte sein Wettlauf.

Käpernick lief voran.

Wie eine erlösende That

Alle nur möglichen und unmöglichen Kongresse

Dann folgten Wettrennen von Pferden, Wagen, Velocipeden, Ruder- und Segelbooten; Wett¬ schwimmen, Hungern, Dichten, Trinken, Tauchen; Ring- und Hahnen¬ kämpfe in der Arena und im Reichstag, auf dem Schachbrett oder; grünem Billardtuch. Doch keiner von all' diesen Sportartikeln ist wohl auf besserem Wege, sich die Gunst des Berliner Volkes allmählich immer herzlicher zu erwerben, als der sich auf der Oberspree sommer¬ lang entfaltende Ruder- und Segelsport. Keine von all' diesen zu begannen nun ihren

tollen Wirbeltanz.

Tage tretenden nationalen Kraftbestrebungen bietet aber auch zugleich ein so gewinnendes, malerisches Bild, ganz abgesehen von den Wir¬ kungen auf das Wohlbefinden der Betheiligten, als eben dieser

Sportzweig. Wie weit bei diesen maritimen Bestrebungen Kolonialpolitik und der berückende Traum westafrikanischer Machtherrlichkeit mit einwirken, soll hier nicht weiter untersucht werden. So viel aber steht fest, daß dieses buchtenreiche, allen Chikanen des Windes ausgesetzte Wassergebiet südöstlich von Berlin, für manch' wackeren Berliner die trefflichste Vorschule gewesen ist, die ihm späterhin auf fernem Meere die harte Schule des Seemanns leichter überwinden half. Ruder- und Segelklubs haben ja seit vielen Jahrzehnten schon der Oberspree das charakteristische und belebende Relief geliehen, der großartige Aufschwung und die wachsende Popularität dieser Bestre¬ bungen sind aber erst eine Erscheinung der letzten Jahre, seitdem die Feier der großen Frühlingsregatta bei Grünau durch die Gegenwart des deutschen Kronprinzen und seiner Familie beut Tage erhöhten Glanz und langersehnte Anerkennung gab.

Vielleicht auch, daß diese jugend¬

lichen, kraftfordernden Wettkämpfe der Kronprinzessin manch' freundliche

Erinnerung

des

heimathlichen Themsestrandes wachriefen.

Jedenfalls

41 ist

Berlin

bestrebt,

auf

auch

diesem Gebiete mehr und mehr sein Ge¬

wicht und sein Können in die Wagschaale zu werfen.

Fülle reizvoller Erscheinungen, auf- und abwärts. Nicht umsonst singt der Berliner mit einem leisen Anflug ihm selbst befremdender Wehmuth von seinem „grünen Strand der Spree". Es weht Aber auch

bietet

wirklich wie Poesie um

Fluß, der seinen

sich

welch'

sonst,

malerischer Bilder,

eine

die Oberspree

diese wcidenbestandenen User, über den

blauen

wie ein Ordensband über die grüne Landschaft legt, an

Ufern eine Perlenkette anmuthiger Tavernen, Villen, Biergärten

und Vergnügungslokäle aneinandergereiht zeigend.

Sind

es

auch

Anfangs nur Fabriken,

Bleichen,

Gerbereien,

Wasch- und Badeanstalten, Proviantmagazine und Gasanstalten, welche

uns begleiten, sobald die letzte Brücke hinter uns liegt, breitet sich der Strom heiter vor uns ans, Laub- und Kiefernwaldungen treten heran, Jnselchen schwimmen wie grüne Blätter auf den glitzernden Wellen, Dampfer bahnen sich schnaufend ben Weg, Fischerjollen, Lastkähne, Gondeln und die flinken, schmalen Boote der Ruderklubs kreuzen durcheinander; die Riemen blitzen wasserperlend in der Sonne, die Dampfschiffe läuten, Schifferrufe tönen und Gesang und frohes Menschenwort klingt non Bord zu Lande und in der Ferne ziehen wie Riesenschwäne geschwellte, weiße Segel an der dunklen Kiefern¬ wand vorbei. Droben die lichten Wolken und unten der Sonne lachendes Ebenbild im Wasser. Das alles sind Bilder, die, so oft man

sie auch gesehen habe»

mag, immer den alten, schönen Zauber

ausüben.

Dort drüben

liegt

Stralau mit tveinübersponnenen Lauben,

Landungsstegen und Seglerbuden.

Flaggen

wehen

Taverne

reiht

sich

an Taverne;

von den Dächern und buntbewimpelte Boote liegen

vor Anker, während die Bemannung droben in dem lauschigen Borgarten die Gläser lustig auf das Wohl der Spreenixcn leert. Hoch über den dichten malerischen Baumkronen reckt das uralte Kirchlein des Fischerdorfes seinen schönen, von Schinkel rcnovirten Thurm empor. An den stillen, wasserumspülten Kirchhof daneben grenzt die böse Stralaner Wiese, wo alljährlich am schaukelnd

42 24. August das Grabgeläute des letzten Berliner Volksfestes imnier trauriger ertönt. Gegenüber liegt das anmuthige Treptolv mit seinen reizenden Villen und Kaffeegärten. Gleich dorn an breitet sich der geräumige Magistratsgarten aus, mit stattlichem Gebäude, von dessen säulen¬ getragener Vorhalle

sich

ein entzückendes Panorama aus das bewegte

Strombild erschließt. Seit Menschengedenken finden hier an jeden: Donnerstage im Sommer Militär-Konzerte statt, an welchem Tage denn auch, sobald ein Feuerwerk sich daran schließt, Menschengedenken

regnen

muß.

Wenigstens

haben

es

ebenfalls seit

Tradition wie

Berliner Volkshumor vereint dahin gewirkt, diese unfreundliche Sage entstehen zu lassen. Von allen Orten der Oberspree empfängt Treptow wohl die meisten Gäste seit vielen Jahrzehnten bereits. An den Gärten entlang gleitet nun der Dampfer läutend hin, bis er, sobald die Insel, welche sich vor Treptow ausbreitet, hinter ihm liegt, wieder hinaus auf die freie Wasserbahn schwimmt. Die rothen Häusermassen der städtischen Straf- und Waisenhausanstalten drängen sich drüben am Rummelsburger See protzig und unschön in die freundliche Landschaft hinein. Noch eine Wendung rechts und wir fahren in eine jetzt eingeengte Wasserstraße, die sich in launischen Krümmungen bis nach Köpenick hinzieht. Da schauen schon die beiden „Eierhäuschen", das alte und das neue, unter Pappeln und Weiden hervor. Gegenüber beginnt die dunkle Wühl -Haide und begleitet uns nun bis zu unserm Endziele. Da liegt „Waldschlößchen", eine reizende Taverne; nicht weit davon gegenüber der „Neue Krug", in dessen Fliederbüschen im Frühling die Vögel so süß singen, als wollten sie die Herzen der fromm hier her wallenden Liebespärchen noch schwerer Kolonie „Ostend" steigt jetzt auf; „Sedan" hüben, „Sadowa" machen. drüben. Welche Namen, welcher Klang! Wieviel Erinnerungen werden dabei wieder wach! Und doch, welch' ein Friede wohnt hier! Nur Gott Amor führt hier seine Truppen in's Feld; nur schöne Mädchenaugen sprühen hier Feuer und Verderben und manch' Held ruht Abends ermüdet auf der Wahlstatt dort drüben, wenn die Walzer¬ melodie aus „Nanon" von dein hellerleuchteten Tanzsaal über das Wasser wie lockende Sirenenklänge ziehen. Am rechten Ufer zeigen

43

mit ihren Magazinen, Beamten- und Arbeiterwohnungen, eine Stadt in Duodez¬ format. Wald und Wiesen haben uns verlassen. Ein malerisches Gewirr von rothen Dächern, Fischerbaracken, Pappeln, ausgebreiteten Netzen, Bollwerken und blühenden Gärten Von dem neuen Kirchfesselt unser Auge jetzt auf das Angenehmste. thurm überragt, baut sich vor uns die ehrwürdige Fischerstadt Köpenick auf, die einstige Residenz wendischer Fürsten. Eine lange, weißleuchtende Brücke schwingt sich von einem Ufer zum andern, dahinter aber schaut mit seinen grauen, verwetterten Mauern und der lustigen Ba¬ sich jetzt

weite, imponirende Fabrikanlagen: Spindlersfeld,

lustrade am Dachfirste, das alte historische Schloß Köpenick ernst her¬ vor, an dessen Pforte einst die Weltgeschichte tragisch pochte, als das Kriegsgericht droben in dem reichverzierten Wappensaale zusammentrat, über Katte und dem jungen Kronprinzen „Obristlieutenant Fritz" Recht zu sprechen.

Erinnerung

Doch nur Katte's Haupt fiel auf dem Schaffot. Die ernsten Stunden ist seitdem nicht mehr

aber an jene

von dieser Stätte

Aus dem Jagdschloß ist heute ein Seminar geworden und statt Waidmannsschnurren und dem Klange anstoßender Becher, schallen heute Paul Gerhard's Kirchenlieder durch gewichen.

die Räume.

Rur in

dämmernden Schloßgarten, wo bemooste Sand¬ steinbilder zwischen verwachsenen Boskets träumen, da lebt und webt noch die alte Zeit. Wer da zur Mittagsstunde einmal einsam und dem

still am Ufer weilte, wo der Blick hinaus auf die blaue Fluth des Langen See's und hinüber zu den dunklen Müggelsbcrgen schweift, wenn ringsum alles wie zu schlafen schien, der hat vielleicht ein selt¬ sames Rauschen und Flüstern vernommen, bald im Rohr und Busch, bald wieder über sich in den Wipfeln. Wie eilende Schritte und düstere Schatten huschte es vorüber und Seufzen und Lachen, Stöhnen und Kettengeklirr hallte einher, bis die Schloßuhr mit lauten Schlägen die abgelaufene Mittagsstunde kündete.

In

all'

diesen

Dergnügungsorten zwischen Berlin und Köpenick

sich nun au jedem schönen Sonntage ein gemüthliches, geräusch¬ volles und doch so anspruchloses Treiben, zu bessern jährlichen An¬ wachsen zahlreiche Dampfer, Pferdebahnen, Ring- und Vorortzüge,

entfaltet

44 Kremser, Privatfuhrwerke, wie Wagen aller Art, redlich sich bemüht Aber nicht blos Familien

zeigen, das bestmöglichste dazn beizutragen.

und Liebespaare kommen hier an den Ufern kochen und Liebe zu trinken, während Ruderdas Wasser nnterthänig machen, auch eine nicht der Tagediebe findet man hier an den Ufern

zusammen, Kaffee zu

und Segelklubs sich ungewöhnliche Species

in zahlreichen Exem¬

Jene Zwittergeschöpfe von Narr und Fisch, welche an dem einen Ende einer Angelruthe kleben, während an dein andern ein Wurm niederbaumelt. Theils findet man sie bis zur Hüfte im Wasser

plaren.

Königsbildern, steif und schweigend auf verankerten Flößen oder Kähnen hockend. — Im Lenz, wenn die Störche wiederkehren und der Steuermann überall freundlich anklopft, dann beginnt auch längs der Spreeufer ein neues, munteres Leben sich zu regen. Zwischen den auf's Land gezogenen, umgestülpten Booten tummeln sich all' die dicken und dünnen Seehelden, hemdsärmlig, die weiße Segelmütze etwas nach hinten stehend, theils auch, gleich ägyptischen

geschoben.

Da wird

getheert, gehämmert, das Segelzeug und Takel¬

polirt und ausgeklopft. Frisch und neuerstanden schwimmen dann: Grille, Sphinx, Möve, Libelle, die ganze Schaar leichtbeschwingter Geschwister wieder hinaus ans die Fluth. Dann werden die Tage länger, die Sonne liegt immer wärmer werk geflickt; geputzt,

auf dem Wasser und eines Tages entfaltet

sich

häusern ein ruhiges, geheimnißvolles Treiben.

in den schmucken Klub¬ Der festgesetzte Tag der

großen Ruderregatta rückt ja immer näher.

Allabendlich kehren ganze Bataillone strammer, junger Männer von der heißen Arbeit auf dem Wasser zurück, um über Nacht nach allen Regeln der strengen Bor¬ schrift, welche ihnen die Zeit des Trainirens auferlegt, zu rasten und dann beim Beginne des nächsten Tages auf's Neue die Kräfte draußen zu stählen, bis die Pflicht ihrer Berufsthätigkeit sie in die nahe Haupt¬ stadt zurückführt.

Dann tummelt sich das prächtige, bunte Leben wieder tagüber auf dem blauen Stronie, bis die Sonne tiefer und tiefer rückt, um schließlich hinter dem Dunstschleier der Reichshanptstadt langsam zu versinken, deren Kuppeln und Thürme, von dieser Wasserseite betrachtet, besonders zur Zeit des Sonnenunterganges, ein äußerst stimmungs¬ volles, malerisches Bild gewähren.

45

Segel- und Ruderboote kehren langsam heim, Flöße und Lastvor Anker. Immer stiller wird cs ans dem Wasser und nur an den Usern tönt es noch von frohen Menschenstimmen. Dann schreitet die Nacht über die Fluth. Die rothen und grünen Laternen der Dampfschiffe leuchten ouf und verschwinden wieder. Hier und da läuft ein Lichtschein aus einer Kajüte über die Wellen, die leise flüsternd vorüberziehen, bis der Mond über dem Thurm des Stralauer Kirchleins heraufkommt und nun wie mit funkelndem Silberglanz die dnnken, schweigenden Wellen magisch erhellt. kähne gehen

VIII. Zeitungsnänien. Ein

schmerzlicher

Beitrag zur Geschichte der modernen Berliner Dichtkunst.

Als Uhland einst in überströmender, warmer Dichterkraft sein „Singe, wem Gesang gegeben" in die Welt tönen ließ, da ahnte der kindlich heitere, schwäbische Dichter gewiß nicht, welch' einen lauten Wiederhall seine begeisterten Worte wachrufen könnten. Wohl niemals ist die deutsche Nation einem ihrer Dichter gerechter geworden, niemals wohl hat sie die Forderungen, welche er unbe¬ fangenen Gemüthes an sie stellte,

so pünktlich und mit so wahrhaft verblüffender Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue erfüllt. Es singt heute geradezu Alles. Wer da einmal hineinhorcht in den schönen, deutschen Dichter¬ wald, der wird erschrocken zurückprallen vor diesem tollen Wirrwarr

kreischender und schwindsuchtshüstelnder Stimmen, und es bedarf in der That schon eines feinen Gehörs, um aus diesem Spatzengewäsch den süßen Amselschlag, das sanfte Lied der einsam trauernden Nach¬

tigall

noch zu vernehmen. Die Poesie aber, das scheue Lieblingskind der Götter, sitzt abseits und hält sich, schmerzlich lächelnd, die Ohren zu. Es ist ja allezeit unpassend viel gesungen worden und dem

Sieges- und Triumphzug der einzelnen königlichen Sänger folgte stets

47 das fahrende Volk jener engbrüstigen, langgelockten Dichterlinge, mit ihrem Singsang die Welt mehr erheiternd, als ihnen selbst oft erwünscht war. lind lauschte ihnen auch nicht die große Menge, ragten sie nicht einmal zu jenen Dutzendlyrikern heran, die im buntfarbigen Röcklein, mit Gold verbrämt, in die Boudoirs schöner Seelen alljährlich Ein¬

— so fanden sie doch stets eine liebende, kleine Gemeinde schonnngsvoller Verwandten und Freunde, welche dem unschädlichen Gebühren dieser harmlosen Thoren wohlfeilen Beifall spendeten. Der Großmacht „Presse" blieb es erst vorbehalten, diesen Verkannten ein freundliches Asyl gegen Erlegung der niedrigen Herbergskosten zu bieten und von Stund' an ergießt sich täglich durch die Spalten zug halten,

unserer Zeitungen der laue Gefühlsstrom jener Unglücklichen.

Dichten gehört ja mit zu jenen Kinderkrankheiten, welchen Keiner entfliehen kann und die uns heimtückisch überfallen, wenn wir längst glauben, die Kinderschuhe in den Winkel gestellt zu haben. Wer nicht einmal in seinem Leben ein Verslein verbrochen hat, der sollte die Augen niederschlagen und sich ernsthaft schämen. So lange die Welt sich in den Angeln dreht und der Frühling lieblich den rauhen Winter ablöst, so lange schelmische Mädchenaugen

ihre Pfeile versenden, so lange ist auch schon scandirt und gereimt worden und wird noch rüstig weiter gesündigt werden. Wir haben unsere Quartalsdichter, der Schrecken bang ahnender Redakteure, welche bei jeder Sonnenwende die einlalifenden Manuscriptsendungen mit verzeihlichem

vereideten Festbarden,

Mißtrauen betrachten; wir haben unsere Männer mit wallendem Teutonenbart

deutsche

und dem edlen Brustton hinreißender Begeisterung, nicht zu vergessen jener Pegasusritter, die, als konzessionirte Gelegenheitsdichter, je nach der Höhe des solid beanlagten Preiscourantes, den Gefühlen ihrer

in dem Wechsellaus der Geschicke Ausdruck verleihen. Der werthernde Gymnasiast, dem die volle Jugend auf

Mit¬

menschen

den

Wangen strotzt, seufzt elegisch und lebensmüde nach der nie gekannten Geliebten, selbst die heitere Nähterin reimt einmal ihr Berschen, und sei es auch nur ein schwacher Wiederhall einer Weise, welche ein Leier¬ von der Straße in ihr Dachstübchen hinaufklingen ließ; sie reimt und ist glücklich über dies seltene Ereigniß. Wohin wir auch kasten

48 umsingt und umgaukelt uns überall mit leichten, spielenden Tönen. Ja, die Dichtkunst ist sogar zur dienenden Magd im Reiche der Industrie geworden. Schuh- und Kleidermagazine, Liqueur- und Bonbonsabrikanten, unzählige witzige Köpfe, sie alle locken uns mit ihren bezahlten Sirenenklängen heran und umschmeicheln und blicken und

lauschen, es

bethören schlau unsere Sinne.

Und dennoch, iver wollte den aufdringlichen Dichtungen dieser

von Humor und schnöder Gewinnsucht künstlich Jnspirirten ernsten Widerspruch entgegensetzen? Man geht vorüber, man schüttelt den Kopf und — lacht. Jst's ja doch nur eine lustig und schlau gemeinte

Harmlosigkeit, die nicht ihren Zweck verbirgt und verläugnet, und die uns untvillkürlich deshalb auch entwaffnet und uns ein flüchtiges Lächeln abzwingt. Aber jene Spielart moderner Dichterlinge, deren Nänien wir in den Spalten unserer größeren Zeitungen täglich begegnen, sie ist es, welche einen Jeden mit dem Gefühl des ernsten Unwillens und Abscheus erfüllen muß und ein trauriges Bild von dem Empfindniigs-

Mitbürger entrollt. Klageweiber irren sie, das Thräneuflüschchen in

leben eines Bruchtheils unserer

Wie römische

der Hand, im Auge die geborgte Zähre, einher, mit ihrem Wehgefchrei die

Luft erschütternd.

Ein wahrer Hexeusabbath des Unsinns und Weit entfernt davon, den schmerzlichen Er¬

der erlogenen Schmerzen!

guß einer tief verwundeten Seele zu offenbaren, den Ausdruck eines

dankbaren Gemüthes wiederzuspiegeln, buhlen den

Beifall

sie

nur kokettirend um

der dabei schwer Betroffenen.

Vielleicht, daß auch

sie

wie Tasso den Glauben in

ein Gott gab ihnen die Rede, zu sagen, was sie leide».

sich

nähren,

Was wir Es krampft

aber dabei leiden, darnach fragen diese edlen Dulder nicht. Einem manchmal die Hände zusammen, wenn mau dieses Gemisch Eitelkeit und niedriger Selbstsucht zu Gesicht bekommt. Selbst Scheu Angesichts des Todes habeil sie überwunden. Kaum daß der Todeseilgel von dem Lager fortgeschritten lind dumpfer Schmerz noch auf den Gemüthern lagert, der sich

klage

schon nebenan

für das morgen

und schweißen

die

ist,

nur — da sitzen die mit sauerer Mühe die Todten-

manchmal in halberstickten Thränen Bahn bricht,

Braven

von

erscheinende Tageblättchen zusammen.

49 Mechanisch klappern die Verse auf und nieder, anmuthig schlingt sich

der Name des theueren Entschlafenen von Zeile zu Zeile,

nur

paar Stunden ruhigen Denkens und Sinnens und der geniale Wurf ist gelungen. Und morgen kommt dann der große Tag! Ha, seht nur, wie das Krokodil die Thräne im Auge zerdrückt, als es, handbreiten Flor uin Arm und Hut, frühzeitig das Cafb betritt und die Condolenzbezeugungen zufällig anwesender Bekannten in Empfang nimmt. — Da liegt das Morgenblatt und Beilage vierte Seite — — seine Hand zittert, sein Auge sucht gespannt — da — hier steht sein Werk, sein Name, fett gedruckt, in 20 000 Exemplaren abgezogen — der volle, ganze Triumph eines Dichters. Wie unzählig viele Talente werden ihn heute um diesen Erfolg der ersten Auflage beneiden! Er stiert auf das Blatt, es ist ein Rausch ohne Gleichen! Und nun tritt er die Runde bei Verwandten und Bekannten an. — „Großartig!" tönt es ihm entgegen. Er schüttelt, wenn auch widerstrebend, sein Dulderhaupt. „Sie sind ein Dichter!" — Ein mattes, ungläubiges Lächeln heucheln verschämt seine Züge. Es regnet von allen Seiten Lob und Beifall, daß der Todte sich im Grabe wüthend umdrehen möchte. Von Stund' an hält der Unhold nun heimlich Unischau unter seinen Freunden und Verwandten. Er lechzt, wie ein Vampyr nach dem Herzblut. „Wie geht es Ihnen?" lügt er und meint doch nur: „Leben Sie noch?" — Sein Ruhm ist begründet und mit frommer Scheu schauen die Backfische der Familien zu dem Schwergeprüften empor. Doch auch das Grab hindert ihn nicht, die Todten weiter zu verfolgen. Bei jeder Jahreswende bricht aus seinem vollem Dichter¬ gemüth noch einmal unaufhaltsam der grimme Schmerz, die Zeile zu vierzig Pfennige Jnsertionsgebühren, hervor und strömt in sehnsuchts¬ vollen Klagen das bange Lied des ewigen Scheidens aus. Welch' eine Tiefe der Gedanken! Unfaßbar, unverständlich, wie das große Etwas, das unser Aller harrt, dunkel und rüthselvoll, noch ein

-

hier-dritte

-

gleich dem Land der Schatten,

Mit

in

welches

wir

einstens eingehen.

der Zeit bekommt er llebung:

„Winkende Palmen, lichte Himmelshöhen, kreisende Aeonen und seliges Wiedersehen", spielt er als Haupttrümpfe aus, immer seines Erfolges gewiß. Er arbeitet

Trinius,

Vom grünen Strand der Spree.

4

50

für jeden bereits den Grabgcsang im Voraus und bucht ihn gewissen¬ haft unter den Namen des Betreffenden und immer, wo der Tod ein Leben plötzlich endet, da tönt pünktlich am andern Morgen wie llnkenruf die Todtentlage aus den Zeitungsspalten. Vielleicht, daß auch er einmal einen Denkstein erhält. Narren und Spitzbuben wird es ja geben, so lange die Welt besteht. — Es ist ein trauriger, aber charak¬ teristischer

Zug unserer Zeit, mit lärmenden Geberden

sein bischen

Ich

in den Vordergrund behaglich zu stelle» und die Aufmerksainkeit der Welt auf sich zu lenken. Das Prunken mit falschen Empfindungen, die

überputzte Lüge

ist salonfähiger, wie

je.

Darf

es

daun noch

Wunder nehme», wenn selbst das kindliche Empfinden der Jugend von diesem Fäulungsprozeß ergriffen wird? Es war eine der größten Zeitungen, welche vor nicht langer Zeit den schmerzlichen Ausdruck einer Tochter brachte, gedichtet am Sarge ihres Vaters. Der „Nachruf an meinen theuren Papa!" schloß nach einigen erbarmungswürdigen Strophen mit den gesperrt gedruckten Worten: „Diesen selbst verfertigten Nachruf widmet ihrem unverge߬ " lichen Papa die zwölfjährige A. B. Welch' ein braves, herziges Töchterchen! Also erst zwölf Jahre und dabei Alles so hübsch allein gemacht! Ein nettes Früchtchen! Und nun kommen die Verwandten und hätscheln und streicheln das liebe Kind und rühmen es bis zum Himmel und lassen den Unsinn gewissenlos drucken, anstatt dem Wechselbalg die Ruthe zu verabfolgen, und dann geht der Wisch von Hand zu Hand mib — was Wunder — daß aus sol¬ chem Gemüth dann nicht mehr der Himmel einer frommen Kinderseele lacht. Wenn ehemals ansehnliche Römer zu Grabe geleitet tvurdeu, so schritten nicht allein die berüchtigten Klageweiber hinter der Bahre

-—

einher, sondern cs folgten auch gemiethete Schauspieler, welche mit ihren Possen das gaffende Volk ergötzen sollten. Unsere modernen Zeitungsnänicndichter gleichen Letzteren, nur daß dort Maste war, was hier keiner Verstellung mehr bedarf. Mit Abscheu kann man nur auf ein Treiben blicken, daß sich nicht entblödet, selbst

dort noch um Beifall unwill¬ Ehrerbietung und stillen Theilnahme zwingt.

zu buhlen, wo der erhabene Schmerz die schlichteste Menschenseele

kürlich zur scheuen

IX.

Gin Berliner Wahllokal. Das

Volk ist nun einmal zum Kämpfen geboren. Entweder Sieg an seine Waffen oder und befehdet sich unter einander. Seitdem die Schwerter um so lauter dafür die Wahlschlachten durch die deutschen ist dies nicht immer ein erfreulicher Anblick, und es kommt als müsse sich der deutsche Michel doch recht ernsthaft

deutsche

heftet es auf blutigen Schlachtgefilden den es bekämpft feiern, toben

Es mir oft vor, Lande.

schämen

ob seines Gebahrens. Da sind mir Kanonendonner und Kommandorufe, Trompetenstöße und das Hurrah stürmender Bataillone weit heldenhafter und erhebender, als das Zerrbild, welches jede neue

Wahlschlacht dem unparteiischen Beobachter bietet. Reichshauptstadt.

Besonders in der

Ein Meer von Leidenschaften wogt dann einher und droht Jeden, Sturmes nicht kundig ist, in seinen begehrlichen Schoost hinab

der des

zu ziehen.

Von allen Seiten schallen Heroldsrufe für die heilige Sache Vaterlandes, umschwirren und umgaukeln uns Trugbilder, Lockungen und Listen. Hier starre Reaktion, dort zersetzender Liberalis¬ mus; auf der einen Seite strammes Deutschthum, auf der andern schillernder Kosmopolitismus, dazwischen Racenhaß, Brotneid, Reli¬ gionshader und Petrolenmgeruch. Und so wandelt, bald rechts, bald links, gezogen und gezerrt, des

4*

umworben und umraunt, wie von Erlkönigs lieblichen Töchtern, das liebe, geduldige, brave Stimmvieh einher und müßte tausend Ohren und tausend Augen und mehr als ein Gewissen haben, um all' diesen erhabenen Offenbarungen, jesuitischen Verlogenheiten, hämischen Dolch¬ stichen und brausenden Dithyramben dieses tollen, großen, uferlosen Herensabbaths zu lauschen, zu bewundern und jauchzend Beifall zu klatschen. Deutschland in Waffen! Ja, welch' ein ruhmvoller, edler Wettkampf ist dann jedesmal entbrannt. Wie viel Hochsinn, Wahr¬ heitsliebe, Edelmnth und Unparteilichkeit tummelt sich in der Arena! Schulter an Schulter fechten die Braven und wissen gar gut die Klingen zu führen. Und kämen der Gegner dreifache Anzahl in Steif¬ leinen, an der Unerschrockenheit dieser Helden stumpften alle Waffen ab. Und vor diesem Schauspiele steht das dumme, verwirrte, arme Volk und lauscht mit offenen Augen und Mäulern. Wie eine vom Sturm überraschte Hammelheerde, welche in dem Dunkel der Gewitter¬ nacht den Hirten aus dem Auge verlor. „Die höchsten Güter der Nation stehen auf dem Spiele! Vorwärts!" — Und der ganze Haufe springt mit begeisterter Inbrunst nach der Seite des donnernden Be¬ fehlshabers hinüber. — „Zurück! Wollt Ihr Euch dem Joch der

Es lebe die wahre Freiheit!" Verdutzt hält der Haufe mitten im Lauf inne und ein gut Theil schwenkt daun mit Hurrahrusen zum alten Standpunkt zurück. „Arbeit muß aufhören! Alles wird getheilt: Geld, Weiber, Branntwein!" Unzählig Tausende recken die Hände im tosenden Bei¬ fallssturm dem Volksfreunde hin. Immer toller und verworrener schwillt das Geschrei und Gewieher der Menge endlich an. Freihandel Knechtschaft beugen?

und Monopol, deutsche Eichen, Fortschrittsring, Kyffhäuscr mit Naben¬ gekrächz und Berliner Viehhof, schwirrt es durcheinander.

„Wollt

Ihr

im Kampfe gegen das kalte Kapital unterliegen?" sich die Fäuste in den Hosentaschen. „Nein, noch schlagen warme, deutsche Herzen!" — Hier verliert sich die Stimme des Redners unter dem Schneuzen und Schluchzen der anwesenden

Grimmig ballen

Leidtragenden. blicken

Dort eifert ein wackrer Vater der Stadt: „Mit gerechtem Stolze wir ans das Schulwesen unserer Stadt!" — — Ein ehrliches

Bravo schallt durch

den

Raum.

„Mit

erlaubtem Selbstbewußtsein

53

-Bei

diesem auf unsere Kanalisation, unsere Pumpstationen." — ausschauende, letzten Worte bitten plötzlich ein paar höchst verdächtig reduzirte Individuen um eine vertrauliche Besprechung unter vier Augen. „Nieder mit den Antigermanen!" zittert es dort dräuend einher. Der Saal erbebt in seinen Grundfesten und von dem Sturm der

„nationalen" Begeisterung angefacht, wallt der Talar wie eine schwarze Trauerfahne vom Hochgericht nieder. Und dazwischen regnet es von allen Seiten Fluchblätter-hcrabj Flugblätter bezeichnen die nur ein euphemistischer Druckfehler als konnte; bei derein Lesen jedem deutsch fühlenden Münne die brennende Schamröthe in das Gesicht steigen müßte, vor diesem Ausdruck einer total verrohten und verwilderten Empfindungsweise von Dunkelmän¬ nern, die sich anmaßen, erwählte Stimmführer einer Nation zu sein, welche einst mit vollem Rechte das ideale, edle und tiefsinnige Volk Und auf den Grenzzäunen des neuen Deutschen Reiches sitzen die lieben, artigen Nachbarn und reiben sich vergnügt die Hände imb nicken sich vcrständnißvoll und zufrieden zu des alternden

Europa's hieß.

und deuten mit langen Fingern auf den dummen, unbeholfenen deut¬ schen Michel, der es auch einmal so gut, wie sie, haben tvollte und Achtung rund herum genießen und nun nicht weiß, was er damit anfangen

soll.-

Wieder einmal ist der große Tag gekommen. Die Wahl steht vor der Thür. Dem Borpostengeplänkel und Tirailleurgefechten soll jetzt die Hauptschlacht folge». Spannung in allen Kreisen, auf allen Gesichtern. Verrauscht sind die glänzenden Feste mit Männerchören, Feuerwerk, Freibier, Ball und feurigen Ansprachen, welche die Par¬ teien für ein geringes Entgeld den stimmberechtigten Männern und ihren Damen boten. Verhallt ist das letzte Oratorium der Antisemiten auf des Kreuzbergs Gipfel, wo in sternenklarer Nacht der Schlacht¬ gesang: „Deutschland, Deutschland, über Alles!" aus dreitausend Kehlen wonnetrunken emporbrauste, während drinnen im Saale von Tivoli „Prinz Eugen" inmitten seiner Getreuen das zweischneidige

Schwert gegen Kanzler und Reich blitzend schwang. Die Wandcrprediger aller Parteien sind von ihren Triumphzügen heimgekehrt, zer¬ Merkwürdig! schlagen, total heiser, aber immer gehobener Stimmung. — Drückende Schwüle, wie sie dem Sturm vorangeht, herrscht in

54

Dann bricht der Morgen an. Der Wahltag ist Sämmtliche Morgenzeitungen legen noch einmal ihren Lesern ein brennendes Senfpflaster auf's Herz, und dann geht's los. Hunderte von Wahllokalen werden heute ihre Pforten öffnen, dem Volke nach Recht und Gesetz an der Wahlurne Gelegenheit zu geben, für oder wider das Bestehende seine Stimme zu erheben. Stimm¬ zettel aller Parteien sind in den letzten Tagen einem jeden Bürger in vnL Haus geflogen. Aber auch die letzte Nacht hat man nicht gefeiert. Am Morgen des Wahltages prangt an allen Zäunen, Neubauten, leeren Wänden, ans den Granitplatten der Bürgersteige, wohin man blickt, der schablonenmäprg hingetuschte Name des Kandidaten; die Anschlagsäulen nennen ihn in allen Farben, hinter den Hausthüren ist er auf Zettel angeklebt und an den Hofwohnungen haben Sozialisten den ihrigen mit Kreide überall angeschrieben. Um zehn Uhr ist der Beginn der Wahl festgesetzt. Herolde in altdeutscher Tracht sprengen ans Miethsgäulen die Straßen auf und ab, ans ihren stolzfliegenden Bannern leuchtet der Name des Vater¬ landsretters. Dienstleute, auf der Brust und Rücken mit ellenlangen Affichen austapezirt, tragen in der Rechten eine Schnapsflasche und in der Linken eine hohe Stange mit dem Aushängeschild des geg¬ nerischen Kandidaten, im Interesse der Fortschrittspartei langsam am Rinnstein einherwandelnd. Bassermann'sche Gestalten tauchen auf, ein rothes Schild auf der Brust, mit der Inschrift: „Wählt keinen Juden!" Andere halten mit diabolischem Lächeln und ausdringlicher Vertraulichkeit allerhand Lurnsgegenstände feil, wie die neueste Nummer der „Wahrheit", eine Abhandlung der „Judenfrage", Photographien von Stöcker, Distelkamp und Wagner und anderer Herrlichkeiten mehr. An dem Eingang zu dem Wahllokal stehen ein halbes Dutzend Stimmzettel vertheilcnder Individuen, bereit, jedem Wähler sich unbarm¬

der Hauptstadt. endlich da.

herzig an die Fersen zu heften. Drinnen im Wahllokal herrscht noch jene Andacht und jenes gemessene Schweigen, wie es sich allein für den Ernst der kommenden Dinge ja auch ziemt.

Die durch das „unbegrenzte" Vertrauen ihrer Bezirksgcnossen zur Wahlurne gewählten Männer, haben bereits seit nenn Uhr an der langen Tafel Platz genommen. Es ist ein nach dem Hofe gele¬ gener, kleiner, halbdnnkler Saal eines philiströsen Bierlokals, in dem

55

mit neun ehrenwerthen Bürgern der Straße, Auf¬ stellung gefunden hat. Bis auf einen Nebentisch nebst vier Stühlen

die

für

Tafel,

besetzt

etwa durstige Ehrengäste, sowie dem schmutziggrauen Kachelofen, nur um dieses einen Tages willen

den man schließlich doch nicht gern

einreißen wollte, ist alles hinausgeräumt worden. Seltsame Feierlichkeit lagert über dem Raum und auf den treff¬ lichen Gesichtern der Vertrauensmänner. Was sie eigentlich alle Nenne

hier wollen, bleibt ihnen wohl selbst unerfindlich. der Mitte sitzt, wie es sich ziemt, der König. Vor ihm steigt, braun und bauchig wie eine Bunzlauer Kaffeekanne, die geheim¬ nißvolle Wahlurne ans. Er ist sich dieser Auszeichnung wohl bewußt. seiner Jugend und auch noch lange nachher, besohlte er Stiefel

In

In

und fertigte neue Absätze an, das Paar zu

sechs

gute Groschen.

Jetzt

ist er Schiedsniann, Rentier, Besitzer eines Hauses und zweier Töchter,

führt auf Gummi, trägt einen ausgeschnittenen, englischen Backenbart und heißt nebenbei noch Grimm. Herr Grimm sieht immer furchtbar satt aus. Ein frischgebackener Philologe, der um eine seiner Töchter anhielt, erhielt die sofortige Ausweisungsordre. Der Schiedsniann Er hat sich nicht umsonst Jahrzehnte lang siegte über den Vater. gequält und will höher hinaus. Er hofft für jede Tochter noch einen Lieutenant zu finden. Da wird doch wenigstens bei der Beerdigung dreimal über's Grab geschossen, und ist auch sonst ehrenvoll. Heute wird er die Stimmzettel den Wählern abnehmen und mit seinen fleischigen Händen prüfen, ob auch alles in Ordnung sich befindet. Zwei Beiräthe flankiren seine würdevolle Gestalt. Rechts sitzt der Schweincschlüchtermeister Sonnabend, mit weißer Weste, glührothem Gesicht und einem Verlogne au der massiven gol¬ denen Schuppenkette von der Größe eines Taubeneies. Er ist eben¬

falls Hauswirth, sowie aus naheliegenden Gründen Antisemit. Der linke Assistent des Urnenhüters ist der Modelleur Frucht, geschwätzig wie eine Elster, voll Widerspruch, Fortschrittsmann und ewig auf¬ geregt. Die Wählerliste ist dem Direktor einer Essigfabrik, Herrn anvertraut worden, einem hochaufgeschossenen Herrn, der sich immer in ein Müllergrau kleidet und nebenbei Besitzer einer Gattin ist, die bei jedem Leierkasten in das überschlvänglichste Entzücken geräth. Wenn er spricht, klingt es wie Blasebalg und Wagengerassel. Mit-

Lcsser,

56 glied des Gemeindekirchenraths, bekundet er

seine

Vorliebe

für die

Uhr mit einem Finger die edelsten Tongemälde auf seinem Klavier aus¬ führt. Die Thätigkeit der andern Herren beschränkt sich heute bei dem Wahlakt nur in dem Herumreichen frischgefüllter Tabacksdosen, diskretem Beifallsmurmeln, bedächtigem Kopfwiegen, >vie bald laut, bald leise geführter Kritik. Sonst trinken sie noch Kaffee, Selterwasser, Bier und Grog und rauchen Alle. Der Direktor hat die erste Seite der Wählerliste aufgeschlagen; Rentier Grimm rückt noch einmal die Urne lothrccht in die Mitte der Tafel, dann faltet er die Hände über den Bauch und lehnt sich hinten an. Die nahende große Stunde wirft bereits seltsame Schatten auf Gedämpften Tones wird die die Gemüther der Wackeren voraus. Unterhaltung fortgeführt. Als einer der Herren am unteren Ende des Tisches die Uhr ziehen will, bricht Modelleur Frucht den drückenden Bann. „Noch fünf Minuten, ich habe bereits nachgesehen!" ruft er und bittet dann seinen Nachbar, Rentier Grimm, tausendmal um Verzei¬

schönen Künste dadurch, daß er allabendlich von Halbzehn bis ein

hung, daß er ihn aus Versehen auf das muthmaßliche Hühnerauge wohl getreten habe, besinnt sich aber dann und verbessert seine Rede

dahin, daß ein früherer Schuhmachermeister schwerlich sich selbst solche Bedrückung auferlegt haben dürfte. Und als nun Rentier Grimm jetzt wirklich die Stirn in Falten zieht, da besinnt er sich wieder und entschuldigt sich abermals ob

dieser Auffrischung

unangenehiner Er¬

innerungen.

„Fritz!" ruft Meister Sonnabend,

und reicht dem aufgesprun¬

Thürhüter sein geleertes Glas hin, „man noch een frisches." „Das ist bereits das Vierte," raunt der geheime Kalkulator Meißner seinem Nachbar, den pensionirten Oberlehrer Obein, malitiös zu. ,,'ne nette Perspektive für heute. Ich bin gleich gegen diese ple¬ 'mal 'ne Macht heutzutage, bejische Wahl gewesen, aber Geld ist nun vor der Verstand und Bildung zurücktreten müssen." „Sehr richtig, Verehrtester, die Bildung hat heute allen Werth verloren — allen Werth verloren — allen Werth verloren." Und der Oberlehrer Obeiu nimmt eine Prise lind wackelt weiter mit dem Schopfe. „Schön, Fritzeken!" ruft jetzt der antisemitische Schweineschlächter.

genen

57

Dann wischt er

sich

mit der umgekehrten Hand über die hochgeröthete

Stirn

und darauf über die weiße Weste. „Jotte doch, ist des een Klima hier. Kamerun ist dajejen der reene Eiskeller. Fritzeken, Sie 'mal wieder schlecht jemessen, des muß ick sagen. Meine Herren, haben Sie jlauben jar nich, was so'n Jeschäft, wie das meinige, allens heute

's is aus die Haut zu fahren." verlangt von einem, Der Oberlehrer neigte sein wie ein Sardellensemmel gekämmtes Haupt zu seinem Nachbar hin: „Passen Sie auf, Verehrtester, jetzt kommt der wieder auf die Schweine zu sprechen." „In der Gesellschaft fühlt er sich ja am wohlsten, Herr Pro¬ fessor," anllvortete giftig lächelnd der Kalkulator und griff mit Daumen und Zeigefinger in die dargebotene Dose. Meister Sonnabend that einen kräftigen Zug aus dem frisch¬

gefüllten Glase und fuhr dann weiter fort: „Denn sehen Sie, meine Herren, früher tvar des allen's weit einfacher und vernünftiger. Da jab es keeneu Viehhof nich,

keene Fleischbeschauer

nich, keene Markt¬

polizei »ich, da jing allen's seinen ordentlichen, vernünftigen Jang. Jetzt möchten sie, daß man's jedem Schweine schon- an die Augen

—-

ob es Trichinen hat oder nich. Schwein ist oft klüger als mancher absehe,

Ick

sage

"

Ihnen nur,

so

ein

Rasselnd fuhr der Direktor Lester, welcher bisher die Liste noch

durchblättert hatte, jetzt dazwischen: „Milchhändler Bolze ist irrthümlich hier mit aufgeführt worden; der ist doch vor drei Wochen seiner Frau durchgegangen."

„Ist

seit vorgestern

doch zu sehr an den

Stall

wieder da!"

ruft der Modelleur.

schon gewöhnt.

„War

Nettes Früchtchen!"

„Wissen Sie das genau, Herr Frucht?" Verdutzt blickt der Angeredete ihn an. „Dann würd' ich's doch nicht behaupten."

-

„Entschuldigen Sie, Herr Frucht."

„Bitte!"

„Also, meine Herren," fährt unentwegt Meister Souuabeud fort, das wissenschaftliche Gespräch wieder aufnehmend, „ick behauptete " vorhin, daß so ein Schwein „Meine Herren, es ist zehn Uhr," spricht jetzt der Rentier Grimm. „Die Wahl beginnt. Sammeln wir uns." Bei den letzten

58 Worten blickt er nicht ohne Vorwurf den Schweinepsychologen an. Modelleur Frucht hat ebenfalls seine Taschenuhr gezogen. „Noch drei Minuten, Herr Nachbar, wenn's ertaubt ist." „Ich bedauere sehr, Herr Frucht. Es ist zehn Uhr. Fritz, schieben Sie den Riegel zurück, die Wahl beginnt. Meine Herren, wenn ich bitten darf, auf ihre Posten." „Denn nicht!" Und Frucht setzt sich achselznckcnd nieder. „Es fehlen mindestens noch zwei Sekuiiden." —

In

stummer Erwartung sitzen sämmtliche Vertrauensmänner feierlich da. Eine wohlgeschobene Kugel würde jetzt sicherlich alle Neune über den Haufen werfen. Meister Sonnabend hat beide Arme

weit vor sich auf den Tisch hingelegt und starrt unverwandt nach der Thüre. Eine Viertelstunde mag wohl verflossen sein. Keiner hat gesprochen. Da nahen Schritte über den Hof. „Meine Herren!" ruft Meister Sonnabend, „des is' Nummer eins. Fritzeken, darauf noch een frisches. Des fünfte." Der Wähler, ein blonder Jüngling, tritt herein. Als er aber die tiefe

Stille

doch etwas

und leere Oede des

wie Verlegenheit,

lichem Morgengrust,

und nieder schweifen,

Saals

bemerkt, überkommt es ihn

und zögernd naht er

sich

mit freund¬

indem seine Blicke halb unsicher die Tafel auf der Wahlurne,

auf deren Oeffnung Rentier Hand gelegt hat. „Ihr Name und Wohnung?" frägt er. Der Gefragte antwortet. Der Assistent zur Rechten wiederholt die Antwort, giebt sie weiter, bis der Dritte sie endlich dem Direktor mit der Liste wiederholt. „Schon längst gehört," knarrt der letztere, „bin doch nicht ohrenleideud. Man nur nicht solche Fisematenten. Stimmt übrigens." „Stimmt! — Stimmt! — Stimmt!" — geht's die Reihe ent¬

Grimm

schützend jetzt die reichberingte

lang zurück.

Ihnen!"

Rentier Grimm, nimmt den gefalteten Zettel und versenkt ihn in die Wahlurne. Kaum ist der erste Wahl¬ gast aus der Thür verschwunden, als sich auch der Urnenmann erhebt und höflich zu dem Direktor spricht: „Verehrter Herr Kollege, die Sache verlangt nun einmal diese Form. Diese Herren sitzen doch nicht umsonst hier. Jeder hat sein Amt."

„Ich

danke

sagt

\

59

„Wie Sie meinen, Herr Grimm!" rasselt es vom Tischende herauf. diesem Augenblick tritt der zweite Wähler herein. „Ihr Name und Wohnung?" Mit dröhnender Stimme ant¬ wortet der stämmige Geselle. Wieder geht die Meldung von Mund zu Mund. Als der letzte Vertrauensinann sie dem Direktor zuraunt, schreit dieser nicht ohne Spott: „Etwas lauter, wenn ich bitten darf. Wie sagten Sie? Schön,

In

Ich werde nachsehen, ob es stimmt. Richtig, Stimmt!" „Stimmt! — Stimmt! — Stimmt! — "

danke!

da steht er.

Wieder ein Dankeswort, der Zettel verschwindet in der Urne und der Geselle in der Thür. Nicht ohne Wohlbehagen hat Meister Sonnabend dem Hinausgehenden nachgeschaut. Nun ruft er: „Meine Herren, haben Sie den Kerl sich anjesehen? Wat? Een nettes Schulterblatt, 'ne wahre Lust, so wat" „Art läßt nicht von Art. Der Schlächter verläugnet sich doch keinen Augenblick," flüstert Oberlehrer Obein seinem Nachbar zu, und führt dann eine frische Prise zu den behaglich winkenden Nasen¬ flügeln empor. Ein untersetzter, gutmüthig dreinschauender Mann tritt jetzt an den Wahltisch. „Ihr Name und Wohnung?" „Nanu, so fremd, Herr Jrimm? Kennen Sie mir nicht?" „Ihr Name und Wohnung? Darf ich bitten?" „Freilich dürfen Sie bitten? Ich heiße Leder und wohne 18. Na, da brat' mir einer 'ne» Storch!" Inzwischen ist die Meldung bis zur Liste gelaugt. „Bedauere, is »ich, wohnt nich! Hier steht nur ein Lederer," rasselt der Direktor der Essigfabrik herüber. „Sie heißen Lederer," polterte er dann den Deliguenten an. „Ich muß es doch am besten wissen, wie ich heiße," eutgegnete dieser verblüfft. Heiße schon seit meiner Jugend Leder." „Heißen Sic gern Leder?" Der Modelleur konnte sich unmög¬

M.straße

lich diesen Witz versage».

„Ich muß

doch sehr

bitten, meine Herren," ruft jetzt der König

der Tafelrunde.

t

60

„Dann

sind Sie also von der Wahl vorläufig ausgeschlossen, wirklicher Name nicht festgestellt ist," sagt mit feierlichem Hohne der Direktor der Essigfabrik. „Mir ist allens recht, dann leiste ich hiermit Verzicht auf mein Wahlrecht, wenn Sie sich aus meiner Stimme nichts machen. Heiße nun einmal Leder. N' Morrn!" — — Länger kann der Kalkulator Meißner nicht mehr an sich halten. so

lange

Ihr

„Meine Herren, unser verehrter Herr Grimm wird doch Leder kennen? Verstehen Sie mich recht, ich meine nur, da er doch Haus¬ wirth dieses bis auf seinen Namen sonst unbescholtenen Mannes seit Jahren ist." Ein stilles Bravo geht durch den Saal. Obein knufft den Redner selig lächelnd in die Seite lind pfeift einmal über das andere mit seiner Fistelstimme: „Brillant, brillant! Jetzt ist der Schuster vom Stengelchen gefallen. Ach, ach, ach! Das überlebe ich nicht!" Grimm hat sich erhoben. Der satte Gesichtsausdruck hat einem tiefen Unwillen Platz gemacht. Jndignirt sagt er: „Ich läugne durch¬ aus nicht, daß dieser Herr — Herr —" „Leder!" ergänzt der Wähler. „Leder — Leder heißt und in meinem Hause wohnt. Ich hielt es nur unschicklich für das Ansehen und die Achtung dieser Versamm¬ lung, einen augenscheinlichen Fehler der Liste öffentlich einer Rüge zu unterziehen." Nach diesen: längsten Satze seines Lebens setzt er sich, tief aufathmend, wieder nieder. „Also, ich darf jetzt wählen? Na, dann bitte!" Der Zettel verschwindet und ein halbunterdrückter Dank wird hörbar. Damit ist der ernste Zwischenfall erledigt. Herr Leder macht eine respektvolle Verbeugung gegen seinen Hauswirth und verläßt den Saal. Alles versucht wieder gleichgültig dreinzuschauen. Oberlehrer

Obein aber flüstert seinem Vertrauensmann heimlich zu: „Verehrtestcr, wir können uns gratuliren, daß wir uns unseres Standes nicht zu schämen brauchen — brauchen — he, he, he! —

Was?

Dixi!"

Tropfenweise geht jetzt die Wahl weiter. Mal einer, auch zwei, zuweilen auch zwei Freunde, die einen Dritten mit liebender Gewalt zur Wahlurne schleifen. Was jetzt wählt, sind Handwerker, Lehrer,

61

Beamte, Rentiers und Kaufleute. Erst als die Mittagsstunde gekommen ist, bricht es in hellen, breiten Fluthen herein. Der Saal vermag kaum die Arbeiterwogen zu fassen. Aufgeregte, hämische, muthblitzende, verächtlich ausblickende, bleiche und hungrige Gesichter drängen sich um die Urne. Zettel auf Zettel verschwindet, und immer neue Schaaren

in's Feld. Die Vertrauensmänner haben schon längst das Signalisiren von Mund zu Mund aufgegeben, ebenso der desperate Essigfabrikdirektor seine rachsüchtige Taubheit. Zug um Zug geht's jetzt, zwei Stunden lang. Dann wird's wieder still. Die Haupt¬ arbeit des Tages ist gethan. Was jetzt noch kommt, sind Nachzügler, Träumer, in letzter Stunde noch Angeworbene. Oberlehrer Obein Modelleur Frucht hat sich im Laufe des sieht aus, als schliefe er. mehrmals eingebildet, Tages noch seinen Nachbar, Rentier Grimm, rücken

getreten zu haben,

und dann

jedesmal

wegen

dieser vermeintlichen

Fußtritte entschuldigt, wodurch er immer wieder auf's Neue unan¬ genehme Erinnerungen in der Seele des Mannes weckte und dann Meister auch nicht vergaß, dafür ebenso um Entschuldigung zu bitten. Sonnabend aber hat sich mit dem bissigen Kalkulator, ob einer lieb¬ losen Bemerkung desselben, gründlich ausgesprochen, worauf ihm dieser

Als darauf Sonnabend erklärte, das könne ihm alles nur „Wurscht" sein, erhob sich Rentier Grimm und bat die Herren, doch freundlichst bei der Sache bleiben zu ivollen, worauf nun wieder Kalkulator Meißner boshaft bemerkte, Herr Sonnabend wäre trotz seiner weißen Weste und pomadisirten Scheitelallee ganz bei seiner Sache geblieben. Was aber seine, des Herrn Sonnabend, Wurst anbelange, so ivolle er sich, als gebildeter Mann, streng jedes Urtheils enthalten. Hier setzte sich der Kalkulator und brach in ein eigenthümliches Gelächter ans, das verzweifelte Aehnlichkeit mit Pferdegewieher hatte, und in welches mit dem Modelleur Frucht noch vier Herren einstimmten, während Obein mit nicht enden wollenden Beisallssalven und eingestreuten lateinischen Randglossen sein geistiges Uebcrgcwicht proklamirte. Das alles schlug natürlich nun dem Faß den Boden aus. Meister Sonnabend erklärte endlich, roth lvie ein gesottener Krebs, daß er von vornherein gegen die Aufnahme mittelloser Ungebildeter gewesen die Kundschaft absagte.

62 wäre, und nur seine Humanität hätte ihm schließlich Schweigen auf¬ Er halte es ebenso unter seiner Würde, auf das Latein eines

erlegt.

Mannes zu antworten, bei dem sein „janz nach ihm jeschlachtener Junge" auch nicht für einen Pfifferling gelernt hätte. Für solche Bil¬ dung danke er, die „wäre nicht für'n Dreier Schmalz werth". Als er dann wieder auf sein Lieblingsthema von den Schweinen eingehen wollte,

bat endlich Rentier Grimm im Namen

des

deutschen

Reiches, des

deutschen Volkes und der deutschen Sache,

man möge doch nicht ver¬ gessen, welche Erwartungen das ganze Land an diese Stunde knüpfe. Seine Rede ward denn auch vom schönsten Erfolge gekrönt. Alle Neune setzten sich beschämt nieder und schwiegen. Um sechs Uhr sollte die Wahl zu Ende sein. Bereits um fünf Uhr waren vier Wetten über das Wahlergebniß abgeschlossen. Als dann von dem nahen katholischen Kirchthurm sechs volle Schläge durch den Abend klangen, und alle neun Taschenuhren, bis auf die des Mo¬ delleurs Frucht, welche natürlich wieder drei Minuten nachhinkte, ebenfalls auf sechs Uhr zeigten, erhob sich der Rentier Grimm und sprach mit feierlichem Ernste: „Fritz, schieben Sie den Riegel vor, die Wahl ist zu Ende." — Doch kaum war dies geschehen, als von draußen Jemand kräftig auf die Thürklinke schlug.

„Ein Wähler!"

schrie Meister Sonnabend. „Wollen wir ihn Fragend schaute er die Tafel ans und ab. „Es ist sechs Uhr, die Wahl ist ans!" sagte ruhig Rentier Grimm. „Nach meiner Uhr fehlen noch zwei Sekunden!" rief aufgeregt

noch einlassen?"

der Modelleur,

„wir

müssen

entschieden

dem

Mann

noch sein

Recht

gewähren."

Herr Frucht, aber die Wahl ist geschlossen." murmelte Obein. „Denn nicht!" und brummend ließ sich Herr Frucht auf seinen Sorgenstuhl wieder nieder. Die Wahl ivar und blieb geschlossen. Dreimal zählte man die Stimmzettel durch, merzte, was ungültig war, ans und trug dann das Wahlergebniß in fliegender Eile zu der Eeiitralsammelstelle, von wo zwei Stunden später die Extrablätter durch ganz Berlin die Siege

„Ich

bedauere lebhaft,

„Dixi!"

63 und Niederlagen der aufgestellten Kandidaten gespannten Bevölkerung verkündeten. Als der Bote mit dem Wahlergebniß den erhob sich der Rentier Grimm und sprach:

der

erwartungsvoll

Saal

verlassen hatte,

-

Es drängt mich, che wir auseinander gehen, Ihnen noch meinen wärmsten Dank anszusprechen, für Ihre ebenso mühevolle, zeitraubende wie Vertrauen fordernde Arbeit, der Sie sich er schien alle in so uneigennütziger Weise und — eh — und

„Meine Herren!

nicht mitzukommen.

Hilfreich fiel der Modelleur ein: „schöner Eintracht" — Es war „ — und schöner Eintracht unterzogen haben. Wohl das Ihnen für mit Freude, mir ebenso viel Ehre als nochmals Sie unseres Vaterlandes arbeiten zu dürfen. Empfangen meinen Dank, im Namen unseres Bezirksvereins wie des deutschen Reiches."

— — —

Meister Sonnabend saß, die Hände über der weißen Weste gefaltet, sinnend da. Der Appell an sein patriotisches Herz betvegte ihn sichtlich. Als die mit Ernst und Würde vorgetragene Rede beendet war, erhob er sein Glas, es war das sschszehnte bereits, und rief, indem er sich bald rechts, bald links gerührt und thränenfeucht wandte: „Hoch! Hoch! lind nochmals Hoch!" Er schien noch viel mehr ans dem Herzen zn haben, doch als er sah, daß die anderen sich bereits zum Abschied die Hände schüttelten, und Fritz soeben dem Rentier

Grimm den schweren Pelz über die Schultern legte, da unterdrückte er, was seine Seele schwellte und begann mit dem Kellner abzurechnen. „Fritzeken," sagte er wohlwollend, „hier sind noch fünf Pfennige extra,

an

ansehen."

solchem

Tage soll man nich' jeden

Fröschen sich

jenau



Und Fritz dankte mit ergebenem Lächeln, bis Meister Sonnabend die Thür hinter sich zugeworfen hatte. Dann spuckte er aus und sagte trocken:

„Alter Filz!" — —

Zwei Häuser von dem Wahllokal stand im Scheine einer Gas¬ laterne noch der Kalkulator Meißner, dem die Eignere ausgegangen >var, mit dem Oberlehrer Obein, und versuchte trotz des scharfen Ost¬ windes Feuer zu fangen. „Ein amüsanter Tag heute, was?" sprach er endlich und blies

64 zwei Dampfwölkchen aus der Nase.

„Ich

gottvoll amüsirt." „Bildung, Bildung, Verehrtester! mich,

wenigstens

eine

habe mich lange nicht so

Weiter fehlt nichts.

gleichgesinnte Seele

Es freut

in Ihnen gefunden zu

haben." Und Obein begann, während Beide jetzt die Straße hin¬ unterschritten, halblaut vor sich hin zu trällern: „Gaudeamus igitur Juvenes dum sumus —

su-u-mus-su-u-mus



Ja, ja, Verehrtester, das waren damals schöne Zeiten, sehr schöne An der nächsten Zeiten. Kommen nie wieder — nie wieder." Straßenecke

reichte

er

dem

„Gute Nacht, Aber nicht zehn Pferde

Kalkulator die Hand.

Hat mich recht sehr gefreut. bringen mich wieder an diesen Wahltisch. Einmal und nicht wieder. He, he, he! Na, gute Nacht, gute Nacht!" — Knarrend schloß sich hinter ihm die Hausthür. „Alter Narr!" murmelte der Kalkulator Meißner, „dabei tvar es jetzt das sechste Mal, daß er sich hat vom Bezirksverein hinein¬ wählen lassen. Was sich doch eigentlich solch' ein sitzengebliebener Oberlehrer alles einbildet! Als ob wir Beamten nicht Preußen groß

Herr Nachbar!

hätten!" — — — Und mit selbstbewußter Haltung bog er

gemacht

und schritt dann die Seitenstraße weiter.

jetzt

um das Haus

X.

Kochsommerfreuden. Jene sengende Jahreszeit, wo die liebe Sonne die Eier im Sande und die Enten in den Köpfen unserer Reporter gewissenhaft

ausbrütet, gehört unstreitig mit zu den charakteristischsten Epochen unseres residenzlichcn Lebens, wenngleich auch ihre Werthschätzung nicht überall einstimmig anerkannt wird. Die Einen merken's am Kalender oder der gute Ton schreibt es ihnen vor, daß es Zeit ist krank zu werden, und sie flüchten sich hinaus in die Bäder. Die Anderen reden von argen Schattenseiten der Residenz während des Hochsommers und fliehen in die Wälder, um dort — Schatten zu suchen.

Es ist ja ein eigenes Ding um solch' einen Hochsommer in der Hauptstadt! Das Kampfgetümmel auf den Zinnen der Parteien ist verhallt, die Wogen politischen Lebens haben sich

für einige Zeit geglättet; nur

in den Spalten der Zeitungen rauscht es noch immer und zwischen den Wellen erhebt jetzt die unsterbliche Seeschlange wieder dräuend

ihr Haupt und

peitscht das Wasser mit ihrem

gewaltigen Schwänze,

um dann in der bösen Tiefe zu verschwinden. Das ist die Zeit, wo die Fenster ganzer Häuserfronten sich verhängt zeigen; wo Rosen und Nelken in den Knopflöchern wuchern und die amtlichen Fleischbeschauer

auf den öffentlichen Märkten ihre Treibjagden auf die ahnungslosen, lebensfrohen Trichinen eröffnen.

Trinius,

Vom grünen Strand der Spree.

5

66

Da

ist die Sodaliske aus ihrem Winterschlafe erwacht und kre¬

denzt mit huldvollem Lächeln,

links süß, rechts sauer, Selters- und

Sodawasser, mit Himbecr- oder Citronensaft vermählt. Da ist über den Dienstmann eine stille Verachtung gegen alle Destillationen gekommen; statt drinnen,

hockt er

jetzt draußen an der Thüre

schweren: Haupte, die Flasche Feuerwasser

im Kittel verborgen.

mit

Da

haben die Theater ihre Rollen mit dem guten Publikum der Wintersaison getauscht und gähnen

Die Langeweile

uns

jetzt an

in öder

Leere.

Ach, Alles gähnt!

scheint obligatorisch eingeführt zu sein.

Nur eine Menschenklasse gähnt nicht; nur eine Gattung glück¬ licher Sterblicher trinkt in vollen Zügen die Freude des Hochsommers der Residenz. Unsere Berliner Strohwittwer! Sie reden nicht von Schattenseiten;

sie sehen

nur Licht überall, Licht, das

sie fast

blendet;

Freiheit, die fast berauscht.

Die Gattin, die theure, ist gestern Abend mit dem Nachtzuge und seinem Segen iu's Gebirge gedampft. Schwere Stunde des Ab¬ Aber wie ein Manu hat er's getragen. Er hat nur ein von trostloser Einsamkeit und verdoppelter Thätigkeit gesprochen und ihr dann jedesmal die Hand sanft gedrückt. Dann aber stumm vor sich hingestarrt. Erst das dritte Läuten weckte ihn aus seiner beängstigenden Lethargie. „Leb' wohl! Schreibe bald!" Ein Kuß, daun noch ein letzter Händedruck — und hinaus in die Nacht fuhr der Stern seines Lebens. Armer Mann! Wer wird Dir nun die Rosen iu's irdische schieds!

paar

Mal

Leben flechten?

Aber als der Zug endlich die Wartehalle verlassen hatte und nur noch von weitem die rothen Lichter wie Abschiedsgrüße winkten, da hat er sich auf dem Absatz herumgedreht und ist trällernd die

Freitreppe hinabgestiegen. — Am andern Morgen steht er „Unter den Linden" vor dem RiesenThermometer von Petitpierre. Das Hütchen sitzt etwas keck auf dem linken Ohr; die eine Hand steckt in der Hosentasche, während die andere ein spanisches Röhrchen herausfordernd und elegant in der Luft schwingt. Im Knopfloch duftet eine dunkle Rose. Der Thermometer zeigt bereits 26" im Schatten. Aber sein Herz noch mehr.



Da trifft ihn sich

67



ein leichter Schlag auf die Schulter.

Er

dreht

um.

„Ah, guten Morgen, alter Freund! Was fuhrt Sie denn hierher?" Der Angeredete, ein wohlbeleibter Vierziger mit frisch gewichsten Bartspitzen, erwidert mit breitem Lächeln freudestrahlend: „„Herr Gott, meine liebe Frau ist „Wie? Ihre auch? — Na. da soll doch gleich —." Bewegt

ja-""

und verständnißvoll schütteln

„„Acht Tage bereits,""

sie sich die

Hände.

schmunzelt der Dicke.

„Beneidenswerther Mensch!" Und Arm in Arm schlendern sie nun die Promenade auf und nieder, bis sie endlich im Caftz Bauer sich dicht am Eingang an einem Marmortischchen niederlassen, um von hier aus die weiblichen Passanten einer Desilir-Cour zu unterwerfen. Fortan sieht sie jeder Tag vereint. Alle zwei bis drei Tage schicken Beide ein etwas melancholisch angehauchtes Lebenszeichen an ihre Gattinnen, bitten sie aber jedesmal dringend und mit warmen Herzenstöuen, sich nicht durch eine zu frühe Rückkehr der unausbleiblichen Ge¬ fahr etwaiger ansbrechender Epidemien hier in der Residenz auszusetzen. „So schwer es mir wird, Dich zu missen," schreibt eines Mor¬ gens Hoppe, der Dicke, an sein Ehegemahl und wischt sich dabei von seinem

Antlitz den Schweiß, denn der Tag ist wieder heiß, — „so will

ich. doch lieber allen persönlichen Bequemlichkeiten entsagen,

wenn



Dich nur gesichert weiß." Dann eilt er, denn es ist die höchste Zeit, in einen Austern¬ keller hinab, tvo gerade bei seinein Eintritt Freund Hellmuth Knopf, zwischen einigen Weinflaschen und Freundinnen, das Lied von der Auster mit zersprungener aber wohlgemeinter Stimme intonirt. ich

sie

„Aha, da ist er ja!" tönt es ihm lachend entgegen. Sein Leidensgenosse hat ihm ein Glas voll geschenkt. Dann stoßen alle ans sein Wohl an. — So kommen und gehen die Tage. Heute pendeln die Beiden unter den lichtstrahlenden Laubgängen

Kroll auf und ab und lauschen den süßen Tönen, welche zauber¬ haft durch die tveichc Sommernacht ziehen, morgen kutschiren sie hinaus in die „Reue Welt" oder den „Sperl", des Lebens ungemischte Freude in farbenreichen und bewegten Bildern sorglos zu genießen. bei

5*

68

Als Männer von Würde und Ernst halten sie fleißig Einsprach im „Franziskaner", „Augustiner" und „Prälaten", was sie aber durchaus nicht hindert, der hübschen Schützenliesl zuweilen etwas tiefer in die Hellen, braunen Augen zu schauen.

Ihre

harmlose, sinnige Verehrung

für

Natur

die

macht sich

überall kund.

„Belle-Alliance"-Theatergarten wie in der „Flora" nicke» die Blumen aus den Gebüschen vertrauensvoll zu und bereits ihnen lächeln wunderbar. Die ganze Welt dünkt ihnen ein ungeheurer Kur¬

Im

ort.

Goldne, Merken

schöne sie

Zeit!

Blätter von

nicht, daß bereits die ersten falben

Bäumen niederwehen? Da trifft eines Morgens eine Postkarte bei ein. Sein Freund hat mit Tinte einen schwarzen und inmitten dieser Umrahmung stehen nur die mich morgen Nachmittag 5 Uhr bei Bauer. Dein

den

Hoppe, dem Dicken,

Rand herumgezogen

Worte:

„Erwarte

unglücklicher Freund

Hellmuth Knopf." Strömen gießt der Regen nieder. Dennoch hält Hoppe Wort. Schlag 5 Uhr betritt er das ihm wohlbekannte Eaftz. Sein Freund sitzt bereits bei einem Gläschen Wermuth und bemüht sich bei

In

aus seiner Niedergeschlagenheit etwas aufzurichten. „Meine Tage sind gezählt, Hoppe! Ich habe nichts mehr zu hoffen." Der Unglückliche flüstert es und fällt in das grüne Sammet¬ polster zurück. „„Hast Du Dich denn erkältet, Mensch?"" forscht der Dicke. Der Ernst der letzten Wochen hat sie näher einander gebracht. Sie

seinem

Eintritt,

sich

dutzen sich jetzt.

Matt Tropfen

lächelnd erwidert der Gefragte,

aus dem Glase gesogen:

nachdem

er die letzten

„Hoppe! Hoppe!

Und scheint die Sonne noch so schön Am Ende muß sie untergehn."

„„Aber, Mensch!"" fährt der Dicke auf, morgen das schönste

risch!""

Wetter wieder haben.

Und Hoppe bestellt pasteten und einen Eognac.

sich

Du

eine Tasse

„„wir

können

ja

bist wahrhaftig när¬

Bouillon, drei

Fleisch¬

69

„Für

mich giebt's keine Rettung mehr," haucht der Andere und

blickt wie verloren in das Gewühl der Straße.

„Oh! oh! oh!" —

Ahnungsvoll schlägt ihm der Pastetenmann auf

„„Ich will

doch nicht hoffen, daß

etwa Deine

die Knie.

liebe-""

Hellmuth Knopf nickt schmerzlich. „Ob sie kommt! Gewiß — morgen Abend — Friedrichroda!

Oh! oh! oh!" Er vergräbt sein Antlitz in beide Hände. „Und ich war doch so glücklich!" fährt er fort. „Wie oft, noch vorgestern habe ich ihr geschrieben, daß die Cholera noch immer in Toulon und Marseille ihre Opfer täglich fordert. Alles vergeblich! Morgen Abend! Stückwerk, Stückwerk ist das ganze Dasein!" — Hoppe hat sich

sich

inzwischen wieder einmal satt gegessen und wischt

nun zufrieden den Mund. „„Schade,"" sagt er, „„ich hatte gerade für morgen Abend ein

hübsches Plünchen ausgeheckt.

Schade, man

wird Dich

sehr vermissen.

Ra, komm'! Begleite mich eine Strecke nach Hause. Die frische Luft wird Dir gut thun."" — Willenlos folgt ihm der Schwergeprüfte. Aber das Hütchen Auch sitzt jetzt dem Hellmuth Knopf nicht mehr keck auf einer Seite. die Rose im Knopfloch ist entblättert — wie sein Hoffen. Als sie an der Hausthür des Freundes angelangt sind, taucht der Portier aus seiner Kellerhöhle herauf. „Herr Hoppe," ruft er, „soeben ist eine Depesche für Sie abge¬

-

worden."

geben

„„Aha!""

sagt Hoppe,

für morgen Abend. Hellmuth!"" spieler

„„das ist die Zusage von dem Klavier¬ Das wird lustig werden, mein armer

Und der Dicke erbricht die Oblate und überfliegt den Inhalt. er die Arme wie vernichtet sinken und sagt mit halb¬

Dann läßt erloschener

Stimme:

„„Auf trifft

Wiedersehen im nächsten Hochsommer! ein!"" — —

schon heute Abend

Meine liebe Frau

XI.

Berlin

und seine Kalenhaide.

Der schlagfertige, ewig witzelnde Berliner Volksmund behauptet von altersher, daß in Stralau die Eierkuchen stets nur auf einer Seite gebacken werden. Dasselbe gilt von der Hasenhaide. Hier wie dort Einseitigkeit hinsichtlich der Häuseranlage der einzigen Straße, hier wie dort eine betäubende Vielseitigkeit von Genüssen leiblicher und unterhaltender Art. Diese Fülle seltsamer Schaustellungen und Volks¬ belustigungen, welche fast das ganze Jahr hindurch die Hasenhaide zum Tummelplatz einer vieltausendköpfigen Menge machen, sieht Stralau allerdings nur während der Hochfluth seiner Fischzugsfesttage auf der Kirchwiese sich entfalten, dafür aber besitzt das uralte Fischerdorf in schon

seiner malerischen Lage am Ufer der sich hier seenartig weitenden Spree

Vorzug landschaftlicher Schönheit und Anziehungskraft. Der Dfame Hasenhaide hat heute nicht mehr den Klang, wie ehedem, und es mag scheinen, als seien die Tage des sich hier burlesk den

entfaltenden Lebens nur noch knapp bemessen, seitdem ihr Ruf durch ihre Verrufenheit überflügelt wurde und sich zugleich mehr und mehr der Wunsch der Anwohner geltend macht, das Waldgebiet in einen öffentlichen Park umzuwandeln.

Dennoch

hat

sich

vordem niemals

71

in all'

Diergärten und zwischen den Bäumen ein bun¬ darüber hinaus, die ganze Pionierstraße entlang, wo ehemals Kartoffelstauden und magerer Hafer ein schüchternes Dasein fristeten, ist in den letzten Jahren ein Wald von bewimpelten Mastbäumen, Thürmen, Triumph¬ bogen emporgeschossen und hat sich dazwischen eine Kleinstadt von Ba¬ racken, Kunsttempeln, Zelten, Lauben, phantastischen Holzbauten, Wig¬ wams, Thespiskarren, Arenen, Käfigen und luftigen Ateliers ent¬ wickelt. Doch trotz dieses Emporwucherns von Kunststätten niederster Gattung, welche fast wie ein Anachronismus in unsere nach Geschmacks¬ veredelung und Vervollkommnung strebende Zeit hineinragen, trotz alledem ist die Bedeutung der Hasenhaide, wie dieselbe solche noch vor den Schenken,

teres, verwirrendercs Leben, als heute, entwickelt, selbst noch

einem Jahrzehnt

in

den

Augen besonnener

und

gesinnuugstüchtiger

Kleinbürger und Beamten besaß, unwiderruflich dahin und unsere modernen Verkehrsmittel haben noch mehr dazu beigetragen, die Fluth ozonbedürftiger Menschenkinder nach allen Richtungen der Windrose abzulenken.

1811 durch Jahn mag seiner Zeit der Hasenhaide eine gewisse nationale Bedeutung verliehen haben, welche dadurch noch einen glänzenderen Ausdruck fand, seitdem,

Die Gründung

des

ersten Turnplatzes

von Enke's Meisterhand geschaffen, die knorrige, reckenhaftige Erz¬ gestalt des Turnvaters unter den Wipfeln ehrwürdiger Eichen ernst herüberschaut. den Angen der Berliner jedoch lag die Anziehungs¬ kraft ans einem ganz anderen Gebiete. Die Hasenhaide ward ihnen allmählich ein Paradies irdischer Freuden und Genüsse, das willig den Tausenden Einlaß bot, die hier in harmloser Weise sich aus den

In

Hügeln und Waldplätzen in Gesellschaftsspielen gefielen oder, sich zwischen den zahllosen ambulanten Schenktischen tummelnd, fleißig den feilgebotenen Nationalgerichten zusprachen, bis sich endlich alles zu den Klängen der Harmonikas und der Triangel auf dem glatten Kiefernadelbodcn paarweise im fröhlichen Reigen wiegte. Hier lvard „des Volkes wahrer Himmel"; hier sind seit Menschen¬ altern die erbittertsten Kämpfe zwischen „mir" und „mich" ausgefochteu worden; hier auch fanden sich Geheimraths Guste mit ihrem Köck nach vorangegangenem Briefwechsel zusammen, um nun selbander, moosbedeckten

72

Hand in Hand, sich zivischen den Büschen zu verlieren. Aus den Staats- und Miethskasernen drängte es sich allsonntäglich in Hellen Schaaren von Soldaten und munteren Dirnen hinaus, als wäre ein Massenaufgebot an sämmtliche Tanzbeine beider Armeen ergangen. Ebenso Gesellen, Lehrbuben, Schiffer, Glücks- und Strauchritter, welche die Sehnsucht nach Ungebundenheit, nach Tanz, Bier und Händeln

Sorte" hinauslockte. Und nicht zum letzten fehlten „Behrliner", der mit „Muttern" und sämmtlichen altklugen „Jören", vom ältesten bis zur Milchflasche, heiteren Muthes zu „Mutter Jrün" pilgerte. Bor allem aber ward „von der

besten

jene prächtigen Gestalten des echten

Kultstüttc des bekannten „Familien-Kaffeekochens". Noch heute prangt an allen Zäunen, Giebeln und Thoren der zahl¬ reichen Gärten und Bierhäuser diese vertrauliche Aufforderung. Die die Hasenhaide die

Wochentage waren es hauptsächlich, welche das Gepräge dieses friedlichen Wirkens trugen. Die breiten Schichten wohlanständiger Bürger und

Subalternen feierten hier ihre Zusammenkünfte. Da wanderte die Kaffeekanne, gefolgt von Bergen aus Streuselkuchen und Zwieback, in gefälliger Monotonie die Tische auf und nieder, da klap¬ perten emsig die Stricknadeln au den nicht endenivollendeu Strümpfen, und während drüben in der angrenzenden Haide das junge Volk, der Freiheit froh, mit Sang und Spiel sich ergötzte, rieb der geheime Kalkulator mit dem wirklich geheimen Registrator die fleischigen Daumen um die Wette über der halbaufgeknöpften Weste und Beide fuhren nur zuweilen aus ihrer schönen Beschäftigung empor, tucim ein fideler Leichenzug auf der Rückfahrt in den Garten unsanft einbrach, um beim frischen Schoppen dem Schmerz um den zu Grabe getragenen Bekannten angemessenen Ausdruck zu verleihen. Das waren Zeiten, wo der Name Hasenhaide jedem Berliner Kinde eine Welt voll Sonnenschein und Kieferduft, Kaffee und Kuchen heraufbeschwor. Die Aristokratie hat niemals ihre Karte in diesem Paradiese bauchige

abgegeben.

Noch ein anderes regelmäßig wiederkehrendes Ereigniß war es, welches die Hasenhaide zum Schauplatz eines echten Volksfestes machte:

und Herbst stattfindenden Pferdewettrennen bei Nicht ohne Wehmuth möchte man heute fragen: wo sind

Die ini Frühling Tempelhof.

73

Das Mottenfest in Lichtenberg? Das Fliegenfest in Pankow? Selbst das ehrwürdige Fest des Stralauer Fischzuges, dem ehemals der gesammte Hof beiwohnte, seitdem 1780 Prinz Ferdinand aus Friedrichsfelde alljährlich herüberkam, um mit seinem Hofstaate daran Theil zu nehmen, und elf Jahre später der Herzog von Aork mit seiner Braut, der Prinzessin Friederike, der Tochter Friedrich Wilhelm's II., auf prächtiger Galeere, am Steuer berühmten und gefeierten Seehelden Sir William den einst so Sidney, die Spree heraufgeschwommen kam — dieses alte Fest unsere Volksfeste geblieben?

wäre ebenfalls schon sang- und klanglos zu Grabe getragen, wenn nicht vor einigen Jahren rührige Federn und lokalpatriotische Herzen Denn ein Scheinleben es wieder zu flüchtigem Leben erweckt hätten. Berlins Heranwachsen eilige führt. das Das immerhin, es bleibt es untersten der zu einer Weltstadt, die immer regere Theilnahme selbst Volksschichten au allen politisch - sozialen Fragen, nicht zum Geringsten die ironisirende

Ueberlegenheit des

Berliners gegenüber der liebens¬

würdige» Gemüthlichkeit des Wieners — all' dies steht der Erhaltung wahrhaft volksthümlicher Feste, wie eine unbeugsame Nothwendigkeit, hindernd entgegen. Das Pferderennen zwischen Tempelhof und bcm Südrande der Hasenhaide war noch ein Volksfest und um manche Nasenlänge popu¬ lärer als das aristokratisch angehauchte Unternehmen jetzt in Hoppegarteu und Charlottcnburg. Alt und Jung, Groß und Klein, mit Lebensmitteln reich beladen, zog damals in langen Reihen durch den tiefen Sand der Hasenhaide, bis man oben am Saum des Gehölzes keuchend anlangte. Ob auch der Regen in Strömen troff oder die

Sonne glühende Strahlen herabsandte: Witz- und Stichworte flogen hin und her, die Flaschen kreisten, und tapfer und unentwegt harrte man in Gruppen gelagert, bis das Signal zum Beginn des Festes hcrüberscholl und drüben von der bewimpelten Tribüne her unter schmetternden Fanfaren und dem Jauchzen der Menge die ersten Thiere im mächtigem Fluge über die Bahn einherrasten. Da war Mühe, Warten,- Ungemach vergessen; blitzartig hoben sich alle Köpfe, die Kinder nahm man auf den Arm und die Frauen hoben sich auf den Zehen empor, um über die Schultern ihrer uugalantcn Eheherren dem

74 aufregenden Schauspiele zu folgen. Wenn sich dann die Tribünen ent¬ leert hatten, die Rennbahn still und verlassen dalag, lagerte das mun¬ tere Völkchen, das nicht geladen und doch so vollzählig mit Herz und

Hand erschienen war, noch lange am Waldessäume, bis die Schatten glücklichen Zaungäste zur Heimkehr mahnten. Doch auch dem Naturfreund bot ehedem das kleine Waldgebiet

des Abends nach und nach auch die letzten der

Hinter diesen stillen, hohen Kiefern lag das verworrene Geräusch, der Druck der engen Gassen der Haupt¬ stadt weit ab; frei schweifte der Blick über die Felder hier oben, bis zu den fernen Kirchthürmen, von welchen das Geläute der Glocken in den Sonntagsmorgen sanft Hineinklang. Leise flimmerte die Luft, feierlich rauschten die Bäume über den einsamen Stegen und der Pirol, der goldene, nordische Wundervogel, flog von Zweig zu Zweig und der Hasenhaide Herzerfreuendes.

ließ melodisch den kurzen

Ruf ertönen.

Dort

hebt es

sich

seltsam

hinter den braunen Kiefernstämmen hervor. Halbmonde leuchten in den Morgen: wir stehen vor einem kleinen, umfriedeten, mit fremd¬ artigen Zeichen geschmückten Platz. Durch eine hohe Pforte blicken wir in einen stillen Garten, über dessen rothe Mauern die Sonnen¬ strahlen Verstecken spielen. Es ist der Türkenkirchhof. Nicht weit davon liegt wieder ein Garten der Todten, ein mauerumzogener, weiter Raum, mit Inschrift, Kapelle und Kreuz. Da ruhen die Heldenleiber jener Edlen, die bei Großbeeren und Dennewitz im Kampfe gegen Napoleon I. Haus und Leben ließen. Wie weltvergessen liegt Alles da. Sinnend gleitet der Blick über die Gräberreihen und verliert sich endlich zurück zu jenen gewaltigen Tagen, wo ferner Kanonendonner der ängstlich aufhorchenden Hauptstadt verkündete, daß nur wenige Meilen davon deutsche Männer welschen Uebermuth züchtigten und die preußische Landwehr zum ersten Male »apoleonischen Spott verstummen Lange blieb der einsame Kirchhof ohne jeden äußeren Schutz, bis endlich die Kämpfer von 1813, 14 und 15 aus ihren eigenen machte.

Mitteln

dieser Heldenstätte eine würdige Gestaltung gaben und zugleich

die Kapelle erbauen ließen, in

tvelchcr an jedem 6. September eine

Erinnerungsfeier abgehalten tverden sollte. Wenn man am Waldessaum bis zu den

mit Windmühlen

75 gekrönten Rollbergen, bett letzten Ausläufern des Teltow'schen Hoch¬

plateaus, zurückschrcitet, so blickt mau auf das mächtig sich hinlagernde Nixdorf. Tief unten, hart au der Bergwand, wo heute zwischen Kiosken, Boskets, Tempeln und Bierhallen ein kleiner See freundlich heraufleuchtet, !var ehemals ein Tummelplatz der Jugend. Unter alten, malerisch verstreuten Bäumen, dichten Hagebutten- und wilden

für Wiesel und Eidechsen ein willkommener Schlupfwinkel, sog die jugendliche Phantasie frische Nahrung zu Spielen und Träumen. Hier wurde botauisirt, hier verschanzte man sich gegen räuberische Ueberfälle, hier zogen all' die jungen Robinson's hinaus, die verabredete Ankunft von Kirschheckeu, welche sich die steilen Hügellehnen einporzogen,

„Freitag" und „Sonnabend"

zu erwarten. Dies alles ist längst ent¬ Eines Tages wurden die Bäume gefällt, Farren und Hecken ausgerodet und statt des dämmernden Waldschattens brütete die heiße Sonne auf dem dürren Sandboden. Brauereianlagen, Tanzund Bierpaläste entstanden; die Bergbrauerei war geschaffen. Wieder gingen Jahre in's Land. Wo ehedem kindliche Phantasie uitd Sehn¬ sucht sich in die fernen Lianen- und Palmeuwälder fortgeträumt hatte, erwuchs jetzt in sonderbarer Ironie die „Nette Welt". Jetzt werden dort an Soinmerabenden unter Kauouendonuer, Janitscharenmusik und aufzischenden Feuergarben die Schlachten von Waterloo und BelleAlliance vor der Berliner Halbwelt geschlagen und im strahlenden Bril¬ lantfeuer schreitet Blondin, der Held des Niagara, unter dem Jubel der Menge über das schwindelerregende, hohe Thurmseil. Bezeichnet die „Neue Welt" den einen Ausgangspunkt der Hasenheide, wo dieselbe in die Hauptstraße von Rixdorf übergeht, so bildet jenseits die Kunsttetnpelstadt in der Pionierstraße den sonder¬ barsten Anschluß, welchen je eine Weltstadt in so enger Nachbarschaft sah. Man glattbt sich thatsächlich auf den Schützenplatz oder Jahr¬ markt einer Provinzialstadt versetzt und muß mit verzeihlichein Staunen schauen, ivie der sonst so verwöhnte, überbildete, ironische Berliner sich um die Bretterbuden in dichten Schaaren drängt, um opferwillig und gläubig.die geforderten Landesmünzen für die albernsten Schwindeleien

schwunden.

tmd Erbärmlichkeiten zu vergeuden. Welche Fülle fremdartigster

Bilder und Gestalten!

Welch'

76 ohrenzerreißendes, verworrenes

Hier krachen die Büchsen in

Gewirr von

unbeschreiblichen Tönen!

den Schießbuden,

dort heulen hungrige

Bestien hinter flatternden Leinwandwänden; dazwischen Trompetenstöße, Rollen der Glücksräder, Trommelwirbel, Läuten und Rufen heiserer Budenbesitzer, Papageien, Kastagnetten, Leierkästen, Schlachtweisen

bemalter Wilden, Kraftmesserschläge, Harmonika's, kreischendes Frauen¬

Gläserklirren, Kindergeschrei — ein toller Hexensabbath. Marketendcrkarren und Wursthändlern saust die Pferdebahn An den vorüber und die Gäule schütteln beim Anblick der dampfenden Knob¬ lauchswürste mit verzeihlichem Grauen die klugen Köpfe und hasten gelächter,

in verdoppelter Eile weiter. Hier lockt ein bewimpelter Cirkus, dessen verblühte Schönen in verwaschenen Trikots und stiefmütterlich kurzen Röckchen soeben unter Trompetengeschmetter mit traurig frechem Lächeln hinter dem neidisch verhüllenden Thürvorhang verschwinden; dort baut sich ein Welttheater auf mit einer Galerie wilder Nationalitäten, sowie preisgekrönter weiblicher Schönheiten, deren Konterfei auf riesigen Leinwandflächen prangen in Rubens'scher Fülle und Farbengluth. Schaukeln aller

Art wiegen sich mit ihren lärmenden Insassen in der Luft; dressirte Hasen, Tauben, Flöhe, Affen und Kanarienvögel treiben ihr Unwesen, Karoussels, ein- und zweistöckig, mit Schiffen, Pferden, Schlitten, roth¬ gepolsterten Fauteuils, kreisen um die Wette; hier wird das Heroskop gestellt und dort das leibliche Gewicht attestirt; Centauren und Nereiden sonnen sich in einem Bottich auf dem Rücken eines sentimental drein¬ glotzenden

einem Kiosk

verfällt

Motive aus erster Hand. In Sonnambule jede Viertelstunde in einen

Böcklin'sche

Seehundes,

eine

tiefe» Schlaf, der mit der Größe des Geldstückes zuweilen unheimliche

Kinder mit Korn¬ Streich¬ Nasenbrillen, blumen entweder Südens, des hölzern oder auch ein sonnverbrannter Sohn buntgefärbte Gummiballons in der Lust balancircnd oder in schlechten Gipsabgüssen die Heroen unserer klassischen Litteraturperiode mit liebens¬

Wirkung annehmen soll. und

Dazwischen schieben

Resedasträußchen,

sich

Pfeifenspitzcn,

würdiger Aufdringlichkeit feilbietend. Immer neue Gestalten, andere Farben! Wie viel Uebermuth, sprühende Lebenslust und Leichtsinn und Verworfenheit mischt und drängt sich hier durcheinander.

Paar vor

hinter dem sich terrassen¬ Die Schöne hält förmig mehrere Reihen Blumentöpfe bereits eine blühende Balsamine im Arm; doch immer wieder lacht sie ihren schwerttragenden Ritter schelmisch an und deutet dabei auf

Da

steht ein

dem Glücksrade,

anfbanen.

ihr eigen die schließlich wird wissen. immer deutlicher hervortretende Anspielung durch die Blume unbequem; Daneben steht ein er wendet sich ab, und achselzuckend folgt sie ihm. lustiges Atelier. Der Manu kennt seine Leute. „Nur herein, junge Frau!" ruft er augenzwinkernd. „Jedes Bild nur fünf Minuten, ein schwindsüchtiges Myrthenstöckchen.

Sic

möchte es so gern

Und dem braven, starkknochigen Pommer

großartig schön, treffend, billig!" Lisette schielt zu ihrem Helden hin¬ auf; dann nöthigt händereibend der Künstler das Paar in seine Werk¬ statt. Da werden sie nun zusammenstehen, sie mit der Balsamine im Arm, er mit dem Mißmuth auf dem viereckigen Gesichte und dem Vorwurf im Herzen. Die Sonne bringt es au den Tag! Das Eselwettrennen ist vorüber. Ein Haufen Berliner Lehrjungen strömt ans der Arena. Nun schlottern sie im Konsirmationsrock, den Hut im Genick, „den Ziehjarren" zwischen den Zähnen, von Bude zu Bude

Tiefer sinkt der Abend. Hier und da beginnen einzelne Lichter wie Glühwürmchen aufzuleuchten. Immer neue Karawanen aus der Hasenhaide zurückkehrender Sonntagszügler mischen sich in das Gewühl. „Bamba Hungorillo, der König der Wüste", hat heute weiter.

übermenschlich zu thun.

Das Brüllen

seiner Schlachtrufe, das Toben

seiner heimathlichen Gebete dröhnt mit dem Gestampf der wuchtigen Keule schaurig über den Platz. Und immer frische lebendige Kaninchen

zerreißt der Edle vor den Augen der erregten Menge, deren Augen staunend an den Kinnbacken des Monarchen hängen. Unweit davon ist soeben der Leierkasten verstummt, die Becken hören ans zu rasen.

Ein zerlumpter Kerl, rothnäsig, das Gesicht von Lastern zerrissen, ver¬ kündet mit heiserer Stimme, daß „Esmeralda, die Blume des Westens", „Sie ist sich sogleich in ihrer ganzen Verzweiflung produziren wird. hinab, „nur Menge lauschende athemlos wahnsinnig!" schreit er in die den Ver¬ Zeit der Anblick ihres geliebten Kindes giebt ihr für kurze stand wieder. Sobald der Schrei ertönt," ruft er, „hat sie ihr Kind erkannt."

78

Er

weist auf ein elendes,

in bunte Flicken gehülltes, verschmink-

„Nur herein, die Vorstellung beginnt tes Wesen, es ist „das Kind". sofort," donnert er noch einmal hinaus. „Der Eintritt kostet nur 20 Pfennige, Kinder und Militär ohne Charge zahlen die Hälfte!" Noch immer zaudert die Menge. Da schreitet „das Kind" zum Vor¬ hang, welcher den Jnnenraum verhüllt, tiefes Schweigen tritt ein — bis plötzlich ein gellender Schrei ertönt. Sie hat das Kind erkannt. Becken, Trommel und Leierkasten fallen ein und der rothnäsige Herold droben springt mit bösem Lächeln zur Seite, die nun hinaufstürmende Schaar in die Bude einzulassen. Noch ein paar Stunden, dann beginnen Gärten und Buden sich langsam zu entleeren. Immer stiller wird es zwischen den Zelten und Schautempeln. Musik und Lärm verstummt ringsum. Die dressirten Thiere lassen müde und unwillig die Köpfe sinken; der „König der Wüste" wischt sich zufrieden das Kaninchenblut aus dem Herrscher¬ antlitz lind auch Esmeralda's Bewußtsein ihres ganzen verlogenen Elends kehrt wieder zurück. Stumm liegt die Budenwelt da, stumm und dunkel auch die Hasenhaide. Nur drüben aus den Tanzsäälen dringt zuweilen der Takt eines Walzers herüber und hinter den erleuch¬ teten Fensterscheiben gleiten Schatten wirbelnder Paare vorüber. Aus dem Walde hallt es manchmal wie flüsternde Stimmen und unheim¬ liche, scheue Gestalten huschen über den Weg und verlieren sich im

Dunkel der Nacht. Unten von der Straße herauf, wo bis vor kurzer Zeit noch die Freude herrschte, hallt jetzt immer deutlicher sich näherndes Pferde¬ Das Moildlicht, welches durch die Wolken bricht und getrappel. zwischen den hohen Stämmen hell niederrieselt, fällt auf eine lange Reihe in Mäntel gehüllter bewaffneter Reiter, deren blanke Pickel¬ hauben sekundenlang aufblitzen. Langsam und vorsichtig nähern sie Nun machen sie Halt und flüsternd wird Ordre sich dem Walde. und Kommando gegeben. Dann vertheilt sich der Trupp, bis endlich Noch der letzte Reiter zwischen den Bäumen entschwunden ist. frohen die Paare. hinter den drüben Scheiben sich immer schwingen Wie bitterer Hohn mischt sich in das Rauschen der Bäume die Tanzmusik.

79

Was ist

menschliches Glück?

vernehmlich über uns.

Schatten und Schein! rauscht

es

Die dort drüben tanzen und lachen, als wollten

das Glück mit beiden Händen sich erjagen, ahnen nicht, daß auch drinnen im Walde jetzt eine traurige Jagd beginnt auf Geschöpfe, welche Schande und Laster für immer zusammengeschmiedet haben und die unter Thränen und Flüchen den anbrechenden Morgen verwünschen sie

werden.

XII.

Die Iischerörücke. Die Fischerbrücke bildet die uralte Uferstraße nordöstlich Insel Kölln an der Spree und zieht sich, wie männiglich bekannt Non

der

Jnselbrücke

ich gestehe es selbst

interessant und vor

bis

hinunter

zum

Mühlendamm.

der ist,

Sie ist,

ein, nicht eigentlich schön zu nennen, aber sie ist allen Dingen ehrwürdig. Fischer und Schiffer

haben von jeher hier gesessen, und die Jahrhunderte haben nichts daran

geändert.

Die

ersten Gotteshäuser waren

St. Petrus und St. Nikolaus geweiht Thürme auf dies Stückchen Alt-Berlin

den

und

beiden Schutzpatronen noch

heute

blicken die

hernieder, das, von beiden Spreearmen liebend umfangen, so unverfälscht und eigenartig inmitten

sich verjüngenden Residenz liegt, gemieden, ja mißachtet. „Der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe" schreiten die Meisten hastig. darüber hin und athmen erst iviedcr auf, wenn die enge Straße mit ihren verräucherten, schmalen Häusern und steilen Stiegen weit hinter ihnen liegt. Aber wie uns ein Antlitz immer lieber erscheint, je länger wir es betrachten, wie ivir beginnen, aus den Falten und Furchen eine Lebensgeschichte uns allmählich herauszulesen, so ist es mir, der ich sie täglich passirte, ergangen. Und so sei es mir vergönnt, die wechselnden Eindrücke, Ivelche ich im Laufe der Jahre von ihr empfangen habe, hier wiederzugeben. Einzig für Berlin und eminent

der

81

malerisch ist das

Bild,

welches sich uns von der Jnselbrücke aus bietet,

im heiteren Sonnenglanz oder im Dämmerlicht der Nacht. Ein Stück Holland, mit dein ganzen Zauber des Kleinbürgerthums, breitet sich zu beiden Seiten der Spree-Arme aus. Jedes Haus hinter deni sei cs

Bollwerk ist nur eine Baracke, und

doch, wenn

Himmel und Wasser blau

aufleuchten, das bunte, bewegliche Leben an den Ufern, in den Kähnen sich entfaltet, wie malerisch und schön in der Gesammtwirkung! Drü¬ ben rechts schaut der leblose

Rumpf der Waisenkirche hervor, nicht

tveit davon lacht vergnügt und schwatzhaft der Thurm der Parochial-

Er trägt 37 und wenn die Luft still ist, bleibt tvobl Mancher stehen und lauscht den Klängen, die allstünd¬ lich über das Wasser sanft herüberwehen. Am Ausgang der Jnsel¬ brücke rechts zieht sich ein Gärtlein am Ufer entlang. Hollunder und kirche über die zahllosen sich

Glocken,

abstufenden Ziegeldächer.

ein Geschenk Friedrich Wilhelm

I.,

Bocksdorn nicken über das verrostete Eisengitter, und dahinter glühen Feuerlilien in stiller Pracht. Mitten unter ihnen steht ein prächtiger Kastanienbaum, weithin seine schattenden Zweige über die blaue Fläche streckend. Er trägt das erste Grün im Jahr und wenn der Mai naht, dann zündet er seine hellen Blüthenkerzen an, und die Schwalben kreisen singend um ihren alten Liebling. Zu seinem Schatten kommen die Sonntagsangler gezogen und rammen die Boote unter ihm zu ernster Arbeit fest.

Von hier nun senkt sich die Fischerbrücke allmäh¬ die linke Seite ist durchweg mit Häusern besetzt. Zur Rechten stehen am Ansang ein paar Lagereien, dann kommt der Fischmarkt, ein Pfahlbau, und nun tritt die Spree heran, bis wir den Mühlendamm erreichen. Auf dieser Seite zieht sich oberhalb des Fahr.wegs ein schmaler Saumpfad für Fußgänger entlang, so schmal, daß lich abwärts.

Nur

Wohl selbst zwei pcnsionirte Landschulmeister nicht ohne Lebensgefahr könnten vereint lustwandeln. An ein Ausweichen ist- nicht zu denken und es ist köstlich, wenn zwei Gegner, sich mit den Augen schon von Weitem messend, hier begegnen, wenn das verlegene Hüsteln und höf¬

in ein Murren, Achselzucken übergeht, um mit einem fluchenden zur Seite springen zu enden. Viel breiter ist's ja drüben auch nicht, aber der Berliner ist gewandt und geschmeidig, und so stießt der Verkehr ungehemmt darüber hin. Ei» T rin ins, Vom grünen Strand der Spree. 6 liche Hutberühren beginnt,

schließlich

82 jedes

Haus hat

sein Taverne, symbolisch durch Anker, Fisch oder Netze

äußerlich gekennzeichnet.

Fischer und Schisser lieben ja das feuchte

Element und so erfaßt Wirth und Schenkin wohl nie des Lebens Melancholie in diesen halbdunkelen Räumen. Zottige Hunde liegen behaglich vor der Thür und der schwere Tritt triefender Wasserstiefel, das schlürfende Klirren der Bootsschlüsselketten dröhnt über die sand¬ bestreuten Dielen. Rühriges Leben ist überall, aber einst gab es hier eine Wirthschaft, da summte .es von Morgens bis Abends, wie nir¬ gends. Das war des Wirthes Töchterlein, die Alle magnetisch heran¬ Wenn sie des Morgens die Laden öffnete, schmuck und rosig zog. im sauberen Kattunkleidchen heraustrat und die dunklen, schönen Augen ließ grüßend auf und abwandern, da war es stets, als ginge ein selt¬ samer Glanz über die alte, stille Gasse.

Mancher Schiffer mag, wie einst am Lurleyfelsen, hier mit seinem Herzen gestrandet sein. Doch Keiner gewann den holden Preis. Schwielige Hände und sonnverbrannte Gesichter nintheten ihr nicht zu. Eines Tages war sie verschwunden. Nach Jahren sah ich sie flüchtig wieder. Nachlässig mit dem Fächer spielend, rollte sie in einem eleganten Wagen an mir vorüber. Der Reiz der Anmuth war dahin und auf den eingefallenen Wangen blühten frisch gemalte Rosen. Weiter unten, wo die Biergläser auf¬ hören, beginnt das Reich der Brillen- und Ferngläser. Der Fernsicht wegen hat sich hier wohl eine ganze Generation menschenfreundlicher Rathenower niedergelassen. Oft sieht man nun die blinden Licht¬ suchenden an der Straße stehen und, Nummer für Nummer prüfend, die Blicke über die Wasserfläche bis hin zu den rothen Bögen der Stadtbahn richten. Doch was der Brücke das charakteristische Kenn¬ zeichen aufdrückt, ist und bleibt das Fischereigewerbe, der Fischhandel. Da sitzen sie unter den weitausladenden grauen Sonnenschirmen, tvie alte cgyptische Königsbilder. Die Hände ans die Knie gestützt und rings um sie schwimmen in den Bottichen die stummen Opfer der Sonne und der Küchenmesser. Wehe der Unerfahrenen, die zum ersten Male schüchtern den Markt betritt. Noch spielt um die feisten, rothen Gesichter jenes gewinnende,

täuschende Lächeln.

Zweifel und das Gewitter kündet

sich

an,

Doch der geringste

ein laut ausgesprochener

83

Tadel und es entladet sich in voller, ungeahnter Furchtbarkeit. Dann giebt's keine Rettung für Dich, arme Novize, wohin Du auch hülfesuchend die Blicke wendest. Der Schutzmann ist von einer rührenden Taubheit, und jenes Weib, welches mit Citronen und dunklem Honig¬ kuchen Dich fragend umschleicht, es macht ein Gesicht, so sauer und süß, wie seine Waare, denn die Frau darf es mit Keinem verderben. Was den Fischen ward vorenthalten, diese Blumen der Schöpfung haben es doppelt empfangen, die himmlische Gabe der Beredtsamkeit. Doch mit Ausnahme. Dort, hart an der Pfahlbaute, saß bis zum

vorigen Jahre eine Greisin, in Sturm und Sonnenschein. Zu ihren Füßen kauerte ein stämmiger Fischerknecht, Netze strickend und der Meisterin hier und da Hülfe leistend. Achtzig Jahre waren über ihren Scheitel hingegangen, doch rüstig fand sie noch jeder Morgen am

Ein Jeder kannte und achtete sie hoch. Als ich eines Tages Platz leer fand, wußte ich, warum. Sie war todt. Berlin war um eine originelle Gestalt ärmer. Und noch heute sehe ich sie mit den freundlichen Augen unter der schwarzen, rüschenumsäumten Schaube hell in die Welt schauen. Bis jetzt habe ich in unserem Märkischen Provinzial -Museum vergeblich nach Fischtrog, Schaube und Handnetz Platze.

den

geforscht und von ganzem samen, fleißigen

Markt

Verwaltung

Herzen

vergebe

ich

der sonst

diese Unterlassungssünde.

so

streb¬

— Wenn

der

beendet ist, dann entfaltet sich zwischen den umgestülpten Trögen

und Kästen das heitere Jagen und Spielen der kleinen Welt und die nährenden Mütter der Insel Kölln halten ihre gewichtigen Meetings schwatzend ab. Im Winter aber, wenn der Nordwind das Abflu߬ wasser zu

Stahl

Eis gewandelt hat, dann saust So bietet

jauchzend darüber hin.

die Jugend auf beflügeltem jede

Tages- und Jahreszeit

der wechselnden Erscheinungen viele. Und nun zieh', Du letztes Bild, an meinem Auge vorüber, das mich schon manchmal heiter ergötzte

und allen Uebernluth in mir wachrief. Es ist 3 Uhr. Die Väter der Stadt legen das Scepter nieder und in der Jüdenstraße läßt Justitia

Binde fallen. Die Federn werden ausgespritzt, die Schreibärniel abgestreift und hinter den Dienern der Gerechtigkeit und Ordnung, die

die

sich soeben noch wie ein Aehrenfeld tief vor dem Vorgesetzten verneig¬ ten, schließen sich die Tempelpsorten. Kolonnenweise marschieren uu»

6*

84 allen Richtungen der Windrose. Auch über die Weit jetzt ein Zug feierlich und gemessen. benutzend, kräftig von ihm voralis schreitet, den Stock mit Metallknopf Breite Ringe bedecken die großen, fleischigen ein wackerer Mann. Hände und ein räudiger Cylinder schmückt das entlaubte Haupt. Echt, wie das Gold am Finger und der Uhrkette, ist die Abendröthe, die die Wackeren nach

nahe Fischerbrücke

wallt

dunkel über die einzige Gesichtserhöhung legt. Ein mildes Lächeln spielt um den zahnlosen Mund, als hätte der Würdige nie Wittwen gepfändet und Unglück und Wehe in so manches stille Heim getragen. sich

ist vorüber, und fromm und scheu folgen die Anderen. Kein hastiger Schritt, fein Schweißtropfen. Alles geregelt, ruhig, theilnahmlos.

Er

Diesem pendelt der Schwanz eines Aktenstückes zwischen dein Arm, Jener trägt eine Zeitung. Ehemals war es wohl das sündhafte

„Tageblatt", gekommen.

doch

Germania zürnte und nun ist die „Post" zu Ehren

Da naht Einer mit Spitzbart und

blassem Aussehen.

Wie barsch nnb ungehalten sieht man ihn des Morgens au der Salarienkasse die Sporteln auf den Zahlbrettern prüfen. O, der Schelm! Keiner ahnt, daß er es neulich Abends bei Brenner lvar, der in der Sinfonie Pastorale wußte seiner Klarinette Töne der sanftesten Em¬ pfindung und Zartheit zu entlocken. Und nun kommt der Held unserer Prozession. Ein imitirter Panama thront über dem viereckigen Gesicht. In Winterabenden streicht er die Baßgeige mit Macht. Auch heute ist er, wie stets, tonangebend. Wenn er lacht, zittern die Steinfliesen. Er hat seine liebe Frau in Königswnsterhausen eingemiethet und eine Wenn die schattenlose Laube aus Bohnenstangen zurechtgezimmert. Ferien beginnen, folgt er nach. Dort wird er, sobald es der See¬ gang der Rotte gestattet, sich dem Fischfang ergeben. Langsam Rur der Letzte nicht. Er ist noch jung und sie vorüber. Wonnemonat der ersten Ehe. Er trägt den Kalabreser keck linken Seite und hüpft scherzend und munter hier- und

Wenn der Wind das dünne verrätherisch aus dem Busen Die Sonne bringt es an den Und sie meiden ihn sichtlich. sie Alle die Augen auf und

schreiten

i» dem auf der dorthin.

Soinmerröckchen zurückwirft, da schaut der gelbe Umschlag der Gartenlaube.

Tag.

Er

ist noch ein Freidenker und

spricht er gar zu laut,

dann schlagen

mit jenem unnachahmlichen, wässerigen

85

Subalternblick, der jeden Aal zum Schweigen brächte, halten sie furcht¬ bar Umschau. Ziehe hin in Frieden! Bald wirst auch Du, junger Stürmer, Dein menschlich freies Denken und Fühlen in Bann gesprochen haben, dann hat sich's auch auf Dein jugeudfrisches Leben wie Mehlthau gelegt und Du wandelst nicht mehr argwöhnisch betrachtet, einsam daher. Die Zeit regelt ja

Alles.-

Die Sonne ist längst untergegangen und der Lärm des Tages verstummt. Die Laternen werfen nur ungewisse Lichter in die dunklen Bogengänge des Mühlendamms, den wir eben verlassen. Einer jener schmachtenden, hosenschacheruden Jünglinge birgt soeben die letzte der aufgefrischten „llnaussprechlichen" in dem Laden. Er pfeift ein Lied aus „Carmen" und löscht die qualmende Petroleumlampe aus. Einsam liegt Die Rathhaus-Uhr schaut mit großen Augen über die Fischerbrücke. die finstere Häusermasse hinweg, daneben ragt das schlanke ThurmBrüderpaar der Nicolaikirche in den gestirnten Nachthimmel auf. Drüben in den Gefängnisse» herrscht tiefe Stille. Die Korridore sind matt erleuchtet lind die Schatten der auf und ab wandelnden Wache werden zuweilen sichtbar.

Ist

drüben das Gesetz ernstes Schlveigen,

lautet es um so greller in den Tavernen hohe Lustbarkeit. Lachen und Gläserklingen tönt hinter den Fensterladen hervor, dazwischen wohl auch Harfengeklimper und der Gesang böhmischer Dirnen. Das geräuschvolle Leben der Straße ist verstummt, nur hin und wieder huschen verdächtige Gestalten an der Häuserfront entlang und verschwinden dann wieder in den dunklen Hausfluren. Alles, was das so

Tageslicht zu scheuen hat, beginnt jetzt aufzuleben Elend sein trauriges Treiben zu entfalten.

und Laster und

»

XIII.

Mir

ein Sonnenstrahl.

Auf dem Treppenflur des obersten Stockwerks eines Hauses, weit draußen in einer der Vorstädte Berlins, wo die Straßen allmählich sich zwischen

Roggen- und Kartoffelfeldern verlieren, stand eine ärmlich

aber sauber gekleidete Frau und sah mit angstvoll gespannten Blicken auf einen älteren Herrn, der sich soeben anschickte, die Treppe hinunter zu steigen.

„Herr Doctor, keine

haben

Sie Mitleid mit mir,"

sagte sie.

„Ist

Hoffnung da, gar keine?"

Der Angeredete

schob die goldene

Brille etwas

fester, als wolle

er es vermeiden, den Blicken der Forschenden zu begegnen.

„„Fassen Sie

sich,

liebe

Frau!""

erwiderte er.

„„Was in

menschlicher Macht steht, ist geschehen.""

„Es

ja gar nicht möglich!" antwortete sic tonlos. „Nein, Was soll ans mir werden?" es darf nicht sein. „„Es ist besser, Sie bereiten sich auf das Schlverste vor. Wenn der Himmel keine Wunder thut — — Er brach ab. „„Ich ist

werde heute Abend noch einmal wiederkommen.""

Langsam ging der Armenarzt die Treppe hinab.

Die Zurückbleibende verharrte noch immer wie betäubt auf der obersten Stufe. Erst als das Zuschlagen der Hausthür erfolgte,

87

Brüten auf. Sie fuhr sich über die Dann tastete sie wankend durch die Küchenthür, welche sich nun hinter ihr schloß. Es war ein kleiner, enger Raum, der mit dem anstoßenden, wachte sie aus ihrem dumpfe»

Stirn.

einfenstrigen Stübchen die ganze Wohnung der noch ziemlich jungen Wittwe ausmachte. Wie die Küche, so verrieth auch die schlichte Ein¬ richtung der Stube in ihrer peinlichen Sauberkeit und freundlichen

Anordnung das stille Walten eines fürsorglichen weiblichen Gemüths. In dem kleinen Bette drinnen lag mit geschlossenen Augenlidern ein fünfjähriger Knabe. Das hübsche Gesichtchen war vom Fieber heiß geröthet und die kleine Brust flog in hastigen, lauten Zügen auf und nieder, während die abgemagerten, blassen Händchen, halb in einander Gegenüber stand an der Wand gelegt, auf dem Deckbette ruhten. eine verblaßte, weißgedeckte Birkenkommode, das Prunkstück des gesammten

Mobiliars.

Einige Tassen, ein Mnschelkastcn, sowie noch mehrere

kleine Erinnerungszeichen, standen darauf und vor dem Spiegel prangte

in einer bunten Porzellanvase ein vertrockneter Strauß von Wiesen¬ blumen.

Die Frau war leise ans die Stubenschwelle getreten und sah kummervoll hinüber zu dem Bette, das ihr das Liebste und Letzte barg. „Er schläft noch immer," sagte sie, während ihr die Thränen langsam über die verhärmten Wangen raunen. „Wie lange noch und

dann-."

Sie sank auf einen Stuhl am Heerde nieder. Draußen blaute der Himmel. Die Dächer blitzten in der Morgen¬ sonne und weit hinaus schimmerten die wogenden,

grünen Felder bis

Aus dem Hofe scholl das Singe» und Lachen spielender Kinder herauf. Sie kannte jede einzelne Stimme — ihr Liebling war nicht mehr darunter. Sie sah hinaus in den lachenden Frühlingsmorgen, und es kam wie ein bittres zu der dunklen Kiefernhaide am Horizonte hin.

Weh über sic.

-

„Gott im Himmel," rief sie schluchzend, „verstoße mich nicht, wenn ich vielleicht einst mit Dir haderte. Nur einen Sonnenstrahl gieb mir, daß es wieder hell in mir werde. Mein Leben ist arm, aber es wird reich sein, wenn

Du ihn mir läßt."

88

ihr Antlitz. In flüchtigen Bildern ihr junges Dasein vorüber. Geräuschlos und heiter war sie, die arme Waise, durch die

Tief in

die Hände vergrub sie

zog noch einmal

Jahre der Kindheit geschritten, den Frohsinn im Herzen, die Jugend auf den Wangen. Wie hatte sie gejubelt, als sie dann dem still geliebten Mann durfte ihr Herz geben; wie hatte sic selig gehofft, als er sie in sein Haus führte. Ihre Seele hatte auch ihm längst ein Haus gebaut, darinnen er wohnen solle und glücklich sein. Goldene, sonnenreiche Tage! Zwei Jahre verwehen, zwei Jahre, doch nur, wie ein einziger Tag unendlicher Liebe. Ein jäher Tod reißt ihn von ihrer Seite. Wohl packt sie die Verzweiflung, aber die Augen des Kindes, seines Kindes, schauen sie lächelnd an und ein paar Aermchen strecken sich ihr entgegen, als suchten sic eine Heimath auf Erden. Und sie bleibt und kämpft fortan. Den Schwur dieser Stunde hat sie treulich gehalten.

Arm und verlassen ist sie aus diesem Paradiese wieder fortge¬ in diese unwirthbare Oede, wo nur Elend und Laster Hausen und die trostloseste Dürftigkeit aus allen Fenstern grinst. Oftmals, wenn die Kräfte sie zu verlassen drohten, dann sah sie den

zogen, hier hinaus

Knaben an, der so lieblich heranwuchs, ganz wie sein Ebenbild, und es kam wieder über sie, wie eine heilige Macht; als dürfe sie nicht erlahmen, als müsse er es jetzt droben sehen und sich freuen. — — Da eines Tages, es war gegen Abend, brachte die Nachbarin den Kleinen bestürzt in ihren Armen nach Hause. Er war beim Spielen draußen am Felde in eine tiefe Grube gefallen und lag nun regungslos und todtblaß da. Ein innerer Schaden mußte ihn getroffen

Der Arzt schüttelte den Kopf und verordnete Arzneien und Einreibungen. Eine Zeit lang schien es auch, als wolle sich der Kleine erholen. Er begann wieder in der Stube einherzumarschiren, aber immer tiefer senkten sich die Angen, ein Husten stellte sich ein und die Abmagerung nahm von Tag zu Tag immer mehr zu. „Mütterchen," hatte er am Vorabend seines Geburtstages gesagt, „nicht wahr, morgen darf ich doch wieder hinunter in den Garten haben.

gehen?"

Und

sie

hatte stumm genickt und war dann, als er eingeschlafen

89

war, hinaus auf das Feld geeilt, für ihren kranken Liebling einen Strauß zu pflücken. Manche Thräne war dabei wie ein Thautropfen dazwischen gefallen. Doch, als sie am andern Morgen an sein Bett mit den Blumen trat, hatte ihn ein hitziges Fieber gefaßt, und wie eine Unbekannte starrte der Kleine die Mutter an. So waren acht Tage vergangen. Der Strauß vor dem Spiegel verwelkte und fast auch die letzte Hoffnung auf Genesung. Der Arzt, ein freundlicher, mitempfindender Mann, ließ es an Nichts fehlen, der schwer Geprüften thatkräftige Hülfe, wie manche Erleichterung zu verschaffen. Aber immer ernster ward sein Gesicht und heute — ja Aber noch lebt er ja, noch tönt ja der scharfe, hastige Athem ;» ihr. Doch morgen — übermorgen — das ganze, einsame, lange Leben hin¬

heute.

durch ?

— Sie fuhr mit

ihre Hände falteten

„Nur

sich

dem

Kopf empor, ihre Augen waren trocken,

krampfhaft.

einen Sonnenstrahl!"

betete

sie.

„Ich will Dir

ewig

danken."

Was war das? Täuscht sie ihr Ohr? „„Mütterchen! Mütter¬ chen!"" tönt es jetzt ans der Stube. Sie springt auf, hinein, an das Krankenlager des Kleinen. Aufrecht sitzt er im Bettchen und streckt ihr die dünnen Aermchen entgegen.

Die Sonne blickt durch das Küchenfenster und ein lichter Strahl davon ist durch die halbgeöffnete Stubenthür auf den Spiegel gefallen, vor dem das vertrocknete Wiesenblumensträußchen steht. Mit weitgeöffneten Augen blickt das Kind auf den im Sonnenschein goldflim¬ mernden Lichtschein im Spiegel, auf die bestrahlten Blumen. Ihm ist's, als säße es wieder im Grase da unten am Wiesenrain, hörte die Felder rauschen und die Vöglein singen. Ueberall blühten Vieltausend bunte, herrliche Blumen, die nur darauf zu warten scheinen, daß es sie pflücke. Wie lustig doch die Käfer um ihn summen und brummen, die hübschen Schmetterlinge sich im Sonnenscheine wiegen! Ja, die Sonne! — — Er beugt sich weit heraus ans dem Bettchen und starrt, itnc abwesend, auf den Spiegel. Dann zeigt er verlangend hinüber. „„Mütterchen, Mütterchen! Schenk' mir die Sonne da drüben. Nur ein bischen!""

90 „Kennst Du mich wieder?"



Lachend und weinend beugt sie sich

über das kranke Kind und zieht es herzend an die hoffende Brust.

„„Willst Du Bitte.

„„Nur

Mütterchen?"" wiederholt er leiser seine einen Sonnenstrahl aus dem Garten drüben gieb mir nicht,

doch."" —

„Ich kann es ja nicht," tröstet sie und streichelt seinen Kopf, einer leisen Bewegung hat sie unbemerkt die Stubenthür zugeworfen, so daß kein Sonnenlicht mehr auf den Spiegel fällt. Aber

Mit

das Singen der Kinder tönt doch aus dem Hofe herauf. Der Kleine horcht auf. Wie ein Blitz zuckt es über das fiebernde Gesicht.

Sie rufen mich? Darf ich nicht in den Garten gehen? Sonst sind sie böse mit mir, wenn ich nicht komme. Ich will Dir auch einen Strauß pflücken, Mütterchen. Laß mich doch, laß mich. Ach, wo ist die Sonne? Die liebe, warme Sonne? — — Mich friert — ich will in den Ein heftiger Hustenanfall erstickte seine Stimme. Er möchte

„„Hörst Du?

Garten-""

sich

aufrichten, doch kraftlos und röchelnd sinkt er in das Kissen zurück.

„„Nicht wahr, ich komme bald in den schönen Garten, Mütter¬ chen?"" fragt er fast uuhörbar. „Bald, bald!" antwortet die Mutter. „„Kommst Du

auch

mit?""

Schluchzend vergräbt sie

ihr Antlitz in

den Kissen des Kleinen,

der nun wieder mit geschlossenen Augen daliegt und mühsam nach Athem ringt. Endlich schläft er ein. Die Mutter erhebt sich und

lautlos hinaus. — Stunden vergehen. Eine Ewigkeit dünken sie ihr. Wenn der Doctor käme! Der Mittag ist längst vorüber. Sie hatte geht

doch

ver¬

etwas Feuer auf dem Heerd zu machen, alsdann hatte sie es tvieder ausgehen lassen. Warum auch? Nun sitzt sie am kalten sucht,

Heerd, wie heute Morgen. Bleierne Schwere liegt auf ihrem Denken und Fühlen. Wenn doch der Doctor käme! Weiter kommt sie nicht.

Bitten der guten, alten Frau ihr ettvas von der mitgebrachten Suppe auf¬ zudringen. Sie hat die Alte nicht zum Bleiben genöthigt, aber als die Thür sich hinter ihr schloß, ist sie doch zusammengeschauert vor

Die Nachbarin ist da

ist es endlich gelungen,

gewesen, und den

91

Ihre Handarbeit liegt unberührt

der Einsamkeit.

Die Finger verweigern

den treuen

Dienst.

gestanden und hat hinausgehorcht, ob nicht ein

heraufkommt.

Vergebens. — Ein

neben

ihr.

sie jetzt

auf¬

heute

Wie oft ist

Männertritt

schöner Abend

die Treppe

liegt nun draußen

auf der Welt. Die Sonne scheint nicht mehr durch das Küchenfenster herein; sie ist um das Haus spaziert und blickt jetzt durch die bedruckten Gar¬ dinen in das kleine Stübchen, just aus das Deckbett des sterbenden Kindes. — Von Angst geschüttelt, horcht die Mutter soeben wieder die Treppe hinab, doch nur ein paar helle, fröhliche Stimmen von Kindern schallen herauf, die sich zu der Melodie einer Drehorgel im Nebenhofe im Ringelreihen drehen. Hastig schließt sie die Thür wieder. Da ist's, als rege sich nebenan etwas. Aus seinen Fieberträumen ist der Knabe jählings noch einmal aufgewacht. Ein Purpurstrahl der untergehenden Sonne läuft über Er schaut ihn groß an und richtet sein Deckbett fort bis zur Wand. sich mit den letzten Kräften empor. „„Mütterchen! Mütterchen!"" dringt es ängstlich aus der arbei¬ tenden Brust. Die Eintretende sieht, wie er die Arme sehnend nach dem Sonnen¬ strahl ausbreitet, dann plötzlich schließt und sie an seine schmerzende Brust zurückzieht. Die Lippen bewegen sich, er will etwas sagen — umsonst! — lächelnd sinkt er todt in das Kissen zurück. „Georg! Georg!" schreit sie. Keine Antwort erfolgt. Still bleibt Alles, nur die alte Wanduhr tickt geschäftig auf und ab. Leise wimmernd sinkt sie am Bette nieder. Nacht, tiefe Nacht ist über sic gekommen. — Der Knabe aber hält seinen Sonnenstrahl fest an das kleine, stille Herz gedrückt und lächelt heiter.

Nun spielt

er unter bunten Blumen im Himmelsgarten

lauscht dem Gesänge schwebender, goldglänzender Vögel.

nud

i

XIV.

Zrn Treptower

Fark.

Der anatomische Vergleich, den Thiergarten und den Friedrichs¬ hain als die beiden Lungenflügel Berlins zu bezeichnen, hat längst

Zu

im Westen der Hauptstadt, dem Friedrichshain im Osten, ist seit einer Reihe von Jahren im Norden der Humboldtshain und jetzt im Südosten der liebliche Treptower Park hinzugetreten. Unter einander zeigen alle seine

Berechtigung verloren.

dem Thiergarten

sowohl an klimatischen Verhältnissen, an Bodenbeschaffenheit, gärtnerischen Anlagen, als auch durch die Physiog¬ Der prächtige nomie, welche das sie besuchendePublikui» ihnen verleiht. charakteristische Unterschiede,

Thiergarten

mit

seinen herrlichen Laubhölzern,

seinen

träumerischen

Seen, leuchtenden Marmorbildern und stolzen Palästen, wird immer mit dem Zauber seiner Poesie zugleich einen aristokratischen Hauch

bewahren, durch seine Lage der Sammelpunkt der feinen und hohen Welt bilden. Zu seinem ebenen und theilweise sumpfigen Charaktertritt im scharfen Gegensatz sein ehemaliger östlicher Antipode, der hüge¬

Hier >vie dort schattende lige, trockene und luftige Friedrichshain. Baumgruppen, verschwiegene Boskets, Irrwege, Rondels und eine Fülle von reizenden Bildern und Gruppen unserer modernen Landschaftsgärtnerei. Auch hier umgiebt ein Gürtel von Palästen diese märkische Oase, aber sie bauen sich fünf- und sechsstöckig auf, und

93 aus ihren Fenstern schauen Sonntags Hemdsärmel, und Kinder in unübersehbarer Menge tummeln sich vor den Thüren. Der Friedrichs¬ hain, der in seinen: lauschigen Waldinnern die Gräber der Barrikaden¬ kämpfer von 1848 birgt, hat dadurch einen nicht weg zu leugnenden demokratischen Ausdruck enipfangen, der jeden 18. März durch Massen¬ wanderungen der Arbeiter und ihrer Frauen, durch Niederlegen von Kränzen und Widmungsschleifen, eine neue, sich treu bleibende Weihe empfängt. Das Eldorado der ungeheuren Massen von Fabrikarbeitern, wie deren Familien, ist aber der hoch oben im Norden entstandene Humboldtshain, mit den seltsamsten Hölzern und Büschen bepflanzt und von zahlreichen Kapellen von Singvögeln sommerlang durchschwirrt und durchflötet. Hier flüchtet das Proletariat allsonntäglich her, um auch einmal für kurze Feierstunden Sonnenschein, Blüthenduft und Waldeszauber zu genießen; hier erwarten die Frauen und Kinder an schönen, warmen Tagen allmittäglich die Männer und Väter aus den nahen Fabriken, um auf den Bänken, im Grase oder am Rain sitzend, ihnen das Mittagsbrod aus dem Korbe auszupacken und das blecherne Kännchen mit Kaffee einzuhändigen. Bilder ziehen hier an den: Be¬ sucher vorüber, ivelche wohlthuend und freundlich das Herz berühren. Nur wenn der Tag dahin ist, die Nacht mit ihren Schleiern Stadt und Park und die stillen Wege in tiefes Dunkel hüllt, dann ist's ein das sich jetzt hier entrollt und geheimnißvoll abspielt. Zeit, wo das Laster und Verbrechen aus den Höhlen auftaucht und hier in dieser verschwiegenen, abgelegenen Einsamkeit sein düsteres Handwerk beginnt. Das Lachen und Singen ist dann verstummt. Wie Alkohol liegt es in der schwülen Luft, und Flüche, Winseln, hier und dort ein Schlag, ein halb unterdrückter Schrei, anderes Lebe»,

Das ist

die

unterbrechen die unheimliche, dunkle

Stille.

Und nun der vierte und lctztentstandene unserer residenzlichen Parkanlagen, der aus dem Stadtsäckel geschaffene Treptower Park. Wer seit Jahren vielleicht nicht mehr die Gegend zwischen dem

Treptow besucht hat, der wird heute, sofern ihn Zufall oder Neugier wieder einmal hinführen sollte, mit wachsen¬ dem Erstaunen Veränderungen wahrnehmen, die ihn ebenso überraschen, als erfreuen müssen. In aller Stille hat sich dort in den letzten Schlesischen Thore und

94 gewaltiger Uinwandlungsprozeß vollzogen, daß der inzwischen entfremdete Berliner kaum das einstige Bild wieder¬ erkennen dürfte. Was da draußen vor dem Schlesischen Thore sich im vollen Wachsen befindet, mit einem bewundernswerthen Aufwand an Kosten, Schönheitssinn und rastloser Arbeitsanstrengung geschaffen wurde und nun fröhlich herangedeiht, ist allen Ernstes dazu angethan, in späteren Jahrzehnten einmal dem Alleinherrscher Thiergarten ein gefährlicher Rival zu werden. Aber alle Kunst und Schaffensfreude hätte es doch nicht vermocht, jenen Vergleich herauszufordern, hätte nicht Mutter Natur selbst mit liebevoller Huld einen bestechenden Vorzug dieser Parkanlage verliehen, einen Hauch von Anmuth, bezaubernder Frische und buntbeweglicher Heiterkeit über diese junge Schöpfung ausgegossen, indem sie das breite Strombett der Spree wie ein blaues Saumband um den Hain legte. Wohl ist es schön, was wir heute schon genießen dort, aber erst einer späteren Generation bleibt es vorbehalten, voll und ganz einmal den Reiz und stillen Zauber dieses Parkes empfinden zu dürfen. — Sobald wir aus dem Schlesischen Busch getreten sind, beginnt der Treptower Park. Links erheben sich jetzt eine Reihe statt¬ licher Villen mit kleinen, schmucken Vorgärten, während vor uns in dem spitzen Winkel, welchen das ehemalige Adlergestell und die Trep¬ tower Chaussee, hier zusammenlaufend, bilden, die „Friedrich-WilhelmViktoria-Stiftung" für betagte Kaufleute mit ihren zierlichen Thürmen, Erkern und Balkönen aus dem Lichtgrün des sie umschließenden Gar¬ tens herübergrüßt. Ein reizendes Asyl! Pavillons, Lauben, Ruhe¬ bänke umgeben das freundliche Haus, vor dem die zwei jungen Eichen bald grünen werden, welche das hohe Protektorpaar am 25. Januar 1884 zur Erinnerung an den Tag der sechsnndzwanzigsten Wiederkehr seines Vermählungsfestes eigenhändig pflanzte. Es bleibt ein charakteristisches Zeichen, daß unsere raschlebige, ruhelos dahinstürmende Zeit, im Gegensatz zu früheren, gemächlicher das Dasein genießenden Epochen, mit reichen Mitteln und edlen Kräften immer mehr bestrebt sich zeigt, dem Alter und Verdienst freundliche Häfen zu eröffnen, um dort nach betvegter Lebensfahrt still und fried¬ lich vor Anker zu gehen. Spittel, Siechen- und Armenhäuser errich¬

Jahren ein

so

95 teteu

ja

auch

schon

unsere Vorfahren durch Jahrhunderte hindurch,

nur für das Volk, für Alter, Armuth oder Krankheit die spärlichen Lebensunterhalt für die letzten

aber sie waren doch alle mehr oder minder den kleinen

Kraft

Mann

berechnet, dem

benommen hatten, den

Jahre zu verdienen, und dem man nun das Gnadenbrod aus dem Gemeindesäckel draußen vor dem Thore, im Spittel, mit sauersüßer Miene anbot. Der selbstständige Zug, der unsere Zeit, ihr ganzes Denken und Fühlen heute durchweht, hat auch hierin manch' heilsanie und erhebende Wandlung geschaffen. Wie jeder Stand, jedes Gewerbe heute sein Vereinsorgan, als Sprachrohr und Sprechsaal für seine intimsten Interessen besitzt, Kongresse abhält, Petitionen und Adressen¬ stürme in Bewegung setzt, so ist man auch hier und da schon, die Ehre des Standes, lute die Zusammengehörigkeit auch nach vollbrachter Lebensarbeit zu wahren, dazu geschritten, anmuthige Asyle für die Veteranen der Zunft zu gründen, zu deren Aufnahme man durch Steuerbeiträge oder Einzahlungen ein Recht frühzeitig erwirbt und somit dem drückenden Gefühl eines Almosenempfäugers enthoben bleibt.

Ein „Feierabendhaus" für alte Lehrerinnen ist entstanden, in dem freilich, wie Frau Fama ziemlich lieblos behauptet, täglich die erbittertsten Zungenkämpfe ausgefochteu werden, trotz Alter und Sabbathstille. Die betagten Herren hier an der Treptower Chausse schauen zwar auch täglich auf Bilder des grimmigsten Kriegsspieles, aber nicht innerhalb der friedeforderndeu Wände ihres schönen Asyls, sondern jenseits des Weges, wo sich das weite Exerzierfeld des 3. GardeGrenadier-Regiments ausbreitet, und von wo vom Frühling bis tief in den Winter hinein Kommandorufe herüber tönen, Flintenschüsse knallen, Trommelwirbel und Hornsignale einher schmettern und zwischen Feld und Busch und Eisenbahnwall der ganze Reichthum militärischer Leistungen und Kriegslisten sich entfaltet. »ach

Von der „Friedrich-Wilhelm-Viktoria-Stiftung" ans schweift der einen Seite der Blick über das mächtig hingelagerte Rixdorf,

und dcit Höhenzug der Rollberge und Hasenhaide, während er jenseits mit Wohlgefallen auf dem buntbewegten, blauen Strombett der Spree tveilt. Die bald dahinter vorüberlaufende Ringbahn durchschneidet noch einmal mit ihrem hohen Bahntvall die Landschaft, welche dann,

96 sobald

wir unter

der Brücke hindurch geschritten sind, zu beiden Seiten

ausbreitet. Eins freilich wird der bald mit aufrichtigem Schmerze bemerken. Die prächtige Birkenallee, welche ehemals bis nach Treptow leitete, ist unbarmherzig dem Untergange geweiht. sich

jetzt in jungfräulicher Frische

Naturfreund

jedoch

Diese stattlichen, silberglänzenden Bäume, die einen so heiteren und lieblichen Schmuck dieser Gegend bilden, läuten bald nicht mehr mit ihrem zarten, lichten, niederhängenden Gezweig, wie sie es alljähr¬ lich bisher gethan, den lieben Frühling ein. Die „Verschönerungs¬

Kommission" des Treptower Parks hat das Todesurtheil über sie aus¬ Aber Wohl empfindend, wie bitter der plötzliche Verlust gesprochen. dieser seltenen und liebgewonnenen Zierde jedem Besucher Treptows sich fühlbar machen würde, läßt sie nun in aller Stille kompagnieweise die wackeren Veteranen fällen, anstatt das ganze Bataillon in Reih und Glied mit einem Hanptschlage zu vernichten, und als Ersatztruppen ward links und rechts eine Platanenallee geschaffen, die aber nimmer¬ mehr den charakteristischen Reiz des einstigen Schmuckes ersetzen kann, und deren schattenspendenden Vorzug auch erst einer besseren Nachwelt vorbehalten bleibt. Aber was ist sonst Alles rings entstanden! Breite, stolze Fahr¬ wege, verschlungene lauschige Gänge, Rändele, Boskets, englische Rasen¬ flächen mit malerischen Baumgruppen, wie einzelnen schönen Bäumen in eigenartigster Weise belebt; Schöpfungen, welche kaum die weise Hand des sinnigen Gartenkünstlers verrathen, so frei von Geziertheit, ängstlich Gewolltem und künstlich Hineingetragenem offenbart sich Alles hier ans dem Vollen. Fast jede Baum- und Strauchart ist vertreten, und oft hat man die stattlichsten Baumexemplare mit Wurzeln und Erde aus fremdem Boden hier eingepflanzt. Und noch immer sieht man Kolonnen von Arbeitern täglich beschäftigt, bis in die äußersten Grenzen des Parkes Ordnung und Anmuth zu bringen. Der Theil rechts von der Chaussee, welcher allmählich in das einstige Treptower Wäldchen übergeht, ist am reichsten in Neugestal¬ tungen. Ein gewaltiger, von hochgelegenen Promenadenwegen nmsäumter, arenenartiger Rasenplatz, bestimmt für künftige hier stattfindende Volks¬ An ihn schließt sich ein völlig feste, bildet ungefähr den Mittelpunkt.

97 neugeschaffener See,

belebt

mit stolzen Schwänen und von den lieb¬ Doch nicht allein das saftige Grün

lichsten Ufergelände» eingefaßt.

Blan des stillen Sees ist's, was die stetig wachsenden Durch¬ wieder entzückt, auch das Auge immer blicke auf fern liegende Punkte, die wie Guckkastenbilder vorüber¬ Vom See aus betritt man das einstige Treptower Wäldchen, ziehen. der jungen Anlagen, das leuchtende

den ehemaligen Tummelplatz unserer Schuster- und Schneiderinnungen,

wo Amor schweißtriefend von Baum zu Baum das süße Bändchen schlang, wo heitere Paare sich jubelnd zu den Klängen verstimmter Leierkasten auf dem Rasen schwangen und Plumpsack, Topfschlagcn,

Ringelreihn und Abklatschen unverdiente Triumphe feierten. Das ist Promenadenwege schlängeln sich jetzt durch den Hain, zierliche Brückchen führen über ein Bächlein, und bis zu dem Magistratsgarten in Treptow erstreckt sich heute die Macht des Spatens und der Harke. Aber der schönste Theil bleibt doch der jenseitige, am Ufer der Spree gelegene. Es giebt in der That nichts so nahe bei Berlin,

dahin.

das sich diesen reizvollen und poetischen Promenaden gleichstellen könnte. Ein Weilen auf einem der Ruhesitze nahe dem Ufer, den Blick hinaus¬ gewandt nach dem breiten, blauen Strom, in dem die Häuser von

Stralau sich freundlich spiegeln, mit deni beweglichen Leben auf den schimmernden Wellen gehört mit zu den schönsten und eigenartigsten Genüssen, die unsere Hauptstadt in nächster Nähe bietet. Frei schweift der Blick bis zu der dunklen Kiefernwand der Wuhlhaide, -über die

mit schwere» Lastkähnen, Fischerjollen, Gondeln, Flößen, läutenden Dampfern und vor Allem den prächtigen, pfeilschnell dahinfliegenden Booten der Segelklubs

bedeckte Wasserfläche.

Es ist ein Bild zum Weilen und Sinnen. Ueberall Leben, Genießen und frohes Empfinden. Und dennoch dringt kaum ein Laut Schon hat Alles des Geräusches der Welt in diese Abgeschiedenheit. in Busch und Feld die Augen aufgeschlagen und träumt von kommen¬ den, sonnigen Tagen. Knospe drängt sich an Knospe, und die Zeit ist nicht mehr allzufern, wo „das Blühen will nicht enden", wie der Dichter so schön singt. Nur die Eiche schaut mürrisch in die leicht¬ sinnige

Welt und

schüttelt zuweilen

verdrießlich das verdorrte und noch immer nicht abgelegt hat.

Trauerkleid, das sie eigensinnig Tri »ins, Vom grünen Strand der Spree.

verschossene

7

98 Und doch ist's Lenz, und die Vöglein in den Zweigen werden in allen Tonarten es fort und fort zu verkünden. Wie Es sind keine die Wiesen schon in bunter Blumenpracht erglänzen! Gartenkinder, nur schlichte, übermüthige Wiesenblumen; rothe, blaue, nicht müde,

weiße,

lila;

alle Farben schimmern durcheinander, weben

zu einem großen Blumentcppich, den der

sich

zusammen

Frühling in köstlicher Frische

Nur unten am Uferrand, da über die freudige Erde gebreitet hat. zieht sich ein goldener Streifen entlang, wie eingewirkt in die sumpfige Unzählige gelbe Blumen haben sich da zur Frühlingsparade aufgestellt und die Herrscherin Sonne geht vorüber und freut sich der Pracht. Caltha palustris nennen sie die Gelehrten, das Volk sagt Wiese.

schlicht

nur: Butterblumen. Ein Bube und ein Mädchen tummeln

sich

in

dein feuchten

Grunde und pflücken unter Lachen und Necken büschelweise die gelben, glänzenden Blumen. Wenn die Händchen den Bund nicht mehr recht fassen können, dann bekommt ihn die ärmliche, blasse Frau, welche am Wege unter einem Busche im Grase sitzt und kleine Sträußchen daraus bindet, welche sie geschickt mit Schilfblättern einfaßt und dann in einen Korb der Reihe nach nebeneinander schichtet. Ihr matter Blick hebt sich manchmal müde zu dem kleinen Geschwisterpaare und dann geht ein trauriges Lächeln über das eingefallene Gesicht. Nun ist der Korb voll, das Bübchen hängt ihn sich an einem Bindfaden um den Hals und so gehen alle Drei still zur Stadt zurück. Werden Wohl schwerlich. Und doch, wie manche Hoffnung sie Käufer finden?

-

an die nächsten Stunden knüpfen. Dort, wo die Straße sich etwas enget und der Menschenstrom lebendiger und dichter am Abend heimwärts ebbet, da werden die mag

sich

Kleinen stehen und ihre gelben, großen Blumen bittend feilbieten. Als die Sonne am Uferrand noch darauf schien, da lachten und glänzten sie wie eitel Gold, aber jetzt, beim unsichern Flackern der Will denn Niemand kaufen? Je später die Abend¬ Laternen stunde heranrückt, je mehr faßt auch Sorge die kleinen Herzen. Ihr Bitten hat schon einem Flehen Platz gemacht. Achtlos gehen die Men¬ schen

vorüber. Doch mit dem Kummer wächst auch der Muth. „Siehst Du dort den feinen Herrn mit der schönen Dame am

99

Arm?" flüstert das Mädchen und

wischt sich mit

der Schürze die

Thränen aus den Angen. „Geh' hin, Karl, der kauft gewiß." Strei¬ chelnd fährt sie mit der Hand dem Bruder nun über die Schulter. Schon steht dieser neben dem einherschreitenden Paare. „Nur einen Strauß," fleht er, „bitte, bitte! Fünf Pfennige

nur das Stück!" Zögernd hält er das plebejische Blumenbüschel hin und läuft dann ein Stückchen des Weges nebenher. Endlich wendet sich der stark nach Patschouli duftende Herr mit einer abweisenden Bewegung unwillig zu dem ärmlichen

„Fi

donc!

Supplikanten. Kuhblumen!" ruft er aus.

beleidigt weiter. „„Jst's denn schon

Frühling?"" lächelt

dem röthlichen Halbschleier hervor.

„Es

scheint so, meine

Gnädige!"

Dann seine

geht Hermes

Begleiterin unter

XV.

Wein Sargtischler. Das

wie das Begrabenwerden hat seine Poesie. Nur daß inan dort Subjekt, hier Dbjekt spielt. dem sausenden Getrieb einer Weltstadt bleibt freilich wenig Raum und Zeit für ein beschauliches Sichversenken in unsere Empfindungswelt. Alles zieht im Leben,

In

Sturmwind vorüber.

Da wird

geboren und gestorben und Niemand

kümmert sich darum. Menschen kommen und gehen mit jedem Athem¬ zug der Zeit; es ist ein ewiges Wandern. Ans jede freie Stelle, welche der Tod in die schaffende Menschheit einreißt, harren schon wieder ein Dutzend Bewerber, uird Glied an Glied fügt sich zur Kette, schier endlos,

unübersehbar. Wo so das tägliche Leben läßt ernste und heitere Bilder im raschen Wechsel vorüberziehen, da stumpft sich auch das Interesse und Empfinden für das uns ferner Liegende bald ab. Ein ander Ding ist's draußen in der Provinz. Da lebt und stirbt sich's weit behaglicher. Da hält der Storch und Sensenmann nicht klanglos Einzug. Da liegt auf dem ganzen Leben, von der Wiege bis zum Grabe, auf Werkel- und Feiertag, ein weit sonnigerer Glanz und stille Schönheit, und alles Kommen und Gehen um uns her rührt auch leise an unser 'Herz. Dort hat auch das Begrabenwerden noch seine gchcimnißvolle, tiefe Poesie, und an dem Kinder-

101

Bilder vorüber, — — — kann.

gemüth ziehen bleichen

deren Reiz und Zauber nie ganz ver¬

In

meiner thüringer Heimath war es ein eigenes Fest, wenn in der Straße irgendwo der Tod Erndte gehalten hatte. Halb Erfurt tvußte darum, und wir Kinder zuerst. In dem niedrigen Hausflur einer der winkligen, alterthümlichen Gassen, durch welche schon „Bruder Martin" einst wandelte, da stand der geöffnete Sarg ausgestellt. Auf der sandbestreuten Diele lagen zertretene Blumen, Weihrauchdust füllte den Raum, Guirlanden und Kränze schmückten das dunkle Eichengebälk, und inmitten der flimmernden, gelben Wachslichter lag der Todte mit noch gelberem Antlitz, mit gefalteten Händen und geschlossenen

Augen, starr, stumm, ein unendliches, unergründliches Räthsel. Da lag er einen Tag und dann noch einen, bis das Laub an den Pfosten und Wänden verwelkt war und Jeder, der ihn gekannt hatte, noch einmal zum letzten Besuch gekommen war. Dann fing das Begraben an. Voran das hohe, schwarzverhüllte Kreuz mit dem Bild des Er¬ lösers, dann die Kurrendejugend mit ihren traurigen Mänteln und fröhlichen, helltönenden Stimmen. Hinter ihnen, mit feierlichem Schritt, ging der Leichenbitter, Trauerflor um Arm und Hut und in der Rechten die gelbleuchtende Citrone, gefolgt von den acht Trägern des blumenbedeckten Sarges, dem dann die lange Reihe der Leidtragenden Und wenn es ein guter Katholik und Neugierigen sich anschloß. gewesen war, so zog der Priester inmitten seiner Chorknaben, welche dampfende Räucherfässer und Weihwedel schwangen und hin und wieder Keine das' silberne Glöckchen ertönen ließen, dem Todten voran.

Im Sturm

und Sonnenschein ging es zu Fuß zum Thore hinaus. Tie Glocken sangen von den Thürmen dazu, und Jeder, der des Weges kam, blieb einen Augenblick stehen und zog ernst den Hut, oder schlug ein Kreuz. Mit gedämpfter Musik ging's Kutsche folgte.

dann draußen ans dem Gottesacker! Wir die ersten, wir die letzten. Ein Kinderherz llnd wenn die Menge sich endlich sieht keine Gräber, nur Blumen, verlaufen hatte, ging's die Hügel noch lange auf und nieder, bis die so

über

Markt und

Gassen.

Wie

schön

war

es

Sonne hinter den Höhen des Steigerwaldes gesunken war, und die Schatten des Abends uns zur Heimkehr mahnten.

102

Das Alles liegt iveit zurück.

Aber wenn

ich

jetzt zuweilen

gute Bekannte vierzehn Tage nach ihrer Rückkehr aus dem Bade oder von der Hochzeitsreise aufsuche, und mir schon beim Treppenaufstieg der Geruch der verdorrten Thürguirlande entgegenschlägt, dann treten

wieder flüchtig die Bilder und Erinnerungen der Kindheit herauf und muß an Todte und Begräbnis; denken. Als ich in Berlin zum ersten Male den schwarzverhangenen Leichenwagen sah, die Kutscher ich

nlit

den Dreimastern,

die Pferde, wie Kapuziner bis ans die Augen vermummt, da schnürte es mein Herz zu und es schauderte mich. Und dieser Schauder ist geblieben. Seitdem habe ich Viele Leichencondukte gesehen. Leere Galawagen, besternte Comerzienräthe, vergnügte Doctorkutscher, Palmenwedel, Chopin's Trauermarsch, alkohol¬ duftende Leichenträger, Chargirte, Berichterstatter, vereidete Grabredner, taktvolle Schutzleute — aber alle Ehre und aller Pomp kann mir die Poesie meiner Heimath nicht ersetzen. Ich möchte nicht in Berlin begraben werden. Schon der Gedanke macht mich frieren. . In Berlin ist eben Alles Geschäft, auch das Begraben. Eine Weltstadt kann für Poesie nicht Sorge tragen. Dennoch bleibt für jeden Betheiligten an einem Trauerfalle die aufdringliche Geschäftlichkeit anwidernd lind erschreckend. In solchen Augenblicken fühlt man erst gespenstisch

für die

Welt nur

Zahl ist und bleibt, mit kalt lächelnd von der Tafel löscht. Wie nach jeder Verlobnngsanzeige Geschäftsreklainen in das Haus der Braut niederregnen, so anch pochen, oft noch eher, als der Tod, gewissenhafte Agenten an die Thür der Trauerwohnung, Preiskourante von Särgen, Beerdigungsfeierlichkeiten mit Chorgesang, Pal¬ menschmuck und Kandelabern, zur gefälligen Kenntnißnahme abzugeben. Gewöhnlich aber wendet sich die betreffende Familie an ein sogenanntes Beerdignngskomtoir, das dann nicht allein das Arrangement der Beerdigung auf sich nimmt, sondern auch auf Wunsch die Hetz¬ jagd zwischen Arzt, Polizei, Kirche, Todtengräber und anderen theilnahmsvollen Faktoren an Stelle des Familienoberhauptes eröffnet, ja, wenn Sitte lind Gesetz es gestatteten, nach altrömischer Weise ein Dutzend heulender Klageweiber auf Akkord zur Verfügung stellen würde. Diesen Beerdignngskomtoiren ist, wie für alle anderen Erlverbszweige, jetzt ganz, daß man

der Jedermann rechnet,

große

bis der Tod

sie

eine

103 Konkurrenz entstanden. Eine Reihe von Sargtischlern haben ihrer Werkstatt jetzt zugleich ein Komtoir für Beerdigungsaugelegenheiten eröffnet. Ich finde das sehr vernünftig. Gevatter Gevatter Tod waren ja immer Vettern. Und solch ein Schreiner und Sargtischler wohnt mir gegenüber. Es ist ein Kellerlokal. Links zwei Fenster für die Wohnstube, dann die Thür, dann das Schaufenster. Im letzteren stehen, Jahr aus, Jahr ein, zwei Kindersärge übereinander, der eine mit blauem, der andere mit silberglänzendem Blechbeschlag und Krone am Kopf¬ ende. Im Hintergründe des Ladens thürmen sich große Särge nebenund übereinander, während mehr nach der stets offenen Thür hin ein geöffneter, bald mit weißem Crepe, bald mit schwarzem Crepe aus¬ geschlagener, gelber Paradesarg als Empfehlung für die Vorüber¬ gehenden prangt. An der Thür, wie den Fenstern der Wohnstube hängen Photographien von Trauerwagen, mit Kreuz, Engeln, Baldachinen, vergoldeten Palmen, offene oder geschlossene, je nach Geschmack und Kapitalsanlage. Bei allen steht der Preis deutlich darunter. Nur der auch eine

neben

bekannte „Nasenquetscher" fehlt, denn der kostet nichts.

Das

ist der

schwarze Omnibuskasten, welcher für die Armen die Verbindung zwischen diesem Jammerthale und dem himmlischen Freudensaale vermittelt. Im Sommer, wenn das Wetter hübsch warm ist, steht zur Seite der Treppenstufe», welche in den Laden hinabführen, ein größerer Kindersarg und darauf saß dann gewöhnlich gegen Abend Meister Heinrich, rauchte seine Pfeife und lächelte vergnügt in die Welt. Er

Frau und ein Töchterchen von elf Jahren, blondhaarig, mit einem Gesichtchen, wie man Engel malt. Seine Freude und sein Stolz. Er war sich wohlbewußt, daß das Haus und die halbe Straße sein Empfinden darin theilte. Es war ein herziges Kind und wen sie mit ihren sanften, blauen Augen anlachte, dem ging es !vie Vorfrühling durch's Herz. War das Wetter besaß auch noch eine freundliche, stille

im Laden unten zwischen den Särgen spielen. Dann kniete sie wohl zuweilen vor dem Paradesarg und bettete das Püppchen in die Hobelspähne, und wer vorüberkam, blieb unwillkürlich Alles Freudlose dieser stehen, gebannt von dem rührenden Bilde. Umgebung schien ausgelöscht, zwischen den einstigen Zeugen menschlicher schlecht, so sah

man

sie

104 Nichtigkeit und Verwesung blühte eine rosige, lächelnde Knospe empor. Aber Meister Heinrich besaß noch etwas. Das war sein Konkurrent, sein Gegenüber, mein Nachbar. Auch dieser hielt Särge feil und verlieh Trauerkutschen und Katafalke. Hätte es wenigstens gern gethan, wenn das Geschäft flott gegangen wäre. Aber es ging nicht. Er war ein untersetzter Knirps, borsthaarig, pockennarbig, mit einer frechen Stubsnase und einem Kopfe, wie der bekannte Wettläufer Swinegel. Tagüber war er immer betrunken und dann fiel er wohl zuweilen in den ersten besten Sarg hinein, um seinen Rausch anszuschlafen. Auch gute Bekannte mußten als Logirbesuch mit dieser verfrühten Bettstelle stets fürlieb nehmen. Mancher ist dann auch nicht wiedergekommen. Seine Frau konnte man eben nicht vortheilhafter bezeichnen. Verwachsen, liederlich, mit der boshaftesten Zunge der ganzen Straße, besaß sie zugleich eine blau¬ schmutzige Kattunschürze, unter welcher sie stets die Hände, und alle Jahre ein neues Pfand seiner Liebe trug. Da das Sarggeschäft nebst Beerdigungskomtoir Beider Zeit nicht sehr in Anspruch nahm, standen sie denn auch täglich, sie von Natur, er durch den Schnaps, schief in der Ladenthür unten, so daß man bei ihrer Kleinheit eigentlich immer nur zwei Paar grünlich funkelnde Katzenaugen sah, starr hinüber zu der Thür des Konkurrenten gerichtet, wobei dann jedes Klingeln drüben, jedes Fortschaffen eines Sarges oder sonst ein geschäftliches Ereigniß, ihrerseits mit den giftigsten und lautesten Ausdrücken der Bosheit und Scheelsucht begleitet wurde. Meister Heinrich focht dies freilich wenig an. Pfeifend und singend fügte er Brett an Brett, Sarg zu Sarg. Heiter schaffte er seine Erzeugnisse in die Trauerwohnungen, heiter kam er stets zurück. Nach jeden: Begräbnis;, welches er arrangirt hatte, kehrten die Trauerkutscher, von: Kirchhofe kommend, bei ihm ein, stiegen in seine Laden¬ höhle hinunter, wo dann auf das Wohl und weitere Gedeihen des Geschäfts ein guter Umtrunk geschah. Dann zogen sie wieder ihre weißen Handschuhe an, schwangen sich auf den Bock, rückten die Drei¬ master zurecht und hui! ging's im Galopp mit Leichenwagen und Tranerkutschen heim. Das mußte das kleine Gegenüber immer bitter schmerzen. Seine

105

Liebenswürdigkeit, die Kundschaft auf seine Seite zu locken, nahm denn auch immer unheimlichere Formen an. Jedem schleuderte er wie eine Viper einen widerlich aufdringlichen Gruß entgegen. Die gesund Ausschauenden ließ er mitleidig stumm passiren, wer die Spur einer Krankheit im Antlitz trug, entging aber sicherlich seinem Unkenrufe nicht. „Guten Morgen, Herr Nachbar! Na, wieder auf den Beinen? Hübsch munter? Dachte schon — —" Als er mich einmal mit gleißnerischer Bosheit nach überstandener Krankheit

lief

es nnch sonderbar.

Seit jener Stunde

so

begrüßte, über¬

mied ich seinen Laden und

vor, im weiten Bogen bei meinem Gegenüber vorbei zu wan¬ Oftmals habe ich dann drüben gestanden, wenn bereits die ersten Laternen gegen das Zwielicht des Abends ankämpften und der dunstige Schimmer der Petroleumhängelampe den kleinen Raum mit den Särgen matt erhellte, und habe auf Augenblicke dem Spiele des zog es

deln.

Kindes zugesehen. Auch zwischen Särgen wohnt Glück und Schönheit, dachte ich dann. Seltsame Welt! Oft war der Tod an des Meisters Werkstatt vorbeigeschritten und hatte dem emsig hämmernden Vater zugeschaut und hatte sich baß gefreut, wie flink ihm das Alles von der Hand ging. Aber eines Nachts, der Knochenmann mußte sich wohl mit einem Arzt überwarfen haben, da blieb er nicht nur stehen, sondern trat auch hinein, an das Bett des Kindes. Alles schlief schon. Es war drei Tage vor Weih¬ nachten. Hinter den Särgen stand bereits ein Fichtenbaum und in dem Herzen des Kindes saß die sehnende Freude und webte ein

Mär¬

aus Weihnachtsgrün und Flittergold. Vielleicht war's auch der Freude zu viel. Ein Röcheln weckt die Eltern, und als nun Licht die schmale Kammer erhellt, liegt das Kind im Sterben, vor Stunden noch frisch und rosig. Ein Herzschlag macht bald Allem ein Ende. Der Tod aber drückt leise hinter sich die Thür zu und schreitet die Straße gelassen weiter. „Meister Heinrich's Töchterlein ist todt!" — „Die kleine Lore ist diese Nacht gestorben!" — so geht's am andern Morgen die Straße auf und ab. Keiner will es recht glauben. Aber da liegt sie, schön, wie ein schlafender Engel. Der Vater hat seinem Kinde den besten Sarg chen

-

106 gegeben und

in dichten Schaaren drängen nun die Kinder der Nach¬

barschaft herein und legen Kränze nieder und betrachten verwundert die blasse, blonde, nun so still gewordene Gespielin. Am Weihnachts¬ heiligabend fährt der schönste Leichenwagen vor, gefolgt von einer Reihe stattlicher Kutschen. Alles hat, den Meister und langjährigen

Auftraggeber zu ehren, ein festliches Gewand angelegt. Die Hand¬ schuhe der Kutscher waren nie so weiß gewaschen, als heute, die ver¬ silberten Engel und Genien des Leichenwagens funkeln nnd strahlen, als freuten sie sich doppelt, ja selbst die Leichenträger ziehen ihre Schurkengesichter in ernste Falten. Alles ist in Mollton gehalten. Nur nicht mein hübscher Nachbar, der Swinegel. Der steht mit seiner buckligen Frau und einem halben Dutzend ungewaschener, kleiner Swinegel in der Ladenthür und lacht sich fast noch buckliger, als seine Ehehälfte und verdreht die kleinen, geschlitzten Augen und gestikulirt und schwatzt von Brodneid und Gerechtigkeit, von Hochmuth und noch viel anderem ungereimten Zeuge. Doch jetzt taucht der von Blumen fast verhüllte Sarg aus dem Keller herauf; Schluchzen und Weinen ringsum. Meister Heinrich aber taumelt thränenlos, gestützt von zwei Verwandten, in den ersten Wagen hinein. Dann setzt sich der traurige Zug in Bewegung. Still wird die Straße wieder. Nur mein freudetrunkener Nachbar grint und tobt und reibt sich vergnügt die Hände, bis er sich endlich gegen Abend, als die ersten Tannenbäume ihre Kerzen anstecken, in seinen Lieblings¬ sarg niederlegt und bald mit lautem Schnarchen eingeschlafen ist. — Er ist längst fortgezogen. Meister Heinrich aber fügt noch immer Brett an Brett, Sarg zu Sarg. Das Singen freilich hat er eingestellt und das Lachen auch. Nun ist auch ihm sein Handwerk traurig geworden. Im Sommer sitzt er noch manchmal auf dem großen Kindersarg an der Treppe und hält Feierabend. Mir aber schcint's, als sehne er sich nach jenem Feierabend, dem kein Werkeltag mehr folgt. Sollte ich vor der Zeit sterben müssen, so werde ich ihm Er wird mich getviß den Bau meiner letzten Wohnung anvertrauen. schließt, mir einen Gruß wird, ehe der Sarg sich und sanft betten an sein Kind mitgeben, das ihm sein Liebstes war, und das nun ein seliger Engel geworden ist.

-

XVI.

Aertiner KinLerLreppen -Litteratur. Klinglingling!--



Minna, das „Mädchen für Alles",

welches soeben bciin Putzen

der Messer halb eingenickt war, erwacht aus ihren Träumen und

fährt unwillig über die Augen. „Ewige Bettelei!" brummt sie und öffnet die Küchenthür, welche zur Hintertreppe führt. Ein hoher, breitschultriger Mann im ver¬ schossenen Anzuge steht vor ihr und grüßt sie mit pfiffigem Lächeln. Auf dem Treppenabsatz liegt ein Ballen grün und roth brochirter sich

Hefte; zwei sogenannte Oelgemälde lehnen verkehrt daneben an der Wand. „„Guten Morgen, mein schönes Fräulein!"" lügt der gewandte Vertreter der modernen, deutschen Schauerromanfabrikation. Minna ist zu wenig seitens ihrer Herrschaft an einen lleberfluß von Höflichkeiten gewöhnt, als daß sic nicht den wohlthuenden Gegensatz dieser Anrede empfinden sollte.

„Sie

wünschen, mein

Herr?" frägt

sie, bereits bedeutend

milder

gestimmt.

„„Entschuldigen Sic, ich möchte Sie nur bitten, dieses Bild sich einmal gefälligst anzusehen."" Bei diesen Worten ergreift er eins der sogenannten Selgemälde

108 an der Wand, dreht es elegant um und hält es dann, „Gewehr am Fuß", der völlig Ueberraschten hin. Die Wirkung ist vorzüglich. Von einem plumpen, schlecht vergoldeten Barockrahmen eingefaßt, zeigt die zwei Quadratfuß große, bedruckte Leinwand in roher Zeichnung und grell aneinander geklecksten Farben, unter grasgrünen, äußerst ver¬ schwiegenen Bäumen,

ein unangenehm

schmachtendes Menschenpaar,

dem die Liebe in derbsinnlichster Weise aus den Augen spricht. „„Der erste Kuß!"" lächelt der Seelenkäufer und wirft einen

prüfenden Blick auf das Mädchen, das nicht mit Unlust die gluthvolle des Pinsels bewundert. „„Wie finden Sie das?"" fährt er fort, „„ist das nicht gut

Kraft

gemacht?""

Minna weiß, was sich schickt; doch der Mann bittet um ihr Urtheil und warum soll sie damit über etwas zurückhalten, das ihr das Leben mehr wie einmal im wechselvollen Drange bot? „Js das schön, allens so natürlich gemalt," erwidert sie mit Kennerblicken, — „aber ich kaufe nichts," schließt sie gedehnt. „„Das sollen Sie auch gar nicht, das bekommen Sie Alles geschenkt.""

I

was! Na, Sie spaßen wohl nur?!" „Nanu? „„Denk' nicht dran. Sie bekommen es geschenkt. Wenigstens Nur eine geringe Nachzahlung von 75 Pfen¬ so gut, wie geschenkt. nigen. In der Mitte des Romans giebt's den ,ersten Kuß' und am Schluß das ersehnte Mutterglück'. Hier, da sehen Sie selbst, ist das kein Geschenk? Für dieses Lumpengeld? Ein hübsches Stück in Ihrer neuen Wirthschaft! Was?"" Er hat das zweite Bild jetzt umgewandt und lehnt es nun Minna ist thatsächlich wie berauscht. Das gegen das andere Bei». ihr Rest gegeben. Der Seelenkäufer merkt es hat den „Mntterglück" nur zu gut, wie der Vogel bereits in der Schlinge sitzt. Er weidet sich

an dem Anblick des Mädchens,

dessen

Augen von seinem linken

nach dem rechten Beine spazieren und nicht mehr zu wissen scheinen,

wo

sie

bewundernd haften solle».

Jetzt lehnt er die Bilder vorsichtig an die Wand zurück »nd erhöht durch diese leise Entfernung nur noch mehr das Verlangen

109

ihrem Besitz. Dann zieht er aus dem Ballen ein rothes und grünes Heft hervor. „„Bitte, mein Fräulein, wählen Sie selbst. Es sind die besten Romane, welche jemals geschrieben worden sind. Jeder Mensch von Anstand muß heute Romane lesen. Das gehört zur Bildung.""

nach

„Ach, ja! aufrichtig.

Ich bin

„Aber-"

„„Hier

auch

sehr

für Bildung,"

haben Sie den berühmten Roman:

lächelt

Minna

,Die Bleidächer

von Venedig oder der tolle Enthauptete/ Eine wunderbare Geschichte. Fast unglaublich, wenn's nicht hier drinnen Alles gedruckt stünde.

Aber Sie verstehen das ja besser, als ich."" — Minna steigt merklich in ihrer Selbstachtung. „„Dies hier,"" fährt der Mann mit unverwüsilichem Gleichmuthe fort, „„ist der allerneueste. So etwas ist überhaupt noch nicht dagewesen. Der Dichter ist selbst dabei unheilbar verrückt geworden.

Großartig!

Was?

Ueberzeugen

Sie

sich

selbst!""

Mit Grausen liest Heftes: „Die Todtenopfer der Sonnenkönigin oder die Gräber der Hingerichteten." Minna

ans dem rothen Umschlag des einen

„„He? Nun? Was sagen Sie?"" Minna überläuft es mit kaltem Schauder, um nicht bald herauszufühlen,

genug, poetische

Werth liegt.

Sie

doch

sie

ist gebildet

ans welche Seite der höhere

entscheidet sich

für

Roman?" frägt

die letzte

Idylle.

und vorsichtig. Lumperei! Wenn Nebensache. Die vollständig das ist „„Ach, ja Heft und Pfennige das zwanzig Sie's aber durchaus wissen wollen, dabei ist verdienen nur eins alle Woche. Was will das heißen! Zu

„Was

kostet denn der

sie zögernd

überhaupt nichts für uns. Alles nur guter Zweck."" — Minna hört kaum noch hin. Sie hat bereits die erste Seite in Angriff genommen und buchstabirt langsam vor sich hin. „Was sagten Sie? Zwanzig Pfennige? Na, schön! Hier sind sie. Und nun geben Sie mir auch gefälligst den ,ersten Küsst

herüber."

Der Stadtmissionar lächelt und mit

geschmeidiger Znngengeläufig-

keit erwidert er, indem er auf das verlangte

Bild deutet:

110

„„Den

bekommen

Sie

aber bin ich sehr gern bereit,

erst in der Mitte des Romans, Ihnen vorläufig als

sonst

Ersatz-""

„Danke bestens!" wehrt die holde Minna ab und tritt etwas zurück. „Also pünktlich daini nächste Woche." Wollen Sie nicht „„Stoch eins, mein geschätztes Fräulein. gefälligst erst diesen Schein noch unterschreiben?"" „Aber wie so denn?" „„Nur der Ordnung willen, weiter nichts. Wir sind dann gezwungen, immer pünktlich liefern zu müssen und dürfen niemals Vorausbezahlung fordern."" Er hält ein Papier an die Küchenthür, zieht einen Bleistift aus der Westentasche und die arglose Minna setzt mit großen, kräftigen Buchstaben ihren ehrlichen Namen unter den schändlichen Wisch. Ein „Blut ist ein böses Lächeln liegt währenddem auf seinem Gesicht. ganz besonderer

Bleistift

Saft,"

bewenden

scheint er zu denken, aber er muß es bei dem

lassen.

Dankend

steckt

er den Schein ein und

empfiehlt sich.

Dann fällt die Küchenthür in's Schloß. Minna horcht gespannt in die Stube hinein. Noch regt sich nichts. „Sie schlafen," sagt sie befriedigt und setzt sich zum Messerputzen wieder nieder, das auf¬ Doch das Gift beginnt bereits zu geschlagene Heft neben sich gelegt. wirken. Mit fliegendem Athem arbeitet sie sich schwerfällig Zeile für Zeile hindurch. Es ist aber auch gar zu schön.

—-

1. Kapitel. Lebendig begraben.

Der Sturm Ijeuttc durch die Gassen. Vom nahen Kirchthurme dröhnte in dumpfen Schlügen die Stunde der Mitternacht. Sechs vermummte Männer traten aus einem verrufenen Hause. Sie trugen einen schwarz verhangenen Sarg. Langsam und fast lautlos schritten sie im Schatten der Häuser entlang.

Innern

des Sarges. Eine. „Mir scheint, er regt sich wieder," sagte der „„Schweig!"" erwiderte ein Anderer kalt, und ei» drohender Blick traf den Ersten.

Da tönte

ein banges Stöhnen ans dem

111

um die Kirchhofsmauer.-— — Minna bildet sich gruselnd fort. Auf der ersten Seite lebendig begraben, auf der zweiten gehenkt und noch ehe das erste Heft beendet ist, vergiftet, erdolcht und immer wieder tvic ein Phönix der Asche entsteigend, so zieht der Held vor den Augen der gläubigen Magd gleich einem Stern vorüber, zu dein sie bewundernd aufblickt, bis das Donnerwort der Herrin des Hauses sie unsanft aus allen Himmeln wieder stürzt.

Dann verschwanden

Auf

sie

Vertreter für Volksbildung und trügt schmunzelnd den Namen des gefangenen Gimpels in seine Liste ein. Dairn geht er auf neuen Raub aus. Bei dem 70. Hefte wird Minna vielleicht der „erste Kuß" zu Theil, das ersehnte „Mutter¬ glück" ist aber noch in unabsehbare Ferne gerückt. Denn nicht nur moralisch, auch pekuniär werden diese armen

Lpfer

dein

Treppenflur aber

gebraudschatzt.

Wir

steht der

erfreuen uns trefflicher Sanitätskommissioneu,

in jeder Wahlversammlung blitzt der Spitzhelm eines Polizeilieuteuants wie ein freundlicher Leitstern von der Tribüne; bei jeden: naseweisen Worte unserer liberalen Zeitungen klopft die Censurbehördc dieselben höflich auf die Finger: ein Reichs¬ gesundheitsamt für die Seele unseres Volkes, eine scharfe Quarantaine für diese Schandlitteratur, die das Gemüth von Hunderttausenden ver¬ giftet, die Sinne nur kitzelt, in krassen, düsteren Bildern krankhafte Empfindungen iveckt, unreinen Vorstellungen Raun: giebt und neben¬ bei noch in schamloser Weise kontraktlich Beschlag auf das schinale Einkommen der Betrogenen legt: für dieses Piratenthuin bleibt das Volk der Denker unempfindlich. Geräuschlos und geschäftig schleichen diese Pioniere der öffentlichen Bildung von Hinterthür zu Hinterthür, ihre schmutzigen Erzeugnisse anzuschmeicheln. Zu dem Dachstübchen der Näherin klimmen sie hinan und steigen hinab in die dumpfigen Kellerhöhlen, wo oft nur Elend wohnt und der Heißhunger nach Glück, Glanz und Zufriedenheit. gewissenhafter Fleischbeschauer;

Dort

sind die besten Absatzquellcn.

versagte,

genießen

sie

Was das Leben den Aermsten

nun berauscht in schwelgenden Bildern eines

elenden Machwerkes.

Aber auch der Dienstmann au der

Ecke und

vor der Destillation,

112 die Sodaliske

in der öffentlichen Trinkhalle, der phlegmatische

Droschken¬

kutscher, sind ehrliche Theilnehmer dieses unehrlichen Geschäftsbetriebes.

In

allen

kleinbürgerlichen

Verhältnissen wuchert diese litterarische Wasserpest. Die Hökerin vertieft sich hinter ihren Pyramiden von Bücklingen und Obst in die Leiden und Freuden der „Tochter des Scharfrichters"; der Portier in seiner Zelle brütet über den „Höllen¬

grafen" oder den „Fluch des Geächteten", und vor Allem ist es Johann, des Doctors gebildeter Kutscher, der an der Thür jedes Schwerkranken aus dem liebebedürftigen Busen ein knallrothes Heft zieht, auf dessen Deckel der heitere Titel mit fetten Lettern prangt: „Der lachende Wahnsinnige" oder „Die Goldgräber von Californien". Da zuckt es denn von vergifteten Dolchen, da blinkt es von Bechern mit bösem Wein. Herrliche Teppiche dämpfen die Schritte der Mörder, und Ahnenbilder drehen sich leise in den Angeln und eröffnen den Zugang zu geheimnißvollen Gängen, Grüften und Kapellen. Jeder Satz nur eine knappe Zeile, jedes Kapitel ein Blutbad, durch welches der Leser bis an die Knöchel watet. Südamerika, Italien und der Osten Europas geben meistens Was aber die Schauplätze ab zu diesen unvergleichlichen Schöpfungen. diese selbstlosen Unternehmungen charakterisirt, das ist die rührende Bescheidenheit ihrer Autoren. Nur maskirt erscheinen sie in der Arena, allen Ovationen und Dankadressen auszuweichen. Verbummelte und noch mehr verschuldete Studenten; herunter gekommene Schreiberseelen; unglückliche, zerrissene Existenzen, verbergen ihre Frechheit oder auch das letzte Schamempfinden hinter glänzenden Titeln und hochtrabenden, meist russischen Namen, welche sich einzuprägen selbst der begeistertsten

Jahrzehnte hindurch war es ein, bekannter Philologe, welcher die Führung dieses litterarischen Gesindels übernommen hatte. Mancher von diesen geschmackvollen Romanciers ist dann später noch in dem Hafen der Wohlhabenheit gelandet, nachdem sein besseres Theil Küchenzofe schtver

werden sollte.

unter dem Spitznamen

„Der blutige Doctor"

längst Schiffbruch gelitten hatte. Ja, süß klingt die Pfeife dieser Vogelfänger!

Nicht nur Bilder verspricht man de» Opfern, auch Teppiche, Chronometer, Thee- und Kaffeeservices, Zimmereinrichtungen, ja, zuweilen

113

wohl auch eine Villa, ein Gewinn, der merkwürdiger Weise niemals an den

Mann kommt.

Wer aber wollte mit den Betrogenen rechten? Während an der Hinterthür der „blutige Doetor" anklopft, spazieren Emile Zola nnd Sacher-Masoch vorn über die mit Teppichen belegten, von Am¬ peln erhellten Treppen, bei der Herrin des Hauses ihre Visitenkarten abzugeben.

Zeit wohl ein Berliner Bühnen um die Palme des Blödsinns. „Der geschundene Raubritter" trieb allabendlich sein Unwesen vor dichtbesetztem Parquet, und der Thränen viele flössen um das „gedörrte Jungfernherz" oder „Das Gelbe vom Ei". „Der geschnndene Ranbritter" ist in die Gruft seiner Ahnen hinabgestiegen. Die „Hintertreppen- Litteratur" feiert noch heute ihre unlauteren Triumphe. Vielleicht, daß auch ihre Tage einmal gezählt Noch vor einem Jahrzehnt rangen zu gleicher

halbes Dutzend

sind.

-

welches, Jute kaum ein anderes, das Volkslied ehrt wahrlich empfänglich genug, die weit wohlfeileren, schlichteren, gemüthvollen und sittenreinen Erzählungen unserer treff¬ lichen Volksschriftsteller zu würdigen und lieb zu gewinnen, in dank¬ barer Trene sie sich zn eigen zu machen. Darinnen liegt ein noch viel zn wenig gehobener, reicher Schatz für unser Volk.

Ein Volk,

und pflegt,

ist

*

TriniuS,

Bam grüne» Strand der Spree.

8

XVII. Kerbst im Thiergarten. Wer sagt, daß es Herbst geworden? Zieht's nicht wie ein Hauch holder Frühlingsfreude durch die Welt? Ueber den frischen, smaragdgrünen Rasenteppich huschen und jagen sich die flinken Sonnen¬ strahlen wie spielende Kinder, und der Himmel lugt so heiter und wolkenrein durch die leisschwankenden Baumkronen, als hätte er das dumme Weinen für immer nun abgethan. Nein, Madame Natur verinag nicht zu lügen, ihre Wahrheitsliebe ist unbestechlich! Nur, daß sie laugst aufgehört hat, zu einer Modenärrin herabzusinken, welche sich ängstlich an Kalenderbestimmungen und peinliche Quartals¬ wechsel klammert. Heute ist sie cbeu galant und morgen wieder unlie¬ benswürdig, bald rauh abstoßend und dann wieder unwiderstehlich; sie quält uns mit ihren rasch wechselnden Launen, wenn wir still hoffend uns ihr anvertrauen und entschleiert uns tausend selige Reize und küßt und Iherzt uns voll überströmender Zärtlichkeit, sobald wir uns resignirt entschlossen haben, ihr den Rücken zu wenden. Nichts ist ihr unbequemer und häßlicher, als die starre Formel des Gesetzes und gleich allen ihres Geschlechtes, spottet sie übermüthig jeder Logik und macht uns dennoch zu Sklaven ihrer krausen Laune, denn jeder warme Blick aus ihren Augen wirft uns reumüthig zu ihren Füßen wieder nieder.

115

Das ist nicht der Herbst, der heute in Busch und Wald regiert, das ist der Frühling! In langen, bunten Schaaren drängt es sich aus der Stadt heraus und ergießt sich im wirren Durcheinander in die stolzen, breiten Avenuen und die einsamen,

sich

geheimnißvoll

verästelnden, lauschigen Waldstege.

Welch' ein ruheloses Drängen und Wogen zieht in heiterster Farbenfülle an uns vorüber, Augen und Ohren zugleich mit immer Mit wechselnden Bildern und Tönen blendend und beschäftigend! sichtlichem Wohlgefallen schaut der weimarische Jupiter drüben aus seinem grünen Versteck hinab auf dieses schillernde, rollende, tolle, aufund abfluthende Gewühl zu seinen Füßen und manchmal zieht es wie ein zufriedenes Lächeln über sein Antlitz.

Die großen, wundervollen

sich wie im Dankgefühl empor zum leuchtenden Tages¬ gestirn, der mächtigen Gebieterin Sonne, von der er selbst ja einst sang:

Augen heben

„Alles will

sie

mit Farben beleben,

Doch an Blumen fehlt's im Revier, Sie nimmt geputzte Menschen dafür."

-

Wie sich alles im Gefühl behaglicher Sorglosigkeit heute wie neuverjüngt in dem herrlichen Luft- und Lichtstrome badet! Wie¬ viel sich auch blitzende Uniformen und bunte Kleider in den verschlun¬ genen Gängen verlieren, immer neue Schaaren drängen unaufhalt¬ sam heran.

Plaudernde Gruppen harmloser Sonntagsbummler, verliebte Pärchen, Gouvernanten, mit unheimlich französischem Accent die kurzröckigen Schutzbefohlenen unterweisend; schlitzäugige Söhne des himm¬ lischen Reiches mit pendelnden, gewichsten Zöpfen tauchen dazwischen auf und mit vorlautem Geschwätz machen sich jobbernde Emporkömm¬ linge breit, bei denen Tugend nur unter pari gehandelt wird, aber das sinnige Veilchensträußchen im Knopfloch nie welkt. Auf und ab tvogt und summt cs und nickt und grüßt, heuchelt und kokettirt. Alternde Blumenmädchen, mit den duftenden Gaben durch die Reihen der Lustwandelnden; hier und da hockt ein Bettlerwcib und läßt die gemietheten Waisen in kurzen Intervallen unisono wimmern; die Fächer blitzen schelmisch auf und nieder, Federn und Schleier wehen von schönen Häuptern

des

Frühlings, drängen

sich

8*

116



und in den Laubkronen sitzen die malitiösen Spatzen und medisiren höhnen so laut, als hätten sie die liebe Kritik allein nur in

und

Generalpacht genommen. Und über all' dieses ruhelose,

lärmende, tolle und

bewegliche

Leben schüttet der Himmel die ganze Wonne seiner Zauberkraft aus! Die Fensterreihen der Villen und Prachtbauten erglänzen magisch im

goldenen Widerschein

der funkelnden Sonnenlichter.

gepflegten Vorgärten blühen die letzten Blumen.

In

den wohl¬

Hier und da

noch

von bunt¬

eine einsame, verspätete Rose, welche sinnend über das farbigem wilden Wein umsponnene Gitter nickt. Tritonen blasen lustig in die Muschelhörner; Fontainen rauschen und plätschern in schäu¬ menden Cascaden oder garbenförmig in die zierlichen Becken nieder und werfen wieder ihre blitzenden Wassertropfen wie übermüthige Ku߬ finger zu der alten Kokette Sonne empor. Aus einem geöffneten Fenster klingt's lieblich wie ein verwehendes Frühlingslied herüber. Und ist's nicht Frühling auch? Lockt und webt und lebt es nicht heute ringsum

in bethörender Pracht und berückendem Farbenglanze?Ach, es ist nur ein wehmüthiger Traum! Ein leiser Wind¬ hauch rauscht soeben durch die stummen Bäume und langsam, unhörbar,

rieseln die gelben Blätter, sonnenmüde und matt, zur Erde nieder, wie ein Mahn- und Weckruf des Herbstes an die Natur, aller Herr¬ lichkeit nun zu entsagen. Auf wieviel Freud' und Glück schauten sie Wieviel Schwüren und stammelnden Verheißungen durftet einst hinab! lauschen, die nun gebrochen und verweht sind, gleich euch, armen, ihr

falben Kindern des launischen Sonnenscheins. Alles verwelkt, selbst die Treue.... Ein Seitenpfad hat uns aufgenommen und immer verworrener klingt das Geräusch der lustigen Sonntagswelt in die einsame Abgeschiedenheit. Nur das Laub raschelt manchmal zu unsern Füßen oder ein Häher streicht mit lautem Schrei durch den Wald. Drüben jagt eine Welt voll Glanz und lockendein Genuß im tollen Wettlauf vorüber, und hier mahnt Alles zum Scheiden. Dennoch

erfreut uns mit stiller Heiterkeit die durch die Wipfel schimmernde Bläue des Himmels, und die Ruhe der Natur legt sich wie eine Hier ist's kein Traum; der tveiche Hand auf unser Empfinden. Sommer ging zur Rüste, aber die Gewißheit eines kommenden Früh¬

117

lings mildert die Trauer, angesichts aller Vergänglichkeit ringsum. Die Natur läßt uns ein Hoffen, selbst wenn sie Abschied nimmt. Immer stiller wird's um uns her. Da unten blickt ein Kreuzweg durch das Gehölz. Auf seine Drehorgel gestützt, lehnt ein alter Stelzfuß. Auf der Brust prangen verblichene Ehrenzeichen; die Mütze liegt als Opferstock vor ihm. Er hat uns erblickt und seht mechanisch die Kurbel in Bewegung. Wo „Lieb'Vater¬ er vorhin geendet, da hebt er just mitten drin jetzt an: land, magst ruhig

Mit

sein!-"

eherner Gleichgültigkeit dudelt er das Lied nun schon fünfzehn

Jahre, seit jener, gewaltigeil Zeit, welche ganz Deutschland in Waffen sah. „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!" Ja, er glaubt daran, er blickt auf seinen Stelzfuß und daß giebt ihm ein Recht. Was frommt es ihm, daß sich seitdem so Manches anders gewandelt hat? Ihm gehört die Erinnerung jener einzigen, großen Tage, und was er mit seinem Blute half befestigen, das will er auch festhalten, und das macht ihn zum Optimisten, trotz Stelzfuß und kümmerlicher Exi¬ stenz. umfängt uns schon wieder die heimliche Stille des Waldes, aber noch immer klingt uns das Lied durch die Seele, wie im leisen Echo. Drüben geht die inüde Sonne scheiden und das Gewölk des

-Längst

Abends röthet mit sanftem Hauch den stillen, kleinen Weiher, in dem sich die Marmorbilder eines edlen, hohen Königspaares sinnend spiegeln. Welch' ein tiefer Frieden weilt über dieser, der Liebe geweihten

Stätte! Schon liegt die Ruhe des Abends auf dem Wasser und Wald. Melancholisch neigen sich die Zweige in die dunkelnde, schweig¬ same Fluth, von welcher der Glanz des Tages nun auch entflohen ist. Lautlos gleitet ein Schwan hinüber zu dem schilfumstandenen Gestade. Von der Straße schimmern jetzt, wie leuchtende Glüh¬ würmchen, die Laternen durch das Gebüsch. Das sausende, bunte Leben ist verstummt, nur zuweilen huscht ein verliebtes Pärchen vor¬ über und verliert sich, zärtlich flüsternd, in den Seitenwegen. In den Fensterreihen der Villen strahlt das Licht der erleuchteten Salons gedämpft durch die geschlossenen Vorhänge; hier und da hält eine Equipage am Gartenportal, ein paar verschleierte Schönen trippeln

118

Trottoir; der Wagenschlag fällt zu, der Lakai schwingt auf den Kutscherbock und bald klingt nur noch aus der Ferne das Getrappel der Pferde, welche die Insassen zum Theater oder zur glänzenden Soirtze führen. Dunkel liegen die Gärten mit ihren Lauben, Vasen und Göttern und die Brunnen rauschen verschlafen hastig über das sich

durch die anbrechende

Nacht.

Da

sind

wir

schon

am Kemperplatz.

Durch die dunklen Kastanienhallen schimmert von der Stadt herüber mit märchenhaft blendendein Schein der elektrische Lichtstrom und jen¬ seits ragen die hohen Umrisse der Siegessäule zum Himmel empor, an dem jetzt die ersten Sterne herausziehen. Aus einer Seitcnallee humpelt, die heisere Drehorgel auf dem Rücken, langsam der alte, ergraute Stelzfuß heran. Am Wrangelbrunnen inacht er jetzt Halt und überzählt beim Schein der Laterne in der hohlen Hand die kümmerliche Einnahme des Tages. Betrübt Dann setzt er schlurrend seinen einsamen Weg zuckt er die Achseln. fort, vielleicht sehr ernsthaft eine zeitgemäße Repertoirveränderung erwägend. — Das Rollen der Wagen verstummt mehr und mehr. Melodisch fallen die Wassertropfen von Becken zu Becken am Brunnen nieder, wie im süßen Schlummerliede. Die Oder hat die Hände schützend auf die Augen gelegt, als blende sie der Lichter Glanz. Dann aber schließt sie sacht, gleich ihren Schwestern, die Augen, die Hände fallen in den Schooß zurück, sie schläft. Nur Vater Rhein sitzt aufrecht und ernst da, als horche er gespannt nach Westen in die sternenbeglänzte, weite Ferne hinaus.

XVIII.

Berliner Sonntagsjäger. Es ist ein eigen Ding um

Zu

den

heroischen

so

einen

Berliner Sonntagsjäger.

Erscheinungen der Residenz

zählt er schwerlich.

Weit eher geht es ihm wie dem bekannten Salontiroler: man lacht ihn aus. Mehr wie im realen Leben hat er von jeher in Kunst und Litteratur eine bemerkenswerthe Rolle gespielt. Auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, gehört der Sonntagsjäger allgemein zu den beliebten Possenfiguren. Selbst die Dichter unserer romantischen Zeit vermochten nicht, sich der heiteren Komik dieser waidlustigen Gesellen Singt doch Ludwig Uhland schon mit ergötzlichem entziehen.

zu

Humor sein: „Es gingen drei Jäger wohl auf

die Birsch,

Sie wollten erjagen den weißen Hirsch." Der tragische Schluß ist bekannt. Und Ludwig Richter, diese sinnige, kindlich-frohe Künstlernatur, malte mit sichtlichem Wohlbehagen ein drastisches

Bild

dazu.

Von allen Jägersleuten unserer Metropole: Kammer-, Enten-, Mädchen- und Ordcnsjägern ist der Sonntagsjäger entschieden der harmloseste.

Schade, daß er

sich selbst

versöhnlichen Eigenschaft bewußt ist!

Auftreten

nicht dieser beruhigende» und

Sein martialisches, blutdürstcndes

bildet den schneidensten Gegensatz zu der Hochachtung, welche

120 er außerhalb des Weichbildes vou

Berlin, in Feld und Flur genießt.

Es wird selten eine»: Hasen einfallen, beiin Erscheinen des trefflich kostümirten Nimrods Kehrt zu inachen, um in irgend einer entfernten Furche, zwischen Grünkohl und Kartoffelland, Schutz vor dem feind¬ lichen Feuerrohr zu suchen. Man kann zehn gegen eins wetten, daß der Schelm sitzen bleibt und dem grimmen Mann lächelnd Honneur erweist. Nur einer fürchtet den Sonntagsjäger. Das ist sein Hund.

Ich

habe Hunde gekannt,

die nie ohne tiefe Bewegung von den Ka¬

meraden der Nachbarschaft Abschied nahmen, wenn Sonnabend Abends zur Jagd aufgebrochen wurde. Man kaun es ihnen eigentlich nicht verdenken.

Wie

so

mancher hat schon draußen

sein stilles Grab gefunden, während das

auf grüner Haid'

Wild vergnügt

zwischen den

Kiefern verschwand. Und wie viele kehren heim, hüftlahm, durch's Bein geschossen, und verwünschen auf dem Siechenlager Pulver und Schrot und ihr armes, geplagtes Dasein. Dabei soll mau auch nicht den Humor verlieren. Auch die Tragik wirft manchmal ihre düsteren Schatten darüber hin. Denn zuweilen kommt es vor, daß der Hund der einzig Ueberlebende der Jagdparthie bleibt, weil der Nachbar vom angrenzenden Jagdgebiete seinen Herrn auf dem Anstand mit wohl gezieltem Schuß anstandslos in die ewigen Jagdgründe hinüber beförderte. Solchen Scharfschützen ist dann gewöhnlich die Lust am heiteren Waidwerk für alle Zeiten gründlich genommen. Gericht und Gewissen sorgen

dafür. Daß der Sonntagsjäger schon längst sich nicht mehr an den siebenten Tag der Woche bindet, dem Gethier, was da kreucht und fleucht, den bitterbösen Krieg anzusagen, darf als bekannt vorausgesetzt Was ihn aber überhaupt dieser Blutarbeit in die Arme werden. schon

Natürliche Anlagen, wie Ruhe und Treff¬ sicherheit, sind es keinesfalls. Auch nicht ein verhäugnißvoller Zug zum romantisch-abenteuerlichen. Diese Herren, die immer so satt, so still¬ vergnügt ausschauen, haben wohl kaum in ihrer Jugend den „Ro¬ binson", „Pfadfinder" oder „Waldläufer" in der Hand gehabt, um

treibt, ist schwer zu sagen.

nach der Lektüre desselben die verwegenste

Auswanderungspläne im Wachen

und

Kolonialpolitik und tollsten Traume zu verfolgen.

im

121

Schwerlich!

Wie

es

heutzutage

in

de»

Berliner Schlächter- und

Bäckerkreisen zum guten Ton gehört und als untrügliches Anzeichen für höhere Bildung gilt, ein Klavier zu besitzen und mindestens einmal jeden Winter ein Wohlthätigkeitskonzert im Bezirk, mit hellen Handschuhen noch hellerer Weste, zu beehren, so gehört es auch in jener Schicht unserer besitzenden Bürgerschaft, die durch Fleiß, Tüchtigkeit und Glück vom Keller zur „Belle-Etage", vom Hausknecht zum Hauswirth

avancirt ist, zur guten Sitte, im Verein mit einigen treugesinnten, gleichgestimmten Freunden, ein paar Meilen von Berlin ein sandund hasenreiches Jagdterrain zu pachten, um nun dort nach Herzens¬ lust ein Loch nach dem andern in die Luft zu schießen. Das „Böcke schießen" beginnt dann gewöhnlich erst nach erfolgter Rückkehr, wenn die Erregung der letzten Heldenthaten das Denken noch ganz erfüllt. Die Kostümirung des Berliner Sonntagsjägers ist tadellos, stylvoll- und den vielseitigen Anforderungen, welche die moderne Jagd an ihre Jünger heute stellt, durchaus angemessen. Vom Wirbel bis zum Zeh' ein vollendetes Ganze. Anzug, Waffen, Feder am Hut, gewichste Bartspitzen,

nichts fehlt,

nur —

die

gefüllte Feldflasche, der martialische Blick, Aber schließlich bleibt Man will sich amüsiren, und man amüsirt

die Kunst des Schießens.

dies ja auch Nebensache.

wieder, trinkt noch sehr oft und sehr viel und schwört beim Gläserklang dem heiligen Hubertus den Diensteid auf Lebenszeit. Einer fühlt sich im andern. Der Anblick des bis-an die Zähne bewaffneten Freundes erfüllt die sich

göttlich.

Man trinkt, man ißt, man trinkt

heroischer Größe. Keiner schrankenloseste unbändigste, glaubt dem andern, aber jeder heuchelt die Vertrauensseligkeit, sobald der Freund, Wahrheit und Dichtung innig vermählend, eine jener unverwüstlichen,' tausendmal gehörten nud eigene

Seele mit

tausendmal

einem

erlogenen

Schimmer

Jagdschnurren

von

herunterhaspelt.

Dabei

kann

man eigentlich nicht behaupten, daß der Sonntagsjäger mit der Unlvahrheit ein sträfliches Verhältniß führe. Wenigstens so lange ent¬ schieden nicht, als er sich in seiner eigenen Gesellschaft nur befindet.

In

die Waggonecke zurückgelehnt, raucht er dann eine Cigarre nach der andern oder schläft, eine Beschäftigung, welcher sein Hund unter der

Bank mit natürlichem Nachahmungstriebe sich gleichfalls hingicbt. Nur in

122 Gemeinschaft mit andern sachen heftig

tritt

das Laster der Verdunkelung von That¬

auf.

durch die märkische Streu¬ wird in dem Schlafe des Hundes allmählich deutliche Unterschiede herausfühlen. Etwas von der jetzt epidemisch auftretenden Kunst des Gedankenlesens überkommt einem dabei. Ein Hund, der sich während des Schlafes unruhig geberdet, erweist dadurch, das; die Jagdparthie erst beginnen soll. Die Todesfurcht vor den nächsten Stunden wirft bereits unheimliche Schatten auf sein lebens¬ frohes Gemüth. Anders, wenn es heimgeht. Ein kräftiges, behag¬ liches Schnarchen kündet uns schon beim Eintritt, daß alles vorbei ist, daß Herr, Hund und Wild glücklich allen Gefahren entronnen sind. Denn die Hasenlöffel, welche dort ans der einen Jagdtasche

Wer oftmals in

solcher Gesellschaft

sandbüchse gefahren ist,

neugierig sich spitzen, haben nie den Flintenschuß des jetzigen Besitzers vernommen. Sonntagsjäger, tvie alte Jungfern, genießen, wie bekannt, bei alleil Eisenbahnen die Vergünstigung, ihre vierbeinigen Schützlinge mit in das Coupee nehmen zu dürfen, diese unter der Bank, jene in den bangenden Schooß, wobei dann zuweilen die seltsamsten Dinge sich schon

zugetragen haben.

nahmegesetz.

Man

Jeder Schaffner respektirt dieses Aus¬

zeigt das Hundebillet, ein Schluck aus der Flasche,

verstohlener Händedruck — und Nero oder Lola sind geborgen, gerettet. Der Schaffner ist plötzlich von einer totalen Kurzsichtigkeit überfallen worden. Leicht ist es dann nicht, ein verdienstvoller und

durch deil dienstthueilden Beamten

Einlaß in

solch

ein Wigwam zu

Aber mail muß sich nicht beirren lassen. Wenn ich, vo,l einem märkischen Streifzuge heimkehrend, an einem Herbstabend irgendwo einen Zug nach Berlin benutzte, dann bin ich jedesmal mit Vorliebe in einen mit Sonntagsjägern gefüllten Waggon geklettert. Und wenn ich mir dann ein bescheidenes Plätzchen erobert hatte, und allmählich in dem von dichten Tabackswolken verhüllten Raum Uebersicht gewonnen, dailn habe ich stets mit wahrhafter Erbauung und innigem Behagen den Schilderungen dieser Wildtödter gelauscht, während der röthliche bekommen.

Glanz des Abendhimmels in den Fensterscheiben flimmernd verblaßte, und der Zug durch die dunkelnde, stille Landschaft rollte.

123

Das muthmaßlich aus dem Orient herübergekommene Wort „großartig", muß hier förmlich Spießruthen laufen. Großartig war eben heute wieder einmal alles gewesen. Der Empfang im Dorfe, der An¬ blick des ersten Hasen, der aufgeweichte Lehmboden, die Bowle im Kruge zum „Todtenmann", wie Müller nasse Füße bekam und Schulze beim vierten Frühstück mit dem Ast durchbrach. Ach! Und als nun gar ein Rehbock mit seiner Gattin aus der Kiefernschonung heraustrat! — „Unvergeßlicher Anblick!" spricht der Böttchermeister Hildebrandt, und tritt ein, als wären Fische mit kleinen Gräten als Zwischengericht soeben servirt worden. Arabeskenartig schlingt

ein großes Schweigen

dann um jedes dieser so oft gehörten Dinge und Erlebnisse ein Legendenkranz von Schnurren und Schnaken, wie lächerlich ernsthaften Einzelheiten, alles begleitet von Lachen, Staunen, beifälligem Grunzen oder niederträchtigem Kopfnicken. Kein einziger glaubt ja daran. Der eine stopft sich eine frische Pfeife, die er natürlich als echter Waidmann, trotz „Jönköpings Sakerhets - Tändsticker", nur mittelst sich

Feuerstein und Schwamm in Brand setzt; der andere zählt noch einmal das von einem Bauern erbeutete viertel Dutzend Wildenten durch, scheint sich aber verzählt zu haben, da er seine Bemühung mehrfach wiederholt; ein Dritter weckt seinen Hund, und als nun dieser mit lautem Gekläff an der Scheidewand zum Nachbarcoupee emporspringt, wo Kindergeschrei ertönt, jagt ihn sein Herr mit lautem „Kusch!" und leisem Fußtritt wieder unter die schützende Bank zurück. Und jetzt steht der Zug! Elektrische Helle füllt den weiten Perron. Die Nimrods klettern vorsichtig aus dem Wagen, und als

der Bahnhofsinspektor ihnen just den Rücken wendet,

zerren sie alle,

wie auf Kommando, den treuen Phylax, den blutdürstigen Nero und Diana heraus. Die sorgfältig in ein schönes Leder¬ futteral geborgene Büchse über der Schulter, die mit der theuer

die dunkeläugige

erkauften Kriegsbeute geschmackvoll garnirte Jagdtasche an der Seite, Nicht so schreiten sie die Stufen hinab, welche zum Ansgang führen. lauge darauf tritt ein jeder von ihnen, froh bewillkommnet, in das

Zimmer daheim, >vo ihm die wackere andere Ehehälfte erwartet. Ihr fragender Blick haftet mehr auf der Tasche, als auf seinem gerötheten Antlitz. Stumm und mit schlichtem Selbstbewußtsein reicht er der

124 Bedächtig trefflichen Schaffnerin seines Hauses die Jagdbeute hin. den hervorhängenden Löffeln heraus,

zieht dieselbe einen Hasen an

vor fünf Tagen die Sonne Homer's zum letzten Mal vorsichtig, Mutter!" sagt er mit ruhigem Scherz, wird noch bluten." „der Kerl Sie antwortet nichts. Sie hebt nur ein wenig ihren Kopf und blinzelt ihn aus dem halbzugekniffenen Auge an, halb lächelnd, halb spöttelnd. Ruhig hält er den Blick aus, daun geht er mit harm¬ losem Pfeifen in die Schlafstube, uin sich die schweren Kanoneusticfel von den Füßen zu ziehen. Die stille Heiterkeit eines Siegers lagert auf seinem Antlitz. Jahrelange Uebung hat ihm das leicht gemacht. Nero aber ist bereits zu seinem Dnkel aus den Nachbarhof gelaufen, um ihn mit dankbarer Seele seine Rettung aus der letzten Todesgefahr unter lautem Gebell zu erzählen. Als dann sein neugieriger, alter, zahnloser Verwandter nach sonstigen Jagderfolgeu ihn anknurrt, hüllt sich der Neffe in ein taktvolles Schweigen, indem er einen liegen gelassenen Knochen jetzt unverzüglich und ernsthaft in Angriff nimmt. dem bereits

lächelte.

„Man

XIX.

Merlin im Tannengrün. Wenn Abends beim unsicheren Flackerlicht der Gaslaternen die Hampelmänner ihre grotesken Gliederverrenkungen an den Straßenecken exekutiren, Waldteufel und Knarren uns umsummen, ersten

baumwollene Schäfchen trotz Markwährung noch für'n Dreier feil¬ geboten werden, wenn durch alle Etagen unserer Miethskasernen tastende Kinderhände: „Stille Nacht, heilige Nacht!" auf dem Klavier einüben — dann kann man, ohne den Kalender erst zu befragen, mit Sicherheit annehmen, daß die liebe Weihnachtszeit nicht mehr allznfern Aber noch weit lieblicher kündet sich das freudigste aller Feste ist.

Zeit, wo die Hauptstadt thatsächlich ein Zeit anlegt, wo auf Plätzen und Straßen über Nacht ein schmucker Tannenwald wie durch Zauber¬ hand ersteht und mit seinem Duft, seinem dunklen Grün weihnachtliche Vorfreude in aller Herzen weckt. Eines Morgens sind die ersten Tannen da! Der Geschäfts¬ mann, so eilig er's auch haben mag, mäßigt unwillkürlich für einen Augenblick seine Schritte und läßt die Angen mit flüchtigem Wohl¬ an.

Ist

es doch die einzige

poetisches Getvand

sich

für

kurze

gefallen auf den schlanken, hübsche» Gcbirgskindern ruhen, ehe er weiter stürmt. Die Schuljugend aber braucht erklecklich längere Zeit, ihre Neugier und ihre Sehnsucht zu befriedigen. Mit leuchtenden Augen

126

grüßen Buben und Mädchen die langersehnten Weihnachtsboten, und wispern sich dabei verstohlen all' die schönsten Herzensgeheinmisse in die Ohren. Wie neulich die Schrankthür offen stand und Käthe ganz deutlich eine Puppe in rosa Taffet sah — warum Papa jetzt Abends

mit Packeten nach Hause kommt und Fritz nicht mehr hinaus¬ sehen darf, wenn es klingelt. Und dann — mit der Tante — da ist es ganz sicher nicht mehr richtig — die hat auch ihre Heimlich¬ stets

keiten und lacht so komisch,



auch Knecht Ruprecht

hat schon neu¬

lich angefragt, und geknistert hat es ebenfalls nebenan wie Rauschgold

und

Flitter — —

ach,

die

Herzchen

sind

wirklich zum Ueber-

laufen voll. Aber auch sonst steht das dunkle Tannengrün unserem Berlin gut zu Gesicht. Die Hauptstadt ist eben nicht allzusehr verwöhnt durch üppige Laubentfaltung während der warmen Jahreszeit. Was da an Kugelakazien, Linden und Rüstern in den dunst- und menschenangefüllten Straßen ein kümmerliches Dasein fristet, trägt oft schon Gas- und Wasserleitung, den Todeskeim der Schwindsucht im Herzen. Telegraphie, Rohrpost und Kanalisation, Umpflasterungcn, Schicnenlegeu und anthropologische Knochenjagden — kurzum, ein unermüd¬

läßt Wurzeln weder viel Raum, noch genügend Zeit, sich fröh¬ lich und gesichert in die Erde festzuklammern. So kommt es denn, daß diese krankhaften, dürrbeinigen Laubgespennster weniger eine Zierde der Straßen, als Rendezvousplätze für die zahllosen Sperlinge der Nachbarschaft bilden, welche nun in den Kronen dieser Lästeralleen sich tagüber die Chronik der Straßen mit oft recht ungeziemenden liches, unsere Reichshauptstadt charakterisirendes Bnddelsystein, es

den jungen

und boshaften Randglossen gegenseitig zuraunen. Da kann es denn nicht fehlen, daß diese stattlichen, harzduf¬ tenden Tannen die Monotonie der Häuserzeilen in der anmuthigsten

für

Zeit unterbrechen. Frei¬ Mauern Alt-Berlin besitzt in seiner werktüchund Herzen Berlins hielten. tigcn, seßhaften Bürgerschaft ein gut Stück Pfahl- oder Spießbürgerund wohlthuendsten Weise

eine Spanne

lich, lange ist's noch nicht her, daß dieselben Einzug in die

thum,

dessen

dessen zähes

hartnäckige Widerstandskraft

Festhalten

gegen

alle

Neuerungen,

an dem, was seit Urväter Zeiten bestanden,

127

von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt hat, selbst wenn es als verstandswidrig und geschmacklos erkannt worden ist. auch der Berliner Bürger bei jedem öffentlichen fortschrittlich sich So Anlasse aufspielen mag, in seinem Thun und Denken daheim lebt noch ein pedantischer und zuweilen engherziger Geist, der sich weder todtschlagen, noch todtschweigen läßt. Es hat lange gedauert, ehe die sich

noch so unpraktisch,

all' die monströsen Pyramiden Blumen aus betn Felde schlug, bis statt giftigem Grün, Rauschgold und steifen von Poesie und Waldmärcheil umwobeue Wachslichtern auf dem schwankenden Ge¬ zweig, zum ersten Male den Festtisch des Berliner Pfahlbürgers zur

Tanne mit ihrem schlichten und Kronen mit gemachten dieser Spottgeburten von Stearinkerzen - Haltern der Tannenbaum mit zierlichen Christnacht

schmückte.

Nadelkleide

Noch hellte ist

jene

geschmacklose

Verirrung

nicht ganz ausgerottet.

Was in früheren Jahrzehnten nicht der Pyramide oder Flitter¬ krone huldigte, mußte zur Kiefer seine Zuflucht nehmen. Die Mark Die schwermüthige Kiefer allein ist das Kind besitzt keine Tannen.

übel beleumdeten Mark. Mit ihrem rothglänzenden, knorrig sich verästelnden Stamme lind der malerischen, weit ausgrei¬ fenden Krone gleicht sie als Einzelbanm auf stiller Haide der Pinie des Südens, umblüht voll Haidekraut, Immortellen uild Skabiosen, der mit Unrecht

so

In

den umsummt und umgaukelt von Bienen und Schmetterlingen. lauscht empor, leicht und ineileulveiten Wäldern aber steigt sie schlank dem Rufe des Pirols oder beschaut sich sinnend in den blauen Fluthen einsamer Seen. Auf den Weihnachtstisch gestellt, fehlt ihr aber doch jene graziöse Schönheit, jener träumerische Zauber, welcher dem Tannenbaum mit seinem dunklen, verworrenen Gczlveig eigen ist und die

kindliche Seele mit dcni süßen Schauer märchenhaften Glückes erfüllt. Erst die Eisenbahn, die von den Poeten bestgehaßte Errungen¬ schaft unserer Zeit, hat auch auf diesem Gebiete vernichtend und zugleich

schöpferisch

eingegriffen.

den echten und rechten Festschmuck

Ihr

hat die Reichshauptstadt erst zu danken. Der

für Weihnachten

schwunghafte Handel mit den Weihnachtstannen nimmt von Jahr zu Jahr immer größere Ausdehnung an. Wenn der Herbst aus den Bergen Norddeutschlands entflohen

128 ist, Schnee die

Klüfte füllt, die Abhänge wie in Hermelin hüllt, Eis¬

zapfen an Felsen und Bäumen glitzernd hängen, dann geht es unter den Tannen droben an ein bitteres Abschiednehmen. Auf Nimmer¬

wiedersehen!

im Stillen gefreut auf das seinem Sonnenglanz und Vogelfang, wenn die Wolken so lustig über sie dahin in blauer Höhe wieder fliegen würden und der braune Bursch mit seinem Mädchen zur Sonntagsrast in ihre verschwiegenen Schatten hinaufgestiegen

So manche hat gehofft und nächste Jahr, auf den Frühling

sich

mit

Monate und Stunden bis dahin in ihrer verschneiten Einsamkeit langsam ausgerechnet, doch als sie beinahe zu Ende damit war, da war alle Gedankenarbeit umsonst geivescn. Stimmen nahten sich, dann der Förster mit seinen Leuten. Dann käme.

Sie hat

sich

die

Schlag, noch einer; ein Zittern flog durch ihre Glieder, — sie wollte sich stützen, lehnen — umsonst. es schwindelte ihr im Kopfe Leise wimmernd sank sie nieder in das schneefeuchte Moos. Nun war es aus mit dem prächtigen Frühlingstraum. Sie ist von den Bergen mit vielen ihrer Schivestern hinab¬ gezogen und das Scheidewort der Zurückbleibenden klang ihnen allen Leb' wohl, Berglust und Waldesherr¬ noch lange im Herzen nach. geschah ein

freies Thüringer Land! Das war Aber nun stehen sie in langen Reihen auf¬ gepflanzt oder zu kleinen Wäldchen vereint zwischen himmelhohen Häuser¬ massen und gucken hinauf, wo die Sonne eigentlich bleibt, und der Sturmwind, der immer so lustige Wanderlieder ihnen in die Ohren blies. Und die Finken und Dompfaffen scheinen auch die alte, gute Freundschaft abgesagt zu haben, statt ihrer huscht hin und wieder ein grauer, struppiger Spatz durch die trauernden Ziveige, mit frechen lichkeit!

Leb' wohl, du schönes,

eine trübe, böse

Fahrt.

Blicken und blastrten Redensarten. Doch da drüben, richtig, da sind ja auch Tannen, grüßen und nicken jetzt auch herüber. Aber merk¬ würdig! Wenn sie reden, ist kein einzig Wort recht zu verstehen. Sonderbare Sprache! Das sind Schwestern aus dem schlesischen Riesengebirge und nicht weit davon stehen welche ans den Bergthälern der Frau Ilse, Bode und Selke. Fast jede hat einen andern Dialekt,

und da bleibt nichts übrig,

als jeden Morgen nur mit stummem

129 Kopfnicken die Pflicht der Höflichkeit und Verwandtschaftsbeziehungen zu beobachten.

Wie viel giebt

es aber jetzt

ringsum zu schallen und zn

beob¬

Man lilöchte wahrhaft tausend Ohren haben. So ganz fremd¬ artig sind die Menschenkinder ihnen freilich liicht. Jenes Modedämchen, das soeben mit Notenmappe und Pelzmütze vorübertrippelt, kennt die eine alte Tanne ganz genau, und wenn das hübsche Kind nur einmal hinhorchen lvollte, was durch die harzduftenden Zweige rauscht uild achten!

flüstert, es würde sicherlich ein Schimmer hellster Freude über dieses muntere Antlitz fliegen. Nicht eher würde die Kleine ruhen, als bis die alte Bekannte aus dem stillen Thüringer Walde daheim auf dem Weih¬ nachtstische stünde, damit sie mit ihr wieder plaudern könne von dem, was Niemand weiß und gesehen hat, als die alte Tanne und noch Einer. Das wäre gewiß ein doppelt frohes Weihnachtsfest! Aber sie geht vorüber. Warum bin ich hier? fragt Leise seufzt die Tanne.

Warum? Sieht sie nicht, wie da unten aus einem Kellerfenster ein blasses Kindergesicht mit dunklen, brennenden Augen bald zu ihr hinübcrblickt, sie.

danil wieder zu dem Stückchen blauen Himmel, das zwischen den Häu¬ sern sichtbar wird? Der Kleinen ist es längst da unten zu öde, zu schwül geworden, sie sehnt sich unwillkürlich dahin, woher man all' diese grünen Bäume holte; sie hat noch keine Berge oder Wälder gesehen, aber sie ahnt, es müsse dort freier und heller und schöner ausschauen, als bei ihr in der dumpfigen Erdhöhle, als müsse dort eine Luft wehen, die alle Schmerzen heilt. Aber da kommt der Husten schon wieder, und nun klettert sie vom Fensterbrett herab und setzt sich still in die Ecke und weint. Am Abend — die Tannen drüben schlafen wohl schon längst — weint sie auch wieder, als die Kinder des Hauswirths über ihr zum Klavier „O Tannebaum, o Tannebaum!" fröhlich singen. Wenn sie doch auch singen dürfte und hinübergehen und sich ein Bäumlein holen könnte, um es mit Flitter und süßen Herrlichkeiten auszuschmücken! Ein paar Tage haben die Tannen in den Straßen Zeit und Muße gefunden, das Leben und Treiben der Hauptstadt sich anzu¬ schauen. Bis auf die Kinder schien sich Niemand ernstlich um sic zu

Tr in ins,

Vom grünen Strand der Spree.

9

130 kümmern. Der Mann, welcher sie gekauft und hierher geschafft hatte, war bald nach ihrer Ankunft bemüht gewesen, ihnen ein frisch ange¬ strichenes oder mit buntem Papier überklebtes Fußgestell anzuschrauben,

ihr freier Sinn dagegen sträubte. Jetzt kommt es Unser Mann ist zugleich auch Chirurg. In dem kleinen Bretterverschlag erscheint er eines Morgens mit Säge, Bohrer so sehr sich auch

noch schlimmer.

Seine Kennerblicke schweifen über die zitternden Tannen¬ bäume, dann greift er einen nach dem andern heraus und geht ihm mit den Mordinstrumentcn pfeifend und thatbereit zu Leibe. Hier wird ein Arm abgehackt, dort ein neuer eingesetzt. Der einen Tanne stutzt er das Haupt, der andern schneidet der Barbar kalt lächelnd ein Stück des Fußes ab. Dann beginnt der Handel. Und noch ein¬ mal geht's für die Tannen zum Scheiden. Eine jede fühlt, es ist für immer. Die eine wandert dahin, die andere dorthin; über teppich¬ und Axt.

belegte

Marmortreppen oder elende, steile Hofstiegen, balj» unter's

Dach, bald in den Keller. Immer dünner werden die Reihen, immer stiller und einsilbiger Gegen Abend kommen dann regelmäßig die die Unterhaltungen. armen Kinder und sammeln die einzelnen abgeschnittenen Zweige und tragen sie nach Hanse. Wenn es dann genug sind, wird eine Py¬ ramide ans lebendigem Nadelholze zurechtgebant und mit Streifen und Ketten von buntfarbigem Papier freundlich umwickelt. Das kostet nur ein paar Pfennige und es wird auch die Herzen erfreuen. Ein Kind bedarf zum Freuen nur wenig. So kommt der Heilige Abend heran. Es ist kalt. Die Sterne funkeln am Himmel, und die Mond¬ sichel scheint hell und scharf

auf's Kirchendach.

Neben dem Bretter¬

verschlag des Tannenbaumhändlers glimmt ein Kohlenbecken,

und die Hände mit den gestrickten Handschuhen tapfer aneinander schlagend, stampft unser Mann vor seinen letzten Bäumchen auf und nieder. Es sind nur noch ein paar armselige Dinger versammelt, schlecht Auch sie finden heute noch ein warmes gewachsen, dürr und wohlfeil.

Unterkommen.

Arme Handwerkerfraueil kommen noch spät, nur wenige Groschen in der Tasche; aber sie werden genügen. Der Mann ist nicht hart. Es drängt auch ihn nach Hause, wo seine Kinder sehnsüchtig harre».

131

Bald ist der Handel

abgeschlossen.

Das

letzte Tannenbäumchen sagt

aber heute festlich frohes und wandert in ein Heim. Nun wird die Bretterbude flugs zusammengeschlagen, auf einen Karren gepackt, Säge und Handwerkszeug folgen, das Feuer im Kohlenbecken erlischt, der Tannenhändler verläßt den Stand und trabt Nur ein Haufen zusammengefegter Zweige kündet am nach Hause.

Lebewohl

schlichtes,

andern Morgen dann die Stätte, wo die grünen Gebirgskinder ihre letzten Tage vereint durchlebten. Das funkelnde Leuchten der Sterne aber scheint jetzt zu ver¬ bleichen vor dem Lichterglanz, der nun von Haus zu Haus, auf und ab, durch alle Fenster bricht. Die Heilige Nacht, Weihnacht ist da! O, Kindermund, der du, dir unbewußt, ein Glück bejubelst und begrüßt, das nur die Jugend kennt und voll genießt, das, noch einmal zu erfahren, wir späterhin so gern oft alle Weisheit und allen Ruhm für eine

Stunde Lugäben! Ja, nun ist wieder einmal Weihnacht da! Die Kerzen flammen, die Augen strahlen, und unter dem duftenden, buntschillernden und flimmernden Tannenbaum haben Liebe und Freundschaft eine Welt von Glück ausgebreitet. Friede und Freude wohnt fast überall. Hier schlagen Kinderherzen in seliger Lust, dort fallen tiefbewegt Thränen der Dankbarkeit wie Perlen zwischen die Christgaben mitempfindender, edler Menschen.

XX.

Die Aurgsirnße in Kerlin. Es giebt nur wenige Straßen Berlins, in denen

sich

^in

gleich

eigenartiges, lute buntes und geräuschvolles Leben abspielt, welche nicht nur durch den reichen Schmuck ihrer Gebäude hervorragen, sondern zugleich auch durch eine malerische Lage am breiten

mit

Strom, verbunden

Zauber historischer Erinnerungen, einen ebenso poesievollen, wie großstädtischen Anblick gewähren, als die Burgstraße. Das mit wahrhaft amerikanischer Fieberhaft sich vollziehende dem

Wachsthum der deutschen Reichshauptstadt, welches rücksichtslos lieb¬ gewordene, alte Stätten vernichtet, dem Boden gleich macht, oder an ihrer Stelle neue Palastbautcn über Nacht erstehen läßt; Bäume des Morgens pflanzt, welche Abends bereits ihre milden Schatten spenden; Wasserläufe hemmt und blaue Seen aus der Erde zaubert; Berge versetzt und Spittelkirchen in Inselperrons umwandelt: Alles dies

drängt gleichsam dazu, jene Bilder noch einmal zu bannen und zu skizzireu, ehe die nächste Tageswelle sie vielleicht schon begräbt.

Zu allen Tages- und Jahreszeiten bietet die Burgstraße eine Fülle reizvollster und anziehendster Bilder. Sie ist in der That die originellste Straße unserer Residenz. Wie eine Grenzmauer zieht sie sich au dem klaren, frischen Spreestrom entlang. Hart auf der einen Seite liegt die City mit ihren engen, hohen, ungastlichen Straßen

133 und beut hastenden Drängen und Jagen Gewerbetreibender, Kaufleute, Gerichts-, Post- und Magistratsbeamten, im tollen Wirrwarr von Fuhrwerken und Verkaufskarren aller Art durchkreuzt und durchfluthet; auf der andern Seite, sobald man eine Brücke überschritten hat, breitet sich eine Stadt des Schönen, Herrlichen, edler Kunst Geweihten aus und der Blick schweift an stolzen Königspalästen vorbei, weit hinab, bis zu dem Triumphwagen der Viktoria droben aus dem Bran¬ denburger Thore. Und nun erst, welch' ein entzückendes Bild von Auf und ab den breiten, dem Balköne eines Hauses der Uferstraße!

mit zahllosen Fischerkähnen und Fischkästen bedeckten Fluß, von kastellartigen Bau der königlichen Mühlen bis zu der, von den

dem ehr¬

würdigen Bäumen des Monbijou-Parks eingebetteten, goldblitzenden Kuppel der neuen Synagoge. Vor uns das imposante Schloß zu „Cölln an der Spree", und Stylarten gleichsam die wachsende Bedeutung Kurbrandenburgs wiederspiegeln. Wie traulich und schlicht, eine lebendig gewordene, freundliche Idylle, lehnt sich, unter Büschen halb versteckt, die alte Schloßapotheke an das mächtig hingelagertc Königsschloß. Dort, hinter dem Dom, der noch immer in solch frag¬ dessen wechselnde Bauepochen

würdiger Schönheit den fatalen Abschluß einer Triumphstraße, wie die Linden längst geworden sind, bildet, breitet sich, von dem mit mächtigen Quadern bogenförmig eingeengten Strome, der hier mit reißender Schnelligkeit vorüberstürmt, ein sanfter, grüner Rasenplatz aus. Da blühen sommerlang große, goldene Sonnenblumen, da nicken Bocksdorn, Weiden und Schlehengebüsche über malerische, rothe Steinhaufen; lustig flattern zuweilen frisch gewaschene Wäschestücke im Morgenwinde und zwischen den hohen Mauern des verödeten und vergessenen Campo santo der Hohenzollern spazieren grasend muntere Zicklein umher oder beschauen sich meckernd im blauen Strome. Da ist's gut weilen. Da liegt die Sonne tagüber wie eine warme Hand auf dem stillen Fleckchen Erde und meint sic es einmal gar zu gut, so kommt der Fluß und sendet seine frischen, erquickenden Lüste herauf. Weiter hinaus schimmert der Säulengang der Nationalgalleric, die Partriesen von Monbijou drängen sich dazwischen und bilden einen wohlthuenden und farbenreichen Gegensatz zu den rothen und gelben

134

Thürmen und Hallen der Heilanstalten weit unten am Kupfergraben. Zwischendurch schlägt die Stadtbahn einen kühnen Bogen, über welchem in kurzen Intervallen ein dampfender Zug, wie aus einer Coulisse in die andere, das prächtige

Bild quer

seits über die Lange Brücke

mit

durchschneidend, sausend

dem ehernen

rollt.

Jen¬

Standbilde fort, schweift

das Auge an den Gebäuden des Marstalls,

stattlicher Fabriken und Färbereien entlang bis zu den Mühlen mit ihren blitzenden und schäu¬ menden Wehren, Steinbastionen, Thürmen und Erkern, die einen unge¬ mein wirkungsvollen Abschluß der pittoresken Scenerie bilden. Die Tage der Mühlen sind gezählt, steckenden

Mühlendamms.

wie auch die des dahinter sich ver¬ Und wenn erst beide verschwunden sind,

wenn eine breite, monumentale Brücke ein neues Band zwischen Cölln und Berlin geknüpft hat, dann ist unsere Stadt um eine großartige Perspektive reicher, von Monbijou bis zu der duftenden Ferne nach Treptow hin. Aber die Herren am Mühlendamm fragen viel nach Aussicht und Perspektive, wenn ihnen darüber die Einsicht in ihre poetischen Kleiderhöhlen, die Perspektive

auf ihre langen Reihen

abge¬

tragener Kleider und verschossener Uniformen verlustig geht. Und nun die Burgstraße selbst! Da hat fast jedes Hans seine

Wie viele Erinnerungen werden da wieder Eine bunte, seltsam zusammengewürfelte Gesellschaft! Hart an der-Brücke ragt die „alte Post" in die Höhe. Wohl klettern heute Firmenschilder und Affichen durch alle Etagen bis zur Dachrinne empor, bedecken prahlerisch Front, Flur und Hof, und >vo einstens Läufer, Troßbuben, Pagen sich tum¬ melten, betreßte Lakeien sich auf den Rücktritt schwerfälliger Staats¬ karossen schwangen, Cavaliere mit Degen, Allongeperrücke und SchlitzGeschichte, seinen

Roman.

wach, wie viele Gestalten steigen wieder herauf!

*1

wamms tänzelnd aus - und einschwirrten, der schönen Maitresse Fri edrich Wi lbelm's III. der Gräfin von Wartenberg, Huldigung und Handkuß mit unterthänigem Lächeln darzubringen: da stapeln heute Manufakturwaaren, Cigarren und andere Verkaussobjekte, da haben Amor und Pan ihre Herrschaft längst dem einsichtsvolleren Hermes abgetreten und im Thorwege des Palastes hockt heute der Dienstmann und gähnt verdrossen in den Morgen hinein. — Ueber die Königsstraße fort, s

das zweite Haus.

Wer kennt nicht den kleinen Laden der

russischen

135

Caviarhandlung und den alten, originellen Herrn in der Ladenthür? Alles war russisch an ihm: Gang, Wesen, Dialekt — nur die joviale Gutmüthigkeit auf dem Antlitz nicht. Die war gut deutsch. Nun wiegt er nicht mehr Caviar mit ängstlicher Genauigkeit ab, zählt nicht mehr, die Brille auf der Stirn, schmunzelnd die Goldfüchse im Kasten, die Grade am Thermometer und die Passanten auf der Straße, nun ist auch er dahin gegangen, von wannen Keiner zurückkehrt.

Daneben steht

Reihe

eine

Gasthöfe.

Zwei feindliche Brüder

nebeneinander, von denen der eine noch eine hohe Steintreppe aus¬ weist, welche bis heute noch kein Bann- und Machtspruch beseitigen konnte, trotz aller Gefährlichkeit der Passage. Es ist ein Freihaus sich hier einst der große König vor Bullen hinausflüchtete und fortan das Hans aus Dankbarkeit mit manchen Privilegien ausstattete. Daneben steht der „König von Portugal". Aber nur noch über der Thüre prangt die Inschrift, der „König" selbst, vor dem einstens die präch¬ tigen Helden der „Reis' nach Billigen" unter tausend Kratzfüßen und Reverenzen ihre Dorfmützen ehrerbietig zogen — er steht nicht mehr

und die Tradition meldet, daß

einem heranstürmenden, wilden

in der Thüre.

Er

ist, wie

so

manches gefürstete

schwindelnden Höhe unbarmherzig

Haupt, von seiner

gestürzt worden.



Neben dem

„König von Portugal" befand sich noch vor einem Jahrzehnt die alte Berliner Kaufleute, wo man allsonntäglich während der Kirchzeit die neuesten Witze und Kurse notirte. Die Ressource hat Einige sich seitdem ein neues Heim in der Schadowstraße geschaffen. Ressource

Häuser weiter steht die Kriegsakademie. Auch sie hat jetzt ein pracht¬ volles, neues Heim gefunden. Das bunte Bild, ivclches die Vertreter aller Waffengattungen hier einst boten, kehrt nicht zurück. Auch der große Hausflur, auf denen zahlreiche Offiziersburschen aus Liebe und Langeweile mit den Zofen des Hauses Kurzweil trieben, steht verödet, und Jahre sind schon verflossen, seitdem zum letzten Male die ehr¬ würdige Gestalt des Stnrmkünders Dovc langsam herabschritt, um sich

drüben untev den Kastanien des Lustgartens im warmen Sonnen¬ Wie schön sang damals Julius Wolfs dem Alten

schein zu ergehen.

zu seinem fünfzigjährigen

Doctorjnbiläum zu:

136 „Sturmkundiger Meister! Dir bring' ich's dar. Du bist nun Doctor schier fünfzig Jahr, Hast manchen Sturm erlebet." „Riss' auch einmal eines Sturmes Wuth Vom Haupte Dir Deinen Doctorhut, Dir wird wohl nimmer d'rum bange; Fest, sturmfrei sitzt Dir ein grüner Kranz, Den raubt nicht der Windsbraut rasender Tanz, O, trage ihn fröhlich noch

lange!"-

Durch den Durchgang nebenan blickt man

noch

auf die vcrwet-

terten Gebäude, ivelche ehemals den Aebten von Lehnin zum Absteige¬ quartier dienten. Neben „Hotel de Saxe" liegt das einstige Joachimthal'sche Gymnasium. Die Alumnen und Lehrer haben aber längst die feuchten Stuben und dumpfigen Gänge mit lichteren Räumen am

Grnnewaldes vertauscht; Homer und Cicero sind ver¬ hier hat Merkur sein Reich jetzt aufgeschlagen. Wo unter alten Bäumen sich die lärmende Jugend in frohen Spielen regte, zieht sich jetzt eine neugeschaffene Straße entlang, drüben von Da prangt dem stattlichen Anbau der Börse begrenzt. Ja, die Börse! der „Giftbaum" unserer Nation und unter seinen Zweigen entfaltet sich allmittäglich ein Leben, welches im schroffsten Gegensatze zu der Rande

stummt,

des

auch

Idylle gegenüber steht. Da rollen Equipagen, Droschken in langen Kolonnen heran; Säulengang, Treppen und die Straßenfront entlang wogt es in beschaulichen

schwarzen, lärmenden Massen tumultuarisch ans und ab; Alles rennt

durcheinander; was drinnen nicht Platz findet, nicht finden kann, ballt Mit flüchtigen: Gruße streift inan sich, sich hier zu Knäueln zusammen. nian wechselt Blicke, Kurse, Bonmots und Händedrücke, man schwört und prahlt, notirt und kalauert; täglich schwirren neue Gestalten um den „Giftbaum", das Glück der blinden Göttin waghalsig herauszu¬ fordern. Dazwischen drängen sich Blumenmädchen, Lehrlinge, Tclegraphenboten, Streichholzhändlcr und unbeachtet schleicht ein Straßen¬ philosoph durch die erregten Haufen, die zahllosen, weggeworfenen Cigarrenstummel unverdrossen wieder zu sammeln. Aber die Börse ist cs durchaus nicht allein, welche der Burgstraße ein so charakteristisches Gepräge verleiht. Auch das Bild auf den: Strome, das von: Morgen

137

bis in die Nacht



dort entfaltende Treiben des Fischereigewerbes, für sich allein gepachtet hat, trägt ein gut Theil zn der eigenthümlichen Physiognomie dieser Straße bei. Wie malerisch, wenn die schmalen, flinken Fischerkähne, mit aufrecht stehendem Ruderer, üb^r die Wasserfläche dahingleiten, unter den Zweigen der Schloßapotheke vorbei, an den grauen Mauern des sich

welches die gesammte Wasserstrecke

Königsschlosses entlang, um dann durch Brücke dem Auge zu entschwinden.

die Steinbogen der langen

Jede Jahreszeit bildet neue Bilder, neue Reize. Kaum daß der Winter Abschied genommen, da nahen schon die ersten Frühlingsboten. In langen Reihen kommen die Schwäne von Potsdam und Spandau her die Spree aufwärts geschwommen, um nun hier bis zum eintretenden Froste zu weilen und dem anmuthigen Strombilde noch einen erhöhten Schmuck zn geben. Denn immer lieblicher gestaltet sich der Anblick der Burgstraße. Die Mauern des alten Schlosses, das gerade nach der Wasserseite zu einen träumerisch melancholischen Zauber ausübt, beginne» sich zu schmücken. Längst schon blühen Hyacinthen und Schneeglöckchen im Garten der Schlo߬ apotheke, aber auch im kleinen Schloßgärtchen stecken grüne Hasel¬ büsche neugierig ihre Köpfchen über die Mauern. Und nun wird es bunter mit jedem Tag! Die Wetterfahnen ans den zierlichen, behelmten Thürmen knarren nicht mehr so oft, von dem häßlichen Geschrei der Dohlen und Thnrmfalken begleitet; die Schwalben sind heimgekehrt, und wiegen sich zwitschernd in den Lüften. Wie das blüht und duftet überall! Im Lustgarten am Dom haben die Kastanien ihre schim¬

mernden Kerzen angezündet und leuchten lenzverkündend herüber; die Wiese neben dem Campo Santo hat sich auch ein buntgewirktes Ge¬ wand angelegt und ein entzückendes Bild bietet der schmale Garten

hinter der Apotheke, vom Wasser aus

gesehen. Dichte Fliederbüsche und Goldregensträucher nicken über das Eisengitter, in allen Farben glühen die Beete und Fensterbretter und weiter unten schlagen jetzt

in dem Schloßgarten die stolzen Akazien ihre Blüthenaugen auf. ist das Zeichen, daß der Sommer naht. Da liegt dann die Sonne brütend auf der Häuserfront, deren Fenster tagüber verschlossen bleiben: da wallen die Fremden, „Bädecker" auch

Das

138 und „Grieben" in der Hand, die Burgstraße entlang und können sich nicht satt sehen an der prächtigen Idylle so mitten im tollen Getriebe einer Weltstadt. Ja, zuweilen wagt es ein enthusiastischer Kunstjünger, von einem Thorweg aus, das gegenüberliegende Schloßbild flüchtig seinem Skizzenbuche einzuverleiben. Aber mit Vorsicht und Denn darin ist Berlin noch immer Provinzialstadt Wachsamkeit. geblieben. Was in München, Prag und Nürnberg unbeachtet bleibt, noch

immer

der Burgstraße stiller und

stiller.

als ganz selbstverständlich hingenommen wird, erregt hier das peinlichste Aufsehen.

Im Der Puls

Sommer wird

es

in

des Börsenlebens schlägt da nicht so

fieberhaft und erregt,

als zu einer anderen Jahreszeit; die Fenster bleiben in der Straße oft wochenlang verhangen und während in den Zeitungen sich hier und da die Seeschlange umheimlich zu regen beginnt, weilt ein Theil der Bürgerschaft am Nordseestrande oder in dem Gebirge hoch oben. Erst wenn die Tage wieder abnehmen, wenn die Rosen allmählich drüben verblühen und Astern reihenweise aufmarschiren, wenn die flim¬ mernden Morgen- und Abendnebel auf dem Flusse den nahenden Herbst verkünden, dann regt sich tvieder der alte Pulsschlag. Eines Tages geht es wie ein Lauffeuer durch die Königstadt, daß der erste Obstkahn gelandet ist. Nicht der „Werder" oben an der Eisernen Brücke, die treffen schon mit den ersten Frühkirschen im Juni ein, aber der sonnverbrannten, wortkargen Söhne aus dem schönen Böhmer¬ lande. Bald ist der ganze Strom, entlang der Häuserfront, mit reich beladenen Kähnen bedeckt und wieder entfaltet sich ein originelles,

buntes Leben

ans

den Fahrzeugen,

Verkanfsgerüsten und am Ufer.

Von Morgens bis Abends kommen und gehen die Berliner Groß- und Kleinhändler; Hundekarren, Möbelwagen, elegante Equipagen der vor¬ nehmen Welt versperren fast die ganze Breite der Straße und Hunderte von Händen angenommener Arbeiter regen sich, in kleinen, sauberen Fässern die seltensten Fruchtsorten zum weiteren Versandt fertig zu stellen. Wie schön ist dann ein Herbstabend, wenn bereits die Schleier der Nacht auf die müde Erde sich senken. Ein süßer, weicher Duft strömt herauf und weht über Wasser und Straße; leise Nebel wehen drüber hin und tauchen alles in ein geheimnißvolles, unbestimmtes Dämmer¬

139

grau. Drüben die Mühlen ragen wie ein Märchenschloß in die Lüfte, und der Mond liegt auf dem Wasser, das wie funkelndes Silber über die Wehre schäumend rauscht. Die Schwäne sitzen eng bei¬ sammen auf den Fischkästen und schlafen. Nur selten gleitet noch ein Boot vorbei. Aber in den Kajüten brennt hier und da ein mattes Lichtlein und draußen am Steuer lehnt wohl noch ein böhmischer Bursch und pfeift, halb in Gedanken verloren, das wehmüthige Prager Volkslied leise für

sich

hin.

Das Königsschloß liegt das ganze Jahr stumm und verlassen. Erst wenn mit dem Beginn des Winters die Hochfluth der Hoffeste anfängt zu wachsen, dann erhellen sich die langen Fensterreihen häu¬ figer und Abends sieht man die weißen Gestalten zahlloser Köche um die hochaufschlagenden Flammen der Küchen an der Wasserseite geschäftig hantiren. Dann sicht auch eines Tages der weite Schloßplatz ans seinem Pflaster eine bunte, kleine Bndenwelt erstehen, deren Lichter¬ glanz, Jubel und Klingen herüber in die Burgstraße bis tief in die Nacht hinein dringt. Dann ist Weihnachten da, und die Glocken im Dom läuten das Fest mit feierlichen Schwingen ein, und aus dem erleuchteten Gotteshause tönt durch die heilige Nacht der Gesang schöner

Menschenstimmen sanft über das

So

ziehen die

Wasser.-—

Bilder, wechselvoll und inhaltsreich zugleich, vor¬

über, und der da droben auf der Langen Brücke hoch zu Roß sitzt, sieht herab auf das Wogen und Treiben zu seinen Füßen, sicht die Geschlechter kommen und gehen, Menschenglück und Menschenleid verivehcn, sieht mit Stolz und Freude, wie das, was er einst geschaffen,

herrlich und groß sich gewandelt hat. Und stolzer hebt sich sein Haupt und das stolze Auge blickt zlim alte» Königsschlosse herüber, von dein die kaiserliche Flagge heute weht. Noch einige Stunden und ein neues Jahr bricht an.

nun

so

Verlassen liegen die Straßen, denn ein Jeder sucht heute im frohen Kreise die letzten Stunden beim Becherklang zu feiern. Nur selten schreitet einmal ein flüchtiger Fuß an dem Denkmal vorüber. Am kalten Himmel flimmern in seltener Pracht die Sterne und schauen hernieder ans das Erzstandbild und das zusammengekauerte alte Weib zu den Füßen des großen Kurfürsten, das seit Jahren in

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Sturm und Wetter

da unten jede Nacht hockt, den Kopf auf die Brust gesenkt, im Schooße den Korb mit Streichhölzern, und die eine Hand vom Froste erstarrt, bettelnd vor sich hingestreckt. So sitzt sie und vergißt, daß jetzt wieder ein Zahr zum Scheiden sich rüstet. Vielleicht träumt sie von ihrer Jugend, von Lichterglanz und frohem

Spiel. — Und nun ist's da! Horch, wie es summt und läutet in den Von allen Thürmen schlägt es jetzt die Mitteruachtsstunde, feierlich, gemessen, in langhallenden, dumpfen Tönen. Alle Fenster öffnen sich und Jubelgrüße und Vivatrufe klingen hinaus. Aus Mil¬ lionen Herzen dringen Wünsche des Glückes, heiße Gebete des Höf¬

Lüften!

fens bewegt zu den Sternen empor. Das neue Jahr hält seinen Einzug. Die Alte regt sich nicht. Sie hört es auch nicht, wie es jetzt über ihr lebendig wird, wie die alte Berliner Volkssage wieder Fleisch und Blut gewinnt.

Von dem Postament herab steigt jetzt der große Kurfürst. In beugen sich die gefesselten Sklaven zu seinen Füßen und nun reitet er in voller Caesarenrüstung, wie ihn Andreas Schlüter uns hingestellt hat, durch die Straßen Berlins, durch seine staunender Ehrfurcht

einstige Hauptstadt.

In jeder

Neujahrsnacht hat er es so gehalten, bis Unter den Linden macht er noch einmal Halt. Sinnend gleitet sein Blick hinüber zn einem stillen Eckfenster, dann neigt er tief das Haupt. Noch einen lächelnden Gruß zu dein „alten Fritz" hinauf und er kehrt zurück. Von den Thürmen der St. Nikolaikirche dröhnt es die erste Stunde des neuen Jahres. In Erz gegossen, steht der Gewaltige wieder da droben, aber aus seinen Augen leuchtet es wie Stolz und Genugthuung. Die die Stunde um war, die Noude vollendet.

Alte zu seinen Füßen fährt jetzt empor. Der Korb ist ihr aus dem Schooße gefallen. Sie hebt ihn auf. Fröstelnd zieht sie das dünne Tuch fester über die Schultern und wie ein Seufzer dringt es von ihren Lippen. Dann tappt sie mit unsicheren Schritten schlurrend die Häuser entlang nach Hause, hinein in den Morgen des neuen Jahres.

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Sturm und Wetter

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