Vom Erziehen zur Kritik der Pädagogik: Erfahrungen aus Deutschland und Österreich [1 ed.] 9783205231714, 9783205231691

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Vom Erziehen zur Kritik der Pädagogik: Erfahrungen aus Deutschland und Österreich [1 ed.]
 9783205231714, 9783205231691

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WOLFGANG BREZINKA

VOM ERZIEHEN ZUR  KRITIK DER PÄDAGOGIK Erfahrungen aus Deutschland und Österreich

Wolfgang Brezinka

Vom Erziehen zur Kritik der Pädagogik Erfahrungen aus Deutschland und Österreich

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Privates Foto des Autors vom 27. 1. 1981 in Wien. Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-23171-4

VORWORT

Die Aufgaben der Erziehung können in Rücksicht der Schwierigkeiten mit keinem Probleme verglichen werden, das sich der Naturforscher zu lösen vorsetzt. Theodor Waitz (1852)1

Mein Lebenswerk war eng mit dem Erziehungswesen und der Arbeit für die Verbesserung der Pädagogik verbunden. Dieses Arbeitsfeld lag mir zunächst ganz fern. Ich war ein Kind der Großstadt Berlin und sehnte mich nach einem naturnahen Leben auf dem Lande. Deshalb wollte ich Förster werden – am liebsten in den österreichischen Bergen. Der Beruf des Lehrers hat mich in meiner Jugend gar nicht interessiert. Von der Pädagogik habe ich bis zum Ende meiner Schulzeit fast nichts gewusst. Es waren die ungewöhnlichen Umstände der Jugenddienstpflicht im Zweiten Weltkrieg, die mich 1942 im Alter von 14 Jahren erstmals vor erzieherische Aufgaben stellten. Damals gab es für Schulkinder aus den von Luftangriffen bedrohten nord- und westdeutschen Großstädten in ländlichen Gebieten Ostund Süddeutschlands ungefähr 6.000 Lager der „Erweiterten Kinderlandverschickung“ (KLV). Sie mussten zur Unterstützung der wenigen Lehrer mit „Lagermannschaftsführern“ als Erziehungshelfern versorgt werden. Da fast alle jungen Männer beim Militär gebraucht wurden, mussten in den Lagern für männliche Schüler Jugendliche aus der Oberstufe der höheren Schulen einspringen. So habe ich bis 1945 insgesamt 18 Monate als Erzieher bei 10- bis 15-jährigen Jungen gearbeitet und die Praxis der Heim-, Sozial- und Heilerziehung kennengelernt. Nach Einsätzen bei Volks- und Hilfsschülern in Pommern, Schlesien und Kärnten folgten 1945 acht Monate bei „schwer erziehbaren“ Zöglingen einer Wiener Fürsorge-Erziehungsanstalt in Osttirol. Dazwischen war ich auch als Jugendführer einer Sanitäter-Gruppe und Lehrer nahezu Gleichaltriger in Kursen für Gesundheitspflege und Erste Hilfe tätig. 1 Waitz 1852 (1898, 45).

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Vorwort

Durch diese frühe Erziehungspraxis mit ihrem Gemisch aus Ängsten, Erfolgen und Misserfolgen habe ich sehr konkrete Vorstellungen von den Mühen und Schwierigkeiten, Chancen und Grenzen erzieherischen Handelns gewonnen. Sie hat vermutlich zum realistischen Grundzug meiner Pädagogik beigetragen, zur Skepsis gegen anthropologische Illusionen und pädagogisches Wunschdenken, zum Willen zur kritischen Prüfung von Erziehungstheorien an der Erziehungswirklichkeit. Diese pädagogischen Gedanken sind aber erst später gereift. Die frühen Erfahrungen mit Jugendnot und Jugendhilfe haben jedoch dazu beigetragen, meinen Berufsplan zu ändern. Im Elend der Kriegs- und Nachkriegszeit schienen der kulturelle Wiederaufbau und Hilfe für notleidende Jugendliche wichtiger zu sein als ein Beruf in der Land- und Forstwirtschaft. Beim philosophischen Studium in Salzburg bin ich 1946 Professor Friedrich Schneider begegnet, der dort gerade sein „Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“ gegründet hatte. Er war ein Pädagogiker mit hohem internationalen Ansehen und hat mich für sein Fach begeistert. Ich habe das Studium an der Universität Innsbruck fortgesetzt und 1951 das Doktorat der Philosophie erworben mit Psychologie als Schwerpunkt und Psychiatrie und Pädagogik als Nebenfächern. Als Beruf habe ich mir damals praktische Arbeit als Psychologe im heil- und sozialpädagogischen Dienst der Jugendhilfe vorgestellt. An eine Hochschullaufbahn als Erziehungswissenschaftler hatte ich nie gedacht. Ich habe aber gern Schneiders Einladung angenommen, im Salzburger Institut sein Assistent zu werden. Dort wurde mir bald die Leitung der Erziehungsberatungsstelle und der Aufbau einer Heilpädagogischen Beobachtungsstation anvertraut. Dazu kam die Vorbereitung und Betreuung der Internationalen Heilpädagogischen Kongresse, die das Institut seit 1951 jährlich zur Fortbildung von Heil- und Sozialpädagogen veranstaltet hat. Eine weitere Aufgabe war die redaktionelle Mitarbeit am vierbändigen „Lexikon der Pädagogik“. Daneben wuchs die Nachfrage nach praxisnahen psychologischen und pädagogischen Vorträgen und Seminaren für Lehrer, Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Heimerzieher und Jugendleiter. Diese vielseitigen praktischen Erfahrungen haben zu vertieften jugendkundlichen und erziehungstheoretischen Studien angeregt und 1954 zur Habilitation für Pädagogik an der Universität Innsbruck geführt. Ich hatte schon als Student unter den Mängeln dieses Faches gelitten und musste es nun als Dozent in seiner ganzen Breite lehren. Sein Schrifttum war unübersehbar groß: reich an philosophischen wie an populären Spekulationen, aber arm an empi-

Vorwort

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rischem Wissen und praktischem Nutzen. Kurz gesagt: viel Stroh und wenig Körner. Dem dürftigen Inhalt des Faches entsprach seine schwache Stellung in den Universitäten. Es war in meiner Studienzeit von allgemeiner Anerkennung und Wertschätzung als Wissenschaft noch weit entfernt. Erst im 19. Jahrhundert war es für Studenten der Theologie und der Gymnasial-Lehrämter als kleines schulpraktisches Nebenfach der Philosophie eingeführt worden. Begonnen hatte damit das österreichische Kaiserreich für alle seine Länder zwischen Lemberg und Pavia schon 1805.2 Im Deutschen Reich hat es bis zum Jahre 1913 noch keinen selbständigen Lehrstuhl für Pädagogik gegeben.3 In der Bundesrepublik Deutschland gab es im Jahre 1954 an den damals 31 wissenschaftlichen Hochschulen erst 18 ordentliche Professuren für Pädagogik. Sie waren teilweise noch immer mit Philosophie und/oder Psychologie verbunden. Für ihre Besetzung hat geeignetes Personal lange gefehlt. 1960 bestand der Nachwuchs an Privatdozenten nur aus sieben Personen. Zwischen 1960 und 1965 sind kaum mehr als 20 Pädagogiker promoviert worden.4 Bei dieser trüben Personallage und dem Mangel an brauchbarer Fachliteratur der Pädagogik schien mir Abhilfe nur möglich zu sein durch Kritik und Verbesserung ihrer theoretischen Grundlagen. Deshalb habe ich mich für zwei Jahre aus der Erziehungspraxis zurückgezogen und mein Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ als Einführung in eine zeitgemäße Praktische Pädagogik geschrieben. Es hat ab 1957 acht Auflagen mit 37.000 Exemplaren erlebt und ist auch ins Italienische und Persische übersetzt worden. Ich wollte damit die Informationsarmut der traditionellen Pädagogik, die immer noch an Philosophie und säkularisierter Theologie orientiert war, durch Öffnung zu den Sozialwissenschaften überwinden. Mein Buch galt damals als beste Einführung in das Fach und wurde schnell in der Lehrer- und Erzieher-Ausbildung verbreitet. Im Studienjahr 1957/58 folgte ein Forschungsaufenthalt in den USA mit sozialpsychologischen, soziologischen und kulturanthropologischen Studien. Ich verdanke ihm eine große Erweiterung meines wissenschaftlichen Horizonts und die endgültige Abkehr von der verschwommenen traditionellen Pädagogik. 2 Brezinka: Pädagogik in Österreich, Bd. 1, 2000, 29 ff. 3 Die erste ganz der Pädagogik gewidmete ordentliche Professur für Pädagogik ist 1913 an der Universität München errichtet worden und war von 1914 bis 1920 mit Friedrich Wilhelm Foerster besetzt. Vgl. Brezinka: Pädagogik in Österreich, Bd. 4, 2014, 879 ff.; für Deutschland zwischen 1919 und 1965 vgl. Horn 2003. 4 Brezinka, Bd. 4, 2014, 885 ff.

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Vorwort

1958 wurde ich als Professor an die neu gegründete Pädagogische Hochschule Würzburg berufen und musste im Alter von 30 Jahren auch ihre Leitung als jüngster Rektor Deutschlands übernehmen. Diese Praxis in der Lehrerbildung und Kulturpolitik hat meine Zweifel am wissenschaftlichen Wert wie am praktischen Nutzen der üblichen Pädagogik verstärkt. Sie enthielt zu viel Scheinwissen und belangloses Wissen, das die Erziehungspraktiker (Pädagogen) unnötig belastet und bei Erziehungstheoretikern (Pädagogikern) Erkenntnisfortschritte behindert hat. Das ließ sich nur durch Kritik an unzulänglicher Pädagogik und bessere Angebote ändern. 1960 hatte ich die Wahl zwischen Berufungen als Professor an die Universitäten Hamburg, Innsbruck und Marburg. Ich habe mich für Innsbruck entschieden. Ein Jahr später wurde ich von den Gründern und Herausgebern der „Zeitschrift für Pädagogik“ Fritz Blättner, Otto Friedrich Bollnow, Josef Dolch, Wilhelm Flitner und Erich Weniger im Alter von 33 Jahren zum Mitherausgeber gewählt. Ich habe dieses Nebenamt fast 20 Jahre lang ausgeübt und durch kritische Rezensionen und neuartige Beiträge Ansehen gewonnen, aber auch Gegnerschaft hervorgerufen. Höhepunkte waren Aufsätze über „Verantwortliche Jugendarbeit heute“ (1964), „Die Krise der wissenschaftlichen Pädagogik im Spiegel neuer Lehrbücher“ (1966), „Über den Wissenschaftsbegriff der Erziehungswissenschaft und die Einwände der weltanschaulichen Pädagogik“ (1967) und „Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft. Vorschläge zur Abgrenzung“ (1968). Sie haben mir Berufungen an die Universitäten Tübingen (1962), München (1966) und Konstanz (1966) sowie die Mitgliedschaft im deutschen Bundesjugendkuratorium (1965–1969) eingebracht. Um genügend Zeit für die Forschung zu gewinnen, habe ich 1967 den Ruf an die als elitäre Forschungsstätte geplante neue Universität Konstanz angenommen. Sie hat sich unter dem kulturrevolutionären Druck der Neuen Linken und durch die Schwäche der Baden-Württemberger Landesregierung ab 1969 anders entwickelt als gedacht und versprochen war.5 Ich habe an ihr aber durch die unvorhersehbar gewesene Einstellung des erziehungswissenschaftlichen Studienganges bis zu meiner Emeritierung im Jahre 1996 ein Höchstmaß an Zeit und Freiheit für die Forschung gewonnen. Es hat Leistungen ermöglicht, die bei einem normalen Lehrbetrieb nicht hätten erbracht werden können. So entstanden zehn Bücher mit teilweise hohen Auflagen und Übersetzungen in bisher elf Fremdsprachen, die insgesamt in 5

Vgl. Brezinka 1988; Rüthers 1979 und 2015, 166.

Vorwort

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rund 250.000 Exemplaren internationale Verbreitung fanden. Ich konnte Gastvorträge und Seminare an mehr als einhundert Universitäten, Hochschulen und Akademien in den meisten Ländern Europas sowie in Südafrika, Australien, Japan, Korea und Mexiko halten. Durch die Wahl zum Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1992 habe ich für mein Alter ein willkommenes neues Aufgabenfeld gewonnen. Ich habe mich zwanzig Jahre lang historischen Studien über den Aufstieg und die Krisen der wissenschaftlichen Pädagogik seit dem Zeitalter der Aufklärung am Beispiel Österreichs mit Ausblicken auf Deutschland und die Schweiz gewidmet. Als Ergebnis sind zwischen 2000 und 2014 vier Bände im Gesamtumfang von 3.913 Druckseiten erschienen: „Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Faches an den Universitäten vom 18. bis zum 21. Jahrhundert“. Bei dieser langwierigen Quellenforschung hat leider die Zeit gefehlt, mich früh genug um eine gründliche Autobiographie zu kümmern. In unserer pluralistischen Gesellschaft voller Widersprüche und Konflikte ist es bei öffentlich wahrnehmbaren Personen selbstverständlich, dass von ihnen und ihrem Werk unterschiedliche Bilder verbreitet werden, die mehr oder weniger „von der Parteien Gunst und Hass verwirrt“6 sind. Wer in einem wissenschaftlich, weltanschaulich und politisch so umstrittenen Lehrfach wie der Pädagogik tätig ist, kann der Verwicklung in kulturelle Kämpfe und der Entstellung seines Charakterbildes besonders schwer entgehen. Deshalb lag es nahe, selbst zu berichten, wie ich mein Leben und Werk gesehen und gedeutet habe. Ermutigt hat mich dazu die Ausstellung, die 2003/2004 anlässlich meines 75. Geburtstages in Berlin und Wien gezeigt worden ist.7 Sie hatte den Titel „Überlieferung und Kritik der Pädagogik. Beiträge von Wolfgang Brezinka aus Österreich und Deutschland in zehn Sprachen“. Veranstalter war die Berliner Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Verbindung mit der Deutschen Comenius-Gesellschaft und der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Festvortrag zur Eröffnung hat Heinz-Elmar Tenorth über mich gesagt, „dass man mehr als 50 Jahre seines Gelehrtenlebens als Schlüssel zur Dynamik der Erziehungswissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen kann – gewissermaßen im Spiegel seiner Biographie und seines Werkes“. 6 Friedrich Schiller: Wallensteins Lager. Prolog. 7 Bibliothek Für Bildungsgeschichtliche Forschung: Katalog zur Ausstellung. 2003; Mitteilungsblatt des Förderkreises 15 (2004), 1, 20–42.

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Vorwort

Dieses entstamme „vor allem … der Absicht, die wissenschaftliche Pädagogik zu einer achtenswerten, für den Handlungskontext bedeutsamen, theoretisch ausgewiesenen und methodisch sicheren Disziplin zu machen.“8 Leider habe ich erst in meinem 88. Lebensjahr Zeit gefunden, einen Bericht zu beginnen, wie diese Absicht in jungen Jahren entstanden und was aus ihr geworden ist. Er stützt sich auf folgende Quellen: meine Tagebücher, den Briefwechsel mit Eltern, Freunden, Lehrern, Kollegen, Schülern und Lesern; eigene Veröffentlichungen, Akten meines amtlichen Schriftverkehrs und zahlreiche andere Archivalien. Ich berichte hier im Rahmen der erlebten Zeitgeschichte zunächst über die erste Periode meines Lebens, in der ich zu früher erzieherischer Praxis und zum Fach Pädagogik als beruflichem Arbeitsfeld gelangt bin. Dabei wird auch die wenig bekannte Fachgeschichte der deutschsprachigen Pädagogik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Jahre 1967 beleuchtet. Telfes im Stubai (Tirol), im Mai 2018

8 Tenorth 2004, 453 und 455.

Wolfgang Brezinka

INHALT

VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. HERKUNFT UND JUGEND (1928–1946) . . . . . . . . . . 15 Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kindheit und Schuljahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Katholische Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Hitler-Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 Untergang des Deutschen Reiches, Trauer, neuer Anfang . . . . . . 44 2. STUDIENJAHRE IN ÖSTERREICH (1946–1951) . . . . . . . 65 Erste Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Im Fürsterzbischöflichen Priesterseminar Salzburg . . . . . . . . . 71 Studium der Philosophie und Pädagogik an der Theologischen Fakultät Salzburg (1946–1949) . . . . . . . . . . 79 Ferien und Arbeit zwischen Osttirol und Bregenzerwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Doktorats-Studium der Philosophie, Psychologie und Psychiatrie an der Universität Innsbruck (1949–1951) . . . . . . . . . . . 98 Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Studienverlauf und Promotion . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Mitarbeit in der Hochschulgemeinde . . . . . . . . . . . . . 107 3. ERSTE BERUFSJAHRE IM INSTITUT FÜR VERGLEICHENDE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT SALZBURG (1951–1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Friedrich Schneider (1951–1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Psychodiagnostik und Erziehungsberatung . . . . . . . . . . 122

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Inhalt

Pädagogische Kongresse, Caritas Internationalis, Jugendhilfe . . . 125 Lexikon der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Lehrtätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Abteilungsleiter für Heilpädagogik und Jugendkunde (1953–1955) . . 133 Erziehungsberatungsstelle und Heilpädagogische Station im Kinderspital (1953/54) . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Habilitation für Pädagogik an der Universität Innsbruck (1954) . . 138 Internationale Werktagung „Erziehung als Beruf “ (1954) . . . . . 141 Wende von der Heilpädagogik zur Allgemeinen Pädagogik als Lebensaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

4. PRIVATGELEHRTER IN HALLEIN UND DOZENT IN INNSBRUCK (1955–1958) . . . . . . . . . . . . 151 Konzentration auf das erste Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ . . . . 152 Erste Vorlesungen in Innsbruck . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Vorträge, Aufsätze, Europäisches Seminar der UNO . . . . . . . 159 Die erste Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Forschungsstipendiat in den USA: Columbiaund Harvard-University (1957/58) . . . . . . . . . . . . . 168 Wissenschaftliche Hilfskraft und kurze Schulpraxis . . . . . . . . 177 „Summer School of the University of Vienna“ am Wolfgangsee (1958–1962) . . . . . . . . . . . . . . . 179 5. PROFESSOR FÜR PÄDAGOGIK UND VORSTAND DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE WÜRZBURG DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG (1958–1960) . . . . . . . . . . . 183 Antrittsrede über „Aufgaben und Probleme der Pädagogischen Hochschule in Bayern“ (1959) . . . . . . . . . 189 Kontroverse über „Wissenschaft und Konfession im Rahmen der bayerischen Lehrerbildung“ (1959) . . . . . . . . 193 Lehrfächer und Personalsorgen . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Vorträge und Publikationen/ „Erziehung – Kunst des Möglichen“ . . . . . . . . . . . . . 213 Pädagogische Hilfe für Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Inhalt

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Berufungen an die Universitäten Hamburg, Innsbruck und Marburg . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Rechenschaftsbericht und Abschied . . . . . . . . . . . . . . 234

6. PROFESSOR FÜR PÄDAGOGIK AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK (1960–1967) . . . . . . . . . . . 243 Ausgangslage: Beginn am Nullpunkt . . . . . . . . . . . . . . 245 Antrittsvorlesung, Arbeitspläne und Differenzierung der Pädagogik . 250 Arbeitsfelder: Jugendhilfe, Schulpädagogik und Lehrerbildung . . . 257 Analyse und Kritik der österreichischen Schulgesetzgebung von 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Schulforschung für das Unterrichtsministerium und die OECD . . . 267 Berufung an die Universität Tübingen 1962, Bleibe-Verhandlungen und Bemühungen um Ausbau der Erziehungswissenschaft . . . . 270 Autor und Mitherausgeber der „Zeitschrift für Pädagogik“ . . . . . 276 Anmerkungen zu Rudolf Lochners kritischer Prinzipiengeschichte der Erziehungswissenschaft: 1965 . . . . . . . . . . . . . . 279 „Die Krise der wissenschaftlichen Pädagogik im Spiegel neuer Lehrbücher“: 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Der sogenannte „Positivismusstreit“ in der deutschen Pädagogik . . 291 Konferenzen und wissenschaftliche Gesellschaften . . . . . . . . 295 Berufungskommissionen für neue Universitäten in Salzburg und Regensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Begabtensuche für das Studium der Pädagogik und die akademische Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Habilitationsbewerber und Lehrbeauftragte . . . . . . . . . . . 323 Vorträge und Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Bestrebungen des Unterrichtsministeriums zum Ausbau der Pädagogik an den Universitäten 1964–1967 . . . . . . . . 338 Sabotage des Ausbaues durch die Philosophische Fakultät 1965–1967 . . . . . . . . . . . . . 344 Kraftquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Berufungen an die Universitäten München und Konstanz 1966 . . . 355 Letzte Bemühungen und Weggang nach Konstanz 1967 . . . . . . 363 NACHWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

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Inhalt

ANHANG: DENKSCHRIFT ÜBER EIN FORSCHUNGSZENTRUM FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK (1965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . 381 PERSONENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

1. HERKUNFT UND JUGEND (1928–1946)

Ich bin am 9. Juni 1928 in Berlin-Lankwitz im St. Monika-Stift geboren worden und habe den Namen Wolfgang Josef Hans Brzezinka erhalten. Eine Woche später ist dort die Taufe durch den katholischen Studentenseelsorger Dr. Carl Sonnenschein1 erfolgt. Er war damals ein stadtbekannter missionarischer Pionier christlicher Sozial- und Kulturarbeit und hatte meine Eltern 1926 getraut.2 Der polnische Familienname bedeutet „kleine Birke“. Er wurde 1930 in Brezinka geändert, um im Deutschen handlicher zu sein. Beide Eltern stammten aus Oberschlesien und haben sich in Berlin kennengelernt.

ELTERN Die Familie meines Vaters war im Kreis Kreuzburg nahe der polnischen Grenze beheimatet. Mein Großvater Josef Brzezinka (1864–1930) war das sechste Kind eines Bauern und ist durch den Beruf als Eisenbahn-Zugführer der Deutschen Reichsbahn nach Magdeburg gelangt. Meine Großmutter Marie Luise Aurora Benda (1870–1947) wurde in Kattowitz geboren. Beide Familien hatten seit Generationen Deutsch als Muttersprache. Mein Vater Josef Paul Viktor kam am 17. März 1902 in Magdeburg zur Welt. Er hat dort die Katholische Knaben-Volksschule und das König WilhelmsGymnasium besucht und 1922 das Reifezeugnis mit den Noten „sehr gut“ in Physik und „gut“ in Mathematik und Naturkunde erworben. Sein Interesse galt schon früh den technischen Anwendungen der Physik. Er wurde Mitglied des „Magdeburger Schülervereins für Naturkunde von 1904“. Durch die „Alten Herren“ wurde er bei den Vereinsveranstaltungen mit dem ganzen Bereich der Naturwissenschaften und der Technik bekannt. Seinen damaligen Gefährten hat er bis ins hohe Alter freundschaftlich als Verbindungsmann gedient. Von 1915 bis 1922 war er neben dem Schulbesuch im Laboratorium Otto Kühne als Leiter des physikalischen und elektrotechnischen Prak1

(1876–1929). Biographien: Thrasolt 1930; Hoeber 1937; Flaskamp 1964; Hohlwein 1986. Kritisch: Guardini 1984, 111 f. 2 Nachlass Josef Brezinka im Privatarchiv Wolfgang Brezinka (PAB).

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1. Herkunft und Jugend (1928–1946)

tikums für Fortbildungsschüler tätig. Im Ersten Weltkrieg hat er als freiwilliges Mitglied der „Jungmannen-Organisation“ des Kriegswirtschaftsamtes für die Provinz Sachsen „vaterländische Hilfsarbeit“ in der Landwirtschaft geleistet. Nach dem Krieg hat er sich der Jugendbewegung im katholischen „Bund Quickborn“ angeschlossen. Dieser ist auf Anregung schlesischer Priester aus einem abstinenten Schülerverein gegen Alkoholismus und Nikotin hervorgegangen.3 Mein Vater wurde Wanderführer der Quickborngruppe Magdeburg und kam in Verbindung mit Romano Guardini4 und der Burg Rothenfels am Main als Zentrum des Bundes. Nach dem Abitur erhielt er als Praktikant bei der Firma Friedrich Krupp die handwerkliche Ausbildung im Maschinenbau. Von 1922 bis 1927 hat er an der Technischen Hochschule Berlin in der Fakultät für Maschinenwirtschaft das Fach Elektrotechnik studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Da sein Vater nach dem Krieg mit minimaler Pension vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war, hat er sich als Werkstudent selbst erhalten müssen. Er hat zeitweise die Verwaltung eines Studentenheimes übernommen und Bahnunterhaltungsarbeiten durchgeführt. In dieser Periode ist die Verbindung mit Dr. Sonnenschein entstanden. Beruflich war er zunächst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und ab 1931 als Forschungs-Ingenieur für Eisenbahn-Sicherungswesen beim Reichsbahnzentralamt München in Verbindung mit der Firma Lorenz in Berlin tätig. Da er sich weigerte, Parteianwärter der NSDAP zu werden, konnte er nicht in ein Beamtenverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn übernommen werden. Von 1936 bis 1938 arbeitete er im Dienst der Nachrichtenabteilung des Reichsluftfahrtministeriums als Zivillehrer für elektrische Nachrichtentechnik in Berlin und Potsdam-Eiche, von 1938 bis zum Kriegsende 1945 als Forschungs-Ingenieur für Fernmeldewesen bei der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) in der Apparatefabrik Oberspree Berlin-Schöneweide. Nach der Zerstörung seiner Arbeitsstätte, die in der sowjetischen Besatzungszone lag, und drohender Entführung als Techniker zur Arbeit in der Sowjetunion ist er aus der Industrie in das berufliche Schulwesen gewechselt. Dazu war im Alter von 43 Jahren ein zweijähriges Zusatzstudium an der Pädagogischen Hochschule Berlin zum Diplom-Gewerbelehrer erforderlich, das 1947 abgeschlossen wurde. Das Lehramt hat er 1946 als Schulamtsanwärter in Berlin-Wedding begonnen und als Gewerbeoberlehrer und Studienrat bis zur Pensionierung im Jahre 1967 mit großem Erfolg ausgeübt. Er galt bei den Schü3 4

Zum Quickborn Strehler 1936; Mogge 1963; Kindt 1974, 684 ff. (1885–1968). Zu ihm vgl. Maron 1986; Guardini 1984.

Eltern

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lern als „Beispiel für viele Dozenten“: „unumschränktes Mathe-Idol, überdurchschnittliches Können gesteigert durch großes Einfühlungsvermögen und kameradschaftliche Unterrichtsführung.“5 Die Familie meiner Mutter war im Hultschiner Ländchen des Kreises Ratibor beheimatet, das 1920 durch den Versailler Vertrag ohne Volksabstimmung von Deutschland an den neu gegründeten Vielvölkerstaat Tschechoslowakei abgetreten werden musste. Sie wurde als Hildegard Ernestine Kreis am 12. Januar 1900 im Dorf Zauditz (Kreis Ratibor) geboren.6 Sie war eine Tochter des örtlichen Kaufmannes und Gemischtwarenhändlers Josef Lorenz Kreis (1863– 1922) und von Ottilie Herzog (1872–1906). Auch deren Vorfahren waren Bauern. Sie hat ihre geliebte Mutter schon im Alter von sechs Jahren verloren. Sie wuchs mit vier Geschwistern auf und hatte unter einer harten Stiefmutter zu leiden. Nach der Volksschule hat sie in Ratibor die Handelsschule besucht und in Rybnik als Sekretärin gearbeitet. Nach der Abtretung dieser zu 56 Prozent von Deutschen (1910) bewohnten preußischen Kreisstadt an Polen im Jahre 1922 ist sie nach Berlin gezogen und hat dort 1924 im Umkreis von Dr. Sonnenschein ihren zukünftigen Mann kennengelernt. Sie hat als Sekretärin in einer Zeitungsredaktion gearbeitet. Meine Mutter hat sich nach meiner Geburt ganz ihrer Familie mit drei Kindern gewidmet. Sie war bei allen Aufgaben sehr tüchtig und trotz vieler Sorgen immer freundlich und hilfsbereit. In der größten Notzeit nach Kriegsende haben meine Eltern zwei fremde Vollwaisen aus Breslau, deren Mutter auf der Flucht gestorben war, als Pflegekinder aufgenommen und viele Jahre bis zum Erreichen der Selbständigkeit versorgt.7 Die Herkunft aus Oberschlesien und die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sind für mein Selbstbild und meinen frühen Lebensweg bestimmend geworden. Ich habe mich schon als Kind in der Großstadt Berlin unwohl gefühlt. Dabei haben Naturliebe, Landschaftserleben und soziale Erfahrungen mitgespielt. Die Schönheit des hügeligen Landes zwischen Ratibor, Troppau und dem Glatzer Bergland hat mich begeistert, als ich es ab 1940 mit dem Fahrrad und später mit Schi erkundet habe. Das katholische Gepräge der Orte und ihrer Bewohner, die weichere Sprache und wärmere Gemütsart haben Geborgenheit vermittelt. Schon im Grundschulalter hat mich die brutale Eroberung des österreichischen Kronlandes Schlesien8 durch den preußischen König Friedrich II. 5 6 7 8

Dankschreiben mit Unterschriften der Schüler aus der Berufsschule II/1 vom 22.9.1959. Nachlass Josef Brezinka, PAB. Lebenslauf im PAB. Eveline (geboren am 26.12.1930) und Gabriele (geboren am 6.1.1936) Thamm. Baumgart 2002, 346 ff.

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1. Herkunft und Jugend (1928–1946)

ab 1740 empört. Meine Sympathie gehörte Maria Theresia und dem katholischen Habsburgerreich. Ich habe mich nie als Preuße, sondern als Schlesier und Alt-Österreicher gefühlt, den das Schicksal seiner Eltern zufällig nach Berlin verschlagen hat.

KINDHEIT UND SCHULJAHRE Ich war das älteste von drei Kindern. Meine Schwester Christa-Maria war zwei Jahre jünger, mein Bruder Rainer sieben Jahre. Ich galt als ernstes, pflichtbewusstes und frommes Kind, das durch Mitverantwortung für seine Geschwister früh selbständig geworden ist. Dazu haben auch mehrere Ortswechsel der Familie beigetragen, die durch den Beruf meines Vaters bedingt waren. Sie haben den Verlust gewohnter Lebenswelten mit sich gebracht und Anpassung an neue Wohngebiete und Schulen erforderlich gemacht. Lebensmittelpunkt war ab 1930 mit dreijähriger Unterbrechung ein eigenes Haus mit Garten am südlichen Stadtrand von Berlin in Marienfelde. Es gehörte zu einer neuen katholischen Siedlung in areligiösem Umfeld, mit der eine neue Pfarrei samt Kirche und Kloster St. Alfons des Redemptoristenordens9 errichtet worden war. Überspannter Initiator dieses Projektes „Baut das katholische Dorf “ war Carl Sonnenschein.10 Ich habe ab April 1934 die simultane Volksschule in Marienfelde besucht und empfand Lesen als Lieblingsfach. Die Neigung, gern und viel zu lesen, hat lebenslang angehalten. Ich habe von klein auf alles ersparte Geld für den Kauf eigener Bücher verwendet, aber meine erste Sammlung 1945 in Ratibor hinterlassen müssen. In den Sommerferien 1934 kam ich mit den Eltern im Allgäu erstmals ins Gebirge. Dort habe ich auf Wanderungen für immer die von Bauern kultivierten Voralpen und Alpen als ideale Landschaft entdeckt. Die Osterferien 1935 verbrachte ich mit Vater und Schwester in Zauditz. Ich half begeistert bei Verwandten auf Hof und Feld, wollte Bauer werden und nicht mehr zurück nach Berlin. Wenige Wochen später erfolgte der Umzug nach Düsseldorf. Ich kam in die Katholische Volksschule Holthausen, wo auch in der zweiten Klasse noch auf Schiefertafeln geschrieben wurde statt wie in Berlin vom Schuleintritt an in Hefte. Es folgte ein glücklicher Sommer und Herbst mit schönen Fahrten nach 9 Zu diesem Orden (Congregatio Sanctissimi Redemptoris, CSsR) Hosp 1986. 10 Thrasolt 1930, 322 f.

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Köln, Aachen und Trier samt Schulausflügen mit Dampfern auf dem Rhein von Xanten bis zur Lorelei. Das noch unzerstörte Köln mit seinen romanischen und gotischen Kirchen und festlichen Bürgerhäusern ist mir als schönster Höhepunkt christlicher Baukunst unvergesslich geblieben. Wie fiel dagegen das kühle und hektische Berlin zurück! Auf den heiteren Westen folgte 1936 die Übersiedlung nach Golm bei Potsdam an den Rand einer Kaserne der Luftnachrichtentruppe. Ich wurde rund zwei Jahre lang Schüler der Katholischen Volksschule Potsdam bei einem älteren Lehrer, der allein sämtliche Fächer vortrefflich unterrichtet hat. Er hatte 29 Schüler in seiner Klasse. Ich verdanke Herrn Heide meine glücklichste Schulzeit vor allem wegen der wöchentlichen zwei Stunden „Heimatkunde“ mit vielen Exkursionen in alle künstlerischen und handwerklichen Winkel der schönen Altstadt und ihrer Umgebung. Er hat in uns unaufdringlich Bewunderung für die besten Seiten preußischer Kultur und Geschichte geweckt, für Fleiß, Ordnungssinn, Redlichkeit, Sparsamkeit, Toleranz und andere Tugenden. Den etwa fünf Kilometer langen Weg zur Schule bin ich mit dem Rad gefahren: auf der Maulbeerallee durch den Park Sanssouci zwischen Orangerie, Historischer Mühle und der barocken Sommerresidenz Friedrichs des Großen. So habe ich früh eine selten schöne Harmonie von Baukunst und Gartenkunst erleben können. 1938 bin ich zu Ostern in die Potsdamer Oberschule für Jungen aufgenommen worden. Im Herbst ist die Rückkehr unserer Familie nach Berlin-Marienfelde erfolgt. Von da an habe ich die Oberschule für Jungen (Realgymnasium) in Berlin-Lankwitz mit einigen Unterbrechungen bis zum Abitur im Sommer 1946 besucht. Sie hatte den Namen „Tannenberg-Schule“ erhalten zur Erinnerung an den Sieg des deutschen Heeres über das russische in der ostpreußischen Abwehrschlacht bei Tannenberg unter dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847–1934) Ende August 1914. Meine Leistungen in dieser Schule waren selten mehr als durchschnittlich. Lieblingsfächer waren Deutsch, Geschichte und Erdkunde. Es gab zu den Mitschülern wenig Kontakte, weil keiner in unserer Nähe wohnte und außerschulische Verbindungen schon deswegen gefehlt haben. Vor allem aber blieb ich deshalb ein Fremdling, weil ich in einer religiös gleichgültigen Klasse der einzige Katholik mit starker kirchlicher Bindung war. Die Ausgrenzung der Katholiken – dort abwertend mit gedehntem i gesprochen – wird auch aus anderen Berliner Gymnasien berichtet.11 11 Vgl. zum Mommsen-Gymnasium Dahrendorf 2002, 47: „Wenn wir eine Kategorie eher merkwürdig oder sogar ein bisschen verdächtig fanden, dann waren es die Katholiken

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Meine Eltern haben mir schon früh viel Freiheit für eigene Pläne und Unternehmungen gewährt. So durfte ich in den Sommerferien 1940 mit dem Fahrrad von Berlin nach Zauditz zu unseren Verwandten fahren. Das waren hin und zurück rund eintausend Kilometer. Ich war eine Woche unterwegs über Lübbenau im Spreewald, Cottbus, Görlitz, Liegnitz, Breslau, Oppeln, Annaberg und Ratibor; meist auf Hauptstraßen bei wenig Verkehr und mit Nachtquartieren in Klöstern, Bauernhöfen oder Scheunen auf freiem Feld. Nach drei Wochen Landarbeit mit Pferden und Wagen ging es eine Woche lang zurück auf einer landschaftlich schönen Strecke am Rande des Gebirges auf und ab über Neiße, Hirschberg, Görlitz, Bautzen nach Dresden, ins Elbsandsteingebirge und über Meißen nach Berlin. Diese erste große Reise aus eigener Initiative und Kraft hat mir bereits im Alter von zwölf Jahren zu dreierlei verholfen: zu einer großen Erweiterung des landeskundlichen, kulturellen und mitmenschlichen Horizonts; zu einer lebenslangen Einstellung der Dankbarkeit, in diesem herrlichen Vaterland leben zu können; zur frühen Gewöhnung an eine selbstbestimmte und mutige Lebensführung. Im Herbst 1940 begannen in Berlin die ersten Luftangriffe englischer und amerikanischer Bombenflugzeuge, Nächte im Luftschutzkeller und Brandwache in der Schule. In den nord- und westdeutschen Großstädten haben die Regierungsbehörden und Schulen die Eltern der 10- bis 14-jährigen Schüler und Schülerinnen eingeladen, ihre Kinder bis auf weiteres in Lagern der „Erweiterten Kinder-Land-Verschickung“ (KLV) in Sicherheit zu bringen, die in ostund süddeutschen Hotels, Gasthöfen, Pensionen oder Jugendherbergen eingerichtet worden sind.12 Ich habe mit 50 anderen Schülern und zwei älteren Studienräten der Tannenberg-Schule die Zeit vom November 1940 bis September 1941 im KLVLager „Blücherbad“ in Wachtel-Kunzendorf verbracht – etwa fünf Kilometer südlich von Neustadt in Oberschlesien. Lagerleiter war einer der Lehrer. Wir hatten guten, aber aus Fachlehrermangel weniger Unterricht als früher. Zum Englisch-, Turn- und Schwimmunterricht sind wir einmal pro Woche nach Neustadt gewandert. Die wald-, wiesen- und hügelreiche Lage an der böhmischen Grenze mit der Bischofskoppe (890 Meter) als Hausberg war landschaftlich sehr schön. Ich mit ihrem römischen Glauben. Alle anderen waren entweder Lutheraner oder Juden, oder wie ich, gar nichts“. 12 Grundlegend Kock 1997; für Österreich Engelbrecht 2004, 46 ff.; unkritische Materialsammlung von Dabel 1981.

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konnte das Schifahren erlernen und in einem langen Winter mit viel Schnee intensiv betreiben, im Neustadter Hallenbad die Reichs-Schwimmscheine I und II erwerben, mich im Theaterspiel üben, viele gemeinsame Ausflüge unternehmen und in den Sommerferien mit Freude bei Bauern Erntehilfe leisten. Bedrückt haben mich Heimweh nach Eltern und Geschwistern, die Einsamkeit in einem heidnischen Kollektiv und der Mangel an Privatleben. Ich war im Lager der einzige Katholik. Ich hatte zwar Kontakt mit dem Dorfpfarrer und bin jeden Sonntag in den Gottesdienst gegangen, aber der Alltag verlief mehr oder weniger banal. Am Vormittag gab es drei bis vier Stunden Unterricht durch die Lehrer. Die Gestaltung der Nachmittage und Abende hing weitgehend von der charakterlichen Qualität und dem sozial-kulturellen Niveau der Lagermannschaftsführer ab. Sie waren zumeist 16- bis 17-jährige Oberschüler aus den unteren Rängen der Hitlerjugend, die einige Monate lang für KLV-Lager „notdienstverpflichtet“ wurden. Sie haben im Unterschied zu den Lagerlehrern oft gewechselt, weil sie entweder zurück in die Schule mussten oder zum Arbeitsdienst oder zur Wehrmacht einberufen wurden. Sie hatten es schwer, sich bei fremden Schülern im „Flegelalter“ disziplinär durchzusetzen und ihren vertrauensvollen Gehorsam zu gewinnen. Ich habe zwei hervorragende Führer erlebt, deren Abberufung wir betrauert haben. Es gab aber auch mäßig bis schlecht geeignete, die sich durch schroffe Distanz und pseudomilitärischen Drill („Schleifen“) verhasst gemacht haben. Diese frühen positiven und negativen Erfahrungen als Objekt von Schul- und Heim- (Lager-, Internats-) Erziehung haben vermutlich dazu beigetragen, später als Erzieher wenigstens die gröbsten Fehler zu vermeiden. Im Herbst 1941 nach Berlin zurückgekehrt ist mein Schulleben durch die Folgen des Bombenkrieges, des Lehrermangels und außerschulischer Hilfseinsätze zunehmend ungeordneter verlaufen. Die Tannenberg-Schule wurde durch Bomben schwer beschädigt und der Betrieb in eine für mich weiter abgelegene Schule mit Nachmittags- oder Wechselunterricht verlegt. Einen normalen Schulbetrieb gab es erst wieder, nachdem meine Mutter mit ihren Kindern im Herbst 1943 aus Berlin in ihre Heimat Ratibor evakuiert worden war. Ihr wurde dort für vier Personen ein einziges Zimmer mit dem Recht auf Küchen-Mitbenutzung in der Wohnung eines abweisenden alten Rentners zugewiesen. Ich bin aus einem halbjährigen Einsatz in Kärntner KLVLagern erst Mitte November zu ihr gestoßen und in die Grenzland-Oberschule für Jungen eingetreten. Dort habe ich die glücklichste Schulzeit meines Lebens verbracht. Von den Lehrern und in der kleinen Klasse von etwa 15 bis 20 Mitschülern wurde ich

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sehr freundlich aufgenommen. Ich habe in Karl-Heinz Völkel13 und Martin Ratmann14 bald zwei gute Freunde gewonnen, mit denen ich lebenslang eng verbunden geblieben bin. Die Fächer Englisch und Deutsch wurden von der Studienrätin Edith Obst überaus anziehend gelehrt. Sie war etwa Mitte 50 Jahre alt und die erste weibliche Lehrperson meiner Schulzeit. Sie hat mich durch Lektürehinweise und aus ihrer privaten Bibliothek geliehene Bücher regimekritischer Autoren wie Ernst Wiechert besonders wohlwollend und ermutigend gefördert. Sie hat uns gegen den Zeitgeist eines verzweifelten Heroismus den romantischen christlichen Dichter Joseph von Eichendorff nahegebracht, der aus der Umgebung Ratibors stammte. Im Musikunterricht haben wir seine schönsten Gedichte mehrstimmig gesungen. Sie haben mich lebenslang tröstlich begleitet. Nach dem beliebten „Singen“ in der Volksschule hatte ich das Fach „Musik“ nur noch spärlich und unmusisch als Musiktheorie und -geschichte erlebt. In Ratibor wurde es begeisternd gelehrt. Religionsunterricht war damals aus den Schulen verbannt. Er wurde aber durch den Priester Dr. theol. Walter Gaebel15 für kleine Kreise von Schülern theologisch sehr interessant und religiös vertiefend in seiner Privatwohnung angeboten. Ein schulischer Höhepunkt waren zwei wirtschaftskundliche Exkursionen in eine Zuckerfabrik und in ein Kohlebergwerk in Rybnik. Dort erfolgte die Einfahrt bis 980 Meter Tiefe unter der Erde. Der Weg zu den Arbeitsplätzen in Stollen, die zuletzt nur noch kriechend erreichbar waren, hat mich zugleich fasziniert und abgeschreckt. Dieser Eindruck hat meine Neigung zu einem Beruf in der Land- und Forstwirtschaft verstärkt. Meine Freunde hatten wie ich Nischen der Freiheit vom geistlosen Routinebetrieb der Hitler-Jugend gefunden: Karl-Heinz als Geiger im Bann-Orchester und Martin, der ein Jahr älter war, als Referent für weltanschauliche Schulung in der Dienststelle des Bannes. Dort gab es – anders als bei Karl-Heinz und mir – im letzten Kriegsjahr nichts mehr zu tun. Er war wegen eines Lungenleidens vom Militärdienst verschont geblieben. Wir haben alle drei viel gelesen. Es war das erste Jahr meines Lebens voll guter Gespräche mit bildungshungrigen Freunden auf gleichem geistigen Niveau. Es war für uns aber auch ein Jahr erster unerwiderter Verliebtheit in drei Mäd13 (1928–2012). Später Dr. med., Kinderarzt in Köln. 14 (1927–2013). Später nach Studium in Göttingen und Innsbruck Unternehmer in Alsfeld (Hessen) und Berlin. 15 Geboren am 8.3.1896. Er gehörte zum Bistum Berlin, 1919 Priesterweihe, ab 1936 Studienassessor am Staatlichen Gymnasium Ratibor. Handbuch des Erzbistums Breslau für das Jahr 1938; Handbuch für 1942, 84.

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chen zwischen Hoffen auf Anfreundung und Leiden an ihrer Unerreichbarkeit. Das war Schwärmerei auf Sichtweite, doch von uns wurde es als Liebe erlebt, die sich nach Antwort sehnt. Es gab aber bei mir parallel dazu auch eine echte Freundschaft ohne erotisches Begehren. Bald nach meiner Ankunft in Ratibor bin ich bei meiner verwitweten Tante Adda Kreis der hochbegabten Lehrerstochter Bärbel Mende aus Soppau bei Leobschütz als Untermieterin begegnet. Sie war ein Jahr älter und eine Klasse höher im Mädchengymnasium. Sie ist mir zur besten Gefährtin geworden, um meinen Rückstand in Mathematik und Latein aufzuholen und über Kant, Literatur und Musik zu philosophieren. Aus diesem friedlichen Leben im scheinbar vom Krieg verschonten Oberschlesien wurden wir im Sommer ganz unerwartet aufgeschreckt. Russische Bombenflugzeuge hatten eine Fliegerabwehrstellung nördlich von Ratibor, in der Luftwaffenhelfer aus unserer Schule eingesetzt waren, durch einen Volltreffer zerstört. Es hat keiner überlebt. Bei der Totenfeier musste ich die Bannfahne tragen und konnte die Tränen kaum zurückhalten. Leider hat mein Schulbesuch in Ratibor Anfang Januar 1945 für immer geendet, weil die sowjetische Armee die Ostfront durchbrochen hatte und kurz vor der Oder stand. Ich wäre dort gern bis zum Abitur geblieben, weil ich in der Klassengemeinschaft samt Lehrern, Verwandten und guten Freunden ein geliebtes Umfeld gewonnen hatte. Meine Eltern waren damit einverstanden und hatten schon ein Zimmer für mich gemietet.16 Deshalb hatte ich bereits im Herbst 1944 meine Bücher aus Berlin nach Ratibor geholt. Wir waren auf das baldige Ende des Krieges und auf die Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte vorbereitet. Wir rechneten mit harten Lebensbedingungen, aber niemals mit der Vertreibung von zehn Millionen Menschen aus ihrer ost- und sudetendeutschen Heimat. Trotz dieser glücklichen vorletzten Phase sieht die Bilanz meiner gymnasialen Schulzeit schlecht aus. Zwischen 1942 und 1944 habe ich durch Luftschutzmaßnahmen, Ausbildungslehrgänge der Hitlerjugend, Dienstverpflichtungen in KLV-Lagern und sonstige Hilfseinsätze in jedem Jahr rund drei Monate Schulbesuchszeit verloren. 1945 waren es zehn Monate. Als es im Juni 1946 in Berlin zur Reifeprüfung kam, wurden im Zeugnis „acht Jahre auf der Anstalt und zwar ein Jahr in Prima“ bescheinigt. Tatsächlich war ich aber insgesamt rund eineinhalb Jahre ohne Unterricht und etwa ebenso lange Schüler mit eingeschränktem Unterricht. Offiziell sollten die 16 Hildegard Brezinka: Wolfgangs Lebensgeschichte 1928–1946. Tagebuch als Manuskript im Nachlass. Eintragung Weihnachten 1944. PAB.

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Abiturleistungen damals wieder nach dem Vorkriegsstandard von 1932 erfolgen. Ich habe zum Glück mein Reifezeugnis trotz eines „nicht genügend“ in Mathematik dank des Ausgleichs durch ein „sehr gut“ in Deutsch ohne Zeitverlust im Alter von 18 Jahren erhalten.

KATHOLISCHE WURZELN Die frühe Verwurzelung in der Katholischen Kirche verdanke ich zuallererst meiner Mutter. Sie war eine kraftvolle gläubige Frau und hat das Innenleben, den Geist und Stil unserer Familie bestimmt. Ihr Glaube war kein bequemes bürgerliches Traditionschristentum. Er war bekennender Katholizismus der Berliner Diaspora mit starker Bereitschaft zu caritativer Sozialarbeit. Mein Vater war und blieb aus meiner Sicht religiös immer ein stiller Mitläufer, erfüllt von der duldsamen Skepsis eines Naturwissenschaftlers, dessen Lebensmitte die Freude an technischen Versuchen und Fortschritten war. Gemeinsames Tischgebet, Abendgebet mit Liedern und der gemeinsame Besuch der sonntäglichen Kindermesse in der überfüllten Klosterkirche waren für uns selbstverständlich. Ebenso im Marienmonat Mai die tägliche Teilnahme an den festlichen Maiandachten mit brausendem Volksgesang und allen Ministranten vor der Madonnenstatue auf einem Blumenberg im Weihrauchduft. Im Sommer 1933 war ich mit Mutter und Schwester zwei glückliche Wochen lang im Kloster der Salvatorianerinnen in Hasselt (Belgien), wo eine Kusine meiner Mutter in der Salvator-Klinik als Krankenschwester und Oberin gearbeitet hat.17 Über sie entstand für viele Jahre eine enge Verbindung mit dem Lehr- und Missionsorden der Salvatorianer18, der auch in Berlin mit dem WestSanatorium, dem Mutterhaus in Waidmannslust und einer eigenen Verlagsdruckerei stark vertreten war. Ich habe als Schüler in der Pfarre Marienfelde seine Zeitschriften „Der Missionär“ und „Der Kindermissionär“ monatlich zu den Abonnenten geliefert. Als der NS-Staat im Krieg die Druckerei enteignet hat, habe ich vom letzten Ordensbruder als Vermächtnis mein erstes pädagogisches Buch geschenkt bekommen: die „Jugendlehre“ von Friedrich Wilhelm Foerster (1869–1966)19 aus dem Jahre 1915. 17 Für uns: Tante Martha Gotzmann, Ordensname: Schwester Pulcheria (1890–1967). 18 Zu diesem Orden (Societas Divini Salvatoris, SDS) vgl. Bartsch 1937; R. Schneider 1964. 19 Über ihn Brezinka: Pädagogik in Österreich, Bd. 1, 2000, 330 ff.

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1936 erlebte ich nach dem vorbereitenden Unterricht im Alter von acht Jahren die erste Beichte, Erstkommunion und sogar schon die Firmung durch Konrad Graf von Preysing (1880–1950), den ersten Bischof von Berlin. 1937 verbrachte meine Mutter erstmals mit uns drei Kindern die Sommerferien im 1934 gegründeten Benediktinerinnenkloster St. Gertrud in Alexanderdorf, einem winzigen Weiler rund 30 Kilometer südlich von Berlin zwischen Kiefernwäldern und sandigen Feldern. Es wurde von Mutter Hildegard Hendl (1879–1967) als Priorin geleitet, einer gebürtigen Wienerin und ehemaligen Oberin der Rot-Kreuz-Schwestern Westfalens im und nach dem Ersten Weltkrieg.20 Als musterhafter Hausgeistlicher diente der Benediktinerpater Ludger Bureick aus der westfälischen Abtei Gerleve. Bei ihm habe ich den Ministrantendienst gelernt und täglich beim Konventamt in der Hauskapelle ausgeübt. Wir haben dort in drei Sommern und dazwischen in Kurzurlauben sehr einfach, naturnahe und glücklich als Gäste gelebt. Wald und Wiesen waren reich an Beeren, Pilzen und Heilkräutern, die gesammelt und als Vorrat für den Winter eingekocht oder getrocknet wurden. Pater Ludger hatte für sich neben seiner Klause einen durch hohe Mauern geschützten wunderschönen Klostergarten mit vielerlei Blumen und Nutzpflanzen eingerichtet, der nur für Männer zugänglich war. Ich durfte ihm dort helfen und wurde so nicht bloß mit der ehrwürdigen Liturgie der Benediktiner, sondern mit ihrer ganzen Lebensform der Verbindung von Gebet, Arbeit und kultivierter Muße vertraut. Für Mutter Hildegard schien ich zu früh zu ernst zu sein. Sie hat mich klug und warmherzig unter ihren Schutz genommen und ich bin ihr bis zu ihrem Tod im Salzburger Stift Nonnberg dankbar verbunden geblieben. Aus dem ländlichen Leben in Alexanderdorf hat sich ab 1937 der Berufswunsch ergeben, Förster zu werden – aber nicht in der Mark Brandenburg, sondern im österreichischen Bergland. In Marienfelde war die Kirche nur fünf Minuten vom Elternhaus entfernt. Ich habe dort zwischen 1938 und 1943 unzählige Male als Ministrant gedient: meist bei der Frühmesse um halb sieben Uhr vor dem Schulweg, aber auch bei Andachten, Taufen und Beerdigungen. Als vertraute priesterliche Autoritätsperson hat mich von 1939 bis 1946 der auf Kinder- und Jugendseelsorge spezialisierte Pater Josef Jansen21 unaufdringlich begleitet. Seine Empfehlungs20 Hendl 1943; Schulisch 1998. 9 ff. und 24 ff. Sie ist 1942 in das Salzburger Benediktinerinnen-Stift Nonnberg eingetreten und hat dort den Ordensnamen Frau Hemma angenommen. Personalstand der Erzdiözese Salzburg 1951, 235. 21 (1895–1963). Geboren in Aachen, Gymnasialstudien im Internat des Ordens der Re­demptoristen in Vaals (Holland), Kriegseinsatz, Priesterweihe 1925, bis 1939 Lehrer

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schreiben haben mir in der Fremde oft geholfen, bei geistlichen Mitbrüdern und Schwestern sogleich Vertrauen und Hilfe zu gewinnen. Am 12. September 1943 bin ich zufällig in einem Kärntner Übernachtungsheim der Wehrmacht in Spittal am Millstätter See dem Priester Edmund (Edi) Lindelauf22 aus Opladen in der Erzdiözese Köln begegnet. Er war als Sanitätsobergefreiter auf der Durchreise von der Ostfront zum Dienst im Heeresspital Cortina in den Südtiroler Dolomiten. Ich war für ihn als Jugendlicher in der Uniform der Hitler-Jugend auf der Fahrt in ein KLV-Lager in Millstatt unter lauter Soldaten eine ungewöhnliche Erscheinung. Aus dieser kurzen Begegnung ist durch seine seelsorgliche Initiative eine Freundschaft entstanden, die mir das Erleben und Verarbeiten des Krieges etwas erleichtert hat. Er hat mich unter die Empfänger seiner hektographierten religiösen Rundbriefe23 aufgenommen, die er neben seinem Militärdienst regelmäßig als private Post an seinen Freundeskreis verschickt hat. Es waren – amtskirchlich ausgedrückt – „Pastoralschreiben“ zur moralischen Stärkung der Gemeinde, die immer einen auf die Person des Empfängers abgestimmten handschriftlichen Zusatz enthielten und eine schöne Ansichtskarte aus der prächtigen Bergwelt der Dolomiten. Mit diesem unverfänglichen Brief-Apostolat per Feldpost aus einem Lazarett und später als Unteroffizier der Infanterie von der italienischen Front hat er bis Kriegsende vielen verstreuten Christen geholfen und bei mir noch zusätzlich die Sehnsucht nach Südtirol verstärkt. Als ich im November 1943 aus Kärnten über Wien zu meiner evakuierten Familie nach Ratibor reiste, kam ich in eine Stadt, deren Einwohner zu 91,8 Prozent katholisch waren.24 Ich habe mich nach den Anmeldungen in der Schule und der Bannführung auch gleich in der Stadtpfarrei der Liebfrauenkirche gemeldet und in Kaplan Johannes Tschoepe25 einen verständnisvollen und großzügigen Helfer gefunden. Er hat mich auf Grund des Berliner Ministranten-Zeugnisses und des ersten Eindruckes gleich wie einen jungen Freund aufgenommen.

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und Erzieher in Bonn, ab 1939 Pfarrseelsorge in Berlin-Marienfelde. Provinzarchiv Köln, 13.7.2016. (1912–1968). Geboren in Köln, Priesterweihe 1938, Kriegsdienst ab 1941, Pfarrer in Köln-Höhenhaus ab 1959. Historisches Archiv des Erzbistums Köln. 13 Rundbriefe vom 3.11.1943 bis 14.2.1945 im PAB. Barran 2009, 212. (1913–1996). Geboren in Bischofstal (Kreis Groß-Strehlitz), 1938 Priesterweihe in Breslau, gestorben in Berlin. Handbuch des Erzbistums Breslau für das Jahr 1942, 84; Archiv des Bistums Würzburg.

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Ich hatte als Folge meiner langen Dienstzeit in Kärnten schulisch sehr viel aufzuholen. In der engen Ein-Zimmer-Notwohnung mit zwei jüngeren Geschwistern hat dafür die nötige Ruhe gefehlt. Sobald der Kaplan das erfuhr, hat er mich eingeladen, an allen Nachmittagen außer sonntags sein eigenes Wohn- und Arbeitszimmer im Pfarrhaus zu benutzen. Er habe seelsorglich so viele auswärtige Pflichten, dass er es vor dem Abend kaum benötige. Ich dürfe in dem gemütlichen und warmen Raum auch seine reiche Bibliothek und Schallplattensammlung benutzen. Dieses Glück habe ich nach dem Schulunterricht ein ganzes Jahr lang genossen. Es hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Schuljahr in Ratibor das schönste meiner Schulzeit geworden ist. Ich wurde außer gelegentlichem Ministrieren für kirchliche Dienste nicht beansprucht. An vielen Abenden gab es gute Gespräche mit Tschoepe wie mit seinen als Soldaten durchreisenden priesterlichen Gästen. Er ist mir in seiner spontanen, warmherzigen und diskreten Hilfsbereitschaft das beste Vorbild eines guten Seelsorgers geworden. Nach der Vertreibung aus Schlesien in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands hat er segensreich als Pfarrer in der Thüringer Diaspora der Diözese Würzburg gewirkt.26 Durch diese frühen guten Erfahrungen mit liebevoll helfenden Menschen katholischen Glaubens und ihrem kirchlichen Gemeinschaftsleben habe ich ohne Wahl wie von selbst in der katholischen Kirche meine soziale und religiöse Heimat gewonnen. Für ein Kind war das eine geborgene Lebenswelt. Je älter ich aber wurde, desto mehr wurde sie auch als bedroht und angefeindet erlebt. Zur Geborgenheit gehörte das Wissen um ihre weltweite Verbreitung, um die große Menge gleichgesinnter Priester, Ordensschwestern und Laien sowie um die Führung durch einen Papst, der als Stellvertreter Gottes auf Erden galt. Ich hatte aber auch früh von der Verfolgung der Christen durch die Französische Revolution und dem zeitgenössischen Terror im kommunistischen Russland, Mexiko und Spanien gehört und gelesen. Vor allem aber hatte ich bereits eigene deutsche Erfahrungen aus Hitler-Jugend, Schule, Presse, Rundfunk und öffentlichem Leben. Sie ließen erkennen, dass der totalitäre nationalsozialistische Gesinnungs- und Führerstaat innenpolitisch in der Katholischen Kirche seinen Hauptgegner sah. Deshalb war langfristig zu befürchten, dass er im Falle eines siegreichen Endes des Krieges bestrebt sein wird, sie zu vernichten. Wie hat sich diese wachsende Sorge mit meinem Dienst in der Hitler-Jugend vertragen? 26 1954 verbrachte er unschuldig ein halbes Jahr im Gefängnis und wurde danach als Staatsfeind aus der DDR ausgewiesen. Er arbeitete ab 1954 als Pfarrer in Obernau am Main (bei Aschaffenburg) und von 1969–1984 in Schweinfurt (St. Josef). Privatdruck von 1954 „Meine Haft in der Sowjetzone“ im Umfang von 16 Seiten im PAB.

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HITLER-JUGEND Im Tagebuch meiner Mutter wurde am Abend vor meinem ersten Schultag (11. April 1934) berichtet, dass Wolfgang ins „Jungvolk“ will. „Kinderlieder will er nicht mehr singen. Nur die Jungvolklieder findet er schön. Er grüßt alle Hitlerjungen und -mädel und kann die Zeit nicht mehr erwarten, mitmarschieren zu können“. Ich war damals noch nicht sechs Jahre alt. Drei Jahre später, am 6. April 1937, lautete der Eintrag: „Wolfi will seit langem ins Jungvolk. Der (Fähnlein-)Führer will ihn aufnehmen und Wolfi ist voller Freude. Nur ich bin nicht froh, sie haben uns so viel angetan, die Nazis. 2-mal hat Papa schon die Stellung aufgeben müssen. Und ihre Einstellung zur Kirche ist auch beängstigend. Aber bei Wolfgangs starkem Willen wäre es verkehrt, hier ein Verbot auszusprechen, zumal unter Berücksichtigung der Umgebung des Jungen.“ Deshalb wurde die langersehnte Uniform gekauft und bald ging es mit Tornister zur ersten Fahrt. Am 20. April 1937 wurde ich in Golm bei Potsdam in das „Deutsche Jungvolk in der Hitler-Jugend“ aufgenommen und ab Herbst 1938 dem Fähnlein 14 im Bann Steglitz-Tempelhof (200) des Gebietes Berlin zugeteilt27. Dieser frühe freiwillige Beitritt war ganz ungewöhnlich. „Das Gesetz über die Hitler-Jugend“ vom 1. Dezember 1936 hatte nur allgemein Folgendes bestimmt: „Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitler-Jugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen“ (§ 2)28. Erst die „Jugenddienstverordnung“ vom 25. März 1939 enthielt das Gebot: „Alle Jugendlichen vom 10. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind verpflichtet, in der Hitler-Jugend Dienst zu tun“ (§ 1, Abs. 2). „Alle Jugendlichen sind bis zum 15. März des Kalenderjahres, in dem sie das 10. Lebensjahr vollenden, bei dem zuständigen HJ.-Führer zur Aufnahme in die Hitler-Jugend anzumelden“. „Zu der Anmeldung ist der gesetzliche Vertreter des Jugendlichen verpflichtet“. „Mit Gefängnis und Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer böswillig einen Jugendlichen vom Dienst in der Hitler-Jugend abhält oder abzuhalten versucht“ (§ 9; § 12, Abs. 2)29. Mein vorzeitiger Eintritt hatte einen praktischen Grund. In unserem ländlichen Wohnort Golm war das „Jungvolk“ die einzige Jugendgruppe für Sport und Spiel, Fahrt und Lager, die es gab und die ortsfremden Kindern Anschluss 27 Mitglieds-Ausweis der Hitler-Jugend Nr. 4.450.937 vom 8.11.1940. PAB. 28 Reichsgesetzblatt I, 1936, 993; Randel 1942, 106. 29 Reichsgesetzblatt I, 1939, 710; Randel 1942, 107 f.

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bot. Da ich nicht die örtliche Volksschule, sondern eine katholische in Potsdam besuchte, war diese Brücke zur einheimischen Jugend unentbehrlich. Für mich gab es nun neben den vielen Diensten als Ministrant an den Samstag-Nachmittagen (und zunehmend noch an anderen Tagen) auch Dienst beim Jungvolk. Er bestand einerseits aus „körperlicher Ertüchtigung“ durch Sport, Geländespiele, Ordnungsübungen (Exerzieren) und Luftgewehrschießen, andererseits aus „Heimabenden“ mit weltanschaulich-kultureller Schulung, Singen, Karten- und Geländekunde sowie Grundausbildung in Erster Hilfe30. Am schönsten war in den Pfingstferien 1937 eine Radfahrt von Golm in ein selbst aufgebautes Zeltlager am See nahe Schloss Rheinsberg in der Mark Brandenburg. Politischer Höhepunkt war am 1. Mai 1938 die Teilnahme an der JugendKundgebung im Berliner Olympiastadion mit 100.000 uniformierten Jugendlichen und Hitlers Rede. Der größte Jubel erschallte bei der Erinnerung an den im März vollzogenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Überraschend entstand plötzlich im Oval der riesigen Arena in großen Buchstaben das Wort „Großdeutschland“. Ausgewählte Teile der in braune Uniformjacken gekleideten Mädchen hatten diese schlagartig ausgezogen und in ihren weißen Blusen die lebende Schrift gebildet. Hitler war aus der Ferne kaum zu erkennen. Aus nächster Nähe habe ich ihn nur einmal gesehen: mit meinem Vater aus der vordersten Reihe am Straßenrand der Berliner Siegesallee beim Staatsbesuch des italienischen Diktators Mussolini im September 193731, als beide in langsamer Fahrt im offenen Auto stehend die jubelnden Massen grüßten. Meiner kindlichen Begeisterung für die Hitler-Jugend ist mit zunehmendem Alter bald Ernüchterung gefolgt. Ernüchternd haben vor allem der eintönige Dienst auf Kosten der Freizeit und die unpersönliche Führung gewirkt. In meinem ersten Jahr beim Jungvolk hatte ich noch den Stil der alten freiwilligen Jugendbewegung wie der kirchlichen Jugendseelsorge erlebt: eine kleine Gruppe von etwa 10 bis 15 Mitgliedern mit persönlichen Beziehungen zum Gruppenleiter und untereinander samt gemeinsamer Planung der Vorhaben. Der offizielle Name für diese Kleingruppe war „Jungenschaft“ (bzw. „Jungmädelschaft“); ihr Leiter der „Jungenschaftsführer“. Anziehende und wirksame „Heimabende“ lassen sich nur in solchen Kleingruppen durchführen. Nachdem die „Hitler-Jugend“ zur „Staats-Jugend“ mit acht Millionen PflichtMitgliedern (1939) gemacht worden ist, ist gerade auf der untersten und pädagogisch wichtigsten Ebene ein katastrophaler Mangel an geeigneten Führern eingetreten. Dadurch wurden die Dienste mehr und mehr in die größeren Ein30 Vgl. Reichsjugendführung 1934. 31 Volz 1939, 73.

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heiten des „Jungzuges“ (bis zu vier Jungenschaften) und des „Fähnleins“ (bis zu vier Jungzügen) verlegt.32 Das hat zur Verringerung von KleingruppenAktivitäten und Ich-Du-Wir-Beziehungen geführt und Massenführung im militärischen Stil mit Exerzieren, Märschen und propagandistischen Großveranstaltungen begünstigt. Dazu hat auch der Ehrgeiz der Führer beigetragen, mindestens einen Jungzug zu kommandieren. Es gab kaum mehr Jungenschaftsführer, die älter als fünfzehn Jahre waren. Ihre Ausbildung, ihr Können und ihr Ansehen waren gering. Unter diesen Umständen habe ich den gewöhnlichen Dienst im Jungvolk bald als langweilig erlebt. Je weniger ein Führer inhaltlich und mitmenschlich zu bieten hatte, desto mehr wurden von ihm die schikanösen Formen militärischer Rekrutenausbildung nachgeäfft. Das konnte sogar mit der Pflicht begründet werden, zur „Härte“ und zum Ertragen von „Härte“ zu erziehen. Neben dieser Militarisierung der Jugend hat mich vor allem das banale Heidentum der offiziellen Reden, Feiern, Dichtungen und Lieder abgestoßen. Die Lieder hatten bei der Gestaltung aller Feiern, Schulungen und Märsche eine zentrale Bedeutung. „Keine Feierstunde können wir zu einem wirklichen Erleben werden lassen, wenn unsere Lieder fehlen“.33 Kraftvoll von der Masse gesungen konnten sie selbst dann ein emotionales Band stiften, wenn die Texte abscheulich waren. Besonders empört hat mich von klein auf, dass bei Feiern jedermann gezwungen war, nach der herzerhebenden Haydn-Melodie und dem friedlichen Text des Deutschlandliedes das sogenannte Horst-Wessel-Lied „Die Fahne hoch!“ als NSDAP-Hymne zu singen. Wo immer es ging, habe ich nur so getan, als singe ich mit. Generell hat im Liedgut der Hitler-Jugend der Kult der Fahne mit dem allgegenwärtigen Symbol des Hakenkreuzes eine große Rolle gespielt. Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach (1907–1974) – seit 1936 im Rang einer „Obersten Reichsbehörde“ – hat selbst ein viel gesungenes Lied gedichtet, dessen Refrain lautete: „Unsre Fahne flattert uns voran. Unsre Fahne ist die neue Zeit. Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit. Ja, die Fahne ist mehr als der Tod.“ In der letzten Strophe hieß es: „Führer! Dir gehören wir, wir, Kamraden, dir.“34 Diese totale Unterwerfung unter den vergöttlichten Führer habe ich als ungeheuerlich abgelehnt. 32 Reichsjugendführung 1934, 12; Rüdiger 1998, 32. 33 Reichsjugendführung 1943, 4. 34 „Liederbuch“ der Hitler-Jugend. Reichsjugendführung 1942, 21 f. – Dort zahlreiche weitere Beispiele – insbesondere aus der Feder von Hans Baumann. Vgl. auch Baumann 1943.

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Meine Unzufriedenheit hat man mir vermutlich angesehen. Jedenfalls wurde ich ohne mein Zutun am 1. Februar 1942 für zweieinhalb Monate in das „Ausbildungs-Fähnlein“ des Jungbannes 200 im Nachbarort Mariendorf versetzt, um den „Ausbildungspass“ zu erwerben. Dort wurden höhere Anforderungen an Führer und Jungenschaft gestellt, um sie als möglichen Führernachwuchs für das Jungvolk zu erhalten, statt sie nach Vollendung des 14. Lebensjahres an die Hitler-Jugend zu verlieren. In diesem Rahmen habe ich auch an einem fünftägigen „Kampfrichterlehrgang“ teilgenommen und nach bestandener Prüfung die Berechtigung erhalten, Prüfungen für die Leistungsabzeichen des Deutschen Jungvolkes (DJ) und der Hitler-Jugend (HJ) in der Gruppe „Leibesübungen“ abzunehmen.35 Am 20. April 1942, Hitlers Geburtstag, wurde ich zum „Hordenführer“ – dem untersten Dienstgrad – ernannt und habe den „Führerausweis der Hitler-Jugend“ erhalten. Damit war jedoch noch keine Führungsaufgabe verbunden, sondern nur eine Anwärterschaft.36 In dieser politischen Lage konnte ich der Abhängigkeit von dummen, unfähigen und/oder machtgierigen HJ-Führern nur dadurch entkommen, dass ich selbst Führer und dadurch relativ unabhängig werde. Außerdem musste ich ein oder mehrere Spezialgebiete als Arbeitsfeld finden, die in der Hitler-Jugend unterbesetzt waren. Sie sollten möglichst auch für mein eigenes künftiges Leben nützlich und erfreulich sein. Die erste und dauerhaft beste Möglichkeit dazu war die Mitarbeit in den Lagern der Kinderlandverschickung (KLV). Als 1942 in meiner Schule um Freiwillige als Helfer für sie geworben wurde, habe ich mich gemeldet. Mein geistlicher Betreuer Pater Jansen hat sich zur aktiven Mitarbeit und zum Aufstieg in der Hitler-Jugend als der gesetzlichen Staatsjugend immer positiv geäußert und sie bei meinen Eltern unterstützt. Junge Christen müssten dabei sein, damit die Gegner der Kirche nicht ganz unter sich sind. Auf kluge Weise persönlich für den Glauben Zeugnis zu geben sei eine Aufgabe, die durch das Parteiprogramm der NSDAP (Punkt 24)37 und das Reichskonkordat vom 20. Juli 193338 zu schützen versprochen worden ist. Dem Kampf des nationalsozialistischen Staates gegen die Kirche39 müsse durch kirchentreue Christen auch aus dem Inneren seiner Organisationen begegnet werden.40 35 Abnahmeberechtigungs-Ausweis für Kampfrichter Nr. K 200/142 vom 16.2.1943. PAB. 36 Entsprach etwa dem Dienstgrad eines Gefreiten der Wehrmacht. 37 Rosenberg 1941, 18. 38 Scholder 1986, 184 ff. und 482 ff. 39 Vgl. das Rundschreiben „Mit brennender Sorge“ des Papstes Pius XI. bei Hirt 1946. 40 Ähnlich Tilmann/Wolker 1939, 184 über „Pflichterfüllung deines ‚Berufes im Volk‘, d. h. deiner Dienstleistung in Staatsjugend … .“ Vgl. auch Gröber 1937, 164: die Kirche

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Vom 16. bis zum 27. Juni 1942 habe ich im Alter von 14 Jahren in der Reichsführerschule KLV 1 in Steinau an der Oder am Lehrgang Nr. 27 für Lagermannschaftsführer teilgenommen und als weitaus Jüngster alle Prüfungen gut bestanden. Meine rund 150 Kameraden aus allen Gebieten Deutschlands waren 16 bis 17 Jahre alt. Sie haben mich freundlich behandelt und ihre Herkunft aus dem ganzen Deutschen Reich mit seiner Vielfalt an Mundarten und Charakteren hat mich begeistert. Bei der Ausbildung in Steinau haben wir schriftliche Ausarbeitungen über Gesundheitsdienst, Sport, Morgenfeier usw. machen müssen. Jugendpsychologie und Erziehungstheorie haben gänzlich gefehlt. Die Lenkung von relativ großen Gruppen durch gemeinsame Aufgaben, Befehl und Gehorsam ließ für einfühlende individuelle Erziehung keinen Platz. Im Zentrum standen praktische Anleitungen zur Gestaltung der Freizeit von Kindern durch Sport, Spiel, Basteln, Singen, Erzählen, Vorlesen und Feiern sowie rechtliche und organisatorische Fragen. Mein erster Dienst in der Kinderlandverschickung erfolgte vom 27. Juli bis 17. September 1942 als Unterführer (Hilfserzieher) an der Ostsee auf der Insel Usedom in Pommern: zuerst im KLV-Lager „Felicitas“ in Zinnowitz bei 35 Berliner Jungen und bald danach im benachbarten Zempin im Lager „Kagemann“ bei 29 Jungen aus Greifswald, die teilweise älter und stärker waren als ich. Dort hätte ich mich schwer durchsetzen können ohne den Schutz und die Anleitung des besten Lagermannschaftsführers, den ich je erlebt habe: des siebzehnjährigen Jungmannes Joachim Horn aus der 7. Klasse (offiziell: dem 7. „Zug“) der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Berlin-Spandau41. Er war sportlich wie kulturell hervorragend gebildet, immer wohlwollend ruhig und führungssicher ohne jede Überheblichkeit sowie ein freundlich anteilnehmender ermutigender Gesprächspartner. Ich verdanke ihm eine erste glückliche Lehrzeit als Heimerzieher. Sie war leider nur kurz. Das Lager wurde im September aufgelöst. Die Jungen wurden von Achim und mir nach Greifswald zurückgebracht, weil die meisten von ihnen nach der achten Klasse der Volksschule ihre Berufslehre beginnen mussten. Als ich zum Schulbesuch nach Berlin zurückkam, wurde unsere ganze Klasse bis November „notdienstverpflichtet“ und in der Stadt für Hilfsdienste auf verschiedene Arbeitsplätze verteilt. Wegen des Personalmangels in den KLVLagern für Jungen erhielt ich vom „Beauftragten für die Kinderlandverschicstellt sich „freudig in den Dienst nationalpolitischer Erziehung; sie sieht im Einsatz für Heimat, Volk und Staat eine zuletzt religiös begründete Verpflichtung“. 41 Vgl. zu dieser Eliteschule Gamm 1990, 401–413; Ueberhorst 1969; Leeb 1998.

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kung“ der Hitler-Jugend im Gebiet Berlin ganz unerwartet und ungewollt den „Einsatzbefehl“, sofort als Lagermannschaftsführer nach Oberschlesien in das KLV-Lager HJ-Heim Ammern zu reisen. Es lag rund 20 km nordöstlich der Kreisstadt Rosenberg unmittelbar an der polnischen Grenze und war für 18 Schüler der Hilfsschule Berlin-Steglitz bestimmt. Auf der Landkarte war der Ort schwer zu finden, weil er polnisch Sternalitz hieß und erst unlängst umbenannt worden war. Ich war dort vom 24. September bis 16. November 1942 mit großen Schwierigkeiten tätig. Mir war von Anfang an klar, dass ich im Alter von 14 Jahren als Lagermannschaftsführer viel zu jung bin. Das hat mit Recht auch der Lagerleiter so gesehen. Er war empört über die Berliner KLV-Zentrale, weil sie keinen älteren Führer geschickt hat, und hat mir deswegen das Leben schwer gemacht, statt mir zu helfen. Er war ein etwa 50-jähriger Lehrer, kalt, humorlos und immer grantig, der in der Uniform eines „Politischen Leiters“ durch das stockkatholische Dorf stolzierte, in dem Parteigenossen und erst recht die als „Goldfasane“ verspotteten höheren Ränge verhasst waren. Er hat täglich nur drei Stunden unterrichtet und die gesamte außerschulische Beaufsichtigung, Betreuung und Beschäftigung seiner Schüler vom Wecken bis zum Zapfenstreich mir aufgebürdet. Er war der unerträglichste Lagerleiter, den ich zwischen 1940 und 1945 erlebt habe. Die Jungen waren aus Berlin im Zug mit mir angereist und außerhalb ihrer Hilfsschule ohne Erfahrungen mit einem geordneten Gruppenleben. Im ersten verzweifelten Brief an meine Eltern vom 27. September 1942 habe ich Folgendes berichtet: „Zuerst habe ich es mit Güte versucht. Ich habe kein böses Wort fallen lassen. Aber so ging das nicht. Die Jungen sind viel zu frech. Sie legen die Güte als Schwäche aus. Sie sind so frech, wie ich das noch nie gesehen habe. Sie gehorchen erst, wenn man sie 5–6-mal anbrüllt, und dann auch nur widerwillig oder manchmal auch gar nicht. Vor allen Dingen sind sie überhaupt nicht tierliebend. Jeder Frosch, den sie sehen, muss totgeschlagen werden. Ich kann noch so viel schimpfen, sie hören überhaupt nicht darauf. Ich habe jegliche Autorität verloren. Es ist auch der größte Quatsch, einen 14-jährigen Jungen als Lagermannschaftsführer einzusetzen, vor allem bei solchen Jungen.“ „Es kann nur ein 17–18-Jähriger die Autorität haben, die Jungen zum Gehorsam zu bringen“. „Schon alleine solche Tischmanieren habe ich noch nie gesehen. Sie essen wie die Schweine. Nicht alle, einige sind ganz vernünftig, aber das sind nur 3 bis 4 … . Man muss hier die ganze Zeit bei den Jungen sein, allein kann man sie nicht lassen, sonst machen sie die tollsten Sachen“. „Ich habe

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gestern gleich ans Gebiet geschrieben und um sofortige Ablösung gebeten …. Länger als 14 Tage halte ich es hier nicht aus.“42 Aus den 14 Tagen sind nahezu zwei Monate geworden mit vielen Krisen in großer Einsamkeit, aber langsamen Fortschritten bei der Disziplinierung und Führung meiner eigenwilligen Horde. Ihre Einweisung in die Hilfsschule (später „Sonderschule“ genannt) schien mir nur in wenigen Fällen durch Intelligenzdefekte bedingt gewesen zu sein, sondern hauptsächlich durch milieubedingte Verwahrlosung in Familien der Unterschicht. Wie ist es zur Besserung gekommen? Hauptsächlich durch gemeinsame Arbeit, sportlichen Wettbewerb und freudige Höhepunkte wie Abenteuerspiele, gutes Erzählen, Vorlesen und Feiern. Die Kunst lag darin, notwendige praktische Aufgaben und anziehende Beschäftigungen zu finden und mit einem Minimum an Tadel und Ermahnungen auszukommen. Als notwendige Aufgabe war im Herbst die Erntehilfe vorrangig. Sie bestand darin, vier Stunden täglich auf den Feldern die ausgegrabenen Kartoffeln einzusammeln, das Unkraut aus den Rapsfeldern zu jäten und zuletzt die Rüben aus der Erde zu ziehen. Es gab dabei ebenso viele faule wie fleißige Jungen. Da ich mit gutem Beispiel voranging und die meisten Kartoffel-Körbe abliefern konnte, entstand ein gewisser Wettbewerb und Eifer für die gemeinsame Sache.43 Diese Arbeiten haben uns bis Ende Oktober beschäftigt und aus der wilden Horde eine relativ fügsame Gruppe gemacht. Die nächste Aufgabe bestand darin, hölzernes Spielzeug als Weihnachtsgeschenke für Soldatenkinder zu basteln: Hampelmänner aus Sperrholz, Holzbausteine und andere einfache Dinge.44 Erzieherisch wesentlich geholfen hat mir die sportliche Vorbereitung der Jungen auf die Prüfung für das „Leistungsabzeichen des Deutschen Jungvolkes“. Dass ich sie als Kampfrichter selbst abnehmen und mit Stempel bestätigen durfte, hat meine Autorität gestärkt und den Wettbewerb um möglichst gute Leistungen beflügelt. Besonders beliebt war das Luftgewehr-Schießen. Alle 18 Jungen haben das Leistungsabzeichen verliehen bekommen.45 Das war für ein KLV-Lager ein ganz ungewöhnlicher Erfolg. Er hat das Selbstwertgefühl der Gruppe erhöht und meine Arbeit erleichtert. So hat mich nach der glücklichen Lehrzeit als Heimerzieher an der Ostsee auch diese harte Lehrzeit in Oberschlesien erfahrener werden lassen. 42 43 44 45

Brief an meine Eltern. PAB. Brief an meine Eltern vom 4.10.1942. PAB. Brief an meine Eltern vom 25.10.1942. PAB. Brief an meine Eltern vom 1.11.1942. Liste der Anforderungen im „Hitler-Jugend Leistungsbuch“. Mein Exemplar vom Bann 200 im PAB. Vgl. auch Rüdiger 1998, Anhang 5, 25; Klose 1982, 114.

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Vor der Heimkehr nach Berlin habe ich noch an der Luftschutz-Schule in Breslau vom 16. bis 21. November 1942 einen Lehrgang für Luftschutz-Sachbearbeiter der Banne mit Gewinn und Erfolg besucht. Der angenehmste Vorteil des Dienstes von Oberschülern in KLV-Lagern bestand darin, dass man im nachfolgenden Halbjahr vom langweiligen Dienst in der gewöhnlichen Hitler-Jugend vollständig befreit war, um nachzuholen, was wir an Schulunterricht versäumt hatten. Deshalb konnte ich mich in dieser Periode auf die Teilnahme an zwei sportlichen Lehrgängen beschränken. Ein Ausbildungslehrgang für HJ-Schiwarte erfolgte vom 16. bis 24. Februar 1943 in einer Hütte am tiefverschneiten Glatzer Schneeberg (1425 m). Der andere war ein Lehrgang für HJ-Kriegs-Sportwarte vom 15. bis 20. März in der Jugendherberge Berlin-Westend beim Olympiastadium. Er wurde mit der Zulassung als „K-Sportwart“ abgeschlossen, der „während des Krieges die Grundschule für Leibesübungen … durchzuführen“ hatte.46 Auf solchen Lehrgängen konnte man von erwachsenen Spezialisten viel mehr lernen als von den jugendlichen Führern im gewöhnlichen Dienstbetrieb der lokalen Einheiten der Hitler-Jugend. Diese mussten immer jünger an Stelle der als Soldaten dienenden Älteren einspringen, je länger der Krieg dauerte. Mein besonderes Interesse galt damals einer Ausbildung zum „Feldscher“. Das war der altertümliche Name für die Sanitäter oder Helfer im Gesundheitsdienst der Hitler-Jugend.47 Dieser Wunsch ging 1943 in Kärnten in Erfüllung. Das hat sich auf mein weiteres Schicksal im Krieg unvorhersehbar günstig ausgewirkt. Bei der Kinderlandverschickung gab es Entsendegaue und Aufnahmegaue.48 Der Millionenstadt Berlin war von der Dienststelle KLV in der Reichsjugendführung49 unter anderen Gebieten auch der Gau Kärnten als Aufnahmegau zugewiesen worden. Er war bei den KLV-Führern wegen seiner Schönheit am meisten begehrt. Ich hatte das Glück, vom 28. Mai bis zum 15. November 1943 dort leben und arbeiten zu können, während in Berlin schwere Luftangriffe erfolgten und die ersten höheren Schüler vom vollendeten 15. Lebensjahr an als Luftwaffenhelfer eingesetzt wurden. Die Abfahrt erfolgte am Vormittag vom Anhalter-Bahnhof in einem langen KLV-Sonderzug, der rund eintausend Kinder im Alter zwischen zehn und vier46 K-Sportwartausweis des Gebietes Berlin Nr. 375. Vgl. Reichsjugendführung: Handbuch für den Kriegs-Sportwart. 47 Rüdiger 1998, 193 ff. 48 Kock 1997. 49 Die Reichsjugendführung war eine „oberste Reichsbehörde“. Zu Aufgaben und Gliederung vgl. Handbuch Reichsgau Wien, 65./66. Jahrgang 1944, 13 ff. Zur „Dienststelle Kinderlandverschickung (KLV)“ S.15 keine näheren Angaben.

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zehn Jahren in KLV-Lager nach Kärnten brachte. Am nächsten Morgen erreichten wir Mallnitz, wo die ersten Kindergruppen ausgeladen wurden. So ging es von Station zu Station, bis die letzten in Pörtschach am Wörthersee ihr Ziel erreicht hatten. Ich war als Reserve für schon bestehende Lager bestimmt und hatte mich in der gemütlichen Klagenfurter Altstadt beim KLV-Gebietsbeauftragten Bannführer Rasetschnig zu melden. Er hat mich als Unterführer dem KLV-Lager-Hotel Obir in St. Kanzian im Jauntal am Klopeinersee (Bezirk Völkermarkt) zugeteilt. Es lag sehr schön am Nordufer des Sees mit Blick auf die Karawanken in einsamer und stiller bäuerlicher Landschaft, die vom späteren Massen-Tourismus noch nicht verschandelt war. Es war mit rund 60 Volksschülern aus den Berliner Arbeiter-Bezirken Wedding und Moabit belegt, die grob, laut und schwer zu leiten waren. Manchmal war ich „nahe am Verzweifeln, wenn sie durchaus nicht hören wollten und immer wieder eine dreckige Antwort geben“. „Man muss eine unerhörte Geduld und Ausdauer haben“. „Ich bin abends immer ganz zerschlagen“ und „so heiser gebrüllt, dass ich kaum sprechen kann.“50 Individuelle Erziehung war nicht möglich, sondern nur kollektive Bändigung. „In ein so großes Lager gehe ich nie wieder.“51 Freie Zeit gab es fast nur in den dreieinhalb Stunden, in denen die beiden Lagerlehrer Unterricht erteilten. In die nahen Berge habe ich schon deswegen nicht wandern können, weil sie wegen der Überfälle slowenischer Partisanen gesperrt waren.52 In diesen unerfreulichen Verhältnissen hat mich von der Kärntner Gebietsführung eine Einladung zur Ausbildung als Feldscher erreicht. Ich habe sie vom 20. bis 30. Juni 1943 als einziger Berliner unter lauter Kärntner Kameraden in der Jugendherberge in Drobollach am Faaker See südöstlich von Villach mit großer Freude absolviert und die Prüfung zum „Jungstammfeldscher“ als höchste mögliche Stufe bestanden.53 Danach wurde ich als Unterführer und KLV-Lagerfeldscher nach Seeboden am Millstätter See in das KLV-Lager Kä/45 Gasthaus Hofer versetzt. Dort habe ich in einem bestens geführten kleinen Lager mit etwa 40 gutmütigen Berliner Schülern vom 1. Juli bis 26. August 1943 eine sorgenfreie und glückliche Zeit verbracht. Seeboden war damals noch ein kleiner und ruhiger bürgerlicher Badeort in unzerstörter Natur. Westlich oberhalb vom Ort befand sich am Waldrand in schöner Lage das Wehrertüchtigungslager II „Germanische Jugend“. Dort habe ich in meiner 50 51 52 53

Brief an meine Eltern vom 2.6.1943. PAB. Postkarte an die Eltern vom 14.6.1943. PAB. Brief an die Eltern vom 7.6.1943. PAB. Hitler-Jugend, Gebiet Kärnten (31), Feldscher-Ausweis von Brezinka Wolfgang vom 30.6.1943.

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Freizeit nebenbei den „Kriegsausbildungs-Schein“ (K-Schein) der Hitler-Jugend mit dem Gesamturteil „sehr gut“ erworben. Der dreiwöchige Lehrgang konzentrierte sich auf Schieß- und Geländeausbildung.54 Da ich die HJ-Schießauszeichnung im Kleinkaliber-Schießen schon seit 1942 besaß und im Geländedienst erfahren war, hat es genügt, an den Schlussprüfungen des Lehrganges teilzunehmen. Die regulären Teilnehmer waren ältere Jugendliche aus Holland, Belgien, Norwegen und Dänemark. Sie sind eingeladen und besonders wohlwollend behandelt worden, um sie als Freiwillige für die Waffen-SS anzuwerben. Ende August und Anfang September 1943 folgte ein kurzer Urlaub bei Eltern und Geschwistern in Berlin und Ratibor. In Berlin bin ich an einem schönen Sonntag nach der Messe nur knapp dem Tod entgangen. Ich saß bei Fliegeralarm im Garten und wollte erst ins Haus gehen, wenn am klaren Himmel tatsächlich Bomber im Anflug zu sehen sein sollten. Wir hatten uns bisher am südlichsten Stadtrand, hinter dem Felder und Wiesen begannen, sicher gefühlt. Diesmal kam ein großer Verband schnell heran und markierte die Grenzen des Abwurfgebietes mit silbernen Aluminiumstreifen über einem Industrieviertel nördlich von uns. Mein Vater holte mich sofort in den Keller. Er hatte die Tür kaum geschlossen, als die Bomben fielen und eine davon in Nachbars Garten etwa zehn Meter von uns entfernt einen Krater aufriss, die Fensterscheiben sprengte und unsere Kellertür eindrückte. Es entstand kein Personenschaden, aber im Freien hätte ich kaum überlebt. Auf der Fahrt von Ratibor nach Klagenfurt bin ich zum ersten Mal für einen Tag in Wien gewesen. Es war damals noch unbeschädigt. Stephansdom, Hofburg und Kapuzinergruft haben mich beeindruckt. Der Prater war so überfüllt, dass ich für das Riesenrad hätte drei Stunden anstehen müssen. Deshalb habe ich es vorgezogen, bei schönstem Wetter und guter Sicht den Turm von St. Stephan zu besteigen. In Klagenfurt habe ich mich bei der Gebietsführung zurückgemeldet und wurde als Unterführer dem KLV-Lager Gasthof Marchetti in Millstatt zugeteilt. Es hatte eine prächtige Lage direkt am See und eine schöne Villa mit Park als Nebenhaus. Es war mit 80 Berliner Jungen im Alter von 11 bis 15 Jahren belegt. Diese Menge war zu groß und hat von Anfang an aus Mangel an gutem Führungspersonal enorme disziplinäre Missstände begünstigt. Deshalb galt Mar54 Die Lehrgänge der Wehrertüchtigungslager wurden 1942 für die 17-Jährigen verpflichtend als Vorstufe für den Reichs-Arbeitsdienst und den Wehrdienst eingerichtet. Idealisierte Darstellung bei Rüdiger 1998, 87 ff. und Anhang 38. mit Ausbildungsprogramm. Bericht über die Eröffnung des zweiten derartigen Lagers „für die großgermanische Jugend“: Kärntner Zeitung, 22. März 1943, Nr. 80, S. 3.

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chetti als schwierigstes Kärntner Lager. Ich habe gegen die Zuweisung protestiert. Die Gebietsleitung der KLV hatte zwar Verständnis dafür, verwies aber auf die Personalnot und mein gutes Führungszeugnis: „Du wirst dort am meisten gebraucht!“. Ich musste gehorchen und bin vom 13. September bis 15. November 1943 dort tätig gewesen. Bei der Ankunft an jedem neuen Dienstort war die Begrüßung und Vorstellung durch den Lagerleiter vor der versammelten Mannschaft ein angstvoller Moment. Schon der geringe Altersunterschied von zwei bis fünf Jahren zwischen dem neuen Führer und den fremden Geführten machte mich befangen. Es hing viel vom ersten Eindruck ab, ob der Neue von Anfang an mehr oder weniger Autorität zugestanden erhielt. Bei der ersten Einschätzung spielten neben Körpergröße und vermuteter Kraft die erworbenen Leistungsabzeichen eine Rolle. Ich hatte damals an der Uniform schon das HJ-Leistungsabzeichen in Bronze, die HJ-Schießauszeichnung, den Armstreifen „HJ-Sportwart“ und die Lebensrune für Feldschere aufzuweisen. Das sicherte für den Anfang einen gewissen Abstand und Respekt, aber das notwendige Mindestmaß an Gehorsam musste erst mühsam erarbeitet werden. Wie verwahrlost die Jungen waren, beleuchtet folgendes Beispiel eines Ausmarsches mit Lagermannschafts- und Unterführer: „Gestern sind sie uns, nachdem wir 200 Meter vom Lager weg waren, auf und davon gelaufen. Sie haben dann mein altes Lager Hofer überfallen, das durch Millstatt marschiert war. Hofer wurde blutig zurückgeworfen. 80 gegen 41 kleine Jungen!“55 Unter diesen Umständen konnte ich nur mit großer Mühe Autorität gewinnen. Dabei kam mir ein Zufall zur Hilfe. Ich konnte kurz nach meiner Ankunft einen Einbruch mit Diebstahl und Zerstörungen in einer einsamen leerstehenden Villa am gegenüberliegenden Ufer des Sees durch Täter aus dem Lager aufdecken, die Anführer isolieren und mit Polizei und Jugendgefängnis drohen. Es kam vor allem darauf an, die lähmende Langeweile bei den Jungen zu überwinden: durch sportliches Training für das Leistungsabzeichen des Deutschen Jungvolks, Wettbewerb mit anderen Lagern im Ort, spannende Geländespiele und interessante Wanderungen. Besonders hilfreich war im Winterhalbjahr, als das Tummeln am See ausfiel, die Werkarbeit zur Herstellung von einfachem Holzspielzeug für Kinder. Da die Spielzeugfirmen ihre Produktion auf Rüstungsgüter umstellen mussten, wurde die Hitler-Jugend beauftragt, die entstandene Lücke zu füllen. Für die elementare handwerkliche Ausbildung von Führern der KLV-Lager wurden Reichswerkschulen eingerichtet. Wer einen Lehrgang erfolgreich abgeschlossen hatte, erhielt für sein Lager einen KLV55 Brief an meine Mutter vom 18.9.1943. PAB.

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Werkzeugschrank, dessen Inhalt für etwa zehn Mitarbeiter ausreichte56. Diese Ausrüstung war in den Lagern heiß begehrt. Ich habe von Millstatt aus vom 15. bis 28. Oktober 1943 einen Lehrgang in der Reichswerkschule KLV 2 in Ambach am Starnberger See (Oberbayern) besucht und meinem Lager dadurch zu einem Werkzeugschrank und interessanter Beschäftigung verholfen. Am Hinweg bin ich zum ersten Mal nach Salzburg gekommen. Man hat damals überall schnell Kameraden gefunden. Ich traf dort einen freundlichen HJ-Führer aus dem Banat, der wie ich auf der Durchreise war. Wir sind gemeinsam zum Königssee gefahren und haben das Kirchlein von St. Bartholomä, den Watzmann und den stillen Obersee bewundert. Auf der Rückreise erfolgte der erste Besuch in Innsbruck. Ich war begeistert von der herrlichen Lage und der schönen Altstadt und habe mir gewünscht, später in Tirol leben zu können. Hier traf ich zufällig einen dienstfreien Luftwaffenhelfer. Wir sind zusammen auf die Nordkette gestiegen und über den langen Grat westlich des Hafelekar geklettert. In Millstatt ist meine Arbeit durch das gewonnene Vertrauen der Jungen leichter geworden. Im Schatten der schönen gotischen Stiftskirche ist mir freilich der Gegensatz zwischen Kreuz und Hakenkreuz besonders deutlich aufgefallen. Das Leben im Lager war ein Leben ohne Gott und ohne die Stützen, Bildungs- und Selbstbildungshilfen religiöser Tradition und Pietät. Die Riten und Texte bei Flaggenehrungen, Morgenfeiern und Festen waren banal. Im Zentrum stand der Kult der „Volksgemeinschaft“ unter zwei Leitsprüchen: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ und „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“. Hitler, das eigene Volk und Land wurden in Liedern und Gedichten vergöttlicht. Als Beispiel sei nur folgender Text erwähnt: „Deutschland, heiliges Wort, du voll Unendlichkeit! Über die Zeiten fort seist du gebenedeit […]“57. Solche schwülstigen pseudo-religiösen Verse waren allerdings für Kinder im KLV-Alter wenig zugkräftig. Deshalb hat die Dienststelle KLV der Reichsjugendführung in einer eigenen Schriftenreihe „Lesestunde Junge Heimat“ für ansprechendere Text- und Liedersammlungen gesorgt. In ihnen sind Natur, Heimat und Alltagsleben betont worden und die Vorstellung von Gott als Schöpfer wurde wenigstens gestreift. Ihre Produkte waren frei von der offen antichristlichen Tendenz der nationalsozialistischen Diktatur.58 56 Vgl. Dabel 1981, 232 ff.; Rüdiger 1998, 124 ff. und Anhang 55 f. 57 Reichsjugendführung 1942: Lieder der HJ, 91. Als Gedichtsammlung für die deutsche Schule, 5.–8. Schuljahr – also die Altersstufe der KLV – vgl. Beske o. J. (circa 1941/42). 58 Musterhaft bei Dabel 1944.

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Das war schon deswegen angebracht, weil mit christlich gebundenen Eltern und den Kirchen gerechnet werden musste. Diesen war von der Reichsdienststelle KLV für gläubige Lager-Kinder kirchlicher Religionsunterricht in kirchlichen Räumen und Gottesdienstbesuch zugesichert worden.59 Positiv ist jedoch nichts dafür geschehen. Der Stil und das geistige Klima der Lager blieben heidnisch. Glaubensfreiheit gab es nur auf dem Papier. Es hätte enormen Bekennermut gebraucht, um sie zu praktizieren. Die scheinbar religiös tolerante KLV-Zentrale dürfte damit gerechnet haben, dass Kinder im KLV-Alter fern von ihren Eltern kaum dazu imstande sein werden. Als ich nach einem halben Jahr KLV-Dienst in Kärnten im November 1943 nach Ratibor kam, war die Ostfront noch weit entfernt. Ich war für ein „Schuljahrsdrittel“ von der Jugenddienstpflicht in der Hitler-Jugend befreit, damit „die durch den Einsatz entstandenen Lücken in der Schulausbildung wieder ausgeglichen werden“. „Soweit erforderlich“ hätte ich auch „weiter beurlaubt werden“ können.60 Schulisch wäre das erforderlich gewesen. Es hat im Bann Ratibor jedoch kein Personal für den Gesundheitsdienst gegeben, weil alle älteren Fachkräfte bei der Wehrmacht waren. Deshalb war ich dank meiner Feldscher-Prüfung hoch willkommen und wurde ab 1. Juni 1944 zum „Bannfeldscher“ und Leiter der Gesundheitsstelle ernannt. Meine Aufgabe bestand darin, vom Nullpunkt an eine „Feldschergefolgschaft“ aufzubauen und elementaren Unterricht für Anfänger im praktischen Sanitätsdienst zu erteilen. Diese Stellung in der Ratiborer Bannführung hat mich davor bewahrt, an meinem ordentlichen Wohnsitz Berlin als Luftwaffen-Helfer eingesetzt zu werden. Ich wurde der Berliner Behörde als in Ratibor „unabkömmlich“ gemeldet. Der erste „Feldscherlehrgang“ begann mit 12 Doppelstunden in einem Landjahrlager in Zauditz. Es lag 12 Kilometer südwestlich von Ratibor und war schlecht erreichbar. Deshalb erwarb ich zunächst den Führerschein für Motorräder und bin dann mit der vom Bannführer geliehenen Maschine dorthin gefahren. Das „Landjahr“ ist ab 1934 für schulentlassene 14- bis 16-jährige Jugendliche aus Großstädten geschaffen worden, die weder eine Lehrstelle noch einen Arbeitsplatz gefunden haben. Es dauerte von April bis Dezember und verband halbtägige Landarbeit bei Bauern mit nationalpolitischer Gemeinschaftserziehung, um Arbeitskräfte für ländliche Berufe zu gewinnen.61 Der Unterricht 59 Dabel 1981, 243 ff.; Kock 1997, 287 ff. 60 Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 11.6.1941. Amtsblatt, Jahrgang 7, 1941, Nr. 334, S. 239. 61 Rocholl 1937, 58 ff.; Hehlmann 1942, 248 f.; Sturm 1942, 121 f.

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mit Themen von Erster Hilfe bis zu gesunder Lebensführung fand großes Interesse und dankbare Aufnahme. Er wurde durch den Bannarzt ergänzt und von ihm mit einer Prüfung abgeschlossen. Die „Feldschergefolgschaft“ ist über 15 bis 20 Mitglieder im Alter von 15 bis 16 Jahren nicht hinausgekommen. Das war zahlenmäßig die Menge der kleinsten HJ-Einheit: einer „Kameradschaft“. Sie bestand vorwiegend aus höheren Schülern, die sich freiwillig gemeldet hatten. Sie war mehr eine Gruppe interessierter Kameraden, die ich mir aussuchen konnte, als eine normale HJEinheit. Meine Dienststellung als „Gefolgschaftsführer“ war also – gemessen an der durchschnittlichen Größe einer „Gefolgschaft“ von etwa 150 bis 200 Mann – eine Fiktion: etwas, das nur in der Vorstellung oder auf dem Papier existierte. Mein höchster Dienstrang war „Scharführer“. Ich habe nie eine normale regionale Einheit der Hitler-Jugend – damals „Stamm-HJ“ genannt – geführt, sondern meine Jugenddienstpflicht ab 1942 in Lagern der Kinderlandverschickung und in der Sondereinheit der Feldschere erfüllt. Als Unterführer in KLV-Lagern hatten wir die Dienststellung eines Jungzugführers, als Lagermannschaftsführer die eines Fähnleinführers des Deutschen Jungvolks – unabhängig von der Zahl der Kinder. Vom 7. September bis 4. Oktober 1944 wurden wir mit Tausenden anderen Jugendlichen im oberschlesischen Kreis Groß-Strehlitz (südöstlich von Oppeln nahe der polnischen Grenze) zum Aushub von Panzergräben am „Ostwall“ im Abschnitt Groß-Zeidel eingesetzt. Das damals sogenannte „Schanzen“ war als reine Handarbeit mit Schaufel, Spitzhacke, Eimern und Schubkarre sehr anstrengend. Der Graben musste drei bis vier Meter Tiefe haben. Dazu waren zwischen dem Boden und dem oberen Rand des Grabens zwei Zwischenflächen erforderlich, um die Erde etappenweise nach oben zu bringen. Die Nächte haben wir in einer Scheune auf Stroh verbracht. Die Stimmung war gedrückt. An den langen herbstlichen Abenden trösteten wir uns mit Singen: keine politischen Kampf- oder Soldatenlieder, sondern Volkslieder von Heimat, Natur und Liebe. Ich hatte mir seit Jahren handschriftlich ein eigenes Liederheft angelegt und konnte damals schon rund 100 Lieder auswendig. Militärisch war das Projekt unsinnig, weil die sowjetischen Panzer den erdigen „Ostwall“ leicht in den Graben würden schieben können und außerdem nicht im Wald, sondern auf den Straßen zu erwarten waren. Für uns war das ganze Unternehmen ein Signal des nahen Zusammenbruchs der Ostfront und der unaufhaltbaren deutschen Niederlage. In dieser bedrückten seelischen Verfassung ist bei uns der Eifer für das Feldscherwesen erlahmt. Zwei Tage nach der Rückkehr vom „Ostwall“ ist beim Wehrbezirks-Kommando Cosel meine Musterung erfolgt. Ich wurde für den Wehrdienst tauglich

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befunden und als Freiwilliger und Anwärter für die Reserve-Offizierslaufbahn angenommen. Am 8. Januar 1945 wurde ich der Kavallerie-Ersatzabteilung 20 in Lüneburg zugewiesen.62 Zu dieser Zuweisung ist es gekommen, weil ich im Besitz des Reiterscheines und des Führerscheines der Klasse 4 war. Den Reiterschein hatte ich bei zwei je dreiwöchigen Reit- und Fahrlehrgängen in der Reit- und Fahrschule Wermsdorf (Kreis Oschatz) in Sachsen erworben.63 Sie war ein spezielles Wehrertüchtigungslager der Hitler-Jugend für diese Ausbildung. Als Ausbildner dienten ältere frontdienstuntaugliche Unteroffiziere des Heeres, die tüchtig und wohlwollend waren. Meine Freude an Pferden und am Reiten ist schon im Sommer 1940 am Bauernhof in Zauditz entstanden. Sie hing mit der Sehnsucht nach dem Landleben und dem Berufswunsch Förster zusammen. Das Fahren wurde zwei- bis sechsspännig geübt. Die freiwillige Meldung als Reserve-Offiziersanwärter hatte den Vorteil, erst nach Erhalt des Reifevermerks durch Abschluss der siebenten Klasse der Oberschule zum Militär eingezogen zu werden. Das wäre Ende Juni 1945 gewesen. Grundsätzlich wurde für Offiziere das Abitur gefordert, zuletzt mindestens der Reifevermerk im Alter von 17 Jahren. Als Reserve-Offiziersanwärter konnte ich auch der Gefahr begegnen, zum „Volkssturm“ gezwungen zu werden. Hitler hatte am 25. September 1944 durch seinen „Erlass über die Bildung des deutschen Volkssturms“ die Erfassung aller „waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren“ angeordnet.64 Zu meinem letzten Ausbildungslehrgang bin ich von Ratibor über Wien nach Tirol gereist. Es war ein Kriegs-Schiwart-Lehrgang des Gebietes Berlin vom 15. bis 23. Dezember 1944 im Meissnerhaus im Vikartal. Er wurde von zwei älteren Oberjägern der Gebirgsjäger gehalten. Die Anreise endete wegen Bombenschäden an der Bahnstrecke in Hall. Am nächsten Morgen ging es mit der Straßenbahn nach Innsbruck und von dort zu Fuß zur Hütte. Die Ausbildung verlief bei viel Schnee kameradschaftlich und erfolgreich. Sie war eine reine Freude. Meine erste Tiroler Schitour ging als Prüfungstour zur Vikarspitze. Am Heiligen Abend kam ich stolz als HJ-Schiwart nach Ratibor zurück. Von dort wurde ich am 12. Januar 1945 zum jährlichen Schi-Wettkampf des Gebietes Oberschlesien nach Zwardon in den polnischen Beskiden geschickt, wo in der Habsburger-Monarchie die Grenzen Schlesiens, Galiziens und 62 Wehrpass vom 6.10.1944; Annahmeschein ROB 1525/28 des Generalinspekteurs für den Führernachwuchs des Heeres in Rathenow vom 8.12.1944 und 8.1.1945. PAB. 63 15.7.–5.8. und 8.–28.10.1944. HJ-Leistungsbuch, S. 45. PAB. 64 Zentner 1977, 300 ff.

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Ungarns zusammenstießen. Nach meiner Ankunft habe ich allein mit Steigfellen eine kleine Orientierungsrunde unternommen. Am Abend erfuhr ich im Quartier, dass der Wettbewerb abgesagt werden musste, weil am gleichen Tage die große russische Offensive Richtung Oberschlesien begonnen hatte. Die Russen haben in zwei Wochen die Oder östlich von Ratibor erreicht. Ich bin am 13. Januar mit dem Zug nach Ratibor heimgekehrt. Der Schulbetrieb war schon eingestellt. Im Amt der Bannführung gab es nichts mehr zu tun. An Schulbesuch im Landesinneren war nirgends mehr zu denken. Die Einberufung meines Jahrganges 1928 zum Reichsarbeitsdienst und zur Wehrmacht stand unmittelbar bevor. Als Alternative kam nur der „langfristige Notdienst in der Hitler-Jugend“ in Betracht. Er stützte sich auf einen Erlass des Reichsministers des Inneren vom 16. November 1944. Danach ist „dem Jugendführer des Deutschen Reiches … zur Sicherung des Kriegseinsatzes der deutschen Jugend eine größere Anzahl von Hitler-Jugend-Führern des Jahrganges 1928 … bis zur tatsächlichen Heranziehung mit der zweiten Welle des Jahrganges 1929 zur Verfügung gestellt worden.“65 Der größte Bedarf bei der „Heranziehung von HJ-Führern des Geburtsjahrganges 1928 zum langfristigen Notdienst in der Hitler-Jugend“ bestand in den KLV-Lagern. Ich wurde ab 1. Februar 1945 zu diesem „Notdienst“ herangezogen und bat meinen Ratiborer Bannführer um Überweisung nach Klagenfurt, wo dringend Personal für die Kärntner KLV-Lager gebraucht wurde. Ich wurde von ihm dorthin verabschiedet und erhielt einige unterschriebene und gestempelte Dienstfahrscheine mit Marschbefehl der Hitler-Jugend, in die ich das Reiseziel selbst einsetzen konnte. Durch sie hatte ich in den folgenden turbulenten Wochen freie Fahrt und wurde bei Personalkontrollen vor einer Festnahme für den „Volkssturm“ geschützt. Meine Mutter ist Ende Januar mit meinen Geschwistern in einem der letzten überfüllten Züge zu meinem Vater nach Berlin gefahren. Die Reise dauerte auf Umwegen infolge zerstörter Bahngleise und vielen Unterbrechungen durch Fliegerangriffe zwei Tage. Am 30. Januar sind alle heil bei meinem Vater eingetroffen. Ich bin Anfang Februar mit einem Lastwagen der Wehrmacht nach Oderberg gelangt. Dort gab es großen Andrang auf die wenigen Züge Richtung Westen. Dank meines Feldscher-Abzeichens und -Ausweises durfte ich „ausnahmsweise“ in einen abfahrbereiten Lazarettzug Richtung Wien einsteigen. Er war auf den Wagendächern mit großen roten Kreuzen gekennzeichnet und 65 Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Jg. 11, vom 5.1.1945, Heft 1, Nr. 8.

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ist unbehelligt von Luftangriffen nach Wien gelangt. Ich überstand die Fahrt in einem Winkel zwischen den Betten der schwerverletzten Soldaten. Ihr Anblick und ihre Schmerzenslaute haben mich erschüttert, die vorbildlichen Leistungen der Rot-Kreuz-Schwestern und Ärzte tief bewegt. Bei allem Elend herrschte eine tröstliche Atmosphäre persönlicher Zuwendung, Dankbarkeit und Hoffnung. Die Reise von Wien nach Klagenfurt erfolgte mit vielen Unterbrechungen durch Fliegeralarm. Mir wurde nach dem schnellen Abschied von meiner Mutter in Ratibor erst jetzt klar, dass vermutlich eine lange oder sogar endgültige Trennung bevorstand, für die ich weder seelisch vorbereitet noch materiell ausgestattet war. Ich hatte an Kleidung nur, was ich am Leibe und im Rucksack trug. In Klagenfurt wurde ich beim KLV-Gebietsbeauftragten freudig erwartet. Ich hatte mich noch von Ratibor aus angemeldet. Ich berichtete von der überstürzten Flucht meiner Mutter und Geschwister vor den Russen nach Berlin und bat vor meinem Dienstantritt noch um einen kurzen Urlaub zum Abschied von meiner Familie und zur Abholung der fehlenden Ausrüstung. Er wurde großzügig bewilligt. So bin ich Anfang Februar trotz Tieffliegergefahr nach Berlin gereist. Die Meldungen über die Verbrechen der sowjetischen Armee an der Zivilbevölkerung in den ostdeutschen Provinzen haben mich veranlasst, nicht direkt nach Kärnten zurück zu fahren, sondern zuerst meine Freundin Bärbel vor den russischen Eroberern in Sicherheit zu bringen. Deshalb bin ich am 10. Februar auf gefährliche Weise noch einmal nach Ratibor zurückgekehrt. Meine Eltern und Geschwister habe ich erst im Oktober 1945 wiedergesehen und bis dahin auch nichts von ihrem Schicksal erfahren.

UNTERGANG DES DEUTSCHEN REICHES, TRAUER, NEUER ANFANG Den Anfang vom Ende des Deutschen Reiches habe ich im Februar 1945 in Ratibor erlebt. Die Stadt lag unter russischem Beschuss und war mit der Bahn nicht mehr erreichbar. Ich konnte mit Zügen auf Umwegen über Prag nur bis Oderberg gelangen, das als wichtiger Eisenbahnknotenpunkt rund 20 Kilometer südlich liegt. Den halben Weg ging es zu Fuß weiter, bis mich ein Zugkraftwagen der Wehrmacht auf dem Sitz des Anhängers einer schweren Flugabwehrkanone mitnahm. Ratibor war mittlerweile zweimal durch russische Bomber angegriffen worden und hatte eine Woche Artilleriefeuer hinter sich. Kaplan Tschoepe war

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ausgebombt und hauste im Keller des Pfarrhauses. Das Haus meiner Verwandten Dudel in der Kohlenstraße war unbewohnbar. Sie waren bereits aus der Stadt geflüchtet. Bärbels Freundin Hanne Janoschka war noch da und ihre Familie hat mich gastfreundlich aufgenommen und übernachten lassen. Unter meinem Zimmer zog in der Nacht auf der Straße ein Strom von Flüchtlingen mit Pferden und Wagen in Richtung Sudetenland vorbei, gemischt mit Soldaten auf dem Rückzug. Es war zum Weinen. Bärbel wurde bei ihren Eltern in Soppau vermutet. Telefonisch war damals auf dem Land noch kaum jemand zu erreichen. Ich borgte mir ein Fahrrad und fuhr auf gut Glück rund 35 Kilometer westwärts über Leobschütz dorthin. Sie war das jüngste von fünf Kindern. Ich kannte weder ihre Eltern noch ihre Geschwister. Ein Bruder war gefallen, der zweite in Russland vermisst. Ihre Eltern waren über meinen unangemeldeten Besuch gar nicht befremdet, sondern nahmen mich warmherzig auf wie einen alten Freund. Bärbel war bei ihrer Schwester in Ziegenhals, die dort – rund 40 Kilometer weiter westlich – als Apothekerin arbeitete.66 Ich fuhr am nächsten Morgen mit dem Zug über Neustadt zu ihr und wurde begeistert begrüßt. Sie waren zwei liebenswürdige, frische, kluge und sehr religiöse Schwestern, mit denen das Gespräch bis Mitternacht eine Freude war. Der nächste Tag war Aschermittwoch. Wir besuchten zusammen den Gottesdienst und anschließend fuhr ich mit Bärbel nach Soppau. Dort wurde beschlossen, dass sie nach Würzburg zu ihrer Schwester Anneliese fahren solle, die vor dem Abschluss ihres Medizin-Studiums stand. Ich versprach, sie bis Regensburg zu begleiten und mit ihrem schweren Gepäck in den richtigen Zug zu setzen, um dann nach Klagenfurt weiterzufahren. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Rad zurück nach Ratibor. Die Stadt war am Tag zuvor zwangsevakuiert worden. Hanne hatte sie mit ihren Eltern bereits verlassen. Am Nachmittag gab es binnen einer Stunde sechs russische Tieffliegerangriffe. Tags darauf war ich für die Rückkehr nach Soppau auf Auto-Stopp angewiesen. Zwei Offiziere nahmen mich in ihrem Kübelwagen nach Matzkirch mit, das acht Kilometer von der Hauptkampflinie entfernt lag. „Unterwegs wurde unser Wagen, der ganz allein auf weiter Flur war, plötzlich von drei russischen Tieffliegern angegriffen, denen wir gerade noch durch rasende Beschleunigung aus der Schusslinie entkommen konnten, sodass die Geschosse zehn Meter hinter uns in den Sand spritzten […]. In Matzkirch war es dann noch schlimmer. Dort kreisten etwa zehn Maschinen und die Artille66 Brief an Dr. Anneliese Mende vom 31.1.1946 mit 13-seitigem Bericht über die Ereignisse zwischen 4. und 23.2.1945. Abschrift im Tagebuch vom 19.12.1945–31.1.1946. PAB.

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rie war auch nicht weit. Von Matzkirch mit Munitionsauto nach Bauerwitz; dann zu Fuß über Leobschütz nach Soppau, wo ich gegen 22 Uhr 30 eintraf.“67 Es folgten vier glückliche Tage mit Bärbel und ihren Eltern im geborgenen Heim einer hochgebildeten Volksschullehrer-Familie alten Stils mit Wissen und Können von Bienenzucht, Literatur und Religion bis zur Chor- und Orgelmusik. Am Sonntag kam Maria dazu. Ich sah Bärbel erstmals daheim mit ihrer frischen häuslichen Tüchtigkeit und familiären Wärme – eine Insel des Friedens, der Freundschaft und der Frömmigkeit am Rande der blutigen schlesischen Schlachtfelder. Am Dienstag, dem 20. Februar, fuhren wir morgens los: mit Personenzügen über Jägerndorf, Olmütz, Prerau, Lundenburg nach Wien, wo wir am Morgen des nächsten Tages um 7 Uhr eintrafen. Ich hatte Bärbel einen Eisenbahnfahrschein für die Hitler-Jugend ausgeschrieben, der auf „KLV-Führerinnen-Einsatz im Gebiet Mainfranken, Würzburg“ lautete. Damit kamen wir überall durch. Bis zum üblichen Fliegeralarm zeigte ich Bärbel die schönsten Plätze der Innenstadt und sie war begeistert. Dann folgten drei Stunden in einem Luftschutzkeller. Danach fuhr keine Straßenbahn mehr. Deshalb mussten wir mit schwerem Gepäck vom Westbahnhof zum Franz-Josefs-Bahnhof laufen. Von dort sollte gegen 22 Uhr ein Sonderzug für Militärangehörige bis Würzburg fahren. Nach langen Verhandlungen mit dem Zugwachoffizier gelang es mir, Bärbel als „weibliches Wehrmachtsgefolge“ mit hinein zu bringen. Ohne meinen HJ-Fahrschein für sie wäre das nie geglückt. So fuhren wir zu viert in einem schönen Abteil los. Die Strecke über Linz war wegen Bombenschäden gesperrt. Deshalb ging es mit vielen Unterbrechungen über Pilsen nach Regensburg. Dort sind wir am 23. Februar um 0 Uhr 30 mit 16 Stunden Verspätung angekommen. Der Abschied von Bärbel ist mir schwergefallen. Sie hatte sich in allen Schwierigkeiten als gute Gefährtin bewährt. Während sie bei der nächtlichen Fahrt schlief, habe ich mir als Andenken heimlich eine Locke aus ihrem Haar geschnitten. Zum Abschied gab es einen ersten Kuss auf die Stirn. So scheu waren damals katholische Jugendliche im Umgang mit einer Freundin. Unsere Priester hatten uns warten gelehrt. Mein direkter Schnellzug nach Klagenfurt ist wegen Bombenschäden auf der Strecke ausgefallen. So fuhr ich mit mehreren Personenzügen über Landshut, Neumarkt und Mühldorf nach Salzburg, wo ich morgens früh eintraf. Unterwegs gab es dreimal Fliegeralarm mit Aussteigen und Warten abseits des 67 Brief an meinen Vater vom 7.3.1945. PAB.

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Zuges. Ich besorgte mir ein Nachtquartier in der Kaserne bis Montag, besuchte Mutter Hildegard Hendl im Benediktinerinnen-Stift Nonnberg68 und durchstreifte die herrliche Altstadt. Gegen Abend kam ich in die barocke Dreifaltigkeitskirche des Priesterseminars gerade zu der Zeit, als ein junger Priester am Seitenaltar ohne Messdiener und sonstige Gläubige eine stille Messe beginnen wollte. Ich bot mich als Ministrant an und wir haben uns danach ebenso schnell angefreundet, wie das im Herbst 1943 mit Edi Lindelauf in Spittal geschehen ist. Er hieß Toni Unger und diente damals als Obergefreiter im Salzburger Generalkommando. Ich habe für Bärbel gebetet, dass sie durch alle Kriegsgefahren heil zu ihrer Schwester nach Würzburg gelangt. Um diese Zeit war sie schon sieben Stunden tot. Das haben ihre Familie und ich aber erst dreieinhalb Jahre später durch den Suchdienst des Roten Kreuzes erfahren. Sie ist am Freitag, dem 23. Februar, zwischen 11 und 12 Uhr vormittags am Bahnhof in Treuchtlingen bei einem in drei Wellen erfolgten Fliegerangriff ums Leben gekommen und in einem Massengrab bestattet worden. „Dem Angriff fielen 339 Wehrmachtsangehörige, 115 auswärtige und 111 einheimische Zivilisten zum Opfer“. Der Tod „dürfte […] sehr rasch eingetreten sein.“69 Ich habe sie im Oktober 1945 am Heimweg nach Berlin im zerstörten Würzburg vergeblich gesucht und von da an das Schlimmste befürchtet. Diese Sorge hat sich am 31. Januar 1946 durch einen Brief ihrer Schwester Anneliese verstärkt. Sie schrieb, dass Bärbel „nie in Würzburg eingetroffen“ sei.70 Volle Aufklärung über ihr Schicksal haben wir erst 1948 erhalten. Toni Unger war ein offener und lebensfroher Priester, der 1944 in SalzburgParsch eine Pfadfinder-Gruppe gegründet hatte.71 Er hat mir noch am selben Abend das Du angeboten und mich in die mit ihm befreundete Familie Langer mitgenommen. Am Sonntag war ich zur Messe in der schönen Kirche des Benediktiner-Stiftes St. Peter und saß dann vier Stunden im Luftschutzkeller des Mönchsberges. Am Nachmittag lud mich Toni zu einem Spaziergang nach Parsch Richtung Gaisberg ein, wo die ersten Frühlingsblumen blühten. „Da 68 Über sie vgl. S. 25. 69 Mitteilung des Stadtrats Treuchtlingen an Dr. med. Anneliese Mende vom 3.9.1948 mit Beilage „Mitteilung zum Fliegerangriff am 23.3.1945“. PAB. 70 Brief von Anneliese Mende an mich vom 21.1.1946 aus Tübingen. PAB. 71 Geboren am 20. April 1912 in Mannersdorf (Burgenland), 1937 Eintritt in die Genossenschaft der Missionare vom Kostbaren Blut (CPPS), 1941 Priesterweihe, Seelsorger in Kufstein, Feldkirch, Linz und Klagenfurt, gestorben am 13. Januar 2011. Todesanzeige, PAB. Zur Kongregation: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Auflage, Bd. 2, Freiburg im Breisgau 1986, Herder, 542.

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stand mein Entschluss für immer felsenfest, später einmal in die Ostmark zu gehen und zwar nach Salzburg.“72 Am nächsten Morgen fuhr ich nach Spittal. Ich wollte kurz das Hofer-Lager in Seeboden besuchen, in dem ich 1943 ohne Probleme mit Freude gearbeitet hatte. Es hatte kurz danach einen Preis als bestes Kärntner KLV-Lager erhalten. Nun fand ich knapp zwei Jahre später „unbeschreibliche Zustände“ vor. „Die Jungen total verlottert […]. Dabei drei Führer bei 37 Jungen“. Daran konnte man sehen, wie labil das KLV-System mit wechselndem untauglichem Personal auf Seiten der HJ-Führer auch bei guter Unterbringung gewesen ist. Die folgende Nacht verbrachte ich in eisiger Kälte auf dem total zerstörten Bahnhof von Villach. Am nächsten Tag meldete ich mich in Klagenfurt beim KLV-Gebietsbeauftragten zurück. Die befürchtete Rüge über mein langes Ausbleiben ist nicht erfolgt. Man war froh, dass ich da war. Mir wurde eröffnet, dass ich als Lagermannschaftsführer auf den damals „wichtigsten Posten in Kärnten“ käme: in das KLV-Lager Kä/71 Gasthof Kröll in St. Jakob in Defereggen in Osttirol, das politisch von 1938 bis 1947 zum Gau Kärnten gehörte. Es lebten dort 27 Zöglinge aus der Wiener Städtischen Jugendfürsorgeanstalt Hohe Warte im 19. Bezirk73, angeblich zum größten Teil „erblich belastet“ und alle „schwer erziehbar“. Das Lager sei seit Wochen ohne Lagermannschaftsführer, weil mein Vorgänger, ein Kärntner, versagt habe. Er habe so an Autorität verloren, dass die Buben ihn mit einer Wäscheleine an einen Stuhl fesseln und mit Zahnpasta und Schuhcreme beschmieren konnten. Von mir wurde erwartet, dass ich das Lager wieder in Ordnung bringe. Nach zwei bis drei Monaten sollte ich dann als Ausbildner an die Führernachwuchsschule des Gebietes wechseln. Ich habe vergeblich versucht, diesen Auftrag abzuwehren. Schon meine Herkunft aus Berlin würde bei verwahrlosten Wienern Widerstand wecken. Es wurde in wohlwollender Atmosphäre lange verhandelt, aber ich musste mich fügen. Das hat sich beim Kriegsende als Glück ausgewirkt. Von den rund 150 HJ-Führern, die damals in Kärntner KLV-Lagern ihren Notdienst erfüllten, war ich der einzige, der nicht sofort aus politischen Gründen entlassen wurde. Das lag allein an der besonderen Erziehungsbedürftigkeit meiner Fürsorge-Zöglinge. Die Vertreter der englischen Besatzungsmacht wie der neuen 72 Brief an meinen Vater vom 7.3.1945. PAB. 73 Zu den Wiener Jugendfürsorgeanstalten im letzten Kriegsjahr vgl. Magistrat der Stadt Wien 1945, 248 ff.; Handbuch Reichsgau Wien, 65./66. Jg. 1944, 208: umbenannt in: Wiener städtisches Erziehungsheim Hohe Warte. Es hatte Betten für 284 Kinder.

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österreichischen Verwaltung befürchteten deren Rückfall in die Verwahrlosung, wenn ich ohne Ersatz davongejagt werden würde. Weil es keinen Ersatz gab, durfte ich wie alle Lagerleiter und -lehrer im Dienst des Landes Kärnten bis zur Rückführung des Lagers am 13. Oktober 1945 weiterarbeiten. Dadurch bin ich großer Not entgangen und hatte das Glück, in Osttirol einwurzeln zu können. Zunächst gab es aber viele Sorgen und Mühen. Die Bahnreise von Klagenfurt nach Lienz, die normalerweise rund vier Stunden beanspruchte, dauerte wegen zerstörter Züge und Schienen sowie häufiger Luftangriffe zwei Tage. Einen dritten Tag brauchte ich mangels Fahrzeugen und durch TieffliegerGefahr für die 40 Kilometer von Lienz nach St. Jakob. In Lienz habe ich die gotische Pfarrkirche St. Andreas besucht und mich beim Stadtpfarrer und Dekan Alois Budamair vorgestellt. Er war zuerst misstrauisch, weil er in Tirol HJ-Führer nur als Kirchenfeinde gekannt hatte. Im Gespräch haben wir dann bald zusammengefunden und er ist mir später ein guter Helfer geworden.74 Die Gefahren und Mühen konnten gut überstanden werden, weil in der gemeinsamen Not und den Ängsten der damaligen Zeit Kameradschaftlichkeit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft groß gewesen sind. Das Ideal der „Volksgemeinschaft“ wurde nicht nur propagiert, sondern praktiziert.75 Nahrung und Nachtlager für gestrandete Reisende waren immer zu finden. Besonders wenn sie so jung waren wie ich, öffneten sich Türen und Herzen. In St. Jakob war am 3. März 1945 auf rund 1.400 Meter Seehöhe noch tiefer Winter. Landschaftlich war die Lage großartig: ein Bergbauerndorf mit schönen Höfen aus tiefbraunem Holz auf weißgefärbtem Mauerwerk an steilen Wiesenhängen. Dahinter die Rieserfernergruppe, die im eisbedecktem Hochgall bis 3.400 Meter anstieg. Es war ein einsames Paradies für Naturfreunde und Bergsteiger im Grenzgebiet zum nahen Südtirol. Die Arbeit mit den Wiener Buben war schwierig, aber ich habe dabei mehr Schutz und Hilfe erfahren als in früheren Lagern. Lagerleiter war Karl Mössl76, 74 Geboren 1887 in Virgen als Sohn eines Bergbauern, Gymnasium und Theologiestudium in Brixen, 1913 Priesterweihe, ab 1915 Feldkurat an der Dolomitenfront, Diözesanpräses des „Bundes der Jungtiroler“, Direktor des Waisenhauses in Innsbruck und Religionslehrer an der Handelsakademie, Pfarrer in Telfs und Lienz, 1966 Pensionierung, gestorben am 16.8.1971. Oberwalder 1999, 184 ff. mit Foto. 75 Vgl. Süllwold 2001, 142 ff. 76 Geboren am 4.9.1895 in Schwechatsbach bei Baden, Niederösterreich. Nach Besuch der Volksschule, Bürgerschule und Lehrerbildungsanstalt zuletzt Lehrer an der Hauptschule Wien XII, Hetzendorferstraße 66. Mitglied der NSDAP seit 1.5.1938. 1943 Abordnung in KLV–Lager. Quelle: Gauakt Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, BMI,

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ein feinsinniger und sanfter Wiener Hauptschullehrer im Alter von 50 Jahren. Neben ihm gab es zum ersten Mal auch eine „Lagerschwester“: Hannemarie Dusil77 im Alter von 32 Jahren. Sie war von Beruf Kindergärtnerin und gehörte als Erzieherin zur Wiener Erziehungsanstalt, hätte aber offiziell hinter dem von der HJ gestellten Lagermannschaftsführer zurückstehen sollen. Das war eine bürokratische Torheit, weil sie viel besser ausgebildet, älter und erfahrener war. Aber in einem KLV-Lager für männliche Jugendliche waren als Erzieher nur Männer vorgesehen. Deshalb musste sie als „Lagerschwester“ geführt werden. Im Hintergrund war sie aber eine Erziehungshelferin, die den Lagerleiter und mich diskret unterstützt und entlastet hat. Beide waren Mitglieder der NSDAP, haben aber meine kirchliche Bindung und den Kontakt mit dem Ortspfarrer Thomas Ladner nie beanstandet. Es war für mich das erste KLVLager, in dem der Lagerleiter pädagogische Zusammenarbeit und Aussprache angeboten hat. Für die Beschäftigung der Buben außerhalb des Schulunterrichts war ich aber auch hier vom Wecken bis zum Schlafengehen allein verantwortlich. Die Kernfrage war wie immer: womit kann ich sie beschäftigen? Noch dazu im Winter ohne Schi? Unternehmungen im Schnee waren begrenzt. Für Gesellschaftsspiele im Haus war die Gruppe zu groß. Es gab nur einen geheizten Tagesraum für alle. Die Enge und der Mangel an privatem Freiraum waren qualvoll. Für stille Einzelarbeit fehlten Platz und Material. Für den aufgestauten Bewegungs- und Tatendrang gab es wenig positive Betätigungsmöglichkeiten. Dadurch entstand hohe Konfliktbereitschaft. „Man wird von den Jungen totgeredet. Sie quatschen und raufen von morgens bis abends. Manchmal bin ich ganz verzweifelt.“78 An den langen Abenden waren Vorlesen und Erzählen meine einzigen Mittel. Für Singen fehlte das Interesse. Das beliebteste Buch war eine Schulbibel, die einem der Buben von seiner Mutter mitgegeben worden war. Es hatte den gleichen Rang wie die Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“ und die Märchen von Wilhelm Hauff. Wichtig war, dass ich alles möglichst dramatisch vortrug. Vom christlichen Verständnis der Bibel fehlte bei diesen Kindern aus dem kirchenfremden Wiener Arbeitermilieu jede Spur. Durch das Bemühen, den Buben auch bei sehr beschränkten Möglichkeiten zu angenehmen Erlebnissen zu verhelfen, habe ich langsam ihr Vertrauen GA 345.429 und BK 154/1954. 77 Geboren am 19.1.1913 in Schallersdorf, Gemeinde Neumarkt im Mühlkreis, Bezirk Freistadt/Oberösterreich. Eintritt NSDAP 1932, Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauakten, A1, Personalakten des Gaues Wien, Sig. 2.7.1.4. 78 Brief an meinen Vater vom 7.3.1945. PAB.

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gewonnen. Dabei hat im eintönigen Alltag Abwechslung geholfen. Für sie habe ich Anfang April ungeplant durch eine Erkundungsreise mit einem geliehenen Fahrrad nach Lienz gesorgt. Da in allernächster Zeit das Kriegsende, Chaos und feindliche Besatzung vorauszusehen waren, habe ich dem Lagerleiter den Versuch vorgeschlagen, einen Lebensmittelvorrat für einige Wochen aufzutreiben. Wir lebten allein von den wöchentlichen Lieferungen, die vermutlich länger ausbleiben würden. Ich suchte unangemeldet die Winkler-Mühle auf, deren Besitzer Emil Winkler von 1938 bis 1945 auch Bürgermeister von Lienz war. Ich bat um möglichst viele Zentner-Säcke mit Mehl und Mais für 30 Personen und fand ohne Lebensmittelkarten, Bezugscheine und Bezahlung sofort großzügige Hilfe. Winkler konnte aber die Lieferung nicht selbst übernehmen, weil in der ganzen Stadt Lastwagen fehlten. Er empfahl mir, nach Lavant zum regionalen Standort der Organisation Todt (Abkürzung OT)79 zu fahren und dort um ein Fahrzeug zu bitten. Er lag ungefähr 10 Kilometer Drau-abwärts in einem großen Wald hinter dem Kosaken-Lager der Reste der Wlassow-Armee, das mit Frauen, Kindern, Pferden und einigen Kamelen ein überraschend buntes Bild bot.80 Auch dort fand ich ohne Voranmeldung Verständnis und Hilfe. Ich erhielt trotz Tiefflieger-Gefahr sofort einen Lastwagen mit rauchendem HolzgasAntrieb samt Fahrer und als Geschenk für das Lager einige Hundert Fleischund Fettkonserven sowie andere haltbare Lebensmittel und etwas Kleidung aus den Beständen der OT. In Lienz wurden viele Mehlsäcke aufgeladen und dann ging es vollgepackt sehr langsam von 600 auf 1.400 Meter Höhe nach St. Jakob. Dort wurde ich von den Buben jubelnd empfangen und hatte es seither dank dieser Leistung leichter mit ihnen. Meine Situation als Planer und Gestalter der langen schulfreien Tageszeit war viel ungünstiger als die der Lagerlehrer mit klaren Lernaufgaben, Leistungskontrollen und Disziplinarmitteln. Sie hat sich erst nach Ostern gebessert, als Spiel, Sport und Abenteuer im Freien möglich wurden. Der Übergang von der Hitler-Diktatur zur österreichischen Demokratie hat jedoch neue Probleme gebracht. In den ersten Monaten musste der Schulunterricht durch die „Nazi-Lehrer“ vorläufig eingestellt werden. Der Lagerleiter blieb weiter für die Vormittage verantwortlich, stellte sich auf lockeres Erzählen um und blieb im Hause unkontrolliert. Anders war das für unsere Unternehmungen in der freien Natur. St. Jakob 79 Zu ihr vgl. Taschen-Brockhaus 1942, 259 und 331; Kammer/Bartsch 1992, 150 f.; zu ihrem Gründer Fritz Todt (1891–1942) vgl. Klee 2011, 627; Speer 1970, 207 ff. 80 Tolstoy 1977, 220 ff., 243 ff., 273 ff.; Stadler/Kofler/Berger 2005, 35.

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lag in einem 20 Kilometer tiefen Sperrgebiet entlang der italienischen Grenze. Zur Kontrolle befand sich eine britische Militärtruppe im Dorf, die nahe bei unserem Lager einquartiert war. Wir durften nun nicht mehr geordnet in einer Marschkolonne ausrücken, sondern nur in einem lockeren Haufen wie Urlauber durchs Dorf spazieren. Ich wurde zum Kommandanten bestellt und von ihm angeschrien, dass unsere Jungen militärische Übungen machten. Er habe sie im Gras kriechen und auf Bäume steigen gesehen. Falls dies noch einmal vorkäme, ließe er mich und die betroffenen Jungen einsperren. Ich versuchte vergeblich, über Geländespiele aufzuklären und an die Pfadfinder von Lord Baden-Powell zu erinnern.81 Nicht einmal das in Kindergärten und Grundschulen übliche Gehen in Zweierreihen war erlaubt. Zu unserer Erleichterung ist die Besatzungstruppe im Juli abgezogen. Vorher kam am 8. Juli noch ein Vertreter des US-amerikanischen Roten Kreuzes, das angeblich die Betreuung der KLV-Lager übernommen hatte, mit einem österreichischen Arzt als Begleiter zu uns. Sie ordneten an, dass ich als ehemaliger Lagermannschaftsführer der Hitler-Jugend das Lager zu verlassen habe. Ich solle mir irgendwo bei einem Bauern Unterkunft und Arbeit suchen. Vorläufig solle ich aber noch zwei Wochen Dienst machen bis die Herren wiederkommen. Ich fühlte mich danklos entlassen, wäre aber nicht ungern zu einem Bauern gezogen. Am liebsten nach Antholz in Südtirol. Dieses Dorf hatte ich kennen gelernt, als ich den verwundeten Lienzer Oberleutnant Leithem auf Bitten seiner Tochter Else aus der amerikanischen Internierung bei Nacht illegal über die Grenze in die Heimat geholt habe.82 Zu meinem Glück ist der amerikanische „Nazi-Vertreiber“ mangels eines Ersatzes für mich nicht mehr erschienen. Bald danach hat der Villacher Mittelschulprofessor Dr. Theisinger als KLV-Beauftragter der Kärntner Landesregierung unser Lager besucht. Er hat meine Arbeit gelobt und mir bis zur Auflösung des Lagers Schutz und Hilfe gewährt. Anfang Juni habe ich in ungetrübter Harmonie mit allen Buben und Unterstützung der Schwester eine Dreitagesfahrt zur unbewirtschafteten Barmerhütte (2521 m) mit Bergtour zur Riepenscharte (2764 m) unternommen. Die Harmonie war aber nie dauerhaft zu sichern. Es gab immer wieder Meutereien und schlagartige Zusammenbrüche der Disziplin. Sie waren für mich Anstöße zum Nachdenken über Jugendnot und die 81 W. Brezinka: Tagebuch vom 9.6.–19.7.1945. PAB. Notiz vom 20.6.1945. 82 Wegen ungezieltem, aber abschreckendem amerikanischem Gewehrfeuer im Tal über die Riepenscharte (2.764 m) mit zwei weiteren Soldaten als Helfern. W. Brezinka: Bergfahrtenbuch I, 1945–1947, PAB. 16.–19.5.1945.

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Zukunft von Jugendhilfe und Erziehung. Ich sah als naiver Christ wie 40 Jahre zuvor Friedrich Wilhelm Foerster allzu vereinfacht die Ursache aller Übel im Abfall von der christlichen Religion. Ich stellte mir als Lehre aus den Erfahrungen mit der Hitler-Diktatur nach deren Untergang eine nationale demokratische Erneuerung auf christlicher Grundlage durch Erwachsenbildung, Seelsorge, Sozialarbeit und Erziehung vor. Unter dem Eindruck dieser riesigen Aufgabe begann ich im Sommer 1945 an meinem Berufswunsch Forstmeister zu zweifeln. Jugenderziehung als Beruf auszuüben lag mir aber noch sehr fern. Dafür war die Last der selbst erlebten Erziehungspraxis mit ihrer Unberechenbarkeit und Hilflosigkeit, ihren Selbsttäuschungen und Niederlagen zu groß. Das Auf und Ab der Praxis beleuchten folgende Notizen zwischen dem 15. und 17. Juli.83 „Heute habe ich die bisher größte Enttäuschung in diesem Lager erlebt. Das schlechte Element in unseren Jungen kam wieder einmal urplötzlich zum Vorschein. Durch irgendeine Geringfügigkeit gereizt, bricht gleich eine große Meuterei los. Und dann treiben sie sich selbst immer mehr in diese Sackgasse hinein und es entsteht eine riesige Kluft zwischen ihnen und mir. Sie wollen als Wiener nicht von einem Berliner, einem Preußen […] geführt werden. Da ist dann einfach nichts mehr zu wollen und so habe ich heute den ganzen Dienst dem Lagerleiter und der Schwester überlassen.“ Am nächsten Tag: „Ich bin heute wieder ganz ruhig und selbstverständlich an die Jungen herangetreten. Ich war den ganzen Tag vom Wecken bis zum Zapfenstreich ununterbrochen bei ihnen und habe mich dauernd mit ihnen beschäftigt. Ich habe ganz als größerer Kamerad mit ihnen Blaubeeren gesucht, mit ihnen gespielt und im Bach gebadet und mich ruhig unterhalten und ihnen ein paar Geschichten erzählt. Es ging viel besser, als ich gedacht hatte. Bald fanden sie das Vertrauen zu mir wieder und dachten gar nicht mehr an ihre gestrige Aufregung.“ Am dritten Tag: „Ich habe wieder das volle Vertrauen der Jungen. Gerade weil es so schwer war, macht mir jetzt die Arbeit doppelt so viel Spaß […]. Man darf nur nicht zu viel an sich selbst denken und muss sich von jeglichem gekränkten und beleidigten Egoismus freimachen.“ Das klingt gereift und gelassen, darf aber nicht verbergen, wie lebensfremd die pauschale Parole war, die Hitler 1929 verkündet hatte: „Jugend muss von Jugend geführt werden.“84 Was unter günstigen Umständen bei einem Dienst von wöchentlich vier Stunden Sport und Heimabend für kleine Gruppen noch 83 W. Brezinka: Tagebuch. PAB. 84 Bei der Führertagung der NSDAP am 20. Januar 1929. Brandenburg 1968, 31.

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möglich sein mochte, war für eine monate- bis jahrelange Internatserziehung meistens eine totale Überforderung der jugendlichen Führer und nachteilig für die Geführten. In den sieben KLV-Lagern, die ich zwischen 1942 und 1945 als Unterführer oder Lagermannschaftsführer erlebt habe, litt ich fast immer unter dem Gefühl, dass die Aufgabe meine Kräfte und Fähigkeiten, mein Wissen und Können übersteigt. Das lag nicht bloß an meinem durch Personalmangel bedingten sehr niedrigen Alter. Es lag primär an pädagogischer Unbildung und Selbstüberschätzung der obersten HJ-Führung. Die Hitler-Jugend wurde dem Volk nach Eltern und Schule als dritte Erziehungsmacht aufgedrängt, ohne dass ihre Führer auf ihre charakterliche Eignung geprüft und pädagogisch ausgebildet waren.85 Die KLV-Lager waren nicht nur ein kriegsbedingtes Sozialwerk, sondern auch ein parteipolitisches Mittel der Reichsjugendführung, um den Einfluss der Schulen, der Lehrer und ihrer humanistischen Tradition zu schwächen. Das geschah durch Gleichrangigkeit und Arbeitsteilung zwischen Lehrern und HJ-Führern, Lagerleitern und Lagermannschaftsführern. Die Lehrer als Lagerleiter hatten keine Weisungsbefugnis gegenüber den HJ-Führern des Lagers. Die erwachsenen und den Schülern aus der Heimat vertrauten Lehrer als professionelle Erzieher konnten sich auf den Unterricht und den groben Ordnungsrahmen der Verwaltung, der gemeinsamen Mahlzeiten, Feiern und Feste zurückziehen. Die unreifen, häufig wechselnden und fremden jugendlichen Laien-Erzieher hatten die Hauptlast der Tagesgestaltung, Beaufsichtigung und Betreuung allzu vieler Schützlinge in labilen Gruppen und schwierigen Situationen zu tragen. Diese gleichgewichtige Teilung von Rang, Autonomie, Arbeit und Verantwortung hat sich erst nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur geändert. Aus dem Lagermannschaftsführer wurde ein „Hilfserzieher“, der dem Lagerleiter unterstellt war. Dadurch wurde auch die Pflicht zur Gestaltung der Abende auf die Hälfte verringert. Die gewonnene Zeit habe ich vor allem zum Lesen genutzt. Ich hatte im Osttiroler Fürsorgeerziehungs-Lager das einmalige Glück, neben einem wohlwollenden Lagerleiter in der Lagerschwester auch eine mütterliche Frau im Hintergrund zu haben, die auf alle entspannend und aufmunternd gewirkt hat. Durch sie bin ich arbeitsmäßig so weit entlastet worden, dass mir relativ viel freie Zeit für Tageswanderungen und einige mehrtägige Ausflüge 85 Vgl. aus NS-Sicht Stellrecht 1943, 72 ff.; zur Rivalität zwischen Lehrerschaft und Hitler-Jugend vgl. Kock 1997, 51 ff.

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in die herrliche Osttiroler Bergwelt geblieben ist. Ich war meistens allein zu insgesamt 18 Gipfeln in menschenleerem Gelände unterwegs, weil es im ersten Nachkriegssommer weder Urlauber noch bewirtschaftete Hütten gab. Übernachtet wurde in offenen Winterräumen oder auf Almen im Heu bei gastfreundlichen Sennern, die wie ihre Herden vorwiegend aus Südtirol stammten. Mit zunehmender Übung suchte ich schwierigere Ziele. Das schönste im Tal war der eisige Hochgall mit 3.440 Metern Höhe. Dort bin ich am 19. Juli beim Abstieg vom sonnigen Gipfel durch plötzlich einfallenden Nebel in eine brüchige Steilrinne geraten, mit viel Geröll etwa 60 Meter abgestürzt und dank des Halts an einem Felsblock dem Tod in der Ostwand nur knapp entronnen. Bis auf einen Bruch der linken Hand, Abschürfungen und eine klaffende Wunde am rechten Schienbein bin ich heil geblieben. Überrascht hat mich beim Sturz die erwartungsvolle innere Ruhe in der Gewissheit der Todesnähe. Nach Wund-Selbstversorgung auf Feldscher-Art in einsamer alpiner Wildnis habe ich auch den fünfstündigen Heimweg nach St. Jakob gut überstanden.86 Mein zweiter alpiner Höhepunkt war am 13. September 1945 die Besteigung des Großglockners (3.798 Meter) – allein mit genagelten Schuhen und Bergstock, aber ohne Steigeisen und Eispickel. So kurz nach dem Krieg gab es noch keine Autobus-Verbindungen. Man war auf seltene Mitfahr-Gelegenheiten oder Fußmärsche angewiesen. Am Vorabend gelangte ich nach dem Dienst mit einem Lastauto hinunter nach Huben im Iseltal (854 m) und von dort zu Fuß nach Kals (1322 m). Vor dem Ort bat ich in einem kleinen Bauernhof um ein Nachtlager in der Scheune auf Heu oder Stroh. Die Familie saß gerade beim Nachtmahl, hat mich gastfreundlich einbezogen und in einer Kammer mit Federbett beherbergt. Am nächsten Morgen bin ich durchs Teischnitztal zur Adlersruhe und Erzherzog Johann-Hütte (3.456 m) aufgestiegen. Sie war unbewirtschaftet, aber der Winterraum war offen. Am Nachmittag war der Aufstieg über den steilen Gletscher ohne Steigeisen nur möglich, weil zuvor drei absteigende Partien Stufen ins Eis geschlagen hatten. Dieses Stück allein auf- und abwärts war eine gefährliche Zitterpartie. Nach einer Stunde voll einzigartiger Schönheit und Stille weit und breit allein am Gipfel erfolgte vorsichtig der Rückweg zur Adlersruhe. Dort habe ich einen prächtigen Sonnenuntergang erlebt und als einziger Mensch übernachtet. Nach Sonnenaufgang gab es wolkenlose Fernsicht nach allen Seiten. Den Abstieg nach Kals habe ich durch das Ködnitztal über die Luckner-Hütte genommen. Meine Gastgeber vom Vorabend erwarteten mich erfreut über den glücklichen Ausgang meines Unternehmens mit einem guten 86 W. Brezinka: Tagebuch 9.6.–19.7.1945; Bergfahrtenbuch I, 18./19.7.1945.

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Mittagessen. Ich musste dann noch über Huben bis Hopfgarten wandern, ehe mich ein Lastauto nach St. Jakob mitnahm.87 Die nahen Wanderungen durch die Wiesen der Berghöfe und Wald zu den Almen, die weiten Bergtouren und die Begegnungen mit freundlichen bäuerlichen Menschen haben mir das Glück des einfachen Lebens in schöner Natur und alter Tiroler Volkskultur beschert. So wuchs in mir ein idealisiertes Bild Tirols, wie es Joseph Georg Oberkofler in seinem hymnischen Gedichtband „Triumph der Heimat“ gezeichnet hat.88 Ich verdankte seine Kenntnis der Empfehlung durch den Ortspfarrer Thomas Ladner.89 Er hat mich mit der Geschichte Tirols und dem Innenleben des Dorfes vertraut gemacht. Dank des großzügigen Angebotes, seine Bibliothek zu benutzen, habe ich sehr viel gelesen. Inhaltsangaben und Auszüge wurden in acht „Merkhefte zu Büchern, die ich gelesen habe“, eingetragen. Darunter waren sämtliche Dramen von Shakespeare, die „Bekenntnisse“ von Augustinus, Plutarchs „Griechische“ und „Römische Heldenleben“, Alexander von Humboldts „Südamerikanische Reise“, Matthias Claudius, Schiller, Novalis, Eichendorff, Gottfried Keller, Lenau, Rilke, Wildgans, Weinheber bis zu Maxim Gorki und japanischer Lyrik. So haben die sinnvolle Arbeit für die Wiener Buben, die Geborgenheit der äußeren Umstände, Liebe zu Tirol als neuer Heimat, religiöse Bindung und klassische Literatur in der Zeitenwende von 1945 geholfen, die tiefe Trauer über das Leiden und Sterben unzähliger Kriegs- und Nachkriegsopfer und den Untergang Deutschlands zu ertragen. Diese Trauer war bei mir wie beim Lagerleiter und der Schwester trotz Dankbarkeit für unser sicheres Leben im schönen Tal die Grundstimmung vom Anfang bis zum Ende der Dienstzeit. Bei mir wurde sie verstärkt durch die grauenvollen Berichte aus dem Endkampf um Berlin und die Bestialität der russischen Eroberer in Schlesien, der ab Juni die der polnischen Miliz folgte.90 87 Brezinka: Bergfahrtenbuch I, 12.–14.9.1945. 88 Geschrieben 1921/22. Neue Auflage Innsbruck 1947, Tyrolia. 89 Geboren am 28.1.1899 in See im Paznauntal als Sohn eines Bauern, Gymnasium Vincentinum und Priesterseminar in Brixen, 1923 Priesterweihe; Lehramtsstudium Latein, Griechisch, Deutsch an der Universität Innsbruck ohne Abschluss, 1943–1948 Pfarrprovisor in St. Jakob, gestorben am 12.1.1982 als Benefiziat in Baumkirchen. Diözesan-Archiv Innsbruck; Archiv der Universität Innsbruck: Nationale Wintersemester 1925/26–Sommersemester 1929. 90 Vgl. die erschütternde kirchliche Dokumentation aus dem Erzbistum Breslau von Kaps 1952; Neue Ausgabe 1962. Dokumentation des Bundesministeriums für Vertriebene: Schieder 1984.

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Die Sorge um Eltern und Geschwister in Berlin, die Freunde in Ratibor, Bärbel und ihre Familie hat mich selten verlassen. Meine Arbeit als „Hilfserzieher“ hat mit der Schließung des Lagers am 12. Oktober 1945 geendet. Lagerleiter Mössl hat mir folgendes Zeugnis ausgestellt: „Er ist seiner schweren Aufgabe, die ihm durch die Betreuung der schwererziehbaren Jungen gestellt war, stets mit Umsicht, Geduld und Gewissenhaftigkeit gerecht geworden und seine Leistungen auf erziehlichem Gebiet bildeten eine wertvolle Unterstützung des Lagerleiters.“91 Ich habe meinen Rucksack mit den nötigsten Sachen gepackt und den Rest beim Pfarrer eingestellt. Für die bevorstehenden Fußmärsche über die „grüne Grenze“ in die russische Besatzungszone war leichtes Gepäck angebracht. Als wertvollstes Gut wurde das Tagebuch mitgenommen. Zivilkleidung hat mir gefehlt. Ich musste in der dunkelblauen Winteruniform der Hitler-Jugend und einem warmen HJ-Mantel aufbrechen. In Lienz wartete ein Sonderzug, der alle Wiener Insassen der in Osttirol und Oberkärnten gelegenen KLV-Lager von Station zu Station aufnahm und in ihre Heimat zurückbrachte. Ich bin bis Spittal bei meiner „Lagermannschaft“ geblieben und nach einem wehmütigen Abschied allein Richtung Norden in eine ungewisse Zukunft weitergereist. Mein im Februar in Salzburg gewonnener Freund Toni Unger hatte mir brieflich angeboten, vorläufig zu ihm nach Kufstein zu ziehen, bis Klarheit über meine Familie und eine legale Rückkehr nach Berlin bestehe. Er gehörte zum Orden der Missionare vom Kostbaren Blut und lebte im Kloster KufsteinKleinholz. Ich strebte aber trotz dreier geschlossener Grenzen auf kürzestem Wege über Salzburg, Würzburg und Thüringen nach Hause. Beim Warten auf einen Zug nach Mallnitz traf ich Dieter Kaminski, einen 15-jährigen Jungen, der aus einem Berliner KLV-Lager im Maltatal ausgerückt war und sich nach Berlin durchschlagen wollte. Da er einen guten Eindruck machte, haben wir uns zusammengeschlossen. Österreich wie Deutschland waren damals in je vier Besatzungszonen der Siegermächte geteilt, zwischen denen es keine Reisefreiheit gab. Kärnten gehörte zur englischen und das Land Salzburg zur amerikanischen Zone. Wir mussten also zunächst ohne alliierte Aus- und Einreise-Erlaubnis nach Salzburg gelangen. Das war Mitte Oktober im Gebirge nur mit der Eisenbahn durch den Tauerntunnel möglich. An seinem südlichen Ausgang am Bahnhof Mallnitz hat die englische Militärpolizei den Zugverkehr kontrolliert. Der Bahnhofsvorstand konnte uns 91 Bestätigung vom 11. Oktober 1945. PAB.

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wenig Hoffnung machen – weder auf eine legale Ausreiseerlaubnis noch auf ein geheimes Schlupfloch. Es fuhren fast nur Güterzüge, aber kaum Personenzüge. Der Bahnhof war menschenleer. Die einzige Chance waren die AutoÜberstellungszüge nach Böckstein, die nur einen Personenwagen mit Abteilen mitführten, der von den Wachtposten leicht zu kontrollieren war. Wir mussten die Nacht abwarten. Es kamen weder Autos noch andere Fahrgäste. Um 4 Uhr früh haben wir uns in zwei Abteilen als blinde Passagiere unter den Sitzbänken versteckt. Beim Halt vor dem Tunnel haben die englischen Posten nur flüchtig in die Abteile geleuchtet und uns nicht entdeckt. Die Amerikaner auf der Salzburger Seite waren genauer. Hier hieß es „Come out“ und „Passport“. Ich war darauf gefasst, zurückgeschickt zu werden. Zum Glück hat mein Führerschein genügt: „stay here!“ Damit war die erste Grenze überwunden. Die zweite nach Deutschland war leicht zu bewältigen. Am Salzburger Bahnhof stand ein Güterzug, mit dem reichsdeutsche Staatsbürger, die nach dem Anschluss von 1938 beruflich nach Österreich gelangt waren, zwangsweise abgeschoben wurden. In den dichtgefüllten Viehwaggons befanden sich vorwiegend Frauen mit vielen Kindern und alte Männer. Die Väter waren noch irgendwo in Gefangenschaft oder gefallen. Auf den Türen stand mit Kreide geschrieben: „Österreich, wir kehren niemals wieder!“ Wir baten bei einem Waggon um Zugang und wurden freundlich aufgenommen. Es gab keine Bänke, sondern alle mussten am Boden sitzen. Wir verbrachten den ganzen Tag in diesem Zug und haben ihn erst bei Dunkelheit in Würzburg verlassen. Hier hoffte ich, Bärbel bei ihrer Schwester zu treffen. Erst jetzt erfuhr ich, dass die Stadt am 16. März durch alliierte Bomber gänzlich zerstört worden war. In den Ruinen lebten nur noch rund 2.000 Menschen. Ich suchte verzweifelt nach dem Haus, in dem Bärbels Schwester gewohnt hatte. Der ganze Straßenzug lag in Trümmern. Waren sie tot oder geflüchtet? Der Schreck, der Schmerz und die Verzweiflung haben mich überwältigt. Ich konnte aber hier nichts mehr tun und strebte weiter nach Berlin. Vielleicht würde ich auch dort vor Trümmern stehen? Im Bremserhäuschen eines Güterzuges sind wir noch in der Nacht nach Schweinfurt gefahren. Auch da gab es ähnliche Zerstörungen wie in Würzburg. Mit einem Lastauto konnten wir bis Mellrichstadt nahe der Thüringer Grenze gelangen. Von da ging es zu Fuß nach Hendungen, dem letzten bayerischen Dorf. Dort war der „schwarze“ Grenzverkehr zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Besatzungszone hervorragend gut organisiert. Jeder Ankömmling wurde der Reihe nach vom Bürgermeister einem Bauern zugewiesen, der ihn während seines Aufenthalts unterbringen und verpflegen musste. Ich kam zur Familie Theodor Hartung und wurde herzlich aufgenommen.

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Am Abend führte uns ein Mädchen bis zur Zonengrenze am Feldweg nach Berungen, dem ersten Thüringer Dorf in der russischen Zone. Der Himmel war bewölkt und die Sicht begrenzt. Außer gelegentlichem Gewehrfeuer in größerer Entfernung herrschte absolute Stille. Wir schlichen uns leise bis zum Friedhof vor dem Dorf, versteckten uns zwischen den Gräbern und beobachteten eine halbe Stunde lang den Dorfeingang, der ganz nahe vor uns lag. Als alles ruhig blieb, wagten wir schrittweise den Gang zum ersten Gehöft. Da lösten sich mit dem Ruf „Stoi“ zwei russische Wachsoldaten aus dem Dunkel. Mein Rucksack wurde genau untersucht, der Körper abgetastet, alle Papiere, mein geliebtes Tagebuch, Landkarten und Fotos abgenommen. Dann wurden wir in die amerikanische Zone zurückgeschickt. Ein Weiterkommen in der Nacht durch Umgehung des Dorfes erschien mir ohne Geländekenntnis aussichtslos. Zudem hatten sich ringsum die Schüsse verstärkt. Deshalb kehrten wir schweren Herzens wieder nach Hendungen zurück. Am nächsten Tag führten uns die beiden erwachsenen Töchter des Bauern der Grenze entlang zur Gelände-Erkundung. Damals gab es noch keinen „Eisernen Vorhang“ mit Grenzzäunen, sondern nur einige hölzerne Wachttürme, die weit auseinanderlagen. Ich prägte mir die Stellungen der russischen Posten genau ein und hatte das Geländebild bald im Gedächtnis. In der Nacht fanden wir weitab vom Dorf durch die hügeligen Felder und Obstwiesen einen Weg ins Hinterland bis zum Bahnhof Rentwertshausen. Von dort ging es mit dem Zug über Meiningen nach Erfurt und Berlin. Am Morgen des 18. Oktober habe ich meine ahnungslosen Eltern und Geschwister gesund in ihrem unversehrten Haus wiedergefunden. Am 22. Oktober 1945 bin ich nach eineinhalbjähriger Abwesenheit in die Tannenberg-Oberschule zurückgekehrt. Da ihr Gebäude in Lankwitz zerstört war, fand unser Unterricht in der Lilienthal-Schule in Lichterfelde statt. Ich war nun in der achten Klasse und hatte bis zur Reifeprüfung nur acht Monate Zeit, um in allen Fächern viel Versäumtes nachzuholen. Ich kam täglich mit dem Fahrrad gegen halb drei Uhr nach Hause und arbeitete dann meistens durchgehend bis elf Uhr abends. Am stärksten fehlte es in Latein und Mathematik. In beiden Fächern noch ein „genügend“ zu erreichen hatte wenig Aussicht. Deshalb habe ich Latein abgewählt, weil das Latinum später noch an der Universität erworben werden konnte. Das ist dann auch 1949 an der Theologischen Fakultät Salzburg geschehen. An Stelle von Latein habe ich das in Berlin nach Kriegsende neue Wahlfach Russisch gewählt, für das der Anfänger-Unterricht gerade erst begonnen hatte. So konnte ich am 5. Juli 1946 das Reifezeugnis erwerben: mit einem „nicht genügend“ in Mathematik, das durch ein „sehr gut“ in Deutsch ausge-

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glichen wurde. Eine politische Besonderheit war damals, dass im Zuge der „Entnazifizierung“ mein Lieblingsfach „Geschichte“ durch „Zeitungskunde“ ersetzt worden ist. Es wurde mit „gut“ benotet. Die äußere Lage im Schuljahr 1945/46 war durch Armut, Trümmer, Wohnungselend, Hunger und Kälte gekennzeichnet. Es mangelte an Brot und allen anderen Lebensmitteln, an Kohle und Holz, Strom und Gas. Im Winter war der Unterricht für Lehrer und Schüler nur in Mäntel und Decken gehüllt erträglich.92 Wie sah meine Innenwelt im letzten Schuljahr aus? In politischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedrückt und ratlos. In weltanschaulicher und moralischer Hinsicht war ich jedoch selbstsicher, hoffnungsvoll und kämpferisch. Ich hatte es leichter als viele Altersgenossen, weil bei mir mit dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur kein totaler Bruch mit früheren Überzeugungen notwendig war. Die beiden weltanschaulichen und moralischen Konstanten meines Lebens waren der christliche Glaube und die Liebe zum deutschen Volk und Vaterland. Dabei hatte die Religion in Gestalt der katholischen Kirche Vorrang. Sie wurde im Hitler-Reich von den Machthabern verachtet und bekämpft. Nach der Befreiung von ihnen gehörte sie zu den wichtigsten Stützen des staatlichen Neubeginns. Da ich mich immer zu ihr bekannt hatte, fühlte ich mich in dieser Treue bestätigt. Die Liebe zum eigenen Volk und Vaterland ist von den Nationalsozialisten zur höchsten Tugend erhoben und auch als moralischer Deckmantel missbraucht worden für Diktatur im Inneren und Unterwerfung slawischer Völker Osteuropas in der Außenpolitik. Patriotismus der Bürger als Wertschätzung und Dienstbereitschaft für Volk und Staat war und ist jedoch in jedem Volk notwendig. Er war im Elternhaus, in Schule und Kirche auch in dieser Notzeit selbstverständlich. Dazu trug unser deutsch-nationales Geschichtsbild bei. Die nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland und Österreich aufgezwungenen Pariser Friedensverträge von Versailles und St. Germain93 wurden allgemein als zutiefst ungerecht und revisionsbedürftig bewertet. Die Rückgewinnung des Saargebietes (1935) sowie der Anschluss Österreichs und der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei (1938) wurden auch von meinen Eltern als Revision von Unrecht begeistert begrüßt. Dagegen wurde die Besetzung und Unterwerfung der tschechischen Siedlungsräume von Böhmen und Mähren (1939) verurteilt, weil sie gegen die berechtigten nationalen Interessen des Nachbarvolkes verstießen und Hass statt Verständigung, Krieg statt Frieden begünstigten. 92 Vgl. Sommer 2005, 209 ff.; Häusser/Maug 2011. 93 Auswärtiges Amt 1919; Hofmannsthal 1920.

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Der undifferenzierte Patriotismus war schon durch das Ermächtigungsgesetz von 1933, die Juni-Morde von 1934 (Röhm-Aktion), die judenfeindliche Gesetzgebung von 1935 und den Krieg gegen Polen von 1939 unhaltbar geworden. Seither gab es zwei Typen von „Liebe zum deutschen Volk und Vaterland“: die unaufgeklärte mehr oder weniger starke Identifikation mit dem real existierenden diktatorischen Herrschaftssystem und seiner personellen und institutionellen Basis einerseits und die heimliche Liebe zum aufgeklärten Ideal eines freien besseren Deutschland und seinen Repräsentanten in Geschichte und Gegenwart andererseits. Tatsächlich scheinen je nach Qualität der Personen und Institutionen in den realen Lebenswelten Mischformen und gespaltenes Bewusstsein bis zum Gebet für den Sieg der westlichen Kriegsgegner überwogen zu haben. Zugrunde lag im konkreten Fall meistens ein emotionales Glaubens- und Gemeinschaftsbedürfnis. Wo die überlieferte gemeinschaftliche Bindung an die christliche Religion als höchstes Gut verloren gegangen war, diente der Mythos der Nation, des deutschen Volkes und Reiches als Religionsersatz, der den kritischen Gebrauch der Vernunft eingeschränkt hat, aber zur Sinngebung eines heidnischen Lebens schwer entbehrt werden konnte. Die einschneidendste Erschütterung der patriotischen Grundeinstellung war für mich wie für die meisten Altersgenossen die Aufklärung über das unvorstellbare Ausmaß und die bestialische Art der Verbrechen, die durch deutsche Täter an den Juden Europas und anderen deutschen und ausländischen Opfern begangen worden sind. Das verspätete Wissen über diese staatlich organisierten Massenmorde94 hat mich tief und unvergesslich erschüttert: nicht nur durch das Ausmaß der Leiden, sondern auch durch die Schande, in die Deutschland dadurch weltweit geraten ist. In dieser tiefen Depression hat mir die Rede geholfen, die Ernst Wiechert am 11. November 1945 in München an die deutsche Jugend gehalten hat. Sie begann mit dem Satz, der unseren seelischen Zustand getroffen hat: „Wir hatten einmal ein Vaterland, das hieß Deutschland“. „Viele glaubten, dass es um das Vaterland gehe, und sie wussten nicht, dass es um die Partei ging. Aber viele glaubten nicht einmal dieses. Viele wussten, dass es um eine ungerechte Sache ging, und sie hassten den, der sie schickte. Aber sie glaubten, dass es Soldatenpflicht sei, zu gehorchen, und sie gehorchten. Sie trugen eine Last, von der niemand weiß, und sie wagten nicht, sie abzuwerfen […]. Viel ist gelitten worden…, von dem wenige wissen, aus Irrtum, aus Schwäche, aus Gehorsam gelitten worden. […] Aber wer unter uns wollte es wagen, ein Richter über den Irrtum zu sein?“ Wir sind „so allein, wie niemals ein Volk allein war auf dieser 94 Vgl. Zuckmayer 1949; Süllwold 2001, 114 ff.; Schörken 2005, 172 ff.

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Erde. So gebrandmarkt, wie nie ein Volk gebrandmarkt war“. „Was sollen wir tun?“ „Alles was ihr tut, sollt ihr […] tun, um das Leid zu mindern. […] Ihr sollt Gott ausgraben unter Trümmern des Antichrist, […] Ihr sollt die Liebe ausgraben unter den Trümmern des Hasses. Und ihr sollt die Wahrheit wieder ausgraben und das Recht und die Freiheit und vor den Augen der Kinder die Bilder wiederaufrichten, zu denen die besten aller Zeiten emporgeblickt haben […].“95 In dieser aufgewühlten Geistes- und Gemütsverfassung stand ich vor der Berufswahl mit meinen starken und schwachen Seiten. Zu den Stärken gehörten außergewöhnliche Lebens-, Willens- und Liebeskraft, kritische Intelligenz, schriftstellerische und psychologische Begabung, Sozialkompetenz, Führungsfähigkeit und katholisches Elitebewusstsein. Kurz: viel Energie für einen Sozialberuf. Zu den Schwächen gehörten ein vermutlich aus der Minderheits-Situation entstandener latent kämpferischer Dogmatismus und moralischer Rigorismus, mangelhafte mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung, idealisierendes Welt- und Menschenbild, eine verschwommene Gedanken- und Sprachwelt als Resultat romantischer statt genügend aufgeklärter Lektüre. Der langjährige Berufswunsch Forstmeister wurde schon bald nach Kriegsende fallen gelassen. Ich wollte am ideellen Wiederaufbau mitarbeiten. Praktische Erfahrungen hatte ich nur mit der Jugendnot und Jugendfürsorge. Den Beruf des Gymnasiallehrers hielt ich für zu eng, oberschicht- und schulfachbezogen. Breite Volksbildung an der nicht-akademischen Basis der Gesellschaft schien mir in der gegenwärtigen allgemeinen Not vordringlicher als Elitenbildung für die fernere Zukunft. Ich wollte mich der Jugendsozialhilfe und Kulturarbeit widmen mit dem Schwerpunkt weltanschauliche und moralische Orientierungshilfe. Die vage Kurzformel dafür war „Erziehung als Lebenshilfe“ oder noch allgemeiner „Seelsorge“. Als bewährteste und wirkungsvollste Institution erschien mir die Katholische Kirche. So habe ich mich für den priesterlichen Beruf und das Studium der Theologie entschieden. Ich hatte damals in der „Generation ohne Gott“ 96 schon viel „Gottesfinsternis“97 kennengelernt. Ich hatte Nietzsche gelesen und Bernard Shaws „Aussichten des Christentums“ mit Sätzen wie „Das Glück der Leichtgläubigkeit ist eine billige und gefährliche Art von Glück und keineswegs eine Lebensnotwendigkeit“ und „Jesus war … durch und durch antiklerikal“.98 95 96 97 98

Wiechert 1945, 5, 29 f., 32, 39 f. Borchert 1991, 59. Buber 1953. Shaw 1947, 618 und 620.

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Ich kannte die Einwände gegen meine Berufswahl und hatte zeitweise Gottesferne und Glaubenszweifel selbst erlebt. Ich hatte nicht nur karitative, sondern auch erotische Liebe erfahren und war unsicher, ob ich ein zölibatäres Leben in Würde aushalten würde. Ich hatte aber auch die Beispiele guter priesterlicher Freunde und ihres selbstlosen und segensreichen Wirkens. Ich wusste um das Wagnis des Glaubens, die Notwendigkeit des Willens zum Glauben und seine guten Früchte. Ich hatte die furchtbaren Folgen des militanten Unglaubens, die kulturelle und moralische Banalität des Neu-Heidentums und der politischen Ersatzreligionen, die Öde der mythen- und pietätlosen Welt erkannt. Dies und manches andere gab mir den Mut, gleich nach der Reifeprüfung ins Priesterseminar aufzubrechen – aber nicht in jenes für das Bistum Berlin, sondern ins geliebte Österreich nach Salzburg.

2. STUDIENJAHRE IN ÖSTERREICH (1946–1951)

Im Sommer 1946 als deutscher Staatsbürger aus Berlin zu einem Studienaufenthalt nach Salzburg zu reisen war ein kühnes Vorhaben mit geringer Erfolgsaussicht. Auf legale Weise war es ausgeschlossen. Es gab weder einen deutschen Reisepass noch eine österreichische diplomatische Vertretung zur Erteilung eines Einreisevisums. In beiden Staaten lag alle Gewalt über Ausreisen und Einreisen bei den Besatzungsmächten. Deren Zonengrenzen waren zusätzliche innerstaatliche Grenzen. Jene zwischen der sowjetischen Besatzungszone in Mitteldeutschland und den amerikanischen und englischen Zonen waren militärisch abgesperrt und nur an wenigen Kontrollstellen mit besonderer alliierter Genehmigung zu überschreiten, die schwer zu erhalten war. Mein einziges Dokument war ein „Behelfsmäßiger Personalausweis“ des Polizeipräsidenten in Berlin vom 15. Februar 1946. Er berechtigte weder zum Übergang aus der russischen in die amerikanische Besatzungszone noch zur Einreise nach Österreich. Ich stand also vor vier Aufgaben: erstens die gefährliche Grenze zwischen der russischen Zone und Bayern illegal überwinden; zweitens illegal von Bayern nach Österreich gelangen; drittens in Salzburg an der Theologischen Fakultät die Zulassung zum Studium als Ausländer und die Aufnahme ins Priesterseminar als Bistumsfremder erreichen; viertens eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Bundespolizeidirektion Salzburg erhalten. Das alles ist nur gelungen, weil mir viele Menschen geholfen haben. Kirchenamtlich ausgestattet war ich mit einem guten „Führungszeugnis“ meines Pfarramtes St. Alfons in Berlin-Marienfelde vom 7. Juli 1946 und mit einer „Unbedenklichkeits-Bescheinigung“ des Bischöflichen Ordinariats Berlin vom 13. Juli 1946. Am frühen Morgen des 22. Juli bin ich aus Berlin abgereist. Der Zug war anfangs überfüllt mit ausgehungerten Männern, Frauen und Kindern. Sie fuhren in die Dörfer der Umgebung, um auf dem „Schwarzen Markt“ für viel Geld, Zigaretten oder Wertsachen bei Bauern Kartoffeln als wichtigstes Lebensmittel zu kaufen, wie ich es in den letzten Monaten auch oft mit meiner Mutter getan hatte. Später zeigte sich bis Erfurt in allen Städten „das gleiche Bild: unzählige Kisten stehen auf den Verladerampen der Bahnhöfe und warten auf den Abtransport. Jede Maschine ist abgebaut worden. Die gesamte Oberleitung für

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elektrische Züge ist verschwunden. Der Draht wurde aufgerollt, die Masten umgelegt und dann rollt alles nach Osten! An Eisenbahnanlagen bleibt nichts liegen als ein einziges Gleis. Arme, ausgeplünderte Heimat! Oft muss unser Zug halten, um einen Güterzug vorbei zu lassen, der unsere Maschinen nach Stettin bringt.“1 Die industrielle Arbeitswelt, die den meisten Deutschen ihren Lebensunterhalt gesichert hatte, war vernichtet. Vor der Zonengrenze bei Meiningen habe ich im Dorf Wolfmannshausen als fremder Gast beim katholischen Pfarrer Josef Heinrich Sandmann für zwei Nächte liebevolle Aufnahme gefunden. Die Linie der russischen Grenzposten war seit meinem letzten illegalen Übergang verstärkt und begradigt worden. Zur Abriegelung sind Strafregimenter eingesetzt worden, die mit Hunden ausgerüstet waren. Deshalb musste ich mich zunächst im Gelände neu orientieren. Begünstigt durch ein schweres Gewitter ist es gelungen, im Dorf Rothausen bayerischen Boden zu erreichen. In der Nacht bin ich in Hendungen bei der Familie Hartung eingetroffen, die mich seit dem Herbst des Vorjahres schon dreimal beherbergt hatte. Für mich bestand aber noch die Gefahr, dass ich von bayerischen Grenzwächtern entdeckt und nach Berlin zurückgeschickt werde. Deshalb durfte ich am nächsten Tag als Schutzmaßnahme zu Pfarrer Weigand ins Pfarrhaus übersiedeln. Dort konnte ich vier Tage zur Erholung bleiben. Es gab gute Gespräche über Jugendprobleme und die Seelsorge in einem Dorf, in dem damals 400 Flüchtlinge aus Ostdeutschland eine neue Heimat finden sollten. Am 30. Juli hat mich dieser gütige alte Priester um drei Uhr nachts zum Schutz vor der Grenzpolizei bis zum Wegkreuz nach Mellrichstadt begleitet. Von dort fuhr ich mit drei Personenzügen nach München. Im Zug traf ich zwei ehemalige Soldaten, die aus einem französischen Kriegsgefangenenlager in einem Lothringer Kohlebergwerk geflohen und auf dem Weg in ihre österreichische Heimat in Graz und Wolfsberg waren. Sie besaßen weder Geld noch Lebensmittel. Ich konnte ihnen aushelfen und nahm sie in München mit ins Kloster der Salvatorianer. Obwohl unangemeldet, wurden wir freundlich aufgenommen und erhielten ein Nachtlager im Besuchszimmer. Am nächsten Tag ging es mit dem Zug nach Reichenhall. Beim Höllererbauern nahe der österreichischen Grenze erhielten wir „um Gotteslohn“ eine kräftige Kartoffelsuppe, machten einen Erkundungsgang ins Gelände und schlichen um 23 Uhr los. Am 1. August zu Mitternacht erreichten wir Österreich. Im stockdunklen dichten Wald war aber ein Weiterkommen unmöglich. Wir legten uns in eine Mulde zum Schlafen. In der ersten Morgendämmerung 1

W. Brezinka: Tagebuch 21. Juli–29. November 1946. PAB.

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ging es weiter durch den Wald, über sumpfige Wiesen und verwachsene Halden parallel zum Untersberg. Bei der Autobahn glaubten wir uns schon im sicheren Hinterland, wurden aber von einem Gendarmen angehalten, der sich unter der Brücke verborgen hatte. Für die beiden Österreicher als Heimkehrer war das kein Problem, für mich als illegal einreisender Deutscher dagegen schon. Zu meinem Glück genügte die Bestätigung der Gemeinde St. Jakob vom Vorjahr, dass ich in Osttirol als Hilfserzieher tätig bin. Mit dem Berliner Personalausweis wäre ich kaum durchgekommen. So konnten wir zu dritt erleichtert nach Salzburg weiterwandern.

ERSTE KONTAKTE Ich besuchte zuerst Mutter Hildegard (Frau Hemma) am Nonnberg.2 Sie hatte schon den Benediktinerpater Dr. Alois Mager auf mein Anliegen vorbereitet. Er war Professor für Philosophie und Experimentelle Psychologie an der Theologischen Fakultät Salzburg und damals auch deren Dekan.3 Er wohnte in einem Nebenhaus des Klosters auf dem Nonnberg. Dort hat er mich noch am selben Tag in meinem „Räuberzivil“ sehr herzlich und hilfsbereit zu einem ersten Gespräch empfangen. Da Dr. Karl Berg, der Regens des Priesterseminars, abwesend war, hat er mich dem Subregens Johann Maier4 empfohlen, der mich freundlich aufgenommen und beherbergt hat. Damit war ich zehn Tage nach der Abreise von Berlin heil und glücklich am Ziel. Nun waren noch zwei Aufgaben zu erledigen: die Aufnahme ins Priesterseminar und die unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Österreich. Da ich bis zum vergangenen Herbst in Kärnten gelebt und gearbeitet hatte, hoffte ich dort eine amtliche Befürwortung zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erhalten zu können. Deshalb bin ich schon am nächsten Tag nach St. Jakob in Defereggen und Lienz aufgebrochen, um die Unterstützung des Gemeindeamtes und des Bezirkshauptmannes zu gewinnen. Dabei war wiederum die Grenze zur englischen Besatzungszone im Tauerntunnel nur illegal zu überwinden. Die alliierte Kontrolle erfolgte jetzt nur noch auf der Südseite in Mallnitz. Am späten Abend des 2. August traf ich bei Dunkelheit auf der Nordseite in Böckstein ein und wartete in einem Gebüsch frierend auf einen Güterzug. 2 3 4

Über sie vgl. S. 25, 47. Über ihn (1883–1946) vgl. Uttenweiler 1947; Gordan 1986; Schaber 1998. Geboren 24.3.1914 in Tamsweg (Lungau), Priesterweihe 1937, Subregens 1945.

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Leider dauerte es bis sechs Uhr früh, ehe der erste angerollt kam: lauter leere Waggons mit schweren offenen Rolltüren, also schlecht geeignet zum Verstecken. „Endlich finde ich einen Waggon mit etwas kleineren Klapptüren. Auch hier fehlen innen die Riegel. Während der Zug durch den Tunnel rollt, schnitze ich im Dunkel aus herumliegenden Holzstücken Keile für die Türen und schlage sie mit dem Stiefelabsatz zwischen Boden und Tür ein. Außerdem wird die Sache noch mit Draht gesichert. Als der Zug am Tunnelausgang zur Amikontrolle hielt, liege ich mit dem Mantel überm Kopf in der hintersten Ecke des Waggons. Nach zehn Minuten Halt fahren wir weiter und ich schaue siegesfroh durch die offenen Türen in das Tal.“5 Am Abend hat mich Pfarrer Thomas Ladner in St. Jakob gastfreundlich empfangen. Der nächste Tag war ein Sonntag, der 4. August. Ladner hat mir gleich eine „Bestätigung“ meiner Dienstzeit als Heimerzieher und meiner „religiösen Haltung“ geschrieben. Bürgermeister Ladstätter hat noch am gleichen Tag eine „Bestätigung“ ausgestellt, dass ich „vom 1.3.1945 bis 13.10.1945 im Auftrage der Kärntner Landesregierung, Abt. Kinderlandverschickung (Dr. Theisinger), als Erzieher im KLV-Lager der Wiener Erziehungsanstalt Hohe Warte in St. Jakob im Def. tätig war.“ Am 5. August bin ich schon um fünf Uhr früh mit dem Postauto nach Lienz gereist und habe den Dekan Alois Budamair besucht.6 Er hat mir telefonisch eine Vorsprache beim Bezirkshauptmann Theodor Hibler7 erwirkt, dem ich bereits aus dem Vorjahr bekannt war. Er hat der Bestätigung des Bürgermeisters handschriftlich folgenden Satz hinzugefügt und mit dem Amtssiegel versehen: „Die vorstehenden Angaben sind wahr. Die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung befürwortet der provisorische Bezirks-Hauptmann Hibler.“ Dieses Schriftstück ist für meine Beheimatung in Österreich das wichtigste Dokument geworden. Nun hing alles Weitere von der Aufnahme ins Salzburger Priesterseminar ab. Darüber konnte erst Mitte August durch den Erzbischof Dr. Andreas Rohracher8 entschieden werden. Ich nutzte die Zeit für einen Besuch im Kloster der Salvatorianer in Gurk mit seinem großartigen Dom und im gastfreundlichen Pfarrhaus des ehemaligen Benediktinerstiftes Ossiach am See. Bei aller 5 6 7 8

W. Brezinka: Tagebuch 3.8.1946. PAB. Ich hatte mich schon im März 1945 bei ihm vorgestellt und sein Vertrauen gewonnen. Vgl. S. 49. (1891–1967) Kaufmann in Lienz, zwischen 1918 und 1938 zeitweise Landtagsabgeordneter, Stadtrat und Bürgermeister von Lienz. Bezirkshauptmann vom 19.6.1945–23.1.1947. Geboren am 31.5.1892 in Lienz, 1933 Weihbischof von Gurk, 1943–1969 Erzbischof von Salzburg, gestorben 6.8.1976 in Altötting. Biographie: Rinnerthaler 1998.

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Schönheit der alten Kirchen und Klöster habe ich auch wieder erfahren, wie sehr aus Kärnten mit Ausnahme der slowenischen Randgebiete ein heidnisches Land geworden ist. „Aber ein Kärntner Dorf ist heutzutage viel schwerer zu missionieren als zehn Negerstämme in Afrika.“ So wurde aus Gurk berichtet, dass die Sonntagsmesse nur von weniger als 10 Prozent der Einwohner besucht wird. Der Pfarrer von Bodensdorf am Ossiacher See erzählte, dass in seiner Amtszeit bei 158 Taufen 150 Kinder unehelich waren. Die Rückreise durch den Tauerntunnel erfolgte problemlos, weil ich in Mallnitz Aufnahme in einen Transportzug mit deutschen Kriegsgefangenen auf der Heimfahrt aus Jugoslawien fand, der unkontrolliert blieb. In Salzburg gab es gute Gespräche mit Regens Berg und Dekan Mager, die mir Hoffnung machten. Am 16. August wurde ich von Fürsterzbischof Rohracher empfangen. Er hat wohlwollend und großzügig meine Aufnahme ins Priesterseminar genehmigt, ohne dass ich eine feste Bindung an die Erzdiözese Salzburg eingehen musste. Er versprach auch, dass das Studium an finanziellen Schwierigkeiten nicht scheitern solle.9 Am 5. September 1946 erhielt ich von der Bundespolizeidirektion Salzburg den viersprachigen österreichischen „Personalausweis für Ausländer und Staatenlose“ mit der Aufenthaltserlaubnis „bis auf Widerruf “. Damit stand dem Studium in Österreich nichts mehr im Wege. Das neue Studienjahr begann erst am 4. Oktober. Das gab mir sechs Wochen freie Zeit, um die Stadt und das Land Salzburg zu erkunden und mit Einheimischen in Verbindung zu kommen. Eine erste Gelegenheit boten die Salzburger Hochschulwochen. Beeindruckt haben mich die Vorlesung des Historikers Prof. Dr. Karl Eder10 über die „Geschichte der Unionsbestrebungen zwischen West- und Ostkirche“ und ein Vortrag von Prof. Mager über „Mystik als Brücke zwischen West- und Ostkirche.“11 Salzburg war damals ein Zufluchts- und Studienort für Theologen der russisch-orthodoxen wie der griechisch-katholischen Kirche. Durch den Diözesan-Jugendseelsorger Franz Wesenauer12 habe ich Kontakt zur katholischen Jugendarbeit gefunden. Er hat mich als Gast und Referent zu einer Tagung für jugendliche „Pfarrhelfer und -helferinnen“ eingeladen, 9 W. Brezinka: Tagebuch 16.8. 1946. PAB. 10 (1889–1961). Bruckmüller 2001, 87. 11 Beide Vorträge in Mager 1948, 82 ff. und 106 ff. 12 (1904–1991), geboren am 8.6.1904 in Ebensee (Oberösterreich); Priesterweihe 1930; Kooperator der Pfarre St. Andrä, ab 1945 Direktor des Johanneums Salzburg, Schrannengasse 4; Stadtpfarrer St. Elisabeth, Salzburg, seit 1950. Personalstand der Erzdiözese Salzburg 1948, 35 und 1951, 92.

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die vom 31. August bis zum 9. September im Bergheim St. Johannes in Obertauern stattgefunden hat. Es lag auf etwa 1700 Meter Seehöhe unterhalb des Radstädter Tauernpasses in damals vom Schitourismus noch gänzlich unzersiedelter Landschaft. Ich bin um zwei Vorträge über die politische, soziale und religiöse Lage in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gebeten worden. Sie sind 1947 zu einigen Zeitungsartikeln ausgearbeitet worden.13 Wesenauer war zufrieden und hat mich zur Mitarbeit an der von ihm herausgegebenen Jugendzeitschrift eingeladen. Sie ist seit 1946 unter dem Titel „Der Ruf. Zeitschrift für junge katholische Menschen“ im Salzburger Verlag Otto Müller erschienen. Gemessen an ihrem Zweck war die Tagung wenig befriedigend. Sie war mehr eine religiös getönte Urlaubswoche für einen Freundeskreis älterer Mittelschüler und Studenten, die weder Pfarrhelfer noch Gruppenführer waren. Das hat auch Wesenauer eingesehen und mich um eine programmatische Skizze zu „Möglichkeiten für die Bildung katholischer Jungengruppen“ gebeten. Ihr Entwurf hat mich im September beschäftigt. Kernpunkt war eine zentrale „Führer- (oder Helfer-) Ausbildungsgruppe“ als ständige Schulungseinrichtung mit einjährigem Lehrgang von vier bis sechs Stunden pro Woche für den Gruppenführernachwuchs der Diözese.14 Für dieses anspruchsvolle Projekt hat aber die wichtigste Voraussetzung gefehlt: Personal mit charismatischer Ausstrahlung auf Seiten der möglichen Leiter und Teilnehmer. Im Unterschied zu den einheimischen Theologiestudenten konnte ich die vorlesungsfreie Zeit nicht im Elternhaus verbringen. Deshalb war ich in den Ferien auf Unterkunft und Versorgung außerhalb des Seminars angewiesen. Ab Mitte September hat mir Regens Berg zwei kostenlose Urlaubswochen im Pfarrhaus von Thalgau im Salzkammergut vermittelt. Von dort habe ich schöne Wanderungen durch das liebliche Bauernland zu den Kirchen von Mondsee und Sankt Wolfgang mit ihren prachtvollen Altären unternommen und im sonnigen Herbstlicht die nahen Berge bestiegen. Noch vor dem Semesterbeginn habe ich in Salzburg zwei öffentliche Vorträge für Jugendliche von Professor Friedrich Schneider über „Selbstformung und Lebensgestaltung“ gehört, die mich begeistert haben. Der Hörsaal am Domplatz in der Hofstallgasse 2 war überfüllt. Schneider hatte dort gerade sein 13 Vgl. u. a. Brezinka: Jugendverwahrlosung in Berlin. In: Der Volksbote, 29.5.1947; Menschen und Kräfte hinter dem „Eisernen Vorhang“. Die materielle und geistige Not in Ostdeutschland. In: Der Volksbote, 18.9.1947; Religiöse Not in der Diaspora. In: Der Volksbote, 2.10.1947. Katholische Jugend in der deutschen Ostzone. In: Der Ruf, 2. Jg. (1947), Heft 10, S. 14. 14 Vierseitiges Typoskript vom 30.9.1946. PAB.

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„Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“ eröffnet. Am Schluss seines Vortrages hat er alle, die Schwierigkeiten oder Fragen haben, eingeladen, zu ihm zu kommen. Er sei jederzeit für uns da! Das war die erste Begegnung mit meinem künftigen Lehrer, dem ich den Weg zur Pädagogik verdanke.15 Am Abend des 4. Oktober, einem Freitag, begann das neue Seminarjahr. „Regens Dr. Berg spricht über unsere Aufgaben: Güte, Gehorsam und Wissen sollen uns zu eigen werden. Ich will mir Mühe geben, es hierin möglichst weit zu bringen.“16

IM FÜRSTERZBISCHÖFLICHEN PRIESTERSEMINAR SALZBURG Im Salzburger Priesterhaus drei Jahre lang leben zu dürfen, war in mehrfacher Hinsicht eine glückliche Fügung. Schon das Gebäude in einem Flügel der barocken Dreifaltigkeitskirche, die Fischer von Erlach zwischen 1694 und 1702 erbaut hat, und seine Umgebung waren ein Anlass zur Freude. Am Makartplatz gegenüber lag Mozarts Wohnhaus (damals durch eine Bombe teilweise zerstört) und ums Eck Schloss Mirabell mit seinem prachtvollen Park. Der Weg zu den Vorlesungen führte auf dem Makartsteg oder der Staatsbrücke über die Salzach mit dem herrlichen Blick auf Altstadt und Festung. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren rund 60 Theologen im Seminar vereint. Sie waren bis auf wenige Ausnahmen Kriegsteilnehmer, die jahrelangen Militärdienst und Gefangenenlager hinter sich hatten – die Ältesten von 1939 bis 1945/46. Sie waren wesentlich reifere Männer als jene, die in Friedenszeiten mit wenig Lebenserfahrung bald nach dem Abschluss des Gymnasiums in das Seminar eintraten. Sie hatten an vielen Fronten zwischen Frankreich und Russland, Finnland und Italien gekämpft, manche als Unteroffiziere und zwei als Offiziere. Sie hatten sich selbst, ihren christlichen Glauben und ihre priesterliche Berufswahl in einem kirchenfeindlichen Umfeld jahrelang erprobt. Die meisten stammten aus bäuerlichen Familien mit fünf bis dreizehn Kindern. Neben den Österreichern aus Salzburg und Tirol gab es auch Mitbrüder aus Polen, Ungarn, Slowenien und Kroatien sowie Heimatvertriebene aus Schlesien und Böhmen.17 15 W. Brezinka: Tagebuch 3.10.1946: „Ich will einmal mit ihm über das Studium der Pädagogik und Psychologie sprechen.“ Nachschrift des Vortrages auf 7 Seiten in meinem Heft „Erziehung und Bildung“, Wintersemester 1946/47. PAB. 16 W. Brezinka: Tagebuch 4.10.1946. 17 Personalstand der Welt- und Ordensgeistlichkeit der Erzdiözese Salzburg für das Jahr

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In dieser Gemeinschaft war ich das jüngste Mitglied und einer der ganz wenigen, die ohne Militärdienst durch den Krieg gekommen sind. Das bot einmalige Lernmöglichkeiten im freundlichen Umgang mit reiferen Gefährten, denen religiöser Kitsch und klerikaler Pomp fernlagen. In der allgemeinen Not von 1946 war das Seminar eine Insel der Geborgenheit. Wir waren frei von allen Sorgen für Wohnung, Heizung, Ernährung, Kleidung, Wäsche und Pflege bei Krankheit. Wir konnten uns ganz aufs Beten und Arbeiten, Gottesdienst und Studium konzentrieren. Dafür war eine reichhaltige Handbibliothek im Hause frei zugänglich. Das ganze Haus war durch weibliches Personal vorbildlich gepflegt, das Essen sehr gut und reichlich. Belastend war nur die Enge im Schlafraum und Studierzimmer. Wegen Mangel an Räumen mussten wir als Studienanfänger zu sechst miteinander auskommen. Man konnte nie allein sein. Ruhe und Stille bei der Arbeit haben mir sehr gefehlt. Das ist durch Gewinn weiterer Räume, Austritte von Kandidaten und nachlassende Eintritte von Jahr zu Jahr besser geworden. 1949 waren wir nur noch 38 Theologen. Der Nachwuchs verringerte sich radikal. Mein stiller Nachbar im Studierzimmer war der Tiroler Bauernsohn Jakob Mayr18, mit dem ich lebenslang freundschaftlich verbunden geblieben bin. Er ist später zum Generalvikar und Weihbischof der Erzdiözese aufgestiegen. 1979 hat er mit uns den Festgottesdienst zur Silberhochzeit in der Salzburger Peters­ kirche gefeiert. Die Haus- und Tagesordnung war streng: 5 Uhr 30 Wecken, 5 Uhr 50 Betrachtung in der Hauskapelle, Morgengebet, anschließend Messe, Stillschweigen (Silentium) bis nach dem Frühstück, 8 Uhr 15 Vorlesungsbeginn im Studiengebäude am Universitätsplatz für die theologischen Fächer, in der Hofstallgasse 2, oberhalb der Bögen des Domplatzes für die philosophischen. Der Donnerstag war vorlesungsfrei und konnte zur Erholung bei Sport, Besuchen und Ausflügen genutzt werden. An den Sonntagen und den Vorabenden hoher Kirchenfeste war Dienst im Dom zu leisten. Die Vorbereitung mit Choralsingen und liturgischen Übungen forderte wöchentlich mindestens zwei bis drei Stunden Zeit. Als Kleidung waren ein weiter bis zu den Knöcheln reichender Talar und das Kollar, ein steifer Halskragen, vorgeschrieben. Die Studenten des Priesterseminars, Alumnen genannt, waren damals noch durch ein besonderes Gewand 1948. Abgeschlossen am 31. Oktober 1947, S. 50–53, mit Daten über Einberufungen zum Militär und Gefangenschaft. Geschwisterzahlen nach Rupertibote, 14.7.1946, S. 4 (Die Neupriester der Erzdiözese); 6.7.1947, S. 4 f., (Die Primizianten der Erzdiözese 1946/47). 18 Geboren am 24.7.1924 in Kirchbichl, Bezirk Kufstein, als drittes von sechs Kindern. Priesterweihe 1950, Weihbischof 1971, Generalvikar 1973–1993, gestorben 19.9.2010. Ingenhaeff 1981, 92 ff.

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gekennzeichnet: ein schwarzes Schultertuch und zwei von den Schultern bis zu den Knöcheln reichende etwa 10 cm breite Bänder. Bei schnellem Gehen wehten sie hinter dem Talarträger her. Deshalb wurden sie von uns „Flügelapparat“ genannt. Die schwarze Talarbinde, das Zingulum, war den Priestern vorbehalten. Mit unserem wallenden Gewand waren wir in der Öffentlichkeit als Theologiestudenten oder „Pfarrer-Lehrbuben“ erkennbar. Ehemalige Soldaten und Kriegsheimkehrer konnten sich mit dieser Kleidung besonders schwer anfreunden. An den freien Donnerstagen, bei Ausflügen, Theater- und Konzertbesuchen sowie in den Ferien war Zivilkleidung erlaubt. Die Mahlzeiten erfolgten stets gemeinsam mit der Seminarleitung, die aus dem Regens, dem Spiritual Heinrich Kranewitter19, einem väterlich milden Jesuitenpater, und dem Subregens bestand. Die Sitzordnung bei Tisch richtete sich nach der Reihenfolge der Kurse: vom ersten philosophischen Kurs an den hintersten Tischen bis zum vierten theologischen Kurs an den vordersten nahe der Seminarleitung. In der Mitte des Speisesaales gab es an der Wand eine Kanzel, von der aus zeitweise Tischlesungen erfolgten. Sie diente während des Abendessens bei Bedarf auch Studierenden der niederen Semester zum Vortrag ihrer Übungspredigten. Ich habe dort oben schon im November 1946 meine erste Predigt über das selbst gewählte Thema „Elisabeth, Vorbild der Nächstenliebe“ gehalten, im Dezember 1948 meine fünfte und letzte über „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“20 Der Umgang zwischen den Mitbrüdern war kameradschaftlich, locker und auch bei Kontroversen tolerant und gutmütig. Dazu haben neben gleichartigen Idealen und Aufgaben auch der Theologensport, gemeinsame Ausflüge und die jährliche Schiwoche beigetragen. Der Führungsstil des Regens war auf stille bescheidene Weise kraftvoll, warmherzig und wohlwollend. Für mich wurde seine Person lebenslang ein Vorbild kultivierter christlicher Humanität. Über den Studienbetrieb an der Fakultät wird später berichtet. Zunächst noch ein Blick auf den Seminarbetrieb. Hier stand die religiöse, spirituelle, moralisch-asketische und ästhetische Bildung im Zentrum.21 Hauptmittel waren religiöse Belehrungen, Betrachtungen und Übungen einerseits, möglichst aktive Beteiligung an Gottesdiensten andererseits. An jedem Abend erfolgte vor dem gemeinsamen Abendgebet (Komplet) 19 Geboren am 29.12.1899 in Schönau (Oberösterreich), Priesterweihe 1931. Personalstand 1948, 50. 20 W. Brezinka: Tagebuch 18.11.1946 und 9.12.1948. 21 Zur Erziehungskunst der Katholischen Kirche vgl. Bopp 1928.

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durch den Spiritual eine kurze Anleitung in Punkten zum Thema der Betrachtung vor dem gemeinsamen Morgengebet (Laudes) des nächsten Tages. Die konzentrierteste Form der Betrachtung bildeten die Exerzitien. Das waren geistliche Meditationsübungen, die einmal jährlich mit Schweigegebot für die Teilnehmer ganztägig sechs Tage lang durch einen Spezialisten aus dem Jesuitenorden durchgeführt wurden und mit einer Generalbeichte endeten. Sie galten als „eine durchdachte Weise, in äußerer und innerer Einsamkeit durch betende Versenkung in die geoffenbarten Grundwahrheiten am Vorbild des Lebens Jesu eine Umformung des christlichen Menschen zu erreichen.“22 Für die private geistliche Lesung ist mir vor allem ein Buch hilfreich geworden: „Der Priester in der Welt“ von Josef Sellmair.23 Es war im besten Sinne zeitgemäß, weil es gegen weltfremde Verengung und Erstarrung für christlichen Humanismus eintrat, für gebildete Menschlichkeit als natürliche Grundlage des religiösen Lebens. „Der Priester muss selber Mensch bleiben, um Menschen zu verstehen und je mehr er Mensch ist, umso mehr wird er auch als Priester wirken können.“24 Das galt trotz der damals kaum vermeidbaren vagen Idealisierung des Priestertums auch für Sellmairs Darstellung der sexuellen Probleme, der Beziehungen zu Frauen und der Last des Zölibats. Die täglichen Gottesdienste im Seminar wurden an kirchlichen Feiertagen durch großartige Festmessen und Andachten im Dom ergänzt. Liturgische und musikalische Höhepunkte waren die Pontifikalämter mit dem Erzbischof, allen Domherren in violetten Pelzmänteln und 60 Seminaristen in weißen Chorröcken. Der Dom war dabei meistens überfüllt, weil die Chor- und Orchestermusik ebenso wie die prunkvollen Zeremonien auch viele kunstliebende Ungläubige anzogen. Die Weihnachts-, Karwochen- und Osterliturgie war auch für uns Seminaristen erhebend, aber manchmal zu viel des Guten. Das habe ich schon beim Weihnachtsfest 1946 so erlebt. Am Heiligen Abend gab es um 15 Uhr einen großen Einzug in den Dom mit Pontifikalvesper, wechselseitigem Chorgesang und einem feierlichen Magnifikat. Um 18 Uhr folgte in der Hauskapelle eine Weihnachtsandacht, anschließend Feier und Festmahl im liebevoll ausgeschmückten Speisesaal. Um 22 Uhr wiederum im Dom „großer Einzug des 22 H. Rahner 1952, 1105. Zum Original Ignatius von Loyola, Edition Haas 1967. Zur Geschichte, Theorie und Praxis vgl. H. Rahner 1949; Guillermou 1962, 65–107. 23 (1896–1954), seit 1922 Priester, seit 1945 Professor für Pädagogik an der PhilosophischTheologischen Hochschule Regensburg, seit 1947 Professor der Religionspädagogik an der Universität München. Erlinghagen 1964: „höchst bedeutsam mit dem Entwurf einer eigenständigen Askese des Weltpriesters.“ 24 Sellmair 1939, 219.

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Bischofs unter den brausenden Klängen der Orgel; anschließend gesungene Matutin, die mit ihren zehn Psalmen und drei Lesungen bis Mitternacht dauerte. Genau mit dem Glockenschlag zwölf trat der Bischof mit Mitra und Stab zur Feier der Mitternachtsmette an den Altar. Die Kirche war gedrängt voll und all die schwierigen Zeremonien klappten reibungslos, weil wir im Seminar lange genug geübt hatten. Nach der Mette folgte die rezitierte Laudes. Dann waren wir durch den dreieinhalbstündigen Aufenthalt im kalten Dom so sehr abgekühlt, dass wir schnell nach Hause gingen, obwohl ich eigentlich noch einen Umweg über den verschneiten Mönchsberg machen wollte … . Am ersten Feiertag um 7 Uhr 30 Hirtenamt in unserer Kirche und um 10 Uhr großes Pontifikalamt im Dom. So schön das ist, wird man doch etwas mit Andachtsübungen überfüttert und die Gefahr, nur noch äußerlich, aber ohne inneres Verhältnis daran teilzunehmen, ist sehr groß. Der Bischof hielt nach dem Evangelium eine packende Predigt, wie man sie wohl nur selten zu hören bekommt: ,Weihnachten in Not‘: besetztes Land, Kriegsgefangene, Not der Ostflüchtlinge und Ausgesiedelten, Festhaltung der Nazis in den Lagern … . Andreas Rohracher ist wirklich einer der besten Bischöfe, die wir haben und einer der wenigen hier, die mir 100%iges Vorbild sein können.“25 Das dienende Personal für die Hochämter wurde von uns Seminaristen gestellt. Dabei gab es Rangstufen der Ämter. Ich habe als einfacher Kerzenträger begonnen und bin nicht weiter als bis zum Schleppenträger des Erzbischofs gekommen. Ich durfte ihn also beim Einzug im Gefolge der Domherren am Tor des Domes empfangen und die etwa fünf Meter lange Schleppe seines roten Mantels (cappa magna) von seinem Sekretär eingerollt übernehmen, um sie dann hinter ihm schrittweise zu entfalten. Gleiches galt für den Auszug. An sich war dieses strahlend rote Festgewand auf Kardinäle beschränkt. Nur der Salzburger Fürsterzbischof mit dem alten Ehrentitel „Primas von Deutschland“ (seit 1529) besaß noch dieses Privileg, ohne Kardinal zu sein.26 Titel und Privileg passten gut zu Rohracher, weil er eine fürstliche Erscheinung war, die traditions- und machtbewusst die Amtswürde, höchste Bildung, Autorität und eine mitreißende Rednergabe mit Menschenfreundlichkeit verband. Abgesehen von den hohen kirchlichen Feiertagen und den seltenen Exerzitien waren die religiösen Übungen auf den Tagesbeginn und den Abend beschränkt. An den Wochentagen war die meiste Zeit zwischen acht und 21 Uhr dem Studium gewidmet. Durch die kurzen Wege zu den Vorlesungen und die Entlastung von den Mühen der Selbstversorgung haben wir auch mehr Zeit 25 Brief an meine Mutter vom 29.12.1946. PAB. 26 Der Große Herder, 5. Auflage, Bd. 7, 1958, 636 f.; Bd. 8, 1956, 51; Redlich 1937, 143.

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dafür gewonnen, als den meisten anderen Studenten möglich war. Da alle belegten Vorlesungen am Ende jedes Semesters mit mündlichen Prüfungen über den gesamten Lehrinhalt abzuschließen waren, musste sehr viel gelernt, gelesen und wiederholt werden. Es blieb uns wenig freie Zeit. Es war auch deshalb ein großer Vorteil, dass unsere Wege zur Erholung in der Natur sehr kurz waren: die Schönheit und Stille des Waldes am Kapuzinerberg und Mönchsberg waren in wenigen Minuten erreichbar. Kurz: der äußere Rahmen für konzentrierte Studien war ideal. Wie aber stand es mit dem Innenleben von Studenten, die einen Beruf ansteuerten, der lebenslang festen katholischen Glauben, vorbildliches moralisches Verhalten und Verzicht auf erotische Freuden, Ehe und Familie forderte? Darüber ist mir mit Ausnahme der eigenen Person und der Sichtweise meines Freundes Otto Lang27 nichts bekannt, weil die reale individuelle Problematik dieser Anforderungen im Seminar wie in der Fakultät tabuisiert worden ist. Sie kamen nur oberflächlich-allgemein, dogmatisch-asketisch und normativabstrakt zur Sprache, aber nicht empirisch-kasuistisch, kritisch und skeptisch. In den zentralen Fragen des geistlichen Berufs und der Berufseignung blieb jeder Student mit sich allein. Theoretisch gab es die Beichtväter als Helfer, aber in der Realität waren sie selten dazu willens und geeignet. Ich kann also nur von meinem eigenen Ringen um Klarheit über die Eignung zum Beruf eines katholischen Priesters berichten. Die seelische Bereitschaft, der Wille und einige der charakterlichen Voraussetzungen waren durch Familientradition, Erziehung, Ministrantendienst, priesterliche Vorbilder und eifrige religiöse Praxis vorhanden. Der altersbedingte Gegengrund war das klare Bewusstsein meiner geistigen und moralischen Unfertigkeit. Aus ihr entsprangen hauptsächlich drei Schwierigkeiten, Bedenken oder Hindernisse: erstens spezielle bis allgemeine Glaubenszweifel; zweitens moralische Überforderung durch den schwärmerischen Auftrag zur „Umgestaltung unserer ganzen Person“ zum „neuen Menschen in Christus“28; drittens katholische Sexualmoral und Zölibat. Mit zeitweiligen speziellen Glaubensschwierigkeiten hatte ich seit meiner späten Kindheit leben gelernt. Die Belastung aller Menschen mit einer Erbsünde habe ich früh für ungerecht gehalten. Ein Gott, der zur Erprobung des Gehor27 Geboren am 4.6.1927 in Salzburg; ab 1949 Studium der Philosophie, Psychologie und Geschichte an der Universität Innsbruck; Dr. phil. 1957; Klinischer Psychologe und Psychotherapeut in Salzburg. Kurzbiographie: Who is who in Österreich, 7. Ausgabe 1987/88, 625. 28 Phantastisch überspannt bei Hildebrand 1944, 9 ff. im Anschluss an Paulus: Kol. 3, 10; Eph. 4, 24.

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sams von Abraham ihm die Ermordung seines Sohnes Isaak als Opfer befiehlt29, hat mich empört. Die kriegs- und rachelüsternen Psalmen des Alten Testaments haben wir als Theologen im Stundengebet nur widerwillig gesprochen und als liturgischen Text verabscheut. Viel schwerer wogen aber damals die Zweifel an mariologischen Dogmen, die 1950 in der Verkündigung der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel als „Königin des Alls“ ihren Höhepunkt erreichten.30 Als einfacher Laie ohne kirchlichen Lehrauftrag ist es leicht, sich im privaten religiösen Leben aus dem riesigen Vorrat christlicher Glaubensvorstellungen auf jene zu beschränken, die man für besonders wichtig und glaubwürdig hält. Man kann vieles verdrängen, unbeachtet oder in der Schwebe lassen. Als Priester ist man verpflichtet, für alles, was die Kirche lehrt, öffentlich einzutreten. Man muss vieles als Wahrheit verkünden, was möglicherweise Irrtum, Täuschung, Illusion oder fromme Lüge ist. Weil die „von der Kirche vorgelegten Wahrheiten vom Wesen her dunkel (obscuritas fidei)“ und im Unterschied zu rationaler Einsicht und Erfahrung „grundsätzlich dem Zweifel offen“ sind31, erfordert der Beruf des Priesters ein hohes Maß von Selbst-Suggestion für sich und Fremd-Suggestion32 für die mehr oder weniger gläubigen Adressaten seiner Seelsorge. „Immer äußerlich das vollziehen in Wort und Beispiel den Menschen gegenüber, was man innerlich oft so wenig decken kann? Sind wir nicht von hier aus schon bestimmt, als Priester stets Krüppel zu sein, angefeindet von außen mit Recht ob der Unzulänglichkeit, ob unseres zweifachen Lebens, außen und innen, das einander nie ganz deckt?“33 Mit zunehmendem Fortschritt meiner Studien ist mir diese intellektuelle Selbstbeschränkung und der Zwang zur Unredlichkeit als größter Einwand gegen den Priesterberuf klargeworden. Als zweites Hindernis habe ich meine begrenzte moralische Fähigkeit zu „radikaler Veränderungsbereitschaft“ angesehen, verstanden als „Wille, sich selbst abzusterben“ und „in allem ein neuer Mensch zu werden“34, der Gott und allzu viele Menschen mehr lieben soll, als seelisch möglich und zumutbar ist. Sollen setzt Können voraus. Als drittes Hindernis hat sich der Zölibat erwiesen: „die geistliche Standespflicht, nicht zu heiraten und in ‚vollkommener‘ Keuschheit zu leben.“35 Sie 29 Genesis 22. 30 Katechismus der Katholischen Kirche 1993, Nr. 484 ff. und Nr. 966 ff. 31 Bacht 1986, 949. 32 Zur neueren Suggestionsforschung vgl. Schwarzenberg 1993. 33 W. Brezinka: Tagebuch 31.10.1948. 34 Hildebrand 1944, 15. Markus 8, 34; Lukas 14, 26 f..; Paulus: Kol. 3, 1–14. 35 Mörsdorf 1986; L. M. Weber 1986; kritisch: Mynarek 1978; Drewermann 2010, 480 ff.

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steht im Widerspruch zur menschlichen Natur, insbesondere der des gesunden Mannes, und deren Grundtrieben nach Selbst- und Arterhaltung.36 „Der Verzicht auf die seelische Ergänzung in der Frau … ist eine Todeswunde des natürlichen Menschen.“37 Zu meinem Glück war mir immer klar: „Ein Kandidat, den es stark zu Weib und Kind und Familie drängt, soll und darf sich nicht für das zölibatäre Leben entscheiden. Auch wenn er sich vor Verfehlungen wird bewahren können, so wird ihm doch der Kampf darum zuviel Kraft und Anstrengung kosten, die er als Priester für die Seelsorge frei haben müsste.“38 Nach zwei Jahren Philosophie-Studium sind meine Mitbrüder, die 1946 mit mir ins Seminar eingetreten sind, zum Theologie-Studium übergegangen oder wie mein Freund Otto Lang ausgetreten. Ich bin ihm aber nicht gefolgt, weil ich in der sozialen Not und der ideellen und moralischen Verwirrung der Nachkriegs-Zeit zunächst noch immer an meine mögliche Berufung zum Seelsorger geglaubt habe. Ich hoffte, in einer erneuerten Kirche bei zunehmender Reife mit den genannten Schwierigkeiten fertig werden zu können. Fest stand nur: „Bevor ich nicht 27/28 Jahre alt bin, möchte ich mich nicht weihen lassen.“39 Man sieht aus dieser langen Periode der Selbstprüfung, wie stark ich durch meine katholische Herkunft und Lebenswelt entgegen der eigenen Natur geprägt worden bin. Klar war mir aber aus kritisch-autonomer Sicht auch, dass „das Leben im Seminar“ keine Basis ist, „auf der man unbeeinflusst und ungehemmt eine Entscheidung vollziehen kann. Also werde ich austreten müssen.“40 Das ist jedoch in Abstimmung mit Regens Berg erst 1949 nach einem dritten philosophischen Studienjahr erfolgt, in dem ich das kirchliche Lizentiat der Philosophie erwerben konnte. Ich verdanke dem Seminar, seinem Regens und den überwiegend wohlwollenden Kollegen einen glücklichen Studienbeginn und die Beheimatung im geliebten Salzburg. Es hat keinen religiösen Druck durch die Vorgesetzten gegeben, sondern immer Ermutigung und Verständnis – auch für meinen Austritt. Regens Berg hat mich mit meiner Frau 1954 in St. Peter getraut, unser erstes Kind getauft, uns im Halleiner Heim besucht und als Alt-Erzbischof noch 1989 mit unserer Familie in der Salzburger Peterskirche den 35. Hochzeitstag gefeiert.41 36 Vgl. Mager 1946 a, 15 ff. 37 W. Brezinka: Tagebuch 19.2.1949. 38 Miller 1946/47, 359. W. Brezinka: Tagebuch 1.11.1948. 39 W. Brezinka: Tagebuch 10.1.1949. 40 W. Brezinka: Tagebuch 22.10.1948. 41 Zur Biographie von Berg (1908–1997) vgl. Ingenhaeff 1981, 99 ff.; Mayr in: Dom- und Metropolitankapitel Salzburg 1983, 23–31.

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STUDIUM DER PHILOSOPHIE UND PÄDAGOGIK AN DER THEOLOGISCHEN FAKULTÄT SALZBURG (1946–1949) Mein Studium begann am Samstag, dem 5. Oktober 1946, mit einem Festakt zur Eröffnung des Studienjahres 1946/47 in der prachtvollen Aula Academica der alten Universität. Zum Verständnis der Situation ist ein Blick auf die Geschichte dieser Studienstätte und ihrer damals winzigen Ausstattung notwendig. Sie hatte im Herbst 1946 309 Hörer. Für sie gab es fünf ordentliche Professoren, einen außerordentlichen Professor und einen Honorarprofessor. Sechs waren Geistliche: drei Benediktiner und drei Weltpriester. Der staatlich unbesoldete Honorarprofessor Friedrich Schneider (1881–1974) war Laie und lehrte das Fach Pädagogik. Außerdem gab es für „Christliche Philosophie“ noch zwei Privatdozenten aus dem Benediktinerorden mit dem Titel „Außerordentlicher Professor“.42 Die Universität Salzburg ist 1622 unter dem Fürsterzbischof Paris Lodron (1586–1653) eröffnet und dem Benediktinerorden anvertraut worden. Er hatte die Professoren der Theologischen und Philosophischen Fakultät zu stellen. Sie war die einzige katholische Universität des alten Deutschen Reiches, die nicht von den Jesuiten beherrscht wurde. Nach der von Napoleon erzwungenen Eingliederung Salzburgs in das Königreich Bayern wurde sie 1810 aufgelöst und durch ein Lyzeum mit einer philosophischen und einer theologischen Studienabteilung ersetzt. Als Stadt und Land Salzburg 1816 endgültig zu Österreich gelangten, hat sich daran bis 1850 nichts geändert. In diesem Jahr wurde das Lyzeum aufgehoben, die philosophische Studienabteilung aufgelöst und die theologische in den Rang einer selbständigen staatlichen Theologischen Fakultät erhoben. Seither waren Stadt, Land und Kirche bestrebt, diesen Rest der alten Benediktiner-Universität wieder zu einer vollen Universität auszubauen.43 Dabei kam es zum Wettkampf zwischen der Katholischen Kirche und dem freisinnigen Bürgertum. Die Kirche strebte eine einflussreiche Katholische Universität für die Katholiken Deutschlands und Österreichs in freier Trägerschaft nach dem Vorbild von Löwen (Belgien) an. Sie sollte durch Spenden finanziert werden, die der „Katholische Universitätsverein“ aufzubringen hatte. Die liberalen Kreise waren dage42 Katholisch-Theologische Fakultät Salzburg: Vorlesungen und Personalstand im WinterHalbjahr 1946/47. Personalstand der Erzdiözese Salzburg 1948, 45. 43 Ortner 1987; Weinzierl 1969; Brezinka: Pädagogik in Österreich, Bd. 3, 2008, 31 ff. und 64 ff.

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gen und wollten eine staatliche Universität. Beide Vorhaben sind jahrzehntelang erfolglos geblieben, weil Bedarfsnachweise, realistische Planung und ausreichende Finanzierung gefehlt haben. Nach dem Untergang der Hitler-Diktatur und der Wiederherstellung der Republik Österreich wurde die 1938 von den Nationalsozialisten aufgehobene Theologische Fakultät am 26. September 1945 neu eröffnet und Professor Alois Mager (1883–1946) zum Dekan gewählt. Er war Benediktiner der deutschen Erzabtei Beuron, seit 1927 Professor in Salzburg und Mitbegründer und Organisator der „Salzburger Hochschulwochen“. Diese sind jährlich zwischen 1931 und 1937 durchgeführt worden, um die Gründung einer Katholischen Universität vorzubereiten. Sie wurden schon 1945 wieder eingerichtet, aber ihr ursprünglicher Zweck war utopisch und blieb unerreichbar. Erzbischof Rohracher als mächtigste kirchliche Autorität ist jedoch zunächst der Illusion erlegen, durch Ausbau der staatlichen Theologischen Fakultät zu einer nichtstaatlichen Katholischen Universität gelangen zu können. Das war der Inhalt seiner Rede über „Die Aufgabe der Universität Salzburg“, die er beim Festakt an meinem ersten Studientag gehalten hat.44 Konkret lief das auf die Ergänzung der vorhandenen staatlichen Fakultät durch eine kleine private „Katholische Philosophische Fakultät“ hinaus, die auf einige weltanschaulich bedeutsame Fächer beschränkt ist. Das war eine rechtlich wie politisch unmögliche Konstruktion. Tatsächlich ist dieses Vorhaben über ein einziges misslungenes Unternehmen nicht hinausgekommen. Es betraf das Fach Pädagogik und war für meinen Lebens- und Berufsweg von größter Bedeutung. Rohracher ist schon vor dem Ende des Krieges mit dem damals international bekanntesten katholischen Pädagogiker Friedrich Schneider (1881–1974)45 in Verbindung gekommen. Dieser ist als Professor für Psychologie und Pädagogik an der Pädagogischen Akademie Bonn 1934 von der nationalsozialistischen Regierung entlassen worden und hat 1940 auch seine Privatdozentur an der Universität Köln verloren, weil er als politisch unzuverlässig galt. Sein 1934 erschienenes Buch „Katholische Familienerziehung“ hat sieben Auflagen erlebt und ist in fünf Fremdsprachen übersetzt worden. Er hat sich nach seiner Zwangs-Pensionierung ganz in den Dienst der Katholischen Kirche gestellt und landesweit in familienpädagogischen Vorträgen – oft als Laie von der Kanzel – für christliche Erziehung eingesetzt. Wegen der Fliegerangriffe auf Köln ist Schneider zu Freunden nach Vöcklamarkt in Oberösterreich übersiedelt. Von dort ist er durch Erzbischof Rohr44 W. Brezinka: Tagebuch 5.10.1946. 45 Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 3, 2008, 64 ff.

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acher für die geplante Katholische Universität angeworben worden. Dieser hat ihm eine neu zu errichtende Lehrkanzel für Erziehungswissenschaft im Rahmen der Theologischen Fakultät versprochen und ein Institut als „das erste Glied der zu errichtenden philosophischen Fakultät.“46 Schneider hat darauf bestanden, dass es ein „Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“ sein soll, weil er darin sein Spezialgebiet pflegen wollte. Rohracher hat ihm die optimale Unterbringung über den Dombögen in der Hofstallgasse 2 in jenen drei Räumen zugesichert, die den philosophischen Fächern der Theologischen Fakultät gewidmet waren. Schneider für Österreich zu gewinnen war wissenschaftlich, bildungspolitisch und erziehungspraktisch ein guter Griff. Es gab damals im ganzen Staat nur eine einzige Lehrkanzel für Pädagogik an der Wiener Universität und großen Bedarf bei der Ausbildung von Nachwuchs für die Lehrerbildung, Jugendhilfe und Sozialarbeit. Jedoch waren Schneiders Anbindung an das Phantasiegebilde „Katholische Universität“, seine Fehlplatzierung in der Theologischen Fakultät und seine Abhängigkeit vom finanziell armseligen „Katholischen Universitätsverein“ kein solides Fundament für eine dauerhafte erziehungswissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätte. Rohracher hatte Schneider Zusicherungen gemacht, zu denen er nicht befugt war, und Versprechungen, die er nicht erfüllen konnte. Schneider hat die Sache durch die Namensgebung für sein Institut unnötig erschwert. „Vergleichende Erziehungswissenschaft“ war nicht mehr als ein verschwommenes Spezial-Programm, aber keine solide Wissenschaft. Es gab in den deutschsprachigen Universitäten noch nirgends eine Professur dafür, geschweige ein Institut. Nicht einmal „Erziehungswissenschaft“ ohne Zusatz war damals ein selbständiges und allgemein anerkanntes Fach. In der Not der Nachkriegszeit, in der es den Universitäten an allem gefehlt hat, konnte man nirgends Verständnis für die Förderung von Schneiders Spezialgebiet erwarten. Schneider war damals weit und breit der einzige katholische Gelehrte mit unbestritten großem wissenschaftlichen Ansehen und bewiesener Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, der für den Aufbau einer Katholischen Universität Salzburg geeignet und verfügbar war. 1946 war er 65 Jahre alt und hätte in Deutschland als politisch Geschädigter mit Anspruch auf Wiedergutmachung noch gute Chancen für eine ordentliche Professur gehabt. Er hat das äußerst unsichere Salzburger Projekt vorgezogen, weil er die schöne Stadt geliebt hat, weil es seinem katholischen Sendungsbewusstsein entsprach und 46 Rohracher an Papst Pius XII. Brezinka, Bd. 3, 2008, 70 f.

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weil er in Österreich mehr Chancen sah, seine internationalen Verbindungen zu aktivieren als im zerstörten und weltweit verhassten Deutschland. Seine Erwartungen sind enttäuscht worden, aber er hat das mit Würde ertragen und bis 1953 ein gebrechliches pädagogisches Zentrum aufgebaut und geleitet, das auch von Ungläubigen europaweit geschätzt worden ist. Enttäuschend war für Schneider, dass das Projekt „Katholische Universität“ langsam auch von Rohracher und der Theologischen Fakultät als Illusion erkannt und aufgegeben worden ist. Beide sind für eine staatliche Universität eingetreten und haben wesentlich dazu beigetragen, dass sie 1962 gegründet werden konnte. Ein staatlicher Dienstposten für Schneider in Form einer ordentlichen Professur der Pädagogik blieb grundsätzlich ausgeschlossen, weil das Fach zur Philosophischen Fakultät gehört. Mangels einer Lehrkanzel blieben also auch Diplom-, Magister- und Doktorats-Studien sowie Promotionen und Habilitationen für Pädagogik undurchführbar. Damit entfiel die pädagogische Nachwuchs- und Elitenförderung als Hauptzweck des Lehrauftrags für Schneider. Sein Institut war keine staatliche Einrichtung der Fakultät, sondern eine private des Universitätsvereins und finanziell miserabel ausgestattet. Es gab weder Mittel für die Bibliothek noch für die Forschung. Der Wissenschaftliche Assistent des Instituts – von 1946 bis 1950 Schneiders Sohn Dr. Wilhelm Christian Schneider – und die Sekretärin waren keine Staatsbediensteten der Fakultät, sondern Angestellte des Vereins mit minimalem Einkommen. Die drei Räume des Instituts mit dem herrlichen Ausblick auf Dom und Festung gehörten zur Theologischen Fakultät und waren bis 1938 der „Christlichen Philosophie“, deren Dozenten und ihrer Bibliothek gewidmet. Auf Druck des Erzbischofs sind sie nach dem Untergang Großdeutschlands und der Wiederherstellung der Republik Österreich widerrechtlich dem privaten Institut Schneiders überlassen worden. Das hat bis zu seinem Abgang im Jahre 1953 zu einem Dauerkonflikt mit der Fakultät geführt. Schneider hat ihn unter Berufung auf Rohracher unnachgiebig durchgestanden, weil er das internationale katholische Universitätsprojekt und sein eigenes wissenschaftliches Gewicht für bedeutender hielt als die provinzielle Fakultät für regionalen Priesternachwuchs. Gemessen an seinem Lehrerfolg und an der Verbreitung seiner rund 20 Bücher in acht Sprachen war er auch für mich der vielseitigste, weltkundigste und anregendste Professor meiner Salzburger Studienjahre. Aus Sicht der Theologen vertrat er nur ein weltliches Nebenfach, aber ich habe sechs Semester lang alles gehört, was er angeboten hat.47 Das lag nahe, weil ich Erfahrun47 Liste seiner Lehrveranstaltungen bei Brezinka, Bd. 3, 2008, 75.

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gen und viele Fragen aus der Erziehungspraxis mitbrachte. Es lag aber auch an seinem ungewöhnlich breiten Wissen, seinem kollegialen Umgangsstil und seinem echten Interesse an Gesprächen und persönlicher Beratung. Ich habe schon im November 1946 in seinem Pädagogischen Seminar über „Die Methoden der Individualitätserfassung von Kindern und Jugendlichen“ mein erstes Referat über das Thema „Begabtenauslese“ gehalten.48 Nach der mit „eminenter“ bestandenen Prüfung über die Vorlesung „Systematische Erziehungswissenschaft“ hat er mir 1947 sein soeben erschienenes Hauptwerk geschenkt: „Triebkräfte der Pädagogik der Völker. Eine Einführung in die Vergleichende Erziehungswissenschaft“ im Umfang von 500 Seiten – versehen mit der Widmung „Lasset uns der Jugend leben! Friedrich Schneider, Salzburg, 2. Juli 1947.“49 Im Herbst 1948 hat er mich und meinen Freund Otto Lang erstmals zum Tee in seine Privatwohnung eingeladen. Dieser Abend hat „mich erneut mit Bewunderung erfüllt für den Idealismus und die ungebrochene Spannkraft dieses Mannes. Durch und durch überzeugter Katholik. Dabei von großer Weite und einer reifen Menschlichkeit … . Ich weiß um alle Schwächen, die er als Lehrer hat, wie Mangel an System, an philosophischem Grundbau usw. Doch diese Mängel wiegen wenig vor dem, was Prof. Schneider hat und was so vielen anderen abgeht: ein unermüdlich liebendes Herz, aller Jugend offen … .“50 Das Hauptgebiet meiner Studien war aber nicht die Pädagogik, sondern die Philosophie mit Einschluss der Psychologie. Für letztere war Alois Mager zuständig. Er galt durch die „Lebendigkeit seines Geistes“ als „Mittelpunkt des geistigen Lebens unserer Stadt“.51 Er war mit der Philosophiegeschichte und der modernen Geisteswelt ebenso vertraut wie mit der Staatslehre und der Psychologie der Mystik. Seine Vorlesung über „Psychologie auf experimenteller Grundlage“ und seine „Experimentalpsychologischen Versuche und Übungen“ haben mich beeindruckt. Mager52 wurde 1883 in Zimmern bei Rottweil (Württemberg) als sechstes von neun Kindern eines Zimmermeisters geboren, trat 1903 in das Benediktinerkloster Beuron ein und wurde 1909 zum Priester geweiht. Er hat an der 48 W. Brezinka: Tagebuch 29.11.1946. 49 Dieses Motto hat er von Friedrich Fröbel (1782–1852) übernommen: „Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!“ Ein Sonntagsblatt für Gleichgesinnte, 1838. 50 W. Brezinka: Tagebuch 31.10.1948. Die 23 Themen des Semesterprogramms in meinem handschriftlichen Heft „Erziehung und Bildung“, Wintersemester 1946/47 bis Sommersemester 1947. PAB. 51 Dillersberger 1947, 1. 52 Uttenweiler 1947; Schaber 1998.

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Katholischen Universität Löwen mit einer Dissertation über „Aristoteles und die spanische Mystik“ das Doktorat der Theologie erworben. Danach hat er an der Universität München experimentelle Studien bei Oswald Külpe (1862– 1915), Karl Bühler (1879–1963) und Richard Pauli (1886–1951) betrieben, aus denen sein Buch über „Die Enge des Bewusstseins“ (1920) hervorgegangen ist. Seit 1924 hat er in Salzburg gelehrt, ab 1930 als ordentlicher Professor. 1929 erschienen seine „Vorlesungen über Experimentelle Psychologie“. Er hat mir dieses Buch am 1. Dezember geschenkt und ich habe es mit großem Gewinn durchgearbeitet. Leider ist er ganz unerwartet am 26. Dezember 1946 im Alter von 63 Jahren gestorben. Ich habe ihn als „Vorbild eines Menschen, der Weisheit und Güte verbinden konnte“53, lebenslang in dankbarer Erinnerung behalten. Als Nachfolger für Mager ist der Benediktiner des Stiftes Einsiedeln (Schweiz) Professor Ildefons Betschart (1903–1959) gewonnen worden.54 Er hatte 1938 an der Schweizer Universität Freiburg das Doktorat der Philosophie erworben mit einer Dissertation über „Das Wesen der Strafe. Untersuchungen über Sein und Wert der Strafe in phänomenologischer und aristotelisch-thomistischer Schau.“ Danach wurde er Lehrer der Philosophie und Psychologie am Stiftsgymnasium Einsiedeln. Auch er war breit gebildet und hat inhaltlich wie rhetorisch gute Vorlesungen gehalten. Neben Empirischer wurden auch Philosophische Psychologie, Tiefenpsychologie und Psychotechnik behandelt. In Seminaren ging es um „Das physikalische Weltbild“, „Das psychologische Experiment“, den „Englischen Empirismus“ und „Psychohygiene und Religion“. Lehrbuchartig klar waren auch die systematischen Vorlesungen über „Allgemeine Metaphysik“, „Theodizee“ und „Allgemeine Ethik“ sowie die historischen über „Geschichte der Mittelalterlichen Philosophie“ und der „Philosophie der Neuzeit“. Als Gegenpol zum kühlen abgeklärten Stil Betscharts wirkte der feurige Professor Albert Auer (1891–1973).55 Er war ein aus Landshut gebürtiger Urbayer, der 1911 in die Benediktiner-Abtei Emaus in Prag eingetreten ist, die zur Beuroner Kongregation gehörte. Nach der Errichtung der Tschechoslowakei wurden die deutschen Mönche vertrieben und wechselten 1920 in die wiedererrichtete Abtei Neresheim in Württemberg. Auer hat an der Universität München Lateinische Philologie, Geschichte und Philosophie studiert und sich 1928 an der Theologischen Fakultät Salzburg für „Christliche Philosophie“ 53 Chefredakteur Viktor Reimann, Salzburger Nachrichten, 30.12.1946, S. 1. 54 Über ihn: Zähringer 1963. 55 Biographie: Brezinka, Bd. 3, 2008, 58 ff.

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habilitiert. Seine Arbeitsschwerpunkte waren Philosophie des Mittelalters, Anthropologie, Ethik, Staatsphilosophie und Naturrecht. Er hat seine Hörer in aufrüttelndem Stil zu begeistern verstanden und zum kritischen, unkonventionellen Denken herausgefordert – auch gegenüber seinen eigenen Lehren. Ich verdanke Auer neben vielen Einsichten auch Verständnis für meine frühe skeptische Distanzierung von der dogmatisch-abstrakten neo-scholastischen Philosophie und ihrem Anspruch auf vernünftige Beweise des Daseins und der Eigenschaften Gottes.56 Ich konnte aber Auers prophetischem Werben für Augustinus und die Mystik nicht folgen. Für mich ist schon in meinen ersten Semestern das Buch „Ungewissheit und Wagnis“ von Peter Wust (1884–1940) für lange Zeit zum überzeugendsten Wegweiser geworden: eine gemäßigte christliche Existenzphilosophie.57 In Auers Vorlesungen und Seminaren habe ich auf hohem Niveau das schmerzvolle Ringen eines radikalen christlichen Bekenners mit seinem radikalen Drang zur wissenschaftlichen Aufklärung erlebt. Dazu trugen schon die von ihm behandelten Themen bei: „Naturphilosophie“, „Naturrecht“, „Kants Kritik der reinen Vernunft“, „Schillers ästhetische Briefe“, „Philosophie der Geschichte“, „Philosophische Grundlagen der Biologie“, „Abstammungslehre“ und „Solowjews Religionsphilosophie“. Neben Auer und Betschart war für die Philosophie noch der Benediktiner der Abtei Kremsmünster Erenbert Schächer (1900–1974)58 tätig. Er hat auf konventionelle Weise Logik, Erkenntnistheorie, Geschichte der griechischen Philosophie, Wirtschaftsphilosophie und Soziologie gelehrt. Interessante historische Ergänzungen zum Altertum hat Professor Thomas Michels (1892–1979) geboten. Er war Benediktiner der rheinischen Abtei Maria Laach und während der Hitler-Diktatur in den USA tätig. Bei ihm habe ich „Griechische und römische Religionsgeschichte“, „Philosophie der Spätantike und Patristik“ gehört und ein Seminar über den „Gottesstaat“ von Augustinus besucht. Außerdem habe ich beim Dozenten Rudolf Kriss (1903–1973), einem Laien aus Berchtesgaden und späteren Professor an der Universität München, vier Semester Volkskunde studiert und beim Diözesan-Archivar Kanonikus Franz Xaver Traber (1888–1954) sechs Semester Kunstgeschichte mit lehrreichen Exkursionen. Wie ist diese Menge an Fächern und Themen von mir verarbeitet worden? Wie war das Studienverhalten der Theologiestudenten? Selbstverständlich sind alle Lehrveranstaltungen regelmäßig besucht worden. Die Lehrenden haben 56 Repräsentiert durch das damals den Theologen empfohlene Werk von Gredt 1935, besonders Bd. II (Metaphysik und Gotteslehre), 168 ff. 57 Vgl. Wust 1947. Diese Vorlesung hat mir Mutter Hildegard (Hemma) Hendl O.S.B. vom Stift Nonnberg zu Weihnachten 1950 geschenkt. 58 Biographie: Pfligersdorffer 1974.

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uns das leicht gemacht, weil sie gut vorbereitet waren. Für sie standen nicht Forschung und Publizieren für die gelehrten Kollegen ihrer Spezialfächer im Vordergrund, sondern die Bildung der Studierenden durch Weckung ihres Interesses von Stunde zu Stunde. Unsere Aufgabe bestand im konzentrierten Zuhören und Aufschreiben des Wesentlichen. Das konnte nur skizzenhaft geschehen. Diese Notizen wurden daheim möglichst korrekt ausgearbeitet und handschriftlich sauber in Kolleghefte eingetragen. Diese dienten – ergänzt durch Auszüge aus empfohlenen Büchern – zur Vorbereitung auf die Prüfungen. Die Prüfer konzentrierten sich in der Regel ganz auf den Stoff ihrer Vorlesungen. Da diese zumeist gründlich waren, ließ ihre Einprägung wenig Zeit für ergänzende Studien. Außerhalb einiger Seminare zu Texten von Aristoteles, Thomas von Aquin, Kant usw. gab es zu den Vorlesungen keine Pflichtlektüre für alle Hörer und nur vereinzelt wenigstens nachdrückliche Empfehlungen. Formal war das – mit wenigen Ausnahmen bei Schneider und Auer – ein veralteter Schulbetrieb. Ich habe mich aus der empfohlenen philosophischen Literatur auf zwei Autoren konzentriert, die mir das großartige Werk des Thomas von Aquin nahegebracht haben: Martin Grabmann (1875–1949) und Josef Pieper (1904– 1997). Grabmanns Einführung in seine Persönlichkeit und Gedankenwelt59 habe ich mir schon 1946 gekauft und mit Gewinn durchgearbeitet. Piepers Interpretationen der aristotelisch-thomistischen Gedankenwelt, besonders seine Schriften über die Kardinaltugenden60, haben mich begeistert und mein Welt- und Menschenbild lange bestimmt. Ich habe auch später noch die meisten seiner Schriften über „die Wahrheit der Dinge“ und anderes erworben und gelesen, aber mit zunehmender Wehmut: zu schön, um wahr zu sein.61 Da es in meiner Studienzeit noch keine Kopiergeräte gab, mussten auch alle Texte aus der Fachliteratur, die ich nicht kaufen konnte, abgeschrieben werden. So brachte ich es auf 46 Kolleghefte und einen Stoß handschriftlicher Buchauszüge. Käufliche Skripten der Vorlesungen – wie teilweise später in Innsbruck – gab es nicht. Der Eifer für die häusliche Nacharbeit der Vorlesungen und der Lektüre war je nach Studienziel und Interessen verschieden. Die große Mehrheit der Theologiestudenten scheint die zwei philosophischen Jahreskurse nur als pflichtgemäße, aber eher lästige Vorstufe der theologischen Studien betrachtet zu 59 Grabmann 1946. 60 In einem Band bei Pieper 1964. 61 Zur Kritik vgl. u. a. Weischedel 1979.

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haben. Sie hat von der Möglichkeit, ein Baccalaureat oder Licentiat der Philosophie zu erwerben, keinen Gebrauch gemacht. Deren Grundlage ist 1928/29 durch die Errichtung eines Päpstlichen Philosophischen Instituts in der Theologischen Fakultät geschaffen worden. Es wurde mit Dekret der Römischen Studienkongregation (d. h. des Päpstlichen Unterrichtsministeriums) vom 2. März 1946 wieder errichtet und erhielt neuerlich das Recht, die akademischen Grade für „christliche Philosophie“ zu verleihen. Diese wurden jedoch vom österreichischen Staat nicht anerkannt, sondern hatten nur in der Kirche Geltung.62 Ich habe mich für dieses vertiefte und längere philosophische Studium entschieden und am 3. November 1948 das Baccalaureat mit der Note „summa cum laude“ erworben. Am 2. Juli 1949 erfolgte endlich die überfällige LateinErgänzungsprüfung bei Auer als Hauptprüfer der Kommission. Für das Licentiat waren im sechsten Semester insgesamt zehn einstündige mündliche Prüfungen in folgenden Fächern abzulegen. Bei Auer: Naturrecht, Naturphilosophie; bei Schächer: Logik, Erkenntnistheorie, Thomas-Interpretation, Soziologie; bei Betschart: Psychologie, Ethik, Metaphysik, Theodizee.63 Pädagogik war im Vatikan vermutlich nicht als philosophisches Fach anerkannt und blieb ungeprüft. Meine schriftliche Licentiatsarbeit hatte ich auf Vorschlag von Auer aus dem Naturrecht gewählt. Ihr Thema lautete: „Staatsräson und organische Staatsauffassung“. Sie umfasste 17 Seiten und ist ungedruckt geblieben. Am 16. Mai 1949 habe ich den päpstlichen Grad eines „Licentiatus“ der Philosophie mit der Note „summa cum laude“ erworben.64 Im Fach Pädagogik habe ich bei Prof. Schneider in drei Jahren an Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 32 Semester-Wochenstunden teilgenommen und alle Prüfungen und Seminare mit der besten Note bestanden. Damit glaubte ich, dieses Fach genügend betrieben zu haben. Mein Eifer hat schon im zweiten Studienjahr nachgelassen, weil mir seine begrifflichen, methodischen und systematischen Mängel aufgefallen sind: das Übermaß an Meinungen und Wunschvorstellungen statt theoriekritischer Analyse und empirischer Forschung. Ich habe meine Studien an der Universität Innsbruck fortgesetzt und mich ganz auf die Psychologie konzentriert.

62 Personalstand, Erzdiözese Salzburg 1948, 45; zum Ringen um die staatliche Anerkennung vgl. Ortner 1987, 187 ff. 63 Nach meinem Salzburger Meldungsbuch Matr. Nr. IX. 17 vom 9. Oktober 1946 mit Prüfungsdaten und Noten: 8 eminenter, 2 valde bene. 64 Theologische Fakultät Salzburg Nr. Lic. 9–48/49.

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FERIEN UND ARBEIT ZWISCHEN OSTTIROL UND BREGENZERWALD Wie schon erwähnt war ich in der vorlesungsfreien Zeit auf Unterkunft und Versorgung außerhalb des Seminars angewiesen. Das waren vier bis fünf Monate im Jahr: von Anfang Juli bis Anfang Oktober Sommerferien, im Februar Semesterferien, zehn Tage Weihnachtsferien und eine Woche Osterferien. Ich war arm und brauchte Heimstätten und Verpflegung, die möglichst wenig kosteten. Das Einkommen meines Vaters war in den Nachkriegsjahren so gering, dass es kaum für die Berliner Familie und ihre Pflegekinder ausreichte. Die niedrigen Unterhaltskosten im Seminar musste ich zunächst schuldig bleiben. Erst Anfang 1948 konnte ich rückwirkend alles bezahlen. In dieser Lage als mittelloser Student haben mir viele Menschen geholfen. Ich habe so viel Gastfreundschaft und Unterstützung erfahren, dass ich vor Not bewahrt wurde und ein überwiegend sorgenfreies frohes Leben führen konnte. Dazu hat beigetragen, dass damals die Theologiestudenten im Klerus, bei Ordensschwestern und im katholischen Volk besonders geschätzt wurden. Die Priester behandelten uns als künftige Berufsgenossen und die Laien als vertrauens- und unterstützungswürdig. Für die langen Ferien brauchte ich als Bleibe Haupt- und Nebenstützpunkte. Der wichtigste Hauptstützpunkt wäre normalerweise mein Elternhaus in Berlin gewesen. Es war aber auf legalen Wegen jahrelang unerreichbar. Der illegale Zugang aus Bayern über die sowjetische Zonengrenze wurde immer gefährlicher. Das habe ich bei meinem ersten Besuch in den Osterferien 1947 erlebt. Ich fuhr mit dem Zug bis Mellrichstadt und wollte wie früher in der folgenden Nacht bei Hendungen über die Grenze. Ich wurde aber vormittags schon auf dem Weg zur Familie Hartung, meinen bäuerlichen Gastgebern seit Oktober 1945, von einem bayerischen Polizisten aufgehalten und wegen illegalem Grenzübertritt in das Gefängnis von Mellrichstadt eingesperrt. Er glaubte wegen meines Berliner Personalausweises, ich sei aus der Sowjetzone eingedrungen. Ich habe ihn in der richtigen Annahme, dorthin abgeschoben zu werden, in diesem Glauben gelassen. Das Gefängnis wurde vom amerikanischen Militär verwaltet und war überfüllt mit einer bunten Schar von Grenzgängern aus der Ostzone. Beim Verhör durch eine feindselige Offizierin habe ich gelogen, dass ich in Bayern Zuflucht finden wolle. Nach einem qualvollen Tag in größter Enge mit Hunger, Gestank und Ungewissheit wurden wir am Abend der bayerischen Polizei übergeben.

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Diese hat die vergeblich protestierende Gruppe von etwa 50 Personen in völliger Finsternis an die Landesgrenze geführt und in die Sowjetzone entlassen. Die schimpfenden Männer und weinenden Frauen machten so viel Lärm, dass sie den sowjetischen Grenzwachen kaum verborgen bleiben konnten. Ich habe mich sofort von der Menge abgesetzt und bin problemlos nach Berlin gelangt. Da ich seit Juli 1946 nicht mehr daheim gewesen bin, habe ich im Seminar ausnahmsweise einen auf vier Wochen verlängerten Osterurlaub erhalten. Prof. Schneider hatte mich gebeten, bei den Berliner Jugendämtern Informationen über den Stand der Jugendverwahrlosung und ihrer Bekämpfung zu sammeln, weil er einen internationalen Kongress darüber vorbereitete.65 So habe ich Kontakt mit der für Jugendfürsorge zuständigen Behörde aufgenommen. Dabei habe ich nicht nur Material für eigene Studien erhalten, sondern unerwartet auch Hilfe für eine gefahrlose und bequeme Rückreise. Der Jugendamtsleiter hat mir bei der Public Safety Branch der Britischen Militärverwaltung eine „Movement Order“ für Alliierte Militärzüge mit folgender fiktiver Begründung verschafft: „The juvenile escaped from his place of work and is to be taken back to Kiefersfelden/Obb. via Hannover/Herzberg.“ So konnte ich im verschlossenen Wagen am 25. April 1947 ohne Kontrolle durch die sowjetischen Grenzwachen vergnügt in den sicheren Westen reisen.66 In Salzburg waren nach der Rückkehr aus Berlin meine Berichte über die Lage in der Sowjetzone sehr begehrt, weil jede zivile Nachrichten-Verbindung von österreichischen Journalisten zur mitteldeutschen Bevölkerung gefehlt hat. Ich habe einige Zeitungsartikel über „Menschen und Kräfte hinter dem Eisernen Vorhang“ verfasst67, um zu informieren und Geld für meinen Unterhalt zu verdienen. Da ich über Freunde mit Dr. Wilhelm Reinermann vom Salzburger Verlag Anton Pustet bekannt war, hat er sie zu lesen bekommen, positiv bewertet und die Veröffentlichung als Broschüre in Verbindung mit dem Verlag Styria in Graz angeboten. Sie würde mehr Beachtung finden und viel besser honoriert werden als Zeitungsartikel. Ich habe zugestimmt, aber dieses Vorhaben ist gescheitert. Angeblich sei dem Styria-Direktor Karl Maria Stepan meine Kritik an der sowjetischen Herrschaftspraxis in Deutschland angesichts sowjetischer Besatzung im eigenen Land für einen österreichischen Verlag politisch nicht angebracht gewesen.68 65 Er hat im Juli 1950 als „Erster Internationaler Kongress über Probleme der Jugendverwahrlosung“ in Salzburg stattgefunden. Vgl. Schneider 1950. 66 Control Commission for Germany (British Element): Special Travel Reservation, 25. April 1947. PAB. 67 Vgl. S. 70. 68 Zu Stepan (1894–1972), damals Generaldirektor des Katholischen Pressevereins, vgl.

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Ich habe das eingesehen und war erleichtert, weil ich nicht mit einer inhaltlich wie stilistisch sehr unvollkommenen Gelegenheitsschrift in die Öffentlichkeit treten wollte. So ist es bei Artikeln im „Volksboten“ geblieben, zu dem mir der Tiroler Erwachsenenbildner Dr. Ignaz Zangerle69 Zugang verschafft hat. Sie sind anonym unter G. A. (den Endbuchstaben meines Namens) erschienen. Ich berichte das nur, weil Reinermanns Initiative mir ganz unerwartet zur Finanzierung meines Studiums verholfen hat. Der Verlag Anton Pustet als Teil der Styria hat mir als Ersatz für das ausgebliebene Honorar als Studienbeihilfe das Honorar für die zweite Auflage des Buches von Emil Fiedler „In jener Zeit … Wege ins unbekannte Evangelium“ gewidmet. Es ist erstmals 1938 erschienen. Sein geistlicher Verfasser war inzwischen ohne Erben verstorben oder verschollen. Wegen seiner guten Qualität hat es in der bücherarmen Nachkriegszeit großen Absatz gefunden. So ist dieser Autor posthum in Verbindung mit dem hochherzigen Verlag mein größter Wohltäter geworden. Ich habe dank dieser relativ reichen Spende, kleineren Beihilfen, Autoren-Honoraren und harter Landarbeit im Sommer 1949 bei strenger Sparsamkeit bis zur Promotion ohne finanzielle Sorgen leben und studieren können. In den Sommerferien 1947 und 1948 habe ich zwischen Salzburg, Lienz und Bregenz einige Reisen und weite Bergfahrten unternommen – meist auf einem geliehenen Rad oder per Auto-Stopp. Einen Hauptstützpunkt habe ich Ende August 1947 durch den Lienzer Dekan Budamair70 im Weiler Penzendorf der Gemeinde Assling im Osttiroler Pustertal gewonnen. Die Pfarre gehört zum Südtiroler Augustiner-Chorherren-Kloster Neustift bei Brixen. Ihr Kooperator Robert Obererlacher hat vermittelt, dass ich von der Familie Josef und Barbara Niederwieser für zwei Wochen als Gast unentgeltlich in ihrem „Winklerhof “ auf 1.200 Meter Höhe aufgenommen wurde. Sie hatten vier liebenswürdige und fleißige Kinder zwischen 17 und 6 Jahren: einen Sohn und drei Mädchen. Dort habe ich aus der Nähe das schwere, aber würdevolle Leben der letzten Generation traditionsgebundener Bergbauern kennen gelernt, die sich in ihren Familienbetrieben mit Hilfe ihrer Kinder und gegenseitiger Nachbarschaftshilfe noch selbst erhalten konnten. Auf den sonnigen Südhängen wurde noch Korn angebaut und in der eigenen Mühle Bruckmüller 2001, 475; zur Styria, der 1922 der Verlag Anton Pustet (Salzburg) angegliedert worden war, Bamberger/Maier–Bruck 1966, Bd. II, 1124. 69 (1905–1987). Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 518 ff. 70 Vgl. S. 49 und 68.

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gemahlen; Bau- und Brennholz kamen aus dem eigenen Wald, Butter und Käse aus dem eigenen Stall und von der eigenen Alm; das Brot aus dem eigenen Backofen; als unentbehrliche Arbeitstiere dienten die Pferde. Gemeinsames Abendgebet und Kirchgang – sonntags bei fast allen Frauen und Mädchen in der festlichen Tracht – waren noch selbstverständlicher Brauch. Ich wurde in dieses Leben freundlich einbezogen, habe mitgearbeitet und dem bildungshungrigen Hausvater wie den älteren Töchtern Burgele und Nannele viel erzählen können. Sie hätten gerne eine Berufsausbildung ergriffen, aber dem stand die strenge Sitte im Wege, bis zur Heirat im elterlichen Hof zu dienen. Für mich war der Familienanschluss auf dem schönen alten Hof in herrlicher Landschaft hoch über dem Tal ein großes Geschenk. Es gefiel mir „so gut, dass ich gar nicht mehr fort möchte. Vom 13. Juli an, dem letzten Seminartag, bin ich ständig unterwegs gewesen, nirgends länger als ein paar Tage und letztlich auch nirgends daheim. So bin ich froh, dass ich hier zum ersten Mal eine Heimstatt gefunden habe bei einfachen lieben Menschen.“71 Beim Abschied von Penzendorf wurde ich eingeladen, jederzeit wiederkommen zu können. Das ist auch geschehen und so ist mir Osttirol neben Südtirol zur Heimat geworden. Die Sommerferien 1947 waren aber auch in anderer Hinsicht reich an schönen Erlebnissen. Ich hatte das Seminar schon im ersten Jahr mehr und mehr als eine künstliche Welt erlebt, die uns seelisch verkrampft und dem Leben entfremdet. „Der Talar, den wir ständig tragen müssen (in Deutschland erst im letzten Jahr vor der Weihe) richtet eine Mauer zwischen uns und der Welt auf. Man bekommt irgendwie einen Knacks davon mit. Mir ist das erst richtig bei Beginn der Ferien aufgegangen, als ich nun wieder als Zivilist lebte. Ich brauche jetzt die ganzen Ferien dazu, um all das Theologenhafte abzuschütteln und wieder den Weg zu den Menschen zu finden,“ zur seelischen Begegnung auch mit Mädchen und Frauen.72 Der Tiroler Landesjugendseelsorger Bernhard Praxmarer73 hat das verstanden und mir vom 10. bis 17. August die Teilnahme an der „Singwoche“ im Bildungshaus St. Michael oberhalb von Matrei am Brenner ermöglicht. Ich habe sie als glücklichste Woche seit der Ankunft in Österreich und als erste Begegnung mit dem „Bund Neuland“ erlebt. Die rund 80 Teilnehmer waren ungefähr zur Hälfte alte „Neuländer“ aus der Vorkriegszeit, die anderen junge Tiroler Männer und Frauen ab dem 19. Lebens71 Brief an meine Eltern vom 27.8.1947. PAB. 72 Ebenda, 27.8.1947. 73 (1912–2001) geboren in Innsbruck, Priesterweihe 1937, 1945–1956 Landesjugendseelsorger, 1957–1992 Dekan und Pfarrer in Hall in Tirol.

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jahr aus der diözesanen Jugendarbeit. Geistlicher und musikalischer Leiter war der Innsbrucker Priester und Religionsprofessor Dr. Hermann Blaßnig.74 Der Bund Neuland ist zwischen 1921 und 1923 aus Gruppen katholischer Mittelschüler und Studenten hervorgegangen, die von der deutschen Jugendbewegung angeregt worden waren.75 Er ist mit Hilfe des charismatischen Priesters Michael Pfliegler76 zu einer elitären Erneuerungsbewegung geworden, die an den Hochschulen in Konkurrenz zu den traditionellen katholischen Studentenverbindungen des Cartellverbandes (CV) trat. Er hat für Österreich ähnliches geleistet wie der „Quickborn“ durch Romano Guardini für den Katholizismus in Deutschland.77 Ich hatte Guardinis Schriften und einiges von Pfliegler in den Nachkriegsjahren mit Begeisterung gelesen. So war ich erfreut über die erste Begegnung mit Neuländern und wurde nicht enttäuscht. Sie drängten sich als Ältere und seit langer Zeit verbundene Gemeinschaft nicht vor, aber sie schufen für alle einander fremden Teilnehmer ein Klima freundschaftlicher Nähe und Offenheit. Das gemeinsame Singen von vierstimmigen Madrigalen bis zu Volksliedern78in der schönen Bergwelt haben das Gemüt in Hochstimmung versetzt. Dazu beigetragen haben die Verbundenheit im christlichen Glauben und die Mischung der Geschlechter mit leichter Mehrheit der Frauen und Mädchen in bunten Trachten und sommerlichen Dirndl-Kleidern. Die anspruchsvolle Probenarbeit wurde durch kleine Wanderungen aufgelockert und täglich mit einem Vortrag ergänzt. Durch den ersten Vortrag über „Laienbewegung“ in der Kirche habe ich Dr. Ignaz Zangerle kennengelernt, den Gründer und Leiter des Tiroler Katholischen Bildungswerkes und späteren Bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten für Tirol.79 Er war ein missionarischer Intellektueller aus dem Umkreis 74 (1911–1985) geboren in Hopfgarten in Defereggen, Theologiestudium in Innsbruck, Priesterweihe 1936, ab 1945 Religionslehrer am Bundesgymnasium Angerzellgasse in Innsbruck. Diözesanarchiv Innsbruck. 75 Vgl. Kapfhammer 1987. 76 (1891–1972). Über ihn als Dozenten und Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Wien zwischen 1935 und 1961 vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 704–712. Ausgewählte Texte und Berichte seiner Freunde bei Kapfhammer 1973. Zum zeitgeschichtlichen Rahmen vgl. Pfliegler 1923. 77 Über Guardini (1885–1968) vgl. Schmidt/Schischkoff 1978, 251; Maron 1986. 78 Aus der hervorragenden „Liedermappe für die Singwochen-Arbeit“ (Untertitel) „Singende Gemeinde“ von Felix Messerschmid und Pfarrer Joseph Ernst Mayer vom Bund Neuland. Wien 1947. 79 Nachschrift des Vortrages in meinem Notizheft „Vorträge und Aussprachen 1947/48– 1950.“ PAB.

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Ludwig von Fickers und seiner Kulturzeitschrift „Der Brenner“80. Ich verdanke diesem „großen Mentor der katholischen Erwachsenenbildung“81 viele Anregungen und Kontakte und bin ihm lebenslang verbunden gewesen82, obwohl mir sein mystischer Glaubenseifer fremd geblieben ist. Drei liturgiegeschichtliche Vorträge waren der „Symbolik der Messfeier“ gewidmet. Sie wurden vom Professor Josef Andreas Jungmann gehalten, der als Jesuit an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck Pastoraltheologie, Katechetik und Pädagogik lehrte.83 Er hat mir zwei Jahre später zu einem Arbeitsplatz in seinem Institut verholfen, das damals als einziges einen relativ reichen Bestand an pädagogischer Literatur besaß.84 Besonders gefreut hat mich die Begegnung mit zwei liebenswürdigen Frauen, die einige Jahre älter waren. Damals war meine nördlich-hochdeutsche Muttersprache im geschlossenen Tiroler oder Vorarlberger Sprachmilieu für Fremde wie Einheimische noch stärker als heute ein emotional hemmender Faktor im Umgang miteinander. So war ich auch in der Singwoche anfangs befangen und scheu. Die Kufsteiner Lehrerin Anna Weiß und die Studentin der Wiener Hochschule für Bodenkultur Maria Dengel, die aus Steeg im hintersten Lechtal stammte, haben mir herzlich unbefangen geholfen, mich zugehörig zu fühlen. Für mich ist das Singen lebenslang eine Quelle der Freude geblieben – am liebsten mehrstimmig mit Freunden und nahe der schönen Natur. So sind langjährige Freundschaften entstanden mit Briefwechsel, Besuchen und gemeinsamen Wanderungen zwischen Kaisergebirge, Karwendel, Lechtaler und Allgäuer Alpen. Auch die folgende Matreier Singwoche im August 1948 haben wir gemeinsam besucht. Danach ist Marias Elternhaus in den Ferien ein Hauptstützpunkt geworden. Für die Reisen mit dem Rad gab es aber auch hilfreiche Nebenstützpunkte für kostenlose Übernachtungen: in Toni Ungers Kloster Kufstein-Kleinholz, im Innsbrucker Kloster der Redemptoristen, bei den Franziskanern in Hall, Reutte und Berchtesgaden, in Landeck im Gasthof Schroffenstein bei der großzügigen Wirtin Dr. Anna Luchner und in der Oberinntaler Zisterzienserabtei Stams.

80 Zu Ficker vgl. Bruckmüller 2001, 121. 81 Kardinal Franz König im Grußwort zur Festschrift für Zangerle: Garnitschnig 1983, 9. 82 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 518 ff. und in diesem Buch S. 329. 83 (1889–1975). Zum Leben und Werk siehe Meyer 1989; Pissarek–Hudelist 1989. 84 Vgl. S. 101, 140, 146.

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Nach Stams bin ich durch den slovenischen Pater Dr. Bernhard Slovsa85 gekommen, der in Salzburg studiert hatte. Mit ihm habe ich vom 4. bis 10. September 1949 die Ötztaler Alpen durchquert und schöne Gipfel bestiegen: von Obergurgl über die Hochwilde (3.461 m) und den Schalfkogel (3.540 m) zum Similaun (3.606 m). Über die Finailspitze (3.513 m) ging es weiter zur Weißkugel (3.736 m). Von dort sind wir nach Vent abgestiegen und bis Zwieselstein gewandert.86 In den Osterferien 1948 bin ich noch einmal illegal zu meinen Eltern nach Berlin gereist. Die Grenze nach Bayern habe ich auf Schi von Golling aus durch das Bluntautal über das Stahlhaus am Torrenerjoch (1.736 m) überschritten mit Abfahrt zum Königssee. Die Schi wurden in Berchtesgaden bei den Franziskanern eingestellt. Die Grenze zur Sowjetzone habe ich erneut von Hendungen aus zu Fuß bis Meiningen auf bekannten Wegen passiert.87 Das war bis Weihnachten 1949 meine letzte Reise ins Elternhaus, weil ab Juli 1948 die totale Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion eingesetzt hat und jede Grenzüberschreitung in die sowjetische Besatzungszone mit „Freiheitsentzug“ bedroht war. Die Westmächte haben die Versorgung West-Berlins bis Mai 1949 durch die Luftbrücke mit insgesamt 212.621 Flügen gerettet.88 Die Rückfahrt aus Berlin über die Zonengrenze bei Marienborn/Helmstedt erfolgte mit einem Passierschein problemlos. Am 12. April habe ich im Jugendhaus Altenberg bei Köln den Prälaten Ludwig Wolker89 besucht. Er war der Geistliche Leiter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und mir seit vielen Jahren durch seine Schriften bekannt. Ich sollte auf Wunsch des Salzburger Diözesanjugendseelsorgers Wesenauer den Austausch von Jugendführern und Fortbildungsmaterial anregen und habe bei diesem urwüchsigen Bayern großes Entgegenkommen gefunden. Der Heimweg über die österreichische Grenze war ein alpines Abenteuer: vom Königssee (602 m) mit Schi im Alleingang über das Steinerne Meer zum Streichenbeil (2.410 m) mit Abfahrt zum Riemannhaus (2.136 m). Nach der Übernachtung folgte auf der aperen Südseite ein mühsamer Abstieg über steile vereiste Felshänge nach Saalfelden (744 m). 85 Bernhard Slovsa (1919–1999), geboren in Laibach als achtes Kind einer Bauernfamilie, ab 1940 Zisterzienser der Abtei Sittich (Krain), seit 1946 in Stams, 1947 Priesterweihe. Dr. theol. in Salzburg, seit 1962 Direktor des Stiftsgymnasiums, 1973–1985 Abt des Stiftes Stams. Tiroler Tageszeitung, 16.1.1999, S. 20. 86 Mein Fahrtenbuch III, 1949–1952. 87 Fahrtenbuch III; Taschenkalender 1948, 29.3.–15.4. 88 Luuk 1987, 31. 89 (1887–1955). Fellermeier 1965; M. Müller 2014, 354.

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In den Sommerferien 1948 habe ich noch vor der Tiroler Singwoche Ende Juli eine Vorarlberger Singwoche in der Zisterzienser-Abtei Mehrerau bei Bregenz besucht. Auch sie wurde von Dr. Blaßnig vorzüglich geleitet. Dort habe ich Thea Beitl aus Schruns kennengelernt, die gerade ihre Reifeprüfung bestanden hatte. Wir fanden durch Sympathie und unsere hochdeutsche Sprache unter lauter Vorarlbergern schnell zusammen: sie ist wie ich in Berlin geboren und groß geworden. Sie war die Tochter des Vorarlberger Volkskundlers und Germanisten Dr. Richard Beitl, der bis 1944 als Dozent an der Berliner Universität gelehrt hatte, und seiner Berliner Frau. Er war in jungen Jahren ein Mitarbeiter des Studentenseelsorgers Carl Sonnenschein, der wie meine auch ihre Eltern getraut hat.90 Sie hat mich in ihre Familie eingeführt und auf gemeinsamen Bergfahrten im Rätikon und der Silvretta mit dem Montafon vertraut gemacht. Ihr Elternhaus wurde ein gastlicher Stützpunkt. Die Freundschaft mit Thea und ihrem Bruder Klaus, dem späteren Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien, hat bis in unser Alter fortbestanden. Von der Vorarlberger Singwoche bin ich am 2. August 1948 mit dem Rad zum ersten Mal in zwei Tagen durch den Bregenzerwald über Hochkrumbach (1.700 m) ins oberste Lechtal zu Maria Dengel nach Steeg gefahren. Die Schönheit und Stille der Landschaft hat mich begeistert. Damals gab es dort zwischen Vorarlberg und Tirol noch keinen Durchgangsverkehr, sondern die Straße endete im winzigen Dorf Schröcken (1.270 m), das in einem wilden, einsamen Talkessel wie „am Ende der Welt“ lag. Auf der Fahrt dorthin war in Mellau das Dorf noch von der Primiz geschmückt, die der aus diesem Ort stammende Neupriester Reinold Simma am Vortag gefeiert hatte. Ich bin mit ihm ins Gespräch gekommen und daraus ist eine lebenslange Freundschaft entstanden. Simma91 war von 1949 bis 1952 Kaplan in Riezlern im Kleinen Walsertal, das mangels einer innerösterreichischen Straßenverbindung mit Vorarlberg deutsches Zollanschlussgebiet war. Er war ein Spätberufener und damals schon 44 Jahre alt. Vor seinem Theologiestudium hatte er als Zollbeamter gearbeitet. Er besaß eine genaue Kenntnis der Grenzregion zwischen Schoppernau im Bregenzerwald und dem Kleinen Walsertal sowie gute Verbindungen zu den österreichischen Zollbeamten. Dadurch ist er bis zur Wiederherstellung der Reisefreiheit für mich, meine Geschwister und Freunde ein hilfreicher Stütz90 Zur Biographie Richard Beitls (1900–1982) siehe Klaus Beitl/Strasser 2009, besonders 36 ff. 91 Geboren am 15. Juli 1905 in Mellau; Priesterweihe 25.7.1948; gestorben am 23.9.1998 in Damüls.

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punkt für schwarze Grenzübergänge über das Starzeljoch (1.868 m) zwischen dem bayerischen Oberstdorf und dem österreichischen Schoppernau geworden – zuletzt am 18. April 1950 mit meinem Freund Martin auf Schi und am 19. Juli 1950 mit meiner Mutter und meinem Bruder Rainer zu Fuß.92 Simma ist von 1952 bis zu seinem Tod im Jahre 1998 Pfarrer im Walserdorf Damüls auf 1.428 Metern Seehöhe gewesen und hat dessen Wandlung von einem armen Bergbauerndorf zu einem vielbesuchten Schizentrum sorgenvoll miterlebt. Ich durfte oft bei ihm einkehren. Ich verdanke den Gastgebern und Freunden auf den Haupt- und Nebenstützpunkten meiner vielen Ferienfahrten in den Studienjahren eine große mitmenschliche und kulturelle Bereicherung. Die ausgedehnteste und dauerhafteste Bleibe habe ich durch Vermittlung von Reinold Simma ab Weihnachten 1948 im Bregenzerwald gefunden: beim Kaplan Gebhard Willi93 und seiner Schwester Frieda in Schwarzenberg. In diesem landschaftlich schönsten Dorf mit einer damals noch weitgehend heilen traditionell-katholischen bäuerlichen Kultur auf hohem Niveau habe ich bis zum Ende meiner Studienzeit die meisten Ferienwochen verbracht. Die Kaplanei wurde zu meiner sichersten Herberge, in die ich jederzeit einkehren konnte und brüderlich versorgt wurde. Gebhard war ein Bauernsohn aus Schoppernau im gebirgigen hinteren Bregenzerwald, ein stiller, warmherziger Seelsorger, der das Vertrauen der Gemeinde und ihrer Kinder besaß. Durch ihn habe ich wie bei meinen Osttiroler Gastgebern die Familienbetriebe der letzten Generation traditionsgebundener Bergbauern von innen her kennen und schätzen gelernt. Ich habe ihn zur Messe in der Theresienkapelle im abgelegenen Weiler Ratzen und zum Religionsunterricht in der dortigen einklassigen Volksschule sowie zu Hausbesuchen im Tal und auf den „Vorsäß“ genannten Almweiden begleitet. Zwischen Juli und September 1949 war ich – mit Quartier beim Kaplan – zwei Monate als Drainagearbeiter auf Berghöfen in Schwarzenberg und Nachbardörfern beschäftigt, um für das weitere Studium Geld zu verdienen. Arbeitgeber war der Drainagemeister und Alpenwegbauunternehmer Felix Muxel aus Andelsbuch. Er hat mir bescheinigt, dass ich „ein ruhiger und fleißiger Arbeiter“ war, „welcher seiner Ausdauer und Fleiß alle Ehre machte.“94 Vom Arbeitslohn habe ich mir zuerst ein eigenes Fahrrad der Marke Steyr gekauft. 92 Brezinka: Fahrtenbuch III, 1949–1952. PAB. 93 (1913–1995). Priesterweihe 1938, Militärdienst von 1941–1945; Kaplan in Schwarzenberg 1945–1953, in Egg bis 1957; dann Pfarrer in Wolfurt. 94 Arbeitsbestätigung vom 24.9.1949. PAB.

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Die Arbeit bestand darin, sumpfige Wiesen zu entwässern. Dazu mussten mit einem Stechspaten Gräben ausgehoben werden, die im Hauptstrang 130 cm und in den Nebensträngen 110 cm tief waren. Da hinein wurden Tonrohre verlegt und die Gräben wieder zugeschüttet. Die Arbeit wurde nach Laufmetern bezahlt. Sie war für mich ungeübten Kopfarbeiter viel schwerer als für die kräftigen Baraber95 aus der Firma. Wenn man Pech hatte, stieß man auf einen großen Stein, der händisch auch gemeinsam nicht zu entfernen war, sondern gesprengt werden musste. Dazu musste mit Meißel und Hammer ein Bohrloch ausgestemmt werden. Das kostete etwa eine Stunde Zeit, die nur schlecht bezahlt wurde, und viel Kraft. Ebenso gefürchtet wie Steine waren bei den Gräben Wandeinstürze, insbesondere nach Regenfällen. Unser Mittagessen erhielten wir kostenlos in den Bauernhöfen, für die wir arbeiteten. Das Arbeitsklima war kameradschaftlich. Den Barabern wie den Bauern hat imponiert, dass ein „Studierter“ mitarbeitet und ich habe manches über die Härten des Lebens der Handarbeiter erfahren. Bis zu diesem körperlichen Beitrag zur Verbesserung der Landwirtschaft im Bregenzerwald hatte ich zwecks Gelderwerb in meiner Studienzeit wie in den Ferien nur geistig als Schriftsteller gearbeitet. Es begann 1947 mit den früher erwähnten vier Artikeln zur Lage in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Innsbrucker „Volksboten“ und im Salzburger „Ruf “.96 Es folgten zwei Glossen über „Materialismus“ und „Opium fürs Volk“ im „Volksboten“ und eine Kritik eines kommunistischen Kinderbuches in der „Salzburger Volkszeitung“. 1948 erschienen Artikel über Carl Sonnenschein und den Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877) als Sozialreformer, Reiseberichte über „Begegnung mit deutscher Jugend“ und „Schatten und Licht über Berlin“ sowie Glossen über „Klerikalismus“, „Religionsfreiheit“ und „Humanismus“ im „Volksboten“, ferner sieben Artikel im „Ruf “. 1949 folgte ein Artikel über „Adolf Kolping und sein Werk“ im „Volksboten“, einer über „Wagnis des Glaubens“ im „Ruf “ und einer über Carl Sonnenschein im „Kompaß“, der Zeitschrift des Verbandes Katholischer Pfadfinder in der Schweiz. 1950 erschien ein Artikel über die am 4. Dezember 1948 gegründete „Freie Universität Berlin“ in der „Österreichischen Furche“ und einer über das Studium an der Theologischen Fakultät Salzburg im Mitteilungsblatt der Freien 95 Das Wort „Baraber“ für schwer arbeitende Hilfs- und Bauarbeiter stammt aus dem Italienischen und gehört zur österreichischen Umgangssprache. Duden 2010, 142. 96 Vgl. S. 70, 89.

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Universität Berlin. Damit endete meine studentische Aktivität als journalistischer Anfänger, weil ich alle Zeit für meine Dissertation brauchte.

DOKTORATS-STUDIUM DER PHILOSOPHIE, PSYCHOLOGIE UND PSYCHIATRIE AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK (1949–1951) Mein Lehrer Friedrich Schneider hatte auf Einladung des Innsbrucker Professors Richard Strohal in den Sommersemestern 1948 und 1949 als Gastprofessor einen dreistündigen Lehrauftrag an der Universität Innsbruck versehen und sich mit Strohal befreundet. Dieser war Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogik und Vorstand des PhilosophischPädagogischen Seminars.97 Schneider hat mich ihm empfohlen. Ich bin am 12. Oktober 1949 von Schwarzenberg zum Studienbeginn nach Innsbruck gereist und schon am folgenden Tag von Prof. Strohal freundlich empfangen worden. Mein Ziel war das Doktorat der Philosophie mit Psychologie als Schwerpunkt und Psychiatrie und Pädagogik als Nebenfächern. Zur Pädagogik meinte Strohal, dass ich bei Schneider genügend gelernt hätte und in Innsbruck nichts mehr zu belegen und zu hören brauche. Ich solle mich bei ihm mit seinem „Psychologischen Konversatorium“ begnügen und auf eine Dissertation konzentrieren. Für diese gab er mir eine Liste mit Themenvorschlägen. Damals war es in Innsbruck möglich, als Student der Psychologie die Genehmigung zu erhalten, beim Doktoratsstudium als Nebenfach Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät zu wählen. Es gab noch keine Klinische Psychologie im Rahmen der Philosophischen Fakultät. Strohal sicherte zu, gemeinsam mit Professor Theodor Erismann, dem Vorstand des Instituts für Experimentelle Psychologie98, meinen Antrag auf Genehmigung dieser Kombination zu unterstützen. Das ermöglichte mir ein gründliches Studium der Psychopathologie, das sich wissenschaftlich wie berufspraktisch als großer Gewinn erwiesen hat.

97 Über ihn vgl. Brezinka Bd. 2, 2003, 419–432, 445–468. 98 (1883–1961). Über ihn vgl. Strohal 1962; Schmidt/Schischkoff 1969, 144; Hehlmann 1974, 122.

Dissertation

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DISSERTATION Die Wahl des Dissertationsthemas aus Strohals Vorschlagsliste ist leicht und schnell erfolgt. Schon am nächsten Tag konnte ich ihm mitteilen, dass ich „Die psychologischen Typenlehren in ihrer Bedeutung für die Jugendkunde“ gewählt habe. Ich machte mich mit Feuereifer an die Arbeit und konnte sie am 12. Januar 1951 abschließen. Meine Dissertation trug folgenden Titel: „Die Bedeutung der psychologischen Typenlehren von Kretschmer, Jung und Spranger für die Erfassung des Charakters von Jugendlichen.“ Sie umfasste 168 Seiten in Schreibmaschinenschrift und ist ungedruckt geblieben. Ihr Thema passte zu meinen jugendkundlichen Erfahrungen und Interessen. Ich konnte mich damit in das zentrale Gebiet der Psychologie der Persönlichkeit und ihrer Störungen, der Psychodiagnostik und der Psychotherapie einarbeiten. Es hatte den Vorteil, am Werk des Mediziners Ernst Kretschmer99 Einblicke in die psychophysiologische Forschung zu gewinnen und beim Kulturphilosophen Eduard Spranger100 als Gegenpol oder Ergänzung die „Geisteswissenschaftliche Psychologie und Ethik der Persönlichkeit“101 kennen zu lernen. Zur Analyse und Kritik dieser Lehren und generell zum gesamten Fach habe ich am meisten aus der imposanten „Allgemeine(n) Psychopathologie“ von Karl Jaspers102 gelernt.103 Meiner Dissertation lag folgende Fragestellung zugrunde: „Allen großen Typologien ist gemeinsam, dass sie an Erwachsenen gewonnen und auch für die charakterologische Aufhellung der erwachsenen Persönlichkeit bestimmt sind. Es erhebt sich nun die Frage: wie verhält es sich mit dem jugendlichen Menschen, mit der werdenden Persönlichkeit? Kann ich die an Erwachsenen gefundenen Typen der einzelnen Typologien bereits an Jugendlichen nachweisen? Wird diese Frage nur bedingt bejaht oder gar verneint, so erhebt sich eine zweite: Ist eine Jugendcharakterologie überhaupt möglich, d. h. besteht die Möglichkeit der Erkenntnis und begrifflichen Fassung individueller Unterschiede jugendlicher Charaktere, und wenn ja: wo lassen sich Ansätze für sie aufweisen? 99 (1888–1964). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 277. Hauptwerke: Körperbau und Charakter (von mir benutzt in der 17./18. Auflage 1944), Medizinische Psychologie (10. Auflage 1950). 100 (1882–1963). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 502; Böhm 2005, 610. 101 Untertitel seines Buches „Lebensformen“ (von mir benutzt in der 7. Auflage 1930). 102 (1883–1969). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 245. 103 Nach der 5. Auflage von 1948.

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In der vorliegenden Arbeit wird versucht, die erste der beiden Fragen zu beantworten. Ein Beitrag zur Lösung der zweiten Frage kann nur andeutungsweise gegeben werden, damit der beschränkte Rahmen einer Dissertation nicht zu sehr ausgeweitet wird.“104 Geboten wurde eine kritische Analyse der theoretischen Grundlagen, Methoden und Ergebnisse der charakterologischen Typenlehren. Dabei stand Kretschmers Konstitutionstypologie und ihre mögliche Bedeutung für die Jugendkunde im Mittelpunkt. Besonderes Gewicht wurde auf die Klärung der Grundbegriffe und deren Problematik gelegt sowie auf die Unsicherheit des bisher gewonnenen Wissens. Die Darstellung und Kritik dieses Wissens war systematisch breit differenziert und klar. Methodisch und sprachkritisch wurden strenge Maßstäbe angelegt. Der philosophische Rahmen wurde jedoch noch „in der überlieferten Seinsmetaphysik“ einer „offenen“ und weiten „christlichen Philosophie“ und ihrer ethischen Postulate gesucht.105 Dazu gehörte der Glaube: „Die richtige Auffassung von der Person kann nur haben, wer die richtige Auffassung von Gott hat.“106 Dieses religiöse Bekenntnis konnte zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über Charaktertypen nichts beitragen und war deshalb entbehrlich. Es hatte mit dem Inhalt meiner Studien nichts zu tun und wird hier nur als Beitrag zur Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit und des Autors erwähnt.

STUDIENVERLAUF UND PROMOTION Nach dem Bericht über meine Dissertation nun ein Blick auf meine Lebensbedingungen und den Studienverlauf in Tirol. Sie waren völlig anders als im Schutz des Salzburger Seminars. Ich musste mich um alles selbst kümmern, was uns dort abgenommen worden war. Die schwindenden finanziellen Mittel erforderten einen baldigen Studienabschluss. Ein billiges Zimmer war in Innsbruck nicht zu finden. Deshalb bin ich in das zehn Kilometer östlich gelegene Dorf Absam gezogen und zum Pendler geworden – meistens mit dem Fahrrad auf der Haller Straße, die damals noch relativ wenig Verkehr aufwies. Nur bei starkem Regen oder Schnee und Eis benutzte ich die Straßenbahn zwischen Hall und Innsbruck. Die Selbstversorgung mit Nahrung wurde mittags durch die Studenten-Mensa in der Univer104 Brezinka 1950, 4. 105 Ebenda, 9. 106 Ebenda, 14.

Studienverlauf und Promotion

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sität erleichtert. An den Wochenenden halfen die gastfreundlichen Kreuzschwestern mit zwei Kosttagen im Haller Mutterhaus. Am wichtigsten war ein dauerhafter Arbeitsplatz in der Universität, weil ich zwischen den ab zwölf Uhr stattfindenden philosophischen Vorlesungen und den abendlichen Kollegs in der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik in Innsbruck kein Zuhause hatte. Dabei hat mir Prof. Jungmann107 sehr geholfen. Er hat an der Theologischen Fakultät Liturgik, Katechetik und Pädagogik gelehrt. Ich habe ihn bald besucht und gebeten, die reichhaltige Bibliothek seines Katechetisch-pädagogischen Seminars benutzen zu dürfen. Da ich mich mit dem Salzburger Lizentiatszeugnis ausweisen konnte und er mit Prof. Strohal guten Kontakt hatte, hat er mir sogleich sein Vertrauen geschenkt. Ich erhielt für die Dauer meines Studiums bis zur Promotion einen Schlüssel für sein Seminar und jederzeit freien Zugang. So gewann ich in der schönen Alten Universität neben der Jesuitenkirche einen festen Platz, an dem ich fast immer allein arbeiten konnte und neben der Seminar-Bibliothek die riesige Bibliothek des Jesuiten-Kollegs mit den wichtigsten Zeitschriften in nächster Nähe hatte. Bei den Vorlesungen und Seminaren habe ich mich auf 12 bis 13 Wochenstunden beschränkt. Am meisten Eindruck hat Erismann gemacht. Er sprach wöchentlich an vier Tagen zwischen 12 und 13 Uhr im gefüllten großen Hörsaal frei, lebhaft und spannend über Philosophie von der Aufklärung bis Kant. Auch seine Seminare über „Massenpsychologie“ und „Probleme der Moralphilosophie“ waren ein Gewinn. Zur Massenpsychologie habe ich am 20. November 1950 einen Seminarvortrag über „Ansteckung und Mitleid“ beigetragen. Ich durfte als Dissertant auch an den Diskussionsabenden in seiner Privatwohnung teilnehmen und habe ihn als scharfsinnigen Denker und eine „Ehrfurcht erweckende Persönlichkeit“108 erlebt. Er war ein Pionier der induktivnaturwissenschaftlichen Psychologie auf dem Gebiet der experimentellen Wahrnehmungspsychologie und zugleich von der Unentbehrlichkeit der „verstehenden“ oder „einsichtigen Psychologie“109 für geistige Phänomene wie Denken und Wollen überzeugt. Das wurde für meine spätere Auseinandersetzung mit der „geisteswissenschaftlichen Pädagogik“ von Bedeutung. Ich habe nach seiner 1949 erfolgten Habilitation auch zu den ersten Hörern des Dozenten Wolfgang Stegmüller110gehört. Er begann mit einer „Einführung 107 Über ihn vgl. S. 93. 108 Strohal 1962, 615. 109 Vgl. Erismann 1924 und 1965, 68 ff. 110 (1923–1991). Kurzbiographie: Nida-Rümelin/Özmen 2007, 636–639; Kutschera 1991; Hinst 1992; Röd 1992.

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in die Phänomenologie“. Es folgten kritische Analysen zu Max Scheler und Martin Heidegger sowie zu „Erkenntnis und Wirklichkeit“. Mir haben damals noch die Voraussetzungen gefehlt, um sie voll verstehen zu können, aber sein kritischer Grundzug und die analytische Kraft seiner pro- und contra-Argumente haben mir imponiert. Später sind wir Freunde geworden und bis zu seinem Tod geblieben. 1969 hat er mir sein eben erschienenes Hauptwerk „Wissenschaftliche Erklärung und Begründung“111 mit Widmung geschenkt, 1989 den letzten Band seiner „Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie“. Er war mir ein Vorbild im Streben nach größtmöglicher Klarheit und nach Redlichkeit in der Unterscheidung zwischen Wissen und Glauben, Wissenschaft und Weltanschauung. Bei Strohal habe ich nur Seminare über Platons erkenntnistheoretischen Dialog „Theaitetos“ und über Jean Piagets „Psychologie der Intelligenz“ besucht; beim Psychologen Vinzenz Neubauer112 eine Vorlesung über „Die Charaktereigenschaften und ihre Diagnose“ und ein Seminar über „Grenzfragen der Psychologie und Medizin“. Mit Strohal kam ich vor allem beim „Jugendrotkreuz“ zusammen, der Jugendorganisation des Österreichischen Roten Kreuzes113. Er war der pädagogische Mentor ihres Tiroler Zweiges und hat mich schon am 18. November 1949 zu einer Sitzung der Leitung der „Helfenden Jugend“ (für Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr) mitgenommen114. Daraus hat sich eine jahrelange Zusammenarbeit bei der Ausbildung von Jugendleitern durch das Landesjugendreferat der Tiroler Landesregierung ergeben. Von größtem Nutzen für die Arbeit an meiner Dissertation und die künftige psychologische Berufspraxis waren die Lehrveranstaltungen an der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik von Prof. Hubert Urban115 und seines Vorgängers und zeitweiligen Vertreters Prof. Helmut Scharfetter116, Direktor der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hall: „Diagnostik und Behandlung von Geistesstörungen“, „Sozialpsychiatrie“ und „Kinderpsychiatrie“. Durch die persönliche Vorstellung und Befragung von Patienten im Hörsaal erhielt man ein konkretes Bild von ihren Problemen und den diagnostischen Verfahren. 111 Stegmüller 1969. 112 (1899–1983). Er war als Psychologe in der Berufsberatung des Landesarbeitsamtes Innsbruck tätig; 1936 an der Universität Wien habilitiert, seit 1963 Leiter des wissenschaftlichen Instituts der SOS-Kinderdörfer. Kürschner 1987, 3225. 113 Zu ihr vgl. Bamberger/Maier-Bruck 1966, Bd. I, 566. 114 Merkbuch 1949. PAB. 115 (1904–1997). Kurzbiographie: Kürschner 1987, 4801. 116 (1893–1979). Kurzbiographie: Kürschner.

Studienverlauf und Promotion

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Die Kinderpsychiatrie wurde unter Urbans Namen von seiner Assistentin Dr. Maria Vogl gelehrt117. Da sie für Mediziner kein Pflichtfach war, fanden sich dort nur drei Hörer ein: eine Medizinerin, die später Kinder- und Schulärztin wurde, und zwei Psychologen. Das verhalf uns zu engerem Kontakt mit den jugendlichen Patienten. Die theoretische Darstellung wurde meistens mit einer Fallstudie begonnen. Ein Gewinn waren auch die Gastvorträge auswärtiger Referenten. So bin ich am 7. November 1949 erstmals dem Wiener Professor Viktor E. Frankl118 begegnet bei einem Vortrag über „Psychophysische und ethische Probleme der Psychochirurgie“. Eine große Schwierigkeit bei der Arbeit an meiner Dissertation war der Mangel an Spezialliteratur in den Innsbrucker Bibliotheken. Deshalb habe ich ab 18. Dezember 1949 einen Monat bei meinen Eltern in Berlin verbracht und dort fast alle gesuchten Texte gefunden. Es war meine erste legale Reise mit einem Interzonen-Pass im Interzonen-Zug über die DDR-Grenze in Ludwigstadt/Probstzella. Am 19. Dezember habe ich Prof. Oswald Kroh in seiner Wohnung in Lichter­ f­elde-Ost besucht. Er war bis 1945 ordentlicher Professor für Psychologie an der Universität Berlin, ist dann wegen Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen worden und hat seit Anfang 1949 an der 1948 gegründeten Freien Universität Berlin wiederum als Professor Psychologie gelehrt.119 Er hatte zwischen 1929 und 1934 drei Ergänzungs-Bände der „Zeitschrift für Psychologie“ über „Experimentelle Beiträge zur Typenkunde“ herausgegeben. Deshalb hatte ich von ihm Ratschläge für meine Dissertation erhofft. Es gab ein langes gutes Gespräch, das aber für mich wenig ergiebig war, weil Kroh sich von der Jugend-Charakterologie längst entfernt hatte. Ich habe ihn als einen aufgeschlossenen und hilfsbereiten Gelehrten erlebt und einige Jahre später sein Buch „Revision der Erziehung“ (1952) mit Gewinn durchgearbeitet. Ich habe auch Prof. Heinrich Sesemann120 an der Pädagogischen Hochschule Berlin-Lankwitz besucht. Er hatte 1928 eine charakterologische Typenlehre der späten Kindheit auf ausdruckspsychologischer Basis veröffentlicht.121 Er hat mir ein Exemplar dieser Studie geschenkt und mich durch Hinweise auf die Problematik der von ihm gewählten Methode zur typologischen Erfassung von Kinderpersönlichkeiten bereichert. Solche Buchgeschenke waren damals 117 118 119 120 121

(1922–1998). Über sie vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 487 ff. (1905–1997). Über ihn vgl. Fabry 1973; Bruckmüller 2001, 130. (1887–1955). Über ihn ausführlich Retter 1969 und 2001. (1902–). Kurzbiographie: Kürschner 1987, 4367. Sesemann 1938 (zweite Auflage).

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besonders kostbar, weil man noch nicht kopieren konnte und alle wichtigen Quellentexte entweder kaufen oder abschreiben musste. Ich habe erst durch die Arbeit an meiner Dissertation zu verstehen begonnen, was empirische Forschung und Erfahrungswissenschaft ist. Allzu lange standen hochabstrakte und widersprüchliche philosophische Lehrmeinungen im Wege, die weitgehend totes Wissen geblieben sind. In der Pädagogik wie in vielen psychotherapeutischen Lehren überwucherten metaphysische Spekulationen, ethische Postulate und naive technologische Phantasien die empirische Kenntnis der Phänomene und ihrer kausalen Zusammenhänge. Nun sah ich in meiner religiösen Orientierung und meinem moralistischen Weltbild zunehmend ein Hindernis rationaler Erkenntnis. Zu dieser Einsicht ist es „in Einsamkeit und Freiheit“ durch Selbststudium gekommen. Von Strohal hatte ich bei der Arbeit an der Dissertation wenig Hilfe. Er war mit dem noch unvollendeten Ergebnis von 120 Seiten zufrieden und hielt es für „sehr ordentlich und eventuell sogar für druckreif “.122 Bei der Übertragung der handschriftlichen Fassung in Maschinenschrift hat mir das Salzburger Benediktinerinnen-Stift Nonnberg geholfen. Durch Vermittlung meiner alten Wohltäterin Frau Hemma Hendl O.S.B. konnte ich den Text ihrer jungen Mitschwester Frau Caritas Färber O.S.B.123 im Dezember 1950 diktieren. So ist kostenlos eine perfekte Fassung mit vielen Durchschlägen entstanden. Ich bin dazu nach Salzburg gefahren und durfte dank einer Einladung durch Regens Berg zehn Tage als Gast im Priesterseminar wohnen. Zu dieser Zeit waren aber bei der Dissertation noch rund 40 Seiten ausständig.124 Ich stand damals unter besonders starkem Zeitdruck. Prof. Schneider hatte mir am 8. November 1950 mitgeteilt, dass sein Sohn in das Kultusministerium von Rheinland-Pfalz in Mainz berufen worden sei und er einen Ersatz für die Assistentenstelle suche. „Wie weit sind Sie denn? Wann werden Sie promovieren? Lassen Sie bald etwas von sich hören!“125 Am 30. November 1950 habe ich Schneider im Salzburger Institut besucht und wurde von ihm eingeladen, ab 1. April 1951 sein Assistent zu werden. Ich hatte eigentlich nach dem langen Arbeitsdruck bis zur Promotion danach einen erholsamen Sommer mit Freunden und vielen Bergtouren geplant und ab Herbst ein bis zwei Jahre psychologisch-pädagogische Praxis. Schneider war seit 1949 neben seiner Salz122 Brief an meine Mutter vom 22.11.1950. PAB. 123 (1919–2011), geboren in Wien, Ordenseintritt 1947. Direktorium 2001/2002 der österreichischen Benediktinerkongregation, 243. 124 Brief an meine Mutter vom 17.12.1950. PAB. 125 Karte von F. Schneider an mich vom 8.11.1950. Sein Sohn ist am 31.10.1950 aus dem Institut ausgeschieden.

Studienverlauf und Promotion

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burger Tätigkeit auch Honorarprofessor mit den Rechten eines ordentlichen Professors an der Universität München. Er stellte mir in Aussicht, dort rund drei Jahre nach der Promotion für das Fach Pädagogik habilitiert zu werden. Ich hatte damals vorwiegend erziehungspraktische Interessen und viel zu starke Selbstzweifel, um an den Beruf des Hochschullehrers zu denken. Einige Jahre als Assistent bei Schneider habe ich aber gerne zugesagt, weil ich Salzburg liebte und auf diesem Posten am meisten lernen konnte. „Eine schönere Umgebung für die Arbeit kann man sich doch – außer Innsbruck – nicht wünschen.“126 Die Weihnachtsferien 1950/51 habe ich in Schwarzenberg und Steeg mit intensiver Arbeit am Schlussteil der Dissertation verbracht. Am 12. Januar 1951 wurde er beendet, gleich in Maschinenschrift übertragen und das Ganze im Dekanat eingereicht. Dann begann die Vorbereitung auf das Nebenrigorosum in Psychiatrie bei Prof. Urban. Ich hatte auf seine Empfehlung sehr gründlich das Lehrbuch von Kurt Kolle studiert und aus eigener Initiative die „Medizinische Psychologie“ von Ernst Kretschmer sowie große Teile der „Allgemeinen Psychopathologie“ von Karl Jaspers. Die Prüfung wurde am 14. Februar mit „einstimmig gut“ bestanden, aber sie „hat mich so wenig befriedigt wie keine zuvor, weil ich nie mein Wissen richtig anbringen konnte und meist Dinge gefragt wurde, die nicht zum engeren Stoff gehörten und von denen ich daher wenig wußte.“127 Der Dienstantritt in Salzburg wurde auf den 1. Juli verschoben, weil ich genügend Zeit brauchte für die Vorbereitung auf das zweistündige Hauptrigorosum. Es hatte an die Dissertation anzuknüpfen. Für diesen Teil war ich gut gerüstet. Im Hauptteil konnten aber Fragen aus dem gesamten Gebiet der Philosophie und Psychologie gestellt werden. Das erforderte in beiden Fächern sehr breite Kenntnisse methodischer, systematischer und historischer Art. Ich hatte das meiste, was ich gewusst hatte, durch die Konzentration auf meine Dissertation schon vergessen. Erismann hatte neben seiner „Allgemeinen Psychologie“ noch „Die ethischen Grundfragen“ von Theodor Lipps (3. Auflage 1912) empfohlen. Über seine bevorzugten philosophischen Themen konnte man sich aus seinem Hauptwerk „Denken und Sein“ (1950) informieren. Ich habe mich im März drei Wochen nach Schwarzenberg zurückgezogen und dort täglich acht bis zehn Stunden gelernt. Im April hat mich Marias Mutter Dominika Dengel, die Schwester der bekannten Missionsärztin Anna Den-

126 Brief an meine Mutter vom 14.1.1951. PAB. 127 Brief an meine Mutter vom 14.2.1951. PAB.

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gel128, zum ungestörten Lernen im stillen Steeg beherbergt, während Maria in Wien für ihre Staatsprüfung gelernt und als Diplom-Ingenieurin abgeschlossen hat. So bin ich ziemlich gut vorbereitet am 10. Mai zum Hauptrigorosum gegangen und habe es mit der Note „einstimmig gut“ bestanden. Prüfer waren Erismann, Strohal und als Dekan der Geograph Hans Kinzl. Ich kann mich nur noch an eine zentrale Frage von Erismann erinnern: „Was ist Sinn?“ Zwei Tage später ist am Samstag vor Pfingsten, dem 12. Mai 1951, in der Aula der Innsbrucker Universität die feierliche Promotion zum Doktor der Philosophie erfolgt. Ich war damals erst 22 Jahre alt. Ich dachte an einen Beruf, der der Praxis mit Menschen gewidmet ist, war aber „noch nicht dazu entschlossen, in der Pädagogik zu bleiben, weil ich heute meine praktischen Fähigkeiten dafür noch nicht richtig einschätzen kann. Denn die frühere Tätigkeit im Kriege bot wenig zu sagen darüber, ob ich heute noch dazu geeignet bin. Bis jetzt habe ich ja nur 4 ½ Jahre Theorie hinter mir.“129 Ich war auch unsicher, ob ich die Psychologie und Psychotherapie zum Lebensberuf wählen soll. Öffentliches Recht, Politik und Verwaltung als Arbeitsfeld haben mich in der bedrückenden politischen und wirtschaftlichen Notlage der Nachkriegs- und Besatzungszeit zunehmend mehr angezogen als lebenslang mit Kindern, Jugendlichen oder seelisch geschädigten Erwachsenen zu arbeiten. Deshalb habe ich vorsichtshalber zur Vorbereitung eines eventuellen Fach- und Berufswechsels vom Sommersemester 1951 an drei Semester Rechtswissenschaft inskribiert und bestätigen lassen130, ohne genügend Zeit zu haben, um die Vorlesungen zu besuchen und den Stoff zu erarbeiten. Zunächst bot aber Professor Schneiders Angebot den ersten und besten Einstieg in das Berufsleben. Er hat mir am 13. Mai telegraphisch gratuliert. Zwei Tage später bin ich zu einem Treffen mit ihm und Dr. Wilhelm Reinermann, dem Geschäftsführer des Katholischen Universitätsvereins als Träger des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaft, per Auto-Stopp mit sechs Wagen nach Salzburg gefahren. Ich habe meinen Dienstantritt als wissenschaftlicher Assistent für den 1. Juli zugesagt. Als Gehalt wurden 700 Schillinge monatlich plus Kosten für die Krankenkasse geboten. Das entsprach dem Gehalt eines nichtständigen Hochschulassistenten der 10. und obersten Gehaltsstufe im 128 (1892–1980). Zur Gründerin der Kongregation der Missionsärztlichen Schwestern vgl. Kleindel 1987, 72; Bruckmüller 2001, 83; Gelmi 2001, 556. 129 Brief an meinen Vater vom 13.3.1951. PAB. 130 Meldungsbuch der Rechts-und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck vom 1.3.1951 für drei bestätigte Semester bis 12.7.1952. PAB.

Mitarbeit in der Hochschulgemeinde

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Bundesdienst, das ATS 630 betrug.131 Beim Abendessen in Schneiders Wohnung haben wir die Promotion gefeiert und die künftige Zusammenarbeit besprochen.132

MITARBEIT IN DER HOCHSCHULGEMEINDE Ich bin von Salzburg nach Innsbruck gewechselt, um an einer Philosophischen Fakultät zu studieren und möglichst schnell ein staatlich anerkanntes Doktorat zu erwerben. Aus finanziellen Gründen schien es geboten, mich ganz auf das wissenschaftliche Studium zu konzentrieren. Ich bin aber bald mit der Katholischen Hochschulgemeinde, ihrem Seelsorger, dem Kapuzinerpater Dr. Heinrich Suso Braun133, und Mitgliedern der 1946 gegründeten „Katholischen Hochschuljugend Österreichs“ (KHJÖ) in Verbindung gekommen. Sie haben mich für die Mitarbeit gewonnen, obwohl ich anfangs wegen Zeitmangels und meines abgelegenen Wohnsitzes widerstrebt habe. Dazu haben drei Motive beigetragen: erstens Sehnsucht nach Gemeinschaft und Freunden; zweitens katholische Pflichttreue; drittens der Wille zum Ausgleich der vielen Wohltaten, die ich als ehemaliger Priesteramtskandidat empfangen hatte, durch engagiertes Laienapostolat. Dabei ist zeitgeschichtlich zu berücksichtigen, dass im Jahrzehnt „nach dem Ende des NS-Regimes das kirchlich-katholische Leben eine noch nie dagewesene Vitalität“ gewonnen hat. In dieser „kirchlichen Aufbruchs- und Umbruchszeit“ gab es eine „bewegte und bewegende Jugend“ voller „Begeisterung und Opferbereitschaft“ statt widerwilliger Pflichterfüllung oder religiöser Gleichgültigkeit.134 Konkret hat sich Folgendes ereignet. Ich kam in der Mensa mit zwei Geschwisterpaaren ins Gespräch, die meinen Namen durch Artikel in der Zeitschrift „Ruf “ kannten: Wolfgang und Isa Jellinek aus Gmunden in Oberösterreich und Hans und Grete Ratschiller aus Spittal an der Drau in Kärnten. Sie haben mich zu einer Tagung mit Pater Suso Braun eingeladen. Sie fand zu Semesterbeginn 131 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 1949, 7. Stück, Nr. 32, S. 60. 132 Merkbuch 1951. PAB. 133 (1904–1977). Geboren in Riedlingen (Württemberg), seit 1923 Kapuziner, 1927 Priesterweihe in Trient, ab 1928 Studium der Philosophie an der Päpstlichen Universität Gregoriana, 1932 Dr. phil., 1933–1939 Klerikermagister in Salzburg, 1943–1953 Hochschulseelsorger in Innsbruck, 1945–1975 Radioprediger im Radio Tirol des Österreichischen Rundfunks. Biographie: Sauser 2002. 134 Liebmann 2006, 324.

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2. Studienjahre in Österreich (1946–1951)

am 22. Oktober 1949 in der Absamer Wallfahrtskirche und im Gasthof Bogner statt. Diese Studentenorganisation ist aus der katholischen Jugendbewegung im Stil des „Neulands“ der Vorkriegszeit und der Jugendseelsorge des kirchlichen Widerstands gegen die Nazi-Diktatur hervorgegangen.135 Sie hat sich distanziert von den traditionellen farbentragenden katholischen Verbindungen des Cartell-Verbandes (CV) und dessen weitgehender Identifikation mit der Österreichischen Volkspartei und ihren politischen Machthabern. Deren bunte Bänder, Mützen, Fahnen, Trinkgelage und altmodische Riten wurden verachtet. Sie verstand sich als Teil der „Katholischen Aktion“ im Dienst der kirchlichen Seelsorge und Vorstufe des „Katholischen Akademikerverbandes“. Dementsprechend war sie in Gruppen nach Diözesen gegliedert, die weitgehend mit den Bundesländern identisch waren. Die oberösterreichische Gruppe „Tassilo“136 hat mich am 14. November um einen Vortrag über „Die christliche Persönlichkeit“ gebeten137. Er ist gut aufgenommen worden. Nebenbei hat sich gezeigt, dass beide Geschwisterpaare ausgezeichnete Sänger waren, die uns mit mehrstimmigen Liedern erfreut haben. Sie haben mich durch Liebenswürdigkeit und ihr musikalisches Können als Tenor-Verstärkung gewonnen und zum Eintritt in ihren Verband bewogen. Ich verdanke ihm viele glückliche Erlebnisse, langjährige Freundschaften und 1951 die erste Begegnung mit der jungen Salzburger Mittelschullehrerin Erika Schleifer, die später meine Frau geworden ist. Am Namen dieser Gemeinschaft schien mir allerdings schon damals das Merkmal „Jugend“ verfehlt zu sein: Ihre Mitglieder waren bereits erwachsen und wollten lange verbunden bleiben, während die Jugend schnell vergeht. Ich habe dort im Frühjahr 1950 einen „Arbeitskreis für christliche Staatslehre und Politik“ gegründet und geleitet. Als Grundlagen dienten die „Beiträge zu einem Wörterbuch der Politik“, die der Jesuit Oswald von Nell-Breuning 1948 herausgegeben hat. Einige Mitglieder waren mit der Gliederung der Gemeinschaft nach Diözesen und Bundesländern unzufrieden. Es begann damals auch wieder langsam der Zuzug von Studierenden aus Deutschland. Sie wollten sich keiner Gruppe anschließen, die vorwiegend auf Angehörige eines einzigen österreichischen Bistums, Landes oder auf Südtiroler konzentriert war. Ich hatte 1949 bei meinem allerersten Besuch im Zentrum der Hoch135 Sie hatte 1963 ungefähr 1.250 Mitglieder. Bamberger/Maier-Bruck 1966, Bd. I, 589. 136 Benannt nach dem bayerischen Herzog Tassilo III., der 777 das Kloster Kremsmünster gegründet und ihm einen kunstgeschichtlich berühmten Abendmahlskelch gestiftet hat. 137 Merkbuch 1949; Brief an meine Eltern vom 25.11.1949. PAB.

Mitarbeit in der Hochschulgemeinde

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schulgemeinde beim Eintritt in einen Raum selbst die unfreundliche Zurückweisung erlebt: „Hier nur für Vorarlberger!“ So haben mich meine neuen Freunde und Freundinnen gedrängt, neben den regionalen landsmannschaftlichen Gruppen eine überregionale Gemeinschaft aufzubauen. Das ist ab 16. Oktober 1950 überraschend schnell gelungen. Wir gaben ihr den Namen „Augustinus“, trafen uns jede Woche am Montagabend und unternahmen schon im November ein erfreuliches GemeinschaftsWochenende im Kloster St. Georgenberg mit 28 Teilnehmern138, darunter meine Sängerfreunde. Das gemeinsame Singen wurde so gut gepflegt, dass wir vor Weihnachten auch im Hörsaal der Nervenklinik mit Liedern für die Patienten auftreten konnten. Ich hatte im Herbst auch zwei Studenten der Geschichte für die Gruppe angeworben, mit denen ich lebenslang befreundet geblieben bin: Rainer Seberich aus Bozen139 und Ernst Baumgartner140 aus Ferlach im Kärntner Rosental. Er war Mitglied des Madrigalchors Klagenfurt und hat uns auch als sicherer Tenor-Sänger bereichert. Aus privaten Gesprächen wusste ich, wie sehr manche von uns – nicht anders als ich selbst – mit Glaubenszweifeln zu ringen hatten. Im Leben der Gruppen wie der Hochschulgemeinde insgesamt war dieses Thema jedoch tabu. Es gab bei vielen Mitgliedern einen traditionsbedingt sicheren und naiven Glauben, aber auch viel Verhalten und Sprechen „als ob“ man glaubt. Ich hielt dieses Tabu für eine Schwäche unseres Akademiker-Verbandes, wusste aber keinen Ausweg, ohne einander zu verletzen und Vertrauen zu zerstören. Da in Innsbruck der berühmte Jesuit Karl Rahner141 als Dogmatik-Professor mit großem Verständnis für die Probleme moderner Seelsorge lehrte, wollte ich ihn für einen Vortrag über Glaubenszweifel gewinnen. Ich hatte von ihm mit einigen Freunden am 25. und 26. Oktober 1950 im Katholischen Bildungswerk zwei Vorträge „Zum Dogma der leiblichen Aufnahme Mariae in den 138 Brief an meine Mutter vom 22.11.1950. PAB; Zeitweiser für 1950, 18./19.11. PAB. 139 Geboren 1931 als Sohn ausgewanderter Südtiroler in Mülheim an der Ruhr, Gymnasium in Baden-Baden und Bozen, Studium der Geschichte und Germanistik in Innsbruck, Bonn und Florenz. 1956 dort Promotion. Nach Schuldienst an der Mittelschule Bozen von 1958–1970 Amtsrat im Staatlichen Schulamt Bozen, 1970–1991 Direktor der Mittelschule Kastelruth. Autor des Standardwerkes „Südtiroler Schulgeschichte“ 2000. 140 Geboren 1929 in Klagenfurt, ab 1948 Volksschullehrer, Studium der Geschichte, Leibeserziehung und Pädagogik in Innsbruck, Promotion 1954. Lehrer für Pädagogik und Leibeserziehung an der Bundes-Lehrerbildungsanstalt Klagenfurt, von 1968–1994 Pädagogische Akademie Klagenfurt. 141 (1904–1984). Über ihn Vorgrimler 2004.

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2. Studienjahre in Österreich (1946–1951)

Himmel“ gehört, die sehr gewunden und kompliziert auf die Glaubenspflicht des Christen hinausliefen.142 Ich habe mit Rahner in seinem Wohn- und Arbeitszimmer im Innsbrucker Jesuitenkolleg ein ausgiebiges und offenes Vorgespräch geführt über die Spannung zwischen wissenschaftlicher Ausbildung und Glaubenstreue bei katholischen Akademikern. Rahner zeigte sich verständnisvoll und hat zugesagt, für unsere Gruppe am 5. März 1951 einen Vortrag über „Glaubensbegründung“ zu halten, zu dem wir öffentlich jedermann einladen durften.143 Es gab mehr Zuhörer als der Hörsaal fassen konnte, aber über den Inhalt des Vortrages mehr Enttäuschung als Begeisterung. Die Glaubensschwierigkeiten, die zur Einladung geführt hatten und Thema der Vorbesprechung waren, sind gar nicht berührt worden. Das hat auch bei aufgeschlossenen Zuhörern die Skepsis gegenüber alten und neuen Dogmen sowie der Theologie als Wissenschaft mehr verstärkt als verringert. Für mich war dies die letzte Veranstaltung, die ich für unsere Gemeinschaft vorbereitet und durchgeführt habe. Ich habe mich aus der Hochschulgemeinde zurückgezogen, um fern von Innsbruck ungestört für die strenge Schlussprüfung lernen zu können. Da kein Nachfolger zu finden war, hat sich die Gruppe „Augustinus“ aufgelöst. Pater Suso Braun hat ihr „besten Erfolg“ bescheinigt und mein „praktisches Können“ und die „wissenschaftliche Bildung“ gelobt.144 Es hat sich jedoch gezeigt, dass studentische Gemeinschaften, die weder landsmannschaftlich noch fachlich ausgerichtet sind, allzu abhängig von ihrem Leiter und bei dessen Abgang schwer zu erhalten sind.

142 Mitschrift bei Brezinka: Vorträge und Aussprachen 1947–1950. PAB. 143 Merkbuch 1951. PAB. 144 Bestätigung der Mitarbeit vom 16.11.1951. PAB.

3. ERSTE BERUFSJAHRE IM INSTITUT FÜR VERGLEICHENDE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT SALZBURG (1951–1955)

Ich hatte das seltene Glück, schon ein halbes Jahr vor dem Abschluss meines Studiums einen Arbeitsplatz angeboten zu bekommen, der meinen beruflichen Neigungen und örtlichen Vorlieben entsprach. Er war ganz an die Person meines hochgeschätzten Lehrers Professor Friedrich Schneider gebunden. Wir kannten einander bereits seit fünf Jahren. Er hatte mich von Anfang an diskret ermutigt und gefördert. Er war eine großgewachsene und selbstbewusste Autoritätsperson, die Wohlwollen ausstrahlte und Vertrauen zu wecken verstand. Leider war aber sein Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft rechtlich und finanziell eine hinfällige Einrichtung.1 Das war jedoch in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Solange es von Schneider geleitet wurde, galt es international für kurze Zeit als bedeutendstes erziehungswissenschaftliches Zentrum Österreichs. Dazu hat wesentlich beigetragen, dass Schneider dort ab 1947 seine dreisprachige „Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ (deutsch, englisch, französisch) neu herausgegeben hat. Sie war 1931 von ihm gegründet worden, wurde ihm aber in der Hitler-Diktatur nach dem 3. Jahrgang entzogen und von Nationalsozialisten in einem anderen Verlag mit leicht verändertem Titel als „Internationale Zeitschrift für Erziehung“ durch Theodor Wilhelm2 als Schriftleiter fortgeführt. Schneider hat sie im Salzburger Verlag von Otto Müller mit dem alten Namen im 4. Jahrgang wiederbelebt und unter schwierigen Umständen „die durch Nationalsozialismus und Krieg zerrissenen Fäden mit dem Ausland“ neu geknüpft. Es gab aber folgenden Unterschied. Die Vorkriegsausgabe „hatte sich nicht auf eine bestimmte weltanschauliche Richtung festgelegt“. Mit der neuen Ausgabe wollte er nach den Erfahrungen mit Diktaturen und Zweitem Weltkrieg „sich bemühen, die Welt wieder zur Religion zurückzuführen“. „So steht die Zeitschrift bei aller Wissenschaftlichkeit auf dem Boden der christlichen 1 2

Vgl. S. 81 ff. – Das Institut ist am 22.5.1947 feierlich eröffnet worden. Über Programm und erste Leistungen: Das Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft in Salzburg. Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 4. Jg., 1947/48, Heft 2, 308–310. (1906–2005). Kurzbiographie: Böhm 2005, 679; Autobiographie: Wilhelm 1976.

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3. Erste Berufsjahre im Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft Salzburg

Bildungsidee und vertritt das christliche Menschenbild“. Schneider hat erwartet, „dass die Pädagogen der Welt, die sich zu einer gleichen Haltung bekennen, helfen, die Zeitschrift zu einem internationalen Zentrum christlicher Erziehungswissenschaft zu gestalten.“3 Diese Erwartung hat sich ebenso wenig erfüllt wie das Vorhaben, sein Salzburger Institut zum internationalen Zentrum katholischer Pädagogik auszubauen. Die Zeitschrift musste 1951 nach drei Jahrgängen ohne Vorwarnung plötzlich eingestellt werden, weil sie von Anfang an defizitär war und der Verlag die hohen Kosten nicht länger tragen konnte.4 Davon abgesehen waren auch die redaktionellen Anforderungen größer als die Leistungsfähigkeit des Instituts, das nur aus Schneider und seinem Sohn bestand.5 Das Ende seiner Zeitschrift als internationales Markenzeichen des Salzburger Instituts war für Schneider ein schwerer Schlag. Es war aber nur eines von mehreren Anzeichen dafür, dass das Institut seinen Gründer nicht lange überleben wird. Schneider war neben seinem Salzburger Amt schon 1949 im Alter von 68 Jahren an der Universität München zum Honorarprofessor mit allen Rechten eines ordentlichen Professors ernannt worden. Seither war er in jeder Woche zwei Tage dort tätig. Er hat schnell einen ansehnlichen Hörerkreis mit vielen Doktoranden gewonnen. Während es in Salzburg keinen einzigen gab, sind in München 19 Dissertationen entstanden, die er betreut und als erster Gutachter angenommen hat. Im August 1952 ist Schneider nach München übersiedelt und von da an einmal wöchentlich für zwei bis drei Tage nach Salzburg gependelt. Ende September 1953 hat er auf sein Salzburger Amt verzichtet. Als ich 1951 sein Assistent wurde, konnte ich diese Entwicklung nicht vorhersehen. Schneider und seine kirchlichen Gewährsmänner haben mir den Eindruck vermittelt, in eine stabile Arbeitswelt einzutreten, in der ich dringend gebraucht werde. Letzteres war auch tatsächlich der Fall. Schneider hatte zum Nachweis der Existenzberechtigung des Instituts mehr Aufgaben übernommen, als er bewältigen konnte. Er hat täglich acht Stunden intensiv im Institut gearbeitet und mit der Genauigkeit eines preußischen Reserveoffiziers von seinem Assistenten das Gleiche gefordert. Dieser Arbeits- und Führungsstil wurde bis zur Übergabe der Geschäfte an seinen Nachfolger durchgehalten. 3 F. Schneider: Zum neuen Anfang. In: Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 4. Jg. (1947/48), 1. Heft, 5 f. 4 Schneider hat seine Rechte an das UNESCO-Institut für Pädagogik in Hamburg abgetreten. Dort ist sie ab 1955 mit neuer Zielsetzung als Organ der UNESCO fortgeführt worden. 5 Schneider 1970, 53: „Das Institut, mit anderen Worten: mein Sohn und ich …“

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Schneider begann jeden Tag um sieben Uhr mit der Messe in der Franziskanerkirche. Es folgte das Frühstück im benachbarten Cafe Tomaselli und ab 8 Uhr saß er im Institut am Schreibtisch. Abgesehen von diesem strengen zeitlichen Rahmen herrschte ein Klima wohlwollender Gelassenheit, Lebensfreude und Gesprächsbereitschaft. Ich habe mich ohne Gedanken an seinen baldigen Rückzug ganz auf meine vielen Aufgaben konzentriert und war begeistert darüber, durch seine Aufträge viel Neues lernen zu können. Ich verdanke Schneider zwei glückliche Jahre harmonischer Zusammenarbeit in zunehmender Selbständigkeit als psychologischer Erziehungsberater und Spezialist für Heil- und Sozialpädagogik. Dieses Gebiet war schon vor meinem Eintritt durch Schneiders Initiative zum Arbeits-Schwerpunkt des Instituts geworden. In der Kinder- und Jugendnot der Nachkriegszeit hat er sein Forschungsinteresse an international vergleichender Erziehungswissenschaft zurückgestellt und sich der praktischen Jugendhilfe durch Beratung von Eltern, Lehrern und Jugendämtern sowie die Ausbildung von Heimerziehern in zwei einjährigen Lehrgängen gewidmet. Als die Internationale Caritas-Konferenz 1949 erstmals Länderreferate einrichtete, ist das Gebiet der Heilpädagogik (educatio curativa) der Österreichischen Caritas zugewiesen worden. Diese hat Schneiders „Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“ als damals in Österreich einzige kirchliche pädagogische Institution auf Hochschulebene mit der Bearbeitung betraut. So ist es zu den jährlichen Internationalen Kongressen des Instituts gekommen: 1950 über „Die Jugendverwahrlosung und ihre Bekämpfung“, 1951 über „Jugendkriminalität“, 1952 über „Benachteiligte Kinder“ und 1953 über „Tiefenpsychologie und Erziehung.“6 Zu ihrer Planung, Vorbereitung, Organisation und für die Redaktion der Kongressberichte wurde ich dringend benötigt. Es kam bald zu wertvollen Kontakten mit den Referenten und Teilnehmern, aber auch mit der Österreichischen, Deutschen und Vatikanischen CaritasZentrale, den Wiener Bundesministerien für Unterricht und Soziale Verwaltung sowie den Landesjugendämtern. Diese Kongresse waren für Schneider wie für mich die festlichen Höhepunkte des Arbeitsjahres. So bin ich mit Schneiders Hilfe und unter seinem Schutz früh zu Ansehen als künftiger Heil- und Sozialpädagogiker gelangt, dessen Habilitation an der Universität Innsbruck im Jahre 1954 bevorstand. Schneiders Abgang nach München kam für mich leider zu früh, weil ich von da an mit erst 25 Jahren allein die Verantwortung für den neuen heilpädagogischen Schwerpunkt des Instituts übernehmen musste. 6

Vgl. die Kongressberichte von Schneider 1950, 1952, 1953 und 1954.

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Das hing mit dem unlösbaren Problem seiner Nachfolge zusammen. Schneiders Stellung und sein Institut waren ein Sonderfall der improvisierenden Salzburger Landes- und Kirchenpolitik der ersten Nachkriegsjahre. Es gab für das Institut weder eine öffentlich-rechtliche Grundlage noch eine reguläre Finanzierungsbasis, sondern nur unsichere persönliche Absprachen statt vertraglicher Regelungen. Das Institut war im Grunde Schneiders Privatunternehmen in halbamtlicher Verkleidung. Es konnte nur entstehen, weil der damals unerfüllbare Wunsch von Kirche, Stadt und Land nach einer Universität zusammentraf mit der zufälligen Verfügbarkeit eines pensionierten katholischen Gelehrten mit internationalem Ansehen, der ohne hohe Personalkosten als Honorarprofessor für ein Nebenfach der Theologischen Fakultät gewonnen werden konnte. Einer Nachfolge für Schneider als Lehrbeauftragter für Pädagogik an der Theologischen Fakultät stand hochschulrechtlich nichts im Wege. Das Problem war das Institut: einerseits seine ungesicherte Existenz und Finanzierung, andererseits der völlige Mangel an habilitierten Pädagogikern, die hervorragende wissenschaftliche und charakterliche Eignung mit kirchlicher Dienstbereitschaft verbinden. Auf die Habilitation konnte nicht verzichtet werden, weil sie den wissenschaftlichen Charakter des Instituts und seine Verbindung mit der staatlichen Fakultät zu beglaubigen hatte. Der Traum von einer Katholischen Universität Salzburg in kirchlicher Trägerschaft, der 1946 zur Gründung des Instituts geführt hatte, war in der kirchlichen und politischen Elite um 1952 längst ausgeträumt. Da niemand an Vergleichender Erziehungswissenschaft Interesse hatte, wäre es bei Schneiders Abgang nahegelegen, das Institut zu schließen. Es hatte jedoch durch die Um­orientierung auf den Arbeitsschwerpunkt Heilpädagogik im Dienst der Österreichischen und Internationalen Caritas genügend Bedeutung erlangt, um vom Katholischen Universitätsverein fortgeführt zu werden. Schneider hat dem Erzbischof Rohracher einen Priester des MarianistenOrdens7 als Nachfolger vorgeschlagen: den Direktor des Bischöflichen Lehrerseminars in Linz Dr. Leopold Prohaska.8 Er war weder für Allgemeine und Vergleichende Erziehungswissenschaft noch für Heilpädagogik qualifiziert. Bedingung war aber, dass er sich für das Fach Pädagogik habilitiert. Das ist mit Schneiders nachsichtiger Hilfe in einem abgekürzten Verfahren geschehen. Prohaska hat am 6. Oktober 1953 an der Theologischen Fakultät Salzburg die Lehrbefugnis als Privatdozent für „Christliche Philosophie und Pädagogik“ 7 8

Zu diesem Orden vgl. Engelbrecht 2000, 94 ff. Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 3, 2008, 80–90.

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erworben und einen unbefristeten staatlichen Lehrauftrag für „Katechetische Didaktik und spezielle Methodik“ des Religionsunterrichts erhalten. Ich habe diese Personalentscheidung aus mehreren Gründen als verfehlt eingeschätzt. Ich musste mich aber mit ihr abfinden und war um eine kollegiale Beziehung zum neuen Institutsleiter bemüht. Ich habe allerdings zur Bedingung für mein Verbleiben im Institut seine Neuorganisation gemacht.9 Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich nicht länger als Assistent des Leiters arbeite, sondern als sein Stellvertreter und fachlicher Leiter einer selbständigen „Abteilung für Heilpädagogik und Jugendkunde.“10 Das Institut wurde also in zwei Abteilungen gegliedert. Die erste Abteilung für „Theoretische Pädagogik und Vergleichende Erziehungswissenschaft“ hat Prohaska als fachlicher Leiter übernommen. Zu ihren Aufgaben gehörten die „Vorlesungen und Seminare im Rahmen der Theologischen Fakultät“, „Auslandspädagogische Bibliothek und Archiv“, „Fortbildung der Lehrerschaft aller Schulgattungen“, „Veröffentlichungen“ und „Arbeitstagungen zur Klärung pädagogischer Probleme“, „Zusammenarbeit mit der UNESCO und anderen Institutionen zur Förderung des Bildungswesens“. Ein Forschungsauftrag ist nicht vorgesehen worden. Die von mir zu leitende zweite Abteilung hatte folgende Aufgaben: „Wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Pädagogischen Psychologie“, „Jährliche Veranstaltung eines heilpädagogischen Kongresses“, „Erziehungsberatungsstelle, die Eltern, Erziehern, Ärzten und Jugendämtern zur Diagnostik und Therapie seelisch gestörter Kinder und Jugendlicher zur Verfügung steht“, „Psychologische und pädagogische Betreuung der Heilpädagogischen Station am Kinderspital in Salzburg.“11 Den vertrauensvollen und lehrreichen fachlichen Umgang mit Professor Schneider habe ich sehr entbehrt. Ähnlich bedrückend war der Verlust der schönen sonnigen Instituts-Räume am Domplatz, aus denen wir zur Festspielzeit oft die Aufführungen des „Jedermann“ erleben konnten. Sie wurden nach siebenjähriger unrechtmäßiger Besetzung durch Schneiders Institut12 dem Institut für Christliche Philosophie der Theologischen Fakultät zurückgege9

Brezinka: Vorschlag für die Neuorganisation des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaft ab 1. Oktober 1953. Typoskript. PAB. 10 Katholischer Universitätsverein Salzburg: Mitteilungen. Neue Folge, 1. Jg. (1953), Heft 4, 17. Bestätigung durch Prohaska vom 1. März 1954. PAB. So auch im „Lexikon der Pädagogik“ (Herder) ab Bd. III, 1954, VI. 11 Gedrucktes Informationsblatt vom Herbst 1953: Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft. Salzburg, Dreifaltigkeitsgasse 19. 2 Seiten, PAB. 12 Vgl. S. 81 ff.

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ben. Wir mussten am 8. Oktober 1953 in zwei düstere Räume ohne Zentralheizung in der Dreifaltigkeitsgasse 19 übersiedeln. Wir haben auch Schneiders reichhaltige Privatbibliothek entbehren müssen, die in seinem Dienstzimmer aufgestellt war und die fehlende Institutsbibliothek ersetzt hatte. Durch Schneiders Abgang verlor das Institut mit seinem bekannten Leiter und Schutzherren auch seinen einladenden äußeren Rahmen und die räumliche Nähe zu den Lehrenden und Studierenden der Fakultät. Unter diesen Umständen war es verständlich, dass Prohaska das Arbeiten in seiner behaglichen Privatwohnung an der Salzach in dem von seinem Orden betreuten Schülerheim Vincentinum (Bärengässchen 6) vorgezogen hat. Er hat sich im Institut nur selten und kurz aufgehalten. Zu seinen Pflichten, Aufgaben und Vorhaben als dessen Leiter wusste er wenig zu sagen. Er lebte geistig nicht in der wissenschaftlichen Welt, sondern in einer katholischen Subkultur schwärmerischer marianischer Frömmigkeit mit Vorliebe für eine „pneumatisch“ fundierte Sexualpädagogik.13 Er wollte eine „christliche Pädagogik auf existentieller Grundlage“14 bieten, aber dafür mangelte es an selbstkritischer philosophischer Bildung, methodologischer Reflexion, klaren Begriffen und empirischem Gehalt. So gab es mit ihm fachlich keinen Gedankenaustausch. Wir haben ihn beide gemieden, weil er bei der Unvereinbarkeit unserer Grundannahmen nicht ohne Kränkungen hätte verlaufen können. Prohaska hat mir jedoch im Institut in höflicher Distanz völlig freie Hand (und die Hauptlast der Arbeit) gelassen. So folgten auf die erfrischende Team-Arbeit mit Schneider eineinhalb Jahre in einem einsamen Ein-Mann-Institutsbetrieb mit übermäßig vielen Aufgaben. Doch zunächst ein Blick auf die glücklichen Lehrjahre bei Schneider.

WISSENSCHAFTLICHER ASSISTENT BEI PROF. FRIEDRICH SCHNEIDER (1951–1953) Ich habe die Pädagogik zuerst durch Schneider kennen gelernt und stand im empfänglichsten Lebensalter unter seinem Einfluss: drei Jahre als Student und zwei und ein Viertel Jahre als engster Mitarbeiter. Wie sah Schneiders Pädagogik aus? Wie hat sie auf mich gewirkt? Schneider15 hat mich seit meinem ersten Studienjahr zunächst als Redner und Gesprächspartner beeindruckt. Er sprach kraftvoll, selbstsicher und frei, 13 Vgl. Prohaska 1948. 14 Vgl. seine Habilitationsschrift: Prohaska 1955. 15 Über ihn vgl. Brezinka 1952 b, 1955, 1961, 1962, 2003 und Bd. 3, 2008, 64–79.

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anschaulich und interessant, überzeugt und zugkräftig. Zur Pädagogik hat er nicht über das Gymnasium und die Universität gefunden, sondern über die Volksschule und ein preußisches Lehrerseminar. 1901 wurde er im Alter von 20 Jahren Volksschullehrer und ab 1906 Seminarlehrer an katholischen Lehrerseminaren im Rheinland. Nebenberuflich hat er an der Universität Bonn Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und 1918 mit einer germanistischen Dissertation das Doktorat der Philosophie erworben. 1923 erfolgte an der Universität Köln die Habilitation für Pädagogik mit einem Buch über die „Psychologie des Lehrerberufes.“ Nach der Errichtung Pädagogischer Akademien in Preußen wurde er 1927 zum Dozenten und 1928 zum Professor für Psychologie und Pädagogik an der Pädagogischen Akademie Bonn ernannt. Sie hatte in einem zweijährigen Studiengang Volksschullehrer für katholische Bekenntnisschulen auszubilden. Für Psychologie waren 9 Pflichtstunden vorgeschrieben, für Systematische Pädagogik nur 3, für Geschichte der Pädagogik 8.16 Eine „echte eigene Systematik“ der Pädagogik war damals noch nicht vorhanden. „Interpretation der pädagogischen Klassiker und Beschreibungen der Geschichte pädagogischer Ideen und Institutionen erhoben sie noch nicht in den Rang einer selbständigen Wissenschaft.“17 Schneider hatte sich beruflich bis zu seiner Zwangspensionierung 33 Jahre lang dem Unterricht von Volksschülern und künftigen Volksschullehrern in elementarster Form und kürzester Unterrichtszeit zu widmen. Er hat autoritativ und erfolgreich eine Praktische Pädagogik gelehrt. Sie war einfach und leicht verständlich auf die Schulorganisation und die Unterrichtspraxis, auf das Wohl von Schülern und Lehrern, Familien, Kirche und Staat bezogen. Das Interesse an der Praxis von Erziehung und Unterricht, ihrer mangelhaften Realität und ihrer wünschenswerten Reform scheint das Grundmotiv seines Berufslebens gewesen zu sein. Wie jede Praktische Pädagogik war auch Schneiders Pädagogik eine Mischung aus mehr oder weniger wahren Sätzen über empirische Phänomene einerseits, normativen Sätzen über Ideale und Vorschriften, Wertungen und Willensäußerungen andererseits. Schneider war als Lehrer der Psychologie besonders an empirischem Wissen über die Erziehungswirklichkeit interessiert, die Gegenstand der beschreibenden (deskriptiven) Pädagogik ist.18 16 Stundentafel gemäß Richtlinien des Ministeriums von 1927 bei Kittel 1957, 98. 17 Kittel 1957, 123. 18 Vgl. seine Beiträge über „Deskriptive Pädagogik“, „Empirische Pädagogik“ und „Experimentelle Pädagogik“ im „Lexikon der Pädagogik der Gegenwart“. Spieler 1930, 491 f., 595 ff., 728 ff.

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Bekanntlich machen die erzieherischen Handlungen der Erzieher nur einen kleinen Teil der Einflüsse aus, die auf die zu erziehenden Personen (Educanden) einwirken. Sie zielen darauf ab, in ihnen wertvolle Eigenschaften zu fördern und schädliche zu verhindern oder abzubauen. Sie sind – abgekürzt ausgedrückt – „soziale Handlungen in Förderungsabsicht“.19 Ob und wie sie wirken, hängt von der individuellen Verfassung der Educanden und ihrer Umwelt ab. Zur Umwelt (oder zum Milieu) einer Person gehört „die Gesamtheit dessen …, was auf die Person wirkt oder von ihr erlebt wird“20 einschließlich ihrer Erzieher und deren Verhalten. Die Erziehung oder genauer das erzieherische Handeln der Erzieher ist ein Teil des Milieus der Educanden.21 Schneider hat diese bekannten Einsichten zum Anlass genommen, im Anschluss an Ernst Krieck22 dafür zu werben, neben dem üblichen „engen Begriff der Erziehung“ als absichtlicher (intentionaler) Handlung einen „weiten Begriff “ einzuführen. Er wurde „funktionale Erziehung“ genannt und hat als Inhalt alle „die innere Formung der Menschen beeinflussenden Kräfte und Dinge“23 einschließlich der „gesamten nicht-personalen formenden Einflüsse der sachlichen Umwelt, der Landschaft, des Klimas, des Raumes usw.“24 Beabsichtigt war damit, in die Verantwortung der Erzieher und die Planung des erzieherischen Handelns so weit wie möglich das Wissen über alle wesentlichen menschenformenden Einflüsse und deren Quellen einzubeziehen. Das war vernünftig und ist bereits im frühen 20. Jahrhundert durch die „Pädagogische Milieukunde“25, die „Pädagogische Soziologie“26 und die Sozialpsychologie zu leisten begonnen worden. Dazu brauchte es nicht den extrem unbestimmten Begriff der „funktionalen Erziehung“27 und die mit ihm verbundene Ausweitung der noch kaum vorhandenen Empirischen Erziehungswissenschaft zu einer Universalwissenschaft vom Werden der Persönlichkeit unter den Einflüssen von Natur, Kultur und Gesellschaft. Schneider hat eine universale „Erziehungswissenschaft“ propagiert, die aus zwei „Teildisziplinen“ bestehen sollte: „I. Theorie der funktionalen Erziehung“ 19 Vgl. Brezinka 1990, 70 ff. 20 Busemann 1927, 6. 21 Busemann 1932, 14: „ein Sektor … im Milieu“. 22 Krieck 1922, 13; 1927, 28, 49; 1930, 73. 23 F. Schneider 1948, 9; 2. Auflage 1953, 11 f. 24 Ebenda, 2. Auflage, 14. 25 Busemann 1927 und 1932; Popp 1928. 26 Weiss 1929; A. Fischer 1932. 27 Zur Kritik vgl. Brezinka 1971, 56 ff.; 1990, 65 ff. und Pädagogik in Österreich, Bd. 3, 2008, 78 f.

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und „II. Theorie der intentionalen Erziehung (Pädagogik)“.28 Sie ist infolge der grenzenlosen Vielseitigkeit des ersten Teiles eine konfuse Vision geblieben, die jedenfalls unvereinbar war mit dem Zweck und Inhalt einer Praktischen Pädagogik. Er hat trotz gewichtiger Einwände den „weiten Erziehungsbegriff “ der „funktionalen Erziehung“ lebenslang vertreten29, ohne etwas zu ihrer Theorie zu bieten. In normativer Hinsicht war Schneiders Praktische Pädagogik eine Katholische Pädagogik. Sie zeigt sich konkret am besten in seinen lebenskundlichen Büchern zur katholischen Familienerziehung30, zur Theorie und Praxis der Selbsterziehung31, zum Berufsethos der Erzieher und Lehrer32 und in seinem Besinnungsbuch für Pädagogen „Buch der Sammlung“ von 1964. Ihr religiösweltanschaulicher und moraltheologischer Hintergrund war aus einem Guss, aber unaufdringlich. Im Zentrum standen realistische Fallstudien und praktisch brauchbares psychologisches und pädagogisches Detailwissen über große Praxisfelder ohne viel wissenschaftliches Beiwerk. Hierher gehören auch zwei wertvolle schul- und kulturpolitische Sammelwerke, die Schneider herausgegeben hat: „Katholisches Kulturgut als Bildungsstoff “ (1925) und „Bildungskräfte im Katholizismus der Welt seit dem Ende des Krieges“ (1936). Seine wissenschaftliche Aufgabe hat Schneider in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft gesehen. Sie fußte auf der enzyklopädischen historischen Beschreibung der Erziehungsphänomene und der pädagogischen Lehren als Teile der Kulturen der Völker und Staaten und ihrer Beziehungen zueinander. Seine bedeutendsten Beiträge dazu waren die Bücher „Geltung und Einfluss der deutschen Pädagogik im Ausland“ (1943) und „Triebkräfte der Pädagogik der Völker“ (1947). Auf Studien- und Vortragsreisen in viele europäische Länder, durch eine Gastprofessur in den USA (1928) und Teilnahme an den Kongressen des „Weltbundes für Erneuerung der Erziehung“33 hat Schneider ein enormes Wissen über das Schulwesen und die Pädagogik des Auslandes gewonnen und ab 1931 in seiner dreisprachigen Zeitschrift verbreitet. Ich verdanke ihm eine damals ganz seltene internationale Erweiterung meines pädagogischen Horizonts. Die imponierende Breite seiner Interessen und Kenntnisse hatte aber auch eine Kehrseite. Bei der Unmenge der gesammelten 28 Schneider 1948, 39; 2. Auflage 1953, 52. 29 Vgl. Schneider 1970, 12. 30 Schneider 1935 (5. Auflage 1951) und 1937 (7. Auflage 1960). 31 Schneider 1936, 1940 und 1967. 32 Schneider 1940 und 1947. 33 Schneider 1970, 25 ff.

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Informationen ist deren kritische Prüfung, Auswahl und gründliche theoretische Verarbeitung zu kurz gekommen. Mir ist Schneiders Vorliebe für Auslandspädagogik und Vergleichende Erziehungswissenschaft als Flucht vor der konzentrierten Arbeit an einem modernen System der Allgemeinen Pädagogik erschienen. Zu ihm hat er weder als zeitgemäßer Praktischer Pädagogik noch als empirischer Erziehungswissenschaft beigetragen. Sein Hauptwerk auf diesem Arbeitsfeld war die „Einführung in die Erziehungswissenschaft“ von 1948 im Umfang von 412 Seiten. Sie enthielt nützliches Einzelwissen, war aber als System ungeordnet und oberflächlich. Es mangelte an methodologischen Grundlagen, klaren Begriffen, logischer Ordnung und empirischer Beweisführung. Begrifflich waren vor allem die Äußerungen über „funktionale Erziehung“ und „pädagogische Kräfteströme“ verwirrend.34 Methodologisch widersprachen dogmatische Bekenntnisse zum „christlichen Menschenbild als Grundlage des Erziehungsdenkens und der Erziehungswirklichkeit“35 dem wissenschaftlichen Anspruch des Buches. Jeder Mensch sei ewig, weil er als Ebenbild Gottes unsterblich sei.36 Erzieher seien „Mitarbeiter Gottes in der Verwirklichung der göttlichen Urideen.“37 „Übrigens kann das, was der Mensch ist bzw. sein soll, nur vom Christlichen her verstanden werden, und der Nichtchrist ist auch gar nicht die volle Verwirklichung dessen, was der Mensch nach Gottes Plan und Schöpfung sein soll.“38 Die Kirche sei die höchste Gemeinschaft, weil sie „in der übernatürlichen Mutterschaft … die Seelen der Gläubigen mit ihren Sakramenten und ihrer Lehre zum göttlichen Gnadenleben gebiert, ernährt und erzieht. Wegen ihres Ursprungs und ihrer Aufgabe muss die Kirche in Ausübung ihrer Erziehungsmission von jedweder irdischen Macht unabhängig sein.“39 Wer in einem Lehrbuch der Erziehungswissenschaft derartige Glaubensbekenntnisse nicht bloß ideengeschichtlich beschreibt, sondern normativ apodiktisch vertritt, zeigt, dass er zwischen Wissenschaft und Weltanschauung nicht unterscheidet. Ich habe das bedauert, weil ich Schneider mehrfach als Kritiker pädagogischer Literatur kennen und schätzen gelernt hatte, die das Prädikat „wissenschaftlich“ nicht verdient. So hat er auch in seinem Lehrbuch beklagt, dass „es innerhalb der neuen Wissenschaft an der erforderlichen Selbst34 35 36 37 38 39

Schneider 1948, 9 ff. und 50 ff. Ebenda, 63–103. Ebenda, 84 f. Ebenda, 102. Ebenda, 69. Ebenda, 104.

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kritik fehlt“ und betont, dass „ein lebendiges Qualitätsbewusstsein für die Beurteilung erziehungswissenschaftlicher Literatur geweckt werden“ müsse.40 Als Schneider mich 1952 bat, an der Neuauflage seines Lehrbuches mitzuarbeiten, habe ich vergeblich versucht, ihn für einige inhaltliche Verbesserungen zu gewinnen. Ich musste mich darauf beschränken, Literaturverzeichnis und Register zu überarbeiten.41 So hat die Vorherrschaft seines religiösen Bekenntnisses auf Kosten wissenschaftlicher Kritik und Selbstkritik meine Einschätzung seines wissenschaftlichen Ranges geschmälert. Noch stärker hat dazu sein positives Urteil über Prohaskas Schriften und dessen Folgen beigetragen. Diese fachliche Entfremdung hat unsere vertraute Beziehung aber nicht allzu sehr belastet. Er hat mich oft zum häuslichen Mittagessen eingeladen und ich habe ihn in München bis in sein spätes Alter häufig besucht. Wir haben einander unsere Publikationen geschickt und er hat mich großzügig mit den zehn Bänden der 5. Auflage des Lexikons „Der große Herder“ (1956/58) sowie der 6. Auflage des achtbändigen „Staatslexikons“ der Görresgesellschaft (1957/63) beschenkt. Wir haben bis kurz vor seinem Tod im 93. Lebensjahr am 14. März 1974 einen informativen Briefwechsel geführt. Ich habe nie vergessen, wie viel ich Schneider verdanke. Deshalb habe ich auch 1960 trotz größtem Arbeitsdruck zu seinem 80. Geburtstag eine Festschrift mit dem Titel „Weltweite Erziehung“ vorbereitet.42 Für sie konnten seine fachlich besten Freunde und Kollegen mit wertvollen Beiträgen gewonnen werden: Eduard Spranger (Tübingen), Richard Meister (Wien), Hans Asperger und Richard Strohal (Innsbruck), Martin Keilhacker, Albert Huth, Aloys Wenzl und Theoderich Kampmann (München), Ernst Lichtenstein (Münster), Josef Derbolav (Bonn), Josef Dolch (Saarbrücken), Gottfried Hausmann (Hamburg), Adolf Busemann und Leonhard Froese (Marburg), Nicholas Hans und Joseph A. Lauwerys (London), Robert Ulich (Cambridge, Mass. USA) und George Bereday (New York). Diese Menge bedeutender Gelehrter zeigt, welches Ansehen sich Schneider in der internationalen pädagogischen Fachwelt erworben hat. Er hat sich mit seinem im gleichen Jahr erschienenen Alterswerk „Vergleichende Erziehungswissenschaft. Geschichte, Forschung, Lehre“ (1981) bei mir als „seinem früheren Schüler und Assistenten, seinem jetzigen lieben Kollegen und Freund“ herzlich bedankt.43 40 Vgl. Schneider 1948, 25 ff. zum „auffallend tiefen Niveau des pädagogischen Rezensionswesens“. 41 Vgl. das Vorwort der 2. Auflage 1953, 7. 42 Vgl. Brezinka 1961. 43 Handschriftliche Widmung in Schneider 1961.

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Nun zurück zum Jahr 1951. Welche Aufgaben hatte ich als Assistent von Schneider im Institut zu erfüllen? Psychodiagnostik und Erziehungsberatung

In der Stadt und im Land Salzburg gab es bis zum Auftreten Schneiders keine Erziehungsberatungsstelle, obwohl bei Eltern, Lehrern, Jugendfürsorgerinnen und Ärzten großer Bedarf danach bestanden hat. In der Not der Nachkriegsjahre waren weder die Stadtverwaltung noch das Landesjugendamt oder die Caritas in der Lage, eine solche Einrichtung zu finanzieren. Außerdem gab es niemanden mit der nötigen psychologisch-pädagogischen Ausbildung und Erfahrung. Schneider hatte als Lehrerbildner auch Psychologie gelehrt und als erstes Buch 1922 eine „Schulpraktische Psychologie“ veröffentlicht. Es war hauptsächlich der geistigen Leistungsfähigkeit, Intelligenzprüfung und Begabtenauslese von Schülern gewidmet.44 Seine Forschung galt der Psychologie des Lehrerberufes und der Schulreform. Seit 1934 hatte er sich vorwiegend auf Familienerziehung und Elternberatung konzentriert. Daraus ist 1937 ein praktisches Buch entstanden: „Deine Kinder und Du. Dreiundachtzig Fälle falscher und richtiger Kindererziehung für die Hand der Eltern und Erzieher.“45 Schneider brachte also für die damalige Zeit gute berufliche Voraussetzungen mit, um neben Forschung und Lehre auch praktische Erziehungshilfe zu leisten. Er war ein echter Freund der Jugend, konnte gut zuhören, schnell Vertrauen gewinnen und taktvoll passend mit Kindern, Eltern und Lehrern sprechen. Er hat diese Arbeit geliebt und ihr viel Zeit gewidmet. Sie hatte neben der individuellen Hilfe auch den Zweck, das Institut bekannt zu machen und seinen öffentlichen Nutzen zu erweisen. Zu meinen Aufgaben gehörte es, die Kinder und Jugendlichen psychologisch zu begutachten und ein möglichst genaues Bild ihrer Persönlichkeit und Lebensumstände, ihrer Schwierigkeiten, deren Ursachen und Lösungsmöglichkeiten zu liefern. Das war ein komplizierter Auftrag, weil für die Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) und die Diagnose der Persönlichkeit wie der Tatbestände, die zum Wunsch nach Beratung geführt hatten, meistens ausreichende verlässliche Informationen gefehlt haben. Die Anlässe für die Beratung waren vielgestaltig. Sie reichten von Schulver44 Schneider 1922. 45 Schneider 1937; 7. Auflage 1960. Übersetzt ins Spanische, Italienische und Französische.

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sagen, Lernschwierigkeiten, Kontaktstörungen, Aggressionen, Disziplinlosigkeit, Ungehorsam, Faulheit, Lügen, Stehlen, Schulschwänzen und allen Arten der Verwahrlosung bis zu Sprachstörungen, Depressionen, Nervosität, Zwangsbewegungen (Tics), Ängstlichkeit, Bettnässen und Daumenlutschen. Dazu kamen gelegentlich noch Ansuchen um Schulreifeprüfungen, Schullaufbahnberatung, Jugendberatung, Berufsberatung und Vermittlung von Heim- und Pflegeplätzen. Es gab Kontakte mit Lehrern und Schulbehörden, Fürsorgerinnen, Jugendämtern und Erziehungsheimen, regionalen Kinderärzten und Psychiatern sowie der Heilpädagogischen Station der Wiener Universitäts-Kinderklinik und ihrem Leiter, dem Kinderarzt Dozent Dr. Hans Asperger.46 Engster Mitarbeiter bei allen Sprachstörungen war der überaus erfahrene, hilfsbereite und erfolgreiche Fachlehrer Franz Gassner der Salzburger Hilfsschule. Für Schneider wie für mich war die Erziehungsberatung eine lehrreiche, aber zeitraubende und belastende Nebentätigkeit. Es waren monatlich zwischen 15 bis 25 Fälle zu betreuen. Viele davon erforderten mehrfache Untersuchungen und zusätzliche Besprechungen mit Eltern, Lehrern, Heimleitern oder Fürsorgerinnen. In meinem ersten Dienstjahr war ich auf die Psychodiagnostik und Betreuung der Kinder beschränkt. Als Instrumente dienten neben Malen und Zeichnen hauptsächlich der Intelligenz-Test von Binet-Simon in der Fassung von Josefine Kramer47 und für die charakterologische und tiefenpsychologische Analyse der Sceno-Test von Gerdhild von Staabs48. Dieser hatte sich als fruchtbarstes Mittel für die Aufdeckung von emotionalen Beziehungsstörungen und anderen Determinanten des Verhaltens erwiesen. Es handelt sich dabei um Spielmaterial, das die szenische Gestaltung der kindlichen Erfahrungswelt ermöglicht, insbesondere biegsame Puppen von Familien mit Eltern, Kindern, Großeltern und deren personalem Umfeld. Es erlaubt spontanes Gestalten ebenso wie Bauen nach thematischen Vorgaben wie „baue Deine Familie“ oder „baue etwas Trauriges“, „etwas Lustiges“, „etwas, das zum Fürchten ist“. Das Spiel zur Gestaltung der Szenen erleichtert schon unabhängig von seinem möglichen diagnostischen Wert den Kontakt mit dem Psychologen und kann Gespräche anregen. Die Szenen wie die sprachlichen Äußerungen bedürfen natürlich der Deutungen, die meistens nur Vermutungen sein können. 46 Zu Asperger (1906–1980) vgl. Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 1, 2000, 777–793. 47 Kramer 1954. 48 Staabs 1951.

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Was ich Schneider in kurzer Zeit an diagnostischen Ergebnissen für seine Beratung der Eltern oder Lehrer liefern konnte, war – abgesehen vom relativ sicheren Resultat der Intelligenzprüfung – meistens ein sehr spärlicher Befund. Die Tests konnten längere sorgfältige Beobachtungen des gesamten Verhaltens in alltäglichen Situationen nicht ersetzen, boten aber für eine ambulante Beratung wenigstens ein Minimum an Information. Ich habe meine skeptischselbstkritische Meinung dazu erstmals am 20. Mai 1952 in Schneiders Pädagogischem Seminar an der Universität München in einem Vortrag über „Testverfahren in der Praxis der Erziehungsberatungsstelle“ begründet.49 Jeder Fall wurde miteinander besprochen, bevor Schneider den Ratsuchenden abschließende Vorschläge machte. Die Gutachten für Jugendämter, Schuldirektionen und Ärzte wurden von mir ausgearbeitet und unterschrieben. Nach meinem ersten Arbeitsjahr wurde mir im Herbst 1952 die selbständige Leitung der Erziehungsberatung anvertraut. Sie hat mir zu einer breiten Kenntnis der konkreten Realität des Kinder- und Jugendlebens in ihren unzähligen Varianten der Familien, Kindergärten, Schulen und Heime verholfen, aber auch der Belastungen, Sorgen und Fehler des Erziehungspersonals. Die gewonnenen Erkenntnisse wie die Beratungsleistungen waren jedoch aus heutiger Sicht ziemlich laienhaft, weil mir wegen anderer Aufgaben die Zeit zur Spezialisierung auf dieses Arbeitsfeld gefehlt hat. Das galt nicht nur für die wünschenswerte praktische Zuwendung zu den Einzelfällen, sondern auch für die theoretische Vertiefung in das wachsende Fachwissen über psychologische und pädagogische Diagnostik.50 Ich konnte in einer Notzeit aus Mangel an spezialisierten Fachleuten nur ein engagierter Nothelfer sein. Von Zeit zu Zeit gab es schwierige Fälle, die ambulant nicht zu klären waren und uns ratlos ließen. Sie hätten einer klinischen Beobachtung bedurft. Dazu gab es damals nur die Heilpädagogische Station an der Kinderklinik der Universität Wien. Dort mangelte es aber an Plätzen und man musste mit sehr langen Wartezeiten rechnen. Außerdem wurden die Kinder durch die weite Entfernung zu sehr von ihren Familien isoliert. Deshalb war eine ähnliche Einrichtung für das Land Salzburg unentbehrlich. Asperger hat den Vorstand des Kinderspitals des Landes-Krankenhauses Primar Dr. Gottfried Zederbauer (1904–1984) und mich dafür gewonnen, mit meiner Hilfe eine kleine Heilpädagogische Station zur Beobachtung und Behandlung seelisch gestörter Kinder einzurichten. Sie ist am 15. September 1953 mit acht bis zehn Betten eröffnet und von mir im Nebenamt psychologisch betreut worden. 49 Manuskript und Typoskript unveröffentlicht im PAB. 50 Vgl. Klauer 1978.

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Pädagogische Kongresse, Caritas Internationalis, Jugendhilfe

Gemessen am Zweck eines erziehungswissenschaftlichen Instituts war die Erziehungsberatung eine Nebensache. Sie ist nur wegen der Not der Nachkriegszeit als lokale Aushilfe eingerichtet worden. Unter normalen Umständen hätte sie so bald wie möglich an hauptberuflich tätige Spezialisten abgetreten werden müssen. Die zentralen Aufgaben des Instituts waren Forschung und Lehre in der Erziehungswissenschaft. Sie war ein Fach, das damals an den Universitäten noch sehr vernachlässigt wurde. Für die relativ wenigen Studenten der Theologischen Fakultät brauchte es kein Institut. Seine Lehraufgaben konzentrierten sich auf die berufliche Fortbildung von Lehrern und Lehrerbildnern, Kindergärtnerinnen, Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Mitarbeitern der Jugendhilfe. Da die öffentlichen Schulen durch die staatliche Lehrerfortbildung relativ gut versorgt wurden, hatte das kirchliche Institut vor allem dem Personal des damals noch umfangreichen katholischen Erziehungswesens zu dienen. Dieses war weitgehend in der außerschulischen Erziehung tätig und überwiegend weiblich: in Kindergärten, Schülerheimen, heilpädagogischen Anstalten und Einrichtungen der Jugendfürsorge und Jugendsozialarbeit. In diesen Arbeitsfeldern bestand unabhängig von kirchlicher, staatlicher oder anderer Trägerschaft der größte Bedarf und starkes Interesse an pädagogischer Weiterbildung. Für diesen bunten Personenkreis von Pädagogikern und Psychologen, Lehrern und Seelsorgern, Kindergärtnerinnen, Heimerzieherinnen, Fürsorgerinnen und Sozialarbeitern hat Schneider die ersten „Internationalen Kongresse“ des Instituts organisiert, die von mir 1954 treffender in „Internationale Werktagungen“ umbenannt worden sind.51 Ihre Eigenart lag darin, dass sie nicht primär Zusammenkünfte von Wissenschaftlern waren. Sie dienten vielmehr der Begegnung und Aussprache zwischen Wissenschaftlern, praktisch tätigen Erziehern und dem Personal der Jugendämter sowie der Kirchen-, Schul-, Sozial- und Justizverwaltung. Die Zahl der Teilnehmer stieg von rund 200 Personen aus zehn Ländern im Jahre 1950 auf mehr als 500 aus elf Nationen im Jahre 1954.52 Als Tagungsort diente zunächst der festliche Kaiser-Saal der Residenz und ab 1954 die große Aula Academica der alten Universität. Meine Aufgabe als Assistent war es, Schneider bei der Organisation zu unterstützen. Dabei war die Pflege der Kontakte zwischen Referenten, Vertretern der verschiedenen Institutionen und ihren Mitarbeitern besonders wichtig. 51 Erstmals in Brezinka 1955. 52 Schneider 1950, 5; Brezinka 1955, 8.

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Das hat mir zur Bekanntschaft mit vielen angesehenen Wissenschaftlern und Praktikern verholfen, die auf den Gebieten der Kinder- und Jugendpsychologie sowie der Heil- und Sozialpädagogik arbeiteten. Am meisten hat mich unter den Psychologen wissenschaftlich und durch seinen liebenswürdigen Umgangsstil Prof. Dr. Adolf Busemann53 aus Marburg beeindruckt. Mit dem Wiener kinderärztlichen Pionier der österreichischen Heilpädagogik Hans Asperger als treuestem Mentor der Kongresse ist es zu enger Zusammenarbeit und lebenslanger freundschaftlicher Verbindung gekommen. Aus dem Bundesministerium für Unterricht kam Unterstützung durch Dr. Agnes Niegl als Referatsleiterin für Internats- und Anstaltserziehung, sozialpädagogische Angelegenheiten und Kindergärten.54 Sie hat wie Asperger dem katholischen Bund Neuland angehört und war nach dem Krieg am Aufbau der Wiener Katholischen Hochschulgemeinde beteiligt. Ich verdanke ihr meine ersten Kontakte mit der Schulsektion des Ministeriums und mit der Dozentin Sylvia Klimpfinger55 von der Kinderpsychologischen Abteilung des Pädagogischen Seminars der Universität Wien. Schlüsselpersonen der Caritas waren der Generalsekretär der Internationalen Caritas-Konferenz in Rom Monsignore Carlo Bayer und der Leiter der Caritas der Erzdiözese Wien Prälat Leopold Ungar.56 Nach dem Ende von Schneiders internationaler Zeitschrift sind die internationalen heilpädagogischen Kongresse (neben der Herausgabe eines vierbändigen „Lexikons der Pädagogik“) wissenschaftlich wie kirchlich zum wichtigsten Leistungsnachweis seines Instituts geworden. Sie haben auch im Vatikan Anerkennung gefunden. Eine besondere Auszeichnung der heilpädagogischen Arbeit des Instituts durch die Caritas Internationalis war es, dass ich als einer von drei Österreichern zur Experten-Konferenz Katholischer Heilpädagogen des in Paris ansässigen „Bureau International Catholique de l’Enfance“ eingeladen worden bin. Sie hat vom 3. bis 6. Januar 1953 in Rom stattgefunden. Die beiden anderen Österreicher waren Dozent Asperger und der Wiener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Erwin Ringel. Er war wie Asperger Berater der Wiener Caritas und hat später den ersten österreichischen Lehrstuhl für Medizinische Psychologie erhalten.57 53 Über Busemann (1887–1967) vgl. Brezinka, Pädagogik, Bd. 2, 2003, 173 ff. und seine Salzburger Vorträge: Busemann 1953 und 1954. 54 (1913–2008). Vgl. Niegl 1950 und 1954, 68–75. 55 Über Klimpfinger (1907–1980) vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 454–462. 56 Über Ungar (1912–1992) vgl. Ackerl/Weissensteiner 1992, 496 f.; Bruckmüller, 2001, 506. 57 Über Ringel (1921–1994), der seine akademische Laufbahn als Spezialist für Selbstmord

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Höhepunkt war für unseren kleinen Kreis von rund 30 Experten eine Spezialaudienz bei Papst Pius XII., während der er auch mit mir als jüngstem Teilnehmer ein herzliches Gespräch geführt hat. Seine bescheidene Würde und warme persönliche Zuwendung haben mich gerührt. Ich habe in Rom mit Asperger und dem Schweizer Experten Prof. Eduard Montalta von der Universität Fribourg58 bei Monsignore Bayer auch den Ausbau der heilpädagogischen Arbeit in Österreich durch die Caritas beraten. Die Schweiz war Österreich auf diesem Gebiet uneinholbar weit voraus.59 Das von Montalta seit 1946 geleitete katholische „Institut für Heilpädagogik“ in Luzern unterhielt im Jahre 1954 elf Erziehungsberatungsstellen und vier Heilpädagogische Beobachtungsstationen. Es gab im 23. Jahrgang die „Heilpädagogischen Werkblätter“ als eine ausgezeichnete „Zweimonatsschrift für Heilerziehung“ heraus. Montalta war seit 1946 auch Professor an der Universität Freiburg (Schweiz) und Direktor ihres Heilpädagogischen Instituts. Es war mit einer psychologisch-psychiatrischen Poliklinik verbunden und hat heilpädagogische Diplomstudien ermöglicht.60 Im Vergleich mit diesen blühenden Instituten war Schneiders Salzburger Gründung studienrechtlich, finanziell und personell in einer aussichtslosen Lage. Diese für die österreichische Caritas wie für mich ernüchternde Einsicht hat aber nicht gehindert, meinen ersten Aufenthalt in Rom auf zehn glückliche Tage zu verlängern. Dazu verhalf mir die Gastfreundschaft der Salvatorianerinnen in ihrem Mutterhaus Salvator Mundi auf dem prachtvollen GianicoloHügel. Ich verdankte sie indirekt meiner Tante Martha (Mater Pulcheria, SDS), die als Provinzialoberin des Ordens in Belgien tätig war.61 Von früh bis spät wurden die großartigen antiken Bauten, Kirchen und Museen erkundet, oft gemeinsam mit Asperger.

und dessen Verhütung begonnen hat, vgl. Ackerl/Weissensteiner, 1992, 392; Bruckmüller 2001, 405. 58 Über Montalta (1907–1986) vgl. Brezinka: Pädagogik, Bd. 4, 2014, 911. Er war als Referent auch an den Salzburger Kongressen 1950 und 1954 beteiligt. Vgl. Montalta 1950 und 1955. 59 Zur Lage in Österreich vgl. Brezinka 1955 a. 60 Vgl. die Jahresberichte beider Institute: Heilpädagogische Werkblätter, 24. Jg., 1955, Nr. 1, 30–36. 61 Vgl. hier S. 24.

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Lexikon der Pädagogik

Mein dritter Aufgabenbereich neben Erziehungsberatung und Kongressbetreuung war die redaktionelle Mitarbeit am vierbändigen „Lexikon der Pädagogik“. Es ist zwischen 1952 und 1955 im Umfang von 2.457 Seiten im Verlag Herder in Freiburg im Breisgau erschienen. Es hatte in diesem Verlag zwei Vorläufer hoher Qualität: das vom Oberlehrer und Schulleiter Ernst Max Roloff62 zwischen 1913 und 1917 herausgegebene fünfbändige „Lexikon der Pädagogik“ und das zweibändige „Lexikon der Pädagogik der Gegenwart“, das unter der Leitung von Josef Spieler 1930/32 vom „Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik“ in Münster (Westfalen) herausgegeben worden ist. Dieses Institut ist 1922 von den Vereinen katholischer deutscher Lehrer und Lehrerinnen gegründet worden, um „eine weltanschaulich vertiefte und zugleich wissenschaftlich begründete Sicherung der katholischen Erziehungsbelange“ durch eine „katholische Pädagogik“ zu „gewährleisten“.63 Es wurde 1938 durch den nationalsozialistischen Reichserziehungsminister aufgelöst und 1946 neu gegründet.64 Das neue Lexikon wurde gemeinsam von diesem Institut in Münster und dem Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft in Salzburg herausgegeben. Es war nach dem dreibändigen Schweizer „Lexikon der Pädagogik“ des Francke-Verlages in Bern von 1950/52 das erste deutsche Werk dieser Art nach dem Zweiten Weltkrieg und pädagogisch wie verlegerisch eine große Leistung. Wissenschaftlich war es viel seriöser und bescheidener als das „Geleitwort“ seines Schriftleiters Heinrich Rombach, in dem es vage und prahlerisch hieß: „Die beiden Institute stehen mit dem weiten Kreis ihrer Mitarbeiter auf dem Boden einer bereits kraftvoll und vielseitig entwickelten Erziehungswissenschaft, die ihre philosophisch begründeten Wahrheitsgehalte im christlichen Denken gesichert weiß“.65 Realistischer war, was im zentralen Beitrag über „Erziehungswissenschaft“ stand: „Die wissenschaftstheoretischen und wissenschaftssystematischen Vorfragen des noch jungen Wissenschaftszweiges sind noch nicht so weit geklärt, dass die Erziehungswissenschaft über einen wesent62 Über Roloff (1867–1935) siehe Spieler 1932, II, 249 f. und 1954. 63 Brunnengräber 1930. Über die Aufgaben und Leistungen dieses Instituts vgl. Brunnengräber 1936, 58 f.; ausführlich M. Müller 2014. 64 Hilker 1953, 893. 65 Bd. I, 1952, V. Dieser von Rombach stammende Text war mit den Instituten nicht abgesprochen worden. Über Rombach (1923–2004) vgl. Brezinka 1967; Kürschner 2003, 2746; Neue deutsche Biographie, 22/2005; M. Müller, 2004, 380. Er war Sohn des Verlagsleiters Hans Rombach (1889–1963) und als esoterischer Philosoph fachfremd.

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lichen Bestand an allgemein anerkannten Grundeinsichten verfügt.“66 Das Salzburger Institut hatte folgende Sachgebiete zu betreuen: Religionspädagogik, Jugendpflege, Fürsorgepädagogik, Jugendrecht, Hochschulwesen, Bildungswesen der deutschen Länder, Auslandspädagogik. Die großen fachlich zentralen Gebiete waren dem Münsteraner Institut zugeteilt worden. Zu meinen Aufgaben gehörte die formale und inhaltliche Prüfung der Beiträge. Sehr häufig wurde die vorgeschriebene Länge überschritten. Deshalb mussten zunächst die Silben gezählt und Kürzungsvorschläge gemacht werden. Besonders heikel waren fremdsprachliche Beiträge zum ausländischen Schulwesen. Es gab nachträgliche Absagen von Autoren, grobe Terminüberschreitungen, qualitativ unzulängliche Texte und einige Länder, für die kein Autor gefunden werden konnte. Deshalb musste ich mehrfach ohne hinreichende Quellen und Kenntnisse unter großem Zeitdruck ersatzweise einspringen. So sind meine Beiträge über Afrika, Bulgarien und Lateinamerika entstanden.67 Insgesamt habe ich als Lückenfüller oder Ersatzmann 43 kurze Artikel zum Lexikon beigesteuert. Ich habe mit Schneider auch viele Beiträge aus jenen Fachgebieten besprochen, die vom Münsteraner Institut zu betreuen waren. So bin ich früh mit den meisten Teilgebieten des Faches und seinen internationalen Verflechtungen bekannt geworden. Die durch Schneider und die Mitarbeit am Lexikon erworbenen Kenntnisse über das ausländische Schulwesen haben dazu beigetragen, dass ich auf Wunsch Schneiders 1961 in London Gründungsmitglied der „Comparative Education Society in Europe“ geworden bin. Lehrtätigkeit

Mein vierter Arbeitsbereich hat sich ohne Auftrag von selbst ergeben: unterrichten als Hilfe für Lernwillige aus verschiedenen Berufen und als Mittel zur eigenen Fortbildung. Die Einladungen erfolgten ohne mein Zutun. Schneider war 1951 schon 70 Jahre alt und zur Hälfte in München beschäftigt. Von seinem neuen Assistenten wurde einfach erwartet, dass er über Psychologie und Pädagogik genügend weiß und es verständlich vermitteln kann. Tatsächlich musste ich mir alles, was gewünscht wurde, erst erarbeiten. Schon im Herbst 1951 wurde ich vom Direktor des Salzburger Landeskrankenhauses Prof. Erwin Domanig gebeten, den neu eingeführten Psychologie-

66 Stähler 1952, 1073. 67 Brezinka, Bd. I, 1952, 36–39; I, 580–583; Bd. III, 1954, 173–189.

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Unterricht für die Krankenschwestern zu übernehmen.68 Ich habe mit einem Kurs von wöchentlich zwei Doppelstunden für etwa 60 fertige Schwestern begonnen und dann von 1952 bis 1955 die Schülerinnen des jeweils dritten Jahrganges der Schwesternschule unterrichtet. Die meisten waren zwischen 20 und 25 Jahre alt und hatten selten mehr als Hauptschul- und hauswirtschaftliche Bildung. Nur eine einzige hatte ein Maturazeugnis. Sie waren aber intellektuell wie charakterlich eine gute Auslese, sehr lernwillig und begeisterungsfähig. Sie wohnten internatsmäßig in zwei Schwesternheimen für zwei weltanschaulich verschiedene Schwesternschaften am Rande des Krankenhauses: die einen unter weltlicher Führung der Oberin der Schwestern des Roten Kreuzes, die anderen unter geistlicher Leitung, teils als Angehörige der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul, die meisten aber als mit diesem Orden verbundene „Luisenschwestern“ im Laienstand. Für diesen gemischten Kreis von jeweils 30 bis 60 im Pflegeberuf erfahrenen Schülerinnen musste der Lehrinhalt anders aufgebaut werden als an der Universität: lebensnäher, anschaulicher und praktischer, statt von den psychischen Grundfunktionen auszugehen. Deshalb habe ich folgende Reihenfolge gewählt: Der Aufbau der Persönlichkeit, Menschenformen, Psychologie der Gemeinschaft, Seelische Konflikte, Psychologie des Berufes, Der Mensch und die Angst, Psychologie der Geschlechter, Grundfragen der seelischen Hygiene, Leib und Seele, Über die Wahrnehmung, Das Gedächtnis, Psychologie des Kindes, Psychologie des Jugendalters, Selbsterziehung.69 Das war schwieriger und bei der Vorbereitung viel zeitraubender, als nach einem elementaren Lehrbuch vorzugehen. Der Stoff war auch mangels eines diesen Themen entsprechenden Lehrbuches schwerer zu prüfen. Er hat aber bei begeisterten und dankbaren Hörerinnen großes Interesse gefunden. Der Unterricht für die Schwestern hat mir damals die meiste Freude bereitet.70 Er hatte nebenbei auch den Vorteil, dass ich dort die beste Mitarbeiterin für die Heilpädagogische Station des Kinderspitals gesucht und gefunden habe. Außerdem konnte ich auch einige gute Sängerinnen gewinnen für die wöchentlichen Treffen der Singrunde, die ich mit meinem Freund Sepp Mayr71 vom Mozarteum als musikalischem Leiter aufgebaut hatte. 68 69 70 71

Briefe an meine Mutter vom 30.11.1951, 12.2.1952, 31.3.1953. PAB. Brezinka 2008, 1–4. Brief an meinen Vater vom 15.3.1952; an meine Eltern vom 14.3.1953. PAB. (1927–2016). Er war der Bruder meines Studienfreundes Jakob Mayr (vgl. S. 72) und hat am Mozarteum Orgel und Horn studiert. Ab 1955 Mitglied des Mozarteum-Orchesters, seit 1958 erster Hornist, 1975 Hochschulprofessor.

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Die erste pädagogische Berufsgruppe, für die ab 1952 um Vorträge gebeten wurde, waren die Kindergärtnerinnen. Der Landesschulrat für Salzburg hatte für den Mai 1952 eine „1. Fortbildungswoche der Kindergärtnerinnen des Bundeslandes und der Erzdiözese Salzburg“ geplant und Prof. Schneider zur Mitwirkung eingeladen. Da dieser durch andere Aufgaben verhindert war, hat er den Landesschulinspektor Dr. Matthias Laireiter an mich verwiesen. So wurde ich „in Vertretung des Herrn Prof. Schneider“ um ein Referat „ersucht“.72 Ich habe in der festlichen Kleinen Aula des Studiengebäudes am 29. Mai 1952 zu rund 150 Kindergärtnerinnen über „Seelische Fehlhaltungen im Kleinkindalter“ gesprochen. Unter den Zuhörern waren auch Dozent Asperger und die Referentin für das Kindergartenwesen im Bundesministerium für Unterricht Dr. Agnes Niegl. Der Vortrag wurde begeistert aufgenommen, als bester der Woche gerühmt und noch im gleichen Jahr in der österreichischen „Fachzeitschrift für Kindergärten, Horte und Heime“ („Unsere Kinder“) veröffentlicht.73 So bin ich schlagartig in der unteren pädagogischen Fachwelt bekannt geworden. Dr. Niegl hat mich als zugkräftigen Referenten entdeckt und in den folgenden Jahren bei vielen Fortbildungsveranstaltungen des Bundes und der Länder zwischen Wien und Vorarlberg erfolgreich eingesetzt. Noch im gleichen Jahr wurden die Volksschullehrer auf mich aufmerksam. Den Anfang machte die Katholische Erziehergemeinschaft in Bayern. Für sie habe ich im Juli 1952 erstmals bei einer Pädagogischen Ferienwoche in der Benediktiner-Abtei Schweiklberg bei Passau zwei Vorträge über folgende Themen gehalten: „Der gegenwärtige Erziehungsnotstand und die Schule“ und „Erziehungsberatung in der Schule“. Der erste ist schon 1952 in der Zeitschrift „Pädagogische Welt“ des Verlags Auer in Donauwörth erschienen74, die in Süddeutschland weit verbreitet war. Mit ihrem Mentor Ferdinand Kopp, einem vorbildlichen Experten Praktischer Volksschulpädagogik, bin ich bald in enge Verbindung als Mitarbeiter gekommen. Ab Herbst 1952 wurde ich vom Direktor der Salzburger Bundes-Lehrerbildungsanstalt Dr. Ferdinand Prillinger viermal zu gemeinsamen „Pädagogischen Tagen“ seiner Anstalt und der Lehrerinnenbildungsanstalt eingeladen. Sie dienten den beiden Abschlussjahrgängen zur Einführung in aktuelle Spezialgebiete, für deren Behandlung im normalen Unterricht Zeit und Lehrkompetenz fehlten. Dazu gehörten die heilpädagogischen Themen „Mindersinnigkeit und Sinnesschwäche“ und „Psychologie und Pädagogik der Schwachsinnigen“. An 72 Brief Laireiters vom 5.3.1952 an Brezinka. PAB. 73 Brezinka 1952. 74 Brezinka 1952 a.

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zwei sozialpädagogischen Tagen wurden „Jugendverwahrlosung und ihre Bekämpfung“ und „Probleme der außerschulischen Jugenderziehung“ behandelt. Das Interesse und der Lerneifer der jungen Männer und Frauen, die im Alter von 19 Jahren kurz vor dem Berufseintritt standen, waren hervorragend.75 Die gleiche Freude erlebte ich Anfang 1953 bei der „Ersten Berufsschultagung des Landesschulrats für Salzburg“ mit zwei Vorträgen „Zur Psychologie des werktätigen Jugendlichen der Gegenwart“. Zu ihr hatte der Landesschulinspektor für das gewerbliche Berufsschulwesen Dipl. Ing. Anton Sobota eingeladen, der bald meine beste Stütze in der Salzburger Schulverwaltung wurde. Neben Kindergärtnerinnen und Lehrern waren auch Elternvereine und Mitarbeiter der Jugendhilfe, Jugendverbandsarbeit und Erwachsenenbildung an Vorträgen interessiert. Den Anfang machte im Februar 1953 das Landesjugendreferat des Amtes der Tiroler Landesregierung mit einem Seminar zur Ausbildung von Jugendführern mit 70 Teilnehmern in Innsbruck. Ich habe dort über „Die außerschulische Jugenderziehung: ihre gegenwärtige Situation und ihre Aufgaben“ gesprochen. Im März folgte der Landesschulrat für Salzburg mit einer Pflichtveranstaltung zur Fortbildung sämtlicher Lehrer der Stadt Salzburg „Zur Frage der außerschulischen Jugendbetreuung“. Wegen der großen Menge der Teilnehmer musste sie auf drei Tage verteilt werden: ein Tag für die Lehrer der Volksund Hauptschulen links der Salzach, einer für jene rechts der Salzach und einer für die Lehrkräfte der Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Interesse und gute Mitarbeit bei den Pflichtschullehrern, eher pädagogisches Desinteresse und Missmut über den Zwang zur Teilnahme bei den Mittelschulprofessoren. Durch diese intensive Lehrtätigkeit wurde nicht nur ich als Pädagogiker bekannt, sondern für viele Zuhörer erstmals auch unser Institut in seiner Bedeutung für die Erziehungspraktiker. Sie hat meine Fach-, Welt- und Menschenkenntnis sehr erweitert und mir durch breite Anerkennung und Ermutigung viel Freude gemacht. Insgesamt ist aber die Last der übernommenen Pflichten zu schwer geworden, um sie auf Dauer tragen zu können und daneben noch Zeit und Kraft für die Habilitation aufzubringen.

75 Vier Dankschreiben des Direktors Hofrat Prillinger vom 14. und 25.10., 7. und 21.11. 1952. PAB.

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ABTEILUNGSLEITER FÜR HEILPÄDAGOGIK UND JUGENDKUNDE (1953–1955) Diese Lebensperiode war beruflich besonders erfolgreich, aber aufreibend bis zur Erschöpfung. Ich wusste seit dem Sommer 1952, dass Prof. Strohal plante, an der Universität Innsbruck meine Habilitation zum Privatdozenten für Pädagogik vorzubereiten.76 Er war besorgt darüber, dass es an den damals drei österreichischen Universitäten seit Jahrzehnten keinen Nachwuchs für dieses Fach gegeben hat.77 Für mich war sein Vorhaben eine überraschende Auszeichnung und eine große Chance. Sie konnte aber nur genutzt werden, wenn mir genügend Zeit und Kraft blieb für die Arbeit an einer Habilitationsschrift. Bei voller Konzentration darauf wäre mindestens ein Jahr Studienurlaub notwendig gewesen. Das vertrug sich jedoch nicht mit dem von Schneider begonnenen Ausbau der Heilpädagogik zum neuen Schwerpunkt des Instituts. Von seinem Erfolg hingen dessen Förderungswürdigkeit, Finanzierung und dauerhafte Erhaltung ab. Dank Schneiders Autorität und meiner heilpädagogischen Leistungen hatten sich das Ansehen des Instituts auf diesem Gebiet und die Nachfrage nach seinen Diensten im Land Salzburg und bei der Caritas erhöht. Damit waren Belastungen vorauszusehen, deren Ausmaß und Folgen ich unterschätzt habe. Bei Schneiders Abgang nach München am 30. September 1953 wäre es unter Berücksichtigung aller Umstände auch für mich vernünftig gewesen, das Institut zu verlassen und mich ganz auf die Habilitation zu konzentrieren. Das habe ich versäumt, weil ich damals meine berufliche Zukunft noch in der Spezialisierung auf heil- und sozialpädagogische Arbeit gesehen habe. Ich hatte nie den Beruf eines Universitätsprofessors angestrebt. Ich wollte praktisch wirken und dachte nicht an Forschung als Berufsaufgabe. Ich wollte auch nie Schullehrer werden. Da mir die Schulpraxis fehlte, erschien auch Lehrerbildung an einer Lehrerbildungsanstalt als Beruf ausgeschlossen. An eine Professur für Pädagogik an der Universität war schon deswegen nicht zu denken, weil es damals in Österreich nur einen einzigen Lehrstuhl für dieses Fach gegeben hat. Er diente hauptsächlich der Ausbildung von Mittelschullehrern. Deshalb wurde von der Universität wie vom Ministerium in der Regel gewünscht, dass sein Inhaber sich in langjähriger Schulpraxis an Gymnasien bewährt hat. 76 Brief an meine Mutter vom 18.6.1952. PAB. 77 Vgl. Brezinka 1995 a; Pädagogik, Bd. 1, 2000, 124 ff., 436 ff.

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Ich hatte nicht den Lehrberuf, sondern die Psychologie gewählt. Aus diesen beruflichen Überlegungen gehörte ich 1953 auch zu den Gründungsmitgliedern des „Berufsverbandes österreichischer Psychologen“.78 So habe ich mich nach Schneiders resigniertem Abgang in übermäßige Arbeit für den heilpädagogischen Ausbau des Instituts gestürzt. Dazu angespornt wurde ich auch durch die eindringliche Bitte Aspergers und anderer Experten, das begonnene heilpädagogische Werk nicht im Stich zu lassen. Dieses „Werk“ steckte jedoch im engen und brüchigen Rahmen eines privaten Instituts, das vom Katholischen Universitätsverein nur widerwillig getragen und miserabel finanziert wurde. Es war für den Verein ein wertlos gewordenes Überbleibsel des gescheiterten Projektes einer Katholischen Universität. Schneider hatte das sinkende Schiff rechtzeitig verlassen. Ich aber habe mich unberaten blenden lassen von der ermutigenden Aufbruchsstimmung, die durch meine heilpädagogische Arbeit entstanden war. Beigetragen hat dazu die gewonnene Selbständigkeit als Abteilungsleiter für Heilpädagogik und damit auch verantwortlich für die künftigen Kongresse. Erziehungsberatungsstelle und Heilpädagogische Station im Kinderspital (1953/54)

Prof. Schneider hatte sich jahrelang vergeblich um Subventionen für das Institut durch die Stadt, das Land und das Bundesministerium für Unterricht bemüht. Schon der unpassende Name des Instituts hatte auf Politiker und Beamte hemmend gewirkt. Die Caritas hat nur die heilpädagogischen Kongresse finanziell unterstützt. Nach Schneiders Abgang hatte ich ab September 1953 schwierige politische und organisatorische Aufgaben. Erstens musste die finanzielle Förderung der heilpädagogischen Arbeit des Instituts durch öffentliche Geldmittel dauerhaft erreicht werden. Zweitens mussten in der Regierungskoalition von Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Sozialistischer Partei Österreichs (SPÖ) die unterschiedlichen Praktiken, Ansichten und Pläne auf dem Gebiet der staatlichen Jugendhilfe und Heilerziehung im Verhältnis zu denen der kirchlichen und anderen freien Träger geklärt und möglichst konfliktarm aufeinander abgestimmt werden. Das Schulwesen gehörte auf Bundesebene wie auch im Land Salzburg zur schwarzen „Reichshälfte“, das Sozial- und Fürsorgewesen einschließlich Jugendhilfe zur roten. Als ÖVP-Vertreter arbeitete neben dem Landeshauptmann 78 Mitgliedsausweis Nr. 81 vom 1.1.1954. PAB.

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Dr. Josef Klaus79 der Landesschulinspektor Dr. Matthias Laireiter, als SPÖVertreter von 1949 bis 1969 der Landesrat Josef (Sepp) Weißkind80. Die Einrichtungen der Jugendhilfe, der Heim- und Heilerziehung samt den Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen, Fürsorgerinnen und Heimerzieher waren damals noch weitgehend in kirchlicher Hand und damit ÖVP-nahe. Sie galten für die Sozialisten personalpolitisch als wichtiges Aktionsfeld, um Einfluss auf die außerschulische Erziehung zu gewinnen. Deshalb wurde die Subvention der „schwarzen“ Erziehungsberatungsstelle von Weißkind zunächst abgelehnt. Daraufhin hat mich Landeshauptmann Klaus am 27. November 1953 überraschend zur entscheidenden Sitzung des Finanzausschusses in den Landtag rufen lassen, um ihm den Nutzen dieser Einrichtung zu erläutern.81 Noch am Abend des gleichen Tages hat er mir berichtet, dass der Heilpädagogischen Abteilung für 1954 erstmals eine Subvention von 12.500 Schillingen (ATS) gewidmet worden ist. Im Mai 1954 folgte die Stadt Salzburg mit 3.000 Schillingen, im September nach dem gut besuchten Kongress der Landesfremdenverkehrsförderungsfonds mit 6.000 Schillingen.82 Das waren große Erfolge. Sie haben es unter anderem ermöglicht, zeitweilig eine Fürsorgerin anzustellen, die sowohl für die Erziehungsberatungsstelle des Instituts als auch für die Heilpädagogische Station des Kinderspitals gearbeitet hat. Diese Station wurde von mir auf Wunsch des Primars der Kinderklinik des Salzburger Landeskrankenhauses Dr. Gottfried Zederbauer in Verbindung mit dem Landesschulinspektor Dr. Matthias Laireiter und dem Direktor der Hilfsschule Gottfried Wagner vorbereitet. Das Ergebnis wurde in einer vierseitigen Denkschrift vom 10. Juni 1953 über „Aufbau und Organisation einer Heilpädagogischen Beobachtungsstation für Klein- und Schulkinder in Salzburg“ zusammengefasst83, die im medizinischen und heilpädagogischen Bereich breite Zustimmung fand, aber mit dem Landesjugendamt nicht abgestimmt war. Die Station hat vom 15. September 1953 bis zum 15. Juli 1954 für insgesamt 60 Kinder mit durchschnittlich vierwöchigem Aufenthalt gute Arbeit geleistet. Meine Teilnahme an ihrer Gründung und die vorläufige nebenberufliche Übernahme ihrer psychologisch-heilpädagogischen Leitung war jedoch 79 80 81 82

(1910–2001). Biographie: Weinzierl 1983; Weinmann 2000. Über ihn vgl. Bauer/Hoffmann/Kubek 2013, 248 ff. Brezinka, privates Merkbuch 1953, Eintrag vom 27.11. PAB. Abrechnung der Heilpädagogischen Abteilung des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaft 1.1.1954–3.3.1955. PAB. 83 Maschinengeschriebener Durchschlag im PAB.

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ein schwerer Fehler. Er entsprang einer Mischung aus politischer Ahnungslosigkeit, kurzsichtigem Perfektionismus und Selbstüberschätzung. Politisch ahnungslos war ich darüber, welche große Rolle der damalige Streit zwischen Kinderärzten und Psychiatern gespielt hat. Er ging um die Frage, wer für die Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen zuständig ist. An der maßgebenden Medizinischen Fakultät der Universität Wien erfolgte er zwischen dem Kinderarzt Hans Asperger – damals noch Assistent und Privatdozent – als Leiter der seit 1911 bestehenden „Heilpädagogischen Station“ der Kinderklinik84 und dem mächtigen Professor Hans Hoff85 als Vorstand der Klinik für Psychiatrie und Neurologie. Dieser hat dort 1951 eine Station für Kinder- und Jugendlichenneuropsychiatrie als modernen Gegenpol zu Aspergers psychologisch veralteter Station eröffnet. Beide erstrebten auch in den Landeskrankenhäusern und Landesjugendämtern ein Monopol für ihr Fach, ihre Anhänger und Schüler. Asperger wollte im Land Salzburg – wie schon früher im sozialistisch regierten Kärnten86 – seine Arbeitsrichtung durchsetzen und hat dazu bei Primar Zederbauer und mir im Kinderspital die Einrichtung einer Heilpädagogischen Station nach seinem Wiener Muster angeregt. Es ging ihm nicht – wie Schneider und ich annahmen – um die Stärkung unseres Instituts, sondern darum, auf dem Umweg über diese ÖVP-nahe Einrichtung die Zustimmung der ÖVP zu einer auf seiner Linie arbeitenden Beobachtungsstation zu gewinnen. Nach der gegebenen politischen Machtverteilung war sie aber im Landeskrankenhaus nicht zu halten, sondern wurde 1955 außerhalb als selbständige Einrichtung für das sozialistisch beherrschte Landesjugendamt neu gegründet.87 Dieser Ausgang unseres kurzsichtigen Unternehmens war sachlich die einzig vernünftige Lösung. Sie hatte aber ungeplant zwei Jahrzehnte lang sehr nachteilige Folgen für die Jugendhilfe im Land Salzburg durch eine von Asperger verschuldete kinderärztliche Fehlbesetzung der leitenden Stelle88. Mir hat damals leider der Einblick in diese medizin- und parteipolitischen Hintergründe gefehlt. Ich war zu sehr von einem unrealistischen Streben nach schneller Vervollkommnung der spärlichen heilpädagogischen Einrichtungen im Land Salzburg beseelt. Aus Kenntnis der Grenzen ambulanter Erziehungsberatung und des Schweizer Vorbildes sollte so rasch wie möglich eine statio84 Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 770 und 777 ff. 85 (1897–1969). Über ihn Spiel 1991, 211 ff.; Bruckmüller 2001, 208. 86 Mit seinem Schüler Franz Wurst (1920–2008). Biographie bei Brezinka, Bd. 1, 2000, 793 f. 87 Vgl. Bauer/Hoffmann/Kubek 2013, 250 ff. 88 Ebenda, 203 ff.

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näre Ergänzung geschaffen werden. Das lag auch in meinem eigenen Interesse, weil ich für den Beruf als heilpädagogisch arbeitender Psychologe klinische psychologische Praxis im Kontakt mit Medizinern gebraucht habe. Der Krankenhausdirektor Prof. Domanig und die Schwesternschaft des Roten Kreuzes wurden dafür gewonnen, eine geeignete junge Schwester für etwa zwei Monate an die Wiener Kinderklinik zu schicken, um an Aspergers Heilpädagogischer Station deren Praxis kennen zu lernen. Ich hatte dafür auf Grund meiner Personalkenntnis aus dem Psychologieunterricht die kluge, tüchtige und warmherzige Schwester Dagmar Sandhöfner89 vorgeschlagen. Sie ist allerdings enttäuscht aus Wien zurückgekehrt, weil dort nach ihrem Eindruck Massenabfertigung der Kinder in kasernenmäßigem Stil mit primär körperlicher Diagnostik zum Zweck ihrer Verteilung auf verschiedene Pflegeplätze im Vordergrund stand statt psychologisch-pädagogischer Einzelfallhilfe in freundlich-zuwendender Atmosphäre. In unserer kleinen Salzburger Station haben wir mit Erfolg das Gegenideal angestrebt: gründliche Psychodiagnostik und individualitätsspezifische Erziehungshilfe nach der Regel: „Die Kinder sollen es bei uns fein haben!“ Die Stationsschwester Dagmar hat dafür wie eine gute Mutter gesorgt, unterstützt von der vorzüglichen Krankenhauslehrerin Nindl und mir. Ich hatte von Montag bis Freitag nach meiner Institutsarbeit fast täglich am späten Nachmittag oder frühen Abend für etwa zwei Stunden Kontakt mit den Kindern und wöchentlich einmal eine Besprechung mit Primar Zederbauer und den Mitarbeitern als Grundlage für die Gutachten. Diese wurden hauptsächlich für das LandesJugendamt, das Stadt-Jugendamt und die Bezirks-Jugendämter erstellt,90 aber auch für die ärztlichen Mitarbeiter der Erziehungsberatungsstelle, die Kinderärztin Dr. Frida Braun und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ernst Hesse. Ich habe diese Arbeit bei den Kindern gern gemacht und viel aus ihr gelernt. Die Station mit den beiden liebenswürdigen Mitarbeiterinnen und dem dankbaren Primar im vertrauten Umfeld der vielen aus dem Psychologie-Unterricht bekannten Schwestern des Krankenhauses war im Kontrast zum düsteren Institut und seiner unsicheren Zukunft eine Insel der Geborgenheit. Mein Vorge89 (1930–2011), später verheiratet mit Dr. med. Karlheinz Antretter. 90 In den Monaten März bis Mai 1954 waren es z. B. allein für die Jugendämter 13 Gutachten. Privater Kalender 1954. PAB. Dazu kamen noch Gutachten für Ärzte und Schuldirektionen. In einem Dankbrief vom Oberstudiendirektor Dr. Schaller der JugenddorfChristophorus-Schule in Berchtesgaden vom 29.10.1953 hieß es: „Ich wollte, wir hätten für jeden Jungen, der aus erzieherischen Gründen zu uns gebracht wird, ein so offenes und von warmer Anteilnahme getragenes Gutachten.“ PAB.

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setzter Prohaska kam höchstens alle zwei Wochen einmal für eine Viertelstunde in sein Institut.91 Es war aber im Rückblick eine unbegreifliche Überschätzung meiner Kraft, diese freiwillige Nebentätigkeit im Kinderspital übernommen zu haben. Schon die Belastung durch die Erziehungsberatungsstelle war zu groß. Im ersten Halbjahr ab September 1953 sind dort monatlich rund 17 neue Fälle von mir betreut worden, insgesamt 105 Kinder.92 Dazu kam mit Unterstützung durch den Landesschulrat die Einrichtung einer neuen Vortragsreihe des Instituts für Eltern, Lehrer und andere Erzieher in der Kleinen Aula. Ich habe sie am 16. Dezember 1953 mit einem Vortrag über „Wege der Hilfe für das schwierige Kind“ eröffnet.93 Außerdem musste für 1954 der nächste Kongress vorbereitet werden. All das war nachteilig für die Vorbereitung auf meine Habilitation. Habilitation für Pädagogik an der Universität Innsbruck (1954)

Mit dem Wort „Habilitation“ ist der Erwerb der Lehrbefugnis als Dozent an einer Hochschule gemeint. Zum Habilitationsverfahren gehörten die Begutachtung einer Habilitationsschrift und der sonstigen wissenschaftlichen Leistungen, eine Aussprache über das Habilitationsfach (Kolloquium) und die Begutachtung einer Probevorlesung.94 Mit der Habilitationsschrift habe ich gegen Ende des Jahres 1952 begonnen. Es war schwierig, ein Thema zu finden, das neben der Berufsarbeit in ein bis zwei Jahren bearbeitet werden konnte. Um Zeit zu sparen, sollte es mit meiner beruflichen Tätigkeit und dem daraus gewonnenen Wissen zusammenhängen. Beides war mehr auf Kinder- und Jugendpsychologie bezogen als auf die Pädagogik. Meine Kenntnisse und Forschungsinteressen konzentrierten sich auf die individuelle Persönlichkeit und den Lebensraum junger Menschen als Objekte (oder Adressaten) von Erziehung und die Wirkungen, die ihre Erzieher unter verschiedenen Bedingungen auf sie ausübten. Nach den Katastrophen der beiden Weltkriege und ihrer Folgen wurde viel über Gesellschafts- und Kulturwandel als Teilursache von Erziehungsschwierigkeiten gerätselt. Da lag es nahe, etwas zur „epochalpsychologischen Jugendkunde“ als einer „Voraussetzung 91 Brief an meine Eltern vom 22.2.1954. PAB. 92 Brezinka: Bericht über die Tätigkeit des Instituts seit dem 1.9.1953 vom 2.3.1954 an den Universitätsverein und die Landesregierung. PAB; Salzburger Volksblatt vom 9.9.1953 (Friedl Plank: Salzburg soll „Kinderstadt“ werden). 93 Brief an die Eltern vom 18.12.1953. PAB. 94 Ermacora 1956, 30.

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wirksamen erzieherischen Handelns“95 beizutragen. Durch die Erziehungsberatung gab es dazu im Institut viel kasuistisches Material. Was aber fehlte, war eine Übersicht über den Stand der empirischen Forschung zur „psychophysischen Struktur des Jugendlichen der Gegenwart“. Diesem Thema habe ich den Hauptteil meiner Habilitationsschrift gewidmet.96 Am Anfang stand das damals neuartige Phänomen der körperlichen Entwicklungsbeschleunigung (Acceleration) der Jugendlichen, ihrer Auswirkungen auf die seelische Reifung und deren Folgen für die Erziehungsaufgaben. Drei weitere Kapitel behandelten die geistige Leistungsfähigkeit der Jugendlichen der Gegenwart97, die Ordnung der Antriebe im Kindesalter und ihre Störungen sowie das sexuelle Verhalten der Jugendlichen und seine pädagogische Beurteilung.98 Mit diesen vorwiegend psychologischen Texten allein wäre eine Lehrbefugnis für Pädagogik schwer zu rechtfertigen gewesen. Deshalb habe ich ihnen eine Einführung über „Die Pädagogik vor dem Erziehungsnotstand der Gegenwart“ im Umfang von 71 Seiten vorangestellt.99 Sie enthielt zwei Kapitel über „Das Ungenügen der überlieferten Auffassung vom Wesen der Erziehung“ und die „Grundlagen einer Lehre von der Erziehung als Lebenshilfe“. So konnte ich der ganzen Habilitationsschrift einen pädagogischen Titel geben: „Erziehung als Lebenshilfe. Beiträge zu einer Revision der Erziehung.“ Den Obertitel entnahm ich einem Vortrag des von mir sehr verehrten Göttinger Professors Herman Nohl100 aus dem Jahre 1952.101 Der Untertitel wurde durch das Buch „Revision der Erziehung“ von Oswald Kroh aus dem gleichen Jahre angeregt.102 Die pädagogische Einleitung enthielt den Umriss einer Praktischen Pädagogik. Sie war durch aktuelle Kulturkritik, Praxisbezug und idealistische Normgebung weit von empirischer Erziehungswissenschaft entfernt. Sie erinnerte aber daran, dass eine „wissenschaftliche Pädagogik“ als „bis ins Detail gehende Kenntnis“ aller „pädagogisch relevanten Tatbestände“ für die Verbesserung der Erziehungspraxis notwendig wäre.103

95 Brief an Prof. Strohal vom 24.10.1952 mit erster Erläuterung des Themas. PAB; Brezinka 1954, 68 ff. 96 Ebenda, 72–248. 97 Publiziert in Brezinka 1955 b. 98 Brezinka 1955 c. 99 Stark gekürzt publiziert in Brezinka 1954 a. 100 (1879–1960). Biographie von Blochmann 1969. Zu dieser Lennert 1970. 101 Nohl 1952/53. 102 Kroh 1952. 103 Brezinka 1954, 4 f.

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Mein Kerngedanke war im Anschluss an Schneiders Eintreten für einen „weiten“ Erziehungsbegriff „die Ausdehnung der erzieherischen Verantwortung und Planung auf das Ganze des menschenformenden Geschehens“.104 Gemeint war damit, was man früher „Milieupädagogik“ oder „indirekte Erziehung“ durch Gestaltung der Umwelt und „Pädagogisierung des Lebens“ genannt hat.105 Es ging darum, auf Grund genauer empirischer Kenntnis der realen Umweltverhältnisse, „in denen unsere Kinder leben, diese heute noch ungeordneten Verhältnisse schrittweise so umzugestalten, dass sie durch ihre eigene Geordnetheit wieder fördernd auf die in ihnen heranwachsende Persönlichkeit einwirken.“ Das war als Kritik an der Verengung der Erziehungspraxis auf direktes Handeln wie Unterrichten, Belehren, Loben und Tadeln, Belohnen und Bestrafen gedacht zugunsten der „intentionalen Gestaltung der funktional wirksamen Einflussquellen.“106 Es war begrifflich und systematisch noch unausgereift und ist erst später selbstkritisch präzisiert worden. Durch die Überlastung mit Institutsverwaltung, Erziehungsberatung und Stationsbetreuung im Kinderspital war konzentrierte Arbeit an der Habilitationsschrift nur an den Abenden und Wochenenden möglich. Im Februar 1954 war sie handschriftlich abgeschlossen. Die Übertragung in Maschinenschrift nach täglich sechsstündigem Diktat ist wie bei meiner Dissertation von 1950 hilfsbereit im Stift Nonnberg durch Frau Caritas Färber geleistet worden.107 Prof. Strohal hat mir zur Vorbereitung der Habilitation im Februar 1954 Gelegenheit gegeben, mich an der Innsbrucker Universität mit einem Vortrag bei der Philosophisch-Psychologischen Gesellschaft vorzustellen. Ich habe über „Die Stellung der Pädagogik im Erziehungsnotstand der Gegenwart“ gesprochen.108 Nach der Einreichung der Habilitationsschrift ging die Begutachtung schnell voran. Am 1. Juni ist das Kolloquium mit dem Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät „sehr gut“ bestanden worden. An ihm hat sich auch der damalige Rektor der Universität Josef Andreas Jungmann als Professor für Pädagogik der Theologischen Fakultät beteiligt.109 Er hat als Rektor auch geholfen, im Bundesministerium für Unterricht in kürzester Zeit die Befreiung vom Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft und eines österreichischen Reifezeugnisses zu erreichen. 104 Ebenda, I und 23 ff. 105 A. Fischer 1932. 106 Brezinka 1954, I und 25. 107 Vgl. in diesem Buch S. 104. 108 Taschen-Kalender 4.2.1954; Brief an meine Eltern vom 22.2.1954. PAB. 109 Briefe an meine Eltern vom 1. und 21.6.1954. PAB.

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Am 25. Juni ist auch die Probevorlesung über das Thema „Der Erzieher als Mensch der Gegenwart“ sehr gut verlaufen. Am 16. Juli 1954 wurde mir vom Professorenkollegium die Lehrbefugnis als Privatdozent für Pädagogik erteilt. Sie wurde am 4. August 1954 vom Bundesministerium für Unterricht bestätigt.110 Ich war damals 26 Jahre alt und an den deutschsprachigen Universitäten der jüngste Privatdozent meines Faches. Die Habilitation war das wichtigste Ereignis in meinem beruflichen Leben. Sie öffnete die Tür zur „Pädagogik als Beruf “ – vom Erzieher zum Erziehungstheoretiker, vom Pädagogen zum Pädagogiker. Internationale Werktagung „Erziehung als Beruf“ (1954)

Nach dem Ausscheiden von Prof. Schneider aus dem Institut im Herbst 1953 und der Einrichtung der Abteilung für Heilpädagogik und Jugendkunde bin ich für die „jährliche Veranstaltung eines heilpädagogischen Kongresses“111 verantwortlich geworden. Mit der Organisation war ich als Schneiders Assistent beim zweiten bis vierten Kongress vertraut. Nun musste für 1954 der fünfte geplant und vorbereitet werden. Nach vier Kongressen über erzieherische Hilfen für Kinder und Jugendliche schien es an der Zeit, die beruflichen Probleme der außerschulischen Erzieher/innen (Sozialpädagogen, Heilpädagogen, Kindergärtnerinnen, Heimerzieher) als Thema zu wählen. Dieser Vorschlag fand bei Asperger als ständigem Berater, den Vertretern der Caritas, der katholischen Berufsverbände und der Jugendämter breite Zustimmung. Mitte März 1954 wurde bei einer Konferenz im WerthmannHaus112 in Freiburg im Breisgau, dem Sitz des 1897 gegründeten „Deutschen Caritasverbandes“, im Beisein von Monsignore Bayer als Generalsekretär der Caritas Internationalis das Programm beschlossen. Die Veranstaltung vom 19. bis 22. Juli 1954 war mit über 500 Teilnehmern aus elf Nationen ein großer Erfolg. Sie wurde mit einem meisterhaften Abendvortrag über „Das Leitbild des Erziehers“ von Prof. Schneider festlich eröffnet. Dabei waren Erzbischof Rohracher, der Präsident der Internationalen CaritasKonferenz Monsignore Ferdinando Baldelli (Rom) und Landeshauptmann Dr. Josef Klaus anwesend. Am nächsten Morgen folgte mein Vortrag „Der 110 Mitteilung des Dekanats vom 17.8.1954, Zl. 957/54. PAB. 111 Vgl. S. 115. 112 Benannt nach dem Gründer und ersten Präsidenten des DCV, des Priesters Lorenz Werthmann (1858–1921). Vgl. Borgmann 1965.

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Erzieher als Mensch der Gegenwart“. Darin wurde die reale Situation der professionellen Erzieher unter dem Druck wachsender Anforderungen in einer krisenreichen Zeit geschildert und nach Möglichkeiten gefragt, wie Berufstüchtigkeit, Gesundheit und Berufsfreude erhalten werden können.113 Mit der Verbindung von nüchterner gesellschaftskritischer Analyse und gemäßigt idealistischer Ermutigung konnte ich begeisterte Zustimmung gewinnen. Durch diesen Vortrag bin ich in sozial- und schulpädagogischen Kreisen schlagartig bekannt und ein gesuchter Redner geworden. Auch die anderen Vorträge sind gut aufgenommen worden: Prof. Albert Huth (München): „Zur Psychologie des Erziehungsvorganges“, Hans Asperger: „Psychische Hygiene des Erziehers“, Eduard Montalta (Freiburg/Schweiz): „Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten des Erziehers“, Prof. Franz Maria Kapfhammer (Graz): „Die Gemeinschaft der Erzieher“, Direktor Gustav von Mann (Caritaszentrale Freiburg im Breisgau): „Gegenwartsaufgaben in den christlichen Erziehungs- und Sozialeinrichtungen“, Dr. Andreas Mehringer (München): „Erfahrungen mit modernen Erziehungsformen“, Schwester Magdalena O.P. (Venlo): „Niederländische Erfahrungen mit familienhafter Heim­ erziehung“. Dazu kamen noch neun Arbeitsgemeinschaften, darunter von Schneider: „Konflikte des Erziehers“, Montalta: „Möglichkeiten der Spezialausbildung“, Mehringer: „Standesprobleme der Erzieher“, von Mann: „Die innere und äußere Krise der Heimerziehung. Behördliche und freie Jugendhilfe“. Es ist durch gute Vorträge, offene Aussprachen, einen neuartigen Gemeinschaftssinn von Mitarbeitern verschiedener Berufssparten und die heitere Atmosphäre im Zentrum der schönen Altstadt gelungen, bei vielen Teilnehmern neuen Mut für ihre oft unterbewertete Arbeit und Vorfreude auf die nächste Werktagung zu wecken. Für 1955 habe ich als Thema „Kind und Jugendlicher der Gegenwart“ vorgeschlagen. Durch die Werktagung wie schon zuvor durch Schneiders Kongresse sind einige dauerhafte Verbindungen zu leitenden Personen der katholischen Jugendhilfe und Sozialarbeit in Deutschland entstanden. Dazu gehörten in Freiburg im Breisgau Dr. Paul Schmidle114 als Referent für Jugendfürsorge im Deutschen Caritasverband und in Köln Dr. Karl Hugo Breuer von der Katholischen Heimstatt-Bewegung, der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Jugendsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen und dem 1958 gegründeten Johann-Michael-Sailer113 Brezinka 1954 b; 1955, 27–48; 1960, 11–33. 114 (1922–1987). Siehe „Caritas. Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft“, 89. Jg., 1988, Heft 2, 99; Junge 1988.

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Institut. Durch sie bin ich jahrzehntelang als Berater und Vortragender mit der außerschulischen sozialpädagogischen Praxis in Kontakt geblieben. Schmidle ist 1954 in die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes eingetreten und hat dort auch die Schriftleitung der Fachzeitschrift „Jugendwohl“ übernommen. 1965 wurde er für vier Jahre zum Vorsitzenden des Bundesjugendkuratoriums gewählt. Von 1967 bis zum Tod im Jahre 1987 war er Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes. Er hat lebenslang die enge Zusammenarbeit mit den überkonfessionellen Dachverbänden des „Allgemeinen Fürsorgeerziehungstags“ (AFET), der „Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe“ (AGJ) und des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ gepflegt. Auch Breuer115 war von 1951 bis 1998 hauptberuflich in einer Schlüsselstellung tätig: als Pionier für die Errichtung und Organisation von Jugendwohnheimen, Jugendberufshilfe, Eingliederung geflohener, vertriebener und „spätausgesiedelter“ ostdeutscher Jugendlicher und ausländischer Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge, Ausbildung und Fortbildung von Heimleitern und Sozialpädagogen. Er war 45 Jahre lang Schriftleiter der Zeitschrift „Die Heimstatt“ als Fachorgan hoher Qualität der „Arbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit“ und hat von 1980 bis 1998 das „Jahrbuch für Jugendsozialarbeit“ herausgegeben. Er hat viel zur Verbreitung meiner Schriften beigetragen und mich lebenslang freundschaftlich begleitet und ermutigt. Wende von der Heilpädagogik zur Allgemeinen Pädagogik als Lebensaufgabe

Durch die vielseitige heilpädagogische Praxis, jugendkundliche Vorträge und erste Publikationen habe ich in Österreich schon 1954 den Ruf eines angehenden Experten für Jugendkunde und Jugendhilfe, Heil- und Sozialpädagogik erworben. Dadurch bin ich auch im Bundesministerium für Unterricht bekannt geworden. Ich wurde eingeladen, als Vertreter des Ministeriums am Internationalen Seminar der Vereinten Nationen (Department for Social Defence der Sozialabteilung) über „Institutional Treatment of Juvenile Offenders“ teilzunehmen. Es hat vom 27. September bis 9. Oktober 1954 in Wien im Bundesministerium für Soziale Verwaltung am Stubenring stattgefunden. Es haben rund 60 Vertreter aus 18 europäischen Ländern sowie der Türkei, Ägypten und Israel teilgenommen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und 115 (1924–2009). Siehe Breuer 1965, 1967, 1968, 1991 sowie den 45. Jahrgang (1997) der Zeitschrift „Die Heimstatt“.

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Praktikern des Jugendstrafvollzuges mit internationalem Erfahrungsaustausch haben mich sehr bereichert.116 Daneben gab es Gelegenheit für meinen ersten Besuch bei Prof. Richard Meister.117 Er war im Alter von 73 Jahren an der Wiener Universität noch als Honorarprofessor auf Österreichs damals einziger Lehrkanzel für Pädagogik tätig, die er 1923 übernommen hatte. Er hat mich in seinem Institut sehr wohlwollend empfangen und angeboten, einen jugendkundlichen Teil meiner Habilitationsschrift in der von ihm mitherausgegebenen „Wiener Zeitschrift für Philosophie, Psychologie, Pädagogik“ zu veröffentlichen.118 Es kam bei diesem Wien-Aufenthalt auch zu ersten Kontakten mit dem Sektions-Chef und den Ministerialräten der Pädagogischen Sektion des Unterrichtsministeriums sowie mit dem Direktor des Österreichischen Bundesverlags Hofrat Dr. Rudolf Dechant, der 1955 den Kongressbericht „Erziehung als Beruf “ und 1957 mein erstes Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ veröffentlicht hat. Ein weiteres Signal der Anerkennung als Experte für Jugendhilfe war die Einladung durch Monsignore Bayer zum Internationalen Caritas-Kongress in Rom119 vom 5. bis 8. Dezember 1954 als Mitglied der Arbeitsgruppe für Kinder- und Jugendhilfe. Ich hatte über „Die Situation der Jugendlichen in Österreich“ zu berichten. Dort bin ich erstmals Professor Josef Karl Spieler begegnet, dem Schriftleiter des hervorragenden „Lexikon der Pädagogik der Gegenwart“ aus den Jahren 1930 und 1932. Er hatte sich große Verdienste erworben als Direktor des von Schweizer katholischen Verbänden gegründeten „Instituts für Heilpädagogik“ in Luzern und des 1936 errichteten „Heilpädagogischen Seminars“ der Universität Freiburg (Schweiz), die mir als Vorbild für Österreich erschienen sind.120 Neben intensiven Beratungen gab es festliche Höhepunkte mit Pontifikalmessen in den Basiliken von St. Peter, Santa Maria Maggiore und St. Paul sowie einem abendlichen Empfang durch den Bürgermeister von Rom im Konservatorenpalast auf dem Kapitol mit seinem großartigen Museum. Eine überraschende Freude war 1954 die Einladung zur Mitarbeit an der Vierteljahrsschrift „La Revue Internationale de Psycho-Pedagogie“ (Brüssel). Ich habe dort 1955 aus meiner Habilitationsschrift das Kapitel über „Das sexuelle Verhalten der Jugendlichen“ veröffentlicht und zwischen 1954 und 1956 116 117 118 119 120

Bericht in Brezinka 1954 c. Über Meister (1881–1964) vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 372–401 und 425–453. Brezinka 1955 b. Bayer vom 2.11.1954 an Brezinka. PAB. Über Spieler (1900–1987) vgl. Hehlmann 1971, 521; Brezinka, Bd. 4, 2014, 910 f.

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sechzehn Rezensionen deutschsprachiger psychologischer und pädagogischer Neuerscheinungen.121 Erstmals hat auch der Salzburger Sender Rot-Weiß-Rot zu einem RundfunkVortrag eingeladen über „Gefährdung unserer Kinder durch Sittlichkeits­ verbrechen.“122 Das waren berufliche Erfolge, die aus der Arbeit am Salzburger Institut hervorgegangen sind und zu seinem Ansehen beigetragen haben. Sie hatten allerdings nichts mit dem Namen des Instituts zu tun und wenig mit dem Zweck, der 1946 zu seiner Gründung geführt hatte: erste wissenschaftliche Keimzelle der Philosophischen Fakultät einer zukünftigen katholischen Privatuniversität zu sein. Der ungewöhnliche und extrem einengende Name „Vergleichende Erziehungswissenschaft“ statt „Pädagogik“ oder „Erziehungswissenschaft“ hat dem Gründungszweck von Anfang an geschadet. Dieser Zweck – wissenschaftliche Forschung, Lehre und Nachwuchspflege auf christlicher Grundlage – konnte aus Mangel an gesetzlichen Voraussetzungen, Finanzierungsmöglichkeit und Studierenden nicht erreicht werden. Deshalb ist schon zu Schneiders Amtszeit in praktische Dienstleistungen wie Erziehungsberatung, Heimerzieherausbildung und Lehrerfortbildung ausgewichen worden, die auch von privaten, genossenschaftlichen oder staatlichen Trägern erfüllt werden konnten. Gemessen am Ziel des Katholischen Universitätsvereins als Träger des Instituts wäre es vernünftig gewesen, das längst seinem Zweck entfremdete Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft nach Schneiders Abgang aufzulösen. Es kostete den Hauptteil der Ausgaben des verarmten Universitätsvereins.123 Erzbischof Rohracher trat jedoch für seine Erhaltung ein und hat dafür im Verwaltungsausschuss 1952 einstimmige Bejahung gewonnen.124 Die Erhaltung des Instituts als Einrichtung des Katholischen Universitätsvereins wäre nur sinnvoll gewesen, wenn begründete Aussicht bestanden hätte, dass die erstrebte Katholische Universität Salzburg in Kürze errichtet werden kann. Dafür haben alle politischen, rechtlichen, finanziellen und personellen Voraussetzungen gefehlt. Das Vorhaben war längst als illusionär erkannt 121 Brezinka 1955 c; Nachdruck der französischen Übersetzungen der Rezensionen bei Brezinka 2008, 10–29. Die deutschen Originale sind verschollen. 122 Gesendet am 15.2.1954. 123 Im Jahr 1951 (bis Ende Oktober) ATS 45.518; davon Gehalt Prof. Schneider ATS 23.536, Gehalt Sekretärin ATS 10.630, Gehalt Assistent (seit Juli) ATS 2.800. Protokoll zur Verwaltungsausschußsitzung des Katholischen Universitätsvereins (KUV) am 14.12.1951. Archiv der Erzdiözese Salzburg (AES) 4.21 20/75, Top 2, Finanzbericht. 124 Verwaltungsausschußsitzung des KUV am 17.11.1952, Top 5 (Pädagogisches Institut). AES.

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worden und hat nur noch als Selbsttäuschung seiner wenigen kirchlichen Protagonisten existiert.125 Unter diesen Umständen habe ich die einzige Möglichkeit zur Erhaltung des Instituts darin gesehen, die von Schneider begonnene Umwandlung in ein „Institut für Heil- und Sozialpädagogik“ in kirchlicher Trägerschaft zu vollenden. Es hätte dann für Österreich ähnliche Aufgaben zu übernehmen gehabt, wie sie in der Schweiz das seit den Dreißigerjahren von Josef Spieler und Eduard Montalta aufgebaute „Institut für Heilpädagogik“ in Luzern126 vorbildlich erfüllt hat. Bei dieser Lösung hätte die Finanzierung des Instituts vom Universitätsverein auf die Caritasverbände der österreichischen Diözesen und eine zu errichtende Stiftung übergehen müssen. Damit wäre von Schneiders Institut nur die Abteilung für Heilpädagogik und Jugendkunde fortgeführt und ausgebaut worden. Unerlässliche Voraussetzung dafür wäre der Rückzug Prohaskas aus dem Institut gewesen. Dieser galt bei allen Sachverständigen als Fehlbesetzung und war keinesfalls für Heilpädagogik qualifiziert. Deshalb schienen die Qualität, das Ansehen und der Fortbestand des Instituts mit seinem heilpädagogischen Schwerpunkt nur gesichert werden zu können, wenn seine Leitung an mich übergeht. Dafür haben sich in Schreiben an den Erzbischof Landeshauptmann Klaus, Prof. Asperger, Prof. Jungmann, Prof. Strohal und Prof. Domanig eingesetzt. Asperger schrieb, er habe „in nun schon Jahre dauernder Zusammenarbeit … Brezinka aufs höchste schätzen gelernt …. Er war und ist in den letzten Jahren der eigentliche Organisator und geistige Kopf der Salzburger Tagungen …. Gerade in der jetzigen Situation … wäre es doppelt bitter, ihn gehen lassen zu müssen.“ Er sei für das Institut „unbedingt nötig.“127 Jungmann schrieb, er sei auf Grund langer persönlicher Kenntnis Brezinkas und seiner vorzüglichen Habilitationsschrift überzeugt, dass dieser „in wenigen Jahren an Ansehen in der Erziehungswissenschaft über Prof. Schneider hinauswachsen wird. Praktischer Sinn, theoretische Begabung und Darstellungsgabe finden sich bei ihm in ungewöhnlicher Weise zusammen. Ich glaube, das Institut für Erziehungswissenschaft würde mit seiner Bestellung einen sehr glücklichen Griff tun.“128 Strohal schrieb: „Brezinka, den ich als meinen Schüler seit langem kenne,… 125 Neben Erzbischof Rohracher vor allem beim Obmann des Katholischen Universitätsvereins Prof. Dr. Thomas Michels OSB und seinem Freundeskreis. Vgl. Michels 1953 und 1954. 126 Vgl. Jahresbericht 1954 des Instituts für Heilpädagogik Luzern in: Heilpädagogische Werkblätter, 24. Jg. (1955), Nr. 1, 34–36. 127 Asperger an Rohracher am 31.10.1954. AES, 20/102. 128 Jungmann an Rohracher am 19.10.1954. AES 20/102.

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verbindet mit reichsten Kenntnissen eine außerordentliche Arbeitskraft und große Gewissenhaftigkeit, einen klaren Blick für praktische Forderungen und die Fähigkeit erfolgreicher Menschenbehandlung, alles auf dem festen Grund christlicher Überzeugung erwachsend.“129 Ich war damals durch jahrelange Überarbeitung sehr erschöpft und habe mich nach Entlastung und Ruhe für ungestörte wissenschaftliche Arbeit gesehnt. Ich habe beim Verbleib als Leiter des Institutes endlose Überbürdung bis zum Zusammenbruch gefürchtet. Andererseits wollte ich das Vertrauen, das ich gewonnen hatte, nicht enttäuschen. Ich stand auch kurz vor der Hochzeit mit einer Salzburger Lehrerin und wollte die zur Heimat gewordene Stadt vorläufig nicht verlassen. Sicher war ich mir nur darüber, dass ich unter Prohaska als Vorgesetztem nicht länger bleiben will. In der Sitzung des Verwaltungsausschusses des Universitätsvereins am 12. November 1954 hat Prof. Domanig den Antrag gestellt, die Leitung des Instituts an mich zu übertragen.130 Er wurde vom Salzburger Verleger Otto Müller und dem Innsbrucker Mediziner Prof. Sauser unterstützt. Auch Regens Berg hat sich sehr für mich eingesetzt. Erzbischof Rohracher wurde gebeten, „mit dem derzeitigen Leiter des Institutes Dozent Dr. Prohaska über seine Absichten das Institut betreffend und über seine Stellungnahme zur Frage eines Wechsels in der Leitung“ zu sprechen.131 Rohracher schrieb am 9. Dezember an Schneider: „Es besteht augenblicklich eine sehr starke Stimmung für Dr. Brezinka gegen H. H. Dr. Prohaska.“132 Die Entscheidung fiel in der Sitzung des Verwaltungsausschusses am 17. Dezember 1954. Rohracher berichtete den 15 Anwesenden, dass Prohaska nicht bereit sei, die Leitung des Instituts zurückzulegen. Es folgten getrennte Anhörungen von Prohaska und mir zu unseren Ansichten über die Situation und die künftigen Aufgaben des Instituts. Ich habe betont, dass wiederum wie zu Schneiders Zeit mindestens zwei Fachleute voll für das Institut arbeiten müssten. Danach schlug Rohracher vor, Prohaska vorläufig als Leiter zu belassen. Mir solle „für die Erziehungsberatung und Heilpädagogik eine gewisse Selbständigkeit, wenn auch untergeordnet unter den Leiter des Institutes zugesichert werden“ – beides befristet auf ein Jahr. Eine Abstimmung darüber ist nicht erfolgt. Es genügte das römische Herrschaftsprinzip „Roma locuta, cau129 Strohal an Rohracher am 17.9. 1953. AES 20/102. 130 Domanig am 3.11.1954 an den Katholischen Universitätsverein zu Händen von Prof. Thomas Michels. AES 19/92. 131 Protokoll zur Verwaltungsausschusssitzung am 12.11.1954, Top 4. AES. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 480 ff. 132 AES, 20/102.

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sa finita“ (Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt). Daraufhin habe ich noch in der Sitzung meine Kündigung zum 1. März 1955 erklärt.133 Das war die wichtigste Entscheidung meiner Berufslaufbahn. Durch sie habe ich nach Jahren rastloser Arbeit und Zersplitterung der Kräfte die Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben als Wissenschaftler gewonnen. Dank Rohrachers „Nein“ bin ich einem völlig unrealistischen Reform- und Ausbau-Vorhaben für das hinfällige Institut entkommen. Es wäre unter den damaligen Bedingungen nach zermürbenden Anstrengungen ebenso gescheitert wie Schneiders internationales Institut für katholische Pädagogik und das ganze veraltete Projekt einer „Katholischen Universität Salzburg“ für den „gesamten deutschen Sprachraum.“ Wenige Stunden vor dieser denkwürdigen Sitzung habe ich in Hallein Erika Schleifer134 standesamtlich geheiratet. Drei Tage später hat uns Regens Berg in der Salzburger Stiftskirche St. Peter getraut. Das war die wichtigste private Entscheidung meines Lebens. Ich bin meiner Frau erstmals im August 1951 bei einer Tagung der Katholischen Hochschuljugend in Kremsmünster flüchtig begegnet. Sie war nach dem Lehramtsstudium in Innsbruck und Wien damals schon Lehrerin für Englisch und Französisch am Salzburger Bundesrealgymnasium für Mädchen. Bald darauf haben wir einander bei Veranstaltungen des Salzburger Katholischen Akademikerverbandes getroffen, die uns auch in Verbindung mit seinem geistlichen Assistenten brachten, dem damaligen Professor für Moraltheologie Franz König.135 Ich habe Erika bald für die Singrunde gewinnen können. Diese hat abwechselnd am Mönchsberg im Haus von Prof. Stefan Kruckenhauser und in Maxglan beim Landesschulinspektor für das technischgewerbliche Bildungswesen Dipl. Ing. Anton Sobota stattgefunden. Er gehörte wie seine gastfreundliche Frau dem Bund Neuland an und ist unser Treuzeuge geworden. Wir waren beide beruflich sehr überlastet. Dazu kamen für Erika noch außerschulische Pflichten. Sie hatte in der Wiener Katholischen Hochschulgemeinde die Aufgabe übernommen, für freundschaftliche Verbindungen mit den katholischen Studenten- und Akademikerverbänden des Auslands und deren 133 Protokoll der Verwaltungsausschusssitzung am 17.12.1954, Top 2. AES. Zum Niedergang des Instituts und seiner Auflösung im Jahre 1970 vgl. Brezinka, Bd. 3, 2008, 81 ff. 134 Geboren am 28. Mai 1927 in Linz/Oberösterreich als Tochter des aus Schönau (Bezirk Znaim/Mähren) gebürtigen Zollbeamten Karl Schleifer und seiner in Schörfling am Attersee geborenen Frau Maria Auracher. 135 (1905– 2004). Er wurde 1952 Bischofs-Koadjutor in St. Pölten und 1956 Erzbischof von Wien. Biographie: König 2004, 185–190.

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Dachorganisation Pax Romana zu sorgen. Dazu diente unter anderem in jedem Winter an wechselnden Orten ein internationales Schilager, das von ihr zu organisieren war. Diese Aufgabe hat sie auch als Lehrerin bis zu ihrer Heirat beibehalten. Daraus ist ihr ein großer internationaler Freundeskreis zugewachsen, der uns sehr bereichert, aber auch beansprucht hat. Außerdem hatte sie neben dem Schulbetrieb noch ihre anglistische Dissertation über „Das Weltund Menschenbild im Werk Thornton N. Wilders“ zu schreiben und sich auf die Wiener Promotion im Herbst 1953 vorzubereiten. Ich konnte ihr nur bei der Vorbereitung auf die Prüfung aus Philosophie etwas helfen. So haben wir durch gemeinsames Arbeiten, Singen, Wandern, Berg- und Schitouren zusammengefunden. Ihre Klugheit, Tüchtigkeit und breite Bildung haben sie zur besten Lebensgefährtin gemacht, die ich finden konnte. Sie hat mein Denken und Arbeiten von Anfang an verstanden und lebenslang ermutigend begleitet. Unsere Heirat fiel in die Zeit meines Austritts aus dem Institut und der beruflichen Umstellung auf die Allgemeine Pädagogik. Mir war schon lange klar, dass meine pädagogischen Kenntnisse unzulänglich waren. Ich war zu sehr auf das von Schneider vermittelte Bild des Faches und dessen Schwächen beschränkt geblieben und in die Psychologie ausgewichen. Künftig hatte ich nun als Dozent das gesamte Gebiet der Pädagogik zu lehren. Dafür brauchte ich Inhalte, die mich dauerhaft interessieren und meine Hörer begeistern können. Deshalb wollte ich mich zwei bis drei Jahre lang zum ungestörten Studium der Grundlagen des Faches zurückziehen, um sie so klar und anziehend wie möglich darstellen zu können.

4. PRIVATGELEHRTER IN HALLEIN UND DOZENT IN INNSBRUCK (1955–1958)

Die ersehnte Freiheit für konzentrierte pädagogische Studien musste mit dem Verlust des Einkommens als Angestellter bezahlt werden. Es hat nicht an Angeboten gefehlt, mich für neue Dienstposten zu gewinnen. Leopold Ungar hat gebeten, ab 1. April 1955 das „Sozialpädagogische Referat der Caritas“ der Erzdiözese Wien zu übernehmen.1 Der Salzburger Landesrat Weißkind wollte mich als Psychologen in den Dienst des Landesjugendamtes übernehmen. Hermann Gmeiner, der Gründer der SOS-Kinderdörfer, bat darum, dass ich Leiter des Lehrlingsheimes Innsbruck-Egerdach oder des Kinderdorfes Imst (Tirol) werde, um „ein wissenschaftliches Werk über das SOS-Kinderdorf zu verfassen.“2 Prof. Urban3 bot eine Stelle als Klinischer Psychologe an der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der Universität Innsbruck an. Jedes dieser Ämter wäre mit pädagogischer Forschung unvereinbar gewesen. Ich verdanke es einem Forschungsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht von monatlich 1.500 österreichischen Schillingen, dass ich von Juni 1955 bis Ende 1957 ohne finanzielle Sorgen wie ein Privatgelehrter alten Stils arbeiten konnte. Es ist auf Initiative von Prof. Strohal durch die Philosophische Fakultät der Universität Innsbruck beantragt worden. Meine einzige Pflicht war es, in jedem Semester eine mindestens einstündige Vorlesung zu halten. Ich bin dazu in jeder zweiten Woche mit der Bahn von Hallein über Zell am See nach Innsbruck gereist. Meine Frau und ich hatten unser erstes Heim im Dachgeschoss eines kleinen Einfamilienhauses unseres Schwagers in der Rehhofsiedlung gefunden. Sie lag einige Kilometer nördlich von Hallein zwischen der Straße nach Salzburg und dem Flussufer der Salzach in einem damals noch bäuerlichen Umfeld mit Feldern, Wiesen und Wald. Für die Fahrten nach Hallein und der etwa 15 km entfernten Stadt Salzburg waren wir auf den Autobus angewiesen.

1 2 3

Ungar am 7.3.1955 an Brezinka. PAB. Über ihn vgl. S. 126. Gmeiner (1919–1986) am 19.7.1955. PAB. Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 157 f. Urban am 25.4.1956. PAB. Über ihn vgl. S. 102 f., 105.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Meine Frau war eine gute und beliebte Lehrerin, aber durch gründliche Unterrichtsvorbereitung und die Korrekturen der vielen Klassenarbeiten in zwei fremdsprachlichen Fächern stark belastet. Ich konnte daheim arbeiten und ihr im Haushalt manches abnehmen. Nach der Geburt unseres ersten Kindes Christoph am 10. November 1956 gehörte dazu auch seine Pflege, weil meine Frau bis 1959 im Beruf geblieben ist. So bin ich vom Waschen und Füttern, Umsorgen und Spielen bis zum Kochen und Ausfahren auch mit mütterlichen Diensten vertraut geworden. Diese häusliche Aushilfe als anstellungsloser Privatgelehrter war freilich nur eine gern übernommene Nebenbeschäftigung. Die Hauptsache zwischen März 1955 und dem Sommer 1957 war die Arbeit an meinem ersten Buch „Erziehung als Lebenshilfe“. An zweiter Stelle standen die Vorlesungen in Innsbruck und allerlei Vorträge und Seminare zur Fortbildung von Lehrern und Sozialpädagogen. Schul- und wissenschaftspolitisch bedeutsam wurde die von mir angeregte erste „Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen“ im April 1957. Das beruflich wichtigste Ereignis war mein Forschungsaufenthalt in den USA im Studienjahr 1957/58. Nach der Rückkehr begann die Lehrtätigkeit an der englischsprachigen Sommerhochschule der Universität Wien in Strobl am Wolfgangsee, die ich erst 1962 aufgegeben habe. Ein Höhepunkt dieser Periode war die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Salzburger Landesregierung am 22. August 1955. Da ich die deutsche behalten durfte, wurde ich zum Doppelstaatsbürger. Ich habe beide Staaten geliebt und ihnen später als Beamter und Hochschullehrer in Würzburg, Innsbruck und Konstanz gedient.

KONZENTRATION AUF DAS ERSTE BUCH „ERZIEHUNG ALS LEBENSHILFE“ Ich hatte seit Studienbeginn viele pädagogische Teilkenntnisse gewonnen, aber kein klares Bild von ihrem wissenschaftlichen Wert, ihrem Zusammenhang und ihrem praktischen Nutzen. Ich hatte viel über Erziehung gehört und gelesen, aber das meiste erschien mir zu abstrakt, inhaltsarm und wirklichkeitsfern. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, eine Einführung in die Praktische Pädagogik zu schreiben, die zeitgemäß, realistisch und leicht verständlich ist. Dabei wollte ich zwei Ziele miteinander verbinden, die gewöhnlich getrennt verfolgt werden. Erstens sollten eine Übersicht der gegenwärtigen Erziehungssituation in den hochindustrialisierten Ländern Mitteleuropas gegeben, ihre

Konzentration auf das erste Buch „Erziehung als Lebenshilfe“

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Vorgeschichte skizziert und einige erzieherische Aufgaben erörtert werden, die vordringlich erschienen. Zweitens sollte von diesem aktuellen Thema aus in zentrale Probleme der pädagogischen Theorie eingeführt werden. Ich wollte von der historischen Situationsbeschreibung her einen Zugang zur systematischen Pädagogik bieten, der für Erziehungspraktiker interessant und nützlich ist. Zur schlichten Kennzeichnung dieses Vorhabens wurde der Untertitel gewählt: „Ein Beitrag zum Verständnis der pädagogischen Situation.“4 Im ersten Teil über die aktuelle Lage und ihre Entstehung wurde von der Unfertigkeit der Kinder, ihrer Hilfsbedürftigkeit, Bildsamkeit und Lernfähigkeit ausgegangen. Dann folgten Erkenntnisse über Sozialisation und den Einfluss unterschiedlicher Lebensräume auf das Werden der Persönlichkeit. Erst nach diesem Blick auf das Ganze der organischen, sozialen und kulturellen Einflussfaktoren wurde auf die Erziehung eingegangen, ihre Notwendigkeit, ihre Formen, Schwierigkeiten und Grenzen. Dabei wurden zunächst die Verhältnisse in den vormodernen traditionsgebundenen Gesellschaften dargestellt und dann der Übergang zur industriellen Gesellschaft. Behandelt wurden die Veränderungen der Arbeitswelt, Bevölkerungswachstum, Mobilität, Verstädterung, Aufklärung und Erweiterung des geistigen Horizontes, Verlust des christlichen Glaubens, Massenmedien, Kulturindustrie und Unsicherheit der Wertungen und Normen. Eigene Kapitel waren den Krisen der Familien und der häuslichen Erziehung sowie dem Ungenügen der Schulen gewidmet. Im zweiten Teil über „Die Aufgaben für die Zukunft“ wurde „Erziehung als Lebenshilfe“ im Chaos der auf Educanden wirkenden Einflüsse behandelt. Es ging um Vorzüge und Gefahren der pluralistischen Großgesellschaft und die Unentbehrlichkeit der kleinen kulturell übereinstimmenden Gemeinschaften (Primärgruppen) als Ort der Charakterformung. Ausgegangen wurde von den Grenzen des erzieherischen Wissens und Handelns. In den modernen Massen- und Mediengesellschaften sind Kinder und Jugendliche einer Unmenge von Reizen ausgesetzt, die gute Erziehung erschweren. An dieser wurden vier Aspekte unterschieden: der biologische: Entwicklungshilfe, der soziale: Anpassung, der kulturelle: BiIdung, der religiöse: Erweckung zu einem sinnvollen gläubigen Leben. Betont wurde die große Bedeutung der indirekten Erziehung durch Schützen und Ordnen eines geborgenen Lebensraumes, Stärkung der guten Sitten, Bräuche und Institutionen, Bereitstellung von Handlungsmöglichkeiten und Anlässen für freudige Gemütserlebnisse und gute emotionale Bindungen an wertvolle Partner und Kulturgüter. 4 Vgl. Brezinka 1957. Vorwort; ferner Vorwort zur 6. Auflage von 1968. Untertitel seit der 2. Auflage von 1961: „Eine Einführung in die pädagogische Situation.“

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Relativ neu waren im ersten beschreibenden Teil die Einbeziehung aktueller anthropologischer, psychologischer und soziologischer Forschungsergebnisse und die öffentliche kritische Bewertung des pädagogischen Wissensstandes und seines Nutzens für die Erziehungspraxis. Ungewöhnlich war im zweiten normativen Teil die Verbindung von Kulturkritik und Engagement für detaillierte Handlungsvorschläge im Geist eines elitären christlichen Humanismus. Meine erziehungstheoretischen Grundgedanken hatte ich vor allem erweitert durch das Studium der pädagogischen Schriften von Friedrich Herbart, Friedrich Schleiermacher, Otto Willmann, Eduard Spranger, Herman Nohl und Wilhelm Flitner. Zum Vorbild ist mir aber die Person und das Werk von Aloys Fischer5 geworden. Er hat leider kein Buch veröffentlicht, jedoch viele erstklassige Aufsätze und Handbuch-Artikel. Sie scheinen mir noch heute zu den besten erziehungstheoretischen Texten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu gehören. Fischer hatte auch den seltenen Mut, die fachspezifischen Mängel der Pädagogik zu beleuchten. So hat er zum Beispiel 1928 kritisiert, dass „die pädagogische Theorie … auch dort, wo sie sich als eine autonome … Wissenschaft empfindet, … in ihrem Kern, in ihrer Sehnsucht Philosophie geblieben“ sei. Ihre Vertreter seien „immer … zugleich als Lebensreformer, Sozialreformer, Weltreformer“ gekommen, „immer getragen von einem ganzen philosophischen Gesamtwillen, einer Gesamterkenntnis, immer hineingezogen, hineingezerrt oder hineingesprungen in einen geistigen Kampf, immer von einer Gefolgschaft begleitet und von einer Gegnerschaft umstritten…“6Ich habe diese kritische Kennzeichnung der „pädagogischen Wissenschaft in Deutschland“7 durch Fischer später auch auf mein erstes Buch bezogen, weil es nach dem damaligen Fachverständnis fraglos als Beitrag zur „wissenschaftlichen Pädagogik“ galt. Erst einige Jahre später habe ich – angeregt durch Rudolf Lochner8 und andere Vorgänger – begonnen, mich von der „verschwommenen Sammeldisziplin ‚Pädagogik‘“9 abzuwenden und für die Differenzierung des Faches in (Empirische) Erziehungswissenschaft, Philosophie der Erziehung und Praktische Pädagogik einzusetzen. 5

(1880–1937). Achtbändige Werkausgabe durch Karl Kreitmair 1950–1971. Biographie in Bd. 1, 1950; ferner Kreitmair in Fischer 1961, 329–361; Röhrs 1967. 6 A. Fischer 1928, 84. 7 „Die pädagogische Wissenschaft in Deutschland“ war der Titel des zitierten Kongressvortrages von 1928. 8 (1895–1978). Vgl. Lochner 1963 und Brezinka 1965 (Nachdruck Brezinka 1989, 41–62). Biographie: Brezinka 1989, 62–76. 9 Brezinka 1971, 15.

Konzentration auf das erste Buch „Erziehung als Lebenshilfe“

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Nach dieser Unterscheidung war mein erstes Buch wie einige spätere Werke ein Beitrag zur Praktischen Pädagogik. Es stützte sich auf Erkenntnisse mehrerer Humanwissenschaften, aber es ging als Orientierungshilfe für die Erziehungspraxis notwendig über erfahrungswissenschaftlich bewährte oder zumindest überprüfbare Sätze weit hinaus. Es stellte nicht bloß dar, was ist und warum es so ist, sondern es enthielt auch moralische Forderungen, was sein und getan werden soll. Es interpretierte aus erzieherischer Verantwortung wertend unsere damalige geschichtliche Situation und war deshalb notwendig weltanschaulich bestimmt. Es war wie jede Erziehungslehre unvollkommen, weil die großen Lücken im empirischen Wissen bis auf weiteres nur durch Vermutungen ausgefüllt werden können und die normativen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, zwar der rationalen Argumentation zugänglich, aber wissenschaftlich nicht zweifelsfrei begründbar sind.10 Mein erstes Buch ist am 18. Juli 1957 abgeschlossen worden und noch im gleichen Jahr erschienen – zwölf Jahre nach dem Untergang der Hitler-Diktatur und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es hat der geistigen Lage dieser Epoche zwischen Trauer und Lebensmut, Zukunftsangst und Aufbauwillen entsprochen. Ich habe es für die zweite und dritte Auflage (1961, 1963) gründlich verbessert und den Stuttgarter Verleger Ernst Klett als Mitverleger für Deutschland gewonnen. Er hat mir dazu 1959 Folgendes geschrieben: „Es wäre nicht zu verantworten gewesen, dass ein so wichtiges, neben den mannigfaltigen sachlichen Qualitäten auch so gut geschriebenes Buch nicht zum Durchbruch käme, und wir werden das uns Mögliche tun, nunmehr diesen Durchbruch zu erreichen.“11 Ich verdanke dem Klett-Verlag, dass mein Buch nicht im Österreichischen Bundesverlag verkümmert ist, sondern auch in Deutschland und der Schweiz viele begeisterte Leser und breite Anerkennung der pädagogischen Fachwelt und weit darüber hinaus gefunden hat. Es hat bis 1971 acht Auflagen mit insgesamt 37.000 Exemplaren erlebt. 1972 ist eine italienische Übersetzung erschienen und 1992 eine persische bei Iran University Press. „Erziehung als Lebenshilfe“ ist für 15 bis 20 Jahre in Pädagogischen Hochschulen, Akademien und Universitäten eines der am weitesten verbreiteten Studienbücher zur Einführung von Lehrern und Sozialpädagogen in die Systematische Pädagogik gewesen.12 Es sind darüber in pädagogischen und psy10 Brezinka 1971, 5 im Vorwort zur 6. Auflage. 11 Ernst Klett am 23.1.1959. PAB. 12 Nach Roth 1966, 86 gehörten dazu Herman Nohls „Theorie der Bildung“, Wilhelm Flitners „Allgemeine Pädagogik“, Martinus Langevelds „Einführung in die Pädagogik“ und Brezinkas „Erziehung als Lebenshilfe“ als „die heute gebräuchlichsten“.

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chologischen Fachzeitschriften, Verordnungsblättern der Schulbehörden, Radio und Tagespresse rund 200 Rezensionen erschienen. Hier können nur wenige repräsentative Urteile zitiert werden: „Ein Werk, das sich weit über die Masse des pädagogischen Schrifttums erhebt und stärkste Beachtung verdient. Trotz seines hohen wissenschaftlichen Ranges ist es für jeden Berufserzieher lesbar … . Seine bescheidene Sachtreue sichert dem Verfasser einen Platz an der vordersten Front der wissenschaftlichen Pädagogik.“13 „Die souveräne Übersicht, der Sinn für das Wesentliche, die Klarheit der Sprache und die außerordentliche Lebendigkeit der Darstellung geben dieser Schrift einen Rang, der sie weit über die gängigen pädagogischen Lehrbücher und trockenen wissenschaftlichen Abhandlungen hinaushebt. Hier ist einmal der Beweis geliefert, dass Wissenschaft, ohne Einbuße zu erleiden, zu einer solchen Frische und Leuchtkraft gelangen kann, dass sie unser persönliches Anliegen wird.“14 „Eines der besten Einführungswerke, die es im pädagogischen Bereich derzeit überhaupt gibt. In der deutschsprachigen Literatur über Erziehungsfragen ist ihm nicht leicht etwas Gleichwertiges an die Seite zu stellen.“15 „Ein Buch, das gleichermaßen für Pädagogen und Psychologen von Bedeutung ist. Der realistische Grundzug, der Ausgang von der pädagogischen Situation der Gegenwart, die Berücksichtigung der neuesten anthropologisch-psychologischen Erkenntnisse und das Ethos verantwortlicher Teilnahme verleihen dem Buch eine überzeugende Wirksamkeit.“16 In den Rezensionen dominierte die Einschätzung als „ein Standardwerk“ der wissenschaftlichen Pädagogik17, das „einzigartig“ sei18, eine „großartige Überschau“ in „prägnant-klarer Sprache“ gebe19 und „sich in der pädagogischen Literatur einen bleibenden Platz erworben“ habe.20 „Ganz hervorragend sind die am Schluss beigegebenen Quellennachweise und Anmerkungen, die die Berücksichtigung aller ‚Großen‘ der Philosophie, der Psychologie und der Pädagogik über Zeiten und Zonen hinweg erkennen lassen.“21 Es gab keine 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Prof. Adolf Busemann in „Unsere Jugend“, September 1958. Bildung und Erziehung. Februar 1963, 124. Prof. Hans Scheuerl am 10.3.1964 an den Ernst Klett Verlag. PAB. Prof. Heinz-Rolf Lückert in „Schule und Psychologie“. Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung, Frankfurt, 15.4.1963; Berliner Lehrerzeitung, 28.2.1962; Die Realschule, Heft 5/1969; Die Österreichische Höhere Schule, Nr. 2, 1963. Verordnungsblatt für das Schulwesen in Steiermark, Graz, 20.9.1962. Der Mittelschullehrer, Wien, Juni 1962. Lebendige Schule, Nr. 9/1964. Neuer Literaturanzeiger, Freiburg im Breisgau, 10.9.1962. Vgl. die „Quellen und Anmer-

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wissenschaftstheoretischen Einwände. Diese habe ich mir durch die strenge Unterscheidung zwischen Erziehungswissenschaft und Praktischer Pädagogik wenig später erst selbst gemacht. Es gab auch nur wenige Einwände gegen mein christliches Bekenntnis und die Betonung des Wertes weltanschaulich geschlossener Kleingruppen für die Erziehung von Kindern. Sie kamen selbstverständlich von liberaler Seite und – weniger selbstverständlich – aus dem sozialistischen Lager, das ja im Glauben an eine sozialistische Gesellschaftsordnung nicht nur auf geschlossene Primärgruppen, sondern auf die weltanschauliche Einheit der gesamten Gesellschaft abzielte.22 Erstaunlich selten waren Einwände gegen idealistische und idealisierende Züge dieses Jugendwerkes23, die ich 1968 im Vorwort zur 6. Auflage selbst bemängelt habe. Das breite Einverständnis mit der im Buch vertretenen weltanschaulichreligiösen Sichtweise entsprach der religionsfreundlichen Mentalität der Nachkriegszeit, die sich nach dem Untergang der religionsfeindlichen nationalsozialistischen Diktatur verbreitet hatte. In der Bundesrepublik Deutschland kam dazu verstärkend die Wiedererrichtung von katholischen Bekenntnisschulen und konfessioneller Lehrerausbildung in einigen Bundesländern.24 Ich habe den Wert der Erziehung „in weltanschaulich geschlossenen Gruppen“ zwar betont, aber auch deren Gefahren behandelt und die Sorgen ihrer Gegner gewürdigt. Ich habe die Schwierigkeiten, die die Rechtfertigung der staatlichen Schulerziehung gemäß dem religiösen Bekenntnis der Eltern der Schüler belasten, offen dargestellt.25 Deshalb ist das Buch auch von Andersgläubigen und Agnostikern „in jeder Richtung als aufgeschlossen“ und weltanschaulich tolerant gewürdigt worden.26 Auffallend war an den Rezensionen, dass häufig die „einfache formvollendete Sprache“27 und „der klare, lebendige Stil“28 gelobt wurden. „Man könnte das Buch in einem Zuge lesen und es ist für den Fachmann wie für den Laikungen“ im Umfang von 45 Seiten der 1. Auflage 1957 (S. 318–363) und der 3. Auflage 1963 (S. 346–391). 22 Freie Lehrerstimme, Wien, Nr. 10, 1962/63; Der Österreichische Lehrer und Erzieher, 3–4, 1963. 23 Treffend Ziegler in „Kultus und Unterricht“, Stuttgart, November 1962, 201 f. und Walter Ledwinka in „Erziehung und Unterricht“, Wien, 1962, 558–560. Über Ledwinka vgl. Brezinka, Bd. 4, 2014, 57 ff. 24 Vgl. Scharnagl 1952; Böhler 1953. 25 Vgl. Brezinka 1971, 259 ff. 26 Psyche, 1963, Heft 4; Rudolf Lochner am 3.3.1964 an den Klett-Verlag. PAB. 27 Blätter für Lehrerfortbildung, München, 1962, Nr. 4. 28 Neues Österreich, 2.3.1958.

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en gleichermaßen zu empfehlen.“29 „Das Werk ist leicht lesbar, flüssig und spannend geschrieben“30 – in einem „schlichten, wohltuenden, allem Fachjargon abholden Stil.“31 Es sei von „solch überzeugender Darstellungskraft …, so vital und fesselnd, dass der Leser das Buch nicht weglegt.“32 Dieses Lob für die klare Sprache und den lebendigen Stil meiner Schriften, Vorlesungen und Vorträge hat mich bis ins Alter begleitet und gefreut. Es wäre aber verkehrt, anzunehmen, dass mir das Schreiben leichtgefallen ist. Das Gegenteil ist wahr: Es verlief immer langsam und sehr qualvoll. Ich hatte keine Ruhe, bevor der Text so klar, einfach und verständlich wie möglich vorlag. Ich habe immer versucht, mir den vermutlichen Wissensstand und die Erwartungen der Leser oder Hörer vorzustellen, daran anzuknüpfen und ihr Interesse zu wecken. Dieses zur Gewohnheit gewordene Bemühen um einen möglichst einsichtigen und anziehenden Text geht natürlich nicht ohne Leiden an seinen vorausgegangenen unvollkommenen Fassungen vor sich. Es war eine Arbeitsweise, die viel Geduld verlangt und viel Zeit gekostet hat. Zu dieser Arbeitsweise gehörte auch, dass ich lebenslang alle meine Schriften ohne Maschine mit Füllfeder und Tinte geschrieben habe. Fast jeder Text ist aus mehreren Entwürfen erst durch langes kritisches Feilen zur druckreifen Form gelangt. Mancher Satz hat viele Stunden gekostet, bis er gelungen erschien. Diktate hat es nur beim Briefverkehr gegeben.

ERSTE VORLESUNGEN IN INNSBRUCK Die intensive Arbeit an meinem ersten Buch hat wenig Zeit für die Lehrtätigkeit gelassen. Deshalb habe ich mich als Privatdozent auf einstündige Vorlesungen beschränkt. Sie fanden wegen der weiten Anreise vom Wohnsitz in Hallein vierzehntägig als Doppelstunde statt. Die drei Hauptvorlesungen über „Allgemeine Pädagogik“, „Geschichte der Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung des österreichischen Bildungswesens“ und „Praktische Pädagogik des Mittelschulwesens“, die für Lehramtsstudierende verpflichtend waren33, wurden von Prof. Strohal gehalten. Für mich kamen nur Spezialthemen in Betracht. 29 30 31 32 33

Berner Schulblatt, 20.10.1962; ähnlich Zeitschrift für Pädagogik, 1962, 431. Amtliches Schulblatt des Kantons St. Gallen, 15.5.1962, 103. Die Heimstatt, Köln, 1962, Heft 4. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge, 1.12.1962. Zu den Prüfungsvorschriften von 1928 und ab 1945 vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 154 ff. und 165 ff.

Vorträge, Aufsätze, Europäisches Seminar der UNO

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Begonnen wurde im Wintersemester 1954/55 über „Situation und Aufgaben der Erziehung in der Gegenwart“ mit elf Hörern. Es folgte im Sommersemester 1955 „Kind und Jugendlicher der Gegenwart“ mit zwölf Hörern. Als Lehrstoff diente hauptsächlich meine Habilitationsschrift. Für die Themen der folgenden Semester musste er neu erarbeitet werden: „Beiträge zu einer pädagogischen Lehre vom Menschen“ (WS 1955/56) mit zehn Hörern; „Einführung in die Pädagogische Soziologie“ (SS 1956) mit zehn Hörern; „Psychologie und Pädagogik der Vorpubertät“ (WS 1956/57) mit 26 Hörern; „Erziehung in der industrialisierten Gesellschaft“ (SS 1957) mit 32 Hörern; „Die pädagogische Reformbewegung seit 1900“ (SS 1958) mit 35 Hörern.34 Die anfänglich geringe Hörerzahl hing damit zusammen, dass es mangels einer Lehrkanzel, eines Instituts, einer Studien- und Prüfungsordnung für Pädagogik noch keine Studierenden im Hauptfach gegeben hat. Die Pädagogik war nur als nebensächliches Pflichtfach für Lehramtsstudenten bekannt, für das Strohals Vorlesungen genügten. Das freiwillige Interesse für Spezialthemen musste erst durch zusätzliche Angebote geweckt werden. Ich habe seit dem ersten Salzburger Lehrauftrag für Psychologie im Jahre 1951 die Texte meiner Vorlesungen und Vorträge fast immer schriftlich vollständig ausgearbeitet. Der Stoff wurde so eingeteilt, dass in 45 bis 60 Minuten ein abgerundetes Bild der jeweils behandelten Sache geboten werden konnte. Dabei musste vermieden werden, dass der Text zu dicht und die Rede zur „Schreibe“ wird. Ich habe ihn abgelesen, aber mit Blick auf die Hörer so locker vorgetragen, dass er wie freigesprochen wirkte. Diese Methode zwang zu kurzen Sätzen und alltagssprachlichen Formulierungen, die „lebendiger“ wirkten als die Fachsprache der meisten Lehrbücher. Sie erforderte sehr gründliche Vorbereitung, entlastete aber vom rednerischen Improvisieren, seinen Ungenauigkeiten und überflüssigen Längen.

VORTRÄGE, AUFSÄTZE, EUROPÄISCHES SEMINAR DER UNO Neben den Vorlesungen für den anfangs kleinen Hörerkreis an der Universität habe ich zwischen 1954 und 1958 rund 40 Vorträge zur Fortbildung von professionellen Erziehern, Eltern und Jugendleitern gehalten.35 Sie haben häufig hunderte Zuhörer und manchmal auch mehr als tausend erreicht. Veranstalter waren einerseits katholische Lehrerverbände, Erziehergemeinschaften und 34 Uhl 1997, 100; Brezinka, Bd. 2, 2003, 477. 35 Verzeichnis bei Brezinka 2008.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Bildungswerke, andererseits staatliche Behörden wie Landesschulräte, Jugendämter und das Bundesministerium für Unterricht. Die Teilnehmer waren überwiegend Kindergärtnerinnen und Volksschullehrer, seltener Lehrer höherer Schulen, Fürsorgerinnen und Studenten. Das größte Interesse bestand auf staatlicher und kirchlicher Seite bei den Kindergärtnerinnen, Hort- und Heimerzieherinnen. In Tirol und Vorarlberg hat der Landesschulrat in allen Bezirken verpflichtende Fortbildungstage für sämtliche Kindergärtnerinnen durchgeführt. Daneben wurde jährlich in den Sommerferien auf freiwilliger Basis eine Fortbildungswoche in einem Heim veranstaltet. Das Unterrichtsministerium hat für das leitende Personal sowie die Lehrenden und Übungskindergärtnerinnen der Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen 1955 eine bundesweite Fortbildungswoche im Schloss Leopoldstein bei Eisenerz (Steiermark) durchgeführt. Bei allen diesen Veranstaltungen war ich mit Vorträgen über „Schwierige Kinder im Kindergarten“, „Hilfe für das schwierige Kind“, „Der Aufbau des Charakters im Kindesalter“, „Seelische Fehlhaltungen im Kindesalter“, „Heilpädagogik im Kindergarten, Hort und Heim“ sowie „Elternberatung“ beteiligt. 1955 wurde mir in Köln bei der Jahrestagung des Zentralverbandes Katholischer Kinderhorte und Kleinkinderanstalten Deutschlands der Hauptvortrag über „Christliche Erzieher im Spannungsfeld der Zeit“ anvertraut. 1958 hat die Jugendbehörde der Stadt Hamburg zu einer Fortbildungsveranstaltung für Fürsorgerinnen und Heimerzieher eingeladen, um über „Frühe Mutter-KindTrennung und Heimerziehung“ zu sprechen. Auch bei den Volksschullehrern waren zunächst kinderpsychologische und heilpädagogische Vortragsthemen erwünscht. Seit dem Abschluss der „Erziehung als Lebenshilfe“ sind jedoch Themen der Allgemeinen Pädagogik und der Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Moralerziehung bevorzugt worden. Eine besondere Freude war im Sommer 1957 die Mitwirkung an zwei Fortbildungswochen für jeweils rund 150 bayerische Volksschullehrer im Cassianeum in Donauwörth. Sie wurden in heiterer Atmosphäre fachlich hervorragend von Ferdinand Kopp36 geleitet, dem ich seit 1952 durch Beiträge zur Zeitschrift „Pädagogische Welt“ verbunden gewesen bin.37 Das Cassianeum war eine 1875 vom Volksschullehrer Ludwig Auer im ehemaligen Benediktinerkloster gegründete „Pädagogische Stiftung“ zur „Förde36 (1906–1987). Er war Rektor der Volksschule Tutzing und ab 1957 Studienrat am Institut für Lehrerbildung in München-Pasing, aus dem 1958 die Pädagogische Hochschule hervorgegangen ist. Schulgeschichtlich wertvoller Lebensbericht: Kopp 1986; zur Didaktik Kopp 1965. Nachruf: Franke 1987. 37 Vgl. S. 131.

Vorträge, Aufsätze, Europäisches Seminar der UNO

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rung der Erziehung im Geiste der katholischen Kirche nach den berechtigten Anforderungen der Zeit.“ Sie unterhielt eine Internatsschule, ein Kinderheim, eine Druckerei und einen Verlag sowie eine pädagogische Bibliothek mit rund 100.000 Bänden und hat im Sommer „Pädagogische Ferienkurse“ zur Weiterbildung von Volksschullehrern durchgeführt.38 Ich habe dort über „Grundzüge der Pädagogischen Anthropologie“ und „Askese als Element moderner Erziehung“ gesprochen und von Kopp Genaueres zur Methodik des Volksschulunterrichts lernen können. Meine Vorträge waren also anfangs ganz überwiegend an Praktiker ohne Hochschulstudium gerichtet: an Krankenschwestern, Heimerzieher, Jugendfürsorgerinnen, Kindergärtnerinnen, Volksschul- und Berufsschullehrer. Sie waren fast durchwegs sehr aufgeschlossen und lerneifrig. Ihre Fragen und Berichte über eigene Erfahrungen aus dem Berufsalltag verhalfen mir zu wertvollen Einblicken in ihre Arbeitswelt. Der Umgang mit ihnen hat mich darin bestärkt, ohne akademischen Jargon möglichst klar und lebensnah zu sprechen und zu schreiben. Mein erster Vortrag als Dozent in einem wissenschaftlichen Hörerkreis erfolgte im Sommer 1956 im Bundessportheim Obergurgl in den Ötztaler Alpen bei einer Tagung über „Natur und Erziehung“. Sie wurde vom Pädagogischen Institut der Universität Innsbruck unter Leitung von Prof. Strohal veranstaltet. Dort habe ich über „Erziehung durch das Wandern“ gesprochen.39 Dieser Vortrag war von der eigenen Wanderfreude durchdrungen und ist begeistert aufgenommen worden. Er hat durch viele Nachdrucke in Fachzeitschriften für Leibeserziehung, Schulwandern, Jugendarbeit und Jugendherbergen weite Verbreitung gefunden.40 1957 folgte eine Einladung von Prof. Wilhelm Flitner41 zu einem Vortrag im Pädagogischen Institut und Seminar für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg im Wintersemester 1957/58. Ich habe wegen des bevorstehenden Forschungsjahres in den USA um Aufschub bitten müssen. Als Thema habe ich „etwas aus der Pädagogischen Soziologie“ vorgeschlagen: „mich interessieren vor allem die sozialisierenden Vorgänge, die von geschlossenen Gruppen ausgehen und die charakterliche Grundstruktur noch vor aller planmäßi38 Vgl. L. Auer 1952 und M. Auer 1970; M. Müller 2014, 97 f. 39 Am 27. August 1956. Erstdruck in Herman Nohls Zeitschrift für Kultur und Erziehung „Die Sammlung“, 12. Jg., 1957, Heft 2, 98–111. Bei Brezinka 1960, 124–146; 1966, 205– 220; 1988, 132–148. 40 Vgl UHL 1997, 49. 41 Brief vom 24.7.1957. PAB. Über W. Flitner (1889–1990) vgl. Horn 2003, 229 f.; Autobiographie bis 1945: W. Flitner 1986.

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gen Erziehung bestimmen“.42 Diese Einladung war mir auch deswegen sehr willkommen, weil ich Flitner schon länger persönlich kennen lernen wollte. Ich hatte mit Freude sein Buch „Die abendländischen Vorbilder und das Ziel der Erziehung“ (1947) gelesen und 1956 in der „Revue Internationale de Psycho-Pedagogie“ besprochen. Seine kulturkritische Analyse der pädagogischen Situation, sein christliches Ethos und seine klare Sprache habe ich sehr geschätzt. Ich hatte ihm 1956 spontan geschrieben, „wie sehr man in Österreich als junger Dozent der Pädagogik auf sich allein gestellt ist. Es gibt keine Lehrtradition, wie sie in Deutschland doch wenigstens an einigen Orten noch anzutreffen ist. Hier muss man sich praktisch ganz selbständig einarbeiten. Die eigene Beobachtung und die Bücher müssen ersetzen, was anderswo wenigstens zum Teil durch eine große Persönlichkeit als Hochschullehrer der Pädagogik vermittelt wird.“43 Flitner hat mich daraufhin zur Mitarbeit an der „Zeitschrift für Pädagogik“ eingeladen – „vor allem, wenn es Ihnen möglich wäre, durch kritische Buchbesprechungen … . Hoffen wir, dass die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Westdeutschland und Österreich in Zukunft wieder die alten herzlichen werden, die Sie nicht mehr kennen werden, die ich aber vor 1933 noch miterlebt habe.“44 Die Einladung an die Universität Hamburg ist 1958 erneuert worden. Ich bin ihr gerne gefolgt und habe über „Soziale Isolierung von Kindern als psychologisches und pädagogisches Problem“ gesprochen. Das Auditorium Maximum war mit rund 900 Studenten gefüllt. Damals kam es zur ersten Begegnung mit den Pädagogik-Professoren Georg Geißler45 und Walther Merck46, dem damaligen Privatdozenten für Erziehungswissenschaft Hans Scheuerl47, dem Soziologen Prof. Helmut Schelsky48und dem damaligen Senator für Schul- und Hochschulwesen Prof. Hans Wenke49 als Zuhörern. Sie haben die Weichen dafür gestellt, dass ich am 29. Juli 1959 als Nachfolger von Prof. Merck auf das Extraordinariat für Erziehungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg berufen worden bin.50 42 43 44 45 46 47 48 49 50

Brezinka an W. Flitner am 8.8.1957. PAB. Brezinka an W. Flitner qm 10.2.1956. PAB. W. Flitner an Brezinka am 16.2.1956. PAB. (1902–1980). Biographie: Horn 2003, 236. (1892–1964). Biographie: Horn 2003, 295. (1919–2004). Biographie: Horn 2003, 320. (1912–1984). Biographie: Hillmann 1994, 756 f. (1903–1971). Biographie: Horn 2003, 373. Schreiben des Senators Heinrich Landahl vom 29.7.1959. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 497. Ich habe den Ruf zugunsten der Universität Innsbruck am 4.1.1960 abgelehnt. PAB.

Vorträge, Aufsätze, Europäisches Seminar der UNO

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Die Heimreise nach Hallein habe ich in Göttingen unterbrochen, um Professor Herman Nohl51 zu besuchen. Er war nach meiner Einschätzung neben Eduard Spranger52, Aloys Fischer53 und Wilhelm Flitner der bedeutendste deutsche Pädagogiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine 1945 gegründete und bis 1960 von ihm herausgegebene Monatszeitschrift „Die Sammlung“ mit dem Untertitel „Zeitschrift für Kultur und Erziehung in Gemeinschaft mit O. F. Bollnow, W. Flitner, E. Weniger“ war in der Geistesgeschichte der Nachkriegszeit ein wegweisender und ermutigender kulturpädagogischer Leuchtturm.54 Nohl hatte 1923 das Pädagogische Institut der Universität Göttingen gegründet. Er war ein Pionier der Jugendwohlfahrtspflege und Sozialpädagogik in Theorie und Praxis.55 Ich hatte ihm 1955 erstmals geschrieben und meinen Artikel „Über Elternberatung“ für seine Zeitschrift angeboten. Zwei Tage später erhielt ich eine Karte mit seinem Dank für den „sehr nützlichen Aufsatz“. Er ist 1956 erschienen und ihm sind bis 1959 fünf weitere Beiträge in der „Sammlung“ gefolgt. Nohl hat mich schon bei meinem ersten Besuch wie einen befreundeten Kollegen aufgenommen und bei seinem Nachfolger Erich Weniger56 eingeführt. Dieser hat mich zum Mittagessen eingeladen und sich Zeit für ein zweistündiges Fachgespräch genommen. Seither fühlte ich mich dem „Nohl-Kreis“, zu dem auch die Marburger Pädagogik-Professorin Elisabeth Blochmann57 gehörte, ideell dankbar verbunden. Nohl hat mir seine letzte pädagogische Schrift „Erziehergestalten“ mit Widmung geschenkt und nach dem Besuch geschrieben: „Es war sehr schön, Sie einmal hier zu haben, und Sie werden von uns – und ich denke dabei auch an Herrn Weniger – nicht vergessen werden!“58 Im April 1959 habe ich ihn in seinem Urlaubsort Bozen besucht und zu Pfingsten mit meiner Frau bei seinem Kuraufenthalt in Bad Gastein.59 Weder Nohl noch Weniger haben mich vergessen, sondern bis zu ihrem Tod gefördert.60 51 52 53 54

(1879–1960). Zur Biographie vgl. Blochmann 1969 und Buchka 1998. (1882–1963). Kurzbiographie: Horn 2003, 249 f. (1880–1937). Kurzbiographie: Horn 2003, 226 f. – Vgl. hier S. 154. Zu Inhalten und Bedeutung vgl. Lennert 1959; Blochmann 1969, 198 ff.; VennebuschBeaugrand 1993. 55 Vgl. Weniger 1959; Buchka 1998. 56 (1894–1961). Kurzbiographie: Horn 2003, 372 f. 57 (1892–1972). Kurzbiographie: Horn 2003, 193. Vgl. hier S. 205 und 230 ff. 58 Nohl am 26.6.1958 an Brezinka. PAB. 59 Am 3.4.1959 in Bozen und am 18.5.1959 in Bad Gastein: Taschenkalender PAB. 60 Siehe S. 226, 233 f., 243.

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Im Wiener Bundesministerium für Unterricht bin ich auch nach meiner Wende von der Heilpädagogik zur Allgemeinen Pädagogik noch lange als Spezialist für außerschulische Erziehung und Sozialpädagogik geschätzt worden. Deshalb wurde ich 1956 als Delegierter zum „European Seminar on Personnel for Childrens Institutions“ in die Niederlande entsandt. Es hat vom 16. bis 27. September in Baarn bei Hilversum stattgefunden. Teilgenommen haben 45 Personen aus 13 Ländern außerhalb des kommunistischen Ostblocks. Sie kamen überwiegend aus der praktischen Arbeit in Kinderheimen als Heimleiter, Erzieher und Sozialarbeiter sowie aus Schulen für die Ausbildung dieser untersten Berufsgruppe des Sozialwesens. Ich hatte nie zuvor so realistische Erfahrungsberichte über die Missstände und Schwierigkeiten der Personalgewinnung, Ausbildung und Berufspraxis von Sozialpädagogen gehört. Sie waren weit entfernt von der Verharmlosung, Idealisierung und Beschönigung der Verhältnisse, die mir manchmal bei den Salzburger Heilpädagogischen Kongressen aufgefallen waren. Bei diesem Seminar kamen alle Nöte der Heimerziehung zur Sprache, die zum Schaden der Heimkinder durch unzulängliches Personal und schlechte Rahmenbedingungen verursacht wurden. Als vordringliches Mittel der Abhilfe wurde den Regierungsbehörden empfohlen, die Berufe Sozialarbeiter und Heimerzieher finanziell anziehender und emotional befriedigender zu machen.61 Die Grundstimmung war positiv und fortschrittsgläubig. Gewarnt wurde aber davor, in der Ausbildung allzu ehrgeizige theoretische Lehrpläne zu verfolgen, die über das Fassungsvermögen der Studierenden und den berufspraktischen Zweck hinausgehen. Von der Verwissenschaftlichung und Überspezialisierung des Lehrstoffs wurde schon damals befürchtet, dass sie den Erziehernachwuchs der erziehungspraktischen Arbeit entfremden und ihn zum Ausweichen in „wissenschaftliche“ Studien oder Verwaltungstätigkeiten locken. Ich habe vor allem vom niederländischen Vizedirektor des Seminars D. Q. R. Mulock Houwer und der Exkursion in das von ihm geleitete Jugendfürsorgeheim „Zandbergen“ in Amersfoort viel lernen können sowie von Frau Dr. Gertrude Schulz, der Geschäftsführerin des deutschen Allgemeinen Fürsorgeerziehungstags in Hannover.

61 Report: United Nations 1957.

Die erste Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen 1957

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DIE ERSTE KONFERENZ DER ÖSTERREICHISCHEN UNIVERSITÄTSPÄDAGOGEN 1957 Das Fach Pädagogik war um die Mitte des 20. Jahrhunderts an den österreichischen Universitäten in einem armseligen Zustand. In Deutschland war die Lage nicht viel besser. Sie ist aber dort weniger aufgefallen, weil das Land zehn Mal größer war und zumindest einige angesehene Fachvertreter besaß. Diese sind zu jährlichen Tagungen zusammengetroffen, aus denen die „Konferenz der westdeutschen Universitätspädagogen“ hervorgegangen ist. Sie hat 1956 unter dem Vorsitz von Prof. Friedrich Schneider in München stattgefunden und ist durch einen Bericht in der „Zeitschrift für Pädagogik“ bekannt geworden.62 Hauptthemen waren das universitäre Studium der „Pädagogik als Zentralfach“ und als Nebenfach im Rahmen der Studien für das Lehramt an höheren Schulen. Dieser Bericht hat mich veranlasst, bei Prof. Strohal eine ähnliche Gründung für Österreich anzuregen.63 Die Zeit war dafür überreif, nachdem in Wien an der damals einzigen österreichischen Lehrkanzel für Pädagogik deren Vertretung durch ihren 1952 emeritierten Inhaber Prof. Richard Meister 1956 endgültig abgelaufen war.64 Als Nachfolger wurde Ministerialrat Dr. Josef Lehrl65 ernannt, der Leiter der Schulwissenschaftlichen Abteilung des Bundesministeriums für Unterricht. Er war mit Strohal durch jahrelange Zusammenarbeit in der englischsprachigen Sommerhochschule der Universität Wien befreundet. Beide wollten der Pädagogik aus ihrer Vernachlässigung durch die Universitäten heraushelfen. Das schien nur durch Zusammenschluss ihrer wenigen Vertreter und politische Unterstützung möglich. Dazu wurde erstmals ein gemeinsames Treffen geplant. Es wurde am 15. und 16. März 1957 bei einer Besprechung von Strohal, Lehrl und mir im Pädagogischen Institut der Universität Wien vorbereitet.66 Die Konferenz wurde von Strohal einberufen und hat unter seinem Vorsitz vom 23. bis 25. April 1957 im Bildungsheim Haus Rif des Verbandes österreichischer Volkshochschulen in Hallein (Land Salzburg) stattgefunden. Der 62 Röhrs 1956. 63 Brief von Brezinka an Strohal vom 19.3.1957. PAB. 64 Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 436 ff. 65 (1894–1957). Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 465 ff. 66 Brief von Strohal an Brezinka in Hallein vom 9.3.1957, PAB: „ich habe mit Prof. Lehrl eine Besprechung … ausgemacht, bei der Ihre Anwesenheit zweckmäßig wäre. Also kommen Sie!“; Brezinka: Kalender 1957, 14.–16.3.1957.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Tagungsort wurde von Lehrl als Präsident dieses Verbandes angeboten und war von Wien, Graz und Innsbruck gleich gut erreichbar. Es wurden alle Personen eingeladen, die als Professoren oder Dozenten im aktiven Dienst an österreichischen Universitäten Pädagogik gelehrt haben. Somit blieb der seit 1923 dominierende Emeritus Prof. Meister unberücksichtigt. Bezeichnend für die Lage war, dass nicht mehr als sechs Personen betroffen waren: ein Ordinarius für Pädagogik (Lehrl, Wien), ein Privatdozent für Pädagogik (Brezinka, Innsbruck), zwei Ordinarien für Philosophie und Pädagogik (Strohal, Innsbruck/Ferdinand Weinhandl67, Graz), ein Privatdozent für Philosophie und Pädagogik (Karl Wolf68, Graz) und eine Professorin für Entwicklungspsychologie im Pädagogischen Seminar der Universität Wien (Sylvia Bayr-Klimpfinger69). Thema der Beratungen war die Reform der Ausbildung der Pflichtschullehrer. Sie war bei den jahrelangen Verhandlungen zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) über das seit 1920 ausstehende Schulgesetz70 eine zentrale Frage. Dabei ging es auch um die Zukunft der kirchlichen Lehrerbildung und ihrer damals 15 Anstalten mit 1.597 Schülern, denen 14 staatliche Anstalten mit 2.433 Schülern gegenüberstanden (1954). Die ÖVP trat unter dem Druck der Kirche und des mächtigen Katholischen Lehrervereins für sechsjährige Lehrerbildungsanstalten „unter einheitlicher Leitung“ mit einem zweijährigen akademischen Oberbau ein, die SPÖ für Pädagogische Hochschulen mit Zugang für alle Besitzer von Reifezeugnissen einer höheren Schule. Zweck der Konferenz war ein gemeinsames Gutachten zur Versachlichung des Meinungsstreits für den Bundesminister für Unterricht Dr. Heinrich Drimmel71. Hauptsächlich ging es um den Nachweis, dass für eine Akademisierung der Pflichtschullehrerausbildung – gleich welcher Form – der Ausbau des Faches Pädagogik an den Universitäten eine dringend notwendige Voraussetzung ist. Strohal hat gebeten, mich auf eine „Analyse der Vorschläge zur Neuordnung der Ausbildung von Pflichtschullehrern“ vorzubereiten. „Ich glaube schon, dass Sie die Hauptarbeit bei den notwendigen Darlegungen werden leisten

67 Über ihn (1896–1973) vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 226–247. 68 Über ihn (1910–1995) vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 216–226; Bd. 3, 2008, 112–132; Bd. 1, 2000, 563–570. 69 Über sie (1907–1980) vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 454–462. 70 Vgl. Engelbrecht, Bd. 5, 1988, 465 ff.; Engelbrecht 2006; Brezinka, Bd. 1, 2000, 200 ff. 71 (1912–1991), Bundesminister für Unterricht von 1954–1964. Bruckmüller 2001, 93.

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müssen.“72 Tatsächlich war ich dann als einziger der Teilnehmer gründlich in die Materie eingearbeitet. Ich bin von der damaligen Situation der fünfjährigen Ausbildung an Lehrerbildungsanstalten und den Gründen ihrer Reformbedürftigkeit ausgegangen. Dann wurden die beiden rivalisierenden Reformpläne vorgestellt und ihre vermutlichen Vorzüge und Nachteile verglichen und eingeschätzt.73 Die sechsjährige Lehrerbildungsanstalt war als höhere berufspraktische Fachschule ähnlich der Handelsakademie gedacht und wurde „Lehrerakademie“ genannt. Die „Pädagogische Hochschule“ sollte ähnlich den Technischen Hochschulen eine echte „akademische“ Berufsausbildung leisten, obwohl der Pädagogik im Unterschied zu den naturwissenschaftlich-technischen Fächern eigenes wissenschaftliches Grundwissen ebenso fehlte wie erziehungswissenschaftliches Personal. Bei realistischer Einschätzung hat sich ergeben, dass die Unterschiede zwischen beiden Ausbildungsformen viel geringer waren als im Parteienstreit angenommen wurde. Eine hochschulmäßige Form mit der Reifeprüfung (Matura) als Zulassungsbedingung, gemeinsamer Ausbildung beider Geschlechter und methodischer Abkehr vom Unterrichtsstil der Mittelschulen werde sich auf jeden Fall durchsetzen. Bei der Reform gehe es darum, die pädagogische Berufsbildung gegenüber der vorausgegangenen Allgemeinbildung zu verselbständigen und wissenschaftlich fundiert und praxisnahe auszubauen. Österreich sei jedoch innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre noch nicht in der Lage, auf die alten Lehrerbildungsanstalten zu verzichten, weil „ausreichend geschulte Fachleute der Pädagogik, Psychologie usw., die eine hochschulmäßige Ausbildung tragen können“, derzeit fast gänzlich fehlen. „Die künftigen Lehrerbildner konnten bisher durch die Universitäten nur ungenügend auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.“ Diesem Mangel könne „nur durch eine Reform der Pädagogischen Institute an den drei österreichischen Universitäten abgeholfen werden. Erst wenn sie leistungsfähig sind, kann eine ausreichende Zahl von Personen ausgebildet werden, die zum Träger einer neuen Lehrerbildung werden können.“ Vorbedingung für jede Reform sei die Errichtung selbständiger Pädagogischer Institute an den Universitäten Innsbruck und Graz, die Förderung des erziehungswissenschaftlichen Nachwuchses durch Auslese begabter Lehrer sowie Vermittlung von Stipendien für das Studium der Pädagogik und ihrer Randgebiete im In- und Ausland.74 72 Brief von Strohal an Brezinka vom 30.3.1957. PAB. 73 Vollständiger Text bei Brezinka 1957. Nachdruck 2008, 1–22, Faksimile III–XVIII. 74 Brezinka 1957. Nachdruck 2008, 16 f.

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Auf der Grundlage dieser bis in Einzelheiten gehenden Analyse hat Prof. Strohal eine dreiseitige Denkschrift vom 25. April 1957 in Form eines Briefes an Minister Drimmel verfasst, die von allen sechs Teilnehmern unterschrieben wurde. Sie betonte „die unabweisliche Pflicht“ der Vertreter der Pädagogik, „an der Heranbildung und Auswahl von qualifizierten Lehrerbildnern mitzuwirken. An eine umfassende Realisierung der dargelegten Pläne ist nicht zu denken, solange keine entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten in Form selbständiger pädagogischer Universitätsinstitute vorhanden sind, denen eine hinreichende personelle und materielle Ausstattung zur Verfügung steht.“75 Diese „Empfehlung zur Neuordnung der Pflichtschullehrer-Ausbildung“ wurde von Lehrl an Bundesminister Drimmel geleitet. Dieser hat ihn wissen lassen, dass er ihr zustimme und sie als Grundlage für die künftigen Verhandlungen benützen wolle.76 Damals war es noch ganz ungewiss, ob und wann diese wieder in Gang kommen und zum Erfolg führen würden. Erst das Schulorganisationsgesetz vom 25. Juli 1962 brachte die Verlegung der Ausbildung der Volksschullehrer an Pädagogische Akademien und deren Eröffnung nach einer Übergangsfrist von sechs Jahren am 1. September 1968.77

FORSCHUNGSSTIPENDIAT IN DEN USA: COLUMBIA- UND HARVARD-UNIVERSITY (1957/58) Bei der Arbeit an meinem ersten Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ haben mich die anthropologischen Grundlagen der Erziehungstheorien besonders interessiert, die wir der biologischen, psychologischen, soziologischen und kulturhistorischen Forschung verdanken.78 Dabei ging es um Kenntnisse über Menschen als Objekte und Subjekte erzieherischer Handlungen, ihre ererbte Ausstattung mit organischer Plastizität, Entwicklungs- und Lernfähigkeit in Wechselbeziehung zu Umwelteinflüssen in unzähligen sozialkulturellen und individuellen Erscheinungsformen. In der pädagogischen Fachsprache wird diese „Formbarkeit von Anlagen durch Umwelteinflüsse“ als „Bildsamkeit“ bezeichnet.79 Sie ist im allgemeinsten Sinn die „Grundlage der Möglichkeit von 75 Nachdruck bei Brezinka 2008, 18–21. 76 Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 202. 77 Schulorganisationsgesetz § 131 k; Engelbrecht, Bd. 5, 1988, 517 f. 78 Brezinka 1957, 15–87, 318–338. 79 Keilhacker 1950, 196.

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Erziehung“.80 Deshalb wird eingeengt auf den Umweltfaktor Erziehung auch von „Erziehbarkeit“ gesprochen. „Die Probleme der Bildsamkeit … gehören zu den schwierigsten der Pädagogik.“81 Bei ihrem Studium habe ich großen Gewinn aus den Schriften angloamerikanischer Forscher gezogen. Sie waren in der deutschsprachigen Pädagogik noch weitgehend unbekannt und für mich nur sehr begrenzt im Salzburger Amerika-Institut der ehemaligen Besatzungsmacht zugänglich. So entstand mein Wunsch nach einem Forschungsaufenthalt in den USA. Dieser sollte ausdrücklich nicht dem Studium der dortigen Pädagogik dienen, sondern den erziehungswissenschaftlich bedeutsamen Erkenntnissen der Soziologie, Sozialpsychologie und Kulturanthropologie. Die besten Forschungszentren dafür schienen mir die Columbia-University in New York und das Department of Social Relations der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) zu sein. Ich hatte das damals sehr seltene Glück, für das akademische Jahr 1957/58 als sogenannter „research scholar“ im Fach „Educational Sociology“ ein kombiniertes Fulbright-Smith-Mundt-Stipendium der amerikanischen Regierung zu erhalten.82 Die normalen Fulbright-Stipendien dienten nur zur Deckung der Reisekosten, während der Aufenthalt in den USA aus anderen Quellen finanziert werden musste. Beim damit kombinierten Smith-Mundt-Stipendium zur Durchführung eines Forschungsvorhabens wurde auch ein Betrag von 9 Dollar pro Tag (270 monatlich) zur Deckung der Lebenshaltungskosten gewährt. Die erste Instanz für die Auswahl der Bewerber war die „United States Educational Commission in Austria“. Über deren Vorschläge wurde in zweiter Instanz in Washington vom „Conference Board of Associated Research Councils“ entschieden. Sehr geholfen haben mir zwei Empfehlungsschreiben der beiden einzigen Professoren für Pädagogik, die es damals an den österreichischen Universitäten gegeben hat. Prof. Josef Lehrl von der Universität Wien hat Folgendes geschrieben: „… Brezinka is undoubtedly one of the few personalities of the younger generation who will be able to cultivate the field of education at the university. I am stating this fact with real pleasure as the shortage of educational experts has been depressing since World War II in Austria as well as in other German speaking countries. Doctor Brezinka has gained good reputation 80 A. Fischer 1930, 342. 81 Dolch 1965, 36. 82 Chairman Dr. Lester R. Ott der US Educational Commission in Austria am 5.8.1957 an Brezinka. PAB.

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among theorists and practitioners. His publications display his comprehensive knowledge, his interest in the current problems and his astounding abilities concerning the application of scientific methods. Although his investigations are distinguished by exactitude, clarity and sobriety, they are far from being narrow minded or tedious, because he combines the qualities of a philosophizing thinker and of a specialist. He has a wide outlook and a deep respect for facts. I should like to emphasize his brilliant style that makes his literary work good reading, and his talents as organizer of conferences and meetings. Dr. Brezinka is sure to deserve the assistance in behalf of himself and of the educational problems he is about to deal with.“83 Prof. Strohal von der Universität Innsbruck schrieb: „… Brezinka is an expert in the whole field of education. He has an extraordinarily extensive and solid knowledge of the various educational problems and of the educational situation especially in Austria and Germany. He has already published many very valuable and interesting articles in the educational field and he is a successful lecturer.“84 Ich verdanke diesem Stipendium die bis dahin fruchtbarste Forschungsperiode meines Lebens und die entschlossene Wendung zum Entwurf der Erziehungswissenschaft als empirischer Sozialwissenschaft. Die acht Monate lange Trennung der jungen Familie ist meiner Frau und mir nicht leichtgefallen. Wir hofften aber darauf, dass ein Forschungsjahr in den USA durch seinen wissenschaftlichen Ertrag auch meinen Berufsweg zu einer Professur mit genügendem Einkommen für die ganze Familie verkürzen wird. So ist es auch bald nach der Heimkehr geschehen. Mein Forschungsthema hatte ich vorläufig sehr allgemein wie folgt beschrieben: „The fact, that formal education often does not reach its aims, indicates that there are many unnoticed factors in the process of moulding human personalities. Therefore it is necessary to study the influence of different groups on the formation of the individuals belonging to them. In a closed society the basic personality structure seems to depend from the structure of primary groups. But what is the matter in open societies, especially in the modern high industrialized and non-traditional-directed society? How is it possible to give children’s character a stability, which combines adaptability with the steadiness so important for being a healthy personality? Does there exist a relation between the increasing number of mentally disordered children and the decline of small groups, able to form basic habits and to give a ,basic sense of trust‘ by a good emotional contact?“85 83 Lehrl am 25.10.1956. PAB. 84 Strohal am 27.10.1956. PAB. 85 Brezinka am 7.1.1957 an Prof. Talcott Parsons, Chairman of the Department of Social

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Die Organisation der Reise und die Betreuung in den USA durch die Washingtoner Regierungsstellen und die beiden Gast-Universitäten waren vorbildlich. Kurz nach dem Abschluss der letzten Korrektur der Druckbogen meines ersten Buches erfolgte am 28. August die Abfahrt von Salzburg nach Paris im Schlafwagen Erster Klasse. Am nächsten Abend geschah in Le Havre die Einschiffung in die „United States“, den damals modernsten und schnellsten Ozeandampfer der Welt. Die Seereise bei gutem Wetter mit sonnigen Tagen und prachtvollen Mondnächten war ein Genuss. Am 3. September bin ich in New York gelandet. Dort gab es wissenschaftlich so viel zu lernen und kulturell so viel zu erleben, dass mir die Orientierung und die Auswahl schwergefallen sind. Der ruhende Pol war die riesige Bibliothek am Columbia Campus. Ich wusste ziemlich genau, was ich unbedingt lesen wollte, war aber überwältigt von der Menge der einschlägigen Schriften, die durchwegs nach Sachgebieten aufgestellt und von morgens bis Mitternacht unmittelbar zugänglich waren. In die Begeisterung über zahllose literarische „Entdeckungen“ mischte sich ernüchternd das Wissen um die Grenzen meiner Zeit und Arbeitskraft. Das galt auch für die Teilnahme an Vorlesungen und Seminaren des Lehrkörpers. Als ausländischer Gast der Regierung hatte ich nach Antrittsbesuchen überall freien Zugang. So konnte ich schon in den ersten zwei Wochen die Soziologen Paul Lazarsfeld86, Robert Merton87 und Hans Zetterberg88 kennenlernen sowie den Sozialpsychologen Otto Klineberg89 und die Kulturanthropologin Margaret Mead90. Am berühmten Teachers College der Columbia University, einer „Postgraduate School of Education“, wurde ich als Schüler und Mitarbeiter Friedrich Schneiders von George Z. F. Bereday91, dem Professor für Comparative Education, besonders freundlich begrüßt und bei seinen Kollegen R. Freeman Butts und Solon T. Kimball eingeführt. Ich wollte mich aber nicht zersplittern. Deshalb habe ich mich von diesem imponierenden Weltzentrum der Pädagogik eher ferngehalten und auf die Arbeit in der Graduate Faculty of Political Science der Columbia University (Sociology, Anthropology) konzentriert. Relations, Harvard University. PAB. Der Begriff „basic sense of trust“ („Urvertrauen“) wurde von Erikson 1950 übernommen: deutsch 1973, 241 ff. 86 (1901–1976). Hillmann 1994, 471. 87 (1910–2003). Hillmann 1994, 547. 88 (1927–2014). 89 (1899– 1992).Hehlmann 1974, 260. 90 (1901–1978). Hillmann 1994, 538. 91 (1920–1983).

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Regelmäßig besucht habe ich bloß zwei Forschungsseminare von Klineberg und Mead. Zu engeren fachlichen Kontakten ist es im allgemeinen Stress des New Yorker Lebens mit niemandem gekommen. Den berühmten Professoren fehlte es dafür an Zeit und Interesse und bei mir hatte die Arbeit in der Bibliothek Vorrang. Gründliche Gespräche hat es nur außerhalb des unruhigen universitären Betriebs gegeben. Zunächst erfolgte ein hilfreiches Treffen mit dem Psychiater und Neo-Psychoanalytiker Abram Kardiner92, dessen Studien zur „basic personality structure“ in Abhängigkeit von Primärgruppen und Eltern-KindBeziehungen ich schon in meinem ersten Buch genutzt hatte.93 Besonders berührt hat mich die Begegnung mit dem 88-jährigen ehemaligen Wiener und Münchener Pädagogik-Professor Friedrich Wilhelm Foerster.94 Er war nahezu erblindet, aber geistig hellwach mit gutem Gedächtnis und sprühender Erzählkunst. Wir haben uns dreimal für jeweils etwa zwei Stunden in einem chinesischen Restaurant nahe seiner Wohnung getroffen, ohne dass uns der Gesprächsstoff ausgegangen ist. Er hat aus seinem Leben als Pädagoge und umstrittener politischer Schriftsteller erzählt und wollte viel über das Geistesleben im Nachkriegsdeutschland und in Österreich hören. Da ich mit seinen Schriften und seiner Lebensgeschichte vertraut war, haben wir einander sofort gut verstanden. Ich habe ihm als Geschenk mein Buch versprochen. Er hat es sich „mit großer innerer Zustimmung vorlesen lassen“ und Folgendes dazu geschrieben: „Ich finde alle Ihre Formulierungen … außerordentlich gelungen, weil sie einerseits in die Tiefe gehen, andererseits in der einfachsten Sprache geschrieben sind, so dass sie jeder Mutter in die Hand gegeben werden können und doch zugleich eine hochstehende geistige Interpretation all der Schwierigkeiten bedeuten, die sich heute dem Werk der Erziehung entgegenstellen. Gruß und Händedruck von Ihrem aufrichtig ergebenen Fr. W. Foerster.“95 Die persönliche Begegnung mit ihm hat mich so beeindruckt, dass ich im Wintersemester 1958/59 „Das pädagogische Lebenswerk Friedrich Wilhelm Foersters“ zum Thema meiner ersten Übung als Professor der Pädagogischen Hochschule Würzburg gemacht habe.96 Kürzer, aber informativ war am 12. Dezember 1957 ein Besuch bei Robert 92 (1891–1981). Hillmann 1994, 405. 93 Brezinka 1957, 39, 326 ff. 94 (1869–1966). Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 328–338. 95 Foerster am 25.6.1958 an Brezinka. PAB. 96 Uhl 1997, 100.

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M. Hutchins.97 Er ist als langjähriger Präsident, Kanzler und Reformator der University of Chicago berühmt geworden und war damals Präsident des 1953 auf Initiative der Ford Foundation gegründeten „Fund for the Republic“. Sein Büro befand sich im 55. Stockwerk des Lincoln Building mit grandioser Sicht auf die Stadt. Er war ein humanistisch-konservativer Kritiker des amerikanischen Schulsystems, das von der durch John Dewey98 propagierten Ideologie der „progressive education“ beherrscht war. Im Gegensatz zum einseitig technischberufsorientierten Spezialistentum hat er nach dem Muster der alten europäischen Gymnasien für das Ideal einer „liberalen“ intellektuellen Bildung im Sinne der „liberal arts“ durch die klassischen Werke der Literatur und Philosophie geworben. Er hat sich sehr skeptisch über die Zukunft des Schulwesens der USA geäußert, weil diesem ein „klares Ideal fehle“.99 Zur Erläuterung hat er mir sein jüngstes Buch „Some Observations on American Education“ mit Widmung geschenkt. Es war leider so verschwommen und oberflächlich, dass es keine realistische Orientierungshilfe bot. Für mich war diese Enttäuschung ein weiterer Anstoss, mit der Lektüre spekulativer erziehungsphilosophischer oder -politischer Texte keine Zeit mehr zu verlieren. Neben meinen fachlichen Studien und Besuchen habe ich auch das bunte kulturelle, politische und gesellschaftliche Leben New Yorks kennenlernen können. Dazu gehörten die großartigen Bauten, Kunstmuseen, Konzerte und Theater. Ich konnte das Hauptquartier der Vereinten Nationen besichtigen und Beratungen der Vollversammlung und des Sicherheitsrates beiwohnen. Bei einem Empfang durch Österreichs Außenminister Leopold Figl100 war Gelegenheit, mit dem Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Prof. Franz Gschnitzer101 ein erstes Gespräch über Hilfe für das Südtiroler Schulwesen zu führen.102

97 (1899–1977). Kurzbiographie: Brezinka 1953; Kuebart 1970. 98 (1859–1952). Kurzbiographie: Böhm 2005, 154. 99 Hutchins 1956, 31: „The loss of an intelligible and attainable ideal lies at the root of the troubles of American education.“ 100 (1902–1965), von 1945 bis 1953 erster Bundeskanzler der Zweiten Republik. Biographie: Kraus 1983. 101 (1899–1968), ab 1928 Professor für Österreichisches Privat- und Arbeitsrecht an der Universität Innsbruck, 1945–1962 Tiroler Abgeordneter zum Nationalrat, als Staatssekretär von 1956–1961 Beauftragter für Südtiroler Angelegenheiten. Vgl. in diesem Buch S. 206. Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 168. 102 Vgl. S. 218 ff.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Mitte November fuhr ich nach Washington, um mich bei dem für mein Stipendium zuständigen Amt vorzustellen und zu bedanken: dem „Conference Board of Associated Research Councils“. Das gab Gelegenheit, das Weiße Haus und das Kapitol zu besuchen, einer Sitzung im Supreme Court beizuwohnen, die Library of Congress, die National Gallery of Art, Arlington National Cemetery und Mount Vernon zu besichtigen. Zum Thanksgiving Day Ende November folgte ein Ausflug zu den Niagara Falls. Er wurde wie vieles andere von privaten Vereinen zur Pflege der Kontakte mit ausländischen Gästen organisiert. Ich habe auch einige gastfreundliche Familien in dankbarer Erinnerung, die durch Einladungen die Einsamkeit in der riesigen fremden Millionenstadt erträglicher gemacht haben. Die sicherste Stütze aber war die Freude an der schöpferischen geistigen Arbeit. Die Weihnachtsferien verbrachte ich bei Freunden in Rhode Island. Am 6. Januar 1958 bin ich nach Boston gereist, um meine Studien in den folgenden vier Monaten am „Department of Social Relations“ der Harvard University im Stadtteil Cambridge fortzusetzen. Dort war das Leben um vieles ruhiger und freundlicher als in New York. Schon am ersten Tag fand ich über das „International Student Center“ ein stilles Privatzimmer nahe der Universität. Das Department wurde 1946 von der Faculty of Arts and Sciences gegründet, um in Lehre und Forschung eine enge Verbindung der Fächer Anthropologie, Soziologie und Psychologie herzustellen.103 Bereits am zweiten Tag hat mich Professor Gordon W. Allport104 zu einem langen herzlichen Gespräch empfangen und zum Lunch in den noblen Faculty Club eingeladen. Er war ein Pionier der Persönlichkeitspsychologie, kritisch gegenüber dem amerikanischen Behaviorismus und seit seiner frühen Studienzeit in Hamburg und Berlin dem Personalismus von William Stern105 und der verstehenden Psychologie von Eduard Spranger106verbunden. Als Spezialist für das Werden der individuellen psychischen Besonderheiten der Menschen in Abhängigkeit von ihren Gruppen und deren Kulturen hatte er für meine pädagogischen Studien besonderes Interesse. Seine Kernfrage an mich lautete: „How do you know that education does any good?“ Ich habe sein Seminar regelmäßig besucht und aus seinen Schriften und vielen Gesprächen fachlich wie menschlich am meisten gewonnen. Er hat mir seine Freundschaft geschenkt und mich bis kurz vor seinem Tod brieflich oft bera103 Official Register of Harvard University, Vol. LIV, June 28, 1957, No. 13: Department of Social Relations, 5. 104 (1897–1967). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 12; Schlüter 2013, 220–223. 105 (1871–1938). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 508. 106 (1882–1963). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 502.

Forschungsstipendiat in den USA: Columbia- und Harvard-University (1957/58)

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ten und ermutigt: „Teutonic Pedagogy, as we both know, has a tradition of dust and dreariness. You are the man to modernize and vitalize the subject.“107 Zur Kulturanthropologie habe ich viel von Clyde K. M. Kluckhohn108 und John W. M. Whiting109 lernen können, zur Soziologie von George Caspar Homans110 und zur Sozialpsychologie von Eleanor E. Maccoby111. Das Department hat zu Ehren von mir und zwei weiteren jungen Gastforschern aus Italien und Südafrika zu einem Begrüßungslunch im Faculty Club eingeladen, an dem zwölf Professoren teilgenommen haben. Durch diesen kultivierten kollegialen Stil hat sich Harvard von Columbia unterschieden. Eine besondere Freude war die Begegnung mit zwei deutschen Emigranten, die in den USA großes Ansehen gewonnen hatten. Werner Jaeger112 war lange Professor der klassischen griechischen Philologie an der Universität Berlin und ist 1936 zum Professor der Altertumswissenschaft nach Chicago und 1939 an die Harvard University berufen worden. Sein dreibändiges Hauptwerk „Padeia. Die Formung des griechischen Menschen“ (1933, 1944, 1947) hat die griechische Geistesgeschichte als Geschichte der Bildungsideale oder pädagogische Ideengeschichte im weitesten Sinne interpretiert. Seiner Vorstellung von „Erziehung als Funktion der menschlichen Gemeinschaft“113 lag der weite Begriff der „funktionalen Erziehung“ zugrunde, wie ihn Ernst Krieck und Friedrich Schneider propagiert hatten.114 Ich kannte sein Werk damals erst unvollständig und war begeistert von seiner Schönheit, aber unzufrieden mit seinen vagen begrifflichen Grundlagen (Formung, Bildung, Erziehung). Später habe ich seine Bände gern für meine historischen Vorlesungen herangezogen und mich dankbar an die Tischgespräche mit diesem ehrwürdigen idealistischen Gelehrten erinnert. Das gilt auch für Robert Ulich115. Er war von 1923 bis 1933 Referent für das Hochschulwesen im Ministerium für Volksbildung des Freistaates Sachsen und Honorarprofessor für Philosophie an der Technischen Hochschule Dresden. Als exponierter Sozialdemokrat ist er 1933 in die USA emigriert. Nach zwei 107 Allport in seinem letzten Brief vom 29.7.1965. PAB. 108 (1905–1960). Biographie: Hillmann 1994, 417. 109 (1908–1999). Vgl. Whiting/Child 1953. 110 (1910–1989). Biographie: Hillmann 1994, 338. 111 (1917–). 112 (1888–1961). Kurzbiographie: Dolch 1953; Schischkoff 1978, 329. 113 Jaeger 1959, 23. 114 Zur Kritik vgl. S. 118 f. 115 (1890–1977). Kurzbiographie: Brezinka 1955 e; Bereday 1958, XV ff.; Brickmann 1971; ausführlich Volpicelli 1994.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Jahren als Lecturer on Education an der Harvard University wurde er dort 1937 Professor of History and Philosophy of Education. Er hat sich zur Metaphysik einer idealistischen Minderheit bekannt, die der Mehrheit der Positivisten, Pragmatiker, Agnostiker und Nihilisten im amerikanischen Bildungswesen widersprochen hat. Die Gespräche mit diesem humanistisch breit gebildeten Erziehungsphilosophen haben meine skeptische Einschätzung der zeitgenössischen pädagogischen Situation bestätigt und bereichert. Er hat das „spirituelle Vakuum“ in den öffentlichen Schulen, die Pseudo-Verwissenschaftlichung der Lehrerausbildung auf Kosten religiös-moralischer Bildung116 und viele andere Mängel treffend kritisiert. Zur Abhilfe wurden aber eher abstrakte Glaubensvisionen für akademische Sinnsucher angeboten als konkreter pädagogischer Rat für Erziehungspraktiker. Ulich ist im Kern ein „transzendierender“ Philosoph117 geblieben. 1963 hat die Redaktion der „Harvard Educational Review“ gebeten, mich an einer Diskussion über seine „Philosophy of Education“ zu beteiligen. Ich habe deren Nutzen und Grenzen auf eine Weise kritisch beleuchtet118, die Ulich „auch nicht im Geringsten übelgenommen“ hat. „Wie langweilig wäre es ohne freie Aussprache, und mir scheint, das fehlt gerade in der Pädagogik.“119 Doch zurück zum Jahr 1958. Ich habe in Harvard meine glücklichste Studienzeit erlebt: durch beste Forschungsbedingungen, gute Freunde und Kollegen, Freiheit ohne Vereinsamung, warmherzige Gastfreundschaft, erlesene Konzerte, schöne Natur und Kunst. Aus dem Studienjahr in den USA sind vier Aufsätze hervorgegangen, die breite Beachtung gefunden haben. Drei hat Herman Nohl in der „Sammlung“ veröffentlicht: „Verwilderte Kinder – Legende und Wirklichkeit“, „Frühe Mutter-Kind-Trennung. Zum Problem der Charakterprägung und Erziehbarkeit“, „Sprache und Bildsamkeit. Dargestellt am Beispiel sprachlich isolierter Kinder“. Sie sind wegen ihrer „neuartigen und genauen Analyse pädagogischer Tiefenphänomene“ gerühmt worden.120 Den vierten Artikel hat Erich Weniger 1959 in der „Zeitschrift für Pädagogik“ zur Eröffnung des fünften Jahrganges durchgesetzt: „Die Pädagogik und die erzieherische Wirklichkeit“. Er markierte meine ersten Schritte von der Praktischen Pädagogik zur Erziehungswissenschaft als empirische Sozialwissenschaft. Am 2. Mai 1958 habe ich in New York mit der „United States“ die Heimrei116 Ulich 1961, 117 und 235 f. 117 Vgl. Ulich 1955, deutsch 1958. 118 Brezinka 1963. 119 Ulich am 28.2.1964 an Brezinka. PAB. 120 Lennert 1959, 32.

Wissenschaftliche Hilfskraft und kurze Schulpraxis

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se angetreten. Sechs Tage später war ich in Salzburg wieder glücklich mit Frau und Kind vereint. Neben 55 Langspielplatten mit klassischer Musik habe ich für die Fortsetzung meiner Studien 48 amerikanische Fachbücher zur Soziologie, Anthropologie und Sozialpsychologie mitgebracht.121 Sie enthielten viel Material, das meine Lehrveranstaltungen und Publikationen der folgenden Jahre bereichert hat.

WISSENSCHAFTLICHE HILFSKRAFT UND KURZE SCHULPRAXIS Das Fach Pädagogik hatte an der Universität Innsbruck zur Zeit meiner Habilitation (1954) weder eine eigene Lehrkanzel noch ein eigenes Institut. Es wurde seit 1930 von Richard Strohal als „Professor der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogik“ durch wöchentlich drei Stunden Vorlesungen betreut.122 Er war Vorstand des „Philosophisch-pädagogischen Seminars“ (ab 1956 „Instituts“), das über eine Assistentenstelle verfügte, die mit dem Philosophiedozenten Wolfgang Stegmüller123 besetzt war. Für die Pädagogik gab es weder einen Assistenten noch eine Wissenschaftliche Hilfskraft. Von den 29 Instituten der Philosophischen Fakultät, zu der damals auch die Naturwissenschaften gehörten, besaßen die meisten nur eine Assistentenstelle. Lediglich das Physikalische, das Chemische und das Zoologische Institut hatten zwei Stellen. Fünf Institute waren noch ohne Assistentenstelle.124 Unter diesen Umständen bestand wegen des strengen Sparkurses, zu dem das Unterrichtsministerium gezwungen war, wenig Aussicht auf eine Assistentenstelle für das Fach Pädagogik. Dabei spielte mit, dass es in der Fakultät noch Zweifel an seiner Wissenschaftlichkeit gab, sein Ansehen gering war, ein Hauptfachstudiengang und damit qualifizierter Nachwuchs fehlten und seine praktische Bedeutung für das Schulwesen und die Lehrerbildung ignoriert wurde. Strohal war entschlossen, den überfälligen Ausbau des Faches noch vor seiner Emeritierung im Herbst 1959 zu sichern. Dabei half ihm sein Ansehen als Mathematiker, Naturwissenschaftler, geschätzter Philosophielehrer und Prüfer beim Philosophicum aller Doktoranden sowie sein Amt als Rektor der Universität im Studienjahr 1954/55. Er hat die Fakultät dafür gewonnen, dass die 121 Laut Zollerklärung bei der Einreise in Österreich. 122 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 425 ff. und 445 ff. 123 Über Stegmüller (1923–1991) vgl. Moulines 2007. 124 Universität Innsbruck: Vorlesungsverzeichnis, Personalstand, Sommersemester 1956, 116 f.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

von ihm besetzte Lehrkanzel nach seiner Emeritierung für das Fach Pädagogik umgewidmet wird. 1957 hat er die Teilung des Philosophisch-pädagogischen Instituts und die Errichtung eines selbständigen Pädagogischen Instituts erreicht. Er wurde dessen Vorstand und strebte als nächstes eine Assistentenstelle an. Das war erfolglos, weil die älteren Institute, die noch ohne Assistenten waren, Vorrang hatten. Strohal konnte für das neue Institut nur den Dienstposten einer Wissenschaftlichen Hilfskraft erreichen und mit mir besetzen.125 So wurde ich aus einem Privatgelehrten mit Forschungsstipendium ab 1. Januar 1958 ein bundesstaatlicher Angestellter mit einem monatlichen Bruttogehalt von ATS 2.180 einschließlich Kinderbeihilfe. Mit diesem Dienstposten war selbstverständlich die Pflicht zur Anwesenheit in der Universität verbunden. So fuhr ich an jedem Montag gegen sechs Uhr morgens mit dem Zug von Hallein nach Innsbruck und bin erst am Freitagabend heimgekehrt. Das war für unsere junge Familie nach der langen Trennung durch meinen USA-Aufenthalt eine weitere schwere Belastung. Mein neues Amt habe ich im Sommersemester 1958 erst mit einem Monat Verspätung beginnen können. Neben der Vorlesung und Bibliotheksarbeit war mit Prof. Strohal eine Fortbildungsveranstaltung für Südtiroler Volksschullehrer über „Die außerschulischen Aufgaben des Lehrers in Südtirol“ vorzubereiten. Sie wurde vom 1. bis 4. Juli 1958 in der Landwirtschaftsschule auf der Fürstenburg in Burgeis (Vinschgau) durchgeführt. Veranstalter war der Südtiroler Katholische Lehrerbund in Verbindung mit dem Südtiroler Kulturinstitut. Sie wurde von Strohal geleitet. Ich hatte ihn dabei zu unterstützen und einen Vortrag über „Außerschulische Bildung und Erziehung“ zu halten. Damals war schon vorauszusehen, dass meine berufliche Aufgabe vorwiegend in der pädagogischen Ausbildung und Fortbildung von Lehrern bestehen wird. In den Philosophischen Fakultäten wie im Unterrichtsministerium galt als Regel, dass ein Professor der Pädagogik vor seiner Ernennung wenigstens einige Jahre selbst als Mittelschullehrer tätig gewesen sein sollte. Weil ich nie Schullehrer werden wollte, haben mir Lehramtsstudium, Prüfungszeugnis und Schulpraxis gefehlt. Ich habe das als Mangel erlebt und nach einer Möglichkeit gesucht, wenigstens ein Jahr lang nebenberuflich an einer Mittelschule zu unterrichten und sie von innen her kennen zulernen. Da ich nur für die Fächer Philosophie, Psychologie und Pädagogik qualifiziert war, kamen am ehesten Lehrerbildungsanstalten in Betracht, die damals noch berufsbildende Fachschulen waren. So habe ich das Angebot des Tiroler Landesschul125 Universität Innsbruck: Vorlesungsverzeichnis, Personalstand, Wintersemester 1958/59, 117.

„Summer School of the University of Vienna“ am Wolfgangsee (1958–1962)

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inspektors angenommen, an der privaten Lehrerinnenbildungsanstalt der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck als Teilzeitlehrer für Psychologie und Logik wöchentlich zwei Stunden zu übernehmen. Das war freilich nur ein privilegierter Aushilfe-Posten, der von der Realität des Lehrberufes mit rund 20 Wochenstunden, zwei Unterrichtsfächern und den Sorgen eines Klassenlehrers weit entfernt lag. Am 16. September 1958 habe ich im dritten Jahrgang bei 17- bis 18-jährigen Mädchen mit dem Psychologie-Unterricht begonnen. Die Schülerinnen zeigten großes Interesse, Lerneifer und Disziplin, die Direktorin und das Lehrerkollegium waren aufgeschlossen und wohlwollend. Die neue Aufgabe neben der Vorlesung an der Universität und den Pflichten im Institut hat mir viel Freude gemacht. Sie war jedoch überraschend schnell schon am 28. Oktober zu Ende, weil ich auf eine Professur in Würzburg berufen worden bin. Ich brauchte nun alle Zeit für die Verhandlungen und die Arbeit an der Antrittsvorlesung. Mein Abschied von Innsbruck fiel mit der Feier der Universität zum 70. Geburtstag von Prof. Strohal zusammen, die ich mit dem Rektorat für den 5. November 1958 vorbereitet hatte. Ich durfte die Begrüßung vornehmen und den Dank seiner Schüler ausdrücken. Ich habe ihm zu diesem Anlass meinen Aufsatz „Die Pädagogik und die erzieherische Wirklichkeit“ gewidmet. Zur Feier ist auch Prof. Richard Meister126 angereist, der Senior der österreichischen Pädagogiker und (von 1951 bis 1963) Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

„SUMMER SCHOOL OF THE UNIVERSITY OF VIENNA“ AM WOLFGANGSEE (1958–1962) Die Universität Wien hatte 1949 eine englischsprachige „Summer School“ mit sechswöchigen Kursen für Studierende aus den USA und anderen Ländern gegründet, um sie mit der europäischen Kultur und Österreichs Beiträgen zu ihr bekannt zu machen. Prof. Josef Lehrl hat dort jahrelang mitgearbeitet und mit großem Erfolg einen Kurs über „Origins and Growth of the European Mind“ durchgeführt. Es war „halb eine europäische Bildungsgeschichte, halb eine Bildungstheorie… .“127

126 Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 372–401, 425–453. 127 Lehrl in einem Brief an Brezinka vom 20.8.1957. PAB.

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4. Privatgelehrter in Hallein und Dozent in Innsbruck (1955–1958)

Wegen eines schweren Asthmaleidens hat sich Lehrl 1957 kurz vor seinem Tod128 zurückgezogen und mich als Nachfolger vorgeschlagen. Ich habe dem Rektorat der Universität Wien zugesagt, sofern Thema und Inhalt des Kurses geändert werden. Ich wollte statt einer Ideengeschichte der „Bildung“ die Problematik der Erziehung in der Gegenwart behandeln. Die Leitung der Sommerhochschule war damit einverstanden, dass ich einen 30-stündigen Kurs über „Culture, society and education in an age of change“ anbiete. Außerdem war ein 15-stündiges „Teachers Seminar“ durchzuführen. Der Veranstaltungsort war ein gepflegtes staatliches Bildungsheim in einem großen, stillen und sonnigen Park am Nordostende des Wolfgangsees in der Gemeinde Strobl (Land Salzburg) mit Wiesen, langem eigenen Badestrand und einem Bootshaus. Die Dozenten konnten ihre Frauen und Kinder mitbringen und wohnten zu einem günstigen Preis im nahen Gästehaus der Universität Wien. Die äußeren Bedingungen für einen Sommerurlaub der Familie hätten kaum besser sein können. Dort haben wir zum ersten Mal vom 13. Juli bis 23. August 1958 zu dritt als Jüngste mit einigen berühmten älteren Wiener Gelehrten zusammengelebt. Es gab viele interessante Gespräche mit dem sehr unterhaltsamen Historiker Prof. Heinrich Benedikt, dem Kunsthistoriker und Präsidenten des Bundesdenkmalamtes Prof. Otto Demus, dem Völkerrechtler Prof. Alfred Verdroß und dem Mediziner Prof. Hans Asperger. Diese Größen ihrer Fächer gingen unbesorgt mit längst erprobtem Wissen in ihre Vorlesungen und konnten die Summer School als Ferien genießen. Ich aber brachte als Anfänger noch keinen fertigen englischen Text mit, sondern musste ihn für jeden Tag erst neu erarbeiten. Meine Zuhörer waren als College-Absolventen fachlich wie national bunt gemischt und ohne pädagogische Vorbildung. Unter diesen Umständen blieb am schönen Urlaubsort für die Erholung mit Frau und Kind keine Zeit. Das hat sich auch in den folgenden Sommern nur wenig gebessert. Inhaltlich habe ich vieles meinem Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ entnommen mit den umfangreichen Ergänzungen aus den Studien in den USA und der dort erworbenen Literatur. Der damalige Stand meiner Systematik einer Einführung in die Pädagogik ist aus folgender Inhaltsangabe der Vorlesung ersichtlich: „I. The flexibility of human nature: The biological basis of behavior – the role of culture in personality formation – socialization and education. II. Social life and education in a stable society: Tradition, authority and the 128 Er ist am 11. November 1957 im Alter von 63 Jahren in Wien gestorben.

„Summer School of the University of Vienna“ am Wolfgangsee (1958–1962)

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moral order – personal relationships, primary groups and their educational significance. III. Social life and education in a dynamic society: The development of industrialized and urbanized societies – social disintegration – the main symptoms of the crisis – the modern family – changes in the roles of the parents – the peer group – the role of the mass media – the changing role of the school. IV. Reconsidering the philosophy of education: The aims of education – revaluation in ethics – freedom and discipline – morals, religion and democracy. V. Planning education for the future: Education for democracy – family and parenthood – schools and teachers for tomorrow – thought, philosophy, religion and the integration of the social order.“ Im „Teachers’ Seminar“, das für Lehrer und Lehramtsstudenten bestimmt war, wurden folgende Themen zur Diskussion vorgeschlagen: „The legal foundation and organization of Austria’s educational system: nursery schools, elementary schools, secondary (high) schools, vocational training schools, teachers’ college, universities. Current problems of education: coeducation – students’ councils and parents’ associations – school authorities and the parents – the social and financial position of the teaching profession in Austria.“ Die Mitarbeit des Lehrpersonals der Summer School war bei Erfolg auf unbegrenzte Zeit angelegt. Das konnten sich nur Kollegen leisten, die dem Ende ihrer Laufbahn nahe waren. Ich stand erst am Anfang und hatte wichtigere Aufgaben. Deshalb habe ich die Einladungen durch die Wiener Rektoren nur für vier Sommer annehmen können. Ich musste ab Ende 1958 in Würzburg eine Pädagogische Hochschule aufbauen und ab Herbst 1960 ein Institut an der Universität Innsbruck. Darum habe ich der Wiener Sommerschule in den Jahren 1959, 1960 und 1962 auch nur drei statt sechs Wochen widmen können. Das erforderte täglich drei Stunden Unterricht mit intensiver Vorbereitung und Prüfungen. Für die Freuden eines Familienurlaubes am See blieb wenig Zeit. Das Arbeitsklima war angenehm, aber das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag unbefriedigend. Lehrreich waren die enormen Qualitätsunterschiede bei den Studierenden je nach ihrer Herkunft zwischen Yale und Mississippi State University.

5. PROFESSOR FÜR PÄDAGOGIK UND VORSTAND DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE WÜRZBURG DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG (1958–1960)

Der erste Ruf auf eine Professur hat mich im Alter von 30 Jahren nach Bayern geführt. In diesem deutschen Bundesland ist am 14. Juni 1958 ein Lehrerbildungsgesetz beschlossen worden, das die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen in neu zu errichtende „Pädagogische Hochschulen der Landesuniversitäten“ verlegt hat.1 Es trat am 1. August 1958 in Kraft. Die wichtigsten Vorschriften lauteten: „Die bestehenden Institute für Lehrerbildung werden … vom gleichen Tag an Pädagogische Hochschulen der Landesuniversitäten“ (Artikel 20). Die Institute in Bayreuth und Nürnberg werden „Pädagogische Hochschulen der Universität Erlangen, die Institute für Lehrerbildung Augsburg, München-Pasing und Regensburg Pädagogische Hochschulen der Universität München, die Institute für Lehrerbildung Bamberg und Würzburg Pädagogische Hochschulen der Universität Würzburg“. „Davon haben katholischen Bekenntnischarakter die Pädagogischen Hochschulen in Augsburg, Bamberg, Regensburg und Würzburg, evangelischen Bekenntnischarakter die Pädagogischen Hochschulen in Bayreuth und Nürnberg. Über die Pädagogische Hochschule in München ergeht gesonderte Anordnung.“2 Dieses Gesetz ist nach jahrelangem bildungspolitischen Streit als Kompromiss zwischen den Parteien und der Katholischen Kirche zustande gekommen. Es wurde in der deutschen Öffentlichkeit stark beachtet, weil es erstmals hochschulrechtlich Institutionen und Aufgaben zu vereinigen vorschrieb, die bis dahin als unvereinbar galten: erstens eine „institutionell selbstständige“ Pädagogische Hochschule als „Einrichtung der Universität“, zweitens den „bekenntnismäßigen Charakter“ der Pädagogischen Hochschulen und die Freiheit von „Wissenschaft, Forschung und Lehre“.3 1

2 3

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 13 vom 19. Juni 1958, S. 133 ff.; Abdruck in: Zeitschrift für Pädagogik, 4. Jg., 1958, S. 278–282. Abdruck mit 1. bis 3. Durchführungsverordnung: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1958, Nr. 23, vom 22.12.1958, S. 345–351. Zur Vorgeschichte vgl. Buchinger 1975. Zweite Verordnung zur Durchführung des Lehrerbildungsgesetzes. Vom 28. Juli 1958, § 1. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 23/1958, 350. Gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 5, Absatz 3; Verfassung des Freistaates Bayern, Artikel 108.

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5. Professor für Pädagogik und Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg

Ich wurde nach Zustimmung der Universität Würzburg und des Bischöflichen Ordinariats am 14. Oktober 1958 durch den bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Prof. Theodor Maunz als außerordentlicher Professor auf den Lehrstuhl für Pädagogik der neuen Pädagogischen Hochschule Würzburg berufen. Nach den üblichen Verhandlungen ist die Ernennung „unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit“ am 12. Dezember 1958 erfolgt. Das war für mich und meine Familie ein beruflicher Höhepunkt. Ich habe von da an genug verdient, um nach den kargen Jahren als Privatdozent und Wissenschaftliche Hilfskraft uns drei allein erhalten zu können. Deshalb hat meine Frau am Ende des Schuljahres 1958/59 ihren Beruf als Gymnasiallehrerin aufgegeben, um sich ganz der größer werdenden Familie zu widmen. Am 8. Januar 1960 wurde unser zweites Kind Veronika in Würzburg geboren. Ich habe die Professur mit Freude, aber nicht ohne Sorgen übernommen. Sie war kein gewöhnlicher Dienstposten im eingespielten Professorenkollegium einer herkömmlichen Fakultät, sondern ein vereinzelter Pionierposten zum Aufbau einer neuartigen Hochschule mit ungewisser Zukunft. Ich wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1959 für zwei Jahre zu ihrem „Vorstand“ ernannt.4 Dieser ungewöhnliche Titel für den Leiter einer Hochschule, der normalerweise „Rektor“ heißt, wurde vom Gesetzgeber gewählt, um Verwechslungen mit dem Rektor der Universität zu vermeiden. Über die Rechte und Pflichten, die mit diesem Amt verbunden waren, informierte § 4 der Satzung der Pädagogischen Hochschulen vom 28. Oktober 1959:5 „Dem Vorstand der Pädagogischen Hochschule obliegt insbesondere die Vertretung der Hochschule gegenüber der Universität und nach außen, der Vollzug der Beschlüsse des Beschlusskollegiums, die Vereidigung der Hochschullehrer sowie der übrigen Beamten und Angestellten der Hochschule, die Wahrnehmung der Aufgaben des Dienstvorgesetzten gegenüber allen an der Hochschule tätigen Beamten und Angestellten mit Ausnahme der Lehrpersonen, die Einstellung und Entlassung der Angestellten und Arbeiter der Hochschule nach Maßgabe der verfügbaren Planstellen, die Aufsicht über die Studierenden der Hochschule und ihre Vereinigungen, 4 5

Schreiben von Staatsminister Maunz vom 29.12.1958; Nr. II 107 706. PAB. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 22/1959, S. 435.

5. Professor für Pädagogik und Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg

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die Aufsicht über die Bewirtschaftung der staatlichen Haushaltsmittel und die Verwaltung staatlichen Vermögens, die Ausübung des Hausrechts und der Ordnungsgewalt im Hochschulbereich.“ Ich musste der Ernennung zustimmen, weil der Vorstand Professor sein musste und ich im Lehrkörper der einzige Professor war. Um die Last dieses doppelten Amtes eines Neulings als Professor und „Vorstands“ einer erst aufzubauenden Hochschule ermessen zu können, ist ein Blick auf die Ausgangslage erforderlich. Würzburg besaß als Hauptstadt des Regierungsbezirkes Unterfranken, der 1955 rund eine Million Einwohner hatte, ein staatliches Lehrerseminar. Es war seit 1898 in einem großzügigen Neubau mit Übungsschule auf einer Anhöhe am südöstlichen Stadtrand untergebracht (Wittelsbacher Platz 1). Die zuletzt als berufsbildende höhere Schulen geführten Lehrerbildungsanstalten mussten auf Anweisung der amerikanischen Militärregierung 1948 abgebaut werden. Von da an wurde auch für künftige Volksschullehrer das Zeugnis der Hochschulreife Voraussetzung für die Zulassung zur Ausbildung.6 Es bestand Einigkeit über ein „berufswissenschaftliches“ Studium einschließlich berufspraktischer Ausbildung von sechs Semestern Dauer. Umstritten war, ob es an selbständigen Pädagogischen Hochschulen auf konfessioneller Grundlage oder an den Universitäten erfolgen soll. Im Kern ging es bei diesem Streit um die Erhaltung der konfessionellen oder „Bekenntnisschulen“ und die Sicherung eines bekenntnistreuen Lehrernachwuchses für sie. Beides wurde durch das Bayerische Konkordat mit der Katholischen Kirche sowie dem Kirchenvertrag mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche von 1924 und die Staatsverfassung von 1946 garantiert. Deren Artikel 135 lautete: „(1) Die öffentlichen Volksschulen sind Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen. Die Wahl der Schulart steht den Erziehungsberechtigten frei … . (2) An den Bekenntnisschulen werden nur solche Lehrer verwendet, die geeignet und bereit sind, die Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten und zu erziehen.“ Das setzte konfessionsgebundene Ausbildungsstätten für das Lehrpersonal voraus. Die Bekenntnisschule war in Bayern bis 1968 die Regelschule für rund 90 % der Volksschüler.7 Erst durch einen Volksentscheid vom 7.7.1968 wurde der Artikel 135 der Bayerischen Verfassung geändert. Seither waren die Schüler der öffentlichen Volksschulen „nach den gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse zu unterrichten und zu erziehen“. 6 7

Ausführlich hierzu A. Strehler 1959, 95–104. Kurzka 1970, 119; Erlinghagen 1972, 61 f., 66 f., 80 f.

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5. Professor für Pädagogik und Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg

Da in dieser Kernfrage lange keine Einigung mit der Katholischen Kirche erreicht werden konnte, ist die gesetzliche Regelung der Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen viele Jahre verzögert worden. Als Übergangslösung wurden „Pädagogische Lehrgänge“ für Abiturienten eingerichtet, die seit 1952 vier Semester dauerten. Ihre Träger waren die Studienräte der oberen berufsbildenden Klassen der ehemaligen Lehrerbildungsanstalten, die seit 1954 „Institute für Lehrerbildung“ genannt wurden. Sie waren zunächst keine selbständigen Anstalten, sondern unterstanden den volksschulfremden Oberstudiendirektoren der „Deutschen Gymnasien“, die aus den allgemeinbildenden Jahrgängen der aufgelösten Lehrerbildungsanstalten hervorgegangen sind. Sie haben den größten Teil ihrer angestammten Räume, Einrichtungen, Bibliotheken sowie den eigenen Etat verloren und waren bloßes „Anhängsel einer höheren Schule, die nach Aufgaben und Niveau unter ihnen lag“.8 Als die Institute ab Ende 1956 selbständig wurden, blieben sie weiter in einer armseligen Verfassung, die für Abiturienten wenig anziehend war und wesentlich zum katastrophalen Lehrermangel beigetragen hat. Entsprechend düster war die Stimmung im kleinen überlasteten Lehrkörper der Institute. Die Institute wurden am 31. Juli 1958 aufgelöst und damit auch die institutseigenen Ausbildungsschulen verselbständigt. Diese unrühmlichen Verhältnisse habe ich Ende 1958 auch in Würzburg vorgefunden. An der Universität gab es noch keinen Lehrstuhl für Pädagogik. Der Lehrkörper der neuen Hochschule bestand aus vier in der Lehrerbildung bewährten Studienräten im Hauptamt, 18 Lehrbeauftragten im Nebenamt und 11 Ausbildungslehrern an sieben städtischen Volksschulen.9 Ich war als neuer Vorgesetzter mit Abstand das jüngste Mitglied. Meine beiden Vorgänger als Leiter des Instituts, die Oberstudienräte Dr. Josef Adelmann10 und Dr. Karl Keßler11, waren rund 30 Jahre älter. Die Regionalzeitung „Fränkisches Volksblatt“ berichtete unter der Überschrift „Junger Professor leitet junge Hochschule“: „Der dreißig Jahre alte Erzieher dürfte der jüngste Leiter einer deutschen Hochschule sein.“12 8 A. Strehler 1959, 100. 9 Pädagogische Hochschule Würzburg: Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Wintersemester 1958/59, 3 f. 10 Geboren am 6.12.1899, Promotion 1923 in Würzburg mit der Dissertation „Die Kinderpsychologie bei Jean Paul und in der romantischen Dichtung“, angesehener Autor von 5 Büchern zur Schulpädagogik, insbesondere Unterrichtsmethodik. Biographie: Strehler 1959, 174. 11 (1898–1969). 12 Fränkisches Volksblatt, 9. Januar 1959, Nr. 6, S. 3 (mit Foto).

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Das neue Lehrerbildungsgesetz hat auf Lehrerbildner, Lehramtsstudierende und die Lehrerschaft der Pflichtschulen in Kürze belebend und ermutigend gewirkt. Die Eingliederung in die Universität, die Aufnahme in die Sozialschicht der Akademiker und die Aussicht auf „wissenschaftliche Bildung“ in Inhalt und Stil haben Zufriedenheit und hohe Erwartungen geweckt. Das zeigte sich auch bald in der Zunahme der Studierenden. Im Sommerhalbjahr 1957 gab es nur 80, verteilt auf zwei Jahrgänge. Im Wintersemester 1958/59, also im ersten Halbjahr der neuen Hochschule, stieg sie auf 228 an. Im Sommersemester 1960 waren 320 Studierende eingeschrieben.13 Bei den großen Alters- und Rangunterschieden im Lehrkörper wären für die verdienten Lehrerbildner traditionellen Stils Spannungen, Neid, Verbitterung oder Rückzug nahegelegen. Nichts davon ist eingetreten. Ich habe durchwegs Wohlwollen, Ermutigung und selbstlose Unterstützung gefunden. Harmonie und Gemeinsinn im Kollegium haben auch nach seiner Erweiterung angehalten und den großen Kreis der Lehrbeauftragten und Ausbildungslehrer durchdrungen. Bis zum Sommer 1960 ist das Kollegium von fünf auf sieben Personen gewachsen. Dazu kamen 13 Lehrbeauftragte für wissenschaftliche und schulpraktische Fächer und 12 für Instrumentalmusik sowie 34 Ausbildungslehrer.14 Drei der vier Professuren waren aber am Ende meiner Amtszeit noch immer unbesetzt. Auch von den Studierenden bin ich freundlich bis begeistert aufgenommen worden, weil sie meinen offenen Umgangsstil und die interessanten Lehrveranstaltungen geschätzt haben. Meine Vorlesungen und Übungen wurden als anziehende Ausnahme in einem ziemlich trockenen Lehrbetrieb erlebt.15 Unter normalen Verhältnissen hätte jede Hochschule einem jungen, frisch zum Professor ernannten Dozenten einige Jahre der Einarbeitung in seine Lehraufgaben gewährt, bevor sie ihm Leitungsaufgaben überträgt. Auch ich hätte meine gesamte Zeit und Kraft für die Ausarbeitung meiner Vorlesungen benötigt. Ich hatte bis dahin nur Spezialthemen behandelt, weil die großen systematischen und historischen Vorlesungen von Prof. Strohal gehalten worden sind. Deshalb habe ich nach Würzburg keine Hauptvorlesungen mitbringen können, die ich nun zu halten hatte: eine zweistündige „Einführung in die Pädagogik“ durch zwei Semester und „Geschichte der Erziehung von der Anti13 Brezinka 1960, 378. 14 Pädagogische Hochschule Würzburg der Universität Würzburg: Personal- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1960, 4–8. 15 Bericht des damaligen Studenten Hein Retter 2011, 277.

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ke bis zur Gegenwart“. Immerhin konnte ich mich auf mein erstes Buch und die Vorlesung der Wiener Sommeruniversität stützen. Ich habe meinen Lehraufgaben immer Vorrang gegeben, weil von ihrer guten Erfüllung die Freude am Beruf, das Ansehen als Professor und die Autorität als Vorstand der Hochschule abhingen. Trotzdem konnte ich ihnen kaum die Hälfte meiner Zeit widmen. Die Leitungsaufgaben verlangten vom ersten Tage an einen übermäßigen Einsatz, der mich auch ohne Lehraufgaben voll ausgefüllt hätte. Folgender Brief an Prof. Strohal vom 13. Februar 1959 vermittelt ein Bild der Lage.16 „Sie können sich kaum vorstellen, welche Last auf mir liegt. Allein die Besetzung der übrigen drei Lehrstühle mit all den Intrigen, die dabei mitspielen, könnte einen schon ausfüllen. Dazu endlose Verwaltungsarbeiten. Ende Februar allein für mich 150 Prüfungen usw. Außerdem habe ich zu viel Geld, das noch vor Jahresschluss (1. April) ausgegeben werden muss, wenn wir es nicht verfallen lassen wollen: allein für Bücher DM 16.000, also fast 100.000 Schillinge – wahrscheinlich ein Etat, wie ihn bei uns in Österreich eine ganze Fakultät hat. Aber dafür wird leider beim Personalaufwand sehr gespart. Ich habe nur eine Sekretärin für die ganze Verwaltung, die trotz größtem Einsatz (täglich 4 Überstunden!) die Arbeit einfach nicht schaffen kann. Ich selbst sitze täglich 12 bis 14 Stunden im Büro – lange hält man das nicht aus. Wenn sich nicht bald etwas ändert, muss ich die Lehrervereine und den Landtag einspannen, um etwas durchzusetzen. Dieser Posten ist wirklich eine kleine Schule der Politik. Es geht freilich auch vieles vorwärts. Die Räume sind nicht mehr wiederzuerkennen, Bibliothek und Lesesaal werden Prunkstücke werden – alles nur mit Hilfe von Studenten, die auch unentgeltlich die Aufsicht führen, weil wir noch keinen Bibliothekar haben.“ Neben der übermäßigen Arbeit hat mich auch die oft wochenlange Trennung von der Familie belastet. Ich musste zunächst in einem Gasthaus unterkommen, bis im Juli 1959 eine schöne Neubauwohnung in der Kapuzinerstraße 1a nahe der Residenz gemietet werden und der Umzug aus Hallein erfolgen konnte. Diese sonnige Unterkunft war für uns ideal, weil wir mit wenigen Schritten den Hofgarten mit den großartigen Parkanlagen und Spielplätzen erreichen konnten. Meine bildungspolitisch wie regionalpolitisch wichtigste Aufgabe war zunächst die Antrittsrede, die ich am 23. Januar 1959 in der Aula der Alten Universität gehalten habe. Sie war nicht nur mein erster öffentlicher Auftritt als Professor und Vorstand der neuen Pädagogischen Hochschule, sondern vor allem deren erste Selbstdarstellung anlässlich der feierlichen Erstimmatrikulation aller Studierenden als Angehörige der Universität. Rektor und Senat 16 PAB.

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der Julius-Maximilians-Universität und Vorstand und Kollegium der Pädagogischen Hochschule Würzburg haben dazu gemeinsam eingeladen. Es war für die Stadt, die Bezirksregierung, die Kirche und die Lehrerschaft von Unterfranken ein Hochfest, über das die Regionalzeitung „Main-Post“ unter der Überschrift „Sehnsucht von Lehrergenerationen erfüllt“ berichtet hat.17 Das „Fränkische Volksblatt“ titelte: „Rektor begrüßt 241 Lehrerstudenten als neue akademische Bürger.“18 Meine programmatische Rede hatte ich schon in den Wochen vor meinem Dienstantritt ausgearbeitet. Sie hat begeisterte Aufnahme gefunden, aber auch einige Kritik aus dem Kreis konservativer katholischer Lehrer und Lehrerbildner ausgelöst. So wurde sie ungeplant zum Anlass für einen schulpolitischen und wissenschaftstheoretischen Meinungsstreit, der nicht auf Bayern beschränkt geblieben ist.

ANTRITTSREDE ÜBER „AUFGABEN UND PROBLEME DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE IN BAYERN“ (1959) Die große Feier samt Verbreitung der gedruckten Rede war eine einmalige Gelegenheit, alle von der Akademisierung der Volksschullehrer-Ausbildung betroffenen Personen, Berufsgruppen und Behörden über die Eigenart der neuen Hochschule, ihre Aufgaben, Chancen und Nöte zu informieren. Die Studierenden mussten zu Arbeitsfreude und Gemeinschaftsgeist angespornt werden. Den bisherigen Lehrerbildnern waren Anerkennung, Unentbehrlichkeit und Dank auszusprechen. Bei den Universitätsprofessoren waren Vorbehalte gegen die Pädagogik als Wissenschaft abzuschwächen. Andererseits war generell an die Grenzen der Wissenschaften zu erinnern und an die bleibende Bedeutung von Ethos, Moral, Recht, Religion und Weltanschauung für Lebensführung und Erziehung. Ausgegangen bin ich von den drei Merkmalen der Pädagogischen Hochschule als wissenschaftlicher Hochschule, Berufshochschule und Bildungsstätte.19 Ihnen entsprechend wurden drei Aufgabengebiete und ihre Problematik behandelt: das wissenschaftliche Studium, die berufspraktische Ausbildung und die Bildung durch das gemeinsame Leben.20 17 Main-Post, 26. Januar 1959, Nr. 20, S. 3. 18 Fränkisches Volksblatt, 26. Januar 1959, Nr. 20, S. 3. Die Zahl 241 war ein Irrtum. Tatsächlich gab es nur 228 Inskriptionen. 19 Nach dem „Gutachten über die Ausbildung der Lehrer an Volksschulen“ des „Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen“ vom 5. September 1955, S. 59. Gesamtausgabe 1966, 746. 20 Brezinka 1959.

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Diese Gliederung war unvermeidlich, weil der lange umstrittene Übergang von einer höheren berufsbildenden Lehranstalt zu einer wissenschaftlichen Hochschule begründet und als pädagogischer Fortschritt gewürdigt werden musste. Dafür genügte es nicht, dass für die Volksschullehrer zweifellos ein standespolitischer Aufstieg erreicht worden ist. Entscheidend war vielmehr, ob und wie durch die „Akademisierung“ von Form und Inhalten der Ausbildung die Berufstüchtigkeit wesentlich verbessert werden kann. Dabei mussten ihre drei Komponenten Berufswissen, Berufskönnen und Berufsethos berücksichtigt werden. Tatsächlich ist damals im Ringen der Parteien, Kirchen und Lehrerverbände das Ideal der Berufstüchtigkeit und ihrer Entstehungsbedingungen vernachlässigt worden. Das standespolitische Endziel der Volksschullehrer bestand darin, durch die Ausbildung an Universitäten oder wissenschaftlichen Hochschulen den Akademikerstatus zu erreichen. Da ihr Beruf erforderte, auf elementarer Stufe alle Schulfächer zu unterrichten, war deren wissenschaftliches Studium unmöglich. Als akademisches Studienfach kam nur die „Pädagogik“ als Theorie der Erziehung und des Unterrichts in Betracht.21 Sie wurde zwar auch schon „Erziehungswissenschaft“ genannt22 – unsinnigerweise sogar im Plural („Erziehungswissenschaften“)23 – , aber sie war von einer gefestigten und allgemein anerkannten Wissenschaft weit entfernt. An den Universitäten war sie durch selbständige Lehrstühle nur schwach oder noch gar nicht vertreten.24 Zwischen dem Kriegsende und 1960 sind an den westdeutschen Universitäten nur sieben Habilitationen für Pädagogik erfolgt, davon zwei in Bayern.25 Bei meiner Antrittsrede in der Universität konnte nur angedeutet werden, dass die Pädagogik als Wissenschaft im strengen Sinne erst im Entstehen gewesen ist. Sie sei entgegen der landläufigen Meinung „in mehrfacher Hinsicht eine besonders schwierige Wissenschaft“. Das hing mit der Spannung zwischen defizitärer empirischer Forschung und Theorienbildung einerseits, bloßem Alltagswissen, übermäßigen historischen Literaturstudien und philosophischen Reflexionen andererseits zusammen. Dazu kamen die weit verbreiteten Zweifel am Nutzen dieser Gedankenwelt für die Erziehungspraxis. Diese sei21 Gutachten des Deutschen Ausschusses von 1955, S. 56. 22 Ebenda. 23 „Folgerungen“ des Deutschen Ausschusses vom 13. März 1958. Zeitschrift für Pädagogik, 4. Jg. (1958), S. 184. Gesamtausgabe 1966, 753. 24 Zur Menge, Vermehrung und Widmung der Lehrstühle zwischen 1945 und 1965 vgl. Horn 2003, 148 ff. 25 München: Fritz Stippel 1949, Erich Wasem 1960.

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nen Ruf schädigenden Schwächen des Faches habe ich übergangen und mich auf die Bedeutung von „Wissenschaftlichkeit“ als methodischer kritischer Haltung beschränkt, die sich vom ungeprüften Meinen, vom fraglosen Annehmen auf guten Glauben hin unterscheidet.26 Ich hielt es aber vor der Universität, den Mitarbeitern und den Studierenden für notwendig, der schwierigen aktuellen Frage nicht auszuweichen: wie ist im Rahmen der Freiheit, die der „Wissenschaft, Forschung und Lehre“ durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert wird27, der wissenschaftliche mit dem „bekenntnismäßigen Charakter“ der Pädagogischen Hochschulen zu vereinbaren? Mein Lösungsvorschlag lautete: die Existenz der Bekenntnisschulen erfordert, dass deren künftige Lehrer auch religiös-moralisch auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet werden. Das sei primär Aufgabe der Theologen und Religionspädagogen im Lehrkörper sowie der Seelsorge im Rahmen der Pädagogischen Hochschule als Bildungsstätte. Soweit die Hochschule jedoch wissenschaftliche Anstalt sei, sollen die dort gelehrten Wissenschaften nicht konfessionell eingeengt und nicht direkt in den Dienst der christlichen Verkündigung gestellt werden. „Wir werden in der Lehre keine Ungewissheit über den kirchlichen Standpunkt aufkommen lassen, aber wir werden auch den Geist der Freiheit hüten und uns die Auseinandersetzung mit der modernen Welt nicht zu leicht machen.“ Eine Konfessionalisierung der Wissenschaften wurde abgelehnt. Es werde keine „katholische“ Erziehungswissenschaft oder Psychologie gelehrt, die sich von einer „evangelischen“ oder konfessionell „neutralen“ unterscheiden würde.28 Zugleich wurde aber auch auf „die unübersteigbare Grenze der Wissenschaft“ hingewiesen: „sie gibt keine Ziele für das Leben, sie begründet keine Werte, sie kann nicht führen. Die Wissenschaft kann die Religion nicht ersetzen, sie kann nicht einmal als Weltanschauung dienen. Das ist gerade von manchen Gruppen der Lehrerschaft, die schon vor hundert Jahren die akademische Ausbildung angestrebt haben, in ihrem zeitbedingten Kampf gegen die kirchliche Bevormundung nicht immer klar genug gesehen worden.“ „Die Pädagogische Hochschule muss sich darauf beschränken, den Studenten die Zusammenhänge geschichtlicher, politischer, sozialer und geistiger Art klarzumachen, die die pädagogische Situation bestimmen; ihnen zu zeigen, wo die Stellen der Entscheidung liegen; sie geistig mündig und damit überhaupt 26 Brezinka 1959; Nachdruck 1966, 67 ff. 27 Grundgesetz, Artikel 5, 3. 28 Unter Hinweis auf W. Flitners Unterscheidung (1954, 117 f.) von „wissenschaftlicher Pädagogik“ und „evangelischer Erziehungslehre“ als „praktischer Pädagogik“, die schon bei Otto Willmann, Emile Durkheim und Rudolf Lochner zu finden ist. Vgl. Brezinka 1978, 237 ff.

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erst ,bekenntnisfähig‘ zu machen. Neben der eigenen Position müssen sie auch die übrige Welt und andere mögliche Haltungen kennenlernen.“ Diese liberale Interpretation des „bekenntnismäßigen Charakters“ der Pädagogischen Hochschulen war für die damalige Zeit in Bayern ungewöhnlich freimütig, weil das Lehrerbildungsgesetz „die Ausbildung … auf christlicher Grundlage und auf dem Boden der abendländischen Kultur“ forderte (Artikel 1). Ich riskierte damit Beifall von unerwünschter kirchenfeindlicher Seite und Protest aus konservativen kirchlichen, philosophischen und politischen Kreisen. Sie entsprach aber meiner Überzeugung, dass zur „abendländischen Kultur“ auch die Aufklärung gehört. Das zu betonen war auch notwendig, um die Ablehnung der Hochschulen durch die Universitäten zu überwinden, denen sie „aufgezwungen worden“ waren.29 Im Ganzen meiner Rede hat es keine Überschätzung der Empirischen Erziehungswissenschaft gegeben. Wissenschaftstheoretische Richtungen und Forschungsmethoden kamen darin gar nicht vor, weil es in der Lehrerausbildung um eine Praktische Pädagogik auf wissenschaftlicher Grundlage ging. Leitbild war nicht der erziehungswissenschaftliche Spezialist oder Schulforscher, sondern der berufstüchtige Lehrer mit breiter elementarer Allgemeinbildung und pädagogisch-psychologischer sowie sittlicher Berufsgrundbildung. Dennoch hat meine unterscheidend vermittelnde Stellungnahme zum „bekenntnismäßigen Charakter“ der Pädagogischen Hochschulen zu Missverständnissen und heftigen Angriffen im „Mitteilungsblatt der Katholischen Erziehergemeinschaft in Bayern“ (KEG) „Die Katholische Schule“ und in der katholischen Zeitung „Deutsche Tagespost“ geführt.30 Darin wurden mir „Wissenschaftsgläubigkeit“, überholtes „empirisches und positivistisches Denken“, „weltanschauliche Unverbindlichkeit“, „humanitärer Atheismus“, Objektivität, „die es nicht gibt“, und eine „Zwei-Reiche-Theorie der bayerischen Lehrerbildung“ vorgeworfen. „An einer konfessionellen Hochschule sollte man solche Reden, die offenbar dem vom Gesetz angestrebten Charakter dieser Hochschule entgegengerichtet sind, nicht so laut führen.“31 29 Dekan Rudolph Berlinger der Philosophischen Fakultät der Universität Würzburg bei meinem Antrittsbesuch am 6.11.1958: „Die Pädagogische Hochschule ist uns aufgezwungen worden; wir werden uns auch dem entsprechend verhalten.“ Brezinka in einem Bericht vom 8.11.1958 an Regierungsdirektor Dr. Schrettenseger, Referent im Staatsministerium für Unterricht und Kultus, München. PAB. 30 Kasztantowicz 1959; Wendland 1959; Pöggeler, 1959; Schilling 1959. Leicht gekürzter Nachdruck der Texte von Kasztantowicz und Pöggeler in: Die Bayerische Schule, 12. Jg. (1959), Nr. 31, S. 516–519. S. 6. 31 Kasztantowicz 1959, Bayerische Schule, S. 517. Er hat 1953 an der Universität Mün-

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Ein Höhepunkt der Anfeindung war im Herbst 1959 eine „Wallfahrtskundgebung der Katholischen Erziehergemeinschaft in Oberfranken“ im Kloster Vierzehnheiligen gegen den „falschen Wissenschaftsbegriff “ meiner „liberalen Weltanschauungspädagogik“. Der Redner verkündete unter anderem: „Eine Pädagogische Hochschule“ sei „kein Asyl für wissenschaftstheoretische Blindgänger“. „Es gibt in einer wissenschaftlichen Pädagogik, sofern sie wissenschaftlich ist, keine Trennung zwischen Erziehungstheorie und Erziehungspraxis, weil der Mensch, auf den beide bezogen sind, eine innere Einheit ist…“. „Katholische Pädagogik“ sei keine „konfessionelle Pädagogik, weil die katholische Kirche keine Konfession neben anderen Konfessionen ist … sie ist der Leib Christi.“ „Der Erkenntnisordnung gemäß geht die katholische Pädagogik primär aus einer realistischen Philosophie als Universalwissenschaft und ihren Prinzipien hervor.“32

KONTROVERSE ÜBER „WISSENSCHAFT UND KONFESSION IM RAHMEN DER BAYERISCHEN LEHRERBILDUNG“ (1959) Die erwähnten Angriffe waren so schwerwiegend, dass eine kurze „Entgegnung“ in der „Deutschen Tagespost“33 zur Aufklärung nicht genügte. Ich wollte trotz einer Menge anderer Aufgaben die Problematik der Ausbildung von Volksschullehrern an wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten gründlicher untersuchen, als mir das für die Antrittsrede möglich gewesen ist. Dabei ging es vor allem um zwei Fragen: erstens um die Wissenschaftlichkeit der Pädagogik und ihren Nutzen als zentrales Fach Pädagogischer Hochschulen; zweitens um Sinn und Grenzen des „Bekenntnischarakters“ solcher Hochschulen. Durch die Antrittsrede bin ich in nähere Verbindung mit Carl Weiss gekommen. Er war der pädagogisch breit gebildete Schriftleiter der vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverein herausgegebenen Zeitschrift „Die Bayerische Schule“ und gehörte „zu den führenden Schulpolitikern im BLLV“.34 Er hat sich begeistert über meine Rede geäußert und die Angriffe gegen mich zum Anlass genommen, ein Sonderheft zum Thema „Der Wissenschaftscharakter chen mit folgender von Professor Fritz Stippel (1915–1974) angenommenen Dissertation promoviert: Sünde und Erziehung. Eine anthropologische Untersuchung über die Grundlage der Pädagogik. Nach: Zeitschrift für Pädagogik, 4. Jg., 1958, S. 200. 32 Wendland 1959 a. 33 Brezinka 1959 b. 34 (1892–). Strehler 1959, 203 f.

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der Pädagogischen Hochschule“ zusammenzustellen. Es ist mit meiner Abhandlung „Wissenschaft und Konfession im Rahmen der bayerischen Lehrer­bildung“35 eröffnet worden. Vorsichtige Unterstützung bekam meine Kritik an der Konfessionalisierung wissenschaftlicher Studiengänge durch Beiträge des damaligen Vorstandes der Pädagogischen Hochschule München, des Philosophen Anton Neuhäusler36, und des damaligen Professors der Pädagogik an der Universität Erlangen Hans Scheuerl37. Ferner wurden der polemische Artikel von Kasztantowicz und eine versöhnliche Stellungnahme von Franz Pöggeler abgedruckt, der eine „katholische Pädagogik bei voller Wahrung der Wissenschaftlichkeit“ für „möglich“ hielt, da „Pädagogik ohne religiöses Bezugssystem undenkbar sei“.38 Weiss hat dieses Heft an alle westdeutschen Universitätspädagogiker und an die Rektoren aller Pädagogischen Hochschulen, Akademien und Lehrerbildungsinstitute geschickt und um Stellungnahmen gebeten, die in der „Bayerischen Schule“ veröffentlicht werden sollten. Dazu ist es trotz bundesweiter Diskussionen und zahlreicher privater Reaktionen nicht gekommen. „Überall stößt man auf eine außerordentliche Zurückhaltung“: So hat Weiss die Lage damals erlebt.39 Privat hat es viel Zustimmung gegeben, aber nur wenige wollten damit an die Öffentlichkeit. Bezeichnend dafür sind folgende Sätze zum ersten Teil aus einem Brief von Eduard Spranger: „Nirgends ist so gut gesagt worden, weshalb die Eröffnung von Pädagogischen Hochschulen ein verfrühtes Unternehmen war. Ich habe mich dazu nicht geäußert, weil die Diskussion unter der Herrschaft standespolitischer Interessen stand. Kaum jemand von den Vertretern der Pädagogik außer Ihnen hat gewagt, auch einmal auf die Sache einzugehen.“40 Der von Spranger gelobte erste Teil meiner Studie über den dürftigen Erkenntnisstand der wissenschaftlichen Pädagogik und ihren geringen Nutzen für die Lehrerausbildung war kulturpolitisch viel gewichtiger als der zweite über Sinn und Grenzen von Glaubensbekenntnissen in Schulen und Hochschulen. Da letzterer aber den aktuellen Konflikt betraf, zunächst ein Blick auf ihn und seine Folgen. 35 Brezinka 1959 c. 36 (1919–1997). Neuhäusler 1959. Biographie: Schischkoff 1978, 482; Kürschner 1987, 3231. Er war unter dem Namen Franz Ringseis auch ein hervorragender Dichter in bayerischer Mundart und blieb mir lebenslang freundschaftlich verbunden. 37 (1919–2004). Scheuerl 1959. Biographie: Horn 2003, 329; Böhm 2005, 558. 38 Pöggeler 1959. Zur Biographie (1926–2009) vgl. Böhm 2005, 501. 39 Carl Weiss am 13.1.1960 an Brezinka. PAB. 40 Spranger am 15.12.1959 an Brezinka. PAB.

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Die praktischen Auswirkungen des Konflikts über den konfessionellen Charakter der bayerischen Lehrerbildung sind in Würzburg unbedeutend gewesen, weil das Kollegium, die große Mehrheit der Studentenschaft, der Würzburger Bischof und der Kultusminister in dieser Frage zu mir gehalten haben. Das lag vor allem an der gemeinsamen Einsicht, dass die Verweltlichung (Säkularisierung) des öffentlichen und privaten Lebens schon viel weiter fortgeschritten war, als zugegeben wurde. Mit dem Rückgang des christlichen Glaubens und des Einflusses der Kirchen auf die Lebensführung ist deren Getrenntheit auch von ihren treuen Mitgliedern zunehmend als Übel eingeschätzt worden, das überwunden werden sollte. Deshalb galten konfessionell getrennte Volksschulen und Lehrerbildung auch für viele Katholiken als überholt. Dazu hat ab 1945 die konfessionelle Durchmischung des früher zu etwa 90 % katholischen Unterfranken beigetragen, die durch die Ansiedlung zahlreicher protestantischer Flüchtlinge und Heimatvertriebener aus den verlorenen ostdeutschen Provinzen und der sowjetischen Besatzungszone erfolgt ist. Für beide Kirchen wurde die Erhaltung des gemeinsamen christlichen Kulturgutes in den Schulen durch Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“41 wichtiger als das vergebliche Vorhaben, in allen Fächern der Volksschulen und der Lehrerausbildung „konfessionsgemäßen“ Unterricht durchzusetzen. Der katholische Charakter der Hochschule ist vom Lehrkörper weitherzig im Sinne eines christlichen Humanismus ausgelegt worden: gelassen, duldsam und ohne missionarischem Eifer, aber dankbar für die historischen und gegenwärtigen Leistungen der Kirche. Das geistige Klima war offen und erlaubte alle Positionen von tiefer Gläubigkeit bis zum liberalen Kulturkatholizismus und einem unaufdringlichen Agnostizismus. Jeder wusste, dass die Hochschule auf die Lehrtätigkeit an katholischen Bekenntnisschulen vorzubereiten hatte – auch religiös und moralisch. Sie hatte nicht nur wissenschaftliche Hochschule zu sein, sondern auch Bildungsstätte „auf christlicher Grundlage“. Deshalb war neben der wissenschaftlichen Pädagogik in der Praktischen Pädagogik, der Theologie und Katechetik auch Platz für eine katholische Erziehungslehre. Für die Hochschule als Bildungsstätte, für das Gemeinschaftsleben und das Berufsethos war diese relativ gleichartige religiös-weltanschauliche Orientierung ein Gewinn. Die Kirche hat überwiegend auf die persönliche Ausstrahlung ihrer Dozenten im Priesteramt und auf die Seelsorge gebaut. Sie ging von einem großzügigen diözesanen Wohnheim für Lehrerstudenten aus, das 1960 in unmittel41 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 7, Abs. 3.

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barer Nähe der Pädagogischen Hochschule eröffnet worden ist. Initiator und Heimleiter war unser Religionslehrer und -pädagogiker Studienprofessor Ernst Veth.42 Bei ihm liefen alle kirchenamtlichen und seelsorglichen Fäden zusammen. Er war aber bei aller Tatkraft realistisch genug, mehr auf geduldige Überzeugungsarbeit und individuelle Lebensberatung zu setzen als auf verbale Feldzüge gegen den säkularisierten Zeitgeist. Ebenso klug, ausgleichend und versöhnlich hat der Professor der Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät Dr. Heinz Fleckenstein43 gewirkt, der in den ersten Jahren als Lehrstuhlvertreter für Theologie eingesprungen ist. Dieses harmonische Verhältnis zur Amtskirche war nicht zuletzt auch dem Würzburger Bischof Dr. Josef Stangl44 zu danken. Er hatte selbst einige Jahre als Religionslehrer in der Lehrerbildung gewirkt und wusste daher, dass man von den meisten Lehrern und Lehramtsstudierenden nicht viel mehr als einen liberalen Kulturkatholizismus erwarten durfte, also Wohlwollen ohne größeres Engagement. Die Erhaltung der Harmonie zwischen Staat und Kirche war am meisten bei der Ausbildung von Laien für den Religionsunterricht gefährdet. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat „in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen“ den Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“ gesichert. „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ (Artikel 7,3). Deshalb dürfen auch nur solche Lehrkräfte Religionsunterricht erteilen, die die Vollmacht ihrer Religionsgemeinschaft haben. Diese bestimmt den Inhalt des Religionsunterrichts. In der Katholischen Kirche wird die Erteilung der Lehrbefugnis für ihn als „Missio canonica“ bezeichnet.45 An der Pädagogischen Hochschule Würzburg wurde die verschiedene Zuständigkeit von Staat und Kirche für die Lehrerausbildung beim Abschluss des Studiums auf folgende Weise versinnbildlicht. Der ersten akademischen Schlussfeier mit Überreichung der Zeugnisse für die Erste Lehramtsprüfung am 22. Oktober 1959 gingen für den Abschlussjahrgang zwei religiöse Vorbereitungstage auf die kirchliche „Missio canonica“ in der Jugendherberge von Burg Rothenfels unter Leitung unseres Religionspädagogen Veth voraus. Am Morgen des Festtages habe ich Bischof Stangel dorthin zu einem Gottesdienst 42 (1915–1978). 43 (1907–1995). 44 (1907–1979). 45 Barion 1960; Campenhausen 1973, 110 und 230.

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mit Verleihung der „Missio“ begleitet. Um 12 Uhr fand dann in der Aula der Hochschule der staatliche Festakt unter meiner Leitung statt.46 So hat die gelebte Praxis des „bekenntnismäßigen Charakters“ der Pädagogischen Hochschule wie seine theoretische Interpretation durch Neuhäusler, Scheuerl und mich keine Nachteile für den Erwerb der Berufstüchtigkeit der Lehramtsanwärter erkennen lassen, die ihm generell anzulasten wären. Das galt allerdings nur, wenn bei der Besetzung der Professuren und Mitarbeiterstellen vermieden wurde, die Konfession und die konfessionelle Begünstigung höher zu bewerten als berufliche Eignung und Leistung. In meinem Amt als Vorstand waren Besetzungsvorschläge und das Verhindern von Fehlbesetzungen die unberechenbarste und mühevollste Aufgabe. Es gab im personalpolitischen Ringen mit dem Ministerium, intervenierenden Landtags-Abgeordneten und der Universität allerdings nicht nur konfessionelle, sondern auch politische und kollegiale Protektion für ungeeignete Günstlinge. Wegen des Mangels an gutem wissenschaftlichen Nachwuchs bei dringendem Personalbedarf war die Gefahr groß, sich mit schwachen Kandidaten zu begnügen, wenn wenigstens die Konfession passte. Im langen politischen Streit für oder gegen Bekenntnisschulen und konfessionelle Lehrerbildung sind leider die Kernprobleme hochschulmäßiger Volksschullehrerbildung vernachlässigt worden: welches Wissen, welches Können und welche sittlichen Eigenschaften brauchen Volksschullehrer? Wie können sie auf akademischem Niveau relativ wirksam und kostengünstig vermittelt werden? Welche Pädagogik ist dafür geeignet? Dieses Fach schien mir um die Mitte des 20. Jahrhunderts von einer eigenständigen Erfahrungswissenschaft noch ebenso weit entfernt zu sein wie von einer normativ-praktischen Disziplin, die für künftige Lehrer und andere professionelle Erzieher kein notwendiges Übel, sondern verständlich, brauchbar und wünschenswert ist. Ich habe die Ansicht vertreten, dass die Pädagogik „als Wissenschaft noch in den ersten Anfängen steckt und zunächst einmal d ­ ringend der Grundlagenforschung bedarf “. Sie „ist entgegen der naiven landläufigen Auffassung ein besonders komplexer und schwieriger Forschungsbereich.“47 Bei dieser Einschätzung der Lage war es ein Fehler, dass ich in meiner Antrittsrede die Pädagogische Hochschule in erster Linie als wissenschaftliche Hochschule statt als Berufshochschule dargestellt und das „wissenschaftliche Studium“ der noch kaum vorhandenen „Erziehungswissenschaft“ als erste

46 Mein Taschenkalender 1959, PAB. 47 Brezinka 1959 c, 502; Nachdruck 1966, 84; ähnlich 1959, 6.

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Aufgabe der Studierenden genannt habe statt ihrer beruflichen Ausbildung.48 Dieser Fehler wurde unter dem Zwang der festlichen Situation begangen, in der anlässlich der Eingliederung der Hochschule in die Universität die Wissenschaftlichkeit der Pädagogik und der neuen akademischen Lehrerausbildung zu betonen und ihr „bekenntnismäßiger Charakter“ abzuschwächen war. Tatsächlich habe ich den Zweck der „Akademisierung“ der Volksschullehrer-Ausbildung in der Verbesserung ihrer Berufstüchtigkeit gesehen, aber nicht in der scheinbaren „Verwissenschaftlichung“ des Studiums zu deren Schaden. Deshalb bin ich für die „eigene Gestalt und einen eigenen Stil“ der Pädagogischen Hochschule eingetreten. „Die bloße Wissensvermittlung genügt für den Erzieherberuf nicht. Deshalb kann die Wissenschaft in der Lehrerbildung auch nicht die gleiche zentrale Stellung einnehmen wie an der Universität.“ In meiner Abschiedsrede als Vorstand am 28. Juli 1960 hieß es dazu: „Die deutsche Universität … ist kein Modell, das für die Pädagogischen Hochschulen in jeder Hinsicht nachahmenswert ist. Die bedeutendsten Vertreter der Pädagogik an den Universitäten wie Eduard Spranger, Theodor Litt und Herman Nohl haben nie einen Zweifel gelassen, dass die Volksschullehrerbildung nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hat, wenn sie sich einseitig am derzeit üblichen Studienbetrieb der Philosophischen Fakultät orientiert.“49 Wie sah der an den Berufsaufgaben der Volksschullehrer orientierte „eigene Stil“ der Pädagogischen Hochschule Würzburg in ihren Anfängen aus? Was galt als Ideal und was geschah wirklich?

LEHRFÄCHER UND PERSONALSORGEN Mein Ideal war damals eine selbständige Berufshochschule für Volksschullehrer „von überschaubarer Größe“50 mit rund 300 Studierenden. Sie fußte auf dem idealistischen Programm einer „Bildnerhochschule“ von Eduard Spranger aus dem Jahre 1920.51 Ab 1926 ist sie als „Pädagogische Akademie“ im größten deutschen Teilstaat Preußen durch den Minister für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung Carl Heinrich Becker52 zu verwirklichen begonnen worden. Als geistige Grundlage dienten eine solide Denkschrift seines Minis48 49 50 51

Brezinka 1959 a, 82 f.; Nachdruck 1966, 66 ff. Brezinka 1960, 383 f. Deutscher Ausschuss, Folgerungen vom 13.3.1958. Gesamtausgabe 1966, 755. Spranger 1920; Nachdruck bei Kittel 1965, 17–65. Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte vgl. Kittel 1957, 38 ff. 52 (1876–1933). Biographien: Schramm 1930; Böhm 2005, 65.

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teriums von 192553 und Beckers deutschnationale romantisch-humanistische Schrift von 1926 über „Die pädagogische Akademie im Aufbau unseres nationalen Bildungswesens“ von 1926.54 Nach einer kurzen Blütezeit bis 193255 zwangen Sparmaßnahmen als Folge der Weltwirtschaftskrise und dann der zunehmende Lehrermangel in der Hitler-Diktatur zur Einstellung der akademischen Ausbildung der Volksschullehrer. Die 1933 aus den Pädagogischen Akademien hervorgegangenen „Hochschulen für Lehrerbildung“ wurden 1941 durch „Lehrerbildungsanstalten“ mit fünfjährigem Ausbildungsgang nach Abschluss der Volksschule ersetzt.56 Sie sind in Bayern nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches als sechsklassige konfessionelle Anstalten beibehalten und dann durch Abiturientenlehrgänge und ab 1954 durch die „Institute für Lehrerbildung“ ersetzt worden. Da Bayern die hochschulmäßige Ausbildung seiner Volksschullehrer später als die anderen Länder der Bundesrepublik Deutschland eingeführt hat, war es möglich, beim Aufbau der Würzburger Hochschule auch aktuelle Erfahrungsberichte und Planungen aus anderen Bundesländern zu berücksichtigen. Mich hat am meisten das „Gutachten über die Ausbildung der Lehrer an Volksschulen“ angeregt, das der „Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen“57 1955 veröffentlicht und 1958 durch „Folgerungen“ ergänzt hat.58 Darin wurde einstimmig ein sechssemestriges Studium an selbständigen Pädagogischen Hochschulen empfohlen, die „vom überlieferten Typus der wissenschaftlichen Hochschule“ abweichen. Für Volksschullehrer sei „eine besondere Form der akademischen Bildung erforderlich“. Sie hatte vier Merkmale.59 Erstens galt als einziger „Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen… die Pädagogik, in welcher philosophisches Denken und die erzieherisch bedeutsamen Probleme der Psychologie und der Soziologie einbegriffen sind“. Zu ihr gehöre auch die Didaktik und Methodik der Unterrichtsfächer. Ihr Studium „geschieht um der künftigen Praxis willen“. Zweitens brauche der werdende Volksschullehrer neben dem Studium der „Erziehungswissenschaft“ für sich selbst und seinen Beruf die „Erfahrung der 53 Die Neuordnung der Volksschullehrerbildung in Preußen. Text bei Kittel 1965, 77–97. Verfasser: Ministerialrat Johannes Von Den Driesch (1880–1967). 54 Becker 1926. Nachdruck: Kittel 1965, 99–139. 55 Vgl. Kittel 1957, 298 ff. 56 Müller-Rolli 1989, 241 ff. 57 Zu diesem von 1953 bis 1965 tätigen Beratungsgremium vgl. die Einleitung der Gesamtausgabe seiner Empfehlungen und Gutachten, 1966, 9–28; Führ 1997, 65 f. 58 Deutscher Ausschuss 1966, 739–756. 59 Ebenda, 741 ff.

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bildenden Gehalte“, „aus denen die Volksschule lebt“. Insbesondere „Musik, Dichtung, Bildkunst und Bewegung müssen das Leben der Hochschule durchdringen und die bildende Macht des Musischen ständig gegenwärtig halten“, um der Gefahr einer „Intellektualisierung auch der Volksschule“ und der „geistigen und seelischen Verarmung des Volkes“ zu begegnen. Drittens müssten die künftigen Lehrer durch regelmäßige Hospitationen, eigene Unterrichtsversuche und mehrwöchige Praktika „schon während ihres Studiums in die Praxis ihres Berufes eingeführt werden“. Viertens sei die Pädagogische Hochschule „unmittelbarer als die Universität“ auch eine „Bildungsstätte“, in der eine „Bildungsgemeinschaft der künftigen Lehrer mit ihren Dozenten“ ermöglicht werden soll. Deswegen dürfe sie nicht zu groß sein. Ich habe mich weitgehend an diesem Idealbild selbständiger Pädagogischer Hochschulen orientiert, aber die verschwommenen Vorstellungen der Gutachter vom „wissenschaftlichen Charakter ihrer pädagogischen Forschung und Lehre“60 abgelehnt. Es hieß dort allzu vage und pathetisch, „die Akademisierung der Lehrerbildung“ bedeute, dass sie „unter das Gesetz der Wissenschaft tritt“. Für das Fach Pädagogik habe „die Forderung nach wissenschaftlicher Grundlegung in Strenge zu gelten“. „Die Pädagogik hat die ganze Breite der Erziehungswirklichkeit zum Gegenstand. In der auf diese Wirklichkeit gerichteten Forschung und Lehre darf sich die wissenschaftliche Arbeit an den Pädagogischen Hochschulen von der Erziehungswissenschaft, die an den Universitäten gepflegt wird, nicht unterscheiden.“ Ich hatte damals schon genügend eigene Erfahrungen und Literaturkenntnisse über die Praxisferne und Verworrenheit eines Großteils der universitären „wissenschaftlichen“ Pädagogik, um dieser Schönfärberei entgegen zu treten. Ich war mit unserem kleinen Kollegium einig: in den Mittelpunkt der Lehre gehört nicht das grenzenlose Forschungsfeld Erziehungswissenschaft, sondern die Schulpädagogik, die Lehrfächerkunde, eine lebenspraktische Psychologie und eine elementare Ethik. Als Vorstand der Hochschule war ich dafür verantwortlich, dass dieses Programm in der Personalauswahl, den Lehrinhalten und Prüfungsanforderungen eingehalten wird.61 Ich habe dazu Theodor Litt zitiert: „Eine pädagogische Hochschule ist primär eine Bildnerhochschule, nicht eine wissenschaftliche Hochschule. Von diesem Gesichtspunkt aus muss auch die Auswahl der Menschen bestimmt werden, die an der pädagogischen Hochschule das Lehramt übernehmen. Nie 60 Deutscher Ausschuss 1966, 752 f. 61 Vgl. Brezinka 1959.

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darf, wer sich als wissenschaftlich Forschender ausgewiesen hat, nur um dieser Eigenschaft willen in den Kreis der Lehrenden Aufnahme finden. Er ist fehl am Orte, wenn er nicht das auf dem Boden der Wissenschaft Errungene in bildnerische Wirkung umzusetzen weiß. Und wie viele wissenschaftliche Köpfe gibt es, denen dieses Unvermögen nachgesagt werden muss!“62 Für den „akademischen Unterricht“ an den neuen Hochschulen hat der Staat keine inhaltlichen Vorschriften gemacht. Durch Verordnung des Bayerischen Ministerpräsidenten vom 16. Januar 1959 ist nur „die Anzahl von Vorlesungen einschließlich Seminare und Übungen“ festgesetzt worden, „die Studierende, die später an einer katholischen Bekenntnisschule verwendet werden wollen, an einer Pädagogischen Hochschule mit katholischem Bekenntnischarakter hören müssen“: „sechs Wochenstunden in Philosophie, acht Wochenstunden in Psychologie, vierzehn Wochenstunden in Pädagogik und vier Wochenstunden in Methodik weltanschaulich bedeutsamer Fächer.“ „Die Anzahl der Wochenstunden in Religionspädagogik und Religionslehre beträgt acht.“63 In den Satzungen der Pädagogischen Hochschulen vom 28. Oktober 1969 wurde den Professoren volle Lehrfreiheit zugesichert (§ 21): „(1) Jeder ordentliche Professor ist berechtigt, alle Vorlesungen und Übungen zu halten, die mit seinem Wissensgebiet in Zusammenhang stehen. Die außerordentlichen Professoren, Honorarprofessoren und habilitierten Dozenten sind auf den Umkreis ihrer Lehrbefugnis beschränkt. (2) Die planmäßigen Professoren und die Honorarprofessoren kündigen ihre Vorlesungen selbständig an, die übrigen Lehrpersonen im Einvernehmen mit den planmäßigen Vertretern ihres Faches.“64 Ich hatte als Lehrer der Allgemeinen und Historischen Pädagogik die theoretischen Grundlagen darzustellen, auf denen die Dozenten für Schulpädagogik, Didaktik und Unterrichtsmethodik aufbauen können. Dazu mussten Inhalte mehrerer Humanwissenschaften und philosophischer Disziplinen herangezogen und so „umgedacht“ und „umgestaltet“65 werden, dass die Studierenden ohne Stoffüberlastung einen klaren erziehungstheoretischen Vorstellungskreis oder Denkrahmen gewinnen. Dieser sollte zum Berufsfeld Volksschullehrer und zur Arbeit mit 6- bis 14-jährigen Schülern passen. Das galt sinngemäß auch für die Professoren der Psychologie und der Philosophie. Alle Dozenten mussten berücksichtigen, dass unsere Studierenden in drei Studienjahren ein riesiges Pensum theoretischer und praktischer Auf62 Litt 1957, 36. 63 Vierte Verordnung zur Durchführung des Lehrerbildungsgesetzes vom 16. Januar 1959, § 1. 64 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 22/1959. 65 Litt 1957, 36.

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gaben zu bewältigen hatten. Die Volksschullehrer waren damals noch Klassenlehrer, die ihre Schüler in allen Fächern zu unterrichten hatten – nicht nur in der vierjährigen Grundschule, sondern auch in der Volksschuloberstufe.66 Die Volksschulen waren als achtjährige Pflichtschulen für die große Mehrheit der Jugend ideell, programmatisch und organisatorisch noch ein einheitlicher Verbund von Grundschule und Volksschuloberstufe67 zur Vermittlung „volkstümlicher Bildung“ im Unterschied zur „höheren Bildung“ als Aufgabe der Gymnasien. Erst ab 1960 begann langsam der Ausbau der Volksschuloberstufe zur „Hauptschule“ als selbständiger Schultyp einer Sekundarschule mit Erweiterung um ein neuntes Pflichtschuljahr, Orientierung an den Anforderungen der modernen Arbeitswelt, einer modernen Fremdsprache, Fachlehrersystem, innerer Differenzierung nach Leistungsfähigkeit der Schüler usw.68 Meine Amtszeit fiel also in die schulpolitisch unruhigste Reformperiode der Nachkriegszeit. Ich musste mich ohne schulpraktische Erfahrung und schultheoretisches Detailwissen zurechtfinden. Um diesen Mängeln abzuhelfen, habe ich im ersten Jahr wöchentlich zwei Vormittage in unseren Ausbildungsklassen an verschiedenen Würzburger Volksschulen und einer ungeteilten Landschule verbracht, um die Ausbildungslehrer kennen zu lernen und die Lehrproben der Studierenden zu beobachten. Ich habe auch im Prüfungsausschuss aus den Hausarbeiten und Klausurarbeiten, den mündlichen und praktischen Prüfungen der Kandidaten viel lernen können. Lehrreich war ferner die Teilnahme am 4. Pädagogischen Hochschultag des „Arbeitskreises Pädagogischer Hochschulen“ in Tübingen69vom 7. bis 10. Oktober 1959. Bayern ist bis dahin in diesem Kreis nicht gleichrangig vertreten gewesen, weil seine „Institute für Lehrerbildung“ keine Hochschulen gewesen sind. Durch das Lehrerbildungsgesetz von 1958 gelangte es plötzlich vom geringschätzig betrachteten Außenseiter hochschulrechtlich an die Spitze aller Bundesländer, weil die Professoren als Kern des Lehrkörpers die Rechtsstel66 Wehle 1970, 18 f. 67 Die Oberstufe der Volksschule wurde um 1960 noch von etwa 80 Prozent aller Schüler besucht. Geissler 1960, 297. 68 Vgl. Deutscher Ausschuss: Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens vom 4.2.1959. Gesamtausgabe 1966, 59–115. Kritische Analyse der nach Bundesländern verschiedenen Formen bei Scheuerl 1968; Führ 1988, 85 ff. Mit dem Hamburger „Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens“ von 1964 sind die Volksschule als geschlossene Schulform und die „volkstümliche Bildung“ als „Eigengeist der Volksschule“ (Spranger 1955) aufgegeben worden. Böhm 2005, 272 und 667 f. 69 Kurzberichte: Klein 1959 und Heichert 1960.

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lung von Lehrern an wissenschaftlichen Hochschulen erhalten haben. Dadurch sind die bayerischen Pädagogischen Hochschulen als Wissenschaftliche Hochschulen anerkannt worden. Das war „in der westdeutschen Lehrerbildung erstmalig“.70 Am Hochschultag haben rund 300 Personen aus den Hochschulen, Universitäten und Unterrichtsministerien der Bundesländer teilgenommen. Er war erstmals und ausnahmsweise verbunden mit der jährlichen „Konferenz der westdeutschen Universitätspädagogen“ und hat mir persönliche Begegnungen mit vielen Kollegen ermöglicht, die ich bis dahin nur aus ihren Schriften oder bloß als Namen kannte. Das Thema der Beratungen war „Didaktik in der Lehrerbildung“.71 Vorausgesetzt wurde, dass sie eine Teildisziplin der Pädagogik ist und „im strukturbestimmenden Mittelpunkt des Lehrgefüges“ Pädagogischer Hochschulen liegt. „Sie bildet das Bindeglied zwischen der Allgemeinen Erziehungswissenschaft mit ihren Hilfswissenschaften einerseits und der schulpraktischen Ausbildung andererseits. In dieser Stellung wird sie zum entscheidenden integrierenden Moment nicht nur des pädagogischen Gesamtstudiums, sondern zugleich auch des Gesamtlehrkörpers.“72 Andererseits wurde zugegeben, dass sich „ein tragfähiger Konsensus über Gegenstand und Methode noch nicht hat herausbilden können. Daher stellt die Didaktik unter den pädagogischen Disziplinen wohl die am wenigsten durchgebildete dar und genießt heute noch ein recht bescheidenes wissenschaftliches Ansehen in der pädagogischen Fachwelt.“ Sie könnte „den Status der Wissenschaft noch gar nicht erreicht haben“.73 Zu diesem ungünstigen Bild hat beigetragen, dass „Didaktik“ ein mehrdeutiges Wort ist und Missverständnisse begünstigt. Im weitesten Sinne bedeutet es die gesamte Unterrichtslehre und handelt sowohl von den Unterrichtsgegenständen, Lehrinhalten oder Lehrgütern als auch von den Unterrichtsmethoden, Lehrformen oder Lehrverfahren. In engerer Bedeutung ist mit „Didaktik“ entweder nur die Theorie der Unterrichtsinhalte oder nur die Theorie der Unterrichtsmethoden gemeint. In diesem Fall besteht eine Polarität zwischen Didaktik und Methodik. Die Didaktik als Theorie der Unterrichtsinhalte kann beschreibend und historisch-vergleichend gemeint sein. Häufiger und wichtiger ist sie aber als vorschreibende oder normative Theorie der Lehrgüter, ihrer 70 71 72 73

Kittel 1959, 428. Vollständiger Bericht: Zeitschrift für Pädagogik, 2. Beiheft, 1960. Vilsmeier ebenda, 151. Derbolav 1960, 17.

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Bewertung, Auswahl und deren philosophischer Begründung. Noch komplizierter wird die Verständigung, wenn im deutschen Sprachgebiet der extrem unklare Terminus „Bildung“ benutzt und „Didaktik als Bildungslehre“74 erklärt wird und das Unterrichten wie das Lernen als „Bildungsarbeit“75 gelten. „Didaktik“ wurde also „sehr unterschiedlich definiert und ist ein Beispiel für das terminologische Babylon in der Pädagogik“.76 Zum Ideal unserer Hochschule gehörte es, die Lehre so einfach und verständlich wie möglich auf das unentbehrliche Kernwissen der Fächer zu konzentrieren. Die Studierenden sollten gegen theoretische Überlastung, Zersplitterung und Zeitverlust durch unzweckmäßige Lehre geschützt werden. Leider war die Gedanken- und Sprachverwirrung in der Didaktik nicht geringer als in der Pädagogik. Die vielerlei „Richtungen“ und gedanklichen Spielarten der Allgemeinen Pädagogik wurden in die Allgemeine Didaktik übernommen und in den Spezialdidaktiken auch terminologisch vervielfacht.77 Zu den besonderen Didaktiken der Schularten, Unterrichtsfächer und Schulstufen sind schüler- und milieuspezifische Didaktiken getreten, die mit terminologischen Entlehnungen aus pädagogikfernen Sprachwelten überladen waren. Man denke als Beispiel nur an den Jargon der „Kybernetischen Didaktik“, die seit den Sechzigerjahren propagiert wurde und bald unrühmlich geendet hat.78 Beim Tübinger Hochschultag von 1959 ging es berufspraktisch vor allem um die Arbeitsteilung zwischen Dozenten der Allgemeinen Pädagogik, der Allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktiken, ihre Zusammenarbeit und ihre Rang- und Einkommensunterschiede aufgrund der Einschätzung ihrer „Wissenschaftlichkeit“. Ich habe Unterrichtslehre und praktische Anleitung zum Unterrichten und Erziehen immer für die Kernaufgabe der Pädagogischen Hochschulen gehalten. Der in Bayern eingeführte Rangunterschied zwischen den Professoren für Pädagogik und den Studienräten als „Lehrbeauftragten“79 für Didaktik schien mir fachlich unbegründet sowie berufsethisch unverantwortlich und kollegialitätsfeindlich zu sein. Er beruhte auf Überschätzung der „Wissenschaftlichkeit“ der Pädagogik und Verkennung des praktischen Zwecks einer berufsbildenden Hochschule. Er begünstigte Fehlbesetzungen der Pro74 Willmann 1957; Weniger 1960. 75 Willmann 1957, 289 ff. 76 Aschersleben 1976, 12. 77 Übersicht bei Peterssen 1991; Beckmann 1991. 78 Zu Milos Lansky, Walter Schöler, Helmar Frank und Klaus Weltner vgl. Brezinka, Bd. 3, 2008 und Bd. 4, 2014. 79 Satzung der Pädagogischen Hochschulen vom 28.10.1959, § 3 Abs. 2. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 22/1959, S. 435.

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fessuren mit primär auf empirische Forschung erpichten oder hochabstrakt philosophierenden Spezialisten statt die Gewinnung schulerfahrener Generalisten für Praktische Pädagogik mit Liebe zum Lehrberuf und seinem Nachwuchs. Ich habe die für mich erste Fachtagung der westdeutschen Pädagogiker mit gemischten Eindrücken verlassen: dankbar für die freundliche Aufnahme als jüngster Professor in diesen prominenten Kreis, aber auch ernüchtert über die begriffliche Unklarheit, Lebensferne und systematischen Mängel didaktischer Texte bekannter Autoren. Für den Aufbau meiner Hochschule schien mir eine Professur für eine breite praktische „Schulpädagogik“80 dringender zu sein als die auf Unterrichtslehre beschränkte „Didaktik“. Der Erweiterung meiner Kenntnisse über Didaktik folgten bald zwei spannende Studientage über Probleme der Schulorganisation. Ich erhielt vom „Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen“, der durch den Bundesminister des Innern und die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder eingesetzt worden war, die ehrenvolle Einladung zu einer Konferenz über dessen „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens“ vom 14. Februar 1959.81 Er sollte „mit einer Reihe führender Pädagogen und interessierter Hochschullehrer… in offenem Gespräch“ geklärt und geprüft werden.82 Es hat Ende Oktober 1959 in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing (Oberbayern) stattgefunden. Ich habe dort neben den Ausschuss-Mitgliedern unter anderen die Professoren Wilhelm Flitner, Georg Geißler, Hans Wenke, Josef Dolch, Heinrich Roth, Elisabeth Blochmann, Theodor Ballauf, Karl Erlinghagen, den Schulrechtsspezialisten Hans Heckel und als scharfen Kritiker den damaligen Assistenten Dr. Jürgen Habermas näher kennen gelernt. Dieses Treffen hat mir verdeutlicht, wie ungenügend die normativen bildungsphilosophischen wie die empirischen sozialwissenschaftlichen Grundlagen des Schulreformplanes waren. Das schien mir weniger an seinen Verfassern zu liegen als am dürftigen Zustand der damaligen Pädagogik als einer spekulativ-philosophisch und naiv-realwissenschaftlich gemischten Disziplin. Diese beiden Treffen mit dem größten Teil der deutschen pädagogischen Prominenz haben mich darin bestärkt, den eigenen Stil der Pädagogischen 80 Zum „Kernbereich Schulpädagogik“ vgl. Lippert 1952, 102–114. Zu ihrer Empfehlung schon 1959 vgl. Vilsmeier 1960, 159. Zur weiteren Entwicklung Einsiedler 1991. 81 Deutscher Ausschuss: Gesamtausgabe 1966, 59–115. 82 Brief des Vorsitzenden Theodor Pfizer an Brezinka vom 21.9.1959. PAB.

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Hochschulen nicht in erziehungswissenschaftlichen Forschungsanstrengungen zu suchen, sondern in praxisnaher Berufsausbildung auf der Basis gemeinsamer Volkskultur und „einfacher Sittlichkeit“.83 Das erforderte für die Studierenden vom Studienbeginn an genügend Umgang mit Schulkindern des 7. bis 15. Lebensjahres, breite Kenntnisse ihrer psychischen Besonderheiten, Entwicklungsstufen und Lebenswelten. Sie brauchten Anstöße und Hilfen zur beruflichen Selbsterziehung, zum Erwerb der notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten, Grundhaltungen und Tugenden des Erziehers.84 Das sachkundliche Wissen der Abiturienten genügte nicht einmal für die Heimatkunde der Grundschule, geschweige für die Fächer der Volksschuloberstufe. Der Erwerb des methodischen Wissens und Könnens für das Lehren von Lesen, Schreiben und Rechnen, den Sachunterricht, Musik und Sport, die Sozial- und Moralerziehung erforderte viel mehr Zeit, als vorhanden war.85 Der Lerneifer und das schulpraktische Interesse der Studierenden waren groß. Doch schon in der Aufbauphase der Hochschule mit ihrem winzigen Lehrkörper waren viele in Gefahr, durch zu hohe und sehr verschiedenartige Anforderungen überlastet und entmutigt zu werden. Da es in Bayern noch keine Wahlfächer zur Spezialisierung als Fachlehrer gab, musste sich jeder Studierende das gesamte Lehrgut der Volksschule und dessen fachspezifische Unterrichtsmethoden aneignen. Unter diesen Umständen hing das Gelingen der neuen akademischen Lehrerbildung hauptsächlich von der Qualität und Zusammenarbeit der Lehrerbildner aller Rangstufen ab. Auf keiner Stufe sollte die berufspraktische Grundorientierung durch eine imaginäre „Wissenschaftlichkeit“ verdrängt werden. Das war meine Leitlinie für die Personalauswahl. Sie war eine Aufgabe, die nur bei den Ausbildungslehrern als ehrenamtlichen Mitarbeitern relativ problemlos erfüllt werden konnte. Ich hatte Ende 1958 elf Ausbildungsklassen mit durchschnittlich 40 Schülern in sieben Würzburger Volksschulen vorgefunden. Von der ersten bis zur achten Klasse waren alle Schulstufen vertreten. Fünf waren Knabenklassen, drei Mädchenklassen und drei gemischte Klassen. Ihre Lehrer und Lehrerinnen hatten an zwei Praxistagen wöchentlich je 15 bis 18 Studenten zu betreuen. Das war mit den notwendigen Vorbereitungen und Nachbesprechungen eine viel zu große Belastung. 83 Grundlegend hierzu Bollnow 1947, 1958, 1968. 84 Vgl. F. Schneider 1940, 1947; Bollnow 1968, 52 ff. 85 Vgl. als ausgezeichnetes Beispiel für die Aufgaben der Lehrer in den ersten beiden Schuljahren der Grundschule die Details bei Rother 1962.

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Wir haben deshalb die Praxistage pro Ausbildungslehrer – auch aus Rücksicht auf ihre Schüler – auf einen Tag pro Woche verringert und die Gruppen auf 10 Studenten verkleinert. Das war möglich, weil die Schulabteilung der Regierung von Unterfranken rasch geholfen hat, genügend Ausbildungslehrer guter Qualität zu finden. Schon 1960 waren der Hochschule 30 Ausbildungsklassen in Würzburg und drei ein- bzw. zweiklassige Landschulen zugeteilt. Unzulänglich war und blieb jedoch die Pflege der Verbindung der Ausbildungslehrer mit der Hochschule und untereinander. Ihre Arbeit mit den Studenten sowie die Notengebung für deren Unterrichtsleistungen bei den Lehrproben waren schwer zu bewerten und zu koordinieren. Schwieriger war die Suche nach Lehrbeauftragten als nebenamtliche Mitarbeiter. Dazu gehörten für die noch unbesetzten Professuren der Psychologie, Philosophie und Theologie Lehrstuhlvertreter auf Zeit. Für die Psychologie hat sich aus der Philosophischen Fakultät Prof. Wilhelm Arnold86 angeboten. Die Theologie wurde durch Prof. Heinz Fleckenstein87 vertreten. Für die Philosophie konnte kein Vertreter gefunden werden. Dauerhafte Lehraufträge für Besondere Unterrichtslehre, Sprecherziehung, Volks- und Heimatkunde sowie Instrumentalmusik für acht Instrumente wurden an Fachleute aus der Lehrerschaft vergeben.88 Am mühsamsten war die Suche nach geeigneten hauptamtlichen Mitarbeitern. Ich habe es von Anfang an für einen Strukturfehler der bayerischen Pädagogischen Hochschulen gehalten, dass sie im Kollegium ein Zwei-KlassenSystem hatten, das allein auf unterschiedlicher universitärer Vorbildung beruhte, aber nicht durch wesentlich verschiedene Berufsaufgaben gerechtfertigt war. Auf der einen Seite gab es die habilitierten Professoren als Lehrer an wissenschaftlichen Hochschulen im Sinne des Gesetzes mit Lehrfreiheit, Forschungsmöglichkeiten, relativ geringer Lehrverpflichtung und ohne jede Einbindung in die methodische und schulpraktische Ausbildung. Sie verkörperten die „Wissenschaftlichkeit“ der Pädagogischen Hochschule. Auf der anderen Seite gab es Dozenten in der Studienratslaufbahn mit schulmäßig großer Lehrverpflichtung und weisungsgebunden, die allein die ganze Last der stoffkundlichen, methodischen und schulpraktischen Ausbildung zu tragen hatten. Hauptsächlich lag es an diesem Personenkreis, der viel engeren Kontakt mit den Studierenden hatte, inwieweit der berufsbildende Zweck der Hochschule erreicht werden konnte. Bei ihnen war in der Regel viel mehr Schulerfahrung, 86 (1911–1983). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 30. 87 Vgl. S. 196. 88 Vgl. S. 187.

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Schülerkenntnis und erziehungspraktischer Sachverstand zu finden als bei den Professoren, die aus der wissenschaftlichen Laufbahn kamen und nur in Ausnahmefällen früher auch Lehrer gewesen waren (und dann meistens bloß für kurze Zeit). Mir war klar, dass diese unglückliche Zweiteilung des Kollegiums nicht von Dauer sein konnte, weil sie zur Resignation gerade jener Kollegen führen musste, die am meisten vom Lehrberuf verstanden und für eine praxisnahe Lehrerausbildung ganz unentbehrlich waren. Ich habe mich sehr darum bemüht, ihnen das Bewusstsein zu geben, dass sie trotz zweitrangiger akademischer Stellung erstrangige Bedeutung haben. Das ist für die beiden Aufbaujahre, in denen die Verhältnisse noch leicht überschaubar gewesen sind, auch gelungen. Das soziale Klima der Hochschule war damals sehr gut. Die Kollegen verstanden sich als Partner bei einer gemeinsamen Aufgabe, die nicht bloß als abstrakte Idee existierte, sondern konkret und anschaulich, weil noch fast jedes Mitglied des Kollegiums die meisten Studierenden kannte und sich für ihren Studienerfolg persönlich verantwortlich fühlte. Die Studenten spürten das und waren kooperativ und dankbar. Zu diesem guten Klima haben ganz wesentlich zwei Faktoren beigetragen: die Pflege der schönen Künste und die Religion. Zum Lehrgut der Volksschule, das alle Studierenden beherrschen mussten, gehörten auch Musik, künstlerisches Gestalten, Werken (für Jungen) und Handarbeit (für Mädchen) sowie die Leibesübungen. Bei meinem Dienstantritt war für keines dieser künstlerischen Fächer ein Fachvertreter vorhanden. Deshalb habe ich gleich begonnen, Spitzenkräfte zu gewinnen, die nicht nur deren Methodik, sondern auch ihre Inhalte und die Freude daran vermitteln konnten. Das war schwierig, weil sie nur unter den Studienräten der Gymnasien zu finden waren, weil der Lehrermangel groß war und weil die Gymnasien natürlich ihre besten Lehrkräfte, auf die es uns ankam, am wenigsten hergeben wollten. Dazu kam, dass für die Betroffenen der Wechsel vom Gymnasium zur Pädagogischen Hochschule kein höheres Einkommen brachte, sondern nur sehr viel mehr Arbeit. Was locken konnte, war allein das größere Wirkungsfeld mit seinem Einfluss auf die Qualität, in der das eigene Fach in Hunderten von Volksschulen vertreten wurde. Wir hatten das große Glück, die künstlerischen Fächer ganz hervorragend mit jungen Kollegen besetzen zu können, die für ihr Fach begeistern konnten und sich weit über den normalen Unterricht hinaus auch für Lehrproben und Gemeinschaftsaufgaben engagiert haben. Vor allem der Studienrat für Musikerziehung Paul Keck89 hat als Gründer und Leiter unseres Hochschulchors, 89 (1924–1964).

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eines Orchesters und kleinerer Musiziergruppen viel Freude und festlichen Glanz in den Studienbetrieb gebracht. Die akademischen Feiern zum Abschluss des Studienjahres und zur Verabschiedung der Kandidaten für die Erste Lehramtsprüfung und die öffentlichen Konzerte von Chor und Orchester in der Franziskanerkirche sind mir noch in glücklicher Erinnerung. Dazu kamen „Musizierstunden“ der Studenten, die „nicht als öffentliches Konzert gedacht waren, sondern als ein Musizieren unter uns aus Freude am Singen und Spielen. Diejenigen von uns, die mehr können als andere, haben ihre Kollegen sowie die Dozenten und Gäste der Pädagogischen Hochschule eingeladen, zuzuhören.“ Sie sollten „dazu beitragen, den Alltag unseres gemeinsamen Lebens und Arbeitens zu verschönern.90 Die Studienräte Heinz Lutter für die Leibeserziehung der Studenten (später Professor für Sportpädagogik an der Universität Regensburg) und Wolfgang Mahlke für die Kunsterziehung haben ähnlich segensreich gewirkt. Nur bei der Suche nach einer Leibeserzieherin für die Studentinnen hatten wir Pech. Die einzige, die fachlich geeignet war, war evangelisch. Der Referent im Kultusministerium hat meinen Antrag, sie zu uns zu versetzen, mit dem Argument abgelehnt, dass sie als Evangelische „eine andere Auffassung vom Leib“ habe und deshalb in eine katholische Pädagogische Hochschule nicht passen würde. Die Leistungen unserer Kollegen in den künstlerischen Fächern kann man nur würdigen, wenn man weiß, was dazu gehört hat: gründliche individualisierende methodische Ausbildung mit mehreren Lehrproben in Ausbildungsklassen, die der Dozent zu besuchen und besprechen hatte; zugleich aber auch Vermittlung eines ausreichenden musikalischen, zeichnerischen, handwerklichen und sportlichen Könnens, weil es den meisten Studierenden daran fehlte, obwohl sie es vom Gymnasium hätten mitbringen sollen. Dank dieser intensiven schulpraktischen und künstlerischen Ausbildung sind schul- und schülerfremdes Theoretisieren, spezialwissenschaftliche Überforderung und pseudowissenschaftlicher Leerlauf vermieden worden. Das ist aber vermutlich nur gelungen, weil damals drei von vier Professuren noch unbesetzt waren und seitens der Lehrbeauftragten, die sie vertreten haben, übermäßige Ansprüche an die Arbeitszeit der Studierenden vermieden worden sind. Wie erwähnt hat zum guten Klima auch die Religion beigetragen. Unser geistlicher Kollege Veth91 war ein breit gebildeter und schwungvoller Religionslehrer und -pädagogiker mit leichtem Zugang zu Schulkindern, vorbildli90 Meine Einführung zur ersten „Musizierstunde“ am 16.7.1959. 91 Vgl. S. 196.

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chem Unterricht und Feingefühl für die Studierenden. Er hat weit über seinen Lehrauftrag hinaus auch als Seelsorger gewirkt und selbstlos immer der Hochschule als Ganzem gedient. Als Leiter des Studenten-Wohnheims hat er viel zu ihrem relativ hohen sozialen und kulturellen Niveau beigetragen. Das galt auch für den evangelischen Studentenpfarrer Ludwig Müller92 als Lehrbeauftragten für evangelische Religionslehre und -pädagogik. 11,6 Prozent unserer Studierenden gehörten 1960 dem evangelischen Bekenntnis an. Ihnen wurde für zwei bis drei Semester ein Studium in Würzburg von ihrem Elternhaus aus ermöglicht, bevor sie gezwungen waren, an eine der weit entfernten Pädagogischen Hochschulen mit evangelischer Orientierung zu wechseln. Das Ministerium hat auf unseren Antrag auch vier evangelische Ausbildungslehrer bewilligt, sodass auch die praktische Ausbildung in Schulklassen evangelischer Konfession gesichert war. Wir haben in Pfarrer Müller einen spirituell wie didaktisch idealen Kollegen gewonnen, der für die Hochschule einen wesentlichen Beitrag zur harmonischen Atmosphäre eines weltoffenen christlichen Humanismus geleistet hat.93 Beide Seelsorger haben um sich studentische Kreise mit hohem religiösen und pädagogischen Ethos angezogen, die auch Außenstehende inspiriert haben. Alle bisher genannten Personalstellen waren schul- und lehrberufsnahe Positionen – ausbildungspraktisch von zentraler Bedeutung, aber wissenschaftsfern. Viel größere Schwierigkeiten gab es bei der Besetzung der wissenschaftlichen Professuren in den schulfernen Fächern Psychologie, Philosophie und Theologie. In der Pädagogik bestand damals bekanntlich ein katastrophaler Mangel an habilitierten Kräften. Doch in Würzburg ging es nach meiner Berufung zunächst nur um die Nachbarfächer. Leider war dort die Marktlage kaum besser, sofern man nicht bloß die Habilitation als Einstellungserfordernis ansah, sondern auch die fachliche, didaktische und charakterliche Eignung für die besonderen Aufgaben der Lehrerbildung. Habilitierte Psychologen und Theologen gab es nur ganz wenige; habilitierte Philosophen waren häufiger. Die Hochschule hatte bei den Erstbesetzungen kein Vorschlagsrecht. Zuständig war allein das Kultusministerium „im Benehmen mit der jeweiligen Universität“. Im Ministerium unterstanden die Pädagogischen Hochschulen jedoch nicht der Hochschulabteilung (Abt. I) unter dem überaus erfahrenen und kultivierten Ministerialdirigenten Johannes von Elmenau, sondern der Abteilung III (Volks- und Berufsschulen, Lehrerbildung, Mittelschulen, Volksbildung). Man war dort aber weitsichtig genug, trotz unserer rechtlosen Position 92 (1914–1992), später Professor an der Pädagogischen Hochschule Bielefeld. 93 Brezinka 1993 a, 93.

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auf Vorschläge und Einwände der Hochschule zu hören und keine Berufung gegen ihren Willen durchzusetzen. Ich habe sehr viel Zeit und Energie für Beratungen, Umfragen nach geeigneten Dozenten, Gastvorträge vorgeschlagener Kandidaten, Lektüre ihrer Schriften, Abwehr ministerieller und Ausarbeitung eigener Berufungsvorschläge der Hochschule aufgewendet. In den meisten Fällen bestand eine große Kluft zwischen dem für die Lehrerbildung erwünschten Interessen- und Leistungsprofil und dem realen Erscheinungsbild möglicher Kandidaten. Für die Psychologie wurde vergeblich jemand mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendpsychologie/Pädagogische Psychologie nach dem Idealbild von Adolf Busemann94 oder Hildegard Hetzer95 gesucht. Für die Philosophie war Otto Friedrich Bollnow96 durch Nähe zur Pädagogik und meisterhaft klare Sprache unser ideales Vorbild bei der Suche nach Kandidaten. Für Psychologie wurde der Münchener Dozent Adolf Däumling97 vorgeschlagen und berufen. Er war Klinischer Psychologe und hat den Ruf abgelehnt. Nach erneuten Beratungen erging im Herbst 1960 kurz vor meinem Abgang der Ruf an den Kölner Psychologen Wilhelm Salber98. Er war Spezialist für „Psychologische Morphologie“ und hatte damals bereits zwei Bücher über „Die Kunst der Charakterschilderung“ und „Der psychische Gegenstand“ veröffentlicht. Er hat den Ruf angenommen und ist 1961 mein Nachfolger als Vorstand geworden. Für Philosophie habe ich am 13. Mai 1959 den Dozenten für Philosophie und Pädagogik an der Universität Graz Karl Wolf99 vorgeschlagen.100 Seine lebensnahe Art des Philosophierens über Erziehung und elementare Sittlichkeit auf der Grundlage eines christlichen Humanismus hat ihn gegenüber Fachphilosophen ausgezeichnet, die weder Interesse an der Lehrerbildung noch die Fähigkeit zur einfachen Darstellung hatten. Er hat einen Vortrag über den pädagogischen Wert der Philosophie gehalten und dem Würzburger Kollegium versichert, dass er mehr an Philosophie als an Pädagogik interessiert sei und ihn eine Berufung auf den philosophischen Lehrstuhl einer Pädagogischen Hochschule am meisten befriedigen würde. 94 (1887–1967). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 70. 95 (1899–1991). Kurzbiographie: Hehlmann 1974, 202. 96 (1903–1991): Kurzbiographie: W. Böhm 2005, 109. Ich habe sein Buch „Einfache Sittlichkeit“ von 1947 schon früh mit Freude gelesen und ihn auf Empfehlung seines Lehrers und Freundes Prof. Herman Nohl erstmals am 23.10.1958 in Tübingen besucht. 97 (1917–2011): Kurzbiographie: Kürschner 1987, 683. 98 (1928–2016): Kurzbiographie: Kürschner 2007, 3066. 99 (1910–1995): Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 216–226. 100 Brief von Brezinka an Kultusminister Maunz. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, MK 55469.

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Die Weichen wurden jedoch im Unterrichtsministerium anders gestellt. Als es erfuhr, dass Wolf auch für das Fach Pädagogik habilitiert war, erschien er ihm angesichts des katastrophalen Mangels an habilitierten Pädagogikern als Retter in der Not. Die Professur für Pädagogik an der 1958 errichteten Pädagogischen Hochschule Regensburg war noch unbesetzt und kein deutscher Kandidat in Sicht. Deshalb wurde Wolf nicht – wie von ihm erhofft und von mir vorgeschlagen – für Philosophie nach Würzburg berufen, sondern 1960 zum Professor für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Regensburg der Universität München ernannt und zu deren Vorstand bestellt. Da seit Ende 1959 anzunehmen war, dass ich die Hochschule im Herbst 1960 wieder verlassen werde, musste auch für meine Nachfolge auf dem Lehrstuhl für Pädagogik gesorgt werden. Es war trotz intensiver Suche unmöglich, einen für dieses Fach habilitierten Kandidaten katholischer Konfession zu finden. Unser Beschlusskollegium hat dem Ministerium am 19. Mai 1960 einstimmig folgenden Vorschlag für die Wiederbesetzung gemacht.101 „1. Mit Abstand an 1. Stelle ist Herr Prof. Dr. phil. Gerhard Möbus (geb. 1912) zu nennen. Er ist derzeit Direktor des Wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrstabes der Bundeswehr in Koblenz und Honorarprofessor für Politische Bildung und Erziehung an der Universität Mainz. … (Er) hat sich 1946 an der Universität Jena bei dem bekannten Pädagogen Prof. Dr. Peter Petersen für Psychologie und philosophische Anthropologie einschließlich Pädagogik habilitiert. Seither hat er besonders auf dem Gebiet der Pädagogischen Psychologie und politischen Erziehung gearbeitet. […] Er besitzt auch große organisatorische Fähigkeiten und dürfte wie wenige andere geeignet sein, an einer Pädagogischen Hochschule über den wissenschaftlichen Betrieb hinaus auch eine bildende Atmosphäre zu schaffen. 2. Prof. Dr. Bernhard Bosch. Geboren 1904, ist derzeit als o. Prof. für Pädagogik und Leiter des Heilpädagogischen Instituts an der Pädagogischen Akademie in Köln tätig. … 3. Honorarprofessor Dr. Franz Vilsmeier. Geboren 1900, ist derzeit Direktor der Pädagogischen Akademie Landau/Pfalz und Honorarprofessor für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule München der Universität München. Er hat bei Prof. Aloys Fischer in München studiert und mit einer Dissertation über ‚Die Wandlungen des Begriffs des Gesamtunterrichts‘ (1934) promo101 Dreiseitiger Besetzungsvorschlag des Vorstandes der PH, Nr. 3.325 mit Anlagen an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. – Begleitbrief von Brezinka an Minister Maunz vom 19.5.1960, Nr. 3.326 mit der Mitteilung, dass der Würzburger Bischof Stangl eine eventuelle Berufung von Möbus wärmstens begrüßen würde. PAB.

Vorträge und Publikationen/ „Erziehung – Kunst des Möglichen“

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viert.102 Er war wie Bosch nicht habilitiert.“ Über ihn wurde ein Gutachten von Prof. Weniger beigelegt. Möbus103 wurde berufen, hat den Ruf jedoch abgelehnt. So sind meine Bemühungen um die Besetzung der Professuren wenig erfolgreich gewesen.

VORTRÄGE UND PUBLIKATIONEN/ „ERZIEHUNG – KUNST DES MÖGLICHEN“ Mein doppeltes Würzburger Amt als Professor und Vorstand der Pädagogischen Hochschule in ihrer schwierigen Aufbauphase hat übermäßig viel Zeit und Kraft beansprucht. Mit zunehmender Bekanntheit als Autor der „Erziehung als Lebenshilfe“ und exponierter Lehrerbildner erhielt ich weit mehr Einladungen zu Vorträgen, als ich annehmen konnte. Gewünscht wurden meistens praktische Themen für Lehrer und Sozialpädagogen, die oft mehr Wissen und Vorbereitungszeit voraussetzten, als ich aufbringen konnte. Aus Zeitmangel habe ich damals nur wenige Wünsche einiger Veranstalter erfüllen können, die mir nahestanden und viele Zuhörer erreichten. Diese Texte wurden so gründlich ausgearbeitet, dass sie auch als Aufsätze gedruckt und gesammelt in Buchform erscheinen konnten. Dazu gehörten zwei grundlegende Vorträge, die 1959 bei den Jahresversammlungen Katholischer Lehrervereine gehalten wurden. Im April über „Die kulturellen Aufgaben des Lehrers in Südtirol“ bei der Pädagogischen Tagung des Katholischen Südtiroler Lehrerbundes. Darüber wird im nächsten Kapitel berichtet. Im Mai über „Die Bildung des Erziehers“ in Salzburg bei der Pädagogischen Tagung anlässlich der 60-Jahr-Feier des Katholischen Landeslehrervereins für Salzburg. Zweiter Redner war der Bundesminister für Unterricht Dr. Heinrich Drimmel über „Kultur, Politik und Schule“. Er hat mir nachher brieflich versichert: „Mich drängt es …, Ihnen zu sagen, dass Ihre tieffundierten Ausführungen auf mich einen ausgezeichneten Eindruck gemacht haben.“104 Es gab damals auch ein Wiedersehen mit Erzbischof Rohracher und Landeshauptmann Klaus als Zuhörern.105 102 Kurzbiographie: Horn 2003, 363. 103 (1912–1965). Biographie: Bossle 1994. Demnach erfolgte die Habilitation nicht in Jena, sondern an der Universität Halle mit der Schrift „Der Mensch in der Geschichte. Zur anthropologischen Struktur historischer Prozesse“. Zu seiner Pädagogik vgl. u. a. Möbus 1954 und 1959. 104 Drimmel am 5.5.1959 an Brezinka. PAB. 105 Vgl. S. 69 und 135, 146.

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Der gleiche Text wurde im Juni in Linz bei der 52. Generalversammlung des Christlichen Landeslehrervereins für Oberösterreich vor rund 2.000 Zuhörern vorgetragen.106 Damals dienten diese jährlichen Großveranstaltungen der Lehrervereine neben der Fortbildung auch dem geselligen Treffen der Kollegen aus dem ganzen Bundesland. Die begeisterte Aufnahme meiner Vorträge hat weitere in anderen Städten und Landbezirken nach sich gezogen. Seit meiner Salzburger Lehrzeit ist ein Netz von Verbindungen mit der Österreichischen und Südtiroler Lehrerschaft, den Lehrerbildungsanstalten und Schulbehörden entstanden, das mich dort beheimatet hat und an Rückkehr aus Deutschland denken ließ. Beide Vortragstexte waren Beiträge zur Praktischen Pädagogik, die damals beruflich im Zentrum meines erziehungstheoretischen Denkens und Arbeitens stand. Ich habe sechs Vorträge dieser Art unter dem Titel „Erziehung – Kunst des Möglichen“ zu einem kleinen Buch von 150 Seiten zusammengestellt. Es ist 1960 im Würzburger Werkbund-Verlag in der Schriftenreihe „Weltbild und Erziehung“ erschienen, die so angesehene Autoren wie Romano Guardini, Eduard Spranger, Otto Friedrich Bollnow, Erich Weniger, Helmut Schelsky und Hans Wenke aufwies. Der Titel meines zweiten Buches ist in Analogie der Erziehungskunst zur ähnlichen Problematik der praktischen Politik oder Staatskunst nach einer Formulierung Bismarcks107 zu unklar gewählt, aber im Vorwort erläutert worden. Es gibt meine damalige Vorstellung von der Spannung der Pädagogik zwischen Moralphilosophie und Erfahrungswissenschaft so treffend wieder, dass es hier zitiert zu werden verdient108: „Die in dieser Schrift gesammelten Aufsätze gehen auf Vorträge zurück, die vor Lehrern, Kindergärtnerinnen und Heimerziehern gehalten worden sind. Sie wenden sich vorwiegend an die Berufserzieher, die heute von vielen Seiten so stark beansprucht werden. Der Titel ,Erziehung – Kunst des Möglichen‘ soll eine bestimmte Betrachtungsweise kennzeichnen, die im Folgenden erläutert werden muss.

106 Am 13.6.1959. Dieser Aufsatz wurde Herman Nohl zum 80. Geburtstag gewidmet. Brezinka 1959 d. 107 „Die Politik ist die Lehre vom Möglichen.“ Bismarck, Bd. 7, 222; „Politik ist weniger Wissenschaft als Kunst; sie lässt sich nicht lehren, man muss dafür begabt sein. Auch der beste Rat nützt nichts, wenn er nicht in der richtigen Weise ausgeführt wird.“ Bd. 9, 399; ähnlich 93: „die Politik als eine Wissenschaft des Möglichen zu betrachten, wie mein intimer Gegner Papst Pius IX. mit Recht gesagt hat“. 108 Brezinka 1960 a, 7–9.

Vorträge und Publikationen/„Erziehung – Kunst des Möglichen“

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Sie beruht auf der Beobachtung, dass die Öffentlichkeit schnell bereit ist, die Erzieher mit immer neuen und schwierigeren Aufgaben zu betrauen. Selbst Personen, die als Fachleute gelten, sind sich über die Hindernisse und Grenzen der Erziehung nicht immer klar. Es werden häufig Programme, Forderungen, Ideale und Wunschbilder aufgestellt, denen die Verbindung mit dem konkreten erzieherischen Alltag, mit der wirklichen Situation der Jugend und ihrer Erzieher gänzlich fehlt. Das zielsetzende Denken und die spekulative pädagogische Phantasie entfernen sich oft so weit davon, dass der Berufserzieher dazu neigt, ihre Ansprüche als bloßes Gerede enttäuscht abzuweisen. Das berechtigte Misstrauen gegen hochgradige Abstraktionen, Pathos und leere Worte führt nicht selten zu einer allgemeinen Skepsis gegenüber der Theoretischen Pädagogik als Ganzem. Dadurch erfahren viele Erzieher die Hilfe nicht, die sie so dringend brauchen: die geistige Klärung der Erziehungssituation und ihrer eigenen Aufgabe darin. Es fehlt ihnen die Übersicht über das Ganze, an dem sie mitarbeiten; es bleibt bei einem ungeläuterten ‚guten Willen‘, der für das Handeln zu wenig fruchtbar wird. Das einseitig normative Denken bleibt erzieherisch unwirksam, weil es die mühevolle Erforschung der konkreten pädagogischen Situation umgeht und daher auch die besonderen Möglichkeiten, die darin eingeschlossen sind, nicht erkennen kann. Ohne vorher die erzieherisch bedeutsame Wirklichkeit nüchtern beobachtet, beschrieben und verstanden zu haben, fehlt dem Planen, Fordern und Handeln die Voraussetzung, die verantwortliches Tun vom bloßen Wünschen unterscheidet. Es gibt jedoch beim Nachdenken über Erziehung auch ein einseitig deskriptives Vorgehen. Aus Sorge um die unbestechliche Erkenntnis dessen, was ist, und in der Abwehr von Schwärmern, Moralisten und Pseudophilosophen beschränkt man sich auf die methodisch gesicherte Sammlung und Verarbeitung von Tatsachen. Das so gewonnene Wissen ist für eine wirklichkeitsnahe Theorie der Erziehung unentbehrlich, aber es genügt nicht, um das erzieherische Handeln zu leiten. Die Ergebnisse der Tatsachenforschung zeigen nur die Ausgangssituation, aber nicht die Richtung, in der sie verändert werden soll. Mit dieser Beschränkung auf das überprüfbare Wissen um das Vorhandene kann sich der Erzieher ebenso wenig zufriedengeben wie mit unrealistischen Forderungen dessen, was sein soll. Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen gehört zu der Art, wie er die Welt sieht. Für ihn ist die menschliche Wirklichkeit immer unvollkommen, aber zugleich zwangsläufig durchdrungen von Normen, sittlichen Ansprüchen, Zielen, Idealen und Leitbildern. Er weiß, dass man vom Menschen viel fordern muss, um ihn so weit zu bringen, wie er zu bringen ist. Nur darf man es sich dabei nicht zu leicht machen. Das

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erzieherische Problem liegt doch nicht darin, die Ziele, für die sich das Leben lohnt, immer wieder nur zu nennen, sondern darin, die Motivkräfte zu wecken, die nötig sind, um sie ernsthaft anzustreben. Deshalb müssen die Forderungen im Zusammenhang mit den vorhandenen Möglichkeiten gesehen werden. Die Erziehung zielt darauf ab, unmündige Menschen reifer, mündiger und besser zu machen. Menschen aber erschöpfen sich nicht in dem Verhalten, das von außen sichtbar ist. Ihr Dasein ist vielschichtig; sie sind voll verborgener Kräfte und Möglichkeiten. Sie sind immer mehr als das, was an ihnen beschreibbar ist. Ihre potentiellen Fähigkeiten sind ebenso sehr Bestandteil der pädagogischen Situation wie das, was sie bereits verwirklicht haben. Diese zu entdecken und an sie anzuknüpfen, sie zu wecken und wirksam werden zu lassen – darin liegt die Kunst der Erziehung. Wie der Einzelmensch, so sind auch die Gruppen und alle Arten sozialer Beziehungen, an denen er teilhat, niemals abgeschlossen, erstarrt oder in ihren Möglichkeiten ausgeschöpft. Stets können neue Motive, Bedürfnisse und Ziele die Situation unerwartet verändern. Diese dynamischen Zusammenhänge entziehen sich jeder Berechnung. Die empirische Forschung kann sich immer nur auf einzelne auffällige Merkmale stützen, die relativ stabil, abgegrenzt und verfestigt sind; sie erfasst aber nie die Person als eine Quelle der noch möglichen Handlungen. Hier liegt für den Beitrag, den eine bloß beschreibende Wissenschaft zur Orientierung der Erziehungspraxis leisten kann, eine Grenze, hinter der die Unsicherheit, das Wagnis, aber auch das Vertrauen auf die schöpferischen Antriebe der Persönlichkeit zunehmen. Diese Achtung vor der Wirklichkeit mitsamt den in ihr eingeschlossenen potentiellen Kräften ist gemeint, wenn das Erziehen als Kunst des Möglichen bezeichnet wird. Eine angewandte Theorie der Erziehung, die diesen Aspekt genügend berücksichtigt, müsste die Wirklichkeit gleichsam abtasten und das, was sein und geschehen soll, ständig als realisierbare Fortsetzung dessen, was ist, zu zeigen versuchen. Dadurch verfällt sie weder dem Trug des bloßen Forderns und Wünschens noch der hilflosen Abhängigkeit von den nackten Tatsachen.“

PÄDAGOGISCHE HILFE FÜR SÜDTIROL Südtirol war schon früh ein ersehntes Ziel meiner Reise- und Wanderwünsche. Mein erster Urlaub als Assistent im September 1951 wurde genutzt, um es zwei Wochen lang zu durchwandern. Mit dem Fahrrad fuhr ich von Salzburg durch Kärnten und Osttirol ins Pustertal und über Brixen nach Bozen zu meinem

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Studienfreund Rainer Seberich.109 Ich genoss die Gastfreundschaft seiner Familie inmitten der damals noch wenig verbauten Weingärten von Gries mit Ausflügen zwischen dem Kalterer See und der Burg Runkelstein. Ich habe mit Rainer die westlichen Dolomiten durchquert, die Rosengartenspitze (2.981 m) und die Marmolata (3.342 m) über den Westgrat erstiegen und auf den Almen in Heuhütten geschlafen.110 Wir sind auch nach Meran geradelt, zum Schloss Tirol gewandert und haben beim ersten Landesmusikfest den Festzug von 90 Südtiroler Musikkapellen erlebt.111 Das farbenprächtige Bild der Männer und Frauen in den vielen schönen Trachten, die festlichen Klänge und die heitere Würde der vorwiegend bäuerlichen Teilnehmer haben mich tief bewegt. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Rad allein weiter durch den Vinschgau zum Reschenpass und den Inn entlang nach Landeck mit dem Wunsch, in Tirol einzuwurzeln und oft nach Südtirol kommen zu können. Im Sommerurlaub 1952 habe ich mit meinem Freund Martin Ratmann112 eine Woche lang die östlichen und nördlichen Dolomiten von Sexten aus durchwandert. Höhepunkte waren die Klettertour auf die Große Zinne (3.003 m), die Überschreitung des Sellastocks mit der Boe (3.152 m) und die herrlichen Wege am Langkofel und über die Seiseralm bis Tiers und Blumau im Eisack­tal. Übernachtet wurde meistens bei freundlichen Bauern auf Almen im Bergheu.113 Durch diese Wanderungen mit schönsten Erlebnissen, vielen Gesprächen und landeskundlicher Lektüre habe ich nähere Kenntnisse und eine tiefe Liebe zu Südtirol und seinen deutsch- und ladinischsprachigen Menschen gewonnen. Sie war verbunden mit Anteilnahme an ihrer traurigen politischen Lage als bedrängte Minderheit im nationalistisch-zentralistischen Italien und dem Willen, sie zu verbessern. Dazu hat sich ganz unerwartet schon 1953 eine Möglichkeit ergeben durch die Begegnung mit dem Südtiroler Priester Josef Ferrari.114 Er war ein Pionier moderner Jugendseelsorge und seit 1934 Diözesanassistent der Katholischen Aktion des deutschen Anteils der Diözese Trient. 1943 kam er als Gegner des Nationalsozialismus und seiner Umsiedlungspolitik115 drei Monate in Inns109 110 111 112 113 114

Vgl. S. 109. 11.–14.9.1951. Mein Fahrtenbuch III, 1949–1952. PAB. Am Sonntag, dem 16. September 1951. Mein Merkbuch 1951. PAB. Vgl. S. 22. Mein Taschenkalender 1952, 6.–13.8. PAB. (1907–1958). Über ihn und seine Leistungen vgl. Seberich 2000, 118 ff., 143 ff. und 200 ff.; Gelmi 2001, 399, 405, 410 f.; Brezinka 2008 b. 115 Vgl. Gruber 1978 und 1990.

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bruck in Gestapo-Haft und wurde dann bis zum Ende des Krieges auf einen abseitigen Posten verbannt. Er war breit gebildet, ein hervorragender Organisator und Menschenkenner mit großem diplomatischem Geschick und besaß das Vertrauen der neu gegründeten Südtiroler Volkspartei und der Kirche. Unter schwierigsten Bedingungen hat er ab 7. Juni 1945 im italienischen staatlichen Schulamt der Provinz Bozen die Sektion für die deutschsprachigen Schulen als Vizeschulamtsleiter aufgebaut und geleitet. Im Juli 1953 kam er mit einer Gruppe Südtiroler Lehrer zu einem Internationalen Kongress des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaft über „Tiefenpsychologie und Erziehung“ nach Salzburg.116 Dort hat er sich mit Prof. Schneider bekannt gemacht und ihn um pädagogische Unterstützung der Südtiroler Lehrer gebeten. Dieser konnte aber im Alter von 71 Jahren wegen seiner vollen Lehrtätigkeit an der Universität München nicht mehr tun, als für 1954 die Referate bei der ersten Großtagung des 1953 gegründeten Katholischen Südtiroler Lehrerbundes zu übernehmen.117 Für alle weiteren Vorhaben hat er Ferrari an mich als seinen damaligen Assistenten verwiesen. So kam es am 20. Juli 1953 in Salzburg zu meiner ersten Begegnung mit Ferrari. Ich war damals 25 Jahre alt, beruflich völlig überlastet, auf Psychologie, Heilpädagogik und Jugendhilfe spezialisiert, ohne Ausbildung und Berufspraxis als Lehrer. Bei unseren ersten Gesprächen am Rande des Kongresses hat Ferrari mich durch seine offene und herzliche Zuwendung begeistert. Seine Einladung, in Südtirol mitzuarbeiten, war verlockend, aber sie kam für mich viel zu früh. Er plante jedoch weitsichtig und setzte auf meine für 1954 bevorstehende Habilitation in Innsbruck und die sich daraus ergebende pädagogische Lehrtätigkeit an der Tiroler Landesuniversität. Er hat mich zu einer gründlichen Besprechung nach Bozen eingeladen, die am 13. August 1953 in seiner Wohnung erfolgt ist. Vorher hat er mich mit meiner späteren Frau in seinem Auto auf die Mendel geführt und gemeinsam mit uns den Kalterer See durchschwommen. Am Abend gab er eine detaillierte Schilderung der politischen, kulturellen und schulischen Situation Südtirols. Sie war realistisch und sorgenvoll, aber mit Humor gewürzt und um Mitarbeit werbend. Konkret habe ich damals nur zusagen können, als Ratgeber bei der Suche nach pädagogischen Referenten, Tagungsthemen und brauchbaren Schriften zur pädagogischen Fortbildung zu dienen. Zu Ostern 1954 folgte ein längeres Treffen in Bozen, um weitergehende Pläne zu besprechen. Ferrari hoffte, dass es nach meiner Habilitation zu einem 116 Vgl. S. 113. 117 Seberich 2000, 293.

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raschen Ausbau des Faches Pädagogik an der Innsbrucker Universität kommen wird, aus dem das Südtiroler Schulwesen Gewinn ziehen kann. Es ging ihm vor allem um zwei Anliegen. Erstens um ein hinreichendes pädagogischpsychologisches Studienangebot in räumlicher und kultureller Nähe für bewährte Südtiroler Lehrer und Priester, das zum Erwerb des Doktorats in Pädagogik führt. Aus dem Kreis der Absolventen sollte der damals fehlende akademische Nachwuchs für die Professorenstellen an den Südtiroler Lehrerbildungsanstalten und andere pädagogische Schlüsselstellungen gewonnen werden. Die seltenen Südtiroler Interessenten für ein Studium der Pädagogik hatten bisher zumeist an der Universität München studiert. Zweitens hat Ferrari die Einrichtung Pädagogischer Ferienkurse für Südtiroler Lehrer unter Leitung oder zumindest Beteiligung von Innsbrucker Universitätspädagogikern angestrebt. Beide Anliegen waren wichtig, aber unter den Verhältnissen, die damals an der Innsbrucker Universität im Fach Pädagogik herrschten, einstweilen nicht zu realisieren.118 Ferrari hat Verbindung mit Prof. Strohal aufgenommen und rasch dessen Vertrauen gewonnen. Beide haben sich in der Universität und im Wiener Unterrichtsministerium darum bemüht, dass für die Pädagogik eine Assistentenstelle eingerichtet wird, um mich von Salzburg nach Innsbruck holen zu können. Ich sollte dort einen „Sonderauftrag“ für Südtirol übernehmen.119 Ich habe diese Bemühungen skeptisch beurteilt, weil Ferraris Erwartungen viel zu hoch gewesen sind, um von mir erfüllt werden zu können. Ich konnte auch nicht der Einladung folgen, bei der Großtagung des Lehrerbundes 1956 oder 1957 über „Die kulturellen Aufgaben des Lehrers in Südtirol“ zu sprechen120, sondern musste wegen Überlastung um Aufschub bitten. Auch für die von Ferrari gewünschten pädagogischen Fortbildungswochen war es noch zu früh. Die erste hat unter Strohals Leitung mit meiner Mitarbeit im Juli 1958 in Burgeis stattgefunden.121 Erst ab 1960 habe ich vier solche Veranstaltungen selbst vorbereitet und geleitet. So ist es bis zum allzu frühen Tod Josef Ferraris am 16. April 1958 zwischen uns bei freundschaftlichem Gedankenaustausch und gelegentlicher Beratung geblieben. Die Todesnachricht hat mich in den USA erreicht und tief bedrückt. Sein Vertrauen in meine pädagogische Hilfe für Südtirol war eine frühe Ermutigung. In bescheidenem Umfang erfüllen konnte ich seine Wünsche erst ab 1960 als Innsbrucker Professor. 118 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 455 ff. und 485 ff. 119 Brezinka 2008 a, 140. 120 Erstmals in einem Brief Ferraris an Brezinka vom 19.11.1955. PAB. 121 Vgl. S. 178.

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Ein öffentliches Bekenntnis zu seinem kulturpolitischen Kurs vor rund 1.000 Südtiroler Lehrern war aber schon im Gedenkjahr 1959 möglich, in dem landesweit an die Tiroler Freiheitskämpfe von 1809 erinnert wurde. Ich habe zwischen dem 1. und 4. Mai in Bruneck, Brixen, Bozen und Meran bei der festlichen Pädagogischen Jahrestagung des Katholischen Südtiroler Lehrerbundes den von Ferrari gewünschten Vortrag122 über „Die kulturellen Aufgaben des Lehrers in Südtirol“ gehalten. Das geschah zu einer Zeit, in der die 1946 im Pariser Abkommen zwischen Italien und Österreich zugesicherte Regionalautonomie für Südtirol durch dessen Fesselung an die Provinz Trient noch immer verzögert wurde, die italienische Regierung ein Einreiseverbot für den Tiroler Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey123 erließ, erste Bombenanschläge erfolgten, Rufe nach Selbstbestimmung und Anschluss an das Vaterland Österreich lauter wurden und der Konflikt vor die UNO-Vollversammlung gebracht wurde.124 In diesem spannungsreichen politischen Klima galt es, die Lehrerschaft zur gemeinsamen Arbeit für die Erhaltung der deutschen Kultur in Südtirol zu ermutigen ohne ihre berufliche Existenz als italienische Staatsdiener zu gefährden. Man wusste, dass Geheimpolizisten unter den Zuhörern waren. Ich habe deshalb den für Südtirol zuständigen Staatssekretär im Bundeskanzleramt Prof. Franz Gschnitzer gebeten, meinen Vortragstext zu prüfen, „ob er in allen Teilen so formuliert ist, dass ich bei den italienischen Behörden keinen Anstoß errege. Es ist mein Ziel, die deutsche Lehrerschaft für die kulturelle Arbeit zu aktivieren und ihr die Scheu vor dem Einsatz für die außerschulische Volksbildung zu nehmen.“125 Die Antwort lautete: „Bereits die Tatsache, dass Sie in Südtirol für die Erhaltung des Volkstums eintreten, wird den Italienern ein Dorn im Auge sein, besonders deshalb, weil Ihre Ausführungen genau ins Schwarze treffen und man den Südtiroler Lehrern kaum bessere Ratschläge geben könnte. Dies ist von unserem Standpunkt aus äußerst wertvoll. Der Text scheint mir mit Ausnahme einer einzigen Stelle keinen direkten Anlass für ein italienisches Einschreiten zu bieten. … Sie sagen, dass dem Südtiroler Volk das Recht auf Selbstbestimmung noch immer vorenthalten wird. Dies trifft zu, dennoch steht die österreichische Politik derzeit voll auf dem Boden des Pariser Abkommens 122 Ferrari in einem Brief vom August 1957 an Brezinka. PAB. „Ich bin der Meinung, dass die Lehrervorträge, die Sie über die aktuellen Aufgaben des Lehrers in Südtirol halten werden, den Auftakt darstellen müssten für Ihre spätere Tätigkeit.“ 123 B. Posch 1960, 22. 124 Vgl. Miehsler 1965; Stadlmayer 1965, Ermacora 1965, 1984, 1991. 125 Brezinka am 20.3.1959 an Gschnitzer. PAB.

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und es wird daher die Frage des Selbstbestimmungsrechtes offiziell nicht erwähnt. Ihre Formulierung könnte nun den Italienern Anlass bieten, Sie zu beschuldigen, die Südtiroler ,im Sinne eines Anschlusses an Österreich aufzuwiegeln‘. Es wäre vielleicht zweckmäßig, diese Formulierung zu streichen.“126 Um das Unternehmen nicht zu gefährden, habe ich diesen Rat befolgt. Ich bin im Vortrag von der Bedeutung der Kultur für den Aufbau der Persönlichkeit ausgegangen und vom Recht einer nationalen Minderheit auf Kulturautonomie, das im Völkerrecht verankert ist.127 In Südtirol trage die Lehrerschaft mehr Verantwortung als anderswo, weil das Land seit der Abtrennung von Österreich unter dem Verlust des Mittelstandes zu leiden hatte. Durch das Verbot der deutschen Sprache in den Schulen128 und andere Methoden der sprachlichen Unterdrückung, die Auswanderung deutschsprachiger Beamter, Lehrer, Techniker und Akademiker gab es nach dem Untergang des Faschismus zu wenig kulturelle Führungskräfte und Mittler zwischen der Oberschicht und der noch vorwiegend landwirtschaftlichen Bevölkerung. Deshalb hänge die Zukunft Südtirols vor allem von den Leistungen der deutschen Schule, aber auch von der außerschulischen Erziehungstätigkeit ihrer Lehrer für die schulentlassene Jugend und das kulturelle Leben der Gemeinden ab. Die Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten wurden an vielen Beispielen erläutert. Dieser Vortrag entsprach dem Ernst der damaligen politischen Lage in Südtirol. Er wurde von der Lehrerschaft begeistert aufgenommen, obwohl auch ungewöhnlicher außerschulischer Einsatz in der Jugend- und Kulturarbeit gefordert wurde, der über die Berufspflichten hinausging. Tatsächlich wurde er von Vielen schon seit langem geleistet und bedurfte nur der öffentlichen Anerkennung und Ausbreitung. Damals waren Verwurzelung in der deutschen Kultur, Bindung an Österreich und Opferbereitschaft für ihre Erhaltung noch vorherrschende Eigenschaften im Volk und von den Eliten der Südtiroler Volkspartei wie der Kirche gestützt.129 Ich konnte mich über die Anerkennung seitens der Politiker wie der Bischöfe freuen.130 Diözesanbischof Joseph Gargit126 Legationssekretär Dr. Elmar Gamper im Auftrag von Gschnitzer am 24.3.1959 an Brezinka. PAB. 127 Brezinka 1960 a, 80–102; 1966, 47–63; 1988 a, 149–166. 128 Belege bei Grentrup 1930; grundlegend Ferrari 1958. Zur Geschichte der deutschen Notschulen (Katakombenschulen) vgl. Villgrater 1984. 129 Vgl. Schasching 1958, 20 ff. 130 Seither hat sich „die Südtiroler Gesellschaft … vom Grunde auf gewandelt.“ „Es fehlt das Volksbewusstsein, für das man noch vor einigen Jahren gekämpft hat, fast vollends.“ „Die Jugend ist weitgehend zu einer integrierten deutsch-italienischen Jugend geworden.“ „Die Entfremdung von Österreich“ ist „unüberhörbar.“ Ermacora 1991, 136 ff.

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ter131war bei meinen Vorträgen in Bruneck und Brixen anwesend, Weihbischof Heinrich Fohrer132 für den deutschsprachigen Bereich der Diözese Trient in Bozen und Meran. Das diente auch politisch dem Schutz der Veranstalter und des Redners. Eine Überraschung war, dass in Meran Prof. Erich Weniger unter den Zuhörern war, mir gratuliert und Prof. Nohl lobend berichtet hat. Dieser hat meinen Vortrag schon im Juni-Heft 1959 seiner Zeitschrift „Die Sammlung“ an erster Stelle veröffentlicht. Neben dem Hauptvortrag in festlichem Rahmen waren in den vier Veranstaltungsorten an den Vorabenden auch noch Vorträge für Eltern über „Charakterbildung im Schulkindalter“ zu halten. Für die Lehrerschaft folgte ein zweiter Vortrag über „Praxis der Elternberatung“. Das alles musste neben der enormen Arbeitslast an der Pädagogischen Hochschule Würzburg vorbereitet werden. Wegen dieser Belastung konnte ich auch Prof. Strohal bei der zweiten Südtiroler Lehrerfortbildungs-Woche in Burgeis vom 9. bis 12. September 1959 nur wenig unterstützen. Ich habe zu ihr nur einen Vortrag über „Die Bildung des Lehrers“ beigetragen und Arbeitsverbindungen für die folgenden Jahre geknüpft. Es kam zur ersten Begegnung mit Dr. Silvius Magnago, dem Landesobmann der Südtiroler Volkspartei und damaligen Landtagspräsidenten und anderen Politikern aus beiden Teilen Tirols. Magnagos kämpferische Rede hat uns begeistert und mich zu verstärkter Mitarbeit im Sinne Ferraris ermutigt. Dazu beigetragen hat auch der große Festzug des Jubiläums von 1809 am 13. September 1959 in Innsbruck, den ich mit meiner Frau auf der Tribüne am Goldenen Dachl erleben durfte. Vier Stunden lang zogen rund 25.000 Schützen und Musikanten aus dem ganzen Land in ihren schönen Trachten durch die Stadt. Davon waren rund 3.000 aus Südtirol. Sie wurden von etwa 150.000 Besuchern am stärksten bejubelt. Dem Bundespräsidenten Adolf Schärf und Bundeskanzler Julius Raab, den Bundesministern, Landeshauptleuten und Abgeordneten, den Bischöfen und der ganzen Öffentlichkeit wurde „das eine Tirol“ vorgestellt. Das Leiden unter der politischen Spaltung wurde durch eine mitgetragene riesige eiserne Dornenkrone symbolisiert. Ein Transparent gegenüber der Ehrentribüne erinnerte an die unsichere reale Lage: „Nicht zuschauen, sondern Taten! Nicht reden, sondern handeln! Freiheit für Südtirol.“133 Im 131 (1917–1991). Ingenhaeff 1981, 121 ff.; Gelmi 2001, 429 ff. 132 (1913–1997). Ingenhaeff 1981, 113 ff.; Gelmi 2001, 441 ff. 133 B. Posch 1960, 206, 169.

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offiziellen Dokumentationsband der beiden Landesregierungen war später zu lesen: „Noch niemals hat es eine solche Kundgebung des Tiroler Volkes gegeben.“ „Ideal und Ziel … ist die Landeseinheit“, „das eine, unteilbare Tirol“.134 Dieses Ziel ist leider unerreichbar geblieben.135 Umso wichtiger war es, innerhalb des italienischen Staates für die deutsche Volksgruppe in Südtirol eine echte Autonomie des Schulwesens zu erreichen. Nach Jahrzehnten brutaler Italianisierung genügte es nicht, unter der zentralistischen Bevormundung durch das römische Unterrichtsministerium eine „italienische Schule in deutscher Sprache“ aufzubauen. Es musste eine autonome „deutsche Schule im italienischen Staat“ geschaffen werden, in der Südtiroler Lehrer zur „Verwurzelung“ der Schüler im deutschen Sprach- und Kulturraum beitragen.136 Dazu dienten auch die „Pädagogischen Fortbildungswochen“, die das Südtiroler Kulturinstitut Bozen in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Südtiroler Lehrerbund seit 1958 jährlich im Sommer in Burgeis veranstaltete. Die beiden ersten wurden von Prof. Strohal geleitet137. Ab 1960 hatte ich sie als Innsbrucker Professor – zunächst noch von Würzburg aus – vorzubereiten. Sie hat vom 5. bis 10. September zum Thema „Schule, Beruf und Freizeit“ mit rund 40 Lehrern und 60 Lehrerinnen stattgefunden. Es kam mir auf Praxisnähe und einen schönen musischen Rahmen an. Begonnen wurde täglich mit einem gemeinsamen Gottesdienst in der gotischen Pfarrkirche samt Kurzpredigt vom Geistlichen Assistenten des Lehrerbundes Dr. Herbert Oberhofer, dem leutseligen Religionsprofessor der Lehrerbildungsanstalt Meran, der die meisten Teilnehmer gut kannte und von allen geschätzt wurde. An den Vormittagen gab es zwei Vorträge, an den Nachmittagen Arbeitsgemeinschaften und Übungsgruppen. Der landschaftlich herrliche Tagungsort, gegenseitige Vertrautheit und der Lerneifer der Teilnehmer sowie die hohe Qualität der Mitarbeiter begünstigten ein ideales Sozialklima. Welche Themen wurden behandelt? Ministerialrat Dr. Ludwig Lang vom Wiener Bundesministerium für Unterricht sprach über „Innere und äußere Erneuerung der Landschule“ sowie „Probleme der Schülerkenntnis und der Schülerbeurteilung.“ Studienrat Ferdinand Kopp von der Pädagogischen Hochschule München behandelte die „Psychologie der Zehn- bis Vierzehnjährigen“ 134 B. Posch 1969, 173, 196 f. 135 Vgl. Gruber 1990 a. 136 Ferrari 1958, 220 ff. 137 Vgl. S. 178, 219.

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und „Lehrgut und Methode des Unterrichts auf der Volksschuloberstufe.“ Studienrat Heinz Lutter von der Pädagogischen Hochschule Würzburg sprach über „Praxis der Leibeserziehung auf der Volksschuloberstufe (Landschulturnen, Übungsstättenbau unter einfachen Bedingungen, Sonderturnen)“; Dr. Klaus Posch vom Innsbrucker Arbeitsamt über „Die Vorbereitung auf den Beruf “; Frau Dr. Maria-Luise Thurmair-Mumelter behandelte die „Erziehung zum Buch“ und „Grundzüge der Mädchenbildung“. Mitreißender politischer Höhepunkt war die Rede des Südtiroler Landtagspräsidenten Dr. Silvius Magnago über „Südtirol heute“; historisch-heimatkundlicher der Vortrag des Innsbrucker Universitätsprofessors Dr. Franz Huter über „Südtiroler Volkstum und Kultur im Laufe der Geschichte“. Ein großer Gewinn war das tägliche Singen mit dem Salzburger Musikprofessor Dr. Anton Davidowicz, der auch eine Arbeitsgemeinschaft über „Musik in der Schule“ geleitet hat. Ich hatte die Einführung in das Generalthema und eine Arbeitsgemeinschaft „Zur Psychologie und Pädagogik der Vorpubertät“ übernommen sowie eine abendliche Lesung aus den Schriften der österreichischen Dichter Josef Leitgeb und Karl-Heinrich Waggerl.138 Land und Menschen haben sich seit damals sehr verändert. Zu meinen alten Südtiroler Freunden sind neue italienische gekommen. Meine Liebe zu Südtirol hat aber lebenslang angehalten und mir bis zum Alter viele weitere pädagogische Aufgaben eingebracht.

BERUFUNGEN AN DIE UNIVERSITÄTEN HAMBURG, INNSBRUCK UND MARBURG Es war schon 1958 zu vermuten, dass meine Arbeit an der Pädagogischen Hochschule Würzburg nicht von langer Dauer sein wird. Ich habe sie mit aller Kraft gern verrichtet, aber nur als Vorbereitung betrachtet auf einen Lehrstuhl in der Philosophischen Fakultät einer Universität mit allen Rechten in Forschung und Lehre. Für die Forschung fehlten in Würzburg Zeit und Mitarbeiter. Für die wissenschaftliche Lehre mangelte es an Studierenden im Hauptfachstudium Pädagogik und am Promotions- und Habilitationsrecht als Voraussetzung für die Gewinnung von erziehungswissenschaftlichem Nachwuchs. In Deutschland wie in Österreich gab es damals an den Universitäten noch keine öffentliche Ausschreibung von Lehrstühlen und folglich auch keine Mög-

138 Gedrucktes Programm in PAB.

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lichkeit, sich um sie zu bewerben.139 Interessenten und potentielle Kandidaten mussten abwarten, bis sie von Professoren ihres Faches, eines Nachbarfaches oder dem zuständigen Dekan gebeten wurden, Lebenslauf und Schriftenverzeichnis zu schicken. Wer in die engere Auswahl kam, wurde zu einem öffentlichen Vortrag mit Diskussion eingeladen. Generell war den Mitgliedern der Berufungskommissionen und Professorenkollegien nach außen Verschwiegenheit geboten. Praktisch war es jedoch unvermeidlich, die gewünschten Kandidaten über Besetzungspläne, Berufungsaussichten und den Stand der Beratungen zu informieren. Mir war seit meiner Habilitation bekannt, dass Prof. Strohal mich in Innsbruck nach seiner Emeritierung als Nachfolger für das Fach Pädagogik gewünscht hat.140 Dafür musste er wegen meines niedrigen Alters Zeit gewinnen, bis ich durch Erfolge auf einer auswärtigen Professur und Veröffentlichungen genügend Ansehen gewonnen hatte. Regulär wäre er nach Vollendung des 70. Lebensjahres mit Ende des Studienjahres 1957/58 in den Ruhestand versetzt und dadurch von der Mitwirkung am Vorschlag für seine Nachfolge ausgeschlossen worden. Der Zeitgewinn wurde dadurch erreicht, dass ihm ein „Ehrenjahr“ bewilligt wurde. Dadurch brauchten die Beratungen über seine Nachfolge erst Anfang des Jahres 1959 aufgenommen zu werden. Der Ausschuss für den Besetzungsvorschlag wurde vom Professorenkollegium am 12. Dezember 1958 eingesetzt. Am 12. Juni 1959 hat das Kollegium folgende Dreierliste angenommen: 1. Josef Derbolav (Bonn), 2. Wolfgang Brezinka (Würzburg), 3. Karl Wolf (Graz). Mehr als diese drei Namen und meinen Platz an zweiter Stelle habe ich über den Inhalt des Besetzungsvorschlages erst lange nach meiner Emeritierung bei der Arbeit an meinem historischen Alterswerk „Pädagogik in Österreich“ aus den Akten im Wiener Archiv der Republik erfahren. Auch Prof. Nohl hat über seine Beteiligung als Gutachter geschwiegen. Der zweite Platz im Vorschlag war für mich ehrenvoll, aber unsicher. Derbolav141 war 16 Jahre älter, hatte Schulerfahrung als Gymnasiallehrer, war in Wien für Philosophie habilitiert und seit 1955 als Nachfolger von Theodor 139 In Österreich erfolgte die Neuerung, alle Dienstposten des wissenschaftlichen Personals öffentlich auszuschreiben, erstmals im Bundesgesetz vom 21.1.1970, BGBL. Nr. 48, über die Gründung der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt, § 3 Abs. 2. Ermacora 1972, 149. Seit dem Universitätsorganisationsgesetz vom 11.4.1975, BGBL. Nr. 258, § 23 Abs. 5 gilt für alle Universitäten: „Alle Dienstposten…, für welche die Absolvierung eines Hochschulstudiums vorgesehen ist, sind… öffentlich auszuschreiben.“ 140 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 457, 461 f. 141 (1912–1987). Kurzbiographien: Horn 2003, 210; Böhm 2005, 145.

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Litt142 ordentlicher Professor für Pädagogik und Philosophie an der Universität Bonn. Ein Wechsel von seinem angesehenen Posten mit gut ausgebautem Institut ins armselige Innsbrucker Arbeitsfeld galt als unwahrscheinlich. Wie die meisten seiner Kollegen nahm Strohal an, dass er den Ruf erhalten, aber ablehnen werde. An Derbolav wurde im Besetzungsvorschlag „die Tendenz“ gelobt, „praktische Anliegen auf die Ebene des Wissenschaftstheoretischen zu heben, und der enge Kontakt mit Philosophie, philosophischer Anthropologie und Sprachphilosophie“.143 Diese Würdigung ließ erkennen, dass sein Interesse mehr der Philosophie als der Pädagogik auf empirischer Grundlage galt. An Publikationen zur Pädagogik lagen damals eine Schrift über „Das ,Exemplarische‘ im Bildungsraum des Gymnasiums“ (1957, 88 Seiten), ein „Kritischer Sammelbericht“ über „Die gegenwärtige Situation des Wissens von der Erziehung“ (1956, 72 Seiten) und 21 Aufsätze vor. An mir, damals 31 Jahre alt, wurde die „große Vielseitigkeit“ der wissenschaftlichen Arbeiten und die „Klarheit der Darstellung“ gelobt. „Seine Vorlesungen in Innsbruck zeigten ihn als einen ausgezeichneten akademischen Lehrer. Als Vortragender versteht er es, auch schwierige Themen wohlverständlich zu machen, ohne von wissenschaftlicher Exaktheit etwas preiszugeben.“ „Als ein wichtiges Moment sei die pädagogische Beziehung Brezinkas zu Südtirol hervorgehoben.“ Schon seit langem stehe er mit den Südtiroler Schulbehörden als Berater und Vortragender in Verbindung. „Da Brezinka seit 1949 Prof. Strohal als engster Schüler besonders nahesteht, hielt dieser es für richtig, die hier dargelegte Beurteilung Brezinkas durch ein Gutachten des Altmeisters der Pädagogik in Deutschland zu ergänzen. Er richtete an Prof. Herman Nohl die Bitte um eine Äußerung über Brezinka und erhielt eine Antwort, in der es heißt: ,Gern gebe ich ein Gutachten über Prof. Brezinka ab. Er ist fraglos von den in Frage kommenden Kandidaten in Westdeutschland der beste Mann. Er hat eine wirklich wissenschaftliche Energie, ist sich ganz klar über seine Methode und hat reiche Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten. Was ich an ihm besonders schätze, ist seine echte pädagogische Haltung und sein einfacher, sauberer Sprachstil, der keine künstliche Terminologie braucht, womit er sich von mancher deutschen, aber auch Wiener Schule sehr unterscheidet. Er hat eine schöne Klarheit nicht bloß des Denkens, sondern auch des Fühlens, was den Verkehr mit ihm so angenehm macht. Die Lehrer werden bei ihm in guter Hand sein und nicht durch hochgestelzte Formeln verwirrt werden. Wir hatten ihn schon für eine Fakultät bei uns erhofft, 142 (1880–1962). Kurzbiographien: Horn 2003, 283; Böhm 2005, 416. 143 Brezinka, Bd. 2, 2003, 494 ff.

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er sagte mir aber, dass er und seine Frau an Innsbruck hingen und er in Südtirol eine besondere Aufgabe sähe. Mein Freund und Nachfolger Prof. Weniger hat ihn übrigens in Meran neulich gehört und bewunderte die Einfachheit seines Sprechens. Wir waren uns ganz einig in unserer Wertschätzung seiner Person…‘ 5.5.1959.“ An Publikationen lagen damals mein Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ (1957) und 21 Aufsätze vor. An Karl Wolf144, damals 49 Jahre alt, wurden seine zwanzigjährige Berufserfahrung als Mittelschullehrer und seine zehnjährige Tätigkeit als Dozent und Lehrbeauftragter hervorgehoben. „Gewiss, es liegen keine umfangreichen Bücher vor. Solche auszuarbeiten hinderten ihn einerseits der Lebenskampf, andererseits die fast überbedächtige Gründlichkeit, Genauigkeit und Bescheidenheit seines Wesens. Was Wolf publiziert, ist gediegen, gründlich, großen Worten abhold, zeigt Tiefgang ebenso wie theoretische Höhe.“ Wolf sei „ein stiller und doch innerlich kraftvoller, vielseitig geschulter und theoretisch klarer Pädagoge, dem vor allem das österreichische Erziehungs- und Bildungswesen nach seiner theoretischen wie praktischen Seite so vertraut ist wie kaum einem anderen Dozenten in Österreich“. Der Besetzungsvorschlag ist am 25. Juli 1959 im Unterrichtsministerium eingegangen. Schon am 28. Juli hat Minister Heinrich Drimmel meine Berufung angeordnet. Sie ist bereits am 29. Juli erfolgt.145 Dass der von der Fakultät an erster Stelle vorgeschlagene Derbolav nicht gefragt wurde, hat Drimmel im Ernennungs-Antrag an den Ministerrat vom 24. Februar 1960 wie folgt begründet: „Die fachlich ganz ausgezeichnete Qualifikation und der hervorragende Ruf des secundo loco vorgeschlagenen Kandidaten in Fachkreisen haben die Unterrichtsverwaltung bewogen, die Berufungsverhandlungen mit Prof. Brezinka aufzunehmen. Für diese Wahl war außerdem maßgebend, dass Prof. Brezinka mit Tirol und insbesondere mit den Südtiroler Schulbehörden, der Lehrerschaft und den dortigen Studierenden in pädagogischer Beziehung in enger Verbindung steht. … Im Falle der Ernennung Prof. Brezinkas würde der Universität Innsbruck einer der bedeutendsten jüngeren Pädagogen gewonnen werden.“146 Meine Berufung auf den Innsbrucker Lehrstuhl war von Prof. Strohal lange geplant und von mir aus früher Neigung zur österreichischen Kultur und zu Tirol als landschaftlich schönstem Lebensraum angestrebt worden. Die ungün144 Über Wolf vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 216 ff., 271, 277 f.; Bd. 1, 2000, 563 ff., 145 Schreiben von SektionsChef Dr. Adalbert Meznik an Brezinka, Zl. 80. 295-4/59. PAB und Archiv der Republik (AdR), 02. 146 Tabelle, Bundesministerium für Unterricht, Zl. 91. 226-4/59. Vom Ministerrat genehmigt am 1. März 1960. AdR. 02: Personal-Akt Brezinka.

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stigen universitären Arbeitsbedingungen im vernachlässigten Fach Pädagogik glaubte ich schrittweise bessern zu können. Zweifel kamen erst auf, als mir unerwartet schnell wissenschaftlich und finanziell anziehendere Wahlmöglichkeiten angeboten wurden. Zugleich mit dem Ruf nach Innsbruck erhielt ich am 2. August 1959 vom Senator Heinrich Landahl die Berufung an die Universität Hamburg.147 Am 8. Januar 1960 wurde mir vom hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung Ernst Schütte148 der ordentliche Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Marburg angeboten149 als Nachfolger von Frau Prof. Elisabeth Blochmann.150 Der Ruf nach Hamburg ist schon im Juni 1958 nach meinem ersten Vortrag an der dortigen Universität151 von den Professoren Hans Wenke, Walter M ­ erck und Georg Geißler vorbereitet worden. Geißler war damals geschäftsführender Direktor des Pädagogischen Instituts der Universität Hamburg. Auch er hatte wie Weniger und Blochmann in Göttingen bei Nohl studiert und promoviert. Er hat mich im Herbst in Salzburg und im April 1959 in Würzburg besucht, meine „kluge und tapfere Antrittsrede“ gelobt152 und mich schon am 11. Mai vertraulich über den Besetzungsvorschlag für zwei Lehrstühle informiert. Darin stand ich hinter Gottfried Hausmann153, der für Vergleichende Erziehungswissenschaft berufen wurde, an erster Stelle für das freie Extraordinariat für Erziehungswissenschaft. Wilhelm Flitner ist 1958 emeritiert worden. „Die Herren Kollegen Wenke und Merck würden sich ebenso wie ich außerordentlich freuen, wenn Sie sich entschließen könnten, zu uns zu kommen. Hamburg hat zwar für einen im Süden verwachsenen Pädagogen geographische Mängel, aber die werden reichlich kompensiert durch die unvergleichlichen Arbeitsbedingungen.“154 Bei den Verhandlungen wurde ein persönliches Ordinariat in Aussicht gestellt. Durch den Mangel an berufbaren Pädagogikern war ich in der günstigen Lage, einen Umzug in den Norden vermeiden und im Süden bleiben zu können. Ich habe den Ruf nach Hamburg abgelehnt155 und hatte nun zunächst die 147 Landahl am 29.7.1959 an Brezinka. PAB. 148 (1904–1972). 149 Zl. IV/2-422/97-2-60. PAB. 150 (1892–1972). Kurzbiographien: Horn 2003, 193; Böhm 2005, 107. 151 Vgl. S. 162. 152 Brief vom 23.3.1959. PAB. 153 (1906–1994). Kurzbiographien: Horn 2003, 242; Böhm 2005, 275. 154 Geißler am 11.5.1959 an Brezinka. PAB. 155 Am 4.1.1960 mit Schreiben an Regierungsdirektor Dr. Meins der Hochschulabteilung der Schulbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. PAB.

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Wahl zwischen Bayern und Tirol, Würzburg und Innsbruck. Ich wurde im „Verfahren zur Abwendung des Rufes an die Universität Hamburg“ zum ordentlichen Professor ernannt und habe bei einer Besprechung mit Staatsminister Maunz im Münchener Kultusministerium am 5. Oktober 1959 meinen Verbleib als Professor und Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg bis zum Ende des Studienjahres 1959/60 zugesagt, um einen geordneten Übergang in der Leitung zu ermöglichen. Danach war jedoch mein Wechsel in eine Philosophische Fakultät unwiderruflich. Meine Wahlsituation wurde dadurch besonders schwierig, dass die Universität Würzburg und das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus sich sehr bemüht haben, mich zu behalten. Durch meine erfolgreiche Antrittsrede hatte ich die Anerkennung von Rektor, Senat und Philosophischer Fakultät gewonnen. Schon im März 1959 wurde einstimmig beschlossen, für die Philosophische Fakultät die sofortige Errichtung eines Lehrstuhls für Pädagogik zu beantragen.156 Das Ministerium hat zugestimmt. Der Dekan, Philosophieprofessor Rudolph Berlinger157, hat mir den ersten Platz im Besetzungsvorschlag zugesichert. Er wollte aber die vordringliche Errichtung des Lehrstuhls zum 1. Januar 1960 nur betreiben, wenn ich ihm verspreche, die Berufung anzunehmen. Sollte ich absagen, sei eine Fehlbesetzung durch den Münchener außerplanmäßigen Professor Fritz Stippel158 fast unvermeidlich. Ohne meine sofortige feste Zusage würde die Fakultät vorläufig auf die Errichtung des Lehrstuhls verzichten.159 Staatsminister Maunz hat mir am 10. Oktober 1959 brieflich Folgendes mitgeteilt: „Sobald ein Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Würzburg besetzbar ist und sobald die Universität Würzburg Sie auf dem Dreiervorschlag für diesen Lehrstuhl an erster Stelle genannt hat, werden Sie den Ruf in die Philosophische Fakultät dieser Universität erhalten.“160 Ich habe damals im Ministerium auch den Ministerialdirigenten Johannes von Elmenau als Leiter der Hochschulabteilung kennengelernt und war von seinem gewinnenden, offenen und ermutigenden Umgangsstil sehr beeindruckt. Schon er als höchster Beamter, der künftig statt der Schulabteilung für mich zuständig werden könnte, war ein starkes Motiv, in Bayern zu bleiben. Ich konnte mich aber nicht entscheiden, bevor das Angebot des Wiener Ministeriums für die Innsbrucker Professur vorlag. 156 Brief von Brezinka an Strohal am 20.3.1959. PAB. 157 (1907–1997). Kurzbiographie: Schischkoff 1978, 66. 158 (1915–1974). Kurzbiographie: Horn 2003, 353; ausführlich M. Müller 2014, 378 und 490–493. 159 Brief von Brezinka an Strohal vom 2.5.1959. PAB. 160 PAB.

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Für Würzburg sprach privat die schöne und preisgünstige Wohnung, die wir gerade bezogen hatten, und die zentrale Lage der relativ kleinen Stadt in naturnaher und kulturreicher Umgebung. Beruflich fielen die gewonnenen guten Kontakte, mein Ansehen in der Universität und die großzügige Förderung bei der Einrichtung eines neuen Instituts ins Gewicht. Gegen Würzburg sprach meine wissenschaftliche Unfertigkeit. Die Berufung wäre für mich zu früh gekommen und die Erwartungen der Universität waren zu hoch. Ganz allgemein wurden die Schwierigkeiten der Pädagogik als wissenschaftliches Fach von den Ministerien wie von den Professorenkollegien unterschätzt. Gemessen am eigenen fachlichen Anspruchsniveau brauchte ich noch mindestens fünf Jahre ohne Ablenkung, um jenes breite Wissen zu erarbeiten, das mir für meine Lehrveranstaltungen wie für die Betreuung von Dissertanten nötig erschien. In Würzburg wurde erwartet, dass ich als der erste Ordinarius für Pädagogik nicht nur im Spannungsfeld zweier grimmig verfeindeter Ordinarien der Philosophie und Psychologie (Berlinger, Arnold) als engster Fachnachbar ein neues Institut aufbaue, sondern auch als für Lehrerbildung sachkundiger Verbindungsmann von Senat und Fakultät zu den Pädagogischen Hochschulen Würzburg und Bamberg diene. Das bedeutete Mitverantwortung für die Berufung oder Ablehnung der vom Ministerium vorgesehenen Kandidaten der Lehrstühle für Pädagogik, Psychologie und Philosophie an den Pädagogischen Hochschulen sowie für die Lösung der vielen noch offenen Probleme in den Beziehungen zwischen beiden Institutionen. Das wäre nach meinen Erfahrungen als Vorstand wegen des Mangels an geeigneten Dozenten eine sehr zeitraubende und konfliktreiche Aufgabe gewesen. Außerdem schien es bis zur Wiederbesetzung meines Lehrstuhls an der Hochschule fast unvermeidlich, dass ich dort weiter als Lehrstuhlvertreter pädagogische Hauptvorlesungen und Prüfungen im Nebenamt übernehme. Später hat sich gezeigt, dass die Wiederbesetzung erst Ende 1964, also vier Jahre nach meinem Abgang erfolgen konnte. Unter diesen Umständen waren die Innsbrucker Arbeitsbedingungen vorzuziehen. Durch die Berufung an die Universität Marburg hat sich meine Lage jedoch im Januar 1960 völlig verändert. Der dortige erste ganz der Pädagogik gewidmete Lehrstuhl ist 1952 mit der Nohl-Schülerin Elisabeth Blochmann161 besetzt worden. Sie war von 1930 bis 1933 Professorin für Sozialpädagogik und Theoretische Pädagogik an der Pädagogischen Akademie Halle. Nach ihrer Entlassung war sie 1934 nach England emigriert und hatte bis 1951 an der Univer161 (1892–1972). Kurzbiographien: Horn 2003, 193; Böhm 2005, 107. Ausführlich Roeder 1967; Jacobi 1992; Klafki/Müller 1992.

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sität Oxford als Lektorin für Deutsch gearbeitet. Ihr Lehrstuhl war mit drei Assistentenstellen, einer Sekretärin und einer wissenschaftlichen Hilfskraft großzügig ausgestattet. Die Assistenten waren promoviert oder der Promotion nahe, also vollwertige Mitarbeiter. Die Instituts-Bibliothek war sehr gut ausgebaut. Das alles hat in Innsbruck gefehlt. Dazu kam, dass die sieben Mitglieder der Berufungskommission mich einstimmig „mit Abstand an erster Stelle“ vorgeschlagen haben. „Am liebsten hätte man eine Ein-Mann-Liste vorgelegt.“ Die Fakultät hat die Liste „mit großer Zustimmung…angenommen“.162 Ich hatte Frau Blochmann erst am 31. Oktober 1959 bei der Tutzinger Tagung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen persönlich kennengelernt. Ich hatte ihr auf Anraten von Nohl ein Jahr zuvor mein Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ geschickt. Sie war eine klassisch breit gebildete warmherzige Frau mit geistesgeschichtlichem und sozialpädagogischem Arbeitsschwerpunkt. Sie hat mich Ende Januar 1960 bei meinem ersten Besuch in Marburg zur Besichtigung des Pädagogischen Seminars und Vorstellung in der Universität freundschaftlich werbend aufgenommen und sogar private finanzielle Unterstützung beim Bau eines Hauses angeboten. Fachlich, personell und einkommensmäßig hätten die Umstände nicht besser sein können. Auch die Aussicht auf dauernde Nähe zu einer so wohlwollenden und liebenswürdigen Vorgängerin wie Frau Blochmann und ihrem Freundeskreis war verlockend. Ich stand vor der wichtigsten Entscheidung über meine universitäre und familiäre Zukunft. Die Vernunft sprach für Marburg, aber das Herz strebte nach Tirol. Über die Schwächen der Innsbrucker Fakultät in meinen Nachbarfächern und ihr geringes Verständnis für die Pädagogik hatte ich keine Illusionen. Es war nicht die Universität, die mich angezogen hat, sondern die einmalige Gelegenheit, im geliebten Land Tirol leben und für ganz Österreich pädagogisch arbeiten zu können. Das war ein viel stärkeres Motiv als Frau Blochmann dachte, als sie einfühlend fragte, „ob Sie nicht mit dem Entschluss für Innsbruck versuchen, die Lebensform durchlebter glücklicher Jugendtage festzuhalten, was menschlich tief verständlich ist, aber ob man das darf gegenüber dem Ruf größerer Aufgaben, deren Erfüllung einen guten Sinn hätte?“163 Meine Frau hat sich ebenso stark wie ich nach Tirol gesehnt. Das damals in Österreich viel geringere Einkommen und die erheblichen Wohnungssorgen konnten uns nicht abschrecken. Ernste Sorge hat in Innsbruck nur meine Stel162 Blochmann an Brezinka am 2.12. und 16.12.1959. PAB. 163 Blochmann an Brezinka am 14.2.1960. PAB.

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lung im Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät bereitet. Für Strohal, die große Mehrheit des Kollegiums, das Bundesministerium für Unterricht und mich war klar, dass ich nur als ordentlicher Professor zu gewinnen war. Bei Berufungen von Privatdozenten aus der eigenen Universität wurde in der Regel nur eine außerordentliche Professur in niedriger Gehaltsstufe angeboten, um Kosten zu sparen. Als ordentlicher Professor wurde meistens nur bestellt, wer schon an einer anderen Hochschule Professor war oder einen Ruf auf ein Ordinariat an einer fremden Hochschule erhalten hat, den es „abzuwehren“ galt. Diese ministerielle Praxis hat in den Professorenkollegien zu erheblichen Unterschieden im Einkommen und damit zu Neid und Unzufriedenheit bei den Extra-Ordinarien geführt. In Innsbruck gab es ab 1945 besonders viele Berufungen aus dem eigenen Haus. Dadurch war ein Stau von außerordentlichen Professoren unterschiedlicher Güte entstanden, die auf den Aufstieg zu ordentlichen Professoren warteten. Im Jahre 1959 bestand das Professorenkollegium an der Philosophischen Fakultät zu zwei Dritteln aus Personen, die durch Hausberufungen in ihr Amt gelangt sind. Davon waren 23 ordentliche und 13 außerordentliche Professoren, die durchwegs älter waren als ich. Die Zunahme der Hausberufungen hat sich auch auf die Qualität der Besetzungsvorschläge ungünstig ausgewirkt. Statt erstklassige Kandidaten, die nur als Ordinarien zu gewinnen gewesen wären, wurden manchmal zweitklassige vorgeschlagen, die nur als Extra-Ordinarien in Betracht kamen. Die an Dienstzeit älteren Extra-Ordinarien sahen darin ein Mittel, ihre eigene Wartezeit auf ein Ordinariat zu verkürzen. Dabei wurde irrtümlich vorausgesetzt, dass jeder neue Ordinarius auf ihre Kosten ernannt werde und ihre Wartezeit verlängere. Die Hebung von Stellen musste durch das Kollegium beantragt werden und war durch den Dienstpostenplan des Unterrichtsministeriums in Abhängigkeit vom Finanzministerium begrenzt.164 Meine unmittelbaren Fachnachbarn waren in der Philosophie Hans Windischer165 und in der Psychologie Ivo Kohler166 – beide seit 1956 außerordentliche Professoren. Nach dem Abgang des Besetzungsvorschlages für die pädagogische Lehrkanzel nach Wien hat mir Prof. Strohal Folgendes mitgeteilt: „Die Verhältnisse in der Fakultät und speziell in der Fachgruppe PhilosophiePsychologie-Pädagogik, wie sie in den letzten Sitzungen zum Ausdruck gekom164 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 498 ff. 165 (1909–1975). Biographie: Brezinka Bd. 2, 2003, 458 ff. Windischer wurde 1963 zum ordentlichen Professor ernannt. 166 (1915–1985). Er wurde 1962 zum ordentlichen Professor ernannt.

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men sind, liegen derart, dass ein fruchtbares Zusammenarbeiten aufs Schwerste gefährdet, ja nahezu unmöglich würde, wenn Sie als Ordinarius hierherkämen. Ich möchte Ihnen also – da mir ein Zusammenarbeiten in gutem Einvernehmen als Grundlage für fast alles andere wesentlich erscheint – dringend nahelegen, bei eventuellen Verhandlungen nicht auf dem Ordinariat zu bestehen… .“167 Nach dieser Enttäuschung folgte ein Brief Windischers mit dem „Appell“, „den Bogen nicht zu überspannen“. „Innerhalb unseres Fachgebietes müssen Philosophie und Psychologie seit Jahren auf ein Ordinariat warten.“ Ein Ordinariat für mich „würde zu einem radikalen Bruch führen, da Unrecht und Willkür vorläge. Wer aber kann den Zerfall einer Fakultät und persönliche Ablehnung verantworten? Sie würden erfolgen, und zwar radikal“.168 Das schrieb ein Mann, den ich in meiner Studienzeit nach dem Besuch einiger Vorlesungsstunden als pathetischen metaphysischen Schwärmer für immer gemieden hatte. Er hatte seine Professur ohne nennenswerte Publikationen durch katholische Protektion gewonnen, obwohl die liberale Mehrheit der Fakultät für den unvergleichlich besser ausgewiesenen, aber als „Positivist“ verketzerten Dozenten Wolfgang Stegmüller169 gestimmt hatte.170 Ich habe mich durch Strohals Empfehlung und Windischers „Appell“ nicht umstimmen lassen, weil ich den Dekan, die meisten Professoren und Unterrichtsminister Drimmel hinter mir wusste. Das Ministerium hat mir am 18. Februar 1960 durch Sektionschef Dr. Adalbert Meznik ein für österreichische Verhältnisse sehr großzügiges Angebot gemacht171 und um „ehestbaldige womöglich telegraphische Antwort“ gebeten, um die Ernennung „in kürzester Frist“ in die Wege zu leiten. Ich habe sofort zugesagt. Ich hatte mich schon bald nach meinem Besuch in Marburg für Innsbruck entschieden und Frau Blochmann um Verständnis gebeten. Dem hessischen Ministerium habe ich ohne Verhandlung am 22. Februar dankend abgesagt. Prof. Nohl hat mir daraufhin enttäuscht geschrieben: „In Innsbruck sind Sie … wissenschaftlich in einer Sackgasse. Man kennt Ihre Produktion dann in Deutschland nicht mehr. Ihre Bücher werden nicht besprochen – das alte österreichische Schicksal. Sie werden keine richtigen Schüler bekommen, weil das Einzugsgebiet zu klein ist. … Und ob Ihre Wirkung in Südtirol nicht eine Illu167 Strohal am 18.7.1959 an Brezinka. PAB. 168 Windischer am 9.10.1959 an Brezinka. PAB. 169 (1923–1991). Kurzbiographie: Nida-Rümelin/Özmen 2007, 636 ff. 170 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 460 f. – Vgl. S. 101 f. 171 Zl. 35.369-4/60. PAB.

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sion ist? Wird man Sie noch einmal zu Vorträgen hineinlassen?“172 Zwei Wochen später hat er sich mit meiner „Lebensentscheidung“ abgefunden: „Jedenfalls werden Sie nun von Würzburg frei, das in jeder Weise ein Unglück war. Der schöne Artikel in der Bayerischen Lehrerzeitung und die Aufmachung, die die Zeitung ihm gegeben hat mit der Versendung an alle Pädagogen wird Ihnen noch lange nachhängen. In Marburg gab er die Entscheidung für Ihre Berufung.“173 Frau Blochmann hatte mehr Verständnis für unsere Bindung an Tirol. Im Brief an einen Freund schrieb sie: „Dass Brezinka abgesagt hat, war mir sehr schmerzlich. Ich hätte ihn zu gern als Nachfolger gehabt. Aber man kann ihm kaum verdenken, dass er lieber nach Innsbruck ging! Nun kommt Froese… .“174 Auf mein Geschenk der „Erziehung – Kunst des Möglichen“ antwortete sie: „Ihr schönes Büchlein, besonders die Einleitung … lässt mich noch einmal sehr schmerzlich empfinden, was wir hier verloren haben, indem Innsbruck den Sieg über Marburg davongetragen hat (natürlich lässt mich auch fast jede Seite erkennen, warum Sie sich so haben entscheiden müssen!) … . Möchte Ihnen die kleine und von Ihnen geliebte Universität und das schöne Land mit seinen Menschen schenken, was Sie sich von dort erhoffen.“175

RECHENSCHAFTSBERICHT UND ABSCHIED Als Vorstand der Hochschule war ich bemüht, den Beginn und das Ende des Studiensemesters feierlich zu gestalten. Bezweckt war damit, beim Lehrkörper, den Studierenden und dem Verwaltungspersonal das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit zu stärken und unsere Freunde in Universität und öffentlichem Leben einzubinden. Das Sommersemester 1960 wurde am 2. Mai mit einer Akademischen Feier eröffnet, für die ich Prof. Friedrich Schneider gewinnen konnte.176 Er war im 79. Lebensjahr und noch immer an der Universität München tätig. Seine frei und kraftvoll gehaltene Festrede über „Unterrichten und Erziehen als Beruf “ hat die Studenten begeistert. Am Ende der Vorlesungszeit habe ich am 28. Juli 1960 bei einem Festakt 172 173 174 175 176

Nohl am 14.2.1960 an Brezinka. PAB Nohl am 26.2.1960 an Brezinka. PAB. Blochmann am 25.9.1960 an Martin Heidegger. Storck 1989, 113. Blochmann am 26.9.1960 an Brezinka. PAB. Pädagogische Hochschule Würzburg der Universität Würzburg: Personal- und Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1960, S. 2.

Rechenschaftsbericht und Abschied

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meine Abschiedsrede über „Zwei Jahre Pädagogische Hochschule Würzburg“177 gehalten. Sie war ein Rechenschaftsbericht von den Leistungen und Schwierigkeiten beim Aufbau akademischer Lehrerbildung in Bayern, der als „ein kulturpolitisches Dokument“178 weit über Bayern hinaus Beachtung gefunden hat.179 Es kam darauf an, den Mitgliedern der Hochschule wie den Gästen aus Staat und Kirche, Landtag und Universität, Schulverwaltung, Lehrerverbänden und Presse einen realistischen Einblick in die Lage der Hochschule, ihre Erfolge und Sorgen zu vermitteln. Er musste zugleich ermutigend und kritisch sein. Zur Ermutigung hat mein Dank an die Mitarbeiter, die Studierenden und des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus ebenso beigetragen wie der festliche musikalische Rahmen, den Orchester und Chor der Hochschule geboten haben.180 Von den Studierenden wurde berichtet, „dass sich die meisten in der schwierigen Situation des Überganges gut zurechtgefunden haben. Die Pädagogische Hochschule hat ja noch keine feste Tradition, keine klare Gestalt, keinen bewährten Studiengang, wie man sie in einer der alten Fakultäten ohne weiteres vorfindet. Wir sind vor allem personell bis heute so unterbesetzt, dass die wichtigste Bedingung unserer Arbeit: der enge persönliche Kontakt zwischen Dozenten und Studenten, bisher nicht ausreichend hergestellt werden konnte. Ich habe persönlich sehr darunter gelitten, völlig durch die Verwaltung beansprucht zu werden, statt einfach nur Lehrer und Partner in einem bildenden Gespräch sein zu können.“ „Ich danke jedem von Ihnen, der trotz dieser schwierigen Umstände den Willen gezeigt hat, etwas zu leisten. Sie haben uns damit das Vertrauen in den Erfolg der akademischen Lehrerbildung erhalten, denn es ist ja einzig und allein Ihr Wille zur Leistung, der unseren Anspruch, eine wissenschaftliche Hochschule sein zu wollen, erst rechtfertigt. Bitte unterstützen Sie auch künftig alle Bemühungen, das Niveau zu heben und unter den Bewerbern für das 177 Brezinka 1960. 178 Carl Weiss im Vorwort der Veröffentlichung in der „Bayerischen Schule“ Nr. 25/1960, S. 377. 179 Nachdruck in der „Westdeutschen Schulzeitung“ Nr. 19/1960. 180 Main-Post, 29.7.1960, S. 3. Münchner Merkur: „Das Experiment der Lehrerbildung ziemlich geglückt. Leiter der Würzburger Pädagogischen Hochschule zeigt aber auch ihre Schwächen auf “; Süddeutsche Zeitung, 2.8.1960: „Wo die Pädagogische Hochschule der Schuh drückt. Offene Worte bei der Übergabe der Vorstandsschaft in Würzburg“; Bayerische Staatszeitung, 30.9.1960, S. 8.: „In einem aufsehenerregenden Rechenschaftsbericht ließ Brezinka bei aller besorgten Kritik keinen Zweifel daran, dass die Bemühungen des Kultusministeriums Anerkennung verdienen.“

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Lehramt wieder jene Auslese zu treffen, die wir den Schulkindern und ihren Eltern, aber auch dem Ansehen des Lehrerstandes schuldig sind… . Der internationale Wettlauf nach der besseren Schulbildung lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass auch in der Deutschen Bundesrepublik der Nachwuchsbedarf an Lehrern nicht auf Kosten der Qualität gedeckt werden darf. Die bessere Qualität ist jedoch durch die bloße Akademisierung als solche noch längst nicht garantiert. Sie kann nur dann erreicht werden, wenn intensiv gearbeitet wird.“181 Als größte Sorge wurde die Suche nach geeigneten Lehrerbildnern für die Dienstposten der Professoren und Studienräte geschildert. Dazu trage – „was am schwersten wiegt – der unbefriedigende Stand der wissenschaftlichen Pädagogik“ bei, „die ja die schmale Basis für diese neue Hochschule zu bieten hat.“182 „Es fehlt heute in allen Ländern der Bundesrepublik an Fachleuten für die Lehrerbildung. Es gibt natürlich genügend Lehrer aller Sparten, die sich dafür berufen glauben, aber das ändert leider nichts an dem katastrophalen Mangel derer, die es auch wirklich sind. Hier liegt das größte Hindernis für die akademische Lehrerbildung. Man darf ihm nicht ausweichen, indem man so tut, als sei alles in Ordnung, wenn die Planstellen nur besetzt sind. Dozent ist nicht gleich Dozent, Professor nicht gleich Professor, sondern für die Lehrerbildung sind die Besten gerade gut genug. Sie stehen aber heute leider noch nicht zur Auswahl zur Verfügung.“ „Unter diesem Gesichtspunkt betrachte ich daher die zögernde Besetzungspolitik des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im Großen und Ganzen als einen Gewinn für die Pädagogischen Hochschulen. Bayern hat den meisten anderen Bundesländern noch immer die Chance voraus, Fehlbesetzungen vermeiden zu können. Sofern es für eine Stelle wirklich an genügend qualifizierten Personen fehlt, ist es richtig, wenn das Ministerium wartet oder die Universität ein Veto einlegt. Abgesehen von Hamburg sind die bayerischen Pädagogischen Hochschulen die einzigen in der Bundesrepublik, die gesetzlich Glieder der Universitäten sind. Das verpflichtet zu einem anspruchsvollen Niveau.“183 In diesem Zusammenhang wurde vor der Gefahr gewarnt, „dass zwar nicht die Universität als Institution, aber einzelne ihrer Professoren versuchten, Lehrbeauftragte, die bei der Habilitation gescheitert waren, oder Privatdozenten, 181 Brezinka 1960, 378 f. 182 Ebenda, 383. 183 Ebenda, 381.

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die man gerne loswerden und doch gut versorgt sehen wollte, in die Pädagogischen Hochschulen hineinzuloben. Man konnte die Meinung hören, dass ein Dozent, den man niemals in die eigene Fakultät berufen würde, für eine Pädagogische Hochschule immer noch gut genug sei. Hätte ich diesen Bestrebungen nachgegeben, so wäre die Pädagogische Hochschule von der Wurzel her verdorben worden und man hätte es leicht gehabt, auf sie herabzusehen. Dieses Schicksal der Fehlbesetzungen, das an so vielen Pädagogischen Hochschulen in anderen Bundesländern zu einer hoffnungslosen Situation geführt hat, musste uns unbedingt erspart bleiben… . Trotz dieses spärlichen Ergebnisses meiner intensiven Bemühungen um den personellen Ausbau der Hochschule muss ich sagen, dass ich stolz darauf bin, zumindest jede Fehlbesetzung verhindert zu haben. Das war nicht immer leicht… .“184 In einem eigenen Abschnitt wurde das Verhältnis zur Universität behandelt und um Verständnis dafür geworben, dass „trotz aller ihrer Bedenken keine Aussicht darauf besteht, die durch das Lehrerbildungsgesetz geschaffene Verbindung der Pädagogischen Hochschulen mit der Universität wieder lösen zu können. Sofern das eingesehen wird, ergibt sich die Konsequenz, dass die Universität das größte Interesse daran haben muss, dass diese ihr zugehörige Einrichtung der Pädagogischen Hochschule die bestmögliche Form erhält. Die bisher verfolgte Politik der äußersten Distanz ist auf die Dauer keine Lösung. Ich habe als Vorstand dieser Hochschule, die laut Gesetz ein Glied der Universität ist, in den schwierigen letzten Jahren nicht ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, dem hohen Akademischen Senat über unsere Lage berichten zu dürfen. Es ist unter zwei Rektoren nicht ein einziges Mal die spontane Aufforderung an mich ergangen, sie über den Aufbau der Pädagogischen Hochschule und die Probleme, die er mit sich bringt, zu informieren.“185 Nach diesem Bericht über Leistungen, Mängel und Sorgen folgte die Forderung, „dass die Pädagogische Hochschule innerhalb des Verbands der Universität ihre eigene Gestalt und einen eigenen Stil ausbilden muss.“ „Die inneren Probleme der akademischen Lehrerbildung sind bis heute noch gänzlich ungelöst. Sie können auch nur dann gelöst werden, wenn man vom Berufsziel des Lehrers und von den Erwartungen, die die Gesellschaft an ihn stellen muss, ausgeht. Wie muss der Lehrer, der Erzieher, der Volksbildner heute aussehen, wenn die Schule wirklich eine Erziehungsstätte sein soll? Erst wenn darüber Klarheit besteht, ist es sinnvoll, zu fragen: Wie wird man ein guter Lehrer, Erzieher, Volks184 Ebenda, 380. 185 Ebenda, 383.

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bildner? Vom Berufsziel her ergeben sich die Anforderungen an die Lehrerbildung, nicht von den sozialen Prestigewünschen der Standesvereine. Es gilt heute als selbstverständlich, dass der Lehrer nicht nur Kenntnisse vermitteln und Fertigkeiten einüben, sondern erziehen soll. Man erwartet von ihm, dass er mithilft, die Gesinnung zu bilden, sittliche Grundhaltungen zu festigen, das religiöse Leben zu wecken. Fast niemand aber wagt, sich einzugestehen, welche Konsequenzen sich daraus für die Lehrerbildung ergeben. Schon Schleiermacher hat die Vermittlung der Kenntnisse und Fertigkeiten scharf von der Gesinnungsbildung unterschieden.186 Leicht kann der künftige Erzieher nur das lernen, was mit der Ausbildung der Fertigkeiten zusammenhängt. Hier gibt es Einsichten, Regeln und Techniken, die man sich aneignen kann. Unvergleichlich schwieriger aber ist das Einwirken auf die Gesinnung der Kinder. Dafür kann man nicht viel lernen, dafür gibt es keine Regeln, die Fähigkeit dazu fällt keinem von selbst in den Schoß. Sie ist an sittliche Voraussetzungen in der Person des Erziehers geknüpft, an ein lebendiges Ethos, an bewährte sittliche Grundhaltungen, an echte religiöse Überzeugungen, an den nie erlahmenden Willen zur Selbsterziehung.187 Wir können nicht erwarten, dass die Abiturienten diese Voraussetzungen in ausreichendem Maße an die Pädagogische Hochschule mitbringen. Wir dürfen aber auch nicht auf sie verzichten, soll der Lehrer später seiner erzieherischen Aufgabe gewachsen sein. Die bloße Wissensvermittlung genügt für den Erzieherberuf nicht. Deshalb kann die Wissenschaft in der Lehrerbildung auch nicht die gleiche zentrale Stellung einnehmen wie an der Universität. Die Pädagogische Hochschule ist nicht nur wissenschaftliche Hochschule, sondern sie ist darüber hinaus – nach einem Ausdruck Eduard Sprangers und Theodor Litts – auch Bildnerhochschule. Man kann sehr wohl Geographie, Jus oder Sprachen studieren, ohne sich innerlich davon ergreifen zu lassen. Man kann aber weder Seelsorger noch Erzieher werden, wenn man sich lediglich auf das begriffliche Wissen der dazugehörigen Studiengebiete beschränkt. Das entscheidende Problem der Lehrerbildung ist nicht die Einführung in die Technik des Unterrichtens, sondern die Frage: Wie wird der Kern der Persönlichkeit erreicht? Wie kann man auf akademischem Niveau die pädagogische Gesinnung, das erzieherische Ethos, das sittliche Zentrum des künftigen Erziehers bilden, ohne in den bevormundenden Stil der seminaristischen Lehrerbildung zurückzufallen?“ Auf die damals versuchte Beantwortung dieser Frage kann hier nicht näher eingegangen werden. Meine idealistische Grundidee war folgende: 186 Vgl. Schleiermacher 1957, 112 ff. 187 Zur Krise des pädagogischen Ethos vgl. Brezinka 1960 a, 64 ff.

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„Die Pädagogische Hochschule muss jeden einzelnen Studenten aus der zu nichts verpflichtenden Anonymität der Masse herauslösen. Sie muss ihn persönlich stellen in der wissenschaftlichen und schulpraktischen Arbeit wie in der sozialen Begegnung. Die akademische Lehrerbildung kann nach meiner Überzeugung nur dann erfolgreich sein, wenn sie im Stil des anglo-amerikanischen College erfolgt. Das bedeutet, dass das Schwergewicht der Ausbildung von den großen Massenvorlesungen in die überschaubaren Seminare und Arbeitsgruppen verlegt werden muss. Das schließt ein, dass die Dozenten sich ernsthaft bemühen, ihren Studierenden als Partner angesichts einer gemeinsamen Aufgabe zu begegnen; dass sie kontaktbereit sind und ihnen laufend individuelle Hilfen geben; dass sie die steife Distanz des Kathedergelehrten überwinden. Von den Studenten muss auf der anderen Seite erwartet werden, dass sie diese Bereitschaft zum Gespräch auch annehmen, dass sie ihre Arbeitsergebnisse nachweisen und der Kritik aussetzen.“188 Meine Kollegen und die Studierenden hatten miterlebt, dass ich mich nach diesem Ideal zu richten und die Hochschule zu gestalten versucht habe. Der ungeschminkte Rechenschaftsbericht hat tosenden Beifall ausgelöst. Zum Abschied gab es viele Äußerungen des Bedauerns und der Dankbarkeit. „Der Fortgang von Prof. Brezinka ist für die bayerische Lehrerbildung ein schmerzlicher Verlust.“189 Prof. Hermann Bengtson als Rektor der Universität bedankte sich dafür, dass ich für „den Aufbau der Pädagogischen Hochschule … Grundlegendes und Ausgezeichnetes geleistet“ habe.190 Auch aus dem Kreis der Ausbildungslehrer kamen rührende Dankbriefe „für alle Arbeit, Hilfe und Freundlichkeit. Es war so gut, dass Sie hier waren und es ist schön zu wissen, dass Ihre Arbeit weitergeht, auch wenn es nicht bei uns geschieht.“191 Von ehemaligen Studierenden erfreuten mich noch Jahrzehnte lang dankbare Geburtstagswünsche. 2009 wurde mir 50 Jahre nach der Ersten Staatsprüfung an der Hochschule eine Festschrift „zur Erinnerung überreicht von Ihren ersten Prüfungskandidat/innen“. Im Begleitbrief hieß es: „Wir vergessen den frischen Wind nicht, der seit Ihrer Ankunft durch die alte Lehrerbildungsanstalt wehte.“ Die Jubiläumsschrift enthielt unter anderem „Pädagogische Wahrheiten aus Ihrem Lehrbuch, die uns in Erinnerung geblieben sind, und die auch nach 50 Jahren an Brisanz nichts verloren haben.“ „Danke für Ihre gute Lehre“.192 188 189 190 191 192

Brezinka 1960, 384. Die Bayerische Schule, Nr. 25/1960, S. 377. Bengtson an Brezinka am 9.5.1960. PAB. Liselotte Trump, Goethe Schule Würzburg, am 28.9.1960. PAB. Privatdruck, 24 Seiten. Begleitbrief von Christine Schöpfner-Krauth (Jg. 1938, I. Examen 1959) vom 12.10.2009 als Dank für mein Grußwort zum Treffen der Absolventen in

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Kritisch betrachtet war mein Ideal von der „Bildnerhochschule“ und der berufsethischen Gesinnungsbildung durch das gemeinsame Leben von Lehrerbildnern und Lehramtsstudierenden mehr schöne Illusion als Realität. Es wurzelte in den Wunschvorstellungen der Jugendbewegung und ihrer weltanschaulich geschlossenen Bünde, in den „pädagogischen Reformbewegungen“ des frühen 20. Jahrhunderts193 und in Nohls „Lebensgemeinschaft“ mit seinen Schülern als Vorbild.194 Ich habe dieses Ideal in meiner Rede selbst relativiert durch den Hinweis, „dass die geringe Kontaktbereitschaft, die Zurückhaltung gegenüber jedem Engagement, die totale Privatisierung des sozialen Umgangs, die die heutige Jugend generell charakterisieren, auch vor der Pädagogischen Hochschule nicht haltmachen. Auch die künftigen Lehrer gehören zur ,skeptischen Generation‘195. Dadurch sind die Aufgaben der Lehrerbildung gegenüber den zwanziger Jahren, in denen das Pathos der Jugendbewegung noch lebendig gewesen ist, erheblich schwieriger geworden.“ „Man mag es bedauern, aber man muss damit rechnen, dass heute die Gemeinschaft um der Gemeinschaft willen nicht mehr gefragt ist. Nur sachliche Aufgaben, die als notwendig erlebt werden, führen die Jugend noch zusammen. Wo sind sie im Rahmen der Pädagogischen Hochschule zu finden? Wo ist die Basis, auf der man sich begegnen kann? Wo das übergeordnete Dritte, das Dozenten und Studenten zugleich verpflichtet? Man kann sagen: ,die Suche nach der Wahrheit‘, aber das bleibt zu allgemein und ist meist nicht mehr als eine Phrase für Festreden. Man kann sagen: ,das erzieherische Ethos‘, aber damit steht es nicht besser. Dieses Ethos ist nicht von selbst da, sondern es lebt letztlich aus religiösen Quellen. Die größte Chance der Pädagogischen Hochschule als Bildungsstätte liegt darin, dass sie auf dem Boden des christlichen Bekenntnisses steht. Hier ist – wenigstens theoretisch – eine Gemeinsamkeit der Grundüberzeugungen da, die es erleichtert, zueinander Vertrauen zu haben und im Dienst der christlichen Erneuerung zusammenzuarbeiten. Die meisten von Ihnen wissen, dass ich nie gezögert habe, auch auf gewisse Gefahren der konfessionellen Lehrerbildung hinzuweisen.196 Ich habe das nicht getan, weil ich die Religion für entbehrlich halte, sondern weil der christliche Glaube für unser aller Zukunft so wichtig ist, dass wir uns auch in Bayern nicht mit einer restaurativen Scheinblüte konkordatsgebundener Institutionen darSchweinfurt. PAB. 193 Vgl. Nohl 1949, 12 ff. 194 Vgl. Blochmann 1969, 100 ff. und 145 ff. 195 Vgl. Schelsky 1957, 109 ff. und 365 ff. 196 Vgl. Brezinka 1957, 242 ff.

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über hinwegtäuschen dürfen, dass der Christ heute überall in der Diaspora lebt und dass die Aufgaben der inneren Mission ungeheuer groß geworden sind. Ich habe vom ersten Tage an keinen Zweifel darüber gelassen, dass der katholische Bekenntnischarakter dieser Hochschule die sachgerechte Darstellung der hier gelehrten wissenschaftlichen Disziplinen nicht einengen darf. Ich habe aber auch stets betont, wie unentbehrlich die religiöse Entscheidung für den Erzieher ist und welche Chance der Hochschule als Bildungsstätte durch die Einheit des Bekenntnisses gegeben ist. Leider ist diese Chance bis heute nicht genügend genützt worden… . Man kann auf die Dauer nicht gesinnungsbildende Institutionen haben wollen, ohne sich je die Frage nach der Echtheit dieser Gesinnung und nach ihren Vorbedingungen zu stellen. Mit der Echtheit der religiösen Überzeugung ihrer Lehrer steht und fällt die katholische Bekenntnisschule.“197 Mit dieser hochschulpolitisch kritischen und kirchenpolitisch skeptischen Einschätzung der Lage habe ich mein Amt als Vorstand am 30. September 1960 an meinen hochverdienten Vorgänger und Stellvertreter Oberstudienrat Dr. Karl Keßler übergeben. Die Zahl der Studierenden ist im Wintersemester 1960/61 auf 501 Personen angestiegen198, im folgenden Jahr auf 610. „Bei der großen Besucherzahl verliert die P. H. immer fühlbarer ihren Familiencharakter… .“199 „Die Verbindung zur Universität lockert sich … immer mehr. Jedenfalls besteht das Verhältnis, das zu Ihrer Amtszeit bestand, nicht mehr.“200 Anlässlich seiner Pensionierung schrieb Keßler: „Die Jahre der Zusammenarbeit mit Ihnen werden mir unvergesslich bleiben. Wie sehr bedaure ich, dass die vielen fruchtbaren Impulse, die von Ihnen ausgingen, bei Universität und Staatsregierung so wenig Resonanz gefunden haben. Dass die P. H. mehr und mehr sich zu einem Warenhaus entwickelt, in dem die Studierenden anonym ihren Bedarf an geistigen Gütern decken, liegt sicher nicht in Ihrer Linie, der sie versucht haben, in Reden, Vorträgen, Übungen, Kolloquien und geselligen Abenden der Hochschule ein unverwechselbares Gesicht zu geben.“201 Studienrat Keck, unser hochgeschätzter Musiklehrer schrieb ein Jahr nach meinem Fortgang: „Die Hoffnung, unsere Studierenden zur Gemeinschaft hinzuführen, wird immer geringer. Die schönen Ansätze, um die Sie sich bemüht haben, sind nicht fortgeführt worden. Mein bescheidener Beitrag in diesem Sinne ist zu gering und von anderer Seite wird nichts unternommen. Veth betreut, 197 198 199 200 201

Brezinka 1960, 384 f. Fränkisches Volksblatt, 25.1.1961. Dr. Karl Keßler am 27.12. 1961 an Brezinka. PAB. Keßler am 20.12.1962 an Brezinka. PAB. Keßler am 24.7.1963 an Brezinka. PAB.

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5. Professor für Pädagogik und Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg

mit vielen Enttäuschungen, seine Heiminsassen. Die übrigen Studierenden gehen aus und ein wie in einem Warenhaus. Erschütternd der Mangel an Begeisterung!“202 Diese Würzburger Mitarbeiter bestätigten indirekt, dass mein Ideal der Lehrerbildung aus einer Hoffnung gelebt hat, die unter den gegebenen Verhältnissen unerfüllbar gewesen ist. Erstens war der christliche Glaube bei der Mehrheit der Lehrenden und Studierenden schon so verkümmert und privatistisch, dass er als tragfähige gemeinschaftsbildende Grundlage der Hochschule ausfiel. Die Kulturgüter Musik, Dichtung und Philosophie konnten ihn bestenfalls bei kleinen Minderheiten ersetzen. Zweitens hat die massenhafte Zunahme der Studierenden über die Höchstmenge von 300 bis 400 Personen203 hinaus einen näheren Kontakt miteinander und mit den Dozenten weitgehend verhindert. Der Studienbetrieb ist für die meisten so unpersönlich geworden, dass kein Gemeinschaftsgeist entstehen konnte, der den Zusammenhalt von privaten Paarbeziehungen und kleinen temporären Studiengruppen überstiegen hat. Beigetragen hat dazu auch der häufige Wechsel bei den Professoren und die zunehmende Vervielfachung des mehr und mehr spezialisierten Ausbildungspersonals, mit dem die Studierenden zu tun hatten. Ich war selbst ein Beispiel für die Abwanderung geschätzter Professoren aus den Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten. Mein Nachfolger als Vorstand, der Psychologe Wilhelm Salber204 ist gleichfalls nach nur zwei Jahren einem Ruf an die Universität Köln gefolgt. Dessen Nachfolger, der 1961 ernannte Professor für Religionslehre und Religionspädagogik Bruno Dreher205 – Vorstand seit 1962 – ist schon 1963 einem Ruf an die Universität Bonn gefolgt. Unter diesen Umständen gab es wenig Chancen für eine „eigene Gestalt“ der Pädagogischen Hochschule und enge Verbundenheit der Studierenden mit ihr. Für mich war das Würzburger Amt eine mühsame, aber sehr wertvolle Lehrzeit. Sie hat mir von den Volksschulen bis zum Unterrichtsministerium ungewöhnlich vielseitige Einblicke darüber ermöglicht, was alles zum Arbeitsfeld „Pädagogik als Beruf “ gehören kann. Es war viel mehr, als erforscht war und in ein wissenschaftliches System gebracht werden konnte. Nach Jahren als Erziehungsberater und Lehrer der „Praktischen Pädagogik“ wollte ich an der Innsbrucker Universität hauptsächlich an einer „Erziehungswissenschaft“ als empirischer Sozialwissenschaft arbeiten. 202 Studienrat Paul Keck am 22.10.1961 an Brezinka. PAB. 203 Staatssekretär Staudinger im kulturpolitischen Landtagsausschuss: „Das Kultusministerium sieht eine Studentenzahl von 250 bis 400 pro Pädagogische Hochschule als normal an.“ BLD. Die Katholische Schule, Nr. 7/8 von 1959, S. 91. 204 Siehe hier S. 211. 205 (1911–1971). Biographie bei Brezinka, Bd. 1, 2000, 738 ff.

6. PROFESSOR FÜR PÄDAGOGIK AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK (1960–1967)

Eine Professur in Innsbruck war für mich und meine Frau allen anderen Orten vorzuziehen, weil wir Tirol mit Einschluss Südtirols als landschaftlich schön­ sten Lebensraum geliebt haben und ich privat wie beruflich in Österreich eingewurzelt war. Die Annahme des Rufes nach Innsbruck war nicht nur eine Entscheidung für die dortige Universität, sondern auch für Österreich und sein Erziehungswesen als Wirkungskreis. Noch 1960 hatte sich Prof. Weniger bemüht, mich für den neuen zweiten Lehrstuhl für Pädagogik an seiner Universität Göttingen zu gewinnen, obwohl ich mich schon für Innsbruck und gegen Marburg entschieden hatte. Am 8. Februar 1961 hat er mir seitens der Berufungskommission in einem Telefonanruf den ersten Listenplatz zugesichert und dringend um eine Zusage gebeten. Ich habe erneut abgesagt.1 In einem Brief vom 16. Februar 1961 hat er mir mitgeteilt: „Gerade haben wir nun die Liste ohne Sie fertiggemacht. Aber in ein paar Jahren werden Sie wohl dann wieder zur Verfügung stehen“.2 Dabei hatte er seine Nachfolge im Auge. Auf den zweiten Göttinger Lehrstuhl ist Heinrich Roth berufen worden. Dieser Vorgang zeigt, wie sehr berufbare Pädagogiker gefehlt haben. Die wenigen Universitätsprofessoren der Pädagogik konnten sich damals nicht auf ihre universitären Aufgaben beschränken, sondern hatten zusätzlich ein weites außer-universitäres Arbeitsfeld: in der Fortbildung von Lehrern und anderen Erziehern, in der Beratung von Schul- und Sozialbehörden, politischen Körperschaften, Jugendorganisationen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Sie galten als Erziehungsexperten, die auch dem öffentlichen Leben zu dienen haben und mussten sich als solche bewähren. Zugleich bedurften sie auch selbst dieser außer-universitären Tätigkeiten, um nicht den Kontakt mit der Wirklichkeit des Erziehungswesens zu verlieren, auf das sie ihre Studierenden vorzubereiten hatten. Dieses doppelte 1 2

„Vielen Dank für Ihren gestrigen Anruf. Sie werden ja sicher verstehen, dass ich jetzt hier einige Zeit Ruhe brauche, um zum Arbeiten zu kommen.“ Brezinka an Weniger am 9.2.1961. PAB. Weniger am 16.2.1961 an Brezinka. PAB. Weniger ist unerwartet am 2.5.1961 im 66. Lebensjahr gestorben.

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6. Professor für Pädagogik an der Universität Innsbruck (1960–1967)

Arbeitsfeld brachte – wenn es ernst genommen wurde – eine enorme Belastung mit sich. Bei meinem Dienstantritt im Herbst 1960 gab es in Österreich an seinen drei Universitäten nur zwei Lehrstühle für Pädagogik: in Wien und Innsbruck. Graz musste sich noch bis 1964 mit einem Lehrstuhl für Psychologie und Pädagogik begnügen. Er war seit 1952 mit dem Philosophen Ferdinand Weinhandl3 besetzt. Er hat sich in Forschung und Lehre vorwiegend seinem Hauptfach Psychologie widmen müssen. In Wien war auf dem Lehrstuhl für Pädagogik von 1958 bis 1963 der deutsche Philosoph Richard Schwarz4 tätig. Er war hauptsächlich an seinem Spezialgebiet „internationale Hochschulbildung und Kulturphilosophie“ interessiert. Die großen wissenschaftlich unlösbaren Menschheitsfragen nach dem „Glaubensgrund“ des Menschen waren ihm wichtiger als solide erziehungstheoretische Arbeit. Österreich hatte 1961 rund sieben Millionen Einwohner.5 Es gab rund eine Million Schüler6 und 47.618 Lehrer, davon 14.808 Lehrer an Höheren Schulen7. Die Ausbildung der Lehrer an Höheren Schulen (damals noch „Mittelschulen“ genannt) erfolgte an den Universitäten und Hochschulen. Pflichtschullehrer wurden an 31 Lehrerbildungsanstalten ausgebildet; das Personal für die rund 1.500 Kindergärten an dreijährig geführten Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen und Horterzieherinnen; die Internatserzieher an zwei Instituten für Heimerziehung.8 Das Missverhältnis zwischen diesem riesigen Umfang des Erziehungswesens und dem Leistungspotential von zweieinhalb Professuren für das Fach Pädagogik an den Universitäten hätte nicht ärger sein können. Die große Menge der Erziehungspraktiker (Pädagogen) hat von den wenigen Erziehungstheoretikern (Pädagogikern) viel mehr Rat und Hilfe erhofft, als geboten werden konnte.

3 4 5 6 7 8

(1896–1973). Über ihn vgl. Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 226–247. (1910–1985). Vgl. Brezinka, ebenda Bd. 1, 2000, 477–491. Statistisches Handbuch 1964, 5. 1.051 003 im Schuljahr 1960/61. Österreichisches Statistisches Zentralamt 1995, 57. Ebenda, 54 f. Österreichisches Statistisches Zentralamt 1964, 342 f.

Ausgangslage: Beginn am Nullpunkt

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AUSGANGSLAGE: BEGINN AM NULLPUNKT Ich habe die Innsbrucker Lehrkanzel und die Leitung des Pädagogischen Instituts am 1. Oktober 1960 übernommen. Im Vergleich mit der Pädagogischen Hochschule Würzburg bestand hier eine ganz andere Lage. Dort stand das Fach Pädagogik im Zentrum der Hochschule. Es wurde von Kollegen und Studierenden ernst genommen. Hier war es das jüngste Fach mit dem niedrigsten Ansehen und schlechtester Ausstattung am Rande der Gesamtheit aller Wissenschaften. Es war hauptsächlich ein Nebenfach für jene damals rund 500 bis 700 Studierenden, die das Lehramt an Mittelschulen anstrebten. Zu ihnen gehörten rund 90 Prozent meiner Hörer. Im Unterschied zu allen anderen Fächern der Universität haben sie Pädagogik nicht freiwillig aus Interesse an ihrem Gegenstand studiert, sondern durch die Prüfungsvorschrift erzwungen: sie war eine Hürde, die mit möglichst geringem Aufwand überwunden werden musste, um Mittelschullehrer werden zu können und die frei gewählten Schulfächer unterrichten zu dürfen.9 Sie hatten Vorlesungen über Allgemeine und Historische Pädagogik im Umfang von zusammen mindestens sechs Semesterwochenstunden zu hören und am Ende des Studiums eine halbstündige mündliche Prüfung abzulegen.10 Die von meinem Vorgänger Professor Richard Strohal angebotenen pädagogischen Pflichtvorlesungen waren gediegen. Sie wurden aber nur von etwa der Hälfte der Lehramtsanwärter regelmäßig besucht. Als Prüfer war Strohal allzu nachsichtig. Er hat bei Lehramtsstudierenden auch mangelhafte Leistungen als „genügend“ beurteilt und kaum jemanden durchfallen lassen. Es wurden keinerlei Studientexte als Pflicht- oder Wahllektüre vorgeschrieben. Diese schlechte Teilnahme- und milde Prüfungspraxis hat dazu beigetragen, dass die Pädagogik für ein Fach gehalten wurde, das wenig Wissen und geringe Anstrengung erfordert. Vielen Professoren der lehrerbildenden Hauptfächer war diese weiche Prüfungspraxis willkommen, weil sie bei höheren Anforderungen fürchteten, dass der Pädagogiker ihren Studierenden Zeit und Arbeitskraft für die eigenen Wissenschaften wegnimmt. Jede vom Unterrichtsministerium geplante Vermehrung der Pflichtstunden für Pädagogik wurde als nachteilig für die fachwissenschaftliche Ausbildung bekämpft.

9 Vgl. Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 521 f. 10 Prüfungsvorschrift für das Lehramt an Mittelschulen vom 17. März 1928. Brezinka: Pädagogik in Österreich, Bd. 1, 2000, 154 ff. und 165 ff.

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6. Professor für Pädagogik an der Universität Innsbruck (1960–1967)

Neben den Lehramtsstudenten waren anfangs rund 15 bis 20 Studierende der Pädagogik im Hauptfach zu betreuen. Für sie kam damals nur ein Studien­ abschluss mit dem Doktorat der Philosophie in Betracht. Rund zwei Drittel waren Pflichtschullehrer, die fast alle nebenberuflich studierten und wenig Zeit dafür aufbringen konnten. Darunter waren auch Südtiroler aus entlegenen Dienstorten, die nur für einen Tag pro Woche anreisen konnten. In Italien genügte die Promotion für den Aufstieg zum Gymnasialprofessor. Dort galt wie in Österreich und anderswo Pädagogik als leichtestes Promotionsfach. Ihre Schwierigkeit wurde verkannt und die eigene Eignung für ihr wissenschaftliches Studium häufig überschätzt. In meinen Lehrveranstaltungen musste ich für beide Hörergruppen sorgen: die Lehramtsstudenten und die Hauptfachstudenten. Beide brauchten anziehende Vorlesungen und Seminare, die nicht nur pflichtgemäß, sondern freudig besucht werden. Deshalb war es meine erste und wichtigste Aufgabe, einen sechssemestrigen Zyklus zweistündiger Hauptvorlesungen auszuarbeiten: „Einführung in die Erziehungswissenschaft“, „Theorie der Schule und des Unterrichts“, „Pädagogische Psychologie“, „Soziologie der Erziehung“, „Geschichte der Erziehung von den Primitiven bis zur Aufklärung“ und „Geschichte der Erziehung im 19. und 20. Jahrhundert“. Sie wurden so lebhaft, klar und interessant vorgetragen, dass sie schnell viele Hörer angezogen haben. Im „riesigen Hörsaal, amphitheaterähnlich, vollgefüllt, … war immer eine sehr große Erwartung. Diese Vorlesungen waren oft ein akademisches Fest; sie waren nicht Routinebetrieb, sondern man hat sich gefreut und es ist diskutiert worden aufgrund dessen, was hier vorgetragen worden ist.“11 Der studentische Zulauf ist durch spannende Lehrveranstaltungen erreicht worden. Schwieriger war es, die Studien- und Prüfungsleistungen zu verbessern. Den Lehramtsstudenten fehlte zunächst jede Kenntnis pädagogischer Fachliteratur. Deshalb habe ich verlangt, dass zur Thematik der vier Hauptvorlesungen aus einer Vorschlagsliste nach eigener Wahl je ein Standardwerk durchgearbeitet wird. Vier Werke im Verlauf der ganzen Studienzeit haben sich nicht allgemein durchsetzen lassen. Die Unsitte jedoch, ohne das geringste Literaturstudium zur Lehramtsprüfung in Pädagogik anzutreten, ist durch eine strenge Prüfungspraxis und bislang ungewohntes Durchfallen und Wiederholungsprüfungen von anfangs 50 Prozent der Prüflinge (Wintersemester 1960/61) rasch beseitigt worden. Die zur Lektüre vorgeschlagenen päd11 Helmut Lukesch als Zeitzeuge am 9.6.1993 beim Festakt der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz anlässlich meines 65. Geburtstages (Tonband-Nachschrift, PAB). Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 505 mit weiteren Belegen.

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agogischen und historischen Schriften stammten von Herman Nohl, Wilhelm Flitner, Friedrich Paulsen, Albert Reble, Theodor Wilhelm und mir; die Texte zur Pädagogischen Psychologie von Adolf Busemann, Heinrich Roth und Otto Engelmayer. Für die meisten Lehramtsstudierenden war und blieb die Pädagogik eine Nebensache, die mit geringster Anstrengung erledigt werden musste. Nur eine kleine Minderheit nahm aus Interesse auch an Proseminaren zu Spezialthemen und an Hospitationen in Schulen, Kindergärten und Einrichtungen der Jugendfürsorge teil. Die Vermehrung und Verbesserung der geringen pädagogischen Lehrinhalte im Studiengang der künftigen Mittelschullehrer war seit langem eine ungelöste Aufgabe der Unterrichtsverwaltung wie der Professoren und Dozenten für Pädagogik an den Universitäten. Sie war ohne eine Elite wissenschaftlicher Pädagogiker und Fachdidaktiker mit hoher Geisteskraft und Schulerfahrung nicht zu bewältigen. Diese Elite hat in Österreich wie anderswo gefehlt. Deshalb war es dringend notwendig, ein leistungsfähiges Institut für Erziehungswissenschaft aufzubauen, genügend hervorragende Studierende im Hauptfach zu gewinnen und sie bestmöglich auszubilden. Darin habe ich meine zentrale Aufgabe gesehen. Sie erforderte vor allem viel Zeit und Kraft für die eigene Fortbildung in der Pädagogik und ihren Nachbarwissenschaften. Ich war auf dem Weg von der traditionellen Praktischen Pädagogik zu ihrer Ergänzung durch die Empirische Erziehungswissenschaft als Sozialwissenschaft noch nicht zu voller Klarheit gelangt. Wie in Würzburg hat mich auch in Innsbruck die Unmenge der praktischen Aufgaben übermäßig beansprucht. Dazu hat beigetragen, dass ich ohne fachgerecht ausgebildete Mitarbeiter personell am Nullpunkt beginnen musste. Das ist damals den meisten Pädagogikprofessoren an anderen Universitäten auch so ergangen. Es gehörte zum Schicksal der ersten und manchmal auch noch der zweiten und dritten Generation von Professoren des neuen Faches. Als mein Institut 1961 eine erste Assistentenstelle erhielt, war weit und breit kein in Pädagogik promovierter Anwärter zu finden. Dabei kam es auf mehr an als nur auf eine der üblichen schwachen pädagogischen Dissertationen. Gebraucht wurde ein hochqualifizierter Mitarbeiter, der als erziehungswissenschaftlicher Nachwuchs zur Spitzenforschung und Habilitation geeignet ist. Da es damals in ganz Österreich für das Fach Pädagogik nur zwei Assistentenstellen gab (je eine in Wien und Innsbruck), sollten diese möglichst so besetzt werden, dass ihre Inhaber bald zu Dozenten aufsteigen können, um die überforderten Professoren zu entlasten und in Lehre und Forschung für mehr Breite und Gründlichkeit zu sorgen.

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Mangels fachspezifisch geeigneter Kandidaten galt auch hier die Regel: „Man muss mit den Pferden pflügen, die man hat.“12 Deshalb habe ich den Dienstposten in meiner überfüllten Hauptvorlesung öffentlich ausgeschrieben – ein damals ganz ungewöhnlicher Vorgang. Geboten wurde eine probeweise Anstellung als Wissenschaftliche Hilfskraft, die bei Bewährung zu einer festen führen könne. Gefordert wurden neben guten Studienzeugnissen und Beherrschung der englischen Sprache auch Stenographie- und Maschinenschreib-Kenntnisse, weil mangels einer Schreibkraft auch die Korrespondenz zu übernehmen war. Als einziger Bewerber hat sich der Osttiroler Lehramtsstudent der Fächer Englisch und Geographie Peter Posch13 gemeldet. Er war damals 23 Jahre alt und hatte das Studienjahr 1959/60 als Fulbright-Stipendiat in den USA verbracht. Er wurde ab 1. April 1961 mein engster Mitarbeiter – zunächst als Hilfskraft und nach bestandener Lehramtsprüfung von 1964 bis 1967 als Assistent. In die Pädagogik musste er sich erst einarbeiten. Dazu diente ein Zweitstudium der Erziehungswissenschaft und Psychologie, das 1967 mit der Promotion abgeschlossen wurde. Die anfangs relativ kleine Schar von rund 20 Studierenden der Pädagogik als Haupt- oder Nebenfach hat sich bald auf 40 bis 50 Personen erhöht. Die Nebenfächler waren vorwiegend Psychologen und begnügten sich in der Pädagogik mit einigen Vorlesungen und Seminaren. Die Kerngruppe der Studierenden bildeten die Hauptfächler mit dem Studienziel Doktorat. Ich hatte sie flüchtig in den Seminaren und etwas näher bei der Studienberatung in meinen Sprechstunden kennengelernt. Dabei haben sich große Unterschiede in Bildungsstand, Intelligenz, Interessen, Motivation und Sozialverhalten gezeigt. Fast durchwegs fehlten klare Vorstellungen von der wissenschaftlichen Problematik des Faches wie von den beruflichen Aufgaben und Arbeitsbedingungen seiner Absolventen. Deshalb war eine Auslese der interessierten Studierenden unerlässlich. Sie ist mittels der Seminare dreistufig erfolgt. Die Proseminare standen jedem offen. Schon in meinem ersten Semester 1960/61 haben 85 Studierende das Proseminar besucht.14 Die Zulassung zum Seminar wurde vom erfolgreichen Besuch zweier Proseminare und einer mündlichen Aufnahmeprüfung abhängig gemacht. Ab 1962 wurde in jedem Semester ein Oberseminar für Dissertanten gehalten, in dem laufende Forschungsarbeiten besprochen wurden. Aufgenommen wurde nur, wer eine schriftliche und mündliche Dissertantenprüfung 12 Wander, Bd. 3, 1987, 1302. 13 Über ihn vgl. Brezinka 2003, 507 ff. und 2014, 156 ff. und 438 ff. 14 Briefe von Brezinka am 24.11.1960 an Dolch; am 9.2.1961 an Weniger. PAB.

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bestanden hatte. Sie war streng und erstreckte sich auf das Grundwissen in Allgemeiner Pädagogik, Historischer Pädagogik, Schulpädagogik, Pädagogischer Psychologie und Soziologie. Dadurch sollte gesichert werden, dass Dissertationsthemen nur an jene Studierende vergeben bzw. von ihnen gewählt werden, die nachgewiesen haben, dass sie genügend breite und gründliche erziehungswissenschaftliche und forschungsmethodische Kenntnisse besitzen, um ihr Thema mit Aussicht auf Erfolg bearbeiten zu können. Dieses Verfahren erforderte viel Zeit für Beratungen, Prüfungen und Besprechungen der Seminararbeiten und Dissertationen. Als Regel galt, dass eine Dissertation gut genug sein muss, um den Druck zu verdienen und der öffentlichen Fachkritik ausgesetzt zu werden. Es war oft mühsam, den wissenschaftlich ungeeigneten Interessenten am Doktoratsstudium ihr Ungenügen nachzuweisen, weil in unserem „weichen“ Fach allgemein anerkannte Maßstäbe gefehlt haben und Kritik eher als Beleidigung aufgenommen wurde statt als notwendige Hilfe. Unter diesen Umständen hat es seit Antritt der Innsbrucker Professur sieben Jahre gedauert, bis ich erstmals drei in Pädagogik promovierte Mitarbeiter hatte. Von meinen acht Dissertanten sind später sechs Dozenten und Professoren an Universitäten in Österreich, Deutschland und der Schweiz geworden. Zwei wurden Pädagogikprofessoren an der Südtiroler Lehrerbildungsanstalt in Meran, davon Andreas Stoll15 ihr langjähriger Direktor. Er hat 1965 als erster meiner Schüler mit einer ausgezeichneten Dissertation über die „Geschichte der Lehrerbildung in Tirol“ promoviert. Nach diesem Blick auf die Ausgangslage bei den Studierenden und Mitarbeitern ist nun das Arbeitsfeld des Institutsvorstandes innerhalb und außerhalb der Universität zu schildern. Innerhalb kam es darauf an, für das bisher kaum beachtete Fach Anerkennung und Unterstützung beim Ausbau des ihm gewidmeten Instituts zu gewinnen. Dieses bestand anfangs nur aus einem Professorenzimmer und einem Bibliotheksraum mit 407 Bänden16 im ersten Stock des Hauptgebäudes der Universität. Die Aussicht nach Nordwesten auf den Inn, grüne Hügel und die Felsen des Karwendelgebirges war großartig. So beengt wie der Raum war auch das Budget des Instituts für Fachbücher und Büromaterial: die ordentliche Dotation betrug 1960 nur 7.467 Schillinge 15 Geboren 1935 in Taisten bei Welsberg im Pustertal, Südtirol. Vgl. Stoll 1968, 4; Brezinka 2003, 505 und 566. 16 Briefliche Mitteilung der Wissenschaftlichen Hilfskraft Paul Weingartner vom 1.2.1960 an Brezinka. PAB.

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pro Jahr17, also nur rund 1.000 Deutsche Mark. Bei der Einrichtung und der Erweiterung der Bibliothek hat das Unterrichtsministerium anlässlich meiner Berufung durch Sondermittel großzügig geholfen. Für alle anderen Wünsche nach Personal, Räumen und regulären finanziellen Mitteln war das Professorenkollegium der Fakultät zuständig. Dort war ich mit 32 Jahren das jüngste von 37 Mitgliedern.18 Damals gab es noch den guten Brauch, als neu berufener Kollege Antrittsbesuche bei ihnen zu machen. Das ermöglichte schnelle Bekanntschaft und erste Fachgespräche. Ich wurde fast durchwegs freundlich und ermutigend aufgenommen.

ANTRITTSVORLESUNG, ARBEITSPLÄNE UND DIFFERENZIERUNG DER PÄDAGOGIK Für meine Antrittsvorlesung habe ich ein Thema gewählt, das ein Bild vom Umfang, den Schwierigkeiten und der Bedeutung moderner Erziehungswissenschaft vermitteln sollte: „Der erziehungsbedürftige Mensch und die Institutionen“. Sie ist am 23. Juni 1961 gehalten worden und hat mir in der Universität und weit darüber hinaus viel Anerkennung verschafft. Ich habe sie mit dem Untertitel „Ein Beitrag zur pädagogischen Anthropologie“ in der von mir herausgegebenen Festschrift für Friedrich Schneider veröffentlicht.19 Der Göttinger Professor Heinrich Roth hat diesen Text für so wichtig gehalten, dass er ihn 1962 zur Eröffnung des 54. Jahrganges der Zeitschrift „Die Deutsche Schule“ nachgedruckt hat.20 Er stützte sich auf meine Studien seit der Habilitation. Sie galten den Grundlagen eines Systems der Erziehungswissenschaft: der Verbindung zwischen den persönlichen leiblichen und seelischen Voraussetzungen von Erziehung mit ihren gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen. Die leib-seelischen wurden im individualistischen Geistesklima der Nachkriegszeit mehr beachtet als die gesellschaftlich-kulturellen. Die Bedeutung der Institutionen und ihrer Lebensordnungen wurde unterschätzt. Die Grenzen der persönli17 Brezinka 2003, 505. 18 Leopold- Franzens-Universität Innsbruck: Vorlesungsverzeichnis/Personalstand, Sommersemester 1961, 120 ff. 19 Brezinka 1961, 11–39. Den Terminus „erziehungsbedürftig“ habe ich selbstkritisch ab Brezinka 1976, 40 ff. durch „lernbedürftig“ ersetzt. Zur Analyse und Kritik der Rede von der „prinzipiellen Erziehungsbedürftigkeit“ des Menschen vgl. Brezinka 1974, 156– 218. 20 Vgl. Brezinka 1962 und 2007, 127.

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chen Erziehungskunst der Erzieher in liberalen wertunsicheren Massen- und Medien-Gesellschaften wurden verkannt. Die Kerngedanken seien hier zitiert. Kinder und Jugendliche treffen bei ihren Erziehern und Lehrern „nicht mehr auf überzeugte und Zeugnis gebende Repräsentanten einer großen Tradition der Weltauslegung und Lebensführung, sondern auf Menschen mit relativ zufälligen Eigenschaften, denen nur mehr das Wort bleibt, um die Jugend an Inhalte und Formen zu binden, die der Mehrheit der Erwachsenen bereits verlorengegangen sind.“ Eine Gesellschaft, die Institutionen geringschätzt „und die Autorität verdächtigt, muss den Stand der Berufserzieher … überfordern. Sie verlangt von ihnen als persönliche Leistung, was unter günstigeren Verhältnissen die Institutionen vollbracht haben … .Wo eine gute Lebensordnung zerfällt, kann man die Aufgaben, die sie zu erfüllen hat, nicht einfach … Spezialisten der Erziehung übertragen und alle übrigen Erwachsenen von der Sorge um die Zukunft der Gesellschaft dispensieren.“ „Es sind gerade die kleinen und mittleren Gruppen, in denen eine klare Werthierarchie anerkannt wird, die die freiheitliche Lebensordnung gegen die Drohung des totalen Staates schützen.“ „Der Mensch ist nicht so geartet, dass er in dauernder Unsicherheit inmitten unbegrenzter Wahlmöglichkeiten leben könnte. Darum hängt die Zukunft der Demokratie davon ab, ob es ihr auf der Basis der Zusammenarbeit gelingen wird, über das rein Technische und unmittelbar Nützliche hinaus auch letzte sittliche Grundüberzeugungen in ihren Bürgern einwurzeln zu lassen und institutionell zu sichern.“21 Als Ziel meiner wissenschaftlichen Arbeit hat mir damals ein System der Allgemeinen Pädagogik auf der Grundlage von psychologischem und soziologischem Wissen vorgeschwebt. Dabei war anfangs an eine „Praktische Pädagogik“ auf wissenschaftlicher Basis mit einer zeitgemäßen normativen Orientierung gedacht. Zunächst war aber 1961 eine zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage meines Buches „Erziehung als Lebenshilfe“ herzustellen. Ich hatte seit seiner Entstehungszeit22 zwischen 1955 und 1957 viel dazugelernt und bin kritischer, realistischer und „wissenschaftlicher“ geworden. Von Jahr zu Jahr wurde ich unzufriedener mit seiner ursprünglichen Anlage, einen doppelten Zweck zu erfüllen: „erstens die gegenwärtige pädagogische Situation in den hochindustrialisierten Ländern Mitteleuropas darstellen, ihre Vorgeschichte beleuchten und auf einige Aufgaben hinweisen, die für die Erziehung heute besonders 21 Brezinka 1961, 38 f. 22 Vgl. Brezinka 2018.

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dringlich sind. … zweitens, von dieser aktuellen Fragestellung aus in zentrale Probleme der systematischen Erziehungswissenschaft einzuführen. Das sollte in einer Form geschehen, die es den heute so stark überlasteten Erziehern möglich macht, daraus auch etwas für ihr Handeln zu gewinnen.“23 Ich plante ab 1964, die „Erziehung als Lebenshilfe“ nach der vierten Auflage (1965) auslaufen zu lassen. An ihrer Stelle wollte ich eine „Einführung in die Erziehungswissenschaft“ im Klett-Verlag herausbringen. In einem Brief an den Verleger hieß es: „Ich sehe die Arbeit an diesem Buch als meine wichtigste wissenschaftliche Aufgabe an, weil die trostlose Lage der Erziehungswissenschaft ohne ein moderneres Lehrbuch, das gewissermaßen neue und anspruchsvollere Normen setzt, kaum gebessert werden kann.“ „Bei der derzeitigen Arbeitsüberlastung kann ich allerdings noch gar nicht sagen, wann es fertig werden wird… . Ich führe hier … ein zu gehetztes Leben, um konzentriert arbeiten zu können. Ich könnte natürlich leicht an eine deutsche Universität wechseln, aber dort ist der Lehr- und Prüfungsbetrieb noch größer als in Innsbruck.“24 Klett hat mit Recht zu bedenken gegeben, dass man „ein eingeführtes Werk mit einem bewährten Titel zwar beliebig umarbeiten kann, aber nicht vom Markt verschwinden lassen sollte. Dank der Qualität des Buches, dank der zur Zeit im deutschen Sprachbereich einzigartigen Fähigkeit, einen komplexen Tatbestand durchsichtig zu machen und in einer vorzüglichen Prosa einer breiten Schicht von an der Pädagogik interessierten oder zu interessierenden Menschen nahezubringen, ist Ihr Buch auf dem besten Wege, ein Standardbuch für Jahre, vielleicht für Jahrzehnte zu werden … . Schon jetzt beginnt sich einzuschleifen, dass jungen Leuten … zunächst einmal Brezinkas ,Erziehung als Lebenshilfe‘ empfohlen wird. Diese Tendenz nimmt von Jahr zu Jahr zu.“ Klett schlug deshalb vor: „Arbeiten Sie behutsam Ihre ,Erziehung als Lebenshilfe‘ um, halten Sie das Buch immer auf dem Laufenden und schreiben Sie etwas Neues, Ergänzendes, das als zusätzliches Werk zu Ihrem Grundbuch gelten kann… .“25 Ich habe Kletts Rat dankbar aufgenommen. Die vierte Auflage von 1965 ist gegenüber der dritten verbesserten von 1963 noch unverändert erschienen. Für die fünfte Auflage habe ich bis zum Sommer 1965 unter großem Druck anderer Aufgaben rastlos gearbeitet, aber die neue Fassung nach der ersten Hälfte über „Die pädagogische Situation der Gegenwart“ resigniert abgebrochen und unveröffentlicht gelassen. Es ist bis zur achten und letzten Auflage 23 Brezinka: Vorwort zur 3. Auflage 1963, 5. 24 Brezinka am 4.12.1964 an Ernst Klett. PAB. 25 Ernst Klett an Brezinka am 17.11.1964. PAB.

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von 1971 beim Text der dritten Auflage geblieben. Für die Neugestaltung der zweiten normativen Hälfte über „Die Aufgaben für die Zukunft“ hat mir die Zeit gefehlt, weil die Fachkritik (einschließlich der Selbstkritik) Vorrang erhielt. Ich habe mein bestens eingeführtes „Jugendwerk“ durch öffentliche wissenschaftstheoretische Kritik am gesamten Zustand der Pädagogik selbst um den guten Ruf als damals beste Einführung in dieses Fach gebracht.26 Wie ist es dazu gekommen? Kurz gesagt: durch zunehmende Einsicht in die Mängel des Faches und deren Ursachen. Je genauer ich die Erziehungswirklichkeit und das pädagogische Schrifttum kennengelernt habe, desto notwendiger erschien mir die kritische Prüfung der praktischen Erziehungslehren wie der philosophischen und wissenschaftlichen Erziehungstheorien. Von der Qualität der Erziehungstheorien hing die Qualität der Ausbildung des Erziehungspersonals und seiner Leistungen ab. Der Inhalt dieser Theorien hat daran gelitten, dass ein allgemein anerkanntes methodisches und systematisches Grundwissen oder Kernwissen der Pädagogik als Wissenschaft gefehlt hat. Sie war methodisch und inhaltlich ein rückständiges Fachgebiet: ein Sammelsurium aus Alltagswissen, religiösen, moralischen oder weltanschaulichen Bekenntnissen, Lebenskunst- oder Klugheitslehren einerseits und zerstückelten Entlehnungen aus relativ gefestigten Humanwissenschaften andererseits. Dieser Zustand vertrug sich schlecht mit dem sprunghaften Übergang von einem kleinen vernachlässigten praktischen Nebenfach zu einem überfüllten „wissenschaftlichen“ Hauptfach der Universitäten. Er hat etwa ab 1970 eingesetzt, nachdem europaweit die „Verwissenschaftlichung“ der Pflichtschullehrer-Ausbildung und die Einführung von Diplom- oder Magister-Studiengängen der Pädagogik als Hauptfach erfolgt ist.27 Für diesen politisch motivierten Sprung war das Fach nicht reif und qualifiziertes Lehrpersonal nicht vorhanden. Unter diesen Umständen habe ich meinen Arbeitsplan geändert. Eine Systematisierung des relativ bewährten Wissens in einem Lehrbuch der Allgemeinen Erziehungswissenschaft als Real- oder Erfahrungswissenschaft erschien mir für die Qualitätsverbesserung beim Nachwuchs meines Faches notwendiger zu sein als das ursprünglich geplante populäre Lehrbuch einer zeitgemäßen Praktischen Pädagogik. Bedarf war für beides da, aber das Verständnis für die Unterscheidung zwischen mehreren Typen, Arten oder Klassen von Erziehungstheorien hat bei Pädagogikern und Pädagogen fast ganz gefehlt. Die Pädagogik galt internatio26 Vgl. das selbstkritische Vorwort zur 6. Auflage 1971, 3 ff. 27 Vgl. Brezinka 2015.

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nal als „ein undifferenzierter Brei“28, als „eine nicht zu fassende Wissen­schaft“29. „Es gibt kaum eine andere Wissenschaft, in der sich unwissenschaft­liches Gerede, parteiischer Eifer und dogmatische Beschränktheit so breit gemacht haben wie in der Pädagogik.“30 Wer sie verbessern wollte, musste den Mut zur rigorosen Kritik ihres dürftigen Schrifttums aufbringen und die Fähigkeit zur Erzeugung besserer Texte. Beides erforderte zunächst wissenschaftstheoretische Studien und Klärung der Grundbegriffe. Zwischen 1960 und 1975 war das der Schwerpunkt meiner Forschungsarbeit. Die „Praktische Pädagogik“ ist aber auch in dieser Lebensphase nicht geringgeschätzt oder vernachlässigt worden. Sie ist unter den Namen „Erziehungskunde“31, „Erziehungslehre“32 oder „Kunstlehre der Erziehung“33 viel älter als die „Erziehungswissenschaft“ und wird als praktische Erziehungstheorie immer unentbehrlich bleiben. Ich habe ihr 1966 auch mein zweites im Klett-Verlag erschienenes Buch gewidmet: „Der Erzieher und seine Aufgaben. Reden und Aufsätze zur Erziehungslehre und Erziehungspolitik.“34 Im Vorwort wurde erstmals in voller Klarheit jene Einteilung der Erziehungstheorien nach ihren Zwecken und Nutzern vorgestellt, für die ich seither lebenslang geworben habe: „Erziehungskunde“ oder „Praktische Pädagogik“, „Philosophie der Erziehung“ und (Empirische) „Erziehungswissenschaft“. Sie geht aus von der Situation der Erziehungspraktiker und ihren Bedürfnissen. Da sie die Grundlage meiner Pädagogik geworden ist, sei sie hier vollständig wiedergegeben. Die Lehrer der Pädagogik an den Universitäten und Hochschulen sollen den Angehörigen aller Erziehungsberufe geistige Hilfe leisten. Dazu müssen sie sich auch darüber klar werden, was ihre Zuhörer, Gesprächspartner und Leser von ihnen erwarten und welchen wissenschaftslogischen Charakter ihre Aussagen von Fall zu Fall haben. „Die Erzieher haben stets in einer bestimmten geschichtlichen Situation mit Rücksicht auf kulturell vorgegebene Normen zu handeln. Sie erhoffen sich vom pädagogischen Theoretiker Hilfen zur allgemeinen Orientierung in dieser Situation, Ratschläge für das konkrete erzieherische Verhalten, Verständnis für ihre Schwierigkeiten und sicher auch etwas 28 29 30 31 32 33 34

„an undifferentiated mush“: Peters 1966, 7. „an elusive science“: Lagemann 2000. Bollnow 1971, 708. Milde 1811. Lochner 1934, 2. Meister 1965, 43–66. Es war die zweite stark erweiterte und verbesserte Auflage meiner Schrift „Erziehung – Kunst des Möglichen“ von 1960 im Umfang von 224 Seiten.

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Ermutigung. Das ist mehr und anderes, als ein Erziehungswissenschaftler als Wissenschaftler bieten kann. Es geht dem tätigen Erzieher nicht nur um die Erkenntnis dessen, was ist, sondern auch um Entscheidungen über das, was sein soll; es geht um Werturteile, um weltanschauliche Stellungnahmen, um Anweisungen für die Praxis, um rationale wie emotionale Unterstützung der Motivation. Diese Bedürfnisse sind einfach da, und es ist eine wichtige und sehr verantwortungsvolle Aufgabe des pädagogischen Theoretikers, sie ernst zu nehmen und den Erziehern nicht Steine statt Brot zu geben. Die vorliegende Aufsatzsammlung und mein Buch ,Erziehung als Lebenshilfe‘ … bestätigen, dass ich mich dieser Aufgabe nie entzogen habe. Es ist mir jedoch in den letzten Jahren immer klarer geworden, dass niemandem gedient ist, wenn man alle Äußerungen über Erziehung unter dem vieldeutigen Ausdruck ,Pädagogik‘ zusammenfasst und ihnen dadurch, ohne näher zu unterscheiden, generell eine vage Wissenschaftlichkeit zubilligt. Der Rückstand der Erziehungswissenschaft gegenüber anderen Sozialwissenschaften ist dadurch mitverschuldet worden, dass viele ihrer Vertreter es bis heute versäumt haben, sich über die Ziele und Grenzen der Wissenschaft wie über die Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügend Rechenschaft abzulegen. Sie haben stattdessen aus der Verantwortung des Erziehers für den Erziehungswissenschaftler die Aufgaben abgeleitet, die menschliche Bestimmung ,auszulegen‘ (Wilhelm Flitner35), ,Seinserfassung und Sollensbestimmung‘ zu verbinden (Theodor Litt36), sich ,des Problems der Legitimität von Normen‘ und der ,Kritik der Bildungsideale‘ anzunehmen (Eduard Spranger37). Diese Aufgaben sind mit Rücksicht auf die in der Erziehungspraxis immer wieder neu geforderte sittliche Orientierung zweifellos sehr wichtig. Sie zu lösen überschreitet jedoch die Möglichkeiten der Erfahrungswissenschaften. Es ist deshalb zweckmäßig, die philosophischen Bemühungen, die auf das Seinsollende in der Erziehung gerichtet sind, unter der Bezeichnung Philosophie der Erziehung zusammenzufassen und so von der Erziehungswissenschaft, die sich auf die Beobachtung, Beschreibung, Erklärung und Voraussage von Tatsachen beschränkt, deutlich abzugrenzen. Die ,Philosophie der Erziehung‘ muss, da sie es mit Prinzipien zu tun hat, notwendig relativ abstrakt bleiben. Die ,Erziehungswissenschaft‘ kann zwar zu konkreten Aussagen über das, was als Erziehungswirklichkeit gegeben ist, gelangen, aber sie bietet keine Anweisungen für das erzieherisch gemeinte 35 W. Flitner 1958, 14 ff. 36 Litt 1949, 104. 37 Spranger 1962, 122.

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Handeln oder für die ,richtige‘ Organisation der Erziehungseinrichtungen. Solche Anweisungen setzen Werturteile voraus, Entscheidungen für bestimmte Ziele und damit gegen andere mögliche Ziele. Die Tatsachen, die die Erziehungswissenschaft entdeckt, können zu vielen verschiedenen Entscheidungen Anlass geben. ,Aus der Feststellung einer Tatsache lässt sich niemals ein Satz herleiten, der eine Norm, eine Entscheidung oder einen Vorschlag für ein bestimmtes Vorgehen ausspricht.‘38 Stimmt man diesen wissenschaftslogischen Unterscheidungen zu, so wird verständlich, warum den Erziehern weder die ,Philosophie der Erziehung‘ noch die ,Erziehungswissenschaft‘ allein als Hilfe zur Orientierung für das erzieherische Handeln genügen können. Sie brauchen eine pädagogische Theorie, die zwar die Ergebnisse der Wissenschaften aufnimmt, darüber hinaus aber auch Glaubenssätze, gesellschaftliche Normen und moralische Forderungen enthält, ohne deswegen irrational zu sein. Es empfiehlt sich, eine solche Theorie als Erziehungslehre im Sinne Otto Willmanns39 und Rudolf Lochners zu bezeichnen. ,Erziehungslehre stützt sich auf Wissenschaften, darunter auch auf Erziehungswissenschaft; ihre Aufgabe aber ist es, das Sollen zu bestimmen, Ziele aufzustellen und zu empfehlen, Verfahrensweisen zu beurteilen und vor­ zuschreiben.‘40 Ebenso wenig wie das konkrete erzieherische Handeln kann auch die auf das Erziehungswesen gerichtete Politik allein gemäß den Erkenntnissen der Erziehungswissenschaft erfolgen. Die Politik als ,Inbegriff der Kunst, die Führung menschlicher Gruppen zu ordnen und zu vollziehen‘41, kann zwar selbst Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung werden, aber die politischen Forderungen als solche sind nicht wissenschaftlich begründbar, sondern beruhen auf moralischen Entscheidungen. Das wird in der gegenwärtigen Diskussion über die sogenannte ,Bildungspolitik‘ von den Urhebern wie von den Kritikern schulpolitischer Programme häufig übersehen. Es ist irreführend, politische Forderungen nach der Reform von Erziehungseinrichtungen unter Berufung auf die Erziehungswissenschaft zu vertreten.42 Der Inhalt der Sätze, in denen solche Forderungen ausgedrückt werden, kann niemals wissenschaftlich als ,wahr‘ oder ,falsch‘ erwiesen, sondern nur moralisch als ,gut‘ oder ,schlecht‘ bewertet werden. Wer sich zu ihrer Begründung auf die ,Pädagogik‘ beruft, 38 Popper 1957, 100. 39 Vgl. die klare Unterscheidung zwischen „Wissenschaft der Erziehung“ und „Kunstlehre der Erziehung“ in seinen Vorlesungen der Jahre 1875 und 1876 bei Pfeffer 1962, 110 ff. 40 Lochner 1934, 2 und 1963, 511 ff. 41 Bergstraesser 1961, 335. 42 Vgl. hierzu auch Spranger 1963, 7 ff.

Arbeitsfelder: Jugendhilfe, Schulpädagogik und Lehrerbildung

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sollte deutlich sagen, dass damit die ,Philosophie der Erziehung‘, aber nicht die Erziehungswissenschaft gemeint ist. Es steht außer jedem Zweifel, dass eine moderne Gesellschaft auch hinsichtlich der Ordnung ihrer Erziehungseinrichtungen auf Normen, die durch Übereinkunft geschaffen werden müssen, auf Kritik an veralteten Normen wie auf Vorschläge für bessere Normen angewiesen ist. Es ist keineswegs ein Schulsystem so gut wie das andere. Unser Gewissen verpflichtet uns dazu, die vorhandenen Möglichkeiten zu prüfen, ihre jeweiligen Konsequenzen gegeneinander abzuwägen und uns für die derzeit relativ beste Lösung zu entscheiden. Die Erziehungswissenschaft kann für solche Entscheidungen jedoch nur Materialien bereitstellen, die ,Philosophie der Erziehung‘ nur allgemeine moralische Gesichtspunkte liefern. Deshalb ist es zweckmäßig, Aussagen zur Erziehungspolitik deutlich von beiden abzugrenzen. Sie liegen logisch auf der gleichen Ebene wie die Aussagen der ,Erziehungslehre‘. Sind diese dazu bestimmt, wertend Anweisungen für das erzieherisch gemeinte Handeln in der konkreten sozialkulturellen Situation zu bieten, so enthalten jene Forderungen, wie die institutionelle Ordnung des Erziehungswesens gestaltet werden soll. Erziehungswissenschaft, Philosophie der Erziehung, Erziehungslehre und Aussagen zur Erziehungspolitik sind für unsere Gesellschaft gleich notwendig. Es hat wenig Sinn, über den Rang des einen Aussagensystems gegenüber den anderen zu streiten, wenn auch manches dafür spricht, dass unsere Entscheidungen umso rationaler getroffen werden können, je besser wir dank der erziehungswissenschaftlichen Forschung die Erziehungswirklichkeit, in die wir verändernd eingreifen, kennengelernt haben.“43

ARBEITSFELDER: JUGENDHILFE, SCHULPÄDAGOGIK UND LEHRERBILDUNG Meine großen wissenschaftlichen und publizistischen Arbeitspläne waren abstrakte Leitideen auf weite Sicht. Im beruflichen Alltag ging es primär um dauerhafte konkrete Pflichten in der Innsbrucker Universität, die erfüllt werden mussten. Daneben gab es viele begrenzte Aufgaben, die freiwillig zu übernehmen waren oder abgelehnt werden konnten. Dazu gehörten Vorträge bei verschiedenen Veranstaltern, Mitarbeit in staatlichen oder genossenschaftlichen Kommissionen, Beiräten und Kuratorien, Mitgliedschaft in Redaktionen von 43 Brezinka 1966, 8 ff.

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Zeitschriften, Wünsche nach Beiträgen für Presse, Rundfunk und andere Medien. Der große Umfang und die gesellschaftliche Bedeutung des Erziehungswesens brachten es mit sich, dass von den wenigen angesehenen Professoren der Pädagogik viel mehr außeruniversitäre Leistungen erwartet wurden als von Vertretern anderer Fächer der Philosophischen Fakultät. Aus meinen frühen Berufsjahren als Psychologe, Jugendforscher, Heil- und Sozialpädagoge ist mir der Ruf eines Experten für Jugendkunde und Jugendhilfe geblieben. Dadurch bin ich in einen langjährigen inneren und beruflichen Widerstreit zwischen praktischen Aufgaben und wissenschaftlicher Forschung, Spezieller und Allgemeiner Pädagogik geraten. Vom erziehungstheoretischen Systematiker des Faches in seiner Gesamtheit war noch nicht viel zu sehen. Die größte Nachfrage nach mir gab es damals als Spezialist für außerschulische Erziehung in Familien, Kindergärten, Erziehungsheimen und Jugendverbänden. Schulpädagogiker waren eher zu finden als Sozialpädagogiker. Im Innsbrucker Amt begann es mit einer Einladung durch den Arbeitskreis Jugendwohlfahrtsrecht des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Am 25. Oktober 1960 habe ich bei ihm in Frankfurt am Main einen Vortrag gehalten über „Erziehung in einer sich wandelnden Gesellschaft. Pädagogische Gesichtspunkte zu einem künftigen Jugendwohlfahrtsgesetz“.44 Am 8. Juni 1961 folgte in Trier bei der Feier des zehnjährigen Bestehens der Bundesarbeitsgemeinschaft Aktion Jugendschutz ein Vortrag über „Erziehung für die Welt von morgen“. Dabei ging es um drei Fragen: „Wie wird die Welt der nächsten zwanzig Jahre aussehen? – Welche Anforderungen stellt sie an den Menschen und die Gesellschaft? – Welche Hilfe sind wir der Jugend schuldig?“45 Dieser Vortrag löste weit mehr Einladungen aus als ich annehmen konnte.46 Ein großes Aufgabenfeld für viele Jahre ergab sich aus der Wahl zum Mitglied und Stellvertretenden Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates des Österreichischen Instituts für Jugendkunde im Sommer 1962.47 Dieses Amt schloss die Mitgliedschaft im Vorstand des Instituts ein. Das Institut war 1960 auf Initiative des Österreichischen Bundesjugendringes als überparteiliche Einrichtung gegründet worden. Mitglieder, Vorstand und Beirat waren politisch ausgewogen nach dem Proporz der Koalitions-Regierung von Öster44 Brezinka 1962 in Muthesius 1962, 15–30. 45 Brezinka 1962; Nachdrucke: Bundesarbeitsblatt, Jg. 1962, Nr. 14, 499–507; Brezinka 1966, 135–159; Brezinka 1988, 60–85. 46 Vgl. Brezinka: Verzeichnis der Vorträge 1951–2008. Klagenfurt 2008, 15 ff. 47 Schreiben des Vorsitzenden des Vorstandes des Instituts Ingenieur Sepp Steiner und des Generalsekretärs Diplom-Physiker Rudolf Richter vom 28. Juni 1962. PAB.

Arbeitsfelder: Jugendhilfe, Schulpädagogik und Lehrerbildung

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reichischer Volkspartei (ÖVP) und Sozialistischer Partei Österreichs (SPÖ) zusammengesetzt. Das „schwarze“ Lager im Beirat wurde durch mich repräsentiert, das „rote“ durch den Wiener Jugendpsychiater Walter Spiel48. An der Spitze des Beirates stand als „neutraler“ Vorsitzender der Wiener Professor für Evangelische Theologie Wilhelm Dantine49. Der Beirat vereinte jene österreichischen Hochschullehrer, die fachlich mit Jugendproblemen zu tun hatten: Mediziner, Psychologen, Soziologen, Theologen und mich als einzigen Pädagogiker. Der Vorstand bestand aus Vertretern des Unterrichts-(ÖVP) und des Sozialministeriums (SPÖ), des Bundesjugendringes, der Kammern, Verbände und Kirchen. Aufgabe war es, jugendkundliche Untersuchungen anzuregen, Forschungsanträge zu begutachten und für die Verbreitung von Forschungsergebnissen in einer für die Praktiker der Jugendarbeit verständlichen und nützlichen Form zu sorgen. Die Haupttätigkeit der drei Vorsitzenden des Beirates bestand in der Begutachtung von Forschungsvorhaben als Voraussetzung für deren Finanzierung durch den Vorstand. Die Arbeit im Beirat war fachlich bereichernd und dank der klugen Leitung Dantines harmonisch. Die Verhandlungen im Vorstand verliefen teilweise hart, aber stets in korrekter Form. Man konnte für den Umgang mit politischen Gegnern viel daraus lernen. Den ersten Forschungsauftrag erhielt der Wiener Soziologe Leopold Rosenmayr50 für seine historische Studie über „Geschichte der Jugendforschung in Österreich 1914–1931“. Darin wurde besonders auf die Bedeutung von Siegfried Bernfeld51 hingewiesen und dessen frühe Programmschrift über „Ein Institut für Psychologie und Soziologie der Jugend (Archiv für Jugendkultur)“ von 1917 als Nachdruck52 zugänglich gemacht. Später floss ein großer Teil der Mittel in die Studien von Rosenmayr und Mitarbeitern über „Kulturelle Interessen von Jugendlichen“53. Ich hatte Rosenmayr schon 1956 kennengelernt und daraus ist eine lebenslange Freundschaft entstanden, die mich sehr bereichert hat.54 Meine Reisen nach Wien zu den Vorstandssitzungen des Instituts konnten auch für Kontakte im Unterrichtsministerium und mit den Professoren Richard 48 (1920–2003). Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 467. Unveröffentlichte Autobiographie von 1991. PAB. 49 (1911–1981). Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 80. 50 (1925–2016). Biographie: Acham 2016. 51 (1892–1953). Rosenmayr 1962, 26–52. Vgl. Brezinka 2003, 523 ff. 52 Ebenda, 105–142. 53 Rosenmayr/Köckeis/Kreutz 1966. 54 Brezinka 2005.

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Meister, Hubert Rohracher und Sylvia Bayr-Klimpfinger genutzt werden, die mein Bemühen um den Ausbau der Pädagogik an den österreichischen Universitäten unterstützt haben. Am 4. April 1963 habe ich bei der Generalversammlung des Österreichischen Instituts für Jugendkunde im Wiener Palais Palffy am Josefsplatz den Festvortrag über „Jugendkunde und pädagogische Planung“55 gehalten. Dabei konnte ich im Beisein von Unterrichtsminister Drimmel vor viel politischer Prominenz auch öffentlich auf den „Rückstand der Erziehungswissenschaft“ und den Mangel an „pädagogischen Forschern“ aufmerksam machen. Das Aufgabenfeld Außerschulische Erziehung ist auch bei der Vergabe von Forschungsthemen im Innsbrucker Institut berücksichtigt worden. Auf meinen Vorschlag hat die Studentin Christine Lemayr die Geschichte der Sozialen Dienste von Jugendlichen seit dem Ende des ersten Weltkrieges bis 1965 untersucht. Dabei ging es erstens um die kritische Analyse der jugendpolitischen Empfehlungen, Forderungen und Programme sowie zweitens um die Darstellung der verwirklichten Formen Sozialer Dienste und ihre Bewertung aus sozialpolitischer und pädagogischer Sicht. Ihre Dissertation über „Soziale Dienste im Jugendalter“ ist 1966 als Band 2 der von mir im Verlag Beltz herausgegebenen „Studien zur Erziehungswissenschaft“ erschienen.56 Höhepunkt meines Wirkens im Arbeitsfeld Außerschulische Erziehung und Jugendhilfe war im Mai 1964 der Hauptvortrag beim ersten Deutschen Jugendhilfetag in Berlin.57 Veranstalter war die „Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge“. Vor 1.200 Teilnehmern habe ich in der Kongresshalle über „Verantwortliche Jugendarbeit heute“ gesprochen.58 Es war der „größte Fachkongress deutscher Jugendarbeit nach dem Kriege“ mit Vertretern aller Verbände, Organisationen und Ausbildungsstätten für Jugendwohlfahrt und Jugendfürsorge, des Bundesministeriums für Familie und Jugend, der Landesjugendämter, der Schulen, Hochschulen und Kirchen. Ich habe die Lage der Jugend in der hochindustrialisierten Gesellschaft, die erzieherischen Schwerpunkte und die Träger der organisierten Jugendhilfe, ihre Aufgaben und Grenzen behandelt. Damit wurde große Begeisterung ausgelöst, die vier 55 Brezinka 1988, 160–176. Erstdruck in der Festschrift für Josef Dolch zum 65. Geburtstag. Auch in Brezinka 1988, 86–102. 56 Lemayr 1966. Ein Jahr vorher hatte der erste Jugendbericht des deutschen Bundesministeriums für Familie und Jugend die Förderung der Halbjahres- und Jahresdienste als „eine der wichtigsten Aufgaben der Jugendhilfe für die Zukunft“ erklärt (S. 85). 57 10.–13. Mai 1964. Bericht von Brezinka/Kay 1964. 58 Nachdruck in der Festschrift für Wilhelm Flitner zum 75. Geburtstag. 5. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik, 1964, 207–237; Brezinka 1966, 177–204; 1988, 103–131.

Arbeitsfelder: Jugendhilfe, Schulpädagogik und Lehrerbildung

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Tage lang 13 Arbeitsgruppen und das abschließende Podiumsgespräch beschwingt hat.59 1965 wurde ich für vier Jahre zum Mitglied des neu gegründeten Bundesjugendkuratoriums der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es ist auf Grund von § 26 Jugendwohlfahrtsgesetz vom 11. August 1961 durch eine Verwaltungsvorschrift vom 19. März 1965 errichtet worden und diente „zur Beratung der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Jugendhilfe“. Es bestand aus 35 ordentlichen Mitgliedern, die durch den Bundesminister für Familie und Jugend berufen wurden. Neben Vertretern der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände, der Jugendverbände, der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Kirchen gehörten ihm auch „4 Vertreter der Wissenschaft“ an.60 Der Bundesminister für Familie und Jugend Bruno Heck61 hat mich in Erinnerung „an Ihr hervorragendes Grundsatzreferat, das Sie auf dem Jugendhilfetag 1964 in Berlin gehalten haben“, gebeten, als ein Vertreter der Wissenschaft Mitglied des Bundesjugendkuratoriums zu werden.62 Die anderen drei Wissenschaftler waren Prof. Andreas Flitner vom Pädagogischen Seminar der Universität Tübingen, Prof. Ludwig von Friedeburg vom Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin und Prof. Felix Messerschmidt von der Akademie für politische Bildung Tutzing. Zum Präsidenten wurde Dr. Paul Schmidle vom Deutschen Caritasverband aus Freiburg im Breisgau gewählt.63 Für mich als in Österreich tätigen Professor war diese Berufung eine ungewöhnliche Auszeichnung. Sie hat viel zusätzliche Arbeit und Reisen nach Bonn nach sich gezogen. Die erste Pflicht des Kuratoriums war eine kritische Stellungnahme zum ersten Jugendbericht der Bundesregierung64 von 1965, der als ein Super-Sammelreferat recht unzulänglich war. Ich hatte die heikle Aufgabe, darüber am 5. Oktober 1966 im Ausschuss für Familien- und Jugendfragen des Deutschen Bundestages zu referieren. Bei einem Empfang des Bundesjugendkuratoriums durch den Bundespräsidenten Heinrich Lübke65 in der Bonner Villa Hammerschmidt am 31. März 1966 hat Minister Heck angeregt, diesem über die Lage der Pädagogik an den 59 Brezinka/Kay 1964, 209 ff. 60 Gemeinsames Ministerialblatt, 16. Jg., Nr. 10 vom 9. April 1965, 95 f. 61 (1917–1989). Er wurde 1952 Bundesgeschäftsführer der CDU, 1962 Familienminister, 1966 Generalsekretär der CDU, 1971 Vorsitzender der Adenauer-Stiftung. 62 Heck am 16.3.1965 an Brezinka. PAB. 63 Über ihn vgl. in diesem Buch S. 142 f. 64 Bundesminister für Familie und Jugend 1965. Vgl. Jordan 1995. 65 (1894–1972), Bundespräsident von 1959–1969.

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deutschen Hochschulen zu berichten. Lübke hat mich gebeten, ihm meine Gedanken auch schriftlich mitzuteilen, damit er die Mitglieder des Wissenschaftsrates und des Bildungsrates gelegentlich auf die von Heck und mir erwähnten Probleme hinweisen könne. Ich konnte diesen Wunsch infolge einer Erkrankung erst verspätet erfüllen. Mein Brief wird hier abgedruckt, weil er die damalige Lage meines Faches beleuchtet.66 „… Den Inhalt meiner Ausführungen am 31.3.1966 möchte ich kurz in folgenden Sätzen zusammenfassen: • 1. Die Sozialwissenschaften und darunter besonders die Erziehungswissenschaft werden in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten noch immer zu wenig gepflegt. Das große Interesse, das derzeit der Förderung der Wissenschaft im allgemeinen entgegengebracht wird, kommt in erster Linie den Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik zugute. Die noch relativ jungen Sozialwissenschaften dagegen werden vernachlässigt und können deshalb unserer Gesellschaft wertvolle Dienst nicht leisten, zu denen sie auf Grund der Ergebnisse der internationalen Forschung durchaus imstande wären. • 2. Die Erziehungswissenschaft ist als Voraussetzung für eine zweckmäßige Planung des Schulwesens und der außerschulischen Erziehung ganz unentbehrlich. Damit sie fruchtbar werden kann, müsste jedoch an den deutschen Universitäten eine Spezialisierung durch Errichtung zusätzlicher Lehrstühle für ihre wichtigsten Teilgebiete ermöglicht werden, insbesondere für Schulpädagogik, für die Theorie der außerschulischen Erziehung und für Heilpädagogik (Theorie der Erziehung behinderter Kinder). • 3. Das Bundesjugendkuratorium, dessen Mitglieder sich primär für die außerschulische Erziehung der deutschen Jugend verantwortlich wissen, legt besonderen Wert auf die Forschung und auf wissenschaftliche Ausbildungsmöglichkeiten im Gebiet der Theorie der außerschulischen Erziehung. Derzeit gibt es an den deutschen Universitäten noch keinen einzigen Lehrstuhl für dieses große Gebiet. Dadurch erfahren die Zehntausende von Erziehern, Jugendleitern und Sozialarbeitern, die darin arbeiten, zu wenig geistige Hilfe. Aus Mangel an wissenschaftlichen Untersuchungen besteht auch über die zweckmäßige Verwendung der relativ hohen finanziellen Mittel für die Jugendhilfe nicht genügend Klarheit. • Auch die Theorie der Sondererziehung behinderter Kinder und Jugendlicher (Heilpädagogik) müsste vom Arbeitsfeld des Bundesjugendkuratoriums aus 66 Brezinka am 17.5.1966 an Lübke. PAB.

Arbeitsfelder: Jugendhilfe, Schulpädagogik und Lehrerbildung

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gesehen viel intensiver gefördert werden. Für dieses Spezialgebiet der Erziehungswissenschaft gibt es an den Universitäten der Bundesrepublik derzeit nur einen Lehrstuhl (in Marburg). • 4. Mit der Errichtung spezialisierter erziehungswissenschaftlicher Lehrstühle sollte im Sinne einer Schwerpunktbildung zunächst nur an einigen Universitäten begonnen werden. Es besteht in Deutschland noch immer ein großer Mangel an qualifizierten Erziehungswissenschaftlern, so dass Fehlbesetzungen fast unvermeidlich sein würden, wenn zu rasch zusätzliche erziehungswissenschaftliche Lehrstühle in größerer Zahl errichtet werden. Es wäre deshalb zu empfehlen, sich an relativ wenigen, aber gut ausgestatteten Universitätsinstituten der Erziehungswissenschaft vor allem auf die Ausbildung des erziehungswissenschaftlichen Nachwuchses zu konzentrieren. • Ich darf Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, versichern, dass Ihre Aufgeschlossenheit für diese Fragen die Mitglieder des Bundesjugendkuratoriums sehr beeindruckt hat. Ich würde mich freuen, wenn meine Hinweise dank Ihrer Initiative dazu beitragen könnten, in den zuständigen Spitzengremien, insbesondere im Wissenschaftsrat, die Einsicht zu fördern, dass auch an den deutschen Universitäten leistungsfähige erziehungswissenschaftliche Forschungs- und Ausbildungszentren errichtet werden müssten.“ Näher als Außerschulische Erziehung und Jugendhilfe lag meinem Inns­brucker Pflichtenkreis das Arbeitsfeld Schulpädagogik und Lehrerbildung. Die Hauptvorlesung über „Theorie der Schule und des Unterrichts“ war für die LehramtsStudierenden das wichtigste berufsbezogene Informationsangebot.67 Es wurde massenweise und wissbegierig genutzt. Als Ergänzung dienten Proseminare über „Ziel und Aufgaben der allgemeinbildenden Mittelschulen“, „Das exemplarische Lehren und Lernen“, „Aktuelle Probleme der höheren Schule“ und Seminare über „Das neue österreichische Schulgesetz“, „Schulreformpläne der Gegenwart“, „Probleme der akademischen Lehrerbildung“, „Zur Psychologie und Soziologie der Lehrer“.68 Da mir die Berufsausbildung zum Lehrer und Berufserfahrung in Schulen gefehlt haben, habe ich mich für Schulpädagogik nicht genügend befähigt gehalten. Ich wollte sie nur aushilfsweise lehren, bis eine diesem Spezialfach gewidmete zweite pädagogische Professur eingerichtet ist. Diese wurde von mir bereits 1961 für das Mehrjahresprogramm der 67 Zur damals gültigen Prüfungsvorschrift für das Lehramt an Mittelschulen von 1928 vgl. Brezinka 2000, 154 ff. 68 Verzeichnis meiner Lehrveranstaltungen bei UHL 1997, 101 ff.

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Philosophischen Fakultät beantragt.69 Ich bin jedoch bis zu meinem Wechsel an die Universität Konstanz im Jahre 1967 der einzige Professor für Pädagogik geblieben. So musste ich mich zwangsläufig auch um Schulreform, Schulpolitik und Schulforschung kümmern. Für die Arbeit an der Verbesserung der Allgemeinen Pädagogik ist wenig Zeit geblieben.

ANALYSE UND KRITIK DER ÖSTERREICHISCHEN SCHULGESETZGEBUNG VON 1962 Nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie ist es in der Republik Österreich nicht gelungen, das Schulwesen auf der Grundlage der Bundesverfassung von 1920 gesetzlich neu zu ordnen. Die dazu erforderliche Zweidrittel-Mehrheit im Parlament ist infolge unvereinbarer Reformziele von Christlichsozialer und Sozialdemokratischer Partei nie erreicht worden.70 Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die schulpolitischen Fronten noch lange verhärtet: vor allem in der katholischen und der sozialistischen Lehrerschaft bei den Streitpunkten „gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen“, Religionsunterricht, staatliche Subventionierung kirchlicher Privatschulen und Lehrerausbildung.71 Erst dem von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ab 1954 gestellten Unterrichtsminister Dr. Heinrich Drimmel72 ist es nach jahrelangen Verhandlungen mit Parteien und Katholischer Kirche gelungen, Kompromisse zu erreichen, die zum Schulorganisationsgesetz vom 25. Juli 1962 und weiteren Schulgesetzen geführt haben.73 Die Beschlüsse sind von sechs Politikern – je drei aus beiden Regierungsparteien – hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und unter großem Zeitdruck ohne genügende Begutachtungsfrist74 zur parlamentarischen Abstimmung gebracht worden. Weder die Universitäten noch die Lehrer- und Elternverbände, Kammern und Gewerkschaften sind gehört worden. Das hat in der 69 Protokoll der Fakultätssitzung vom 28.4.1961. PAB. 70 Vgl. Engelbrecht, Bd. 5, 1988, 11 ff. 71 Ebenda, 465 ff. 72 (1912–1991). Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 93. Autobiographie: Drimmel 1979. 73 Engelbrecht 2006. Alle Gesetzestexte, Regierungsvorlagen, Ausschussberichte und stenographische Protokolle der Parlamentssitzungen in: Bundesministerium Für Unterricht 1962. 74 Minister Drimmel hat den Entwurf für das Schulorganisationsgesetz an die Österreichische Rektorenkonferenz erst auf deren dringende Anforderung am 22. Mai 1962 übermittelt und „allfällige Stellungnahmen bis längstens 15. Juni 1962“ erbeten! BMfU, Zl.66.595-10/62.PAB.

Analyse und Kritik der österreichischen Schulgesetzgebung von 1962

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Öffentlichkeit viel Unruhe und Empörung ausgelöst. Ich hatte mich seit dem Herbst 1961 als einer von damals landesweit nur zwei Universitätsprofessoren für Pädagogik75 in die schulpolitische Thematik eingearbeitet und sie im Sommersemester 1962 in meinem Seminar behandelt. Die öffentliche Missstimmung über das umstrittene Vorgehen der Großen Koalition in der Schulfrage hat den Blick dafür getrübt, dass der Gesetzesentwurf weit besser war als sein Ruf. Ich habe deshalb dafür geworben, ihn grundsätzlich anzuerkennen und sich auf die Diskussion möglicher Schwachstellen und Verbesserungen zu konzentrieren.76 Bald darauf folgten neun weitere Zeitungsartikel zugunsten der Volksschullehrerbildung an Pädagogischen Akademien, gegen die Verlängerung des Besuchs der allgemeinbildenden Mittelschulen um ein neuntes Jahr und gegen den Parteienproporz in der Schulverwaltung und Lehrerbildung.77 Die Umwandlung der auslaufenden Lehrerbildungsanstalten in „Musisch-pädagogische Mittelschulen“ als Zubringer-Schulen für die Pädagogischen Akademien wurde für überflüssig erklärt. Aus ihnen sollten Aufbaumittelschulen gemacht werden, die in einem fünfjährigen Lehrgang begabten Abgängern der Volks- und Hauptschulen zur Hochschulreife verhelfen. Für solche Mittelschulen in Kurzform bestehe dringender Bedarf. Der Lehrermangel war damals sehr groß und drohte weiter zuzunehmen.78 Deshalb musste der Lehrberuf durch bessere Ausbildung und höhere Entlohnung anziehender gemacht werden. Die Ersetzung der mittelschulartig betriebenen Lehrerbildungsanstalten durch Pädagogische Akademien auf hochschulartigem Niveau war dazu das wichtigste kulturpolitische Vorhaben. Auf seine Durchführung waren aber weder die Unterrichtsverwaltung noch die Universitäten und die Lehrerschaft vorbereitet. Darauf habe ich in einem Artikel „Wer bildet die Lehrerbildner?“ aufmerksam gemacht.79 „Es ist jahrzehntelang versäumt worden, die Erziehungswissenschaft an den Universitäten zu pflegen und systematisch begabten Nachwuchskräften aus dem Kreis der Pflichtschullehrer das Studium der Pädagogik 75 Neben dem Wiener Ordinarius Richard Schwarz, der auf Bildungsphilosophie spezialisiert war und kurz vor dem 1963 erfolgten Abgang nach München stand. Vgl. Brezinka 2000, 479 ff. 76 Österreichs Schule geht alle an. Vor den Reformgesetzen nach vierzig Jahren Streit. In: Die Presse, 18.2.1962, 23. Nachdruck: Brezinka 2008, 23–27. 77 In: Der Volksbote, Österreichische Hochschulzeitung, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung. Nachdrucke: Brezinka 2008, 28–65. 78 Vgl. P. Posch 1967. 79 Österreichische Hochschulzeitung, 15.4.1962. Nachdruck: Brezinka 2008, 40–45.

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zu ermöglichen. Darin liegt heute das größte Hindernis für die akademische Lehrerbildung.“ „Sie lässt sich frühestens in fünf bis zehn Jahren verwirklichen, aber nur dann, wenn sofort mit einer großzügigen Planung auf weite Sicht begonnen wird.“ „Wir brauchen eine Studienstiftung für künftige Lehrerbildner, die bewährten und wissenschaftlich geeigneten Volksschullehrern das Universitätsstudium ermöglicht. Wer Pädagogische Akademien plant, muss auch für ihren Lehrkörper planen. Man darf es nicht dem Zufall oder den politischen Beziehungen überlassen, welche Lehrer dort tätig sein werden. Mit diesen Förderungsmaßnahmen müsste sofort begonnen werden.“ „Auf diese Weise könnte in fünf bis zehn Jahren der personelle Grundstock für leistungsfähige Pädagogische Akademien gewonnen werden. Zugleich würde damit auch den Besten unter den Lehrern eine neue Aufstiegsmöglichkeit geboten und die … Anziehungskraft des Volksschullehrerberufes verstärkt werden.“ Tatsächlich war damals keine österreichische Universität imstande, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich habe an das Gutachten zur Lehrerbildung erinnert, das die erste Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen 1957 für Minister Drimmel erarbeitet hatte. Darin hieß es unter anderem: An eine Realisierung der Pläne für die Pädagogischen Akademien „ist nicht zu denken, solange keine entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten in Form selbständiger Pädagogischer Universitätsinstitute vorhanden sind, denen eine hinreichende personelle und materielle Ausstattung zur Verfügung steht.“80 Durch die Schulgesetze von 1962 ist den Universitäten als ranghöchsten Anstalten für Ausbildung und Forschung im Fach Pädagogik eine dringliche neue Aufgabe zugefallen. Sie ist jedoch von den zuständigen Professorenkollegien ihrer Philosophischen Fakultäten lange nicht wahrgenommen worden. Sie lebten im Stolz auf ihre Autonomie fern von den Nöten des Schulwesens, den Aufgaben, Mängeln und Bedürfnissen der wissenschaftlichen Pädagogik und ihrer Fachvertreter. Deren Bemühen um den schulgesetz-konformen Ausbau des Faches wurde eher als privater Ehrgeiz gedeutet statt als selbstloser Dienst am Gemeinwohl. Für mich waren meine universitätsinternen wie öffentlichen Aktionen zur Stärkung der Pädagogik eine schwere Belastung. Ich hätte sie gern vermieden, um mehr Zeit und Kraft für meine Studien zu gewinnen. Viele freiwillige Dienste und Aufgaben wurden nur übernommen, um den Nutzen und die Förderungswürdigkeit des Faches Pädagogik und seiner Institute zu beweisen.

80 Vgl. S. 168.

Schulforschung für das Unterrichtsministerium und die OECD

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SCHULFORSCHUNG FÜR DAS UNTERRICHTSMINISTERIUM UND DIE OECD Die internationale „Organisation for Economic Co-operation and Development“ (OECD) mit Sitz in Paris hat Anfang 1963 ein wissenschaftliches Forschungsprojekt über „Planung und Investitionen auf dem Gebiet des Erziehungswesens“ begonnen. Es sollte in nationalen Arbeitsgruppen die Beziehungen zwischen Schulwesen und Wirtschaft im Hinblick auf den künftigen Bedarf an Arbeitskräften und die Kosten für den Ausbau des Schulwesens untersuchen. Das Bundesministerium für Unterricht hat die Universitäten um die Nominierung von je einem Nationalökonomen, Statistiker und „Erziehungsfachmann“ für das österreichische Team ersucht.81 Ich habe mich in der Hoffnung auf Forschungsmittel für die personelle Verstärkung unseres Innsbrucker Instituts zur Mitarbeit bereit erklärt und am 15. November 1963 drei „Vorschläge für eine österreichische Beteiligung unter erziehungswissenschaftlichem Aspekt“ eingereicht. Sie unterschieden sich von den wirtschaftsstatistischen Erhebungen und Vorausschätzungen, auf die die OECD abzielte, durch die Absicht, in kritischen qualitativen Voruntersuchungen (pilot studies) zentrale Mängel des realen Schulwesens zu erforschen, um sie zu beseitigen oder wenigstens mildern zu können. Ein Thema betraf den Lehrermangel, sein Ausmaß, seine Ursachen und die Mittel zu seiner Behebung. Es wurde später in der Dissertation meines Assistenten Peter Posch bearbeitet.82 Als zweites Thema wurde „Das Verhältnis zwischen beabsichtigter und tatsächlicher Dauer der Hochschulstudien“ sowie Erfolg und Misserfolg des Studiums vorgeschlagen. Ihm hat sich meine Assistentin Ilsedore Rieder in einer großartigen Längsschnittuntersuchung an 3.199 Anwärtern für das Lehramt an Höheren Schulen in Österreich im Zeitraum zwischen 1950 und 1965 gewidmet.83 Sie hat unter anderem ergeben, dass die tatsächliche Studiendauer fast fünf Semester über der vorgeschriebenen Mindeststudiendauer lag und es nur jedem zweiten Kandidaten gelungen war, sein Studium erfolgreich abzuschließen. Als drittes Projekt wurde „Der ,Verschleiß‘ (attrition) in den allgemeinbildenden höheren Schulen“ vorgeschlagen. Seine Erläuterung verdient hier beispielhaft zitiert zu werden. 81 Sektionschef Hoyer des BMfU am 18.2.1963 an das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck. Zl.39.780-1/63. PAB. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 528 f. 82 P. Posch 1967. 83 Rieder 1968.

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„Von den in die erste Klasse der höheren Schulen eintretenden Schülern gelangen im Durchschnitt weniger als die Hälfte bis zur Matura. In allen Klassen werden laufend Schüler, die als ungeeignet erscheinen, ausgeschieden. Die Spannungen, die damit zusammenhängen, belasten die betroffenen Schüler und ihre Eltern ebenso wie die Lehrer und die Schulaufsichtsbehörde. Unsystematische Beobachtungen lassen vermuten, dass dem negativen Ausleseprozess auch Schüler zum Opfer fallen, die den Anforderungen der höheren Schule bei einer ihnen angemessenen Organisation des Unterrichts durchaus gewachsen wären. Umgekehrt fällt auf, dass Schüler mit sehr geringer intellektueller Leistungsfähigkeit bis zur Matura gelangen, wobei der außerschulische Nachhilfeunterricht eine erhebliche Rolle spielt. Solche und andere Beobachtungen lassen vermuten, dass die höhere Schule relativ ,unwirtschaftlich‘ arbeitet. Mit der bloßen Vermehrung der höheren Schulen und der Verlängerung der Schulzeit, d. h. mit rein quantitativen Maßnahmen, ist dieser Missstand nicht zu beseitigen. Österreich braucht nicht einfach mehr Maturanten, sondern in erster Linie gute Maturanten. Dass uns begabungsmäßig die Voraussetzungen dafür fehlen sollten, ist ganz unwahrscheinlich. Man kann daher die Hypothese aufstellen, dass es neben anderen Faktoren gerade die innere Struktur der höheren Schule ist, die für den relativ großen ,Verschleiß‘ und für die mangelnde Studierfähigkeit vieler ihrer Maturanten verantwortlich gemacht werden muss. Veraltete Lehrverfahren, falsche Vorstellungen vom geistigen Auffassungs- und Aneignungsvermögen der Schüler, mangelnde Zusammenarbeit im Lehrerkollegium, ein autoritärer Stil und die traditionelle Selbstisolierung der Lehrer an höheren Schulen von der Erziehungswissenschaft und der Psychologie spielen dabei mit. Hier öffnet sich ein weites Feld für qualitative Untersuchungen. Als erster Schritt wäre das Ausmaß des ,Verschleißes‘ statistisch zu erheben, als zweiter eine Analyse der Ursachen vorzunehmen, die zum vorzeitigen Abgang von der höheren Schule führen.“ Bei der OECD und im Planungsstab des Unterrichtsministeriums bestand allerdings mehr Interesse an bildungsökonomischer Bedarfsplanung als an systemkritischen Untersuchungen über Mängel des österreichischen Schulund Hochschulwesens und deren Besserung. Das Zentrum der Projektplanung und Mittelverteilung war und blieb das „Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung“. Minister Drimmel hat dem Bundeskanzleramt für die soziologische Ergänzung der nationalen Arbeitsgruppe Prof. Leopold Rosenmayr84

84 Über ihn vgl. S. 259, 354 f.

Schulforschung für das Unterrichtsministerium und die OECD

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und als Erziehungswissenschaftler mich vorgeschlagen.85 Wir waren aber beide schon ohne das EIP-Projekt (Educational Investment and Planning) völlig überlastet. Wir haben unsere Mitarbeit vorwiegend aus strategischen Gründen in Aussicht gestellt, um den Nutzen unserer Institute nachzuweisen und Mittel für deren Ausbau zu gewinnen. Nach Drimmels Abgang als Minister im April 1964 sind die OECD-Gelder fast zur Gänze in die Wirtschaftsforschung geflossen. Ich habe deshalb meine Teilnahme am EIP-Projekt abgesagt. Die drei dafür vorgeschlagenen erziehungswissenschaftlichen Themen sind als Dissertationen erfolgreich bearbeitet und vom Unterrichtsministerium gefördert worden. Bei der Wahl der Forschungsthemen für Dissertationen haben sehr verschiedene Motive mitgespielt: von persönlichen Wünschen der Dissertanten bis zu Zufällen wie den Vorhaben der OECD. Ich hatte keinen zusammenhängenden Forschungsplan, sondern nur das Verlangen, zur Verbesserung des theoretischen Niveaus der Pädagogik beizutragen und guten Nachwuchs zu fördern. Besonders dringend war dies für die Assistentenstellen an den Universitäts-Instituten für Pädagogik und für die mindestens je drei vollberuflichen Lehrer der Pädagogik an den Pädagogischen Akademien86, die spätestens im Herbst 1968 zu eröffnen waren87. Für die Pädagogiklehrer der Akademien war neben dem Doktorat in Pädagogik und Psychologie mehrjährige meisterhafte Schulpraxis an Pflichtschulen eine unerlässliche Voraussetzung. Diese „Elite von Lehrerbildnern“88 war in der erforderlichen Menge damals „noch nicht da, weil sich niemand darum gekümmert hat, sie heranzubilden.“89 Kandidaten dafür waren auch unter meinen Innsbrucker Studierenden selten. Ein solides Studium bis zum Doktorat war neben der vollen Lehrverpflichtung als Pflichtschullehrer schwer möglich. Ich habe im Unterrichtsministerium Verständnis dafür gefunden, aber nur in einem Fall erstmals eine einjährige Freistellung vom Unterricht unter Beibehaltung der Bezüge für den Hauptschullehrer Josef Klingler erreichen können. Dadurch konnte er eine große empirische Studie über „Lebensbedingungen und soziale Rolle der Pflichtschullehrer“ als Dissertation vollenden, die er sich selbst gewünscht hat, um 85 Drimmel am 24.10.1963 an das Bundeskanzleramt; am 4. und 27.3.1964 an Brezinka. PAB. 86 Schulorganisationsgesetz 1962, § 123. 87 Gemäß Schulorganisationsgesetz 1962, § 131. Als Schulversuch (§ 7) konnten sie bereits ab 1. September 1966 eingerichtet werden. 88 Abgeordneter Dr. Neugebauer am 29.11.1961 im Nationalrat. 89 Brezinka: Wer bildet die Lehrerbildner? Österreichische Hochschulzeitung, 15.4.1962. Nachdruck: Brezinka 2008, 42.

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eigene Berufserfahrungen zu nutzen.90 Ein Jahr nach der Promotion wurde er Lehrer für Pädagogische Psychologie und Soziologie an der Pädagogischen Akademie Feldkirch.

BERUFUNG AN DIE UNIVERSITÄT TÜBINGEN 1962, BLEIBEVERHANDLUNGEN UND BEMÜHUNGEN UM AUSBAU DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT Ich war erst eineinhalb Jahre in Innsbruck tätig, als mich im März 1962 ein Ruf des Kultusministers von Baden-Württemberg auf einen neu geschaffenen zweiten Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Tübingen erreichte.91 Der erste Lehrstuhl war seit 1958 mit Andreas Flitner besetzt92, dem Sohn des damals führenden Vertreters der geisteswissenschaftlichen (oder „hermeneutischpragmatischen“) Pädagogik Wilhelm Flitner93. Das Pädagogische Seminar der Universität Tübingen hatte seit 1910 das Vorrecht, einer kleinen Elite von württembergischen Volksschullehrern ein Studium der Pädagogik ermöglichen zu können, das mit der „höheren Prüfung für den Volksschuldienst“ abschloss. Seine Absolventen wurden in der Schulaufsicht und als Lehrer an Lehrerseminaren eingesetzt.94 Dank dieser Tradition und der 1946 erfolgten Berufung von Eduard Spranger zum Professor für Philosophie und Pädagogik95 galt Tübingen als anziehendster Ort für vertiefte pädagogische Studien. Als Nachfolger Sprangers war seit 1953 Otto Friedrich Bollnow96 tätig. Er hat die Philosophie der Erziehung und die pädagogische Ideengeschichte hervorragend vertreten. Ich hatte Bollnow und Flitner 1958 auf Empfehlung von Prof. Nohl besucht und bin sehr freundlich aufgenommen worden. Mit Flitner gab es seither einen regen pädagogischen Briefwechsel. Wir hätten in Tübingen gut zusammenarbeiten und einander ergänzen können. Das Stuttgarter Ministerium hat mir zwei Assistentenstellen, eine Stelle eines Wissenschaftlichen Rats und eine Schreibkraft zugesichert. Zwei weitere Professuren für Spezialgebiete wurden dem Institut in Aussicht gestellt, um Entlastung und Konzentration auf meine 90 Gekürzte Buchfassung: Klingler 1971. Vgl. Brezinka, Bd. 4, 2014, 408 ff. 91 Brezinka, Bd. 2, 2003, 509 ff. 92 (1922–2016). Biographie: Böhm 2005, 209; Ag Institutsgeschichte 2010, 47 ff. 93 (1889–1990). Böhm 2005, 210; Peukert/Scheuerl 1991. 94 Ag Institutsgeschichte 2010, 16 ff. 95 (1882–1963). Böhm 2005, 610; Ag Institutsgeschichte 2010, 36 ff. 96 (1903–1991). Böhm 2005, 109; Ag Institutsgeschichte 2010, 43 ff.

Berufung an die Universität Tübingen 1962

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Arbeit am System der Erziehungswissenschaft zu ermöglichen. Am Tübinger Pädagogischen Seminar haben damals 45 Hauptfachpädagogen studiert, darunter drei Stipendiaten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Mittel für den Sachaufwand betrugen jährlich 12.000 Deutsche Mark, während mein Innsbrucker Institut mit 1.300 auskommen musste. Bei einem vernünftigen Vergleich von Einkommen, Arbeitsbedingungen und Forschungsmöglichkeiten sprach beruflich alles für den Wechsel nach Tübingen. Die österreichischen Universitäten befanden sich damals noch in einer bedrückenden finanziellen Notlage. Dadurch wurden im Professorenkollegium Missmut und Neid begünstigt, wenn das Unterrichtsministerium ins Ausland berufene Professoren und deren Fächer in Bleibe-Verhandlungen außergewöhnlich zu fördern versuchte, um sie im Land zu halten. Ein solcher Versuch musste mit konkurrierenden älteren Haushalts-Anträgen aus der betreffenden Fakultät vereinbar sein und vielerlei Interessen berücksichtigen. In meinem Fall ging es um das jüngste Mitglied der Fakultät und ein verspätet eingeführtes Fach mit geringem Ansehen, für das es damals in Österreich nur zwei Lehrstühle gab. Der Wiener war mit Richard Schwarz97 besetzt, der mehr Interesse an spekulativer Bildungsphilosophie hatte als an erziehungswissenschaftlicher Forschung und Ausbildung. So war ich in der schul- und hochschulpolitisch bewegten Zeit vor und nach der Schulgesetzgebung vom Juli 1962 im Universitätsbereich der einzige aktive Pädagogik-Professor, der für erziehungswissenschaftliche Forschung und Nachwuchsgewinnung in Betracht kam. Das war ein unhaltbarer Zustand. Ohne Ausbau der Pädagogik an den Universitäten waren die gesetzlichen Aufgaben des Schulwesens nicht zu erfüllen. Vereinzelte Professuren für das gesamte Fachgebiet konnten nicht genügen, um leistungsfähigen wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Deshalb erschien es mir notwendig, dass wenigstens an einer Universität ein Studienschwerpunkt für Pädagogik eingerichtet wird. Meine Berufung nach Tübingen bot die Chance, ihn im Zuge der Bleibe-Verhandlungen an der Innsbrucker Universität anzubahnen. Das Bundesministerium für Unterricht war dazu bereit, aber der Anstoß sollte aus der Universität kommen. Dafür musste ich zuerst das Professorenkollegium gewinnen. Ich hatte schon im April 1961 für das Mehrjahresprogramm der Fakultät einen zweiten Lehrstuhl für Pädagogik beantragt. Er ist auf einen für viele Jahre aussichtslosen hinteren Platz gereiht worden. 1962 habe ich mich dann bereit erklärt, in Innsbruck zu bleiben, wenn der Ausbau meines Instituts im Sinne 97 Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 479 ff.

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der damals von den österreichischen Universitäten angestrebten Schwerpunktbildung zu einem Forschungs-, Lehr- und Dokumentationszentrum der Erziehungswissenschaft unterstützt wird. Dafür hat vielen Fakultätskollegen das Verständnis gefehlt. Sie hatten die Aufgabe des Pädagogikers bislang nur darin gesehen, den Studierenden für das Lehramt an höheren Schulen in gewohnheitsmäßiger Wiederholung elementare Kenntnisse über ihre künftigen Berufsaufgaben zu vermitteln. Pädagogik als Forschungsdisziplin war ihnen unbekannt. Von den Folgen der Akademisierung der Pflichtschullehrer-Ausbildung durch das Schulorganisationsgesetz von 1962 für das Fach Pädagogik an den Universitäten hatte fast niemand eine Vorstellung. Ich musste erst darüber aufklären, wie unzulänglich mein Fach war, um durchführen zu können, was inhaltlich und personell für den Aufbau Pädagogischer Akademien notwendig war. Es sei viel mehr als ein einziger Professor leisten könne. Daraufhin hat die Philosophische Fakultät „mit großer Mehrheit beschlossen, grundsätzlich das Verbleiben Prof. Brezinkas in Innsbruck wärmstens zu befürworten“ und gebeten, „seine Bedingungen, soweit dadurch nicht Interessen anderer Institute beeinträchtigt werden, zu erfüllen.“98 Unterrichtsminister Drimmel und der Leiter der Hochschulsektion Dr. Franz Hoyer99 waren entschlossen, mich in Österreich zu halten.100 Ich konnte ihnen in einer einstündigen Unterredung101die Notlage der Erziehungswissenschaft an den österreichischen Universitäten darstellen und ihre grundsätzliche Zustimmung zum Ausbau des Innsbrucker Instituts gewinnen. Als unbedingt erforderlich galt mir dabei, dass das Ministerium eigene Initiative zeigt und gegenüber der Fakultät die Wichtigkeit der Pädagogik für das gesamte österreichische Bildungswesen betont. Das Institut sollte breite Diplom- und Doktoratsstudien der Erziehungswissenschaft ermöglichen und insbesondere der Ausbildung und Fortbildung von künftigen Dozenten der Pädagogischen Akademien und leitendem Personal der Schulverwaltung, Jugendhilfe und Erwachsenenbildung dienen. Das Versprechen grundsätzlicher Unterstützung durch den Bundesminister für Unterricht Dr. Drimmel hat mich ermutigt, die begonnene Aufbauarbeit in Innsbruck fortzusetzen. Wesentlich beigetragen hat dazu die Gefühlsbindung unserer kleinen Familie an das naturnahe Leben in Tirol. 1961 ist dort unser drittes Kind Thomas geboren worden. Familiär sprach alles für Einwurzelung statt neuerlichen Umzug. 98 Dekan Werner Heissel am 25.5.1962 an das Bundesministerium für Unterricht, Zl. 914/62. PAB. 99 (1902–1967). Österreichischer Amtskalender für das Jahr 1964, 29. 100 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 510 ff. 101 Am 17. Mai 1962 im Wiener Bundesministerium für Unterricht.

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Kulturpolitisch erschien mir der Personalbedarf der künftigen Pädagogischen Akademien und der akademischen Ausbildungsstätten für Sozial- und Heilpädagogen als Hebel für die Stärkung der Pädagogik an den Universitäten. Das am 25. Juli 1962 vom Nationalrat beschlossene Schulorganisationsgesetz hatte dem Unterrichtsministerium indirekt auch den Auftrag gegeben, die Universitäten über ihre Mitverantwortung für die neue akademische Lehrerbildung aufzuklären und ihre der Pädagogik gewidmeten Institute für die Ausbildung der Lehrerbildner entsprechend auszurüsten. Meine Bedingungen für das Dableiben waren so gemäßigt wie möglich, um Konflikte in der Fakultät zu vermeiden: eine dem Tübinger Angebot entsprechende Gehaltsstufe; ab 1963 eine halbe Stelle für eine Schreibkraft; ab 1964 eine zweite Assistentenstelle; „bis spätestens 1970“ eine zweite Professur mit Spezialisierung auf „Schulpädagogik“; einmalige Sonderdotation für Einrichtung und Bibliothek des Pädagogischen Instituts in Höhe von 100.000 Schillingen; Erhöhung der ordentlichen Dotation des Instituts auf jährlich 20.000 Schillinge; Unterstützung der Sorge für den wissenschaftlichen Nachwuchs „durch Beurlaubung geeigneter Lehrer zum Studium unter Belassung ihrer Bezüge und durch Gewährung von Stipendien“. Abgesehen von der zweiten Professur hat das Ministerium diese Wünsche aus seinen Sondermitteln für Berufungsabwehr großzügig erfüllt. Es ist jedoch über eine normale Bleibe-Verhandlung nicht hinausgegangen und hat die Kernfrage der Einrichtung eines nationalen Zentrums für erziehungswissenschaftliche Forschung und Ausbildung offengelassen. Der „grundsätzlichen“ Zustimmung Drimmels ist keine Initiative zur Gewinnung der Universitäten für eine Planung auf weite Sicht gefolgt. Der Minister kannte das niedrige Niveau der Pädagogik, den katastrophalen Mangel an berufbaren Pädagogikern und den Widerstand der Professorenkollegien gegen den Ausbau dieses Faches. Auf seine Frage „Wie stark ist Ihre Fraktion?“ musste ich antworten: „weniger als die Hälfte“. Er hielt die Autonomie der Universitäten für das höchste Gut und wollte von seinem Weisungsrecht als Minister keinen Gebrauch machen. Sein Zögern hatte gute Gründe. Ich war ja selbst im Zweifel über die Möglichkeit einer guten Besetzung der gewünschten Dienstposten für Professoren und Assistenten. Nach meiner Ablehnung des Rufes nach Tübingen im Juli 1962 gab es kein Druckmittel mehr, um eine außerordentliche Förderung des Faches Pädagogik an den Universitäten zu erreichen. Es blieb nur der reguläre Weg auf der untersten Rangstufe der Fächer über Anträge, Eingaben und Stellungnahmen im Rahmen der Fakultät und ihrer Kommissionen. 1963 habe ich auf diese Weise drei bedeutende Schritte unternommen: 1. am 7. Oktober den Antrag an das

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Bundesministerium für Unterricht zur Einführung des Diplom-Studiums der Erziehungswissenschaft; 2. am 27. November für Unterrichtsminister Drimmel eine „Denkschrift über Maßnahmen zur Förderung der Erziehungswissenschaft in Österreich“; 3. am 8. November den Antrag an das Ministerium auf Umbenennung des Pädagogischen Instituts und der Lehrkanzel für Pädagogik in „Institut für Erziehungswissenschaft“ und „Lehrkanzel für Erziehungswissenschaft“. Diese Aktionen sind zu einer Zeit erfolgt, als die Wiener Lehrkanzel durch den Abgang von Schwarz dreieinhalb Jahre lang unbesetzt gewesen ist und ich in Österreich der einzige Professor meines Faches gewesen bin. Anlass für die erste Aktion war die Aufforderung des Ministeriums an alle Hochschulen, Vorschläge für die Aufnahme von Diplom-Studien in das damals vorbereitete Hochschul-Studiengesetz zu machen.102 Ich musste dazu neben der Begründung auch den Entwurf einer Studienordnung mit detaillierten Studienplänen für den ersten und zweiten Studienabschnitt samt Prüfungsvorschriften ausarbeiten.103 Der Entwurf war von der Absicht bestimmt, die Zulassung auf Studienbewerber zu begrenzen, die bereits eine pädagogische Berufsausbildung und mindestens zwei Jahre Berufspraxis als Lehrer, Sozial- oder Heilpädagogen hinter sich haben. Ein grundständiges Diplom-Studium der Erziehungswissenschaft für Maturanten sollte ausgeschlossen bleiben, um nicht Personen anzuziehen, die die Bewährung in einem normalen Lehr- oder Erzieherberuf scheuten und ohne Lehramtsprüfungs-Zeugnis oder dessen sozialpädagogisches Gegenstück als Diplom-Pädagogen nur geringe Berufschancen hatten. Es war also an ein Studium für relativ wenige Personen mit berufsspezifischer Vorbildung gedacht. Nur so hätte der Entwicklung zu einem „weichen“ Massenfach vorgebeugt werden können, dessen Absolventen zu einem erheblichen Teil arbeitslos bleiben. Als Möglichkeiten der Spezialisierung im zweiten Studienabschnitt waren die Fächer Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Heilpädagogik und Berufspädagogik genannt. Die Denkschrift für den Minister104 ging vom Schulgesetzwerk 1962 aus und empfahl, in Österreich „wenigstens an einer Stelle ein erziehungswissenschaftliches Forschungs-, Dokumentations- und Ausbildungszentrum im Range und mit der unabhängigen Stellung eines Universitätsinstituts“ zu errichten. Ich schlug dafür den raschen Ausbau des „Pädagogischen Instituts“ der Universi102 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 530 ff. 103 Entwurf mit 25 Paragraphen vom 7.10.1963. PAB. 104 Vollständig abgedruckt bei Brezinka, Bd. 1, 2000, 895–901.

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tät Innsbruck durch vorläufig zwei weitere Lehrkanzeln für „Pädagogische Psychologie“ und „Schulpädagogik“ vor, um dem Mangel an geeigneten Pädagogikern für die Pädagogischen Akademien und an Nachwuchskräften für die Universitäten abhelfen zu können. Dieser Plan wurde von meinem Vorgänger Prof. Strohal105 und Drimmels langjährigem Berater für alle Schul- und Hochschulfragen, dem emeritierten Pädagogikprofessor der Wiener Universität und Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Richard Meister106 befürwortet. Drimmel hat sich überzeugen lassen und war bereit, die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen. Er wollte jedoch grundsätzlich nicht ohne mehrheitsfähige Anträge aus der Fakultät handeln. Deshalb hat er vorgeschlagen, eine von der Universität unabhängige „Bundesanstalt für Erziehungswissenschaft“ einzurichten, die nur durch mich als ihrem Leiter in Personalunion mit der Universität verbunden ist. Als Vorbilder nannte er die „Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik“ sowie die „Geologische Bundesanstalt“. Auf diese Weise könne man rasch und großzügig vorgehen und zeitraubende Auseinandersetzungen in und mit der Fakultät vermeiden. In einem Brief vom 8. Januar 1964 hat Drimmel erneut bekräftigt, dass für alle Maßnahmen, die „innerhalb des Verbandes einer Hochschule geplant sind, … die Antragstellung der zuständigen akademischen Behörde unbedingt notwendig“ sei. „Eine Umkehrung der Richtung der Initiative kann und soll aus verschiedenen Gründen … nicht stattfinden.“107 Das war eine Selbstlähmung seiner Zuständigkeit. Sie war mit dem Hochschul-Organisationsgesetz 1955 unvereinbar, dessen § 58 Abs. 2 so lautete: „Lehrkanzeln werden nach Anhörung des zuständigen Professorenkollegiums vom Bundesministerium für Unterricht errichtet… .“108 Ich habe Drimmels Alternativ-Vorschlag einer Bundesanstalt am 14. Januar 1964 abgelehnt, weil er ein Ausweichmanöver war, das der Erziehungswissenschaft als Universitätsfach nicht gedient und mich überfordert hätte. Es wären in Österreich gar nicht die erziehungswissenschaftlich ausreichend qualifizierten Personen vorhanden gewesen, die eine Bundesanstalt hätten tragen können. „Wir müssen vielmehr sehr bescheiden anfangen und zunächst 10 bis 15 Jahre arbeiten, um eine kleine Elite von erziehungswissenschaftlichen Nach105 Über Strohal vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 419–432, 445–468. 106 Über Meister vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 372–401, 425–454. Drimmel (1975, 175) gehörte seinem „privatesten Privatissimum“ an und hat 1961 das Vorwort zu der Meister gewidmeten Festschrift geschrieben. 107 Vgl. Brezinka 2003, 537 f. 108 Ermacora 1956, 67.

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wuchskräften heranzubilden, die später einmal für größere Projekte zur Verfügung stehen.“109 Drimmel hat sein Amt als Unterrichtsminister mit Antritt der Regierung von Bundeskanzler Josef Klaus am 2. April 1964 verloren. Ich habe ihn gebeten, meine Denkschrift seinem Nachfolger zu übergeben. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: „Ich hoffe, Sie werden … gespürt haben, dass ich nicht nur Ihre Publikationen mit Eifer studiert und zu meinem Gedankengut gemacht, sondern darüber hinaus auch getrachtet habe, im Streit der Meinungen nicht einen Menschen zu verlieren, dessen Leistung ich immer hoch geschätzt habe.“110

AUTOR UND MITHERAUSGEBER DER „ZEITSCHRIFT FÜR PÄDAGOGIK“ Die „Zeitschrift für Pädagogik“ ist 1955 von fünf angesehenen Professoren dieses Faches gegründet worden und galt als „die führende Zeitschrift der Disziplin“111 in deutscher Sprache. Vier von ihnen waren evangelisch, Dolch katholisch. Schon 1956 hat mich Wilhelm Flitner zur Mitarbeit eingeladen – „vor allem, wenn es Ihnen möglich wäre, durch kritische Buchbesprechungen“.112 Ich war damals erst 27 Jahre alt. In Flitners „Einführung“ zum ersten Heft wurde „ein kritisches periodisches Organ“ versprochen und „kritische Arbeit“ gewünscht. Die Herausgeber wollten „das gesamte Erziehungsgebiet der wissenschaftlichen Betrachtung, Forschung und Kritik … erschließen.“113 Für die Buchbesprechungen war bei ihnen zunächst Prof. Josef Dolch114 zuständig. Er war ein Schüler von Aloys Fischer, mit Friedrich Schneider befreundet und stand mir unter den Gründern der Zeitschrift erziehungstheoretisch am nächsten. Meine Mitarbeit hat 1957 mit der Rezension des mehrbändigen von Friedrich Trost herausgegebenen „Handbuch(s) der Heimerziehung“ begonnen. Es enthielt Texte von 73 Autoren. Bezeichnend für die Lage der Pädagogik war, dass die „zentralen pädagogischen Beiträge … gegenüber den psychologischen und den erziehungspraktischen Beiträgen an begrifflicher Schärfe, an Wirk109 Brezinka am 4.12.1963 an Meister, PAB. 110 Drimmel am 4.3.1964 an Brezinka. PAB. 111 Tenorth 1986, 22. 112 Brief vom 16.2.1956. PAB. Vgl. in diesem Buch S. 162. 113 W. Flitner 1955, 2 und 4. Nachdruck bei Fatke 1981, 10 und 12. 114 (1899–1971), seit 1956 Professor an der Universität Saarbrücken. Biographie: Horn 2003, 215 f.

Autor und Mitherausgeber der „Zeitschrift für Pädagogik“

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lichkeitsnähe, an Sachlichkeit und vor allem an Schlichtheit des Ausdrucks erstaunlich weit“ abfielen.115 Den Wunsch der Herausgeber nach „Sammelbesprechungen“ habe ich nur einmal erfüllen können: 1964 mit einem kritischen Beitrag im Umfang von 32 Seiten über acht „Neue Lehr- und Handbücher zur Pädagogischen Psychologie“.116 Er belegte, wie unterschiedlich nach Zweck, Inhalten und Qualität das Fach damals gelehrt worden ist. Der Bogen reichte von Teilen der Allgemeinen Psychologie, Entwicklungspsychologie usw., die für Lehrer und andere Erzieher nützlich sein können, bis zu seltenen empirischen Studien über reale erzieherische Handlungen, ihre Bedingungsgefüge und Wirkungen. Zu diesen gehörten Friedrich Winnefelds Pionierarbeit „Pädagogischer Kontakt und pädagogisches Feld“ (1957) und die „Erziehungspsychologie“ von Reinhardt und Anne-Marie Tausch (1963). Für die Pädagogik schien es mir wichtig zu sein, vor falschen Erwartungen zu warnen. Deshalb habe ich Hildegard Hetzer zitiert, die Herausgeberin des Bandes „Pädagogische Psychologie“ (1959) im zwölfbändigen „Handbuch der Psychologie“. Sie hat im Vorwort betont, „dass die ursprüngliche Auffassung von der pädagogischen Psychologie als einem Anwendungsbereich außerhalb des pädagogischen Raumes gewonnener Erkenntnisse nur sehr allmählich einer Auffassung weicht, die das pädagogische Geschehen selbst zum Gegenstand ihrer empirischen Untersuchungen macht.“ Deshalb könne „eine empirisch gesicherte Darstellung des Erziehungsprozesses schlechthin heute noch nicht gegeben werden.“117 Bei dieser Sachlage wäre wissenschaftstheoretische Aufklärung über die Beziehungen zwischen Psychologie und Pädagogik, Pädagogischer Psychologie und empirischer Erziehungswissenschaft angebracht gewesen. Sie ist im einleitenden Kapitel von Josef Derbolav118 unter folgendem Titel versprochen worden: „Die Stellung der pädagogischen Psychologie im Rahmen der Erziehungswissenschaft und ihre Bedeutung für das pädagogische Handeln.“ Über die Pädagogische Psychologie war daraus jedoch wenig zu erfahren. Stattdessen wurden sehr abstrakte bildungsphilosophische Überlegungen zum „Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft“ aus der Sicht des Autors geboten. Er hielt sie weder für eine empirische noch für eine normative Wissenschaft, son115 Zeitschrift für Pädagogik, 3. Jg. (1957), 143–146. Nachdruck: Brezinka 2008, 30–34. 116 Brezinka 1964; Nachdruck: Brezinka 2008, 50–89. 117 Hetzer 1959, V. (1899–1991). Zuletzt bis 1967 Professorin an der Universität Gießen. Biographie: W. Böhm 2005, 286. 118 (1912–1987), von 1955–1981 Professor für Pädagogik und Philosophie an der Universität Bonn. Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 272 ff. und 494. Autobiographie in: Pongratz 1976, 82–145.

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dern beanspruchte für sie eine einzigartige Sonderstellung: sie bewege sich „ihrer eigenen Natur nach auf dem Denkniveau der Wissenschaftstheorie“.119 Ich habe diese einseitige Darstellung der Erziehungswissenschaft aufgrund meines empirischen Wissenschaftsverständnisses zurückgewiesen. Das hat mir von Derbolav den Vorwurf des „Positivismus“ eingebracht und mich für Jahrzehnte zu einem von ihm und seinen Schülern bekämpften erziehungstheoretischen Gegner gemacht.120 Wir hatten einander schon 1951 im Salzburger „Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“ kennengelernt, als er zu Besuch bei Professor Friedrich Schneider121 war. Er war noch 1984 bemüht, „blinde Flecken“ in meinem „positivistischen Erziehungsverständnis“ aufzudecken und zu prüfen, ob die große internationale Verbreitung meiner Werke „wünschenswert oder – als eine Quelle möglicher Irreführung – eher bedenklich erscheint.“122 Derbolavs eigentümliche philosophische Kennzeichnung der „Erziehungswissenschaft“ als „kritisch durchreflektierte Gestalt“ der „Selbstvergewisserung der Erziehungsverantwortung“ der Erzieher123 war einer von mehreren Anstößen, mich weniger der Pädagogischen Psychologie zu widmen, sondern vorwiegend der Allgemeinen Erziehungswissenschaft auf empirischer Grundlage. Fachkritisch und programmatisch hat das schon 1959 mit meinem ersten großen Aufsatz über „Die Pädagogik und die erzieherische Wirklichkeit“ begonnen.124 Er ist später als zweiter von 20 „wichtigen Beiträgen“ 1981 im Jubiläumsband „Pädagogische Impulse 1955–1980“ aus den rund 1000 Aufsätzen ausgewählt und nachgedruckt worden, die in den ersten 25 Jahren der „Zeitschrift für Pädagogik“ erschienen sind.125 Als 1962 der Herausgeberkreis der Zeitschrift erweitert wurde, sind neben mir auch Derbolav, Andreas Flitner, Martinus Langeveld, Ernst Lichtenstein und Wolfgang Scheibe hinzugetreten. Schon 1958 waren fünf auf Lehrerbildung spezialisierte Professoren gewonnen worden, darunter Georg Geissler126, der von 1962 bis 1968 als Geschäftsführender Herausgeber tätig war.127 119 Derbolav 1959, 6. 120 Vgl. Derbolav 1970, 291 ff.; 1970 a, 19, 65, 72; 1971, 53 f., 160; ausführlich 1984, 185– 223. 121 Über Schneider vgl. in diesem Buch S. 80 ff., 116 ff. 122 Derbolav 1984, 208. 123 Derbolav 1959, 6 f. 124 Vgl. Brezinka 1959 und in diesem Buch S. 176. 125 Fatke 1981, 47–80. 126 (1902–1980), von 1950 bis 1969 Professor an der Universität Hamburg. Biographie: Horn 2003, 236. 127 Vgl. Scheibe 1986, 14 ff.; Tenorth 1986, 66 ff.

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Dieser Kreis von 15 Pädagogikern ist jährlich einmal beim Beltz Verlag in Weinheim (Hessen) zur Beratung und Planung zusammengekommen. Diese Treffen mit prominenten fachlich und charakterlich sehr verschiedenen Kollegen waren für mich eine große Bereicherung. Meine kritischen Rezensionen und Aufsätze haben in der pädagogischen Welt breite Beachtung gefunden, bei einigen Herausgebern aber auch Verstimmung und Protest ausgelöst. Allzu deutliche Kritik an Kollegen galt als unfein. Über schlechte Texte sollte geschwiegen, aber nicht aufgeklärt werden. Erst recht war fundamentale Kritik an den herrschenden Lehrmeinungen verpönt, wie sie Rudolf Lochner 1963 in seiner Prinzipiengeschichte der deutschen Pädagogik auf hohem Niveau gewagt hat. Ich habe diesem Werk durch eine ausführliche Würdigung dazu verholfen, dem Ignoriertwerden zu entgehen.

ANMERKUNGEN ZU RUDOLF LOCHNERS KRITISCHER PRINZIPIENGESCHICHTE DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT: 1965 Eine kritische Geschichte der wissenschaftstheoretischen Grundannahmen, Voraussetzungen und Prinzipien pädagogischer Schriften, denen wissenschaftliche Bedeutung beigemessen wird, hat lange gefehlt. Für die deutschsprachige Pädagogik hat erstmals Rudolf Lochner128 1963 unter dem Titel „Deutsche Erziehungswissenschaft. Prinzipiengeschichte und Grundlegung“129 eine vergleichende Untersuchung veröffentlicht. Ich habe sie in einer Lebensphase zur Rezension übernommen, in der mich die Mängel meines Faches und das eigene erziehungstheoretische Ungenügen mehr als je zuvor bedrückt haben. Wenn ich Lochners frühe Schriften130 gekannt hätte, wäre mir manches eher klargeworden. Ich bin aber erst Ende 1959 durch einen Brief131 mit ihm bekannt geworden, in dem er spontan seine Anerkennung für meinen Aufsatz über „Wissenschaft und Konfession im Rahmen der Bayerischen Lehrerbildung“132 ausgedrückt hat. Darin schrieb er: „Ihre Position erscheint mir absolut richtig …. Sie erscheinen mir als ein weißer Rabe in 128 (1895–1978). 1927 an der deutschen Karls-Universität in Prag mit dem Buch „Deskriptive Pädagogik“ für „Erziehungswissenschaft“ habilitiert; zuletzt 1951–1963 Professor an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg. Biographie: Brezinka 1989, 62–76; Horn 2003, 285. Autobiographie: Pongratz, Bd. III, 1978, 194–217. 129 Lochner 1963. 130 Lochner 1927, 1934, 1947. 131 Vom 25.11.1959. PAB. 132 Brezinka 1959 c; Nachdruck: Brezinka 1988, 200–225. Vgl. in diesem Buch S. 180 ff.

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einem Augenblick, wo ich – wenigstens im Bereich der Erziehungswissenschaft – alles grau in grau sehe.“ Lochner hat eine Zusammenstellung von Leitsätzen „Zur Grundlegung einer selbständigen Erziehungswissenschaft“ in 16 Abschnitten beigelegt, auf deren Veröffentlichung in der „Zeitschrift für Pädagogik“ er zwei Jahre warten musste. Sie ist bald danach ohne mein Zutun zur Eröffnung des 6. Jahrganges erfolgt.133 Dieser Text hat mich gefreut, weil er ganz unerwartet meinen fachkritischen Überlegungen entsprochen und mich ermutigt hat. So bin ich auf sein Alterswerk vorbereitet gewesen und habe ihm einen Besprechungsaufsatz im Umfang von 18 Druckseiten gewidmet. Er begann mit einem Lob dafür, dass auch die Auseinandersetzung mit lebenden Autoren nicht gescheut wurde. „Selbst geistige Positionen, die im Hinblick auf die Zahl ihrer Anhänger sehr mächtig sind, werden in Frage gestellt. Schon für diesen leider so seltenen Mut verdient Lochner Dank in einem Land und in einer Epoche, in der das unkritische Loben – sei es aus geringer Kenntnis der Sache, sei es aus Gefälligkeit – oder das Verschweigen im Umgang der pädagogischen Autoren miteinander überwiegen. Rudolf Lochner gehört seit langem zu denen, über die geschwiegen wird. Er war ähnlich Aloys Fischer134 ein vereinzelter Vorkämpfer einer empirisch begründeten Erziehungswissenschaft, die allen jenen unbequem sein musste, die sich damit begnügten, über Erziehung zu philosophieren.“ Weiter hieß es: „Die seit Jahrzehnten schwelende Krise der Erziehungswissenschaft, die durch die Unklarheit über ihre wissenschaftstheoretischen Grundlagen und durch die Uneinigkeit über ihre Aufgaben, ihren Gegenstand und ihre Methoden mitverursacht ist, könnte durch Lochners Buch den Beteiligten neu und schmerzlich bewusst werden. Dieses Buch könnte einen Anstoß geben, die steckengebliebene Diskussion über die Grundlagen unseres Faches und über seine Beziehungen zu den anderen Wissenschaften vom Menschen neu zu beleben. Es könnte den Übergang von einer Epoche, in der die ,Philosophie der Erziehung‘ vorgeherrscht hat, zu einer neuen Epoche der ,Erziehungswissenschaft‘ beschleunigen – wenn es unvoreingenommen gelesen wird! Wer den Anspruch erhebt, Erziehungswissenschaftler zu sein oder werden zu wollen, dürfte an diesem Buch nicht vorbeigehen. Auch wenn er zu anderen Thesen als Lochner gelangt, sollte er sich zuvor mit ihm kritisch auseinandergesetzt haben.“ Lochner begann mit einer kurzen Einleitung über das „Wesen der Wissen133 Lochner 1960. 134 Über ihn vgl. in diesem Buch S. 154.

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schaft“ im Anschluss an Max Weber.135 Der Hauptteil des Buches136 bot eine Analyse und Kritik der Äußerungen pädagogischer Theoretiker zur Begründung der Erziehungswissenschaft. Behandelt wurden 43 Autoren von Trapp, Kant, Herbart und Schleiermacher über Dilthey, Willmann, Litt, Spranger und Flitner bis zu Lochner, Meister, Guyer, Langeveld und Brezinka. Als „besonders wertvoll“ habe ich die Kapitel über die damals maßgebenden Pädagogiker Litt, Spranger und Wilhelm Flitner eingeschätzt, „weil darin endlich eine Auseinandersetzung nachgeholt wird, die schon längst hätte ausgetragen werden müssen. Dass sie jahre- und jahrzehntelang unterblieben ist, beleuchtet die Selbstgenügsamkeit, die wissenschaftstheoretische Anspruchslosigkeit, den Mangel an Kritik und Kommunikationsfähigkeit, die für die deutsche Erziehungswissenschaft um die Mitte des 20. Jahrhunderts kennzeichnend sind und die sie mehr und mehr von den Nachbarwissenschaften isoliert haben.“ „Was Lochner gegen Litt, Spranger und Flitner kritisch sagt (178–237), gehört zum Besten des ganzen Buches und ist von erregender Aktualität. Eine derart scharfe und zugleich sachliche Kritik der empiriefeindlichen Grundpositionen in der deutschen Pädagogik hat man bisher vermutlich noch nirgends lesen können.“137 Lochners Kritik richtete sich vor allem gegen Flitners Versuch, die Erziehungswissenschaft in Zusammenhang zu bringen mit dem „verantwortlichen Denken“ (der „engagierten Reflexion“) des Erziehers. Er betonte, dass sich an dieser Auffassung die Geister scheiden: „Wissenschaft, sofern sie wirklich Wissenschaft sein und bleiben will, darf niemals réflexion engagée sein oder werden. Man kann das doch nicht einfach dekretieren und damit begründen, dass erziehungswissenschaftliches Denken die Wesensgrundzüge erzieherischen Denkens zu übernehmen habe. Wissenschaft ist verantwortliches Handeln, ganz gewiss, aber in unserem Fall besteht die Verantwortung allein darin, dass über erzieherische Phänomene richtig und konsequent gedacht, dass sie erkenntnismäßig aufgehellt werden.“138 Ich hatte aber nicht nur über Lochners Kritik an berühmten deutschen Pädagogikern zu berichten, sondern auch seine eigenen Schwächen zu beleuchten. Das hat er mir leicht gemacht, indem er noch vor Beginn meiner Arbeit geschrieben hatte: „Nehmen Sie mich nur recht scharf in die Zange, die Sache 135 (1864–1920), zuletzt Professor für Nationalökonomie an der Universität München. Biographie: Hillmann 1994, 922 ff. – Vgl. Weber 1968. 136 Brezinka 1965, 270 f. 137 Ebenda, 276. 138 Lochner 1963, 227.

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verdient es, und die Schwächen meiner Arbeit sind uns beiden doch bewusst.“139 Etwas später schrieb er: „Mehr als andere kenne ich die Schwächen meines Buches. Man soll sie kritisch ebenso herausstellen wie die positiven Seiten. Nur so werden wir vorwärtskommen. Niemand ist unfehlbar. Und es geht immer nur um die Sachen, die Wahrheit, um Erkenntnisse. Es geht nie um Rücksichtnahme auf Personen, Umstände, Zeitläufte, Tabus…!“140 Zu wenig kritisch wurde von Lochner unter anderem „das sogenannte ,hermeneutische Verfahren‘ betrachtet, das Flitner als ein ,drittes Verfahren‘ dem empirischen und dem spekulativen Vorgehen gegenüberstellt, ohne es je genau zu erläutern.141 An der Frage, ob es eine für die Erziehungswissenschaft spezifische ,hermeneutische Methode‘ im Unterschied zu dem, was Flitner das ,empirische Verfahren‘ nennt, tatsächlich gibt, entscheidet sich, ob sein zwischen Philosophie und Empirie vermittelnder Begründungsversuch der Erziehungswissenschaft stichhaltig ist. Lochner bemerkt zwar richtig, dass Flitner nirgends klar zeigt, wo die Grenzen der empirischen Verfahrensweisen liegen sollen, und dass er die ganze Hermeneutik vom empirischen Verfahrensumkreis entfernt, ohne durchschlagende Gründe dafür anzugeben (235). Er durchschaut jedoch zu wenig, dass Flitner den Begriff ,empirisches Verfahren‘ allzu eng fasst und dass das, was an der ,hermeneutischen Methode‘ wissenschaftlich genannt zu werden verdient, durchaus dem Begriff der Empirie untergeordnet werden kann. Die vier Regeln des hermeneutischen Vorgehens, die z. B. Betti aufstellt, sind im Grunde selbstverständliche Richtlinien für jedes erfahrungswissenschaftliche Vorgehen. Wer zum Beispiel den Kanon der ,Autonomie des Objektes‘142 beachtet, wird niemals eine ,réflexion engagée‘ als wissenschaftlich annehmbar betrachten können. Wenn Flitner einerseits die ,hermeneutische Methode‘ als die spezifische Methode der Erziehungswissenschaft ausgibt, eben diese Wissenschaft aber andererseits als ,ein Denken vom Standort verantwortlicher Erzieher aus‘ bezeichnet, so verstößt er damit gegen das wichtigste Kriterium der hermeneutischen Methode, gegen die Wahrung der ,Autonomie des Objektes‘. In diesen für die moderne Grundlagendiskussion zentralen Fragen an Flitner lässt Lochner den Leser leider im Stich. Das dürfte mit der Unklarheit seiner eigenen methodischen Auffassungen zusammenhängen, die aus dem ersten Teil des Buches, aber auch aus Seite 459 ff spricht. Ohne genaue Analyse der 139 Lochner am 4.8.1964 an Brezinka. PAB. 140 Lochner am 3.1.1965 an Brezinka. PAB. 141 W. Flitner 1958, 22 ff. 142 Vgl. Betti 1962, 14 f.

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Begriffe ,Erklären‘ und ,Verstehen‘, ohne das Problem der Evidenz einzubeziehen und ohne sich der Forderung nach intersubjektiver Nachprüfbarkeit aller wissenschaftlich gemeinten Aussagen zu stellen, sind die von Flitner aufgeworfenen Fragen nicht zu lösen.“ Lochners fachgeschichtlicher Hauptteil schloss mit einem Kapitel über Brezinkas Abhandlung „Die Pädagogik und die erzieherische Wirklichkeit“ von 1959, „weil möglicherweise hier ein Vertreter einer jüngeren Generation die von A. Fischer inaugurierte Richtung doch noch zum Erfolg führt.“143 „Hier steht eine große Hoffnung vor uns. Es gibt nur wenige, nicht sehr bedeutende Punkte, in denen wir von den Auffassungen Brezinkas abweichen. Wofür wir seit fast vierzig Jahren kämpfen, scheint sich durch das Auftreten Brezinkas zu verwirklichen: die Begründung einer unabhängigen, gegenüber ideologischphilosophischen Konzeptionen freien, einer breiten Empirie aufgeschlossenen Wissenschaft der Erziehung. Sie ist nicht, wie man ihr vorwerfen könnte, philosophie-feindlich, sie verweist nur die Philosophie (und andere angebliche ,Grundwissenschaften‘) dorthin, wo sie zu Zwecken der Fundierung und Prinzipienklärung einer jeden konkreten Wissenschaft zu stehen haben: in die Rolle der Hilfswissenschaften, die mit ihren Konklusionen erst beginnen dürfen, wenn die harten Tatsachen gesprochen haben. – Wenn Brezinka, was wir wünschen, ,Schule bilden‘ sollte, dann ist für die deutsche Erziehungswissenschaft viel zu erwarten.“144 Der dritte systematische Teil des Buches war der „Grundlegung einer selbständigen Erziehungswissenschaft“ aus Lochners Sicht gewidmet.145 Darin wurden wissenschaftstheoretische, methodologische und terminologische Fragen behandelt, deren Klärung jedem Entwurf eines Systems vorausgehen muss. Am wichtigsten war ihm die Unterscheidung zwischen Erziehungswissenschaft und Erziehungslehre. Letztere sei „soweit möglich auf Erziehungswissenschaft zu gründen“, aber „Wissenschaft ist sie nicht, kann sie nicht sein, weil sie außer auf wissenschaftlichen auch noch auf anderen Grundlagen ruht“: auf orts-, gruppen- und zeitgebundenen Glaubensüberzeugungen, Wünschen, Meinungen, Erfahrungen usw. Deshalb seien Ratschläge und Handlungsanweisungen für die Erziehungspraxis nur als nicht-wissenschaftliche „Lehren“ möglich, aber nicht als Technologien im Sinne von „technischen Verfahren bei der Herstellung von Produkten.“146 143 Lochner 1963, 382. Über Aloys Fischer vgl. dort 311–323. 144 Ebenda, 384 f. 145 Ebenda, 523, 512. 146 J. Beckmann in Meier-Oeser 1998, 959.

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Diese prinzipielle Ausgrenzung von pädagogischen Zweck-Mittel-Lehren aus der Erziehungswissenschaft habe ich für verfehlt gehalten, weil sie auf einem veralteten engen mechanistischen Technologie-Begriff beruhte. Sie hing mit Lochners Vorstellung zusammen, die „neuere“ Erziehungswissenschaft müsse „das erzieherische Leben … in seiner Totalität, gesamtmenschlich, überzeitlich“ zu betrachten versuchen.147 Ich habe bemängelt, dass Lochner nirgends klar darauf hinweise, „dass die Erziehungswissenschaft auch dann Wissenschaft sein kann, wenn sie sich überwiegend auf ,Theorien mittlerer Reichweite‘148 beschränkt. Gerade darin aber scheinen mir die Zukunftsmöglichkeiten der Erziehungswissenschaft zu liegen, soll sie über ein dürftiges Gerüst allgemeiner Grundbegriffe und über wenige hochabstrakte Modelle sozialer Wechselbeziehungen hinauskommen, ohne methodisch wieder in das vorkritische Stadium zurückzufallen, das Lochner so treffend dargestellt hat…. Nimmt man die Spontanaktivität des Menschen, aber auch die Abhängigkeit des Werdens der Persönlichkeit von den sozialen und kulturellen Gegebenheiten ihrer historischen Epoche ernst, so wird man von der Erziehungswissenschaft in erster Linie ,Theorien mittlerer Reichweite‘ erwarten müssen, soll sie nicht völlig abstrakt und unhistorisch werden. In dieser Hinsicht führt Lochner seine Gedanken jedoch nicht konsequent bis zur Konzeption der Erziehungswissenschaft als einer empirisch begründeten Sozialwissenschaft durch…. In diesen inhaltlichen wie in den wissenschaftstheoretischen und methodischen Fragen hätte Lochner durch Berücksichtigung neuerer amerikanischer Autoren seine systematischen Ansätze sicher noch überzeugender ausgestalten können. Dabei hätte sich z. B. im Hinblick auf die Frage nach einer ,Technologie‘ der Erziehung auch ergeben, dass sie durchaus in den Rahmen der Erziehungswissenschaft gehört. Wenn man dieser zutraut, dass sie die realen erzieherischen Vorgänge erklären könne, dann ist nicht einzusehen, warum sie nicht auch prognostische Aussagen machen können soll, denn in logischer Hinsicht besteht zwischen einer Erklärung und einer Voraussage oder Prognose kein Unterschied.149 Es ist grundsätzlich durchaus möglich, im Erziehungsfeld typische Wirkungszusammenhänge aufzudecken, deren Formulierung von einer ,technologischen‘ Anweisung für das erzieherische Handeln unter diesen bestimmten angegebenen Bedingungen kaum mehr zu unterscheiden ist.“150 147 148 149 150

Lochner 1963, 514 f. Merton 1957, 5 ff. Stegmüller 1960, 447. Brezinka 1965, 285 f.

Zu Lochners kritischer Prinzipiengeschichte der Erziehungswissenschaft

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Dieser ungewöhnlich lange Besprechungsaufsatz hat seinen doppelten Zweck erfüllt, Lochner und sein Lebenswerk der Vergessenheit zu entreißen und zugleich seine Kritik an unzulänglicher Erziehungswissenschaft bekannt zu machen. Eine Nebenwirkung war freilich, dass ich von einem Teil der Kollegen allzu pauschal mit Lochners Ansichten identifiziert und als Störenfried betrachtet wurde. Von einigen Mit-Herausgebern der „Zeitschrift für Pädagogik“ wurde mir nahegelegt, die Rezension nicht selbst zu übernehmen, weil ich in seinem Buch gegenüber anderen Autoren unverdient gut beurteilt werde. Es wurde sogar erwogen, das Buch gar nicht besprechen zu lassen. Ich habe auf einer offenen Diskussion in der nächsten Herausgeber-Sitzung bestanden. Dort wurde beschlossen, dass Lochners Buch so rasch wie möglich besprochen werden soll. Ich wurde einstimmig gebeten, die Besprechung zu übernehmen. So konnte sie nicht mehr einem Gegner von Lochners Standpunkt zugespielt werden.151 Lochner hat anders als viele unserer Kollegen Kritik nicht übelgenommen, sondern ehrlich begrüßt: „Es scheint mir alles sehr gerecht, auch das, was Sie kritisch bemerken“.152 Ich habe ihn persönlich erst im Frühjahr 1971 zum ersten und einzigen Mal in seinem Urlaubsort Meran getroffen. Es hat aber von 1959 bis zu seinem Tod im Jahre 1978 einen intensiven wissenschaftlichen Briefwechsel mit ihm gegeben. Wir haben unsere Schriften gegenseitig kritisch diskutiert und verbessert. Er hat 1971 mein wissenschaftstheoretisches Buch „Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft“ handschriftlich auf 16 Seiten aus seiner Lebenserfahrung kommentiert. Im Vorwort zu seinem letzten Werk „Phänomene der Erziehung“ von 1975 hat er sich bei mir bedankt, „der durch Unbestechlichkeit in dieser Forschung so außerordentlich geholfen hat, übrigens auch dort, wo wir nicht ganz einer Meinung sein konnten: Nur Freunde können sich in der Gewissheit einer solchen Zusammengehörigkeit dergleichen erlauben.“153

151 Brezinka am 18.12.1964 in einem Brief an Lochner. PAB. 152 Lochner am 12.9.1965 an Brezinka. PAB. 153 Lochner 1975, XIII. Ähnlich Lochner 1978, 215.

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„DIE KRISE DER WISSENSCHAFTLICHEN PÄDAGOGIK IM SPIEGEL NEUER LEHRBÜCHER“: 1966 Seit meiner Studienzeit haben mich die Mängel der Pädagogik bedrückt. Ich habe dieses Fach nicht aus einem Drang zur wissenschaftlichen Arbeit gewählt, sondern als theoretische Vorbereitung auf einen praktischen Beruf als Erzieher, Lehrer, Seelsorger oder Psychotherapeut. In meinem Amt als Hochschullehrer stand nicht die Forschung im Mittelpunkt, sondern die Berufsausbildung künftiger Lehrer und anderer Erzieher durch Aufklärung über ihr Arbeitsfeld. Das erforderte breite Kenntnisse des relevanten Wissens, Konzentration auf das Wesentliche und Verständlichkeit. Mein Interesse an einer Systematisierung des erziehungstheoretischen Wissens hat den Blick auf neue Lehrbücher154 der Pädagogik für den Gebrauch an Hochschulen gelenkt. Obwohl an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen zig Tausende Studenten verpflichtet waren, Lehrveranstaltungen und Prüfungen im Fach Pädagogik zu absolvieren, gab es dafür nur sehr wenige Lehrbücher. Mit Abstand am weitesten verbreitet war Wilhelm Flitners „Allgemeine Pädagogik“ von 1933 in der umgearbeiteten Fassung von 1950, die bis 1974 in 14 Auflagen erschienen ist. Ihre methodische Grundlage war nicht empirische Forschung, sondern „das Philosophieren in der praktischen Situation“. „Die Pädagogik kann nur philosophierend zu Resultaten gelangen.“ „Echtes pädagogisches Denken steigt aus dem unmittelbaren Theoretisieren in der Situation des Handelns auf und kehrt, als Klarheit und Umsicht des Handelns ins Tun zurück.“155 Flitners Buch bot eine historisch begründete normative Philosophie der Erziehung auf der ethischen Basis eines aufgeklärten christlichen Humanismus. Es zeichnete sich durch Gedankenreichtum und eine schöne gepflegte Sprache aus, litt aber an unklaren Begriffen und relativ ungenauen Beschreibungen und Empfehlungen. In dieser Situation ist 1964 ein ausgesprochenes „Lehrbuch der systematischen Pädagogik“156 von Hubert Henz157 erschienen. Es ist aus Vorlesungen an 154 Zu Begriff und Problematik vgl. A. Wolf 1972. 155 W. Flitner 1950, 18 ff. – Zur Kritik vgl. Lochner 1963, 212–237; Tenorth 1991. 156 Henz 1964. 157 (1926–1994). Seit 1964 Professor an der Pädagogischen Hochschule Würzburg der Universität Würzburg. Kurzbiographie: Böhm 2005, 282. Ausführlich: Brezinka Bd. 3, 2008, 90–96.

„Die Krise der wissenschaftlichen Pädagogik im Spiegel neuer Lehrbücher“: 1966

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der Katholischen Pädagogischen Hochschule Eichstätt entstanden158 und versprach „Allgemeine und differentielle Erziehungswissenschaft“ (Untertitel). Ein Jahr später erschien eine „Einführung in die Pädagogik“159 von Fritz März160, die vom Verlag als „vorzügliches Handbuch für das Studium“ angekündigt worden ist. Diese beiden Werke habe ich zu rezensieren übernommen in der Hoffnung, dass sie dem Mangel an zeitgemäßen Lehrbüchern der wissenschaftlichen Pädagogik abhelfen. Das war leider nicht der Fall. Beide Texte waren so weit vom Ideal eines wissenschaftlichen Lehrbuches entfernt, dass sie mir als Beweisstücke für den schlechten Zustand des Faches Pädagogik und seiner akademischen Lehre erschienen sind. In Kenntnis ähnlicher etwas früherer Entwürfe „Systematischer Pädagogik“161 haben sie mich angeregt, eine Grundsatz-Debatte über „Die Krise der wissenschaftlichen Pädagogik im Spiegel neuer Lehrbücher“ zu eröffnen.162 Dieser Aufsatz im Umfang von 35 Seiten hat schlagartig große Beachtung gefunden und mir neben Zustimmung auch viel Gegnerschaft eingebracht. Ablehnung kam besonders aus christlichen Kreisen, weil die kritisierten Autoren bekennende Katholiken waren. Dass gerade ihre Texte untersucht wurden, war aus meiner Sicht Zufall, wurde aber irrtümlich für Absicht gehalten. Mein Beweggrund war nur, den Anspruch der Autoren abzuweisen, Beiträge zur wissenschaftlichen Pädagogik und – im Falle Henz – ein erziehungswissenschaftliches Lehrbuch für Studierende zu bieten. Ich wollte die Pädagogik nicht noch mehr in Verruf kommen lassen. Schon die Rede von einer „Krise“ der Pädagogik wirkte herausfordernd. Die Krise wurde von mir als vorhanden angenommen. Die Lehrbücher und Einführungswerke dieser Epoche wurden als Beispiele angesehen, weil sie ausdrücklich grundlegend-systematischen Charakter hatten und Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben. Meine Frage war: was lehren sie über die Inhalte oder das Lehrgut, den gegenwärtigen Stand und die offenen Probleme des Faches? Welches Wissen wird für die Studierenden als notwendig angesehen? Ausgegangen wurde von der wissenschaftstheoretisch noch ungeklärten Stel158 Henz 1964, VII. 159 März 1965. 160 (1934–), damals Dozent an der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, seit 1970 Professor für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Augsburg der Universität München. Kurzbiographie: Kürschner 2007, 2250. 161 Petzelt 1947; Ballauf 1962; Perquin 1961 (Rezension dieser „Skizze eines in sich geschlossenen pädagogischen Systems“ im Anschluss an Langeveld durch Brezinka, Zeitschrift für Pädagogik, 9. Jg., 1963, 442–447). 162 Brezinka 1966 a.

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lung der „Pädagogik“ an den Hochschulen und von den Anforderungen an erziehungswissenschaftliche Lehrbücher. Ich habe als Maßstab für deren Bewertung folgende sieben Grundsätze vorausgeschickt163 und beide Schriften danach beurteilt. „1. Gegenstand, Aufgaben, Verfahrensweisen und Grenzen der Erziehungswissenschaft, soweit sie Erfahrungswissenschaft ist, sollten deutlich abgehoben werden von denen der Philosophie der Erziehung, der als Anweisung für die Praxis gedachten Erziehungslehre und der Erziehungspolitik. In jedem Fall muss klar zwischen deskriptiven Aussagen und Erklärungen einerseits, normativen Sätzen und moralischen Postulaten andererseits unterschieden werden. 2. Die Grundbegriffe müssen sorgfältig herausgearbeitet, in eine logisch richtige Ordnung gebracht und stets in gleicher Bedeutung verwendet werden. Das ist in einer Wissenschaft, die vorwiegend Ausdrücke der Alltagssprache benutzt, von ganz besonderer Bedeutung. 3. Ein Lehrbuch soll inhaltlich den Erwartungen entsprechen, die durch den Titel geweckt werden. Es müsste das bieten, was nach dem heutigen Stand der pädagogischen Forschung und der Theorienbildung geboten werden kann. 4. Da durch Erziehung versucht wird, das Werden der Persönlichkeit zu beeinflussen, sollte eine wissenschaftliche Theorie der Erziehung die Forschungsergebnisse der Nachbarwissenschaften, die sich auf diesen Prozess und seine Bedingungen beziehen, ausreichend berücksichtigen. 5. Von den gesicherten Ergebnissen sind bloße Vermutungen deutlich zu unterscheiden. Für alle wichtigen Aussagen sollte die Begründung angegeben werden. Bisher ungelöste Probleme sind als solche zu kennzeichnen. Gegebenenfalls wären Alternativ-Annahmen mit ihrem Für und Wider anzuführen. Wo keines vorhanden ist, darf wissenschaftlich gesichertes Wissen auch nicht vorgetäuscht werden. 6. In formaler Hinsicht soll ein Lehrbuch leicht verständlich sein und sich auf das Wesentliche beschränken. Überflüssige Voraussetzungen sollten vermieden, neu eingeführte Begriffe sofort erklärt, Hypothesen als solche gekennzeichnet und Beweise folgerichtig geführt werden. 7. Lehrbücher sollten sprachlich zumindest einwandfrei sein, besser aber noch Muster der genauen Aussage und des guten Stils.“ Meine Analyse beider Bücher nach diesen Grundsätzen hat ergeben, dass sie elementaren wissenschaftlichen, philosophischen und publizistischen Standards nicht entsprechen und deshalb für Studierende der Pädagogik unbrauchbar sind. 163 Ebenda, 57 f.

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Das war ein hartes Urteil, dessen Begründung im Detail hier nicht dargestellt werden kann. Die Kritik schien mir „notwendig um der Leser willen, die den Inhalt eines Lehrbuches als repräsentativ ansehen für den gegenwärtigen Stand einer Wissenschaft. Sie ist ferner notwendig, um der Erziehungswissenschaft und denen, die an ihr arbeiten, weiterzuhelfen. Sie ist aber auch aus schul- und hochschulpolitischen Gründen notwendig. Wenn an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, mögen sie konfessionell oder simultan sein, in der Art dieses ,Lehrbuches‘ Pädagogik gelehrt wird, dann besteht der Anspruch, es handle sich dabei um Wissenschaft, zu Unrecht. Wenn den künftigen Lehrern nichts Besseres geboten wird, ist der Vorwurf, das Studium der ,Allgemeinen Pädagogik‘ sei nur Zeitverschwendung, nicht ganz unbegründet. Die deutschen Hochschullehrer der Pädagogik sollten verhindern, mit ihrem Fach in die trostlose Lage zu kommen, in der ihre Kollegen an den meisten Pädagogischen Fakultäten oder Departments der amerikanischen Universitäten schon länger sind. Der Tiefstand der pädagogischen Lehre und Forschung scheint dort von innen her kaum mehr überwindbar zu sein: zu viele Interessenten nutzen ihre Macht, um die Bemühungen kritischer Geister um einen höheren Standard zu vereiteln. Deshalb kommt Charles J. Brauner zu der Überzeugung, dass eine bessere Qualität der pädagogischen Theorie in den USA nur noch von außen erzwungen werden könne: ,Like racial integration, it will never be done voluntarily‘. Er schlägt vor, dass die Universitäten Sonderkommissionen errichten, die prüfen, was ihre Kollegen in den Pädagogischen Fakultäten und Instituten lehren und ihren Studenten zu lesen geben.164 Soll einem so radikalen Vorschlag bei uns der Boden entzogen werden, so wird es mehr als bisher notwendig sein, auf die Qualität der pädagogischen Publikationen zu achten und den Mut zu strengen Urteilen aufzubringen.“ Bei späterer Rückschau habe ich bereut, die beiden Bücher nicht schonender beurteilt zu haben. Dem Ansehen unseres Faches und der Autoren sowie meinem Ruf wäre damit besser gedient gewesen. Der Mehrheit meiner Kollegen war damals die Unterscheidung zwischen Pädagogik als praktischer normativer Erziehungslehre auf konfessioneller Basis und empirischer Erziehungswissenschaft noch fremd, die der junge Otto Willmann, Emile Durkheim und Rudolf Lochner zwischen 1876 und 1934 vertreten haben165. Sie hatten ihr Fach nur als Gemisch beschreibender, vorschreibender und spekulativer Sätze auf der Grundlage religiöser, philosophischer, weltanschaulicher oder politischer 164 Brauner 1964, 303. 165 Brezinka 1966 a, 73 f.

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Glaubenslehren kennen gelernt. Aus ihrer Sicht war die Anleitung der Studierenden zu glaubenskonformer Denkweise und Erziehungspraxis die oberste Pflicht der Lehrerbildner an konfessionellen Pädagogischen Hochschulen. Ihr Fehler war nur, glaubensabhängige Erziehungslehren und Erziehungsphilosophien als Erziehungswissenschaft anzubieten, ohne wissenschaftliche Regeln einzuhalten. Dieses Vorgehen war keinesfalls auf kirchliche Kreise beschränkt, sondern wurde von Anhängern aller Weltanschauungen bedenkenlos praktiziert. In den religiösen Gemeinden wie in den philosophischen Kreisen und politischen Verbänden ist die Erhaltung der gemeinsamen Glaubensgüter und Wertordnungen überlebensnotwendig und Kritik an ihnen verpönt. Deshalb wird von ihren Anhängern eine weltanschaulich unabhängige Empirische Erziehungswissenschaft als unzulänglich abgelehnt und die Pädagogik primär als glaubensgebundene „normative Soll- oder Wert-Wissenschaft“, letztlich also „Weltanschauungswissenschaft“166 angesehen. Damit wurde sie in den Dienst der jeweiligen Weltanschauung gestellt und die Freiheit von Forschung und Lehre auf glaubenskonforme und neutrale Inhalte beschränkt. Deshalb hat es in traditionsgebundenen Gesellschaften und totalitären Staaten öffentlich keine freie kritische und selbstkritische Erziehungswissenschaft gegeben. Das habe ich beispielartig am 21. September 1966 in Olmütz bei der II. Konferenz der Tschechoslowakischen Pädagogischen Gesellschaft erfahren. Sie hatte folgendes Thema behandelt: „Methodologische Fragen der Pädagogik und deren Beziehungen zu den Nachbarwissenschaften“. Mein Krisen-Aufsatz hatte bei einer kleinen Gruppe pädagogischer Forscher in der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, die „westliche“ Fachliteratur lesen durfte, Interesse gefunden. Das hat zur Einladung geführt, vor rund 200 Pädagogikern aus den meisten sowjetischen Satellitenstaaten einen Vortrag zur Wissenschaftstheorie der Pädagogik zu halten. Ich hatte für das brisante Thema einen trockenen Titel gewählt: „Zum Problem der Abgrenzung der Erziehungswissenschaft“. Bezweckt war damit, die von den Kommunisten erzwungene Parteilichkeit der Pädagogik wenigstens teilweise abzubauen.167 Durch die wissenschaftstheoretische Unterscheidung verschiedener Klassen oder Typen von Erziehungstheorien sollte ein Freiraum gewonnen werden für echte erziehungswissenschaftliche Forschung und Lehre. Es ging darum, für ihre Notwendigkeit einzutreten und gleichzeitig zu betonen, dass für die Erzie166 Göttler 1948, 13, 19. 167 „Die marxistisch-leninistische Philosophie bestimmt das Wesen der sozialistischen Pädagogik als Wissenschaft.“ Frankiewicz u. a. 1963, Bd. II, 672.

Der sogenannte „Positivismusstreit“ in der deutschen Pädagogik

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hungspraxis weltanschaulich gebundene praktische Erziehungstheorien unentbehrlich sind. Als Konsequenz meiner Unterscheidung dreier Arten von Erziehungstheorien wurde empfohlen, nicht länger jede Pädagogik als Wissenschaft anzuerkennen. In der damaligen politischen Situation – eineinhalb Jahre vor dem kurzen „Prager Frühling“ – wurde dieser Vorschlag generell als Angriff auf die Parteilichkeit der Pädagogik verstanden. Er hat gegensätzliche Reaktionen ausgelöst: begeisterte Zustimmung bei den regimekritischen Anhängern der Wissenschaftsfreiheit und sprachlose Empörung bei den Parteifunktionären. Alle wurden durch die Genossen der DDR-Delegation unter Leitung des Bildungshistorikers Helmut König168 scharf zur marxistisch-leninistischen Linientreue ermahnt. Trotzdem ist mein Text 1967 unzensiert in der tschechischen Zeitschrift „Pedagogika“ veröffentlicht worden.169 Er war der Keim, aus dem meine späteren Schriften zur Philosophie des pädagogischen Wissens entstanden sind. In Olmütz sind damals auch gute Beziehungen zu tschechischen Kollegen entstanden, insbesondere zu Alexandr Tucek170, dem ich die tschechische Übersetzung meiner „Metatheorie der Erziehung“171 verdanke.

DER SOGENANNTE „POSITIVISMUSSTREIT“ IN DER DEUTSCHEN PÄDAGOGIK Meine detaillierte „Kritik am diffusen, eher normativ-konfessionellen als wissenschaftlichen Status der erziehungstheoretischen Grundlegungsliteratur“ gehörte „zu den Texten, die für eine Vielzahl von Studierenden und Lehrenden der Pädagogik den Namen Brezinka folgenreich sichtbar gemacht haben.“172 Dieses Ereignis ist als „Positivismusstreit“173 oder „Rombach-BrezinkaKontroverse“174 in die Fachgeschichte eingegangen. Durch meinen KrisenAufsatz kam es jedenfalls „im Jahre 1966 zur großen Erschütterung im Bereich der theoretischen Pädagogik in Westdeutschland“ mit „unabsehbare(n) Wei-

168 (1920–2005), seit 1956 Professor für Geschichte der Pädagogik an der Humboldt-Universität Berlin. Kurzbiographie: Horn 2003, 270 f. 169 Brezinka 1967 a. 170 (1934–). Biographie: Cipro 2000, 490. 171 Brezinka 2001. 172 Tenorth 2004, 456. 173 Büttemeyer/Möller 1979. 174 Stettner 1979.

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terungen. W. Brezinka war anscheinend in ein Wespennest getreten“175. „Nachdem die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung in der Erziehungswissenschaft lange Zeit ruhte, hat sie Wolfgang Brezinka wieder neu entfacht, und zwar als Apologet einer Erziehungswissenschaft als Erfahrungswissenschaft“176. Diese und andere Zeitzeugen177 belegen das Aufsehen, das mein Artikel erregt hat. Er erschien in einer Epoche, die „aufs ganze gesehen … auf pädagogischem Gebiet durch eine erschreckende Impuls- und Ideenarmut gekennzeichnet“ war. Es fehlte „bei allem guten Willen der frische Wind in der Pädagogik der Gegenwart“. „Eine allgemeine Müdigkeit“ schien „sich in Deutschland über das erzieherische Denken gelegt zu haben“178. In diesem „müden“ und konfliktscheuen pädagogischen Klima wurde meine Kritik der Pädagogik als unerhörte Herausforderung erlebt. Sie hat teils Begeisterung, teils Entrüstung ausgelöst. Entrüstet hat 1967 vor allem Heinrich Rombach in der „Zeitschrift für Pädagogik“ reagiert.179 Er war ein an pädagogischen Fragen interessierter Philosoph und hatte als Sohn des Verlegers von 1952 bis 1955 das im Verlag Herder (Freiburg im Breisgau) erschienene „Lexikon der Pädagogik“ als Schriftleiter betreut180. 1957 wurde er wissenschaftlicher Leiter des im Verlag gegründeten „Willmann-Instituts“ der Pädagogik. Er hat die Programmschrift dieses Instituts verfasst, das „der Entfaltung einer christlichen, weltoffenen und modernen Pädagogik dienen“ sollte181. Seit 1964 hat er als Professor für Philosophie an der Universität Würzburg gelehrt182. Mit Hubert Henz als Autor des Herder-Verlags und der Schriftenreihe des Willmann-Instituts bestand eine enge Verbindung. Rombach hat „eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung“ (Untertitel) mit mir unter dem Titel „Der Kampf der Richtungen in der Wissenschaft“ im Umfang von 32 Seiten begonnen. Dabei ist er von meiner Kritik am Lehrbuch von Henz ausgegangen, aber leider ausdrücklich „ohne auf eine der inhaltlichen Fragen einzugehen und irgendwie in die Auseinandersetzung eingreifen

175 Stettner 1973, 19 f. 176 Mollenhauer 1968, 11 f. 177 Vgl. u. a. die Reihenfolge der zitierten Autoren bei Schaller 1968, 274 ff.: Dilthey 38, W. Flitner 24, Herbart 22, Derbolav 19, Brezinka 18, Popper 17, Litt 16, Lochner 15 Nennungen. 178 Bollnow 1959, 10 über „Die pädagogische Situation der Gegenwart“. 179 Rombach 1967. 180 Zu diesem Lexikon und meiner Mitarbeit daran vgl. S. 128 f. 181 Rombach 1967, 5. 182 (1923–2004). Kurzbiographie: Kürschner 2003, 2746.

Der sogenannte „Positivismusstreit“ in der deutschen Pädagogik

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zu wollen“183. Er wollte sich nur auf den Stil meiner Kritik konzentrieren und ihn als Folge einer einseitigen („monistischen“) Grundlagentheorie „in der Gestalt eines neuen und verschärften Empirismus und Positivismus“ nachweisen. Gegen ihn wollte er „entschieden Front machen“ und sich besonders „um die Ehrenrettung der philosophischen Pädagogik, d. h. zuletzt eigentlich um die Geltung der Philosophie als einer Wissenschaft“ bemühen184. Dazu benötigte er im ersten Teil 20 Seiten über „Grundsätze der Wissenschaftstheorie“ Rombach’scher Version im Allgemeinen mit Anklagen gegen meine „Fehleinstellungen“, die zur „Verstoßung ganzer Wissenschaftsgruppen aus dem Kreis der zugelassenen Wissenschaften“ führe, insbesondere „zur Verurteilung aller wertenden Disziplinen, … vor allem Philosophie und Theologie“.185 „Aufklärung“ sei „ein Hauptbegriff auch für Brezinka“. „Aber Aufklärung kann auch Blindheit bedeuten. Glaube ist nicht unbedingt ein Gegenbegriff gegen Erkenntnis“186. Brezinka verwende auch den Begriff „Erfahrung“ unkritisch. Es sei „ja im besten Sinne möglich, eine Wissenschaft wie die Theologie als eine Erfahrungswissenschaft zu bezeichnen“ oder „die Metaphysik als eine Erfahrungswissenschaft zu begreifen“187. „Niemand ist berechtigt, über die Ergiebigkeit einer Methode zu richten als der in der Methode arbeitende Wissenschaftler selbst“188. „Die Forderung nach endlich klargestellten Grundbegriffen ist so unwisssenschaftlich wie möglich“189 usw. Im zweiten Teil über „Anwendung der Wissenschaftstheorie“ wurde meine „außerordentlich scharfe und harte Polemik“ gerügt, die als Folge meines „Methodenmonismus … jeden anderen Ansatz (z. B. den normativen) über den Rand der Wissenschaft hinunterstößt“. Sie wirke „so vernichtend auf die interpersonale Zusammenarbeit und so verheerend auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit, dass unmittelbare Gegenwehr notwendig ist“190 gegen „herabsetzende Klassifizierungen“, „unkollegialen Stil“ und „verletzende Ausdrucksweise“. Die Redaktion der „Zeitschrift für Pädagogik“ hat in einer „Vorbemerkung“ diesen Vorwurf, „der auch die Redaktion mit trifft“, entschieden zurückgewiesen. „Der Rezensent urteilt zwar mit unerbitterlicher Schärfe, doch ist sein 183 184 185 186 187 188 189 190

Rombach 1967, 61. Ebenda, 37 ff. Ebenda, 45. Ebenda, 48. Ebenda, 51. Ebenda, 54. Ebenda, 59. Ebenda, 61.

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Urteil auf die Sache bezogen, nicht auf die Person des Autors. Man muss diese wie andere Rezensionen in dieser Zeitschrift im Hinblick auf die Tatsache sehen, dass das pädagogische Besprechungswesen, das durch Gefälligkeitsurteile heute erheblich diskreditiert ist, nur dann die Erziehungswissenschaft fördern kann, wenn strengste Maßstäbe angelegt werden, wie sie in anderen Disziplinen längst selbstverständlich sind. Wir haben Wolfgang Brezinka gebeten, in der nächsten Nummer zu den hier erhobenen Einwänden Stellung zu nehmen.“191 Das geschah 1967 kurz vor meinem Abgang aus Innsbruck nach Konstanz in einem Aufsatz „Über den Wissenschaftsbegriff der Erziehungswissenschaft und die Einwände der weltanschaulichen Pädagogik. Eine Antwort an Heinrich Rombach“192. Sie ist mir schwergefallen, weil Rombach mir Ansichten zugeschrieben hat, die ich nie geäußert habe, und von der Erziehungswissenschaft in seine hochabstrakte „Transzendentalphilosophie“ ausgewichen ist, die für mein Fach belanglos war. Es ging ihm darum, entgegen den wohl begründeten Abgrenzungsvorschlägen der modernen Wissenschaftstheorie auch für weltanschauliche, religiöse, metaphysische und ethische Behauptungssätze den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu sichern. Er warb mit großem Aufwand an informationsarmen Sätzen für einen radikalen methodologischen Subjektivismus. Bezweckt wurde damit, auch Glaubensinhalte, die mit dogmatischem Anspruch vorgebracht werden, als wissenschaftlich zulässig ausgeben und sie durch die Forderung nach „Methodentoleranz“ gegen jede intersubjektive Prüfung abschirmen zu können. Hier kann auf diesen Streit nicht näher eingegangen werden. Er hat zu keiner Einigung geführt, aber zur Klärung der Standpunkte beigetragen. Mein Krisen-Artikel und meine Antwort auf Rombachs Einwände haben international eine Lawine kontroverser Stellungnahmen ausgelöst193. Schon 1967 wurde in Moskau über meine Position als „in ihrem Kern positivistisch“ berichtet und der von mir geforderte Verzicht auf weltanschauliches Engagement in erziehungswissenschaftlichen Theorien als bedenklich bewertet194. Mein Standpunkt hat begrenzte Zustimmung gefunden, aber viel mehr Ablehnung in allen weltanschaulichen Schattierungen und mit großen Unterschieden in der Qualität der Argumentation. 191 Ebenda, 37. 192 Brezinka 1967. Nachdruck: Brezinka 1989, 122–159. 193 Nähere Angaben bei Brezinka 1971, VIII. 194 V. Malinin in der „Sovetskaja pedagogika“ 1967, Nr. 9, 152 ff.

Konferenzen und wissenschaftliche Gesellschaften

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Ich war im Gedränge der Berufspflichten auf diesen enormen Widerhall nicht vorbereitet und wissenschaftstheoretisch unzureichend gebildet. Ich hatte die in den empirischen Wissenschaften allgemein anerkannten elementaren methodologischen Regeln als selbstverständlich vorausgesetzt. Einige Schriften von Victor Kraft195, Karl Popper196 und Hans Albert197 sind mir für meine Arbeit ausreichend erschienen.198 Durch Rombachs Angriff wurde ich gezwungen, mich gründlicher zu orientieren. Dabei hat mir Rudolf Wohlgenannt199 viel geholfen – damals Assistent am Philosophischen Institut der Universität Innsbruck, seit 1969 Professor an der Universität Linz. Er hat in meinem Oberseminar mitgearbeitet und für 1967 ein Buch über den Wissenschaftsbegriff der Erziehungswissenschaft versprochen. Es sollte mich von der Vertiefung in den Irrgarten der Wissenschaftstheorie entlasten, damit ich mich ganz der systematischen Arbeit widmen kann. Es war vom Verlag Beltz schon als Band 1 der neuen von mir herausgegebenen Reihe „Studien zur Erziehungswissenschaft“ angekündigt worden, ist aber nicht zustande gekommen. Dadurch musste ich nun selbst die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung weiterführen, die ich verursacht hatte. Sie konnte erst 1971 an der Universität Konstanz mit dem Buch „Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft“ vorläufig abgeschlossen werden.

KONFERENZEN UND WISSENSCHAFTLICHE GESELLSCHAFTEN Meine Innsbrucker Stelle war reich an beruflichen Aufgaben und Sozialkontakten, aber arm an erziehungswissenschaftlich gebildeten Partnern. Fachlich war die Professur für Pädagogik in der Fakultät ein einsamer Außenposten, auf dem größte Anstrengung nötig war, aber wenig Verständnis und Unterstützung geboten wurde. Das Fach galt als ungesichert und nebensächlich. Die beiden Professoren der Philosophie und Psychologie als nächste Fachnachbarn verhielten sich distanziert. In dieser Lage wurden in der Universität neben den wenigen Mitarbeitern und einigen befreundeten Kollegen die begeisterten Studierenden zu meinen besten 195 (1880–1975). 196 (1902–1994). 197 (1921–). Von 1963 bis 1989 Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Universität Mannheim. 198 Brezinka 1997, 21. 199 (1924–1993). Vgl. als Leitlinie Wohlgenannt 1969.

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Helfern. Außerhalb der Universität konnte ich mich auf einen großen Sympathisantenkreis von Erziehungspraktikern stützen, der durch Vorträge, Seminare, Tagungen und Beratungsgespräche entstanden war. Er reichte von den Lehrern und ihren Standesvereinen über Eltern, Kindergärtnerinnen, Mitarbeiter der Jugendhilfe und Erwachsenenbildung bis zu Politikern und Bischöfen. Aus deren Fragen und Berichten, Wünschen und Aufträgen gab es viel zu lernen. Es wurde aber oft mehr an Wissen, Rat und Hilfe erwartet, als zu bieten möglich war. Nicht nur mein persönliches Wissen und Können wurde überschätzt, sondern vor allem auch die Qualität des pädagogischen Wissens im Allgemeinen und seine Anwendbarkeit in konkreten erzieherischen Situationen. Ich lebte in einer zunehmenden Spannung zwischen der Pflicht, Erziehern nützliches und ermutigendes Wissen zu vermitteln und der Einsicht in seine Ungewissheit und Unzulänglichkeit. Deshalb sehnte ich mich nach offenen Gesprächen mit hochrangigen Fachkollegen, die ähnlich wie ich an den Mängeln der Pädagogik litten und nach Abhilfe suchten. Unter diesen Umständen habe ich alle Möglichkeiten zu Treffen mit gebildeten Fachgenossen und Gelehrten anderer Fächer genutzt, die im provinziellen Innsbruck gefehlt haben. Eine wertvolle frühe Gelegenheit boten die jährlichen Zusammenkünfte der „Konferenz westdeutscher Universitätspädagogen“200, die seit 1952 veranstaltet worden sind. Ich hatte das Glück, schon 1959 als Würzburger Professor beim „Pädagogischen Hochschultag“ in Tübingen von den daran beteiligten Mitgliedern der Konferenz freundlich aufgenommen zu werden.201 Ab 1960 habe ich ihr als einziger in Österreich tätiger Professor angehört und im relativ kleinen Kreis von rund 30 bis 40 Mitgliedern die damaligen westdeutschen Professoren und Dozenten meines Faches kennenlernen können. Besonders anregend war im Oktober 1960 eine Konferenz in Kassel zum Thema „Die Entfremdung der Lehrer von ihrer Berufswissenschaft“. Sie wurde mit Vertretern der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände“ (AGDL)202 durchgeführt. Referenten waren Prof. Weniger von der Universität Göttingen und Dr. Karl Bungardt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dort habe ich erstmals Heinrich Roth203 persönlich getroffen. Er war seit 1956 Professor für Pädagogische Psychologie an der Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main und hat 200 Zu ihrer Geschichte vgl. Scheuerl 1987, 270 ff. 201 Vgl. in diesem Buch S. 203. 202 Sie war ein Zusammenschluss der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) mit dem „Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverein“ (BLLV). 203 (1906–1983). Biographie: Horn 2003, 322; W. Böhm 2005, 545.

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im Herbst 1961 den zweiten Lehrstuhl für Pädagogik (mit empirischem Schwerpunkt) an der Universität Göttingen übernommen. Wir sind Verbündete geworden im Bemühen um die Stärkung der Empirischen Pädagogik. Ich habe sein Buch „Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens“204 den Lehramtsstudierenden in Innsbruck als Pflichtlektüre vorgeschrieben. Im Sommer 1961 habe ich mit Roth als Hauptreferenten eine Fortbildungstagung für Südtiroler Mittelschullehrer durchgeführt. Später sind wir erziehungswissenschaftlich und bildungspolitisch verschiedene Wege gegangen, aber die gegenseitige Wertschätzung ist erhalten geblieben.205 Die 9. Konferenz hat im April 1961 in der Universität Saarbrücken unter dem Vorsitz von Prof. Josef Dolch stattgefunden.206 Es ging um die unzureichende Vertretung der Pädagogik an den Universitäten, die katastrophale Nachwuchslage und die Mängel des pädagogischen Begleitstudiums der Anwärter für das höhere Lehramt. Als Mindestausstattung des Pädagogischen Instituts einer kleineren Universität von der Größe Erlangens, Saarbrückens oder Innsbrucks wurde einstimmig Folgendes gefordert: zwei ordentliche Lehrstühle, drei Assistenten, eine Sekretärin (Schreibkraft), eine Bibliothekarin.207 Gestützt auf diesen Beschluss habe ich für den Mehrjahresplan meiner Fakultät eine Lehrkanzel Pädagogik II beantragt, die dem Spezialgebiet „Schulpädagogik“ gewidmet werden sollte.208 Bei der 10. Konferenz im April 1962 an der Universität Heidelberg stand die Notwendigkeit verstärkter und spezialisierter Forschung im Mittelpunkt.209 Skeptischer als Lehrstühle für Schulpädagogik wurden solche für Sozialpädagogik eingeschätzt. „Ein großer Bereich der ursprünglich pädagogischen Aufgabe sei in die Hände der Psychologen, Psychiater, Mediziner übergegangen. Die Pädagogen müssten sich erst das von jenen Erarbeitete aneignen. Vorläufig seien sie hier aber Dilettanten.“ Besser als Spezialfach ausgereift sei die Heilpädagogik, weil hinter ihr der Berufsstand der Sonderschullehrer mit qualifizierter Ausbildung stehe.210 Eine wichtige Aufgabe war bei jeder Konferenz die „Ordinarienbesprechung über Nachwuchsfragen sowie über die Pädagogischen Lehrstühle und ihre 204 Roth 1957. 205 Vgl. Brezinka 2007. 206 Vgl. Scheibe 1961. 207 Mein Bericht vom 26.6.1961 an das Bundesministerium für Unterricht. PAB. 208 In der Fakultätssitzung vom 28.4.1961. 209 Scheibe 1962; Kurzprotokoll des Pädagogischen Seminars der Universität Heidelberg vom 2.1.1963. PAB. 210 Protokoll, 10.

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Besetzung“. Sie hat mir zu einer vollständigen Kenntnis der aktuellen Personallage verholfen. Aus ihr wurde klar, wie gering damals die Chancen waren, für österreichische Lehrstühle der Pädagogik gute Kandidaten aus Deutschland gewinnen zu können. Ähnlich hilfreich für den geistigen Austausch mit hochrangigen Pädagogikern wie die Konferenz westdeutscher Universitätspädagogen war die Mitgliedschaft in der „European Society of Comparative Education“. Sie wurde bei einer Konferenz vom 4. bis 6. Mai 1961 im Institute of Education der Universität London gegründet.211 Professor Friedrich Schneider hatte mich gebeten, ihr als Gründungsmitglied beizutreten. So bin ich mit der europäischen Elite dieses Spezialfaches persönlich bekannt geworden, die ich als Schneiders Salzburger Assistent zwischen 1951 und 1953 nur aus ihren Schriften kannte. Besonders beeindruckt hat mich der 72-jährige aus Russland stammende Londoner Mit-Begründer des Faches Nicholas Hans.212 Er hat mir sein berühmtes Hauptwerk „Comparative Education. A Study of Educational Factors and Traditions“ mit Widmung geschenkt. Eine besondere Freude war die erste Begegnung mit der Direktorin des Pädagogisch-Didaktischen Instituts der Universität Amsterdam Prof. Helena W. F. Stellwag.213 Sie hat dort mein Buch „Erziehung als Lebenshilfe“ als Pflichtlektüre für Lehramts- und Hauptfachstudierende eingeführt. Von dort ist es auch bald in südafrikanischen Universitäten bekannt geworden. 1963 hat sie meine ersten Gastvorträge an den Universitäten Amsterdam und Nijmegen ermöglicht.214 Daraus ist eine lebenslange Freundschaft entstanden.215 Sehr bereichert hat mich in London auch der erste Kontakt mit dem brillanten polnischen Erziehungsphilosophen und Kulturhistoriker Bogdan Suchodolski.216 Er war ein breit gebildeter vielsprachiger Kritiker der bürgerlichen Kulturpädagogik, Psychologie und Anthropologie im Dienst einer sozialistischen Pädagogik. Ich verdanke ihm ein deutschsprachiges Geschenkexemplar mit Widmung seines materialistischen ideenpolitischen Hauptwerkes „Grundlagen der Marxistischen Erziehungstheorie“ (1961) im Umfang von 567 Seiten, das ich mit großem Gewinn kritisch durchgearbeitet habe. Der Vergleichenden Erziehungswissenschaft habe ich jedoch wenig Interesse und Zeit gewidmet. Ihrer Europäischen Gesellschaft bin ich nur aus Treue zu Schneider beigetreten. Ich habe nur noch 1967 in Gent (Belgien) an ihrer 211 212 213 214 215 216

Schneider 1970, 85; mein Taschenkalender 1961. PAB. (1888–1969). Kurzbiographie: Brezinka 1953, 587; W. Böhm 2005, 273. (1902–1996). Autobiographie: Stellwag 1993. Stellwag an Brezinka in Briefen vom 19.7. und 8.8.1962. PAB. Stellwag 1993, 61. (1903–1992). Biographie: Okon 1999, 290–316; Böhm 2005, 620.

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dritten Konferenz teilgenommen und auf Wunsch der Veranstalter zum Generalthema „The University within the Education System“ einen Vortrag über „The University of Konstanz: An Attempt to Reform the German University“ gehalten217. Die „Vergleichende Erziehungswissenschaft“ ist mir als ein fragwürdiges Spezialfach erschienen, das propagiert worden ist, bevor das Hauptoder Mutterfach „Allgemeine Erziehungswissenschaft“ aufgebaut und in der wissenschaftlichen Welt vorzeigbar war. Seine Qualität konnte zwangsläufig kaum besser sein als die des Mutterfaches.218 Am 30. April 1963 habe ich in der Universität Hamburg zu den Gründern der „Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft“ gehört. Sie ist auf Initiative von Heinrich Roth bei der 11. Konferenz der Westdeutschen Universitätspädagogen beschlossen worden. Sie hat sich 1964 konstituiert und Otto Friedrich Bollnow zum Vorsitzenden, Heinrich Roth zum stellvertretenden Vorsitzenden, Andreas Flitner zum Schriftführer und Josef Dolch zum Schatzmeister gewählt. Ihre erste Arbeitstagung hat 1965 in Kassel noch in Verbindung mit der Konferenz der Universitätspädagogen stattgefunden. Roth war mit dem langsamen Aufbau der Gesellschaft unzufrieden. Er hat sich in den 1965 gegründeten „Deutschen Bildungsrat“219 zurückgezogen und wollte mich für die planende Mitarbeit in der Gesellschaft gewinnen.220 Ich habe abgelehnt, weil ich mich „angesichts meiner begrenzten Kräfte … ganz auf die eigene wissenschaftliche Arbeit und auf die Ausbildung meiner Schüler und Mitarbeiter konzentrieren“ wollte.221 Ich bin aus vielen Gründen nur ein zahlendes Mitglied geblieben. Schon 1959 hatte mich die Einladung des Vorsitzenden der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ Prof. Helmut Plessner (Göttingen) erreicht, in deren „Ausschuss für Bildungs- und Schulsoziologie“ mitzuarbeiten.222 Ich habe zugesagt, aber nie Zeit dafür gefunden. Am 29. April 1964 wurde ich einstimmig zum ordentlichen Mitglied der Gesellschaft gewählt. Als Bürgen waren die Professoren Gerhard Wurzbacher (Kiel), Leopold Rosenmayr (Wien), Helmut Schelsky (Münster) und Arnold Gehlen (Aachen) tätig. Der Gesellschaft gehörten damals 290 ordentliche und 105 korrespondierende Mitglieder an.223 Es 217 218 219 220 221 222 223

Brezinka 1968. Zu Schneiders Beitrag und zur Kritik vgl. Brezinka 2003. Zu diesem vgl. Führ 1997, 66 ff. Roth am 1.4.1966 an Brezinka. PAB. Vgl. Brezinka 2007, 129. Brezinka am 25.4.1966 an Roth. PAB. Plessner am 12.6.1959 an Brezinka. PAB. Protokoll der Mitgliederversammlung vom 29.4.1964 in Heidelberg, Punkt 2. PAB; Mitgliederverzeichnis, Stand 20. Juli 1964.

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sind gute persönliche Beziehungen zu einigen führenden Soziologen entstanden und gegenseitige Gastvorträge an unseren Instituten erfolgt, die mich und unsere Mitarbeiter und Studierenden sehr gefördert haben. Durch die befreundeten katholischen Professoren Friedrich Schneider und Josef Dolch bin ich schon 1956 angeregt worden, mich der „Pädagogischen Sektion der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft“224 anzuschließen. Diese Sektion ist 1951 von Schneider vorgeschlagen, aber erst 1956 gegründet worden.225 Ich bin damals und später mit hervorragenden Gelehrten aus anderen Sektionen bekannt geworden, denen ich mich gerne angeschlossen hätte. Die Pädagogische Sektion ist jedoch seit ihrer Gründung von erziehungsphilosophisch-theologischen Esoterikern beherrscht worden, die der Empirischen Erziehungswissenschaft ebenso fern standen wie einer verständlichen Praktischen Pädagogik für christliche Erzieher. Als Sektionsvorstand dienten der scholastische Metaphysiker Gustav Siewerth226, der Münsteraner Pädagogiker Alfred Petzelt227 und der Münchner Pädagogiker Fritz Stippel228, ab 1964 Petzelts Schüler Marian Heitger229 als Vertreter einer empiriefeindlichen „Transzendentalpädagogik“. Dolch war das wissenschaftlich bedeutendste Mitglied der Sektion, aber ohne Einfluss auf ihren bildungsphilosophischen Kurs. Er hatte meine Würzburger Antrittsrede gegen die Konfessionalisierung der wissenschaftlichen Pädagogik „mit sehr großer Freude und lebhafter Zustimmung“ gelesen230und mein erstes Buch „von Anbeginn als die derzeit beste Einführung in pädagogisches Denken empfohlen“.231 Er hat sich von meiner Mitarbeit in der Sektion eine Abkehr vom veralteten Programm einer „christlichen Erziehungswissenschaft“ erhofft. „Ich glaube fast, wir zwei könnten – wenn ich nicht auf dem absteigenden Ast wäre – mit einigen Geistesverwandten eine Pädagogik zustan224 Zu dieser 1876 gegen die Vorherrschaft des weltanschaulichen Liberalismus gegründeten katholischen Organisation zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des wissenschaftlichen Nachwuchses vgl. Morsey 1986. 225 Briefliche Einladung zum Beitritt und zur Gründung der Pädagogischen Sektion durch den Präsidenten Prof. Dr. Hans Peters am 4.9.1956.PAB. Ipfling 1964; Müller 2014, 449 f. 226 (1903–1963). Kurzbiographie: Behler 1971, Massner 1970, 186–204. 227 (1886–1967). Biographie: Heitger 1971; Horn 2003, 308; Massner 1970, 204–238. 228 (1915–1974). Biographie: Schneider 1955, 484; Massner 1970, 179–186; Horn 2003, 353. 229 (1927–2012). Biographie: Horn 2003, 245; Böhm 2005, 280 und 636 ff. Ausführlich Brezinka, Pädagogik, Bd. 1, 2000, 513 f., 537–555; Müller 2014, 496 ff. 230 Dolch am 1.3.1959 an Brezinka. PAB. 231 Dolch am 22.10.1964 an Brezinka. PAB.

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de bringen“, die „auf einen gesicherten Bestand“ zielt. „Wir geraten (sonst) in einen Zustand, dass jeder Lehrstuhlinhaber an Universität oder Pädagogischer Hochschule seine Pädagogik hat – und darum gilt sie als Privatauffassung bei den anderen Fachleuten nicht viel.“232 Für diese Aufgabe, unserer Wissenschaft einen empirisch „gesicherten Bestand“ zu schaffen, hat in der „Pädagogischen Sektion der Görres-Gesellschaft“ das Verständnis und das Personal gefehlt. Sie ist unter der Vorherrschaft der Petzelt- und Heitger-Anhänger ein erziehungswissenschaftlich bedeutungsloses Reservat meiner Gegner geworden. Die geschilderten deutschen Konferenzen und die wissenschaftlichen Gesellschaften, in denen ich als österreichischer Professor beteiligt gewesen bin, haben wertvolle Kontakte und Orientierungshilfen geboten. Sie konnten aber den verheerenden Mangel an inländischen Partnern und Zusammenarbeit mit ihnen nicht ersetzen. Die 1957 erstmals nach deutschem Vorbild veranstaltete „Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen“ mit sechs Teilnehmern233 konnte nicht fortgeführt werden, weil die zur Teilnahme berechtigten Mitglieder durch Berufungen ins Ausland (Brezinka, Wolf), Tod (Lehrl) und Pensionierung (Strohal) auf zwei Personen zurückgegangen sind, die primär Psychologen waren (Bayr-Klimpfinger, Weinhandl). Erst am 30. Oktober 1964 ist es auf meine Initiative in Wien unter meinem Vorsitz zur „2. Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen“ gekommen.234 Die erste Wiener Lehrkanzel war von 1963 bis 1967 unbesetzt. Eine zweite für Schulpädagogik wurde 1965 neu errichtet und mit dem 66-jährigen pensionierten Gymnasialdirektor und Philosophie-Dozenten Ulrich Schöndorfer235 besetzt. In Graz hat das Fach Pädagogik nach der Pensionierung von Weinhandl endlich wieder eine selbständige Lehrkanzel für Pädagogik erhalten, die 1964 mit Alois Eder236 besetzt worden ist. An der 1962 wiedererrichteten Universität Salzburg hat Karl Wolf 1964 die Lehrkanzel für Pädagogik übernommen.237 So war es erst 1964 möglich, die Konferenz nach siebenjähriger Pause wiederzubeleben. Neben den drei Professoren aus Innsbruck, Graz und Salzburg hat ihr auch der Professor für Wirtschaftspädagogik an der Wiener Hochschule für Welthandel (seit 1975 „Wirtschaftsuniversität Wien“) Hans Krasensky238 232 Dolch am 14.4.1964 an Brezinka. PAB. 233 Vgl. Brezinka 2000, 201 f. und 475; 2003, 462 f. und in diesem Buch S. 165 ff. 234 Schleifer 1965; Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 543 f. 235 (1899–1984). Brezinka, Bd. 1, 2000, 510–513; 556–563. 236 (1919–2006). Brezinka, Bd. 1, 2000, 491 ff., 2003, 279 ff., 2014, 118 ff. 237 (1910–1995). Brezinka, Bd. 2, 2003, 216–226; 2008, 112–132; 2000, 563–570. 238 (1903–2006). Brezinka, Bd. 4, 2014, 31 ff., 68–83.

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angehört. Dazu kamen die Innsbrucker Dozentin für Heilpädagogik Maria Vogl239 und die fachlich nahestehenden Psychologinnen Sylvia Bayr-Klimpfinger240 und Lotte Schenk-Danzinger241. Diese sieben Mitglieder haben den 1963 von mir im Rahmen der Vorbereitung des Hochschul-Studiengesetzes von 1966 beim Unterrichtsministerium eingebrachten „Antrag auf Einführung des Diplom-Studiums der Erziehungswissenschaft“242 beraten und einstimmig befürwortet. Damit erhielt der Antrag als gemeinsames Unternehmen mehr Gewicht, als er vor der Besetzung der neuen Lehrstühle in Graz und Salzburg haben konnte. Offen blieb jedoch, ob an einer Universität im Sinne der von der Österreichischen Rektorenkonferenz erwogenen Schwerpunktbildung schnell ein verstärkter Ausbau der Pädagogik erfolgen soll, um dem Mangel an hochqualifizierten Lehrerbildnern für die 1968 einzurichtenden Pädagogischen Akademien abhelfen zu können. Gedacht war dabei vorwiegend an ein Aufbaustudium für einen relativ kleinen Kreis besonders leistungsfähiger Lehrer, Heil- oder Sozialpädagogen für leitende Positionen im Erziehungswesen, aber nicht an ein Grundstudium für Maturanten ohne pädagogische Berufserfahrung. Dieses elitäre Vorhaben ist misslungen. Mit der Einführung des Diplom-Studienganges ab 1973 hat die Menge der unvorbereiteten Studierenden der Pädagogik schlagartig zugenommen, bevor das Fach ausgereift gewesen ist. Die „3. Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen“ hat vom 6. bis 8. Mai 1965 in Anif bei Salzburg unter dem Vorsitz von Professor Karl Wolf stattgefunden. Der kleine Kreis von damals 13 teilnahmeberechtigten Mitgliedern hat intensive Beratungen zur gesetzlichen Neuordnung der Ausbildung für das Lehramt an allgemeinbildenden höheren Schulen ermöglicht. Es ist zu einer gemeinsamen Entschließung mit acht Vorschlägen243 gekommen, die an das Bundesministerium für Unterricht gerichtet wurden. Damit wurde vorübergehend erreicht, dass die skeptische oberste Schulbehörde begonnen hat, die Konferenz als nützlich anzuerkennen. Realistisch betrachtet hat die Konferenz allerdings fachlich wie organisatorisch völlig von meiner Initiative gelebt. Ich war mit Abstand das jüngste und aktivste Mitglied, wenig verstanden und heimlich um Leistung, Erfolg und Ansehen beneidet. Freundschaftlich offene Beziehungen gab es nur mit Wolf 239 (1922–1998). Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 487 ff. 240 (1907–1980). Brezinka, Bd. 1, 2000, 454–462. 241 (1905–1992). Brezinka, Bd. 2, 2003, 513–518; 281 ff. 242 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 530 ff. 243 Vgl. Brezinka 1965 a.

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und Bayr-Klimpfinger. Die anregende Vielfalt der großen deutschen und internationalen Konferenzen, bei denen es immer einige hervorragende Kollegen gab, hat im kleinen Österreich gefehlt. Wie bunt die staatlichen Ansuchen sein können, die einen Pädagogiker erreichen, zeigt die Einladung durch das Bundesministerium für Unterricht zu einer Konferenz über „Geistige Landesverteidigung“. Sie hat vom 24. bis 26. Juni 1963 im Bundesstaatlichen Volksbildungsheim Strobl am Wolfgangsee stattgefunden. Versammelt waren 61 Teilnehmer aus den Bundesministerien für Unterricht und Landesverteidigung, den Universitäten und dem Schulwesen, der Erwachsenenbildung, Jugendarbeit und Publizistik. Es sollte ein „erstes Konzept“ für den Beitrag der „geistigen Landesverteidigung“ zur ideellen Grundlegung der militärischen, wirtschaftlichen und zivilen Landesverteidigung der Republik Österreich erarbeitet werden.244 Zunächst bestand Unklarheit darüber, was diese Parole bedeuten soll. Ich habe deshalb folgende Begriffsbestimmung vorgeschlagen: „Unter ,geistiger Landesverteidigung‘ werden alle Bemühungen verstanden, die darauf abzielen, die seelische Bereitschaft der Staatsbürger zur Verteidigung Österreichs zu wecken, zu fördern und zu erhalten“. Sie hat als „Brezinka-Definiton“ öffentliche Geltung erlangt245 und den Unterrichtsminister Drimmel zu einem Dankschreiben veranlaßt.246

BERUFUNGSKOMMISSIONEN FÜR NEUE UNIVERSITÄTEN IN SALZBURG UND REGENSBURG Neben dem wissenschaftlichen Austausch auf Konferenzen und Gelehrtenversammlungen war die Mitarbeit in zwei Berufungskommissionen neuer Universitäten besonders lehrreich. Es ging um die Erstbesetzungen in den Philosophischen Fakultäten von Salzburg und Regensburg. Das erforderte nicht bloß Meinungsäußerungen über die fachliche und didaktische Eignung der vorgeschlagenen Wissenschaftler, sondern schwierige Vergleiche zwischen ihnen unter verschiedenen Gesichtspunkten bei großer Unsicherheit der individuellen Abschätzungen und ihrer Hintergründe. Die Verantwortung bei den Abstimmungen war schwer. Sie verlangte gründliche 244 Finder 1963, 36 ff. 245 Bundesministerium Für Unterricht 1963, Neue Volksbildung, 55; Brezinka 2003, 525. 246 Drimmel am 12. Juli 1963 an Brezinka: „Sie haben … durch Ihre Mitarbeit wesentlich zum Gelingen dieser Enquete beigetragen“. Zl. 2021-Präs./1963. PAB.

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Prüfung, stichhaltige Begründung, gewissenhafte Entscheidung und Redekunst – notfalls auch den Mut zu einem von der Mehrheit abweichenden Sondervotum für das Ministerium. Das einflussreiche Amt des Mitglieds einer Berufungskommission konnte aber auch Freude bereiten. Es war ein Vertrauensbeweis des Kollegiums. Die größte Freude stellte sich jedoch dann ein, wenn man den fachlich und charakterlich besten Kandidaten zur Anerkennung verhelfen oder die Wahl ungeeigneter verhindern konnte. Im „weichen“ Fach Pädagogik waren die Wertmaßstäbe allerdings so verschiedenartig und unsicher, dass Übereinstimmung besonders schwer erreichbar war. In der Universität Salzburg waren 1963 zwei Lehrkanzeln zu besetzen: eine für Philosophie und eine für Pädagogik. Das Unterrichtsministerium hat die drei alten Universitäten Wien, Graz und Innsbruck ersucht, je zwei (für Wien drei) Fachvertreter als Mitglieder einer interuniversitären Berufungskommission zu benennen.247 Für die Pädagogik hatte ein lokales „Proponentenkomitee“ dem Unterrichtsministerium eine „Lehrkanzel für Pädagogik und Kulturphilosophie“ mit den Namen Josef Derbolav (Bonn)248, Karl Wolf (Regensburg)249 und Leopold Prohaska (Salzburg)250 vorgeschlagen. Daran war die Berufungskommission jedoch nicht gebunden. Ich habe noch vor der ersten Sitzung Unterrichtsminister Drimmel brieflich gebeten, die Lehrkanzel auf „Pädagogik“ oder „Erziehungswissenschaft“ zu begrenzen. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass überall dort, wo ein Lehrstuhlinhaber Pädagogik und Philosophie zugleich zu vertreten hatte, dies immer auf Kosten der empirischen pädagogischen Forschung und einer praxisnahen Ausbildung der Lehramtskandidaten geschehen ist. Bei der Salzburger Neugründung müsste unbedingt die Gefahr vermieden werden, dass dieser Lehrstuhl wiederum mehr die philosophischen Neigungen seines Inhabers befriedigt als der Erziehungswissenschaft in Österreich dient. Ich halte es daher für unerlässlich, dass der Lehrstuhl ausschließlich auf die Erziehungswissenschaft beschränkt bleibt und mit einem qualifizierten Pädagogen besetzt wird, der in Forschung und Lehre bewusst darauf verzichtet, vor den vielen praktischen Problemen, die unser Erziehungswesen aufwirft, in das Philosophieren auszuweichen. Es handelt sich hier um eine ganz entscheidende Frage für die Zukunft des von mir zu vertretenden Faches, aber auch für die Zukunft des 247 248 249 250

Ausführliche Darstellung bei Brezinka, Bd. 3, 2008, 101–112. Über ihn vgl. S. 225 f. und Brezinka, Bd. 2, 2003, 272 ff. Über ihn vgl. S. 211 und Brezinka, Bd. 2, 2003, 216 ff. Über ihn vgl. S. 114 ff. und Brezinka, Bd. 3, 2008, 84 ff.

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österreichischen Schulwesens, insbesondere der österreichischen Lehrer­ bildung.“251 Drimmel hat postwendend am 8. März 1963 geantwortet, er sei „für diese Sachverhaltsdarstellung sehr dankbar“ und habe sie „den Salzburger Proponenten zugänglich“ gemacht.252 In der Berufungskommission war ich von sieben (später sechs) Mitgliedern das einzige auf einem allein der Pädagogik gewidmeten Lehrstuhl. Auf meinen vermittelnden Vorschlag wurde folgender Antrag an das Ministerium einstimmig beschlossen: „Die Widmung der Lehrkanzel ist für Pädagogik auszusprechen, wobei gegen die Berufung einer Persönlichkeit mit kulturphilosophischen Interessen nichts einzuwenden ist.“253 Die langwierigen Beratungen haben letztlich zu einer Mehrheit für Karl Wolf an erster Stelle der Liste geführt. Viel solider vorbereitet war die Errichtung der bayerischen Universität Regensburg. Der Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Ludwig Huber hat mich am 9. März 1966 in den Berufungsausschuss für den Fachbereich Philosophie der Philosophischen Fakultät berufen.254 Zu ihm gehörten die Fächer Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft. Für die Philosophie waren die Professoren Paul Lorenzen (Erlangen) und Max Müller (München) zuständig, für die Psychologie Prof. Wilhelm Arnold (Würzburg) und für die Pädagogik diente ich als Referent. Vorausgegangen war 1965 die Einsetzung eines Strukturbeirates aus 15 namhaften Professoren deutscher Hochschulen und eines Kuratoriums. Zunächst sollten zwei Lehrstühle für Philosophie (darunter ein katholischer KonkordatsLehrstuhl) und je einer für Psychologie und Pädagogik besetzt werden. Dafür wurden von den angesehensten Fachleuten Deutschlands Vorschläge und ausführliche Gutachten eingeholt, die in mehreren Sitzungen auf hohem Niveau sehr gründlich besprochen wurden. Ich beschränke mich hier auf den von mir ausgearbeiteten Vorschlag zur Besetzung des ersten Lehrstuhls für Pädagogik an der Universität Regensburg. Er ist bei der Kommissionssitzung in Nürnberg am 21. Januar 1967 einstimmig beschlossen worden. Er kennzeichnet die damalige Lage des Faches in der Bundesrepublik Deutschland und wird deshalb hier vollständig veröffentlicht.255 „Die Kommission ist bei ihren Überlegungen von folgenden Gesichtspunkten ausgegangen: 251 252 253 254 255

Brezinka am 6.3.1963 an Drimmel. PAB. Drimmel am 8.3.1963 an Brezinka. PAB. Abschrift im PAB. Mein Akt Berufungskommission Regensburg 1966/67. PAB. Ebenda, Typoskript im Umfang von 10 Seiten.

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1. Es ist ein Lehrstuhlinhaber erwünscht, der möglichst vielseitig orientiert ist. Er sollte durch Arbeiten auf dem Gebiet der allgemeinen oder systematischen Erziehungswissenschaft ausgewiesen sein. Persönlichkeiten, die sich bisher nur auf dem Gebiet der Geschichte der pädagogischen Ideen betätigt haben, sollten bei der Besetzung dieses ersten Lehrstuhles nicht berücksichtigt werden. 2. Der Lehrstuhlinhaber wird sowohl für die Ausbildung von Erziehungswissenschaftlern im Haupt- und Nebenfach als auch für das pädagogische Begleitstudium der Anwärter für das Lehramt an höheren Schulen verantwortlich sein. Es ist deshalb eine Persönlichkeit erwünscht, die auch mit den Problemen des Schulwesens vertraut ist und zu aktuellen schulpolitischen Fragen wissenschaftlich fundiert Stellung nehmen kann. 3. Da der Universität Regensburg auch eine Pädagogische Hochschule angeschlossen sein wird, mit der der künftige Lehrstuhlinhaber eine enge Zusammenarbeit pflegen sollte, ist es nützlich, wenn er die Lehrerbildung aus eigener Erfahrung kennt. 4. Für den Aufbau eines erziehungswissenschaftlichen Instituts ist eine dynamische und kontaktfähige Persönlichkeit erwünscht, die auch organisatorische Fähigkeiten besitzt. 5. Es herrscht derzeit in der Erziehungswissenschaft großer Mangel an habilitierten Nachwuchskräften, die berufbar sind. Die wenigen vorhandenen Privatdozenten heben sich durch ihre wissenschaftlichen Leistungen von den besten der nicht-habilitierten Persönlichkeiten, die als Dozenten und Professoren an Pädagogischen Hochschulen oder in erziehungswissenschaftlichen Forschungsinstituten tätig sind, keineswegs ab. Sie verdienen deshalb nicht unbedingt allein um ihrer Habilitation willen bevorzugt zu werden. Es erscheint vielmehr zweckmäßig, auch nicht-habilitierte Persönlichkeiten zu berücksichtigen, sofern sie durch die Qualität und den Umfang ihrer wissenschaftlichen Publikationen hervorragen. Unter diesen Voraussetzungen hat die Kommission die vorhandenen Möglichkeiten geprüft und sich dabei auch von den Pädagogik-Professoren Wilhelm Flitner (Hamburg), Georg Geißler (Hamburg), Josef Dolch (Saarbrücken), Hans Scheuerl (Frankfurt), Heinrich Roth (Göttingen) und Ernst Lichtenstein (Münster) durch Gutachten beraten lassen. Als Ergebnis der Beratungen hat die Kommission in ihrer Sitzung in Nürnberg am 21.1.1967 einstimmig beschlossen, folgenden Besetzungsvorschlag zu erstatten: 1. Prof. Dr. Karl Erlinghagen, geb. 13.5.1913 (o. Professor für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.).

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2. Prof. Dr. Wilhelm Roessler, geb. 19.12.1910 (o. Professor für Sozialpsychologie an der Universität Bochum). 3. Prof. Dr. Wolfgang Kramp, geb. 17.2.1927 (a. o. Professor der Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Berlin, Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin). Begründung: 1. Prof. Dr. Karl Erlinghagen Erlinghagen gehört dem Jesuitenorden an und hat nach Abschluss seiner theologischen Studien (1948) an den Universitäten Bonn und Hamburg Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Ethnologie studiert. Er hat 1953 an der Universität Hamburg bei Wilhelm Flitner mit einer Dissertation über ‚Bildungsideal und Lebensweise in der katholischen Pädagogik‘ (neu bearbeitet 1960 als Buch unter dem Titel ‚Vom Bildungsideal zur Lebensordnung‘ bei Herder, Freiburg, erschienen; 163 Seiten) promoviert. 1954 erhielt er den Lehrstuhl für Pädagogik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main. Daneben war er seither auch als Lehrbeauftragter für Pädagogik an der Philosophischen Hochschule Pullach bei München tätig. Seit dem 1.4.1965 ist er Ordinarius für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und Mitarbeiter des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik (Münster). Herr Erlinghagen hat sich schon durch seine Dissertation, die von Wilhelm Flitner und Georg Geißler mit ‚sehr gut‘ beurteilt worden ist, als ein besonders vielseitig orientierter und kritischer Denker erwiesen. Er hat durch seine Arbeit einen wertvollen Beitrag zur erziehungswissenschaftlichen Kategorienlehre geleistet und dazu beigetragen, die verwirrende und unfruchtbare Diskussion über das ‚Bildungsideal‘ zu klären. Die Dissertation ist in systematischer wie in historischer Hinsicht eine beachtliche Leistung. Er stellt darin einige seit Generationen kritiklos wiederholte Behauptungen der traditionellen katholischen Philosophie der Erziehung radikal in Frage. Neben seinem wissenschaftlichen Ertrag verdient dieses Buch auch als Zeugnis für die geistige Unabhängigkeit und den Mut des Autors Beachtung. Seit 1950 sind von Erlinghagen 70 Artikel in Zeitschriften, Sammelbänden, Pädagogischen Lexika und Handbüchern erschienen. Er hat sich dabei keineswegs auf Themen der Religionspädagogik beschränkt, sondern hat vor allem aktuelle Fragen der Schulreform und der Schulpolitik behandelt. Neben einer Aufsatzsammlung ‚Die Schule in der pluralistischen Gesellschaft‘ (1964) verdient besonders sein Buch ‚Katholisches Bildungsdefizit‘ (Freiburg 1965) Beachtung. Es ist eine außerordentlich kenntnisreiche und sorgfältig aus den Quel-

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len gearbeitete empirische Studie zur Soziologie des Schulwesens, die weit über Deutschland hinaus Anerkennung gefunden hat. Sie ist ein Beweis dafür, dass Erlinghagen sowohl die wissenschaftstheoretischen Grundlagen als auch die Methoden der empirischen Forschung beherrscht. Erlinghagen hat durch seine Publikationen und durch seine ausgedehnte Vortragstätigkeit viel dazu beigetragen, die bildungspolitische Diskussion in Deutschland von ideologischen Vorurteilen zu befreien, sie zu versachlichen und wissenschaftlich so weit wie möglich abzusichern. Er hat sich auch als Berater des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen große Verdienste erworben. Die für fachfremde Personen naheliegende Befürchtung, Erlinghagen würde als katholischer Priester und Angehöriger des Jesuitenordens eine konfessionell eingeengte Pädagogik lehren und fördern, ist gänzlich unbegründet. In seinen Diskussionsbeiträgen zum Thema ‚Konfessionalität und Erziehungswissenschaft‘ (Freiburg 1965, Herder) hat er sich sehr entschieden gegen alle Versuche ausgesprochen, wissenschaftliche Argumente und religiöse Bekenntnisse miteinander zu vermengen. Es ist bezeichnend für seinen geistigen Rang, dass Erlinghagen gerade auch von protestantischen wie von als liberal geltenden Erziehungswissenschaftlern hoch geschätzt wird. Wilhelm Flitner schreibt in seinem Gutachten vom 30.12.1966, dass ,Herr Erlinghagen ohne Zweifel faktisch so gut ausgewiesen ist, als ob er habilitiert wäre …. Man könnte schwerlich eine bessere Besetzung anderswie finden …, weil er 1. …eine solide philosophische Grundlage besitzt, 2. sich in bildungspolitischen Fragen ausgezeichnet auskennt, 3. Aussicht bietet, dass er sowohl die pädagogische Theorie gründlich vorzutragen wie auch empirische Untersuchungen zu leiten … in der Lage sein wird‘. Ebenso hat Georg Geißler in einem Brief vom 2.1.1967 die Kommission sehr ermuntert, Herrn Erlinghagen für die Besetzung des Lehrstuhls in Regensburg vorzuschlagen. Er lobt besonders seinen Sachverstand und ,sein unbestechliches sachliches Urteil‘. Auch Josef Dolch hat ihn in seinem Gutachten vom 8.1.1967 uneingeschränkt empfohlen. Er schätzt an ihm besonders ,die Weite des Blickes und der Arbeitsweise‘, seine ,Klugheit, Mäßigung, Sachlichkeit und Gerechtigkeit‘ als Diskussionspartner und erklärt von seinen Veröffentlichungen, dass sie ,nach Zahl und Qualität sehr wohl mit denen anderer Kandidaten konkurrieren können‘. Ganz besondere Beachtung verdient das ausführliche Gutachten des (protestantischen) Frankfurter Ordinarius und Vorsitzenden des Schulausschusses der Westdeutschen Rektorenkonferenz Hans Scheuerl vom 14.1.1967. Es heißt darin u. a.: ,In der gegenwärtigen Berufungssituation im Fache Pädagogik erscheint es mir unerlässlich, auch nicht habilitierte Kandidaten in Betracht

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zu ziehen. Unter ihnen scheint mir Herr Professor Erlinghagen sowohl durch seine akademische Lehrerfahrung wie durch seine Publikationen wie durch seinen Rang und seine Stellung in der bildungspolitischen und schulreformerischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland bei weitem den Vorzug vor den spärlich vorhandenen und öffentlich meist kaum ausgewiesenen Privatdozenten meines Faches zu verdienen …. An der Selbständigkeit seines wissenschaftlichen Urteils wie an der Unbestechlichkeit seines Blickes für die pädagogischen Realitäten und Notwendigkeiten scheint mir kein Zweifel angebracht. Die Klarheit seiner Diktion – sowohl in Veröffentlichungen wie im mündlichen Vortrag – sichert ihm auch einen in meinem Kenntnisbereich wiederholt bestätigten Lehrerfolg.‘ Prof. Scheuerl, der Erlinghagen seit dessen Hamburger Studienzeit kennt, lobt an ihm ferner ,die kollegiale Verbindlichkeit bei gleichzeitiger sachlicher Festigkeit, die Bereitschaft, sich zu exponieren und in Frage stellen zu lassen‘. In vielen Diskussionen habe er ,sich stets als ein profilierter Kopf mit eigenen Ideen erwiesen, der Impulse zu geben, verwickelte Situationen zu analysieren und zu klären vermag, und der zudem auch mit der wissenschaftstheoretischen und methodologischen Diskussion im Kreise der Pädagogik und ihrer Nachbardisziplinen fundiert vertraut ist‘. Scheuerl schreibt, er könne ,jeder Fakultät, die Herrn Professor Erlinghagen für sich zu gewinnen vermag, nur gratulieren‘. Nach anderen berufbaren Persönlichkeiten befragt, bedauert Prof. Scheuerl, dass er ,neben Pater Erlinghagen im Augenblick auf dem deutschen ,Markt‘ weder unter Habilitierten noch unter Nichthabilitierten irgend jemanden von einigem Rang zu erblicken vermag‘. 2. Prof. Dr. Wilhelm Roessler Roessler hat an den Universitäten Leipzig, Tübingen und Bonn von 1932– 1938 Germanistik, Geschichte, Philosophie, Pädagogik und Psychologie studiert und 1938 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen mit Auszeichnung bestanden. Er war anschließend als Studienreferendar und Studienrat (seit 1943) an Oberschulen für Jungen tätig, unterbrochen durch fünf Jahre Kriegsdienst, aus dem er zu 40 % kriegsbeschädigt zurückgekehrt ist. 1942 hat er mit einer germanistischen Dissertation an der Universität Bonn promoviert. Zwischen 1949 und 1957 hat er ausgedehnte Feldforschungen zur Situation der deutschen Jugend betrieben, aus denen sein Buch ‚Jugend im Erziehungsfeld. Haltung und Verhalten der deutschen Jugend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts‘ hervorgegangen ist (Düsseldorf 1957, 2. Auflage 1962; 541 Seiten). Von 1950–1957 war Roessler Fachleiter für Geschichte am Studienseminar in Bonn; seit 1950 auch Mitglied der wissenschaftlichen Prüfungskommission für das Fach Pädagogik und seit 1951 Lehrbeauftragter für Pädagogik an der Universität Bonn. Seit 1957 war er als abgeordneter Oberstudienrat am Insti-

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tut für Erziehungswissenschaft der Universität Bonn tätig. 1962 hat er sich mit dem Buch ‚Die Entstehung des modernen Erziehungswesens in Deutschland‘ (Stuttgart 1961; 513 Seiten) in Bonn habilitiert. Seit 1964 ist er ordentlicher Professor der Sozialpsychologie mit dem Schwerpunkt Erziehungswesen an der Ruhr-Universität in Bochum. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und seit 1965 auch Mitherausgeber der Zeitschrift ‚Bildung und Erziehung‘. In den wissenschaftlichen Publikationen Roesslers sind zwei Schwerpunkte erkennbar: die epochalpsychologische Jugendkunde und die Geschichte der Erziehung, insbesondere die Sozialgeschichte des Schulwesens im 19. Jahrhundert. Neben den beiden Büchern, die sich durch die Auswertung zahlreicher bisher unerschlossener Quellen und durch eine besonders anregende Darstellungsweise auszeichnen, liegen 36 Aufsätze in pädagogischen Fachzeitschriften vor, die Roessler vor allem als einen ausgezeichneten Kenner des höheren Schulwesens und seiner Geschichte ausweisen. Zu Fragen der systematischen Erziehungswissenschaft hat er sich bisher kaum geäußert. In den letzten Jahren standen – bedingt durch die Widmung seines Lehrstuhls – sozialpsychologische Studien im Vordergrund seines Interesses, ferner Untersuchungen über die Lehrlingsausbildung als Vorstudien für eine geplante Geschichte der Berufsausbildung. Herr Roessler ist ein anregender und besonders auf historischem Gebiet außerordentlich kenntnisreicher Wissenschaftler. Seine Schriften zeichnen sich durch großen Informationsgehalt und eine klare schlichte Sprache aus. Dass seine Fakultät ihn schon im dritten Jahr ihres Bestehens zum Dekan gewählt hat (1966/67), lässt vermuten, dass er auch um seiner menschlichen Qualitäten willen als Kollege großes Ansehen genießt. Gegenüber der dynamischen Persönlichkeit Erlinghagens wirkt Roessler bedächtiger. Er ist der Typ des zurückgezogenen historischen Forschers, während Erlinghagen als Autor und Lehrer vor allem die aktuellen pädagogischen Kontroversgegenstände bevorzugt und deshalb auf Studenten vermutlich anregender wirken dürfte. Aus diesem Grunde und wegen seiner Spezialisierung auf historische Themen wird Roessler erst an zweiter Stelle dieser Vorschlagsliste genannt, obwohl die Qualität seiner wissenschaftlichen Publikationen zweifellos auch eine Nennung an erster Stelle rechtfertigen würde. 3. Prof. Dr. Wolfgang Kramp Kramp hat von 1946–48 an der Pädagogischen Hochschule Hannover studiert und war anschließend bis 1952 als Volksschullehrer tätig. 1951 hat er die 2. Lehrerprüfung mit Auszeichnung bestanden. Von 1952–58 hat er an der Universität Göttingen Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Deut-

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sche Philologie und Geschichte studiert. 1956 wurde er in die ‚Studienstiftung des deutschen Volkes‘ aufgenommen. 1958 wurde er mit einer (ungedruckten) Dissertation über ‚Die Pädagogik des J. A. Comenius und das Problem der Verfrühung‘ in Göttingen zum Dr. phil. promoviert. Anschließend war er als Assistent für Schulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg und seit 1960 als wissenschaftlicher Assistent am Pädagogischen Seminar der Universität Frankfurt tätig. Seit 1960 ist er a. o. Professor der Erziehungswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Schulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Berlin und zugleich Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. 1964 hat er einen Ruf auf den ordentlichen Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hannover abgelehnt. Kramp ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und Mitherausgeber der Zeitschrift ‚Westermanns Pädagogische Beiträge‘. Prof. Kramp hat bisher relativ wenig publiziert. Es liegen nur 12 Aufsätze in pädagogischen Zeitschriften und 7 Beiträge zum ‚Pädagogischen Lexikon‘ (Stuttgart 1961) vor. Diese Arbeiten zeichnen sich jedoch durch ungewöhnlich reichen Informationsgehalt und eine selten anzutreffende Klarheit aus. Thematisch hat Kramp in erster Linie schulpädagogische Probleme behandelt: ‚Berthold Otto und der freie Gesamtunterricht‘ (1959), ‚Begriff und Problem des Gesamtunterrichts‘ (1961), ‚Überforderung als Problem und Prinzip pädagogischen Handelns‘ (1961), ‚Hinweise zur Unterrichtsvorbereitung für Anfänger‘ (1962); ferner sind hier seine Lexikonartikel über Gesamtunterricht, Epochalunterricht, Blockunterricht, Unterrichtsvorbereitung, Verfrühung und Schulpädagogik zu erwähnen. Daneben ist Kramp aber auch mit historischen und allgemein-erziehungswissenschaftlichen Studien hervorgetreten, wie u. a. seine Aufsätze ‚Neue Beiträge zur Comenius-Forschung‘ (1963), ‚Betrachtungen zur Pädagogik Makarenkos‘ (1963), ‚Fachwissenschaft und Menschenbildung‘ (1963) und ‚Die Frage nach dem Wesen der Erziehung‘ (1963) bewiesen. In den letzten Jahren hat Kramp eine ‚realistische Wendung‘ vollzogen und sich vorwiegend der empirischen Erforschung schulorganisatorischer Probleme gewidmet. Er hat u. a. Fragen der sozialen Selektion im Schulwesen, der Begabtenauslese und der Rollenprobleme des Lehrerberufes untersucht, über die schon in naher Zukunft Publikationen zu erwarten sein werden. Die Kommission hat bei ihren Überlegungen die Tatsache berücksichtigt, dass die Professoren und Dozenten an Pädagogischen Hochschulen durch Ausbildungs- und Prüfungsaufgaben übermäßig stark belastet sind und daher zur wissenschaftlichen Forschung und zum Publizieren sehr wenig Zeit finden. Unter diesen Umständen misst sie der überdurchschnittlichen Qualität der Publikationen von Kramp mehr Gewicht zu als der relativ geringen Zahl

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seiner Veröffentlichungen. Sie schätzt es auch, dass Kramp die letzten Jahre schweigend verbracht hat, um sich der empirischen Forschung zu widmen und damit ,die selbstgesetzte Bedingung für weitere Publikationen‘ zu erfüllen: ,nur noch etwas zu veröffentlichen, wenn ich über die Realität jenes Bereiches etwas Genaues sagen kann, für dessen Erkundung ich bezahlt werde‘. Diese Stelle aus einem Brief Kramps vom 27.12.1966 scheint für seine solide Arbeitsweise ebenso bezeichnend zu sein wie für seine unkonventionell frische Persönlichkeit. Nach Aussagen von Prof. Scheuerl soll er einen großartigen Lehrerfolg haben. Von seinen Aufsätzen schreibt Scheuerl: sie ,sind so klar und erfrischend in ihrer Diktion, so scharf und zupackend, so kritisch und zugleich so profund, dass sie viel emotionalen Nebel, der über den Niederungen pädagogischer Literatur zu liegen pflegt, beseitigen helfen‘ (Gutachten vom 18.6.1966). Nach Herrn Erlinghagen scheint Kramp unter den derzeit berufbaren jüngeren Persönlichkeiten die geistig lebendigste zu sein. Man wird von ihm noch beachtliche wissenschaftliche Leistungen erwarten dürfen. Die Kommission hat auch die bayerischen Privatdozenten der Pädagogik eingehend gewürdigt, hält aber derzeit keinen für qualifiziert genug, um ein Ordinariat an einer Universität ausfüllen zu können. Sie ist in dieser Auffassung durch die Stellungnahmen der 6 auswärtigen Gutachter bestätigt worden, von denen keiner die Nominierung eines bayerischen Dozenten vorgeschlagen hat.“

BEGABTENSUCHE FÜR DAS STUDIUM DER PÄDAGOGIK UND DIE AKADEMISCHE LEHRERBILDUNG Aus allen Beratungen und Umfragen zur Besetzung von Lehrstühlen für Pädagogik westdeutscher und österreichischer Universitäten, an denen ich seit 1960 beteiligt gewesen bin, ist Folgendes hervorgegangen: es gab zu wenige geeignete Anwärter; die Maßstäbe zu ihrer Bewertung waren unklar, weich und widersprüchlich; die Gefahr von Fehlbesetzungen war beträchtlich.256 In meinem kleinen Innsbrucker Wirkungskreis habe ich auf weite Sicht nur zwei Möglichkeiten gesehen, Abhilfe zu schaffen: erstens durch Förderung strenger Promotionsstudien eigener Schüler und Mitarbeiter zum Erwerb des Doktorats der Philosophie aufgrund vorzüglicher erziehungswissenschaftlicher Dissertationen; zweitens durch Habilitationen und Berufungen hervor256 Vgl. auch die intensiven Bemühungen von Weinhandl zur Besetzung der 1963 neu geschaffenen Lehrkanzel an der Universität Graz. Brezinka, Bd. 2, 2003, 264 ff. Ferner die Beratungen an der Universität Wien von 1963–1965 bei Brezinka, Bd. 1, 2000, 494 f.

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ragender auswärtiger Kandidaten auf neu zu schaffende Dienstposten. Beides forderte viel Zeit und hing weitgehend von zufälligen Umständen und unberechenbaren Personen ab. Für die Förderung von Studierenden im Allgemeinen kam es zu allererst auf lehrreiche und anziehende Vorlesungen an. In den ersten drei Jahren als Innsbrucker Professor habe ich die meiste Zeit und Arbeitskraft für ihre Ausarbeitung zu einem Turnus von sechs Semestern benötigt. Sie mussten für alle Hörer grundlegend gestaltet werden, aber auch Interesse für weiterführende Studien wecken. Die große Menge der beruflich in das Lehramt an Höheren Schulen strebenden Studierenden ist mir bis zur Lehramtsprüfung unbekannt geblieben. Näher gekommen sind mir nur die relativ wenigen Teilnehmer an Seminaren und Exkursionen. In den Proseminaren und Seminaren waren pädagogisch besonders interessierte Lehramtsstudierende und Hauptfachpädagogen gemischt. Abgesehen von den Sprechstunden sind nur dort persönliche Kontakte mit Dozenten und Assistenten möglich geworden. Sie waren für mich die erste Gelegenheit, unter den Interessenten für Doktoratsstudien jene zu finden, die dazu vermutlich auch begabt zu sein schienen. Das war schwierig einzuschätzen, weil es fast allen an solider psychologisch-pädagogischer Vorbildung gefehlt hat. Beruflich gab es damals für Doktoren der Philosophie mit Schwerpunkt Pädagogik nur wenige akademische Arbeitsplätze. Für den Zugang in das höhere Schulwesen war allein das staatliche Lehrbefähigungszeugnis für mindestens zwei Hauptfächer erforderlich.257 Auch für das „Lehramt der Pädagogik an den Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten“, die 1968 durch „Pädagogische Akademien“ ersetzt wurden, war kein Doktorat erforderlich.258 Unter diesen Bedingungen auf dem pädagogischen Arbeitsmarkt hat es lange nur wenige Interessenten für ein Doktoratsstudium der Pädagogik mit der schwierigen Hürde der Dissertation gegeben. Das hat sich durch das Schulorganisationsgesetz von 1962 schnell geändert. Die Studiengänge an den Pädagogischen Akademien sollten hochschulartig mit Vorlesungen und Seminaren betrieben werden und der Lehrplan sah „Humanwissenschaften“ als zentrale Pflichtgegenstände vor.259 Die spätere Umwandlung der Akademien zu „Pädagogischen Hochschulen“ nach deutschem Muster war vorhersehbar. Das hat im Lehrkörper der Lehrerbildungsanstalten und bei aufstiegswilligen jüngeren Pflichtschullehrern zu erhebli257 Vorschriften für Österreich bei Mosser/Reitterer 1934. 258 Ebenda, 42 f.; Brezinka, Bd. 1, 2000, 158 ff. 259 Vgl. Schulorganisationsgesetz 1962 samt Novellen bei Jonak/Kövesi 1993, 298 ff.

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chem Andrang zum Studium der Pädagogik als Hauptfach geführt. Da das Diplom-Studium erst 1973 bewilligt worden ist, blieb bis dahin nur das Doktoratsstudium möglich.260 Diese im Lehrberuf tätigen Interessenten sind in ihrer Ausbildung an Lehrerbildungsanstalten wie in ihrer Berufspraxis und amtlichen Fortbildung meistens nur mit der vorwissenschaftlichen Praktischen Pädagogik auf religiösethischer oder weltanschaulicher Basis bekannt geworden. Sie fühlten sich als erfahrene Unterrichtspraktiker und bewährte Jugend- und Erwachsenenbildner, aber die strenge erziehungswissenschaftliche Arbeit, ihre Schwierigkeiten und notwendigen geistigen Voraussetzungen waren ihnen fremd. Sie stellten sich eine Dissertation als literarische Auswertung ihrer Berufserfahrungen vor. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie ihr Studium neben ihren unverminderten beruflichen und familiären Pflichten durchzuführen versucht. Für den Erwerb breiter Kenntnisse der Fachliteratur und regelmäßige kritische Forschungsgespräche blieb keine Zeit. Deshalb habe ich von solchen „Privatstudien“, „Fernstudien“ oder „Scheinstudien“ abgeraten. Sie haben im verschwommenen Fach Pädagogik ohne fortlaufenden kritischen Beistand nur selten zum Erfolg geführt. Ich habe in meinen Sprechstunden viel Zeit damit verbracht, über die Anforderungen des Doktoratsstudiums der Erziehungswissenschaft aufzuklären und naive Vorstellungen vom leichten Promotionsfach zu widerlegen. Entscheidend aber waren die Aufnahmeprüfungen ins Seminar, die Qualität der Seminararbeiten und die Dissertantenprüfung.261 Durch sie ist eine relativ frühe Auslese und Unterstützung von Talenten ermöglicht worden. Abweisungen mussten gut begründet werden und durften nicht hartherzig erfolgen. Sie fielen besonders schwer bei strebsamen älteren Südtiroler Volksschullehrern, die als gute Praktiker galten, für leitende Positionen gebraucht wurden und nur am (in Südtirol schulfreien) Mittwoch von weither zu den Vorlesungen nach Innsbruck anreisen konnten. Als Beispiel sei mein Brief an einen um Schule und Dorfkultur hochverdienten Lehrer aus einem entlegenen Bergdorf an der Grenze zum Trentino angeführt.262

260 Brezinka, Bd. 1, 2000, 218. 261 Vgl. in diesem Buch 248 f. 262 Akt Schüler: Briefe und Gutachten bis 1967. PAB. Der betroffene Lehrer hatte sein Studium schon längere Zeit vor meinem Dienstantritt ohne Betreuung begonnen.

Begabtensuche für das Studium der Pädagogik und die akademische Lehrerbildung

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„Sehr geehrter Herr … 20.11.1961 Es tut mir aufrichtig leid, dass ich am vergangenen Mittwoch zu dem von Ihnen gewünschten Gespräch nicht mehr Zeit gefunden habe. Ich hatte selbst seit langem vor, mit Ihnen über Ihr Studium zu sprechen und hätte das auch längst getan, wenn ich gewusst hätte, dass Sie schon wieder unter so schwierigen Bedingungen hin und her fahren müssen, um Beruf und Studium zu verbinden. Dass Sie ein fleißiger Arbeiter sind, weiß ich ja seit langem. Aber darüber hinaus besitze ich nur wenige Unterlagen, um mir ein Bild von Ihren wissenschaftlichen Leistungen und damit auch von Ihren Aussichten, zum Abschluss des Studiums zu gelangen, machen zu können. Ich muss mich daher vorwiegend auf Ihre Seminararbeit aus dem letzten Sommersemester stützen, die ja auch als eine Art Vorprüfungsarbeit gedacht gewesen ist. Ich habe sie gründlich durchgesehen und bei größter Nachsicht nicht besser als mit ‚noch genügend‘ beurteilen können. Sie bringen darin nur eine Aneinanderreihung unzusammenhängender Gedanken und Zitate. Es fehlt die Übersicht, wie sie eben nur aus einer wirklichen Beherrschung des Stoffes hervorgehen kann. Ich habe Ihre eigenen Gedanken und die Selbständigkeit bei der Anlage der Arbeit ganz vermisst. Ich hatte ursprünglich gehofft, Ihnen auf Grund dieser Seminararbeit sagen zu können, ob und wann Sie Aussicht haben, die Dissertantenprüfung mit Erfolg ablegen zu können. Ihre Arbeit hat mir jedoch zu meinem aufrichtigen Bedauern nur gezeigt, dass es vorläufig noch nicht sinnvoll wäre, Sie mit der Arbeit an einer Dissertation beginnen zu lassen. Sie müssten sich mindestens noch ein ganzes Jahr intensiv und ausschließlich mit dem Studium der Pädagogik befassen. Aber selbst falls Ihnen das möglich sein sollte, wage ich nicht, mit Sicherheit zu sagen, ob Ihre besondere Begabung überhaupt auf dem Gebiet der Erziehungswissenschaft liegt. Es spricht manches dafür, dass Sie sich lieber ein anderes Fach für die Dissertation suchen sollten. Ich kann mir denken, dass Sie dieses Urteil schmerzen wird, aber ich glaube, Ihnen ein klares Wort schuldig zu sein, zumal Sie für Ihr Studium schon so große Opfer gebracht haben. Sie sollten sich nun gut überlegen, wie Sie das Studium am besten zu einem guten Abschluss bringen. Nur um der pädagogischen Vorlesungen willen jeden Mittwoch die weite und gefährliche Strecke hin und her zu fahren, das können weder Sie noch ich verantworten. Sachlich wird damit für Ihr Studium nicht viel erreicht. Bitte schreiben Sie mir rechtzeitig, wann Sie wieder nach Innsbruck kommen, damit wir uns noch einmal gründlich über Ihre Pläne aussprechen können. Mit guten Wünschen und freundlichen Grüßen“

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Selbstverständlich wurden für die Lehrerbildung an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen im Idealfall Professoren und Dozenten gebraucht, die selbst ein Lehramtsprüfungszeugnis erworben und sich einige Jahre in der regulären Schulpraxis bewährt haben. Mit diesem alten Bildungsweg über die Schulfächer und mehrjährige Unterrichtspraxis war jedoch eine wissenschaftlich hinreichende pädagogische und psychologische Ausbildung von Lehrerbildnern schwer vereinbar. Sie hätte ein zweites Studium mit Promotion in Psychologie und Erziehungswissenschaft erfordert. Dazu war nach einer durchschnittlichen Studiendauer der Lehramtsanwärter von 12 Semestern und einem mittleren Abschlussalter von 26 Jahren (in Österreich zwischen 1950 und 1965)263 und dem folgenden „Probejahr“264 fast niemand bereit. Aus diesem Grund bestand nach der Akademisierung der Pflichtschullehrerausbildung in allen Ländern ein katastrophaler Mangel an geeigneten schul­ erprobten Pädagogikern für die neuen Professuren. Das seit Generationen bekannte Leiden der Gymnasiallehrerausbildung an diesem Mangel gefährdete nun auch die praxisnahe pädagogische Ausbildung der Pflichtschullehrer. In dieser bedrückenden Situation habe ich schon 1957 bei der ersten Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen als „Vorbedingung für jede Reform“ den „Ausbau der Pädagogischen Institute an den Universitäten“ gefordert. „Die künftigen Lehrerbildner konnten bisher durch die Universitäten nur ungenügend auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Dem großen Mangel an gut geschulten Lehrerbildnern kann nur durch eine Reform der Pädagogischen Institute an den drei österreichischen Universitäten abgeholfen werden. Erst wenn sie leistungsfähig sind, kann eine ausreichende Zahl von Personen ausgebildet werden, die zum Träger der neuen Lehrerbildung werden können.“ Dazu notwendig sei die „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ durch „Auslese begabter Lehrer“ und „Vermittlung von Stipendien für das Studium der Pädagogik und ihrer Randgebiete (im In- und Ausland)“.265 Im Brief der Konferenzteilnehmer an den Unterrichtsminister wurde betont, dass es sich bei der Reform der Lehrerbildung „um ein Ziel handelt, dass nicht sofort verwirklicht werden kann, sondern auf lange Sicht ins Auge gefasst wer263 Rieder 1968, 178. 264 1987/88 ausgelaufen und durch ein einjähriges „Unterrichtspraktikum“ ersetzt: Bundesgesetzblatt Nr. 145/1988. Engelbrecht, Geschichte, Bd. 5, 1988, 381; Engelbrecht 2015, 244. 265 Brezinka: Gutachten, April 1957. In: Brezinka: Beiträge, Klagenfurt 2008, 16 f. Ebenda die „Stellungnahme der österreichischen Universitätspädagogen zur Frage der künftigen Ausbildung der Pflichtschullehrer“ vom 25. April 1957 für den Bundesminister für Unterricht Dr. Heinrich Drimmel, gezeichnet von Prof. Richard Strohal, 18–20.

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den muss. Die Erfahrungen, die in dieser Hinsicht in einigen deutschen Bundesländern gemacht wurden, warnen davor, neue Formen einzuführen, ehe die geeigneten Personen vorhanden sind, die die Erfüllung dieser neuen Formen garantieren.“266 Leider ist dieses Bemühen um weitsichtige Planung im Unterrichtsministerium wie bei den Schulpolitikern ohne Wirkung geblieben. An den Universitäten haben Verständnis, Mitverantwortung und Unterstützung für den Ausbau der Pädagogik völlig gefehlt. Als fünf Jahre später die Einigung der großen Koalition von ÖVP und SPÖ über die Schulgesetze von 1962 bevorstand267, habe ich in drei Zeitungsartikeln an die Folgen dieser verhängnisvollen Untätigkeit erinnert. „Es gibt keine Lehrkräfte, die für die neue Aufgabe genügend vorbereitet sind.“ „Wir brauchen eine Studienstiftung für künftige Lehrerbildner“, die es einer Elite jüngerer Lehrer und Lehrerinnen ermöglicht, „unter Beibehaltung ihrer Bezüge für das Studium der Erziehungswissenschaft an inund ausländischen Universitäten beurlaubt“ zu werden.268 Das war eine weltfremde Wunschvorstellung, die gar nicht zu meinen Erfahrungen mit wirklichen Lehrern, Pädagogikern und dem Sammelsurium pädagogischer Theorien gepasst hat. Was an den Universitäten als Pädagogik gelehrt wurde, war überall von einer gediegenen Wissenschaft noch weit entfernt. Sie zu studieren konnte selbst nach Promotion und Habilitation nicht gewährleisten, ein guter Lehrerbildner zu werden. Am Ende waren eher eng spezialisierte Erziehungsforscher statt vorbildliche universale Erziehungspraktiker zu erwarten. Das Interesse von Lehrern am Studium der Erziehungswissenschaft war ja nicht selten eine Flucht aus der mühsamen und mäßig bezahlten schulischen Arbeitswelt in einen akademischen Schreibtischberuf. Außerdem gab es für die Auswahl der Stipendiaten keine verlässlichen psychodiagnostischen Mittel zur langfristigen Voraussage der vagen berufsspezifischen Eignungsmerkmale von Lehrerbildnern. Schon deshalb war keine planvolle staatliche Bevorzugung von bewährten Lehrern als möglichen Anwärtern einer etwaigen künftigen Lehrerbildner-Elite zulässig. Einen Sonder-Studienweg für sie konnte es nicht geben. Sie mussten aus den regulären Absolventen des Studiums der Erziehungswissenschaft gewonnen werden. Der Anfang mit den Doktoratsstudien wurde durch zwei Südtiroler Studierende gemacht, die ich 1960 in fortgeschrittenem Stadium vorgefunden hatte. 266 Strohal 1957 bei Brezinka: Beiträge, Klagenfurt 2008, 19. Vgl. in diesem Buch S. 166 ff. 267 Vgl. Engelbrecht 2006. 268 Brezinka: Wer bildet die Lehrerbildner? Österreichische Hochschulzeitung, 15.4.1962, Nachdruck: Brezinka: Beiträge, Klagenfurt 2008, 40–45. Vgl. in diesem Buch S. 265f.

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Andreas Stoll269 hatte nach der Matura an der Lehrerbildungsanstalt Meran und dreijähriger Berufspraxis als Volksschullehrer 1958 das Studium der Erziehungswissenschaft begonnen. Als Beispiel einer schriftlichen Dissertantenprüfung seien hier jene Themen aus der Allgemeinen und der Historischen Pädagogik angegeben, die ihm 1961 zur Wahl gestellt worden sind. „Allgemeine Pädagogik: 1. Die wissenschaftliche Problematik der Frage nach dem Ziel der Erziehung. 2. Für und Wider den Wissenschaftscharakter der Pädagogik. Historische Pädagogik: 1. Polaritäten des erzieherischen Handelns, dargestellt an den großen Theoretikern der Pädagogik. 2. Erziehung als Entwicklungshilfe, historisch beleuchtet (Anhänger dieser Theorie und deren Begründung).“270 Auf Stolls Bitte um ein Dissertationsthema habe ich Folgendes vorgeschlagen: „Geschichte der Lehrerbildung in Tirol von den Anfängen bis 1876“. Er hat es in dreijährigen Archivstudien aus den Originalquellen hervorragend bearbeitet und 1965 als erster und ältester meiner Schüler das Doktorat „mit Auszeichnung“ erworben.271 Eine gekürzte Ausgabe der Dissertation ist 1968 als Band 4 der von mir herausgegebenen „Studien zur Erziehungswissenschaft“ erschienen. Christl Lemayr hatte nach der Matura am Humanistischen Gymnasium Bozen 1958 ihr Studium der Pädagogik, Psychologie und Geschichte an der Universität München bei den Professoren Friedrich Schneider und Martin Keilhacker272 begonnen und 1961 in Innsbruck fortgesetzt. Nach einer vorzüglichen Seminararbeit und ausgezeichneter Dissertantenprüfung273 hat sie auf Grund ihrer mit „sehr gut“ benoteten Dissertation über „Soziale Dienste im Jugendalter“ 1966 promoviert274. Danach hatte sie zunächst an der neuen Einheitsmittelschule in Bozen ohne Lehramtsstudium die Fächer Deutsch, Geschichte, Geographie und Latein zu unterrichten275, bis sie in die Lehrerbildungsanstalt Meran berufen wurde.

269 (1935–). Kurzbiographie: Stoll 1968, 4. 270 Akt Schüler: Briefe und Gutachten bis 1967. PAB. 271 Zweiter Gutachter war der Historiker Prof. Franz Huter. 272 (1894–1989). Horn 2003, 263. 273 Am 23.10.1961. Akt Schüler. PAB. 274 Vgl. in diesem Buch S. 260. Zweite Gutachterin war Dozentin Lotte Schenk-Danzinger. PAB. 275 Lemayr am 4.11. und 14.12.1966 in Briefen an Brezinka. PAB.

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Peter Posch276 und Ilsedore Rieder277 haben zunächst ihre Studien für das Lehramt an Mittelschulen mit der Lehramtsprüfung abgeschlossen. Dank dieses Zeugnisses konnten sie ab 1964 als Assistenten eingestellt werden und sich einem Zweitstudium der Pädagogik und Psychologie widmen. Ihre Posten hatten in der personellen Aufbauphase die Funktion von Doktoranden- oder Promotions-Stipendien, mit denen wissenschaftlich-administrative Hilfsdienste verbunden waren. Als Dissertationsthemen dienten zwei der Forschungsvorschläge, die ich 1963 dem Unterrichtsministerium für das OECD-Projekt „Planung und Investitionen auf dem Gebiet des Erziehungswesens“ gemacht hatte.278 Beide Mitarbeiter haben wesentlich zur Beratung der Studierenden und zum guten Sozialklima im Institut beigetragen. Posch hat in seiner Dissertation „Der Lehrermangel. Ausmaß und Möglichkeiten der Behebung“ erstmals in Österreich eine Analyse des Schulwesens und der Lehrerleistung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgearbeitet und 1967 „mit Auszeichnung“ promoviert. Darin sind die Ursachen des Lehrermangels und die materiellen und immateriellen Mittel zur Erhöhung der Anziehungskraft des Lehrberufes auf internationalem Forschungsstand beschrieben worden. Durch gründliche Analyse und vorsichtiges Abwägen der Argumente ist Posch in Österreich bald als Spezialist für empirische Schulforschung und Bildungsplanung bekannt geworden. Ich habe seine Dissertation 1967 als ersten Band der „Studien zur Erziehungswissenschaft“ veröffentlicht. Posch hat sich 1975 an der Wiener Hochschule für Welthandel für „Allgemeine Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Didaktik“ habilitiert und im gleichen Jahr die Professur für Lehrplanforschung an der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt übernommen. Ilsedore Rieder (seit 1967 verheiratete Wieser) hat 1956 an der BundesLehrerbildungsanstalt Klagenfurt maturiert und nach einjähriger Tätigkeit als Volksschullehrerin das Studium der Fächer Englisch und Geographie für das Mittelschullehramt begonnen. Sie hat mit ihrer Dissertation „Studiendauer und Studienerfolg. Eine Längsschnittuntersuchung an 3.199 Anwärtern für das Lehramt an Höheren Schulen in Österreich“ einen der ersten grundlegenden Beiträge zur empirischen Bildungsforschung in Österreich geleistet. Sie hat mit unsäglicher Mühe aus den Akten der Bundesstaatlichen 276 (1938–). Biographie: Brezinka, Bd. 4, 2014, 156–163; 438–452; in diesem Buch S. 248. 277 (1937–2008). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 512 und 717–728; sowie Bd. 4, 2014, 414 ff. 278 Vgl. in diesem Buch S. 267 ff.

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Prüfungskommissionen für die Periode von 1950 bis 1965 Missstände der Studienorganisation exakt nachgewiesen, die zwar nicht unbekannt waren, aber in ihrem Ausmaß unterschätzt worden sind: Nur die Hälfte der Lehramtskandidaten hat einen positiven Studienabschluss erreicht; die durchschnittliche Studiendauer betrug 12 Semester statt der als Norm geltenden 8 Semester; die als „schwierig“ geltenden Fächer Mathematik und Physik wurden in wesentlich kürzerer Zeit abgeschlossen als die geisteswissenschaftlichen Fächer usw. Auch Rieder-Wieser hat 1967 „mit Auszeichnung“ promoviert. Ihre Dissertation ist 1968 als Band 3 der „Studien zur Erziehungswissenschaft“ gedruckt erschienen. 1977 hat sie an der Universität für Bildungswissenschaften in Klagenfurt die Lehrbefugnis als Universitätsdozentin für „Schulpädagogik“ erworben. Von 1983 bis 1997 hat sie dieses Fach als Professorin an der Universität Innsbruck gelehrt. Besondere Hoffnung für die kritische begriffliche Grundlegung eines Systems der empirischen Erziehungswissenschaft habe ich in die Dissertation von Rudolf Messner279 gesetzt. Er hat 1960 an der Innsbrucker Lehrerbildungsanstalt die Reifeprüfung mit Auszeichnung bestanden. Es folgten drei Jahre als Volksschullehrer in Jenbach mit nebenberuflichem Studium der Pädagogik an der Universität Innsbruck. Nach Erwerb der Lehrbefähigung für Volksschulen mit Auszeichnung hat er sich ab 1963 ganz dem Studium der Erziehungswissenschaft und Psychologie gewidmet. 1965 wurde er Wissenschaftliche Hilfskraft im Institut. Angeregt durch mein Seminar über „Theorie der Erziehungsmittel“ im Wintersemester 1964/65 hat er eine erstklassige Dissertation über „Probleme einer Theorie des erzieherischen Verhaltens“ im Umfang von 300 Seiten verfasst. Sie enthielt im ersten Teil eine detaillierte methodologische, begriffsanalytische und inhaltliche „Kritik der geisteswissenschaftlichen Analyse des erzieherischen Verhaltens“ am Beispiel der damals im deutschen Sprachgebiet am meisten zitierten Schriften von Martinus Langeveld280 und Wilhelm Flitner. Im zweiten Teil wurden die „Probleme einer erfahrungswissenschaftlichen Analyse des erzieherischen Verhaltens“ im Anschluss an meine begriffsanalytischen Vorarbeiten und die empirischen Pionierarbeiten zum Unterricht von Friedrich Winnefeld281 und Emil Schmalohr282 sehr klar und kritisch behandelt. 279 (1941–). Kurzbiographie: Kürschner 2007, 2373; Brezinka, Bd. 3, 2008, 619. 280 (1905–1989). Kurzbiographie: W. Böhm 2005, 390. 281 (1911–1968). Vgl. Winnefeld 1967. Kurzbiographie: W. Böhm 2005, 681. Über ihn in diesem Buch S. 364 ff. 282 (1927–). Vgl. Schmalohr 1961; Kurzbiographie: Kürschner 2007, 3194. Autobiographie Schmalohr 1992.

Begabtensuche für das Studium der Pädagogik und die akademische Lehrerbildung

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Die Promotion ist 1967 erfolgt.283 In einer gedruckten Ausgabe hätte diese Studie damals viel zu einem breiteren Verständnis der Aufgaben und Grenzen einer Empirischen Erziehungswissenschaft beitragen können. Der Verlag Beltz hatte den Band schon „in Vorbereitung“ und zuletzt „in Herstellung“ angekündigt. Messner wollte ihn jedoch aus übertriebenem Streben nach Vollkommenheit nochmals verbessern und hat den druckfertigen Text gegen meinen Rat zurückgezogen. Wie zu befürchten war, ist sein Vorhaben gescheitert, weil ihm die Zeit gefehlt hat und schulpädagogische Studien wichtiger geworden sind. Zum Nachteil für die Pädagogik ist seine Dissertation unbeachtet geblieben.284 Messner ist seit 1972 als Professor an der Gesamthochschule Kassel tätig gewesen und hat sich auf Didaktik und Schulentwicklungsforschung spezialisiert. Der erfolgreichste Doktorand war Helmut Fend285. Er hat an der BundesLehrerbildungsanstalt Feldkirch (Vorarlberg) 1960 mit Auszeichnung maturiert und dann ein Jahr lang als Lehrer an der einklassigen Volksschule eines Gebirgsdorfes unterrichtet. 1961 hat er das Studium der Erziehungswissenschaft, Psychologie, Philosophie und Germanistik an der Universität Innsbruck begonnen. Angeregt durch mein Seminar im Sommersemester 1965 über „Sozialisierung und Erziehung“ mit damals noch fast ausschließlich englischer Spezialliteratur hat er dieses umfangreiche Thema für seine Dissertation gewählt. Ich hatte nach der frühen soziologischen Studie von Carl Weiß286 erstmals seit 1957 die Bezeichnung „Sozialisierung“ (englisch: socialization) in der Erziehungstheorie verwendet287 und in den USA viel Material gesammelt, ohne schon zu genügender Klarheit gelangt zu sein. Da mir die Zeit zur geplanten Bearbeitung dieses riesigen Themas gefehlt hat, habe ich Fend dafür gewinnen können, die verwirrende Vielfalt der einschlägigen Begriffe, Modelle, Hypothesen und Forschungsergebnisse systematisch zu ordnen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erziehungswissenschaft zu sichten. Dank eines Stipendiums des British Council für einen einjährigen Studienaufenthalt an der Universität London ist ihm das vorbildlich gelungen. Seine Dissertation „Sozialisierung und Erziehung“ überragte „an begrifflicher Klarheit, Informationsgehalt und theoretischer Fruchtbarkeit bei weitem die wenigen deutschspra283 Mein Gutachten vom 29.1.1967. Promotion am 15.7.1967. PAB. 284 Zu ihrer Bedeutung vgl. auch Fend 1969, 53. 285 (1940–). Kurzbiographie: Fend 1969, 4; Kürschner 2007, 825; Brezinka, Bd. 3, 2008, 617 f. 286 C. Weiss 1929, 47 ff. 287 Brezinka 1957, 43 ff. und 1959, 8 ff.

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chigen Arbeiten zu diesem Thema.“288 Sie wurde als „sehr gut (mit Auszeichnung)“ bewertet und hat 1967 die vornehmste Promotion „sub auspiciis praesidentis rei publicae Austriae“ ermöglicht.289 Sie ist 1969 als Band 5 der „Studien zur Erziehungswissenschaft“ erschienen und hat als beste Einführung in die Thematik bis 1976 acht Auflagen erreicht. Fend hat wie Posch und Messner eine Assistentenstelle an der neuen Universität Konstanz übernommen, ist dort 1974 im Zentrum Bildungsforschung zum Professor aufgestiegen und 1987 auf den Lehrstuhl für „Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogischen Psychologie“ der Universität Zürich gewechselt. Neben diesen sechs von mir angenommenen Dissertationen sind noch zwei weitere zu nennen, die von mir betreut, aber wegen des Wechsels nach Konstanz nicht mehr begutachtet werden konnten: Josef Klingler: „Lebensbedingungen und soziale Rolle der Pflichtschullehrer“ (1967)290 sowie Peter Seidl: „Versager auf Höheren Schulen. Eine empirische Untersuchung an vier Innsbrucker Gymnasien“. Dessen Promotion ist nach Begutachtung durch Professor Karl Wolf 1968 an der Universität Salzburg erfolgt.291 Der Innsbrucker Hauptschullehrer Klingler war der erste und einzige meiner Dissertanten, für den ich im Unterrichtsministerium zur Durchführung seines riesenhaften Forschungsprojektes eine einjährige Freistellung vom Unterricht unter Beibehaltung der Bezüge für das Schuljahr 1965/66 erreichen konnte.292 Er hat sich 1973 an der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt für „Unterrichtswissenschaft“ habilitiert und dort von 1974 bis 2002 als Professor für Schulpädagogik gewirkt.293 Peter Seidl hat 1979 an der Universität Innsbruck die Lehrbefugnis als Universitätsdozent für „Erziehungswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogischen Soziologie“ erworben.294 Unser kleines Institut mit dem elitären Oberseminar, dem zuletzt elf Dissertanten295 angehört haben, hat als Gasthörer auch Doktoranden aus Deutschland angezogen. Enger Kontakt bestand zu Andreas Flitner in Tübingen. Seine auf Sozialpädagogik spezialisierten Dissertanten Theodor Hofmann und Man288 Brezinka: Gutachten vom 24.2.1967. PAB. 289 Brezinka, Bd. 4, 2014, 927. 290 Als Buch Klingler 1971. Vgl. dort S. 5 ff. 291 Brezinka, Bd. 2, 2003, 567. 292 Vgl. Brezinka, Bd. 4, 2014, 408 ff. und in diesem Buch S. 269 f. 293 Brezinka, Bd. 4, 2014, 426–438. 294 (1941–1986). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 743–760. 295 Dankbrief „für alle Ihre Anregungen und Hilfen beim Studium“ mit 11 Unterschriften vom 22.2.1967. PAB.

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fred Vollert haben das Sommersemester 1964 bei uns verbracht und ihre Dissertationen über „Jugend im Gefängnis“ (Hofmann)296 und Hermann Gmeiners „SOS-Kinderdörfer“ (Vollert)297 besprochen.

HABILITATIONSBEWERBER UND LEHRBEAUFTRAGTE Während ich noch in Würzburg tätig war, hat mein Innsbrucker Vorgänger Prof. Strohal von Lutz Rössner, einem ihm unbekannten Volksschullehrer in Frankfurt, die Anfrage erhalten, ob in seinem Institut Mitarbeit mit dem „Ziel der Habilitation“ möglich sei.298 Er habe kürzlich in Philosophie promoviert, sei Diplom-Psychologe und wolle „die wissenschaftliche Laufbahn“ einschlagen. Er war 27 Jahre alt, hatte drei Jahre Erfahrung als Sozialpädagoge in der offenen Jugendarbeit und zwei Jahre Schulpraxis. Strohal hat mir seinen Brief zur Beurteilung übergeben. Ich habe Rössner zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, aber ihm als Ausländer weder eine Assistentenstelle noch eine Habilitation versprechen können. Wir sind in lockerer Verbindung geblieben. 1964 hat er in Frankfurt einen Beamtenposten als Schulpsychologe erhalten. Er ist mit praktischen Schriften zur Jugendarbeit, Schulpädagogik und Sprecherziehung hervorgetreten, die originell, aber zusammenhanglos waren. Weil er mit seinen Anschauungen über Schule und Jugendhilfe in Hessen „noch weitgehend allein“ sei und sich von mir ermutigt fühle, hat er 1965 neuerlich gebeten, ihm in Innsbruck zur Habilitation zu verhelfen.299 Da ich für die Pädagogik ständig auf der Suche nach förderungswürdigem Nachwuchs war, habe ich Rössner Unterstützung zugesagt. Vorausgesetzt war, dass es ihm gelingt, sich trotz seiner „weitgespannten Interessen … auf ein Spezialgebiet der wissenschaftlichen Forschung zu konzentrieren, wie es der Weg zur Habilitation nun einmal verlangt.“ Keines seiner Bücher scheine mir „methodisch und inhaltlich so gut durchgearbeitet zu sein, dass man es unserer Fakultät als Habilitationsschrift vorlegen könnte. Sie müssten sich daher zunächst einmal entscheiden, für welches Fachgebiet Sie sich habilitieren wollen. Soweit ich Ihre erziehungspraktischen und wissenschaftlichen Leistungen beurteilen kann, scheint mir eine Habilitation für ,Sozialpädagogik‘ am nahe296 Vgl. Hofmann 1967, 12. 297 Vgl. A. Flitner/Bittner/Vollert 1966. 298 Rössner am 14.8.1960 an Strohal. PAB. 299 Rössner am 27.2.1965 an Brezinka. PAB.

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liegendsten zu sein. Auf diesem Gebiet werden dringend Mitarbeiter an den Hochschulen gebraucht und ich zweifle nicht daran, dass sich Ihnen nach der Habilitation bald der Weg zu einer Professur eröffnen wird.“300 Rössner antwortete, mein Vorschlag sei „der einzig richtige“301. Er ist zu einer Besprechung nach Innsbruck gereist. Dabei hat sich herausgestellt, dass er bis dahin noch nichts von mir gelesen hatte. Er hat mich fachlich erst auf der Rückreise „entdeckt“ durch die Lektüre des grundlegenden Aufsatzes über „Die Pädagogik und die erzieherische Wirklichkeit“ von 1959, den ich ihm zum Abschied geschenkt hatte. Diese jahrelange Unkenntnis vertrug sich schlecht mit seiner Selbstdarstellung als lerneifriger potentieller Mitarbeiter. Die Sache hat sich dadurch erledigt, dass Rössner 1965 einen Ruf als Professor für Sozialpädagogik an die Pädagogische Hochschule Oldenburg des Bundeslandes Niedersachsen angenommen hat.302 1967 ist er an die Pädagogische Hochschule Braunschweig gewechselt. Am dringlichsten war für mich die Suche nach einem Schulpädagogiker für den beantragten zweiten Lehrstuhl. Meine Vorlesung über „Theorie der Schule und des Unterrichts“ hatte zwar besonders viel Zulauf und großes Interesse gefunden, aber die eigene Berufserfahrung als Gymnasiallehrer hat mir gefehlt. Außerdem war dieses Gebiet so groß und kompliziert geworden, dass dafür ein Spezialist gebraucht wurde, der den Schulbetrieb von innen kennt und frei von Forschung und Lehre der Allgemeinen Pädagogik ist. Zu meiner Überraschung hat 1962 Dr. Horst Rumpf303 Verbindung mit mir gesucht. Er war damals 32 Jahre alt und als Studienrat für Deutsch, Geschichte und katholische Religion am Gymnasium in Darmstadt (Hessen) tätig. Er hatte in der Zeitschrift „Neue Sammlung“ meinen Beitrag „Erziehung für die Welt von morgen“304 gelesen und wollte sich für ihn bedanken. Wir haben mit dem Austausch unserer Schriften begonnen. Im Oktober folgte sein Artikel „Aus der Drecklinie der Höheren Schule. Ein Erfahrungsbericht und eine Diagnose“.305 Er enthielt eine anschauliche Schilderung der Alltagsprobleme von Lehrern und Schülern einer höheren Schule mit Beispielen der „Barbarei, in der sich unser Lehren – gewiss nicht nur auf dem Gymnasium – befindet“.306 300 Brezinka am 18.3.1965 an Rössner. PAB. 301 Rössner am 26.3.1965 an Brezinka. PAB. 302 Rössner am 19.8.1965 an Brezinka. PAB. 303 (1930–). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 550 f. und 582 ff. 304 Text des Vortrages bei der Feier des 10-jährigen Bestehens der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendschutz in Trier. Brezinka 1962; Nachdruck 1988, 60–85. 305 Rumpf 1962. 306 Ebenda, 617.

Habilitationsbewerber und Lehrbeauftragte

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Rumpfs dramatische Aufklärung über die Schulwirklichkeit hat mich beeindruckt. Vielleicht steckte hinter seinen schulkritischen Skizzen nicht nur eine publizistische Begabung, sondern auch ein erziehungstheoretisch gebildeter Denker? Jedenfalls habe ich ihm etwas voreilig geschrieben: „Ich wollte, Sie wären in Innsbruck und könnten hier einen Lehrauftrag übernehmen.“307 Weitere Aufsätze von ihm verstärkten den Wunsch: „Wie gern würde ich Sie als Lehrbeauftragten für Gymnasialpädagogik an unserer Universität gewinnen!“308 Das war wegen der Entfernung zwischen Darmstadt und Innsbruck ein utopischer Gedanke. Zwei Jahre später hatte sich die Lage durch den Erlass des Unterrichtsministeriums über „Ausbau der Lehrkanzeln für Erziehungswissenschaft“ vom 22. Dezember 1964 verändert.309 Für 1967 war die Errichtung einer neuen Lehrkanzel für Schulpädagogik vorgesehen. Deshalb habe ich am 1.2.1965 bei Rumpf angefragt, ob er bereit wäre, einen eventuellen Ruf auf diesen Lehrstuhl anzunehmen. „Ich werde mich künftig auf die allgemeine Erziehungswissenschaft und die historische Pädagogik konzentrieren, die Schulpädagogik dagegen dem neu zu berufenden Kollegen überlassen.“ „Ich kann mir denken, dass Sie sich Ihrer wissenschaftlichen Ausbildung nach gar nicht für zuständig halten, um eine solche Lehrkanzel zu übernehmen. Es wird auch an meiner Fakultät schwierig sein, jemanden, der nicht in Pädagogik habilitiert ist, in den Berufungsvorschlag aufzunehmen. Ich sehe diese und noch viele andere Schwierigkeiten voraus, aber ich möchte trotzdem versuchen, Ihre Berufung vorzubereiten, falls Sie sich zur Mitarbeit entschließen könnten. Formell liegt eines der Hindernisse darin, dass Sie meines Wissens bisher nur einige Zeitschriftenaufsätze publiziert haben. Sie wissen, dass ich diese sehr schätze, aber es sind eben doch mehr glänzende journalistische Situationsanalysen, als im strengen Sinne erziehungswissenschaftliche Abhandlungen. Ich sehe allerdings aus Ihren Aufsätzen, dass Sie in den letzten Jahren viel konkreter denken und formulieren gelernt haben, als es früher den Anschein hatte. Trotz allem, was ich zum Ruhm Ihrer Arbeiten in der Fakultät werde vorbringen können, wird man mir entgegenhalten, dass wenigstens ein Buch von Ihnen vorliegen müsste, wenn Sie schon nicht habilitiert seien. Das müsste natürlich ein Buch zu einem erziehungswissenschaftlichen Thema sein, viel307 Brezinka am 5.11.1962 an Rumpf. PAB. 308 Brezinka am 15.7.1963 an Rumpf. PAB. 309 Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 207 ff. und 902 ff.; in diesem Buch S. 344 ff.

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leicht irgendeine Studie zu Fragen der Gymnasialpädagogik. Eine bloße Aufsatzsammlung würde dafür kaum genügen. Ich möchte Sie nun fragen, wie Sie diesen Plan im Ganzen beurteilen und ob Aussicht besteht, dass Sie bis zum Beginn des Jahres 1967 eine größere pädagogische Studie werden publizieren können. Vielleicht könnte man Sie mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Ihren Verpflichtungen in der Schule freistellen, damit Sie in Ruhe wissenschaftlich etwas ausarbeiten können.“310 Rumpf antwortete: „Die von Ihnen genannte Möglichkeit … reizt mich beträchtlich.“ Er könne vielleicht etwas beitragen zu einer „realistischen Blutauffrischung“ in der Pädagogik. Er wolle ein Buch über die Praxis des Geschichtsunterrichts im Gymnasium schreiben.311 Ich habe angeregt, „dass Sie bei Ihren künftigen Publikationen versuchen, die erziehungswissenschaftliche und psychologische Terminologie stärker zu berücksichtigen. Das würde die Fachleute zwingen, das Gewicht Ihrer inhaltlichen Aussagen so ernst zu nehmen, wie es das verdient.“312 Nach vorbereitenden Gesprächen in meiner Fakultät musste ich Rumpf mitteilen, dass es „ziemlich aussichtslos ist, selbst für das so schwer zu besetzende Fach ,Schulpädagogik‘ einen Herrn auf die Vorschlagsliste bringen zu können, der nicht habilitiert ist.“313 Dabei war mir klar, dass eine schnelle Habilitation wie generell die fehlende psychologisch-erziehungswissenschaftliche Vorbereitung auf einen Lehrstuhl für Schulpädagogik neben dem Beruf als Studienrat unmöglich ist. Ich habe deshalb meinen Frankfurter Kollegen Prof. Hans Scheuerl auf Rumpf als potentiellen Mitarbeiter aufmerksam gemacht. Dieser hat ihn ab Herbst 1965 als Studienrat im Hochschuldienst für das Pädagogische Seminar der Universität Frankfurt gewonnen.314 Damit begann sein schneller Aufstieg als viel diskutierter Schul- und Schulverwaltungskritiker mit radikalen schulrechtlichen Reformvorschlägen für mehr Selbstbestimmung der Einzelschulen und ihre Lehrer. 1966 erschienen ein Aufsatz-Sammelband „Die Misere der Höheren Schule“, eine Schrift über „Die administrative Verstörung der Schule. Drei Kapitel über den beamteten Erzieher und die verwaltete Schule“ und zwei sensationelle Bände: „40 Schultage. Tagebuch eines Studienrats“ und „Schule gesucht. Tagebuch eines Studienrats (2) … aus einer erfundenen Schule“. 1967 hatte er sich in meine kriti310 311 312 313 314

Brezinka am 1.2.1965 an Rumpf. PAB. Rumpf am 6.2.1965 an Brezinka. PAB. Brezinka am 12.2.1965 an Rumpf. PAB. Brezinka am 18.3.1965 an Rumpf. PAB. Rumpf am 2.7.1965 an Brezinka. PAB. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 582 ff.

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schen Studien zur Realitätsferne der deutschen Pädagogik eingearbeitet und ein „Plädoyer für eine empirische Gymnasialpädagogik“315 veröffentlicht sowie den Aufsatz „Die theoretische Pädagogik und die tatsächliche Schule. Mutmaßungen zu einer bedenklichen Entfremdung“316. Zur geplanten Habilitationsschrift ist es jedoch nicht gekommen. Vor meinem Wechsel an die Universität Konstanz hat mich die Innsbrucker Berufungskommission für die „Nachfolge Prof. Brezinka“ gebeten, ihr schriftlich meine Vorschläge für die Neubesetzung meines Lehrstuhls und der 1966 zugewiesenen zweiten pädagogischen Professur mitzuteilen. Ich habe für die Schulpädagogik Alfons Otto Schorb317, an zweiter Stelle Rumpf und an dritter Wolfgang Kramp vorgeschlagen. Alle drei waren ohne Habilitation. Scheuerl war aber mit mir „völlig einer Meinung, dass es derzeit wohl im deutschen Sprachraum keinen Anwärter gibt, denen Herr Dr. Rumpf nicht aller Wahrscheinlichkeit nach vorzuziehen wäre. Sie hatten mich seinerzeit auf ihn aufmerksam gemacht.“ Er habe seit Herbst 1965 „außer seiner faktischen Assistentenfunktion einen selbständigen Lehrauftrag, in dem er besonders gymnasialpädagogische und allgemein-didaktische Fragen behandelt“. Er habe seine Zeit bisher „mit großer Energie und überzeugendem Erfolg dazu genutzt, sich neben seiner Lehraufgabe in einem Eigenstudium in das breite Feld der Erziehungswissenschaft … einzuarbeiten“. „So sehr ich ihm ein erfolgreiches Habilitationsverfahren hier gewünscht hätte, so eindeutig kann ich ihn doch … sofort uneingeschränkt für jeden Lehrstuhl empfehlen“.318 Bei der Suche nach promovierten Pflichtschullehrern, die zu einer Habilitation für Schulpädagogik geeignet sein könnten, bin ich 1965 auf Dr. Rudolf Weiss319 aufmerksam geworden. Er hatte nach der Matura an der Bundes-Lehrerbildungsanstalt Linz zwölf Jahre an oberösterreichischen Volks- und Hauptschulen gearbeitet und nebenberuflich an der Universität Graz bei Prof. Weinhandl Psychologie und Pädagogik studiert. 1964 hat er auf Grund einer Dissertation über „Schulleistung und Intelligenz“ das Doktorat erworben. Er hat 315 Rumpf 1967. 316 Rumpf 1967 a, 264: „Diese Skizze weiß sich in vieler Hinsicht den wissenschaftstheoretischen Überlegungen von W. Brezinka (Zeitschrift für Pädagogik 1/1966, S. 53 ff. und 2/1967, S. 135 ff.) verpflichtet.“ 317 (1921–1983). Seit 1967 Professor für Schulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule München und Direktor des bayerischen Staatsinstituts für Bildungsforschung und -planung in München. Kurzbiographie: Kürschner 1983, 3799; Brezinka, Bd. 2, 2003, 570. Er war wie Rumpf nur für den schulpädagogischen Lehrstuhl geeignet. 318 Scheuerl am 11.6.1966 an Brezinka. PAB. 319 (1932–). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 586 ff. und 613–628.

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mir seine Dissertation geschickt und nebenberufliche Mitarbeit am Inns­brucker Institut mit dem Fernziel Habilitation angeboten.320 Ich habe ihn zur wissenschaftlichen Weiterarbeit ermutigt, um seine „gute psychologische Ausbildung durch spezielle erziehungswissenschaftliche Studien noch etwas zu ergänzen“.321 Als Ziel sollte eine Habilitation im Fach „Schulpädagogik“ angestrebt werden. „Das ist derzeit das Wichtigste, was wir in Österreich brauchen.“ Man müsse in der Fakultät allerdings mit Einwänden gegen die Habilitation eines Auswärtigen rechnen. Deshalb wollte ich einen Versuch in Innsbruck nur unterstützen, falls sich Weiss „keine andere Möglichkeit bieten sollte“. Diese hat er mit Hilfe von Prof. Wolf an der nähergelegenen Universität Salzburg gefunden. Dort hat er 1968 die Lehrbefugnis für Pädagogik erhalten. Ein Jahr später hat er an der Universität Innsbruck die „Lehrkanzel Pädagogik II“ für „empirische Schulpädagogik“ übernommen. In der Schulpädagogik wie in der Sozialpädagogik ist es also zu keiner Bereicherung des Lehrangebotes durch Habilitationen der Interessenten Rumpf, Weiss und Rössner gekommen. Dagegen hatten wir unerwartetes Glück im Studienbereich „Jugendkunde“ (der amtliche Name für Kinder- und Jugendpsychologie) und „Pädagogische Psychologie“. Er hatte für Lehramtsanwärter wie für Doktoranden der Pädagogik grundlegende Bedeutung, wurde aber in Professor Ivo Kohlers „Institut für Experimentelle Psychologie“ selten behandelt. Deshalb hatte ich 1962 eine Hauptvorlesung über „Pädagogische Psychologie“ gehalten. Unser Glück bestand darin, dass Dr. Lotte Schenk-Danzinger322, die Leiterin des Schulpsychologischen Dienstes des Wiener Stadtschulrates, 1963 für „Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie“ habilitiert und als Dozentin gewonnen werden konnte. Sie hatte an der Universität Wien beim Psychologen Karl Bühler323 studiert, 1930 das Doktorat erworben und dann sieben Jahre bei seiner Frau Charlotte324 als Assistentin für Kinder­ psychologie gearbeitet. Da ihr das Lehramtsprüfungszeugnis für Pädagogik an Lehrerbildungsanstalten gefehlt hat, konnte sie gehaltlich nicht als Akademikerin eingestuft werden. Deshalb hat sie 1961 bei mir angefragt, ob sie diese Prüfung bei mir ablegen könne. Sie „in Wien abzulegen ist mir nicht möglich. Für jemanden, der aus der Praxis kommt, bildet die ausschließlich metaphysische und erziehungsphilosophische Grundeinstellung am 320 321 322 323 324

Weiss am 17.3.1965 an Brezinka. PAB. Brezinka am 8.10.1965 an Weiss. PAB. (1905–1992). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 513–518. (1879–1963). Zur Wiener Schule der Psychologie vgl. Rollett 2005. (1893–1974). Biographie: Brezinka, Bd. 1, 2000, 389 ff.

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­ ädagogischen Institut der Wiener Universität ein fast unüberwindliches P Hin­dernis“.325 Ich kannte Schenk-Danzinger nur aus einigen ihrer kinderpsychologischen Aufsätze und habe ihr Vorhaben gern unterstützt. Durch die persönliche Begegnung anlässlich ihrer Lehramtsprüfung ist der Plan entstanden, ihr die Habilitation in Innsbruck zu ermöglichen, um die Lücke im hiesigen psychologischen Lehrangebot bis zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie zu füllen. Als Habilitationsschrift hat der Sammelband „Studien zur Entwicklungspsychologie und zur Praxis der Schul- und Beratungspsychologie“ (1963) gedient. Prof. Kohler als für Psychologie zuständiger Kollege war wie ich überzeugt, „keine bessere Vertretung dieses Gebietes finden“ zu können.326 Schenk hat seit dem Sommersemester 1964 einen bezahlten Lehrauftrag übernommen und bei den Studierenden großes Ansehen gewonnen. Sie hat an Stelle von Kohler auch den psychologischen Teil der pädagogischen Prüfung für Lehramtsanwärter erledigt. Dadurch wurde erstmals bei den Vorlesungsinhalten und Prüfungen eine thematische Abstimmung zwischen den Fachprüfern für Pädagogik und Psychologie erreicht. Zum Ausbau des pädagogischen Lehrangebotes hat seit 1963 auch ein Lehrauftrag für Erwachsenenbildung gehört. Er wurde in jedem zweiten Semester durch Dr. Ignaz Zangerle durchgeführt, den Gründer und Vorsitzenden des Katholischen Bildungswerkes Tirol und von 1964 bis 1970 auch Bundesstaatlicher Volksbildungsreferent für Tirol.327 Mit der Dozentin Schenk-Danzinger und Dr. Zangerle als Lehrbeauftragten hat es enge Verbindungen und gegenseitige Beratung gegeben. Ich habe aber in der Fakultät auch elf Lehrbeauftragte für die „Methodik der Schulfächer“ vorgefunden, die ich mit wenigen Ausnahmen nie kennen lernen konnte. Sie sind von den jeweiligen Fachprofessoren in Verbindung mit dem Landesschulinspektor für die Allgemeinbildenden Höheren Schulen ohne Einbeziehung des Pädagogikers ausgesucht und der Fakultät zur Bestellung vorgeschlagen worden. Sie hätten als Fachdidaktiker den Kontakt mit dem Institut für Erziehungswissenschaft, der Allgemeinen Unterrichtslehre (Didaktik) und Schulpädagogik dringend nötig gehabt. Da ich zu sehr überlastet gewesen bin und mir eigene Erfahrung als Mittelschullehrer sowie didaktisches Spezialwissen gefehlt haben, musste ich mich mit diesem Mangel abfinden. Ohne eine zusätzliche 325 Schenk-Danzinger am 15.11.1961 an Brezinka. PAB. Die Kritik am Institut für Pädagogik der Universität Wien bezog sich auf die Ära unter Prof. Richard Schwarz 1958 bis 1963. Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 477–491. 326 Kohler am 18.4.1963 an Brezinka. PAB. 327 (1905–1987). Biographie: Brezinka, Bd. 2, 2003, 518 ff.; vgl. in diesem Buch S. 92 f.

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Professur für Schulpädagogik wäre diese Schwachstelle des Instituts und der Lehrerausbildung nicht zu beseitigen gewesen.

VORTRÄGE UND SCHRIFTEN In den Sechzigerjahren bestand bei Lehrern und anderen professionellen Erziehern, in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, aber auch in der Staatsverwaltung ein breites Interesse an Vorträgen und Seminaren zu Erziehungsfragen. Ich habe zwischen 1960 und 1967 insgesamt 73 Vorträge gehalten. Die Zahl der Themen war freilich geringer, weil für bestimmte Themen bei vielen Veranstaltern große Nachfrage bestanden hat und mein Angebot aus Zeitmangel begrenzt bleiben musste. So wurde zum Beispiel der Trierer Vortrag über „Erziehung für die Welt von morgen“ von 1961328 in den folgenden drei Jahren zwölfmal gehalten, darunter in Hamburg, Köln, Luxemburg, Bad Meinberg, Regensburg, Innsbruck, Dornbirn und Linz. Es erfolgten weit mehr Einladungen, als ich annehmen und mehr drängende Bitten als ich erfüllen konnte. Das gleiche galt für das Verlangen nach Beiträgen zu Zeitschriften, Zeitungen und Radiosendungen. Man sieht aus der Liste der Veranstalter und Themen, wie groß das außeruniversitäre Wirkungsfeld von Pädagogikprofessoren sein kann.329 Zwischen 1961 und 1965 standen bei den österreichischen Pflichtschullehrern Fragen der Lehrerbildung und der Schulorganisation im Zusammenhang mit den Schulgesetzen vom Juli 1962330 im Vordergrund. Besonders umstritten war die für 1968 vorgesehene Einführung Pädagogischer Akademien an Stelle der „bewährten“ Lehrerbildungsanstalten. Im konservativen Tirol galt die Akademisierung bei der Landesregierung, den Schulbehörden und den Funktionären der „Katholischen Lehrerschaft“ als sozialistisches Vorhaben, das „den Richtlinien des internationalen Marxismus dient, aber den Interessen unseres Volkes abträglich ist“.331 Dieser Ahnungslosigkeit auf hoher landespolitischer Ebene musste öffentlich durch stichhaltige Argumente des Pädagogikers der Landesuniversität begegnet werden. Dazu hat mich das der Lehrerfortbildung dienende „Pädagogische Institut des Landes Tirol“ zu zwei Diskussionsveranstaltungen mit dem Obmann des Katholischen Tiroler Lehrervereins und Landtagsabgeord328 Am 8.6.1961. Vgl. in diesem Buch S. 258. Brezinka 1962. 329 Verzeichnis der Vorträge: Brezinka 2008 a. 330 Bundesministerium für Unterricht 1962; Jonak/Kövesi 1993. Vgl. in diesem Buch S. 264 ff. 331 Österreichische Pädagogische Warte, Jänner 1962, S. 3.

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neten Max Plattner332 eingeladen. Ich habe in zwei Vorträgen mit dem Titel „Für und wider die akademische Lehrerbildung“333 und mehreren Zeitungsartikeln zur Aufklärung und schrittweisen Billigung der Reform beitragen können. Nach dem Beschluss des Schulorganisationsgesetzes334 vom 25. Juli 1962 mussten sich auch die bis dahin zwiespältigen katholischen Lehrerverbände aller Bundesländer auf den 1. September 1968 als gesetzlichen Termin des Überganges von Lehrerbildungsanstalten zu Pädagogischen Akademien einstellen. Schon ab 1. September 1966 konnten Pädagogische Akademien als Schulversuch (§ 7) eingerichtet werden.335 Ich wurde im Herbst 1963 auch aus anderen Bundesländern um Orientierungshilfe gebeten. Bei der Jahrestagung der „Gemeinschaft katholischer Erzieher in der Steiermark“ auf Schloss Seggau bei Leibnitz lautete das Thema „Aufgaben und Probleme der Pädagogischen Akademien in Österreich.“336 Der „Katholische Landeslehrerverein für Kärnten“ hat im Schloss Wernberg bei Villach eine zweitägige Veranstaltung durchgeführt, die der Aussprache über zwei Vorträge gewidmet war: „Die Anforderungen der modernen Gesellschaft an die Volksschule, die Lehrer und die Lehrerbildung“ sowie „Arbeitsweise und Inhalte der akademischen Lehrerbildung“.337 Der Höhepunkt meiner Verbindung mit der Tiroler Pflichtschul-Lehrerschaft wurde 1964 bei neun Tagungen über „Schule und Gemeinde“ erreicht. Sie sind von der Landesregierung nacheinander im Tiroler Volksbildungsheim Grillhof in Innsbruck-Vill für sämtliche Schulleiter der acht Bezirke Tirols und der Stadt Innsbruck veranstaltet worden. Im Zentrum stand mein Vortrag über „Stellung und Aufgaben des Schulleiters“.338 Anwesend waren jeweils auch der Bezirkshauptmann, die Schulinspektoren des Landes und der Bezirke sowie viele Bürgermeister und Gemeinderäte. Mein Vortrag war realistisch, kritisch und zugleich verständnisvoll für die Nöte der Lehrer und ermutigend für die Schulleiter und ihre Beziehungen zu Schülern, Eltern und Kollegen. Er ist 332 (1911–1998). Kurzbiographie: Tiroler Schule, 109. Jg., 1999, Heft 1, 3 f. 333 Am 22.11. und 6.12.1961. Bericht bei Gutmann 1962 und mir zustimmend „als sehr zutreffend“ aus sozialistischer Sicht: Freier Tiroler Erzieher, Schuljahr 1961/62, 6. Jg. Nr. 2 und 3. 334 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 1962, Nr. 242. 335 Ebenda, § 131 k. 336 Am 1.9.1963. 337 Am 9. und 10.11.1963. 338 Österreichweit verbreitet in der Zeitschrift „Erziehung und Unterricht“, 116. Jahrgang, 1966, 217–227. Nachdruck: Brezinka 1988, 167–181.

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begeistert aufgenommen worden und hat mich in allen Tiroler Schulen und Gemeinden bekannt gemacht. Er spiegelt die pädagogische Aufbruchsstimmung am Ende der Nachkriegszeit bevor die Illusionen der „emanzipatorischen Pädagogik“ der siebziger Jahre propagiert worden sind.339 Ein beliebtes Vortragsthema war auch „Die Schule im Erleben des Kindes“. Es wurde erstmals 1962 behandelt bei der 2. Internationalen Tagung der SOSKinderdörfer in Hinterbrühl bei Wien, ferner im Sonderschul-Seminar des Pädagogischen Instituts für Tirol und 1963 in Linz bei der Generalversammlung des Christlichen Landeslehrervereins für Oberösterreich sowie beim Landesinstitut für Schulpädagogische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Kronenburg/Eifel. Über „Die Schule im Spannungsfeld der Gesellschaft“ wurde 1964 bei der Mitarbeitertagung der Volkshochschule Innsbruck gesprochen, „Zur Sozialpsychologie der Schulklasse“ und „Der Schulraum und das Schulleben“ bei der Fortbildungswoche für Lehrer in Burgeis (Südtirol), über „Die Schulleistung und ihre Beurteilung“ 1965 im Sonderschul-Seminar des Pädagogischen Instituts für Tirol. Große Nachfrage bestand auch in den Bereichen Außerschulische Erziehung, Jugendhilfe, Sozialpädagogik und Elternbildung. Die Termine waren oft dicht gedrängt. Als Beispiel sei die Eröffnung der Jugendschutz-Woche des Jugendamtes der Stadt Stuttgart am 19. Oktober 1962 zum Generalthema „Familie und Jugend in der Erziehungssituation von heute“ mit meinem Vortrag über „Erziehung in einer sich wandelnden Gesellschaft“ erwähnt. Er musste zweimal gehalten werden: „11 Uhr 15 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle vor Lehrern der allgemeinbildenden Schulen, Vertretern der Parteien und der freien Verbände sowie vor Mitgliedern des Jugendamtsausschusses…; 16 Uhr 30 im Mozartsaal der Liederhalle vor Lehrern an Berufsschulen, Heim­ erziehern, Fürsorgern und weiteren geladenen Gästen.“340 Danach folgte eine Nachtfahrt im Auto nach Männedorf am Zürichsee, wo am nächsten Vormittag der gleiche Vortrag im Seminar für Elternkursleiter der Kantonalzürcherischen Arbeitsgemeinschaft für Elternschulung zu halten war. Drei Wochen später ging es mit demselben Thema nach Hannover zur Tagung der Fachgruppe „Sozialpädagogische Berufe“ im Gesamtverband Niedersächsischer Lehrer. Eine besondere Freude waren 1961 und 1962 drei Vorträge bei den Verwaltungshochschulwochen des Landes Nordrhein-Westfalen in Bad Meinberg bei 339 Vgl. Brezinka 1993, 32–50. 340 Jugendrat Erhardt (der Stadt Stuttgart) am 10.10.1962 an Brezinka. PAB.

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Detmold und in der Berliner Kongresshalle über „Situation und Aufgaben der Erziehung in der Gegenwart“. Die Aufgeschlossenheit und der kultivierte Umgangsstil der vorwiegend juristisch und technisch-naturwissenschaftlich gebildeten höheren Beamten waren überaus angenehm. Neben den eigenen Vorträgen waren innerhalb und außerhalb der Universität auch Gastvorträge von Kollegen und sonstige pädagogische Veranstaltungen zu organisieren. Ich nenne als Beispiel nur die gemeinsam vom Landesjugendreferat Tirol unter Stadtrat Arthur Haidl341 und dem Pädagogischen Institut der Universität veranstaltete Ausstellung „Spielzeug für Dein Kind“ im Stadtsaalgebäude. Sie wurde mit einem ausgezeichneten Vortrag der Wiener Professorin Sylvia Bayr-Klimpfinger eröffnet über „Arbeits- und Spielerziehung im sozialkulturellen Wandel der Gesellschaft“342. Die Aufsicht während der zweiwöchigen Ausstellung zwischen 10 und 20 Uhr wurde abwechselnd von sechs unserer Studentinnen übernommen.343 Haidl hat sich für die „Hilfsbereitschaft und gute Zusammenarbeit bei Vorbereitung und Durchführung der Ausstellung“ bedankt. „Durch Ihre Mithilfe war es möglich, den zahlreichen Besuchern der Ausstellung wertvolle Hinweise für den Kauf von gutem Spielzeug zu geben und den vielen Kindern, unter denen Stammgäste keine Seltenheit waren, vorweihnachtliche Freude zu bereiten.“344 Bei dieser Menge beruflicher Pflichten und Aufgaben ist weder für konzentrierte wissenschaftliche Forschung noch für größere Publikationen Zeit geblieben. Außer dem Sammelband „Der Erzieher und seine Aufgaben“345 zur Praktischen Pädagogik von 1966 ist von mir bis 1971 kein Buch mehr erschienen. Unter anderem hat auch die Begleitung der Doktoranden bei der Arbeit an ihren Dissertationen und deren Verbesserung bis zu druckreifen Texten einschließlich der „Einführungen des Herausgebers“ viel Mühe gekostet. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag Julius Beltz im hessischen Weinheim und seinem Geschäftsleiter Dr. Manfred Rübelmann war jedoch immer perfekt und sehr erfreulich. Für den ersten Band der Schriftenreihe „Studien zur Erziehungswissenschaft“ habe ich 1967 eine achtseitige Einführung in ihr Programm geschrieben. Sie hatte den Titel: „Über die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der 341 (1910–1976). 342 Am 23.11.1962 in der Neuen Universität. „Einladung“ im PAB. Taschen-Kalender 1962. Über Bayr-Klimpfinger Brezinka, Bd. 1, 2000, 454 ff. und in diesem Buch S. 166, 260, 301. 343 Brezinka am 14.11.1962 an Haidl. PAB. 344 Haidl vom Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. IV e Jugendreferat am 9.1.1963 an Brezinka. PAB. 345 Brezinka 1966. Vgl. in diesem Buch S. 254 ff.

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Erziehungswissenschaft“346. Der angesehene Verlag hat sie auch als Einleitung im Prospekt für sein Jahresprogramm vollständig abgedruckt und ihr dadurch weiteste Verbreitung ermöglicht. Da dieser Text das 1966 vorgestellte Programm meiner „Praktischen Pädagogik“ durch jenes für die „Erziehungswissenschaft“ ergänzt, seien hier einige Teile ausführlich wiedergegeben. „Die Schriftenreihe, die mit diesem Band begonnen wird, soll Beiträge von Autoren vereinen, die die Erziehungswissenschaft als eine Realwissenschaft verstehen. Sie halten es für unzweckmäßig, noch länger unter dem vieldeutigen Wort ,Pädagogik‘ so verschiedenartige Gebilde wie wissenschaftliche Aussagen, moralphilosophische Überlegungen, Anweisungen für die Erziehungs­ praxis und Forderungen an die Erziehungspolitik zusammenzufassen und für diese Mischung eine Sonderstellung unter allen Wissenschaften zu beanspruchen. Sie sind vielmehr der Auffassung, dass die Erziehungswissenschaft den Sozialwissenschaften zuzurechnen ist und sorgfältig von der Philosophie der Erziehung, von der ,Erziehungslehre‘ (oder ,Praktischen Pädagogik‘) und von den Vorschlägen zur Erziehungspolitik abgegrenzt werden sollte. Die Erziehungswissenschaft wird hier (im Unterschied zu den historischen Wissenschaften) als eine theoretische oder verallgemeinernde Wissenschaft angesehen, da sie mit Hilfe von Theorien Ereignisse zu erklären und vorauszusagen versucht. Sie wird zugleich als eine empirische Wissenschaft betrachtet, weil sie sich auf die Erfahrung stützt, weil die Ereignisse, die sie erklärt, beobachtbare Tatsachen sind, und weil über Annahme oder Ablehnung jeder Theorie letzten Endes durch Beobachtung entschieden werden muss. In diesem Sinne unterscheidet sich die Erziehungswissenschaft nicht grundsätzlich von anderen Erfahrungswissenschaften, seien es nun Natur-, Kultur- oder Sozialwissenschaften.“ „Wie der Wissenschaftsbegriff der Erfahrungswissenschaften oder der Erkenntnisbegriff kann auch unser Begriff von Erziehungswissenschaft nur durch Festsetzung gewonnen werden. Es handelt sich um einen Vorschlag, bei dem wir uns von der Wertschätzung für logische Strenge, Dogmenfreiheit und praktische Anwendbarkeit leiten lassen. Der traditionellen deutschen Pädagogik liegen andere Basisentscheidungen und damit auch andere Wissenschaftsbegriffe zugrunde….“ „Es bestehen derzeit über Probleme der Erziehung noch außerordentlich verschiedene Ansichten nebeneinander, ohne dass diese Variationsbreite von Lehrmeinungen sachlich genügend gerechtfertigt wäre. Selbst wichtigste pädagogische Fachausdrücke werden von verschiedenen Autoren in ganz verschie346 Posch 1967, 5–13. Nachdruck: Brezinka: Beiträge zur österreichischen Bildungspolitik, 2008, 66–72.

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denen Bedeutungen gebraucht. Dieser unbefriedigende Zustand kann nur überwunden werden, wenn wir aufhören, Hypothesen und Theorien, die wir für falsch oder für unfruchtbar halten, einfach zu ignorieren oder sie – in der Hoffnung auf Gegenseitigkeit – zumindest zu schonen. Deshalb will die neu begonnene Schriftenreihe ausdrücklich auch der erziehungswissenschaftlichen Kritik dienen und zur Diskussion zwischen verschiedenen ,Richtungen‘ und ,Schulen‘ herausfordern. Es sollen hier als Vorarbeit für künftige empirische Forschungen auch Grundbegriffe geklärt, überlieferte Theorien kritisch analysiert und neue Denkmodelle versucht werden….“ „Die Aussagensysteme, die gewöhnlich als ,Pädagogik‘ bezeichnet werden, sind auffallend informationsarm. Das scheint mit der eigentümlichen Scheu zusammenzuhängen, die viele Hochschullehrer der Pädagogik davor zurückhält, psychologische und soziologische Forschungsergebnisse zum Thema Erziehung zur Kenntnis zu nehmen und für die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung auszuwerten. Analysiert man Lehrbücher der ,Pädagogik‘ oder den Inhalt der wissenschaftlich gemeinten pädagogischen Fachzeitschriften, so drängt sich der Eindruck auf, dass es erziehungswissenschaftliche Forschung, die mit der Forschung in anderen Erfahrungswissenschaften vergleichbar wäre, zumindest unter der Bezeichnung ,Pädagogik‘ noch kaum gibt. Daraus darf jedoch keineswegs geschlossen werden, dass Probleme der Erziehung bisher wissenschaftlich noch gar nicht bearbeitet worden sind und die Erziehungswissenschaft deshalb von vorn beginnen müsse. Es verhält sich vielmehr so, dass der Gegenstandsbereich ,Erziehung‘– wenn auch häufig unter anderem Namen wie z. B. ,socialization‘, ,social interaction‘, Institutionsforschung, Kleingruppenforschung usw. – von anderen Wissenschaften, insbesondere von der Psychologie und der Soziologie, bereits seit Jahrzehnten erforscht sind. Es liegt außerhalb der traditionellen ,Pädagogik‘ eine Fülle von wertvollen Hypothesen und Forschungsergebnissen vor, die für eine erfahrungswissenschaftliche Theorie der Erziehung von großem Nutzen sein können. Wir möchten in dieser Schriftenreihe unter anderem auch versuchen, einiges davon systematisch aufzuarbeiten, um dazu beizutragen, dass man schrittweise wenigstens zu einem Grundbestand relativ bewährter Sätze gelangt, denen alle Erziehungswissenschaftler unabhängig von weltanschaulichen Voraussetzungen zustimmen können. Größere Fortschritte werden im Kreis jener Personen, die von der Gesellschaft ausdrücklich für Forschung und Lehre über Erziehung freigesellt worden sind, allerdings vermutlich erst dann gelingen, wenn diese aufhören, das Fach ,Pädagogik‘ als eine philosophische Disziplin zu betrachten, und auf liebgewonnene Vorstellungen von seiner Autonomie im Kreis der Nachbarwis-

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senschaften verzichten. Die Schwierigkeiten, die sich bis heute bei dem Versuch ergeben, die Erziehungswissenschaft und ihre Teildisziplinen in ein System der Wissenschaften logisch befriedigend einzuordnen, rühren zum Teil daher, dass für sie eine ganz einzigartige Sonderstellung jenseits der Erfahrungswissenschaften beansprucht wird, die man lediglich der ,Philosophie der Erziehung‘ zubilligen könnte, sofern diese auch – wie in den englischsprachigen Ländern (philosophy of education) – als solche deklariert und nicht missverständlich einfach als ,Pädagogik‘ oder ,Erziehungswissenschaft‘ schlechthin ausgegeben wird. Nicht weniger problematisch aber ist es, wenn behauptet wird, die Erziehungswissenschaft sei zwar eine Erfahrungswissenschaft, aber sie habe einen Gegenstand, der von den Gegenständen der ,Nachbarwissenschaften‘ Psychologie und Soziologie grundsätzlich verschieden sei. Die Anhänger dieser Auffassung ordnen die drei Disziplinen einfach nebeneinander und betrachten Psychologie und Soziologie oder überhaupt alle Wissenschaften vom Menschen als sogenannte ,Hilfswissenschaften‘ der Erziehungswissenschaft (so z. B. Rudolf Lochner 1963, 437 ff.). Dabei wird verkannt, dass die Erziehung eine besondere Form des zwischenmenschlichen Verhaltens ist, dass ihr seelische Motive zugrunde liegen und dass sie auf psychische Wirkungen abzielt – also zweifellos ein Gegenstand der Psychologie, insbesondere der Sozialpsychologie ist. Da Erziehung von Menschen ausgeübt und empfangen wird, die sozialen Gruppen angehören und die zumindest zeitweise unter dem Einfluss von Institutionen stehen, welche ausdrücklich um erzieherischer Zwecke willen geschaffen worden sind, ist die Erziehung auch Gegenstand der Soziologie. Sie kann wie jedes andere menschliche Verhalten und dessen Voraussetzungen und Ergebnisse grundsätzlich Gegenstand aller Wissenschaften vom Menschen sein. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine eigene Disziplin ,Erziehungswissenschaft‘ überflüssig wäre. Es ist wegen der Bedeutung des Kulturbereiches ,Erziehung‘ durchaus zweckmäßig, im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeitsteilung eine Spezialdisziplin aufzubauen, die seiner Erforschung gewidmet ist. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass ihr Gegenstand von mehreren Wissenschaften aus bearbeitet werden kann und dass sie deshalb weitgehend auf interdisziplinäre Forschung angewiesen ist.“ „Die deutsche ,Pädagogik‘ zehrt inhaltlich noch überwiegend von häufig wiederholten Interpretationen der Texte, in denen die für klassisch gehaltenen Autoren des eigenen Kulturraumes ihre Gedanken über Erziehung niedergelegt haben. Viele ihrer Vertreter sind vom Ausland geistig isoliert und manche scheinen sogar stolz darauf zu sein, dass sie die noch immer für einen natio-

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nalen Vorzug gehaltene spekulative Tradition schon allein dadurch an den Hochschulen fortzusetzen vermögen, dass sie angelsächsische Autoren, die des ,Empirismus‘ oder des ,Positivismus‘ verdächtig sind, gar nicht erst lesen. Nur so ist es zu erklären, dass man sich hier noch immer mit der Behauptung zufrieden gibt, die ,Pädagogik‘ sei eine sogenannte ,hermeneutische Disziplin‘ (W. Flitner 1958, 22 f.), statt sich mit Hilfe der modernen Wissenschaftslogik (vgl. z. B. Hans Albert 1964) eine methodologisch weniger anfechtbare Auffassung von der eigenen Disziplin zu erarbeiten. Die deutsche ,Pädagogik‘ ist weit davon entfernt, eine internationale Disziplin zu sein. In vielen ihrer Texte wird der Mangel an Informationsgehalt durch eine betont unklare esoterische Sprache verschleiert, die gar nicht übersetzbar ist. Da der Erziehungswissenschaft in einer modernen Gesellschaft sehr wichtige Forschungsaufgaben zufallen und da ihre Vertreter direkt oder indirekt für die gute oder schlechte Ausbildung von Zehntausenden Lehrern und außerschulischen Erziehern mitverantwortlich sind, scheint es uns weniger denn je zuvor berechtigt zu sein, sich selbstgenügsam auf deutsche Quellen zu beschränken. Wie die Psychologie und die Soziologie längst internationale Disziplinen sind, sollte es auch die Erziehungswissenschaft werden. Wir streben deshalb in dieser Schriftenreihe auch an, den deutschen Lesern die erziehungswissenschaftlichen Forschungsergebnisse des Auslandes zu erschließen…. Wir wollen uns auch um eine Terminologie bemühen, die übersetzbar ist, weil die Begriffsmerkmale präzis bestimmt werden, statt sie den Leser erraten zu lassen.“ „Die traditionelle philosophische Pädagogik enthält zwar viele Bekenntnisse zur Verantwortung für die Erziehungspraxis, aber sie hat bisher wenig zur Lösung praktischer Probleme beigetragen. Zu einer Zeit, in der ein zunehmend größerer Teil des Nationaleinkommens für die Erziehung ausgegeben wird und in der aus der Praxis unzählige Fragen an die Erziehungswissenschaftler herangetragen werden, wäre es unverzeihlich, wollten sie sich mit der Auslegung der pädagogischen Literaturgeschichte, mit kulturkritischen Ermahnungen, nebulosen philosophischen Ideen und vagen ungeprüften und unprüfbaren Empfehlungen zufriedengeben. Sie sollten vielmehr die Probleme der Praxis aufgreifen, Vorschläge kritisch analysieren, Erziehungsmaßnahmen wie -einrichtungen auf ihre Wirkung hin prüfen und im Sinne einer Technologie der Erziehung erforschen, was unter welchen Bedingungen erreicht und was nicht erreicht werden kann. Diese technologische Orientierung wird sich auch für die reine Theorie als fruchtbar erweisen, ,denn sie zwingt uns dazu, unsere Theorien eindeutigen Maßstäben wie dem der Klarheit und der praktischen Prüfbarkeit zu unterwerfen‘ (Popper 1965, 48).

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Wer an der Forderung nach einer Technologie der Erziehung Anstoß nehmen sollte, sei daran erinnert, dass Erziehen nichts anderes bedeutet als den Versuch, einen anderen Menschen fördernd zu beeinflussen. Solche Versuche geschehen dauernd und zumindest Kinder und Jugendliche sind auf diese Hilfen angewiesen. Deshalb kann es uns nicht gleichgültig sein, ob und welche erzieherischen Handlungen, Handlungsketten (Verfahren) und Einrichtungen wirksam oder unwirksam sind. Forschungen zur Technologie der Erziehung gehören vielmehr zu den zentralen Aufgaben der Erziehungswissenschaft. In diesem Sinne sollen in dieser Schriftenreihe gerade auch praktische Probleme bearbeitet und dadurch Gesichtspunkte für eine sorgfältigere erzieherische Planung gewonnen werden…“ Innsbruck, am 18. Februar 1967.

BESTREBUNGEN DES UNTERRICHTSMINISTERIUMS ZUM AUSBAU DER PÄDAGOGIK AN DEN UNIVERSITÄTEN 1964– 1967 Der zuletzt zitierte Text über die Lage und die Aufgaben der Erziehungswissenschaft ist im Winter 1966/67 entstanden. Er zeigt das zwiespältige Bild, das ich von meinem Fach, seiner Wichtigkeit und seinen Schwächen gewonnen und verbreitet hatte. Seine Lage war 1963 so jämmerlich, dass ich als sein damals einziger Professor an den österreichischen Universitäten nicht untätig bleiben konnte. Deswegen ist es zu meiner „Denkschrift über Maßnahmen zur Förderung der Erziehungswissenschaft in Österreich“347 gekommen. Sie war an Unterrichtsminister Drimmel gerichtet und hat an das von ihm durchgesetzte Schulgesetz von 1962 angeknüpft. Vorgeschlagen wurde der ehestmögliche Ausbau des Pädagogischen Instituts der Universität Innsbruck zu einem nationalen Zentrum der Erziehungswissenschaft durch zwei weitere Lehrstühle. Diese sollten der Schulpädagogik und der Pädagogischen Psychologie gewidmet werden. Die Eile wurde unter anderem damit begründet, dass als Dozenten für die kommenden Pädagogischen Akademien in Österreich rund fünfzig Pädagogiker und Psychologen gefehlt haben, die nicht nur schulerfahren, sondern 347 Vgl. in diesem Buch S. 274. Ausführlich Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 2, 2003, 532 ff.; Bd. 1, 2000, 204 f., ebenda vollständiger Text 895–901.

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auch erziehungswissenschaftlich gut ausgebildet sein sollten. Dabei war mir klar, dass es ausgeschlossen ist, sie in den wenigen Jahren bis zur Eröffnung der Pädagogischen Akademien finden und ausbilden zu können. „Wir müssen vielmehr sehr bescheiden anfangen … . Man kann nicht jetzt … rasch nachholen, was an Planung auf dem Gebiet des Erziehungswesens bisher versäumt worden ist“.348 Die meisten der relativ wenigen Pädagogik-Lehrer der Lehrerbildungsanstalten müssten in die Pädagogischen Akademien übernommen werden. Sie könnten nur allmählich durch besser ausgebildete Fachleute ergänzt werden. Ebenso klar schien mir zu sein, dass der Bedarf an erziehungswissenschaftlichem Nachwuchs mit Diplom, Doktorat und möglicher Befähigung zur Habilitation in den Universitäten und Pädagogischen Akademien (oder Hochschulen) in Relation zur vergleichsweise geringen Menge der notwendigen Dienstposten begrenzt bleiben wird. Deshalb habe ich in meinem „Antrag auf Einführung des Diplom-Studiums der Erziehungswissenschaft“ an das Bundesministerium für Unterricht vom 7. Oktober 1963 zunächst empfohlen, „dieses Studium im Sinne einer Schwerpunktbildung auf eine österreichische Universität zu beschränken“, weil es „nur an Pädagogischen Instituten mit einem relativ großen Lehrkörper durchgeführt werden kann“349. Damals war schwer vorstellbar, dass das Diplom-Studium der Pädagogik ein Massenstudium werden wird. Das Hauptmotiv für die vorläufige Beschränkung auf den Ausbau des Innsbrucker Instituts war international der katastrophale Mangel an berufbaren Erziehungswissenschaftlern hinreichender, geschweige erstklassiger Qualität. Unter diesen Umständen war das winzige Innsbrucker Institut mit seinem unfertigen Personal damals von den vier österreichischen Universitäten die einzig mögliche für einen nationalen erziehungswissenschaftlichen Forschungsund Studienschwerpunkt. Das hat auch Unterrichtsminister Drimmel so gesehen. Es lag nicht an privatem Ehrgeiz, Geltungssucht oder Größenwahn, sondern an Pflichtbewusstsein, Dienstbereitschaft und Patriotismus, dass ich mich dafür engagiert habe, statt mich auf Forschung und Lehre zu beschränken. Unabhängig von meinen Bemühungen, in der Innsbrucker Philosophischen Fakultät Verständnis und Unterstützung für den Ausbau meines Instituts zu gewinnen, hat auch im staatlichen Pflichtschulwesen bei Lehrern, Schulinspektoren, Pädagogischen Instituten des Bundes und der Länder sowie im 348 Brezinka am 4.12.1963 an Meister. PAB. 349 Antrag vom 7.10.1963 mit Bezug auf den Erlass des BMfU vom 31.8.1963, Zl. 92015-1 b/63. PAB.

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Unterrichtsministerium die Forderung nach Ausbau der Pädagogik an den Universitäten zugenommen. Mit dem nötigen Nachdruck ist das erst ab 1962 auf Grund des Schulorganisationsgesetzes geschehen, durch das die Ausbildung der Pflichtschullehrer an Pädagogischen Akademien eingeführt wurde. Für den Antrieb im Ministerium wäre die Sektion V für Allgemeinbildendes Schulwesen350 zuständig gewesen, genauer deren Abteilung V/5 für Allgemeinbildendes Pflichtschulwesen und seine Lehrerbildung unter Leitung des Ministerialrates Dr. Ludwig Lang351. Ich habe ihn gut gekannt, als besten Schulfachmann des Ministeriums hoch geschätzt und 1960 als erfolgreichen Referenten für die von mir geleitete Pädagogische Fortbildungswoche für Südtiroler Lehrer in Burgeis gewonnen.352 Auf Grund seiner schlechten Erfahrungen mit den Vertretern der Pädagogik an der Universität Wien (Meister, Schwarz) wollte Lang jedoch die Kontrolle der Auswahl, Ausbildung und Fortbildung des Lehrpersonals der Pädagogischen Akademien wie früher in seiner Ministerialabteilung behalten. Die Konzentration von gründlichen erziehungswissenschaftlichen Studien und intensiver Forschung in einem gesamtösterreichischen universitären Schwerpunkt hat er abgelehnt und darauf bestanden, dass ein vollständiges Studium der Erziehungswissenschaft an jeder der vier Universitäten ermöglicht werden sollte. Bei der II. Enquete des Ministeriums zur Vorbereitung der Pädagogischen Akademien am 26. und 27. Februar 1964 in Wien hat Lang folgenden Standpunkt vertreten: „Wir glauben, dass die normalen Studien der künftigen Lehrerbildner an irgendeiner Fakultät einer Universität zu erfüllen sind und den pädagogisch-philosophischen Disziplinen gelten, ohne dass wir dabei einer bestimmten Lehrkanzel eine Monopolstellung einräumen müssten. Daraus ergibt sich aber die Folgerung, dass alle pädagogischen Lehrkanzeln unserer Universitäten in wünschenswerter Weise ausgebaut werden sollten.“353 Das konnte nur „glauben“, wer den katastrophalen Nachwuchsmangel in der wissenschaftlichen Pädagogik und Fehlbesetzungen ihr gewidmeter Lehrstühle ebenso ignorierte wie das mangelnde Interesse der Philosophischen Fakultäten an weitsichtiger Planung zur Sanierung dieses Faches. 350 Österreichischer Amtskalender für das Jahr 1964, 30; Brezinka, Bd. 2, 2003, 534 ff. 351 (1902–1989). Lebensdaten bei Lang 1972; Kutschera 1991. 352 Lang hat zwischen 6. und 9.9.1960 zwei Vorträge und eine Arbeitsgemeinschaft zum „Unterricht auf der Volksschuloberstufe“ übernommen. Programm des Südtiroler Kulturinstituts Bozen. PAB. 353 Lang 1965, 19. Dabei hat er irrtümlich von „Lehrkanzel“ (bezogen auf Brezinka) gesprochen, aber „Institut“ gemeint.

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Da Minister Drimmel ohne Anträge der Philosophischen Fakultäten nicht aktiv werden wollte und solche nicht zu erwarten gewesen sind, ist die politisch beste Gelegenheit bald nach der Schulgesetzgebung von 1962 ungenutzt verstrichen. Die Situation hat sich jedoch noch im gleichen Jahr unerwartet verändert. Am 2. April 1964 hat Drimmel nach fast zehnjährigem verdienstvollem Wirken354 im Zuge der Bildung der Regierung Klaus I sein Amt verloren. Er ist durch den Kammeramtsdirektor der steirischen Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft und Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Theodor Piffl-Percevic355 ersetzt worden. Ich habe ihn am 15. Juni brieflich auf meine Denkschrift aufmerksam gemacht und um eine Unterredung gebeten. Schon am 2. Juli hat er sich dafür eineinhalb Stunden Zeit genommen. Er zeigte sich wie sein Vorgänger überzeugt, dass der Ausbau der Pädagogik an den Universitäten notwendig sei und hat auch der Schwerpunktbildung an einer Universität zugestimmt, aber wie vorher Drimmel auf Anträgen aus der Fakultät bestanden.356 Piffls freundliche und verständnisvolle Anteilnahme hat mich gefreut. Sie ließ jedoch keinen Weg erkennen, um den Widerstand der Philosophischen Fakultäten einträchtig zu überwinden. Inzwischen hatte ich erfahren, dass Aussicht auf meine Berufung an die Universität München bestehe. Unter diesen Umständen musste ich mir Klarheit darüber verschaffen, ob der neue Minister den unverzüglichen Ausbau des Innsbrucker Instituts durchsetzt oder nicht. Der einflussreiche Obmann des Katholischen Tiroler Lehrervereins und Landtagsabgeordnete Max Plattner357 war vom Nutzen der Sache für Tirol, Südtirol und ganz Österreich überzeugt. Er hat angeboten, sich bei Piffl brieflich dafür einzusetzen und um eine Skizze meiner Argumente gebeten. Ich habe in einem sechsseitigen Brief die wichtigsten „Stimmen“ zitiert, „die gleich mir den Ausbau der Pädagogischen Universitätsinstitute dringend gefordert haben“ – angefangen von Otto Glöckels358 „Leitsätze(n) zur Neugestaltung der Lehrerbildung“359 aus dem Jahre 1920 bis zu meiner „Denkschrift“ von 1963

354 Seit 1.11.1954. Vgl. Engelbrecht 2006. 355 (1911–1994). Autobiographie: Piffl-Percevic 1977. 356 Brezinka, Bd. 2, 2003, 541 ff. 357 Über ihn vgl. S. 331. 358 (1874–1935). Sozialdemokratischer Schulreformer, 1919/20 Unterstaatssekretär für Unterricht, 1922–34 Geschäftsführender 2. Präsident des Wiener Stadtschulrats. Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 156. 359 Glöckel bei Fadrus 1920, 166–171.

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und den jüngsten Resolutionen schulpolitischer Gremien.360 Ich kann hier nur die wesentlichen Folgerungen zitieren: „All diese Resolutionen bringen uns aber keinen Schritt weiter, wenn nicht der Herr Bundesminister für Unterricht persönlich die Initiative dazu ergreift, den Ausbau der Pädagogischen Universitätsinstitute voranzutreiben. Die Universitäten werden von sich allein aus weder die nötige Initiative aufbringen, noch Bemühungen von Einzelpersonen fördern, weil sie die Bedeutung der Erziehungswissenschaft einfach nicht genügend zur Kenntnis zu nehmen bereit sind. Ich selbst habe in einem umfangreichen Briefwechsel mit Bundesminister Dr. Drimmel und durch die Vorlage meiner Denkschrift und des Memorandums alles getan, was in meinen Kräften steht, um den Bundesminister für Unterricht und die zuständigen Abteilungen im Ministerium davon zu überzeugen, dass der rasche Ausbau wenigstens eines der Pädagogischen Institute an den österreichischen Universitäten zu einem Zentrum moderner Erziehungswissenschaft unerlässlich ist. Neue zusätzliche Argumente lassen sich zu den von mir vorgelegten jetzt nicht mehr bringen. Es hängt nun alles von der Entscheidung des Herrn Bundesministers für Unterricht ab, die von mir vorgeschlagenen Lehrkanzeln zu errichten. Es ist ganz aussichtslos, damit auf die Anträge der Philosophischen Fakultäten zu warten. In ihnen wird die Pädagogik nicht geschätzt und daher werden auch alle Anträge ihrer Vertreter so weit hinten in der Wunschliste der Fakultät gereiht, dass sie in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung haben. Der Herr Bundesminister für Unterricht hat hochschulrechtlich durchaus die Möglichkeit, von sich aus aktiv zu werden. Ich habe ihn bereits auf das Hochschulorganisationsgesetz 1955 hingewiesen, dessen Paragraph 58, Absatz 2 lautet: ,Lehrkanzeln werden nach Anhörung des zuständigen Professorenkollegiums vom Bundesministerium für Unterricht errichtet, benannt und aufgelassen.‘ Ich habe daher am 28.11.1963 an Herrn Bundesminister Dr. Drimmel und am 2.7.1964 sowie erneut am 16.10.1964 an Herrn Bundesminister Dr. Piffl die Bitte gerichtet, aus eigener Initiative – ohne einen Antrag der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck abzuwarten – dort die im Nahprogramm vorgesehenen zwei neuen Lehrkanzeln für Pädagogik bzw. Pädagogische Psychologie zu errichten. Es würde dem Herrn Bundesminister sicher nicht schwerfallen, die Fakultät von der Notwendigkeit eines erziehungswissenschaftlichen Schwerpunktzentrums in Österreich zu überzeugen. Die Fakultät würde sich gewiss nicht gegen diese Pläne sträuben, wenn sie erst einmal erfahren hat, dass der Bundesminister für Unterricht persönlich dahintersteht. 360 Brezinka am 24.11.1964 an Plattner. PAB.

Bestrebungen des Unterrichtsministeriums zum Ausbau der Pädagogik

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Es müsste nun endlich gehandelt werden, damit nicht weiter kostbare Zeit verloren wird. Ich erwarte daher vom Bundesminister für Unterricht in Kürze eine klare Entscheidung, ob er gewillt ist, von sich aus an die Fakultät heranzutreten und die Errichtung der beiden neuen Lehrkanzeln in Angriff zu nehmen oder nicht. Die von mir in der Denkschrift entwickelten Pläne zielen auf ein Stück Hochschulreform. Es ist aber die übereinstimmende Meinung aller Fachleute zu Fragen der Hochschulreform, dass eine solche Reform niemals durch Fakultätsbeschlüsse zu verwirklichen ist, sondern nur dadurch, dass die zuständigen staatlichen und politischen Instanzen die Initiative dazu ergreifen. Ein Bundesminister für Unterricht hat daher nicht zu verwalten, sondern er müsste regieren. Wenn ein Minister der Österreichischen Volkspartei nicht den Mut hat, mit dem Mangel an Initiative auf Seiten des Bundesministeriums für Unterricht zu brechen und die gesetzlichen Möglichkeiten für eine aktive Hochschulpolitik auszuschöpfen, dann wird Entscheidendes versäumt. Man kann dann als reformfreudiger Wissenschaftler tatsächlich nur mehr auf einen sozialistischen Unterrichtsminister hoffen, der vermutlich sein gutes politisches Recht, neue Normen zu setzen und die gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen, aktiver ausüben wird. Ich will noch hinzufügen, dass ich persönlich nach all diesen mühevollen Vorbereitungen der Resignation ziemlich nahe bin. Ich wiederhole Ihnen, was ich in einem Brief an Bundesminister Dr. Drimmel vom 18.11.1963 geschrieben habe: ,Ich muss auch für mich selbst bald eine Entscheidung darüber treffen, ob es Sinn hat, die außerordentlich mühsamen und an den Kräften zehrenden Bemühungen um Verwirklichung meiner Pläne fortzusetzen, weil ich mit dem Verständnis und der Förderung durch die Unterrichtsverwaltung rechnen kann, oder ob ich von meiner Initiative ablassen soll, um mich auf meine normale Lehr- und Forschungstätigkeit zu beschränken, die ja angesichts der Größe des Fachgebietes ohnedies schon anstrengend genug ist. Ich kann es mir auch mit Rücksicht auf meine Familie nicht leisten, mich in einem jahrelangen Kampf um Einrichtungen, die als Fundament für das Erziehungswesen in jedem modernen Staat unerlässlich sind, gegen offene und verborgene Widerstände aufzureiben.‘ Ich strebe daher schon für die nächsten Wochen eine Klärung an. Ich erwarte vom Herrn Minister ein klares Ja oder Nein zu meinen Vorschlägen. Wird mit Nein entschieden oder werden die Verhandlungen weiter hinausgeschleppt, so bin ich fest entschlossen, meine Lehrtätigkeit in Österreich zum frühest möglichen Zeitpunkt aufzugeben und einem Ruf in die Bundesrepublik Deutschland zu folgen, wo man mir alles, was ich hier aufzubauen bemüht bin, längst sehr großzügig angeboten hat. Bitte fassen Sie das nicht falsch als eine Drohung auf, sondern nur als das Ergebnis eines

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vierjährigen mühsamen Kampfes um die Förderung meines Faches in Österreich, bei dem ich bisher völlig allein gelassen worden bin und in dem nur Sie … durch die verständnisvolle Initiative, die Sie in letzter Zeit in dieser Frage gezeigt haben, für mich zu einem Lichtblick geworden sind.“ Ich hatte wenig Hoffnung auf Erfolg dieser Argumentation. Es sind vermutlich noch viele andere mir unbekannte Ereignisse zusammengekommen, die Piffl veranlasst haben, seinen vorsichtigen Kurs zu ändern und den Mut zur Nutzung seiner Rechte aufzubringen. Jedenfalls hat der Leiter der Hochschulsektion des Bundesministeriums für Unterricht „für den Bundesminister“ am 22. Dezember 1964 völlig überraschend einen Erlass verschickt, der den „Ausbau der Lehrkanzeln für Erziehungswissenschaft und ihre Hilfswissenschaften an den österreichischen Universitäten“361 ankündigte. Das Ministerium beabsichtige, zusätzlich zu den bereits bestehenden (soweit nicht wie in Wien schon vorhanden) je eine Lehrkanzel für Schulpädagogik, Pädagogische Psychologie und Pädagogische Soziologe im Dienstpostenplan 1966 zu errichten. Die Dekanate wurden um Stellungnahme gemäß § 58 Absatz 2 des Hochschul-Organisationsgesetzes 1955 beziehungsweise um Anträge der Professorenkollegien gemäß § 26 Absatz 2a ersucht. Zur Begründung wurden die Wünsche „verschiedener Gremien“ nach dem Beschließen des Schulgesetzwerkes 1962 angegeben. An erster Stelle wurde die große Enquete des Ministeriums zur Vorbereitung der Pädagogischen Akademien vom 26. und 27. Februar 1964 genannt, an der die Professoren Erich Heintel für die Wiener Universität, Brezinka für die Innsbrucker und Ferdi­ nand Weinhandl für die Grazer Universität teilgenommen haben. Insgesamt waren zehn neue Lehrkanzeln für Erziehungswissenschaft vorgesehen: eine für Wien und je drei für Graz, Innsbruck und Salzburg.

SABOTAGE DES AUSBAUES DURCH DIE PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT 1965–1967 Seit der Einführung des Faches „Erziehungskunde“ an den österreichischen Universitäten im Jahre 1805362 war Piffls Erlass von 1964 der wichtigste und erfolgreichste Beitrag der Staatsregierung zur Förderung der Pädagogik. Trotzdem war ich über seinen Inhalt und seine Form entsetzt. Er war ein unver361 BMfU, Zl. 127 855-I/4/64. Abdruck bei Brezinka, Pädagogik in Österreich, Bd. 1, 2000, 902. Zum Ganzen ebenda 205 ff. 362 Vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 34 f.

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nünftiger hochschulpolitischer Kraftakt, der der Sache mehr geschadet als genutzt hat. Statt die Universitäten über die kulturpolitischen Gründe für den Ausbau der Pädagogischen Institute (nicht „der Lehrkanzeln“!) aufzuklären und ihre Ehren bringende Mitarbeit zu gewinnen, wurden sie ganz unvorbereitet mit einer Aktion überfallen, die mangelhaft, zu groß und zu schnell geplant gewesen ist. Es war eine bekannte Tatsache, dass habilitierte und berufbare Fachleute für Erziehungswissenschaft und verwandte Spezialfächer in Österreich wie im deutschsprachigen Ausland noch gänzlich gefehlt haben. Ein Diplom-Studiengang für Pädagogik lag in ferner Zukunft. Für die Lehramtsstudenten wurden Spezialisten für Schulpädagogik und Pädagogische Psychologie schon länger benötigt, aber Lehrkanzeln für „Pädagogische Soziologie“ sind seitens der Universitätspädagogiker nie gewünscht worden. Sie waren Lieblingsideen Langs und seiner Berater aus den Lehrerbildungsanstalten363, die das Fach unbedacht in den Lehrplan der Pädagogischen Akademien eingeschmuggelt und ihm gesetzliche Geltung verschafft haben. Die Aufnahme von vier Professuren für dieses imaginäre Spezialfach in die Liste der zehn vom Ministerium angebotenen Lehrkanzeln war unverantwortlich und musste das ganze Unternehmen des Ministers bei den Universitäten als unsolide in Verruf bringen. Der Erlass war so stümperhaft, dass der Verdacht nahelag, das sei von den Gegnern des Ausbaues der Pädagogik beabsichtigt gewesen.364 Ich hätte dringend von diesem Schnellschuss abgeraten, aber ich bin trotz jahrelanger ministerieller Kontakte nicht gefragt worden. Der von Sektionschef Dr. Franz Hoyer unterzeichnete Erlass ist am 11. Januar 1965 im Dekanat der Philosophischen Fakultät eingetroffen. Dekan war der Volkskundler Karl Ilg365. Er hat ihn nicht pflichtgemäß dem Professorenkollegium in der ersten folgenden Sitzung am 22. Januar noch in der nächsten am 12. Februar bekannt gegeben, sondern erst fünf Wochen später in einem Rund363 Zu deren vagen Vorstellungen über ihren Inhalt als Pflichtfach an Pädagogischen Akademien vgl. Hauser 1965, 53. Die erste und einzige Habilitation für „Pädagogische Soziologie“ ist 1973 im Rahmen des Instituts für Soziologie der Universität Wien Josef Kurzreiter gelungen. Siehe Brezinka, Bd. 1, 2000, 677 f. Zu Lehrstühlen für dieses Spezialfach ist es an den österreichischen Universitäten nie gekommen. 364 Dazu gehört auch die Nennung meines Namens als einzigem an der Enquete vom 26. und 27. Februar 1964 (nicht „im Jänner“!) beteiligten Pädagogikprofessor. Heintel als Philosoph und Weinhandl als Psychologe hatten sich nicht exponiert. 365 (1913–2000). Er gehörte zu jenen früheren Extra-Ordinarien, denen ich 1960 als Ordinarius „vorgereiht“ worden bin und die sich seither aus Neid „konsequent negativ“ (Windischer) gegen mich verhalten hatten.

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schreiben vom 18. Februar. Die Zwischenzeit wurde genutzt, um die Gegner des Ausbaues der Pädagogik einzuweihen, sie in geheimen Beratungen gegen den Erlass aufzuhetzen und mich als seinen angeblichen Urheber zu verleumden.366 Mit der Zurückhaltung des Erlasses durch den Dekan wurde bezweckt, die rechtzeitige Diskussion und Meinungsbildung zu verhindern, bevor in der letzten Fakultätssitzung des Semesters am 26. Februar die Abstimmung über den Dienstpostenplan 1966 erfolgen musste. Um auf diese vorzubereiten, habe ich am 21. Februar 1965 einen siebenseitigen aufklärenden Rundbrief an alle Mitglieder verschickt, der den Inhalt des Erlasses, die Rechtslage und die Motive erläuterte und folgende Stellungnahme vorschlug: „Die Philosophische Fakultät der Universität Innsbruck nimmt die Absicht des Bundesministeriums für Unterricht, wie an den anderen österreichischen Universitäten so auch in Innsbruck das Institut für Erziehungswissenschaft durch Errichtung zusätzlicher Lehrkanzeln auszubauen, zustimmend zur Kenntnis. Sie empfiehlt jedoch, diesen Ausbau nicht in einem Jahr, sondern schrittweise im Laufe von drei Jahren vorzunehmen. Sie beantragt daher für den Dienstpostenplan 1966 lediglich die Errichtung einer Lehrkanzel für Pädagogische Psychologie. Die Lehrkanzeln für Schulpädagogik und für Pädagogische Soziologie sollen je nach den Besetzungsmöglichkeiten bis 1967 oder 1968 zurückgestellt werden.“367 Eine zweite pädagogische Lehrkanzel war bereits am 28. April 1961 in die Forderungsliste der Fakultät aufgenommen worden und war 1962 eine Bedingung für die Ablehnung meiner Berufung an die Universität Tübingen. Sie ist 1964 für den Dienstpostenplan 1965 als „Pädagogik II“ je nach Besetzbarkeit für „Schulpädagogik“ oder „Pädagogische Psychologie“ beantragt worden.368 Der Bedarf ist jedes Mal gut begründet worden. Dekan Ilg hat in der für die Stellungnahme zum Ministerialerlass entscheidenden Sitzung am 26. und 27. Februar 1965 seine Behandlung mit einer Anklage gegen mich eröffnet. Brezinka habe seine bekannten Pläne zum Ausbau des Instituts für Erziehungswissenschaft, mit denen er in der Fakultät nicht durchgedrungen sei, nun ohne die Fakultät und gegen ihre Autonomie im Ministerium durchzusetzen versucht. Der Minister habe sich dazu hergegeben, sie durch den umstrittenen Erlass zu begünstigen. Der Erlass sei in erster Linie 366 Details in meinem zehnseitigen Bericht vom 27.2.1965 an das Bundesministerium für Unterricht „Zur Vorgeschichte der Behandlung des Ministerialerlasses Zl. 127.855-I/4/64 vom 22.12.1964 in der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck“. PAB. 367 PAB. 368 Am 15.2.1964. PAB.

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das Werk von Brezinka, der sich durch diese Art des Vorgehens außerhalb der Fakultät gestellt habe. Ilg habe erfahren, „dass auch leitende Beamte des Ministeriums nicht hinter dem Erlass stehen, sondern darin einen Eingriff in die Hochschulautonomie sehen, der besser unterblieben wäre, zumal er bei einem zu erwartenden Protest der Fakultäten die politische Position des Ministers gefährde“. Statt aufzuklären, zu beruhigen und auszugleichen, hat Ilg den Erlass ohne Verständnis für seinen Zweck bekämpft und von der Gefahr einer „Revolution“ im Professorenkollegium gesprochen. Zugleich deutete er an, „gewisse Hoffnungen zu haben, dass das Ministerium den Erlass zurückzieht“. Ich habe Piffl sogleich brieflich über die Lage berichtet369 und Folgendes vorgeschlagen. 1. Das Ministerium solle sich – anknüpfend an mein Separatvotum – in einem Schreiben an die Fakultät hinter den Erlass und schützend vor meine Person stellen und erklären, dass der Erlass entstanden sei, „um dringende Bedürfnisse des österreichischen Schulwesens … befriedigen zu können“. 2. „Der Inhalt des Erlasses müsste so ,interpretiert‘ (d. h. revidiert) werden, dass das Ministerium sich dem Vorwurf der Fakultäten entziehen kann, es wolle tatsächlich in einem einzigen Haushaltsjahr 10 pädagogische Lehrkanzeln neu errichten (Wien: 1, Innsbruck, Graz und Salzburg: je 3). Man könnte dabei so formulieren, dass eine genauere Prüfung ergeben hätte, dass diese Lehrkanzeln nur nach und nach errichtet werden können, weil neben anderen Gründen gar nicht genügend Personen vorhanden seien, um sie besetzen zu können. Bei dieser Gelegenheit sollte der Grundsatz aufgestellt werden, dass weitere pädagogische Lehrkanzeln nur dann beantragt bzw. errichtet werden sollen, wenn begründete Aussicht besteht, sie auch gut besetzen zu können. Die ,Inflation‘ von 10 neuen pädagogischen Lehrkanzeln würde nach meiner Überzeugung bei der derzeitigen Nachwuchslage die Erziehungswissenschaft in Österreich nicht fördern, sondern vollständig ruinieren.“ 3. habe ich empfohlen, „wenigstens vorläufig zum ursprünglichen Konzept einer Schwerpunktbildung zurückzukehren“. Neben Innsbruck könnte man formell auch das Wiener Institut als Schwerpunktinstitut gelten lassen, weil dort bereits drei der im Erlass vorgesehenen vier Lehrkanzeln bestehen. Die Aussichten, dass die beiden derzeit vakanten Lehrkanzeln gut besetzt werden können, seien jedoch so gering, „dass sachlich vom Wiener Institut wenig zu erwarten sein wird“. 4. Es bleibe nur übrig, „wenigstens das Innsbrucker Institut rasch und großzügig auszubauen. Dazu müsste das Ministerium der Fakultät in Kürze mitteilen, dass in Innsbruck im Sinne der Reformbestrebungen im Hochschulwesen an eine Schwer369 Brezinka am 2.3.1965 an Piffl. PAB.

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punktbildung im Fach Erziehungswissenschaft gedacht wird. Einen solchen Plan des Ministeriums würde die Fakultät als für sie ehrenvoll vermutlich nicht zurückweisen. Dadurch könnte meinen ja seit Jahren bekannten Vorschlägen in dieser Richtung der Charakter des ,Privaten‘ genommen werden, der von Gegnern dieser Pläne stets besonders betont worden ist.“ Unterrichtsminister Piffl war durch die Berichte über den Innsbrucker Konflikt alarmiert. Er hat meinen Vorschlag, den Erlass durch eine nachgeschobene „Interpretation“ zu revidieren, aufgegriffen und am 11. März 1965 einen Brief an die Dekane der vier Philosophischen Fakultäten verschickt. Darin hat er die im Erlass unterbliebene Begründung für sein Aufsehen erregendes Vorgehen geliefert und sich auf das Angebot je einer zusätzlichen pädagogischen Lehrkanzel pro Universität zurückgezogen.370 Dekan Ilg hat dem Innsbrucker Professorenkollegium diesen Brief des Unterrichtsministers mit der Begründung vorenthalten, er sei an ihn persönlich gerichtet. In der entscheidenden Sondersitzung der Fakultät am 25. März 1965 hat er ihn nur in tendenziösen Auszügen mündlich bekannt gegeben.371 Deshalb konnte sich die Fakultät mit seinem Inhalt nicht gründlich befassen und hat ihn mehrheitlich als vollständigen Rückzug des Ministers missverstanden. Da sich die Innsbrucker Fakultät auf passiven Widerstand versteifte, ließ Piffl ihr im Dienstpostenplan 1966 eine unbeantragte Lehrkanzel „Pädagogik II“ zuweisen und um einen Besetzungsvorschlag ersuchen. Die Mehrheit der Professoren hat sich jedoch geweigert, diese „aufgezwungene“ Lehrkanzel anzunehmen und eine Berufungskommission einzusetzen. Durch diese Herausforderung sah sich Piffl veranlasst, dem Innsbrucker Professorenkollegium am 21. Oktober 1966 einen achtseitigen Aufklärungsbrief zu schicken.372 Darin wurde die Rechtslage hinsichtlich der „Lehrkanzelerrichtung“ ausführlich dargestellt und die über das Antragsrecht und ein „Recht auf Gehörtwerden“ hinausgehende Interpretation der „Autonomie“ der Hochschulorgane als „irrig“ zurückgewiesen. Das Recht zur „Errichtung, Benennung und Auflassung von Lehrkanzeln“ sei vom Gesetzgeber im § 58 HOG ausdrücklich dem Bundesministerium für Unterricht aufgetragen. Deshalb sei dieses auch dazu verpflichtet, „die Befugnis zu gebrauchen, sobald und soferne die ihm zur Betreuung anvertrauten Anliegen oder das bonum commune ganz allgemein dies erfordern. Dem Recht entspricht also stets die Pflicht“. Piffls Brief gipfelte in folgendem Appell: „Im vollen Bewusstsein, keine 370 Abdruck als Anhang Nr. 4 in Brezinka, Bd. 1, 2000, 903 f. 371 Brezinka, Bd. 1,2000, 547 und 555 ff. 372 Abdruck ebenda als Anhang Nr. 5, 904 ff.

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rechtliche Handhabe zu besitzen, Besetzungsvorschläge für vakante Lehrkanzeln zu erlangen, dafür aber in voller Überzeugung von dem lebendigen Verantwortungsbewusstsein unserer Professorenkollegien gegenüber der österreichischen Jugend und der Aufwärtsentwicklung unseres Bildungswesens, erbitte ich hiermit … einen Besetzungsvorschlag für die neuerrichtete Lehrkanzel für Pädagogik an der dortigen Philosophischen Fakultät. Die genauere Benennung und Aufgabenstellung überlasse ich der dortigen Beurteilung und der Bedachtnahme auf die vorzuschlagenden Persönlichkeiten.“ Dieser Appell ist ohne Wirkung geblieben. Das beweist folgender Erlass, den das Bundesministerium für Unterricht am 7. März 1968 an das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck gerichtet hat: „Betr.: II. Lehrkanzel für Pädagogik. Einholung eines Besetzungsvorschlages. Im Dienstpostenplan 1966 wurde eine 2. Lehrkanzel für Pädagogik an der Phil. Fakultät der Universität geschaffen. … Für die bereits 1966 geschaffene Lehrkanzel ist noch kein Besetzungsvorschlag im Bundesministerium für Unterricht eingelangt. Das Bundesministerium für Unterricht ersucht um ehestmögliche Vorlage eines Besetzungsvorschlages bzw. Bekanntgabe der Gründe, die der Erstellung eines Vorschlages entgegenstehen.“373 Diese Sabotage374 der Initiative, die Unterrichtsminister Piffl zugunsten der Pädagogik ergriffen hatte, durch die Innsbrucker Philosophische Fakultät hat weitreichende Folgen gehabt. In Piffls Lebenserinnerungen heißt es dazu: „Leider musste ich auf den erbetenen Besetzungsvorschlag vergeblich warten! Ich bekenne, dass mich dieses Erlebnis nicht unbeeindruckt ließ. Als die ,Arbeitsgemeinschaft für Hochschulentwicklung‘ … im Jahre 1968 für Klagenfurt eine Hochschule für Bildungswissenschaften vorschlug, war ich freudig überrascht, weil dies meinen Intentionen entgegenkam. Ich griff diesen Vorschlag mit größtem Interesse und allem Eifer ohne Verzug auf … .“375 So hat die beharrliche Blockade-Politik der Innsbrucker Fakultätsmehrheit gegen meinen Ausbauplan wesentlich dazu beigetragen, dass das von Drimmel wie von Piffl als notwendig erkannte österreichische Zentrum für Erziehungswissenschaft abseits der bestehenden Universitäten zu schaffen versucht wurde. Schon 1970 kam es zur Gründung einer „Hochschule für Bildungswissenschaften“ in Klagenfurt.376 Dieses Projekt war im Vergleich zu den beschei373 BMfU, Zl. 65.588-I/4/68, gezeichnet von Dr. Drischel (Unterstreichungen im Original). UAI. 374 „Planmäßige Vereitelung eines Zieles anderer, … meist zu politischen Zwecken.“ Wahrig 1987, 669. 375 Piffl-Percevic 1977, 98. 376 Bundesgesetz vom 21. Januar 1970, BGBL. Nr. 48. Ermacora 1972, 146 ff.

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denen Mitteln, die das in Innsbruck geplante Schwerpunktzentrum für Erziehungswissenschaft erfordert hätte, gigantisch aufwendig. Wegen des bekannten Mangels an hochqualifizierten Erziehungswissenschaftlern war sein Scheitern vorherzusehen.377 Doch von diesem Ausblick nochmals zurück zum Jahr 1965. Seit den Bleibeverhandlungen von 1962 anlässlich meiner Berufung an die Universität Tübingen war der Innsbrucker Philosophischen Fakultät bekannt, dass ich den Ausbau meines Instituts durch zwei Lehrstühle für Schulpädagogik und Pädagogische Psychologie zu einem leistungsfähigen Studien- und Forschungszentrum anstrebe. 1965 hat die Österreichische Rektorenkonferenz erstmals einen Planungsausschuss eingesetzt. Als Vorsitzender diente der hoch geschätzte Wiener Professor für Psychologie Hubert Rohracher.378 Er hat alle Hochschulen aufgefordert, Vorschläge für „die Schaffung von Forschungs-Schwerpunkten“ zu erstatten. Der damalige Innsbrucker Dekan hat in einem Rundschreiben „um Stellungnahme bzw. um Erstattung konkreter Vorschläge bis spätestens 25.10. an das Dekanat“ gebeten. Ich habe dieser Bitte mit einer „Denkschrift über ein Forschungszentrum für Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck“ entsprochen379, die sich weitgehend auf meine für Minister Drimmel bestimmt gewesene Denkschrift vom 27. November 1963 gestützt hat.380 In der Fakultät waren die Gegner dieser wohlbegründeten Denkschrift des zuständigen Fachvertreters bemüht, deren Weiterleitung an den Planungsausschuss der Rektorenkonferenz zu verhindern. Ich habe am 10. Dezember 1965 vor der Abstimmung um „ein sachliches Urteil“ gebeten, bei dem „die öffentlichen Interessen“ berücksichtigt werden sollten, „die mit der Hochschulreform, mit dem Fortschritt bisher vernachlässigter Wissenschaften, mit der Förderung des Schulwesens und mit dem Ausbau der Innsbrucker Universität auf dem Spiel stehen“. „Ich habe mich in den fünf Jahren des Aufbaues meines Institutes aus kläglichsten Anfängen nicht geschont. Ich habe im Jahre 1962 einen Ruf nach Tübingen abgelehnt, weil damals gegen meinen Plan in der Fakultät kein Widerspruch erhoben worden ist, das Innsbrucker Institut zu einem Forschungs-, Lehr- und Dokumentationszentrum der Erziehungswissenschaft in Österreich auszubauen. Je größer 377 Vgl. Brezinka 1969, 1969a, 1969b (Nachdruck 2008) und ausführlich Bd. 4, 2014, 216 ff. 378 (1903–1972). Biographie: Kainz 1973. 379 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 557 ff. Original im Wiener Archiv der Republik, 02 Innsbruck Philosophie Pädagogik, GZ 38.348-I/4-66. Nachdruck als Anhang in diesem Buch S. 373–380. 380 Vgl. in diesem Buch S. 274 ff.

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seither die Bereitschaft des Bundesministeriums für Unterricht geworden ist, diesen Plan zu verwirklichen, desto stärker ist auch der Widerstand dagegen in dieser Fakultät gewachsen. Die Behandlung des vorliegenden Antrages auf Weiterleitung meiner Denkschrift gibt mir noch einmal Gelegenheit, zu erfahren, ob Sie meine Bemühungen um den Ausbau der Erziehungswissenschaft an unserer Fakultät unterstützen wollen oder nicht. Ich werde daher das Abstimmungsergebnis als Zeugnis für Ihr Vertrauen oder Ihr Misstrauen betrachten und daraus je verschiedene Konsequenzen ziehen.“381 Das Abstimmungsergebnis lautete: 15 Ja, 15 Nein, 8 Enthaltungen. Damit war der Antrag auf Weiterleitung der Denkschrift abgelehnt und zugleich die Vertrauensfrage negativ beantwortet. Ich musste meine Bemühungen als gescheitert ansehen und habe mich auf die Annahme der erwarteten Berufung an eine deutsche Universität eingestellt. Ich habe das Unterrichtsministerium durch ein Sondervotum382 über dieses Ergebnis informiert und meine Denkschrift beigelegt. Minister Piffl hat das am 30. Dezember 1965 zum Anlass für eine Besprechung mit den Leitern der Hochschulsektion und der Sektion Allgemeinbildendes Schulwesen seines Ministeriums genommen. Dabei hat er mitgeteilt, „dass er mit der Vorgangsweise des genannten Prof. Kollegiums nicht einverstanden sein könne. Er sei vielmehr in weiten Punkten von den Ausführungen des Prof. Brezinka beeindruckt und wäre interessiert zu erfahren, welche Überlegungen für das Prof. Koll. maßgebend waren, das Memorandum des Prof. Brezinka für die Bildung eines Schwerpunktes für die Erziehungswissenschaften in Innsbruck dem Planungsausschuss der Rektorenkonferenz nicht vorzulegen. Der Herr Bundesminister wünscht deshalb eine koordinierende Aussprache zwischen der Sektion I und der Sektion V und ein Schreiben an das Dekanat der phil. Fakultät der Univ. Innsbruck. – U. a. führte der Herr Minister auch aus, dass nach seiner Ansicht der § 58 des HOG die Grundlage dafür bilde, dass der Staat dringende Anliegen, wie es z. B. die Schaffung von neuen pädagogischen Lehrkanzeln an den phil. Fakultäten der Universitäten wäre, den Hochschulen auftrage und diese in ihrem autonomen Wirkungskreis diesen Auftrag zu erfüllen hätten… . Der Herr Minister wünscht späterhin auch eine Aussprache mit den 381 Brezinka, Bd. 2, 2003, 559. 382 Gemäß § 8 Ziffer 14a der Geschäftsordnung für das Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät zu Innsbruck: „Bedarf der Beschluss des Professorenkollegiums, gegen den ein Votum seperatum eingebracht wurde, der Vorlage an das Bundesministerium für Unterricht, so ist mit dem Beschluss des Professorenkollegiums auch das Votum seperatum vorzulegen.“

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Rektoren und den Dekanen der phil. Fakultäten im Hinblick auf verschiedene von Prof. Brezinka angeführte Punkte, um den gewissen Widerstand, der von den Hochschulen gegen den Ausbau der Pädagogischen Lehrkanzeln kommt, zu ergründen bzw. zu beseitigen.“383

KRAFTQUELLEN Ich habe die Pädagogik stets für ein wissenschaftlich unausgereiftes Fach gehalten und mich als einen seiner relativ unvollkommenen Mitarbeiter eingeschätzt. Das Streben nach fachspezifischen Erkenntnisfortschritten und deren Verbreitung wie das Bemühen um einen seriösen Ausbau des Faches an den Universitäten sind mir oft als Sisyphos-Arbeit erschienen. Sisyphos war in den griechischen Sagen jener Held, der in der Unterwelt zur Strafe endlos einen schweren Felsblock einen Berg hinaufwälzen musste, der ihm kurz vor dem Gipfel immer wieder heruntergerollt ist – Symbol für eine aufreibende erfolglose Arbeit.384 Gemessen an den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen der Fachvertreter waren Zweifel am Nutzen der Pädagogik und ihres „Ausbaues“ nicht unbegründet.385 Wie war ein so arbeitsames Leben für dieses fragwürdige Fach auszuhalten? Durch viele berufliche und private Kraftquellen. Berufliche Grundlagen waren die Liebe zur Sache, die Gewissheit ihrer Bedeutung und die vielen kleinen und großen Erfolge in Forschung und Lehre. Das Erziehungswesen ist ein zentrales Kulturgebiet und Handlungsfeld, das zeitweise fast jeden Menschen betrifft. Es ist aber lebenspraktisch wie wissenschaftlich viel verworrener, konfliktreicher und unberechenbarer als es oberflächlich erscheint. Deshalb brauchen seine vielen Mitarbeiter dringend Orientierungshilfe. Durch glückliche Umstände habe ich in der wirklichkeitsnahen Ausbildung von Erziehungspersonal und der kritischen „Aufklärung über Erzie­h­ungs­ theorien“386 meine berufliche Lebensaufgabe gefunden. Dabei waren auch außergewöhnliche Mühen, Belastungen und Niederlagen durchzustehen. Sie haben jedoch die Arbeitsfreude nie gelähmt. Es gab fast immer dankbare Mitarbeiter, Zuhörer und Leser, die mein Ringen um Konzentration auf die wichtigen Lehrinhalte, um begriffliche Klarheit und gut verständliche Sprache 383 Aktenvermerk von Sektionschef Hoyer vom 18. März 1966. AdR 02 Innsbruck Philosophie Pädagogik. GZ 38.348-I4-66. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 561. 384 Lamer 1950, 717. 385 Vgl. Bernfeld 1928 (Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung). 386 Titel von Brezinka 1989.

Kraftquellen

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gewürdigt haben. Ich habe auf meine Vorlesungen, Vorträge und Schriften von vielen Seiten begeisterten Zuspruch und Ermutigung erfahren. Mein bester Stützpunkt für kulturelle Beheimatung und Wirkung außerhalb der Universität war das 1961 eröffnete Volksbildungsheim „Grillhof “ des Landes Tirol in Igls-Vill oberhalb von Innsbruck. Es wurde vom Agraringenieur Hermann Weber387 als Direktor geleitet. Er hat regelmäßig meine Hauptvorlesungen besucht und ist mir zeitlebens zum treuesten Freund und Helfer in der Tiroler Erwachsenenbildung geworden. Mein zunehmendes Wissen über die Pädagogik und ihre Beziehungen zur Philosophie, Anthropologie, Psychologie, Soziologie und Geschichte hätte aber trotz des Leidens an ihren Mängeln und Schwierigkeiten schon allein genügt, mit meinem Beruf zufrieden zu sein. Zur Freude an interessanten Studien kam noch das seltene Glück weitgehender Wahlfreiheit von Arbeitszeit und -ort. Ich habe auch in der vorlesungsfreien Zeit viel mehr gearbeitet, als beruflich zumutbar war. Das ist dauerhaft nur dank eingeschobener Erholung aus privaten Kraftquellen möglich gewesen. Dazu gehörten Heimat, Familie, Freunde und die Begeisterung für das Wandern. Mit Heimat meine ich im engeren Sinne Natur, Kultur und Menschen des Landes Tirol. Im weiten Sinne wurde ganz Österreich eingeschlossen mit seiner schönen Landschaft, Baukunst, Musik und den vertrauten Mundarten. Durch Vorträge, Seminare und Tagungen wie durch private Besuche der schönsten Orte sind freudige Gemütsbindungen entstanden. Sie konnten durch enttäuschende Erfahrungen mit akademischen Gegnern nicht beeinträchtigt werden. Die wichtigste Kraftquelle war meine Frau Erika mit unseren Kindern. Diese sind an meinen ersten drei Wirkungsorten geboren worden: Christoph 1956 in Salzburg, Veronika 1960 in Würzburg und Thomas 1961 in Innsbruck. Ihre Betreuung habe ich weitgehend meiner Frau und aushilfsweise der mütterlichen Oma überlassen müssen, ergänzt durch eine junge Südtiroler Hausgehilfin. Ich habe die meiste Zeit für die Vorbereitung meiner Lehrveranstaltungen gebraucht. Den Kindern konnte ich mich an den Wochentagen nur beim gemeinsamen Mittagessen und an den Abenden mit Erzählen, Vorlesen und Singen widmen. Die Sonntage gehörten aber ganz der Familie und unseren Ausflügen in die Wiesen und Wälder der schönen Umgebung mit Spielen an Bächen im Sommer, Rodeln und Schilauf im Winter. Höhepunkte waren die Sommerferien bei befreundeten Bauern in Oberolang im Südtiroler Pustertal mit ersten Klettertouren in den Dolomiten und Ausflügen nach Venedig, Gra387 (1925–2009). Vgl. Weber 1987 (mit Foto von Stadtrat Arthur Haidl und Brezinka, S. 93).

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do und Kroatien samt Übernachtungen in eigenen Zelten am Meer. Bergsteigen wurde früh zum Lieblingssport. Neben den gemeinsamen Unternehmungen wurden von jedem Kind eigene „Vati-Touren“ zunehmender Länge und Schwierigkeit besonders geschätzt: am sicheren Kletterseil und mit dem Nachtlager auf einer Berghütte. Zur erweiterten Familie gehörten auch die liebenswerten Eltern meiner Frau und ihre Schwester Helgi mit deren Kindern nahe der Salzburger Stadt Hallein. Der Opa Karl Schleifer war Zollbeamter und stammte aus einem deutschsprachigen Dorf im südmährischen Bezirk Znaim. Die Oma Maria Auracher kam aus Schörfling am Attersee in Oberösterreich. Bei den Salzburger Großeltern und Tante Helgi haben unsere Kinder stets gute Aufnahme gefunden, wenn ich mit meiner Frau auf Reisen gewesen bin. Die dritte private Kraftquelle waren unsere Freunde. Die ältesten hat Erika aus der Wiener Katholischen Hochschulgemeinde eingebracht: den Wiener Dozenten für Biochemie Hans Tuppy388, die Referentin für Kindergärten und spätere Ministerialrätin im Unterrichtsministerium Agnes Niegl389 und den Wiener Soziologen Leopold Rosenmayr.390 Tuppy und Rosenmayr hatten Kinder im Alter unserer Kinder und sind gern zu gemeinsamen Bergwanderungen und Schitouren nach Tirol gekommen. Hans war auch Taufpate unseres dritten Kindes Thomas. Aus meiner Salzburger Singrunde sind uns Sepp Mayr, später erster Hornist des Salzburger Mozarteumorchesters und Professor, sowie die Krankenschwester Helene Kaufmann lebenslang verbunden geblieben. Sepp wurde Firmpate von Thomas und Helene Firmpatin unserer Tochter Veronika. In der Innsbrucker Fakultät habe ich im Mathematiker Peter Lesky391 einen Freund gefunden, der mich als begeisterter Mittelschullehrer und Jugendführer des Alpenvereins mutig unterstützt hat. Auch seine Kinder waren im Alter der unseren und ich bin Taufpate seines Sohnes Michael geworden. Unter den älteren Kollegen meiner Fakultät ist der Professor für Österreichische Geschichte Franz Huter392 der treueste Helfer gewesen. Aus der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät ist der Professor für Allgemeine Staatslehre und Österreichisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht Hans Klecatsky393 ein lebenslanger Freund geworden. Wir haben durch die Hilfe für Südtirol 388 (1924–). Kürschner 2007, 3781. 389 (1913–2008). Kuchar/Niegl/Wurst 1997, 63 f. (mit Foto); Brezinka, Bd. 1, 2000, 457. 390 (1925–2016). Biographie: Brezinka 2005; Acham 2016. 391 (1926–2008). Kurzbiographie: Kürschner 2001, 1876. 392 (1899–1997). Biographie: Leidlmair 1997/98; Oberkofler 1999. 393 (1920–1980). Kurzbiographie: Kürschner 1996, 705. Ich habe auch zur Festschrift zur

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zusammengefunden. An der Medizinischen Fakultät war von 1957 bis 1962 Prof. Hans Asperger394 als Vorstand der Kinderklinik tätig. Mit ihm bin ich seit meiner Salzburger Assistentenzeit freundschaftlich verbunden gewesen.395 Unser Familienleben ist zwischen 1963 und 1966 auch durch gemeinsame Sommerferien bereichert worden mit den Familien von Leopold Rosenmayr aus Wien und Andreas Flitner aus Tübingen. 1963 habe ich sie auf dem schönen Wiesenplateau von Fiss im Oberinntal auf 1.400 Metern Höhe beim Bauern Fulgenz Geiger organisiert. Dabei kamen sechs Eltern und elf Kinder zusammen. Unser Thomas war mit zwei Jahren das jüngste. Damals war der Ort noch ein besonders schönes vom Massentourismus unverschandeltes Bergbauerndorf mit einem kleinen Badesee und wenig Verkehr – ideal für wanderlustige große und kleine Kinder. Ab 1964 haben wir uns jährlich für vier Wochen im Südtiroler Pustertal getroffen – nun verteilt auf drei benachbarte Bauernhöfe in Oberolang am Rande der Dolomiten. Von dort haben wir herrliche Bergtouren unternommen, teils mit Leopold, teils mit Andreas und Sonja Flitner. Die einfachste und erholsamste private Kraftquelle war zu jeder Jahreszeit das Wandern in schöner freier oder bäuerlich gepflegter Natur. Ich hatte das Glück, fast immer nahe von ihr wohnen zu können. Die Schönheit der industriefernen österreichischen und bayerischen Landschaften war eine stete Quelle der Freude. Auch darin habe ich mit meiner Frau, unseren Kindern und den meisten Freunden übereingestimmt. Wir haben in Salzburg wie in Tirol jede Gelegenheit für Wanderungen, Bergfahrten und Schitouren genutzt und uns mit immer neuen Orten, Tälern und Höhen vertraut gemacht.

BERUFUNGEN AN DIE UNIVERSITÄTEN MÜNCHEN UND KONSTANZ 1966 Es hat schon seit 1961/62 Bestrebungen gegeben, mich für den Wechsel an die Universität München zu gewinnen. Sie zeigten sich in ihrer Philosophischen Fakultät, im Bayerischen Kultusministerium und im Bundesministerium für Familie und Jugend.

Vollendung seines 60. Lebensjahres beigetragen: Adamovich/Pernthaler 1980, 53–73. Darin Foto sowie Lebenslauf und Schriftenverzeichnis 1101–1117. 394 Biographie: Brezinka, Bd. 1, 2000, 777–793. 395 Vgl. in diesem Buch S. 126 f., 136, 146, 180.

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In der Münchener Fakultät war nach der Emeritierung von Professor Martin Keilhacker396 über die Nachfolge zu beraten. Dabei ist auch die Meinung vertreten worden, dass meine Berufung „unter allen in Frage kommenden Möglichkeiten wissenschaftlich die gerechtfertigste“ wäre.397 Auf eine Bitte, berufbare Personen für einen Besetzungsvorschlag zu nennen, habe ich geantwortet: „Am meisten schätze ich unter den Jüngeren (im Berufungsalter) Prof. Andreas Flitner, Ordinarius in Tübingen. Er scheint mir der einzige zu sein, den man München ohne Vorbehalt wünschen könnte.“398 Im Dreier-Vorschlag von 1963 wurde Flitner an erster Stelle genannt, ich an zweiter und der an der Universität Wien tätige Bildungsphilosoph Richard Schwarz399 an dritter Stelle. Obwohl vier Fünftel der Professoren dieser Liste zugestimmt haben, hat sich eine Minderheit „katholisch-konfessioneller Tendenz“ für Schwarz eingesetzt und erreicht, dass Kultusminister Theodor Maunz diesen berufen und ernannt hat.400 Das hat zu Protesten im Landtag und in der Presse geführt, die zur Errichtung eines zweiten ordentlichen Lehrstuhls für Pädagogik beigetragen haben. Für ihn sind wiederum Flitner an erster und ich an zweiter Stelle vorgeschlagen worden. An dritter Stelle folgte Leonhard Froese401, der nach meiner Absage 1961 den Marburger Lehrstuhl erhalten hatte. Schwarz und seine Anhänger hatten durch Intrigen und Verleumdungen vergeblich versucht, meine Nennung im zweiten Vorschlag zu verhindern.402 Flitner hat den Ruf abgelehnt. Keilhacker hat durch persönliche Intervention beim Minister erreicht, dass ich übergangen werde und Anfang 1965 Froese berufen wurde. Nach seiner Absage bin ich durch den neuen bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Ludwig Huber am 14. Januar 1966 auf den zweiten ordentlichen Lehrstuhl für Pädagogik der Universität München berufen worden. Diese Vorgeschichte war wenig ermutigend, um nach München zu wechseln. Sie war jedoch nur eine betrübliche Nebensache. Die Hauptsache war das Vertrauen der großen Mehrheit der Fakultät und die Wertschätzung durch die 396 (1894–1989). Kurzbiographie: Horn 2003, 263 f.; Schumak 2005, Teil 2, 38–40. Autobiographie: Keilhacker 1975. 397 Philosophieprofessor Wolfgang Stegmüller im Brief vom 3.12.1961 an Brezinka. PAB. 398 Brezinka am 6.12.1961 an Stegmüller. PAB. 399 (1910–1985). Über ihn vgl. Brezinka, Bd. 1, 2000, 479–491. Er hat die Münchener Professur am 1.8.1963 angetreten. 400 AZ-Feuilleton, 4./5.5.1963; Brezinka am 29.3.1963 an A. Flitner. PAB. 401 (1924–1994). Kurzbiographie: Horn 2003, 233. 402 Stegmüller am 12.1.1964 an Brezinka. PAB.

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Hochschulabteilung des Ministeriums unter dem Ministerialdirigenten Dr. Johannes von Elmenau403. Dieser hatte mich 1959 als Vorstand der Pädagogischen Hochschule Würzburg kennen gelernt und seither meinen wissenschaftlichen Weg wohlwollend im Auge behalten. Am 1. September 1962 sind wir zufällig auf einer Bergtour am Piz Corvatsch (3.451 m) im Engadin wieder zusammengetroffen. Unterwegs und bei einer Einladung zum Abendessen nach Sils gab es erstmals Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen über die trostlose Lage des Faches Pädagogik an den Universitäten. Dabei ließ Elmenau durchblicken, dass er sich in München für Flitner und mich einsetze, aber mit erheblichen Schwierigkeiten rechne. Diese haben sich drei Jahre hingezogen. Nach der politischen Bevorzugung des drittplatzierten Schwarz auf der ersten Liste und (nach Flitners Absage) von Froese auf der zweiten hat mir Elmenau Folgendes geschrieben: „Ersparen Sie mir jeden Kommentar, er würde bitter, fast verzweifelt ausfallen; es ist ein Triumph der Mittelmäßigkeit und der Intrige. Man muss sich damit trösten, dass der Kommunismus noch schlimmer ist als dieses System. Ob Prof. Froese den Ruf annimmt, ist freilich noch offen.“404 Unabhängig von diesen Vorgängen hat das in Bad Godesberg ansässige Bundesministerium für Familien und Jugend ab 1961 in Verbindung mit den Bundesländern auf Vereinsbasis die Gründung eines „Deutschen Jugendinstituts“405 in München betrieben. 1963 wurde erwogen, seine Leitung mit dem ersten Lehrstuhl für Pädagogik an der Münchener Universität durch Flitner oder Brezinka zu verbinden406, die beide als Vertreter der Wissenschaft im Bundesjugendkuratorium vorgesehen waren. Nach meiner Berufung auf den zweiten Lehrstuhl hat Bundesminister Bruno Heck407 gewünscht, dass ich neben der Professur auch als Vorsitzender des Vorstandes des Jugendinstituts tätig werde.408 Im Bayerischen Kultusministerium war Ministerialrat Dr. Anton Graßl als Vertreter des Freistaates Bayern im Bundesjugendkuratorium dafür zuständig, mich für dieses Nebenamt zu gewinnen. Es hat mich aber nicht als ehrenvoll 403 (1906–1998). Vgl. in diesem Buch S. 229. 404 Elmenau am 4.1.1965 an Brezinka. PAB. 405 Eyferth 1970; Böhm 2005, 151 f. 406 A. Flitner am 13.4.1963 an Brezinka. PAB. 407 Über ihn in diesem Buch S. 261 f. 408 Ministerialrat Dr. Georg Flor im Bundesministerium für Familie und Jugend am 22.3.1966 an Brezinka: „Es ist daran gedacht, dass Sie zu gegebener Zeit den Vorsitz des Vorstandes übernehmen.“ PAB. Heck mündlich am 31.3.1966 im Ministerium. Mein Merkbuch 1966. PAB.

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angelockt, sondern zutiefst abgeschreckt, weil es von völliger Unkenntnis der Arbeitslast eines Pädagogikers angesichts des elenden Zustandes seines Faches zeugte. Nach Gesprächen zwischen Bundesminister Heck und Kultusminister Huber ist 1966 der Plan verfolgt worden, „das Jugendinstitut als Institut an der Universität“ zu errichten und mich „mit dessen wissenschaftlicher Leitung“ zu beauftragen.409 Dabei wurde, ohne mich vorher zu befragen, mein Einverständnis vorausgesetzt. Seit dem enormen Erfolg meines Vortrages beim ersten Deutschen Jugendhilfetag410 von 1964 wurde fälschlich angenommen, mein Arbeitsschwerpunkt sei die Theorie der außerschulischen Erziehung einschließlich Jugendkunde und Jugendhilfe. Tatsächlich wollte ich mich aber ganz auf die empirischen Grundlagen eines Systems der Pädagogik konzentrieren. Damit war schon die Last der vierjährigen Mitgliedschaft im Bundesjugendkuratorium (1965–1969) unvereinbar. Drei Wochen nach Erhalt der Berufung an die Universität München hat sich meine Situation gründlich verändert. Am 9. Februar 1966 wurde ich durch den Kultusminister des Landes Baden-Württemberg Prof. Dr. Wilhelm Hahn auf den ordentlichen Lehrstuhl für „Allgemeine Erziehungswissenschaft in erfahrungswissenschaftlichem Verständnis“ der „Reform-Universität“ Konstanz berufen. Sie ist 1965 mit der Aufgabe gegründet worden, in relativ wenigen schwerpunktmäßig ausgewählten Wissenschaftsbereichen „für die Ausbildung einer Elite“411 „besonders günstige Voraussetzungen für Forschung und Lehre institutionell zu sichern“412 und „Pionierarbeit für die notwendige Universitätsreform“ zu leisten. Zur Vorbereitung war 1964 ein Gründungsausschuss eingesetzt worden unter dem Vorsitz des Romanisten der Universität Heidelberg und Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Prof. Gerhard Hess413. Stellvertretender Vorsitzender wurde der Soziologe Prof. Ralf Dahrendorf414 von der Universität Tübingen. Er war ein brillanter Kritiker der deutschen Universitäten und redegewandter Impulsgeber für das Projekt „Harvard am Bodensee“. 409 Staatssekretär Dr. Barth des Bundesministeriums für Familie und Jugend am 15.2.1966 an Brezinka. PAB. 410 Vgl. den Vortrag „Verantwortliche Jugendarbeit heute“ in Brezinka 1988, 103–131 und in diesem Buch S. 260 ff. 411 Kiesinger 1988, 82. 412 Gründungsausschuss 1965, 12. 413 (1907–1983). 414 (1929–2009). Autobiographie: Dahrendorf 2002; Biographie: Meifort 2017.

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Er hatte im Stuttgarter Kultusministerium eine Schlüsselstellung als landesweiter „Bildungsplaner“ erlangt und wurde sofort der Star des Gründungsausschusses. 1965 ist der Landesregierung der „Bericht des Gründungsausschusses“ übergeben worden, der den von Dahrendorf wesentlich mitbestimmten „Strukturplan“ einer „Universität neuen Gepräges“ enthielt.415 Sie hatte unter anderem folgende Merkmale: Kleine elitäre Campus-Universität in schönster ruhiger Lage oberhalb der Insel Mainau mit Konzentration auf „Wissenschaftsbereiche, bei denen weniger der Ausbildungszweck als die Forschung im Vordergrund steht.“416 Studentenzahl auf 3000 begrenzt, „darunter viele, am Ende möglicherweise nur Graduierte“417. Strenges Zulassungsverfahren der Bewerber mit Vorauswahl, Vorstellungsgesprächen, Eignungsprüfungen und Studienberichten. „Mitwirkung der Studenten“ in allen „für Lehre und Forschung verantwortlichen Gremien“. Optimale Ausstattung der Fachbereiche mit insgesamt 106 Lehrstühlen und 17 Gastprofessuren. Zentrale Verwaltung und gegliederte Gesamtbibliothek. Geordneter Unterrichtsund Studienverlauf „an Stelle einer falsch verstandenen akademischen Freiheit“ und rationellere Nutzung der vorlesungsfreien Zeit zwecks Verkürzung der Studienzeit bis zu einem berufsqualifizierenden Abschluss auf „höchstens acht Semester“. Besondere Förderung der Sozialwissenschaften in einer eigenen „Sozialwissenschaftlichen Fakultät“ mit 32 Lehrstühlen. Neben den Fachbereichen „Zentren“ als „organisatorisch strengste Form für kooperative Forschung“, insbesondere ein erstes Zentrum für „Probleme der Bildung“. Besondere Bedeutung wurde dem Aufbaustudium und einem kurzen Weg zur Promotion und Habilitation zugeschrieben. Auffallend war an diesem Programm, dass die Pädagogik nur am Rande erwähnt worden ist. Das entsprach der Geringschätzung, die in den akademischen und politischen Eliten ihr gegenüber geherrscht hat. Für sie war kein Fachbereich vorgesehen. Geplant waren ursprünglich nur zwei Lehrstühle im Fachbereich Philosophie der Philosophischen Fakultät. Ganz konventionell wurde erwähnt, dass „sie stets im Zusammenhang der Bildungs- und Erziehungsgeschichte steht“418. Einer dieser Lehrstühle wurde noch 1965 in die Sozialwissenschaftliche Fakultät überführt. Für diesen wurde ich einstimmig zur Berufung vorgeschlagen.419 Zum Vergleich: für Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft waren eigene Fachbereiche mit je fünf Lehrstühlen vorgesehen. 415 Vgl. Dahrendorf 1964. Biographie: Peisert 1994. 416 Vgl. Gründungsausschuss 1965, 11. 417 Dahrendorf, zitiert bei Peisert 1994, 14. 418 Gründungsausschuss 1965, 25. 419 Briefe von Dahrendorf an Brezinka vom 5.11. und 6.12.1965. PAB.

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Ich habe mit einer Denkschrift vom 30. November 1965 die Annahme des Rufes davon abhängig gemacht, dass in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät ein „Fachbereich Erziehungswissenschaft“ mit mindestens vier Lehrstühlen eingerichtet wird. Er sollte der erziehungswissenschaftlichen Grundlagenforschung und der Ausbildung von hochqualifizierten Erziehungswissenschaftlern dienen, um dem katastrophalen Mangel an erziehungswissenschaftlichem Nachwuchs abzuhelfen. Die großzügig geplante Universität Konstanz schien damals für dieses Vorhaben aus vier Gründen die besten Voraussetzungen zu bieten. 1. Als personell und materiell hervorragend ausgestattete Universität mit Vorrang für die Forschung bot sie Professoren und Mitarbeitern Gelegenheit, sich auf Spezialgebiete wie Allgemeine Erziehungswissenschaft, Schulpädagogik oder Sozialpädagogik zu konzentrieren, statt das gesamte Fach betreuen zu müssen und dabei nirgends gründlich genug sein zu können. 2. Die Eingliederung in die Sozialwissenschaftliche Fakultät begünstigte die empirische Ausrichtung des Faches und erleichterte die notwendige Zusammenarbeit mit den wichtigsten Nachbarfächern Psychologie und Soziologie. 3. Die vorgesehene Begrenzung der Studentenzahl, der Plan, nur gut geeignete Studenten zuzulassen, und die erklärte Absicht, wissenschaftlichen Nachwuchs durch unkonventionelle Habilitationsverfahren fördern zu wollen, schienen zu gewährleisten, dass eine Elite von berufserfahrenen Lehrern, Sozialpädagogen usw. gewonnen werden könnte, die für Aufbaustudien, Promotion und wenigstens teilweise auch für die Habilitation geeignet sind. Die Zulassung von Studenten, die weder eine abgeschlossene pädagogische Berufsausbildung noch pädagogische Berufserfahrung nachweisen können, schien vermeidbar zu sein. 4. Die Belastung durch Einführungsveranstaltungen für Lehramtsstudenten war minimal, weil damals in Baden-Württemberg für die künftigen Gymnasiallehrer während ihres Universitätsstudiums keine Verpflichtung zum Studium der Erziehungswissenschaft bestanden hat. Es blieb ihrem Ermessen überlassen, ob sie eine Prüfung in Philosophie oder in Erziehungswissenschaft ablegen wollen. Meine Vorschläge sind vom Gründungsausschuss in allen wesentlichen Punkten angenommen worden. Am 25. März 1966 hat der Große Senat beschlossen, in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät einen Fachbereich Erziehungswissenschaft mit vier Lehrstühlen zu schaffen. Am 21. Juni 1966 habe ich mit meiner Frau auf Einladung der Regierung des Landes Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger420 an der Grundsteinlegung 420 (1904–1988). Kurzbiographie: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen, III. Jg. (1965), Heft 3, 91 f.

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der Universität Konstanz teilgenommen. Beim festlichen Empfang im Schloss Meersburg ist es auch zum ersten Gespräch mit Kultusminister Prof. Wilhelm Hahn421 gekommen. Er hat mich als Person und Kulturpolitiker sehr beeindruckt und zur Mitarbeit in seinem Bundesland ermutigt.422 Sehr ermutigt hat mich auch Dahrendorf als erster Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Er hat mir im Herbst 1966 als „dem künftigen Kollegen – in Vorfreude“ sein aufrüttelnd kritisches Buch „Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik“ geschenkt.423 Es trat ein für „die Ersetzung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik durch die erfahrungswissenschaftliche Bildungsforschung“ und methodisch für „die Abwendung von der Beliebigkeit normativer und insbesondere historisierender Einsichten zugunsten überprüfbarer psychologischer, soziologischer, ökonomischer, im neuen Sinne erziehungswissenschaftlicher Theorien“.424 Ich habe mich aber monatelang mit der Entscheidung „Konstanz oder München“ gequält. Die Unterschiede und Folgen für Beruf und Lebensführung hätten kaum größer sein können: neuer Anfang am Nullpunkt mit allen Risiken auf der grünen Wiese in einer abgelegenen ländlichen Grenzregion mit See- und Bergnähe einerseits, andererseits im vertrauten Bayern im Zentrum einer Millionenstadt ein Massenbetrieb mit der Möglichkeit, breiten öffentlichen Einfluss und gute Schüler zu gewinnen. Dagegen sprach, dass der erste Lehrstuhl mit Richard Schwarz besetzt und eine Zusammenarbeit ausgeschlossen war. Sie ist schon vorher von Andreas Flitner abgelehnt worden.425 Deshalb hatte die Fakultät beschlossen, ein zweites Pädagogisches Institut zu errichten, das vom ersten völlig getrennt ist.426 Nur die Bibliothek sollte gemeinsam sein, der Anschaffungsetat aber getrennt verwaltet werden. Die Verhandlungen mit dem Dekan und Prof. Schwarz sind befriedigend verlaufen. Schwarz hat zugestimmt, dass sein Institut in „Institut für Erziehungswissenschaft I“ umbenannt wird. Es bestand zwischen Schwarz, Keilhacker und mir auch Übereinstimmung, „dass eine Vermehrung der pädagogischen Lehrstühle dringend nötig sei“. An erster Stelle sollte ein Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie geschaffen werden, „der besonders vordringlich 421 (1909–1996). Ebenda, Heft 2, 97; Kurzbiographie: Kürschner 1996, 487. 422 Über seine Leistungen als Kultusminister seit 1964 vgl. Hahn 1972; Filbinger u. a. 1974; Piazolo 1974. 423 Widmung vom 28.9.1966. PAB. 424 Dahrendorf 1965, 137 f. 425 A. Flitner am 22.12.1962 an Brezinka. PAB. 426 Stegmüller am 12.1.1964 an Brezinka. PAB. Protokoll des Dekans Prof. Fritz Wölcken vom 30.3.1966. PAB.

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und auch besetzbar erscheint“. „An zweiter Stelle wird ein Lehrstuhl für Schulpädagogik (Theorie der Schule und des Unterrichts) als vordringlich bezeichnet.“427 Das Berufungsangebot des Bayerischen Staatsministeriums428 hat alle meine Wünsche großzügig erfüllt. Ich konnte mich dabei auch auf seine Vereinbarungen mit Flitner und Froese stützen, die sie mir spontan als Orientierungshilfe geschickt hatten. Zugesichert wurden: Gewährung des Höchstsondergrundgehalts der Besoldungsgruppe HS 4; Errichtung eines „Instituts für Erziehungswissenschaft II“ bei meinem Lehrstuhl und Ernennung zum Vorstand dieses Instituts. Schaffung folgender Stellen für mein Institut im Haushalt 1967: • ein wissenschaftlicher Rat (Besoldungsgruppe HS 2), • ein Oberassistent (HS 1), • drei wissenschaftliche Assistenten (A 14), • zwei Stellen für Verwaltungskräfte (BAT VII und VI b), • eine Diplombibliothekarin (BAT V b) für beide Institute gemeinsam, • drei Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte. „Außerdem hat das Staatsministerium für Finanzen sein Einverständnis dazu erklärt, dass zwei Volksschullehrer aus dem bayerischen Volksschuldienst an die Universität München abgeordnet werden; es wird jedoch vorausgesetzt, dass diese dabei weiterstudieren und promovieren, um später auch im Bereich der Pädagogischen Hochschulen verwendet werden zu können.“ Ich habe dieses äußerst entgegenkommende Angebot abgelehnt429, weil ich den Arbeits- und Lebensbedingungen in München kaum gewachsen gewesen wäre. In meinem Dankschreiben an den Dekan430 habe ich folgende Begründung gegeben: „Ich bin durch die vielen Überlegungen der letzten Monate zur Überzeugung gekommen, dass im jetzigen Zeitpunkt eine konzentrierte Forschungstätigkeit an der kleinen Universität Konstanz für meine wissenschaftliche Entwicklung förderlicher sein dürfte als eine Lehrtätigkeit im großen Stil an der Universität München. Ich bin infolge der jahrelangen Belastung durch organisatorische und schulpolitische Aufgaben als Erziehungswissenschaftler noch nicht so weit fortgeschritten, wie das als Voraussetzung für die vielseitige Lehrtätigkeit an einer so großen Universität wünschenswert wäre. Wenn ich das große wissenschaftliche Werk, auf das ich hinsteuere, wenigstens schon in Umrissen erarbeitet hätte, wäre ich vor den vielen Aufgaben, die mich in 427 Protokoll Wölcken. PAB. 428 Ministerialdirigent von Elmenau am 10.11.1966 an Brezinka. Nr. I/5-5/119 174. PAB. 429 Brezinka am 22.11.1966 an Elmenau. PAB. 430 Brezinka am 22.11.1966 an Dekan Prof. Carl Becker. PAB.

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München erwarten, gewiss nicht zurückgeschreckt. Die für mich ganz unerwartete Berufung nach Konstanz gibt mir jedoch zum ersten Mal die Gelegenheit, in Ruhe gesammelt arbeiten zu können, ohne durch eine große Hörerschar, durch Ansprüche der Schulverwaltung und der Lehrerfortbildung ständig abgelenkt zu werden. Ich möchte diese Chance wenigstens ein Jahrzehnt nutzen, um mich auf das Wirken an einer großen Universität besser vorzubereiten.“ Ich habe für Konstanz zugesagt und bin am 24. Februar 1967 vom Ministerpräsident Hans Filbinger unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum ordentlichen Professor ernannt worden.

LETZTE BEMÜHUNGEN UND WEGGANG NACH KONSTANZ 1967 Zwischen den Rufen nach München und Konstanz und dem Abschied von Innsbruck ist mehr als ein Jahr vergangen. Das lag teils an den betroffenen Ministerien in München, Stuttgart und Wien, teils an mir. Die Berufungsverhandlungen in Konstanz mit Rektor Hess und Professor Dahrendorf verliefen so wohlwollend und ermutigend für den künftigen Kollegen und seine fachlichen Pläne wie ich es nicht besser hätte treffen können. Die neue Universität war als kleinste und anspruchsvollste in Deutschland das hochschulpolitische Prestige-Unternehmen des Landes. Sie versprach ideale Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen. Entsprechend großzügig und schnell war auch das Angebot des Kultusministeriums. Eine Berufung nach Konstanz galt damals als besondere Auszeichnung, obwohl der Erfolg des kostspieligen Unternehmens ungewiss gewesen ist. Die Verhandlungen in München haben sich bis zum Herbst hingezogen, weil die neue Ordnung (zwei selbständige Institute für mein dürftiges Fach) in der riesigen Universität und in den Ministerien viel Zeit erfordert hat. Zur Verzögerung meiner Entscheidung hat auch der dringende Wunsch von Unterrichtsminister Piffl beigetragen, mich in Österreich zu halten. Er hat die Hochschulsektion seines Ministeriums beauftragt, Berufungsabwehr-Verhandlungen mit mir zu führen und diese „großzügig zu betreiben“431. Daraus hat sich am 3. November 1966 ein gleichwertiges Angebot ergeben432, ohne jedoch die Blockade weiterer pädagogischer Lehrstühle durch die Mehrheit des Inns431 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 560 ff. 432 Sektionschef Hoyer, Zl. 91.944-I/4/66 an Brezinka.

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brucker Professorenkollegiums beenden zu können. So ist es dazu gekommen, dass ich die Tiroler Universität erst am 15. März 1967 verlassen habe. Dieser relativ späte Abgang war von mir erwünscht, um das 1960 begonnene Aufbauwerk so gut wie möglich zu sichern. Dazu gehörten einerseits die Studienabschlüsse von fünf Doktoranden433, darunter drei künftige Konstanzer Mitarbeiter, und andererseits die Sorge für einen guten Nachfolger. Die fünf Dissertationen erforderten viel Zeit für Beratungen. Sie mussten nicht nur dem Stand der Forschung entsprechen, sondern auch stilistisch druckreif und leserfreundlich gemacht werden. Dafür war ich als Herausgeber dem Verlag Beltz gegenüber verantwortlich. Für schwer verkäufliche Forschungsberichte wie Rieders Pionierarbeit über „Studiendauer und Studienerfolg“ mussten Druckkostenbeiträge gewonnen werden. So vergingen viele Wochen mit genauer Lektüre, Begutachtungen und Verbesserungen. Die strengen mündlichen Prüfungen (Rigorosen) von Posch, Messner und Fend konnten erst knapp vor meinem Abgang erfolgen.434 An Promotionsfeiern habe ich nur noch jene von Posch erlebt.435 Zu Semesterende waren wie üblich auch noch viele Lehramtsprüfungen im Fach Pädagogik zu erledigen. Viel schwieriger als die Sorge für meine Dissertanten war die Bemühung um einen guten Nachfolger. Seit Beginn meines Vorhabens, das Institut für Erziehungswissenschaft auszubauen, hat mich die Sorge bedrückt, wie neue Dienstposten für Professoren und Mitarbeiter gut besetzt werden könnten. Der Mangel an wissenschaftlich kompetenten und didaktisch wie persönlich anziehenden Pädagogikern war entmutigend. Ich habe meine Hoffnung zunächst auf Friedrich Winnefeld436 gesetzt. Er war Professor und Leiter der Abteilung Pädagogische Psychologie des Instituts für Pädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der DDR. Ich bin leider erst verspätet auf seinen 1957 erschienenen Sammelband „Pädagogischer Kontakt und pädagogisches Feld“ aufmerksam geworden und habe ihn 1964 in der „Zeitschrift für Pädagogik“ rezensiert.437 Er enthielt vorbildliche unterrichtspsychologische Studien in der Tradition von Karl und Charlotte Bühler sowie der Feldtheorie von Kurt Lewin438. So entstand ein reger Briefwechsel mit Winnefeld samt Austausch unserer Schriften unter den erschwerenden Zensur-Bedingungen des kommunisti433 Vgl. in diesem Buch S. 317 ff. 434 Posch am 26.1.1977, Messner 23.2.1977, Fend 9.3.1977. 435 Am 25.2.1977 436 (1911–1968). Kurzbiographie: W. Böhm 2005, 681. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 547 ff. 437 Brezinka 1964, 603–608. 438 (1890–1947).

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schen Zwangsstaates der „Deutschen Demokratischen Republik“. Er hat sich über meinen ersten Brief439 „wirklich sehr gefreut, denn eine Anerkennung gibt es seit Jahren für unsere Arbeit nicht mehr. Wir arbeiten in einem Vakuum. Aus dieser Situation heraus ist eine Rezension, wie Sie sie vorgenommen haben, sehr ermutigend“.440 Ich habe bald erfahren, dass er nach der Lehramtsprüfung für Volksschulen in Jena und Wien Psychologie sowie Deutsch, Biologie und Geographie bis zur Referendarprüfung studiert hat und von 1931 bis 1934 psychologischer Mitarbeiter von Prof. Peter Petersen441 in der Universitätsschule Jena gewesen ist. Wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen hat er als Volksschullehrer gearbeitet und 1939 in Jena das Doktorat der Naturwissenschaften im Hauptfach Psychologie erworben. 1948 erfolgte die Habilitation für Pädagogische Psychologie und Angewandte Erziehungswissenschaft, 1950 die Ernennung zum Professor und 1952 die Berufung an die Universität Halle. Berufungen als Ordinarius für Psychologie in die Bundesrepublik Deutschland an die Universität Gießen und die Pädagogische Hochschule Berlin-Lankwitz waren 1960 „aus politischen Gründen nicht realisierbar“, weil die DDR die Ausreise verweigert hat.442 Unter diesen Umständen habe ich gehofft, Winnefeld als Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Innsbruck gewinnen zu können. Da Österreich kein Mitglied der NATO war und sich völkerrechtlich zu dauernder Neutralität verpflichtet hatte, schien Aussicht zu bestehen, dass die Regierung der DDR einer Übersiedlung zustimmen werde. Zunächst musste erkundet werden, ob Winnefeld eine Berufung nach Innsbruck annehmen würde. Brieflich oder telefonisch war das wegen der strengen Zensur der DDR unmöglich. Deshalb habe ich mich zu einem ersten Treffen mit Winnefeld in Ost-Berlin entschlossen. Es hat am 27. März 1965 in der Gaststätte des Bahnhofes Friedrichstraße stattgefunden und drei Stunden gedauert. Es war eine der erfreulichsten Begegnungen meines Lebens. Ich hatte die Gewissheit gewonnen, dass Winnefeld und seine Frau sehr gern nach Innsbruck übersiedeln würden und ich in ihm den besten Kollegen hätte. Er hatte einen ähnlichen Eindruck von mir. „Es ist doch tröstlich, wenn man als Wissenschaftler einmal einen Menschen findet, mit dem man von Anbeginn an sachlich und menschlich sich in Übereinstimmung fühlt. Ich nehme an, 439 Brezinka am 9.3.1964 an Winnefeld. PAB. 440 Winnefeld am 19.3.1964 an Brezinka. PAB. 441 (1884–1952). Kurzbiographie: W. Böhm 2005, 493. Ausführlich Retter 2007. 442 Winnefeld: Lebenslauf. PAB.

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dass dieses Empfinden beiderseitig war. Im Grunde ist es ja ein Jammer, dass sich bei den Erziehungswissenschaftlern nicht ein ähnliches Solidaritätsbewusstsein entwickelt hat, wie es – über alle Grenzen hinweg – bei den Naturwissenschaftlern oder bei den Medizinern der Fall ist. Natürlich ist klar, dass das an der ungenügenden Entwicklung des Faches liegt, woraus auch die starke weltanschauliche Gebundenheit folgt.“443 Ich habe in meiner Fakultät mit Erfolg beantragt, Winnefeld zwecks Vorstellung im Kollegium zu Gastvorträgen einzuladen.444 Bei unseren Studenten war er schon bekannt, weil die methodologischen Teile seines Buches zur Pflichtlektüre für alle Hauptfach-Pädagogen gehörten. Er hat von seiner Regierung leider erst im Dezember 1965 „eine grundsätzlich zustimmende Antwort für die Reise zur Gastvorlesung nach Innsbruck“ erhalten – freilich unter der Bedingung, dass „die vorherige Einsendung meines Vorlesungsmanuskripts zur Überprüfung“ erfolgt.445 Als Themen waren vorgesehen: „Zur methodologischen Situation der Forschung im pädagogischen Raum“, „Zur Frage der Effektivität des pädagogischen Geschehens“, „Über die Impulsstruktur des pädagogischen Kontakts im Unterricht“ und „Untersuchungen und Gedanken über pädagogische Situationstypen“.446 Neben den Studierenden war vor allem das Professorenkollegium zu den Gastvorträgen am 27. und 28. Juni 1966 eingeladen.447 Das Bundesministerium für Unterricht hat die Finanzierung der Reise- und Aufenthaltskosten übernommen.448 Die Ausreise war für den 25. Juni vorgesehen. Bezeichnend für den schikanösen Regierungsstil der DDR war, dass die Erteilung der Reiseerlaubnis sich länger als ein Jahr hingezogen hat und bis zuletzt unsicher gelassen worden ist. Am 31. Mai 1966 schrieb Winnefeld: „Es scheint allem Anschein nach zu klappen. D. h. ich werde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen können, am 25.6. zu fahren. Freilich erfährt man die letzte Erlaubniserteilung meistens erst in den Stunden kurz vor der Abreise.“449 Am 24. Juni erhielt ich folgendes Telegramm: „Reisepapiere noch nicht erhalten. Kann Sonntag (26. Juni) nicht kommen. Bitte nächstes Telegramm abwarten. Winnefeld.“ Am 30. Juni folgte das Telegramm „Verhandle noch. Gebe bis 443 Winnefeld am 17.4.1965 an Brezinka. PAB. 444 Dekan Karl Ilg am 26.3.1965 an Winnefeld. PAB. 445 Winnefeld am 24.12.1965 an Brezinka. PAB. 446 Winnefeld am 30.3.1966 an Brezinka. PAB. 447 Dekan Heinrich Schatz am 20.6.1966. PAB. 448 Sektionschef Hoyer am 13.6.1966 an das Dekanat. PAB. 449 Winnefeld am 31.5.1966 an Brezinka. PAB.

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Freitag Bescheid. Winnefeld.“ Am 2. Juli lautete das dritte Telegramm: „Darf nicht fahren. Brief folgt. Winnefeld.“450 Im Brief vom 3. Juli berichtete er: „Über ein Jahr habe ich versucht, die Erlaubnis zu erhalten. Im April wurde mir mitgeteilt, es wäre möglich und ich könne die entsprechenden offiziellen Schritte einleiten, was ich auch sofort tat. … Bis letzten Freitag sollte ich mich noch ,gedulden‘, daher mein vorletztes Telegramm an Sie. Ich habe indes bis zum heutigen Tage noch keinen endgültigen Bescheid erhalten. Daraus ist zu entnehmen, dass man die ganze Angelegenheit durch Verzögerung erledigen möchte.“451 Wir haben beide nicht resigniert. Für mich war inzwischen klar geworden, dass ich nach München oder Konstanz wechseln werde. Deshalb schien die Berufung von Winnefeld nach Innsbruck – trotz Bedenken wegen seines Alters von damals 54 Jahren – die einzige Möglichkeit zu sein, die kurze Tradition solider Praktischer Pädagogik in Verbindung mit empirischer Erziehungswissenschaft, die ich seit meiner Habilitation im Jahre 1954 begonnen hatte, in Österreich fortzuführen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der DDR-Diktatur gab es wenig Hoffnung auf Erfolg, aber ein Versuch auf hoher politischer Ebene musste gewagt werden, um der Fakultät zu einer guten Besetzung und Winnefeld zur Freiheit zu verhelfen. Ich habe deshalb am 13. Juli 1966 folgenden Brief452 geschrieben: „An den Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Herrn Prof. Dr. Ernst-Joachim Giessmann Berlin, Wilhelmstraße 68 Deutsche Demokratische Republik Sehr geehrter Herr Staatssekretär! In einem Brief vom 14.1.1966 habe ich Sie gebeten, Herrn Prof. Dr. Winnefeld, Leiter der Abteilung für Pädagogische Psychologie im Institut für Pädagogik der Universität Halle, die Reise zu Gastvorträgen zu ermöglichen, zu denen ihn die Universität Innsbruck eingeladen hat. Dieser Brief ist leider bis heute unbeantwortet geblieben, aber ich habe mich darüber gefreut, im Frühjahr von Herrn Winnefeld zu erfahren, dass dank des Verständnisses Ihres 450 PAB. 451 Winnefeld am 3.7.1966 an Brezinka. PAB. 452 PAB. Zu Gießmann (1919–2004), Physiker, 1946 Mitglied der SED, 1956 Rektor der Hochschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg, seit 1962 Staatssekretär und Mitglied des Ministerrats. Bundesministerium Für Gesamtdeutsche Fragen 1966, 177.

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Ministeriums gute Aussicht besteht, die Erlaubnis zur Reise in das neutrale Österreich zu erhalten. Die Vorträge von Herrn Winnefeld waren für die Zeit zwischen dem 27. und 30. Juni angesetzt, die Einladungen des Dekans der Philosophischen Fakultät waren bereits gedruckt und verschickt, das Wiener Bundesministerium für Unterricht hat die finanziellen Mittel für die Reise und Aufenthaltskosten bereitgestellt, aber das alles war vergeblich, weil Herr Prof. Winnefeld trotz monatelanger Vorbereitungen bis zum letzten Tag die Ausreisegenehmigung nicht erhalten hat. Ich wende mich in dieser Angelegenheit nun neuerlich an Sie, weil ich annehme, dass die Schwierigkeiten, die Herrn Winnefeld wegen seiner Vortragsreise nach Österreich gemacht werden, von der obersten Behörde für das Hochschulwesen der DDR kaum gebilligt werden dürften. Die telegraphische Absage von Herrn Prof. Winnefeld hat weit über meine Fakultät hinaus schockierend gewirkt. Man ist in Österreich schon längst gewöhnt, dass Reisen von Wissenschaftlern aus Osteuropa völlig ungehindert vor sich gehen können. Ich selbst werde zum Beispiel in wenigen Wochen als Referent am Nationalkongress der Tschechoslowakischen Pädagogischen Gesellschaft in Olmütz teilnehmen. Wir haben hier bisher angenommen, dass auch die Regierung der DDR hinter den Regierungen ihrer Nachbarstaaten nicht zurückstehen wird, wenn es darum geht, ihren Wissenschaftlern Freizügigkeit im internationalen Austausch zu gewähren. Wir sind auch jetzt noch geneigt, die Behinderung der Ausreise des Herrn Prof. Winnefeld mit der schwerfälligen bürokratischen Apparatur zu erklären, wie sie auch in anderen Staaten noch besteht. Unser Professorenkollegium hat deshalb beschlossen, die Einladung an Herrn Professor Winnefeld für das kommende Wintersemester aufrecht zu erhalten. Ich möchte nun Sie, als den zuständigen Herrn Staatssekretär, noch einmal darum bitten, sich persönlich dafür einzusetzen, dass Herrn Winnefeld in der ersten Novemberwoche die Vortragsreise nach Österreich ermöglicht wird. Ich bin überzeugt davon, dass die DDR dadurch an Ansehen im Ausland nur gewinnen kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Brief auch beantworten würden und bleibe in größter Hochachtung Ihr sehr ergebener Wolfgang Brezinka.“ Auch dieser Brief ist unbeantwortet geblieben.453 Erst am 4. November 1966 konnte Winnefeld unserer Fakultät „eine endgültige Nachricht geben“. „Mein Antrag ist nun vollkommen abgelehnt worden, und zwar mit der Begründung, dass man bei Geisteswissenschaftlern im allgemeinen nur dann Genehmigun453 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 548 über einen letzten Versuch am 2.11.1966.

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gen vergibt, sofern dabei zugleich gewisse politische Ausstrahlungen erwartet werden dürfen. Da das bei meiner Reise nach Innsbruck kaum zu erwarten sei, wäre eine Reiseerlaubnis zur Zeit nicht möglich. So der offizielle Bescheid, der mir mündlich übermittelt wurde.“454 Diese Geschichte verdient auch deswegen Beachtung, weil sie an einen vergessenen Pionier empirischer pädagogischer Forschung455 unter den Bedingungen der totalitären DDR erinnert und vor deren nachträglicher Verharmlosung warnen kann. Von der Zustimmung meiner Fakultät zur Einladung Winnefelds abgesehen ist es mir als einzigem Fachvertreter der Pädagogik nicht gelungen, meine Nachfolge sowie die Besetzung der Lehrkanzel II bestmöglich zu beeinflussen. Auf Anfrage des Kollegiums456 habe ich mit guten Gründen empfohlen, Winnefeld, Schorb, Rumpf und Kramp in die engere Wahl zu ziehen.457 Die Berufungskommission und die Fakultät haben sich jedoch ohne kritische Prüfung von Publikationen und Lehrerfolg für erheblich schwächere bis gänzlich ungeeignete Kandidaten entschieden, von denen ich abgeraten hatte. Die Unkenntnis und Ablehnung empirischer Erziehungswissenschaft ging so weit, dass die Umbenennung meiner Lehrkanzel von „Pädagogik“ in „Erziehungswissenschaft“, die 1963 einstimmig erfolgt und vom Ministerium genehmigt worden ist, auf Antrag des Germanisten Thurnher 1969 rückgängig gemacht wurde. Dadurch sollte gezeigt werden, dass sie „vornehmlich der philosophisch-historischen Richtung“ gewidmet ist.458 Bei so viel Unverstand und Missgunst ist mir die Trennung von der Fakultät nicht schwergefallen. Ich habe jedoch nur den universitären Arbeitsplatz gewechselt, aber die Beheimatung in Tirol und Österreich lebenslang bewahrt – seit 1970 als Bürger von Telfes im Stubaital. Was die Philosophische Fakultät der Universität Innsbruck an Dank für den Aufbau eines leistungsfähigen erziehungswissenschaftlichen Instituts mit Ausstrahlung nach Südtirol versäumt hat, das hat die Tiroler Landesregierung 1984 durch die Verleihung des Tiroler Adler-Ordens in Gold459 an einen gebürtigen Berliner nachgeholt.

454 PAB. 455 Vgl. Winnefeld 1957, 1959, 1970 und 1972. Cavemann (Pseudonym von Winnefeld) 1965. 456 Dekan Eugen Thurnher am 3.2.1967 an Brezinka. PAB. 457 Brezinka am 6.2.1967 an Thurnher. PAB. Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 569 ff. 458 Vgl. Brezinka, Bd. 2, 2003, 506 und 580. 459 Durch Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (1913–1989) am 26. Oktober 1984 (Österreichischer Nationalfeiertag). Kurzbiographie: Bruckmüller 2001, 519.

NACHWORT

Ich würde diesen Bericht gern in gleicher Gründlichkeit bis zur Gegenwart fortführen. Mein Aufstieg zu einem international angesehenen „Klassiker der Pädagogik“460 ist erst ab 1970 erfolgt. Er ist nicht ohne fachliche Gegnerschaft und politische Konflikte verlaufen. Die Anerkennung als „bedeutsamster deutschsprachiger Erziehungswissenschaftler aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“461 ist nicht ungeteilt. Vieles aus der erlebten jüngeren Fachgeschichte der Pädagogik seit 1967 würde noch die Darstellung und kritische Beleuchtung aus meiner Sicht verdienen. Eine Fortsetzung dieses Buches durch einen zweiten Band ist aber wegen meines hohen Alters ungewiss. Über mein Lebenswerk seit dem Antritt der Konstanzer Professur im Jahre 1967 informieren jedoch bereits folgende Texte: Wolfgang Brezinka: Das Fach „Erziehungswissenschaft“ an der Universität Konstanz. In: Rudolf Leibinger/Horst Sund (Herausgeber): Zwischenbilanz. Festschrift für Lothar Späth. Konstanz 1988, Universitätsverlag, 363– 377. Siegfried Uhl (Herausgeber): Wolfgang Brezinka. Fünfzig Jahre erlebte Pädagogik. Rückblick, Lebensdaten, Publikationen. München 1997, Ernst Reinhardt Verlag. Wolfgang Brezinka: Mein Weg zur Pädagogik und meine Beiträge zu ihr. In: Bibliothek Für Bildungsgeschichtliche Forschung: Überlieferung und Kritik der Pädagogik. Beiträge von Wolfgang Brezinka aus Österreich und Deutschland in zehn Sprachen. Katalog zur Ausstellung. Berlin 2003 und Wien 2004, 7–38. Heinz-Elmar Tenorth: Wolfgang Brezinka oder: Wissenschaftliche Pädagogik im Spiegel ihrer ungelösten Probleme. In: Pädagogische Rundschau, 58. Jg., 2004, 453–465. Walter Höflechner: Die Geschichte eines schwierigen Faches. Aus Anlass der Vollendung von Wolfgang Brezinkas Geschichte der „Pädagogik in 460 Fermoso 1986, 39 f.; Christian Ritzi im Vorwort zum Katalog der Ausstellung der Bibliothek Für Bildungsgeschichtliche Forschung 2003, 3 f.; Herbert Matis ebenda, 5 f. 461 Tenorth 2004, 463.

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Nachwort

Österreich“ als Element einer Wissenschaftsgeschichte Österreichs. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd. 18, 2015. Stuttgart 2017, 249–260. Heinz-Elmar Tenorth: Wie man Unzufriedenheit produktiv macht. Arbeit am Monstrum: Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka wird neunzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2018, Nr. 131, Seite 14.

ANHANG: DENKSCHRIFT ÜBER EIN FORSCHUNGSZENTRUM FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK (1965)

INSTITUT FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK Vorstand: Prof. Dr. Wolfgang Brezinka Innsbruck, am 25.10.1965 An den Planungsausschuß der Österreichischen Rektorenkonferenz WIEN I., Liebiggasse 5 Betrifft: Denkschrift über ein Forschungszentrum für Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Bezug: Schreiben des Vorsitzenden des Planungsausschusses vom 6.10.1965, GZ. 139 – 1964/65 Österreich braucht dringend wenigstens an einer Universität ein leistungsfähiges Forschungs-, Dokumentations- und Ausbildungszentrum der Erziehungswissenschaft. In allen hochindustrialisierten Ländern hat das Schulwesen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Es ist nicht nur komplizierter, sondern auch kostspieliger geworden. Eine sachgerechte Planung kann künftig nur mehr gelingen, wenn sie sich auf die Ergebnisse der erziehungswissenschaftlichen Forschung stützen kann. Wie die Liste der pädagogischen Dissertationen, die seit 1945 an den österreichischen Universitäten entstanden sind (abgedruckt in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 1/1966), beweist, ist in Österreich die empirische Forschung auf dem Gebiet der Erziehungswissenschaft bisher fast gänzlich zugunsten philosophischer und historischer Studien vernachlässigt worden. Das dürfte zum Teil durch den Umstand bedingt sein, daß die Universität Innsbruck erst seit dem Jahre 1960, die Universität Graz erst seit 1964 über je einen Professor der Pädagogik verfügen, nachdem das Fach bis zu diesem Zeitpunkt von Professoren der Philosophie und der Psychologie nebenbei mitvertreten worden ist. Eine oder zwei Lehrkanzeln für Pädagogik genügen jedoch heute nicht einmal

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mehr, um den Aufgaben, die die Ausbildung der Studierenden für das Lehramt an höheren Schulen mit sich bringt, voll gerecht zu werden, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Zahl der Studierenden an den österreichischen Hochschulen zwischen den Studienjahren 1954/55 und 1963/64 um rund 150 % zugenommen hat (Bildungsbericht 1965 des Bundesministeriums für Unterricht, S. 175). Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß Österreich aus Mangel an erziehungswissenschaftlichen Instituten und an qualifizierten Mitarbeitern auf dem Gebiet der erziehungswissenschaftlichen Forschung heute noch immer weit hinter allen vergleichbaren anderen Staaten zurückliegt. Diese Situation läßt sich u. a. auch durch folgende Tatsache illustrieren. Die Republik Österreich und die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) haben im Jahre 1963 einen Vertrag über Forschungen über langfristige Planung und Investition auf dem Gebiet des Erziehungswesens abgeschlossen, auf Grund dessen allein für die Jahre 1964 und 1965 rund 1,2 Millionen Schillinge zur Verfügung gestellt worden sind. Diese relativ große Summe ist entgegen der ursprünglichen Absicht des früheren Unterrichtsministers Dr. Drimmel den österreichischen Hochschulen mit Ausnahme von 50.000 S zur Gänze vorenthalten worden, weil bisher nirgends ein leistungsfähiges Institut für Erziehungswissenschaft besteht, das derartige Forschungsaufgaben übernehmen könnte. Die OECD-Mittel sind inzwischen für Projekte ausgegeben worden, an deren Planung und Kontrolle kein einziger Erziehungswissenschaftler beteiligt gewesen ist. Lediglich eine am Innsbrucker Institut für Erziehungswissenschaft durchgeführte Untersuchung über die Studiendauer der Anwärter für das Lehramt an höheren Schulen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck und über die Gründe, warum sie durchschnittlich 13 Semester beträgt, ist mit S 50.000 aus diesen Mitteln mitfinanziert worden. Größere erziehungswissenschaftliche Forschungsvorhaben lassen sich jedoch unmöglich durchführen, solange an den österreichischen Universitäten nicht wenigstens ein Forschungs-Schwerpunkt für Erziehungswissenschaft geschaffen wird. Ein solches nationales Zentrum der Erziehungswissenschaft hat folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Erziehungswissenschaftliche Forschung. Im Bereich des Erziehungswesens muß heute – ähnlich wie in der Wirtschaft oder in der Sozialpolitik – auf weite Sicht geplant werden. Dazu braucht man Unterlagen, die mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitet worden sind. Die hohen Investitionskosten, die auf dem Gebiet des Schulwesens notwendig sind, können nur verantwortet werden, wenn die öffentlichen Mittel für die wesentlichen Projekte ausgegeben werden. Um beurteilen zu können, welchen Auf-

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gaben die Priorität zuzuerkennen ist, muß laufend kritisch geprüft werden, ob der schulische Aufwand an Personal, Energie, Zeit und Geld in einem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis steht. Statt die bestehenden Erziehungseinrichtungen aus Prestigegründen zu idealisieren, müßten ihre Mängel aufgedeckt, deren Ursachen analysiert und Vorschläge zur Abhilfe ausgearbeitet werden. Solche Arbeiten können nur durch ein Team unabhängiger Erziehungswissenschaftler geleistet werden. Wenn sie nicht ernsthaft in Angriff genommen werden, wird man das Schulwesen zwar quantitativ erweitern, qualitativ aber nicht wesentlich verbessern können. Es sei hier an das bereits erwähnte Forschungsprojekt „Educational Investment and Planning“ der OECD erinnert. Es greift eine ganze Reihe erziehungswissenschaftlicher Probleme auf, die auch in Österreich dringend bearbeitet werden müßten. Ohne die erziehungswissenschaftliche Forschung wenigstens an einer Stelle in Österreich großzügig zu institutionalisieren, werden jedoch solche wichtigen, aber sehr schwierigen Forschungsprojekte bei uns weiter undurchführbar bleiben. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß das Schulorganisationsgesetz 1962 im § 125, Absatz 1 den „Pädagogischen Instituten des Bundes“ die Aufgabe zuweist, neben der Fortbildung der Lehrer auch „der pädagogischen Tatsachenforschung zu dienen“. Falls nicht dieser Auftrag überhaupt die Möglichkeiten solcher Institute übersteigt, ist er nur durchführbar, wenn wenigstens ein personell und sachlich gut ausgebautes erziehungswissenschaftliches Forschungszentrum auf Universitätsebene besteht, von dem die „Pädagogischen Institute“ in den Bundesländern Hilfe erhalten können. Neben der Forschung auf dem Gebiet des Schul- und Unterrichtswesens müssen auch noch andere Erziehungsbereiche wissenschaftlich bearbeitet werden. Insbesondere gehören dazu die Berufserziehung, die Jugendfürsorge und Jugendpflege, die Heilerziehung behinderter Kinder und die Erwachsenenbildung. Darüber hinaus ist es notwendig, auch jene Teilgebiete der Psychologie, der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaft zu pflegen, deren Hilfe die Erziehungswissenschaft nicht entbehren kann: die Kinder- und Jugendpsychologie, die Pädagogische Psychologie, die Soziologie der Erziehung und die Ökonomie des Bildungswesens. 2. Erziehungswissenschaftliche Dokumentation. Die erziehungswissenschaftliche Forschung wie die Ausbildung hochqualifizierter erziehungswissenschaftlicher Nachwuchskräfte setzen voraus, daß sie sich auf eine Bibliothek stützen können, die über alle einschlägigen Bücher, Zeitschriften und Dokumente verfügt. Eine solche erziehungswissenschaftliche Fachbi-

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bliothek gibt es bisher wenigstens ansatzweise nur im Pädagogischen Institut der Gemeinde Wien. An den österreichischen Universitäten ist derzeit noch keine erziehungswissenschaftliche Spezialbibliothek von ausreichendem Umfang vorhanden. Dadurch werden Forschung und Ausbildung stark behindert. In dem geplanten erziehungswissenschaftlichen Zentrum müßten insbesondere auch die wichtigsten fremdsprachlichen Publikationen laufend gesammelt und ausgewertet werden. Österreich ist erziehungswissenschaftlich hinter Ländern wie England, Schweden, Frankreich, den Niederlanden oder den USA derzeit noch weit zurück. So liegen zum Beispiel zu vielen wesentlichen Fragen der Schulorganisation, über die man in unserer Heimat erst jetzt nachzudenken beginnt, im Ausland bereits wertvolle Veröffentlichungen vor, die rechtzeitig in die innerösterreichische Diskussion einbezogen und bei der Planung berücksichtigt werden müßten. Während der Kontakt mit der ausländischen Forschung und ihren Ergebnissen in den Naturwissenschaften selbstverständlich ist, fehlt er auf dem Gebiet der Erziehungswissenschaft in Österreich bisher fast vollständig. Neben der Bibliothek verdient auch die Sammlung und ständige Ergänzung statistischer Daten über das österreichische Erziehungswesen besondere Pflege. Die verdienstvollen Arbeiten des Statistischen Zentralamts könnten hier erziehungswissenschaftlich noch besser ausgewertet werden als das bisher möglich gewesen ist. 3. Erziehungswissenschaftliche Ausbildung. Der Bedarf an Personen mit einem abgeschlossenen Studium der Erziehungswissenschaft wird in Österreich in nächster Zeit stark zunehmen. Insbesondere die Pädagogischen Akademien, die Schulaufsicht und Schulverwaltung, die Einrichtungen der Heilerziehung, der Jugendfürsorge und Jugendpflege, des Schulpsychologischen Dienstes und der Erziehungsberatung brauchen dringend erziehungswissenschaftlich voll ausgebildete Mitarbeiter. Eine erziehungswissenschaftliche Ausbildung, die vollständig sein und modernen Anforderungen entsprechen soll, kann nur an einer Institution durchgeführt werden, die einen relativ großen Lehrkörper besitzt. Ein oder zwei Professoren der Pädagogik allein genügen nicht, um sie in ihrer ganzen Breite tragen zu können. Es empfiehlt sich daher, diese Ausbildung im Sinne einer Schwerpunktbildung an einer österreichischen Universität zu konzentrieren und dort personell wie sachlich optimale Voraussetzungen dafür zu sichern. Um die erziehungswissenschaftliche Ausbildung dem Niveau der führenden westlichen Länder anzugleichen, ist vom Vorstand des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck anläßlich der Vorbereitung des

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Hochschulstudien-Gesetzes am 7.10.1963 beantragt worden, das Diplom-Studium der Erziehungswissenschaft einzuführen. Diesem Antrag haben sich sämtliche Mitglieder der Konferenz der österreichischen Universitätspädagogen in ihrer Sitzung am 7. und 8. Mai 1965 einstimmig angeschlossen. Die Ausbildung von Erziehungswissenschaftlern ist in Österreich seit Jahrzehnten völlig vernachlässigt worden. Es gibt in ganz Österreich derzeit nur einen Universitätsdozenten für Pädagogik. Es besteht also ein dringender Bedarf an erziehungswissenschaftlichen Nachwuchskräften für die Universitäten. Von noch größerer Bedeutung aber ist die Ausbildung der Lehrerbildner für die Pädagogischen Akademien, die im Jahre 1968 eröffnet werden sollen. Es werden für die pädagogischen Kernfächer ungefähr 50 Lehrkräfte gebraucht, die ein akademisches Studium der Erziehungswissenschaft und der Psychologie abgeschlossen haben. Derzeit gibt es in Österreich kaum mehr als fünf bis zehn Personen, die auf die Lehrtätigkeit an einer Pädagogischen Akademie erziehungswissenschaftlich ausreichend vorbereitet sind. Es ist vorauszusehen, daß die Pädagogischen Akademien ihren Zweck nicht erfüllen werden, wenn sie nicht vom Tage ihrer Eröffnung an personell gut besetzt werden. Dem drohenden Lehrermangel ist nur abzuhelfen, wenn die Akademien auf die Maturanten der höheren Schulen anziehend wirken. Das Schulgesetzwerk 1962 ist nur durchführbar, wenn Österreich genügend und genügend gute Lehrer gewinnt. Die Lehrerbildung nimmt im Schulwesen eine Schlüsselstellung ein. Es sollten unverzüglich die größten Anstrengungen gemacht werden, um hervorragend bewährte Pflichtschullehrer auszulesen und durch ein gründliches erziehungswissenschaftliches Studium auf die Lehrtätigkeit an einer Pädagogischen Akademie vorzubereiten. Ein solches Studium ist jedoch nur an einem Universitätsinstitut durchführbar, das großzügig ausgestattet ist und alle notwendigen Lehrveranstaltungen anbieten kann. Folgerungen und Vorschläge. Der vorstehende Überblick hat gezeigt, daß es dringend notwendig ist, im Sinne einer Schwerpunkt-Bildung wenigstens an einer österreichischen Universität ein erziehungswissenschaftliches Forschungs-, Dokumentations- und Ausbildungszentrum einzurichten. Dadurch wird keineswegs ausgeschlossen, daß das Studium der Pädagogik bis zum Erwerb des Doktorates auch weiterhin an jeder Philosophischen Fakultät durchgeführt werden kann. Durch die Errichtung eines Schwerpunktes für Erziehungswissenschaft sollen jedoch neben dem primären Zweck der Forschungsförderung auch die personellen und sachlichen Voraussetzungen für Spezialstudien gesichert werden, die an jeder Fakultät zu bieten zu kostspielig wäre.

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Der Gedanke liegt nahe, ein solches Institut in der Bundeshauptstadt an der Universität Wien aufzubauen. Es ist jedoch zu bedenken, daß die Professoren der Pädagogik an der Universität Wien 3.000 bis 4.000 Studierende für das Lehramt an höheren Schulen zu betreuen haben. Diese große Zahl würde es ihnen trotz aller Unterstützung durch Assistenten außerordentlich erschweren, genügend Zeit und Arbeitskraft für die Forschung und für die intensive Ausbildung einer relativ kleinen Gruppe von Hauptfach-Pädagogen aufzubringen. An einer kleineren österreichischen Universität könnte sich dagegen der Lehrkörper viel gründlicher den Aufgaben der erziehungswissenschaftlichen Forschung und Spezial-Ausbildung zuwenden. Außerdem erscheint es auch aus grundsätzlichen hochschulpolitischen Erwägungen geboten, nicht alle wichtigen Einrichtungen an der überfüllten Universität Wien zu konzentrieren, sondern einige davon auch den Universitäten in den Bundesländern anzuvertrauen. Ich schlage deshalb vor, das geplante erziehungswissenschaftliche Schwerpunkt-Zentrum an der Universität Innsbruck zu errichten. Der Ausbau des Instituts für Erziehungswissenschaft ist an der Universität Innsbruck vermutlich schneller und leichter realisierbar als an einer anderen Philosophischen Fakultät. Dafür sprechen folgende Tatsachen: • 1. Es ist hier bereits ein Mitarbeiterstab vorhanden, der sich in den letzten Jahren auf empirische Forschung spezialisiert hat. Derzeit werden Untersuchungen zu folgenden Themen durchgeführt: • a. Der Lehrermangel in Österreich: Ausmaß, Ursachen und Möglichkeiten der Behebung (Univ.-Ass. Peter Posch). • b. Die Studiendauer der Studierenden für das Lehramt an höheren Schulen (Univ.-Ass. Ilsedore Rieder). • c. Ausmaß und Ursachen des vorzeitigen Abganges von den höheren Schulen (Univ.-Ass. Rudolf Messner). • d. Volkswirtschaft und Pflichtschullehrergehälter in Österreich (Dipl. Volkswirt Hermann Strasser). • e. Soziale Herkunft, Berufszufriedenheit und Berufskonflikte der Tiroler Pflichtschullehrer (Hauptschullehrer cand. phil. Josef Klingler). • Ein weiterer Mitarbeiter des Instituts, Volksschullehrer cand. phil. Helmut Fend, ist für das Studienjahr 1965/66 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht an die Universität London gesandt worden, um die Methoden und Ergebnisse der empirischen pädagogischen Forschung in England kennenlernen zu können und für künftige Innsbrucker Forschungsprojekte auszuwerten. • 2. Die für die Forschung unentbehrlichen Auslandsbeziehungen sind im Innsbrucker Institut bereits vorhanden. Es bestehen enge Kontakte mit dem

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„Institut für Bildungsforschung“ der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, mit dem „Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung“ in Frankfurt am Main, mit dem Institute of Education der Universität London, sowie mit den erziehungswissenschaftlichen Forschungszentren der Harvard University (Cambridge, Mass., USA) und der Columbia University (New York). • Der derzeitige Institutsvorstand ist Gründungsmitglied der „Comparative Education Society in Europe“ (London), Mitherausgeber der deutschen „Zeitschrift für Pädagogik“ und Editorial Consultant der von der UNESCO herausgegebenen „International Review of Education“. • Auch Univ.-Ass. Peter Posch hat durch langfristige Studienaufenthalte in den USA und in Norwegen sowie durch eine 1965 durchgeführte Studienreise nach Polen wichtige wissenschaftliche Kontakte knüpfen können. • 3. Die Bibliothek des Innsbrucker Instituts für Erziehungswissenschaft ist bereits seit dem Jahre 1960 mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der empirischen erziehungswissenschaftlichen Forschung aufgebaut worden. Sie verfügt als derzeit einzige österreichische Bibliothek über die wichtigsten englisch-sprachigen Bücher und Dokumente sowie über 18 der bedeutendsten englischen und amerikanischen Fachzeitschriften, die laufend ausgewertet werden. Diese Spezialbibliothek und ein Team von Mitarbeitern, die die englische Sprache gut beherrschen, sichern dem Innsbrucker Institut bereits jetzt hinsichtlich der Voraussetzungen für die empirische Forschung eine besonders günstige Stellung unter den Pädagogischen Instituten der österreichischen Universitäten. • 4. Eine Publikationsmöglichkeit ist bereits gesichert. Ab 1966 wird die vom derzeitigen Institutsvorstand herausgegebene Reihe „Österreichische Beiträge zur Erziehungswissenschaft“ im Verlag Julius Beltz (Weinheim), und im Österreichischen Bundesverlag (Wien) erscheinen. Sie nimmt wertvolle erziehungswissenschaftliche Dissertationen und Habilitationsschriften, aber auch andere Arbeiten österreichischer Erziehungswissenschaftler auf. • Für das Jahr 1966 werden derzeit folgende Bände vorbereitet: • Bd. 1, Rudolf Wohlgenannt: Der Wissenschaftsbegriff der Pädagogik. • Bd. 2, Helmut Fend: Sozialisierung und Erziehung. • Bd. 3, Christine Lemayr: Soziale Dienste im Jugendalter. (Bereits im Druck).

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• Bd. 4, Andreas Stoll: Geschichte der Volksschullehrerbildung in Tirol von den Anfängen bis 1876. Der Planungsausschuß der Österreichischen Rektorenkonferenz wird gebeten, das vorgeschlagene Projekt zu prüfen und es gegebenenfalls der Rektorenkonferenz zur Verwirklichung zu empfehlen. Innsbruck, am 25.10.1965 (Prof. W. Brezinka) Institutsvorstand

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PERSONENREGISTER

Acham, Karl 259, 354 Ackerl, Isabella 126 f. Adamovich, Ludwig 355 Adelmann, Josef 186 Albert, Hans 295, 337 Allport, Gordon W. 174 f. Antretter, Karlheinz 137 Arnold, Wilhelm 207, 230, 305 Aschersleben, Karl 204 Asperger, Hans 121 ff., 134 ff., 180, 355 Auer, Albert 84 ff. Auer, Ludwig 160 f. Auer, Max 161 Augustinus 56, 85, 109 Auracher, Maria 148, 354 Bacht, Heinrich 77 Baden-Powell, Robert 52 Baldelli, Ferdinando 141 Ballauf, Theodor 205, 287 Bamberger, Richard 90, 102, 108 Barion, Hans 196 Barran, Fritz 26 Barth 358 Bartsch, Ogerius 24, 51 Bauer, Ingrid 135 f. Baumann, Hans 30 Baumgart, Peter 17 Baumgartner, Ernst 109 Bayer, Carlo 126 ff. Bayr-Klimpfinger, Sylvia 126, 166, 260, 301 ff., 333 Becker, Carl Heinrich 198 f., 362, Beckmann, Hans-Karl 204 Beckmann, J. 283 Behler, Wolfgang 300 Beitl, Klaus 95

Beitl, Richard 95 Beitl, Thea 95 Benda, Marie Luise Aurora 15 Benedikt, Heinrich 180 Bengtson, Hermann 239 Bereday, George Z.F. 121, 171, 175 Berg, Karl 67 ff., 78, 104, 147 f. Berger, Carl C. 51 Bergstraesser, Arnold 256 Berlinger, Rudolph 192, 229 f. Bernfeld, Siegfried 259, 352 Beske, Otto 39 Betschart, Ildefons 84 ff. Betti, Emilio 282 Bismarck, Otto von 214 Bittner, Günther 323 Blaßnig, Hermann 92 ff. Blättner, Fritz 8 Blochmann, Elisabeth 139, 163, 205, 228 ff., 240 Böhler, Wilhelm 157 Böhm, Winfried 111, 173, 194, 198, 202, 211, 225 ff., 270, 277, 286, 296 ff., 320, 357, 364 f. Bollnow, Otto Friedrich 8, 163, 206, 211, 214, 254, 270, 292, 299 Borchert, Wolfgang 62 Borgmann, Karl 141 Bosch, Bernhard 212 f. Bossle, Lothar 213 Brandenburg, Hans-Christian 53 Braun, Frida 137 Braun, Heinrich Suso 107, 110 Brauner, Charles J. 289 Breuer, Karl Hugo 142 f. Brezinka, Hildegard 23 Brickmann, William W. 175

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Personenregister

Bruckmüller, Ernst 69, 90, 93, 103, 106, 126 f., 136, 151, 166, 173, 259, 264, 341, 369 Brunnengräber, Hans 128 Brzezinka, Josef 15 Brzezinka, Josef Paul Viktor 15 Buber, Martin 62 Buchinger, Hubert 183 Buchka, Maximilian 163 Budamair, Alois 49, 68, 90 Bühler, Charlotte 328, 364 Bühler, Karl 84, 328 Bungardt, Karl 296 Bureick, Ludger 25 Busemann, Adolf 118, 121, 126, 156, 211, 247 Büttemeyer, Wilhelm 291 Butts, R. Freeman 171 Campenhausen, Axel von 196 Cavemann, Bernhard 369 Child, Irvin L. 175 Cipro, Miroslav 291 Claudius, Matthias 56 Dabel, Gerhard 20, 39 f. Dahrendorf, Ralf 19, 358 ff., 363 Dantine, Wilhelm 259 Däumling, Adolf 211 Davidowicz, Anton 224 Dechant, Rudolf 144 Demus, Otto 180 Dengel, Dominika 105 Dengel, Maria 93, 95 Derbolav, Josef 121, 203, 225 ff., 277 f., 292, 304 Dewey, John 173 Dillersberger, Josef 83 Dilthey 281, 292 Dolch, Josef 8, 121, 169, 175, 205, 248, 260, 276, 297, 299 ff., 306 Domanig, Erwin 129, 137, 146 f. Dreher, Bruno 242 Drewermann, Eugen 77 Driesch, Johannes von den 199 Drimmel, Heinrich 166, 168, 213, 227,

233, 260, 264 ff., 268 f., 272 ff., 303 ff., 316, 338 ff., 349 f., 374 Drischel 349 Durkheim, Emile 191, 289 Dusil, Hannemarie 50 Eder, Alois 301 Eder, Karl 69 Eichendorff, Joseph von 22, 56 Einsiedler, Wolfgang 205 Elmenau, Johannes von 210, 229, 357, 362 Engelbrecht, Helmut 20, 114, 166, 168, 264, 316 f., 341 Engelmayer, Otto 247 Erhardt 332 Erikson, Erik H. 171 Erismann, Theodor 98, 101, 105 f. Erlinghagen, Karl 74, 185, 205, 306 ff. Ermacora, Felix 138, 220 f., 225, 275, 349 Eyferth, Hanns 357 Fabry, Joseph B. 103 Fadrus, Viktor 341 Färber, Caritas 104, 140 Fatke, Reinhard 276, 278 Fellermeier, Jakob 94 Fend, Helmut 321 f., 364, 378 f. Fermoso, Estébanez 371 Ferrari, Josef 217 ff., Ficker, Ludwig von 93 Fiedler, Emil 90 Figl, Leopold 173 Filbinger, Hans 361, 363 Finder, Josef 303 Fischer, Aloys 118, 140, 154, 163, 169, 212, 276, 280, 283 Flaskamp, Franz 15 Fleckenstein, Heinz 196, 207 Flitner, Andreas 261, 270, 278, 299, 322 f., 355 ff., 361 f. Flitner, Sonja 355 Flitner, Wilhelm 8, 154 f., 161 ff., 191, 205, 228, 247, 255, 260, 270, 276, 281 ff., 286, 292, 306 ff., 320, 337 Flor, Georg 357 Foerster, Friedrich Wilhelm 7, 24, 53, 172

Personenregister

Fohrer, Heinrich 222 Frank, Helmar 204 Franke, Peter 160 Frankiewicz, Heinz 290 Frankl, Viktor E. 103 Friedeburg, Ludwig von 261 Fröbel, Friedrich 83 Froese, Leonhard 121, 234, 356 f., 362 Führ, Christoph 199, 202,299 Gaebel, Walter 22 Gamm, Hans-Jochen 32 Gamper, Elmar 221 Gargitter, Joseph 221 Garnitschnig 93 Gassner, Franz 123 Gehlen, Arnold 299 Geiger, Fulgenz 355 Geißler, Georg 162, 205, 228, 306 ff., Gelmi, Josef 106, 217, 222 Giessmann, Ernst-Joachim 367 Glöckel, Otto 341 Gmeiner, Hermann 151, 323 Gordan, Paulus 67 Gorki, Maxim 56 Göttler, Joseph 290 Gotzmann, Martha 24 Grabmann, Martin 86 Graßl, Anton 357 Gredt, Joseph 85 Grentrup, Theodor 221 Gröber, Conrad 31 Gruber, Alfons 217, 223 Gschnitzer, Franz 173, 220 f. Guardini, Romano 15 f., 92, 214 Guillermou, Alain 74 Gutmann, Werner 331 Habermas, Jürgen 205 Hahn, Wilhelm 358, 361 Haidl, Arthur 333, 353 Hans, Nicholas 121, 298 Hartung, Theodor 58, 66, 88 Hauff, Wilhelm 50 Hauser, Rudolf 345 Hausmann, Gottfried 121, 228

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Häusser, Alexander 60 Heck, Bruno 261 f., 357 f. Heckel, Hans 205 Hehlmann, Wilhelm 40, 98 f., 144, 171, 174, 207, 211 Heichert, Christian 202 Heidegger, Martin 102, 234 Heintel, Erich 344 f. Heissel, Werner 272 Heitger, Marian 300 f. Hendl, Hildegard 25, 47, 67, 85, 104 Henz, Hubert 286 f., 292, Herbart, Friedrich 154, 281, 292 Herzog, Ottilie 17 Hess, Gerhard 358, 363 Hesse, Ernst 137 Hetzer, Hildegard 211, 277 Hibler, Theodor 68 Hildebrand, Dietrich von 76 f. Hilker, Franz 128 Hillmann, Karl-Heinz 162, 171 ff., 281 Hinst, Peter 101 Hirt, Simon 31 Hoeber, Karl 15 Hoff, Hans 136 Höflechner, Walter 371 Hofmann, Theodor 322 f. Hohlwein, H. 15 Höllerer 66 Homans, George Caspar 175 Horn, Joachim 7, 32, 161 ff., 190, 194, 213, 225 ff., 276 ff., 291, 296, 300, 318, 356 Hosp, Eduard 18 Hoyer, Franz 267, 272, 345, 352, 363, 366 Huber, Ludwig 305, 356, 358 Humboldt, Alexander von 56 Hutchins, Robert M. 173 Huter, Franz 224, 318, 354 Huth, Albert 121, 142 Ilg, Karl 345 ff., 366 Ingenhaeff, Wolfgang 72, 78, 222 Ipfling, Heinz-Jürgen 300 Jaeger, Werner 175 Janoschka, Hanne 45

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Personenregister

Jansen, Josef 25, 31 Jaspers, Karl 99, 105 Jellinek, Isa 107 Jellinek, Wolfgang 107 Jonak, Felix 313, 330 Jordan, Erwin 261 Jung, Carl Gustav 99 Jungmann, Josef Andreas 93, 101, 140, 146 Kainz, Friedrich 350 Kaminski, Dieter 57 Kammer, Hilde 51 Kampmann, Theoderich 121 Kant, Immanuel 23, 85 f., 101, 281 Kapfhammer, Franz Maria 92, 142 Kaps, Johannes 56 Kardiner, Abram 172 Kasztantowicz, Ulrich 192, 194 Kaufmann, Helene 354 Kay, Ella 260 f. Keck, Paul 208, 241 f. Keilhacker, Martin 121, 168, 318, 356, 361 Keller, Gottfried 56 Keßler, Karl 186, 241 Ketteler, Wilhelm Emmanuel von 97 Kiesinger, Kurt Georg 358, 360 Kimball, Solon T. 171 Kindt, Werner 16 Kinzl, Hans 106 Kittel, Helmuth 117, 198 ff. Klafki, Wolfgang 230 Klauer, Karl Josef 124 Klaus, Josef 135, 141, 146, 213, 276, 341 Klecatsky, Hans R. 354 Klee, Ernst 51 Klein, August 202 Kleindel, Walter 106 Klett, Ernst 155 ff., 252, 254 Klineberg, Otto 171 f. Klingler, Josef 269 f., 322, 378 Klose, Werner 34 Kluckhohn, Clyde K.M. 175 Kock, Gerhard 20, 35, 40, 54 Köckeis, Eva 259 Kofler, Martin 51

Kohler, Ivo 232, 328 f. Kolle, Kurt 105 König, Franz 93, 148 König, Helmut 291 Kopp, Ferdinand 131, 160 f., 223 Kövesi, Leo 313, 330 Kraft, Victor 295 Kramer, Josefine 123 Kramp, Wolfgang 307, 310 ff., 327, 369 Kranewitter, Heinrich 73 Krasensky, Hans 301 Kraus, Therese 173 Kreis, Adda 23 Kreis, Hildegard Ernestine 17 Kreis, Josef Lorenz 17 Kreitmair, Karl 154 Kretschmer, Ernst 99 f., 105 Kreutz, Henrik 259 Krieck, Ernst 118, 175 Kriss, Rudolf 85 Kroh, Oswald 103, 139 Kruckenhauser, Stefan 148 Krupp, Friedrich 16 Kubek, Christina 135 f. Kuchar, Hanna 354 Kuebart, Friedrich 173 Kühne, Otto 15 Külpe, Oswald 84 Kürschner 102 f., 128, 194, 211, 287, 292, 320 f., 327, 354 Kurzka, Anton 185 Kurzreiter, Josef 345 Kutschera, Erhard 101, 340 Ladner, Thomas 50, 56, 68 Lagemann, Ellen Condliffe 254 Laireiter, Mattias 131, 135 Lamer, Hans 352 Landahl, Heinrich 162, 228 Lang, Ludwig 223, 340, 345 Lang, Otto 76, 78, 83 Langeveld, Martinus 155, 278, 281, 287, 320 Lansky, Milos 204 Lauwerys, Joseph A. 121 Lazarsfeld, Paul 171

Personenregister

Ledwinka, Walter 157 Leeb, Johannes 32 Lehrl, Josef 165 ff., 169 f., 179 f., 301 Leibinger, Rudolf 371 Leidlmair, Adolf 354 Leitgeb, Josef 224 Leithem, Else 52 Lemayr, Christine 260, 318, 379 Lenau, Nikolaus 56 Lennert, Rudolf 139, 163, 176 Lesky, Peter 354 Lewin, Kurt 364 Lichtenstein, Ernst 121, 278, 306 Liebmann, Maximilian 107 Lindelauf, Edmund 26, 47 Lippert, Elisabeth 205 Lipps, Theodor 105 Litt, Theodor 198, 200 f., 226, 238, 255, 281, 292 Lochner, Rudolf 154, 157, 191, 254, 256, 279 ff., 286 ff., 292, 336 Lodron, Paris 79 Lorenzen, Paul 305 Loyola, Ignatius von 74 Lübke, Heinrich 261 f. Luchner, Anna 93 Lückert, Heinz-Rolf 156 Lukesch, Helmut 246 Lutter, Heinz 209, 224 Luuk, Ernst 94 Maccoby, Eleanor E. 175 Magdalena, Schwester O.P. 142 Mager, Alois 67 ff., 78, 80 ff. Magnago, Silvius 222 ff. Mahlke, Wolfgang 209 Maier, Johann 67 Maier-Bruck, Franz 90, 102, 108 Malinin, V. 294 Mann, Gustav von 142 Maron, G. 16, 92 März, Fritz 287 Massner, Norbert 300 Matis, Herbert 371 Maugg, Gordian 60 Maunz, Theodor 184, 211 f., 229, 356

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Mayer, Joseph Ernst 92 Mayr, Jakob 72, 78, 130 Mayr, Sepp 130, 354 Mead, Margaret 171 f. Mehringer, Andreas 142 Meier-Oeser, Stephan 283 Meifort, Franziska 358 Meins 228 Meister, Richard 121, 144, 165f., 179, 254, 260, 275 f., 281, 339 f. Mende, Anneliese 45, 47 Mende, Bärbel 23 Merck, Walther 162, 228 Merton, Robert K. 171, 284 Messerschmid, Felix 92, 261 Messner, Rudolf 320 ff., 364, 378 Meyer, Hans Bernhard 93 Meznik, Adalbert 227, 233 Michels, Thomas 85, 146 f. Miehsler, Herbert 220 Milde, Vincenz Eduard 254 Miller, Josef 78 Möbus, Gerhard 212 f. Mogge, Winfried 16 Mollenhauer, Klaus 292 Möller, Bernhard 291 Montalta, Eduard 127, 142, 146 Mörsdorf, Klaus 77 Morsey, Rudolf 300 Mosser, Peter 313 Mössl, Karl 49, 57 Moulines, Carlos Ulises 177 Müller, Helmut-Gerhard 230 Müller, Ludwig 210 Müller, Markus 94, 128, 161, 229, 300 Müller, Max 305 Müller, Otto 70, 111, 147 Müller-Rolli, Sebastian 199 Mulock Houwer, D.Q.R. 164 Muthesius, Hans 258 Muxel, Felix 96 Mynarek, Hubertus 77 Nell-Breuning, Oswald von 108 Neubauer, Vinzenz 102 Neugebauer, Max 269

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Personenregister

Neuhäusler, Anton 194, 197 Nida-Rümelin, Julian 101, 233 Niederwieser, Barbara 90 Niederwieser, Josef 90 Niegl, Agnes 126, 131, 354 Nohl, Herman 139, 154 f., 161 ff., 176, 198, 211, 214, 222, 225 ff., 240, 247, 270 Novalis 56 Obererlacher, Robert 90 Oberhofer, Herbert 223 Oberkofler, Gerhard 354 Oberkofler, Joseph Georg 56 Obst, Edith 22 Okon, Wincenty 298 Ortner, Franz 79, 87 Ott, Lester R. 169 Otto, Berthold 311 Özmen, Elif 101, 233 Parsons, Talcott 170 Pauli, Richard 84 Paulsen, Friedrich 247 Paulus 76 f. Peisert, Hansgert 359 Pernthaler, Peter 355 Perquin, Nicolaas 287 Peters, Hans 300 Peters, Richard Stanley 254 Petersen, Peter 212, 365 Peterssen, Wilhelm H. 204 Petzelt, Alfred 287, 300 f. Peukert, Helmut 270 Pfeffer, Fritz 256 Pfliegler, Michael 92 Pfligersdorffer, Georg 85 Piaget, Jean 102 Piazolo, Paul Harro 361 Pieper, Josef 86 Piffl-Percevic, Theodor 341 ff., 344 ff., 363 Pissarek-Hudelist, Herlinde 93 Pius IX., Papst 214 Pius XI., Papst 31 Pius XII., Papst 81, 127

Plank, Friedl 138 Platon 102 Plattner, Max 331, 341 f. Plessner, Helmut 299 Plutarch 56 Pöggeler, Franz 192, 194 Pongratz, Ludwig J. 277, 279 Popp, Walter 118 Popper, Karl R. 256, 292, 295, 337 Posch, Benedikt 220, 222 f. Posch, Klaus 224 Posch, Peter 248, 265, 267, 319, 322, 334, 364, 378 f. Praxmarer, Bernhard 91 Preysing, Konrad Graf von 25 Prillinger, Ferdinand 131 f. Prohaska, Leopold 114 ff., 121, 138, 146 f., 304 Pulcheria, Mater 24, 127 Raab, Julius 222 Rahner, Hugo 74 Rahner, Karl 109 f. Randel, Edgar 28 Rasetschnig 36 Ratmann, Martin 22, 217 Ratschiller, Grete 107 Ratschiller, Hans 107 Reble, Albert 247 Redlich, Virgil 75 Reimann, Viktor 84 Reinermann, Wilhelm 89 f., 106 Reitterer, Theodor 313 Retter, Hein 103, 187, 365 Richter, Rudolf 258 Rieder, Ilsedore 267, 316, 319 f., 364, 378 Rilke 56 Ringel, Erwin 126 Ringseis, Franz 194 Rinnerthaler, Alfred 68 Ritzi, Christian 371 Rocholl, Arnold 40 Röd, Wolfgang 101 Roeder, Peter-Martin 230 Roessler, Wilhelm 307 ff.

Personenregister

Rohracher, Andreas 68 f., 75, 80 ff., 114, 141, 145 ff., 213 Rohracher, Hubert 260, 350 Röhrs, Hermann 154, 165 Rollett, Brigitte A. 328 Roloff, Ernst Max 128 Rombach, Heinrich 128, 291 ff. Rosenberg, Alfred 31 Rosenmayr, Leopold 259, 268, 299, 354 f. Rössner, Lutz 323 ff. Roth, Heinrich 155, 205, 243, 247, 250, 296 ff., 306 Rother, Ilse 206 Rübelmann, Manfred 333 Rüdiger, Jutta 30 ff. Rumpf, Horst 324 ff., 369 Salber, Wilhelm 211, 242 Sandhöfner, Dagmar 137 Sandmann, Josef Heinrich 66 Sauser, Ekkehart 107, 147 Schaber, Johannes 67, 83 Schächer, Erenbert Josef 85 ff. Schaller, Klaus 137, 292 Schärf, Adolf 222 Scharfetter, Helmut 102 Scharnagl, Anton 157 Schasching, Johann 221 Schatz, Heinrich 366 Scheibe, Wolfgang 278, 297 Scheler, Max 102 Schelsky, Helmut 162, 214, 240, 299 Schenk-Danzinger, Lotte 302, 318, 328 f. Scheuerl, Hans 156, 162, 194 ff., 202, 270, 296, 306 ff., 326 f. Schieder, Theodor 56 Schiller, Friedrich 9, 56, 85 Schilling, Hans 192 Schirach, Baldur von 30 Schischkoff, Georgi 92, 98, 175, 194, 229 Schleiermacher, Friedrich 154, 238, 281 Schleifer, Erika 108, 148, 301 Schleifer, Karl 148, 354 Schlüter, Christiane 174 Schmalohr, Emil 320 Schmidle, Paul 142 f., 261

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Schmidt, Heinrich 92, 98 Schneider, Friedrich 6, 70, 79ff., 89, 98, 104ff., 111ff., 116ff., 122ff., 125ff., 129, 131, 133f., 136, 140, 141ff., 145ff., 165, 171, 175, 206, 218, 234, 250, 276, 278, 298f., 300, 318 Schneider, Reinfried 24 Schneider, Wilhelm Christian 82 Scholder, Klaus 31 Schöler, Walter 204 Schöndorfer, Ulrich 301 Schöpfner-Krauth, Christine 239 Schorb, Alfons Otto 327, 369 Schörken, Rolf 61 Schramm, Franz 198 Schrettenseger 192 Schulisch, Karl-Heinz 25 Schulz, Gertrude 164 Schumak, Richard 356 Schütte, Ernst 228 Schwarz, Richard 244, 265, 271, 274, 329, 340, 356 ff. Schwarzenberg, Enno 77 Seberich, Rainer 109, 217 f. Seidl, Peter 322 Sellmair, Josef 74 Sesemann, Heinrich 103 Shaw, Bernard 62 Siewerth, Gustav 300 Simma, Reinold 95 f. Slovsa, Bernhard 94 Sobota, Anton 132, 148 Sommer, Theo 60 Sonnenschein, Carl 15 ff., 18, 95 ff. Späth, Lothar 371 Speer, Albert 51 Spiel, Walter 136, 259 Spieler, Josef 117, 128, 144, 146 Spranger, Eduard 99, 121, 154, 163, 174, 194, 198, 202, 214, 238, 255 f., 270, 281 Staabs, Gerdhild von 123 Stadler, Harald 51 Stadlmayer, Viktoria 220 Stähler, Wilhelm 129 Stangl, Josef 196, 212 Staudinger 242

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Personenregister

Stegmüller, Wolfgang 101 f., 177, 233, 284, 356, 361 Steiner, Sepp 258 Stellrecht, Helmut 54 Stellwag, Helena W.F. 298 Stepan, Karl Maria 89 Stern, William 174 Stettner, Marko 291 f. Stippel, Fritz 190, 193, 229, 300 Stoll, Andreas 249, 318, 380 Storck, Joachim W. 234 Strasser, Hermann 378 Strasser, Peter 95 Strehler, Adolf 185 f., 193 Strehler, Bernhard 16 Strohal, Richard 98 f., 101 ff., 121, 133, 139 f., 146 f., 151, 158 f., 161, 165 ff., 170, 177 ff., 187 f., 219 ff., 225 ff., 245, 275, 301, 316 f., 323 Sturm, Karl Friedrich 40 Suchodolski, Bogdan 298 Süllwold, Fritz 49, 61 Sund, Horst 371 Tassilo III., Herzog 108 Tausch, Anne-Marie 277 Tausch, Reinhardt 277 Tenorth, Heinz-Elmar 9 f., 276 ff., 286, 291, 371 f. Thamm Eveline 17 Thamm Gabriele 17 Theisinger 52, 68 Thomas von Aquin 86 Thrasolt, Ernst 15, 18 Thurmair-Mumelter, Maria-Luise 224 Thurnher, Eugen 369 Tilmann, Klemens 31 Todt, Fritz 51 Tolstoy, Nikolai 51 Traber, Franz Xaver 85 Trapp, Ernst Christian 281 Trost, Friedrich 276 Trump, Liselotte 239 Tschiggfrey, Hans 220 Tschoepe, Johannes 26 f., 44 Tucek, Alexandr 291

Tuppy, Hans 354 Ueberhorst, Horst 32 Uhl, Siegfried 159, 371 Ulich, Robert 121, 175 f., Ungar, Leopold 126, 151 Unger, Toni 47, 57, 93 Urban, Hubert 102 ff., 151 Uttenweiler, Justinus 67, 83 Vennebusch-Beaugrand, Theresia 163 Verdroß, Alfred 180 Veth, Ernst 196, 209, 241 Villgrater, Maria 221 Vilsmeier, Franz 203 ff., 212 Vinzenz von Paul 130 Vogl, Maria 103, 302 Völkel, Karl-Heinz 22 Vollert, Manfred 323 Volpicelli, Luigi 175 Volz, Hans 29 Vorgrimler, Herbert 109 Waggerl, Karl-Heinrich 224 Wagner, Gottfried 135 Waitz, Theodor 5 Wallnöfer, Eduard 369 Wander, Karl Friedrich Wilhelm 248 Wasem, Erich 190 Weber, Hermann 353 Weber, Leonhard M. 77 Weber, Max 281 Wehle, Gerhard 202 Weigand, Pfarrer 66 Weingartner, Paul 249 Weinhandl, Ferdinand 166, 244, 301, 312, 327, 344 f. Weinheber, Josef 56 Weinmann, Beatrice 135 Weinzierl, Erika 79, 135 Weischedel, Wilhelm 86 Weiß, Anna 93 Weiss, Carl 118, 193 f., 235, 321, 328 Weiss, Rudolf 327 Weissensteiner, Friedrich 126 f. Weißkind, Josef 135, 151

Personenregister

Weltner, Klaus 204 Wendland, Dieter 192 f. Weniger, Erich 8, 163, 176, 204, 213 f., 222, 227 f., 243, 248, 296 Wenke, Hans 162, 205, 214, 228 Wenzl, Aloys 121 Werthmann, Lorenz 141 Wesenauer, Franz 69 f., 94 Wessel, Horst 30 Whiting, John W.M. 175 Wiechert, Ernst 22, 61 f. Wildgans, Anton 56 Wilhelm, Theodor 111, 247 Willi, Frieda 96 Willi, Gebhard 96 Willmann, Otto 154, 191, 204, 256, 281, 289 Windischer, Hans 232 f., 345 Winkler, Emil 51 Winnefeld, Friedrich 277, 320, 364 ff. Wohlgenannt, Rudolf 295, 379 Wölcken, Fritz 361 f. Wolf, Antonius 286 Wolf, Karl 166, 211 f., 225 ff., 301 ff., 304 f., 322, 328 Wolker, Ludwig 31, 94 Wurst, Franz 136 Wurzbacher, Gerhard 299 Wust, Peter 85 Zähringer, Damasus 84 Zangerle, Ignaz 90 ff., 329 Zederbauer, Gottfried 124, 135 ff. Zentner, Christian 42 Zetterberg, Hans 171 Ziegler 157 Zuckmayer, Carl 61

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